Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses und des Berichterstatters, des Herrn Abgeordneten Kiesinger, der heute leider verhindert ist, habe ich die Ehre, Ihnen den Bericht über die Beratungen des Vermittlungsausschusses zur Finanzreform zu geben.
Der Vermittlungsausschuß hat sich am 26. Oktober 1955 abschließend mit dem Finanzverfassungsgesetz befaßt. Das Gesetz war bereits einmal auf Verlangen der Bundesregierung Gegenstand eines Vermittlungsverfahrens. Der daraufhin nach langwierigen Verhandlungen am 11. März 1955 beschlossene Vermittlungsvorschlag hatte im wesentlichen folgende Regelung vorgesehen.
Die kleinen Steuern, also die Kraftfahrzeugsteuer, die Kapitalverkehrsteuern, die Versicherungsteuer und die Wechselsteuer, sollten auf den Bund übergehen. Der Bund sollte das Recht erhalten, eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer als selbständige Steuer ohne Zustimmung des Bundesrates zu erheben. Die prozentuale Aufteilung des Aufkommens aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf Bund und Länder sollte nicht im Grundgesetz selbst vorgenommen, sondern es sollten nur bestimmte Grundsätze in der Verfassung aufgestellt werden. Die Verteilung sollte einem einfachen Bundesgesetz vorbehalten bleiben, das mindestens zwei Jahre unverändert bleiben sollte und erst nach Ablauf dieser Frist erforderlichenfalls hätte revidiert werden können; das war die sogenannte Revisionsklausel. Im Falle von unzumutbaren Mehrbelastungen der Länder durch Bundesgesetze war eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses zugunsten der Länder auch vor Ablauf der Zweijahresfrist vorgesehen; das war die sogenannte Sicherungsklausel. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Länderfinanzausgleichs sahen entsprechend den Vorschlägen des Bundesrats einen horizontalen Ausgleich aus Beiträgen der Länder und nur für Ausnahmefälle die Gewährung von ergänzenden Bundeszuweisungen an leistungsschwache Länder vor.
Diese Vorschläge fanden, wie Sie wissen, am 24. März 1955 zwar die Zustimmung dieses Hauses; der Bundesrat jedoch verweigerte in seiner Sitzung vom 1. April 1955 die Zustimmung. Der Bundestag verlangte daraufhin eine erneute Einberufung des Vermittlungsausschusses.
Das Ihnen in Drucksache 1819 vorliegende Vermittlungsergebnis ist in mehreren Sitzungen des Vermittlungsausschusses und eines von ihm eingesetzten Unterausschusses nach eingehender Prüfung verschiedener Lösungsvorschläge erarbeitet worden. Es enthält gegenüber dem Vermittlungsvorschlag vom 11. März 1955 eine Neufassung des
Art. 106 des Grundgesetzes. Art. 107 ist, abgesehen von einer unbedeutenden textlichen Änderung, die sich zwangsläufig aus der vorgeschlagenen Neufassung von Art. 106 ergibt, unverändert geblieben, da insoweit zwischen den Auffassungen des Bundestages und des Bundesrats kein Gegensatz bestand.
Ich darf Ihnen ganz kurz die wesentlichen Punkte des Vermittlungsvorschlags bekanntgeben. In der Frage der Überleitung von Landessteuern — den bekannten kleinen Steuern — auf den Bund hat der Vermittlungsausschuß den Einwendungen des Bundesrats in vollem Umfang Rechnung getragen. Er schlägt vor, hier eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes überhaupt nicht vorzunehmen und nur die Abgaben von Spielbanken, die zwar auch bisher schon den Ländern zugestanden haben, aber nicht eigens aufgeführt waren, in den Katalog mit aufzunehmen.
Hinsichtlich der Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer hält der Vermittlungsausschuß dagegen seinen Vorschlag vom 11. März 1955 aufrecht, nach dem die Ergänzungsabgabe als selbständige Steuer dem Bund zugewiesen wird — für den Fall, daß der Bundestag später eine solche Ergänzungsabgabe beschließen sollte, worüber heute noch gar nichts gesagt werden kann. Der Vermittlungsausschuß hält diese Lösung für sachlich gerechtfertigt und hat auch keine verfassungsrechtliche Möglichkeit gesehen, den Wünschen des Bundesrates und auch Wünschen von Teilen dieses Hauses auf eine Begrenzung der Ergänzungsabgabe der Höhe nach in einem Gesetz nach Art. 107 des Grundgesetzes zu entsprechen. Hier bestanden verfassungsrechtliche Bedenken.
Die größten Schwierigkeiten bereitete natürlich die Behandlung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Es stand fest, daß der Bund und die Länder an dem Aufkommen dieser wichtigsten Steuer angemessen beteiligt werden müssen. Die Aufgabe, vor die sich der Vermittlungsausschuß gestellt sah, lag darin, die Aufteilung so zu regeln, daß auch bei künftiger Änderung des Belastungsverhältnisses von Bund und Ländern eine gleichmäßige Befriedigung der Deckungsbedürfnisse beider Partner gewährleistet wird und zugleich ständige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über die Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses nach Möglichkeit vermieden werden.
Der Vermittlungsausschuß hat alle Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, sorgfältig geprüft. Der Gedanke, die Methode der Bedarfsermittlung gesetzlich so festzulegen, daß die Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses nur noch das Ergebnis eines systematischen Verfahrens und nicht einer politischen Auseinandersetzung sein würde — ein Gedanke, der zunächst sehr viel Anklang gefunden hatte —, hat sich als undurchführbar erwiesen. Der Vermittlungsausschuß hat sodann erwogen, die Haushaltswirtschaft des Bundes und der Länder dadurch stärker zu verselbständigen, daß die Einkommen- und die Körperschaftsteuer in je eine Bundes- und eine Landessteuer aufgeteilt und beide Steuern auf der Grundlage einheitlicher Meßbeträge nach getrennten Bundes- und Länderhebesätzen erhoben werden. Der Vermittlungsausschuß ist jedoch nach eingehender Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß dieser Vorschlag zu einer erheblichen Mehrbelastung der Finanzverwaltung geführt hätte, ohne die Gewähr zu bieten — was das Wesentliche gewesen wäre —, daß eine Verminderung der Auseinandersetzungen über die beiderseitigen Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer einträte. Zudem hätte eine solche Regelung auch die vom Bundesrat geforderte Einfügung einer Vorschrift über die Sicherung der Länder gegen finanzielle Auswirkungen der Bundesgesetzgebung, also einer Sicherungsklausel, in das Grundgesetz unmöglich gemacht. Damit war dieser Vorschlag zum Scheitern verurteilt.
Der Vermittlungsausschuß hat danach keine andere Möglichkeit gesehen, als in der Frage der Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer grundsätzlich zu dem ursprünglichen Regierungsentwurf zurückzukehren. Er schlägt dementsprechend vor, das Beteiligungsverhältnis an dieser Steuer im Grundgesetz zahlenmäßig festzulegen und unter bestimmten Voraussetzungen eine Neufestsetzung dieses Verhältnisses durch einfaches Bundesgesetz vorzusehen.
Das Beteiligungsverhältnis soll unter Berücksichtigung der Entwicklung des Steueraufkommens seit der Steuerreform auf 35 % für den Bund und 65 % für die Länder festgesetzt werden. Dieser Vorschlag stellt einen Kompromiß zwischen den Forderungen des Bundes und der Länder dar. Zufrieden sind wohl beide nicht; daher eben der Kompromiß.
Hier darf ich vielleicht noch bemerken, daß mit dieser Fassung, auch mit dem Wegfall der Worte „und der Länderanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer" die rechtlich umstrittene Frage, ob Einkommen- und Körperschaftsteuer Landessteuern oder gemeinschaftliche Steuern von Bund und Ländern sind, offenbleibt und zweitens eine auf den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beschränkte Steuergesetzgebung, die etwa ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen könnte, rechtlich eindeutig ausgeschlossen ist.
Die Vorschriften über Änderungen des Beteiligungsverhältnisses — die sogenannte Revisionsklausel — gehen von der Formulierung der Regierungsvorlage aus. Sie sind durch Grundsätze über die Berichtigung des Beteiligungsverhältnisses und durch eine Vorschrift ergänzt worden, nach der das Beteiligungsverhältnis frühestens zwei Jahre nach der letzten Festsetzung geändert werden kann. Die Grundsätze für die Berichtigung des Beteiligungsverhältnisses sind der vom Bundestag am 19. November 1954 beschlossenen Fassung des Gesetzes entnommen und sollen dazu beitragen, die Auseinandersetzungen über die Änderung des Beteiligungsverhältnisses einzuschränken und auch etwas mehr zu versachlichen. Mit der Zweijahresfrist wiederholt der Vermittlungsausschuß seinen Vorschlag, den er bereits am 11. März 1955 gemacht hat und dem auch vom Bundesrat nicht widersprochen worden ist.
In der für die Länder besonders wichtigen Frage der finanziellen Sicherung gegen die Belastung der Länder durch Bundesgesetze, der sogenannten Sicherungsklausel, hält der Vermittlungsausschuß gleichfalls seinen Vorschlag vom 11. März 1955 aufrecht, der im wesentlichen der ursprünglichen Regierungsvorlage entspricht. Hervorzuheben ist, daß die Zweijahresfrist für eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses in diesem Falle keine Anwendung findet. Es ist selbstverständlich, daß man die Sicherungsklausel dann zur Anwendung bringen muß, wenn dieser Notstand eintritt, und daß
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man dann nicht noch zwei Jahre warten kann, bis man eine Änderung verlangt. Das ist eindeutig so gemeint.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt schließlich, das Finanzverfassungsgesetz schon mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft zu setzen. Die Vorverlegung wird dadurch ermöglicht, daß, abgesehen von der Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer, keine Änderung in der Verteilung der gegenwärtig erhobenen Steuern vorgeschlagen wird — die kleinen Steuern verbleiben nach wie vor den Ländern — und die Festsetzung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer für 1955 noch nicht erfolgt ist; er muß ja noch gesetzlich geregelt werden. Der Vorchlag erspart damit die Verabschiedung eines besonderen Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund für das Rechnungsjahr 1955 und bedeutet also eine Entlastung der Gesetzgebungsmaschinerie.
Zusammenfassend ist hervorzuheben, daß der Auftrag in Art. 107 des Grundgesetzes zur endgültigen Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder die Aufgabe umschloß, eine Lösung zu finden, die dem Bund und den Ländern die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmequellen zuteilt. Die Verankerung dieser Lösung in der Finanzverfassung des Grundgesetzes forderte einerseits ein sorgfältiges Abwägen aller Interessen des Bundes und der Lander und deren verfassungsrechtliche Sicherung, mußte aber andererseits die Möglichkeit vorsehen, die in einer künftigen Entwicklung notwendig werdenden Änderungen auf einem im Grundgesetz geregelten Wege vorzunehmen. Dies ist dadurch geschehen, daß die Anteile des Bundes und der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mit bestimmten Hundertsätzen festgesetzt sind, aber neben der Revision dieser Festsetzung, also der Verteilungsquoten selbst, der Sätze 35 und 65, noch zugunsten der Länder die Sicherungsklausel und zugunsten des Bundes die Ergänzungsabgabe vorgesehen sind. Die Sicherung des im Grundgesetz verankerten föderalistischen Prinzips und des entsprechenden Besitzstandes der Länder an den ihnen zugeteilten Steuerquellen ist insbesondere dadurch gegeben, daß die sie berührenden Gesetzesänderungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Nachdem das Vierte Überleitungsgesetz und das Länderfinanzausgleichsgesetz bereits mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft getreten sind, bedeutet die Verabschiedung des Finanzverfassungsgesetzes in der jetzt vorgelegten Fassung den Abschluß der Finanzreform, wie sie dem Bundesrat mit der Vorlage der Bundesregierung vom 18. März 1954 und dem Bundestag mit der Vorlage vom 29. April 1954, Bundestagsdrucksache 480, vorgelegt worden ist. Seit der Einsetzung der mit den Vorarbeiten beauftragten Studienkommission sind in eingehender und gründlicher Arbeit und intensiver Bemühung um die Abwägung und klärende Sicherung aller Interessen de§ Bundes und der Länder mehr als zwei Jahre verflossen.
Die in dieser Zeit von allen Seiten an den Entwürfen geübte Kritik verpflichtet heute aber auch zu der Feststellung, daß die in diesen Arbeiten gereifte Lösung, insbesondere auch — was immer wieder vergessen worden ist — wegen der engen Grenzen der Ermächtigung des Art. 107 des Grundgesetzes, nicht allen Wünschen entsprechen konnte, aber einen sehr wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung unserer Finanzverfassung bedeutet und doch zu der Hoffnung berechtigt, daß auf dem nunmehr zwei Jahre besonders umstrittenen Gebiet der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern eine für die Zukunft wertvolle Festigung eintritt.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, einen Beschluß gemäß Drucksache 1819 zu fassen. Ich weise besonders darauf hin, daß der Vermittlungsausschuß nach § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, über diese Änderungen gemeinsam abstimmen zu lassen.