Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Es war vielleicht keine Frage, aber wenn Herr Kollege Lütkens daran interessiert ist: Ich bin durchaus entschlossen, nicht auf meinem heutigen Niveau stehenzubleiben, sondern mich weiter zu entwickeln.
— Keine Sorge, nicht nach rückwärts!
Meine Damen und Herren, darf ich fortfahren. Können und dürfen wir durch unsere heutige politische Entscheidung denen eine Absage erteilen, die sich aus freiem Entschluß und in überzeugender Glaubwürdigkeit in diesen Zielen der deutschen Politik mit uns verbunden haben? Können und dürfen wir diese Unterstützung, die wir nötig haben, aufs Spiel setzen, um dagegen das doch in seiner Bedeutung höchst problematische Wohlwollen des Kreml einzutauschen?
Mein Freund Kiesinger hat vor wenigen Tagen aus den Reden von Herrn Molotow zitiert. Meine Damen und Herren, ist es nicht etwas überzeugender, wenn ich Ihnen beispielsweise vorlese, was der amerikanische Außenminister Dulles im November 1954 sagte:
Die Westmächte werden sich weiterhin unablässig für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzen;
wenn ich zitiere, was der Premierminister Sir Winston Churchill am 10. Februar im Unterhaus sagte: Es ist die Politik der Regierung, sich um eine Viermächtekonferenz zu einem Zeitpunkt zu bemühen, an dem Aussichten auf echte Ergebnisse eines solchen Zusammentreffens vorhanden sind.
Ist es nicht überzeugender, was der englische Außenminister Eden am 21. Januar sagte:
Worin liegt das europäische Problem? Das europäische Problem ist das Problem Deutschland und Österreich.
Die Deutschlandfrage ist die zentrale Frage
Europas. Wir waren immer der Ansicht, daß
Deutschland wiedervereinigt werden müsse.
Aber Deutschland kann nur durch die Einheit des Westens wiedervereinigt werden, weil Gespräche mit Rußland nur dann von Nutzen sein können, wenn die westliche Einheit gesichert ist. Wie ich schon einmal sagte, werden wir die notwendige Grundlage, auf der wir eine Verständigung mit dem Osten anstreben können, dann geschaffen haben, wenn wir Stabilität und ein gemeinsames Ziel besitzen.
Meine Damen und Herren, sollten wir solchen Erklärungen gegenüber nein sagen, nur weil Verlautbarungen vom 15. Januar uns ein wenig besser klingen als das Vorangegangene? Nein, wir sollten, so meine ich, auch der Drohung nicht Rechnung tragen, wenn Sowjetrußland uns sagt, man werde nach der Ratifizierung nicht mehr verhandeln. Die Weltgeschichte wird sich weiter entwickeln. Die Mächte werden wieder zusammenkommen und zusammenkommen müssen, um Gefahrenherde zu beseitigen, sei es in einer Viererkonferenz, sei es in einer großen Konferenz, sei es in einer Abrüstungskonferenz.
Rußland wird auch weiter den Kontakt mit den Mächten suchen, die in der Atlantischen Gemeinschaft zusammengeschlossen sind; denn es ist, wie ich hoffe und wie ich glaube, letztlich an einer Entspannung um des eigenen Volkes willen nicht minder interessiert als die anderen Völker der Welt.
Sollen wir denn ernstlich solchen Drohungen eine solche Bedeutung beimessen und damit unsere eigenen politischen Entscheidungen im Ablauf und im Wert von denen bestimmen lassen, die uns noch ) keinen Beweis, noch nicht einmal ein Anzeichen des Verständnisses gegeben haben?
Wir müssen der ernsthaften Gefahr offen ins Auge sehen. Wenn wir uns durch eine falsche Entscheidung selbst in die Isolierung begeben, dann fordern wir geradezu das Schicksal heraus. Denn nichts liegt näher, meine Damen und Herren, als daß in einem solchen Falle die gesamte, also auch die freie Welt das Interesse an uns verlieren und die Gemeinsamkeit der politischen Zielsetzung aufgeben würde, um sich auf Kosten des deutschen Volkes unter Zugrundelegung des unerträglichen Status quo über uns und gegen uns zu einigen.
Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, die meine politischen Freunde und mich veranlassen, zu den Verträgen ja zu sagen; nicht, ich wiederhole es, zu einer Wiederaufrüstung Deutschlands als Selbstzweck, sondern zur Mitarbeit in der Westeuropäischen Union und in der Atlantischen Gemeinschaft als gleichberechtigter Partner, um durch die Solidarität, zu der wir uns bekennen, die Solidarität der Partner dieser Organisationen für uns zu gewinnen. Notwendige Konsequenz ist das Bekenntnis zur Bereitschaft, an der Erhaltung der gemeinsamen, also auch der deutschen Freiheit mitzuwirken. Denn es wäre utopisch, zu glauben, daß andere dies ohne uns und für uns tun würden.
Für uns stellt sich die Frage, was wir tun können, aber auch tun müssen, um den Frieden und die Freiheit zu erhalten. Und die Sowjetunion sollte wissen, daß es uns mit dem Bekenntnis zum Frieden sehr ernst ist. Sie sollte darüber hinaus
erkennen, daß ein isoliertes Deutschland für die ganze Welt, aber ganz besonders für seine Anlieger eine ständige Gefahr sein müßte, und sie sollte wissen, daß Deutschland, das Bestandteil einer organisierten freien Welt ist, den besten Beitrag für den Frieden zu leisten vermag. Gerade die potentielle Gefahr, die man hinter Deutschland zu fürchten vorgibt, wird doch um so geringer, je stärker dieses Deutschland in großen internationalen Organisationen verankert und gebunden ist.
Die Mitgliedschaft Deutschlands schafft auch eine echte Verhandlungsvoraussetzung. Dieses Deutschland wird jederzeit bereit sein, an Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen und gemeinsame Entscheidungen zu verwirklichen, und gerade dieses Deutschland wird jederzeit darin einwilligen, seinen östlichen Nachbarn, neben und mit denen es friedlich, aber frei zusammenleben möchte, echte Sicherheitsgarantien zu vermitteln. Es gibt keine Garantieverpflichtung, der Deutschland in solchen Verhandlungen widersprechen würde und die es als diskriminierend empfinden würde, wenn dadurch das Sicherheitsbedürfnis seiner östlichen Nachbarn erfüllt, aber die Freiheit des deutschen Volkes nicht gefährdet wird.
Zum Schluß noch einige wenige Worte über das Saarstatut. Auch zu diesem Abkommen werden meine Freunde ja sagen. Ich brauche die Gründe, die mein Freund Lenz ausgeführt hat, nicht zu wiederholen. Wir glauben, daß wir die wichtigsten Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung dadurch schaffen können, daß wir das deutschfranzösische Verhältnis in eine echte und vertrauensvolle Zusammenarbeit und Freundschaft umgestalten.
Das setzt nach unserer Überzeugung voraus, daß die Verhältnisse, wie sie sich bis zur Stunde im Saargebiet entwickelt haben, grundlegend geändert werden. Das Abkommen über die Saar macht diesen Weg frei. Er wird den deutschen Menschen an der Saar wieder die Freiheitsrechte vermitteln, die ihnen bisher versagt waren. Er entkleidet das Saargebiet des staatsähnlichen Charakters, den es anzunehmen begann. Wir haben Vertrauen in einen der Westeuropäischen Union verantwortlichen Kommissar, daß er seine Aufgabe im Geiste des Rechts und der Freiheit, aber auch des Ausgleichs und der Versöhnung wahrnehmen wird. Wir vertrauen auf die Rechtsgarantien, die in den Vereinbarungen enthalten sind. Das Saarstatut kann und soll nicht mehr bezwecken, als eine vorläufige Ordnung zu schaffen; und wenn die durch die Verträge begründete Zusammenarbeit der freien Völker sich bewähren wird — und daran zweifle ich nicht —, dann wird auch der Friedensvertrag nicht mehr zwischen Siegern und Besiegten abgeschlossen werden, sondern zwischen Völkern, die nicht an Macht und Gewalt, sondern an Recht und Freiheit glauben.
Das Abkommen über die Saar macht den Weg für eine solche Entwicklung frei. Es erfüllt durchaus nicht alle unsere Hoffnungen und Wünsche, aber es versperrt auch nicht ihre spätere Erfüllung.
Meine Damen und Herren! Gestern hat ein Sprecher der Opposition gefragt, was uns denn zwinge,
diese Ratifizierung durchzuführen. Ich möchte Ihnen antworten: Es zwingt uns die tiefe und ernste Sorge um unser deutsches Vaterland, dem wir unsere Arbeit widmen. Es zwingt uns das Gefühl der tiefen Verantwortung, die wir für alle Deutschen tragen. Es zwingt uns das Gewissen, das Richtschnur unseres Handelns sein muß.
Und, meine Damen und Herren, lassen Sie mich das zum Schluß sagen: Sie sollten doch an der Ernsthaftigkeit dieses Gefühls nicht zweifeln. Sie sollten die Ernsthaftigkeit spüren und anerkennen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß dann auch der Augenblick kommt, wo wir, die wir im Ziel einig sind, unsere gemeinsamen Anstrengungen verbinden können, um es zu erreichen für ein freies deutsches Volk.