Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Als einzigen Punkt der Tagesordnung rufe ich auf die
Dritte Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ,
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ,
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag ,
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1200).
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst zur Geschäftsordnung sprechen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Ich habe lediglich meine Wortmeldung, wie das üblich ist, abgegeben, aber ich glaube, es wäre zweckmäßig, und ich wäre dem Herrn Präsidenten dankbar, wenn die Stellungnahme meiner Fraktion in der üblichen Ordnung eingereiht würde. Durch die Wortmeldung, die zu Anfang der Sitzung zu geschehen hat, ist hier ein kleiner Irrtum passiert.
Ich bitte also, an dieser Stelle verzichten zu dürfen, damit der Ablauf der Debatte in der üblichen Reihenfolge vor sich gehen kann.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten von Merkatz. Inzwischen hat sich der Herr Bundeskanzler zum Wort gemeldet. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte mir erlauben, namens der Bundesregierung einige Sätze an Sie zu richten. Der Behandlung der Pariser Verträge im Plenum ist, wie Sie wissen, eine sehr eingehende Beratung in den Ausschüssen vorangegangen, und ich glaube, die Bundesregierung hat die Verpflichtung, den Mitgliedern der Ausschüsse und insbesondere den Berichterstattern für die große Arbeit, die sie auf sich genommen haben, herzlich zu danken.
Die Abstimmung zeigt die Entschlossenheit des Deutschen Bundestages, den als richtig erkannten Weg weiterzugehen. Ich glaube, wenn die dritte Lesung heute in der gleichen Weise endet wie die zweite Lesung und wenn diese Pariser Verträge vom Bundesrat verabschiedet sind, dann sind wir ein großes Stück weitergekommen auf dem Wege zum Frieden, zur Freiheit und zur Wiedervereinigung.
Aber, meine Damen und Herren, es liegen dann noch weitere große Aufgaben vor uns, und ich habe die herzliche Bitte und die Hoffnung, daß, nachdem die Entscheidung gefallen ist, sich das ganze Haus in der Bewältigung der noch vor uns stehenden Aufgaben zusammenfinden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion der letzten Wochen und auch die Debatte der letzten Tage hier in diesem Hause bestätigt, daß es insbesondere zwei beherrschende Aspekte sind, aus denen heraus die Verträge gewürdigt und verabschiedet werden müssen. Es ist dies einmal die Beurteilung der weltpolitischen Lage und zum anderen die voraussichtliche Auswirkung der Verträge für Deutschland, — ich sage bewußt „Deutschland" und nicht etwa „die Bundesrepublik".
Immer stärker empfinden wir, daß der zweite Weltkrieg im Jahre 1945 keinen Abschluß gefunden hat und daß die Waffenruhe, die vor nunmehr zehn Jahren eingetreten ist, nur scheinbar einen Friedenszustand geschaffen hat. Es ist im Jahre 1945 den Alliierten nicht gelungen, den Krieg zu beenden und durch schöpferische und gestaltende Bemühungen die Voraussetzungen für eine echte Entspannung und damit für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. So ist es nicht gelungen, die Länder am östlichen Rande des europäischen Kontinents zu befrieden. Sie wurden nicht befreit, sondern erobert und mit den Mitteln des Terrors und der Unterdrückung in den sowjetischen Machtbereich eingegliedert. Die unerbittlichen Anstrengungen um eine Bolschewisierung der sowjetischen Zone Deutschlands sind gerade für uns Deutsche ein beredtes Beispiel dafür, daß für die Sowjetunion der Krieg auch nach Beendigung der Kampfhandlungen nicht abgeschlossen war, sondern, wenn auch mit andern Mitteln, auf europäischem Boden fortgesetzt wurde. Und die Blockade von Berlin, der Korea-Krieg, die Indochina-Krise und neuerdings die Auseinandersetzungen im asiatischen Raum zeigen, mit welcher Virtuosität die Möglichkeiten erkundet und ausgenutzt wurden, um kriegerische Verwicklungen zu schaffen. Die Sowjetunion hat es wohl verstanden. jeweils einen Zeitpunkt zu wählen, in dem die westliche Welt müde oder unentschlossen schien, um vom Kalten Krieg zum heißen Krieg überzugehen, aber diesen auch wieder zu beenden, wenn die weltpolitische Lage dies ratsam erscheinen ließ. Es wäre darum, glaube ich, falsch, jedes dieser Ereignisse isoliert zu sehen und als ein mehr oder weniger zufälliges historisches Akzidens zu betrachten.
Das Jahr 1939 hat eine Welt in Bewegung gebracht, und wir können nicht sagen, ob die Katastrophe, die damals begann, tatsächlich ihren Abschluß gefunden hat — und wir nur noch die Nachwirkungen spüren — oder ob diese Ereignisse den Beginn einer neuen Weltkatastrophe ankündigen, die nicht zuletzt bei dem heutigen Stande der sogenannten Kriegstechnik alles Vorangegangene übertreffen müßte. Aber wenn wir uns darüber Rechenschaft geben, daß alle diese Ereignisse in einem inneren Zusammenhang stehen, dann müssen wir daraus die Konsequenz ziehen, daß die äußerste und gespannte Aufmerksamkeit ebenso erforderlich ist wie die wache Bereitschaft und Entschlossenheit.
Kritische Analysen der augenblicklichen Situation mögen notwendig und wichtig sein, aber für irgendwelche Voraussagen ist doch kein Raum, nicht für optimistische, aber darum auch nicht für pessimistische. Wir stehen vor einem Phänomen, das wir zumindest im Augenblick noch nicht ergründen können und dem wir sicherlich nicht näherkommen, indem wir es leugnen oder geschichtsmorphologische Betrachtungen anstellen. Denn die Welt ist durch das Aufkommen und durch die machtvolle Entwicklung des Bolschewismus in ihrer Struktur vollkommen verändert worden. Vielleicht haben wir es vor 1945 geahnt, aber es wurde in der letzten Konsequenz noch nicht sichtbar. Denn damals gärte noch die offene oder stille Revolution in Rußland, und die innere Ordnung war noch nicht gefestigt. Äußeres Anzeichen waren die pausenlos aufeinander folgenden inneren Kämpfe, die in unzähligen Schauprozessen ihren Ausdruck fanden. Vielleicht ist es die grausigste Ironie der Weltgeschichte, daß ein Adolf Hitler kommen mußte, um diese neue Macht durch seinen Angriff zusammenzuschweißen und
ihr die Verwirklichung ihres ebenso revolutionär wie imperialistisch bedingten Expansionismus zu ermöglichen.
Aber mit dieser Entwicklung haben sich auch die Gegebenheiten verändert, die unser außenpolitisches Denken bestimmt haben. Vielleicht ist hier der tiefste Grund der Verwirrung zu finden. Die Meinungen darüber, ob irgendwelche Anzeichen für eine echte Entspannung sichtbar seien, mögen auseinandergehen. Sicherlich haben sich gewisse Wunschvorstellungen, die sich an personelle Veränderungen in der Sowjetunion und die darauf folgende innerpolitische Entwicklung Rußlands knüpften, nicht verwirklicht. Aber lassen wir die Frage, ob die Bereitschaft, unter angemessenen Bedingungen zu verhandeln, in der Sowjetunion größer geworden ist oder nicht, zunächst beiseite. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Geschichtswirklichkeit, in der wir stehen, nichts mehr gemeinsam hat mit der von gestern.
Das bedeutet, daß die Kategorien, in denen wir dachten, keine Gültigkeit mehr besitzen' können für die Entscheidungen, die heute auf uns zukommen. Für eine Politik etwa der Rückversicherung, wie sie unter Bismarck galt, ist ebensowenig Raum wie für eine Politik der Optionsfreiheit, wie sie unter Bülow geführt wurde. Allianz- und Bündnisverträge, wie sie dem Dreierbund oder der Entente zugrunde lagen, passen nicht mehr in die veränderte Wirklichkeit. Nicht nur der europäische Kontinent, sondern die Welt hat ein anderes Gesicht bekommen. Es gibt keine kontinentaleuropäischen Großmächte mehr, die miteinander rivalisieren und die den Versuch unternehmen könnten, sich durch Bündnisse zu überspielen. Auch die Vorstellungen, die einem Vertrag von Rapallo zugrunde lagen, gelten nicht mehr, da die Voraussetzungen fehlen.
Die kontinentaleuropäischen Staaten haben die Machtstellung verloren, man kann auch sagen: verspielt, die sie einmal besaßen. An diesen europäischen Kontinent, ja in diesen Kontinent hat sich eine neue gewaltige Macht vorgeschoben, und man könnte sogar aussprechen, daß die alten europäischen Staaten nur noch ein Randgebiet des ohnehin kleinen Erdteils innehaben. Die Gegensätze, an denen sich früher ihre Streitigkeiten entzündeten, wir können sie nicht mehr begreifen und wir können uns den Luxus nicht mehr leisten, sie weiter zu pflegen, als ob um uns herum und mit uns nichts geschehen wäre.
Die Forderung nach einem engen Zusammenschluß der europäischen Völker entspricht also durchaus nicht irgendwelchen romantischen Vorstellungen. Es geht nicht darum, die Zeit Karls des Großen zu beschwören und von einer Wiedergeburt seines Reiches zu träumen. Aber nicht weniger irreal und gefährlich wäre es, wenn man glaubte, heute an irgendwelche Gedanken anknüpfen zu können, die vor 1914 und vielleicht noch in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen die europäische Politik bestimmend geformt haben. Am Ostrand des europäischen Kontinents liegt nicht mehr ein zwar großes, aber doch schwaches zaristisches Rußland, sondern das bolschewistische Rußland, das sich weite Teile der Welt einverleibt oder in seinen Machtbereich einbezogen hat. Wir brauchen nicht nach Asien zu blicken; es genügt die Feststellung, daß die osteuropäischen Randstaaten von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer in dieses neue Weltreich eingegliedert wurden.
Die politische Haltung dieses großen Blocks wird bestimmt von einer revolutionären Dynamik, die von pseudoreligiöser Inbrunst und nationalistischem Fanatismus gleichermaßen genährt wird. Die bestimmenden Elemente dieser Politik sind nach außen die Drohung und nach innen die Gewalt.
Im Mittelpunkt dieses Spannungsfeldes liegt
Deutschland. Die Wahnsinnspolitik des Dritten Reiches ist letztlich dafür verantwortlich. Aber die Teilung Deutschlands offenbart die Tragik des ganzen europäischen Kontinents, und ihre Beseitigung wird damit auch zur verpflichtenden Aufgabe aller Völker Europas.
Wir können dieser veränderten Situation nur mit veränderten Vorstellungen und mit anderen Mitteln begegnen. In dem Bemühen, von dem wir sicherlich nicht frei sind, alle nicht frei sind, das alles in das gewohnte Schema hineinzupressen und in Wertkategorien einer vergangenen Zeit zu denken, darin scheint mir die letzte Wurzel des Irrtums und der tiefste Anlaß auch für die Fehlentwicklung der letzten Jahre zu liegen, vielleicht auch der letzte Anlaß für manches Mißverständnis im deutschen Volke. Früher war es das Bestreben, ja, man kann sogar sagen, der Stolz einer jeden Großmacht, ihre eigene Politik zu machen. Man tat das im Vertrauen auf die eigene Stärke und in dem Bemühen um die eigene Unabhängigkeit. Allianzen wurden abgeschlossen, um anderen machtpolitischen Zusammenschlüssen zu begegnen, aber niemals um eines echten gemeinsamen Zieles willen.
Für solche Erwägungen ist kein Raum mehr. Es haben sich gewaltige Machtkonzentrationen entwikkelt, neben denen kleine Nationen — und wir sind zu einer kleinen Nation geworden — vielleicht dann noch allein bestehen können, wenn und solange ihre geographische Lage und ihr wirtschaftliches Potential sie unangreifbar oder uninteressant erscheinen lassen.
Hier scheint mir auch der grundsätzliche Unterschied in der Beurteilung der Verträge zu liegen. Die Opposition sagt uns, das ureigenste deutsche Interesse verlange von uns, den Versuch zu unternehmen, uns aus diesem Spannungsfeld zu lösen und durch eine besondere Ordnung des internationalen Status eine Art Katalysator zu bilden.; Deutschland könne und müsse die Aufgabe übernehmen, die beiden Machtblöcke auseinanderzuschieben; es müsse dann stark genug sein, um nicht zum Opfer eines unprovozierten Angriffes zu werden, aber auch nicht stark genug, um irgend jemanden bedrohen zu können.
Das ist unleugbar eine schöne These, aber in Wirklichkeit doch wohl nur ein Traum. Ich möchte nicht den Streit um Worte führen und auch nicht wiederholt den Versuch unternehmen, die Begriffe Neutralität, Neutralisierung und Bündnisfreiheit — die deutsche Übersetzung des Wortes Neutralisierung — voneinander abzugrenzen. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß eine freiwillige Neutralität, eine Neutralität, die also auf dem souveränen Beschluß Deutschlands als eines in seiner Entscheidungsfreiheit völlig ungehemmten Landes beruhen würde, real nicht denkbar ist. Beispiel einer solchen Neutralität sind etwa die Schweiz und Schweden. Beide Länder, die durch ihre geographische Lage obendrein begünstigt sind, gehören zu den höchstgerüsteten in Europa. Umfang und
Grenzen ihrer Rüstung bestimmen sie frei und aus eigenem Entschluß. Beteiligung oder Nichtteilnahme an irgendwelchen Bündnissystemen ist ihnen freigestellt. Maßgeblich ist für sie ausschließlich die eigene Interessenlage.
Eine solche Lösung wäre auch für das wiedervereinigte Deutschland nicht denkbar. Die geographische Lage Deutschlands würde die äußersten Rüstungsanstrengungen verlangen. Ganz abgesehen davon, daß das deutsche Volk außerstande wäre, diese wirtschaftliche und finanzielle Last zu tragen, würde ein solches machtvolles Potential auf der Grenze zwischen der östlichen und der westlichen Interessensphäre eine echte Kriegsgefahr schaffen. Jede Seite würde und müßte sich bemühen, dieses Potential in seinen Bereich einzubeziehen, da seine Zugehörigkeit zur anderen Seite die Gewichte entscheidend verschieben müßte.
Aber es scheint mir kaum nötig, darüber zu sprechen; denn wir Deutsche wünschen eine solche Lösung nicht, die uns unerträglich belasten würde. Und die Welt würde eine solche Lösung sicherlich auch nicht zulassen. Auch hier im Hause ist von einem Sprecher der Opposition einmal gesagt worden, daß die bewaffnete Neutralität bei einem Volk in der Lage des deutschen ein Unsinn sei.
Man spricht nun von der Bündnisfreiheit eines wiedervereinigten Deutschland. Nun, die deutsche Souveränität wäre damit — und darüber sind wir uns wohl einig — mit einer permanenten Hypothek belastet. Denn diesem Deutschland wäre ja nicht die Freiheit zu Bündnissen verliehen, sondern die Verpflichtung auferlegt, sich von Bündnissen frei zu halten. Die Vorstellung hat etwas Verlockendes;
man könnte sich denken, daß das deutsche Volk damit aus dem weltpolitischen Spannungsfeld ausgeklammert würde; das politische Geschehen würde an ihm vorbeigeleitet, und es könnte in ungestörter Ruhe seinen eigenen Aufgaben nachgehen und seinen Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der Staaten leisten, die es umgeben.
Aber ich stelle die Frage: Glaubt iemand ernstlich, daß ein solcher Zustand erreicht werden könnte? Nach der Interpretation, die uns gegeben wurde — und ich zitiere wörtlich —, sollte dieses bündnisfreie Deutschland „stark genug sein, um nicht einen Nachbarn in Versuchung zu führen, aber nicht so stark, daß, wenn es auf die eine oder andere Seite übergehen sollte, diese Seite eine Überlegenheit über die andere bekommen könnte."
Nun, wer sollte bestimmen, ob die eigene Stärke des bündnisfreien Deutschland groß genug oder zu groß wäre? Die Bestimmung könnte logischerweise nur den daran interessierten Großmächten oder einer von diesen kontrollierten Organisation zustehen. Dieses Deutschland wäre dann auf die Dauer kontrolliert. Es würde zum Spielball in den Interessengegensätzen der Welt. Es wäre in seiner Schwäche bedrohlich, da es damit die Stärke der anderen auf sich ziehen würde, und jeder Nachbar hätte das durch sein eigenes Sicherheitsbedürfnis wohlbegründete Verlangen, das Wirtschafts- und Menschenpotential dieses entmachteten Deutschland in seinen Bereich hineinzuziehen. Es wäre aber auch in seiner begrenzten Stärke bedrohlich. Denn jeder Nachbar würde jede Reaktion des deutschen Volkes mit äußerstem Mißtrauen verfolgen und zu jeder Zeit mit dem vorgegebenen oder berechtigten Einwand der Bedrohung intervenieren. Je nach der augenblicklichen Interessenlage würde der eine eine Stärkung Deutschlands erwarten und fördern und der andere eine weitere Schwächung verlangen. Für eine eigenständige deutsche Politik wäre kein Raum mehr. Die Existenz eines zur Bündnislosigkeit verdammten Deutschland würde somit den Spannungszustand in der Welt nicht mindern, sondern in unerträglicher Weise erhöhen.
Vielleicht erlauben Sie mir eine kleine Bemerkung zu dem, was gestern Herr Kollege Professor Schmid ausgeführt hat. Er beanstandete, als er die Verträge diskutierte, gewisse Bindungen, gewisse Einschränkungen der Souveränität mit dem Hinweis darauf, daß sie der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, entbehrten. Nun, können wir uns vorstellen, daß ein bündnisfreies Deutschland die Reziprozität verlangen und erhalten würde,
daß andere sich der gleichen Verpflichtung unterwerfen würden? Würden Sie nicht dann auch in einer solchen einseitigen, in einer so entscheidenden Beschränkung der deutschen Handlungsfreiheit eine Belastung sehen, die weit über das hinausginge, was Sie gestern kritisierten?
Aber wie wäre das Schicksal Deutschlands selbst? Unter dem Zwange der Bündnislosigkeit würde und müßte Deutschland zur Autarkie zurückkehren. Der Ausbau handelspolitischer Beziehungen nach der einen Seite würde von der anderen Seite argwöhnisch verfolgt werden.
An einer Erstarkung der deutschen Wirtschaft wäre sicherlich niemand mehr interessiert, und niemand würde das Risiko eingehen, in dieses politische Niemandsland Vertrauen oder Kapital zu investieren.
— Die souveräne Schweiz, Herr Kollege Erler!
Meine Damen und Herren, in der deutschen Lage würde eine solche Isolierung Deutschlands eine Erschütterung unserer wirtschaftlichen und damit unserer sozialen Sicherheit bedeuten, die, wie ich glaube, von niemandem verantwortet werden könnte.
In der zu der sogenannten Bündnisfreiheit gegebenen Definition wurde noch etwas hinzugefügt, das ich erwähnen möchte. Wir sind uns alle einig darüber, daß das deutsche Volk dem Kreis der freien Völker der Welt angehören will und angehören muß. Darum wurde auch besonders betont — auch hier zitiere ich wörtlich —, „daß niemand auch nur eine Sekunde daran denke, daß Deutschland sich aus der Freundschaft und der Solidarität der freien Völker lösen werde". — Nun, worin besteht Freundschaft, wie drückt sich Solidarität aus? Ich glaube, nicht in Deklarationen, sondern in der politischen Haltung und in der politischen Entscheidung,
also in der Handlung, und diese Handlung wäre uns untersagt.
Wir wären nach dieser Wunschvorstellung wohl berechtigt, diese Freundschaft und Solidarität in Worten zu bekunden, aber auch nicht mehr.
Ich will nicht darüber reden, ob wir überhaupt in der Lage wären, uns auf eine solche Bündnislosigkeit festzulegen. Jetzt sicherlich nicht; denn jede solche vorweggenommene Entscheidung, auch wenn sie nur in der Erklärung zur Bereitschaft bestünde, würde die Handlungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung beschränken oder beeinträchtigen.
Aber es scheint mir nötig, klar auszusprechen, daß eine solche Lösung verhängnisvoll und für niemanden erträglich wäre, nicht für den Osten, nicht für den Westen und am wenigsten für Deutschland selbst.
Uns genügt nicht das platonische Bekenntnis der unlösbaren Verbundenheit, der Freundschaft und der Solidarität mit den freien Völkern. Wenn wir Freundschaft und Solidarität anbieten und annehmen, dann wollen wir auch die Bewährung.
Die Freunde müssen uns helfen, wenn wir in Gefahr sind, und diese Solidarität muß sich zeigen, wenn wir in Not sind.
Und wenn wir das von anderen verlangen, werden es dann die andern nicht auch von uns verlangen können?
Darum glauben wir, daß wir Deutsche eindeutig und klar einen Standort beziehen müssen. Wir wissen alle, wohin wir gehören und wem wir uns verbunden fühlen: den Völkern, bei denen die Worte Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde den gleichen Sinngehalt haben wie für uns, und ich meine, wir sollten auch erkennen, daß der Widerstand Rußlands gegen die Verträge, gegen die Einbeziehung Deutschlands in die Westeuropäische Union und in die Atlantische Gemeinschaft nicht der deutschen Entscheidung gilt, sondern den Verträgen überhaupt.
Der Ausdruck der gemeinsamen Gesinnung und der Entschlossenheit zusammenzustehen ist es, dem der Widerstand gilt. Die freie Welt ist unangreifbar und unüberwindbar, wenn sie sich zusammenschließt.
Diesen Zusammenschluß gilt es zu verhindern und die raumfremden Vereinigten Staaten — wir haben das Wort „raumfremd" ja noch aus einer vergangenen Zeit im Ohr — aus dem europäischen Bereich zu verdrängen, wohl wissend, daß dieses Europa dann machtlos und wehrlos wäre.
Man kann nicht oft genug wiederholen, daß das
Wort von der Wiederaufrüstung tatsächlich ein
Schlagwort ist. Wir wollen doch nicht Deutschland
aufrüsten, um sein Machtpotential zu vergrößern und um eine deutsche Armee in machtpolitischen Auseinandersetzungen zu mißbrauchen.
Die Bedeutung der Verträge liegt doch nicht in dem Recht oder in der Pflicht, einige deutsche Divisionen aufzustellen; sie liegt in der Einbeziehung der Bundesrepublik in die Westeuropäische Union als einer auf Freiwilligkeit beruhenden Vereinigung der kontinentaleuropäischen Staaten und Englands und in der Aufnahme der Bundesrepublik in die Atlantische Gemeinschaft. Eine zwangsläufige Folge dieses Eintritts in eine solidarische Gemeinschaft ist eben die Unterstützung ihrer Ziele, nämlich der Erhaltung und Sicherung des Friedens und der Freiheit ihrer Mitgliedstaaten.
Ein Nein zu den Verträgen ist daher in letzter Konsequenz ein Nein zu einer echten europäischen Zusammenarbeit und zu einer Teilnahme an der Atlantischen Gemeinschaft der freien Völker, es ist auch ein Nein an diejenigen, die uns Freundschaft und Unterstützung gewähren wollen. Und es ist nach meiner festen Überzeugung in der letzten unerbittlichen Konsequenz auch ein Nein zur Wiedervereinigung.
Ich halte darum auch die willkürliche und primitive Alternative: Wiederaufrüstung oder Wiedervereinigung für falsch.
Ich halte es, wie ich nicht verschweigen möchte, für unendlich gefährlich, eine solche Antithese zu prägen und unter einem solchen Vorspruch Volksabstimmungen zu veranstalten.
Was von Volksentscheidungen unter solchen Vorzeichen zu halten ist, darüber hat der jetzige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtshofs, unser sozialdemokratischer Kollege Dr. Katz, im Parlamentarischen Rat Ausführungen gemacht, an die ich erinnern möchte. Meinem Antrag, das Grundgesetz der Volksabstimmung zu unterbreiten, widersprach Herr Dr. Katz mit der Begründung — ich zitiere wörtlich —, daß „damit den negativen Kreisen des Volkes eine Kristallisationsmöglichkeit gegeben" werde.
Daß Herr Dr. Katz mit dieser Auffassung nicht allein stand, beweist der eindringliche, aber auch überzeugende Brief, den Herr Kollege .0 11 en haue r im Februar 1952, also vor genau drei Jahren, an Herrn Dr. Heinemann gerichtet hat. Er lehnte es damals ab, sich an einem Volksbegehren und an einer Unterschriftensammlung zu beteiligen mit der Begründung, daß es bestenfalls zu Manifestationen komme, und vertrat die Auffassung, daß bei solchen Maßnahmen — hören Sie zu! — eine Abgrenzung gegenüber der Kommunistischen Partei nicht maglich wäre.
Die angeregte Notgemeinschaft müsse — ich zitiere
wörtlich — wenn sie auf ihren Aktionen bestehe,
zwangsläufig der Überfremdung zum Opfer fallen.
Ich darf feststellen, Herr Kollege Ollenhauer, daß diese wahrhaft prophetischen Worte angesichts der jüngsten Versuche, Volksabstimmungen zu veranstalten, eine überraschende Bestätigung erfahren haben.
Man hat an verschiedenen Orten diese höchst seltsame Volksbefragung durchgeführt. Aber ich muß hier sagen: wie einfach hat man sich die Sache gemacht, wie hemmungslos war man in der Propaganda, und wie peinlich sind die Bundesgenossen, die sich diensteifrig erboten haben, Hilfsstellung zu leisten.
Man hat es sich einfach gemacht. Die Dortmunder Unterschriftenlisten enthalten aus dem sogenannten Deutschen Manifest nur einen Satz; man hat den ausgewählt, der am unverfänglichsten ist. Er heißt:
Wir appellieren an Bundestag und Bundesregierung, alle nur möglichen Anstrengungen zu machen, damit die vier Besatzungsmächte dem Willen unseres Volkes zur Einheit Rechnung tragen.
Das hat man von den Menschen unterschreiben lassen und verkündet stolz, daß Tausende damit ihren entschlossenen Willen bekundet hätten, den Parolen der Opposition zu folgen und die Politik der Bundesregierung abzulehnen.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren — seien Sie nicht böse über die harte Kritik —, daß ich ein solches Manöver für einen aufgelegten Schwindel halte.
Diesen Satz zu unterschreiben ist jeder vernünftige Mensch in Deutschland bereit.
— Und, meine Damen und Herren, wenn Sie wollen, können Sie dafür noch heute und in diesem Saal meine Unterschrift und die meiner politischen Freunde haben.
Ich rede gar nicht davon, meine Damen und Herren, wie dann Unterschriften gesammelt wurden. Sie kennen die Geschichte der beiden Journalisten, die mit ihren nicht vorhandenen Ehefrauen innerhalb von zwei Stunden 14 Unterschriften leisteten.
Meine Damen und Herren, ich habe doch den Eindruck, daß man auch bei Ihnen gewisse Zweifel hat. Darf ich Ihnen aus dem Protokoll über die am 21. Februar 1955 im Verlagshaus der Sozialdemokratischen Partei in Hof, Marienstraße 75, stattgefundene Auszählung der Unterschriften für das Deutsche Manifest etwas wörtlich vorlesen? Man hat dort 19 918 Unterschriften ermittelt. Dann heißt es — ich zitiere wörtlich —:
Um allen bösen Einwänden die Spitze zu nehmen, sind die an der Auszählung Beteiligten übereingekommen, auf das Konto von Doppelunterschriften, gedungenen Fälschern und Jugendlichen unter dem wahlberechtigten Alter 400 Unterschriften abzustreichen.
Meine Damen und Herren, ich zitiere weiter wörtlich aus dem Protokoll:
Es bestand ursprünglich die Absicht, bei der Auszählung die Presse und interessierte Persönlichkeiten teilnehmen zu lassen.
Davon wurde Abstand genommen, nachdem die Gegner des Manifests vor unerhörten Drohungen nicht zurückschreckten, und für bezahlte und bestellte Zweifler sollte keine Gelegenheit geboten werden, das Vertrauen derer, die die Unterschrift leisteten, zu mißbrauchen und ihnen Nachteile entstehen zu lassen.
Meine Damen und Herren, verstehen Sie denn nicht, daß uns eine solche Entwicklung mit einer ernsten Sorge erfüllt?
Haben Sie denn nicht Verständnis dafür?
Mein Freund Strauß hat in seiner Rede dieses Flugblatt von Hof erwähnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, halten Sie es denn wirklich für richtig und mit einer offenen und anständigen Politik vereinbar, daß Sie dort Herrn Salvador de Madariaga zu Worte kommen lassen, denselben, dessen Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung" Sie ja wohl verfolgen und den Sie zitiert haben mit einem Friedensmanifest, das wir alle unterschrieben, den Sie nicht zitiert haben mit seiner sehr harten Kritik an Ihrer Politik.
Und halten Sie es denn, meine Damen und Herren, wirklich für erträglich, daß in einem solchen Flugblatt — und ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich es hier zitiere — drei Abbildungen nebeneinander zu sehen sind: Vorgestern Kaiser Wilhelm, gestern Adolf Hitler, heute Konrad Adenauer?
Und wenn wir, meine Damen und Herren, eine solche Propaganda, für die ich nicht den einzelnen von Ihnen verantwortlich mache — ich denke nicht daran —,
als eine beispiellose Gemeinheit bezeichnen, dann sind Sie beleidigt.
Im „Neuen Vorwärts" vom 4. Februar ist eine Karikatur veröffentlicht. Man sieht dort mit der Unterschrift „Bevor sie wieder Schwierigkeiten macht", wie vier Leute in Uniform, darunter der Bundeskanzler, die deutsche Einheit in einem Sarg zu Grabe tragen, und als Leidtragende folgen die drei westlichen Alliierten. Meine Damen und Herren, halten Sie das mit einer sachlichen Auseinandersetzung um die Lebensfragen des deutschen Volkes für vereinbar?
— Wenn Sie schon von Wahlplakaten sprechen: In meinem Wahlkreis hat die Sozialdemokratische Partei ein Plakat aufgestellt — ich kann es Ihnen in Photokopie zur Verfügung stellen —, ein Kreuz mit Stahlhelm, Überschrift „1914 bis 1918", ein zweites Kreuz mit Stahlhelm, Überschrift „1939 bis 1945" und .dann eine grinsende Karikatur eines Politikers, der auf eine neue Grabstätte zeigt und sagt: „Der nächste bitte! Das wollen wir nicht. Darum SPD!"
Meine Damen und Herren, wollen Sie denn uns unterstellen, daß wir das wollen?
Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, es war nicht zu verstehen.
Ich habe schon gesagt, daß man sich sorgenvoll fragen muß, ob die Unterstützung solcher Aktionen nicht der beste Beweis für ihre Bedenklichkeit ist. Haben Sie gelesen, was beispielsweise in einer Versammlung West-Berliner Vertrauensleute der SED im Stadtteil Friedrichshain gesagt worden ist, wie dort über den durchschlagenden Erfolg der Adenauer-Gegner berichtet wurde und es von Herrn Waldemar Schmidt wörtlich heißt:
Unsere Stunde ist gekommen. Bei allen Vereinen, die gegen Adenauer sind und nun meutern, sitzen ein paar Leute von uns. Wenn unter 500 Demonstranten nur einer ist, der das richtige Plakat trägt, so ist das mehr wert als eine Versammlung von Reimann. Was wir brauchen, sind Streiks, Proteste, Märsche und Volksbefragungen.
— Herr Kollege, ich bestreite das nicht. Ich bestreite doch auch nicht, daß es nicht Ihre Absicht ist, daß niemand von Ihnen die Absicht hat, ein so unnatürliches Bündnis einzugehen.
Aber ich sage Ihnen warnend, daß Sie hier Bundesgenossen gegen Ihren Willen gegen das deutsche Volk führen.
Ich richte gerade wegen dieser Auseinandersetzungen noch einmal die dringende Bitte an die Opposition, ihre Haltung in dieser Frage doch einer Revision zu unterziehen.
Ich möchte Sie noch einmal eindringlich und ernsthaft, meine Damen und Herren, an die gemeinsame Verantwortung erinnern, die uns, die Mehrheit und die Minderheit, doch gemeinsam bindet.
Ich weiß, es ist nicht leicht, über diese Gemeinsamkeit mit Ihnen zu sprechen. Aber lassen Sie mich einen Satz sagen: Ich verstehe unter Opposition die Vertreter einer aufbauwilligen, sachlichen Gegenmeinung, nicht den zerstörerischen Geist der Obstruktion, der den demokratischen Parlamentarismus als Mantel der Tarnung mißbraucht.
— Meine Damen und Herren, es ist der Zwischenruf gefallen „Unerhört". Darf ich Ihnen sagen, daß ich hier ein Wortzitat aus der Regierungserklärung Ihres Ministerpräsidenten Zinn vom Januar dieses Jahres gebraucht habe.
Deswegen mußte ich der Meinung sein, daß Sie mit dieser Definition der Aufgaben der Opposition übereinstimmen würden.
Ich hoffe und ich wünsche, daß es uns allen hier im Bundestag und allen Menschen draußen, gleichgültig, in welcher Zone sie leben dürfen oder leben müssen, gleichermaßen ernst ist um die Frage der Wiedervereinigung unseres zerrissenen Vaterlandes. Es ist für uns alle ein quälender Gedanke, zu wissen, daß heute noch diese 18 Millionen Deutsche drüben in der sowjetisch besetzten Zone von uns getrennt sind und ihre Kraft nicht mit der unsrigen vereinen können beim Aufbau eines neuen freiheitlichen Deutschland. Mögen wir ernst und leidenschaftlich darüber diskutieren, welcher Weg der richtige ist, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, das auch in der gemeinsamen Resolution in den heutigen Morgenstunden zum Ausdruck kam. Aber ich glaube, wir haben nicht das Recht, uns gegenseitig mangelnde Bereitschaft in der Verfolgung dieses Zieles zu unterstellen.
Das bestimmt auch unsere Politik. Wir haben erkannt, daß eine isolierte Lösung des Deutschland-
' problems nicht denkbar ist. Ich glaube, hierin stimmen wir überein. Wir wissen auch — das hat Herr Kollege Wehner selbst unterstrichen —, daß die Fragestellung nicht lautet: deutsche Einigung oder europäische Zusammenarbeit, sondern: europäische Zusammenarbeit in der Erkenntnis der Notwendigkeit und mit dem Ziel der deutschen Einigung.
Wir wissen aber auch, daß dieses Ziel der deutschen Politik nur erreichbar ist, wenn wir Partner, Freunde und Verbündete haben, die uns in diesem harten Kampf um das Lebensrecht unseres deutschen Volkes unterstützen. Und wir sehen doch unbestreitbare Tatsachen vor uns! Die westliche Welt ist bereit, uns in unserem Bemühen zu unterstützen. Sie hat uns in dem Raum, der ihrer Verfügungsgewalt unterstand, die Möglichkeit gegeben, diese Einheit und diese Freiheit, auf diesem Teilgebiet zu verwirklichen. Rußland hat seine Zone nicht freigegeben. Es hat den deutschen Menschen in seinem Herrschaftsgebiet das Recht der freien Selbstbestimmung nicht eingeräumt.
Die westlichen Staaten haben in den Verträgen, über die wir nunmehr abstimmen sollen, die feierliche Verpflichtung übernommen, mit uns zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln das gemeinsame Ziel, das wiedervereinigte Deutschland, zu erreichen. Sie haben sich in der Londoner Dreimächteerklärung, der sich auch die anderen Staaten angeschlossen haben, zur Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschland mit friedlichen Mitteln als grundlegendes Ziel ihrer eigenen Politik verpflichtet. Sie sind in der Berliner Konferenz als überzeugte Sprecher dieses deutschen Anliegens aufgetreten. Ich weiß, der eine oder andere von uns sagt, man habe in der Berliner Konferenz nicht die letzten Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich selbst erkenne den Vorwurf nicht als berechtigt an. Aber auch wenn er es sein sollte: Wo ist eine vergleichbare Bereitschaft, wo ist ein vergleichbares Bemühen der Sowjetunion jemals festzustellen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja!
Herr Abgeordneter von Brentano, würden Sie Gedanken wie die folgenden auch heute noch in Erwägung ziehen: In Deutschland sieht man sich leider zu sehr genötigt, alles, was den Osten angeht, in Schwarzweißmalerei zu sehen. Der unselige Versuch der Amerikaner, den antikommunistischen Feldzug zu führen, hat die Verwirrung der Leute nur verheft. Es ist unsere Pflicht, dazu beizutragen, auch gegenüber Rußland den tiefsten Grund der Feindschaft zu beseitigen, nämlich das Mißtrauen.
Von uns zum Sowjetregime gibt es vielleicht keine Brücke.
Aber wir können auch nicht dagegen kämpfen, und wir sollten uns auch nicht zu Satelliten der Weststaaten machen!?
Herr Kollege, das ist eine Erklärung aus dem Jahre 1947, und vielleicht ist es doch besser, wenn man in sieben bis acht Jahren etwas dazulernt, als wenn man stehenbleibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Damit haben Sie doch, Herr von Brentano, gesagt, daß diese Äußerungen nicht von mir stammen, sondern von Ihnen?
Ja, ja!
Insofern, als sie von Ihnen stammen, können wir also hoffen, daß Sie noch weitere Fortschritte machen werden.
Meine Damen und Herren! Es war vielleicht keine Frage, aber wenn Herr Kollege Lütkens daran interessiert ist: Ich bin durchaus entschlossen, nicht auf meinem heutigen Niveau stehenzubleiben, sondern mich weiter zu entwickeln.
— Keine Sorge, nicht nach rückwärts!
Meine Damen und Herren, darf ich fortfahren. Können und dürfen wir durch unsere heutige politische Entscheidung denen eine Absage erteilen, die sich aus freiem Entschluß und in überzeugender Glaubwürdigkeit in diesen Zielen der deutschen Politik mit uns verbunden haben? Können und dürfen wir diese Unterstützung, die wir nötig haben, aufs Spiel setzen, um dagegen das doch in seiner Bedeutung höchst problematische Wohlwollen des Kreml einzutauschen?
Mein Freund Kiesinger hat vor wenigen Tagen aus den Reden von Herrn Molotow zitiert. Meine Damen und Herren, ist es nicht etwas überzeugender, wenn ich Ihnen beispielsweise vorlese, was der amerikanische Außenminister Dulles im November 1954 sagte:
Die Westmächte werden sich weiterhin unablässig für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzen;
wenn ich zitiere, was der Premierminister Sir Winston Churchill am 10. Februar im Unterhaus sagte: Es ist die Politik der Regierung, sich um eine Viermächtekonferenz zu einem Zeitpunkt zu bemühen, an dem Aussichten auf echte Ergebnisse eines solchen Zusammentreffens vorhanden sind.
Ist es nicht überzeugender, was der englische Außenminister Eden am 21. Januar sagte:
Worin liegt das europäische Problem? Das europäische Problem ist das Problem Deutschland und Österreich.
Die Deutschlandfrage ist die zentrale Frage
Europas. Wir waren immer der Ansicht, daß
Deutschland wiedervereinigt werden müsse.
Aber Deutschland kann nur durch die Einheit des Westens wiedervereinigt werden, weil Gespräche mit Rußland nur dann von Nutzen sein können, wenn die westliche Einheit gesichert ist. Wie ich schon einmal sagte, werden wir die notwendige Grundlage, auf der wir eine Verständigung mit dem Osten anstreben können, dann geschaffen haben, wenn wir Stabilität und ein gemeinsames Ziel besitzen.
Meine Damen und Herren, sollten wir solchen Erklärungen gegenüber nein sagen, nur weil Verlautbarungen vom 15. Januar uns ein wenig besser klingen als das Vorangegangene? Nein, wir sollten, so meine ich, auch der Drohung nicht Rechnung tragen, wenn Sowjetrußland uns sagt, man werde nach der Ratifizierung nicht mehr verhandeln. Die Weltgeschichte wird sich weiter entwickeln. Die Mächte werden wieder zusammenkommen und zusammenkommen müssen, um Gefahrenherde zu beseitigen, sei es in einer Viererkonferenz, sei es in einer großen Konferenz, sei es in einer Abrüstungskonferenz.
Rußland wird auch weiter den Kontakt mit den Mächten suchen, die in der Atlantischen Gemeinschaft zusammengeschlossen sind; denn es ist, wie ich hoffe und wie ich glaube, letztlich an einer Entspannung um des eigenen Volkes willen nicht minder interessiert als die anderen Völker der Welt.
Sollen wir denn ernstlich solchen Drohungen eine solche Bedeutung beimessen und damit unsere eigenen politischen Entscheidungen im Ablauf und im Wert von denen bestimmen lassen, die uns noch ) keinen Beweis, noch nicht einmal ein Anzeichen des Verständnisses gegeben haben?
Wir müssen der ernsthaften Gefahr offen ins Auge sehen. Wenn wir uns durch eine falsche Entscheidung selbst in die Isolierung begeben, dann fordern wir geradezu das Schicksal heraus. Denn nichts liegt näher, meine Damen und Herren, als daß in einem solchen Falle die gesamte, also auch die freie Welt das Interesse an uns verlieren und die Gemeinsamkeit der politischen Zielsetzung aufgeben würde, um sich auf Kosten des deutschen Volkes unter Zugrundelegung des unerträglichen Status quo über uns und gegen uns zu einigen.
Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, die meine politischen Freunde und mich veranlassen, zu den Verträgen ja zu sagen; nicht, ich wiederhole es, zu einer Wiederaufrüstung Deutschlands als Selbstzweck, sondern zur Mitarbeit in der Westeuropäischen Union und in der Atlantischen Gemeinschaft als gleichberechtigter Partner, um durch die Solidarität, zu der wir uns bekennen, die Solidarität der Partner dieser Organisationen für uns zu gewinnen. Notwendige Konsequenz ist das Bekenntnis zur Bereitschaft, an der Erhaltung der gemeinsamen, also auch der deutschen Freiheit mitzuwirken. Denn es wäre utopisch, zu glauben, daß andere dies ohne uns und für uns tun würden.
Für uns stellt sich die Frage, was wir tun können, aber auch tun müssen, um den Frieden und die Freiheit zu erhalten. Und die Sowjetunion sollte wissen, daß es uns mit dem Bekenntnis zum Frieden sehr ernst ist. Sie sollte darüber hinaus
erkennen, daß ein isoliertes Deutschland für die ganze Welt, aber ganz besonders für seine Anlieger eine ständige Gefahr sein müßte, und sie sollte wissen, daß Deutschland, das Bestandteil einer organisierten freien Welt ist, den besten Beitrag für den Frieden zu leisten vermag. Gerade die potentielle Gefahr, die man hinter Deutschland zu fürchten vorgibt, wird doch um so geringer, je stärker dieses Deutschland in großen internationalen Organisationen verankert und gebunden ist.
Die Mitgliedschaft Deutschlands schafft auch eine echte Verhandlungsvoraussetzung. Dieses Deutschland wird jederzeit bereit sein, an Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen und gemeinsame Entscheidungen zu verwirklichen, und gerade dieses Deutschland wird jederzeit darin einwilligen, seinen östlichen Nachbarn, neben und mit denen es friedlich, aber frei zusammenleben möchte, echte Sicherheitsgarantien zu vermitteln. Es gibt keine Garantieverpflichtung, der Deutschland in solchen Verhandlungen widersprechen würde und die es als diskriminierend empfinden würde, wenn dadurch das Sicherheitsbedürfnis seiner östlichen Nachbarn erfüllt, aber die Freiheit des deutschen Volkes nicht gefährdet wird.
Zum Schluß noch einige wenige Worte über das Saarstatut. Auch zu diesem Abkommen werden meine Freunde ja sagen. Ich brauche die Gründe, die mein Freund Lenz ausgeführt hat, nicht zu wiederholen. Wir glauben, daß wir die wichtigsten Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung dadurch schaffen können, daß wir das deutschfranzösische Verhältnis in eine echte und vertrauensvolle Zusammenarbeit und Freundschaft umgestalten.
Das setzt nach unserer Überzeugung voraus, daß die Verhältnisse, wie sie sich bis zur Stunde im Saargebiet entwickelt haben, grundlegend geändert werden. Das Abkommen über die Saar macht diesen Weg frei. Er wird den deutschen Menschen an der Saar wieder die Freiheitsrechte vermitteln, die ihnen bisher versagt waren. Er entkleidet das Saargebiet des staatsähnlichen Charakters, den es anzunehmen begann. Wir haben Vertrauen in einen der Westeuropäischen Union verantwortlichen Kommissar, daß er seine Aufgabe im Geiste des Rechts und der Freiheit, aber auch des Ausgleichs und der Versöhnung wahrnehmen wird. Wir vertrauen auf die Rechtsgarantien, die in den Vereinbarungen enthalten sind. Das Saarstatut kann und soll nicht mehr bezwecken, als eine vorläufige Ordnung zu schaffen; und wenn die durch die Verträge begründete Zusammenarbeit der freien Völker sich bewähren wird — und daran zweifle ich nicht —, dann wird auch der Friedensvertrag nicht mehr zwischen Siegern und Besiegten abgeschlossen werden, sondern zwischen Völkern, die nicht an Macht und Gewalt, sondern an Recht und Freiheit glauben.
Das Abkommen über die Saar macht den Weg für eine solche Entwicklung frei. Es erfüllt durchaus nicht alle unsere Hoffnungen und Wünsche, aber es versperrt auch nicht ihre spätere Erfüllung.
Meine Damen und Herren! Gestern hat ein Sprecher der Opposition gefragt, was uns denn zwinge,
diese Ratifizierung durchzuführen. Ich möchte Ihnen antworten: Es zwingt uns die tiefe und ernste Sorge um unser deutsches Vaterland, dem wir unsere Arbeit widmen. Es zwingt uns das Gefühl der tiefen Verantwortung, die wir für alle Deutschen tragen. Es zwingt uns das Gewissen, das Richtschnur unseres Handelns sein muß.
Und, meine Damen und Herren, lassen Sie mich das zum Schluß sagen: Sie sollten doch an der Ernsthaftigkeit dieses Gefühls nicht zweifeln. Sie sollten die Ernsthaftigkeit spüren und anerkennen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß dann auch der Augenblick kommt, wo wir, die wir im Ziel einig sind, unsere gemeinsamen Anstrengungen verbinden können, um es zu erreichen für ein freies deutsches Volk.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in seinen wenigen Worten die Bemerkung gemacht, daß der Bundestag durch die Beschlüsse in der letzten Nacht zum Ausdruck gebracht habe, daß er den bisherigen Weg in der Außenpolitik weitergehen wolle. Ich möchte feststellen: Korrekterweise muß es wohl heißen: die Mehrheit des Bundestages;
denn die sozialdemokratische Opposition — und sie nicht allein — hat ja gestern in der zweiten Lesung ihre Stimme gegen die Verträge abgegeben. Wir möchten nicht, daß irgendwo und bei irgend jemand irgendein Zweifel über unsere Auffassung in dieser Frage aufkommt.
Meine Damen und Herren! In der Rede des Herrn Kollegen von B r en t an o hat die Form der Auseinandersetzung — ich sage: die Form der Auseinandersetzung — über die Pariser Verträge im Zusammenhang mit der Paulskirchenbewegung eine Rolle gespielt, und Herr von Brentano hat es für richtig gehalten, hier einige Einzelfälle zu zitieren.
— Ja, vielleicht bei Ihnen!
Denn sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie es in dieser Stunde und bei dieser Gelegenheit haben wollen, dann können Sie eine Gegenrechnung von uns bekommen.
Ich möchte hier nur feststellen, daß die Ansprachen der Männer, die in der Paulskirche gesprochen haben, und der Text des Manifestes für niemand in unserem Volke, dem es auf eine sachliche Auseinandersetzung über eine so wichtige Lebensfrage unseres Volkes ankommt, einen Anlaß gegeben hätte, eine Gegenbewegung auf dem Niveau einzuleiten, das wir erlebt haben.
Das, was ich am meisten bedaure, ist, daß die erste
und repräsentativste Antwort, die auf die Paulskirchenkundgebung und das Manifest kam, die des Herrn Bundeskanzlers selbst, auf der Parteiausschußsitzung der CDU/CSU in Bonn gegeben wurde, dann mit seiner Rede in Frankfurt und schließlich mit der Rede, nun, sagen wir, der vier „Flüchtlinge" der Bundesregierung auf der Kundgebung in Hamburg.
Ich habe diese Bemerkung gemacht, weil Herr Dehler z. B. mir den Vorwurf gemacht hat, ich sei als Führer der Opposition in die Kundgebung und auf die Straße geflüchtet.
— Dann habe ich das nur in Ihrem Manuskript gelesen — es tut mir leid —; vielleicht haben Sie's nachher nicht ausgesprochen.
— Das ist möglich. Jedenfalls war mir etwas leichter, als ich in Hamburg am Tage meiner Kundgebung feststellen konnte, daß die Vorsitzenden der Koalitionsparteien, an der Spitze Herr Dr. Adenauer, auch in die Kundgebungen geflüchtet waren.
Aber ich will das hier gar nicht vertiefen. Ich sage Ihnen nur eins: ich habe die Texte der drei Reden des Herrn Bundeskanzlers hier, und wenn es Ihnen Spaß macht, können wir einmal feststellen, wo das Senken des Niveaus und die unsachlichen Angriffe angefangen haben.
Meine Damen und Herren, ich verzichte hier darauf. Was ich dazu zu sagen habe, habe ich in der Öffentlichkeit gesagt. Ich möchte hier nur ganz frei hinzufügen: Wenn bei späteren Gelegenheiten auf Ihrer Seite, vom Herrn Bundeskanzler angefangen, das Bedürfnis besteht, den politischen Kampf in dieser Weise zu führen, — wir werden Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben!
Aber ich stelle hier eindeutig die Verantwortung für eine solche Entwicklung fest.
— Ja, das möchte ich Ihn en raten!
Meine Damen und Herren, dann hat der Herr Kollege von Brentano gefragt, ob es uns nicht bedenklich macht, was für Bundesgenossen wir bei dieser Aktion gefunden haben.
Nun, meine Damen und Herren, Sie können keinen einzigen Fall, von der Paulskirchenkundgebung angefangen bis zu all den Kundgebungen im Lande, anführen, in dem sich die Sozialdemokratie mit irgendwelchen für uns unakzeptablen politischen Kräften auf kommunistischer Seite oder auf der Seite der Rechten irgendwo liiert hätte.
— Sehen Sie, das habe ich ja erwartet; deshalb habe ich die Frage nur gestellt. Sehen Sie, Herr Kiesinger, der Herr Schmidt-Wittmack ist doch aus Ihrer Fraktion in die Sowjetzone gelaufen.
Und was würden Sie davon halten, wenn ich Herrn
von Brentano dieses in die Schuhe schieben würde?
— Bitte, das ist doch Ihre Methode, und die akzeptiere ich nicht. Sie dürfen sich nur nicht einbilden, daß, wenn Sie solche Behauptungen aufstellen, wir dazu stillhalten.
Das ist eben einfach der Unterschied zwischen einer Abstimmungsmaschine und einem frei gewählten demokratischen Parlament.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Ollenhauer, ist Ihnen bekannt, daß in der Bremer Bürgerschaft die SPD-Fraktion mit Hilfe der kommunistischen Stimmen einen Antrag gegen die Pariser Verträge zur Annahme gebracht hat?
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion ist, soviel ich weiß, nicht wie der Herr Schmidt-Wittmack aus seiner Partei ausgeschlossen worden.
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen. Ich weiß nicht, was Sie sonst für parlamentarische Erfahrungen haben.
Wir könnten ja hier, meine Damen und Herren —ich weiche der Frage gar nicht aus; was denken Sie denn? —, in diesem Hause auf der linken Seite fünf Kommunisten haben. Ja, glauben Sie, daß die Tatsache, daß die fünf Kommunisten gegen die Verträge stimmten, uns daran hindern würde, ebenfalls gegen die Verträge zu stimmen?
Was ist denn das für ein Analphabetentum in der parlamentarischen Demokratie?
Meine Damen und Herren, für mich kann die Sache mit diesen Bemerkungen erledigt sein.
— Aber bitte, vielleicht können wir weiterkommen.
Eine Frage!
Sie haben doch eben gesagt, Herr Kollege Ollenhauer, daß Sie keine kommunistische Unterstützung in Anspruch nehmen würden. In Bremen sind Sie auf die kommunistische Unterstützung angewiesen gewesen, und Sie haben sie ausgenutzt.
Verehrter Herr Kollege, lassen Sie sich Nachhilfestunden geben! Ich kann das hier nicht schaffen.
— Nun, Herr Strauß, man nicht so empfindlich! Nachdem wir Ihre Rundfunkansprache an das bayerische Volk gehört haben, können Sie hier nicht den Moralischen mimen.
Ich will auch gleich hinzufügen, Herr Kollege Strauß, — —
Eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Gestatten Sie eine Frage, Herr Kollege Ollenhauer! Wenn Sie hier im Parlament — Ihr Beispiel von vorher: die Anwesenheit einiger Kommunisten vorausgesetzt — nur mit Hilfe der Kommunisten die Pariser Verträge zu Fall bringen könnten, würden Sie es dann tun?
Das ist der Fall wie in der Bremer Bürgerschaft.
Lieber Herr Kollege Strauß, die Sozialdemokratie wird völlig unabhängig ihre Entscheidung in solchen Lebensfragen fällen,
und sie wird selbstverständlich in der parlamentarischen Entscheidung jede Stimme für ihre Haltung annehmen, die es gibt.
— Bitte, meine Damen und Herren, haben Sie etwas anderes erwartet?
— Eben! Das ist doch genau Ihre Praxis! Wie oft haben Sie mit weiß Gott wem gegen die Sozialdemokraten gestimmt, wenn es Ihnen gepaßt hat!
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können dieses Kapitel verlassen. Ich möchte die Sache auch gar nicht weiter vertiefen. Ich möchte sogar hinzufügen — das stand vorher in meinem Manuskript, Herr Strauß, nicht daß ich jetzt Angst bekommen hätte vor Ihnen —, daß ich nicht die Absicht habe, mich mit Ihrer Rundfunkansprache auseinanderzusetzen, weil da nicht sehr viel an politischem Gehalt darin war.
Außerdem möchte ich noch eine andere Rede aus dieser Debatte ausschalten, das ist die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers Professor Erhard von gestern. Ich glaube, hier nur einen Satz sagen zu müssen: ich fürchte, daß die gestrige Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers dem Herrn Bundesfinanzminister bei späteren Verhandlungen sehr teuer zu stehen kommen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch einiges in der Sache zu dem ganzen Komplex sagen, der hier so viel Erregung und Leidenschaft hervorgerufen hat, nämlich zu dem Komplex, der mit der Bewegung im Lande verbunden ist, die mit der Paulskirchen-Veranstaltung ihren Ausgang genommen hat. Wissen Sie, was mich bedrückt — ich sage Ihnen das ganz offen —, ist der Umstand, daß bei der Mehrheit dieses Hauses und vor allen Dingen bei der Christlich-Demokratischen Union, obwohl in dieser Kundgebung Männer gesprochen haben, deren Namen einen hohen Klang haben - nicht in erster Linie in den Kreisen der Arbeiterschaft, die der Sozialdemokratie nahestehen, sondern in dem katholischen und protestantischen Volksteil —,
und obwohl diese Männer unbestrittenerweise für viele ihrer Amtsbrüder und für viele Hunderttausende gesprochen haben von überzeugten Christen, dieses Wort der Mahnung und dieses Wort der Besorgnis, das so abgewogen, sachlich und anständig vorgebracht wurde, nicht — bei keinem von Ihnen — auch nur die Spur eines Verständnisses und des Willens zur Auseinandersetzung gebracht hat.
Das ist etwas sehr Betrübliches, und da diese Männer und diese Frauen hier in diesem Hause keinen in Ihren Reihen gefunden haben, der etwas für sie sagt oder der wenigstens erkennen läßt, daß er ihr Anliegen wirklich ernst nimmt und sich
B' mit ihm auseinandersetzt, halte ich mich für verpflichtet, dieses Wort hier von dieser Stelle aus zu sprechen,
weil wir alle — und Sie auch! — die Verpflichtung haben, eine solche Empfindung und eine solche Bewegung wirklich ernster zu nehmen, als es von Ihrer Seite geschehen ist.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie hat in ihrer 80jährigen Geschichte einiges ausgehalten; wir halten auch diese Auseinandersetzung aus. Aber wenn sich in unserem Volke in diesen Schichten ein so lebendiges, leidenschaftliches, innerlich besorgtes Leben zeigt, dann haben wir, glaube ich, im Interesse der Stärkung eines wirklichen demokratischen Lebens die Verpflichtung, uns die Zeit und die Kraft zu nehmen, auch hier in einer solchen Auseinandersetzung davon Kenntnis zu nehmen und mit den Menschen in der Sprache zu argumentieren, die sie verstehen.
Ein anderer Punkt! Der Herr Kollege von Brentano hat hier einige Bemerkungen über die Volksbefragung gemacht. Nun, was ich darüber alles gelesen habe, ist einigermaßen erstaunlich.
— Sehen Sie, Herr Kollege von Brentano, zu Ihrer Information möchte ich Ihnen folgendes sagen. Die Sozialdemokratische Partei hat in dieser ganzen Aktion keine Volksbefragung im ganzen Lande gemacht,
— lassen Sie mich doch bitte erst ausreden —, und zwar genau aus den Gründen, Herr Kollege, die ich seinerzeit in dem Brief an Herrn Dr. Heinemann dargelegt habe. Ein solcher Versuch, etwa auf privater Ebene willkürlich und ohne die Möglichkeit einer Kontrolle im ganzen Bundesgebiet Unterschriften zu sammeln, ist ja praktisch ohne Beweiswert, ganz gleich, welche Zahlen sich dabei ergeben.
Die Gefahren, die damit verbunden sind, sind genau die Gefahren, Herr Kollege von Brentano, die mich damals veranlaßt haben, dem damaligen Kollegen Dr. Heinemann diesen Brief zu schreiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Ollenhauer, ich würde Sie gern bitten, mir eine Auskunft zu geben, wie ich das Inserat Ihrer Partei in meiner Zeitung verstehen soll, das ich neulich gelesen habe und worin aufgefordert wird, sich an der Abstimmung beteiligen zu wollen.
Meine Damen und Herren, vielleicht geben Sie mir die Zeit, zu entwickeln, was wir getan haben. Wir haben folgendes gemacht. Wir haben uns gesagt, wir wollen an vier Plätzen im Bundesgebiet, übersichtlich, abgrenzbar, kontrollierbar: Dortmund, Herford-Land, Aschaffenburg-Land und Hof
— habe ich schon gesagt —, die wahlberechtigte Bevölkerung fragen, ob sie mit der Forderung des deutschen Manifestes einverstanden ist, vor der Ratifizierung zu verhandeln. Wir haben diesen Weg gewählt, weil wir gar nichts anderes wollten, als festzustellen, inwieweit in dieser lebenswichtigen politischen Frage heute in der Bevölkerung eine Resonanz ist, vielleicht in anderer Gruppierung, als es bei den Septemberwahlen 1953 der Fall war. Das ist, finde ich, eine durchaus gerechtfertigte und vernünftige Überlegung.
Wir haben diese Beschränkung genommen, um Ihnen als unseren Gegnern in dieser Sache eine Möglichkeit der Kontrolle und des Vergleichs zu geben.
Eine solche private Befragung ist natürlich keine amtliche Wahl, und wir haben auch keinerlei — keinerlei! — Konsequenzen gezogen aus den Ergebnissen in bezug auf die Position des Parlaments; denn das lehnen wir ab. Aber eines können Sie nicht behaupten: daß eine solche stichprobenhafte Erforschung der Meinung in der Bevölkerung in einer bestimmten Frage kein legitimes und anwendbares Recht in einer demokratischen Ordnung sei.
1— Meine Damen und Herren, ich will Ihnen folgendes sagen. Wir sind in der Sache sehr gewissenhaft gewesen.
— Sie wissen noch gar nicht, was ich sagen will, aber ich glaube, Sie wissen schon, daß es falsch ist! Das ist Ihre Kunst, nicht meine! — Wir sind sehr gewissenhaft gewesen. Wir haben völlig unabhängig davon eines der Meinungsforschungsinstitute in der Bundesrepublik gebeten, eine Erhebung über eine Reihe von politischen Fragen durchzuführen, und dabei auch die Frage stellen lassen: Sind Sie der Meinung, daß man vor der Ratifizierung der Verträge verhandeln soll? — Die Resultate in den vier Städten haben ergeben, daß in jedem Fall eine größere Zahl von Wahlberechtigten sich für eine solche Verhandlung vor der Ratifizierung entschieden hat, als die Sozialdemokratie Stimmen bekommen hat.
— Das schwankt zwischen 57 % und 40 %. Ich will gar nicht über die Prozentsätze diskutieren. Ich stelle nur die Tendenz fest, und die Tendenz ist eindeutig. Das Bemerkenswerte ist: diese völlig unabhängige stichprobenartige repräsentative Erhebung in der Bundesrepublik, von der ja die Unterschriftengeber gar nichts wußten, hat genau dasselbe Resultat ergeben, nämlich die Feststellung, daß von allen Befragten in der ganzen Bundesrepublik 56 % für Verhandlungen vor der Ratifizierung waren.
— Bitte, es steht Ihnen ja frei, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Was ich nur will, ist, heute an diesem Tage, an dem wir diese Frage praktisch definitiv im Bundestag entscheiden sollen, Sie darauf aufmerksam zu machen,
daß eine solche gewissenhafte Prüfung der Meinung eben dieses Resultat gehabt hat. Alles andere ist unwesentlich. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Aber ich möchte Ihnen sagen, ich hoffe, Sie sind sich darüber klar — auch aus Ihren eigenen Erfahrungen im Lande —, daß in dieser Frage — ich rede gar nicht über die gesamte Außenpolitik; wir haben sie in dieser ganzen Aktion auch nicht zur Debatte gestellt —, daß in dieser konkreten Frage: „Sollen wir ratifizieren, soll die Bundesrepublik ein Teil der Nordatlantikpakt-Organisation werden, ehe wir einen neuen Versuch von Viermächteverhandlungen gemacht haben?" die Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich unsere Auffassung und nicht Ihre Auffassung teilt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Ollenhauer, gestatten Sie mir eine Frage! Sie haben davon gesprochen, daß die Ergebnisse dieser Befragung einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen sind. Ich frage Sie: Halten Sie es für eine demokratische Methode, daß im Auftrag großer Organisationen oder großer Parteien an Staatsbürger offene Fragen gestellt werden, daß sie in ihrén Wohnungen oder sonstwo aufgesucht werden und daß dann die Meinung dieser Befragten in offener Form niedergelegt wird? Halten Sie das für eine demokratische Methode oder für einen Bruch des Prinzips der Geheimhaltung bei der Feststellung politischer Willensäußerungen?
Herr von Merkatz, entschuldigen Sie bitte, niemand ist gezwungen, seine Unterschrift zu geben.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen aber eines sagen. Wir haben eine Erfahrung gemacht, die uns allen zu denken geben sollte: daß bei vielen Menschen in der Bundesrepublik die Sorge, in einer solchen politischen Frage sich durch Unterschrift zu bekennen, außerordentlich groß ist;
und ich finde, das ist kein Grund zum Frohlocken.
Das ist ein sehr ernstes Zeichen für die Schwäche unserer Demokratie und des demokratischen Bewußtseins.
Ich will noch eines hinzufügen. Was ich nicht für möglich gehalten hätte, ist: es gibt Teile in Deutschland, in denen Mut dazu gehört hat, die Unterschrift zu leisten.
Ich möchte gerade denjenigen Männern und Frauen, die diesen Mut bewiesen haben, von dieser Stelle herzlich danken.
Ich möchte diesen Dank vor allem aussprechen, weil meine Bewunderung für den Mut seit der Abstimmung in der letzten Nacht in diesem Hause noch größer geworden ist.
Nun darf ich vielleicht noch zwei andere Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen, damit, wie ich hoffe, Herr Kollege von Brentano, bei späteren Kontroversen, die wir sicher haben werden, wenigstens einige Sachen weggebracht werden.
Es ist doch unmöglich, daß man auf eine so ernsthafte politische Bewegung wie diese antwortet: Wir lassen uns nicht von der Straße bestimmen. - Das war doch mit das böseste Wort, das in dieser Auseinandersetzung gefallen ist.
Das habe ich unendlich bedauert, denn solange die Bürger der Demokratie in öffentlichen Kundgebungen ihre Meinung zum Ausdruck bringen, machen sie damit nur etwas, was zu der Ausübung der Grundrechte der Staatsbürger in einer Demokratie gehört.
Und Sie gefährden in der gefährlichsten Weise die
Entwicklung eines demokratischen Bewußtseins,
wenn Sie auf eine politische Bewegung, die Ihnen
politisch unangenehm sein mag, deren demokratische Legalität Sie aber nicht bestreiten können,
antworten: Wir lassen uns nicht von der Straße diktieren. — Das geht nicht.
Ich möchte noch eins hinzufügen, auch in vollem Ernst. Ich habe in der Presse gelesen, daß am Tage nach der Kundgebung der Koalitionsparteien in Hamburg der Herr Bundespressechef der Presse auf einer Pressekonferenz mitgeteilt hat, man stelle zur Zeit Ermittlungen darüber an, ob nicht einige Äußerungen oder Handlungen von Rednern im Zusammenhang mit der Paulskirchen-Kundgebung unter den Verdacht des Hochverrats fallen.
Diese Meldung ist am nächsten Tag abgeschwächt worden, aber bitte: Sollte etwa die Zuspitzung unseres innenpolitischen Kampfes so weit gehen, daß Sie in der Regierung auch nur mit solchen Gedanken spielen, meine Damen und Herren, dann übernehmen Sie eine untragbare Verantwortung.
Sie haben in den Männern und Frauen, die in dieser Bewegung gestanden haben und die wahrlich nicht alle meine Parteifreunde sind, zweifelsfrei in ihrer erdrückenden Mehrheit mit einen wesentlichen Bestandteil der demokratischen Kräfte der Bundesrepublik. Und wie können Sie auch nur den Gedanken aussprechen, daß Repräsentanten dieser Bewegung, von der ich spreche, — —
— Lassen Sie doch den Unfug mit den Kommunisten!
— Aber ich spreche doch von den anderen.
Wie können Sie eine solche Bewegung in Verbindung bringen mit der Vorstellung von „Vorgehen wegen Hochverrats"?
Ich warne Sie mit aller Eindringlichkeit. Ich habe hier in dieser Beziehung in den Jahren seit 1949 schon einiges erlebt. Ich will solche Äußerungen nicht länger unwidersprochen in der Welt stehenlassen, als es unbedingt nötig ist. Deshalb diese Bemerkung.
Dann Volksentscheid und parlamentarische Demokratie! Auch dazu noch ein Wort. Nun, Herr Kollege von Brentano, Herr Kiesinger hat ja schon davon gesprochen, daß die leitenden Körperschaften der SPD mit einer sehr knappen Mehrheit so glatt am Rande der plebiszitären Demokratie vorbeigekommen seien.
— Trösten Sie sich, es war halb so schlimm. — Die
Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit ist der Meinung, daß wir seinerzeit mit guten Gründen gemeinsam den Volksentscheid als Mittel der Gesetzgebung in der Bundesrepublik ausgeschaltet haben.
Wir haben auch nicht die Absicht, diese Frage in
diesem Zeitpunkt hier aufzuwerfen, weil sie uns
nicht von so entscheidender Bedeutung für das
staatliche Leben unseres Volkes zu sein scheint. Aber warum, wenn eine solche Diskussion auftaucht, immer gleich den Popanz hingestellt und losgeschlagen auf die Sozialdemokratie, die alle ihre Grundsätze und die parlamentarische Demokratie preisgebe; das ist doch Unsinn. Wenn wir schon über die Sache reden wollen, Herr Kollege von Brentano, so grundsätzlich verwerflich ist sogar das Mittel des Volksenscheids in einer Demokratie nicht.
— Glücklicherweise! — Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU, ohne irgendeine Bedrückung Ihres demokratischen Bewußtseins z. B. die Frage der Sozialisierung in Hessen auf dem Wege eines Volksentscheids durchgeführt haben; es ist Ihnen ausgezeichnet bekommen und dem Lande Hessen auch,
ohne Gefährdung der Demokratie.
Außerdem Volksentscheid! Ich habe noch im Ohr den Klang der Rede, in der uns hier auseinandergesetzt wurde, was für ein großer politischer Gewinn es ist, daß wir im Saarstatut sogar zwei Volksentscheide erreicht haben.
— Bitte, nicht den Mund verziehen, Herr von Brentano! Das ist natürlich so; es lohnt sich nicht, daß wir uns darüber erst zerstreiten. Ich hätte es nicht aufgebracht, Herr Kollege von Brentano, aber es hat ja immer eine Rolle gespielt. Deswegen möchte ich das hier klargestellt und möchte hier unseren Standpunkt präzisiert haben. Alles, was wir hier verlangen, und alles, was wir hier in Anspruch nehmen, ist, daß wir außerhalb dieses Parlaments jede im Rahmen der Verfassung gegebene Möglichkeit der freien Meinungsäußerung und der politischen Willensbildung der Bevölkerung ausnutzen. Dieses Recht werden wir uns von niemandem bestreiten lassen.
Dabei bleibt außer jeder Diskussion, daß die gesetzgebende Gewalt bei den Institutionen liegt, die das Grundgesetz eingesetzt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ollenhauer, Sie sind der Meinung, daß die Volksbefragung doch ein wichtiges Mittel sei. Nun glaube ich, daß es doch auch sehr gut gewesen wäre, wenn Sie einmal die Sowjetzonenflüchtlinge gefragt hätten,
wie sie über die Verträge denken. Ist dies vielleicht geschehen? Denn gerade in den Lagern hätten Sie ja eine günstige Möglichkeit gehabt,
die Menschen zu befragen.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich weiche dieser Frage nicht aus, ich gehe jetzt nicht deshalb darüber hinweg, weil ich sie
nicht beantworten könnte; aber ich habe das Kapitel Volksbefragung verlassen und möchte in der Darstellung meiner Argumente weiterkommen; schließlich kostet es auch Ihre Zeit und nicht nur meine.
Ich möchte also jetzt die Frage der Volksbefragung verlassen und möchte unsere Stellung zum Verhältnis von freier demokratischer Betätigung draußen und dem Recht des Parlaments abschließen.
Ich möchte nun zu der Frage etwas sagen, die uns heute hier — wie ich hoffe — in der Sache so außerordentlich stark beschäftigt. Denn ich meine, eine dritte Lesung ist nicht nur ein Nachtusch, sondern sie hat auch wohl eine echte politische Bedeutung für jeden, der hier durch seine Abstimmung eine Entscheidung fällt. Unsere Meinung ist, daß wir mit der Ratifizierung der Pariser Verträge einen sehr schwerwiegenden und einen sehr folgenschweren Entschluß fassen. Wir haben in der zweiten Lesung unsere Gründe gegen die Verträge ausführlich dargelegt, und ich will mit keinem Wort wiederholen, was bei dieser Gelegenheit gesagt wurde, weil es mir nicht nötig erscheint. Ich will nur eine Bemerkung machen, einfach weil ein neues Moment in die Debatte gekommen ist, seitdem sie hier geführt wurde.
Sie erinnern sich alle an die Auseinandersetzung über die Frage der demokratischen Grundrechte und der staatsbürgerlichen Freiheiten an der Saar. Der Herr Bundeskanzler hat hier mit Nachdruck die Meinung vertreten, daß nach seinen Besprechungen mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Mendès-France kein Zweifel darüber bestehen könne, daß nach der Abstimmung über das Statut und nach seiner Annahme jede politische Freiheit, staatsbürgerliche Freiheit gesichert sei, selbstverständlich auch die freie Diskussion über die Ablösung des Saarstatuts im Friedensvertrag durch eine andere Lösung, etwa der Rückkehr zu Deutschland. Heute lesen wir in der Presse die amtliche französische Auffassung, daß nach der Annahme des Saarstatuts dieses Statut selbstverständlich nicht in Frage gestellt werden dürfe,
daß damit auch eine Diskussion über die Endlösung nicht statthaft sei.
Meine Damen und Herren, ich bringe das hier auf, weil sich dabei folgendes herausstellt. Was immer der Ausgang dieser Meinungsverschiedenheiten sein wird, der Hinweis, daß an der Saar die Konvention über die Menschenrechte gelten und damit eine Sicherheit gegeben würde, ist bei der Aufrechterhaltung dieser französischen Auffassung nicht mehr wirksam,
denn die Grundrechte können nach dieser Konvention nur im Rahmen der Verfassung des Landes untersucht und ausgeübt werden. Und hier ist die ganz große Gefahr — ich beschränke mich auf diese Feststellung —, daß das Wahrheit wird, was wir unentwegt befürchtet haben, daß wir vielleicht eine relativ freie Entscheidung über die Annahme des Statuts haben werden, weil das Risiko dieser Entscheidung für die andere Seite gleich Null ist, aber daß keine Garantie besteht, daß die demokratischen Freiheiten an der Saar nach der
Annahme des Statuts tatsächlich gesichert sind oder sogar gesichert werden könnten. Das ist das Entscheidende.
Ich wollte diesen Punkt hier lediglich aufbringen, weil er durch die französische Stellungnahme neu zur Diskussion gekommen ist.
Nun, meine Damen und Herren, zu der Frage unserer Stellung zu den Verträgen oder, besser gesagt, unserer Auffassung über die Position der Vertragspolitik der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen in der gegenwärtigen internationalen Situation. Gestatten Sie mir, daß ich auch da zunächst einige Dinge ausräume, die in der Diskussion eine viel zu große Rolle gespielt haben, weil sie überhaupt nicht Gegenstand einer Kontroverse zwischen der Mehrheit und der Opposition zu sein brauchten. Zum Beispiel: es ist völlig uninteressant, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, daß jede mögliche Lösung der Wiedervereinigung Deutschlands nach unseren gemeinsamen Vorstellungen auf der Basis der Freiheit und der Demokratie erfolgen soll. Lassen wir doch endlich all die Behauptungen, man wolle die Volksdemokratie für das ganze Deutschland, aus dem Spiel! Sie sind auch hier wieder vorgebracht worden, und wir sollten das wirklich unterlassen.
Zweitens: Es ist kein Gegenstand der Diskussion, jedenfalls nicht auf unserer Seite, daß wir das Recht und die Notwendigkeit der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie auch mit militärischen Mitteln anerkennen.
Ich verweise noch einmal, wie mein Freund Erler es getan hat, auf unseren Parteitagsbeschluß in Berlin.
Drittens: Wir lehnen das innere System der Sowjetunion und der Volksdemokratien und die politischen Vorstellungen des Kommunismus über die Welteroberung ab,
ohne jede Einschränkung, meine Damen und Herren. Ich freue mich, daß Sie Beifall klatschen; ich bin erstaunt darüber. Ich spreche nur eine Selbstverständlichkeit aus.
— Bitte, „na, na!", das ist nun allerhand, mein Herr. Das ist nämlich gerade das, was ich endlich aus dieser Diskussion herausbringen möchte.
„Na, na"? — Meine Damen und Herren, da gibt es nun wirklich genügend Beweise in der Haltung der Sozialdemokratie,
daß wir hier unsere Linie völlig einwandfrei verfolgt haben. Und ich wünschte, alle Menschen in der Bundesrepublik wären sich immer bewußt, welche große staatspolitische und europäische Leistung die Sozialdemokratie und die organisierte Arbeiterschaft nach 1945 mit ihrem Kampf gegen den Kommunismus vollbracht haben.
Sehen Sie doch die Ruhr an. Wir streiten darüber, ob diese oder jene Stadt — das war ein Argument, ich weiß nicht, von wem Ihrer Herren Redner
diesmal sozialdemokratische oder CDU-Abgeordnete hat. Das mag wichtig sein; es ist schließlich unser Interesse, daß w i r die Städte haben und nicht Sie, das ist klar. Aber meine Damen und Herren, der überragende Faktor ist, daß es an der Ruhr keine kommunistische Massenbewegung mehr gibt,
und das ist doch ein entscheidender Faktor.
— Ich habe Ihren Anteil überhaupt nicht bestritten, mein lieber Kollege. Ich will hier nur endlich diese infame Unterstellung herausgebracht haben,
als seien wir mit unserer Forderung nach einer
anderen außenpolitischen Linie irgendeine Hilfstruppe des Kommunismus oder des Bolschewismus.
In dieser Frage verstehen wir keinen Spaß.
Außerdem, meine Damen und Herren: Ich sage Ihnen, Sie werden, wenn Sie Ihre Politik fortsetzen, sehr bald vor das Problem des Verhältnisses zwischen dem Westen und der Sowjetunion in einer viel ernsteren und dramatischeren Weise gestellt werden, als wenn Sie unseren Weg gingen.
Was ist denn hier, meine Damen und Herren? Bitte, das ist die Meinungsverschiedenheit, und ich bin der Auffassung, die muß hier ausgesprochen und ausdiskutiert werden.
Es ist doch von uns keine Sturheit, daß wir an dieser Sache mit dieser Leidenschaft und Hartnäckigkeit festhalten, genau wie ich annehme, daß der Bundeskanzler es auch nicht nur aus Halsstarrigkeit macht, wenn er für seine Verträge kämpft.
Die Frage ist doch, wie wir nicht nur das Verhältnis deutsches Volk und Osten und Westen regeln; die Frage ist doch, was wir alle In der Welt des Westens tun können, um zu erreichen, daß die in der Politik der Sowjetunion zweifellos liegenden Gefahren gebannt werden
und daß die — ich möchte sagen — Freiheiten der Völker gegen mögliche Aggressionen und gegen eine Ausweitung des totalitären Machtbereichs aus dem Osten geschützt werden. Das ist die Frage der westlichen Welt, so wie wir alle hier leben. Und, meine Damen und Herren, da ist klar: Es scheiden zwei Möglichkeiten aus; niemand von uns, so nehme ich an, will sie. Wir können dns Problem nicht lösen mit einem Kreuzzug gegen den Bolschewismus.
Wir müssen die Realität Sowjetunion anerkennen.
Zweitens: Wir können und wollen nicht die Politik der Befreiung der unterdrückten Völker durch einen Krieg verfolgen.
Nun kommt die Frage: Was ist dann möglich? Und sehen Sie, meine Damen und Herren, hier ist ein Element in der internationalen Politik seit 1952, das nach meiner Meinung in der Politik der Pariser Verträge nicht in genügender Weise berücksichtigt wird.
Ich meine folgendes. Es hat eine Periode der amerikanischen Politik gegeben, M der die Idee der Befreiung und auch die Idee des Kreuzzugs eine gewisse Rolle gespielt haben. Diese Periode ist offensichtlich zu Ende, und, meine Damen und Herren, an einem sehr bemerkenswerten Punkt. Sie wissen alle, daß die Berliner Konferenz gescheitert ist in der Deutschlandfrage. Aber .diese Berliner Konferenz hat Konsequenzen gehabt, nämlich: Die Genfer Konferenz über Indochina war eine Folge der Vereinbarungen von Berlin. Bitte, das Kompromiß von Genf über Indochina ist eine sehr ernste Sache. Aber, meine Damen und Herren, was ist denn der Hintergrund dieses Kompromisses gewesen, das unter sehr schweren Auseinandersetzungen zustande gekommen ist? Die Entscheidung des Präsidenten Eisenhower, dm entscheidenden Augenblick die Zustimmung zum Einsatz amerikanischer Flugzeuge in den Indochina-Konflikt zu verweigern, weil ihm die Entspannung wichtiger war als das Risiko eines Weltbrandes dort unten! Erster Punkt!
Wir haben jetzt eine nicht minder dramatische Station in bezug auf die Auseinandersetzung um Formosa. Es steht uns nicht zu, die amerikanische Außenpolitik in bezug auf Tschiangkaischek zu kritisieren. Aber, meine Damen und Herren, daß jetzt die amerikanische Politik in dieser Weise gegen Tschiangkaischek interveniert, um die Gefahren ,auch an diesem Punkt der Welt abzubauen, ist eine außerordentlich bedeutsame Tatsache.
Das heißt, unter Schwierigkeiten, unter sehr großen Komplikationen — wie es nun einmal in dieser Auseinandersetzung ist — !gibt es eine gewisse Tendenz — ich sage: Tendenz, nicht mehr —, eine Politik !der Entspannung durchzuführen.
Und nun <die Frage, die vor uns steht 'und die wir hier zu sehen haben, weil sie uns unmittelbar angeht, meine Damen und Herren: Wenn das im Fernen Osten die heutige, als richtig anerkannte amerikanische Außenpolitik ist, warum nicht die gleiche Initiative in bezug auf Europa durch einen Versuch der Lösung des schwersten Problems, nämlich der Spaltung Deutschlands?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich jetzt noch einmal meine Gedanken entwickeln. Ich bitte um Verzeihung, aber ich habe einiges hier zu sagen, was mir am Herzen liegt und was ich im Zusammenhang sagen möchte.
Meine Damen und Herren, wenn wir hier die Frage erörtern: Wenn wir über die Vorschläge der Sowjetunion vom 15. Januar, die übrigens durch die Molotow-Rede auch offiziell bekräftigt worden sind — ich werde darüber noch ein Wort sagen —, wenn wir über diese Vorschläge hier diskutieren und
darüber, wie ernst sie seien, — nun, es gibt ja eine ganz andere Fragestellung. Es ist ja nicht nur die Frage: wollen wir eine Entspannung suchen, sondern die Frage ist doch: hat nicht der Westen ein Interesse an einer aktiven Entspannungspolitik von sich aus,
um die Frage der europäischen Entspannung zu klären?
Meine Damen und Herren, nur scheint, daß in diesem Stadium der internationalen Entwicklung, bei der wir gar nicht über Wert oder Unwert der Verträge zu reden brauchen, daß in diesem Stadium der Entwicklung, nämlich Anfang 1955, im Gegensatz zu 1952 eine Politik, die auf der Ratifizierung der Verträge vor Verhandlungen besteht, nicht in Übereinstimmung ist mit der aktuellen Situation in der internationalen Politik.
Es scheint fast, als wenn die neue amerikanische Politik der Entspannung zwar für den Fernen Osten, aber noch nicht für Europa als Export freigegeben ist. Das ist die Frage, die wir uns zu stel-haben, und warum? Jedermann weiß: Beide weltentscheidenden Mächte, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, gehen von der Annahme aus, daß gegenwärtig die akute Gefahr eines umfassenden Konflikts nicht besteht, weil beide aus ihren verschiedenen eigenen Interessen ihn nicht wollen. Ich glaube, auch Ihnen ist die Kenntnis dieser Tatsache bei Ihrer Abstimmung etwas zugute gekommen. Ich weiß nicht, ob man auch so vollen Herzens diesen Schritt in der vergangenen Nacht gegangen wäre, wenn man die Furcht haben müßte, daß sich daraus unmittelbare militärische Konsequenzen ergeben.
Das klingt paradox, aber das ist unsere Lage. Sie ist unendlich viel komplizierter, als sie in diesen Debatten sehr oft erschienen ist. Das ist der eine Tatbestand.
Der zweite ist: Wir befinden uns doch — das ist keine Übertreibung, es ist sehr nachdrücklich von allen Seiten gesagt worden — in einer Umwälzung, Gott sei es geklagt, der modernen Kriegstechnik, deren Konsequenzen für jede Form von militärischer Aufrüstung noch gar nicht abzusehen sind.
Wir tun so, als wenn wir als Erwachsene noch einmal unsere Zinnsoldaten aus dem Schrank hervorholen, um damit zu spielen.
— Meine Damen und Herren, ich meine das wiederum nicht polemisch. Sie wissen, daß es ein Problem ist; Sie wissen es alle. Sie haben ja selber heute mehr Zweifel in die Effektivität dieser Verträge, als Sie — mit Recht — bei der Abstimmung über die EVG-Verträge gehabt haben.
Natürlicherweise, denn Sie leben doch mit offenen Augen in dieser Welt, auch wenn Sie andere Schlußfolgerungen ziehen, als wir es tun.
Und dann ein Drittes. Es wird davon gesprochen: Wir müssen zu einem Kräfteverhältnis kommen, in dem auch die militärische Macht der Bundesrepublik eine Rolle spielt, zu einem Kräfteverhältnis, das Verhandlungen aussichtsreicher macht. Ich will hier gar nicht über die Fragwürdigkeit des Arguments der sogenannten Politik der Stärke diskutieren, nachdem der Herr Bundeskanzler sie kürzlich preisgegeben hat. Aber überhaupt der Gedanke, daß für absehbare Zeit der Beschluß, in der Bundesrepublik Streitkräfte aufzustellen, irgendeine Bedeutung für das Kräfteverhältnis zwischen West und Ost hat, wo immer man diese Kraft auf der diplomatischen Ebene einsetzt, ist doch irrig. Die Zeit, die wir mindestens brauchen, sind drei
Jahre — wahrscheinlich sind es sechs —, ehe die
Wert Geschichte irgendeinen effektiven ert bekommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Später bitte. — Was sind nun die Risiken, die wir unter diesen Aspekten eingehen? Zweifellos die Gefahr — ich sage es vorsichtig, obwohl ich fürchte, das ist eine Unterbewertung der auf uns zukommenden Situation — von verhängnisvollen Rückwirkungen auf die Aussichten für die Wiederherstellung der deutschen Einheit!
Wir haben hier eine ganze Reihe von Erklärungen gehört über die Molotow-Rede, das Programm des Weltkommunismus. Das gehört sicher zur sowjetischen Gesamtdarstellung; darüber sind wir uns einig. Wir haben die Vorschläge, die für Viermächteverhandlungen gemacht worden sind. Aber wir haben in dieser Rede von Herrn Molotow ja auch gehört, daß, wenn die Bundesrepublik ratifiziert, entsprechende Gegenmaßnahmen auf der Seite der DDR in bezug auf die Eingliederung in den Block der Acht erfolgen werden.
— Entschuldigen Sie, Herr Euler, ich muß Sie berichtigen. Es ist da noch längst nicht alles vollzogen.
Was nämlich jetzt kommen wird — und das ist eine Erfahrung, die wir alle kontrollieren können —, was immer die Sowjetunion in der russischen Besatzungszone in bezug auf die eigenstaatliche Entwicklung gemacht hat, ist immer genau den Schritten gefolgt, die wir in der Bundesrepublik nach der staatsrechtlichen Seite gemacht haben.
— Ich spreche jetzt von anderen Dingen: Wirtschaftsrat! Denken Sie an die Schaffung der DDR! Und, meine Damen und Herren, die Volkspolizei — —
— Das habe ich ja gar nicht bestritten. Ich habe vorhin ausdrücklich festgestellt — das brauchen wir nicht zu behandeln —, daß da wesentliche Ursachen für diesen Zustand liegen. Akzeptiert! Aber was kann geschehen? Daß diese Volkspolizei, was immer wir über ihren militärischen Wert denken, nun tatsächlich ein Bestandteil, ein wirklicher Bestandteil einer solchen Militärorganisation wird.
Meine Damen und Herren, täuschen Sie sich nicht darüber, daß, wenn die Sowjetunion in der DDR
diese Konsequenzen aus der Ratifizierung der Verträge hier zieht
— ich fürchte, das wird sie tun —, das sehr, sehr fühlbare unmittelbare Folgen für die Möglichkeiten der Beziehungen zwischen den Menschen in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone haben wird.
Ich möchte Ihnen das heute am Sonntag gesagt haben, damit niemand hinterher sagen kann, er habe es nicht gewußt.
Meine Damen und Herren, es gibt auf Ihrer Seite das Argument — bitte, das kann man haben! —: „Die Sowjets werden mit uns auch später reden." Der Herr Bundeskanzler hat es in die Form gebracht: „Bangemachen gilt nicht." Darum handelt es sich gar nicht. Sie haben genau so wenig eine Garantie dafür, daß Ihre Vorstellung richtig ist, wie wir für unsere Befürchtung, daß Ihre Vorstellung ein nicht begründeter Optimismus ist.
Aber Sie alle tragen mit uns das Risiko, daß übermorgen die Sowjets nicht mehr über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln, —
Sie alle mit uns. Da liegt doch der Kern unserer sehr konkreten politischen Forderung: Laßt uns mit den Sowjets und den drei Westmächten reden, ob es heute eine bessere Möglichkeit für die
Wiedervereinigung gibt als im Jahre 1954!
Wer kann denn die Ernsthaftigkeit einer solchen Überlegung bestreiten? Der Bundeskanzler hat gesagt: Bitte, meine Herren, das haben wir doch alles versucht, denken Sie daran, daß ich — der Bundeskanzler — die Berliner Konferenz angeregt habe! Nun, Herr Bundeskanzler, wir haben diese Frage schon einmal im Auswärtigen Ausschuß behandelt. Sie hatten uns damals in Aussicht gestellt, auch den entscheidenden Teil Ihres damaligen Briefes an die Außenminister zur Verfügung zu stellen. Leider haben wir ihn bis heute nicht gesehen.
Der Herr Bundeskanzler hat zweitens gesagt: Meine Herren, ich weiß aus vertraulichen Besprechungen zwischen den westlichen Außenministern und Herrn Molotow, daß er in Berlin auch gar nicht bereit war, etwa die EVG als Kaufpreis für freie Wahlen anzunehmen. Herr Bundeskanzler, ich bin außerstande, Ihre Mitteilung nachzuprüfen. Ich habe keinen Anlaß, sie nicht als wahr hinzunehmen. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie wissen auch, daß in den internen Verhandlungsrichtlinien der drei Westmächte vom November 1953 ausdrücklich die Preisgabe der EVG für die Wiedervereinigung durch freie Wahlen als westliches Verhandlungsziel ausgeschlossen war.
Das ist ja auch ein Tatbestand, und das macht es
uns zweifelhaft, ob man damals in Berlin auf beiden Seiten überhaupt mehr wollte, als die weitest-
gehenden Standpunkte auf beiden Seite zu proklamieren.
Jetzt liegen Vorschläge der Sowjetunion vor. Sie sind, Herr Bundeskanzler, in der Molotow-Rede enthalten und bestätigt worden; sie gibt es nicht nur in der Erklärung vom 15. Januar. Ich weiß nicht, was alles an Ernst in diesen Vorschlägen steht; aber so, wie sie stehen, enthalten sie zweifellos wesentliche Elemente des Eden-Plans vom Jahre 1954, den Sie und wir akzeptiert hatten. Ich weiß auch nicht, ob diese Vorschläge, wenn wir sie mit den Sowjets besprechen, sich nicht als ein Mittel zur Verhinderung der Ratifizierung herausstellen. An Mißtrauen gegenüber sowjetischer und kommunistischer Taktik können Sie uns nicht übertreffen.
Aber, meine Darren und Herren, ich sage Ihnen eins: in einer solchen nationalen Lebensfrage des deutschen Volkes habe ich jede Chance, die anscheinend besteht, zu untersuchen und darf sie nicht achtlos beiseite liegen lassen!
Wer zwingt uns denn, wenn wir an den Verhandlungstisch gehen, irgend etwas zu akzeptieren, was wir nicht wollen? Weder die Westmächte noch die Bundesregierung, wenn sie dabei sein sollte, sind dazu gezwungen.
Genau so unmöglich ist die Verhandlungstaktik des Westens, der sich auf den Standpunkt stellt: Solange die Sowjets die freien Wahlen nicht akzeptieren, reden wir mit ihnen nicht. Verhandlungen, bei denen man vom Gegner verlangt, daß er vorher die Ergebnisse akzeptiert, sind keine Verhandlungen.
Ein Punkt bewegt mich in diesem Zusammenhang besonders, weil er mich wirklich auf das tiefste berührt hat, und ich finde, das sollte uns alle berühren. Wir haben nach all den scharfen Auseinandersetzungen, die wir zwischen Regierungskoalition und. Opposition gehabt haben und die auch zwischen dem Herrn Bundeskanzler und mir stattgefunden haben, Idem Herrn Bundeskanzler völlig abseits von diesem Streit der Meinungen Anfang Januar in aller Form und mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit den Vorschlag gemacht, er möchte als Chef der Regierung der Bundesrepublik an die drei Westmächte die Bitte richten, bei der Sowjetregierung darauf hinzuwirken, daß über die Ernsthaftigkeit der Vorschläge vom 15. Januar verhandelt wird, und wir haben ihn zweitens gebeten, diese Besprechung herbeizuführen, ehe wir vor diese schicksalsschwere Frage der Wiedervereinigung und der Aufrüstung durch die Pariser Verträge gestellt wenden. Der Herr Bundeskanzler hat mitgeteilt, daß er sich nicht in der Lage sehe, den sozialdemokratischen Vorstellungen zu folgen. Er hat zunächst einmal auseinandergesetzt, es genüge ja nicht, sich mit der Sowjetunion zu einigen; wir !brauchten auch die Zustimmung der drei Westmächte, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Nun, das war überflüssig, das wissen wir auch. Aber dann wind gesagt, es sei durch die Pariser Verträge gelungen, die drei Westmächte für eine Form der Wiederherstellung der deutschen Einheit zu gewinnen, die unseren
Auffassungen entspreche, nämlich für eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Und nun kommt ein sehr bemerkenswerter Satz: „Allerdings ist die Verpflichtung der Westmächte, gemeinsam mit uns die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen, nicht bedingungslos eingegangen worden;
sie ist an die Ratifizierung der Pariser Verträge geknüpft."
— Bitte, das ist aber ein sehr entscheidender Punkt.
Nun, was ist meine Antwort? Wenn die Westmächte die Auffassung haben: Vor der Ratifizierung sind wir nicht bereit, mit der Sowjetunion zu verhandeln, dann bin ich allerdings der Meinung, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dann nicht allein die Aufgabe hat, uns diesen Standpunkt der drei Westmächte zur Kenntnis zu bringen,
sondern auch die Aufgabe, die Initiative zu ergreifen, um den Standpunkt der Westmächte zu ändern.
Hier muß ich allerdings sagen, daß der Herr Bundeskanzler im weiteren Verlauf seines Briefes erklärt, er sei dazu nicht in der Lage, weil er auch nicht für Verhandlungen vor der Ratifizierung sei. Diese Stellungnahme, die den Kern unserer Auseinandersetzung .betrifft, zeigt klar: Wer in diesem Stadium und in dieser Lage die Ratifizierung der Verträge vor neue Verhandlungen über die Wiedervereinigung setzt, wenn auch nur vor einen Versuch, zu solchen neuen Verhandlungen zu kommen, der dokumentiert damit, daß er unter allen Umständen der definitiven Eingliederung der Bundesrepublik in das Nordatlantikpakt-System den Vorzug vor der Wiedervereinigung gibt.
Ich habe keinen Kommentar dazu zu machen. Ich habe diesen Tatbestand festzustellen, weil hier der wirkliche Gegensatz zwischen Ihnen und uns liegt. Mir kam es in dieser Stunde darauf an, das noch einmal zu unterstreichen.
Ich bitte Sie, sich auch diese Überlegungen noch einmal vor Ihrer Entscheidung durch den Kopf gehen zu lassen: Wir sind in Gefahr, daß wir die Chancen der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands für lange Zeit verlieren. Vielleicht ist ein neuer Versuch ohne ein positives Resultat. Niemand von uns hat jemals eine andere Auffassung vertreten. Aber ich bitte Sie: Was ist denn für unsere Sache und für die Sache der Freiheit und des Friedens der Welt verloren, wenn wir diesen Versuch machen, ehe wir endgültig über die Verträge und über die Wiederaufrüstung entscheiden?
Es geht ja nicht nur um unser Schicksal. Ich habe eine Frage vom Herrn Kollegen Kiesinger noch im Ohr, weil ich nicht ganz damit fertig geworden bin. Sie haben gefragt: Was bedeutet eigentlich die Wiedervereinigung Deutschlands
für die Sicherheit Amerikas? — Nun, meine Damen und Herren, wo stehen wir eigentlich? Sind wir schon so stationär in unserem Denken, daß es überhaupt keine andere Möglickeit gibt, als den Nordatlantikpakt auf der einen und den Ostblock auf der anderen Seite?
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiesinger.
Ja, bitte!
Herr Kollege Ollenhauer, glauben Sie nicht, daß 'die Berliner Konferenz nicht an der Frage der freien Wahlen gescheitert ist, sondern an militärpolitischen Gegebenheiten von beiden Gruppen? Und glauben Sie nicht, daß das Problem der deutschen Wiedervereinigung am Ende nur gelöst werden kann, wenn sich eine Möglichkeit bietet, aus diesen harten militärpolitischen Gegebenheiten einen Ausweg zu finden,
und daß dazu allerdings nicht nur das Problem des angeblichen russischen Sicherheitsbedürfnisses gehört, sondern auch ein Blick auf die Sicherheitsnotwendigkeiten der westlichen Welt?
Herr Kiesinger, das war nicht nur eine Frage, sondern eher eine Ansprache. Aber ich habe keinen Einwand zu machen. Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Wenn es gelänge, mit der Sowjetunion zu einer Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen auf der Grundlage von Bedingungen, die wir gemeinsam akzeptieren, ist doch nicht zu bestreiten, daß die internationale und die europäische Situation eine ganz wesentliche Veränderung in der Richtung der Entspannung erfahren
und daß es im elementarsten Sicherheitsinteresse aller freien Völker, auch des amerikanischen, liegt, diese gefährliche Zone „gespaltenes Deutschland" zu beseitigen.
Das ist doch auch das, meine Damen und Herren, was hinter unserem Anliegen steht. Ich verstehe nicht, daß ein Gegensatz konstruiert wird zwischen diesem Verlangen, jetzt hier einen Versuch zu machen, und der Sicherheit der anderen. Gelingt dieser Versuch, sind wir auf dem Wege einer verstärkten Sicherheit in der Welt viel weiter, als wir mit allen Verstärkungen der Nordatlantikpakt-Organisation kommen können.
— Das habe ich ja gerade auseinandergesetzt, daß wir mit den drei Westmächten und über 'die drei Westmächte verhandeln wollen!
Meine Damen und Herren, mir kam es darauf an, jedenfalls den Versuch zu machen, diese ganze Frage noch einmal in diesen entscheidenden Zusammenhang zu stellen. Es ist nicht die Frage — jedenfalls nicht für uns —, wer in dieser Auseinandersetzung mehr und wer weniger national ist.
Es geht uns um den besten und den sichersten Weg für das deutsche Volk, zu seiner Einheit und zu seiner Sicherheit zu kommen. Wir halten die Verträge für kein geeignetes Mittel für die Sicherheit unseres Volkes. Wir halten sie für eine große Gefahr für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Wir wollen nicht Gefahr laufen, daß an der jetzigen Zonengrenze sich diesseits und jenseits dieser Grenzen junge Deutsche in Uniformen gegenüberstehen der beiden Blöcke, die da in ihren Spannungen aufeinanderstoßen. Wir fürchten, daß diese Verträge in Praxis die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln sein werden.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, denken Sie auch an die innenpolitische Lage! Wenn Sie die Verträge durchführen, werden sie eine einschneidende Wirkung auf das innere Gefüge unseres Volkes haben. Was immer man über die Zweckmäßigkeit der Aufstellung von deutschen Streitkräften denken mag, in jedem Fall sind sie nur vertretbar, wenn sie getragen werden von allen demokratischen Kräften in unserem Volke und nicht von einem in sich in dieser Frage gespaltenen Volk.
Meine Damen und Herren, Sie wissen sehr gut um die Problematik und den Ernst dieses Themas. Ich glaube, es war der Herr Kollege Dr. Jaeger, der in seiner Rede zum Schluß gesagt hat: Wir bleiben auf unserem Weg, wir haben den Mut zur Unpopularität. — Das wissen wir alle: es gibt im Leben eines Volkes für Parteien und Politiker Situationen, wo dieser Mut zur Unpopularität notwendig ist. Die Sozialdemokraten und ihre führenden Leute haben in der Vergangenheit sehr viele große Beispiele dafür geliefert.
Aber, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Das mag gelten für hundert Fragen des normalen staatlichen, wirtschaftlichen, sozialen Geschehens in einem Volk, — wenn Sie dazu übergehen, ein Volk in dieser Weise in eine völlig neue Situation und praktisch in eine neue Struktur mit fast unabsehbaren Konsequenzen zu stellen; dann genügt der Mut zur Unpopularität nicht.
Dann brauchen Sie das freiwillig gegebene Vertrauen in die sinnvolle Notwendigkeit dieser Maßnahmen, oder Sie werden in für unsere Ordnung außerordentlich ernste Situationen kommen.
Das kann niemand von uns wollen und niemand von uns wünschen, weil wir es fühlen, daß, wenn Sie so in dieser Lage und ohne einen solchen Versuch entscheiden, dann die Gefahr einer solchen Entwicklung da sein würde. Meine Damen und Herren, darum unsere eindringliche Warnung und auch darum unser Nein! Ich bin überzeugt, die Ratifizierung der Verträge wird keines der Probleme lösen, vor die wir gestellt sind, weder die Wiedervereinigung noch die Sicherheit noch die Saarfrage. Aber diese Verträge werden möglicherweise die Gefahren vergrößern, die für die Einheit unseres Volkes und für den Frieden in Europa und in der Welt bestehen.
Wir werden unsere Aufgabe weiter darin sehen, diese Gefahren zu bannen und zu verhindern, daß diese Verträge schließlich auch noch ein Werkzeug derjenigen Kräfte werden, deren Zielsetzung und Aktivitäten eine lebensgefährliche innere Bedrohung unserer Demokratie darstellen würden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bonner Zeitung hat gestern eine nette Karikatur von mir gebracht: Dehler als „vollkommener Kavalier", der nach rechts der Bundesregierung, nach links der Opposition einen Strauß überreicht.
— In die Öffentlichkeit geflüchtet und ungerügt das hingenommen, was Georg Reuter gesagt hat. Nun, ich habe gesagt: Wer sich so verhält, der kündigt die politische Grundordnung unseres Staates auf.
Aber ich teile mit Ihnen die schwere Sorge, die Sie haben, und bin wirklich auch an dieser Stelle zu einem Gespräch bereit. Es rührt uns vor allem tief an, daß in der Welt der Eindruck entstanden ist, wir hätten uns mit der Teilung unseres Vaterlandes abgefunden. Deswegen begrüße ich jede Stimme, die sich dagegen erhebt, gegen diesen Eindruck, wir akzeptierten die Lage; das sei für uns der Status einer Koexistenz der Deutschen. Wir nähmen hin, was nun einmal über uns gekommen sei. Wir bauten in Bonn die Regierungspaläste links des Rheins, weil wir nicht daran dächten, nach Berlin zurückzukehren. Man kann sich ja nicht laut und deutlich genug gegen eine solche Unterstellung besonders in der Welt wehren und kann sich nicht genug freuen — ich sage es noch einmal — über die zunehmende Empfindsamkeit der Deutschen in dieser Frage.
Ich sage: Wir stehen zu Europa. Ich habe ein Bekenntnis dazu abgelegt, aber wahrlich nicht minder zu den deutschen Menschen und damit zu der Forderung höchster Aktivität, des Einsatzes unserer gesamten geistigen, seelischen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte, um die Deutschen in der Zone zu befreien; denn darum geht es doch am Ende.
Wir haben Sorge vor der Kraft der Tatsachen,
Sorge, daß die Dinge zu lange dauern und von Tag
zu Tag irreparabler werden. Man kann fragen, ob
es richtig ist, daß der katholische Politiker in Frankreich Henri Teitgen in der französischen Kammer vor kurzem einmal gesagt hat: „Ob man es will oder nicht, Deutschland hat heute nur die Wahl zwischen zwei praktischen Zielsetzungen: Einheit Europas um jeden Preis oder Einheit Deutschlands um jeden Preis." — Wenn er „Europa" sagt, meint er natürlich Klein-Europa, Europa ohne die Iberische Halbinsel, Europa ohne Skandinavien, also ein Europa, wie es jetzt sich in der Erweiterung des Brüsseler Paktes in der Westeuropäischen Union mit England darstellt.
Und nun die Frage, die hochkommt: Zuerst ratifizieren und dadurch den Weg freimachen zur weiteren Aktivität oder zuwarten, wie die Opposition es fordert, zunächst noch einmal sondieren und klären und deswegen die Ratifikation hinausschieben? Nun, wir haben beide Meinungen — — Ich will es nicht so sagen. Wir haben unsere eigene Meinung. Wir haben von eh und je gefordert: Man muß verhandeln, jede Möglichkeit des Gespräches muß gesucht werden zwischen den Alliierten und den Russen, nach Möglichkeit zwischen uns und den Russen. Ich gehe hier durchaus mit Herrn Ollenhauer einig. Was kann das Gespräch schaden? Die Russen sind doch nicht leprakrank — wie man's darstellt —, daß eine Berührung uns infizierte! Jedes Gespräch kann nur lösen. Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger des Gespräches, der Grundsätze, die Martin Buber aufgestellt hat, daß am Ende das Humane, das Menschliche im Gespräch, im lösenden Gespräch besteht. Wir sind keine Illusionisten, keiner von uns; aber das wissen wir: daß das Gespräch wahrlich nicht verwirrt, sondern nur nützen kann, nur Mißverständnisse, Hemmungen beseitigen kann. Als wir kürzlich einmal ein sehr schönes Gespräch mit den Vertretern der Evangelischen Kirche hatten, da hat Bischof Lilje immerhin einen katholischen Denker, Pascal, zitiert, sein Wort: Gott in der Wahrheit suchen. Man kann am Ende auch die politischen Entscheidungen nur in der Wahrheit suchen und finden. Und die Wahrheit löst sich, gestaltet sich im Gespräch.
Nun wäre es naiv, zu glauben, es gebe eine einfache und bequeme Möglichkeit, die gewaltigen Probleme, die vor uns liegen, die uns bedrücken, in einem Gespräch, in einer Verhandlung, in einer neuen Viererkonferenz zu lösen, zu überwinden. Die eigenen Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer beweisen, daß er diese Zuversicht nicht hat. Ein sehr kluger Parteifreund des Herrn Kollegen Ollenhauer, d. h. es ist einer der Vielen, die leider nach 1945 sich von der richtigen Erkenntnis zur falschen Partei geschlagen haben in der subjektiven Bewertung — —
— Glauben Sie denn wirklich, daß unsere Parteienstruktur, Herr Mellies, richtig und glücklich ist? Was wir gestern abend hier erlebt haben, — haben Sie das Gefühl, daß die Parteien geistig und organisatorisch so gestaltet sind, daß richtige Entscheidungen hochkamen? Meinen Sie, daß die Entscheidung über das Europäische Statut für die Saar der Beweis für eine richtige Organisation unserer Parteien ist? Ich bin anderer Meinung.
Ich will von dem bayerischen Finanzminister Zietsch sprechen, einem ausgezeichneten Manne, einem ehrlichen Manne, einem Manne, der auch Mut hat und der in sehr eindrucksvoller Weise in der letzten Woche davon gesprochen hat, daß
1 man sich doch vor Illusionen hüten solle, daß jede Form der Wiedervereinigung unter der Churchillschen Warnung aus dem Kriege stehe: Leid, Schweiß, Tränen, Blut!
So einfach ist es doch nicht, wie die Opposition wähnt. Wir kennen die psychologischen Hemmungen. Wir stehen wirklich zwischen zwei Feuern. Wir wissen, die Franzosen haben Furcht vor den deutschen Soldaten, die Russen haben Furcht vor den deutschen Soldaten und dem amerikanischen Rüstungspotential. Wir wissen, wie schwer es ist, hier einen Weg zu steuern.
Wir wollen auch bei dieser Betrachtung nicht vergessen, wie der jetzige Zustand entstanden ist. Meine Damen und Herren, es waren ja primär nicht die Russen, die auf die Teilung Deutschlands gedrängt haben. Churchill hat schon vor Jalta in Moskau Verhandlungen mit den Russen geführt, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern. Er hat dann auf der Moskauer Konferenz es durchgesetzt, daß die Franzosen in den Kontrollrat aufgenommen wurden. Sie wissen doch, daß es dann ausgerechnet die Franzosen waren, die die Bestimmung des Potsdamer Abkommens, daß zentrale deutsche Verwaltungsstellen in Berlin errichtet werden sollten, nicht durchgeführt haben. Das ist die unheilvolle Kausalkette. Vielleicht wissen Sie auch, daß Bidault im August 1945 mit de Gaulle nach Washington gefahren ist, um die Verewigung der Spaltung Deutschlands festzulegen.
Aber die entscheidende Frage: Ist es denn wirklich so, daß primär die Frage der freien Wahlen zur Debatte stehen wird, daß die Wiedervereinigung sich durch freie Wahlen vollziehen wird? In der Aussprache ist wieder in Erinnerung an ein entstelltes Wort von mir das Wort von den unfreien Wahlen aufgeklungen — jedenfalls mit deutlicher Spitze gegen mich —, etwas, was ich in dieser Form doch nie gesagt habe. Es war nur ein Versuch, mir einmal real und nüchtern zu vergegenwärtigen: Wie werden einmal Wahlen möglich sein, und wie werden sie aussehen? Werden sie chemisch reine freie Wahlen sein, oder werden wir nicht stärkste Hemmungen hinnehmen müssen? Ach, ich möchte fast übersteigert sagen: Sind wir nicht bald so weit, daß wir sagen, wir nehmen ein Risiko auf uns? Das ist doch die Frage.
Aber so wird es nicht kommen. Meine Damen und Herren, Wahlen werden am Ende einer Verständigung stehen,
werden erst möglich sein, wenn einmal die Weltmächte den Weg zueinander gefunden haben. Darum geht es.
Die russische Offensive in Europa in den letzten Jahren ist ja Gott sei Dank abgeklungen — 1948/49 — mit der mißlungenen Berliner Blockade, mit der Schlappe im griechischen Bürgerkrieg, mit dem Abfall Titos. Das Korea-Abenteuer war noch einmal ein Rückschlag in diese Politik, ein Symptom der damaligen Verkrampftheit.
Ich bin der Meinung, das könnte uns doch optimistisch stimmen und sollte auch unsere deutschen Menschen zuversichtlich machen. Der Prozeß der Entspannung, der Entkrampfung in der Welt ist im Fortschreiten.
Wir haben in den beiden letzten Tagen diese Welt nach meiner Meinung zu sehr wieder als zweigeteilt gesehen, zu sehr unter dem Zwang des Entweder-Oder der freien Welt und der bösen bolschewistisch-russischen Welt. Es liegt lange zurück, daß Eisenhower einmal das Wort gesprochen hat: „Die Heere Gottes und des Teufels stehen einander bewaffnet gegenüber." Dieses Schema gilt nicht mehr, und er selber, glaube ich, wird es nicht mehr gelten lassen, nicht nur wegen des moralischen Anspruchs, der darin liegt, sondern vor allem deswegen, weil in dieses Schema doch die Hälfte der Menschheit überhaupt nicht hineinpaßt. Indonesien, die Philippinen, Indien, Pakistan, Burma, Ceylon, Vietnam, China, Japan — das sind 1 Milliarde 300 Millionen Menschen, die nicht in dieses Schema gehören. Nun, ich werde noch ein Wort darüber sagen; es scheint mir wichtig.
Aber voraus, meine Damen und Herren: In den letzten Jahren ist die Grundstimmung zum Frieden dauernd gewachsen, und das läßt uns hoffen. Nur einige Beispiele: die Beilegung des Suez-Konflikts zwischen Großbritannien und Ägypten, die Lösung des Triest-Problems, die Pazifik-Charta der Manila-Konferenz, die Commonwealth-Konferenz vor wenigen Wochen, die Beilegung des Indochina-Konflikts, nun auch der Übergang der Sowjetpolitik von der massiven Drohung zu einer etwas elastischeren Art des Verhandelns. Ich sehe auch in der Formosa-Situation doch eine Entspannung, auf jeden Fall den Verzicht auf den Glauben, man könne von Formosa aus mit Tschiangkaischek den chinesischen Kontinent erobern; ich glaube, dieses Sprungbrett wird langsam abgebaut.
Ich bin überhaupt der Überzeugung: Es wird in absehbarer Zeit keinen Krieg geben. Es kann, soweit verständige Erwägung möglich ist, in dieser Situation keinen Krieg geben. Auch die Weltmächte wissen, daß ein solcher Krieg keinen Sieger kennen wird, daß der Sieger — nun, das war beinahe schon das Gesetz jedes Krieges der letzten Zeit — das Los des Besiegten teilen wird. Die Politik der Stärke ist, glaube ich, zu Ende. Die war zu Ende, als der Russe die Wasserstoffbombe entwikkelt hatte und es einen entscheidenden technischen Vorsprung der westlichen Welt nicht mehr gab. Das kann uns mit Zuversicht und auch mit einem Stück Ruhe erfüllen, meine Damen und Herren. Wir leben unter keiner aktuellen Drohung; das ist meine Überzeugung.
Ich möchte ein Wort des englischen Geschichtsphilosophen Toynbee zitieren, der, meine ich, etwas Bedeutsames gesagt hat. Er sagt: „Das Wichtigste, was wir in diesen gefährlichen Zeiten kaufen können, ist Zeit", das ist das wichtigste; ist Zeit, die uns Ruhe gibt, und ist „Zeit, wenn wir sie zu dem positiven Zweck benutzen, die unkontrollierten Massen dieser Welt auf unsere Seite zu bringen: die Völker Asiens und Afrikas, die wahrscheinlich die letzte, die entscheidende Stimme in die Waagschale werfen werden." Ich glaube, es ist nützlich, einmal die Welt, unseren Planeten, auch so zu sehen.
Meine Damen und Herren, bedenken wir den großen Teil der Welt, der noch nicht unter russischem Einfluß steht! Nun, ein kurzer Blick: Japan unter der neuen Regierung Hatoyama-Schigemitsu, die sich aus der amerikanischen wirtschaftlichen Bindungen gelöst haben, die alten wirtschaftlichen Beziehungen zu China wiederherzustellen versuchen; China unter Mao Tse-tung und Tschu En Lai, das doch alles sein will, nur kein Satellitenstaat Rußlands, das nur vielleicht rot ist, meine Damen und Herren, das aber eher und mehr als rot
gelb sein wird und das niemals weiß sein wird. Wir sehen Burma, Thailand, Indochina und das Indien Nehrus, die sich wirtschaftlich, sozial, gesellschaftlich und politisch im Umbruch befinden, und wir sehen Nordafrika. Welche Chancen für uns bei diesem großen Entwicklungsprozeß, der sich in der Geschichte seit der Befreiung der Kolonien der griechischen Stadtstaaten, der römischen Kolonien, seit der Befreiung der spanischen, englischen, portugiesischen Kolonien in Amerika immer und immer wieder vollzogen hat! Ich meine, die sowjetischen Weltrevolutionspläne können sich auch an dem Freiheitswillen der asiatischen Völker brechen, und diese asiatischen Völker sind unsere gegebenen Bundesgenossen.
Abgesehen davon meine ich, meine Damen und Herren: das Jahr 1954 hat sich außenpolitisch auch dadurch ausgezeichnet, daß sich die lange. Zeit erstarrte Nachkriegssituation aufgelockert hat, daß sich die Weiß-Schwarz-Konturen, mit denen man die Weltlage zu zeichnen versuchte, leicht verwischt haben, besonders auch dadurch, daß die polaren Großmächte, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gezwungen waren, die politisch und wirtschaftlich erstarkenden Völker ihrer Machtbereiche freizugeben und ihnen größere Freiheit einzuräumen.
Ich meine: man kann das Problem, so wie es richtig in der Frage des Herrn Kollegen Kiesinger an Herrn Ollenhauer aufgeklungen ist, nur in der Sicherheitsfrage klären. Am Ende ist das ganze Problem einer Möglichkeit der Verständigung mit den Sowjets und damit der Möglichkeit der Wiedervereinigung eine militärtechnische Frage.
Es ist sehr interessant, was in dieser Richtung in den letzten Tagen gesagt worden ist. So hat Mr. Dulles darauf hingewiesen, daß nach seiner Meinung die neuen Männer im Kreml — er meinte wohl vor allem Chruschtschow, Bulganin und Schukow
— einen russischen Nationalismus entwickeln könnten, der den Internationalismus der kommunistischen Weltexpansion ersetzen, in den Hintergrund verdrängen würde. Er spricht davon, daß er in einer solchen Situation die Grundlage für lohnende Verhandlungen und praktische Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem „neuen Rußland" — sein Wort — sehen würde und daß dann die „historische Freundschaft" — welch neue Worte, welch neue Klänge! — zwischen den beiden Ländern und Völkern erneuert und verstärkt werden könnte. Und unser so realpolitisch denkender Herr Bundeskanzler hat hier nach dem Systemwechsel drüben in Rußland etwas Ähnliches gesagt, indem er äußerte, daß er von dem nüchternen, realpolitischen Sinn der neuen Männer des Kreml mehr erwarte als von den Politikern, die von Ideologien erfüllt sind. Generäle pflegen die Verantwortung für militärische Sicherheit allen anderen Überlegungen voranzustellen.
— Nun, er hat auf jeden Fall hier ein kluges Wort gesagt, und man muß für jede Weisheit dankbar sein.
— Na, warten Sie bis zum Ende, ob Sie den Vorwurf aufrechterhalten. Sie wissen, daß ich mit vielem, was er in den letzten Tagen gesagt hat, wahrlich nicht einverstanden bin.
Auch der kluge englische Premier, Sir Winston Churchill, und Sir Anthony Eden, sein Außenminister, haben sich in ähnlicher Weise wie Foster Dulles und wie unser Bundeskanzler geäußert. Also keiner dieser Männer hat sich durch die Systemrede des Herrn Molotow irritieren lassen, Herr Kiesinger!
Darauf kann man kein politisches System, keine politische Haltung aufbauen.
Ich sage: Wiedervereinigung setzt militärische Verständigung voraus, und das ist natürlich die Schwierigkeit, daß die Russen ein außerordentliches Interesse daran haben, die jetzigen militärischen Verhältnisse aufrechtzuerhalten, schon um den Vorwand zu haben, die militärischen Kräfte in Osteuropa und auf dem Balkan zu lassen.
Warum ist die Berliner Konferenz vor einem Jahr gescheitert? Nicht wegen des EVG-Vertrags, den Molotow lange vor uns als ein Stück Papier erkannt hat, der gewußt hat, daß dieser Versuch illusionär ist, nein, doch nur deswegen, weil man sich nicht über die militärische Situation verständigen konnte, weil — es ist hier sehr richtig gesagt worden — die Amerikaner nicht einverstanden sein konnten, daß die Russen zum Rhein, und weil die Russen nicht einverstanden sein konnten, daß die Amerikaner zur Oder vorrücken. Das ist das Entscheidende. Deswegen hat man sich nicht geeinigt, und nur wenn in dieser Frage eine Verständigung möglich ist, wird die Wiedervereingung real sein. Das müssen wir wissen.
— Ich? Keine Sekunde!
— Ach, aus ihrer Verpflichtung im Kabinett? —Hier ist, glaube ich, nicht der Ort, diese Dinge zu klären.
Es gibt kein Recht eines Teiles eines Volkes, über die Grenzen eines Volkes, eines Staates zu entscheiden. Das gibt es völkerrechtlich nicht; das gibt es staatsrechtlich nicht. Und wenn es nach 1918 in den trüben Verträgen von Versailles und den anderen anders praktiziert worden ist, so ist dieser Mißbrauch kein Recht geworden! Über seine Grenzen kann nur das gesamte Volk entscheiden.
Das möchte ich mit aller Klarheit sagen.
Ich habe, als ich mit den anderen Parteivertretern nach Paris gerufen wurde, am ersten und am letzten Tag diesen Standpunkt vertreten, und man streue nicht in diesem Hause die Behauptung aus, ich sei mit dem, was in Paris geschehen ist, einverstanden gewesen.
Das ist doch eine ganz unmögliche Unterstellung!
— Herr Mommer, ich muß mich auf Sie verlassen;
Sie sind mein einziger Zeuge. So sinkt man!
Sich vorzustellen, daß ein Volksreferendum an der Saar — ich will von dem ersten gar nicht sprechen, das eine reine Farce ist, das niemals eine echte Willensentscheidung sein kann, wenn man weiß, was los ist —,
zu glauben, daß das zweite Volksreferendum eine echte Entscheidung bringen könnte
— wenn man etwas Phantasie hat,
wie sich die Dinge darstellen werden —, das ist eine beinahe übermenschliche Zumutung an die Saarländer, daß man meint, sie könnten die so wunderschöne Situation des kleinen Landes aufgeben wollen! Ach, Macht ist schön. Parteienmacht in Saarbrücken haben, das ist genau so schön, wie es ist, sie in Luxemburg zu haben,
— und in Bonn politische Macht zu haben. Wer gibt die gerne auf?
Und diese herrliche Stellung zwischen zwei Völkern, ich habe gesagt, diese Möglichkeit, aus zwei Blüten Honig zu saugen, da kann wirtschaftlich geschehen, was will. Das wäre ja übermenschlich, zu erwarten, daß die Saarländer mit einer plötzlichen Aufwallung nationalen Gefühls alle Nachteile — erhöhter Steuerdruck, Lastenausgleich und all das — —
— Gott, ich sehe einmal nüchtern, ich sehe, was in den letzten Jahren geschehen ist, und versuche, mich einmal in die Lage dieser Menschen zu versetzen. Zumindest, welche Hemmungen werden sich
da zeigen, um am Ende nicht das Schicksal eines großen Volkes tragen zu müssen, wie es auf uns liegt. Sie wissen, wie all die kleinen Zwischenstaaten sich wohl dabei fühlen.
Ist es wirklich ein Vorteil dieses Statuts, daß es Herrn Johannes Hoffmann gefällt, daß er im Hintergrund bei der Ausarbeitung maßgebend beteiligt war, ja, daß er die Krönung seines Werkes in diesem Statut sieht? Muß man daraus nicht den gegenteiligen Schluß ziehen? Ich habe vorhin schon von der geschichtlich bedeutsamen Ministerkonferenz in München im Jahre 1947 gesprochen. Damals ist Herr Johannes Hoffmann oder sein Büro oder das Gremium, dem er angehörte, als einziges nicht nach München gekommen, man hat sich nicht vertreten lassen und hat erklärt, man sei an Deutschland nicht interessiert.
Glauben Sie, daß das anders geworden ist?
Ich habe es mit Beklemmung gesehen, daß man
sich mit diesem Mann an einen Tisch gesetzt hat.
Das habe ich schon vorher erklärt; der Herr Bundeskanzler weiß es noch ganz genau. Ich habe vor
den Pariser Verhandlungen am 15. Oktober in
einem Brief unseren Standpunkt, den wir von eh
und je eingenommen haben, noch einmal dargelegt,
daß es keine Legalisierung dieses Zustandes durch
eine deutsche Unterschrift geben darf und daß die
in der Zwischenzeit getroffenen oder vorgesehenen
Vereinbarungen durch die Entwicklung gegenstandslos, überholt sind und daß ich es mit der
Würde des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland für nicht vereinbar halte, sich mit dem Herrn
Johannes Hoffmann an einen Tisch zu setzen.
Er hat es nicht getan; ich verlange das gleiche von einem Minister der Bundesrepublik.
Der Konflikt in dieser Frage hat sich zugespitzt in der Aussprache vor zwei Tagen. Ich möchte sagen, selten ist einem Manne und selten ist einer Sache so Unrecht getan worden wie meinem Freund Becker
mit der Sache der deutschen Saar und mit der Sache der Wiedervereinigung am Freitagnachmittag in diesem Raum.
Mein Freund Becker hat mir nach der Sitzung ein Telegramm seines Sohnes gezeigt, der in Heidelberg die Übertragung mit angehört hat, und er hatte Tränen in den Augen. Wenn man sich vorstellt, wie dieser Bub am Rundfunk miterlebt hat, was man seinem Vater hier angetan hat,
wie er von dem Chef der Regierung, zu der wir
uns bekennen und zu der sich Herr Becker bekennt, von diesem Pult aus behandelt worden ist!
Der Sohn hatte telegraphiert: „Nun erst recht!" Bravo, Dein Sohn! Nun erst recht, das ist unser Standpunkt.
1 Der Herr Bundeskanzler hat hier erklärt, wer an solche Probleme auf Grund seiner dreißigjährigen notariellen Erfahrung herangehe — Herr Becker hat gesagt: Nicht einmal einen privatrechtlichen Vertrag würde ich so schließen, geschweige denn einen völkerrechtlichen Vertrag, der über das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen entscheiden soll —, der bleibe besser davon. Ich kann dazu nicht schweigen, ich würde mich meiner Freundschaftspflicht entziehen, wenn ich das hinnähme. Da geht es um mehr als um eine Person, da geht es am Ende auch um die Art der Politik.
So kann doch keine Demokratie wachsen. Eine gute Sache vertritt sich gut, und nur wenn eine Sache schlecht ist, vertritt sie sich schlecht.
Ich muß ein Wort über meinen Freund Becker sagen: ein Mann, der schon als Student in Frankreich weilte, also vor mehr als vierzig Jahren — ich will nicht nachrechnen, wann der Herr Bundeskanzler zum erstenmal seinen Fuß auf französischen Boden gesetzt hat —, mein Freund Becker, der seit dieser Zeit eine heiße Liebe für Frankreich hat, der die französische Geschichte, der das französische Recht, der die französische Verfassungsgeschichte besser kennt als irgend jemand in diesem Hause,
ein Mann, der sich politische Verdienste erworben hat. Gott, Sie kennen seine Laufbahn und wissen, 1 daß er sich Zeit seines Lebens den politischen Dingen gewidmet hat: Verfassunggebende Versammlung in Hessen, Landtag in Hessen, Parlamentarischer Rat hier. Der Bundeskanzler muß wissen, was hinter diesem körperlich kleinen und geistig und seelisch so großen Manne steckt. Europarat! Seine Leidenschaft hat dazu geführt, daß unter dem Vorsitz unseres Kollegen von Brentano der Ad-hoc-Ausschuß zur Bildung einer europäischen politischen Verfassung eingesetzt wurde. Er hat sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft hingegeben, und der Herr Bundeskanzler fragt: „Herr Becker, was für eine Vorstellung von Europa haben Sie denn überhaupt?" Wie kann man einem Manne so Unrecht tun?
Ich stehe, das erkläre ich, zu den Feststellungen, die mein Freund Becker getroffen hat.
Ich stehe zu der Feststellung, die er gemacht hat; als ein Mann des Rechts — ich bin auch ein Mann, der versucht hat, sein Leben in den Dienst des Rechts zu stellen —, als ein Mann, der der Klarheit, der Sicherheit dienen muß, kann er einen solchen Vertrag nicht akzeptieren.
Da sagt man: Wagnis, ja, man muß auf die Dynamik warten, bei einem völkerrechtlichen Vertrag gibt es andere Gesetze. Meine Damen und Herren: „Da gibt es andere Gesetze?" Nun: wenn Dinge nicht geklärt werden können, hier offene Probleme, hier die Möglichkeit, sich zu einigen,
dann soll man einen Vertrag schließen voller — nun, der Herr Professor Carlo Schmid hat es eindringlich dargelegt: einen Vertrag, der in jeder Bestimmung vieldeutig ist, weil die Bestimmungen aus ganz verschiedenen Tendenzen heraus formuliert worden sind, weil zwei Vertragspartner etwas völlig anderes mit diesem Vertrag gewollt haben, wir die Rückkehr der Saar, die Möglichkeit der Rückkehr der Saar zu Deutschland, und die anderen die Möglichkeit, vor der französischen Nationalversammlung zu sagen: Wir haben etwas erreicht, ihr könnt in den sauren Apfel von der Westeuropäischen Union jetzt leichter beißen, ihr könnt euch — so ist ja leider die bittere Tatsache
— mit deutschen Soldaten abfinden, etwas bringen wir euch: die Möglichkeit, die Saar zu bekommen! So sind doch die Dinge!
Ist das ein Wagnis? Das ist eine Flucht in die Unsicherheiten, in Zweideutigkeiten, in Unklarheiten.
— Das sind die Realitäten, über die ich spreche. Ich weiche nicht aus, nein. Da steht viel zuviel auf dem Spiele, als daß ich auch nur einen Millimeter ausweichen würde; darauf können Sie sich verlassen.
— Herr Schütz, wenn Sie nicht aus den Unterhaltungen der letzten Tage erkannt haben, worum es geht und worum wir ringen, dann sind Sie stumpf, dann wissen Sie nichts von dieser Sorge.
Der Herr Bundeskanzler selber hat es doch am 15. Januar hier in diesem Raum erklärt; er hat uns Gespräche mit dem französischen Ministerpräsidenten, nach Möglichkeit unter Beiziehung von Staatsmännern der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, in Aussicht gestellt, um die Widersprüche zu klären. Ich weiß nicht, was geschehen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Ich bedauere", so haben Sie meinem Freunde Becker erklärt, „diese außerordentlich unglückliche Rede des Abgeordneten Becker, diese Rede, die wenig vorbereitet ist, zu der er sich hat hinreißen lassen; sie hat Deutschland außerordentlich geschadet."
Es schadet also, wenn ein Abgeordneter aus ehrlichem Bewußtsein im Bundeshaus sagt, was er für richtig hält?!
So mache ich in diesem Staate Politik weiterhin nicht mit, meine Damen und Herren!
Ich sage vor der Öffentlichkeit und vor dem deutschen Volke meinem Freunde Becker: „Herr Bekker, Sie haben durch diese Rede dem Rechte, der
Gerechtigkeit und der deutschen Sache gedient und sich um Deutschland verdient gemacht."
Um das, was Herr Becker für das deutsche Volk getan hat und will, darum geht es, und das lasse ich nicht in dieser Form verunglimpfen.
Das können Sie mir nicht vorwerfen, daß ich einem Konflikt ausweiche.
Ich muß keine Politik machen. Solange ich es getan habe, habe ich mich gegen alles gewandt, was nach meiner Überzeugung dem deutschen Volke und der deutschen Demokratie Gefahr gebracht hat.
Der Herr Bundeskanzler hat dann zu Herrn Becker ungefähr gesagt: „Mit solchen nationalistischen Reden, wie Sie sie geführt haben, verhindern Sie eine schiedliche Regelung." Herr Bundeskanzler, das ist eine ernste Frage, eine Frage, die auch über diesen Anlaß weit hinausführt. Sie sagen, das, was mein Freund Becker vertreten hat, sei nationalistisch, und entwerten es damit und geben ihm damit einen Hautgout, etwas Verächtliches. Mein Freund Mende hat schon gestern zu Recht
das Wort von Röpke zitiert, der da sagt, der Vorwurf „Nationalismus" sei immer der Knüppel, mit dem die anderen draußen auf uns Deutsche einschlügen. Meine Damen und Herren, M. Chauvin war kein Deutscher, und der Vorwurf des deutschen Nationalismus ist mit viel Vorsicht zu werten.
Ich glaube, wer ein gesundes Empfinden hat, nimmt für Deutschland nicht mehr Rechte in Anspruch, als die Menschen jeden anderen Landes für sich fordern. Es gibt kein Volk in der Welt, das nicht den Anspruch erhebt, daß die Menschen einer Abstammung, einer Sprache, einer Kultur, einer Geschichte in ihrem Staate vereint sind. Ich glaube, Sie brauchen die Weltkarte nur zu überblicken; dann wissen Sie, daß dieses Gesetz anerkannt ist, nicht ein überwundenes Gesetz des 19. Jahrhunderts ist, sondern jetzt und hier genau so gilt wie von eh und je für die Spanier, für die Portugiesen, für die Italiener, für die Franzosen und für die Engländer. Für uns soll es nicht gelten, und wenn man den Anspruch erhebt, dann soll man ein Nationalist sein, und das ist ein Vorwurf, der einem im Deutschen Bundestag gemacht wird.
Wenn man sich dagegen wendet, daß dieser Prozeß des Abbröckeln Deutschlands bei der Gefahr, die uns droht im Westen und im Osten, sich fortsetzt, daß weiteres deutsches Gebiet und deutsche Menschen verlorengehen, dann soll das Nationalismus sein?
Aber dieser Vorwurf wird ja nicht vereinzelt erhoben. Sie brauchen nur einmal die Weltzeitungen aufzuschlagen. Da ist jetzt so der Eindruck entstanden: Dieses ganze deutsche Volk besteht aus wilden Nationalisten, besteht aus Menschen, die bereit sind, sich zum —
Ach, lesen Sie die „Weltwoche", lesen Sie die „Neue Zürcher", lesen Sie die „Basler Nationalzeitung", lesen Sie „Le Monde"! Dann wird Ihnen das bewußt, und in diesem Zusammenhang erhält das Wort des Herrn Bundeskanzlers erst seine volle Bedeutung, meine Damen und Herren.
Es ist schon so weit gekommen — und der Herr Bundeskanzler hat sich gelegentlich auch mit Stolz darauf berufen —, daß man in der Welt, besonders in Amerika, von Frankreich spricht, ohne des jeweiligen Ministerpräsidenten zu gedenken, und daß man von dem Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer spricht und nicht von der Bundesrepublik und von Deutschland! Und die Stimmung ist hochgekommen: Diesem deutschen Volke ist nicht zu trauen; der einzige Paladin der Demokratie in diesem Volke ist Dr. Konrad Adenauer;
was nach ihm kommt, ist ein Haufen unbeherrschter Nationalisten.
Dazu haben manche Kamingespräche beigetragen, wo man gesagt hat: Wenn nicht EVG, wenn nicht diese Sicherung gegen den deutschen Militarismus kommt, wenn es eine deutsche nationale Armee gibt, dann „arme Welt", dann wiederholt sich das Unglück früherer Zeiten!
In diesem Zusammenhang empfinde ich das, was meinem Freund Becker gesagt worden ist, besonders schmerzlich, für Becker und für mich. Wir sind Männer — und in meiner Partei gibt es viele, und in allen Parteien gibt es viele —, die, glaube ich, in allen Zeiten ihren Mann gestanden haben, die in der Weimarer Zeit versucht haben, eine gesunde Demokratie aufzubauen, die sich mit der Kraft, die ihnen gegeben war, gegen das Unheil des Nationalsozialismus gewandt haben und die nach 1945 ehrlich versucht haben, in dem gegebenen Raum einen deutschen Staat zu schaffen. Die sollen sich jetzt als Nationalisten im Sinne der Welt, als unzuverlässige Menschen hinstellen lassen?'
So geht es nicht!
- Nun, daß es Ihnen nicht gefällt und Sie meinen, daß man darüber zur Tagesordnung übergehen kann, daß man darüber schweigen kann, daß eine solche Rede die Grundlage für die gemeinsame Arbeit sein kann, daß der Herr Bundeskanzler — — Ich habe gelauert heute früh,
ich habe gedacht: Jetzt kommt das erlösende Wort! Ach, wenn er ein, zwei Sätze gesagt hätte, wenn er gesagt hätte: Herr Kollege Becker, bitte, — — Das Wort steht ihm doch zu Gebote! Daß er nichts gesagt hat, daß er diese Verdammung hier im Raume stehen ließ, wie hat mich das menschlich
j enttäuscht! Wie belastet das die politische Atmosphäre für die Arbeit, der wir uns alle verpflichtet haben!
Ich will Ihnen nicht sagen, was in der Presse steht, und welche Gefahr in diesem Versuch, andere als Nationalisten zu entwerten, steckt, statt das deutsche Volk an sich zu ziehen und dem deutschen Volk zu sagen: Das deutsche Volk ist anders geworden, der Nationalsozialismus ist überwunden; das sind Menschen, die das Beste wollen! Hier die Saarfrage zum Anlaß zu nehmen, um in dieser Form einen bewährten Mann zu entwerten — —
— Ach, Herr Stücklen, was hierher gehört, weiß
ich besser als Sie, das sage ich Ihnen wahrlich!
Da nehme ich mein Lebenswerk für mich in Anspruch, um das hier zu sagen!
Aber gehen wir weiter zur Sache. Der Bundeskanzler hat dem Herrn Becker vorgeworfen: „Ja, wenn Sie nur einen Plan gehabt hätten! Aber Sie können doch gar nicht sagen, was geschehen soll. Das ist ja ganz verantwortungslos!" Nun, Sie kennen den Plan, den wir gehabt haben. Der Herr Bundeskanzler hat ihn mit leichter Hand und leicht ironisch entwertet; wir hätten den Franzosen ungefähr gesagt: „Ihr habt ja nichts im Portemonnaie! Nun bitte, wir wollen das Portemonnaie füllen; dafür gebt ihr die Saar frei!" Er habe dann mit M. François-Poncet, der die Vorverhandlungen für die Pariser Konferenz geführt habe, gesprochen, und der habe das abgelehnt.
Ich weiß nicht, was meine beiden Kollegen im Kabinett, Herr Blücher und Herr Preusker, die an der Ausarbeitung wesentlich beteiligt waren, dem Herrn Bundeskanzler dazu gesagt haben. Ich will es mir auch versagen, das Exposé, das vorliegt, vorzulesen. Hier geht es aber um die historische Wahrheit, und da wollen wir unerbittlich sagen, wie die Dinge liegen. Es geht ja um Hunderttausende von Menschen. Da gibt es keine Sentimentalität, sondern die verdammte Pflicht und Schuldigkeit zur Wahrheit.
Der Sachverhalt war folgendermaßen. Am Montag, dem 18. Oktober, waren meine vier Kollegen im Kabinett, Euler und ich beim Herrn Bundeskanzler. Meine Damen und Herren, wir waren gequält von der Saarfrage und hatten uns vorher im Fraktionsvorstand und in der Fraktion bemüht, eine Lösung zu finden. Wir haben den Herrn Bundeskanzler gefragt: „Herr Bundeskanzler, was soll denn nun mit der Saar geschehen? Wir können doch nicht dem, was vorher geplant war — vanNaters-Plan, Teitgen-Plan in der Abwandlung — zustimmen?"
Da hat uns der Herr Bundeskanzler, wohl, wie ich gehört habe, in Übereinstimmung mit dem, was vorher irgendwo in den Ausschüssen gesagt war — hoffentlich verletze ich damit keine Pflicht zur
Diskretion; das Leben ist so schwer! —, gesagt: „Ich mache mir keine Vorstellungen; ich lasse die Sache auf mich zukommen."
Das war an dem Montag der Woche, an deren Ende der Abschluß der Pariser Verträge liegen sollte mit der anschließenden Fahrt des Herrn Bundeskanzlers nach Amerika! Meine Damen und Herren, wir waren zutiefst betroffen, weil wir schon das Gefühl hatten: Hier ist doch Gefahr, hier werden die Dinge doch nicht richtig behandelt, hier muß doch etwas schiefgehen!
Wir haben gesagt: Herr Bundeskanzler, wir haben uns Gedanken gemacht — ich glaube, ich habe es Ihnen schon mal dargelegt —: Warum hat Frankreich 1945, 1947 die Saar überlassen bekommen? Doch zur Reparation, zur Ausbeutung, weil Deutschland damals am Boden lag und zu Leistungen nicht in der Lage war! Darum geht es doch: Frankreich wollte als Siegerstaat für seine Verluste Entschädigung haben.
Wir haben gesagt: Frankreich hat Anspruch auf Entschädigung. Überlegen wir uns, wie wir diese Reparationshypothek, die auf der Saar liegt, ablösen können! — Das waren unsere Erwägungen. — Was können wir Frankreich bieten?
Wir haben ein langes Exposé gemacht. Wir haben nicht vom leeren Portemonnaie gesprochen, wahrlich nicht! Wie kann man die Dinge wieder so zu entwerten versuchen! Wir haben gesagt: Frankreich hat bestimmte wirtschaftliche Sorgen, z. B. Stabilisierung der Währung und das Ziel, die Konvertierbarkeit des französischen Franc zu erreichen. Wir haben auf jeden Fall durch unsere Überschüsse in der Europäischen Zahlungsunion jetzt und auch für die Zukunft die Möglichkeit, zu helfen, sie als Kredite zur Verfügung zu stellen. Wir können in der Form der Handelsverträge — Abnahme von Weizen, Abnahme von Wein — entgegenkommen. Wir haben noch die Frage der Moselkanalisierung aufgeworfen.
Also, das liegt doch alles vor! Das sind doch nicht leichtfertige Vorschläge gewesen! Gut, es war nichts Abgerundetes, aber es war doch ein Vorschlag, über den man verhandeln konnte!
Es war so, daß der Herr Bundeskanzler am Dienstag, dem 9. Oktober, glaube ich, früh um 5 Uhr wegfuhr und daß Blücher noch zum Zuge ging, um ihm das in der Nacht ausgearbeitete Exposé zu überreichen. Der Herr Bundeskanzler sagt, er habe bei den Vorverhandlungen mit François-Poncet darüber gesprochen.
Als ich mit meinen Kollegen aus den Fraktionen nach Paris kam, war meine erste Frage: „Herr Bundeskanzler, was meinen Sie denn? Ist das ein Weg?" Seine Antwort: „Wir haben es uns noch einmal überlegt. Wir, das geschlagene Deutschland, können doch Frankreich, das immer noch ein reiches Land ist, nicht wirtschaftliche Hilfe anbieten!"
Also ernstlich hat man die Frage nicht erwogen. Wenn Herr François-Poncet der Meinung ist, dieses Projekt habe überhaupt keine Aussicht, - meine Erkundungen sind anders! Als ich in Paris war, habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Ich habe mit einem radikalsozialistischen Abgeordneten, der zum Flügel René Mayer gehört, gesprochen; der hat mir gesagt: „Doch, das ist die Lösung!"
— Ich kann ja nur referieren. Ich weiß nicht, warum Sie lachen. Er hat es mir gesagt. Vielleicht versteht er nichts; ich weiß es nicht. Er hat es mir
gesagt. Er macht einen ausgezeichneten Eindruck. Ein Mann, der Beziehungen hat. Er hat mir gesagt: „Wenn man das Saarabkommen in eine Reihe von wirtschaftlichen Vereinbarungen zwischen Deutschland und Frankreich einkleiden kann, wird das Problem für die Nationalversammlung tolerierbar." Das war seine Meinung. Und es ging doch nur um die Meinung der französischen Nationalversammlung. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß das französische Volk die Saar will! Kein Wort davon ist wahr.
Das französische Volk will nicht die Saar! Ach, und wie viele haben mir gesagt, — —
— Als ob es in der französischen Demokratie auf das französische Volk ankäme! Wie viele haben mir gesagt, entscheidende Politiker haben auch erklärt: „Gott, wir wissen doch, die Saar ist verloren."
Ja, schöne Deklamationen; und die Wirklichkeit sieht anders aus, und das Gegenteil geschieht, Herr Rinke! Das ist doch das Bittere. Ich sage: es ist von einer Möglichkeit in Wirklichkeit kein Gebrauch gemacht worden. Die Wendung vom „leeren Portemonnaie" ist wirklich nicht die richtige Darstellung dessen, was uns bewegt hat.
— Das habe ich nicht verstanden.
— Ich sage Ihnen ja das Gegenteil! Ich weiß nicht, mit wem S i e gesprochen haben; ich habe keine Beziehungen zu den MRP-Leuten. Die Leute, deren Mitglied immerhin damals der französische Ministerpräsident war, haben gesagt: „Jawohl, richtig gemacht, ist das eine Chance." Ich kann Ihnen nur berichten; ich maße mir kein endgültiges Judizium an.
Aber wie werden die Dinge jetzt langsam entstellt! Da wird behauptet, der Verzicht auf die Saar sei eben der Preis für die Pariser Verträge; es sei eben nichts umsonst zu haben. Meine Damen und Herren, auf solche Argumentationen kommt man — ich habe es Ihnen schon gesagt —: Angeblich schließt man die Westeuropäische Union und diese ganzen großen Pakte, um Sicherheit für Europa, für unser Land zu schaffen; und dann müssen wir den Preis der Saar dafür bezahlen, obwohl doch die Sicherheit Frankreichs nicht minder bedroht ist als die unsere.
Natürlich haben wir den Krieg verloren, natürlich sind wir bereit, die Konsequenzen zu ziehen.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte mal den verantwortlichen Staatsmann sehen, ich möchte einmal d e n führenden Mann aus den Vereinigten Staaten oder von Großbritannien sprechen, dem nicht die Röte ins Gesicht stiege, wenn man sagen würde, man solle Reparationen leisten, man solle die Folgen eines verlorenen Krieges ziehen nach der Methode des 17. oder 18. Jahrhunderts, man
solle auf diese Weise die Grundlage für ein besseres Europa, für eine echte Gemeinschaft der europäischen Völker schaffen!
Nun sagt natürlich der Herr Stücklen, der große politische Stratege:
„Realpolitik!" Natürlich, eine ernste Frage!
Am Ende ist es schwer, das gebe ich zu, in einem Parlament Außenpolitik zu machen. Am Ende ist ja Außenpolitik ein großes Spiel, das man gar nicht publice führen kann — vielleicht lernen wir's, ich weiß es nicht —, mit einem Einsatz von Kräften zu Wirkungen, zur Paralysierung von Gegenwirkungen, — schwer, gar nicht leicht!
Aber, meine Damen und Herren, sind alle Möglichkeiten erschöpft worden, in diesem Falle Politik zu machen? Wir haben vorher keine Außenpolitik gemacht. Meine Damen und Herren, wir wollen das nicht überschätzen. Ich habe schon anerkannt: die Persönlichkeit des Bundeskanzlers hat, um das schöne Wort zu gebrauchen, für die Integration dieses Staates viel bedeutet, und sein geschichtliches Verdienst ist insbesondere, daß er Situationen nüchtern und richtig gesehen und genützt hat. Aber das, was wir als Außenpolitik bezeichnen, ist doch nun die Folge der Entwicklung der Jahre seit 1948.
— Das muß man einmal klar feststellen. Ich habe es doch miterlebt, Herr Lenz; ich kann darüber reden. Das ist nicht billig; das ist eine geschichtliche Feststellung! Natürlich, die Frage der deutschen Aufrüstung ist doch nicht aus uns entstanden
— wollen Sie das behaupten, Herr Lenz? —, sondern war die Folge des Konflikts von Korea, der Einsicht der angelsächsischen Staaten, daß ohne dieses Deutschland, mindestens nach der damaligen strategisch-technischen Lage, die Verteidigung Europas nicht möglich ist. Deswegen das Angebot, deutsche Truppen zu stellen, das Angebot, das der Herr Bundeskanzler nach meiner Meinung richtig angenommen hat.
Sie wissen, daß ein Mitglied des Kabinetts, Herr Dr. Heinemann, anderer Meinung war und ausgeschieden ist.
— Ja, aber ich will einmal sagen: als Gesinnungsethiker, Herr Mommer, nicht als verantwortlicher Politiker, als ein Mann, der die Verpflichtung fühlt, in der gegebenen Lage für sein Volk das Richtige zu tun. Ich glaube, daß die Entscheidung des Kabinetts richtig war.
Nun, Sie kennen ja die Entwicklung: Pleven-Plan, weil die Franzosen noch aus Angst vor den deutschen Soldaten eine Form suchten, um diese deutschen Soldaten zu bändigen, und unser Eingehen darauf; die zu großen Erfolge unserer Verhandlungstechnik mit dem Ergebnis, daß am Ende nun Frankreich wieder nicht geneigt war, seinen eigenen Gedanken durchzuführen. Das ist dann beinahe zwangsläufig weitergegangen. Gut, Sie wissen das alle selber.
Bei der Saar mußte man zum ersten Male politisch handeln, aus sich heraus einen eigenen politischen Willen entwickeln,
wirken, Gegenwirkungen abfangen, den Blick der Welt auf diese Wunde lenken. Darum ging es. Ist da alles getan worden? Also ich war tief bekümmert, meine Damen und Herren, über das, was in Paris geschehen ist, daß - ich wiederhole — uns der Herr Bundeskanzler am Montag sagte: Noch keine Vorstellung, was geschieht!, daß wir in dieser Form in die Ecke manövriert worden sind, daß am Samstag nachmittag um 1 Uhr unterschrieben werden mußte und, wenn nicht unterschrieben würde, das ganze Vertragswerk scheiterte. War das überlegene Diplomatie? War das die richtige Art, eine solche Lebensfrage unseres Volkes zu behandeln? Bestand nicht die Möglichkeit, die Dinge vorher und besser zu behandeln?
— Herr Bausch, teilen Sie meine Sorge nicht? Sind Sie nicht meiner Meinung, daß hier die Dinge nicht in Ordnung sind? Und dann soll hier eine Abstimmung durchgepaukt, durchgezwungen werden?
Sie wissen vielleicht nicht, was in den letzten Tagen geschehen ist.
— Der Herr Stücklen sagt es! Da wurden die Gerüchte in die Welt gesetzt. Da wurde behauptet: „Ach, der Dehler, der war doch in Paris einverstanden, und jetzt spielt er sich auf." Kein Wort wahr! Mir ins Gesicht hat niemand es zu sagen gewagt; aber hier in den Lobbies, da wurde das geflüstert!
Das muß ich also noch einmal berichten. Sie haben doch einen Anspruch, von Ihren sämtlichen Fraktionsvertretern, die in Paris waren, restlos die Wahrheit zu hören!
Als die Verhandlungen in Paris begannen—wenn ich mich nicht irre, waren wir am Mittwoch gerufen worden —, hat der Kanzler die Situation dargestellt. Die Aussprache wurde von meinem Kollegen Herrn von Merkatz begonnen. Herr Kollege von Merkatz hat erklärt: „Ich kann natürlich nur für meine Person sprechen; ich muß mir die Zustimmung meiner Fraktion vorbehalten." Ich habe erklärt: „Ich bin in einer besseren Lage als Herr von Merkatz. Die Haltung meiner Fraktion liegt eindeutig fest. Ich habe die Möglichkeit, für meine Fraktion zu sprechen." Ich habe auch erwähnt: „Herr Bundeskanzler, Sie kennen ja auch die Bedingungen, wie sie festgelegt worden sind, auch bei der Kabinettsbildung. Wir sind strikt gegen jede Europäisierung, wir sind strikt gegen jedes Volksreferendum. Wir sind bereit, wirtschaftlich alles zu tun, was irgendwie möglich ist." — Und mein Landsmann Strauß war eigentlich mein bester Assistent, war kräftig und urwüchsig. Ich bin von diesem Standpunkt keine Sekunde abgegangen, so daß es unmöglich ist, zu behaupten, ich hätte jemals zugestimmt. Wie ist das nach diesem Ausgangspunkt der Verhandlungen möglich?! Ich sagte schon vorhin: Am letzten Tag — ich glaube, es war am Samstag, dem 23. Oktober, 10 Uhr, als wir, Herr Mommer, Herr Carlo Schmid, zusammengerufen wurden —, als uns nicht etwa der Vertrag vorgelegt wurde, sondern nur der Stand der Sache geschildert wurde,
da habe ich wieder — ich kam mir beinahe ein klein bißchen stur, ich möchte sagen, mein Freund Becker, ich kam mir wie so ein kleiner Notar vom Lande vor — gesagt: Ja kein Volksreferendum; das ist keine Lösung, das ist völkerrechtlich und staatsrechtlich unmöglich.
— Ich muß Ihnen schon, nachdem die Dinge hier so spielen, wirklich eine erschöpfende - Darstellung geben. Wir sind mehrmals zusammengekommen. Es kamen am Donnerstag, glaube ich, die Kollegen von der Fraktion der Sozialdemokratie, Herr Ollenhauer, Herr Wehner, Carlo Schmid und Mommer, zu uns. Es wurde verhandelt. Weil hier der Anschein erweckt wird, es sei mit einer Zustimmung dieser Vertreter gehandelt worden, muß ich zu meiner persönlichen Salvierung die Dinge sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, was ich sagen will, ist mir wichtig, ich will es zusammenhängend darlegen.
Am Donnerstag habe ich den Herrn Bundeskanzler gefragt: „Ja, bitte, Herr Bundeskanzler, wird denn nicht auf Grund eines Entwurfs verhandelt? Zeigen Sie uns doch einmal den Entwurf, damit wir klar sehen, was beabsichtigt ist!" Der Herr Bundeskanzler hat nicht geantwortet, aber der Herr Staatssekretär Professor Dr. Hallstein hat erklärt: „Nein, es gibt keinen Entwurf."
Das war am Donnerstag, zwei Tage vor dem Abschluß dieses Vertrages.
Ich habe dann Anlaß zu der Annahme, daß selbstverständlich besonders zwischen Herrn Botschafter Blankenhorn und dem Herrn Soutou auf Grund eines Entwurfs verhandelt wurde. Es war ja zwangsläufig, und aus dem Vergleich ergibt sich, daß es das Straßburger Abkommen vom Mai 1954 war, das der Herr Bundeskanzler mit dem damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten im Kabinett Laniel, dem jetzigen Minister Teitgen, festgelegt hat.
Nun sagt man, der Herr Bundeskanzler habe — ich glaube, es muß wieder am Freitag gewesen sein — eine Stipulation von Punkten vorgelegt und — wir alle haben es ja gestern gehört — auch der Herr Mommer und die anderen, auch ich, hätten beigestimmt und hätten erklärt: das sei eine faire Grundlage gewesen. Diese Stipulation ist uns nicht übergeben worden, sie ist uns vorgelesen worden. Es war — ich will einmal, nach dem Inhalt, den
wir dieser Stipulation gaben, sagen — eine Verhandlungsgrundlage. Ich hatte während der Vereinbarungen besonders einen Gesichtspunkt herausgearbeitet. Ich hatte gesagt: Wenn wir eine Verständigung erzielen, daß bestimmt wird: Die schändliche Präambel der saarländischen Verfassung vom Dezember 1947 fällt, in der die Abtrennung der Saar von Deutschland, die wirtschaftliche Verbindung der Saar mit Frankreich, festgelegt wird — Zollgemeinschaft, Währungsgemeinschaft —, dann ist immerhin ein Weg eröffnet für die Rückkehr, für die Rückgliederung der Saar nach Deutschland; dann können wir darüber sprechen. So waren die Dinge. Die Vorbehalte, die vorher geäußert worden sind, sind von mir niemals aufgegeben worden.
Ich habe Ihnen die Dinge dargestellt. Es wäre noch viel zu sagen, aber ich habe j a nicht zum erstenmal über dieses Problem vor Ihnen gesprochen.
Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten!
Herr Sabel, für die Saarländer dauert es wahrscheinlich, nun, wie soll ich sagen, — —
— Ich weiß, was meine Verantwortung ist. Durch diesen aufeinander abgestimmten Willen lasse ich mich wahrlich nicht beirren, das möchte ich schon sagen!
Das ist, ich wiederhole es, eine der bedeutsamsten politischen Entscheidungen, vor die der Bundestag bisher gestellt worden ist. Es ist eine politisch-geschichtliche Entscheidung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wehe, wenn der Deutsche Bundestag versagt!
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein gerade sehr glücklicher Moment,
in dem ich hier das Wort bekommen habe. Ich hoffe aber, Ihre Aufmerksamkeit gewinnen zu können.
Meine Damen und Herren, ich darf im Interesse des Ablaufs der Verhandlungen und des Redners um etwas Ruhe bitten. Die Damen und Herren, die den Saal verlassen wollen, bitte ich, das in Ruhe zu tun.
Ich habe mich im übrigen einer Aufgabe zu unterziehen, die Ihre Aufmerksamkeit nicht so fesseln wird wie jene Vorgänge, die wir soeben erlebt haben.
Meine Damen und Herren, es ist immer leichter, an Verträgen, an Vorgängen Kritik zu üben, als sie zu verteidigen. Und zwar ist das um so leichter, je mehr Elemente einer künftigen, von niemandem zu übersehenden Entwicklung mit hineingezogen werden und, auf der anderen Seite, je gewissenhafter die Verfechter der Verträge die Gegengründe würdigen. Ein sehr wesentlicher Teil der Differenzen, die wir in den letzten Tagen durchdiskutiert haben, ergibt sich aus der unterschiedlichen Beurteilung einer zukünftigen Entwicklung. Ich bin mir bewußt, daß daneben noch immer ein wesentlicher Rest bleibt. Aber über diesen Rest hätten wir sehr viel sachlicher und fruchtbarer reden können, wenn nicht einige von uns versucht hätten, mit, ich möchte fast sagen, apodiktischer Unduldsamkeit zu behaupten, sie seien die einzig richtigen Propheten.
Aber bleiben wir vorerst beim Ausgangspunkt. Gegenüber der oft unüberbrückbar erscheinenden Meinungsäußerung von hüben und drüben sind doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten dagewesen. Sie sind nur leider allzusehr zurückgetreten. Deshalb sollte man sie gerade gegen Ende unserer Debatte einmal hervorheben.
Von keiner Seite sind Vorschläge hörbar geworden, die man etwa unter den Begriff einer östlichen Konzeption hätte bringen können. Wenn Herr Kollege Ollenhauer sich heute mittag sehr energisch gegen jede Unterstellung in dieser Richtung für seine Partei wehrte, so hatte er damit unbedingt recht, und das soll ihm auch von anderer Seite als nur von seinen Parteifreunden bestätigt werden.
Die Zugehörigkeit Deutschlands zur freien Welt ist nirgends und von niemandem von uns in Zweifel gezogen worden.
Als dritter wichtiger Punkt der Gemeinsamkeiten erscheint mir erkennbar, daß eine Bündnisfreiheit der Bundesrepublik von keiner Partei erstrebt wird. Auch die Opposition will sich zu Bindungen bereit finden, wie sie etwa in den Verträgen enthalten sind. Sie opponiert jedoch heftig vor allem gegen den Zeitpunkt dieser Bindungen. Das äußere Bild hat hier sicherlich manchmal getäuscht. Die Opposition gegen den Zeitpunkt der Bindung ist oft verknüpft worden mit sachlichen Kritiken an den einzelnen Bedingungen der Verträge. Hier trat manchmal diese Kritik gegenüber den zeitlichen Bedenken sogar allzusehr hervor, und ich habe mich manchmal mit Sorge gefragt: Würde die Opposition. wenn sie eines Tages erkennen müßte, daß auch ein weiterer Zeitaufschub nicht zu dem von ihr gewünschten Ergebnis führt, überhaupt noch von den ihrerseits aufgezählten sachlichen Einwendungen hinwegkönnen? Sind nicht gerade in der Frage der Verteidigung, der Wehrhaftmachung oft Bedenken geäußert worden, die nicht allein abhängig sind von dem Zeitpunkt, in welchem man sie äußert, sondern die leider Gottes auch bleibende Bedeutung haben können? Aber selbst hier hoffe
ich, daß die Wege nicht verschüttet sind, und wir haben mit Freuden zur Kenntnis genommen, daß auch andere Stimmen aus dem Lager der Opposition kamen.
Immerhin, selbst wenn die Differenzen sich auf den Zeitpunkt konzentrierten — neben den besonderen Fragen, die mit dem Saarstatut zusammenhängen und die ich, mindestens vorerst, aussparen möchte —, so waren sie doch groß genug. Sie wären nicht so unüberbrückbar geworden, wenn die Verschiedenheit der Voraussagen über die weitere Entwicklung nicht gewesen wäre.
Meine politischen Freunde haben sich bei der Frage nach dem Zeitpunkt gegen einen weiteren Aufschub entschieden. Die Entscheidung fiel nach einer sehr sorgfältigen Prüfung. Es wird hier nicht meine Aufgabe sein, Ihnen die Gründe im einzelnen nochmals zu erklären, auf denen diese Entscheidung basiert. Ich muß sie immerhin andeuten, denn ohne Erwähnung mindestens geht es nicht.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Bundesrepublik Sicherheit braucht. Wir haben weiter den Standpunkt vertreten, daß Sie auch die Gemeinschaft der freien Welt braucht, den politischen Beistand des Westens nötig hat, auch oder vielleicht gerade in der nächsten Zeit. Die Bundesrepublik braucht weiter eine diplomatische Mitsprachemöglichkeit. Wir wünschten schließlich, für ein kommendes Europa die ersten Grundlagen so bald wie möglich zu legen. Wir hörten — und das sei zuletzt noch erwähnt — bei unserer Entscheidung, ob sofortige Ratifikation oder vielleicht doch noch vorher ein Verhandlungsversuch, auch sehr wesentlich auf das Urteil der Sowjetzonenflüchtlinge, auf das Urteil, das von jenseits der Elbe kam.
Bezüglich der ersten hier genannten Punkte, der deutschen Sicherheit, der Gemeinschaft mit dem Westen, des politischen Beistandes durch den Westen, gab es im Grundsatz kaum Unterschiede zwischen uns und der Opposition. Es gibt bei der Opposition nur Befürchtungen — und das war offenbar für ihre Entscheidung doch sehr wesentlich - bezüglich der Haltung der Sowjetunion. Auch wir nehmen die Drohungen der Sowjetunion nicht leicht. Sie ist eine der großen Weltmächte und sie hat in mehr als ungefährer Form gesagt, daß sie diese Verträge als ein entscheidendes Hindernis empfinden würde. In den Wind zu schlagen vermögen wir derartige Dinge nicht. Wir können uns andererseits aber auch bei einer Betrachtung früheren Verhaltens der Sowjetunion und ihrer Politik nicht bereit erklären, all das, was ihre verantwortlichen Männer sagen, nun auch absolut als die letzte Wahrheit hinzunehmen.
Wir glauben nicht, daß der sehr reale Sinn, den Moskau für die Notwendigkeiten der Politik hat, da drüben nicht die Erkenntnis zuließe, daß mit der Ratifizierung, die wir im Begriffe sind zu vollziehen, eine Änderung im effektiven Tatbestand, im effektiven Kräfteverhältnis noch gar nicht vorgenommen wird.
Wir sind bei der Betrachtung der Verhandlungen der Berliner Konferenz weiter an dem Umstand nicht vorbeigekommen, daß damals zwar nicht die gleiche, aber eine ähnliche und in mancher Beziehung sogar noch viel engere europäische Zusammenarbeit zur Diskussion stand, nämlich die EVG, und daß diese werdende Europäische Verteidigungsgemeinschaft damals von der Sowjetunion nicht als ein Hindernis für die Berliner Gespräche geltend gemacht wurde. Die Berliner Konferenz scheiterte - das ist heute schon mehr als einmal gesagt worden — aus anderen Gründen, nicht an der Befürchtung Moskaus, daß ein europäischer Zusammenschluß alle Möglichkeiten verschütten müßte.
Und dann sind Drohungen niemals Argumente.
Wer droht, will doch demjenigen, dem er droht, damit nicht eine Brücke bauen, sondern er will ihn einschüchtern, einschüchtern zu dem Zweck, daß er gefügiger werde gegenüber den Wünschen des Gegners.
Drohungen gerade von d e r Seite sollten eher ein
Argument dafür — also für die Verträge — sein.
Schließlich noch eins. Wir sind doch nicht erst seit gestern als mögliche Gesprächspartner da. Die Sowjetunion hatte seit Jahren die Möglichkeit, uns zu sagen, auf welcher Grundlage sie ernstlich verhandeln will.
Wenn man einwendet: „Ja, wir besaßen keine völkerrechtliche Souveränität, man konnte daher mit uns gar nicht reden", muß ich darauf hinweisen, daß wir bei Nichtratifizierung dieser Verträge die Souveränität auch nicht gewinnen würden.
Aber das ist doch sicherlich nicht der richtige Grund. Solche Formalien hätten es niemals mit sich gebracht, daß Moskau auf ein ernstgemeintes Angebot verzichtet hätte, wenn Moskau ein solches Angebot überhaupt hätte machen wollen.
Und das ist ja auch der schwächste Punkt in der Argumentation unserer Opposition, daß sie trotz allem Wünschen und trotz mancher Andeutungen uns in der Richtung einer ernstlichen Bereitschaft des Ostens eben leider - ich sage: leider, leider — nichts Positives vorzulegen vermag.
Es ist keine bequeme Entscheidung, vor der meine Freunde und vor der auch Sie alle hier stehen. Ohne Mut ist diese Entscheidung nicht zu treffen. In unserer Lage gibt es überhaupt keine Lösung, die ohne Mut und ohne Risiko getroffen werden könnte; und wenn wir nicht geneigt sind, ein Risiko einzugehen, dann kommen wir zu weiter nichts als zu einer passiven Resignation und zu einer Stagnation unserer Verhältnisse. Das mögen gerade diejenigen von uns, denen die Wiedervereinigung als alleroberstes und allervordringlichstes Ziel erscheint — und das ist wohl die große Mehrheit in diesem Hause —, sich immer wieder gesagt haben, daß wir aus einer Stagnation der gesamtdeutschen Idee auf jeden Fall herauskommen müssen.
Wir konnten auch keine Entscheidung treffen nach dem Gesichtspunkt jener berühmten bürgerlichen Sicherheit. Diese bürgerliche Sicherheit wird es mutmaßlich in Europa auf lange Zeit hinaus nicht geben.
Aber haben wir uns nicht auch in mancher Hinsicht die Entscheidung etwas zu schwer gemacht? Haben wir nicht versucht, in diesem Zeitpunkt viele Dinge mit zu entscheiden, die noch gar nicht zur Entscheidung standen? Sind wir denn immer nur von dem ausgegangen, was heute entschieden werden mußte, oder haben wir nicht auch in sehr weitem Maße schon versucht, künftige Entwicklungen jetzt in feste Formen zu pressen? Ist aus diesem Bestreben, alle Möglichkeiten, die die Zukunft als Entwicklung in sich birgt, mit zu verarbeiten, ist aus diesem Bestreben und dann der gegensätzlichen Anschauung über den Gang der Entwicklung nicht manches an Differenzen aufgetaucht, was eigentlich sehr gut einer viel späteren Zeit hätte vorbehalten bleiben können? Wir hatten doch z. B. heute keine Entscheidung über den künftigen Status Gesamtdeutschlands zu treffen. Wenn uns hier von verschiedener Seite gesagt wurde: Ja, aber diese Entscheidung über den zukünftigen Status Gesamtdeutschlands trefft ihr ja in gewisser Weise dadurch, daß ihr mit dem Westen in einen engeren Kontakt kommt, daß ihr euch an den Westen bindet und dadurch Möglichkeiten gen Osten verschüttet, so frage ich, ob dieser Vorhalt nicht ein wenig zu einfach ist. Geht dieser Vorhalt nicht an der Tatsache vorbei, daß die Wiedervereinigung nicht nur eine Frage ist, die man mit dem Osten aushandeln muß, sondern auch eine Frage ist — und es immer war —, die
in gleicher Weise auch mit dem Westen vereinbart werden muß?
Und mußten und müssen wir nicht mit dem Westen genau so über die Wiedervereinigung verhandeln, gleich, ob wir einen Vertrag haben, wie er uns heute zur Ratifizierung vorliegt, oder nicht?
Wir kommen doch an der Tatsache nicht vorbei, daß alle Vier Mächte bei der deutschen Wiedervereinigung beteiligt und tätig sein müssen. Ich glaube nicht, daß unter diesen Umständen das Gewicht der zusätzlichen Bindungen, das in diesen Verträgen enthalten ist, zu unseren Lasten ausschlaggebend sein könnte. Ich glaube eher, daß wir mit diesen Verträgen etwas sehr Positives — ich spreche jetzt nur von der Wiedervereinigung — einhandeln,
nämlich den Beistand der anderen, der bisher nicht auf einer Rechtsgrundlage basierte, der aber jetzt eine Rechtsgrundlage hat.
Noch einmal: alle Möglichkeiten, auch die einer zukünftigen Entwicklung, waren zu durchdenken. Aber die vielen Wenn-Fälle, die allzu vielen Wenn-Fälle, die man uns in den letzten drei Tagen nannte, waren heute nicht zu entscheiden. Die Entscheidung war nur für die Ausgangsbasis gegeben, und sie wird auch nur für die Ausgangsbasis fallen.
Wir haben, wie gesagt, den Verträgen zugestimmt. Aber mit den Verträgen ist erst ein Teil der Aufgaben geordnet. Ein anderer Teil — er ist schon in den Reden der Herren Bundesminister Schäffer und Erhard angeklungen — ist nach meinem Empfinden nicht einmal genügend diskutiert worden. Die Verträge zu unserer Sicherheit, die Verträge für eine gemeinsame europäische Verteidigung haben nicht nur die Seite der Bewaffnung und des Militärdienstes, sie haben auch eine soziale Seite.
Dieses Europa mag über noch so viel Waffen und über noch so gut e Waffen verfügen, es würde untergehen, wenn es nicht eine soziale Ordnung hätte, die Wert wäre, verteidigt zu werden.
Die Sicherung unserer sozialen Ordnung und die Aufrechterhaltung — und für einen Teil unseres Volkes ist zu sagen: die Herstellung — angemessener sozialer Verhältnisse ist genau so wichtig wie Bataillone oder Divisionen oder Beistandspakte.
— Ich freue mich über die allgemeine Zustimmung in diesem Hause zu diesen Dingen.
Ich habe mich auch gefreut über die Ausführungen, die die Bundesminister — ich nannte sie schon, die Herren Erhard und Schäffer — darüber gemacht haben. Ich war allerdings ein wenig von diesen Ausführungen überrascht. Ich will es hier auch sagen; bitte, nehmen Sie das, wenn Sie wollen, kritisch. In vielen Anliegen, die wir in den letzten Monaten an den Herrn Bundesfinanzminister heranbringen mußten, haben wir den Optimismus über die Entwicklung unserer Finanzen nicht gefunden, der ihm eigen war, als er über die Tragbarkeit der Wehrausgaben sprach.
Herr Bundesfinanzminister, wir werden Sie beim Wort nehmen
und wir werden Ihnen immer wieder mit derselben Eindringlichkeit sagen: Sorgen Sie nicht nur für die Bataillone, sondern sorgen Sie auch dafür, daß jeder — jeder! — Deutsche das Bewußtsein hat, mit dem Verteidigungsbeitrag seine Menschenwürde, seine Existenz und ein besseres Leben für sich und seine Angehörigen zu verteidigen als jeder Angehörige der Ostblockstaaten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sagten mit Stolz—und ich glaube, Sie haben auch einen gewissen Grund zu diesem Stolz —, unter Ihrer Ägide sei hier in Deutschland so sehr vieles besser geworden, habe sich unsere Wirtschaft aus den Trümmern wieder erhoben, hätten wir wieder ein Wirtschaftsvolumen erlangt, das in der Welt bedeutsam sei, dazu Außenhandelsbilanz von rund 20 Milliarden Einfuhr und 23 Milliarden Ausfuhr und noch manches mehr, was uns wieder in den Stand, oder jedenfalls in einen Stand ähnlich einer wirtschaftlichen Großmacht erhebe. Herr Wirtschaftsminister, lassen Sie mich in die Betrachtung dieser stolzen Bilanz auch einen kleinen Tropfen Wermut gießen. An diesem wirtschaftlichen Aufstieg sind leider nicht alle unsere Volksgenossen beteiligt.
Ein großer Teil - und das sind Millionen — stehen heute noch nebenbei.
— Auch das, Herr Kollege, daß es kommen soll, wollen wir zur Kenntnis nehmen. Gestatten Sie mir nur die Bemerkung: es hätte eigentlich schon längst kommen müssen.
Aber dafür soll es nicht zu spät sein.
Nun, meine Damen und Herren gerade von der Koalition — denn an Sie habe ich mich, als ich die Anforderung neuer Mittel ankündigte, besonders gewandt —, haben Sie bitte nicht den Eindruck, daß ich diese Debatte dazu benutzen möchte, Ihnen ein baldiges Sozialprogramm aufzumachen. Diese Ausführungen — und das soll hier im Raume ausgesprochen werden — entsprangen einer tiefen Sorge, die weit über die Reihen unserer Partei hinausgeht: daß wir Rüstungsaufgaben, daß wir eine Wiederaufrüstung mit dem Soldatwerden unserer Söhne und Brüder nur dann verantworten können, wenn wir auch im Inneren die Gewißheit haben, daß unsere künftigen Soldaten von der Heimat in dem Bewußtsein gestärkt werden, daß es sich lohnt, für die freie Welt und für diese politische Ordnung auch den letzten Einsatz zu tun.
Ich möchte auch an die Westmächte appellieren. In Verfolg der Vorgänge des Jahres 1945 haben uns die Alliierten in Ost und West in eine Lage gebracht, die es uns unmöglich macht, aus eigener Kraft all das zu schaffen, was hier noch ausgemerzt und korrigiert werden muß. Wir können jene Lasten nicht allein tragen, die durch Vertreibung und Verdrängung, durch den Krieg und seine Folgen entstanden sind und die sich heute noch täglich dadurch mehren, daß es Hunderte sind und vielleicht eines baldigen Tages leider wieder Tausende sein werden, die aus der sowjetisch besetzten Zone zu uns stoßen, weil sie in dem System dort drüben einfach nicht mehr zu leben vermögen.
Wir haben versucht — und, Herr Finanzminister, das war nicht immer im Sinne der Sache —, die Lasten dadurch zu mindern, daß wir einem großen Teil der Sowjetzonenflüchtlinge gewisse Ansprüche aberkannten oder beschnitten, indem wir die Notwendigkeit des Übertritts sehr häufig nicht anerkannten. Ich gebe zu, daß es in manchen, wenigen Fällen Wanderlust war, welche die jungen Leute hierher getrieben hat. Ich gebe auch zu, daß der eine oder der andere dort drüben hätte bleiben können und sich zu Unrecht auf eine Notlage berufen möchte. Aber, Herr Finanzminister, lieber geben wir drei Unberechtigten ihre vollen Versorgungsansprüche und sonstige Hilfeleistungen sozialer Art, als daß ein Berechtigter abgewiesen werden muß.
Wir haben in den letzten Jahren die Sowjetzonenflüchtlinge oft in eine Gewissensnot gebracht, die unvorstellbar ist, in eine Gewissensnot zwischen der Preisgabe von Dingen, die dann ihren Angehörigen und Freunden in der Ostzone zu Zuchthausstrafen verhelfen konnten, und einem Schweigen, das dann meist von unseren Behörden mit der Streichung von Leistungen beantwortet wurde. Ich weiß, Herr Finanzminister, daß man nicht alles an Beseitigung der Nachkriegsnöte und der mit der Zonenteilung Deutschlands zusammenhängenden. Lasten von Ihnen verlangen kann. Ich sagte — wobei ich durchaus unterstelle, Herr Finanzminister, daß manchmal etwas mehr hätte getan werden können —, wir hätten hier die Westmächte daran zu erinnern, daß es auf diesem Gebiet echte Verteidigungsaufgaben gibt, für die einfach Geld genau so gut dasein muß wie für die berühmten Kanonen.
Bis auf die letzte Frage habe ich es vermieden, mich noch einmal in Einzelprobleme des Vertragswerks in Wiederholung der zweiten Lesung einzulassen.
Zum Saarstatut wird wohl einer meiner Freunde später noch zu Wort kommen.
— Ich hoffe es, zumal da dieses Saarstatut in dem vorigen Referat sehr breit angesprochen worden ist. Ich möchte nur für die elf Mitglieder meiner Fraktion, die zu dem Saarstatut schließlich ein Ja gesagt haben, eines erklären: Wir haben dieses Ja nicht aus dem Inhalt des Statuts gefunden. Wir haben es gegeben, weil wir meinten, es im Interesse des gesamten Vertragswerks nicht anders verantworten zu können.
Ich betone, daß ich diese Erklärung lediglich für die elf Mitglieder meiner Fraktion abgebe, die eine von der Mehrheit der Fraktion abweichende Entscheidung getroffen haben.
Meine Damen und Herren! Ich will zum Schluß kommen und möchte meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß dieses Hohe Haus trotz des Streites und der Differenzen gestern abend über eine gemeinsame Erklärung, die Drucksache 997, einig wurde. Im Sinne einer künftigen Zusammenarbeit wollen wir das alle herzlich begrüßen und darin ein gutes Omen sehen.
Wir stehen vielleicht am Anfang eines neuen, für unser Volk entscheidenden Zeitabschnitts. Wir wissen alle nicht, was uns die Zukunft bringt. Wir werden aber alle zusammen das tragen müssen, was das Schicksal dem deutschen Volk zugedacht hat. Wir haben keinen Anlaß zu Freude oder gar zu Jubel. Wir haben aber Vertrauen in die Sache unseres Volkes und besonders Vertrauen dann — und dazu sind nach unserer Meinung die Verträge ein wichtiger Schritt —, wenn die freie Welt unsere berechtigten Anliegen, unsere unveräußerlichen Ansprüche auf Anwendung der Menschenrechte — und auch das Recht auf Heimat gehört dazu —, schließlich zu den ihrigen macht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die heute bei der Generalaussprache zur dritten Lesung erörtert werden, sind bereits seit dem Jahre 1951 diskutiert worden. Manchmal hatte man bei der Debatte den Eindruck, den das Ihnen sicherlich bekannte Bild von Paul Weber hervorruft, jene Gruppe von Menschen, die in einem sinkenden Boot sitzen und diskutieren. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir endlich aus dem Kreislauf der Argumente, die im letzten ja nur die Geschichte beweisen kann, heraustreten könnten, um Neuland zu gewinnen.
Es gilt mit dem Beschluß, der heute zu fassen ist, einer Politik, die wir seit dem Jahre 1949 aufgebaut haben, den Schlußstein zu setzen. Die dritte Lesung bedeutet eine Zusammenfassung der Gesichtspunkte und die Bestimmung der Richtung und der Erwartungen, die wir an die Zukunft stellen. Ich möchte sie namens meiner Fraktion darlegen. Es geht bestimmt um eine Weichenstellung in der deutschen Geschichte, eine Weichenstellung zur Freiheit oder — was man ohne Übertreibung befürchten müßte — zum Untergang. Es geht um die Rettung des deutschen Volkes, für die zu arbeiten wir alle, die wir in diesem Hause sitzen, verantwortlich sind, eine Rettung des deutschen Volkes nicht nur im Westen, sondern vor allen Dingen auch in Mitteldeutschland. Ein Irrtum in der Politik ist fast niemals zu korrigieren. Sicher ist auch an dieser Frage keine Korrektur mehr möglich. Die Gewissensprüfung ist von allen vorgenommen worden. Die Verantwortung spüren alle. Aber wir haben die Pflicht zur Entscheidung, und unsere Entscheidung sollte Überzeugungskraft besitzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen, obwohl wir auf der anderen Seite des Hauses sitzen, doch einige Worte des Versöhnlichen stellen. Die Debatte hat herausgebracht, daß wir, Opposition und Koalition, es als eine gemeinsame Aufgabe begreifen, an einer konkreten Entspannungspolitik zwischen Ost und West und an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu arbeiten. Dies ist die gemeinsame Basis unserer Nation nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Das ist auch die Meinung der deutschen Arbeiterschaft, die am 17. Juni .1953 zur Aktion der Befreiung in ihrer Zone geschritten war.
Aber wenn dies unsere Basis ist, so erscheint es doch sehr fehlerhaft, wenn durch die Methoden der Agitation gegen unsere Entscheidung im deutschen Volke so eine Art Schuldkomplex erzeugt werden soll. Ich halte es für einen sehr gefährlichen Weg, so zu tun, als sei mit der Unterlassung einer Ratifikation dieser Vertragswerke alles gut und eine friedvolle Zukunft gesichert.
Ich habe vielmehr den Eindruck, daß die Politik der Sowjetunion die Widerstandsfähigkeit des Westens seit Jahren abtastet und vor allen Dingen auch uns Deutsche abtastet. Wenn hier nun der Puls schneller geht und eine Atmosphäre der Angstlichkeit erzeugt wird, dann ruft man damit geradezu Aktionen hervor, die man sonst von der anderen Seite unterlassen hätte,
dann nämlich unterlassen hätte, wenn man draußen auch das Gefühl für die Stabilität, die Sicherheit, Ruhe und Geschlossenheit unseres Volkes hätte. Die Methode der Volksbewegung, die man da versucht hat und die nach meiner Kenntnis bei weitem nicht diese Resonanz gefunden hat, wie immer behauptet wird, hat ihre großen Gefahren im Hinblick auf das Geschick der Allgemeinheit.
Ich darf an dieser Stelle mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Brief aus der sowjetisch besetzten Zone verlesen, den mir der Kollege Mende freundlicherweise überlassen hat, damit in diesem Bundestag auch einmal eine der unterdrückten Stimmen zur Geltung kommt und nicht nur die Stimmen, die
— woher sie kommen, weiß ich nicht und kann ich nur vermuten — mit großen Mitteln gegen die Verträge vorgebracht worden sind. Hier schreibt ein junger Mensch von drüben:
Herr Mende,
— schreibt er —
ich habe Ihre Rede bei der ersten Lesung der Pariser Verträge über den NWDR, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, gehört und habe mich riesig gefreut und mit vielen Gleichgesinnten darüber gesprochen. Ja, Sie haben recht! Wir hier in der Ostzone fiebern direkt auf den morgigen Tag und die folgenden Tage. Mögen doch die Verträge, und wenn auch nur mit geringer Mehrheit, angenommen werden!
— Es ist natürlich nur eine Stimme, aber sie wiegt für mich viel, weil die Stimmen ja nicht herauskommen können. —
Es dürfte Ihnen und vielen anderen Abgeordneten ja bekannt sein, wie hier in der Zone
aufgerüstet wird. In der Waggonbauanstalt . . .
— den Ort lasse ich mit Absicht heraus — werden in einer Halle Panzerspähwagen gebaut. Die Fenster sind über Mannshöhe angekalkt. Die darin befindlichen Arbeiter sind doppelt vereidigt worden und müssen in ihre Werkbücher einschreiben „Sonderwagenbau". In dem optischen Werk ...
— da und da —
werden Zielgeräte gebaut. Die Werbung zur kasernierten Volkspolizei ist jetzt besonders stark. Bei Annahme der Verträge in Bonn soll hier die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden. Die Ausbildung soll dann über die Neiße hinweg in Polen erfolgen, damit eventuelle Fahnenflucht unmöglich gemacht ist. Erst vor wenigen Tagen haben die Studenten eine Sache unterschreiben müssen, in welcher sie dem Staat Treue leisten und im Notfall sich auf unbegrenzte Zeit zur Verfügung stellen. Heißt das nicht Vorbereitung zum Krieg?.
— Dann heißt es weiter:
Lieber Herr Mende, zeigen Sie bitte diese Zeilen anderen Abgeordneten. Wir warten dringend von Bonn auf Hilfe. Vergeßt uns nicht und laßt uns nicht alle Kommunisten werden! Wir sind bald am Ende unserer Kraft und trösten uns nur noch gegenseitig.
Ein SOS-Rufender.
Man soll solche Stimmen nicht untergehen lassen nach dem Vielen, was vorgebracht worden ist, in dem gewissermaßen hier bei uns der Schuldkomplex erzeugt werden soll.
Aber worum geht es denn? Welches ist die Frage, wenn ich das fast am Abschluß unserer Debatte sagen darf?
Die These der Sozialdemokratischen Partei: Es soll vorher verhandelt werden. Ziel dieser Verhandlungen: ein Staatensystem in Europa zu schaffen, in dem ein wiedervereinigtes Deutschland frei von Militärbündnissen steht. Herr Erler hat ausgeführt, man könne die Lösung der Frage der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes nicht auf kriegerischem Wege suchen. — Das will
niemand; klar, Einverständnis im ganzen Hause! Wir müssen es friedlich tun; also friedliche Mittel sind Mittel der Verhandlung. — Klar!
Nun ist die Frage so gestellt worden: Eine Einbeziehung in den Westen verneint die Sowjetunion; eine Einbeziehung in den Ostblock verneint der Westen. Also, so schließt Herr Erler, ein Drittes muß geschaffen werden:. Wir müssen frei werden von Militärbündnissen.
Das ist der Vorschlag. Nun die Prüfung unsererseits. Ist er möglich? Ich sage: nein! Deshalb nicht, weil eine solche Lösung uns militärisch isolieren würde. Das bedeutet, wie der Herr Wirtschaftsminister gestern klar ausgeführt hat, auch eine wirtschaftliche und politische Isolierung, weil in einem unstabilen Bereich auch auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet niemand ein Engagement übernehmen will. Ich halte das für absolut schlüssig.
Die Funktion, die der Vorschlag der Sozialdemokratie Deutschland zwischen Ost und West zugedacht hat, wäre, so darf ich hier kurz zusammenfassen, für Deutschland zu schwer. Sie könnte nur dann übernommen werden, wenn es gelingt, die Einheit Europas zu schaffen und auf der ,Grundlage dieser europäischen Einheit die konkrete Entspannung zwischen Ost und West in Gestalt eines Sicherheitssystems einzuleiten. Solange die Welt noch in Allianzsysteme aufgegliedert ist, ist eine Bündnislosigkeit, also das Nichtzugehören zu einer Allianz, wenn man in der Mitte eines Spannungsfeldes liegt, eine Isolierung.
Nur innerhalb von Allianzen läßt sich eine Sicherheit finden. Wenn Sie den sowjetrussischen Vorschlag analysieren, so werden Sie feststellen, daß er nichts anderes ist, als die Sicherheit innerhalb des Ostblockallianzsystems finden zu sollen, also Deutschland zu satellitieren.
Solange die Welt noch nicht umgestaltet ist — und sie ist im Begriffe, sich in größere integrierte Blöcke umzugestalten —, ist die Vorstellung einer militärischen Isolierung Deutschlands nicht durchführbar. Sie kommt dann auf das hinaus, was wir bisher als Neutralisierung bezeichnet und bekämpft haben.
Vielleicht stehen wir jetzt mit diesen Verträgen in der allerletzten Möglichkeit, zu einer Einigung Europas zu kommen. — Das ist die Schlüsselfrage für das europäische Sicherheitssystem —, vielleicht ist das die allerletzte Chance. Ich gebe hier der Hoffnung Ausdruck, daß diese Verträge nicht ein Ende, sondern ein Anfang sein mögen.
Ich gebe auch den Sprechern der Freien Demokratischen Partei recht, daß die Überspringung des Zustandes der integrierenden Kooperation, die jetzt von den Verträgen festgelegt worden ist, also der unmittelbare Übergang zur Supranationalität, zum vollintegrierten Zustand vielleicht nicht der richtige Weg war. Jedenfalls hat die Geschichte gezeigt, daß er nicht zum Erfolg geführt hat. In den Grundauffassungen war der Weg bestimmt richtig.
Ich bin zwar kein Mathematiker, aber an sich ein an der Mathematik interessierter Mensch. Ich will einmal ein Bild nehmen: Was ist denn ein Integral? Solange in einem Integral noch Restbestände sind, hat man eben das eigentliche Integral noch nicht. Es kommt doch auf diese Restbestände an, die, aus der nationalstaatlichen Epoche stammend, wirtschaftlich, sozialpolitisch und finanziell so schnell noch nicht aufzulösen sind. Daraus folgt die Forderung einer integrierenden Kooperation, aber doch mit dem Ziel, daß wir niemals aus den Augen verlieren dürfen, die Einheit Europas zu erhalten. Denn ohne diese Einheit geht dieser Kontinent mit seinen Nationalstaaten unter. Das ist nicht eine leere Behauptung, sondern das dürfte fast an einen Beweis herankommen.
Das ist die Schlüsselfrage für alles, auch zwischen
Ost und West, auch für die Einheit Deutschlands.
Deshalb komme ich dazu, der These der Sozialdemokratie, die gesagt hat, wir sollten die letzte Chance für Verhandlungen mit der Sowjetunion nützen, oder den Westen dazu aufrufen, daß diese Chance genützt werde, die These gegenüberzustellen: Es ist die letzte Chance für die Einigung Europas zu nützen, um auf dieser Grundlage zu einer Möglichkeit für wirklich sinnvolle Verhandlungen über eine Entspannung zwischen Ost und West zu kommen.
Ich glaube, daß wir damit in einem geschichtlichen Strom mitschwimmen. Denn Europa, seine Einigung, seine Zusammenarbeit ist eine Notwendigkeit, auch ohne Rücksicht auf den Druck, den die Sowjetunion ausübt.
Alle großen sozialen, technischen Fragen, Fragen der politischen Befriedung unter den Menschen im Massenzeitalter sind ja nur durch die Kraft großer Räume zu lösen. Die friedliche Bedeutung eines vereinigten Europas und seine wirschaftliche, ganz nüchterne Bedeutung auch für das Lösen der sozialen Fragen unseres Jahrhunderts — das sollte man viel mehr in den Vordergrund stellen als das, was natürlich auch dazu gehört, als den letzten Ernst der Dinge, die militärische Verteidigung.
Herr Kollege 011 e n h a u er hat heute etwas ausgeführt, was bei mir Bedenken hervorgerufen hat. Er hat die Entspannungspolitik in Ostasien, die von den Vereinigten Staaten von Amerika zweifellos getrieben wird, die Ergebnisse der Genfer Konferenz, Korea, Formosa in besonderer Weise hervorgehoben. Wenn er damit nichts welter zum Ausdruck bringen wollte, als daß Entspannungstendenzen oder der Wunsch nach Entspannung in der Welt vorhanden sind, könnte ich ihm zustimmen. Aber es ist doch sehr mißverständlich, und ich habe die Frage an die Sozialdemokratie zu richten: Diese Politik der Entspannung in Ostasien ist ja eine Politik der Entspannung auf der Grundlage der Teilung in Indochina, in Korea und jetzt auch in der chinesischen Frage. Wenn der Weg der Politik auch in Europa auf diesen Tatbestand der Entspannung auf der Grundlage der Teilung gehen sollte, so könnte ich seitens meiner politischen Freunde nur ein deutliches Nein demgegenüber zum Ausdruck bringen.
— Ich habe Herrn Ollenhauer eine Frage stellen wollen. Aber ich habe dafür Verständnis, daß er weitersprechen wollte. Man will eine Rede, ganz besonders, wenn sie eine gewisse — —
— Nein, das war nicht klar nach den Äußerungen, die er getan hat.
Noch ein zweiter Punkt, der der Klarheit bedarf. Es wurde gesagt, in der Molotow-Rede seien wesentliche Teile des Eden-Plans akzeptiert worden. Gesetzt den Fall, daß das geschehen ist, daß man die Worte des sowjetischen Außenministers vor dem Obersten Sowjet so zu verstehen hat, möchte ich aber doch die Frage steilen: Ist der Sozialdemokratie entgangen, daß die Grundlage der Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion heute noch immer die Note vom 3. März 1952 mit ihrem ganz klaren Potsdamer und Neutralisierungskonzept ist? Das ist doch 'das Entscheidende bei der ganzen Frage. Natürlich könnte die Sowjetunion ein Zugeständnis auf der Grundlage des Eden-Plans dann machen, wenn man einen Status Deutschlands nach dieser sowjetischen Note annimmt, weil es einen absolut sicheren Freiwechsel auf eine Sowjetisierung Deutschlands, auf eine Machtergreifung durch die SED bedeuten würde.
Dann schließlich auch: Was ist das eigentliche Ziel, das aus allen Plänen hervorgeht? Man will ein neutralisiertes Deutschland haben, um ein volksdemokratisiertes Deutschland zu gewinnen. Und dann steht in dieser Note von 1952 etwas sehr Wichtiges drin, was durch diese Vertragswerke jedenfalls überwunden wird. Es steht darin, daß die vier Mächte sich erst über einen Friedensvertrag und sein Konzept klarwerden und daß dieser Viermächtevertrag erst dann einer gesamtdeutschen, nicht gewählten Regierung zur Annahme vorgelegt werden soll, d. h. praktisch ein Diktat.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte.
Herr Abgeordneter von Merkatz, ist Ihnen nicht bekannt, daß gerade dieser Punkt in •den sowjetischen Erklärungen vom 15. Januar dieses Jahres eindeutig im Sinne unserer westlichen Auffassung klargestellt worden ist, nämlich erst freie Wahlen, dann Regierungsbildung und dann Verhandlungen mit der gewählten Regierung über einen Friedensvertrag, also nicht umgekehrt? Ist Ihnen dieser Stellungswechsel der sowjetischen Position entgangen?
Dieser Stellungswechsel ist mir nicht entgangen. Allerdings ist die Aussage, soweit ich gesehen habe, nicht offiziell erfolgt, sondern durch Herrn Norden im Auftrag von — —.
Was Herr Norden dazu zu sagen hat, das ist die zweite Frage. Aber das Entscheidende meiner Ausführungen war nicht der Punkt, den ich eben vielleicht nicht ganz richtig dargestellt habe, indem ich von einer nicht gewählten Regierung gesprochen habe, die einem Friedensvertrag gegenübergestellt ist. Das können -die Sowjets durchaus aufgeben, solange sie an ihrer Note von 1952 festhalten. Das ist der entscheidende Punkt!
— Nein, Herr Kollege, ich halte es für richtig, daß
ich die Frage beantworte; dieser Punkt ist wichtig.
Herr Kollege von Merkatz, glauben Sie wirklich, daß die deutsche Demokratie so an Minderwertigkeitskomplexen zu leiden hätte, daß sie das Ergebnis freier Wahlen im Sinne der völligen Zerstörung des bolschewistischen Regimes in der Zone irgendwie im geringsten zu bezweifeln hätte?
Herr Erler, ich habe mich schon von jeher gegen diese Minderwertigkeitskomplexe und einen Mangel an Selbstgefühl gewendet. Aber das ist immer noch nicht 'die entscheidende Frage. Selbst mit einem Sieg in freien Wahlen könnten Sie ein Deutschland nicht aus seinem Los in den Fängen der Sowjetunion, nämlich satellitisiert zu sein, erlösen, dann nämlich nicht, wenn Sie die Grundlagen der Note von 1952 annehmen. Darum geht es doch!
Meine Damen und Herren, ich trete allerdings namens meiner politischen Freunde dafür ein, daß in der Ausführung der Verträge der Gedanke des Defensivcharakters, des reinen Verteidigungscharakters durchaus gewahrt wird und auch in der Praxis der dann zu treffenden Maßnahmen sehr deutlich gemacht wird. Das ist ein Kapitel, über das wir uns später zu unterhalten haben werden, wenn es nach idem Inkrafttreten dieser Verträge zu ihrer Ausführung kommt. Es sei nur jetzt auch hier bereits angedeutet.
Nun die Frage, die uns während unserer Verhandlungen wohl am tiefsten aufgewühlt hat. Ich meine die Frage der Saar. Leider hat Herr Kollege Dehler mir meine Frage nicht beantworten können. Wie gesagt, das Frageinstitut ist ja in der Weise eingerichtet worden, daß ein Abgeordneter, ohne daß man Widerworte macht, sagen kann: Nein, bitte jetzt nicht; ich möchte weiterreden. Ich habe deswegen auch keinerlei Erörterungen daran geknüpft. Aber ich darf vielleicht die Sache einmal umdrehen — es geht ja nach der Geschäftsordnung auch wohl — und darf nun den Herrn Kollegen Dehler fragen: Haben Sie nicht Wie wir alle das Dokument gesehen, auf Grund dessen die letzten Verhandlungen geführt wurden und die wir meiner Erinnerung nach bei Botschafter Hausenstein eingesehen haben? Und eine zweite Frage, die für uns alle sehr wichtig ist: Hat einer von uns anangesichts dieser Vorlagen dem Herrn Bundeskanzler gesagt: Nein, Sie unterschreiben nicht, unter keinen Umständen, auch wenn alles dabei zum Teufel geht? Diese Frage ist wichtig für unser Gemeinsames, was wir zu verantworten haben.
Meine Damen und Herren! Es ist zwar völlig ungewöhnlich, daß das System umgekehrt wird, aber ich lasse es einmalig zu.
Der Herr Abgeordnete Dehler hat das Wort.
Ich bin ja schon zum Teil darauf eingegangen. Nach meiner Erinnerung war es am Donnerstag, also dem 21. Oktober — die an-
deren Herren haben vielleicht Aufzeichnungen —, daß der Herr Bundeskanzler in diese Besprechung in der deutschen Botschaft in Paris zurückkam und eine Stipulation bei sich hatte, die er vorlas und die sich auf die vorausgegangene Besprechung bezog, sieben Punkte, die er zur Forderung gegenüber den Vertretern der französischen Regierung erheben wollte,
über die gesprochen worden ist. Das war aber nicht der Vertrag, das war kein Entwurf.
Natürlich hat man sich geäußert, ich glaube, nicht sehr ausführlich. Ich habe meine ablehnende Äußerung zumindest zum Ausdruck gebracht. Die Stipulation wich von dem, was Sie, was in sehr betonter Weise Herr Strauß, was dann besonders die sozialdemokratischen Kollegen gefordert hatten, ab. Es kam besonders eines nicht hinreichend zum Ausdruck, was ich verlangt hatte und worauf alle Kollegen, auch die sozialdemokratischen Vertreter, eingegangen waren: die Forderung — ich habe es vorhin schon erwähnt —: Von der saarländischen Verfassung vom 17. Dezember 1947 muß die Präambel fallen. Es hieß dann nur: Angleichung.
— Jetzt darf ich vielleicht die Antwort zu Ende führen. Was will denn das alles? Damals hat der Herr Bundeskanzler erklärt, er werde nicht unterzeichnen, sondern er werde nur paraphieren. Am Ende hat er unterzeichnet, unterzeichnet, obwohl auch nicht einer seiner Minister eine Ahnung davon hatte, obwohl er seinem Kabinett versprochen hatte: Selbstverständlich, diese lebenswichtige Entscheidung — —
— Nein!
— Dann fragen Sie mich nicht!
Nein, nein, Herr Abgeordneter von Merkatz! In diesem Augenblick haben Sie nicht das Wort, sondern in diesem Augenblick hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Dehler.
Ich unterbreche aber nunmehr diese Übung und gebe das Wort an den Redner Dr. von Merkatz zurück und lasse die Gegenfrage des Redners an einen Abgeordneten im Plenum nicht mehr zu.
Fahren Sie fort!
Herr Präsident, es lag mir nicht daran, Herrn Dehler zu unterbrechen, sondern lediglich daran, die Bitte an ihn zu richten, daß er mir meine Frage beantwortete.
Aber ich möchte hieraus, Herr Kollege Dehler, nicht sozusagen einen Streitfall machen. Das ist nicht das, was ich hier will. Ich will lediglich etwas feststellen, was auch unsere Verantwortlichkeit
betrifft. Sie haben nicht widersprochen, daß keiner von uns dem Kanzler etwa gesagt hat: Schluß mit den Verhandlungen; auf dieser Grundlage machen wir nicht weiter. Wir alle, die wir da waren, haben lediglich gesagt: Wenn die Franzosen ein Abkommen definitiv machen wollen, dann kriegen Sie dafür die Zustimmung unserer Fraktion nicht. Das war die Gewissensfrage, die gestellt wurde und deren Beantwortung von uns einheitlich auf ein definitives Nein abgestellt war.
Das andere war, daß selbstverständlich wir alle,
Herr Strauß, Herr Dehler, Herr Mommer, wie wir
alle da waren, unsere schweren Bedenken zur Geltung gebracht und gesagt haben: Herr Bundeskanzler, ob wir das den Fraktionen vorlegen können, ob
das die Zustimmung erhält, können wir Ihnen
nicht garantieren. So ungefähr war es, und das
war kein Gradunterschied. Herr Dehler war nicht
leidenschaftlicher als Herr Mommer oder irgendein anderer von uns, die wir alle gemeinsam ein
gutes Ergebnis der Verhandlungen haben wollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dem Abgeordneten Dr. Mommer eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich!
Herr Kollege von Merkatz, erinnern Sie sich, daß bei jenen Besprechungen am Freitag, dem 22., und Samstag, dem 23. Oktober, keinem von uns auch nur eine einzige Zeile schwarz auf weiß vorgelegen hat,
sondern daß uns nur aus einem Manuskript, das Herr Hallstein und Herr Adenauer in der Hand hatten, vorgelesen wurde?
Besinnen Sie sich weiter, daß, als uns am Samstag, dem 23., von dem Herrn Bundeskanzler die Verhandlungsergebnisse der Nacht vorgetragen wurden, dann zumindest Herr Ollenhauer klar und deutlich gesagt hat, das sei nicht annehmbar? Und besinnen Sie sich auch, daß keiner selbst von Ihnen, den übrigen dort anwesenden Abgeordneten, gesagt hat, das sei annehmbar, daß nur — nach meinen stenographischen Notizen — Herr Pohle von der CDU die Bemerkung gemacht hat, das sei doch dasselbe wie die sieben Punkte? Besinnen Sie sich darauf, daß Herr Dehler in sehr bedrückter Stimmung zwischen mir und Herrn Gerstenmaier saß und mit dem Problem rang, daß es zwar nicht ausdrücklich gesagt hat, das sei unannehmbar, aber daß seine Gesamthaltung zum Ausdruck gebracht hat, wie schwer es ihm wurde, mit diesem Problem fertig zu werden?!
Herr Kollege Mommer, Sie haben von Ihrer Bedrücktheit gesprochen. Wiederum gibt es da Rangunterschiede des Verhaltens. Wir haben alle sehr 'bedrückt dagesessen, einschließlich des Herrn Bundeskanzlers. Die Situation war bedrückend genug. Ich erinnere mich allerdings an dieses Dokument sehr genau. Mir wurde es in den letzten Tagen noch einmal gezeigt,
wobei ich es sofort wiedererkannt habe, woraus ich schließe, daß dieses Dokument in der Schlußphase der Verhandlungen, die sich ja im letzten Moment noch einmal sehr konzentriert hatten — ich will mich vorsichtig ausdrücken —, noch vorgelegen haben muß, sonst hätte ich den Wortlaut nicht jetzt, nach vielen Wochen, wiedererkannt. Ich erinnere mich noch an andere Dokumente, in denen wenigstens die Prinzipien, die schließlich in das Abkommen zum größten Teil hineingearbeitet worden sind, von uns selbst formuliert worden sind. Aber, meine Damen und Herren, das wird letzten Endes die Geschichtsforschung darstellen.
— Herr Kollege Kunze, Sie müssen mir schon überlassen, wie ich meine Angelegenheiten hier handhabe. Gestatten Sie, das ist meine Verantwortung und die meiner Fraktion. Ich bitte Sie doch, Ihre Mißfallensäußerungen vielleicht in diesem Punkte etwas zurückzustellen.
— Doch, ich bemerke, daß Sie etwas nervös werden bei meinen Ausführungen, und das stört mich ein bißchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber meine Herren, beruhigen Sie sich doch! — Fahren Sie fort!
Das ist nicht wichtig. — Aber ich möchte jetzt auch diesen Punkt verlassen, nachdem ich soweit eine Klarstellung für mich wenigstens bekommen habe.
Herr Dr. Mommer hat vollkommen recht, Herr Ollenhauer hat gesagt: Nein, das geht so nicht. Das entsprach ja auch der längst vorher getroffenen Feststellung der Sozialdemokratie. Aber innerhalb unserer Koalition ist meines Wissens und nach meiner Wahrnehmung keiner gewesen, auch nicht Herr Strauß, der damals am schärfsten gegen die Dinge vorzugehen versuchte, der gesagt hätte: Herr Bundeskanzler, lassen Sie jetzt alle diese Verhandlungen scheitern an diesem Punkt! — Das muß ich sagen.
Ich möchte auch gegen diese Legende, gleichgültig wie sich einer entscheidet — auch in meiner Fraktion, das sage ich ganz offen, werden sich Kollegen gegen das Abkommen entscheiden —
haben sie schon getan, das weiß ich; das ist eine Sache, die hier zu kritisieren mir nicht zusteht —, gleichgültig wie sich einer entscheidet, wehre ich mich aber dagegen, daß hier eine Art neuer Dolchstoßlegende hinsichtlich eines größeren oder geringeren Stehvermögens aufgebracht wird.
Die Entscheidungen, die gefällt worden sind, sind Entscheidungen einer sorgfältigen Prüfung und des Gewissens.
Eine Zwischenfrage!
Ich stelle die Frage, ob Sie mit dem Vorwurf des Dolchstoßes den Mann gemeint haben, der den Vorwurf des nationalistischen Verhaltens erhoben hat?!
Herr Kollege Dehler, ich trage keinen Dolch im Gewand.
In der Verantwortung für unsere zukünftige Arbeit, Herr Kollege Dehler, würde ich niemals eine Unterstellung aufkommen lassen, daß irgendeiner der Kollegen sozusagen der Erfinder einer Dolchstoßlegende ist oder den Anlaß dazu gegeben hat. Das möchte ich ausdrücklich feststellen. Aber im ganzen Raum — ohne daß ich den einen oder den anderen dafür verantwortlich machen will — steht so etwas wie ein Konkurrenzkampf in Verteidigung der Saar oder Nichtverteidigung der Saar, und dagegen wende ich mich.
Es ist heute hier zum Ausdruck gebracht worden
— ich empfinde das als einen persönlichen Vorwurf — —
— Herr Kollege Mommer, würden Sie mir gestatten, den Gedanken weiterzuführen; zum Schluß bin ich gern bereit.
Bedaure!
Es ist zum Ausdruck gekommen — das betrachte ich als etwas, was uns mitbetrifft, die wir ja als Koalitionspartner die gemeinsame Verantwortung tragen —, man sei in diese Verhandlungen ohne Vorstellungen hineingegangen. Nun, immerhin gehen die Saarverhandlungen praktisch, solange die Bundesrepublik existiert, ich meine mit den Ministern Schuman, Bidault und René Mayer. Seit Jahren ist verhandelt worden. Wir haben deswegen im vorigen Februar in Paris zusammengesessen; ich weiß nicht, ob Herr Kollege Dehler bei diesem leider zu früh abgebrochenen Gespräch dabeigewesen ist, wo doch schon ganz klare Vorstellungen und Verhandlungsgrundlagen in der Welt waren. Ein Teil von uns, und gerade auch aus meiner Fraktion, hat sich von Anfang an gegen die Vorstellung der Europäisierung gewandt, weil darin die Gefahr einer Separation gesehen wurde. Es gab auch andere Stimmen dazu.
Dann muß ich sagen: Der Vorschlag der Freien Demokraten hinsichtlich einer finanziellen oder rein wirtschaftspolitischen Regelung der Frage — auch hier möchte ich mich vorsichtig ausdrücken — hat uns ja vorgelegen. Der Herr Kollege Dehler hatte die Freundlichkeit, uns in Paris auch über diese Vorschläge seiner Fraktion zu unterrichten. Ich selber gebe freimütig zu, daß ich gleich sagte: Nein — Herr Dehler wird mir das bestätigen können —, so geht es nicht, das kann man nicht zumuten, das geht nicht bei unserer Lage, in der wir sind; wir sind ein besiegtes Land, und ich würde abraten. Ich habe vor allen Dingen auch abgeraten, weil bei einer weiteren Hinauszögerung einer Lösung dieser Frage doch die Gefahr bestand, daß eine Verelendung an der Saar eintreten würde; dieses Wort ist gesprochen worden. Wir hatten auch eine Verantwortung für die Menschen dort, und die Lösungsmöglichkeiten, die so durch den Kopf gegangen sind, hätten zum Teil ein langes Hinauszögern, ein weiteres Instreitlassen und damit eine Verelendung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit sich gebracht. Immerhin ist dieser
Schließlich die Angelegenheit der Volksabstimmung! Es ist zuzugeben, daß wir und auch die FDP gemeinsam die Forderung erhoben hatten, wenn ich mich recht erinnere, den Saarlandtag über die Dinge entscheiden zu lassen. Wir hatten das Volksabstimmungskonzept abgelehnt. Aber ist denn tatsächlich dieses von den Franzosen verlangte Zugeständnis der Volksabstimmung, und zwar der ersten Volksabstimmung, nun so eine fundamentale Sache, daß man daraus den Schluß ziehen könnte, hiermit leiste man einer Separation Vorschub?
Das bedeutete doch — ich habe es hier schon einmal ausgeführt — ein außerordentliches Mißtrauen gegenüber dem deutschen Charakter und dem deutschen Wollen der Bevölkerung an der Saar.
Ich gebe zu, vorläufig haben die bisherige Besatzungs- und Protektoratsmacht und die separatistischen Helfershelfer dieser Protektoratsmacht alles in der Hand, Presse, Rundfunk usw. Aber es ist Ihnen doch allen auch bekannt, daß gerade dies ein besonderer Verhandlungspunkt nicht nur von Paris, sondern auch von Baden-Baden gewesen ist, nämlich: hier die Grundlage der gleichen Chance zu schaffen und vor allen Dingen auch den deutschen Banken und Versicherungsunternehmungen an der Saar Zutritt in das Gebiet und in die Wirtschaft zu verschaffen, damit nicht etwa allein über den Kredit eine wirtschaftliche, soziale und damit auch politische Abhängigkeit für die Zukunft aufrechterhalten wird. Alles dies sind ja doch Dinge von großer Wichtigkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
An sich wäre es mir lieb, wenn ich am Schluß antworten könnte. Aber ich möchte — —
Auf das jetzt Gesagte, Herr von Merkatz: Erinnern Sie sich noch, daß wir uns in Paris über die Frage, ob in der ersten Phase Volksabstimmung oder Landtagsabstimmung gewählt werden sollte, lange unterhalten haben?
Jawohl.
Auch daran, daß wir alle gesagt haben: Unter allen Umständen keine Volksabstimmung, sondern einen Landtagsbeschluß, nicht, weil wir kein Vertrauen in die deutsche Gesinnung der Saarbevölkerung gehabt hätten, sondern weil wir meinten — auch Sie —: durch eine Volksabstimmung bekomme das Ganze den Charakter des Endgültigen, durch die Landtagsabstimmung bekomme das Ganze den Charakter des Provisorischen. Sie erinnern sich vielleicht noch daran, daß wir dabei mit unserem Verhalten im Parlamentarischen Rat argumentiert und auch, wissend, was wir taten, beschlossen haben, das Grundgesetz nicht einer Volksabstimmung zu unterstellen, was es als etwas Endgültiges charakterisiert hätte, sondern die Landtage darüber abstimmen zu lassen.
Herr Kollege Schmid, genau so war es. Wir haben uns sehr gewehrt dagegen und haben genau dieselben Überlegungen angestellt, auch schon, um die notwendige Frist dabei zu gewinnen. Ich gebe Ihnen recht. Mir gefällt diese Bestimmung auch nicht. Aber ich weiß nicht, ob ich an dem Vorhandensein der Volksabstimmung das gesamte westliche Verteidigungssystem scheitern lassen soll.
— Sehen Sie, Sie geben mir das Stichwort, das ich in meiner Disposition wegen schlechter Schrift nicht schnell genug gefunden habe.
Es ist eine völlige Verkennung der Tatsache, daß man sagt, die Saar sei der Preis für die westliche Verteidigung.
— Ich habe das nicht gesagt!
Ich habe gesagt, daß man es an der Volksabstimmung nicht scheitern lassen dürfe. Aber es ist nicht der Preis, den wir zu zahlen haben.
Das ist eine völlige Verkennung.
— Nun lassen Sie mich doch auch meine Sätze in vernünftiger Weise zu Ende sprechen, ohne daß ich in eine besondere Lautstärke verfallen muß, um über Sie hinwegzukommen. Das ist nicht gut bei dieser Frage.
— Nein, es ist keine Kompensation! Was wurde denn von uns durch Jahre hindurch verlangt? Verlangt wurde von der deutschen Bundesregierung, sie solle einen definitiven Verzicht auf das von den Franzosen unter Mißbrauch des Besatzungsrechtes und unter Duldung der übrigen Besatzungsmächte de facto abgetrennte Gebiet an der Saar leisten, einen definitiven Verzicht! Erst war es ein definitiver Verzicht, ganz klar und deutlich nur eine Abtrennung. Nachher wurde es etwas verzuckert und versüßt
durch die Vorstellung einer Europäisierung, um die dann lange gerungen worden ist. Der definitive Verzicht auf Volk und Gebiet an der Saar, das war das Petitum, das an uns gestellt worden ist. Und was hat die Bundesregierung erreicht? Drehen wir doch die Dinge nicht um und stellen wir sie nicht auf den Kopf! Sie hat eben nicht den Verzicht, weder provisorisch noch definitiv aussprechen müssen, sondern sie hat die entscheidende Position der zweiten Volksabstimmung und der internationalen Anerkennung erreicht, daß diese Frage eine Regelung im Friedensvertrag erhalten soll, also gerade das Gegenteil von dem, was man von ihr bisher verlangt hatte.
Wir können doch über diese Erfolge nicht einfach hinwegsehen. Ich meine, damit bekommt doch auch die Entscheidung der Kollegen — auch aus meiner Fraktion —, die sich zu einem Ja um des Ganzen
1 willen und um des Gedankens der möglichen Verständigung willen durchgerungen haben, eine andere Bedeutung. Wir entwerten ja deren Verantwortung und Entscheidung, wenn man etwa sagt, sie seien bereit gewesen, einen unsittlichen — denn das wäre es ja — Preis für das Ganze zu zahlen. Das ist nicht der Fall. Man hat etwas, was durch Jahre auf das zäheste von uns verlangt wurde, abgewehrt und hat nicht den definitiven Verzicht aussprechen müssen, den man von uns verlangt hat.
Nun kommen wir in den berühmten deutschen Zitaterich hinein.
Ich muß leider etwas widersprechen. Nach meiner Erinnerung — ich habe noch einmal versucht, die Quelle zu finden — hat, glaube ich, Talleyrand gesagt: „Ce n'est rien que le provisoire qui dure". Nun sehen Sie, das ist ein sehr großer Unterschied. Talleyrand war ein Mann, der in seinen politischen Grundkonzeptionen manche Dinge vorausgenommen hat, die auch für uns heute gültig sind. Immerhin, er hat für Frankreich — für Frankreich damals in einer auch recht verzweifelten Lage — einen sehr entscheidenden Erfolg erzielt, weil man damals in diesem beginnenden 19. Jahrhundert und ausgehenden 18. Jahrhundert — die Menschen stammten ja noch alle aus dem 18. Jahrhundert her — die Kraft hatte, einen Frieden der Verständigung zu schließen. Ich möchte gerade dieses etwas skeptische Wort von Talleyrand „Ce n'est rien que le provisoire qui dure" zum Anlaß nehmen, zu erklären: Wenn es wirklich gelingt, über dieses Provisorium hinweg eine durable Verständigung in Europa und mit Frankreich zustande zu bringen, dann werden auch diejenigen, die sich jetzt dazu durchgerungen haben — und so eine Entscheidung fällt schwer —, einmal in besonderem Maße gerechtfertigt sein. Wer wirklich die bittere oder die süße Pille geschluckt hat, das wird doch erst die Geschichte entscheiden, wenn man zum Schluß die Bilanz zieht über alles, was wir getan haben. Und den Mut müssen wir haben, den Weg zu gehen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt: Was ist verloren, wenn vorher verhandelt wird? Ich antworte darauf: Mit einer Verhandlung vor der Ratifikation, die ja von uns abgepreßt werden soll — verhandeln wollen wir ja alle; aber die Sowjetunion sagt eben: Wir verhandeln nicht mehr mit dir, wenn du ratifiziert hast —, wenn man also auf diesen Willen der Sowjetunion einginge, wird die Zusammenarbeit der westlichen Nationen und ihre Unterstützung unserer Anliegen verloren. Das wird verloren!
Zweitens besteht die Gefahr, daß mit den Verhandlungen vor der Ratifikation auch der Schutz der Vereinigten Staaten für Europa — nicht nur für uns, sondern überhaupt für Europa — aufgegeben wird und man sich auf eine Strategie der peripheren Linie einigt.
Ferner wird wiederum Zeit vertan — und im Sinne des Ostblocks gewonnen —, um den Wettlauf der Rüstungen, der zwischen den USA und dem Ostblock stattfindet, weiterlaufen zu lassen. Verloren wird, wenn man auf dieses Ansinnen eingeht, die Grundlage für die Möglichkeit einer Gesundung in Europa.
Meine Damen und Herren, die anderen Kollegen haben heute, in dieser geschichtlichen Stunde, die Zeit für ihre Fraktionen in Anspruch genommen, um ihre Standpunkte darzustellen. Ich weiß, daß, wenn man als letzter Redner spricht und eigentlich schon fast alles gesagt ist — man kann kaum noch etwas hinzufügen —, die Menschen ungeduldig werden. Aber ich halte es für meine Pflicht, auch namens meiner Fraktion alles so darzulegen, wie das notwendig ist.
Es kommt mir auf eines an — und gerade, wenn wir das sagen, sollte es in der Welt auch etwas gehört werden —: die Überwindung des Nationalismus. Es ist auch heute — und nicht nur heute, in der öffentlichen Propaganda, und es gibt keine Fraktion in diesem Hause, die sich ganz hiervon freisprechen könnte — immer zu einer gewissen Buhlschaft mit den nationalistischen Ressentiments gekommen. Irgendwie gebraucht man Formulierungen, die einmal über die Lippen kommen und etwas scharf sind und die man im Grunde genommen, im stillen doch bereut, wenn man sie gemacht hat. Keine Partei hat bisher, wenn man in die Hitze der Wahlkämpfe kommt, ganz auf Formulierungen verzichtet, die diese nationalistischen Ressentiments ansprechen sollen. Dieses Buhlen mit einem nationalistischen Ressentiment ist etwas, was überwunden werden muß. Irgendwie kreisen wir bei diesen Dingen — das ist auch heute bei der Debatte zum Ausdruck gekommen — um Wahnvorstellungen und verbauen uns den Weg nüchterner konstruktiver politischer Lösungen, für die wir dann allerdings auch vor der Wählerschaft eintreten müssen und sie überzeugen müssen. Das ist eine mühselige Arbeit.
— Nicht umgekehrt! W i r haben zu überzeugen, denn wir sind hierher geschickt worden, damit wir uns mit diesen Fragen profunditus beschäftigen und unseren Wählern sagen können, wie die Dinge liegen, und damit wir sie überzeugen und sie von Entstellungen und Irrtümern wegbringen. Das ist unsere Aufgabe. Wenn uns die Wähler das eben nicht abnehmen, dann sollen sie uns nicht wieder wählen; dann gehen wir nach Hause.
— Ja, durchaus, man muß riskieren, daß man nach Hause geschickt wird.
— Herr Mellies, sicher, das kommt auf den Mann an und was er wert ist.
Militarismus! Darunter bezeichnen wir ganz nüchtern ein solches Schwergewicht der Militärs in der Politik, daß die gesamte innen- und außenpolitische Konzeption vom Willen und den Wünschen der Militärs bestimmt wird, also ungefähr so, wie das in Moskau der Fall zu werden scheint; da ist eben echter Militarismus, nachdem die Armee zweimal
die Staatskrise gelöst hat. Wir, die wir hier in einer rechtsstaatlichen freiheitlichen Demokratie leben — Sie können gewiß sein, daß ich der soldatischen Tradition, aus der meine Vorfahren herkommen, alle Achtung und Ehrerbietung zolle —, haben doch gesehen, daß eine Außen- und Innenpolitik, die nur von militärischen Bedürfnissen, militärischem Denken durchtränkt ist, die also militaristisch ist, zu schweren Fehlentscheidungen führt. Fragen Sie einen Berufssoldaten, der durch die Generalstabsschule gegangen ist, der also wirklich etwas gelernt hat, der auch an der Front war, ob der einen Militarismus und einen militaristischen Staat bejaht oder dazu nein sagt! Im Gegenteil, das stört im Grunde genommen die Sauberkeit und Reinheit der Arbeit, der schlichten bescheidenen Arbeit, die letzten Endes in einer Armee, in einem soldatischen Beruf geleistet werden muß.
Aber wenn man schon gegen Militarismus und Nationalismus zu Felde zieht, dann gilt das auch für die Überwindung des Klassenegoismus und all der Formen, die damit verbunden sind.
Wir haben heute über das Wesen des Plebiszits diskutiert. Es ist ein Unterschied, Herr Kollege Ollenhauer — wenn ich mir das erlauben darf zu sagen —, ob Sie die Meinung des Volkes testen, so wie die wissenschaftlichen Meinungsforschungsinstitute das machen, oder ob man gewissermaßen Teilplebiszite in den Formen, wie sie bei Ihrer Volksbefragung vorgenommen worden sind, durchführt. Sie haben sich selbst von dem Begriff des Plebiszits als verfassungsrechtlichen Instituts abgesetzt, weil Sie darin durchaus ein totalitäres Element der Verfassung sehen. Aus Plebisziten haben sich bisher die totalitären Systeme entwickelt.
— Die Schweiz können Sie nicht anführen, weil die Referenden dort in ganz kleinen überschaubaren, oft nur wenige tausend Menschen umfassenden Staatsgebilden durchgeführt werden; von einer Massendemokratie in der Schweiz können Sie nicht reden.
Nun, ich möchte mich bei der Frage nicht zu lange aufhalten. Es wurde angeführt, es sei doch auch von uns im Saarstatut ein Plebiszit vorgesehen worden, warum wir uns also dann so gegen dieses Plebiszit aussprächen. Das ist etwas ganz anderes. Wir haben in Art. 29 des Grundgesetzes auch ein Plebiszit vorgesehen. Plebiszite sind nämlich immer geübt worden, wenn es sich um eine Gebietszugehörigkeit handelt. Das ist etwas ganz anderes als eine manipulierte Frage, die ich dem Wähler durch die Technik der Meinungsbildung, durch die Art der Fragestellung aufdrücken kann.
Meine Damen und Herren, der Kollege Schmid hat sehr scharfe Formulierungen hinsichtlich der Souveränität gefunden. Ich stimme übrigens mit seiner Theorie der Treuhandschaft der Souveränität, die von uns auch immer vertreten worden ist, vollkommen überein. Wir sind uns darüber einig: das ist ein Verhältnis nach innen. Aber nach außen gibt es keinen rechtlichen Qualitätsunterschied hinsichtlich des Vermögens, sich durch Verträge verpflichten und binden zu können. Nach innen ist es eine Selbstbeschränkung. So fassen wir die Treuhandschaft auf.
Aber Herr Kollege Schmid, Sie haben da auch eine dieser etwas vergifteten Formeln, wenn ich so sagen darf, benutzt. Sie haben von den Freigelassenen gesprochen. Kaum daß das Wort Freigelassene als Qualifikation für die Aufhebung des Besatzungsregimes kam, tauchte bei mir auch die Vorstellung der Klientel auf,
denn die Freigelassenen waren ja auch in der Klientel und dem Patronat unter einem Mächtigen. Herr Kollege Schmid, solche Bemerkungen sind, wie soll ich mich ausdrücken, literarisch ja ganz amüsant; aber politisch sind sie gefährlich.
Glauben Sie denn wirklich, daß ein altes Volk wie die Deutschen mit einer über tausendjährigen Geschichte, wenn wir wieder zur Ausübung unserer eigenständigen, nur in uns ruhenden Souveränität kommen, indem wir uns durch eine mühevolle Diplomatie allmählich aus den Fesseln der Sieger herausgelöst haben, daß eine solche alte Nation mit ihrer geschichtlichen Würde damit in den Stand der Freigelassenen und der Klientel zurückzusinken vermag?
— Bitte.
Sollte von Ihnen der Unterschied nicht verstanden worden sein zwischen den Befugnissen der Regierung der Bundesrepublik, dem Stand der Bundesrepublik als Staat und der genuinen Souveränität des deutschen Volkes, von der ich ausdrücklich gesprochen habe, die uns niemand geben kann, die uns niemand zu geben braucht? Genau so wörtlich habe ich es gesagt.
Aber dagegen, Herr Professor Schmid, habe ich ja gar nicht polemisiert.
Ich habe gegen Ihren Ausdruck der Freigelassenen polemisiert, daß das ein Vorgang wäre wie eine Freilassung. Und zum Schluß haben Sie der Nation sozusagen zugerufen, daß das Joch der Fremdherrschaft auf ihr weiter liegenbliebe. Darauf wollte ich eigentlich gar nicht eingehen, weil man solche Dinge nicht wieder ausgraben soll. Aber tatsächlich war dieses Bild des Jochs, das von uns weiter getragen wird, Gegenstand Ihrer Ausführungen. Ist das das richtige Bild hinsichtlich eines Vertrages mit dreien der Mächte, die über uns Gewalt haben, die ich niemals als Oberherren anerkennen kann? Ich trete dafür ein und wir alle, die wir hier sitzen: ein altes Volk wie die Deutschen, auch wenn es besiegt wird, auch dann, wenn es Prokonsuln bestellt bekommt, wir bleiben Herren unseres Geschicks auch in Ketten.
— Ja, Sie finden das heute lächerlich, was einmal einer unserer größten Dichter in einer Zeit gesagt hat, als es genau so um die deutsche Nation bestellt war?
— Ja, nun, weil ich es sage, schön, schön. Aber wir wollen jetzt nicht ins Persönliche kommen.
Wenn ich als den Kern Ihrer Ausführungen, um auch hier um der Gerechtigkeit willen etwas zu sagen, das nehmen soll, daß Sie es als eine Pflicht ansehen, wie wir sie alle empfinden, daß niemals eine Außenpolitik, überhaupt eine politische Meinung der inneren Abhängigkeit, des Sich-Gewöhnens an ein Abhängigkeitsgefühl betrieben werden soll, dann, Herr Schmid, stimmen wir alle darin überein, soweit wir etwas auf uns halten. Aber, wie gesagt, das ist die Gefahr dieses Wortes, das in den Raum gestellt worden ist.
Ich möchte Ihre Zeit nicht mehr übermäßig in Anspruch nehmen. Nur eins sei gesagt: Diese Ohnemich-Gefühle, Sie können sich von der Verantwortung nicht frei machen, daß Sie auch diese Ressentiments und Strömungen ausgenutzt haben und auf sich zukommen lassen. Wenn in Hamburg, als die Vorsitzenden unserer Parteien sprachen, die Plakate überklebt worden sind etwa mit der Beschriftung „Wie bringen wir die deutsche Jugend ins Massengrab?", um damit das Thema der Kundgebung auszulöschen,
dann ist dies doch wirklich etwas, was man noch nicht einmal mit dem Wort „Demagogie" kennzeichnen kann; das reicht noch nicht aus. Das ist ein ganz böses Ausnützen von Strömungen aus dem Untergrund, wie sie aus der besiegten Situation unseres Volkes heraufkommen.
Das dürfen Sie nicht verantworten. Denn sehen wir es doch einmal richtig. Was ist dieses Ohne-mich der Verbitterten und der Verneinenden denn anderes als der egoistische Wunsch, daß man seine Ruhe haben will, was menschlich höchst verständlich ist, und was man dann entweder mit einem nationalen oder mit einem pazifistischen oder mit einem anderen moralischen Mäntelchen zu umhängen bestrebt ist?
— Natürlich! Glauben Sie, daß irgendeiner hier auf den Bänken der Regierungskoalition sitzt, der diesen Geistlichen und Gelehrten, diesen Männern, die sich mit Ihnen in der Paulskirche verbunden hatten, seine Achtung versagen würde, sie etwa diffamieren würde? Diese Menschen haben das in ihrer Verantwortung getan. Aber es berührt uns sehr schmerzlich, und wir möchten uns dem Ausspruch des Propstes Asmussen anschließen, der etwas sehr Richtiges festgestellt hat: Soll denn eigentlich gewissermaßen nur für die Neinsager gebetet werden? Hilft uns denn keiner mit seinem Zuspruch in dem, was wir zu verantworten haben?
Ein Punkt, der auch einmal erwähnt werden soll!
Was heißt in diesem mitteleuropäischen Raum praktischer Pazifismus? Er ist doch gar nicht möglich. Wir können doch die Philosophie und die Lehre ostasiatischer Völker, etwa in der Form, wie ein Gandhi seinen Befreiungskampf in Indien geführt
I hat, nicht auf unseren Raum übertragen. Pazifismus heißt doch Inaktivität, und Inaktivität einem Lande, dessen innerste Kulturgrundlage Aktivität ist, aufzwingen zu wollen, bedeutet Verzicht auf jeden Lebensstandard, bedeutet eben ein Hinvegetieren.
Ich möchte hier zum Abschluß sagen: Es ist nur eine scheinbar aussichtlose Lage für Verhandlungen über die Wiedervereinigung.
Die uns bisher von der Sowjetunion gestellten Bedingungen, auf der Grundlage der Note vom März 1952 zu verhandeln, können wir nicht akzeptieren. Wir können auch nicht unter der Erpressung der Wehrlosigkeit in wirklich sinnvolle Verhandlungen eintreten. Die Sowjetunion hat ihre Zone bewaffnet und sie praktisch bereits jetzt integriert. Allerdings, ich gebe der Sozialdemokratie zu: Etwas droht, was zu verhindern wir auch die Westmächte aufrufen müssen. Es könnte durch einen solchen formellen Integrationsvertrag mit Moskau gewissermaßen eine Lebensversicherung für die Pankower Regierung abgeschlossen werden. Das ist eines der Risiken, die wir eingehen. Aber alles das kann uns doch nicht dazu bringen, die unannehmbaren, für die Freiheit und den Frieden unannehmbaren Bedingungen der Note von 1952 zu akzeptieren.
Es ist der Bundesregierung vorgeworfen worden — und ich spreche nicht für die Regierung, sondern für meine Fraktion, die die Verantwortung für diese Regierung mitträgt —, sie habe nicht die notwendige Aktivität gezeigt. Meine Damen und Herren, ich erinnere hier an die Note der Bundesregierung vom 8. Juli 1953 an die Westmächte zur Herbeiführung einer Viererkonferenz mit dem Ergebnis, daß diese Konferenz in Berlin schließlich zusammengetreten ist, die Note, in der erstens die Konferenz gefordert wird, zweitens die Grundlagen, die später zum Eden-Plan geführt haben, als Konferenzthema für die Lösung der deutschen Frage angeboten werden und drittens bereits der Weg angedeutet wird, der künftig gegangen werden muß, und gesagt wird, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft der Ausgangspunkt für ein Sicherheitssystem sein soll, das letzthin die Entspannung zwischen Ost und West bringt. Bisher sind wirklich praktikable Ideen für eine aktive, konkrete Wiedervereinigungspolitik außer denen, die hier in dieser Note formuliert worden sind, noch nicht hervorgebracht worden. Ich habe jedenfalls keine gesehen.
— Das nennen Sie „billiger Jakob"? Ich glaube, man muß diese Dinge auch etwas verständlich zu machen suchen; denn was an Argumenten vorgetragen worden ist, hat allmählich einen solchen Irrgarten der Gedanken geschaffen, daß, wenn man sie dann destilliert, wirklich nur außerordentlich wenig übrig bleibt.
Meine Fraktion tritt dafür ein, daß diese Verhandlungen geführt werden sobald ein Verhandlungsergebnis möglich ist. Aber dazu ist notwendig, wie der Bundeskanzler gestern bereits zum Ausdruck gebracht hat, die Mitwirkung des freien Teiles Deutschlands, jenes System der Entspannung zwischen Rußland und Amerika, zustande zu brin-
gen. Meine Damen und Herren, das ist es, was wir wollen. Wir wollen ein Recht wirklicher Mitsprache bei der Lösung der großen Weltfrage, die uns letzthin auch als Nation am meisten interessiert, der Entspannung zwischen Ost und West. Dazu brauchen wir die Souveränität, die uns diese Verträge gewähren. Dazu brauchen wir auch die Unterstützung der Westmächte, was bedingt, daß wir uns ihrem Verteidigungssystem anschließen. Dazu müssen wir uns nun entscheiden. Wir nehmen klar und deutlich die Entscheidung auf uns und denken dabei auch an einen Satz, der, wenn ich recht unterrichtet bin, in der Divina Commedia von Dante steht: Der heißeste Platz in der Hölle ist für diejenigen vorbehalten, die in einer Gewissensfrage neutral geblieben sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Standpunkt meiner Fraktion zur Saarfrage noch einmal ganz kurz in dieser dritten Lesung darzulegen. Es kann sich natürlich in der jetzigen Stunde nur um wenige grundsätzliche Bemerkungen handeln. Die Abstimmung, die wir gestern vorgenommen haben, und auch die heutige Debatte haben ergeben, daß es in dieser Frage in allen Fraktionen der Koalition Meinungsverschiedenheiten gibt; auch Herr von Merkatz hat gerade noch darauf hingewiesen. Aber ich glaube, daß es doch wohl kaum Widerspruch finden wird, wenn ich sage, daß keiner die Zustimmung zum Saarstatut leichten Herzens gibt und daß wir alle uns darüber einig sind, daß dem deutschen Volk mit diesem Abkommen ein großes Opfer auferlegt wird. Wenn sich gestern eine Mehrheit, darunter auch ein Teil meiner Parteifreunde, zu einem Ja entschlossen hat trotz dieser schweren Bedenken, so aus der Besorgnis heraus, daß ein Nein das Gesamtwerk der Verträge zum Scheitern bringen und damit den Zusammenschluß der freien westlichen Welt gefährden würde.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Privatgespräche einzuschränken oder in die Wandelhalle zu verlegen. — Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Das ist in Wahrheit auch eine entscheidende Frage. Wir sind der Überzeugung, daß in dem gegenwärtigen Zeitpunkt der Abschluß eines Saarabkommens nicht gerechtfertigt war. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt: „Die Wirtschaft" — er meinte: die Mißwirtschaft — „an der Saar muß aufhören, und ich könnte es nicht als erträglich ansehen, daß die Bevölkerung auch nur noch ein Jahr warten müßte." Ich bin sicher und ich weiß, daß auch für meine politischen Freunde, die ja gesagt haben, der Gedanke, so schnell wie möglich freie Zustände an der Saar zu schaffen, für ihre Entscheidung mit maßgeblich gewesen ist.
Für die Frage des Zeitpunktes aber sollte in erster Linie die Bevölkerung an der Saar zuständig sein. Wir wissen doch alle, daß alle beachtlichen Stimmen, die wir von der Saar gehört haben, eine andere Auffassung vertreten, daß sie die Unterzeichnung des Statuts im Augenblick nicht haben wollen. Mir ist jedenfalls von maßgeblichen Vertretern der verbotenen Parteien gesagt worden: Die Zustände sind unerquicklich, sie sind aber bei weitem nicht so schlimm, wie in der sowjetisch besetzten Zone; die Zeit arbeitet für uns, und wir sollten ruhig noch warten.
Diese Gesichtspunkte können nicht unbeachtlich sein. Ich muß es überhaupt beanstanden, daß bei dieser ganzen Diskussion die Frage, was denn die Saarbevölkerung zu dem Abkommen sagt, zu kurz geraten zu sein scheint. Wir würden ja auch nicht damit einverstanden sein, wenn andere über unsere Heimat befänden, ohne daß unserer Stimme dabei das erforderliche Gewicht zugemessen würde.
Wir sind der Meinung, daß, wenn in Paris nicht unterschrieben worden wäre, und selbst wenn der Herr Bundeskanzler ohne die Verträge nach Hause gekommen wäre, inzwischen längst andere Lösungen gefunden worden wären. Die Alternativen, deren Möglichkeit so oft abgestritten wurde, haben sich ja immer wieder schnell eingefunden. Nach unserer Überzeugung ist es nicht so, daß ein Nein zum Saarstatut endgültig das Zustandekommen der Verträge und den Zusammenschluß der freien Welt verhindern würde. Er würde vielleicht dadurch verzögert, aber nicht endgültig ausgeschlossen werden. Meine Damen und Herren, ich kann für diese meine Behauptung genau so wenig einen exakten Beweis erbringen wie irgendein anderer für das Gegenteil.
Deshalb müssen wir schon diese Frage nach unserem besten Wissen und Gewissen entscheiden. Wenn es aber wahr ist, daß der Weg, den wir gestern schon gegangen sind und den wir heute beenden wollen, der einzige ist, der zur Rettung Europas führt, dann können wir doch unmöglich annehmen, daß die westlichen Völker ihren Selbsterhaltungstrieb verleugnen und wegen der Ablehnung des Saarstatuts, deren Berechtigung kaum in Zweifel gezogen werden kann, diesen Zusammenschluß der westlichen Welt aufgeben würden.
Meine Damen und Herren, wir haben in diesen Tagen wiederholt zu hören bekommen: Wir haben doch den Krieg verloren, und das ist eine Hypothek, die aus dem Kriege her auf uns lastet. Ja, wenn man die Saar oder das Saarabkommen als Kriegstribut haben will, dann soll man das auch sagen und die Dinge so bezeichnen!
Man soll aber diese Forderung nicht mit einem europäischen Mäntelchen tarnen und soll uns in diesem Zusammenhang nicht predigen, wir sollten das nationalstaatliche Denken überwinden. Ist es nicht ein Unding, daß man uns dieses Verlangen stellt, gerade um — nun, ich möchte sagen, nicht nur nationalstaatliche, sondern nationalistische Ansprüche Frankreichs zu befriedigen? Also so, glaube ich, geht es nicht, und auf diesem Wege werden wir auch nicht zu einer echten Befriedung mit Frankreich kommen.
Meine Damen und Herren, man kann eine Kriegsentschädigung nicht mit deutschen Menschen und deutschem Lande leisten. Das lehnen wir unter allen Umständen ab. Der Herr Bundeskanzler hat es neulich als so unmöglich hingestellt, daß wir etwa an Frankreich finanzielle oder wirtschaftliche Entschädigungen gäben. Dabei findet sich doch gerade im Verhältnis dieser beiden Völker ein klassisches Beispiel dafür, daß das besiegte Volk finanzielle
Leistungen an das andere erbringt. Man denke an die 5 Milliarden von 1871; und ich brauche nur das Wörtchen „Elsaß" zu nennen, um Ihnen klarzumachen, wie richtig es gewesen wäre und wieviel besser wir alle gefahren wären, wenn man sich damals auf finanzielle Kriegsentschädigungen beschränkt hätte. Dann würden die Beziehungen zwischen den beiden Völkern heute ganz andere sein, als sie es sind.
Meine Damen und Herren! Wir sagen nein zum Saarstatut und würden es sagen, auch wenn es nur um die Saar ginge.
Aber jeder Zweifel, der da etwa noch auftauchen kann, muß doch ausscheiden, wenn -man an die Rückwirkung auf die deutschen Vertreibungsgebiete zu sprechen kommt.
Wer will ernsthaft das politische Präjudiz leugnen?
— Ja, das halte ich für möglich. Wer das tut, der behauptet also, daß die DDR, die Tschechen und die Polen sich niemals zur Rechtfertigung ihres sogenannten Friedensabkommens auf den Saarvertrag berufen werden.
Meine Damen und Herren, das werden sie tun!
— Ich werde auf den Unterschied noch kommen.
Meine Damen und Herren, auch das rechtliche Präjudiz ist nicht ernsthaft in Abrede zu stellen. Was geschieht denn durch das Saarabkommen? Es ij geschieht, daß ein Teil Deutschlands, die Bundesrepublik, über einen anderen Teil Deutschlands, das Saargebiet, mit einer fremden Macht Vereinbarungen trifft. Was geschah in Warschau und in Prag? Es passierte dort, daß die Deutsche Demokratische Republik, ein Teil Deutschlands, über einen anderen Teil Deutschlands, nämlich über die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, auch mit einer fremden Macht oder mit fremden Mächten ein Abkommen traf. Und der Unterschied, der darin liegt, daß dort gesagt wurde: „Wir schaffen ein Definitivum", und hier ein getarntes Definitivum — oder, wenn man auch davon absehen will: ein Provisorium — geschaffen wurde, ist nur ein quantitativer Unterschied.
In Wahrheit liegt in beiden Fällen vor, daß deutsches Gebiet der deutschen Gewalt entzogen wird.
Die völlige Parallele ist nicht bestreitbar.
—Warum darf ich das nicht sagen, Herr Rinke? Ich habe in dieser Frage meine Haltung nie geändert.
Es ist vorgestern von der Bundesrepublik als dem „Sachwalter Gesamtdeutschlands" gesprochen worden. Meine Damen und Herren, der Begriff „Sachwalter" kommt meines Wissens in den Verträgen nicht vor. Was dort bestimmt ist, könnte man wohl eher mit den Worten „Fürsprecher" oder „Sprecher für die Bundesrepublik" bezeichnen.
Aber wenn man die Bezeichnung „Sachwalter" nun schon einmal gelten lassen will - was hat denn ein Sachwalter zu tun, oder was hat er für Rechte? Herr Professor Carlo Schmid hat gestern hier die Antwort gegeben. Ein Treuhänder — das ist dasselbe — hat die Rechte seiner Schutzbefohlenen wahrzunehmen, aber er ist nicht befugt, sie preiszugeben.
— Jawohl, Herr Schütz, es ist eine Minderung deutschen Rechts!
Ein Treuhänder hat in keinem Falle mehr Recht als sein Auftraggeber, das steht völlig außer Zweifel. Ebenso steht außer Zweifel, daß die drei westlichen Mächte die Staatsgewalt in Gesamtdeutschland nicht allein haben. Das ist in den Verträgen ausdrücklich anerkannt, und es sind auch dementsprechende Vorbehalte gemacht worden. Die drei Westmächte können deshalb, abgesehen davon, daß sie es auch gar nicht getan haben, der Bundesrepublik gar nicht das Recht übertragen, für Gesamtdeutschland zu handeln, weil sie selber dieses Recht gar nicht haben. Das mag zur rechtlichen Seite genügen. Daß das Abkommen verfassungswidrig ist, ist von dieser Stelle aus schon genügend klargelegt worden.
Meine Damen und Herren, wenn das Präjudiz bestritten worden ist, so hat sich das im allgemeinen nur auf die negative Seite des Präjudizes bezogen. Man hat sehr häufig herausgestellt, daß sich das Saarabkommen für die Regelung der deutschen Ostfrage günstig auswirken kann,
und zuletzt ist noch vorgestern von den Herren Kollegen Schütz und Friedensburg etwas Derartiges gesagt worden.
— Herr Kraft kann ja auch einmal irren; er ist ja nicht unfehlbar.
Sie wissen j a, daß ich hier nicht die Meinung der ganzen Fraktion vortrage, sondern nur die der Mehrheit, die sich für ein Nein zum Saarstatut ausgesprochen hat. Meines Wissens hat Herr Kraft das aber gerade nicht gesagt; das möchte ich feststellen. Da irren Sie sich. Ich habe das nicht aus dem Munde von Herrn Kraft gehört oder etwa gelesen, daß er etwas Derartiges vertreten hat. Aber der Herr Bundeskanzler hat das getan. Der Herr Bundeskanzler hat in Bayreuth und in München anläßlich des Wahlkampfes erklärt, wir könnten Gott auf den Knien danken, wenn wir für die Ostgebiete ein solches Statut erreichen könnten wie für die Saar.
— Das stimmt nicht, Herr Ehren. Sie können doch nicht glauben, daß ich eine solche Behauptung aufstelle, ohne auch eine Begründung dafür zu geben. Lassen Sie mir doch bitte die Zeit dazu!
Diese Berufungen stellen meiner Meinung nach einen sehr ernsten Tatbestand dar, mit dem man
sich auch sehr ernst auseinandersetzen muß. Muß nicht jedermann erkennen, daß, wenn es gilt, den Wert oder den Unwert eines Vertrags zu beurteilen, das nicht dadurch geschehen kann, daß man zum Vergleich einen Gegenstand oder einen Tatbestand heranzieht, bei dem die Verhältnisse ganz anders liegen als bei dem Objekt, um das es sich eigentlich handelt?
Ich habe schon gesagt, daß die Verhältnisse an der Saar zwar unerquicklich, aber lange nicht so schlimm sind wie in der sowjetisch besetzten Zone, geschweige denn wie z. B. in meiner engeren Heimat, in Königsberg und dem nördlichen Gebiet von Ostpreußen. Diese Tatbestände lassen sich einfach nicht miteinander vergleichen. Muß ich wirklich Argumente dafür beibringen, daß ein Vertrag zwar einen geradezu sensationellen Erfolg für Königsberg oder Ostpreußen bedeuten kann, aber doch eine politische Niederlage für das Saargebiet? Also so geht das nicht. Aber nun kommt noch hinzu, daß das Saarstatut auch nicht einmal für Ostpreußen annehmbar wäre. Ich habe gestern oder vorgestern Herrn Kollegen Schütz schon die Frage vorgelegt, ob sichergestellt ist, daß die Ausgewiesenen an der Saar ihr Stimmrecht ausüben können. Er hat mir geantwortet, das sei nicht sichergestellt, bisher jedenfalls nicht. Wie kann man dann die Parallele zu den Vertreibungsgebieten ziehen?
— Verzeihung, Herr Schütz, Sie sind doch jahrelang Vorsitzender der Union der Ausgewiesenen gewesen!
Weshalb beanstanden Sie nun auf einmal, daß ich statt „Vertriebene" „Ausgewiesene" sage?
Aber entscheidend ist doch folgendes: Gestern haben 204 Abgeordnete gegen das Saarstatut gestimmt, obwohl unser Vertragspartner eine westliche Macht ist, und zwar Frankreich. Wie würde diese Abstimmung ausgefallen sein, wenn der Vertragspartner Moskaus wäre?! Würde dann auch nur ein einziger hier in diesem Hause sich dazu bereitgefunden haben, uns zuzumuten, auf Grund eines Statuts, wie es das Saarstatut ist, uns unter die Botmäßigkeit oder die Oberhoheit der Sowjetunion zu begeben?
— Verzeihung, ich weise ja nur diesen unangebrachten Vergleich zurück. Man kann diese Dinge nicht miteinander vergleichen.
Herr Bundeskanzler, das deutsche Recht auf Schlesien oder Ostpreußen und andere Vertreibungsgebiete ist nicht schlechter als unser Recht auf die Saar. Wir wissen allerdings, wie fern wir bei der gegebenen Weltlage einer Realisierung unseres Anspruchs sind. Aber muß man nicht gerade deshalb um so stärker an diesem Recht festhalten
und sich peinlich hüten, es selbst irgendwie in Zweifel zu ziehen? Wir wissen, daß Kompromisse das Endergebnis von Verhandlungen sein können und manchmal auch sein müssen. Aber ist es wirklich sinnvoll, in einem Zeitpunkt, wo noch niemand weiß, ob und wann es zu Verhandlungen kommt, schon Vorschläge oder Äußerungen zu machen, die
doch den Gegner erkennen lassen, daß man gar nicht mehr damit rechnet, jemals das volle Recht durchsetzen zu können, wenn man das innerlich auch denken mag?
— Das tut man dann, wenn man sagt, wir müßten Gott auf den Knien danken, wenn wir das Saarstatut für den Osten bekämen.
Wir haben unsere Heimat in voller Freiheit bewohnt und nicht auf Grund eines Statuts, wie es das Europäische Statut darstellt.
— Herr Rinke, ich würde es für zweckmäßig halten, wenn Sie weniger Zwischenrufe machten. Sie kommen ins Protokoll, vergessen Sie das nicht!
Mit der bevorstehenden Abstimmung wird diese Diskussion leider nicht zu Ende sein. Herr von Merkatz hat Befürchtungen in dieser Richtung schon ausgesprochen, und ich fürchte, wie ich schon sagte, daß es zu einer echten Befriedung zwischen Frankreich und uns nicht kommt, sondern daß hier ein neuer Zankapfel in die Welt gesetzt wird. Nachdem wir den unglückseligen Flaggenstreit der Weimarer Zeit überwunden haben, wollen wir alle hoffen, daß es nicht in dieser Frage zu einer neuen Entzündung der Spannungen kommt.
Ich bin damit am Schluß meiner Ausführungen. Ich möchte die „Göttliche Komödie" oder andere Werke nicht bemühen, obwohl ich dieses Zitat von Herrn von Merkatz •eigentlich sehr zutreffend fand.
Ich habe nur die eine herzliche Bitte, daß alle, die gestern ja gesagt haben, sich noch einmal ernsthaft die Frage vorlegen, ob man dieses Ja aufrechterhalten kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sei gestattet, die Zeit doch noch für eine kurze Erklärung in Anspruch zu nehmen. Der Kollege Dr. Dehler hat, wenn auch aus Sorge um die deutsche Saar, hier eine Charakterisierung der Saarbevölkerung gegeben, die nicht unwidersprochen bleiben kann und die ich hier, zugleich im Namen meiner mir landsmannschaftlich besonders verbundenen politischen Freunde, ausdrücklich zurückweisen möchte. Ich glaube dabei in Anspruch nehmen zu dürfen, auch für die große Masse meiner Landsleute von der Saar zu sprechen, die sich hier nicht wehren können.
Mit Anspielungen auf wirtschaftliche und steuerliche Vorteile, Lastenausgleichsbefreiung, mit Worten wie „Honigsaugen aus zwei Blüten", mit Unterstreichung der Vorteile und des Prestiges im autonomen kleinen Ländchen ist in völliger Verkennung ihrer geschichtlichen Vergangenheit und ihrer tatsächlichen Lage der Bevölkerung Unzuverlässigkeit und Opportunismus vorgeworfen worden.
Wer die politischen Schicksale und ihre Wirkungen auf die seelische Situation der Saarbevölkerung kennt, kann diese Beurteilung nur so auffassen, daß zu dem Schaden und zu den Nöten der Bevölkerung nun auch noch die moralische Disqualifizierung kommt. Diese zurückzuweisen, ist mir persönlichstes Anliegen und zugleich Verpflichtung gegenüber meinen Landsleuten an der Saar.
Auf Grund persönlichster Kenntnis der Vergangenheit, der gegenwärtigen Verhältnisse und der menschlichen Eigenarten meiner Landsleute habe ich und haben meine politischen Freunde volles Zutrauen zu der ,deutschen Haltung der Saarbevölkerung.
Sie wird, dessen sind wir sicher, ihr Deutschtum, sobald die politischen Freiheiten wiederhergestellt sind, deutlichmachen und in der politischen Entscheidung unter Beweis stellen.
Allen aber, die sich auch hier im Hause um die Lösung der Saarfrage bemühen, gleichgültig wie wir über die Wege dazu im einzelnen denken, sei folgendes gesagt: Wir werden die Saarfrage nicht lösen können, wenn wir den auf lange Sicht entscheidenden Faktor, nämlich die Saarbevölkerung, ihre menschlichen und nationalen Qualitäten, so verfehlt einschätzen, wie es hier geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten D r. D e h l er veranlassen mich, auch im Namen meiner politischen Freunde eine kurze Erklärung abzugeben. Ich glaube, daß eine Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Dehler im Augenblick noch nicht möglich ist. Ich kann wohl damit rechnen, daß sich zunächst die Fraktion der Freien Demokratischen Partei zu diesen Ausführungen äußert, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß Herr Dr. Dehler vier Jahre lang die politischen Entscheidungen als Mitglied des Kabinetts und später als Vorsitzender einer Koalitionsfraktion mit getragen hat. Ich begnüge mich mit diesen Feststellungen und mit einer eindeutigen und scharfen Zurückweisung der Maßlosigkeiten und der objektiven Unrichtigkeiten und Entstellungen, die in dieser Rede enthalten waren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, so geht es nicht.
Wir haben das als Methode schon häufiger in diesem Hause erlebt, daß man sagte: Sie haben unrecht, ich bin empört über Sie und verlasse das Haus, oder: Ich sage nichts weiter.
Man kann gegen mich den Vorwurf der Unrichtigkeiten, der falschen Darstellungen nicht erheben. Ich habe meine Feststellungen nach bestem Wissen
und Gewissen getroffen.
Das Maß, meine Damen und Herren, nun, das ist eine Gabe Gottes, das ich mit Leidenschaft —
Wenn ich auf meine parlamentarische Tätigkeit zurückblicke — mein bayrischer Freund Michel Horlacher hat mich oft erlebt —, so ,brauche ich mich nicht zu schämen, daß ich Dinge mit Leidenschaft und mit Erregung gesagt habe; meistens waren sie dann wichtig.
Damit ist die Rednerliste erschöpft. Ich schließe die allgemeine Aussprache der dritten Beratung.
Einzelberatung findet nur insoweit statt, als zu einem der Gesetzentwürfe Änderungsanträge vorliegen. Das ist nicht der Fall bei dem Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 1000.
Ich komme zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf. — Das Wort zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, bei jedem Gesetz namentlich abzustimmen, ebenso bei dem Änderungsantrag Umdruck 298 zu Art. 4 des Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag.
Das Hohe Haus hat den Antrag gehört. Er ist ausreichend unterstützt. Diese Abstimmungen finden infolgedessen in namentlicher Abstimmung statt.
Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. Wir stimmen jetzt ab über den Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 1000.
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Ich schließe die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der ersten namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 475; mit Ja haben gestimmt 324 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 151. Berliner Abgeordnete: 20 abgegebene Stimmen; mit Ja 10, mit Nein 10. Ich stelle fest, daß der Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland angenommen ist.
Zu dieser Vorlage liegt auf Umdruck 296**) ein Entschließungsantrag vor. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen mit allen anderen Stimmen angenommen.
Ich rufe auf den Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3947. **) Siehe Anlagen 2 und 6.
Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 1060. Änderungsanträge sind nicht gestellt. Wir kommen daher zur Schlußabstimmung. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Ich schließe die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der zweiten. namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 474; mit Ja haben gestimmt 321 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 153. Von den Berliner Abgeordneten haben 19 abgestimmt; mit Ja haben 10, mit Nein haben 9 Abgeordnete gestimmt. Ich stelle fest, daß der Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland angenommen ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag, Drucksache 1061. Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD — Umdruck 298 **) — zu Art. 4 vor. Auch dafür ist namentliche Abstimmung beantragt. Ehe wir in die Abstimmung eintreten, frage ich, ob das Wort zu dem Antrag gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 298. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Ich schließe die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der dritten namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck 298, bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 470; mit Ja haben gestimmt 166, mit Nein haben gestimmt 301 Abgeordnete, enthalten haben sich 3. Berliner Abgeordnete: 20 abgegebene Stimmen, 10 ja, 10 nein.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Gesetz betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Ich schließe die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der vierten namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 473. Mit Ja haben gestimmt 314 Abgeordnete, mit Nein 157 Abgeordnete bei 2 Enthaltungen. Berliner Abgeordnete: 20 abgegebene Stimmen, davon 10 mit Ja und 10 mit Nein.
Ich stelle fest, daß der Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag gemäß dem Ausschußantrag angenommen worden ist.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3947. **) Siehe Anlage 4.
Zu dem Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar — Drucksache 1062 — liegen Änderungsanträge nicht vor. Wir kommen daher sofort zur Schlußabstimmung. Ich bitte die Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Ich schließe 'die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung Nr. 5 bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 474. Mit Ja haben gestimmt 263, mit Nein haben gestimmt 202 Abgeordnete; enthalten haben sich 9. Abgegebene Stimmen der Berliner Abgeordneten 20. Mit Ja haben gestimmt 5; mit Nein haben gestimmt 13; enthalten haben sich 2. Ich stelle fest, daß der Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar angenommen ist.
Zu dieser Vorlage liegen noch zwei Entschließungsanträge, Umdrucke 297 und 299, vor, Wünscht jemand zu Umdruck 297 **) das Wort zu nehmen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Weber (Koblenz).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Auseinandersetzungen um die Regelungen, die dem Hohen Hause zur Billigung vorlagen, hat das Abkommen über das Statut an der Saar sowohl uns selbst hier im Saale wie auch die weite Öffentlichkeit draußen besonders erregt und zum Teil geradezu leidenschaftliche Diskussionen hervorgerufen. Das ist begreiflich. Die Saar war schon einmal gewaltsam vom deutschen Mutterlande vorübergehend abgetrennt und kehrte dann nach einem überwältigenden Bekenntnis zu Deutschland dorthin zurück. Nach dem zweiten Weltkriege wurde sie trotzdem wieder durch die Besatzungsmacht abgetrennt, was um so schmerzlicher war, als jetzt noch weitere 103 urdeutsche Gemeinden in das sogenannte Saargebiet einbezogen wurden und der Bevölkerung -das Recht genommen wurde, sich frei und ungehindert politisch zu organisieren und zu betätigen.
Nun handelt es sich um die uns alle zutiefst bewegende Frage, ob dieser mit Gewalt geschaffene Zustand weiter bestehen und gar für alle Zeiten anerkannt werden soll — also im Ergebnis: endgültige Ausgliederung — oder ob für eine gewisse Zeit die Trennung und Unterstellung unter europäische Treuhandschaft noch hingenommen werden muß, dabei aber einmal der Weg zur Rückkehr freigemacht und offengehalten wird und zum andern jetzt schon den Bewohnern dieses Gebietes die Rechte ungehinderter politischer Betätigung gewährt werden und erhalten bleiben, ,also: provisorischer Charakter der Regelung und Herstellung der politischen Freiheiten.
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß das Statut diese zweite Lösung erreicht hat. Ich verhehle nicht, daß eine Reihe meiner Freunde und auch ich dem Abkommen lange Zeit mit starken Vorbehalten gegenübergestanden haben. Das hat
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3947. **) Siehe Anlage 3.
uns aber nicht gehindert, das Abkommen genau zu überpüfen und uns dabei auch die Frage vorzulegen, was an der Saar geschehen würde, wenn das Abkommen abgelehnt würde. Bei der eingehenden und gewissenhaften Prüfung bin ich mit meinen Freunden im Rechtsausschuß zu der Überzeugung gelangt, daß die von der Bundesregierung vertretene Auffassung mit dem Wortlaut des Abkommens nicht im Widerspruch steht.
In Frankreich und vor allem an der Saar selbst wurden unter Berufung auf das Statut aber auch andere Auffassungen vertreten. Die derzeitigen Machthaber an der Saar gehen sogar so weit, daß sie versuchen, aus dem Statut die politische und territoriale Selbständigkeit der Saar zu begründen und sie zu verewigen, jedes Eintreten für eine deutsche Endlösung gar für „verbrecherisch" zu erklären und die freie politische Meinungsäußerung weiter zu unterdrücken. Diese Auffassungen sind mit dem Inhalt und dem Geiste des Statuts unvereinbar.
Es erscheint uns deshalb geboten, unsere Auffassung zu diesen entscheidenden Fragen des Provisoriums und der politischen Freiheiten, die, wie ich hoffe, die gemeinsame Überzeugung des ganzen Hauses ist, kundzutun. Ich lege deshalb den Entschließungsantrag Umdruck 297 [neu] vor. Ich darf dabei bemerken, daß die darin niedergelegte Auffassung bereits die Grundlage und Rechtfertigung für •die Stellungnahme einer Anzahl meiner Freunde in der zweiten und dritten Lesung gewesen ist. Der Umdruck 297 [neu] ist gegenüber dem ursprünglichen Umdruck 297 lediglich in der Einleitung geändert. Die Änderung soll denen, die gegen das Abkommen selbst gestimmt haben, ermöglichen, der Entschließung zuzustimmen, indem der jetzige Wortlaut von einer Bezugnahme auf die Abstimmung selbst absieht. Namens der antragstellenden Fraktionen bitte ich Sie, dem Antrag Umdruck 297 [neu] zuzustimmen.
Ich darf nun noch kurz auf den ebenfalls aufgerufenen Umdruck 299 eingehen, der in Abschnitt A dieselben Probleme anspricht, die in dem Umdruck 297 angesprochen sind. Allerdings geht der Umdruck 297 insoweit weiter, als er auch noch eine Ziffer 3 enthält, die die Bestimmungen der Europäischen Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Saargebiet gemäß den Prinzipien des Statuts für verbindlich erklärt und deren Anwendung sicherstellen will.
Ich bin der Meinung, daß der Antrag Umdruck 299 *) Abschnitt A Ziffern 1 und 2 an sich im wesentlichen dem Antrag Umdruck 297 [neu] Ziffern 1 und 2 gleich ist. Man sollte eigentlich nicht darüber streiten, über welchen Antrag zuerst abgestimmt werden soll. Nach meiner Auffassung geht der Antrag Umdruck 297 [neu] weiter, weil er noch auf die Bestimmungen der Europäischen Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und deren Sicherstellung im Saargebiet hinweist. Daß etwa der Antrag Umdruck 299 weitergehe, kann, so meine ich, nicht darauf gegründet werden, daß er auch noch weitere Probleme anspreche;
vielmehr wird in einem besonderen Abschnitt A das eine Problem, das in dem Umdruck 297 allein behandelt ist, getrennt angesprochen.
*) Siehe Anlage 5.
Ich bitte Sie deshalb, da wir den Antrag Umdruck 299 insgesamt nicht annehmen können, zunächst über den Antrag Umdruck 297 [neu] abzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß wir uns zum Schluß der dritten Lesung mit Entschließungsanträgen befassen müssen. Hätte das Abkommen in den Hauptpunkten, die uns interessieren, einen klaren Text, dann brauchten wir weder diese Entschließungsanträge noch hätten wir gestern unsere Zusatzanträge zum Ratifikationsgesetz gebraucht.
Diese Zusatzanträge zum Ratifikationsgesetz hätten diejenigen gestern annehmen müssen, die der Meinung sind, daß dieses Statut die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland und die demokratischen Freiheiten nicht gewährleistet.
Nun stehen wir vor der Situation, daß unsere Zusätze zum Ratifikationsgesetz verworfen worden sind. Wir sind gleichwohl der Meinung, daß es für bestimmte politische Situationen einen gewissen, nicht großen, aber doch einen gewissen Wert haben kann, eine solche Entschließung anzunehmen. Es ist richtig, was Herr Kollege Weber sagte, daß der Abschnitt A unseres Antrags mit den Ziffern 1 und 2 des Entschließungsantrags der Koalitionsparteien inhaltsgleich ist; dagegen geht unser Antrag weiter: er enthält in den Abschnitten B und C Festlegungen des Bundestags und der Bundesregierung auf ein bestimmtes politisches Verhalten. Unser Punkt A und Ihre Ziffern 1, 2 und 3 sind Deklamationen, sind Ausdruck unseres Wunsches, daß es so laufen möge. Aber in unseren Abschnitten B und C wird vorgeschlagen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, nämlich — in B — eine Frist nicht als beginnend anzusehen, wenn gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Dabei wird die Bundesregierung mitzureden haben. Da steckt politisch etwas drin.
Ebenso steckt politisch etwas in dem Abschnitt C, der folgenden Wortlaut hat:
Die Bundesregierung kann Wirtschaftshilfe nach diesem Abkommen nur einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Saarregierung gewähren.
Hier haben wir etwas in der Hand, wenn wir das beschließen und wenn wir uns darüber einig sind. Die Interpretationen unseres Abschnitts A und Ihrer Ziffern 1, 2 und 3 sind wenig inhaltsreich, aber in unseren Abschnitten B und C stecken politische Möglichkeiten. Deshalb ist unser Antrag der weitergehende, und ich bitte, ihn der Abstimmung zugrunde zu legen und dabei die Abschnitte A, B und C getrennt zur Abstimmung zu stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mocker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschließungen Umdruck 297 [neu] und Umdruck 299 mit Ausnahme von Abschnitt C enthalten lediglich einseitige Erklärungen des Deutschen Bundestags ohne rechtsgestaltende Wirkung. Sie haben nur deklamatorischen Charakter und sind sohin ohne tatsächlichen und
rechtlichen Einfluß auf das Saarstatut. Sie tragen aber die Gefahr in sich, über die durch das Saarstatut gegebene wahre Rechts- und Sachlage in der deutschen Öffentlichkeit Irrtümer aufkommen zu lassen. Eine Reihe meiner Freunde und ich sind daher der Meinung, daß eine Zustimmung nicht richtig wäre.
Wir werden aber auch nicht mit Nein stimmen. Dadurch wollen wir zum Ausdruck bringen, daß wir mit Wortlaut und Zielsetzungen der Entschließungen einverstanden sind, wenn damit ein für beide Vertragspartner des Saarstatuts bindendes Ergebnis erreicht werden könnte. Eine Reihe meiner politischen Freunde und ich werden uns deshalb der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Koalitionsfraktionen Umdruck 297 deckt sich im wesentlichen mit Abschnitt A des Umdrucks 299 der Sozialdemokratischen Fraktion. In Abschnitt B sind eine Reihe von Punkten enthalten, denen wir sachlich an sich zustimmen würden. Wir halten aber nicht alle Punkte in dieser Entschließung für tragbar und bitten deshalb, die Abschnitte B und C abzulehnen.
Herr Abgeordneter Erler hat das Wort.
Damit der Fraktion der ChristlichDemokratischen Union Gelegenheit gegeben wird, diejenigen Punkte aus Abschnitt B zu bezeichnen, denen sie zuzustimmen gedenkt, beantrage ich, bei Abschnitt B nummernweise abzustimmen.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Ich entscheide wie folgt. Ich lasse abstimmen über beide Anträge, und zwar zunächst über den Antrag Umdruck 297 [neu] und dann über den Antrag Umdruck 299, dabei den Abschnitt B dem Antrag des Abgeordneten Erler folgend nummernweise.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 297 [neu] *). Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 299. Ich rufe zunächst auf den Abschnitt A.
— Abschnitt A ist erledigt.
Abschnitt B!
— Herr Abgeordneter Erler, hatten Sie sich zur Abstimmung gemeldet? — Entschuldigung, — Herr Abgeordneter Professor Schmid!
Herr Präsident! Ich bin nicht der Meinung, daß die Abstimmung über den Umdruck 297 [neu] den Abschnitt A auf Umdruck 299 erledigt hätte. Manches in den beiden Anträgen deckt sich, aber es deckt sich nicht alles.
*) Siehe Anlage 3. Wenn sich Anträge nicht Wort für Wort decken, muß über beide Anträge abgestimmt werden.
Abgeordneter Kiesinger hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um einige Verwirrung, die vielleicht entstehen könnte, zu klären: Der von den drei Fraktionen der Regierungskoalition eingebrachte Antrag hat den Problemkomplex, um den es sich hier handelt, sorgfältig zu berücksichtigen versucht. Das, was in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion in den Abschnitten B und C enthalten ist, wird zum Teil auch von uns gebilligt. Aber unsere Überlegungen haben uns zu der Formulierung des von uns' eingereichten Antrags geführt. Aus diesem Grunde werden wir die einzelnen Abschnitte des Antrags der SPD ablehnen.
Meine Damen und Herren, nachdem eine Einmütigkeit darüber nicht besteht, ob der Abschnitt A des Antrags Umdruck 299 in der Sache identisch ist mit dem Antrag Umdruck 297 [neu], lasse ich auch über ihn abstimmen.
Ich rufe also zur Abstimmung auf den Abschnitt A des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 299 *). Wer diesem Abschnitt A zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Ich muß die Abstimmung wiederholen lassen.
— Einen Augenblick Ruhe, meine Damen und Herren. Im Vorstand besteht keine Einmütigkeit darüber, welches die Mehrheit war. Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer dem Abschnitt A des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD Umdruck 299 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe!
— Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Wir kommen zur Auszählung. Ich bitte, den Saal zu verlassen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen. —
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen.
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Über den Abschnitt A des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD — Umdruck 299 — ist wie folgt abgestimmt worden. Mit Ja haben gestimmt 189 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben 237 Mitglieder des Hauses gestimmt;
enthalten haben sich 28. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Abschnitt B. Es ist Abstimmung nach den einzelnen Ziffern
*) Siehe Anlage 5.
beantragt. Ich rufe deshalb zunächst auf: Entschließungsantrag Umdruck 299 Abschnitt B Ziffer 1. Wer dieser Ziffer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 2 auf. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Mit gleicher Mehrheit abgelehnt.
Ziffer 3! Wer Ziffer 3 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Mit gleicher Mehrheit abgelehnt.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie uns hier zu Ende kommen!
Ich rufe auf Ziffer 4. Wer der Ziffer 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Mit gleicher Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 5 auf. Wer Ziffer 5 zustimmen will, den bitte ich um um ein Handzeichen. — Das letzte war die Mehrheit; Ziffer 5 ist abgelehnt.
Ich rufe auf Ziffer 6. Wer Ziffer 6 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Meine Damen und Herren, ich bitte, Ruhe zu behalten.
Meine Damen und Herren — —
— Meine Damen und Herren, diese Reaktion ist des Parlamentes nicht würdig!
Ich stelle fest, daß Ziffer 6 mit derselben Mehrheit abgelehnt ist.
Ich rufe Ziffer 7 auf. Wer der Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Das letzte war die Mehrheit; die Ziffer 7 ist abgelehnt.
Ich rufe den Abschnitt C des Umdrucks 299 auf. Wer diesem Abschnitt C zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; Abschnitt C ist abgelehnt. Damit ist der Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 299 abgelehnt.
Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Kiesinger das Wort.
-- Meine Damen und Herren, behalten Sie Platz und behalten Sie Ruhe! — Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Wenn Ihnen daran liegt, daß es sich hier um eine gemeinsame Sache handelt,
dann hören Sie sich noch einmal an,
was wir zu dieser Abstimmung zu sagen haben.
Meine Damen und Herren, ich muß ernstlich an Sie appellieren, nunmehr die Ruhe wieder zu finden. Es hat doch keinen Sinn, wenn wir uns bis morgen vormittag damit aufhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Ich habe eben in einer privaten Unterhaltung mit einem sozialdemokratischen Kollegen — —
— Ja, wollen Sie nun die Terrormethoden ins Parlament verlegen?
Ich habe eben in einer privaten Unterhaltung sozialdemokratischen Kollegen erklärt, warum wir zunächst den Teil A abgelehnt hatten. Der Teil A war inhaltlich übereinstimmend mit dem von uns vorher angenommenen Antrag.
Man hätte sich überlegen können, ob man dein Teil A des sozialdemokratischen Antrags dennoch zustimmt. Er ist nur abgelehnt worden, weil wir der Auffassung sind, daß er sich durch die Annahme unseres Antrags erledigt hatte.
— Schreien Sie doch nicht so, meine Herren; es ist kein gutes Zeichen für Ihre demokratische Gesinnung
und für Ihre Sache.
Ich erkläre hiermit noch einmal, daß diese Abstimmung nur bedeutet, daß wir die Angelegenheit durch die Annahme unseres Antrags für erledigt betrachteten.
— Wenn. es Sie, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, freut, dann kann ich auch sagen: wir haben trotz formeller Ablehnung des Antrags zu Teil A ihm sachlich gleichwohl zugestimmt.
— Nun, Sie hören es nicht gern, aber es ist so.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter.
Wer hat den Zwischenruf gemacht: „Das ist gelogen"?
— Herr Kollege Gleisner, ich rufe Sie zur Ordnung!
Wie können Sie, Herr Gleisner, einen solchen Zwischenruf machen!
Nachdem unser Antrag vorher angenommen wurde,
bedeutet doch diese Ablehnung nur etwas Formales.
Nun zum Teil B und C. Ich habe vor der Abstimmung erklärt, daß wir mit vielen Punkten, die darin enthalten sind, einig sind,
daß wir aber mit den Formulierungen zu den Punkten und innerhalb der einzelnen Punkte nicht durchweg einverstanden sein können. Wir haben den Problemkomplex in unseren Beratungen zu berücksichtigen versucht
und gaben daher unserer Formulierung den Vorzug. Die Ablehnung Ihres Antrags zu Teil B und C bedeutet also nicht eine Ablehnung jedes darin enthaltenen Punktes.
— Ihnen gefällt es eben nicht, wenn man nicht alles, was Sie uns präsentieren, buchstabengetreu akzeptiert!
Ich hatte vorher noch versucht, die sozialdemokratischen Kollegen dazu zu bestimmen, die Teile B und C zu nochmaliger ruhiger Überprüfung an den Ausschuß zu geben. Das ist mir abgelehnt worden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl wir der Meinung waren, daß unser Antrag der weitergehende war und deshalb der Abstimmung zugrunde gelegt werden mußte, haben wir loyal akzeptiert, was der Präsident entschieden hat; es wurde zuerst über Ihren Antrag abgestimmt, und wir haben ihm zugestimmt. Sie haben uns das dadurch gedankt, daß Sie alles, was wir vorschlugen, jetzt abgelehnt haben, obschon Sie selbst erklären, daß es nicht im Widerspruch stehe zu dem, was Sie mit Ihrem Antrag wollen. Dadurch, meine Damen und Herren, wurde jetzt diese bedauerliche Szene hervorgerufen, durch Ihr Verhalten, nicht durch das unsere.
Zweitens, meine Damen und Herren: Sie stellen die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in den letzten Tagen in ein sehr eigenartiges Licht.
Er hat nämlich erklärt, daß an der Saar freie Wahlen stattfinden würden und daß er sich mit dem damaligen Ministerpräsidenten darüber einig war, daß alle Beschränkungen der Freiheiten im Saargebiet aufgehoben werden würden. Sie nicken, Herr Bundeskanzler; Sie wiederholen also, obschon erstens heute oder gestern vom französischen Außenministerium erklärt wurde, was ich hier schon aus der Begründung der französischen Regierung zitiert habe, daß nämlich nach der Volksabstimmung freie Propaganda für die Parteien keineswegs möglich sei, sie sei dann vielmehr illegal — dazu haben Sie sich nicht geäußert hier —,
und obschon zweitens Sie hier kneifen, wenn es darum geht, Konsequenzen zu ziehen. Sie haben auch den Abschnitt C abgelehnt, worin es heißt:
Die Bundesregierung kann Wirtschaftshilfe
nach diesem Abkommen nur einer aus freien
Wahlen hervorgegangenen Saarregierung ge-
währen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie zu Ihrer Erklärung stehen, dann wird es im Saargebiet freie Wahlen geben — nach Ihrer Auffassung —; dann wird die Wirtschaftshilfe auf jeden Fall — nach Ihrer Auffassung — einer frei gewählten Saarregierung gegeben. Dann sehe ich gar nicht, warum Sie sich gegen diese Entschließung, gegen diesen Abschnitt C, wenden können.
Wenn Sie sich doch dagegen wenden, setzen Sie sich dem Verdacht aus, daß Sie selbst nicht daran glauben, daß es im Saargebiet freie Wahlen gibt
und daß Sie die Wirtschaftshilfe einer unfrei gewählten Saarregierung geben wollen. Darum geht es doch! Dazu aber, Herr Kiesinger, brauchen wir auch keine Ausschußberatungen mehr. Das sind sehr klare Dinge, auch die, die in dem Abschnitt B unserer Entschließung enthalten sind.
Wenn es darum geht, erst alle politischen Ausweisungen aufzuheben, ehe dort an der Saar überhaupt etwas nach dem Statut geschehen kann, dann sollten wir doch alle zusammenhalten, um so mehr, als sogar einige unserer Kollegen davon betroffen sind.
Meine Damen und Herren von der CDU, alles, was Sie gestern und vorgestern über die Freiheiten gesagt haben, die dieses Statut bringe, wird durch ihr eigenes Verhalten bei diesen Entschließungen wieder dementiert, von Ihnen selbst wieder dementiert!
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktionskollegen haben mich beauftragt, dem Hause mitzuteilen, daß unsere Zustimmung zum Abkommen über die Saar unter dem Vorbehalt und unter der Bedingung erfolgt, daß die Ratifikationsurkunden zu diesem Abkom-
men erst zu einem Zeitpunkt hinterlegt wird, in dem die Verwirklichung des gesamten Vertragswerkes sichergestellt ist. Meine Fraktion hat in dieser Hinsicht die notwendigen Zusagen bekommen. Wir haben von einem Antrag abgesehen, weil diese Regelung eigentlich selbstverständlich ist und der selbstverständlichen Klugheit entspricht.
Der Zweck ist klar: Wir wollen verhindern — das ist sicherlich auch gemeinsame Meinung in diesem Hause —, daß etwa dieses Abkommen isoliert in der Welt stehenbleibt für den unwahrscheinlichen Fall, den ich gar nicht in Rechnung stelle, auch bei großem Pessimismus nicht in Rechnung stelle, daß auch dieses Vertragswerk wiederum scheitert. Wir sind absolut optimistischer Auffassung. Aber ich habe die Aufgabe, diese Ansicht meiner Fraktion der Deutlichkeit halber noch vor dem Hause darzulegen, damit Sie wissen, in welchem Sinne wir abgestimmt haben.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Dr. Atzenroth: : Meine Damen und Herren! Um Mißverständnissen vorzubeugen, erkläre ich, daß meine Fraktion bei der Abstimmung über den Umdruck 299 sowohl dem Teil A als auch allen Ziffern in Teil B zugestimmt hat, weil der Inhalt unserer Überzeugung entspricht.
Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste, die 73. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 17. März, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.