Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Aber dagegen, Herr Professor Schmid, habe ich ja gar nicht polemisiert.
Ich habe gegen Ihren Ausdruck der Freigelassenen polemisiert, daß das ein Vorgang wäre wie eine Freilassung. Und zum Schluß haben Sie der Nation sozusagen zugerufen, daß das Joch der Fremdherrschaft auf ihr weiter liegenbliebe. Darauf wollte ich eigentlich gar nicht eingehen, weil man solche Dinge nicht wieder ausgraben soll. Aber tatsächlich war dieses Bild des Jochs, das von uns weiter getragen wird, Gegenstand Ihrer Ausführungen. Ist das das richtige Bild hinsichtlich eines Vertrages mit dreien der Mächte, die über uns Gewalt haben, die ich niemals als Oberherren anerkennen kann? Ich trete dafür ein und wir alle, die wir hier sitzen: ein altes Volk wie die Deutschen, auch wenn es besiegt wird, auch dann, wenn es Prokonsuln bestellt bekommt, wir bleiben Herren unseres Geschicks auch in Ketten.
— Ja, Sie finden das heute lächerlich, was einmal einer unserer größten Dichter in einer Zeit gesagt hat, als es genau so um die deutsche Nation bestellt war?
— Ja, nun, weil ich es sage, schön, schön. Aber wir wollen jetzt nicht ins Persönliche kommen.
Wenn ich als den Kern Ihrer Ausführungen, um auch hier um der Gerechtigkeit willen etwas zu sagen, das nehmen soll, daß Sie es als eine Pflicht ansehen, wie wir sie alle empfinden, daß niemals eine Außenpolitik, überhaupt eine politische Meinung der inneren Abhängigkeit, des Sich-Gewöhnens an ein Abhängigkeitsgefühl betrieben werden soll, dann, Herr Schmid, stimmen wir alle darin überein, soweit wir etwas auf uns halten. Aber, wie gesagt, das ist die Gefahr dieses Wortes, das in den Raum gestellt worden ist.
Ich möchte Ihre Zeit nicht mehr übermäßig in Anspruch nehmen. Nur eins sei gesagt: Diese Ohnemich-Gefühle, Sie können sich von der Verantwortung nicht frei machen, daß Sie auch diese Ressentiments und Strömungen ausgenutzt haben und auf sich zukommen lassen. Wenn in Hamburg, als die Vorsitzenden unserer Parteien sprachen, die Plakate überklebt worden sind etwa mit der Beschriftung „Wie bringen wir die deutsche Jugend ins Massengrab?", um damit das Thema der Kundgebung auszulöschen,
dann ist dies doch wirklich etwas, was man noch nicht einmal mit dem Wort „Demagogie" kennzeichnen kann; das reicht noch nicht aus. Das ist ein ganz böses Ausnützen von Strömungen aus dem Untergrund, wie sie aus der besiegten Situation unseres Volkes heraufkommen.
Das dürfen Sie nicht verantworten. Denn sehen wir es doch einmal richtig. Was ist dieses Ohne-mich der Verbitterten und der Verneinenden denn anderes als der egoistische Wunsch, daß man seine Ruhe haben will, was menschlich höchst verständlich ist, und was man dann entweder mit einem nationalen oder mit einem pazifistischen oder mit einem anderen moralischen Mäntelchen zu umhängen bestrebt ist?
— Natürlich! Glauben Sie, daß irgendeiner hier auf den Bänken der Regierungskoalition sitzt, der diesen Geistlichen und Gelehrten, diesen Männern, die sich mit Ihnen in der Paulskirche verbunden hatten, seine Achtung versagen würde, sie etwa diffamieren würde? Diese Menschen haben das in ihrer Verantwortung getan. Aber es berührt uns sehr schmerzlich, und wir möchten uns dem Ausspruch des Propstes Asmussen anschließen, der etwas sehr Richtiges festgestellt hat: Soll denn eigentlich gewissermaßen nur für die Neinsager gebetet werden? Hilft uns denn keiner mit seinem Zuspruch in dem, was wir zu verantworten haben?
Ein Punkt, der auch einmal erwähnt werden soll!
Was heißt in diesem mitteleuropäischen Raum praktischer Pazifismus? Er ist doch gar nicht möglich. Wir können doch die Philosophie und die Lehre ostasiatischer Völker, etwa in der Form, wie ein Gandhi seinen Befreiungskampf in Indien geführt
I hat, nicht auf unseren Raum übertragen. Pazifismus heißt doch Inaktivität, und Inaktivität einem Lande, dessen innerste Kulturgrundlage Aktivität ist, aufzwingen zu wollen, bedeutet Verzicht auf jeden Lebensstandard, bedeutet eben ein Hinvegetieren.
Ich möchte hier zum Abschluß sagen: Es ist nur eine scheinbar aussichtlose Lage für Verhandlungen über die Wiedervereinigung.
Die uns bisher von der Sowjetunion gestellten Bedingungen, auf der Grundlage der Note vom März 1952 zu verhandeln, können wir nicht akzeptieren. Wir können auch nicht unter der Erpressung der Wehrlosigkeit in wirklich sinnvolle Verhandlungen eintreten. Die Sowjetunion hat ihre Zone bewaffnet und sie praktisch bereits jetzt integriert. Allerdings, ich gebe der Sozialdemokratie zu: Etwas droht, was zu verhindern wir auch die Westmächte aufrufen müssen. Es könnte durch einen solchen formellen Integrationsvertrag mit Moskau gewissermaßen eine Lebensversicherung für die Pankower Regierung abgeschlossen werden. Das ist eines der Risiken, die wir eingehen. Aber alles das kann uns doch nicht dazu bringen, die unannehmbaren, für die Freiheit und den Frieden unannehmbaren Bedingungen der Note von 1952 zu akzeptieren.
Es ist der Bundesregierung vorgeworfen worden — und ich spreche nicht für die Regierung, sondern für meine Fraktion, die die Verantwortung für diese Regierung mitträgt —, sie habe nicht die notwendige Aktivität gezeigt. Meine Damen und Herren, ich erinnere hier an die Note der Bundesregierung vom 8. Juli 1953 an die Westmächte zur Herbeiführung einer Viererkonferenz mit dem Ergebnis, daß diese Konferenz in Berlin schließlich zusammengetreten ist, die Note, in der erstens die Konferenz gefordert wird, zweitens die Grundlagen, die später zum Eden-Plan geführt haben, als Konferenzthema für die Lösung der deutschen Frage angeboten werden und drittens bereits der Weg angedeutet wird, der künftig gegangen werden muß, und gesagt wird, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft der Ausgangspunkt für ein Sicherheitssystem sein soll, das letzthin die Entspannung zwischen Ost und West bringt. Bisher sind wirklich praktikable Ideen für eine aktive, konkrete Wiedervereinigungspolitik außer denen, die hier in dieser Note formuliert worden sind, noch nicht hervorgebracht worden. Ich habe jedenfalls keine gesehen.
— Das nennen Sie „billiger Jakob"? Ich glaube, man muß diese Dinge auch etwas verständlich zu machen suchen; denn was an Argumenten vorgetragen worden ist, hat allmählich einen solchen Irrgarten der Gedanken geschaffen, daß, wenn man sie dann destilliert, wirklich nur außerordentlich wenig übrig bleibt.
Meine Fraktion tritt dafür ein, daß diese Verhandlungen geführt werden sobald ein Verhandlungsergebnis möglich ist. Aber dazu ist notwendig, wie der Bundeskanzler gestern bereits zum Ausdruck gebracht hat, die Mitwirkung des freien Teiles Deutschlands, jenes System der Entspannung zwischen Rußland und Amerika, zustande zu brin-
gen. Meine Damen und Herren, das ist es, was wir wollen. Wir wollen ein Recht wirklicher Mitsprache bei der Lösung der großen Weltfrage, die uns letzthin auch als Nation am meisten interessiert, der Entspannung zwischen Ost und West. Dazu brauchen wir die Souveränität, die uns diese Verträge gewähren. Dazu brauchen wir auch die Unterstützung der Westmächte, was bedingt, daß wir uns ihrem Verteidigungssystem anschließen. Dazu müssen wir uns nun entscheiden. Wir nehmen klar und deutlich die Entscheidung auf uns und denken dabei auch an einen Satz, der, wenn ich recht unterrichtet bin, in der Divina Commedia von Dante steht: Der heißeste Platz in der Hölle ist für diejenigen vorbehalten, die in einer Gewissensfrage neutral geblieben sind.