Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich weiche dieser Frage nicht aus, ich gehe jetzt nicht deshalb darüber hinweg, weil ich sie
nicht beantworten könnte; aber ich habe das Kapitel Volksbefragung verlassen und möchte in der Darstellung meiner Argumente weiterkommen; schließlich kostet es auch Ihre Zeit und nicht nur meine.
Ich möchte also jetzt die Frage der Volksbefragung verlassen und möchte unsere Stellung zum Verhältnis von freier demokratischer Betätigung draußen und dem Recht des Parlaments abschließen.
Ich möchte nun zu der Frage etwas sagen, die uns heute hier — wie ich hoffe — in der Sache so außerordentlich stark beschäftigt. Denn ich meine, eine dritte Lesung ist nicht nur ein Nachtusch, sondern sie hat auch wohl eine echte politische Bedeutung für jeden, der hier durch seine Abstimmung eine Entscheidung fällt. Unsere Meinung ist, daß wir mit der Ratifizierung der Pariser Verträge einen sehr schwerwiegenden und einen sehr folgenschweren Entschluß fassen. Wir haben in der zweiten Lesung unsere Gründe gegen die Verträge ausführlich dargelegt, und ich will mit keinem Wort wiederholen, was bei dieser Gelegenheit gesagt wurde, weil es mir nicht nötig erscheint. Ich will nur eine Bemerkung machen, einfach weil ein neues Moment in die Debatte gekommen ist, seitdem sie hier geführt wurde.
Sie erinnern sich alle an die Auseinandersetzung über die Frage der demokratischen Grundrechte und der staatsbürgerlichen Freiheiten an der Saar. Der Herr Bundeskanzler hat hier mit Nachdruck die Meinung vertreten, daß nach seinen Besprechungen mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Mendès-France kein Zweifel darüber bestehen könne, daß nach der Abstimmung über das Statut und nach seiner Annahme jede politische Freiheit, staatsbürgerliche Freiheit gesichert sei, selbstverständlich auch die freie Diskussion über die Ablösung des Saarstatuts im Friedensvertrag durch eine andere Lösung, etwa der Rückkehr zu Deutschland. Heute lesen wir in der Presse die amtliche französische Auffassung, daß nach der Annahme des Saarstatuts dieses Statut selbstverständlich nicht in Frage gestellt werden dürfe,
daß damit auch eine Diskussion über die Endlösung nicht statthaft sei.
Meine Damen und Herren, ich bringe das hier auf, weil sich dabei folgendes herausstellt. Was immer der Ausgang dieser Meinungsverschiedenheiten sein wird, der Hinweis, daß an der Saar die Konvention über die Menschenrechte gelten und damit eine Sicherheit gegeben würde, ist bei der Aufrechterhaltung dieser französischen Auffassung nicht mehr wirksam,
denn die Grundrechte können nach dieser Konvention nur im Rahmen der Verfassung des Landes untersucht und ausgeübt werden. Und hier ist die ganz große Gefahr — ich beschränke mich auf diese Feststellung —, daß das Wahrheit wird, was wir unentwegt befürchtet haben, daß wir vielleicht eine relativ freie Entscheidung über die Annahme des Statuts haben werden, weil das Risiko dieser Entscheidung für die andere Seite gleich Null ist, aber daß keine Garantie besteht, daß die demokratischen Freiheiten an der Saar nach der
Annahme des Statuts tatsächlich gesichert sind oder sogar gesichert werden könnten. Das ist das Entscheidende.
Ich wollte diesen Punkt hier lediglich aufbringen, weil er durch die französische Stellungnahme neu zur Diskussion gekommen ist.
Nun, meine Damen und Herren, zu der Frage unserer Stellung zu den Verträgen oder, besser gesagt, unserer Auffassung über die Position der Vertragspolitik der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen in der gegenwärtigen internationalen Situation. Gestatten Sie mir, daß ich auch da zunächst einige Dinge ausräume, die in der Diskussion eine viel zu große Rolle gespielt haben, weil sie überhaupt nicht Gegenstand einer Kontroverse zwischen der Mehrheit und der Opposition zu sein brauchten. Zum Beispiel: es ist völlig uninteressant, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, daß jede mögliche Lösung der Wiedervereinigung Deutschlands nach unseren gemeinsamen Vorstellungen auf der Basis der Freiheit und der Demokratie erfolgen soll. Lassen wir doch endlich all die Behauptungen, man wolle die Volksdemokratie für das ganze Deutschland, aus dem Spiel! Sie sind auch hier wieder vorgebracht worden, und wir sollten das wirklich unterlassen.
Zweitens: Es ist kein Gegenstand der Diskussion, jedenfalls nicht auf unserer Seite, daß wir das Recht und die Notwendigkeit der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie auch mit militärischen Mitteln anerkennen.
Ich verweise noch einmal, wie mein Freund Erler es getan hat, auf unseren Parteitagsbeschluß in Berlin.
Drittens: Wir lehnen das innere System der Sowjetunion und der Volksdemokratien und die politischen Vorstellungen des Kommunismus über die Welteroberung ab,
ohne jede Einschränkung, meine Damen und Herren. Ich freue mich, daß Sie Beifall klatschen; ich bin erstaunt darüber. Ich spreche nur eine Selbstverständlichkeit aus.
— Bitte, „na, na!", das ist nun allerhand, mein Herr. Das ist nämlich gerade das, was ich endlich aus dieser Diskussion herausbringen möchte.
„Na, na"? — Meine Damen und Herren, da gibt es nun wirklich genügend Beweise in der Haltung der Sozialdemokratie,
daß wir hier unsere Linie völlig einwandfrei verfolgt haben. Und ich wünschte, alle Menschen in der Bundesrepublik wären sich immer bewußt, welche große staatspolitische und europäische Leistung die Sozialdemokratie und die organisierte Arbeiterschaft nach 1945 mit ihrem Kampf gegen den Kommunismus vollbracht haben.
Sehen Sie doch die Ruhr an. Wir streiten darüber, ob diese oder jene Stadt — das war ein Argument, ich weiß nicht, von wem Ihrer Herren Redner
diesmal sozialdemokratische oder CDU-Abgeordnete hat. Das mag wichtig sein; es ist schließlich unser Interesse, daß w i r die Städte haben und nicht Sie, das ist klar. Aber meine Damen und Herren, der überragende Faktor ist, daß es an der Ruhr keine kommunistische Massenbewegung mehr gibt,
und das ist doch ein entscheidender Faktor.
— Ich habe Ihren Anteil überhaupt nicht bestritten, mein lieber Kollege. Ich will hier nur endlich diese infame Unterstellung herausgebracht haben,
als seien wir mit unserer Forderung nach einer
anderen außenpolitischen Linie irgendeine Hilfstruppe des Kommunismus oder des Bolschewismus.
In dieser Frage verstehen wir keinen Spaß.
Außerdem, meine Damen und Herren: Ich sage Ihnen, Sie werden, wenn Sie Ihre Politik fortsetzen, sehr bald vor das Problem des Verhältnisses zwischen dem Westen und der Sowjetunion in einer viel ernsteren und dramatischeren Weise gestellt werden, als wenn Sie unseren Weg gingen.
Was ist denn hier, meine Damen und Herren? Bitte, das ist die Meinungsverschiedenheit, und ich bin der Auffassung, die muß hier ausgesprochen und ausdiskutiert werden.
Es ist doch von uns keine Sturheit, daß wir an dieser Sache mit dieser Leidenschaft und Hartnäckigkeit festhalten, genau wie ich annehme, daß der Bundeskanzler es auch nicht nur aus Halsstarrigkeit macht, wenn er für seine Verträge kämpft.
Die Frage ist doch, wie wir nicht nur das Verhältnis deutsches Volk und Osten und Westen regeln; die Frage ist doch, was wir alle In der Welt des Westens tun können, um zu erreichen, daß die in der Politik der Sowjetunion zweifellos liegenden Gefahren gebannt werden
und daß die — ich möchte sagen — Freiheiten der Völker gegen mögliche Aggressionen und gegen eine Ausweitung des totalitären Machtbereichs aus dem Osten geschützt werden. Das ist die Frage der westlichen Welt, so wie wir alle hier leben. Und, meine Damen und Herren, da ist klar: Es scheiden zwei Möglichkeiten aus; niemand von uns, so nehme ich an, will sie. Wir können dns Problem nicht lösen mit einem Kreuzzug gegen den Bolschewismus.
Wir müssen die Realität Sowjetunion anerkennen.
Zweitens: Wir können und wollen nicht die Politik der Befreiung der unterdrückten Völker durch einen Krieg verfolgen.
Nun kommt die Frage: Was ist dann möglich? Und sehen Sie, meine Damen und Herren, hier ist ein Element in der internationalen Politik seit 1952, das nach meiner Meinung in der Politik der Pariser Verträge nicht in genügender Weise berücksichtigt wird.
Ich meine folgendes. Es hat eine Periode der amerikanischen Politik gegeben, M der die Idee der Befreiung und auch die Idee des Kreuzzugs eine gewisse Rolle gespielt haben. Diese Periode ist offensichtlich zu Ende, und, meine Damen und Herren, an einem sehr bemerkenswerten Punkt. Sie wissen alle, daß die Berliner Konferenz gescheitert ist in der Deutschlandfrage. Aber .diese Berliner Konferenz hat Konsequenzen gehabt, nämlich: Die Genfer Konferenz über Indochina war eine Folge der Vereinbarungen von Berlin. Bitte, das Kompromiß von Genf über Indochina ist eine sehr ernste Sache. Aber, meine Damen und Herren, was ist denn der Hintergrund dieses Kompromisses gewesen, das unter sehr schweren Auseinandersetzungen zustande gekommen ist? Die Entscheidung des Präsidenten Eisenhower, dm entscheidenden Augenblick die Zustimmung zum Einsatz amerikanischer Flugzeuge in den Indochina-Konflikt zu verweigern, weil ihm die Entspannung wichtiger war als das Risiko eines Weltbrandes dort unten! Erster Punkt!
Wir haben jetzt eine nicht minder dramatische Station in bezug auf die Auseinandersetzung um Formosa. Es steht uns nicht zu, die amerikanische Außenpolitik in bezug auf Tschiangkaischek zu kritisieren. Aber, meine Damen und Herren, daß jetzt die amerikanische Politik in dieser Weise gegen Tschiangkaischek interveniert, um die Gefahren ,auch an diesem Punkt der Welt abzubauen, ist eine außerordentlich bedeutsame Tatsache.
Das heißt, unter Schwierigkeiten, unter sehr großen Komplikationen — wie es nun einmal in dieser Auseinandersetzung ist — !gibt es eine gewisse Tendenz — ich sage: Tendenz, nicht mehr —, eine Politik !der Entspannung durchzuführen.
Und nun <die Frage, die vor uns steht 'und die wir hier zu sehen haben, weil sie uns unmittelbar angeht, meine Damen und Herren: Wenn das im Fernen Osten die heutige, als richtig anerkannte amerikanische Außenpolitik ist, warum nicht die gleiche Initiative in bezug auf Europa durch einen Versuch der Lösung des schwersten Problems, nämlich der Spaltung Deutschlands?