Herr Kollege Schmid, genau so war es. Wir haben uns sehr gewehrt dagegen und haben genau dieselben Überlegungen angestellt, auch schon, um die notwendige Frist dabei zu gewinnen. Ich gebe Ihnen recht. Mir gefällt diese Bestimmung auch nicht. Aber ich weiß nicht, ob ich an dem Vorhandensein der Volksabstimmung das gesamte westliche Verteidigungssystem scheitern lassen soll.
— Sehen Sie, Sie geben mir das Stichwort, das ich in meiner Disposition wegen schlechter Schrift nicht schnell genug gefunden habe.
Es ist eine völlige Verkennung der Tatsache, daß man sagt, die Saar sei der Preis für die westliche Verteidigung.
— Ich habe das nicht gesagt!
Ich habe gesagt, daß man es an der Volksabstimmung nicht scheitern lassen dürfe. Aber es ist nicht der Preis, den wir zu zahlen haben.
Das ist eine völlige Verkennung.
— Nun lassen Sie mich doch auch meine Sätze in vernünftiger Weise zu Ende sprechen, ohne daß ich in eine besondere Lautstärke verfallen muß, um über Sie hinwegzukommen. Das ist nicht gut bei dieser Frage.
— Nein, es ist keine Kompensation! Was wurde denn von uns durch Jahre hindurch verlangt? Verlangt wurde von der deutschen Bundesregierung, sie solle einen definitiven Verzicht auf das von den Franzosen unter Mißbrauch des Besatzungsrechtes und unter Duldung der übrigen Besatzungsmächte de facto abgetrennte Gebiet an der Saar leisten, einen definitiven Verzicht! Erst war es ein definitiver Verzicht, ganz klar und deutlich nur eine Abtrennung. Nachher wurde es etwas verzuckert und versüßt
durch die Vorstellung einer Europäisierung, um die dann lange gerungen worden ist. Der definitive Verzicht auf Volk und Gebiet an der Saar, das war das Petitum, das an uns gestellt worden ist. Und was hat die Bundesregierung erreicht? Drehen wir doch die Dinge nicht um und stellen wir sie nicht auf den Kopf! Sie hat eben nicht den Verzicht, weder provisorisch noch definitiv aussprechen müssen, sondern sie hat die entscheidende Position der zweiten Volksabstimmung und der internationalen Anerkennung erreicht, daß diese Frage eine Regelung im Friedensvertrag erhalten soll, also gerade das Gegenteil von dem, was man von ihr bisher verlangt hatte.
Wir können doch über diese Erfolge nicht einfach hinwegsehen. Ich meine, damit bekommt doch auch die Entscheidung der Kollegen — auch aus meiner Fraktion —, die sich zu einem Ja um des Ganzen
1 willen und um des Gedankens der möglichen Verständigung willen durchgerungen haben, eine andere Bedeutung. Wir entwerten ja deren Verantwortung und Entscheidung, wenn man etwa sagt, sie seien bereit gewesen, einen unsittlichen — denn das wäre es ja — Preis für das Ganze zu zahlen. Das ist nicht der Fall. Man hat etwas, was durch Jahre auf das zäheste von uns verlangt wurde, abgewehrt und hat nicht den definitiven Verzicht aussprechen müssen, den man von uns verlangt hat.
Nun kommen wir in den berühmten deutschen Zitaterich hinein.
Ich muß leider etwas widersprechen. Nach meiner Erinnerung — ich habe noch einmal versucht, die Quelle zu finden — hat, glaube ich, Talleyrand gesagt: „Ce n'est rien que le provisoire qui dure". Nun sehen Sie, das ist ein sehr großer Unterschied. Talleyrand war ein Mann, der in seinen politischen Grundkonzeptionen manche Dinge vorausgenommen hat, die auch für uns heute gültig sind. Immerhin, er hat für Frankreich — für Frankreich damals in einer auch recht verzweifelten Lage — einen sehr entscheidenden Erfolg erzielt, weil man damals in diesem beginnenden 19. Jahrhundert und ausgehenden 18. Jahrhundert — die Menschen stammten ja noch alle aus dem 18. Jahrhundert her — die Kraft hatte, einen Frieden der Verständigung zu schließen. Ich möchte gerade dieses etwas skeptische Wort von Talleyrand „Ce n'est rien que le provisoire qui dure" zum Anlaß nehmen, zu erklären: Wenn es wirklich gelingt, über dieses Provisorium hinweg eine durable Verständigung in Europa und mit Frankreich zustande zu bringen, dann werden auch diejenigen, die sich jetzt dazu durchgerungen haben — und so eine Entscheidung fällt schwer —, einmal in besonderem Maße gerechtfertigt sein. Wer wirklich die bittere oder die süße Pille geschluckt hat, das wird doch erst die Geschichte entscheiden, wenn man zum Schluß die Bilanz zieht über alles, was wir getan haben. Und den Mut müssen wir haben, den Weg zu gehen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt: Was ist verloren, wenn vorher verhandelt wird? Ich antworte darauf: Mit einer Verhandlung vor der Ratifikation, die ja von uns abgepreßt werden soll — verhandeln wollen wir ja alle; aber die Sowjetunion sagt eben: Wir verhandeln nicht mehr mit dir, wenn du ratifiziert hast —, wenn man also auf diesen Willen der Sowjetunion einginge, wird die Zusammenarbeit der westlichen Nationen und ihre Unterstützung unserer Anliegen verloren. Das wird verloren!
Zweitens besteht die Gefahr, daß mit den Verhandlungen vor der Ratifikation auch der Schutz der Vereinigten Staaten für Europa — nicht nur für uns, sondern überhaupt für Europa — aufgegeben wird und man sich auf eine Strategie der peripheren Linie einigt.
Ferner wird wiederum Zeit vertan — und im Sinne des Ostblocks gewonnen —, um den Wettlauf der Rüstungen, der zwischen den USA und dem Ostblock stattfindet, weiterlaufen zu lassen. Verloren wird, wenn man auf dieses Ansinnen eingeht, die Grundlage für die Möglichkeit einer Gesundung in Europa.
Meine Damen und Herren, die anderen Kollegen haben heute, in dieser geschichtlichen Stunde, die Zeit für ihre Fraktionen in Anspruch genommen, um ihre Standpunkte darzustellen. Ich weiß, daß, wenn man als letzter Redner spricht und eigentlich schon fast alles gesagt ist — man kann kaum noch etwas hinzufügen —, die Menschen ungeduldig werden. Aber ich halte es für meine Pflicht, auch namens meiner Fraktion alles so darzulegen, wie das notwendig ist.
Es kommt mir auf eines an — und gerade, wenn wir das sagen, sollte es in der Welt auch etwas gehört werden —: die Überwindung des Nationalismus. Es ist auch heute — und nicht nur heute, in der öffentlichen Propaganda, und es gibt keine Fraktion in diesem Hause, die sich ganz hiervon freisprechen könnte — immer zu einer gewissen Buhlschaft mit den nationalistischen Ressentiments gekommen. Irgendwie gebraucht man Formulierungen, die einmal über die Lippen kommen und etwas scharf sind und die man im Grunde genommen, im stillen doch bereut, wenn man sie gemacht hat. Keine Partei hat bisher, wenn man in die Hitze der Wahlkämpfe kommt, ganz auf Formulierungen verzichtet, die diese nationalistischen Ressentiments ansprechen sollen. Dieses Buhlen mit einem nationalistischen Ressentiment ist etwas, was überwunden werden muß. Irgendwie kreisen wir bei diesen Dingen — das ist auch heute bei der Debatte zum Ausdruck gekommen — um Wahnvorstellungen und verbauen uns den Weg nüchterner konstruktiver politischer Lösungen, für die wir dann allerdings auch vor der Wählerschaft eintreten müssen und sie überzeugen müssen. Das ist eine mühselige Arbeit.
— Nicht umgekehrt! W i r haben zu überzeugen, denn wir sind hierher geschickt worden, damit wir uns mit diesen Fragen profunditus beschäftigen und unseren Wählern sagen können, wie die Dinge liegen, und damit wir sie überzeugen und sie von Entstellungen und Irrtümern wegbringen. Das ist unsere Aufgabe. Wenn uns die Wähler das eben nicht abnehmen, dann sollen sie uns nicht wieder wählen; dann gehen wir nach Hause.
— Ja, durchaus, man muß riskieren, daß man nach Hause geschickt wird.
— Herr Mellies, sicher, das kommt auf den Mann an und was er wert ist.
Militarismus! Darunter bezeichnen wir ganz nüchtern ein solches Schwergewicht der Militärs in der Politik, daß die gesamte innen- und außenpolitische Konzeption vom Willen und den Wünschen der Militärs bestimmt wird, also ungefähr so, wie das in Moskau der Fall zu werden scheint; da ist eben echter Militarismus, nachdem die Armee zweimal
die Staatskrise gelöst hat. Wir, die wir hier in einer rechtsstaatlichen freiheitlichen Demokratie leben — Sie können gewiß sein, daß ich der soldatischen Tradition, aus der meine Vorfahren herkommen, alle Achtung und Ehrerbietung zolle —, haben doch gesehen, daß eine Außen- und Innenpolitik, die nur von militärischen Bedürfnissen, militärischem Denken durchtränkt ist, die also militaristisch ist, zu schweren Fehlentscheidungen führt. Fragen Sie einen Berufssoldaten, der durch die Generalstabsschule gegangen ist, der also wirklich etwas gelernt hat, der auch an der Front war, ob der einen Militarismus und einen militaristischen Staat bejaht oder dazu nein sagt! Im Gegenteil, das stört im Grunde genommen die Sauberkeit und Reinheit der Arbeit, der schlichten bescheidenen Arbeit, die letzten Endes in einer Armee, in einem soldatischen Beruf geleistet werden muß.
Aber wenn man schon gegen Militarismus und Nationalismus zu Felde zieht, dann gilt das auch für die Überwindung des Klassenegoismus und all der Formen, die damit verbunden sind.
Wir haben heute über das Wesen des Plebiszits diskutiert. Es ist ein Unterschied, Herr Kollege Ollenhauer — wenn ich mir das erlauben darf zu sagen —, ob Sie die Meinung des Volkes testen, so wie die wissenschaftlichen Meinungsforschungsinstitute das machen, oder ob man gewissermaßen Teilplebiszite in den Formen, wie sie bei Ihrer Volksbefragung vorgenommen worden sind, durchführt. Sie haben sich selbst von dem Begriff des Plebiszits als verfassungsrechtlichen Instituts abgesetzt, weil Sie darin durchaus ein totalitäres Element der Verfassung sehen. Aus Plebisziten haben sich bisher die totalitären Systeme entwickelt.
— Die Schweiz können Sie nicht anführen, weil die Referenden dort in ganz kleinen überschaubaren, oft nur wenige tausend Menschen umfassenden Staatsgebilden durchgeführt werden; von einer Massendemokratie in der Schweiz können Sie nicht reden.
Nun, ich möchte mich bei der Frage nicht zu lange aufhalten. Es wurde angeführt, es sei doch auch von uns im Saarstatut ein Plebiszit vorgesehen worden, warum wir uns also dann so gegen dieses Plebiszit aussprächen. Das ist etwas ganz anderes. Wir haben in Art. 29 des Grundgesetzes auch ein Plebiszit vorgesehen. Plebiszite sind nämlich immer geübt worden, wenn es sich um eine Gebietszugehörigkeit handelt. Das ist etwas ganz anderes als eine manipulierte Frage, die ich dem Wähler durch die Technik der Meinungsbildung, durch die Art der Fragestellung aufdrücken kann.
Meine Damen und Herren, der Kollege Schmid hat sehr scharfe Formulierungen hinsichtlich der Souveränität gefunden. Ich stimme übrigens mit seiner Theorie der Treuhandschaft der Souveränität, die von uns auch immer vertreten worden ist, vollkommen überein. Wir sind uns darüber einig: das ist ein Verhältnis nach innen. Aber nach außen gibt es keinen rechtlichen Qualitätsunterschied hinsichtlich des Vermögens, sich durch Verträge verpflichten und binden zu können. Nach innen ist es eine Selbstbeschränkung. So fassen wir die Treuhandschaft auf.
Aber Herr Kollege Schmid, Sie haben da auch eine dieser etwas vergifteten Formeln, wenn ich so sagen darf, benutzt. Sie haben von den Freigelassenen gesprochen. Kaum daß das Wort Freigelassene als Qualifikation für die Aufhebung des Besatzungsregimes kam, tauchte bei mir auch die Vorstellung der Klientel auf,
denn die Freigelassenen waren ja auch in der Klientel und dem Patronat unter einem Mächtigen. Herr Kollege Schmid, solche Bemerkungen sind, wie soll ich mich ausdrücken, literarisch ja ganz amüsant; aber politisch sind sie gefährlich.
Glauben Sie denn wirklich, daß ein altes Volk wie die Deutschen mit einer über tausendjährigen Geschichte, wenn wir wieder zur Ausübung unserer eigenständigen, nur in uns ruhenden Souveränität kommen, indem wir uns durch eine mühevolle Diplomatie allmählich aus den Fesseln der Sieger herausgelöst haben, daß eine solche alte Nation mit ihrer geschichtlichen Würde damit in den Stand der Freigelassenen und der Klientel zurückzusinken vermag?
— Bitte.