Ich habe mich im übrigen einer Aufgabe zu unterziehen, die Ihre Aufmerksamkeit nicht so fesseln wird wie jene Vorgänge, die wir soeben erlebt haben.
Meine Damen und Herren, es ist immer leichter, an Verträgen, an Vorgängen Kritik zu üben, als sie zu verteidigen. Und zwar ist das um so leichter, je mehr Elemente einer künftigen, von niemandem zu übersehenden Entwicklung mit hineingezogen werden und, auf der anderen Seite, je gewissenhafter die Verfechter der Verträge die Gegengründe würdigen. Ein sehr wesentlicher Teil der Differenzen, die wir in den letzten Tagen durchdiskutiert haben, ergibt sich aus der unterschiedlichen Beurteilung einer zukünftigen Entwicklung. Ich bin mir bewußt, daß daneben noch immer ein wesentlicher Rest bleibt. Aber über diesen Rest hätten wir sehr viel sachlicher und fruchtbarer reden können, wenn nicht einige von uns versucht hätten, mit, ich möchte fast sagen, apodiktischer Unduldsamkeit zu behaupten, sie seien die einzig richtigen Propheten.
Aber bleiben wir vorerst beim Ausgangspunkt. Gegenüber der oft unüberbrückbar erscheinenden Meinungsäußerung von hüben und drüben sind doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten dagewesen. Sie sind nur leider allzusehr zurückgetreten. Deshalb sollte man sie gerade gegen Ende unserer Debatte einmal hervorheben.
Von keiner Seite sind Vorschläge hörbar geworden, die man etwa unter den Begriff einer östlichen Konzeption hätte bringen können. Wenn Herr Kollege Ollenhauer sich heute mittag sehr energisch gegen jede Unterstellung in dieser Richtung für seine Partei wehrte, so hatte er damit unbedingt recht, und das soll ihm auch von anderer Seite als nur von seinen Parteifreunden bestätigt werden.
Die Zugehörigkeit Deutschlands zur freien Welt ist nirgends und von niemandem von uns in Zweifel gezogen worden.
Als dritter wichtiger Punkt der Gemeinsamkeiten erscheint mir erkennbar, daß eine Bündnisfreiheit der Bundesrepublik von keiner Partei erstrebt wird. Auch die Opposition will sich zu Bindungen bereit finden, wie sie etwa in den Verträgen enthalten sind. Sie opponiert jedoch heftig vor allem gegen den Zeitpunkt dieser Bindungen. Das äußere Bild hat hier sicherlich manchmal getäuscht. Die Opposition gegen den Zeitpunkt der Bindung ist oft verknüpft worden mit sachlichen Kritiken an den einzelnen Bedingungen der Verträge. Hier trat manchmal diese Kritik gegenüber den zeitlichen Bedenken sogar allzusehr hervor, und ich habe mich manchmal mit Sorge gefragt: Würde die Opposition. wenn sie eines Tages erkennen müßte, daß auch ein weiterer Zeitaufschub nicht zu dem von ihr gewünschten Ergebnis führt, überhaupt noch von den ihrerseits aufgezählten sachlichen Einwendungen hinwegkönnen? Sind nicht gerade in der Frage der Verteidigung, der Wehrhaftmachung oft Bedenken geäußert worden, die nicht allein abhängig sind von dem Zeitpunkt, in welchem man sie äußert, sondern die leider Gottes auch bleibende Bedeutung haben können? Aber selbst hier hoffe
ich, daß die Wege nicht verschüttet sind, und wir haben mit Freuden zur Kenntnis genommen, daß auch andere Stimmen aus dem Lager der Opposition kamen.
Immerhin, selbst wenn die Differenzen sich auf den Zeitpunkt konzentrierten — neben den besonderen Fragen, die mit dem Saarstatut zusammenhängen und die ich, mindestens vorerst, aussparen möchte —, so waren sie doch groß genug. Sie wären nicht so unüberbrückbar geworden, wenn die Verschiedenheit der Voraussagen über die weitere Entwicklung nicht gewesen wäre.
Meine politischen Freunde haben sich bei der Frage nach dem Zeitpunkt gegen einen weiteren Aufschub entschieden. Die Entscheidung fiel nach einer sehr sorgfältigen Prüfung. Es wird hier nicht meine Aufgabe sein, Ihnen die Gründe im einzelnen nochmals zu erklären, auf denen diese Entscheidung basiert. Ich muß sie immerhin andeuten, denn ohne Erwähnung mindestens geht es nicht.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Bundesrepublik Sicherheit braucht. Wir haben weiter den Standpunkt vertreten, daß Sie auch die Gemeinschaft der freien Welt braucht, den politischen Beistand des Westens nötig hat, auch oder vielleicht gerade in der nächsten Zeit. Die Bundesrepublik braucht weiter eine diplomatische Mitsprachemöglichkeit. Wir wünschten schließlich, für ein kommendes Europa die ersten Grundlagen so bald wie möglich zu legen. Wir hörten — und das sei zuletzt noch erwähnt — bei unserer Entscheidung, ob sofortige Ratifikation oder vielleicht doch noch vorher ein Verhandlungsversuch, auch sehr wesentlich auf das Urteil der Sowjetzonenflüchtlinge, auf das Urteil, das von jenseits der Elbe kam.
Bezüglich der ersten hier genannten Punkte, der deutschen Sicherheit, der Gemeinschaft mit dem Westen, des politischen Beistandes durch den Westen, gab es im Grundsatz kaum Unterschiede zwischen uns und der Opposition. Es gibt bei der Opposition nur Befürchtungen — und das war offenbar für ihre Entscheidung doch sehr wesentlich - bezüglich der Haltung der Sowjetunion. Auch wir nehmen die Drohungen der Sowjetunion nicht leicht. Sie ist eine der großen Weltmächte und sie hat in mehr als ungefährer Form gesagt, daß sie diese Verträge als ein entscheidendes Hindernis empfinden würde. In den Wind zu schlagen vermögen wir derartige Dinge nicht. Wir können uns andererseits aber auch bei einer Betrachtung früheren Verhaltens der Sowjetunion und ihrer Politik nicht bereit erklären, all das, was ihre verantwortlichen Männer sagen, nun auch absolut als die letzte Wahrheit hinzunehmen.
Wir glauben nicht, daß der sehr reale Sinn, den Moskau für die Notwendigkeiten der Politik hat, da drüben nicht die Erkenntnis zuließe, daß mit der Ratifizierung, die wir im Begriffe sind zu vollziehen, eine Änderung im effektiven Tatbestand, im effektiven Kräfteverhältnis noch gar nicht vorgenommen wird.
Wir sind bei der Betrachtung der Verhandlungen der Berliner Konferenz weiter an dem Umstand nicht vorbeigekommen, daß damals zwar nicht die gleiche, aber eine ähnliche und in mancher Beziehung sogar noch viel engere europäische Zusammenarbeit zur Diskussion stand, nämlich die EVG, und daß diese werdende Europäische Verteidigungsgemeinschaft damals von der Sowjetunion nicht als ein Hindernis für die Berliner Gespräche geltend gemacht wurde. Die Berliner Konferenz scheiterte - das ist heute schon mehr als einmal gesagt worden — aus anderen Gründen, nicht an der Befürchtung Moskaus, daß ein europäischer Zusammenschluß alle Möglichkeiten verschütten müßte.
Und dann sind Drohungen niemals Argumente.
Wer droht, will doch demjenigen, dem er droht, damit nicht eine Brücke bauen, sondern er will ihn einschüchtern, einschüchtern zu dem Zweck, daß er gefügiger werde gegenüber den Wünschen des Gegners.
Drohungen gerade von d e r Seite sollten eher ein
Argument dafür — also für die Verträge — sein.
Schließlich noch eins. Wir sind doch nicht erst seit gestern als mögliche Gesprächspartner da. Die Sowjetunion hatte seit Jahren die Möglichkeit, uns zu sagen, auf welcher Grundlage sie ernstlich verhandeln will.
Wenn man einwendet: „Ja, wir besaßen keine völkerrechtliche Souveränität, man konnte daher mit uns gar nicht reden", muß ich darauf hinweisen, daß wir bei Nichtratifizierung dieser Verträge die Souveränität auch nicht gewinnen würden.
Aber das ist doch sicherlich nicht der richtige Grund. Solche Formalien hätten es niemals mit sich gebracht, daß Moskau auf ein ernstgemeintes Angebot verzichtet hätte, wenn Moskau ein solches Angebot überhaupt hätte machen wollen.
Und das ist ja auch der schwächste Punkt in der Argumentation unserer Opposition, daß sie trotz allem Wünschen und trotz mancher Andeutungen uns in der Richtung einer ernstlichen Bereitschaft des Ostens eben leider - ich sage: leider, leider — nichts Positives vorzulegen vermag.
Es ist keine bequeme Entscheidung, vor der meine Freunde und vor der auch Sie alle hier stehen. Ohne Mut ist diese Entscheidung nicht zu treffen. In unserer Lage gibt es überhaupt keine Lösung, die ohne Mut und ohne Risiko getroffen werden könnte; und wenn wir nicht geneigt sind, ein Risiko einzugehen, dann kommen wir zu weiter nichts als zu einer passiven Resignation und zu einer Stagnation unserer Verhältnisse. Das mögen gerade diejenigen von uns, denen die Wiedervereinigung als alleroberstes und allervordringlichstes Ziel erscheint — und das ist wohl die große Mehrheit in diesem Hause —, sich immer wieder gesagt haben, daß wir aus einer Stagnation der gesamtdeutschen Idee auf jeden Fall herauskommen müssen.
Wir konnten auch keine Entscheidung treffen nach dem Gesichtspunkt jener berühmten bürgerlichen Sicherheit. Diese bürgerliche Sicherheit wird es mutmaßlich in Europa auf lange Zeit hinaus nicht geben.
Aber haben wir uns nicht auch in mancher Hinsicht die Entscheidung etwas zu schwer gemacht? Haben wir nicht versucht, in diesem Zeitpunkt viele Dinge mit zu entscheiden, die noch gar nicht zur Entscheidung standen? Sind wir denn immer nur von dem ausgegangen, was heute entschieden werden mußte, oder haben wir nicht auch in sehr weitem Maße schon versucht, künftige Entwicklungen jetzt in feste Formen zu pressen? Ist aus diesem Bestreben, alle Möglichkeiten, die die Zukunft als Entwicklung in sich birgt, mit zu verarbeiten, ist aus diesem Bestreben und dann der gegensätzlichen Anschauung über den Gang der Entwicklung nicht manches an Differenzen aufgetaucht, was eigentlich sehr gut einer viel späteren Zeit hätte vorbehalten bleiben können? Wir hatten doch z. B. heute keine Entscheidung über den künftigen Status Gesamtdeutschlands zu treffen. Wenn uns hier von verschiedener Seite gesagt wurde: Ja, aber diese Entscheidung über den zukünftigen Status Gesamtdeutschlands trefft ihr ja in gewisser Weise dadurch, daß ihr mit dem Westen in einen engeren Kontakt kommt, daß ihr euch an den Westen bindet und dadurch Möglichkeiten gen Osten verschüttet, so frage ich, ob dieser Vorhalt nicht ein wenig zu einfach ist. Geht dieser Vorhalt nicht an der Tatsache vorbei, daß die Wiedervereinigung nicht nur eine Frage ist, die man mit dem Osten aushandeln muß, sondern auch eine Frage ist — und es immer war —, die
in gleicher Weise auch mit dem Westen vereinbart werden muß?
Und mußten und müssen wir nicht mit dem Westen genau so über die Wiedervereinigung verhandeln, gleich, ob wir einen Vertrag haben, wie er uns heute zur Ratifizierung vorliegt, oder nicht?
Wir kommen doch an der Tatsache nicht vorbei, daß alle Vier Mächte bei der deutschen Wiedervereinigung beteiligt und tätig sein müssen. Ich glaube nicht, daß unter diesen Umständen das Gewicht der zusätzlichen Bindungen, das in diesen Verträgen enthalten ist, zu unseren Lasten ausschlaggebend sein könnte. Ich glaube eher, daß wir mit diesen Verträgen etwas sehr Positives — ich spreche jetzt nur von der Wiedervereinigung — einhandeln,
nämlich den Beistand der anderen, der bisher nicht auf einer Rechtsgrundlage basierte, der aber jetzt eine Rechtsgrundlage hat.
Noch einmal: alle Möglichkeiten, auch die einer zukünftigen Entwicklung, waren zu durchdenken. Aber die vielen Wenn-Fälle, die allzu vielen Wenn-Fälle, die man uns in den letzten drei Tagen nannte, waren heute nicht zu entscheiden. Die Entscheidung war nur für die Ausgangsbasis gegeben, und sie wird auch nur für die Ausgangsbasis fallen.
Wir haben, wie gesagt, den Verträgen zugestimmt. Aber mit den Verträgen ist erst ein Teil der Aufgaben geordnet. Ein anderer Teil — er ist schon in den Reden der Herren Bundesminister Schäffer und Erhard angeklungen — ist nach meinem Empfinden nicht einmal genügend diskutiert worden. Die Verträge zu unserer Sicherheit, die Verträge für eine gemeinsame europäische Verteidigung haben nicht nur die Seite der Bewaffnung und des Militärdienstes, sie haben auch eine soziale Seite.
Dieses Europa mag über noch so viel Waffen und über noch so gut e Waffen verfügen, es würde untergehen, wenn es nicht eine soziale Ordnung hätte, die Wert wäre, verteidigt zu werden.
Die Sicherung unserer sozialen Ordnung und die Aufrechterhaltung — und für einen Teil unseres Volkes ist zu sagen: die Herstellung — angemessener sozialer Verhältnisse ist genau so wichtig wie Bataillone oder Divisionen oder Beistandspakte.
— Ich freue mich über die allgemeine Zustimmung in diesem Hause zu diesen Dingen.
Ich habe mich auch gefreut über die Ausführungen, die die Bundesminister — ich nannte sie schon, die Herren Erhard und Schäffer — darüber gemacht haben. Ich war allerdings ein wenig von diesen Ausführungen überrascht. Ich will es hier auch sagen; bitte, nehmen Sie das, wenn Sie wollen, kritisch. In vielen Anliegen, die wir in den letzten Monaten an den Herrn Bundesfinanzminister heranbringen mußten, haben wir den Optimismus über die Entwicklung unserer Finanzen nicht gefunden, der ihm eigen war, als er über die Tragbarkeit der Wehrausgaben sprach.
Herr Bundesfinanzminister, wir werden Sie beim Wort nehmen
und wir werden Ihnen immer wieder mit derselben Eindringlichkeit sagen: Sorgen Sie nicht nur für die Bataillone, sondern sorgen Sie auch dafür, daß jeder — jeder! — Deutsche das Bewußtsein hat, mit dem Verteidigungsbeitrag seine Menschenwürde, seine Existenz und ein besseres Leben für sich und seine Angehörigen zu verteidigen als jeder Angehörige der Ostblockstaaten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sagten mit Stolz—und ich glaube, Sie haben auch einen gewissen Grund zu diesem Stolz —, unter Ihrer Ägide sei hier in Deutschland so sehr vieles besser geworden, habe sich unsere Wirtschaft aus den Trümmern wieder erhoben, hätten wir wieder ein Wirtschaftsvolumen erlangt, das in der Welt bedeutsam sei, dazu Außenhandelsbilanz von rund 20 Milliarden Einfuhr und 23 Milliarden Ausfuhr und noch manches mehr, was uns wieder in den Stand, oder jedenfalls in einen Stand ähnlich einer wirtschaftlichen Großmacht erhebe. Herr Wirtschaftsminister, lassen Sie mich in die Betrachtung dieser stolzen Bilanz auch einen kleinen Tropfen Wermut gießen. An diesem wirtschaftlichen Aufstieg sind leider nicht alle unsere Volksgenossen beteiligt.
Ein großer Teil - und das sind Millionen — stehen heute noch nebenbei.
— Auch das, Herr Kollege, daß es kommen soll, wollen wir zur Kenntnis nehmen. Gestatten Sie mir nur die Bemerkung: es hätte eigentlich schon längst kommen müssen.
Aber dafür soll es nicht zu spät sein.
Nun, meine Damen und Herren gerade von der Koalition — denn an Sie habe ich mich, als ich die Anforderung neuer Mittel ankündigte, besonders gewandt —, haben Sie bitte nicht den Eindruck, daß ich diese Debatte dazu benutzen möchte, Ihnen ein baldiges Sozialprogramm aufzumachen. Diese Ausführungen — und das soll hier im Raume ausgesprochen werden — entsprangen einer tiefen Sorge, die weit über die Reihen unserer Partei hinausgeht: daß wir Rüstungsaufgaben, daß wir eine Wiederaufrüstung mit dem Soldatwerden unserer Söhne und Brüder nur dann verantworten können, wenn wir auch im Inneren die Gewißheit haben, daß unsere künftigen Soldaten von der Heimat in dem Bewußtsein gestärkt werden, daß es sich lohnt, für die freie Welt und für diese politische Ordnung auch den letzten Einsatz zu tun.
Ich möchte auch an die Westmächte appellieren. In Verfolg der Vorgänge des Jahres 1945 haben uns die Alliierten in Ost und West in eine Lage gebracht, die es uns unmöglich macht, aus eigener Kraft all das zu schaffen, was hier noch ausgemerzt und korrigiert werden muß. Wir können jene Lasten nicht allein tragen, die durch Vertreibung und Verdrängung, durch den Krieg und seine Folgen entstanden sind und die sich heute noch täglich dadurch mehren, daß es Hunderte sind und vielleicht eines baldigen Tages leider wieder Tausende sein werden, die aus der sowjetisch besetzten Zone zu uns stoßen, weil sie in dem System dort drüben einfach nicht mehr zu leben vermögen.
Wir haben versucht — und, Herr Finanzminister, das war nicht immer im Sinne der Sache —, die Lasten dadurch zu mindern, daß wir einem großen Teil der Sowjetzonenflüchtlinge gewisse Ansprüche aberkannten oder beschnitten, indem wir die Notwendigkeit des Übertritts sehr häufig nicht anerkannten. Ich gebe zu, daß es in manchen, wenigen Fällen Wanderlust war, welche die jungen Leute hierher getrieben hat. Ich gebe auch zu, daß der eine oder der andere dort drüben hätte bleiben können und sich zu Unrecht auf eine Notlage berufen möchte. Aber, Herr Finanzminister, lieber geben wir drei Unberechtigten ihre vollen Versorgungsansprüche und sonstige Hilfeleistungen sozialer Art, als daß ein Berechtigter abgewiesen werden muß.
Wir haben in den letzten Jahren die Sowjetzonenflüchtlinge oft in eine Gewissensnot gebracht, die unvorstellbar ist, in eine Gewissensnot zwischen der Preisgabe von Dingen, die dann ihren Angehörigen und Freunden in der Ostzone zu Zuchthausstrafen verhelfen konnten, und einem Schweigen, das dann meist von unseren Behörden mit der Streichung von Leistungen beantwortet wurde. Ich weiß, Herr Finanzminister, daß man nicht alles an Beseitigung der Nachkriegsnöte und der mit der Zonenteilung Deutschlands zusammenhängenden. Lasten von Ihnen verlangen kann. Ich sagte — wobei ich durchaus unterstelle, Herr Finanzminister, daß manchmal etwas mehr hätte getan werden können —, wir hätten hier die Westmächte daran zu erinnern, daß es auf diesem Gebiet echte Verteidigungsaufgaben gibt, für die einfach Geld genau so gut dasein muß wie für die berühmten Kanonen.
Bis auf die letzte Frage habe ich es vermieden, mich noch einmal in Einzelprobleme des Vertragswerks in Wiederholung der zweiten Lesung einzulassen.
Zum Saarstatut wird wohl einer meiner Freunde später noch zu Wort kommen.
— Ich hoffe es, zumal da dieses Saarstatut in dem vorigen Referat sehr breit angesprochen worden ist. Ich möchte nur für die elf Mitglieder meiner Fraktion, die zu dem Saarstatut schließlich ein Ja gesagt haben, eines erklären: Wir haben dieses Ja nicht aus dem Inhalt des Statuts gefunden. Wir haben es gegeben, weil wir meinten, es im Interesse des gesamten Vertragswerks nicht anders verantworten zu können.
Ich betone, daß ich diese Erklärung lediglich für die elf Mitglieder meiner Fraktion abgebe, die eine von der Mehrheit der Fraktion abweichende Entscheidung getroffen haben.
Meine Damen und Herren! Ich will zum Schluß kommen und möchte meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß dieses Hohe Haus trotz des Streites und der Differenzen gestern abend über eine gemeinsame Erklärung, die Drucksache 997, einig wurde. Im Sinne einer künftigen Zusammenarbeit wollen wir das alle herzlich begrüßen und darin ein gutes Omen sehen.
Wir stehen vielleicht am Anfang eines neuen, für unser Volk entscheidenden Zeitabschnitts. Wir wissen alle nicht, was uns die Zukunft bringt. Wir werden aber alle zusammen das tragen müssen, was das Schicksal dem deutschen Volk zugedacht hat. Wir haben keinen Anlaß zu Freude oder gar zu Jubel. Wir haben aber Vertrauen in die Sache unseres Volkes und besonders Vertrauen dann — und dazu sind nach unserer Meinung die Verträge ein wichtiger Schritt —, wenn die freie Welt unsere berechtigten Anliegen, unsere unveräußerlichen Ansprüche auf Anwendung der Menschenrechte — und auch das Recht auf Heimat gehört dazu —, schließlich zu den ihrigen macht.