Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Später bitte. — Was sind nun die Risiken, die wir unter diesen Aspekten eingehen? Zweifellos die Gefahr — ich sage es vorsichtig, obwohl ich fürchte, das ist eine Unterbewertung der auf uns zukommenden Situation — von verhängnisvollen Rückwirkungen auf die Aussichten für die Wiederherstellung der deutschen Einheit!
Wir haben hier eine ganze Reihe von Erklärungen gehört über die Molotow-Rede, das Programm des Weltkommunismus. Das gehört sicher zur sowjetischen Gesamtdarstellung; darüber sind wir uns einig. Wir haben die Vorschläge, die für Viermächteverhandlungen gemacht worden sind. Aber wir haben in dieser Rede von Herrn Molotow ja auch gehört, daß, wenn die Bundesrepublik ratifiziert, entsprechende Gegenmaßnahmen auf der Seite der DDR in bezug auf die Eingliederung in den Block der Acht erfolgen werden.
— Entschuldigen Sie, Herr Euler, ich muß Sie berichtigen. Es ist da noch längst nicht alles vollzogen.
Was nämlich jetzt kommen wird — und das ist eine Erfahrung, die wir alle kontrollieren können —, was immer die Sowjetunion in der russischen Besatzungszone in bezug auf die eigenstaatliche Entwicklung gemacht hat, ist immer genau den Schritten gefolgt, die wir in der Bundesrepublik nach der staatsrechtlichen Seite gemacht haben.
— Ich spreche jetzt von anderen Dingen: Wirtschaftsrat! Denken Sie an die Schaffung der DDR! Und, meine Damen und Herren, die Volkspolizei — —
— Das habe ich ja gar nicht bestritten. Ich habe vorhin ausdrücklich festgestellt — das brauchen wir nicht zu behandeln —, daß da wesentliche Ursachen für diesen Zustand liegen. Akzeptiert! Aber was kann geschehen? Daß diese Volkspolizei, was immer wir über ihren militärischen Wert denken, nun tatsächlich ein Bestandteil, ein wirklicher Bestandteil einer solchen Militärorganisation wird.
Meine Damen und Herren, täuschen Sie sich nicht darüber, daß, wenn die Sowjetunion in der DDR
diese Konsequenzen aus der Ratifizierung der Verträge hier zieht
— ich fürchte, das wird sie tun —, das sehr, sehr fühlbare unmittelbare Folgen für die Möglichkeiten der Beziehungen zwischen den Menschen in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone haben wird.
Ich möchte Ihnen das heute am Sonntag gesagt haben, damit niemand hinterher sagen kann, er habe es nicht gewußt.
Meine Damen und Herren, es gibt auf Ihrer Seite das Argument — bitte, das kann man haben! —: „Die Sowjets werden mit uns auch später reden." Der Herr Bundeskanzler hat es in die Form gebracht: „Bangemachen gilt nicht." Darum handelt es sich gar nicht. Sie haben genau so wenig eine Garantie dafür, daß Ihre Vorstellung richtig ist, wie wir für unsere Befürchtung, daß Ihre Vorstellung ein nicht begründeter Optimismus ist.
Aber Sie alle tragen mit uns das Risiko, daß übermorgen die Sowjets nicht mehr über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln, —
Sie alle mit uns. Da liegt doch der Kern unserer sehr konkreten politischen Forderung: Laßt uns mit den Sowjets und den drei Westmächten reden, ob es heute eine bessere Möglichkeit für die
Wiedervereinigung gibt als im Jahre 1954!
Wer kann denn die Ernsthaftigkeit einer solchen Überlegung bestreiten? Der Bundeskanzler hat gesagt: Bitte, meine Herren, das haben wir doch alles versucht, denken Sie daran, daß ich — der Bundeskanzler — die Berliner Konferenz angeregt habe! Nun, Herr Bundeskanzler, wir haben diese Frage schon einmal im Auswärtigen Ausschuß behandelt. Sie hatten uns damals in Aussicht gestellt, auch den entscheidenden Teil Ihres damaligen Briefes an die Außenminister zur Verfügung zu stellen. Leider haben wir ihn bis heute nicht gesehen.
Der Herr Bundeskanzler hat zweitens gesagt: Meine Herren, ich weiß aus vertraulichen Besprechungen zwischen den westlichen Außenministern und Herrn Molotow, daß er in Berlin auch gar nicht bereit war, etwa die EVG als Kaufpreis für freie Wahlen anzunehmen. Herr Bundeskanzler, ich bin außerstande, Ihre Mitteilung nachzuprüfen. Ich habe keinen Anlaß, sie nicht als wahr hinzunehmen. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie wissen auch, daß in den internen Verhandlungsrichtlinien der drei Westmächte vom November 1953 ausdrücklich die Preisgabe der EVG für die Wiedervereinigung durch freie Wahlen als westliches Verhandlungsziel ausgeschlossen war.
Das ist ja auch ein Tatbestand, und das macht es
uns zweifelhaft, ob man damals in Berlin auf beiden Seiten überhaupt mehr wollte, als die weitest-
gehenden Standpunkte auf beiden Seite zu proklamieren.
Jetzt liegen Vorschläge der Sowjetunion vor. Sie sind, Herr Bundeskanzler, in der Molotow-Rede enthalten und bestätigt worden; sie gibt es nicht nur in der Erklärung vom 15. Januar. Ich weiß nicht, was alles an Ernst in diesen Vorschlägen steht; aber so, wie sie stehen, enthalten sie zweifellos wesentliche Elemente des Eden-Plans vom Jahre 1954, den Sie und wir akzeptiert hatten. Ich weiß auch nicht, ob diese Vorschläge, wenn wir sie mit den Sowjets besprechen, sich nicht als ein Mittel zur Verhinderung der Ratifizierung herausstellen. An Mißtrauen gegenüber sowjetischer und kommunistischer Taktik können Sie uns nicht übertreffen.
Aber, meine Darren und Herren, ich sage Ihnen eins: in einer solchen nationalen Lebensfrage des deutschen Volkes habe ich jede Chance, die anscheinend besteht, zu untersuchen und darf sie nicht achtlos beiseite liegen lassen!
Wer zwingt uns denn, wenn wir an den Verhandlungstisch gehen, irgend etwas zu akzeptieren, was wir nicht wollen? Weder die Westmächte noch die Bundesregierung, wenn sie dabei sein sollte, sind dazu gezwungen.
Genau so unmöglich ist die Verhandlungstaktik des Westens, der sich auf den Standpunkt stellt: Solange die Sowjets die freien Wahlen nicht akzeptieren, reden wir mit ihnen nicht. Verhandlungen, bei denen man vom Gegner verlangt, daß er vorher die Ergebnisse akzeptiert, sind keine Verhandlungen.
Ein Punkt bewegt mich in diesem Zusammenhang besonders, weil er mich wirklich auf das tiefste berührt hat, und ich finde, das sollte uns alle berühren. Wir haben nach all den scharfen Auseinandersetzungen, die wir zwischen Regierungskoalition und. Opposition gehabt haben und die auch zwischen dem Herrn Bundeskanzler und mir stattgefunden haben, Idem Herrn Bundeskanzler völlig abseits von diesem Streit der Meinungen Anfang Januar in aller Form und mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit den Vorschlag gemacht, er möchte als Chef der Regierung der Bundesrepublik an die drei Westmächte die Bitte richten, bei der Sowjetregierung darauf hinzuwirken, daß über die Ernsthaftigkeit der Vorschläge vom 15. Januar verhandelt wird, und wir haben ihn zweitens gebeten, diese Besprechung herbeizuführen, ehe wir vor diese schicksalsschwere Frage der Wiedervereinigung und der Aufrüstung durch die Pariser Verträge gestellt wenden. Der Herr Bundeskanzler hat mitgeteilt, daß er sich nicht in der Lage sehe, den sozialdemokratischen Vorstellungen zu folgen. Er hat zunächst einmal auseinandergesetzt, es genüge ja nicht, sich mit der Sowjetunion zu einigen; wir !brauchten auch die Zustimmung der drei Westmächte, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Nun, das war überflüssig, das wissen wir auch. Aber dann wind gesagt, es sei durch die Pariser Verträge gelungen, die drei Westmächte für eine Form der Wiederherstellung der deutschen Einheit zu gewinnen, die unseren
Auffassungen entspreche, nämlich für eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Und nun kommt ein sehr bemerkenswerter Satz: „Allerdings ist die Verpflichtung der Westmächte, gemeinsam mit uns die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen, nicht bedingungslos eingegangen worden;
sie ist an die Ratifizierung der Pariser Verträge geknüpft."
— Bitte, das ist aber ein sehr entscheidender Punkt.
Nun, was ist meine Antwort? Wenn die Westmächte die Auffassung haben: Vor der Ratifizierung sind wir nicht bereit, mit der Sowjetunion zu verhandeln, dann bin ich allerdings der Meinung, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dann nicht allein die Aufgabe hat, uns diesen Standpunkt der drei Westmächte zur Kenntnis zu bringen,
sondern auch die Aufgabe, die Initiative zu ergreifen, um den Standpunkt der Westmächte zu ändern.
Hier muß ich allerdings sagen, daß der Herr Bundeskanzler im weiteren Verlauf seines Briefes erklärt, er sei dazu nicht in der Lage, weil er auch nicht für Verhandlungen vor der Ratifizierung sei. Diese Stellungnahme, die den Kern unserer Auseinandersetzung .betrifft, zeigt klar: Wer in diesem Stadium und in dieser Lage die Ratifizierung der Verträge vor neue Verhandlungen über die Wiedervereinigung setzt, wenn auch nur vor einen Versuch, zu solchen neuen Verhandlungen zu kommen, der dokumentiert damit, daß er unter allen Umständen der definitiven Eingliederung der Bundesrepublik in das Nordatlantikpakt-System den Vorzug vor der Wiedervereinigung gibt.
Ich habe keinen Kommentar dazu zu machen. Ich habe diesen Tatbestand festzustellen, weil hier der wirkliche Gegensatz zwischen Ihnen und uns liegt. Mir kam es in dieser Stunde darauf an, das noch einmal zu unterstreichen.
Ich bitte Sie, sich auch diese Überlegungen noch einmal vor Ihrer Entscheidung durch den Kopf gehen zu lassen: Wir sind in Gefahr, daß wir die Chancen der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands für lange Zeit verlieren. Vielleicht ist ein neuer Versuch ohne ein positives Resultat. Niemand von uns hat jemals eine andere Auffassung vertreten. Aber ich bitte Sie: Was ist denn für unsere Sache und für die Sache der Freiheit und des Friedens der Welt verloren, wenn wir diesen Versuch machen, ehe wir endgültig über die Verträge und über die Wiederaufrüstung entscheiden?
Es geht ja nicht nur um unser Schicksal. Ich habe eine Frage vom Herrn Kollegen Kiesinger noch im Ohr, weil ich nicht ganz damit fertig geworden bin. Sie haben gefragt: Was bedeutet eigentlich die Wiedervereinigung Deutschlands
für die Sicherheit Amerikas? — Nun, meine Damen und Herren, wo stehen wir eigentlich? Sind wir schon so stationär in unserem Denken, daß es überhaupt keine andere Möglickeit gibt, als den Nordatlantikpakt auf der einen und den Ostblock auf der anderen Seite?