Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
— In die Öffentlichkeit geflüchtet und ungerügt das hingenommen, was Georg Reuter gesagt hat. Nun, ich habe gesagt: Wer sich so verhält, der kündigt die politische Grundordnung unseres Staates auf.
Aber ich teile mit Ihnen die schwere Sorge, die Sie haben, und bin wirklich auch an dieser Stelle zu einem Gespräch bereit. Es rührt uns vor allem tief an, daß in der Welt der Eindruck entstanden ist, wir hätten uns mit der Teilung unseres Vaterlandes abgefunden. Deswegen begrüße ich jede Stimme, die sich dagegen erhebt, gegen diesen Eindruck, wir akzeptierten die Lage; das sei für uns der Status einer Koexistenz der Deutschen. Wir nähmen hin, was nun einmal über uns gekommen sei. Wir bauten in Bonn die Regierungspaläste links des Rheins, weil wir nicht daran dächten, nach Berlin zurückzukehren. Man kann sich ja nicht laut und deutlich genug gegen eine solche Unterstellung besonders in der Welt wehren und kann sich nicht genug freuen — ich sage es noch einmal — über die zunehmende Empfindsamkeit der Deutschen in dieser Frage.
Ich sage: Wir stehen zu Europa. Ich habe ein Bekenntnis dazu abgelegt, aber wahrlich nicht minder zu den deutschen Menschen und damit zu der Forderung höchster Aktivität, des Einsatzes unserer gesamten geistigen, seelischen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte, um die Deutschen in der Zone zu befreien; denn darum geht es doch am Ende.
Wir haben Sorge vor der Kraft der Tatsachen,
Sorge, daß die Dinge zu lange dauern und von Tag
zu Tag irreparabler werden. Man kann fragen, ob
es richtig ist, daß der katholische Politiker in Frankreich Henri Teitgen in der französischen Kammer vor kurzem einmal gesagt hat: „Ob man es will oder nicht, Deutschland hat heute nur die Wahl zwischen zwei praktischen Zielsetzungen: Einheit Europas um jeden Preis oder Einheit Deutschlands um jeden Preis." — Wenn er „Europa" sagt, meint er natürlich Klein-Europa, Europa ohne die Iberische Halbinsel, Europa ohne Skandinavien, also ein Europa, wie es jetzt sich in der Erweiterung des Brüsseler Paktes in der Westeuropäischen Union mit England darstellt.
Und nun die Frage, die hochkommt: Zuerst ratifizieren und dadurch den Weg freimachen zur weiteren Aktivität oder zuwarten, wie die Opposition es fordert, zunächst noch einmal sondieren und klären und deswegen die Ratifikation hinausschieben? Nun, wir haben beide Meinungen — — Ich will es nicht so sagen. Wir haben unsere eigene Meinung. Wir haben von eh und je gefordert: Man muß verhandeln, jede Möglichkeit des Gespräches muß gesucht werden zwischen den Alliierten und den Russen, nach Möglichkeit zwischen uns und den Russen. Ich gehe hier durchaus mit Herrn Ollenhauer einig. Was kann das Gespräch schaden? Die Russen sind doch nicht leprakrank — wie man's darstellt —, daß eine Berührung uns infizierte! Jedes Gespräch kann nur lösen. Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger des Gespräches, der Grundsätze, die Martin Buber aufgestellt hat, daß am Ende das Humane, das Menschliche im Gespräch, im lösenden Gespräch besteht. Wir sind keine Illusionisten, keiner von uns; aber das wissen wir: daß das Gespräch wahrlich nicht verwirrt, sondern nur nützen kann, nur Mißverständnisse, Hemmungen beseitigen kann. Als wir kürzlich einmal ein sehr schönes Gespräch mit den Vertretern der Evangelischen Kirche hatten, da hat Bischof Lilje immerhin einen katholischen Denker, Pascal, zitiert, sein Wort: Gott in der Wahrheit suchen. Man kann am Ende auch die politischen Entscheidungen nur in der Wahrheit suchen und finden. Und die Wahrheit löst sich, gestaltet sich im Gespräch.
Nun wäre es naiv, zu glauben, es gebe eine einfache und bequeme Möglichkeit, die gewaltigen Probleme, die vor uns liegen, die uns bedrücken, in einem Gespräch, in einer Verhandlung, in einer neuen Viererkonferenz zu lösen, zu überwinden. Die eigenen Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer beweisen, daß er diese Zuversicht nicht hat. Ein sehr kluger Parteifreund des Herrn Kollegen Ollenhauer, d. h. es ist einer der Vielen, die leider nach 1945 sich von der richtigen Erkenntnis zur falschen Partei geschlagen haben in der subjektiven Bewertung — —
— Glauben Sie denn wirklich, daß unsere Parteienstruktur, Herr Mellies, richtig und glücklich ist? Was wir gestern abend hier erlebt haben, — haben Sie das Gefühl, daß die Parteien geistig und organisatorisch so gestaltet sind, daß richtige Entscheidungen hochkamen? Meinen Sie, daß die Entscheidung über das Europäische Statut für die Saar der Beweis für eine richtige Organisation unserer Parteien ist? Ich bin anderer Meinung.
Ich will von dem bayerischen Finanzminister Zietsch sprechen, einem ausgezeichneten Manne, einem ehrlichen Manne, einem Manne, der auch Mut hat und der in sehr eindrucksvoller Weise in der letzten Woche davon gesprochen hat, daß
1 man sich doch vor Illusionen hüten solle, daß jede Form der Wiedervereinigung unter der Churchillschen Warnung aus dem Kriege stehe: Leid, Schweiß, Tränen, Blut!
So einfach ist es doch nicht, wie die Opposition wähnt. Wir kennen die psychologischen Hemmungen. Wir stehen wirklich zwischen zwei Feuern. Wir wissen, die Franzosen haben Furcht vor den deutschen Soldaten, die Russen haben Furcht vor den deutschen Soldaten und dem amerikanischen Rüstungspotential. Wir wissen, wie schwer es ist, hier einen Weg zu steuern.
Wir wollen auch bei dieser Betrachtung nicht vergessen, wie der jetzige Zustand entstanden ist. Meine Damen und Herren, es waren ja primär nicht die Russen, die auf die Teilung Deutschlands gedrängt haben. Churchill hat schon vor Jalta in Moskau Verhandlungen mit den Russen geführt, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern. Er hat dann auf der Moskauer Konferenz es durchgesetzt, daß die Franzosen in den Kontrollrat aufgenommen wurden. Sie wissen doch, daß es dann ausgerechnet die Franzosen waren, die die Bestimmung des Potsdamer Abkommens, daß zentrale deutsche Verwaltungsstellen in Berlin errichtet werden sollten, nicht durchgeführt haben. Das ist die unheilvolle Kausalkette. Vielleicht wissen Sie auch, daß Bidault im August 1945 mit de Gaulle nach Washington gefahren ist, um die Verewigung der Spaltung Deutschlands festzulegen.
Aber die entscheidende Frage: Ist es denn wirklich so, daß primär die Frage der freien Wahlen zur Debatte stehen wird, daß die Wiedervereinigung sich durch freie Wahlen vollziehen wird? In der Aussprache ist wieder in Erinnerung an ein entstelltes Wort von mir das Wort von den unfreien Wahlen aufgeklungen — jedenfalls mit deutlicher Spitze gegen mich —, etwas, was ich in dieser Form doch nie gesagt habe. Es war nur ein Versuch, mir einmal real und nüchtern zu vergegenwärtigen: Wie werden einmal Wahlen möglich sein, und wie werden sie aussehen? Werden sie chemisch reine freie Wahlen sein, oder werden wir nicht stärkste Hemmungen hinnehmen müssen? Ach, ich möchte fast übersteigert sagen: Sind wir nicht bald so weit, daß wir sagen, wir nehmen ein Risiko auf uns? Das ist doch die Frage.
Aber so wird es nicht kommen. Meine Damen und Herren, Wahlen werden am Ende einer Verständigung stehen,
werden erst möglich sein, wenn einmal die Weltmächte den Weg zueinander gefunden haben. Darum geht es.
Die russische Offensive in Europa in den letzten Jahren ist ja Gott sei Dank abgeklungen — 1948/49 — mit der mißlungenen Berliner Blockade, mit der Schlappe im griechischen Bürgerkrieg, mit dem Abfall Titos. Das Korea-Abenteuer war noch einmal ein Rückschlag in diese Politik, ein Symptom der damaligen Verkrampftheit.
Ich bin der Meinung, das könnte uns doch optimistisch stimmen und sollte auch unsere deutschen Menschen zuversichtlich machen. Der Prozeß der Entspannung, der Entkrampfung in der Welt ist im Fortschreiten.
Wir haben in den beiden letzten Tagen diese Welt nach meiner Meinung zu sehr wieder als zweigeteilt gesehen, zu sehr unter dem Zwang des Entweder-Oder der freien Welt und der bösen bolschewistisch-russischen Welt. Es liegt lange zurück, daß Eisenhower einmal das Wort gesprochen hat: „Die Heere Gottes und des Teufels stehen einander bewaffnet gegenüber." Dieses Schema gilt nicht mehr, und er selber, glaube ich, wird es nicht mehr gelten lassen, nicht nur wegen des moralischen Anspruchs, der darin liegt, sondern vor allem deswegen, weil in dieses Schema doch die Hälfte der Menschheit überhaupt nicht hineinpaßt. Indonesien, die Philippinen, Indien, Pakistan, Burma, Ceylon, Vietnam, China, Japan — das sind 1 Milliarde 300 Millionen Menschen, die nicht in dieses Schema gehören. Nun, ich werde noch ein Wort darüber sagen; es scheint mir wichtig.
Aber voraus, meine Damen und Herren: In den letzten Jahren ist die Grundstimmung zum Frieden dauernd gewachsen, und das läßt uns hoffen. Nur einige Beispiele: die Beilegung des Suez-Konflikts zwischen Großbritannien und Ägypten, die Lösung des Triest-Problems, die Pazifik-Charta der Manila-Konferenz, die Commonwealth-Konferenz vor wenigen Wochen, die Beilegung des Indochina-Konflikts, nun auch der Übergang der Sowjetpolitik von der massiven Drohung zu einer etwas elastischeren Art des Verhandelns. Ich sehe auch in der Formosa-Situation doch eine Entspannung, auf jeden Fall den Verzicht auf den Glauben, man könne von Formosa aus mit Tschiangkaischek den chinesischen Kontinent erobern; ich glaube, dieses Sprungbrett wird langsam abgebaut.
Ich bin überhaupt der Überzeugung: Es wird in absehbarer Zeit keinen Krieg geben. Es kann, soweit verständige Erwägung möglich ist, in dieser Situation keinen Krieg geben. Auch die Weltmächte wissen, daß ein solcher Krieg keinen Sieger kennen wird, daß der Sieger — nun, das war beinahe schon das Gesetz jedes Krieges der letzten Zeit — das Los des Besiegten teilen wird. Die Politik der Stärke ist, glaube ich, zu Ende. Die war zu Ende, als der Russe die Wasserstoffbombe entwikkelt hatte und es einen entscheidenden technischen Vorsprung der westlichen Welt nicht mehr gab. Das kann uns mit Zuversicht und auch mit einem Stück Ruhe erfüllen, meine Damen und Herren. Wir leben unter keiner aktuellen Drohung; das ist meine Überzeugung.
Ich möchte ein Wort des englischen Geschichtsphilosophen Toynbee zitieren, der, meine ich, etwas Bedeutsames gesagt hat. Er sagt: „Das Wichtigste, was wir in diesen gefährlichen Zeiten kaufen können, ist Zeit", das ist das wichtigste; ist Zeit, die uns Ruhe gibt, und ist „Zeit, wenn wir sie zu dem positiven Zweck benutzen, die unkontrollierten Massen dieser Welt auf unsere Seite zu bringen: die Völker Asiens und Afrikas, die wahrscheinlich die letzte, die entscheidende Stimme in die Waagschale werfen werden." Ich glaube, es ist nützlich, einmal die Welt, unseren Planeten, auch so zu sehen.
Meine Damen und Herren, bedenken wir den großen Teil der Welt, der noch nicht unter russischem Einfluß steht! Nun, ein kurzer Blick: Japan unter der neuen Regierung Hatoyama-Schigemitsu, die sich aus der amerikanischen wirtschaftlichen Bindungen gelöst haben, die alten wirtschaftlichen Beziehungen zu China wiederherzustellen versuchen; China unter Mao Tse-tung und Tschu En Lai, das doch alles sein will, nur kein Satellitenstaat Rußlands, das nur vielleicht rot ist, meine Damen und Herren, das aber eher und mehr als rot
gelb sein wird und das niemals weiß sein wird. Wir sehen Burma, Thailand, Indochina und das Indien Nehrus, die sich wirtschaftlich, sozial, gesellschaftlich und politisch im Umbruch befinden, und wir sehen Nordafrika. Welche Chancen für uns bei diesem großen Entwicklungsprozeß, der sich in der Geschichte seit der Befreiung der Kolonien der griechischen Stadtstaaten, der römischen Kolonien, seit der Befreiung der spanischen, englischen, portugiesischen Kolonien in Amerika immer und immer wieder vollzogen hat! Ich meine, die sowjetischen Weltrevolutionspläne können sich auch an dem Freiheitswillen der asiatischen Völker brechen, und diese asiatischen Völker sind unsere gegebenen Bundesgenossen.
Abgesehen davon meine ich, meine Damen und Herren: das Jahr 1954 hat sich außenpolitisch auch dadurch ausgezeichnet, daß sich die lange. Zeit erstarrte Nachkriegssituation aufgelockert hat, daß sich die Weiß-Schwarz-Konturen, mit denen man die Weltlage zu zeichnen versuchte, leicht verwischt haben, besonders auch dadurch, daß die polaren Großmächte, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gezwungen waren, die politisch und wirtschaftlich erstarkenden Völker ihrer Machtbereiche freizugeben und ihnen größere Freiheit einzuräumen.
Ich meine: man kann das Problem, so wie es richtig in der Frage des Herrn Kollegen Kiesinger an Herrn Ollenhauer aufgeklungen ist, nur in der Sicherheitsfrage klären. Am Ende ist das ganze Problem einer Möglichkeit der Verständigung mit den Sowjets und damit der Möglichkeit der Wiedervereinigung eine militärtechnische Frage.
Es ist sehr interessant, was in dieser Richtung in den letzten Tagen gesagt worden ist. So hat Mr. Dulles darauf hingewiesen, daß nach seiner Meinung die neuen Männer im Kreml — er meinte wohl vor allem Chruschtschow, Bulganin und Schukow
— einen russischen Nationalismus entwickeln könnten, der den Internationalismus der kommunistischen Weltexpansion ersetzen, in den Hintergrund verdrängen würde. Er spricht davon, daß er in einer solchen Situation die Grundlage für lohnende Verhandlungen und praktische Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem „neuen Rußland" — sein Wort — sehen würde und daß dann die „historische Freundschaft" — welch neue Worte, welch neue Klänge! — zwischen den beiden Ländern und Völkern erneuert und verstärkt werden könnte. Und unser so realpolitisch denkender Herr Bundeskanzler hat hier nach dem Systemwechsel drüben in Rußland etwas Ähnliches gesagt, indem er äußerte, daß er von dem nüchternen, realpolitischen Sinn der neuen Männer des Kreml mehr erwarte als von den Politikern, die von Ideologien erfüllt sind. Generäle pflegen die Verantwortung für militärische Sicherheit allen anderen Überlegungen voranzustellen.
— Nun, er hat auf jeden Fall hier ein kluges Wort gesagt, und man muß für jede Weisheit dankbar sein.
— Na, warten Sie bis zum Ende, ob Sie den Vorwurf aufrechterhalten. Sie wissen, daß ich mit vielem, was er in den letzten Tagen gesagt hat, wahrlich nicht einverstanden bin.
Auch der kluge englische Premier, Sir Winston Churchill, und Sir Anthony Eden, sein Außenminister, haben sich in ähnlicher Weise wie Foster Dulles und wie unser Bundeskanzler geäußert. Also keiner dieser Männer hat sich durch die Systemrede des Herrn Molotow irritieren lassen, Herr Kiesinger!
Darauf kann man kein politisches System, keine politische Haltung aufbauen.
Ich sage: Wiedervereinigung setzt militärische Verständigung voraus, und das ist natürlich die Schwierigkeit, daß die Russen ein außerordentliches Interesse daran haben, die jetzigen militärischen Verhältnisse aufrechtzuerhalten, schon um den Vorwand zu haben, die militärischen Kräfte in Osteuropa und auf dem Balkan zu lassen.
Warum ist die Berliner Konferenz vor einem Jahr gescheitert? Nicht wegen des EVG-Vertrags, den Molotow lange vor uns als ein Stück Papier erkannt hat, der gewußt hat, daß dieser Versuch illusionär ist, nein, doch nur deswegen, weil man sich nicht über die militärische Situation verständigen konnte, weil — es ist hier sehr richtig gesagt worden — die Amerikaner nicht einverstanden sein konnten, daß die Russen zum Rhein, und weil die Russen nicht einverstanden sein konnten, daß die Amerikaner zur Oder vorrücken. Das ist das Entscheidende. Deswegen hat man sich nicht geeinigt, und nur wenn in dieser Frage eine Verständigung möglich ist, wird die Wiedervereingung real sein. Das müssen wir wissen.
— Ich? Keine Sekunde!
— Ach, aus ihrer Verpflichtung im Kabinett? —Hier ist, glaube ich, nicht der Ort, diese Dinge zu klären.
Es gibt kein Recht eines Teiles eines Volkes, über die Grenzen eines Volkes, eines Staates zu entscheiden. Das gibt es völkerrechtlich nicht; das gibt es staatsrechtlich nicht. Und wenn es nach 1918 in den trüben Verträgen von Versailles und den anderen anders praktiziert worden ist, so ist dieser Mißbrauch kein Recht geworden! Über seine Grenzen kann nur das gesamte Volk entscheiden.
Das möchte ich mit aller Klarheit sagen.
Ich habe, als ich mit den anderen Parteivertretern nach Paris gerufen wurde, am ersten und am letzten Tag diesen Standpunkt vertreten, und man streue nicht in diesem Hause die Behauptung aus, ich sei mit dem, was in Paris geschehen ist, einverstanden gewesen.
Das ist doch eine ganz unmögliche Unterstellung!
— Herr Mommer, ich muß mich auf Sie verlassen;
Sie sind mein einziger Zeuge. So sinkt man!
Sich vorzustellen, daß ein Volksreferendum an der Saar — ich will von dem ersten gar nicht sprechen, das eine reine Farce ist, das niemals eine echte Willensentscheidung sein kann, wenn man weiß, was los ist —,
zu glauben, daß das zweite Volksreferendum eine echte Entscheidung bringen könnte
— wenn man etwas Phantasie hat,
wie sich die Dinge darstellen werden —, das ist eine beinahe übermenschliche Zumutung an die Saarländer, daß man meint, sie könnten die so wunderschöne Situation des kleinen Landes aufgeben wollen! Ach, Macht ist schön. Parteienmacht in Saarbrücken haben, das ist genau so schön, wie es ist, sie in Luxemburg zu haben,
— und in Bonn politische Macht zu haben. Wer gibt die gerne auf?
Und diese herrliche Stellung zwischen zwei Völkern, ich habe gesagt, diese Möglichkeit, aus zwei Blüten Honig zu saugen, da kann wirtschaftlich geschehen, was will. Das wäre ja übermenschlich, zu erwarten, daß die Saarländer mit einer plötzlichen Aufwallung nationalen Gefühls alle Nachteile — erhöhter Steuerdruck, Lastenausgleich und all das — —
— Gott, ich sehe einmal nüchtern, ich sehe, was in den letzten Jahren geschehen ist, und versuche, mich einmal in die Lage dieser Menschen zu versetzen. Zumindest, welche Hemmungen werden sich
da zeigen, um am Ende nicht das Schicksal eines großen Volkes tragen zu müssen, wie es auf uns liegt. Sie wissen, wie all die kleinen Zwischenstaaten sich wohl dabei fühlen.
Ist es wirklich ein Vorteil dieses Statuts, daß es Herrn Johannes Hoffmann gefällt, daß er im Hintergrund bei der Ausarbeitung maßgebend beteiligt war, ja, daß er die Krönung seines Werkes in diesem Statut sieht? Muß man daraus nicht den gegenteiligen Schluß ziehen? Ich habe vorhin schon von der geschichtlich bedeutsamen Ministerkonferenz in München im Jahre 1947 gesprochen. Damals ist Herr Johannes Hoffmann oder sein Büro oder das Gremium, dem er angehörte, als einziges nicht nach München gekommen, man hat sich nicht vertreten lassen und hat erklärt, man sei an Deutschland nicht interessiert.
Glauben Sie, daß das anders geworden ist?
Ich habe es mit Beklemmung gesehen, daß man
sich mit diesem Mann an einen Tisch gesetzt hat.
Das habe ich schon vorher erklärt; der Herr Bundeskanzler weiß es noch ganz genau. Ich habe vor
den Pariser Verhandlungen am 15. Oktober in
einem Brief unseren Standpunkt, den wir von eh
und je eingenommen haben, noch einmal dargelegt,
daß es keine Legalisierung dieses Zustandes durch
eine deutsche Unterschrift geben darf und daß die
in der Zwischenzeit getroffenen oder vorgesehenen
Vereinbarungen durch die Entwicklung gegenstandslos, überholt sind und daß ich es mit der
Würde des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland für nicht vereinbar halte, sich mit dem Herrn
Johannes Hoffmann an einen Tisch zu setzen.
Er hat es nicht getan; ich verlange das gleiche von einem Minister der Bundesrepublik.
Der Konflikt in dieser Frage hat sich zugespitzt in der Aussprache vor zwei Tagen. Ich möchte sagen, selten ist einem Manne und selten ist einer Sache so Unrecht getan worden wie meinem Freund Becker
mit der Sache der deutschen Saar und mit der Sache der Wiedervereinigung am Freitagnachmittag in diesem Raum.
Mein Freund Becker hat mir nach der Sitzung ein Telegramm seines Sohnes gezeigt, der in Heidelberg die Übertragung mit angehört hat, und er hatte Tränen in den Augen. Wenn man sich vorstellt, wie dieser Bub am Rundfunk miterlebt hat, was man seinem Vater hier angetan hat,
wie er von dem Chef der Regierung, zu der wir
uns bekennen und zu der sich Herr Becker bekennt, von diesem Pult aus behandelt worden ist!
Der Sohn hatte telegraphiert: „Nun erst recht!" Bravo, Dein Sohn! Nun erst recht, das ist unser Standpunkt.
1 Der Herr Bundeskanzler hat hier erklärt, wer an solche Probleme auf Grund seiner dreißigjährigen notariellen Erfahrung herangehe — Herr Becker hat gesagt: Nicht einmal einen privatrechtlichen Vertrag würde ich so schließen, geschweige denn einen völkerrechtlichen Vertrag, der über das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen entscheiden soll —, der bleibe besser davon. Ich kann dazu nicht schweigen, ich würde mich meiner Freundschaftspflicht entziehen, wenn ich das hinnähme. Da geht es um mehr als um eine Person, da geht es am Ende auch um die Art der Politik.
So kann doch keine Demokratie wachsen. Eine gute Sache vertritt sich gut, und nur wenn eine Sache schlecht ist, vertritt sie sich schlecht.
Ich muß ein Wort über meinen Freund Becker sagen: ein Mann, der schon als Student in Frankreich weilte, also vor mehr als vierzig Jahren — ich will nicht nachrechnen, wann der Herr Bundeskanzler zum erstenmal seinen Fuß auf französischen Boden gesetzt hat —, mein Freund Becker, der seit dieser Zeit eine heiße Liebe für Frankreich hat, der die französische Geschichte, der das französische Recht, der die französische Verfassungsgeschichte besser kennt als irgend jemand in diesem Hause,
ein Mann, der sich politische Verdienste erworben hat. Gott, Sie kennen seine Laufbahn und wissen, 1 daß er sich Zeit seines Lebens den politischen Dingen gewidmet hat: Verfassunggebende Versammlung in Hessen, Landtag in Hessen, Parlamentarischer Rat hier. Der Bundeskanzler muß wissen, was hinter diesem körperlich kleinen und geistig und seelisch so großen Manne steckt. Europarat! Seine Leidenschaft hat dazu geführt, daß unter dem Vorsitz unseres Kollegen von Brentano der Ad-hoc-Ausschuß zur Bildung einer europäischen politischen Verfassung eingesetzt wurde. Er hat sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft hingegeben, und der Herr Bundeskanzler fragt: „Herr Becker, was für eine Vorstellung von Europa haben Sie denn überhaupt?" Wie kann man einem Manne so Unrecht tun?
Ich stehe, das erkläre ich, zu den Feststellungen, die mein Freund Becker getroffen hat.
Ich stehe zu der Feststellung, die er gemacht hat; als ein Mann des Rechts — ich bin auch ein Mann, der versucht hat, sein Leben in den Dienst des Rechts zu stellen —, als ein Mann, der der Klarheit, der Sicherheit dienen muß, kann er einen solchen Vertrag nicht akzeptieren.
Da sagt man: Wagnis, ja, man muß auf die Dynamik warten, bei einem völkerrechtlichen Vertrag gibt es andere Gesetze. Meine Damen und Herren: „Da gibt es andere Gesetze?" Nun: wenn Dinge nicht geklärt werden können, hier offene Probleme, hier die Möglichkeit, sich zu einigen,
dann soll man einen Vertrag schließen voller — nun, der Herr Professor Carlo Schmid hat es eindringlich dargelegt: einen Vertrag, der in jeder Bestimmung vieldeutig ist, weil die Bestimmungen aus ganz verschiedenen Tendenzen heraus formuliert worden sind, weil zwei Vertragspartner etwas völlig anderes mit diesem Vertrag gewollt haben, wir die Rückkehr der Saar, die Möglichkeit der Rückkehr der Saar zu Deutschland, und die anderen die Möglichkeit, vor der französischen Nationalversammlung zu sagen: Wir haben etwas erreicht, ihr könnt in den sauren Apfel von der Westeuropäischen Union jetzt leichter beißen, ihr könnt euch — so ist ja leider die bittere Tatsache
— mit deutschen Soldaten abfinden, etwas bringen wir euch: die Möglichkeit, die Saar zu bekommen! So sind doch die Dinge!
Ist das ein Wagnis? Das ist eine Flucht in die Unsicherheiten, in Zweideutigkeiten, in Unklarheiten.
— Das sind die Realitäten, über die ich spreche. Ich weiche nicht aus, nein. Da steht viel zuviel auf dem Spiele, als daß ich auch nur einen Millimeter ausweichen würde; darauf können Sie sich verlassen.
— Herr Schütz, wenn Sie nicht aus den Unterhaltungen der letzten Tage erkannt haben, worum es geht und worum wir ringen, dann sind Sie stumpf, dann wissen Sie nichts von dieser Sorge.
Der Herr Bundeskanzler selber hat es doch am 15. Januar hier in diesem Raum erklärt; er hat uns Gespräche mit dem französischen Ministerpräsidenten, nach Möglichkeit unter Beiziehung von Staatsmännern der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, in Aussicht gestellt, um die Widersprüche zu klären. Ich weiß nicht, was geschehen ist.