Das ist in Wahrheit auch eine entscheidende Frage. Wir sind der Überzeugung, daß in dem gegenwärtigen Zeitpunkt der Abschluß eines Saarabkommens nicht gerechtfertigt war. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt: „Die Wirtschaft" — er meinte: die Mißwirtschaft — „an der Saar muß aufhören, und ich könnte es nicht als erträglich ansehen, daß die Bevölkerung auch nur noch ein Jahr warten müßte." Ich bin sicher und ich weiß, daß auch für meine politischen Freunde, die ja gesagt haben, der Gedanke, so schnell wie möglich freie Zustände an der Saar zu schaffen, für ihre Entscheidung mit maßgeblich gewesen ist.
Für die Frage des Zeitpunktes aber sollte in erster Linie die Bevölkerung an der Saar zuständig sein. Wir wissen doch alle, daß alle beachtlichen Stimmen, die wir von der Saar gehört haben, eine andere Auffassung vertreten, daß sie die Unterzeichnung des Statuts im Augenblick nicht haben wollen. Mir ist jedenfalls von maßgeblichen Vertretern der verbotenen Parteien gesagt worden: Die Zustände sind unerquicklich, sie sind aber bei weitem nicht so schlimm, wie in der sowjetisch besetzten Zone; die Zeit arbeitet für uns, und wir sollten ruhig noch warten.
Diese Gesichtspunkte können nicht unbeachtlich sein. Ich muß es überhaupt beanstanden, daß bei dieser ganzen Diskussion die Frage, was denn die Saarbevölkerung zu dem Abkommen sagt, zu kurz geraten zu sein scheint. Wir würden ja auch nicht damit einverstanden sein, wenn andere über unsere Heimat befänden, ohne daß unserer Stimme dabei das erforderliche Gewicht zugemessen würde.
Wir sind der Meinung, daß, wenn in Paris nicht unterschrieben worden wäre, und selbst wenn der Herr Bundeskanzler ohne die Verträge nach Hause gekommen wäre, inzwischen längst andere Lösungen gefunden worden wären. Die Alternativen, deren Möglichkeit so oft abgestritten wurde, haben sich ja immer wieder schnell eingefunden. Nach unserer Überzeugung ist es nicht so, daß ein Nein zum Saarstatut endgültig das Zustandekommen der Verträge und den Zusammenschluß der freien Welt verhindern würde. Er würde vielleicht dadurch verzögert, aber nicht endgültig ausgeschlossen werden. Meine Damen und Herren, ich kann für diese meine Behauptung genau so wenig einen exakten Beweis erbringen wie irgendein anderer für das Gegenteil.
Deshalb müssen wir schon diese Frage nach unserem besten Wissen und Gewissen entscheiden. Wenn es aber wahr ist, daß der Weg, den wir gestern schon gegangen sind und den wir heute beenden wollen, der einzige ist, der zur Rettung Europas führt, dann können wir doch unmöglich annehmen, daß die westlichen Völker ihren Selbsterhaltungstrieb verleugnen und wegen der Ablehnung des Saarstatuts, deren Berechtigung kaum in Zweifel gezogen werden kann, diesen Zusammenschluß der westlichen Welt aufgeben würden.
Meine Damen und Herren, wir haben in diesen Tagen wiederholt zu hören bekommen: Wir haben doch den Krieg verloren, und das ist eine Hypothek, die aus dem Kriege her auf uns lastet. Ja, wenn man die Saar oder das Saarabkommen als Kriegstribut haben will, dann soll man das auch sagen und die Dinge so bezeichnen!
Man soll aber diese Forderung nicht mit einem europäischen Mäntelchen tarnen und soll uns in diesem Zusammenhang nicht predigen, wir sollten das nationalstaatliche Denken überwinden. Ist es nicht ein Unding, daß man uns dieses Verlangen stellt, gerade um — nun, ich möchte sagen, nicht nur nationalstaatliche, sondern nationalistische Ansprüche Frankreichs zu befriedigen? Also so, glaube ich, geht es nicht, und auf diesem Wege werden wir auch nicht zu einer echten Befriedung mit Frankreich kommen.
Meine Damen und Herren, man kann eine Kriegsentschädigung nicht mit deutschen Menschen und deutschem Lande leisten. Das lehnen wir unter allen Umständen ab. Der Herr Bundeskanzler hat es neulich als so unmöglich hingestellt, daß wir etwa an Frankreich finanzielle oder wirtschaftliche Entschädigungen gäben. Dabei findet sich doch gerade im Verhältnis dieser beiden Völker ein klassisches Beispiel dafür, daß das besiegte Volk finanzielle
Leistungen an das andere erbringt. Man denke an die 5 Milliarden von 1871; und ich brauche nur das Wörtchen „Elsaß" zu nennen, um Ihnen klarzumachen, wie richtig es gewesen wäre und wieviel besser wir alle gefahren wären, wenn man sich damals auf finanzielle Kriegsentschädigungen beschränkt hätte. Dann würden die Beziehungen zwischen den beiden Völkern heute ganz andere sein, als sie es sind.
Meine Damen und Herren! Wir sagen nein zum Saarstatut und würden es sagen, auch wenn es nur um die Saar ginge.
Aber jeder Zweifel, der da etwa noch auftauchen kann, muß doch ausscheiden, wenn -man an die Rückwirkung auf die deutschen Vertreibungsgebiete zu sprechen kommt.
Wer will ernsthaft das politische Präjudiz leugnen?
— Ja, das halte ich für möglich. Wer das tut, der behauptet also, daß die DDR, die Tschechen und die Polen sich niemals zur Rechtfertigung ihres sogenannten Friedensabkommens auf den Saarvertrag berufen werden.
Meine Damen und Herren, das werden sie tun!
— Ich werde auf den Unterschied noch kommen.
Meine Damen und Herren, auch das rechtliche Präjudiz ist nicht ernsthaft in Abrede zu stellen. Was geschieht denn durch das Saarabkommen? Es ij geschieht, daß ein Teil Deutschlands, die Bundesrepublik, über einen anderen Teil Deutschlands, das Saargebiet, mit einer fremden Macht Vereinbarungen trifft. Was geschah in Warschau und in Prag? Es passierte dort, daß die Deutsche Demokratische Republik, ein Teil Deutschlands, über einen anderen Teil Deutschlands, nämlich über die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, auch mit einer fremden Macht oder mit fremden Mächten ein Abkommen traf. Und der Unterschied, der darin liegt, daß dort gesagt wurde: „Wir schaffen ein Definitivum", und hier ein getarntes Definitivum — oder, wenn man auch davon absehen will: ein Provisorium — geschaffen wurde, ist nur ein quantitativer Unterschied.
In Wahrheit liegt in beiden Fällen vor, daß deutsches Gebiet der deutschen Gewalt entzogen wird.
Die völlige Parallele ist nicht bestreitbar.
—Warum darf ich das nicht sagen, Herr Rinke? Ich habe in dieser Frage meine Haltung nie geändert.
Es ist vorgestern von der Bundesrepublik als dem „Sachwalter Gesamtdeutschlands" gesprochen worden. Meine Damen und Herren, der Begriff „Sachwalter" kommt meines Wissens in den Verträgen nicht vor. Was dort bestimmt ist, könnte man wohl eher mit den Worten „Fürsprecher" oder „Sprecher für die Bundesrepublik" bezeichnen.
Aber wenn man die Bezeichnung „Sachwalter" nun schon einmal gelten lassen will - was hat denn ein Sachwalter zu tun, oder was hat er für Rechte? Herr Professor Carlo Schmid hat gestern hier die Antwort gegeben. Ein Treuhänder — das ist dasselbe — hat die Rechte seiner Schutzbefohlenen wahrzunehmen, aber er ist nicht befugt, sie preiszugeben.
— Jawohl, Herr Schütz, es ist eine Minderung deutschen Rechts!
Ein Treuhänder hat in keinem Falle mehr Recht als sein Auftraggeber, das steht völlig außer Zweifel. Ebenso steht außer Zweifel, daß die drei westlichen Mächte die Staatsgewalt in Gesamtdeutschland nicht allein haben. Das ist in den Verträgen ausdrücklich anerkannt, und es sind auch dementsprechende Vorbehalte gemacht worden. Die drei Westmächte können deshalb, abgesehen davon, daß sie es auch gar nicht getan haben, der Bundesrepublik gar nicht das Recht übertragen, für Gesamtdeutschland zu handeln, weil sie selber dieses Recht gar nicht haben. Das mag zur rechtlichen Seite genügen. Daß das Abkommen verfassungswidrig ist, ist von dieser Stelle aus schon genügend klargelegt worden.
Meine Damen und Herren, wenn das Präjudiz bestritten worden ist, so hat sich das im allgemeinen nur auf die negative Seite des Präjudizes bezogen. Man hat sehr häufig herausgestellt, daß sich das Saarabkommen für die Regelung der deutschen Ostfrage günstig auswirken kann,
und zuletzt ist noch vorgestern von den Herren Kollegen Schütz und Friedensburg etwas Derartiges gesagt worden.
— Herr Kraft kann ja auch einmal irren; er ist ja nicht unfehlbar.
Sie wissen j a, daß ich hier nicht die Meinung der ganzen Fraktion vortrage, sondern nur die der Mehrheit, die sich für ein Nein zum Saarstatut ausgesprochen hat. Meines Wissens hat Herr Kraft das aber gerade nicht gesagt; das möchte ich feststellen. Da irren Sie sich. Ich habe das nicht aus dem Munde von Herrn Kraft gehört oder etwa gelesen, daß er etwas Derartiges vertreten hat. Aber der Herr Bundeskanzler hat das getan. Der Herr Bundeskanzler hat in Bayreuth und in München anläßlich des Wahlkampfes erklärt, wir könnten Gott auf den Knien danken, wenn wir für die Ostgebiete ein solches Statut erreichen könnten wie für die Saar.
— Das stimmt nicht, Herr Ehren. Sie können doch nicht glauben, daß ich eine solche Behauptung aufstelle, ohne auch eine Begründung dafür zu geben. Lassen Sie mir doch bitte die Zeit dazu!
Diese Berufungen stellen meiner Meinung nach einen sehr ernsten Tatbestand dar, mit dem man
sich auch sehr ernst auseinandersetzen muß. Muß nicht jedermann erkennen, daß, wenn es gilt, den Wert oder den Unwert eines Vertrags zu beurteilen, das nicht dadurch geschehen kann, daß man zum Vergleich einen Gegenstand oder einen Tatbestand heranzieht, bei dem die Verhältnisse ganz anders liegen als bei dem Objekt, um das es sich eigentlich handelt?
Ich habe schon gesagt, daß die Verhältnisse an der Saar zwar unerquicklich, aber lange nicht so schlimm sind wie in der sowjetisch besetzten Zone, geschweige denn wie z. B. in meiner engeren Heimat, in Königsberg und dem nördlichen Gebiet von Ostpreußen. Diese Tatbestände lassen sich einfach nicht miteinander vergleichen. Muß ich wirklich Argumente dafür beibringen, daß ein Vertrag zwar einen geradezu sensationellen Erfolg für Königsberg oder Ostpreußen bedeuten kann, aber doch eine politische Niederlage für das Saargebiet? Also so geht das nicht. Aber nun kommt noch hinzu, daß das Saarstatut auch nicht einmal für Ostpreußen annehmbar wäre. Ich habe gestern oder vorgestern Herrn Kollegen Schütz schon die Frage vorgelegt, ob sichergestellt ist, daß die Ausgewiesenen an der Saar ihr Stimmrecht ausüben können. Er hat mir geantwortet, das sei nicht sichergestellt, bisher jedenfalls nicht. Wie kann man dann die Parallele zu den Vertreibungsgebieten ziehen?
— Verzeihung, Herr Schütz, Sie sind doch jahrelang Vorsitzender der Union der Ausgewiesenen gewesen!
Weshalb beanstanden Sie nun auf einmal, daß ich statt „Vertriebene" „Ausgewiesene" sage?
Aber entscheidend ist doch folgendes: Gestern haben 204 Abgeordnete gegen das Saarstatut gestimmt, obwohl unser Vertragspartner eine westliche Macht ist, und zwar Frankreich. Wie würde diese Abstimmung ausgefallen sein, wenn der Vertragspartner Moskaus wäre?! Würde dann auch nur ein einziger hier in diesem Hause sich dazu bereitgefunden haben, uns zuzumuten, auf Grund eines Statuts, wie es das Saarstatut ist, uns unter die Botmäßigkeit oder die Oberhoheit der Sowjetunion zu begeben?
— Verzeihung, ich weise ja nur diesen unangebrachten Vergleich zurück. Man kann diese Dinge nicht miteinander vergleichen.
Herr Bundeskanzler, das deutsche Recht auf Schlesien oder Ostpreußen und andere Vertreibungsgebiete ist nicht schlechter als unser Recht auf die Saar. Wir wissen allerdings, wie fern wir bei der gegebenen Weltlage einer Realisierung unseres Anspruchs sind. Aber muß man nicht gerade deshalb um so stärker an diesem Recht festhalten
und sich peinlich hüten, es selbst irgendwie in Zweifel zu ziehen? Wir wissen, daß Kompromisse das Endergebnis von Verhandlungen sein können und manchmal auch sein müssen. Aber ist es wirklich sinnvoll, in einem Zeitpunkt, wo noch niemand weiß, ob und wann es zu Verhandlungen kommt, schon Vorschläge oder Äußerungen zu machen, die
doch den Gegner erkennen lassen, daß man gar nicht mehr damit rechnet, jemals das volle Recht durchsetzen zu können, wenn man das innerlich auch denken mag?
— Das tut man dann, wenn man sagt, wir müßten Gott auf den Knien danken, wenn wir das Saarstatut für den Osten bekämen.
Wir haben unsere Heimat in voller Freiheit bewohnt und nicht auf Grund eines Statuts, wie es das Europäische Statut darstellt.
— Herr Rinke, ich würde es für zweckmäßig halten, wenn Sie weniger Zwischenrufe machten. Sie kommen ins Protokoll, vergessen Sie das nicht!
Mit der bevorstehenden Abstimmung wird diese Diskussion leider nicht zu Ende sein. Herr von Merkatz hat Befürchtungen in dieser Richtung schon ausgesprochen, und ich fürchte, wie ich schon sagte, daß es zu einer echten Befriedung zwischen Frankreich und uns nicht kommt, sondern daß hier ein neuer Zankapfel in die Welt gesetzt wird. Nachdem wir den unglückseligen Flaggenstreit der Weimarer Zeit überwunden haben, wollen wir alle hoffen, daß es nicht in dieser Frage zu einer neuen Entzündung der Spannungen kommt.
Ich bin damit am Schluß meiner Ausführungen. Ich möchte die „Göttliche Komödie" oder andere Werke nicht bemühen, obwohl ich dieses Zitat von Herrn von Merkatz •eigentlich sehr zutreffend fand.
Ich habe nur die eine herzliche Bitte, daß alle, die gestern ja gesagt haben, sich noch einmal ernsthaft die Frage vorlegen, ob man dieses Ja aufrechterhalten kann.