Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Plenum des Hohen Hauses hat in seiner Sitzung in Berlin am 20. Oktober 1955 dem Sozialpolitischen Ausschuß folgende Anträge überwiesen: den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Zulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen, Druck-
sache 1687; den Antrag der Fraktion des GB/BHE, Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Leistungen in den gesetzlichen Rentenversicherungen, Drucksache 1746; den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes, Drucksache 1780. In der folgenden Woche wurde ein weiterer Antrag des GB/ BHE, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes, Drucksache 1805, ebenfalls dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen. Alle diese Anträge standen auf der Tagesordnung der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am Montag, dem 7. November 1955. Der Vorsitzende des Ausschusses hatte die Einladung zu diesem ungewöhnlichen Termin damit begründet, daß die in einem Teil der Anträge genannten Termine die Verabschiedung eines Gesetzes in der laufenden Woche erforderten.
In dieser Sitzung des Ausschusses wurde vor Behandlung der Vorlagen darüber diskutiert, daß der Herr Bundesarbeitsminister im Verein mit den Rentenversicherungsträgern Vorbereitungen für die Auszahlung von Vorschüssen getroffen habe, ohne daß das Parlament dazu irgendwelche Beschlüsse gefaßt habe. Ein Antrag, die Beratung erst nach Herbeiholung des Herrn Ministers zu führen, wurde abgelehnt, ebenso ein Antrag, daß an den Herrn Minister ein Schreiben zu richten sei, in dem es u. a. heiße: „Auf Grund dieser Sachlage stellt der Ausschuß mit Bedauern fest, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich für einen der vorliegenden Gesetzentwürfe entschieden hat ...". Dagegen wurde mit Mehrheit ein Antrag angenommen, den Herrn Bundesminister für Arbeit bei nächster Gelegenheit vor dem Ausschuß zu hören, ohne daß dadurch die Verabschiedung des Gesetzes hinausgezögert werden dürfe.
Diesem Antrag gemäß hat der Herr Bundesarbeitsminister in der Sitzung am Mittwoch, dem 9. November 1955 — ich darf Sie bitten, das vorwegnehmen zu dürfen — seine Auffassung vor dem Ausschuß dargelegt: Er sei von den Herren der Bundespost mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen worden, daß eine reibungslose Auszahlung von Vorschüssen vor Weihnachten unmöglich sei, wenn nicht die Vorbereitungen rechtzeitig in Angriff genommen würden. Er — der Herr Minister — sei der Meinung, er habe die Pflicht, die Voraussetzungen für eine reibungslose Auszahlung zu schaffen. Falls das Parlament anderes beschließe, so sei es das kleinere Übel, Vorbereitungen vergeblich geleistet zu haben, gegenüber einer Versäumnis der Vorsorgepflicht für den Fall der Annahme.
Nach einer Diskussion trat der Ausschuß, ohne Beschlüsse zu dieser Frage zu fassen, in die weitere Beratung ein.
Ich darf nun wieder auf die Sitzung vom Montag, dem 7., zu sprechen kommen. In dieser Sitzung wurde nach Begründung der Anträge eine Grundsatzdebatte geführt. Diese ergab den einmütigen Willen des Ausschusses, den Rentnern möglichst rasch Hilfe zu gewähren. Die Zwischenregelung dürfe aber die kommende Sozialreform nicht präjudizieren. Inwieweit dies durch die vorliegenden Anträge geschehe, darüber gingen die Meinungen auseinander. Der Meinung, daß ein Zweites Renten-Mehrbetrags-Gesetz Dauerleistungen schaffe, wurde entgegengehalten, daß auch eine wiederholte Gewährung einer halben Monatsrente effektiv eine dauernde Erhöhung sei. Dabei habe die Wiederholung des Renten-Mehrbetrags-
Gesetzes den Vorzug, die höhere Leistung betont von der Dauer und Höhe der Beitragsleistung vor dem Jahre 1939 abhängig zu machen.
Gegenüber der Auffassung, das vom Bundestag im Vorjahr einstimmig beschlossene Renten-Mehrbetrags-Gesetz verschärfe die Unterschiede in der Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter, wurde geltend gemacht, dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetz habe z. B. in der Invalidenversicherung bei 70jährigen Rentnern eine durchschnittliche Erhöhung um etwa 23 %, bei den Angestellten dagegen um 18 % gebracht, also eine Verminderung der Unterschiede.
Nach der Grundsatzdebatte wurde die Sitzung mit dem Bemerken, die Fraktionen wollten die Ausführungen der anderen Fraktionen jeweils eingehend erörtern, vertagt.
In der Sitzung am Mittwoch, dem 9. November, wurde nach der schon erwähnten Diskussion mit dem Herrn Bundesarbeitsminister in die Einzelberatung eingetreten. Der Ausschuß beschloß dabei mit Mehrheit, den Entwurf eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes gemäß Drucksache 1780 zur Beratungsgrundlage zu machen. Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen, um den Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion Gelegenheit zu geben, interne Beratungen zu pflegen. Nach Wiederaufnahme der Beratungen erklärte ein Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, diese sei für eine Sonderzahlung an die Rentner vor Weihnachten. Sie sei deshalb bereit, dem § 2 des CDU/ CSU-Entwurfes — Vorschußzahlungen — zuzustimmen. Die andere Regelung solle jedoch später beraten werden. Nun baten ihrerseits die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion um eine Beratungspause, da dieser Vorschlag in der Fraktion gründlich erörtert werden solle. Nach der Sitzungspause wurde wegen notwendiger Besprechungen eine Vertagung der Sitzung beschlossen.
In der neuen Sitzung am gleichen Tage, am 9. November nachmittags, erklärten die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, sie hätten den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eingehend geprüft, sie sähen sich aber nicht in der Lage, ihm zu folgen. Die Vorwegnahme des § 2 lasse die Rentner nicht erkennen, was sie weiter zu erwarten hätten, und außerdem müßten die Beratungen des Ausschusses fortgesetzt werden. Dadurch würden die Arbeiten an der Sozialreform verzögert, weil die Regierungsvertreter j a auch an den Beratungen des Ausschusses teilzunehmen hätten. Außerdem könnten die Rentenversicherungsträger die notwendigen Arbeiten für eine Erhöhung der Leistungen erst später in Angriff nehmen. Ein Vertreter der Fraktion der FDP legte dar, seine Fraktion teile die Auffassung der CDU nicht in vollem Umfange; allerdings liege auch keine endgültige Meinungsbildung zu dem letztgenannten Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vor. Bei der Abstimmung über den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ergab sich eine Mehrheit gegen den Antrag. Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion erklärte daraufhin, seine Fraktion könne an den weiteren Beratungen nicht teilnehmen. Der Entwurf der CDU/CSU bringe Auswirkungen für 5 Millionen Rentner und wirke sich auf das ganze Rentengefüge aus; darüber könne nicht zwei Tage vor der endgültigen Beratung im Plenum unter Zeitdruck verhandelt werden. In der Praxis seien durch die vorbereitenden Maßnahmen Tatsachen geschaffen, und die CDU/CSU sei auf
Vermittlungsvorschläge nicht eingegangen. Die SPD behalte sich vor, im Plenum Anträge zu stellen.
Die Vertreterin des Gesamtdeutschen Blocks/BHE teilte diese Bedenken. Außerdem bemerkte sie, die CDU/CSU habe am Vormittag auf ihre Anfrage mit Bedauern Kenntnis gegeben, sie könne dem Antrag Drucksache 1805 nicht zustimmen. Sie habe keine Weisung, sich an den weiteren Ausschußberatungen zu beteiligen. Der stellvertretende Ausschußvorsitzende, der die Sitzung leitete, bemerkte demgegenüber, während der Einzelberatung könnten immer Anträge gestellt werden. Die Vertreter der SPD und die Vertreterin des Gesamtdeutschen Blocks/BHE verließen danach die Sitzung.
Nach einer Erörterung auf Anregung der Fraktion der FDP, ob bei dieser Sachlage eine Vertagung angebracht sei, wurde wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit doch in die Einzelberatung eingetreten. Der Vorsitzende hatte die Beschlußfähigkeit des Ausschusses festgestellt. Das Ergebnis der Beratungen liegt Ihnen in Drucksache 1842 vor.
Im einzelnen ist dazu zu bemerken: § 1 dieses Gesetzentwurfs sieht eine Verdopplung der Mehrbeträge nach dem Gesetz vom 23. November 1954 in den gesetzlichen Rentenversicherungen vor. Der Hinweis auf die §§ 1 bis 4 des Gesetzes vom Vorjahr legt den Personenkreis, nämlich Rentner der Invalidenversicherung, Empfänger von Ruhegeld in der Angestellten- und Knappschaftsversicherung, weiter Empfänger von Witwenrenten — sofern der Versicherte vor dem Jahre 1923 geboren ist oder war — fest, der Mehrbeträge erhält, und trifft Bestimmungen über die Art der Berechnung. Berücksichtigt werden Beitragszeiten vor dem 1. Januar 1939. Im übrigen wird auf die §§ 5 bis 7 verwiesen. Diese betreffen u. a. die Begrenzung der Höhe des Mehrbetrages mit 30 DM und die Aufbringung der Mittel. Ein Antrag der FDP-Fraktion, die Lasten des Gesetzes wegen des sozialen Charakters ganz auf den Bund zu übertragen, wurde von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt.
Der § 2 regelt die Gewährung eines Vorschusses bis zum 20. Dezember dieses Jahres, also noch vor Weihnachten. Er soll in diesem Jahr anders als im Jahre 1954 für 6 Monate gezahlt werden und mindestens 20 DM betragen. Soweit der Vorschuß gegenüber der endgültigen Berechnung der Mehrbeträge zu hoch war, ist der zuviel gezahlte Betrag nicht zurückzuerstatten. Auf den Vorschuß sollen wie im Vorjahre die Bestimmungen über Anrechnung auf die sozialen Leistungen nicht angewendet werden. Daher der Hinweis auf die entsprechenden Paragraphen des vorjährigen RentenMehrbetrags-Gesetzes.
Nach dem Entwurf ist eine Vorschußzahlung bei den Knappschaftsrenten nicht vorgesehen. Die Frage wurde im Ausschuß erörtert. Wegen der Möglichkeit, dort sofort die richtigen Mehrbeträge monatlich zu zahlen, wurde auf eine Vorschußregelung bei den Knappschaftsrenten verzichtet.
Der im ursprünglichen Entwurf enthaltene § 3 wurde auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion gestrichen. Damit hat der Bund die auf ihn entfallenden Beträge nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ohne Vorschußleistungen durch die Rentenversicherungsträger selbst zu bezahlen.
§ 4 des Entwurfs erstreckt das Gesetz auf Berlin. Nach § 5 soll das Gesetz am 1. Dezember 1955 in Kraft treten.
Die geschätzten Kosten des Zweiten RentenMehrbetrags-Gesetzes betragen 684 Millionen jährlich. Davon entfallen auf den Bund 196 Millionen, Die Vorschußzahlungen erfordern einen Betrag von etwa 200 Millionen DM.
Nach dieser Beratung beschloß der Ausschuß, dem Plenum vorzuschlagen, die Drucksache 1687 — nämlich den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der eine im Effekt 121/2%oige allgemeine Rentenerhöhung vorsah — und die Drucksache 1786 — den Antrag des GB/BHE, der wie der CDU/CSU-Antrag eine doppelte Gewährung des Renten-Mehrbetrags vorsah — für erledigt zu erklären. Die Beratung des Antrags der Fraktion des GB/BHE zur Änderung des Renten-MehrbetragsGesetzes auf Drucksache 1805 sollte, da der Antrag mittelbar mit den anderen Anträgen in Zusammenhang steht, in der gleichen Sitzung erfolgen. Da kein Vertreter der antragstellenden Fraktion anwesend war, mußte die Einzelberatung vertagt werden.
Ich habe die Ehre, Sie, meine Damen und Herren, im Auftrage des Ausschusses zu bitten, wie aus Drucksache 1842 ersichtlich, zu beschließen.