Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion der letzten Wochen und auch die Debatte der letzten Tage hier in diesem Hause bestätigt, daß es insbesondere zwei beherrschende Aspekte sind, aus denen heraus die Verträge gewürdigt und verabschiedet werden müssen. Es ist dies einmal die Beurteilung der weltpolitischen Lage und zum anderen die voraussichtliche Auswirkung der Verträge für Deutschland, — ich sage bewußt „Deutschland" und nicht etwa „die Bundesrepublik".
Immer stärker empfinden wir, daß der zweite Weltkrieg im Jahre 1945 keinen Abschluß gefunden hat und daß die Waffenruhe, die vor nunmehr zehn Jahren eingetreten ist, nur scheinbar einen Friedenszustand geschaffen hat. Es ist im Jahre 1945 den Alliierten nicht gelungen, den Krieg zu beenden und durch schöpferische und gestaltende Bemühungen die Voraussetzungen für eine echte Entspannung und damit für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. So ist es nicht gelungen, die Länder am östlichen Rande des europäischen Kontinents zu befrieden. Sie wurden nicht befreit, sondern erobert und mit den Mitteln des Terrors und der Unterdrückung in den sowjetischen Machtbereich eingegliedert. Die unerbittlichen Anstrengungen um eine Bolschewisierung der sowjetischen Zone Deutschlands sind gerade für uns Deutsche ein beredtes Beispiel dafür, daß für die Sowjetunion der Krieg auch nach Beendigung der Kampfhandlungen nicht abgeschlossen war, sondern, wenn auch mit andern Mitteln, auf europäischem Boden fortgesetzt wurde. Und die Blockade von Berlin, der Korea-Krieg, die Indochina-Krise und neuerdings die Auseinandersetzungen im asiatischen Raum zeigen, mit welcher Virtuosität die Möglichkeiten erkundet und ausgenutzt wurden, um kriegerische Verwicklungen zu schaffen. Die Sowjetunion hat es wohl verstanden. jeweils einen Zeitpunkt zu wählen, in dem die westliche Welt müde oder unentschlossen schien, um vom Kalten Krieg zum heißen Krieg überzugehen, aber diesen auch wieder zu beenden, wenn die weltpolitische Lage dies ratsam erscheinen ließ. Es wäre darum, glaube ich, falsch, jedes dieser Ereignisse isoliert zu sehen und als ein mehr oder weniger zufälliges historisches Akzidens zu betrachten.
Das Jahr 1939 hat eine Welt in Bewegung gebracht, und wir können nicht sagen, ob die Katastrophe, die damals begann, tatsächlich ihren Abschluß gefunden hat — und wir nur noch die Nachwirkungen spüren — oder ob diese Ereignisse den Beginn einer neuen Weltkatastrophe ankündigen, die nicht zuletzt bei dem heutigen Stande der sogenannten Kriegstechnik alles Vorangegangene übertreffen müßte. Aber wenn wir uns darüber Rechenschaft geben, daß alle diese Ereignisse in einem inneren Zusammenhang stehen, dann müssen wir daraus die Konsequenz ziehen, daß die äußerste und gespannte Aufmerksamkeit ebenso erforderlich ist wie die wache Bereitschaft und Entschlossenheit.
Kritische Analysen der augenblicklichen Situation mögen notwendig und wichtig sein, aber für irgendwelche Voraussagen ist doch kein Raum, nicht für optimistische, aber darum auch nicht für pessimistische. Wir stehen vor einem Phänomen, das wir zumindest im Augenblick noch nicht ergründen können und dem wir sicherlich nicht näherkommen, indem wir es leugnen oder geschichtsmorphologische Betrachtungen anstellen. Denn die Welt ist durch das Aufkommen und durch die machtvolle Entwicklung des Bolschewismus in ihrer Struktur vollkommen verändert worden. Vielleicht haben wir es vor 1945 geahnt, aber es wurde in der letzten Konsequenz noch nicht sichtbar. Denn damals gärte noch die offene oder stille Revolution in Rußland, und die innere Ordnung war noch nicht gefestigt. Äußeres Anzeichen waren die pausenlos aufeinander folgenden inneren Kämpfe, die in unzähligen Schauprozessen ihren Ausdruck fanden. Vielleicht ist es die grausigste Ironie der Weltgeschichte, daß ein Adolf Hitler kommen mußte, um diese neue Macht durch seinen Angriff zusammenzuschweißen und
ihr die Verwirklichung ihres ebenso revolutionär wie imperialistisch bedingten Expansionismus zu ermöglichen.
Aber mit dieser Entwicklung haben sich auch die Gegebenheiten verändert, die unser außenpolitisches Denken bestimmt haben. Vielleicht ist hier der tiefste Grund der Verwirrung zu finden. Die Meinungen darüber, ob irgendwelche Anzeichen für eine echte Entspannung sichtbar seien, mögen auseinandergehen. Sicherlich haben sich gewisse Wunschvorstellungen, die sich an personelle Veränderungen in der Sowjetunion und die darauf folgende innerpolitische Entwicklung Rußlands knüpften, nicht verwirklicht. Aber lassen wir die Frage, ob die Bereitschaft, unter angemessenen Bedingungen zu verhandeln, in der Sowjetunion größer geworden ist oder nicht, zunächst beiseite. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Geschichtswirklichkeit, in der wir stehen, nichts mehr gemeinsam hat mit der von gestern.
Das bedeutet, daß die Kategorien, in denen wir dachten, keine Gültigkeit mehr besitzen' können für die Entscheidungen, die heute auf uns zukommen. Für eine Politik etwa der Rückversicherung, wie sie unter Bismarck galt, ist ebensowenig Raum wie für eine Politik der Optionsfreiheit, wie sie unter Bülow geführt wurde. Allianz- und Bündnisverträge, wie sie dem Dreierbund oder der Entente zugrunde lagen, passen nicht mehr in die veränderte Wirklichkeit. Nicht nur der europäische Kontinent, sondern die Welt hat ein anderes Gesicht bekommen. Es gibt keine kontinentaleuropäischen Großmächte mehr, die miteinander rivalisieren und die den Versuch unternehmen könnten, sich durch Bündnisse zu überspielen. Auch die Vorstellungen, die einem Vertrag von Rapallo zugrunde lagen, gelten nicht mehr, da die Voraussetzungen fehlen.
Die kontinentaleuropäischen Staaten haben die Machtstellung verloren, man kann auch sagen: verspielt, die sie einmal besaßen. An diesen europäischen Kontinent, ja in diesen Kontinent hat sich eine neue gewaltige Macht vorgeschoben, und man könnte sogar aussprechen, daß die alten europäischen Staaten nur noch ein Randgebiet des ohnehin kleinen Erdteils innehaben. Die Gegensätze, an denen sich früher ihre Streitigkeiten entzündeten, wir können sie nicht mehr begreifen und wir können uns den Luxus nicht mehr leisten, sie weiter zu pflegen, als ob um uns herum und mit uns nichts geschehen wäre.
Die Forderung nach einem engen Zusammenschluß der europäischen Völker entspricht also durchaus nicht irgendwelchen romantischen Vorstellungen. Es geht nicht darum, die Zeit Karls des Großen zu beschwören und von einer Wiedergeburt seines Reiches zu träumen. Aber nicht weniger irreal und gefährlich wäre es, wenn man glaubte, heute an irgendwelche Gedanken anknüpfen zu können, die vor 1914 und vielleicht noch in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen die europäische Politik bestimmend geformt haben. Am Ostrand des europäischen Kontinents liegt nicht mehr ein zwar großes, aber doch schwaches zaristisches Rußland, sondern das bolschewistische Rußland, das sich weite Teile der Welt einverleibt oder in seinen Machtbereich einbezogen hat. Wir brauchen nicht nach Asien zu blicken; es genügt die Feststellung, daß die osteuropäischen Randstaaten von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer in dieses neue Weltreich eingegliedert wurden.
Die politische Haltung dieses großen Blocks wird bestimmt von einer revolutionären Dynamik, die von pseudoreligiöser Inbrunst und nationalistischem Fanatismus gleichermaßen genährt wird. Die bestimmenden Elemente dieser Politik sind nach außen die Drohung und nach innen die Gewalt.
Im Mittelpunkt dieses Spannungsfeldes liegt
Deutschland. Die Wahnsinnspolitik des Dritten Reiches ist letztlich dafür verantwortlich. Aber die Teilung Deutschlands offenbart die Tragik des ganzen europäischen Kontinents, und ihre Beseitigung wird damit auch zur verpflichtenden Aufgabe aller Völker Europas.
Wir können dieser veränderten Situation nur mit veränderten Vorstellungen und mit anderen Mitteln begegnen. In dem Bemühen, von dem wir sicherlich nicht frei sind, alle nicht frei sind, das alles in das gewohnte Schema hineinzupressen und in Wertkategorien einer vergangenen Zeit zu denken, darin scheint mir die letzte Wurzel des Irrtums und der tiefste Anlaß auch für die Fehlentwicklung der letzten Jahre zu liegen, vielleicht auch der letzte Anlaß für manches Mißverständnis im deutschen Volke. Früher war es das Bestreben, ja, man kann sogar sagen, der Stolz einer jeden Großmacht, ihre eigene Politik zu machen. Man tat das im Vertrauen auf die eigene Stärke und in dem Bemühen um die eigene Unabhängigkeit. Allianzen wurden abgeschlossen, um anderen machtpolitischen Zusammenschlüssen zu begegnen, aber niemals um eines echten gemeinsamen Zieles willen.
Für solche Erwägungen ist kein Raum mehr. Es haben sich gewaltige Machtkonzentrationen entwikkelt, neben denen kleine Nationen — und wir sind zu einer kleinen Nation geworden — vielleicht dann noch allein bestehen können, wenn und solange ihre geographische Lage und ihr wirtschaftliches Potential sie unangreifbar oder uninteressant erscheinen lassen.
Hier scheint mir auch der grundsätzliche Unterschied in der Beurteilung der Verträge zu liegen. Die Opposition sagt uns, das ureigenste deutsche Interesse verlange von uns, den Versuch zu unternehmen, uns aus diesem Spannungsfeld zu lösen und durch eine besondere Ordnung des internationalen Status eine Art Katalysator zu bilden.; Deutschland könne und müsse die Aufgabe übernehmen, die beiden Machtblöcke auseinanderzuschieben; es müsse dann stark genug sein, um nicht zum Opfer eines unprovozierten Angriffes zu werden, aber auch nicht stark genug, um irgend jemanden bedrohen zu können.
Das ist unleugbar eine schöne These, aber in Wirklichkeit doch wohl nur ein Traum. Ich möchte nicht den Streit um Worte führen und auch nicht wiederholt den Versuch unternehmen, die Begriffe Neutralität, Neutralisierung und Bündnisfreiheit — die deutsche Übersetzung des Wortes Neutralisierung — voneinander abzugrenzen. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß eine freiwillige Neutralität, eine Neutralität, die also auf dem souveränen Beschluß Deutschlands als eines in seiner Entscheidungsfreiheit völlig ungehemmten Landes beruhen würde, real nicht denkbar ist. Beispiel einer solchen Neutralität sind etwa die Schweiz und Schweden. Beide Länder, die durch ihre geographische Lage obendrein begünstigt sind, gehören zu den höchstgerüsteten in Europa. Umfang und
Grenzen ihrer Rüstung bestimmen sie frei und aus eigenem Entschluß. Beteiligung oder Nichtteilnahme an irgendwelchen Bündnissystemen ist ihnen freigestellt. Maßgeblich ist für sie ausschließlich die eigene Interessenlage.
Eine solche Lösung wäre auch für das wiedervereinigte Deutschland nicht denkbar. Die geographische Lage Deutschlands würde die äußersten Rüstungsanstrengungen verlangen. Ganz abgesehen davon, daß das deutsche Volk außerstande wäre, diese wirtschaftliche und finanzielle Last zu tragen, würde ein solches machtvolles Potential auf der Grenze zwischen der östlichen und der westlichen Interessensphäre eine echte Kriegsgefahr schaffen. Jede Seite würde und müßte sich bemühen, dieses Potential in seinen Bereich einzubeziehen, da seine Zugehörigkeit zur anderen Seite die Gewichte entscheidend verschieben müßte.
Aber es scheint mir kaum nötig, darüber zu sprechen; denn wir Deutsche wünschen eine solche Lösung nicht, die uns unerträglich belasten würde. Und die Welt würde eine solche Lösung sicherlich auch nicht zulassen. Auch hier im Hause ist von einem Sprecher der Opposition einmal gesagt worden, daß die bewaffnete Neutralität bei einem Volk in der Lage des deutschen ein Unsinn sei.
Man spricht nun von der Bündnisfreiheit eines wiedervereinigten Deutschland. Nun, die deutsche Souveränität wäre damit — und darüber sind wir uns wohl einig — mit einer permanenten Hypothek belastet. Denn diesem Deutschland wäre ja nicht die Freiheit zu Bündnissen verliehen, sondern die Verpflichtung auferlegt, sich von Bündnissen frei zu halten. Die Vorstellung hat etwas Verlockendes;
man könnte sich denken, daß das deutsche Volk damit aus dem weltpolitischen Spannungsfeld ausgeklammert würde; das politische Geschehen würde an ihm vorbeigeleitet, und es könnte in ungestörter Ruhe seinen eigenen Aufgaben nachgehen und seinen Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der Staaten leisten, die es umgeben.
Aber ich stelle die Frage: Glaubt iemand ernstlich, daß ein solcher Zustand erreicht werden könnte? Nach der Interpretation, die uns gegeben wurde — und ich zitiere wörtlich —, sollte dieses bündnisfreie Deutschland „stark genug sein, um nicht einen Nachbarn in Versuchung zu führen, aber nicht so stark, daß, wenn es auf die eine oder andere Seite übergehen sollte, diese Seite eine Überlegenheit über die andere bekommen könnte."
Nun, wer sollte bestimmen, ob die eigene Stärke des bündnisfreien Deutschland groß genug oder zu groß wäre? Die Bestimmung könnte logischerweise nur den daran interessierten Großmächten oder einer von diesen kontrollierten Organisation zustehen. Dieses Deutschland wäre dann auf die Dauer kontrolliert. Es würde zum Spielball in den Interessengegensätzen der Welt. Es wäre in seiner Schwäche bedrohlich, da es damit die Stärke der anderen auf sich ziehen würde, und jeder Nachbar hätte das durch sein eigenes Sicherheitsbedürfnis wohlbegründete Verlangen, das Wirtschafts- und Menschenpotential dieses entmachteten Deutschland in seinen Bereich hineinzuziehen. Es wäre aber auch in seiner begrenzten Stärke bedrohlich. Denn jeder Nachbar würde jede Reaktion des deutschen Volkes mit äußerstem Mißtrauen verfolgen und zu jeder Zeit mit dem vorgegebenen oder berechtigten Einwand der Bedrohung intervenieren. Je nach der augenblicklichen Interessenlage würde der eine eine Stärkung Deutschlands erwarten und fördern und der andere eine weitere Schwächung verlangen. Für eine eigenständige deutsche Politik wäre kein Raum mehr. Die Existenz eines zur Bündnislosigkeit verdammten Deutschland würde somit den Spannungszustand in der Welt nicht mindern, sondern in unerträglicher Weise erhöhen.
Vielleicht erlauben Sie mir eine kleine Bemerkung zu dem, was gestern Herr Kollege Professor Schmid ausgeführt hat. Er beanstandete, als er die Verträge diskutierte, gewisse Bindungen, gewisse Einschränkungen der Souveränität mit dem Hinweis darauf, daß sie der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, entbehrten. Nun, können wir uns vorstellen, daß ein bündnisfreies Deutschland die Reziprozität verlangen und erhalten würde,
daß andere sich der gleichen Verpflichtung unterwerfen würden? Würden Sie nicht dann auch in einer solchen einseitigen, in einer so entscheidenden Beschränkung der deutschen Handlungsfreiheit eine Belastung sehen, die weit über das hinausginge, was Sie gestern kritisierten?
Aber wie wäre das Schicksal Deutschlands selbst? Unter dem Zwange der Bündnislosigkeit würde und müßte Deutschland zur Autarkie zurückkehren. Der Ausbau handelspolitischer Beziehungen nach der einen Seite würde von der anderen Seite argwöhnisch verfolgt werden.
An einer Erstarkung der deutschen Wirtschaft wäre sicherlich niemand mehr interessiert, und niemand würde das Risiko eingehen, in dieses politische Niemandsland Vertrauen oder Kapital zu investieren.
— Die souveräne Schweiz, Herr Kollege Erler!
Meine Damen und Herren, in der deutschen Lage würde eine solche Isolierung Deutschlands eine Erschütterung unserer wirtschaftlichen und damit unserer sozialen Sicherheit bedeuten, die, wie ich glaube, von niemandem verantwortet werden könnte.
In der zu der sogenannten Bündnisfreiheit gegebenen Definition wurde noch etwas hinzugefügt, das ich erwähnen möchte. Wir sind uns alle einig darüber, daß das deutsche Volk dem Kreis der freien Völker der Welt angehören will und angehören muß. Darum wurde auch besonders betont — auch hier zitiere ich wörtlich —, „daß niemand auch nur eine Sekunde daran denke, daß Deutschland sich aus der Freundschaft und der Solidarität der freien Völker lösen werde". — Nun, worin besteht Freundschaft, wie drückt sich Solidarität aus? Ich glaube, nicht in Deklarationen, sondern in der politischen Haltung und in der politischen Entscheidung,
also in der Handlung, und diese Handlung wäre uns untersagt.
Wir wären nach dieser Wunschvorstellung wohl berechtigt, diese Freundschaft und Solidarität in Worten zu bekunden, aber auch nicht mehr.
Ich will nicht darüber reden, ob wir überhaupt in der Lage wären, uns auf eine solche Bündnislosigkeit festzulegen. Jetzt sicherlich nicht; denn jede solche vorweggenommene Entscheidung, auch wenn sie nur in der Erklärung zur Bereitschaft bestünde, würde die Handlungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung beschränken oder beeinträchtigen.
Aber es scheint mir nötig, klar auszusprechen, daß eine solche Lösung verhängnisvoll und für niemanden erträglich wäre, nicht für den Osten, nicht für den Westen und am wenigsten für Deutschland selbst.
Uns genügt nicht das platonische Bekenntnis der unlösbaren Verbundenheit, der Freundschaft und der Solidarität mit den freien Völkern. Wenn wir Freundschaft und Solidarität anbieten und annehmen, dann wollen wir auch die Bewährung.
Die Freunde müssen uns helfen, wenn wir in Gefahr sind, und diese Solidarität muß sich zeigen, wenn wir in Not sind.
Und wenn wir das von anderen verlangen, werden es dann die andern nicht auch von uns verlangen können?
Darum glauben wir, daß wir Deutsche eindeutig und klar einen Standort beziehen müssen. Wir wissen alle, wohin wir gehören und wem wir uns verbunden fühlen: den Völkern, bei denen die Worte Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde den gleichen Sinngehalt haben wie für uns, und ich meine, wir sollten auch erkennen, daß der Widerstand Rußlands gegen die Verträge, gegen die Einbeziehung Deutschlands in die Westeuropäische Union und in die Atlantische Gemeinschaft nicht der deutschen Entscheidung gilt, sondern den Verträgen überhaupt.
Der Ausdruck der gemeinsamen Gesinnung und der Entschlossenheit zusammenzustehen ist es, dem der Widerstand gilt. Die freie Welt ist unangreifbar und unüberwindbar, wenn sie sich zusammenschließt.
Diesen Zusammenschluß gilt es zu verhindern und die raumfremden Vereinigten Staaten — wir haben das Wort „raumfremd" ja noch aus einer vergangenen Zeit im Ohr — aus dem europäischen Bereich zu verdrängen, wohl wissend, daß dieses Europa dann machtlos und wehrlos wäre.
Man kann nicht oft genug wiederholen, daß das
Wort von der Wiederaufrüstung tatsächlich ein
Schlagwort ist. Wir wollen doch nicht Deutschland
aufrüsten, um sein Machtpotential zu vergrößern und um eine deutsche Armee in machtpolitischen Auseinandersetzungen zu mißbrauchen.
Die Bedeutung der Verträge liegt doch nicht in dem Recht oder in der Pflicht, einige deutsche Divisionen aufzustellen; sie liegt in der Einbeziehung der Bundesrepublik in die Westeuropäische Union als einer auf Freiwilligkeit beruhenden Vereinigung der kontinentaleuropäischen Staaten und Englands und in der Aufnahme der Bundesrepublik in die Atlantische Gemeinschaft. Eine zwangsläufige Folge dieses Eintritts in eine solidarische Gemeinschaft ist eben die Unterstützung ihrer Ziele, nämlich der Erhaltung und Sicherung des Friedens und der Freiheit ihrer Mitgliedstaaten.
Ein Nein zu den Verträgen ist daher in letzter Konsequenz ein Nein zu einer echten europäischen Zusammenarbeit und zu einer Teilnahme an der Atlantischen Gemeinschaft der freien Völker, es ist auch ein Nein an diejenigen, die uns Freundschaft und Unterstützung gewähren wollen. Und es ist nach meiner festen Überzeugung in der letzten unerbittlichen Konsequenz auch ein Nein zur Wiedervereinigung.
Ich halte darum auch die willkürliche und primitive Alternative: Wiederaufrüstung oder Wiedervereinigung für falsch.
Ich halte es, wie ich nicht verschweigen möchte, für unendlich gefährlich, eine solche Antithese zu prägen und unter einem solchen Vorspruch Volksabstimmungen zu veranstalten.
Was von Volksentscheidungen unter solchen Vorzeichen zu halten ist, darüber hat der jetzige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtshofs, unser sozialdemokratischer Kollege Dr. Katz, im Parlamentarischen Rat Ausführungen gemacht, an die ich erinnern möchte. Meinem Antrag, das Grundgesetz der Volksabstimmung zu unterbreiten, widersprach Herr Dr. Katz mit der Begründung — ich zitiere wörtlich —, daß „damit den negativen Kreisen des Volkes eine Kristallisationsmöglichkeit gegeben" werde.
Daß Herr Dr. Katz mit dieser Auffassung nicht allein stand, beweist der eindringliche, aber auch überzeugende Brief, den Herr Kollege .0 11 en haue r im Februar 1952, also vor genau drei Jahren, an Herrn Dr. Heinemann gerichtet hat. Er lehnte es damals ab, sich an einem Volksbegehren und an einer Unterschriftensammlung zu beteiligen mit der Begründung, daß es bestenfalls zu Manifestationen komme, und vertrat die Auffassung, daß bei solchen Maßnahmen — hören Sie zu! — eine Abgrenzung gegenüber der Kommunistischen Partei nicht maglich wäre.
Die angeregte Notgemeinschaft müsse — ich zitiere
wörtlich — wenn sie auf ihren Aktionen bestehe,
zwangsläufig der Überfremdung zum Opfer fallen.
Ich darf feststellen, Herr Kollege Ollenhauer, daß diese wahrhaft prophetischen Worte angesichts der jüngsten Versuche, Volksabstimmungen zu veranstalten, eine überraschende Bestätigung erfahren haben.
Man hat an verschiedenen Orten diese höchst seltsame Volksbefragung durchgeführt. Aber ich muß hier sagen: wie einfach hat man sich die Sache gemacht, wie hemmungslos war man in der Propaganda, und wie peinlich sind die Bundesgenossen, die sich diensteifrig erboten haben, Hilfsstellung zu leisten.
Man hat es sich einfach gemacht. Die Dortmunder Unterschriftenlisten enthalten aus dem sogenannten Deutschen Manifest nur einen Satz; man hat den ausgewählt, der am unverfänglichsten ist. Er heißt:
Wir appellieren an Bundestag und Bundesregierung, alle nur möglichen Anstrengungen zu machen, damit die vier Besatzungsmächte dem Willen unseres Volkes zur Einheit Rechnung tragen.
Das hat man von den Menschen unterschreiben lassen und verkündet stolz, daß Tausende damit ihren entschlossenen Willen bekundet hätten, den Parolen der Opposition zu folgen und die Politik der Bundesregierung abzulehnen.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren — seien Sie nicht böse über die harte Kritik —, daß ich ein solches Manöver für einen aufgelegten Schwindel halte.
Diesen Satz zu unterschreiben ist jeder vernünftige Mensch in Deutschland bereit.
— Und, meine Damen und Herren, wenn Sie wollen, können Sie dafür noch heute und in diesem Saal meine Unterschrift und die meiner politischen Freunde haben.
Ich rede gar nicht davon, meine Damen und Herren, wie dann Unterschriften gesammelt wurden. Sie kennen die Geschichte der beiden Journalisten, die mit ihren nicht vorhandenen Ehefrauen innerhalb von zwei Stunden 14 Unterschriften leisteten.
Meine Damen und Herren, ich habe doch den Eindruck, daß man auch bei Ihnen gewisse Zweifel hat. Darf ich Ihnen aus dem Protokoll über die am 21. Februar 1955 im Verlagshaus der Sozialdemokratischen Partei in Hof, Marienstraße 75, stattgefundene Auszählung der Unterschriften für das Deutsche Manifest etwas wörtlich vorlesen? Man hat dort 19 918 Unterschriften ermittelt. Dann heißt es — ich zitiere wörtlich —:
Um allen bösen Einwänden die Spitze zu nehmen, sind die an der Auszählung Beteiligten übereingekommen, auf das Konto von Doppelunterschriften, gedungenen Fälschern und Jugendlichen unter dem wahlberechtigten Alter 400 Unterschriften abzustreichen.
Meine Damen und Herren, ich zitiere weiter wörtlich aus dem Protokoll:
Es bestand ursprünglich die Absicht, bei der Auszählung die Presse und interessierte Persönlichkeiten teilnehmen zu lassen.
Davon wurde Abstand genommen, nachdem die Gegner des Manifests vor unerhörten Drohungen nicht zurückschreckten, und für bezahlte und bestellte Zweifler sollte keine Gelegenheit geboten werden, das Vertrauen derer, die die Unterschrift leisteten, zu mißbrauchen und ihnen Nachteile entstehen zu lassen.
Meine Damen und Herren, verstehen Sie denn nicht, daß uns eine solche Entwicklung mit einer ernsten Sorge erfüllt?
Haben Sie denn nicht Verständnis dafür?
Mein Freund Strauß hat in seiner Rede dieses Flugblatt von Hof erwähnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, halten Sie es denn wirklich für richtig und mit einer offenen und anständigen Politik vereinbar, daß Sie dort Herrn Salvador de Madariaga zu Worte kommen lassen, denselben, dessen Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung" Sie ja wohl verfolgen und den Sie zitiert haben mit einem Friedensmanifest, das wir alle unterschrieben, den Sie nicht zitiert haben mit seiner sehr harten Kritik an Ihrer Politik.
Und halten Sie es denn, meine Damen und Herren, wirklich für erträglich, daß in einem solchen Flugblatt — und ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich es hier zitiere — drei Abbildungen nebeneinander zu sehen sind: Vorgestern Kaiser Wilhelm, gestern Adolf Hitler, heute Konrad Adenauer?
Und wenn wir, meine Damen und Herren, eine solche Propaganda, für die ich nicht den einzelnen von Ihnen verantwortlich mache — ich denke nicht daran —,
als eine beispiellose Gemeinheit bezeichnen, dann sind Sie beleidigt.
Im „Neuen Vorwärts" vom 4. Februar ist eine Karikatur veröffentlicht. Man sieht dort mit der Unterschrift „Bevor sie wieder Schwierigkeiten macht", wie vier Leute in Uniform, darunter der Bundeskanzler, die deutsche Einheit in einem Sarg zu Grabe tragen, und als Leidtragende folgen die drei westlichen Alliierten. Meine Damen und Herren, halten Sie das mit einer sachlichen Auseinandersetzung um die Lebensfragen des deutschen Volkes für vereinbar?
— Wenn Sie schon von Wahlplakaten sprechen: In meinem Wahlkreis hat die Sozialdemokratische Partei ein Plakat aufgestellt — ich kann es Ihnen in Photokopie zur Verfügung stellen —, ein Kreuz mit Stahlhelm, Überschrift „1914 bis 1918", ein zweites Kreuz mit Stahlhelm, Überschrift „1939 bis 1945" und .dann eine grinsende Karikatur eines Politikers, der auf eine neue Grabstätte zeigt und sagt: „Der nächste bitte! Das wollen wir nicht. Darum SPD!"
Meine Damen und Herren, wollen Sie denn uns unterstellen, daß wir das wollen?