Protokoll:
2012

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 12

  • date_rangeDatum: 4. Februar 1954

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:31 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:07 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 325 12. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 325 C, 326 B, 346 A, 368 C Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Dr. Heuss und zu den Geburtstagen der Abg. Raestrup, Gaul, Schneider (Hamburg) und Dr. Baade 325 D Nächste Fragestunde 326 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 16 betr. Erstattung der Fahrtmehrkosten an Arbeiter und Schüler im Zonengrenzgebiet (Drucksachen 148, 225) und 20 betr. Ladenschlußgesetz (Drucksachen 179, 219) 326 A Vorlage der Übersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsangaben im Rechnungsjahr 1952 (Drucksache 176) . . 326 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Regelung der verbrieften Reichsschulden (Drucksache 95) in Verbindung mit der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Regelung der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen (Drucksache 140, Umdruck 10) 326 B Dr. Atzenroth (FDP), Anfragender 326 B, 331 A Präsident D. Dr. Ehlers 328 A Seuffert (SPD), Anfragender . 328 B, 330 C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 329 D Dr. Gille (GB/BHE) 331 B Scharnberg (CDU/CSU) 332 B Überweisung des Antrags Umdruck 10 an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für den Lastenausgleich 332 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) einschließlich Ergänzungsvorlage (Drucksache 200) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 (Drucksache 201) 332 C Schoettle (SPD) 332 D Dr. Krone (CDU/CSU) 346 A Dr. Dehler (FDP) 350 B Dr. Vogel (CDU/CSU) 361 B Weiterberatung vertagt 368 C Nächste Sitzung 368 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.

Hugo Karpf (CSU):
Rede ID: ID0201200100
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Frau Dr. Steinbiß für acht Wochen und Dr. Kopf für vier Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, die Abgeordneten Hermsdorf für sechs Wochen, Hahn für vier Wochen, Görlinger für drei Wochen, Lemmer für zwei Wochen, Frühwald für zwei Wochen und Donhauser für weitere zwei Wochen wegen Krankheit.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200200
Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstanden ist. — Das ist der Fall.

Hugo Karpf (CSU):
Rede ID: ID0201200300
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn), Dr. Bürkel, Dr. Wiedeck, Eckstein, Raestrup, Vizepräsident Dr. Jaeger, Ollenhauer, Dr. Werber, Dr. Gülich, Brandt (Berlin), Dr. von Brentano, Neumann und Wehner.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Frau Niggemeyer, Even, Dr. Graf, Fassbender, Leibfried, Gockeln, Dr. Mocker, Dr. Miessner, Lücke, Majonica, Ehren und Frau Dr. Rehling.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200400
Meine Damen und Herren! Ich habe namens des Deutschen Bundestages, auch wenn es in der Presse nicht überall zu lesen war, am 31. Januar dem Herrn Bundespräsidenten die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstage ausgesprochen. Ich darf mich auch hier zum Sprecher des Hauses machen, wenn ich vor dem Plenum diese Glückwünsche ausdrücklich und herzlich wiederhole.

(Lebhafter Beifall.)

Ich habe weiterhin zu folgenden Geburtstagen zu gratulieren, und zwar wieder in der Reihenfolge des Alters:
zum 74. Geburtstag dem heute leider nicht anwesenden Herrn Abgeordneten Raestrup,

(Beifall)



(Präsident D. Dr. Ehlers)

zum 65. Geburtstag am 1. Februar dem Herrn Abgeordneten Gaul,

(Beifall)

zum 62. Geburtstag am 26. Januar dem Herrn Abgeordneten Schneider (Hamburg).

(Beifall)

und zum 61. Geburtstag am 23. Januar dem Herrn Abgeordneten Dr. Baade.

(Beifall.)

Ich weise darauf hin, daß die nächste Fragestunde am Donnerstag, dem 25. Februar, um 9.30 Uhr stattfindet. Die Sperrfrist für eingehende Fragen ist Donnerstag, 18. Februar, 12 Uhr.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 23. Januar 1954 die Kleine Anfrage 20 der Fraktion der DP betreffend Ladenschlußgesetz — Drucksache 179 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 219 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 27. Januar 1954 die Kleine Anfrage 16 der Abgeordneten Dr. Arndt, Freidhof. Dr, Preller und Genossen betreffend Erstattung der Fahrtmehrkosten an Arbeiter und Schüler im Zonengrenzgebiet — Drucksache 148 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 225 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 30. Januar 1954 unter Bezugnahme auf § 33 Absatz 1 der Reichshaushaltsordnung eine Ubersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Rechnungsjahr 1952 zur Kenntnisnahme überreicht, die als Drucksache 176 verteilt wird.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die heutigen Beratungen wegen der zahlreich angesetzten Ausschuß sitzungen um 15 Uhr beendet werden sollen. Falls wir mit der Tagesordnung dann noch nicht am Ende sind, soll die Beratung der heutigen Tagesordnung morgen 9 Uhr 30 vor der morgigen Tagesordnung fortgesetzt werden. Ich bitte, sich freundlichst darauf einzurichten.
Ich rufe zunächst auf Punkt 1 a) und 1 b):
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Regelung der verbrieften Reichsschulden (Drucksache 95);
b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Regelung der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen (Drucksache 140).
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Dr. Atzenroth (FDP), Anfragender: Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst unserem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß wir erst heute Gelegenheit erhalten, diese Anfrage vor dem Hohen Hause zu begründen, eine Anfrage, die das Datum des 1. Dezember 1953 trägt und die nach ihrem ganzen Inhalt eigentlich noch im vergangenen Jahre hätte behandelt werden müssen. Mir sind die Gründe nicht bekannt, die den Herrn Präsidenten bewogen haben, diesen Punkt erst jetzt auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn es aber auf Wunsch der Bundesregierung geschehen sein sollte, so müßte man gegen ein solches Verfahren Einspruch einlegen.

(Abg. Mellies: Hört! Hört!)

Es kann nicht derjenige, der gefragt wird, den Zeitpunkt bestimmen, an dem er diese Frage beantworten will; denn damit würden wir die parlamentarische Institution der Großen Anfrage mehr oder weniger entwerten.

(Abg. Mellies: Es steht ja auch einiges darüber in der Geschäftsordnung!)

Es handelt sich um eine Wiederholung unserer Anfrage, die wir bereits am 2. Juni 1953 vor dem ersten Bundestag begründet haben. Wir haben damals den Herrn Bundesfinanzminister gefragt,
1. ob er bereit ist, eine Aufwertung der Anleihen der öffentlichen Hand vorzunehmen,
2. ob er weiterhin bereit ist, den Gläubigern dieser Anleihen im Rahmen des Altsparergesetzes auch eine zusätzliche Entschädigung zu gewähren, und
3. ob er unserem Vorschlag folgen will, zur Finanzierung dieser Aufwendungen Mittel aus dem gewerblichen Vermögen der öffentlichen Hand zu nehmen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat damals die beiden ersten Punkte, zwar mit den üblichen Einschränkungen, aber doch, wie es das Haus wohl allgemein verstanden hat, positiv beantwortet, wogegen er über den dritten Punkt geschwiegen hat. Ich darf vielleicht einen Teil seiner Antwort aus dem damaligen Protokoll in Erinnerung bringen. Er sagte damals:
Es wird . . . angestrebt, schon im Hinblick auf den erwähnten, zugunsten der ausländischen Reichsmark-Gläubiger in London vereinbarten Termin,
— das war nämlich der 31. Dezember 1953 —
noch dem derzeitigen Kabinett
— also dem ersten Bundeskabinett —
den Entwurf über eine gesetzliche Regelung der verbrieften Schulden des Reiches, der Reichsbahn, Reichspost und des ehemaligen Landes Preußen vorzulegen.
Das ist nicht geschehen. Das derzeitige Kabinett ist durch ein neues abgelöst worden; aber auch diesem neuen Kabinett ist die Vorlage bis heute nicht zugegangen. Eine solche Verzögerung ist unerträglich, nicht nur im Hinblick auf die betroffenen Kreise, sondern auch wegen der möglichen Folgen gegenüber den Auslandsgläubigern.
Und nun zur Sache selbst.
Bei der Währungsreform sind die Gläubiger des Reichs, des Landes Preußen, der Bundesbahn, der Bundespost und noch einige andere Gläubiger leer ausgegangen. Sie waren die einzigen Forderungsberechtigten, die keine Aufwertung erfahren haben. Die Bundesrepublik aber, zum Teil allerdings auch die Länder, haben desungeachtet es als selbstverständlich angesehen, die Vermögenswerte des Reichs, der Reichsbahn und der Reichspost zu übernehmen. Sie haben aber nichts getan, um auch die Verpflichtungen dieser Vermögensträger einzulösen.
In § 30 des Währungsgesetzes ist eine Regelung der Entschädigungsansprüche für Wertpapiere, die Rechte gegen das Reich verbriefen, ausdrücklich vorgesehen. Gegenüber den Auslandsgläubigern hat die Bundesregierung solche Ansprüche auch ausdrücklich anerkannt; denn in einem Schreiben des Herrn Bundeskanzlers an die Alliierte Hohe Kommission vom 6. März 1951 heißt es:
Die Bundesregierung bestätigt hiermit, daß sie für die äußeren Vorkriegsschulden des Deutschen Reiches haftet.


(Dr. Atzenroth)

Die Bundesbahn und die Bundespost haben bereits seit längerem die Absicht bekundet, die Verbindlichkeiten der Reichsbahn und der Reichspost zu regeln, und auch der Herr Bundesfinanzminister hat wiederholt seine Bereitschaft zur Regelung dieser Fragen erklärt. Er hat sich dabei im Herbst 1950 anläßlich der Diskussion über den Lastenausgleich ausdrücklich für eine quotale — ich bitte, das Wort zu beachten: quotale — Regelung dieser Umstellung ausgesprochen.
Am 2. Juni hat er bei der Behandlung der Großen Anfrage unter Verweisung auf die im Londoner Schulden abkommen und im D-Mark-Bilanzgesetz vorgesehenen Fristen auf die Dringlichkeit dieses Problems hingewiesen. Auch aus dieser Rede darf ich noch einmal zitieren. Er sagte:
Es ist für die bilanzierenden Kaufleute von wesentlicher Bedeutung, baldmöglichst einen Überblick zu erhalten, in welchem Umfang ein solcher Ausgleich durch Umstellung der Forderungen gegen das Reich erfolgen kann.
Also eine Fülle von Versprechungen, aber es ist nichts geschehen.
Bei dem betroffenen Personenkreis handelt es sich — zum Teil wenigstens — um Menschen, die sich in bitterer Not befinden. Gewisse Kreise, insbesondere aus den freien Berufen, hatten solche Wertpapiere in der Absicht gekauft, sich damit einen Rückhalt für ihren Lebensabend oder für Zeiten der Not zu sichern. Diese Menschen weisen heute mit Recht auf die große Ungerechtigkeit hin, die ihnen widerfahren ist. Während der Beamte seine Pensionsansprüche über die Währungsreform hinweg behalten hat und während die Renten aus der Sozialversicherung doch im wesentlichen im Verhältnis 1 zu 1 umgestellt worden sind und nachdem man auch einem weiteren Personenkreis durch das Altsparergesetz zusätzliche Hilfe hat zukommen lassen, haben diese Kreise noch nicht einmal eine Aufwertung ihrer Forderung erfahren.
Man kann nun nicht einwenden, die von ihnen seinerzeit hergegebenen Mittel hätten zum größten Teil der Kriegsfinanzierung gedient. Darauf hatten diese Menschen ja keinen Einfluß. Wenn es unter ihnen solche gegeben hat, die die Kriegsfinanzierung bewußt unterstützen wollten, so darf man daran erinnern. daß auch Beamte ihre Pension weiter erhalten, die dem damaligen Regime aus Überzeugung gedient haben, und daß sich unter den Empfängern von Sozialrenten auch führende Mitglieder der früheren Deutschen Arbeitsfront befinden.
Nein, der Anspruch der Gläubiger von Anleihen der öffentlichen Hand kann nicht bestritten werden, und er wird ja auch dem Grunde nach nicht bestritten. Nur über das Wie und über die Höhe der Entschädigungsansprüche scheinen Meinungsverschiedenheiten mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu bestehen. Dabei kann doch eigentlich kein Zweifel darüber vorhanden sein, daß — aus dem Charakter dieser Forderung — zunächst einmal die Einbeziehung in die Währungsgesetzgebung eine zwingende Notwendigkeit ist. Es darf unter keinen Umständen ein Unterschied gemacht werden zwischen den Gläubigern von Bankguthaben, die auf dem Umweg über Ausgleichsforderungen über die Banken quotal befriedigt worden sind, und denjenigen, die ihr Geld dem Staate direkt gegeben haben. Sie leiden sowieso unter dem Nachteil, jetzt schon sechs Jahre ohne Befriedigung warten zu müssen.
Man muß sich noch darüber unterhalten, ob nicht auch eine Anpassung an die Entschädigung notwendig ist, die das Hohe Haus seinerzeit einstimmig den Altsparern zugebilligt hat. Denn zumindest bei jenen Anleihegläubigern, die ihre Papiere über die ganze Zeit des Krieges hinweg durchgehalten haben, liegen die gleichen Voraussetzungen wie bei den Altsparern vor.
Nun scheint der Herr Bundesfinanzminister in der langen Zeit, die seit der Besprechung unserer ersten Anfrage vergangen ist — also mehr als ein halbes Jahr —, allmählich auf den Gedanken gekommen zu sein, diesen Fragenkomplex mit anderen Problemen zu verbinden, die sich schon bei der Einbringung des Lastenausgleichsgesetzes gezeigt haben. Dem muß aber mit aller Entschiedenheit widersprochen werden. Man kann nicht Dinge miteinander verkoppeln, die nichts miteinander zu tun haben. Die hier zur Aussprache stehenden Forderungen gehören einmal in die Währungsgesetzgebung und zum andern — eventuell — in die Gesetzgebung betreffend die Altsparer. Sie müssen also auch eine dementsprechende Regelung finden. Auf keinen Fall können sie in einem Sammelgesetz behandelt werden, das ganz andere Grundlagen hat und das — wir müssen wohl aus unseren Erfahrungen sagen — noch sehr, sehr lange auf sich warten lassen wird. Wir haben ja einige Erfahrungen mit dem Lastenausgleichsgesetz hinter uns.
Merkwürdigerweise ist bisher noch niemals die Behauptung aufgestellt worden, die von uns angestrebte Regelung sei für die Bundesrepublik finanziell untragbar. Eine solche Behauptung wäre im Hinblick auf die Haushaltslage und die Forderungen nach Steuersenkung verständlich und würde gerade von uns unterstützt werden. Dabei darf aber darauf hingewiesen werden, daß der bei weitem größte Teil der gewaltigen Summe von 400 Milliarden Reichsmark Reichsanleihen sich in den Händen von Banken und öffentlichen Körperschaften befand, die durch Ausgleichsforderungen befriedigt wurden. Wir haben schon im Zusammenhang mit unserer ersten Anfrage darauf hingewiesen, daß man keine Mittel aus dem Haushalt in Anspruch zu nehmen braucht. Aus den Mitteln, die die Gläubiger dieser Anleihen aufgebracht haben, sind damals zum Teil Anlagen und Werke geschaffen worden, die heute im Besitz des Bundes und der Länder sind oder an denen sie wenigstens beteiligt sind. Was liegt also näher, als diese werbenden Vermögen zur Abdeckung der Verpflichtungen des Bundes zu verwenden? Es ist nicht zu befürchten, daß eine Veräußerung mit Verlust für die öffentliche Hand notwendig wird. Die Gläubiger von Wertpapieren des Reiches können mit Wertpapieren entschädigt werden, die sich auf diese Vermögenswerte beziehen. Dabei käme es auch nicht zu irgendwelchen Zusammenballungen von neuer wirtschaftlicher Macht; denn die Streuung des Anleihebesitzes ist ganz erheblich.
Einer Diskussion über diese Vorschläge hat sich der Herr Bundesfinanzminister bisher leider entzogen. Aber auch wenn man diesen Vorschlägen nicht folgen will, besteht immer noch die Möglichkeit einer Befriedigung der Gläubiger durch Gewährung neuer Schuldtitel. Nach den mir vorliegenden Zahlen handelt es sich um rund 26 Milliarden Reichsmark, die auf Publikumsgläubiger entfallen, davon 14 Milliarden Reichsmark auf die Sozialversicherungsträger. Es bleibt also ein Rest von 12 Milliarden Reichsmark umzustellen. Wir


(Dr. Atzenroth)

würden gern dem Haushalt auch die Zinsen von diesen 1,2 Milliarden DM ersparen; aber diese müßten, wenn man unseren Vorschlägen nicht folgen will, doch aufgebracht werden. Vielleicht legt der Herr Bundesfinanzminister dem Hause noch bessere Vorschläge vor. Das muß jedoch jetzt sofort geschehen. Wir können damit nicht auf das Kriegsfolgenschlußgesetz warten. Die Regelung dieser Aufwertung ist nicht nur im Hinblick auf die zum Teil schon abgelaufenen Fristen, sondern vor allem im Hinblick auf die Notlage der betroffenen Kreise dringend.
Bei der Behandlung der ersten Anfrage ist zum Schluß ein Antrag des Abgeordneten Dr. Bertram angenommen worden, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Hause alsbald einen Gesetzentwurf auf der Grundlage dieser Anfrage vorzulegen. Dieser Antrag ist bedauerlicherweise völlig verpufft. Leider ist es uns nach der neuen Regelung der Geschäftsordnung nicht mehr möglich, wieder einen solchen Antrag einzubringen. Ich möchte deswegen mit noch größerer Eindringlichkeit an den Herrn Bundesfinanzminister appellieren, daß er diesen Gesetzentwurf nun endlich vorlegt. Wir sind sonst bereit, die Frage durch Vorlage eines Initiativgesetzentwurfs, der schon paraphiert vorliegt, vorwärtszutreiben.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200500
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Großen Anfrage gehört. Herr Abgeordneter D r. Atzenroth hat mit einem deutlichen Unterton der Kritik seinem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben, daß ich diese Große Anfrage erst heute auf die Tagesordnung gesetzt habe. Ich darf den Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth daran erinnern, daß seine Anfrage am 1. Dezember eingegangen ist. Ich habe sie am 2. Dezember an den Herrn Bundeskanzler weitergeleitet. Er hat mir am 4. Dezember bestätigt, daß die Große Anfrage eingegangen ist.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat mir am 18. Dezember mitgeteilt, daß er bereit sei, in einer nach dem 1. Januar anberaumten Sitzung des Deutschen Bundestages zu antworten. Über Weihnachten fanden bekanntlich keine Sitzungen statt. Der Deutsche Bundestag hat, da die Termine vom 14. und 15. Januar besetzt waren — Sie wissen, durch wichtige andere Debatten —, diesen Punkt auf die Tagesordnung vom 22. Januar gesetzt, und zwar im Einvernehmen mit allen Fraktionen. Vor der Sitzung am 22. Januar sind auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung beide Punkte, sowohl die Anfrage der FDP wie die der SPD, abgesetzt und im Einvernehmen mit allen Fraktionen auf die heutige Tagesordnung gesetzt worden. Mir scheint daher die Kritik des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth fehlzugehen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst die Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Regelung der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen entgegennehmen und dann die gemeinsame Beantwortung durch den Herrn Bundesfinanzminister. — Herr Abgeordneter Seuffert, bitte!
Seuffert (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage bezieht sich zunächst ebenso wie die Große Anfrage der Freien Demokraten auf die verbrieften Schulden des Reichs, des Landes Preußen und die anderen Schulden, die in diesem Zusammenhang gleichzustellen sind. Die Dringlichkeit der Regelung, nach der hier gefragt ist, brauche ich nach den Ausführungen meines Herrn Vorredners und nach den Erklärungen der Regierung in der vergangenen Zeit nicht näher zu begründen. Sie ergibt sich aus dem Londoner Schuldenabkommen, sie ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Posten in den D-Mark-Bilanzen immer noch ungeregelt stehen; wir möchten auch über die Auswirkung dieser Dinge auf die Umstellungsrechnung der Kreditinstitute endgültig Bescheid wissen. Die Dringlichkeit steht, wie gesagt, außer Frage. Sie ist von der Regierung selbst betont worden, und die Verzögerung der Regelung kann deshalb nur Erstaunen hervorrufen. Dem wollten wir mit unserer Anfrage Ausdruck geben.
Ich glaube, es wäre auch gut, wenn der Herr Bundsfinanzminister so bald wie möglich den Satz, den er für die Verbindlichkeiten, die nach Währungsrecht noch nicht umgestellt sind, vorschlagen will, bekanntgeben würde. Erstens einmal beziehen sich auf die Höhe dieses Satzes einige Probleme, auf die sich sowohl die Öffentlichkeit wie die parlamentarischen Instanzen so bald wie möglich vorbereiten sollten. Dann aber sollten von vornherein Spekulationen irgendwelcher Art in dieser Beziehung so bald wie möglich unterbunden werden.
In den letzten Verlautbarungen der Bundesregierung ist angekündigt worden, daß man beabsichtige, die durch die Anfragen hier angesprochenen Probleme in einem großen Kriegsschädenschlußgesetz zusammen mit allerhand allerdings auch noch ausstehenden Fragen wie Entschädigungen für Auslandsvermögen, Demontagen und was in diesem Zusammenhang noch alles genannt wird, zu behandeln. Dem Erstaunen und dem Widerspruch, die mein Herr Vorredner in dieser Beziehung zum Ausdruck gebracht hat, kann ich mich nur voll anschließen. Ich sehe auch nicht ein, warum eine solche Verkettung stattfinden sollte, und ich möchte den Herrn Bundesfinanzminister sehr bitten, uns zu erklären, warum man denn eigentlich auf eine solche Idee gekommen ist. Entschädigungen und die Bezahlung von Verbindlichkeiten sind doch zwei sehr verschiedene Dinge. Ich möchte nur ganz in Parenthese an die Probleme erinnern, die wir bei der Behandlung des Lastenausgleichs und der ihm verwandten Gebiete in diesem Hause auseinanderzuhalten hatten.
Ich glaube also, daß es nicht richtig wäre, auf ein solches allgemeines Gesetz zu warten, sondern daß das Problem der Regelung und der währungsmäßigen Umstellung dieser Verbindlichkeiten vorweg und dringlich zu behandeln wäre.
Die Anfrage bezieht sich zunächst auf die verbrieften Verbindlichkeiten. Diese Verbindlichkeiten sind bereits in der Aussprache des Bundestages in der vorigen Wahlperiode vom Herrn Bundesfinanzminister selbst unmittelbar im Zusammenhang mit den unverbrieften Verbindlichkeiten des Reichs und der anderen Körperschaften, die hier in Frage kommen, behandelt worden. Ich würde es deswegen begrüßen, wenn man auch hier auf einige Fragen gleich Antwort erteilen würde. Die unverbrieften Verbindlichkeiten insbesondere des Reichs sind natürlich sehr verschiedenen Inhalts, und man kann nicht auf alle eingehen. Es gibt auch eine ganze Reihe, die wohl überhaupt keiner Regelung


(Seuffert)

mehr bedürfen, weil sie ephemerer Natur sind und einen Bagatellcharakter tragen, so daß sie jetzt ruhig unter den Tisch fallen können.
Aber auf einige besondere Komplexe möchte ich doch kurz eingehen. Der eine dieser Komplexe sind die Verbindlichkeiten aus den Rüstungsaufträgen. Ich will hier nicht auf die Frage eingehen, ob sie etwa in moralischer oder politischer Hinsicht besonders zu bewerten wären. Es ist richtig, daß diese Verbindlichkeiten wenigstens zu einem Teil aus Forderungen auf Auszahlung von Rüstungsgewinnen herrühren. Aber ich glaube, daß diese Frage durchaus als zweitrangig angesehen werden kann. Wichtiger ist die besondere Behandlung, die gerade diese Verbindlichkeiten bereits erfahren haben. § 21 Abs. 4 des Umstellungsgesetzes hat den Gläubigern solcher Verbindlichkeiten ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber ihren Vorlieferanten eingeräumt, durch das sie zum allergrößten Teil den Verlust aus diesen Forderungen, soweit er nach der Währungsumstellung noch übrig blieb, auf ihre Vorlieferanten abwälzen konnten. Auch diese konnten ihn weiterwälzen. Der Umfang dieses Leistungsverweigerungsrechts, die Anwendung dieser Klausel z. B. auf Bankkredite, ist Gegenstand einer Reihe von höchstrichterlichen Entscheidungen. Die Frage darf als mehr oder weniger geklärt betrachtet werden.
Neben diesem Leistungsverweigerungsrecht — das nach der gesetzlichen Regelung allerdings zunächst nur einen zeitweiligen Charakter trug, das aber, weil natürlich ein wirtschaftliches Interesse an endgültigen Regelungen bestand, durch Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, Vorlieferanten und Hauptlieferanten, sehr oft einen endgültigen Charakter angenommen hat — stand von Anfang an die Möglichkeit der Vertragshilfe, die durch den § 21 Abs. 2 des Umstellungsgesetzes und sodann durch das Vertragshilfegesetz gerade für diese Fälle eingeräumt worden ist. Die meisten der Fälle dürften eine Regelung gefunden haben. Einige besonders schwierige, man kann aber auch sagen, besonders hartnäckige, widersetzen sich offenbar der Regelung. Immer wieder macht man die Beobachtung, daß die Erwartung einer andersartigen gesetzlichen Behandlung dieses Komplexes, als sie bisher vorliegt, alle diese Verfahren in ihrem Ablauf hemmt. Die Unsicherheit der Gerichte, besonders der Vertragshilfegerichte, in diesen Fragen ist auffallend.
Ich glaube, man sollte zu diesem Komplex ein Wort sagen, um Klarheit zu schaffen. Man könnte wohl volles Verständnis dafür haben, wenn man mit den bisherigen Rechtswohltaten, die die Gläubiger solcher Verbindlichkeiten erfahren haben, die Sache für abgeschlossen betrachtete und diesen Komplex keiner weiteren gesetzlichen Regelung zuführte, sondern es mit den Möglichkeiten der Weiterwälzung und der Behandlung im Vertragshilfeverfahren sein Bewenden haben ließe, zumal ja, wie gesagt, die meisten Fälle zwischen dem Gläubiger und seinen Gläubigern inzwischen so weit geregelt worden sind, so daß es nicht gerade immer die würdigsten, sondern eher gerade die hartnäckigsten Schuldner — ihren Gläubigern gegenüber — sein würden, die von einer solchen nachträglichen Regelung Vorteile hätten. Ich glaube, man kann hier nicht noch nachträglich eingreifen, sondern man sollte diesen Komplex im Vertragshilfeverfahren je nach dem Einzelfall ablaufen lassen. Auf jeden Fall — welcher Meinung man sonst auch sein mag — glauben wir, daß die
Bundesregierung gut daran täte, ihre Absichten in dieser Beziehung klar und unmißverständlich bekanntzugeben, damit der hier herrschenden Unsicherheit ein Ende gemacht wird.
Ein ganz anderer Komplex von Verbindlichkeiten des Reichs, auf den ich auch noch ganz kurz zu sprechen kommen möchte, sind die Verbindlichkeiten aus dem Rückerstattungsgesetz. Ich spreche hier nicht von den Entschädigungsgesetzen, die wir geschaffen haben, sondern ich spreche von den Verbindlichkeiten aus dem Rückerstattungsverfahren, aus Entziehungen, die durch das Deutsche Reich bzw. durch die von ihm beauftragten Stellen oder Stellen, für die es verantwortlich war, vorgenommen worden sind. Diese Verbindlichkeiten sind zwar nicht in Schuldverschreibungen verbrieft, aber sie sind zunehmend in rechtskräftigen Gerichtsurteilen verbrieft. In zunehmendem Maße ergehen Urteile, in denen festgestellt wird, daß das Deutsche Reich die und jene Rückerstattungsverbindlichkeit zu erfüllen, die und jene Zahlung zu leisten habe, falls es einmal dazu käme, seine Schulden zu regeln. Diesem Zustand muß einmal ein Ende gemacht werden. Ich glaube, daß diese Verbindlichkeiten allerdings einer besonderen moralischen Bewertung im positiven Sinne bedürfen. Hier liegen nicht nur rechtliche, sondern auch moralische Verbindlichkeiten vor. Es darf nicht dabei bleiben, daß, wie man hört, neuerdings in einzelnen Härtefällen solche rechtskräftige Urteile gegen das Reich auf irgendeine Weise bedient werden. Wir bitten deshalb den Herrn Bundesfinanzminister, auch zu sagen, ob er dafür Vorsorge treffen will, daß hier möglichst bald die Schulden bereinigt werden.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200600
Zur Beantwortung beider Großer Anfragen der Herr Bundesminister der Finanzen.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0201200700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage der Fraktion der SPD stammt vom 10. Dezember, die Anfrage der Fraktion der FDP vom 1. Dezember 1953. Ich bin überrascht, daß es in diesem Hause nicht bekanntgeblieben ist, daß die Vorlage, nach der gefragt wurde, am 11. Dezember 1953 bereits Gegenstand einer Kabinettssitzung gewesen ist, im Kabinett grundsätzlich genehmigt worden ist und sich heute in Ressortbesprechungen befindet, damit die Einzelheiten dieses großen Gesetzgebungswerkes nach den Wünschen der verschiedenen Kreise abgestimmt werden können. Wir haben damals absichtlich Wert auf die Veröffentlichung gelegt und haben über den wesentlichen Inhalt bereits im November im Bulletin einen Artikel gebracht. Ich habe außerdem in der Etatrede vom 22. Januar dieses Jahres über den materiellen Inhalt und die Grundlinien dieses Gesetzentwurfes bereits gesprochen.
Ich möchte zu der Sachlage noch folgendes bemerken. In der Bundestagssitzung vom 2. Juni 1953 habe ich die heute vorn Herrn Kollegen Atzenroth zitierte Erklärung abgegeben. Damals war geplant, daß ein eigenes Gesetz über die Regelung der alten Reichsschulden ergehen sollte. In der Zwischenzeit — ich bitte das Hohe Haus, das zu verstehen — sind' die Pläne für die Finanz- und Steuerreform geboren worden. Im Zusammenhang mit der Finanz- und Steuerreform ist es notwendig, daß der Gesetzgeber, der die Finanz- und Steuerreform


(Bundesfinanzminister Schäffer)

verantwortet, gleichzeitig ein Bild über die gesamte Ausgabenbelastung hat, die voraussichtlich in derselben Zeit an die deutsche Bundesrepublik herantritt. Aus dieser Überlegung heraus war es notwendig, sich nicht allein mit dem Thema der verbrieften Schulden, also der alten Reichsschuldverschreibungen, zu befassen, sondern alle zusammenhängenden Fragen miteinander aufzuwerfen und möglichst in einem Ganzen zum Abschluß zu bringen. Dazu gehören auch die Restitutionsgesetze, von denen übrigens bekannt ist, daß ihre Höhe allein in den Verträgen von Mehlem mit 1,5 Milliarden DM umrissen ist. Daß es sich bei aller vorsichtigen Behandlung um Beträge handelt, die bestenfalls mit Hunderten von Millionen die nächsten Haushaltsjahre belasten, dürfte dem Hohen Hause bei dem Riesenkomplex, um den es sich handelt, von vornherein verständlich sein.
Ich darf auf das, was ich über dieses Thema am 22. Januar gesagt habe, Bezug nehmen. Ich darf allerdings auch an einen Satz erinnern, den ich dort gesprochen habe: daß es ein Irrtum und eine Irreführung der Öffentlichkeit wäre, wenn man annehmen würde, es sei möglich, die Währungsumstellung in ihren Auswirkungen heute wieder aufzuheben. Das ist, wenn ich die neugeschaffene Währung halten will, ein Ding der Unmöglichkeit. Was geschehen wird und muß, habe ich am 22. Januar umrissen. Ich darf es wiederholen, weil es sich hier um eine Anfrage spezieller Art handelt. Es ist das selbstverständliche Bemühen, alle Geschädigten in ähnlichen Fällen möglichst gleichartig zu behandeln. Wir haben gewisse Komplexe, z. B. „Berliner Uraltkonten" und „Altsparergesetz" geregelt. Alle diese Schadensregelungen werden sich ungefähr in denselben Richtlinien bewegen müssen, um nicht eine Gruppe schlechter zu stellen als die andere. Damit wird der Rahmen etwa abgesteckt sein.
Ich möchte unter diesen Gesichtspunkten die Anfrage in den drei Punkten wie folgt beantworten.
Erstens. Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß die Behandlung aller noch offenen Fragen aus der finanziellen Liquidation des Krieges und des Zusammenbruchs, also auch die Regelung der verbrieften Schulden des Reichs und des ehemaligen Landes Preußen, vordringlich ist und keinen Aufschub duldet. Die Dringlichkeit ergibt sich insbesondere auch im Hinblick auf die bevorstehende große Steuerreform.
Zweitens. Der in Vorbereitung befindliche Gesetzentwurf wird voraussichtlich in einigen Wochen den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden können. Ich nehme an, daß die Ressortbesprechungen in etwa vier Wochen abgeschlossen sind.
Drittens. Die Bundesregierung wird in ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, die Regelung der verbrieften Schulden des Reichs und des ehemaligen Landes Preußen in Anlehnung an Gesichtspunkte der Altsparergesetzgebung durchzuführen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201200800
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Ich frage: Sind Abgeordnete vorhanden, die die Aussprache über die Große Anfrage wünschen? — Das sind mehr als 30. Die Aussprache findet statt.
Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Seuffert!

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0201200900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war den Antragstellern in der Tat bekannt, daß eine Vorlage für ein Kriegsschädenschlußgesetz im Kabinett behandelt worden war. Auch die Veröffentlichungen der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers darüber waren uns bekannt. Aber gerade der Umstand, daß nach den Ankündigungen die Regelung der Verbindlichkeiten mit der Behandlung einer Reihe von Entschädigungsfragen in diesem Kriegsschädenschlußgesetz verbunden werden sollte, war für uns der Hauptgrund dafür, diese Anfrage aufrechtzuerhalten und sie heute zur Debatte zu stellen. Auf der einen Seite scheinen uns gerade in dieser Verknüpfung Gründe für die Verzögerung der Regelung zu liegen, deren Berechtigung wir nicht anerkennen. Zum andern befürchten wir, daß hier Dinge miteinander verknüpft werden, die nichts miteinander zu tun haben. Die Regelung der Reichsverbindlichkeiten ist eine Frage der Ergänzung des Währungsrechts, eine Frage der wirklichen Verbindlichkeiten, bei denen wir von Anfang an anerkennen müssen, daß in erster Linie quotale Gesichtspunkte, juristische Gesichtspunkte und Gesichtspunkte der Zahlungsfähigkeit im Vordergrund stehen müssen.
Die Frage der Entschädigungen ist etwas ganz anderes. Hier kommen andere Gesichtspunkte in Betracht. Mit Recht hat der Herr Bundesfinanzminister gesagt, daß die Regelung, wenigstens die „Konsolidierung" der alten Reichsverbindlichkeiten mit der ganzen Finanz- und Steuerreform zusammenhängt, ich beschränke mich auf diesen Ausdruck „Konsolidierung", um deutlich zu machen, daß auch wir uns nicht getrauen möchten, übertriebene Vorstellungen und Illusionen zu erwekken. Dagegen sind Entschädigungsfragen etwas anderes. Es handelt sich also um zweierlei: ob, wie in einer ganzen Reihe von Entschädigungsfällen, durch Kredite aller Art Vorwegregelungen erfolgt, Vorweghilfen gegeben worden sind oder ob solche Hilfen z. B. den Gläubigern der alten Reichsverbindlichkeiten — mit Ausnahme der Rüstungsforderungen usw., die ich erwähnt habe — nicht gegeben worden sind. Gerade in dieser Beziehung haben mich die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers, die darauf hinausliefen, daß alle Geschädigten gleichartig behandelt werden müßten und daß bei allen Entschädigungsfragen die gleichen Gesichtspunkte maßgeblich sein sollten, mit einiger Beunruhigung erfüllt. Denn hier ist zu unterscheiden zwischen Rechtsfragen, Währungsfragen und Entschädigungsfragen. Ich glaube, diese Differenz, die sich auch die Bundesregierung bei ihren Beratungen im Kabinett und in den Ressorts noch einmal überlegen sollte, ist so wichtig, daß man sie wohl zum Gegenstand einer Besprechung im Ausschuß für Geld und Kredit machen sollte.
Ich stelle deswegen den Antrag:*) Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Regelung der Verbindlichkeiten des Reiches, des Landes Preußen und der anderen nicht umgestellten Verbindlichkeiten unabhängig von der Lösung anderer Kriegsfolgen-Entschädigungsfragen beschleunigt durchzuführen.
Ich bitte Sie, diesen Antrag dem Ausschuß für Geld und Kredit zur Beratung zu überweisen.
*) Siehe Umdruck 10


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201201000
Darf ich den Antrag haben, Herr Abgeordneter Seuffert?
Herr Abgeordneter Atzenroth, bitte!

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0201201100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind beunruhigt über die Antwort, die uns der Herr Bundesfinanzminister auf die beiden Anfragen gegeben hat. Aus ihr ist ersichtlich, daß er seine Meinung seit dem 2. Juni 1953 bis heute grundlegend geändert hat. Denn damals war keine Rede davon, daß die Regelung der Ansprüche gegen den Bund in einem großen Sammelgesetz zusammengefaßt werden sollte, sondern damals handelte es sich ganz eindeutig um die Aufwertung von Anleihen, also, wie Herr Seuffert mit Recht gesagt hat, in erster Linie um ein Rechtsproblem, während das zweite Problem, die Anpassung an die Altsparergesetzgebung, ein soziales Problem war. Damals konnte man aus den Antworten des Herrn Bundesfinanzministers mit aller Deutlichkeit herauslesen, daß er die Bedeutung dieses Rechtsproblems in dem Sinne anerkannte, wie wir es vorgetragen haben.
Das muß schon im Zusammenhang mit den Forderungen der Auslandsgläubiger gegen uns erwähnt werden. Diese werden sich zweifellos nicht mit einer Regelung einverstanden erklären, die auch für andere Schadensarten eine gleiche Behandlung vorsieht. Und daß man die Gläubiger der öffentlichen Anleihen unterschiedlich behandeln kann, je nachdem ob es sich um Auslandsbesitz oder um Inlandsbesitz handelt, das wird ja wohl auch der Herr Bundesfinanzminister nicht vertreten wollen.
Ich darf noch auf eines aufmerksam machen. Der Herr Bundesfinanzminister hat von der gewaltigen Summe gesprochen, um die es sich in seinem Kriegsfolgenschlußgesetz handeln wird. Aus den Erfahrungen, die wir insbesondere mit dem Lastenausgleichsgesetz gemacht haben, wissen wir, daß die Feststellung des Umfangs dieser Schäden — na, ich möchte sehr vorsichtig sein — ein Jahr in Anspruch nehmen wird. Die Höhe der Forderungen, die zusätzlich an uns gestellt werden, ist noch nicht einmal annähernd bekannt. Dagegen handelt es sich hier um ein Problem, das im Rahmen der Wertpapierbereinigung verhältnismäßig schnell gelöst werden kann. Es liegt also kein zwingender Grund vor, alle diese Ansprüche in einem Gesetz zu regeln.
Nun zeigten die Schlußworte des Herrn Bundesfinanzministers allerdings einen Lichtblick. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seinem letzten Satz gesagt, er werde für eine mit dem Altsparergesetz gleiche, parallele Regelung eintreten. Das Altsparergesetz hat eine Währungsumstellung zur Voraussetzung. Ich darf also die Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers so auffassen, daß zunächst die Währungsumstellung erfolgt — die ja die Voraussetzung für das Altsparergesetz ist — und daß dann anschließend auch noch die soziale Entschädigung nach dem Altsparergesetz vorgenommen wird. Wenn ich so die Worte des Herrn Bundesfinanzministers recht verstanden habe, dann hoffe ich, daß die Bedenken, die wir vorher gehabt haben, hinfällig sind.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201201200
Herr Abgeordneter Dr. Gille, bitte!

Dr. Alfred Gille (GB/BHE):
Rede ID: ID0201201300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Redner der FDP und SPD haben mit besonderem Nachdruck Wert auf die Feststellung gelegt, daß die Bundesregierung beabsichtige, alles, was noch an ungeregelten
Komplexen auf diesem Gebiet vorliegt, in einem Gang zu erledigen und in Ordnung zu bringen. Wir sind der Meinung, daß man doch zumindest das eine konzedieren sollte, daß es nicht möglich ist, einen solchen Komplex völlig ohne Rücksicht auf andere noch unerledigte Komplexe zu behandeln und zu regeln. Wir haben volles Verständnis dafür, daß der Herr Bundesfinanzminister erst einmal einen Überblick darüber gewinnen will, was an Forderungen dieser Art noch auf uns zukommen kann. Ob diese ganzen Materien dann in einem Gesetz oder in zwei oder drei behandelt werden, ist dann doch wohl eine mehr technische Frage. Es kann doch sein, daß die eine Materie in gesetzestechnischer Hinsicht eher als eine andere erledigt werden kann; aber der Grundsatz, daß es notwendig ist, erst einmal einen möglichst vollständigen Überblick über alles das zu gewinnen, was auf uns zukommt, scheint uns unerläßlich zu sein.
Die beiden Redner, die das Wort zur Begründung ihrer Großen Anfragen genommen haben, haben die Unterscheidung zwischen Rechtsproblemen und Sozialproblemen gemacht. Herr Seuffert sprach von „wirklichen Verbindlichkeiten", wozu zu sagen ist, daß man dann wohl auch, wenn man will, von unwirklichen oder nicht voll begründeten Verbindlichkeiten sprechen kann. Diese Unterscheidung scheint mir aber nicht richtig zu sein. Auf dem Boden des rein Rechtlichen lassen sich die Dinge nicht regeln. Ich glaube, das hat die Vergangenheit schon zur Genüge bewiesen, und wenn noch etwas dazu hinzuzufügen war, dann hat es vielleicht das Karlsruher Verfassungsgericht getan, indem es sein diesbezügliches Urteil ausgesprochen hat. Wie man bei einer solchen Situation glauben kann, daß es möglich sei, alle diese Fragen auf dem Boden rein rechtlicher Auseinandersetzung zu klären, ist mir nicht recht verständlich.
Zwei weitere Schadensgebiete sind heute noch nicht angesprochen worden, obwohl sie in diesen Komplex hineingehören. Es gibt im Raum Schleswig-Holsteins eine ganz beträchtliche Zahl von Besitzern von Grund und Boden, denen bei Ausgang des Krieges Ländereien von der Wehrmacht ohne Einhaltung von Formalien einfach weggenommen worden sind. Bis zum heutigen Tag ist keinerlei Entschädigung dafür gezahlt worden. Aus nicht verständlichen Gründen hält aber die Bundesvermögensverwaltung all diese Ländereien heute noch in ihrem Besitz und zieht dafür Pachtzinsen, ohne die eigentlichen Empfangsberechtigten bis zum heutigen Tage auch nur mit einem Heller dafür entschädigt zu haben. Mir ist bekannt, daß diese Tatsache in den Westkreisen des Landes Schleswig-Holstein — an den Westküsten — sehr viel Unwillen hervorgerufen hat, und eine Fülle von Verwaltungsstreitigkeiten hat sich daraus im Laufe der Zeit ergeben.
Der andere Komplex, der auch heute noch nicht angesprochen worden ist, der aber in seiner Bedeutung und in seinem Ausmaß im Augenblick noch gar nicht zu übersehen ist, betrifft die Geschädigten, denen die Erfüllung von Restitutionsansprüchen auferlegt worden ist. Meine Damen und Herren, das mag vielleicht etwas merkwürdig klingen; ich will Ihnen aber zwei Beispiele dafür nennen, was da an unverschuldeter neuer Rechtsnot heranwächst. Ein Rückerstattungsberechtigter verlangt sein Grundstück zurück. Er bekommt es auch verhältnismäßig sehr schnell. Inzwischen hat aber dieser Grundbesitz mehrfach den Besitzer gewechselt, und der jetzige Eigentümer ist in keiner


(Dr. Gille)

Weise mehr an den Vorgängen der sogenannten Arisierung — und wie diese Worte alle heißen — beteiligt. Er findet aber nicht mehr einen Vorbesitzer, der ihm für den Schaden, der ihm nun erwächst, geradestehen kann. Es geht hier darum, daß Existenzen in verhältnismäßig kurzer Zeit einfach ihre Grundlage entzogen bekommen und echte Notstände erwachsen.
Mir ist gerade in den letzten Tagen folgender Fall bekanntgeworden. Der Grundbesitz eines Rückerstattungsberechtigten war erstmals formal in der Hand des Reichs. Das Reich hat ihn an eine Stadt weiterverkauft, und die Stadt hat den Besitz im Jahre 1949 einem heimatvertriebenen Gewerbetreibenden vermietet bzw. verpachtet. Dort sind mit nicht unerheblichen Mitteln Investierungen vorgenommen worden. Ein durchaus rentabler, blühender Gewerbebetrieb ist entstanden. Jetzt kommt der Rückforderungsanspruch: Das Grundstück muß herausgegeben werden, ebenso muß der Besitz des jetzigen Mieters aufgegeben werden. Mit rechtlichen Begründungen gegenüber den Vorgängern sind diese Probleme gar nicht zu lösen.
Ich spreche diese Frage, Herr Bundesfinanzminister, deshalb etwas ausführlich an, weil ich der Meinung bin, durch rechtzeitige Vorsorge, meinetwegen auch im Wege der Darlehensgewährung, kann verhindert werden, daß sich diese Schäden eines Tages doch erheblich auswachsen. Ich habe im Bundesfinanzministerium zu erkunden versucht, ob derartige Vorsorgen schon erwogen werden. Ich habe eine verneinende Antwort bekommen. Ich bitte den Herrn Bundesfinanzminister,
vielleicht nach Feststellung der Fälle, die heute in der Praxis bereits sichtbar geworden sind, doch einmal zu erwägen, ob nicht in einem Vorgriffsverfahren durch Darlehensgewährungen die Gefahr der Vernichtung von Existenzen und damit des Entstehens eines sehr weiten Schadens rechtzeitig zu beseitigen ist.
Im übrigen noch eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister. In seiner Etatrede hat der Herr Bundesfinanzminister als Grundsatz für die Regelung dieses ganzen Komplexes gesagt, er werde diese Dinge nach den Grundsätzen der Währungsgesetze und des Lastenausgleichs anpacken. Das zweite Wort habe ich heute nicht mehr von ihm gehört. Wie ich meine, dürfte sich das Haus doch sicherlich darüber einig sein, daß insbesondere die verbrieften Schulden, bei denen die Zahl der wirklichen Einzelbesitzer nach meiner Auffassung gering ist — die Hauptmasse der Gläubiger werden doch wahrscheinlich die Banken und die Sparkassen sein, die, wie Sie schon richtig sagten, zum großen Teil durch die Ausgleichsforderungen befriedigt sind —, nicht einfach unter dem Gesichtspunkt einer gleichmäßigen Entschädigung à la Altsparergesetz oder Währungsumstellungsgesetze geregelt werden können. Hier wird doch zweifellos ein quo-taler Maßstab eine Rolle spielen müssen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201201400
Das Wort hat der Abgeordnete Scharnberg.

Hugo Scharnberg (CDU):
Rede ID: ID0201201500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Auffassung, daß es sich hier in der Tat um eine sehr komplizierte Materie handelt, die eine soziale und rechtliche, aber auch eine kapitalmarktpolitische Seite hat. Wir glauben, daß sich der Bundestag sehr eingehend und schnellstens mit der Materie befassen sollte. Infolgedessen stimmen wir dem
Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und seiner Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit zu.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0201201600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag, den Herr Abgeordneter Seuffert namens der sozialdemokratischen Fraktion gestellt hat, gehört. Es ist Überweisung dieses Antrages an den Ausschuß für Geld und Kredit beantragt worden.

(Abg. Kunze [Bethel]: Und Lastenausgleich!)

— Herr Abgeordneter Kunze schlägt auch den Ausschuß für Lastenausgleich vor. Ist das die Auffassung des Hauses?

(Zustimmung.)

— Offenbar. Also, meine Damen und Herren, federführend Ausschuß für Geld und Kredit und mitberatend Ausschuß für den Lastenausgleich. Die Überweisung ist erfolgt. Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2:
a) Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) einschließlich Ergänzungsvorlage (Drucksache 200);
b) Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 (Drucksache 201).
Wir hatten vereinbart, daß, nachdem die Regierung beide Gesetzentwürfe vor zwei Wochen begründet hat, heute die Aussprache der ersten Beratung stattfinden soll.
Ich eröffne die Aussprache. — Herr Abgeordneter Schoettle, bitte schön!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0201201700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Bundeshaushalt 1954 eröffnen heißt das Risiko auf sich nehmen, mit ungleichen Waffen zu kämpfen. Denn der Herr Bundesfinanzminister — er möge mir das nicht übelnehmen — ist mit der ganzen schweren Rüstung, die ihm sein Ministerium verleiht, in die Schranken geritten, während wir armen Angehörigen des gouvernementalen Fußvolks — und die Opposition rechnet sich in diesem Sinne, im angelsächsischen Sinne, auch zum government — gezwungen sind, mit etwas weniger Armatur auf den Plan zu treten. Wir sind nicht in alle Geheimnisse eingeweiht. Wir kennen nicht all die kleinen, etwas verspinnwebten hinteren Kämmerchen des fiskalischen Haushalts, und wir müssen deshalb in vielen Fragen spekulieren oder uns dem guten Glauben anvertrauen, daß der Herr Bundesfinanzminister — entgegen der geschichtlichen Erfahrung mit Finanzministern — hier in diesem Hause die volle Wahrheit sagt und alle seine Karten auf den Tisch legt.

(Heiterkeit.)

Nach dieser etwas vom Thema abweichenden Einleitung möchte ich mich der Sache selber zuwenden. Die erste Beratung eines öffentlichen Haushalts ist in der Regel eine Gelegenheit zu allgemeinen Stellungnahmen. Man soll indessen die


(Schoettle)

Dinge nicht zu weit treiben und nicht von Gott und der Welt reden, wenn es sich um eine so nüchterne Sache handelt wie den Haushalt der Bundesrepublik. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede anläßlich der Einbringung des Haushalts vor 14 Tagen eine Reihe von Bemerkungen gemacht, die beinahe den Charakter von Grundsatzerklärungen hatten. Wir Sozialdemokraten, die wir in diesem Hause die einzige Opposition sind — es sei denn, daß wir innerhalb der Regierungskoalition von Zeit zu Zeit einen oppositionellen Flügel entdecken —,

(Heiterkeit)

wir möchten diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne uns mit einigen der prinzipiellen Feststellungen des Herrn Bundesfinanzministers zu beschäftigen.
Zunächst eine allgemeine und auch grundsätzliche Bemerkung. Wir stimmen vorbehaltlos zu, wenn der Herr Minister sich zur Gesunderhaltung der Währung bekennt. Das ist in der Tat ein fundamentaler Grundsatz, auf den sich alle diejenigen einigen sollten, die wünschen, daß sich dieses Land nach einer Periode des Suchens nach einer Lebensform wirklich auf der Straße der Demokratie zu einem klar und eindeutig erkannten Ziel vorwärtsbewegt. Aber die Gesunderhaltung der Währung ist ja ein Axiom, das nur einen Sinn hat, wenn man dabei gleichzeitig auch einige andere Dinge sicherstellt, so z. B. — und das ist gerade vom Standpunkt der Sozialdemokratie und vom Standpunkt weiter Schichten unseres Volkes wesentlich —, daß das Preisgefüge oder, besser gesagt, das Preisniveau und die innere Kaufkraft des Geldes in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.
Das ist erstens bei uns in der Bundesrepublik keineswegs der Fall. Mindestens gehen die Meinungen darüber, ob die Relation Preis — Einkommen in der Bundesrepublik richtig sei, weit auseinander. Wir werden darüber im Laufe der kommenden vier Jahre noch des öfteren zu reden haben. Außerdem gibt es einige Anzeichen dafür, daß das Preisgefüge wieder einmal in Bewegung gerät. Zum mindesten sind bestimmte Gebiete unseres Wirtschaftslebens jetzt schon in Bewegung. Wenn wir auch offen erklären, daß wir für einige der Veränderungen gar nicht die Bundesregierung und ihre Politik verantwortlich machen wollen und können, weil ja Rückwirkungen von den Weltmärkten her nicht restlos an den Grenzen Deutschlands aufgefangen werden können, so müssen wir doch sagen, daß einige andere Dinge außerordentlich bedenklich sind und zu großen sozialen Spannungen führen können. Die Tatsachen im ganzen bleiben bedrohlich genug vom Standpunkt der Stabilität der Entwicklung im Innern und der Entspannung unseres sozialen Lebens.
Ich will die zwei Punkte nennen, an die ich zunächst gedacht habe, wenn ich sagte, daß wir hier die Verantwortlichen nicht von Weltmarktgesichtspunkten aus entschuldigen können. Es ist eine Erhöhung der Postgebühren angekündigt; sie ist noch nicht praktisch. Ich habe Stimmen gehört, die von Leuten kommen, die es eigentlich wissen müssen; die sind der Meinung, daß dabei der neue Herr Bundespostminister etwas weit über seine derzeitigen Einsichten — er ist ja noch ein Neuling auf diesem Gebiet — hinausgestoßen sei

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

und daß das, was er da angekündigt hat, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß sein dürfte. Daß außerdem der jetzt so oft besprochene Fehlbetrag bei der Post möglicherweise gar nicht ein eigentlicher, echter Fehlbetrag, ein Kassenfehlbetrag sei, sondern daß es sich hier um eine Konsequenz der Bindung der Postverwaltung an haushaltsrechtliche Vorschriften handle, die einem wirtschaftlichen Betrieb wie der Post Schranken auferlegen, die vielleicht in anderen Wirtschaftsunternehmungen nicht vorhanden sind und die es der Post verwehren, ihren Wirtschaftsplan so in Ordnung zu halten, daß nicht nur kein rechnerischer Fehlbetrag, sondern überhaupt kein Fehlbetrag herauskommt, darüber müßte sich im einzelnen noch reden lassen. Ich will das hier nur andeuten.
Eine andere starke Beunruhigung — man muß das offen aussprechen — entsteht aus dem verschiedentlich geäußerten Gedanken, die Wohnungsmieten neu zu regeln. Wir bestreiten gar nicht, daß auf diesem Gebiet einiges zu regeln ist. Wir sind aber der Meinung, daß jede Lösung, die die sozialen Spannungen verschärft, von keinem verantwortet werden kann, der wirklich wünscht, daß sich das innerpolitische Klima einigermaßen vernünftig entwickelt, und der weiß, wie stark ungelöste soziale Spannungen in unserem Grenzland zwischen Ost und West auch zu politischen Konsequenzen führen können, die wir alle nicht wollen.

(Beifall bei der SPD.)

Erheblichen Nachdruck hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede auch auf die Feststellung gelegt, daß die Finanzpolitik der Regierung das Ziel habe, eine Erhöhung der Steuerlast zu vermeiden und bei Wahrung der finanziellen Ordnung doch die Voraussetzungen für eine Milderung der Steuerlast zu schaffen. Ich bin in der peinlichen Lage, daß ich zu diesem Thema nicht sprechen kann und nicht sprechen will und daß mein Freund Professor Dr. Gülich, der eigentlich die Aufgabe übernommen hatte, im Zusammenhang mit dem Inanspruchnahmegesetz und ähnlichen Fragen auch zur wieder einmal hinausgeschobenen Steuerreform zu sprechen, erkrankt ist, so daß ich mich also mit einigen Randbemerkungen begnügen muß.
Das Ziel, das der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede umschrieben hat, ist sicher sehr schön. Es ist ein Ziel, mit dem die Opposition ebenfalls übereinstimmt, allerdings unter der Voraussetzung, daß der Staat, wenn er diesem Ziele nachgeht, nicht Aufgaben vernachlässigt, die ihm, ob er will oder nicht, aus der ganzen modernen Entwicklung unseres Gesellschaftslebens zuwachsen. Herr Schäffer hat in diesem Zusammenhang den Versuch gemacht, die Finanztheorien der Vergangenheit, wie er es genannt hat, zu revidieren. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser Versuch restlos gelungen ist. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß der Herr Bundesfinanzminister aus einer scheinbaren Not — nämlich aus der Not, den Haushalt wenigstens auf dem Papier auszugleichen — eine ebenso scheinbare Tugend gemacht hat. Sein neuer Glaubenssatz, daß die öffentliche Hand ihre Ausgaben nach den Einnahmen richten müsse, hört sich zwar für manche Leute, die das gern haben wollen — ich glaube, der Bund der Steuerzahler und seine leitenden Männer gehören in diese Kategorie —, außerordentlich schön an. Aber dieser Satz hat einen sehr beträchtlichen Pferdefuß — ich hoffe, daß das, was ich jetzt sage, nicht als Rede-


(Schoettle)

blüte in die Protokolle eingeht! —, einen Pferdefuß, der sofort sichtbar wird, wenn man den Bundeshaushalt in seinen einzelnen Teilen mit den Notwendigkeiten unserer Lage vergleicht.
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Augenblick noch nicht auf Einzelheiten eingehen; ich begnüge mich damit, ein einziges Stichwort zu nennen, bei dem die Diskrepanz zwischen dem, was der Herr Bundesfinanzminister für möglich hält, und dem, was alle Sachverständigen für notwendig halten, geradezu in die Augen springt. Das ist das Stichwort: Verkehrspolitik.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich komme noch darauf zu sprechen. Es gäbe noch andere, ähnliche Stichworte aus dem Bereich des Sozialhaushalts, bei denen man sagen könnte, daß sie sogar noch größeres Gewicht haben und daß auch hier die Notwendigkeiten mit den vom Herrn Bundesfinanzminister anerkannten Möglichkeiten in einem außerordentlichen Widerspruch stehen.
Die Wahrheit ist — daran kommt auch Herr Schäffer mit seinen zweifellos sehr klugen Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium nicht vorbei —, daß eine echte Senkung der Ausgabenseite und damit eine Entlastung auf der Einnahmenseite nur möglich ist, wenn Aufgaben wegfallen, weil sie tatsächlich nicht mehr existieren, nicht weil man sie verschleiert oder sie auf andere abschiebt, die ja dann auch bezahlen müssen. Da die anderen in irgendeiner Weise auch zu dem großen Kreis der Steuerzahler gehören, zahlen die Steuerzahler auf jeden Fall, ob sie nun auf der Bundes-, auf der Länder- oder der Gemeindeebene zahlen oder entbehren müssen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man kann also nicht so tun, als ob wir in einer neuen Situation wären, die neue haushaltsrechtliche und haushaltspolitische Gesichtspunkte sozusagen aus dem Nichts gebären lassen könnte.
Im übrigen erscheint die Anwendung des Prinzips, das Herr Bundesfinanzminister Schäffer entwickelt hat, auf den gegenwärtigen Bundeshaushalt nicht, ganz zweifelsfrei gelungen zu sein. Es ist zwar richtig, daß die Endsummen des Haushalts 1954 um rund 700 Millionen DM niedriger sind als die des Vorjahres. Wenn man aber die Sache etwas genauer betrachtet — und hier muß ich dem Bundesrat folgen, dem ich sonst nicht in allen Teilen bei seiner Kritik am Bundeshaushalt folgen möchte —, dann sieht man, daß die optische Senkung des Haushaltsvolumens in erster Linie daher kommt, daß der ERP-Haushalt, der früher als durchlaufender Posten im Haushalt erschien, jetzt nicht mehr dort erscheint, sondern dem Haushalt als Anlage, als Wirtschaftsplan beigegeben ist, aber bei der Endaufrechnung nicht zählt. Das sind immerhin 875 Millionen DM im vorigen Jahr; und wenn Sie nun 700 Millionen DM Senkung und 875 Millionen DM „Verdunstung" miteinander in Vergleich setzen, dann bleibt immerhin noch etwas auf der negativen Seite übrig.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

Dabei hat der Herr Bundesfinanzminister seinen ordentlichen Haushalt ja noch dadurch entlastet, daß er 576 Millionen DM für den Wohnungsbau in den außerordentlichen Haushalt transferiert hat.

(Abg. Heiland: Sehr gut!)

Dieser außerordentliche Haushalt ist zwar um 1225 Millionen niedriger als der vorjährige, aber
angesichts der Abhängigkeit des außerordentlichen Haushalts von den Möglichkeiten des Kapitalmarkts will uns diese Methode eher als ein Unsicherheitsfaktor bei der Befriedigung wichtigster Bedürfnisse erscheinen

(Sehr wahr! bei der SPD)

als als echter Versuch, den Haushalt auszubalancieren.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht gleich die Frage stellen, wie der Herr Bundesfinanzminister seine Ankündigung verwirklichen will, daß die gesamte für den Wohnungsbau im außerordentlichen Haushalt veranschlagte Summe mit Sicherheit zur Verfügung steht und daß diese Summe schon jetzt verplant werden kann. Diese Ankündigung wird jeder, der die Dringlichkeit des Wohnungsbaues anerkennt — und ich glaube, es gibt wenige in diesem Hause, die das nicht tun —, sehr gerne hören. Aber bei der Ungewißheit bezüglich der Ergiebigkeit des Kapitalmarkts und bei dem Mangel an Reserven im Haushaltsplan, auf den der Herr Bundesfinanzminister selber so nachdrücklich hingewiesen hat, ist doch die Frage erlaubt: Hat Herr Schäffer dabei vielleicht noch andere Finanzierungsquellen im Auge, über die er bis jetzt geschwiegen hat? Denkt er vielleicht — die Summen sind so merkwürdig ähnlich — daran, die 512 Millionen DM, die er der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung abknöpfen möchte, auf diesem Wege dem Wohnungsbau zuzuführen?

(Zuruf von der SPD: Die er noch nicht hat!)

Er hat sie auch noch nicht, denn darüber ist zwischen ihm und der Bundesanstalt noch kein Übereinkommen getroffen worden.
Man könnte sagen, das sei ein denkbarer Weg und eine nützliche Anwendung der Zwangsanleihe, die er da im Auge hat — denn bei aller Freiwilligkeit der Vereinbarung wird es doch letzten Endes darauf hinauslaufen —; aber es ist doch ein Umweg. Da ja nicht nur die Bundesanstalt, sondern auch die Sozialversicherungsträger selber in der Schußlinie sind, kann man sogar befürchten, daß eine Reihe von Möglichkeiten, die die Sozialversicherungsträger bei der Anlage ihrer eigenen Mittel haben, verbaut wird, nur damit der Herr Bundesfinanzminister mit den 512 Millionen dann auf einem Umweg wieder als Wohltäter auf dem Wohnungsbaumarkt erscheinen kann.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Wir sind ja gar nicht neugierig; aber wir möchten das gerne wissen.
Das Bundesfinanzministerium — damit komme ich zu einem anderen Punkt — hat sich in diesem Jahr außerordentlich bemüht — man muß das ohne weiteres anerkennen —, den Haushaltsplan durch Lieferung von aufhellendem Drucksachenmaterial verständlich zu machen. Für die Abgeordneten, die Zeit haben, vor allem diejenigen, die gezwungen sind, sich damit zu beschäftigen, mag das eine gute Hilfe sein. Wir begrüßen es z. B., daß der Brauch der „Vorbemerkungen" wieder aufgenommen worden ist, denn darin wird doch eine ganze Menge aufgehellt. Man wird es also in mancher Hinsicht leichter haben. Das Bundesfinanzministerium hat auch einen „Wegweiser" — so nennt sich das Druckwerk — herausgebracht. Das ist eine Neuerung, von der uns gesagt worden ist, sie sei in erster Linie zur Abkürzung der Haushaltsberatun-


(Schoettle)

gen erfunden worden. Warum sie dann gleich so erscheinen mußte, daß man sie möglicherweise im Buchhandel verbreiten und zur Popularisierung des noch gar nicht verabschiedeten Haushalts verwenden kann, vermag ich nicht ganz einzusehen. Aber das ist eine Nebenbemerkung, die ich nicht tragisch zu nehmen bitte. Im übrigen bin ich nicht ganz sicher, ob mit diesem Heft der vorgesehene Zweck erfüllt wird, die Beratungen des Haushaltsplanes in diesem Hause abzukürzen. Man hat uns gesagt, es enthalte eine romanhafte Darstellung der Haushaltstatsachen. Nun, ich habe — zugegebenermaßen — schon interessantere Romane gelesen, aber man kann es vielleicht auch auf diese Weise machen.

(Abg. Dr. Menzel: Ohne Happy-End! — Zuruf: Kriminalroman!)

— Nein, ein Kriminalroman ist es nicht; da muß ich Sie enttäuschen!

(Erneuter Zuruf von der SPD: Aber ohne Morde!)

— Es gibt da keine offensichtlichen Morde! (Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf: Aber Entführungen!)

— Ich war bei einem anderen Thema, meine Herren, und ich bitte Sie, mir die Sache nicht zu schwer zu machen. Ich habe es sowieso schon schwer genug gegenüber diesem Bundesfinanzminister.

(Heiterkeit und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte nun noch einen Schritt weitergehen und die Frage behandeln, ob der Haushaltsplan 1954 rechtzeitig, d. h. mit dem Ablauf des alten Haushaltsjahres, verabschiedet und in Kraft gesetzt werden kann. Da muß ich schon sagen, für die Eingeweihten, für die kundigen Thebaner gehört etwas mehr als der fröhliche Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers dazu, an ein solches Wunder zu glauben. Es wäre in der Tat ein Wunder, wenn es dem Haushaltsausschuß, dem Hohen Hause selber, das ja auch noch etwas von der Sache haben will, und dem Bundesrat, der nach dem Grundgesetz für den zweiten Durchgang drei Wochen zur Verfügung hat, gelänge, dieses gewaltige Stück Arbeit bis zum 31. März dieses Jahres zu bewältigen. Dabei ist der Herr Bundesfinanzminister selber sich wohl darüber tim klaren, daß einer seiner dubiosen Posten beim Haushaltsausgleich, nämlich die vierprozentige Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, vermutlich schon ein recht beträchtliches Hindernis für die rechtzeitige Abwicklung der Haushaltsberatungen in beiden Häusern sein dürfte. Daß es darüber noch zu einer recht harten Auseinandersetzung mit den Länderfinanzministern kommen wird, scheint ziemlich sicher, vor allem nachdem der Parteifreund von Herrn Schäffer — ich nehme an, daß zwischen CSU und CDU mindestens in diesem Punkte eine gewisse Identität besteht, so daß ich von Parteifreund sprechen kann —,

(Heiterkeit)

nämlich Herr Dr. Fleck en, der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, so unzweideutig sein „Nein, niemals!" in die Welt gerufen hat. Da muß man schon sagen: unter solcher Führung werden sich die Finanzminister aller Länder bestimmt vereinigen.

(Erneute Heiterkeit.)

Ich denke noch jetzt mit Schrecken an die Prozedur beim letzten Haushalt und vor allem an die zähen Verhandlungen im Vermittlungsausschuß, die uns vermutlich auch dieses Mal wieder bevorstehen.
Noch ein Wort zu unserer eigenen, sozialdemokratischen Haltung zu der Frage der Erhöhung des Bundesanteils, in diesem Zeitpunkt, will ich hinzufügen. Wir werden diese Erhöhung ablehnen, und zwar aus guten politischen Gründen, auf die ich jetzt nicht eingehen will; denn beim Inanspruchnahmegesetz werden wir darüber noch zu reden haben. Wir sind ganz gewiß der Meinung, daß der Bund haben soll, was er braucht. Wir glauben aber, daß im Bundeshaushalt insgesamt einige Positionen sind, die es nicht unbedingt notwendig erscheinen lassen, daß der Bund jetzt seinen eigenen Anteil zu Lasten der Länder erhöht. Ob sich der Herr Bundesfinanzminister übrigens sein Spiel mit seinen Länderkollegen dadurch erleichtert hat, daß er in den Entwurf dieses Haushaltsplans eines der mit Recht so beliebten Junktims eingebaut hat, nämlich das Junktim zwischen Heimkehrerentschädigung, Hilfe für die Zonengrenzgebiete, an denen die Länder interessiert sind, und Erhöhung des Bundesanteils, das möchte ich erst einmal abwarten. Wir werden ja sehen.

(Abg. Dr. Dresbach: Das ist im Sinne des Grundgesetzes!)

— Ich will mich jetzt auf einen solchen Zwischenruf nicht einlassen. Wir werden darüber reden, ob das im Sinne des Grundgesetzes ist oder nicht. Ich bin jetzt im Augenblick offen gestanden überfordert, wenn Sie von mir verlangen, daß ich da einsteigen soll.
Auf jeden Fall erscheint es mir — und damit komme ich auf die Frage zurück, die ich vorhin angeschnitten habe — unmöglich, daß der Haushaltsausschuß des Bundestages das Tempo der Beratungen des Entwurfs dieses Haushaltsplans auf Kosten der Gründlichkeit steigert. Ich will auch hier offen aussprechen, was ich schon der Presse gegenüber auf Befragen gesagt habe: wir sollten froh sein, wenn wir durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten diesen Haushaltsplan vor Ostern unter Dach und Fach haben. Die sozialdemokratische Opposition wird auf jeden Fall darauf bestehen, daß keine Frage, die der Entwurf dieses Haushaltsplans aufwirft, unbeantwortet bleibt. Sie wird aber auch von sich aus alles tun, das will ich hinzufügen, um die Beratungen zu fördern und so früh wie möglich abzuschließen. So früh wie möglich! Nicht so früh, wie der Herr Bundesfinanzminister es gewünscht hat. Er hat nämlich gewünscht, daß wir bereits am 5. März mit den Beratungen fertig sein sollten, damit der Bundesrat im Rahmen dieses Haushaltsjahrs seine drei Wochen konsumieren kann. Ich glaube, diesen Gefallen können wir Herrn Schäffer, so leid es uns tut, nicht erweisen.

(Abg. Mellies: Das wäre ja das reine Hennecke-System!)

— So weit sind wir Gott sei Dank hier in der Bundesrepublik noch nicht. Wenn sich aus der Notwendigkeit einer gründlichen Beratung in anderer Hinsicht Schwierigkeiten ergeben sollten, so sind wir gern bereit, an ihrer Überwindung mitzuhelfen; denn wir sind mit dem Herrn Bundesfinanzminister durchaus einer Meinung, wenn er sagt, daß die finanzwirtschaftliche Ordnung und ihre Aufrechterhaltung ein gemeinsames Anliegen aller sei, die mit dem Herzen bei


(Schoettle)

der Demokratie sind, und — das hat er nicht gesagt, aber das sage ich — es gibt ja auch Demokraten, die nur mit den Beinen auf dem Boden der Demokratie stehen und mit dem Herzen ganz woanders.

(Beifall bei der SPD.)

Gerade wenn man aber mit dem Herzen bei der Demokratie ist, kann man in einer Reihe von sehr wichtigen Fragen, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede aufgeworfen hat, völlig anderer Meinung sein als er und die Bundesregierung, deren Finanzpolitik er vertritt.
Ich kann mich nicht auf das ganze weite Feld der Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition begeben. Ich muß mich da mit Stichproben begnügen. Aber einen Punkt, und zwar nach meiner Meinung einen entscheidenden Punkt, möchte ich jetzt herausgreifen, um zu zeigen, daß man anderer Meinung sein kann, daß wir Sozialdemokraten anderer Meinung sein müssen als der Herr Minister und daß hier eine der entscheidenden Wurzeln unserer Gegnerschaft — nicht unserer Feindschaft — liegt. Ich glaube, wir können und sollten uns angewöhnen, wenn wir von politischer Gegnerschaft sprechen, darin nicht zugleich auch noch den Kern menschlicher Feindschaften zu sehen.

(Beifall im ganzen Hause.)

Ich sage also: die sozialdemokratische Fraktion ist mindestens in einem entscheidenden Punkt — ich lege Wert auf das „mindestens", es gibt also doch noch eine ganze Menge anderer — wesentlich anderer Meinung als der Herr Minister. Er hat in seiner Rede die These aufgestellt, daß der Staat in diesem Zeitpunkt und von jetzt an offenbar lediglich die Aufgabe habe, Hilfsstellung zu leisten, damit die private Wirtschaft ihre Aufgaben erfüllen könne. Uns will scheinen, daß diese Auffassung des Herrn Ministers an der geschichtlichen Entwicklung einfach vorbeigeht.

(Abg. Mellies: Sehr richtig!)

Es ist ja nicht eine deutsche Spezialität, daß die öffentlichen Haushalte eine Tendenz zum Wachsen zeigen. Man kann diese Tendenz in allen modernen Industrieländern beobachten. Sie ist nicht das Ergebnis theoretischer Überlegungen. Man braucht dazu nicht an den Genfer See zu gehen, um Aufklärung über moderne Entwicklungstendenzen zu bekommen. Es genügt schon ein Studium unserer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung als Folge der grundlegenden Strukturwandlungen, die die modernen Nationen in den letzten 50, 60, 100 Jahren im Zuge der industriellen Revolution erlebt haben. Einer der entscheidenden Gründe ist die wachsende Zahl der abhängigen Existenzen und die Ausweitung der industriellen Wirtschaft mit der Verschiebung des Schwergewichts von der agrarischen zur industriellen Bevölkerung, kurzum alles das, was wir eben in einem modernen Industriestaat sehen. In Deutschland wird diese Situation nach zwei Weltkriegen noch verschärft durch alles, was der öffentlichen Hand durch die Liquidation der Kriege und ihrer Folgeerscheinungen an Aufgaben zuwächst. In demselben Maße aber, wie man diese Entwicklung nicht nur theoretisch zur Kenntnis nehmen, sondern praktische Konsequenzen aus ihr ziehen muß — gezwungen ist, sie zu ziehen —, wächst die Notwendigkeit öffentlicher Leistungen und damit der Finanzbedarf der öffentlichen Hand. Der Staat gewinnt auf
diese Weise ohne Rücksicht auf Theorien und Ideologien eine neue Funktion, die er früher—vielleicht kann man sagen: in manchen glücklicheren Zeiten — nicht gehabt hat. Seine Einnahmewirtschaft dient nicht mehr allein der Befriedigung von Verwaltungsbedürfnissen; sie wird, ob es uns lieb ist oder leid, ein Instrument der Wirtschafts-, der Konjunkturpolitik, und auf weiten Gebieten — meine Damen und Herren, das wissen Sie alle selber — ist der Staat als Auftraggeber aus der modernen Wirtschaft überhaupt nicht mehr wegzudenken. Nicht ohne Grund hat der Herr Bundesfinanzminister selber in seiner Haushaltsrede darauf hingewiesen, daß in dem Augenblick, in dem man die Haushaltssumme auf beiden Seiten senkt, aus der Wirtschaft der Schrei nach vermehrten Staatsaufträgen ertönt. Die Rufer wissen genau, wo sie der Schuh drückt. Sie schreien nicht nur, weil sie schreien wollen, sondern weil tatsächlich jedes Nachlassen staatlicher Auftragsgebung sofort in einer Reihe von Gebieten der Wirtschaft Lücken reißt, Schwierigkeiten schafft, Existenzen gefährdet.
Wir Sozialdemokraten sehen in dieser Tendenz zur Ausweitung der öffentlichen Haushalte — um da gar kein Mißverständnis aufkommen zu lassen — nicht nur einen Fortschritt, wie ja überhaupt geschichtliche Entwicklungen nicht nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden können, ob sie zufällig in ein theoretisches Konzept passen oder nicht; sie sind häufiger eine Last als eine Freude.

(Beifall rechts.)

Wir sehen also nicht nur einen Fortschritt in dieser Entwicklung. — Klatschen Sie nicht zu früh;

(Heiterkeit)

es ist manchmal ein Fehler, und vielleicht kommt mancher erst bei längerem Nachdenken darauf, was gemeint ist.

(Erneute Heiterkeit.)

— Ich sage das an die Adresse der Herren Klatscher;

(Abg. Albers: Das war rechts!)

ich warne nur Neugierige! — Wir sehen auch die Nachteile dieser Entwicklung, vor allem sehen wir das Wachsen bürokratischer Verwaltungsmethoden und -praktiken, und das empfinden wir genau so wie viele andere als eine Last. Trotzdem glauben wir nicht, daß man aus diesen Nachteilen nun die extreme Forderung ableiten kann: Weg mit dem staatlichen Einfluß auf allen Gebieten, weg mit den staatlichen Interventionen! Sie mögen zwar auch eine Last sein, aber sie sind ebenso sehr eine Notwendigkeit. Und Notwendigkeiten soll man vollstrecken, man soll sich nicht um sie herumdrücken, zumal in Deutschland, wo wir die Aufgabe durchzuführen haben, die Erbschaft von zwei Weltkriegen und zwei Zusammenbrüchen zu liquidieren. Wir werden auf absehbare Zeit ohne staatliche Interventionspolitik auf weiten Gebieten nicht auskommen, trotz aller schönen Begründungen für das, was man heute die „soziale Marktwirtschaft" nennen mag, wobei noch die Frage zu überlegen wäre, wieweit denn diese Theorien, die angeblich neu sind, heute in der Praxis angewandt werden und wieweit nicht bereits heute weite Gebiete unseres Wirtschaftslebens von dieser „sozialen Marktwirtschaft" ausgenommen sind.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

2. Deutscher Bundestag — 12, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 337

(schoettle)

Ich habe dieser Tage eine Rede des neuen Herrn Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört, und ich muß sagen, ich sah mich da auf ganz verwandten Gebieten. Ich fand, daß es nicht in das Konzept des Herrn Kollegen Erhard von der Wirtschaft paßt, und ich habe mich gefragt, wie denn das alles im Rahmen einer doch ziemlich festgelegten Politik realisiert werden soll. Auch der Herr Ernährungsminister selber hat keine vollständige Antwort auf diese Frage gegeben. Das kann man ihm nicht übelnehmen. Ich wollte nur in diesem einen Falle schon darauf hingewiesen haben, wie sehr Theorie und Praxis — man kann auch sagen, wie Propaganda und Praxis — manchmal auseinanderlaufen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich sagte, wir sind überzeugt, daß wir auf absehbare Zeit ohne staatliche Interventionen auf weiten Gebieten nicht auskommen. Aber wir wollen nicht leugnen, daß es eine Aufgabe der Demokratie und der Demokraten ist, die Grenzen des staatlichen Einflusses zu bestimmen und die freie Entscheidungsfähigkeit des Bürgers gegen ein Übermaß von Bevormundung und Staatsaufsicht zu verteidigen. .
In diesem Zusammenhang muß ich noch eine andere Frage berühren, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede aufgeworfen hat. Er hat vom Budgetrecht des Parlaments gesprochen und von der Notwendigkeit, dieses Budgetrecht zu verteidigen. Wir stehen da in einer Front, so hoffe ich, bin aber dessen nicht so ganz sicher, wie ich es gern sein möchte. Das Budgetrecht des Parlaments und die im Grundgesetz etablierte Befugnis der Bundesregierung, mit Hilfe des Art. 113 das Gleichgewicht des Bundeshaushalts zu sichern, enthalten nämlich ein gerütteltes Maß von echten Problemen. Wir sind bisher kaum darauf gestoßen, weil der Herr Bundesfinanzminister und die Bundesregierung es vorgezogen haben, den Art. 113 sozusagen wie das Schwert in der Scheide zu bewahren und nur gelegentlich mit dem Instrument zu winken, ohne es je zu gebrauchen. Ich verstehe durchaus, daß Herr Minister Schäffer den Art. 113 als ein sehr praktikables Instrument in seinen Händen begrüßt; er wäre ja sonst nicht Finanzminister. Aber, meine Damen und Herren, die Stabilität der Finanzen in allen Ehren, und wir sind auch der Meinung, daß das ein großes Gut ist, das man erhalten soll; nur sollte man bei der Erwähnung des Art. 113 mit staatsrechtlichen Vergleichen und mit Blicken nach anderen Ländern, z. B. nach England mit seinem House of Commons, sehr vorsichtig sein. Gewiß, in England hat das Unterhaus, wenn man so will, gar kein eigentliches Budgetrecht in dem Sinne, daß es die Höhe der Einnahmen und Ausgaben wesentlich beeinflussen könnte. Da öffnet der Schatzkanzler am budget day seine rote Mappe, und alle Welt wartet auf seine Überraschungen. Dann gibt es im House of Commons eine Debatte. Aber sie endet in der Regel damit, daß der Schatzkanzler recht behält. Das liegt in der Natur der englischen Konstitution, die ungeschrieben ist, die aber doch über sehr, sehr starke und stabile Grundsätze verfügt. Und wie ist es denn bei uns? Bei uns kommt nicht der Herr Bundesfinanzminister mit der roten Mappe, sondern da weiß die Presse — und weiß Gott wer noch — längst, ehe das Parlament auch mir eine Ziffer des
Haushaltsplans erblickt hat, schon alles, was drinsteht.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich habe d e n Bundesfinanzminister noch nicht kennengelernt und werde ihn vermutlich während der Geltungsdauer des Grundgesetzes nicht kennenlernen, der wegen eines solchen Verstoßes gegen das Budgetgeheimnis, etwa weil er 10 Minuten vor seiner Rede einen Journalisten informiert hat, in die Wüste geschickt wird, wie es seinerzeit dem englischen Schatzkanzler ging.

(Beifall bei der SPD.)

Worauf geht es denn hinaus? Wir reden über den Art. 113 und seine segensreiche Wirkung. Auf der anderen Seite verzichten wir aber auf das Äquivalent dieser der Bundesregierung gegebenen Befugnis, in Finanzfragen mit bindender Kraft nein zu sagen. Wir verzichten nämlich auf die Ergänzung, daß eine Regierung, deren Mehrheit sie in entscheidenden finanziellen Fragen im Stiche läßt, zu gehen hat und das Parlament aufzulösen ist. Das gibt es bei uns im Grundgesetz nicht.

(Erneute Zustimmung bei der SPD.)

Die Väter unseres Grundgesetzes wollten — wie man bei uns im Süden und vielleicht auch anderwärts sagt — die Decke bei sämtlichen Zipfeln nehmen. Deshalb haben sie die Regierung unstürzbar gemacht. Das mag seine guten Seiten haben; ich will darüber gar nicht rechten. Aber daß gleichzeitig das Parlament praktisch völlig entmachtet wird, ist eine Zutat zu dieser Sicherung der Kontinuität, die noch sehr, sehr schädliche Konsequenzen haben kann. Denn das Parlament ist dadurch praktisch auf den Umfang des Budgetrechts beschränkt, den ihm Regierung und Bundesfinanzminister gnädigst bewilligen. Um Ihnen zu beweisen, daß das keine Behauptung eines böswilligen Oppositionsmannes ist — dazu kennen mich die Damen und Herren, die seit längerer Zeit hier in diesem Hause tätig sind, zu genau —, will ich Ihnen die Antwort an Hand der Praxis des Bundestages und des Haushaltsausschusses geben. Wie steht es denn überhaupt um das Budgetrecht des Bundestages? Der Herr Bundesfinanzminister hat es selbst ausgesprochen. Er hat gesagt, daß mehr als 90 % des gesamten Haushaltsvolumens fixe Posten sind. Das ist zum Teil ein Resultat der unglückseligen Geschichte unserer Nation. Wir müßten ja nicht unbedingt im Haushalt Besatzungskosten und Verteidigungslasten von der Art, wie sie jetzt etatisiert sind, haben, wenn wir nicht einige große Unglücksfälle in der Geschichte unserer Nation gehabt hätten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Auf der anderen Seite sind selbstverständlich auch die Soziallasten fixiert durch Gesetze, durch Bindung von Mitteln im Bundeshaushalt. Darüber kann man nicht reden, wenigstens nicht im Rahmen des Haushaltsplans, der ja die gesetzlichen Verpflichtungen nur in haushaltsrechtliche Form bringt. Aber der Rest ist doch auch nur noch in sehr engen Grenzen interessant. Der Haushaltsausschuß — ohne Unterschied der politischen Farbe — und dieses Hohe Haus selbst haben weder einen nennenswerten Einfluß auf das Haushaltsvolumen, noch auf die Gewichtsverteilung innerhalb des Haushalts. Das ist eine Feststellung, der, glaube ich, niemand in diesem Hause widersprechen kann, der die Tatsachen kennt.


(Schoettle)

Was heißt hier Budgetrecht? Das heißt hier offenbar, im großen und ganzen ja zu dem zu sagen, was der Herr Bundesfinanzminister nach langen Kämpfen mit den Ressorts und schließlich unter Abwägung aller Möglichkeiten für richtig gehalten hat!
Das Gesamtbild ändert sich auch dann nicht, wenn wir im Haushaltsausschuß auf Anträge aus dem Hause oder von Ausschußmitgliedern versuchen, mal da eine dreistellige oder dort eine vierstellige oder gar eine fünfstellige Zahl — aber das ist das höchste der Gefühle — von einem Titel zum anderen zu transportieren. Das kostet dann einen ungeheuren Aufwand an Kraft, Nerven und Überredungskünsten gegenüber denen, die opfern sollen, während die anderen, die bekommen sollen, natürlich immer bereit sind, das zu nehmen; doch ist es meist nicht genug.
Der Art. 113 hat also auch eine andere Seite oder, kann man sagen, mehrere andere Seiten als die „segensreiche" Wirkung, das Parlament daran zu hindern, Ausgaben zu beschließen. Ja, wenn es nur diese Wirkung hätte!
Aber da komme ich auf ein schmerzliches Kapitel in der Geschichte des Art. 113 in der Praxis. Die Bundesregierung hat ja, wie ich schon sagte, kaum davon Gebrauch gemacht. Sie hat sich mit Drohungen begnügt. Und je näher der Wahltag kam, meine Damen und Herren, um so weniger wirkten die Drohungen; denn sie haben ja nicht gegenüber der Opposition, die in der Minderheit ist, sondern nur gegenüber der Regierungsmehrheit einen Sinn. Ihre Klagen, sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, im Wahlkampf und nachher über die ungehemmte Bewilligungsfreudigkeit des Parlaments mußten sich doch in erster Linie an die Mehrheit richten.

(Zustimmung bei der SPD. — Zuruf des Abg. Bausch und weitere Zurufe von der Mitte.)

Ich weiß nicht, ob die Damen und Herren, nachdem der Wahltag vorüber ist, in sich gegangen sind und für die Zukunft Besserung gelobt haben; wir können es abwarten.

(Erneute Zurufe von der Mitte.)

— Ich hoffe, wir begegnen einander im Haushaltsausschuß; da können wir privatim einiges miteinander reden. Jedenfalls mußten Sie sich an Ihre Mehrheit wenden, Herr Finanzminister; denn diese Mehrausgaben sind beschlossen worden, nicht nur weil die Opposition die Mehrausgaben gefordert hat — das haben wir getan, das ist unser gutes Recht, und wir werden uns davon nie abhalten lassen —, sondern weil Ihre Mehrheit Sie im Stich gelassen hat. In dem einen Fall, Herr Bundesfinanzminister, in dem Sie schließlich mehr oder weniger vor dem öffentlichen Druck haben kapitulieren müssen, nämlich in dem Fall des Heimkehrerentschädigungsgesetzes, haben Sie sich ja gar nicht des Art. 113 bedient, sondern Sie haben sich vielmehr hinter eine sehr extensive und außerordentlich fragwürdige Interpretation der Verkündungspflicht der Bundesregierung im Hinblick auf rechts gültig beschlossene Gesetze geflüchtet. Darüber wird man ja noch reden müssen, ob es die Bundesregierung in der Hand hat, je nach Bedarf, Geschmack, Laune oder politischen Erwägungen die Fristen für die Verkündung eines rechtsgültig beschlossenen Gesetzesauszudehnen; das ist eine Frage, die wir klären müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede schließlich erklärt, daß er es begrüßen würde, wenn das Zusammenwirken aller Beteiligten im Sinne des Art. 113 gesetzlich oder in der Geschäftsordnung des Bundestags gesichert würde. Dazu haben wir nur eines zu sagen. Wir werden uns einer solchen Bindung des Parlaments widersetzen. Sie liefe praktisch darauf hinaus, daß der Bundestag vollends an die Kette gelegt würde. Wenn es die Bundesregierung nicht fertigbringt, ihre Mehrheit bei der Stange zu halten, wenn es um finanzpolitische Entscheidungen geht, .so sehen wir nicht ein, daß wir dazu auch noch grundgesetzliche Änderungen und Änderungen in unserer Geschäftsordnung vornehmen sollen. Das ist doch eine Frage der politischen Überzeugungsfähigkeit zwischen Regierung und Mehrheit und nicht Sache einer gesetzlichen Regelung. Vom Standpunkt einer echten Erziehung zur Demokratie ist ein solcher Zustand auf die Dauer unerträglich. Die Staatsbürger würden darin bestimmt nicht eine Aufforderung erblicken, vor dem Parlament mehr Achtung zu haben, als dieses sowieso schon genießt.
Wir wissen als sozialdemokratische Opposition in diesem Hause, daß wir nicht in der Lage sind., eine Änderung dieses Zustandes herbeizuführen. Es ist zweifelhaft, ob sich überhaupt in diesem Hause eine Mehrheit fände, die bereit wäre, die Rechte des Parlaments gegenüber. der Regierung wirklich energisch zu vertreten, d. h. das Grundgesetz nicht in einem Sinne zu ändern, wie es der Herr Bundesfinanzminister will, um die Kette noch zu verstärken, sondern dem Parlament die Budgethoheit zu geben, die ihm zukommt.

(Abg. Arndgen: Auch für die Deckung?)

— Herr Kollege Arndgen, wie oft haben Sie sich vor dem Wahlkampf den Kopf über die Deckung von Ausgaben zerbrochen, die Sie mit beschlossen haben! Ich glaube, da sollten wir alle, die wir im Glashaus sitzen, uns nicht allzusehr mit Steinen bewerfen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Arndgen: Sie sitzen mit im Glashaus! — Abg. Mellies: Sie sitzen mehr drin als wir! Das vergessen Sie bitte nicht!)

Und nun, meine Damen und Herren, Spaß beiseite! Was ich bis jetzt gesagt habe, war kein Spaß. Ich bin überzeugt, daß in diesen Ausführungen einige sehr ernste Dinge stecken, über die wir uns alle Gedanken machen sollten.
Zum Entwurf des Haushaltsplans selbst. Es ist selbstverständlich nicht meine Aufgabe, hier alle Einzelheiten des Entwurfs zu durchleuchten. Dazu haben wir die Beratungen im Ausschuß, dazu haben wir die zweite und dritte Lesung, und meine Fraktion wird sich nicht scheuen, entsprechende Anträge zu stellen, wo sie es für notwendig hält. Ich wende mich auch nicht So sehr mit Zahlen abplagen wie der Herr Bundesfinanzminister, der das zur Begründung seines Entwurfs auch wirklich nötig hatte. Wenn ich Zahlen verwende, dienen sie nur der Illustration des von mir vertretenen Standpunkts.
Herr Schäffer hat seinen Entwurf als einen Haushalt der Sparsamkeit bezeichnet. Sparsamkeit ist eine Tugend. Aber sie kann auch am falschen Ort angewandt werden. Dann wird sie zur Untugend, dann wird sie nämlich zur Vernachlässigung von Aufgaben, die man nicht vernachlässigen dürfte. Ein typisches Beispiel — ich habe davon schon gesprochen — ist der Verkehrshaushalt, ein


(Schoettle)

sehr gewichtiger Posten im Gesamthaushalt der Bundesrepublik. Der Verkehrshaushalt, den ich hier gar nicht im einzelnen analysieren will, enthält einige Positionen, die heute draußen in der Öffentlichkeit Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit sind. Ich brauche nur Stichworte zu erwähnen: Bundesbahndefizit, Bundesbahnschwierigkeiten, Straßenbauprobleme, der Konflikt SchieneStraße.
In welcher Weise finden alle diese Dinge ihren Niederschlag im Haushalt des Verkehrsministeriums? Von der Antwort auf diese Frage ist man einigermaßen enttäuscht. Gewiß, der Entwurf sieht vor, daß die Bundesbahn mit Hilfe von Darlehen gewisse Überbrückungsmöglichkeiten erhält. Gewiß, z. B. der Straßenetat enthält eine Summe von, wenn ich recht im Bilde bin, rund 315 Millionen DM für 'dieses Haushaltsjahr. Aber, meine Damen und Herren, gerade wenn man sich die Frage überlegt, wie denn das Problem Schiene-Straße entwirrt werden soll, kommt man doch zu einigen sehr bedenklichen Ergebnissen hinsichtlich dieses „sparsamen" Bundeshaushaltes 1954. Ich weiß, der Herr Bundesverkehrsminister wird, wenn nicht eine gesamtpolitische Entscheidung innerhalb der Bundesregierung erfolgt — und ich sehe sie bisher noch nicht einmal recht in Umrissen—, noch auf lange Zeit einen sehr schweren Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister über die Ausstattung seines Etats zu kämpfen haben. Aber wenn wir uns überlegen, was diese 315 Millionen DM für alle Aufgaben des Straßenhaushalts der Bundesrepublik — von den Ländern rede ich in diesem Zusammenhang nicht
— bedeuten, dann kommen wir zu folgendem Ergebnis. Die Schätzungen der Sachverständigen über die Kosten der Instandsetzung unseres Straßennetzes, so daß es einigermaßen den modernen Verkehrsbedürfnissen entspricht, liegen, wenn ich mich recht erinnere, zwischen 12 und 15 Milliarden DM
— in dieser Größenordnung etwa —. Und zwar sind die Leute, die es wissen müssen, der Meinung, daß man das nicht auf viele Jahre aufschieben kann, sondern daß heute bereits die Grenzen des Erträglichen erreicht sind, was das Verhältnis des Zustandes der Straßen zu ihrer Inanspruchnahme durch den modernen Kraftfahrzeugverkehr betrifft. Nach dem Tempo, das der jetzige Verkehrshaushalt andeutet — nämlich alles in allem 315 Millionen DM in diesem Jahr —, würden wir vermutlich etwa 50 Jahre brauchen, bis wir den Straßenzustand hergestellt hätten, der dem heutigen Verkehr, der heutigen Verkehrsdichte entspricht, wobei man annehmen darf, daß der Verkehr inzwischen weiter gewachsen wäre.
Das ist eine rohe Berechnung. Ich gebe das zu; sie ist wirklich über den Daumen gepeilt. Aber ob Sie 50 oder 40 Jahre nehmen, ist schließlich angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe gar nicht so sehr wichtig. Es kommt darauf an, daß die Beträge, die der Herr Bundesfinanzminister unter Abwägung aller Gesichtspunkte glaubt zur Verfügung stellen zu können, weit hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre, um auch nur in einem Jahr die Winterschäden zu beheben und das bißchen Neubau und Fortführung des Ausbaus unserer Straßen zu bewerkstelligen, das notwendig ist. Vielleicht ergäbe sich auf diese Weise und bei diesem Tempo eine Lösung des Problems SchieneStraße; aber ich fürchte, daß es nicht die richtige Lösung sein würde, sondern daß wir dabei allesamt eines Tages noch sehr draufzahlen müßten.
Meine Damen und Herren, diese Bemerkungen sind nur als ein ganz bescheidener Beitrag zum Thema „Sparsamkeit des Haushalts", eben nur im Rahmen dieser ersten Lesung, aufzufassen. Wir werden die Einzelberatung im Haushaltsausschuß dazu benutzen müssen, alle diese Dinge unter die Lupe zu nehmen, so daß bei der zweiten und dritten Beratung hier im Plenum dann tatsächlich alle die Teile des Haushalts so abgewogen sind, daß man ein Gesamtbild davon bekommt, inwieweit die vom Herrn Bundesfinanzminister ausgesprochenen allgemeinen Grundsätze in diesem Haushaltsplan Berücksichtigung gefunden haben.
Nun zu einigen anderen Einzelplänen, ohne daß ich auch hier auf die Details eingehe. Nach dem Grundgesetz bestimmt der Herr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik. Es steht also hier die Gesamtpolitik der Bundesregierung mit zur Debatte. Da der Herr Bundeskanzler außerdem noch immer sein eigener Außenminister ist, wäre auch die Außenpolitik einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Sie werden verstehen, daß ich im Hinblick auf die gegenwärtig schwebenden Verhandlungen der Vier Mächte in Berlin gerade dieses Thema nicht berühre.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich glaube, wir werden sowieso einer außenpolitischen Debatte in absehbarer Zeit nicht entgehen können, und da mag dann alles das gesagt werden, was zu diesem Thema gesagt werden muß. Daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition in dieser Frage bestehen, ist kein Geheimnis. Sie sind nicht wesentlich abgeschwächt worden; aber ich nehme an, daß wir darüber, wie gesagt, reden werden.
Ich will einige Bemerkungen zur innenpolitischen Atmosphäre machen. Wir haben eine Bundestagswahl gehabt. Nach dem Zusammentritt des Bundestages mochte es vielen scheinen, als ob die Temperatur der Auseinandersetzungen hier in diesem Haus und in der Öffentlichkeit erheblich gesunken sei. Ich habe mehr das Gefühl, daß das der Tatsache zu verdanken ist, daß dieser Bundestag in den ersten Monaten seiner Tätigkeit noch nicht die richtige Wärme gefunden hat, noch nicht den Kontakt miteinander und auch noch nicht den Kontakt mit der praktischen Arbeit, so daß es nicht so viele Gelegenheiten gab, die Klingen zu kreuzen. Das sich das alles im Laufe der Zeit noch finden wird, davon bin ich fest überzeugt.
Schließlich will ich noch ein Wort zum Wahlkampf sagen. Befürchten Sie nicht, daß ich ihn hier wieder aufleben lasse. Gegenwärtig werden ja die Entgleisungen des Wahlkampfs von den Gerichten oder durch außergerichtliche Vergleiche korrigiert.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Heiland: Oder durch Amnestieversuche!)

— Das ist Ihr Beitrag zu meiner Rede. — Ich will darauf nicht eingehen. Man hätte vielleicht klüger getan, diese Entgleisungen gar nicht erst passieren zu lassen und manches nicht zu sagen, was man nachträglich dann vor den Gerichten und mit Hilfe von Anwälten aus der Welt schaffen muß. Aber da wir nun allzumal Menschen sind, möge das als ein Nachtusch betrachtet werden. Ich will die Debatte über dieses ganze Thema nicht weiter vertiefen.
Die innerpolitische Atmosphäre, von der ich sprach, wird vielleicht durch nichts besser gekennzeichnet als durch den Umstand — und ich fühle mich verpflichtet, das hier zur Sprache zu brin-


(Schoettle)

gen —, daß sich neuerdings sogar sehr prominente Vertreter der Regierungskoalition über das kühle Verhältnis der Bundesregierung zum Parlament zu wundern beginnen, — um es milde auszudrücken. Ich will keine Geheimnisse verraten, aber ich will so viel sagen: Dieser Tage wurde in einem Gremium dieses Hohen Hauses neben anderen Fehlleistungen die Tatsache beklagt, daß im Bulletin der Bundesregierung — wir haben ja eine recht umfängliche Verwaltung für Presse- und Informationsangelegenheiten, und eines der Extrakte der Tätigkeit dieser Verwaltung ist das, was man heute mit einem schönen deutschen Wort „Bulletin" nennt, oder wie Sie es aussprechen wollen —

(Heiterkeit)

die Existenz des Bundestages als einer Quelle der Gesetzgebung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werde.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich habe den Versuch gemacht, diese Behauptung zu prüfen. Ich habe mir das Register für das zweite Halbjahr 1953 des Bulletins vorgenommen, und in der Tat, in diesem Register kommt das Wort Deutscher Bundestag überhaupt nicht vor.

(Hört! Hört! und Lachen bei der SPD.)

Mit anderen Worten: von der gesetzgebenden Körperschaft wird im Sprachrohr der Bundesregierung überhaupt nicht Notiz genommen; sonst hätte es ja irgendwann mal auftauchen müssen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich gar nicht um Protokollfragen. Das wäre die Sache etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Hier handelt es sich doch um die wirkliche Stellung des Parlaments innerhalb der gesamten staat lichen Ordnung.

(Beifall bei der SPD und FDP. — Zurufe von der SPD.)

Ich stelle die Frage, ob wir wenigstens in diesem Hause und wenigstens auf diesem einen Gebiete an einem Strang ziehen könnten, damit endlich auch für gewisse Leute — vielleicht sind sie sogar Mitglieder dieses Hauses, aber sie haben andere, offiziellere Eigenschaften —, denen es richtig erscheint, eine gewisse Distanz zwischen das Parlament und sich zu legen, das Parlament in der parlamentarischen Demokratie, wie sie das Grundgesetz etabliert hat, tatsächlich den Rang und die Würde bekommt, die ihm zukommen,

(Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der CDU/CSU und rechts)

und damit es nicht sozusagen unter „ferner liefen" registriert wird.
Zur inneren Politik selber. Es wäre da viel zu sagen, aber es genügt die Bemerkung, daß sich der neue Herr Innenminister nicht gerade glänzend eingeführt hat. Es tut mir fast leid um ihn; denn er ist einer der — nun, ich will niemanden beleidigen — nettesten Erscheinungen auf der Regierungsbank.

(Große Heiterkeit.)

Man hätte ihm eigentlich ein besseres Debut gewünscht als das mit den „5 Minuten nach 12".

(Lachen bei der SPD.)

Ich will gar nicht verschweigen, daß da auch Leute meiner eigenen Couleur recht erheblich danebengetappt sind unter gütiger Anleitung ihres Bundesregierungskollegen.

(Zuruf von der Mitte: Oberkollegen!)

— Ja, man weiß allmählich gar nicht mehr, wie man die Titel alle abwägen soll! Wir kommen bald in die Gegend von Kotzebues „Deutsche Kleinstädter", wenn das so weitergeht.
Ich glaube, das war eine schlechte Visitenkarte. Sie war deshalb schlecht, weil sie von einem großen Unverständnis zeugt für die wirklichen politischen Probleme des Deutschlands neun Jahre nach dem großen Kladderadatsch von 1945, und für ein geringes Einfühlungsvermögen in das, was die Menschen draußen denken, was sie fühlen, worauf sie reagieren.
Dieser Fehlgriff war symptomatisch und ließ Befürchtungen bezüglich der Zukunft auftauchen. Ich will diese Befürchtungen hier im einzelnen gar nicht ausführen. Ich möchte auch keine Gespenster an die Wand malen. Das liegt mir nicht. Aber ich möchte warnend sagen, meine Damen und Herren: Wir wünschten sehr, daß wir nicht erst fünf Minuten nach zwölf entdecken, daß man der Demokratie Bärendienste leistet, wenn man unser Volk daran hindert, nüchtern und ungeschminkt seiner eigenen Vergangenheit in die Augen zu blicken.

(Beifall bei der SPD.)

Der Film mag technisch schlecht gewesen sein, Herr Bundesminister. Ich habe ihn selber gesehen, und ich fand ihn nicht gerade berauschend.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen] : Im Gegenteil, schlecht!)

— Ich meine: nicht berauschend gut, nach der technischen Seite.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Ganz schlecht!)

Er mag uns manches nicht gegeben haben, was man in diesem Zusammenhang geben müßte. Aber sicher war das Verbot ein untaugliches Mittel, das Problem zu lösen, das dieser Film aufgerollt hat.
— Nur soviel zu diesem Thema.
Da ich gerade beim Bundesinnenministerium bin, will ich einige Klagen vorbringen, die mir zugetragen worden sind, die in der zweiten Lesung irgendwie behandelt werden müssen und die auch in den Beratungen des Haushaltsausschusses einen Niederschlag finden sollten. Das Bundesinnenministerium — und das ist sicher nicht die Schuld des Ressorts, sondern die Schuld der Umstände und der Hartnäckigkeit des Herrn Bundesfinanzministers und seiner Referenten — hat eine Reihe von Titeln im Etat, die nach unserer Meinung nicht gerade zulänglich ausgestattet sind. Das Gesundheitswesen ist im wesentlichen Sache der Länder. Aber der Bund hat auch auf diesem Gebiet eine Menge Verpflichtungen, die er erfüllen und für die er entsprechende Mittel bereitstellen sollte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Insgesamt stehen für das Gesundheitswesen etwa 6 Millionen DM im Haushalt. Davon entfällt 1 Million DM auf allgemeine Ausgaben, d. h. Unterstützung einer ganzen Reihe von Institutionen und Organisationen. Manchmal kann man wirklich fragen, ob Organisationen nur dann leben können, wenn ihnen der Bund einen Zuschuß gibt.

(Heiterkeit und Zustimmung.)

Vielleicht gehen wir auf diesem Gebiet gelegentlich etwas zu weit; wir sollten uns das etwas genauer ansehen.
Aber das Bundesgesundheitsamt selbst mit seinem Etat von 5 Millionen DM ist auch nicht all-


(Schoettle)

zu üppig dotiert. Die Mittel zur Bekämpfung von ernsthaften Epidemien oder von Katastrophen, die wir nicht ahnen können, von denen wir aber immerhin annehmen müssen, daß sie einmal kommen könnten, sind einfach ungenügend. Ich sage das ohne jede Polemik, sondern stelle es nur fest, weil ich glaube, daß man sehr ernsthaft darüber sprechen müßte, wie man diese im allgemeinen gar nicht so sehr zählenden Positionen des Haushalts, die aber für seine Atmosphäre selber etwas besagen, in Ordnung bringen kann.
Ein anderes, ähnliches Kapitel! Der Herr Bundesfinanzminister hat sich sehr stolz auf eine Zusammenstellung der Leistungen des Bundeshaushalts für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung berufen. 71 Millionen DM, sagt er, stehen dafür im Bundeshaushalt. Ich muß sagen, Herr Bundesfinanzminister, da haben Ihre Experten aber wirklich den letzten Rest an bundeseigenen Instituten zusammengekratzt, um auf diese Summe zu kommen.

(Heiterkeit.)

Ich glaube nicht, daß bei näherer Betrachtung all die Institute, die der Bund zur Erfüllung seiner laufenden Aufgaben auf diesem oder jenem Gebiet geschaffen oder übernommen hat, unter dem Rubrum „Förderung der wissenschaftlichen Forschung" zusammengefaßt werden können. So einfach sollte man sich die Sache nicht machen. Tatsache ist, daß die wissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik mit dem, was sie vom Bund erhält, noch immer weit unter dem liegt, was notwendig wäre, damit wir auch nur einigermaßen wieder gleichziehen können. Meine Damen und Herren, das ist ja nicht hinausgeworfenes Geld.

(Zustimmung bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

Das ist doch geradezu die Voraussetzung für künftige praktische Entwicklungen in der Wirtschaft. Die Wissenschaft ist ja nicht im luftleeren Raum, und sie soll es auch nicht sein; sie soll im Leben stehen. Trotzdem gibt es eine Reihe von Gebieten der Forschung, von denen man zwar nicht sagen kann, daß sie unmittelbar praktischen Gewinn abwerfen, von denen man aber sagen muß, daß der Staat ouch sie nicht vernachlässigen darf.
Ich denke da z. B. an die Förderung der Geisteswissenschaften. Gewiß sind etwa auf dem Gebiete der Universitätsbildung weitgehend die Länder zuständig. Aber der Bund ist ja heute mehr als jemals die Visitenkarte dieses Teiles Deutschlands, er ist die Repräsentanz dieses Gebietes, und er sollte gerade für die Förderung der deutschen Wissenschaft, bei der durch politische Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte so vieles vernachlässigt oder in falsche Richtung gedrängt worden ist, das Seine tun, um der Wissenschaft im Leben unserer Nation zu dem Rang zu verhelfen, der ihr gebührt.
Wenn man sich die Wirklichkeit ansieht, dann bleibt es nicht bei den 71 Millionen — wir liegen sowieso nicht ganz richtig, wenn wir das so zusammenkratzen —; dann sieht man, daß z. B. der Beitrag des Bundes an die Forschungsgemeinschaft der deutschen Wissenschaft nicht unbeträchtlich gekürzt worden ist unter Berufung darauf, daß die Länder mehr geben. Ja, die Länder geben zwar etwas mehr; aber die Kürzung, die der Bund vorgenommen hat, gleicht das nicht nur aus, sondern stellt die Forschungsgemeinschaft wahrscheinlich im kommenden Haushalt sehr viel schlechter als im vergangenen. Ein Grund ist nicht einzusehen, es sei denn der, daß der Herr Bundesfinanzminister sparen wollte. Aber hier ist nach unserer bescheidenen Meinung wieder einmal Sparsamkeit zur Untugend geworden.
Es besteht auch eine Gefahr, daß die 10 Millionen DM, die im Haushalt für Schwerpunktforschung ausgesetzt sind, ebenfalls noch gekürzt werden. Sie werden betroffen von der vierprozentigen Kürzung, die der Herr Bundesfinanzminister für alle Ressorts insgesamt verordnet hat — das steht im Entwurf —, und sie werden möglicherweise — und das ist eine Frage an den Herrn Bundesinnenminister und seinen Kollegen von der Finanz — noch dadurch gekürzt, daß der Bund, wie ich höre, die Absicht hat, einer internationalen Konvention zur Förderung der Kernphysikforschung beizutreten und daß die 3 Millionen, die er zum Aufbau eines Atommeilers — ich glaube, in Genf — beitragen soll, möglicherweise von diesen 10 Millionen für die Förderung der Schwerpunktforschung abgesetzt werden sollen. Ich würde das für eine sehr untaugliche Methode halten. Man sollte dem Hause gleich davon Kenntnis geben, ob das wirklich beabsichtigt ist. — Ich bin dankbar, wenn das verneint wird. Aber ich wollte zu Protokoll gegeben haben, daß darüber geredet wird. Je beruhigender die Nachrichten von der Regierungsbank klingen, um so besser ist es.
Ich komme zu einem anderen Kapitel — einem düsteren Kapitel, möchte ich sagen. Ich bitte, dabei nicht gleich zu erschrecken, wenn der Vertreter der Opposition von „düsteren Kapiteln" im Bundeshaushalt spricht.
Luftschutz! Jedermann wird mir zugeben, daß das keine freudige Angelegenheit ist. Luftschutz — nun, die Zeiten scheinen danach zu sein, daß man ernsthaft an den Schutz der Menschen vor der Genialität ihrer eigenen Wissenschaftler und ihren Konsequenzen denken könnte. Es ist nur merkwürdig: ehe man wirklich den Schutz der Menschen organisiert, weil man eine Gefahr für gegeben hält, organisiert man die Organisation des Schutzes und gibt dafür schon eine ganze Menge Geld aus, ohne daß bewiesen wäre, daß diese Organisation des Schutzes tatsächlich ein Schutz wäre. Man kann sogar sagen — das gilt nicht nur für die Bundesrepublik, das gilt sogar für ein so großes Land wie Amerika —, daß das, was man heute unter vorbeugendem Schutz der Zivilbevölkerung versteht, der Zivilbevölkerung im Ernstfall kaum zugute kommen wird.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man feststellt, daß das, was angesichts der Entwicklung der Atomwaffentechnik an Luftschutz notwendig wäre, weder durch irgendeine öffentliche Hand in irgendeinem Land noch durch private Anstrengungen finanziert werden könnte und daß, wenn der Ernstfall eintreten würde, zwar möglicherweise diejenigen geschützt wären, die den Krieg zu führen haben, aber nicht diejenigen, die ihn zu erdulden haben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte auf dieses Mißverhältnis, ohne daß ich irgend jemandem die Schuld zuschreibe, hingewiesen haben, weil ich glaube, daß hier eine ernsthafte Aufgabe liegt. Schließlich, meine Damen und Herren: wir haben ja durch die strategische Planung der westlichen Alliierten auf dem Gebiet der Bundesrepublik neuerdings Atomkanonen bekommen. Es ist mir gesagt worden — ich kann es nicht beweisen und will auch gar keine Anstren-


(Schoettle)

gungen machen, es zu beweisen —, daß diese Atomkanonen nur 32 km weit tragen — das mag vielleicht nur der augenblickliche Stand der Technik auf diesem Gebiet sein —, daß sie aber nicht rechtsrheinisch eingesetzt werden dürften, sondern nur linksrheinisch. Wenn also einmal mit diesen Dingern geschossen werden müßte, dann könnte man sich vorstellen, wo die Wirkungen erzielt werden.
Ich sage das nicht um Panik zu machen, sondern nur um darauf hinzuweisen, an welchem Punkt wir denn überhaupt halten, wenn von Rüstung oder von militärischen Anstrengungen gesprochen wird. Da kommt man doch zwangsläufig auf die Frage: Was hat denn all das an Rechnerischem auf dem grünen Tisch mit Divisionen und Ausrüstungen usw. praktisch zu bedeuten angesichts der Tatsache, daß man heute mit einer Atombombe nicht mehr 15 000 t Dynamit abwirft, sondern vielleicht 100 000 oder 200 000 t, wie die neuere Wissenschaft feststellt? Das verändert doch all die Probleme, über die wir in den vergangenen Jahren so mit leichter Hand debattiert haben; und man sollte gerade, wenn es sich um den Schutz der Zivilbevölkerung handelt — der spielt ja beim Luftschutz im Haushalt des Innenministeriums eine beträchtliche Rolle —, daran denken, daß die Bevölkerung wirklich geschützt werden muß und daß man nicht so tun soll, nur damit die Herren Luftschutzwarte der Vergangenheit vielleicht eine Wiederbelebung ihrer ehemaligen Tätigkeit erleben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bedauere, meine Damen und Herren, daß ich Sie noch einige Momente aufhalten muß, weil mir ein Teil der Aufgabe zugefallen ist, die mein Parteifreund Gülich hier hätte übernehmen sollen.
Ich möchte noch einige Blicke auf den Haushalt des Ernährungsministeriums werfen. Der Ernährungshaushalt ist ebenfalls einer der sehr gewichtigen Teile des Bundeshaushalts. Da sind zum Beispiel aufgeführt — auch das nur ein Stichwort und eine Illustration — annähernd 200 Millionen DM — genauer: 198,2 Millionen DM — als Einnahme. Warum kritisiert der Vertreter der Opposition einen Einnahmeposten? Meine Damen und Herren, es ist eben eine unerfreuliche Art von Einnahme; denn um diesen Betrag sollen eingeführte Lebensmittel verteuert werden. Es ist gar nicht zu bestreiten, daß diese Maßnahme notwendig ist, wenn man das innerdeutsche landwirtschaftliche Preisgefüge aufrechterhalten will; und das wollen auch wir von der sozialdemokratischen Opposition. Aber bei aller grundsätzlichen Zustimmung zur Marktordnung, auf welche die deutschen landwirtschaftlichen Erzeuger bestimmt nicht verzichten können und auch nicht verzichten sollen, müssen wir doch aussprechen, daß lebenswichtige Nahrungsmittel um diese außerordentlich hohe Summe zu Lasten der Verbraucher verteuert werden; und da die Marktordnung bekanntlich beiden Seiten, dem Verbraucher und dem Erzeuger, dienen soll, ergibt sich nach der Meinung der Sozialdemokratie die zwingende Notwendigkeit, diesen Betrag oder mindestens sehr wesentliche Teile davon dem Verbraucher wieder zuzuführen, natürlich nicht auf eine Weise, die der Landwirtschaft schadet. Daran mitzuwirken wäre auch Aufgabe der sozialdemokratischen Opposition, der wir uns gern unterziehen wollen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man aus diesen Mitteln eine großzügige Schulmilchversorgung finanzieren wollte?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Dann würde man nicht nur den Verbrauchern in ihrer Gesamtheit etwas von dem zurückgeben, was man ihnen mit der Abschöpfung nimmt, man würde darüber hinaus der Landwirtschaft eine große Sorge hinsichtlich des Milchabsatzes abnehmen; auch eine verdienstvolle Leistung!
Ich will in diesem Zusammenhang gleich einen Punkt streifen, der ebenfalls mit dem Haushalt des Ernährungsministeriums im Zusammenhang steht. Sehr erhebliche Summen fordert nämlich die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen. Dazu muß eine kritische Bemerkung gemacht werden. Sie sollte von niemandem als ein Angriff auf die Marktordnung aufgefaßt werden, zu der sich meine Fraktion nach wie vor bekennt. Aber es scheint mir, daß hier einmal wirksamer, als es im ersten Bundestag leider möglich war, untersucht werden sollte — und zwar unvoreingenommen —, welche Mittel eingespart werden können. Angesichts der Tatsache, daß für die allerseits anerkannten dringenden Aufgaben der Landwirtschaft wie z. B. Flurbereinigung und vor allem Tbc-Bekämpfung beim Milchvieh nur absolut unzureichende Mittel zur Verfügung stehen, besteht alle Veranlassung, den Haushalt des Landwirtschaftsministeriums 'gründlich auf alle Möglichkeiten einer wirksameren Konzentration der Mittel auf die vordringlichen Aufgaben zu untersuchen.
Das gilt nicht zuletzt auch für Beträge, wie sie für Förderungsmaßnahmen und für Forschungszwecke eingesetzt sind. Ich sage dies nicht, um abzuschwächen, was ich vorhin über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung gesagt habe, sondern um darzutun, daß es nicht nur um die quantitative Erhöhung der Mittel, sondern auch um ihre zweckmäßige Verwendung geht. Denn manchmal werden Mittel ausgegeben, nicht weil es notwendig ist, bestimmte wissenschaftliche Arbeiten zu fördern, sondern weil irgend jemand ein Institut aufgemacht hat, an dessen Förderung bestimmte Leute ein Interesse haben. Da muß dann ein Betrag entweder zu Lasten anderer Institute abgezweigt werden, weil man den Gesamtansatz nicht erhöhen will, oder es wird dann eben noch etwas hinzugebuttert, was — gemessen an der Wirksamkeit der Aufwendungen — ganz und gar nicht notwendig wäre. Deshalb mache ich diese Bemerkung.
Ich will mich im übrigen bei dem Kapitel Ernährungspolitik auf diese Bemerkungen beschränken, aber noch einmal die Frage aufwerfen, wie sich denn die neue Agrarpolitik des Herrn Ministers Lübke in den Rahmen der Gesamtwirtschaftspolitik der Bundesregierung einfügt. Ich will klar sagen, ,daß wir im großen ganzen mit dem übereinstimmen, was Herr Dr. Lübke zur Erreichung seiner Ziele betreffend die Umstellung der landwirtschaftlichen Erzeuger auf ihre neuen Aufgaben und auf ihre neue Situation für notwendiggehalten hat. Er wird dabei auf weite Strecken in der sozialdemokratischen Opposition einen Bundesgenossen haben. Wir wünschen nur, daß er seine Bundesgenossen nicht nur ,aus der sozialdemokratischen Opposition bekommt,

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei den Regierungsparteien)

sondern sie auch in seinem eigenen Lager und insbesondere bei den Herrschaften von der Grünen Front findet, denn die haben damals bei seinem Vortrag bemerkenswerterweise völlig geschwiegen.
Ein weites Feld wäre ferner die Wirtschaftspolitik. Ich will hier nur kurz auf den — vom Stand-


(Schoettle)

punkt der Opposition — amüsanten Streit zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard und seinen Freunden aus der Industrie hinweisen, den Streit um die Kartelle. Wir werden uns in diesem Hause ja noch damit zu beschäftigen haben. Es ist immerhin bemerkenswert, daß es einen solchen Streit gibt. Vielleicht kommt sogar, wenn sich die beiden prügeln, zum Schluß doch noch etwas Vernünftiges dabei heraus, was auch andere akzeptieren können. Denn so viel ist sicher: man kann nicht ungestraft die freie Marktwirtschaft predigen, man muß dann auch konsequent sein und muß bis zu einem Punkte gehen, an dem wirklich der freie Wettbewerb für alle garantiert ist.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Dann gibt es eben keine geschützten Ecken. Aber die Konsequenzen sollte man dann auch ganz nüchtern und vor vollbrachter Tat allen Beteiligten vor Augen führen, damit sie nicht erst nachher entdecken, wie sie angeschmiert worden sind.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: „Angeschmiert"!)

— Bitte entschuldigen Sie, Frau Kollegin Weber, wenn ich mal ein Wort aus der Volkssprache .benütze. Ich bin ja schließlich ein ehemaliger Arbeiter, und ich bin heute noch stolz darauf.

(Beifall bei der SPD.)

Nun noch eine Bemerkung zu einem anderen Kapitel, nämlich zum Sozialhaushalt. Der Herr Bundesarbeitsminister verwaltet ja einen großen Teil der Mittel, die im Bundeshaushalt für soziale Aufwendungen ausgebracht sind. Infolgedessen ist es zweckmäßig, bei seinem Etat einige Bemerkungen — wenigstens vorläufiger Art —dazu zu machen. Wir erklären ganz offen, daß wir der Absicht widersprechen, noch einmal die Träger der Sozialversicherung und insbesondere die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit einer Entnahme von 512 Millionen DM zu belasten, wenn auch in der Form einer Anleihe, wie sie diesmal im außerordentlichen Haushalt untergebracht worden ist.

(Zuruf von der SPD: Zwangsanleihe!)

Bis jetzt hat sich die Bundesanstalt offenbar nicht bereit gefunden, diesem Zugriff zuzustimmen.
Im übrigen bin ich dem Herrn Bundesfinanzminister dafür dankbar, daß er selber einen Irrtum aufgeklärt hat, der aus bestimmten Stellen in den Vorbemerkungen sehr leicht hätte entstehen können. Da war nämlich von einem Sozialetat die Rede, der weit über 10 Milliarden DM lag. Der Herr Bundesfinanzminister hatte ja dann schon in seiner Haushaltsrede einen erheblichen Betrag abgestrichen, wie es nur Rechtens war. Dieses Mißverständnis kann also bestimmt nicht auf den Herrn Bundesfinanzminister zurückgeführt werden.

(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)

Aber wer weiß, ob nicht draußen im Lande irgend jemand mal anstatt mit den rund 8 Milliarden mit den 10 Milliarden operiert, die hier deshalb ausgewiesen sind, weil in der Hauptsache die Leistungen aus dem Lastenausgleich auch unter „Sozialaufwendungen" gebucht werden, wo sie nicht hingehören.
Wie gesagt, Herr Schäffer hat gut daran getan, das zu korrigieren. Wenn man diese Korrektur akzeptiert und die Zahlen genau ansieht, kommt man zu dem Ergebnis, daß die Endsummen des sogenannten Sozialhaushalts im Jahre 1954 nicht höher, sondern niedriger als im Vorjahre sind. Auch das nur eine Feststellung nebenbei, aus der ich die Folgerung ziehe, daß die schlecht Weggekommenen und die nicht Mitgekommenen aus den vergangenen vier Jahren ihre alten Forderungen noch immer mit Recht anmelden.

(Beifall bei der SPD.)

Das gilt auch für die Kriegsopfer und für die Heimkehrer. Von den letzteren war schon im Zusammenhang mit der Behandlung des Entschädigungsgesetzes die Rede. Ich will das hier nicht vertiefen, ich möchte nur ankündigen, daß wir im Haushaltsausschuß gerade diesem Kapitel der Kriegsopferversorgung und ihrer Behandlung im Haushalt unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Ich müßte noch sehr viel zu dem Thema Finanzpolitik und Finanzministerium selbst sagen. Ich muß mich auch hier beschränken, weil meine Redezeit offenbar über das hinausgeht, was mir eigentlich zugestanden hätte. Ich konsumiere aber gleich einen Teil der Redezeit, die meinem Freund Gülich zusteht.
Was die Finanzpolitik angeht, so hat der Herr Bundesminister Schäffer davon gesprochen — und auch in der Presse stand es zu lesen —, daß dieser Bundeshaushalt 1954 solider sei als die vergangenen. Es kommt ganz darauf an, was man unter einem solchen Begriff versteht. Der Versuch, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, ist gemacht worden; das kann nicht bestritten werden. Aber sehr muß bestritten werden, daß er gelungen ist. Denn die Dubiosen. von denen ich schon sprach, sind zweifellos so erheblich, daß von einem echten Ausgleich des Etats, d. h. anders als auf dem Papier, eigentlich nicht gesprochen werden kann. Ich will gleich vorweg sagen: ich finde bei näherem Zusehen, es war nicht schön, daß der Herr Bundesfinanzminister noch einmal von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, durch Haushaltsgesetz die Veranschlagung der Haushaltsdefizite der vergangenen Jahre hinauszuschieben. Nun, es ließe sich darüber reden. Ich bin überhaupt überzeugt, daß es durchaus nicht als ein Evangelium angesehen werden muß, daß der Haushaltsausgleich innerhalb eines Haushaltsjahres erfolgen muß. Das Grundgesetz legt uns da Verpflichtungen auf. Aber es gibt Länder und es gibt Haushaltspraktiker, die der Meinung sind, man könne da auch an eine mehrjährige Periode denken. Das würde dem Finanzminister — es ist nicht meine Aufgabe, ihm das Leben zu erleichtern — bestimmt das Leben etwas leichter machen. Man kann darüber reden. In der Praxis handelt er ja so. Das heißt, er bricht eigentlich mit seinen eigenen theoretischen Überzeugungen.
Aber lassen wir das dahingestellt und reden wir von den fragwürdigen Positionen. Es sind eine ganze Anzahl; ich will nur einige nennen. Fragwürdig ist zunächst einmal die Grundannahme in diesem Haushalt, daß das Sozialprodukt in der Bundesrepublik auch im Jahre 1954 noch einmal eine fünfprozentige Steigerung erfahren werde. Das ist mindestens eine von dem fröhlichen Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers getragene Schätzung. Man könnte nun sagen, ein Finanzminister dürfe von Fall zu Fall und wie es gerade trifft,


(Schoettle)

auch optimistisch sein. Aber wenn man unterstellt, daß es der erste wirkliche Normalhaushalt seit der Gründung der Bundesrepublik ist, dann muß ich sagen, es wäre besser gewesen, man wäre nicht an all den Anzeichen einer leichten Konjunkturabschwächung in der ganzen Welt vorbeigegangen, man hätte sich nicht zu sehr darauf verlassen, daß drüben über dem großen Teich schließlich durch die Interventionspolitik der amerikanischen Regierung doch noch alles gut gehen wird, sondern hätte sich mit seinen Schätzungen vielleicht etwas mehr nach der unteren Grenze hin bewegt. Dann wäre man der Realität etwas näher gekommen. Diesen Einwand gegen die Annahme einer fünfprozentigen Steigerung des Sozialprodukts bitte ich nicht als einen gegen den Herrn Bundesfinanzminister mit Heftigkeit ,abgeschossenen Pfeil zu betrachten, sondern als eine Warnung vor dem Optimismus, dem man sich nur allzu leicht hingibt, wenn man beim Aufrechnen der Haushaltsendzahlen noch irgendwo ein Loch entdeckt und die Frage prüft, wie man dieses Loch füllen kann. Der andere sehr fragwürdige Teil des Haushaltsausgleichs ist, wie ich schon sagte, der vierprozentige Bundesanteil.
Noch eine ,andere Frage. Sie betrifft die Kassenlage und die Verteidigungslasten. Vielleicht werden wir im Laufe dieser Debatte mal von einem Angehörigen der Mehrheit des Hauses die Frage beantwortet bekommen, wie man, wenn man die Politik der Bundesregierung für richtig hält, nämlich dem Aufbau einer Wehrmacht zuzustreben, auch im Rahmen einer europäischen Organisation glaubt, ,auf die Dauer mit der Behauptung auskommen zu können, daß die Schaffung einer solchen Verteidigungsmacht — so wollen wir sie nennen — auf lange Sicht ohne die Steigerung der öffentlichen Lasten möglich sei. Ich glaube nicht, daß wir eine überzeugende Antwort bekommen werden. Wir haben sie in der Vergangenheit nicht bekommen. Wir müssen diese Frage immer wieder stellen, weil j a die Verteidigungslasten in unserem Haushalt ein so beträchtliches Maß angenommen haben. Und wer weiß, ob es bei den angesetzten 9 Milliarden bleibt. Herr Minister Schäffer hat selber einen leisen Zweifel aufkommen lassen, als er von den Verhandlungen sprach, die nach dem Ablauf der jetzigen Abmachungen geführt werden müssen.
Gewiß haben die anderen Länder ihre Verteidigungslasten gesenkt. Es besteht eine offenkundige Tendenz, überall, wo dies Problem auftaucht, zunächst einmal die Frage zu stellen, ob denn der soziale Standard nicht durch das herabgedrückt werde, was nach der Seite der Rüstung hin verschoben wird. Man hat sich dann in der Regel entschlossen, den sozialen Standard zu Lasten der Rüstung zu verteidigen, und wir möchten dieses Prinzip als einen der Ausgangspunkte unserer sozialdemokratischen Politik auch hier in diesem Hause festgehalten wissen.

(Beifall bei der SPD.)

Übrigens sind diese 9 Milliarden im Bundeshaushalt bis auf weiteres in den Augen der sozialdemokratischen Opposition noch etwas von der Reserve, von der der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, daß er über sie nicht verfüge. Wir wissen nicht, wie die Dinge gehen. Ich gedenke mich hier nicht etwa in den Mantel eines Propheten zu hüllen, aber solange Herr Minister Schäffer diese 9000 Millionen nicht ausgeben muß, sind sie in seinem Besitz, und sie stehen im Haushalt, sagen wir, als eine ungeklärte Größe.
Dazu die Besatzungslasten. Sie weisen einen beträchtlichen Überhang auf. Darüber sind wir informiert worden. Es ist keine boshafte Frage, sondern nur etwas, das meiner Neugier entspringt, wenn ich sage: Herr Minister Schäffer, Sie haben mit Recht beklagt, daß die westlichen Besatzungsmächte sich bisher noch nicht bereit gefunden haben, einen Zahlungsplan für das vorzulegen, was Sie Besatzungskostenüberhang nennen. Wenn die Leute, wie Sie selber sagten, bereits diese ganze Summe verplant haben, dann weiß ich nicht, wo die Schwierigkeit liegen soll, denen, die zahlen sollen und über deren Häuptern der Abruf dieses Besatzungskostenüberhangs wie ein Damoklesschwert hängt, schon heute einen Zahlungsplan vorzulegen. Ich weiß, Sie sind ein zäher Unterhändler, aber ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß ich glaube, daß Sie in diesem Punkt doch vielleicht etwas zu schnell den Standpunkt der Organe der Besatzungsmächte akzeptiert haben, sie seien nicht in der Lage, einen solchen Zahlungsplan vorzulegen. Schließlich müssen wir ja einmal Gewißheit haben, was denn nun daraus werden soll. Es kann ein Punkt kommen, an dem Sie einfach sagen müßten: Meine Herren, jetzt ist bei mir der Bart ab; jetzt gibts nichts mehr. Ewig können die Leute ja nicht im Unklaren darüber sein, wie sie das Geld, das in unserem Haushalt verplant ist, ausgeben wollen, oder uns wenigstens nicht in Unklarheit darüber lassen. Ich sehe also bei den Verteidigungslasten noch einige Reserven; aber ich muß zugeben, daß die Haltung zu dieser Frage allmählich schon mehr Glaubenssache geworden ist; denn der eine glaubt, daß es noch ernst wird, und der andere glaubt es eben nicht. Ich kann diesen Zwiespalt hier nicht lösen.
Noch eine Frage zum Schluß, Herr Minister, auch nur Neugierde, keineswegs eine bösartige Absicht: Wie hoch sind, wenn man das erfahren kann, die Zinsgewinne aus der Anlage von Kassenmitteln, die Sie ja doch immer wieder einnehmen? Niemand wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, daß Sie Geld, das in Ihrer Verfügungsgewalt ist, so lange zinsbringend anlegen oder auf einem Umweg zinsbringend anlegen, als Sie es nicht ausgeben müssen. Wird man das bei der Rechnung erfahren? Das ist ein etwas langwieriger Prozeß. Oder wird man das schon früher, wenigstens schätzungsweise, erfahren können? Die Frage ist deshalb nicht ganz ohne Interesse, weil sie auf eine der Möglichkeiten des Bundesfinanzministers hinführt, zu rangieren, sich aus Schwierigkeiten herauszuhelfen. Da möchte man doch auch gern wissen, wie er das macht.

(Abg. Dr. Vogel: Ohne kleine Fettpolster kann kein Mensch leben!)

— Die kleinen Fettpolster, Herr Vogel, wir haben sie ja beide!

(Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Der eine mehr, der andere weniger!)

Dann muß ich leider noch ein Wort zu der Vergrößerung des Bundeskabinetts sagen. Wir haben ja bisher keine Gelgenheit dazu gehabt, es sei denn bei der Regierungserklärung. Aber hier beim Haushalt taucht die Frage umgerechnet in Mark und Pfennig auf, wenn es auch nur 1,3 Millionen DM sind, die für die Etablierung der fünf neuen Ministerien aufgewandt werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Greve.)

Es sind also fünf neue Ministerien, darunter das
Ministerium, das unser hochverehrter Herr Kollege


(Schoettle)

Dr. Wuermeling, den wir aus dem Haushaltsausschuß alle kennen und aus mancher Redeschlacht hier im Hause,

(Abg. Heiland: Er redet irgendwo draußen!)

verwaltet, das Familienministerium. Wir wissen von der Tätigkeit des Herrn Kollegen Dr. Wuermeling zunächst nur, was er redet. Und daß er gerne redet, den Eindruck konnte man in der letzten Zeit wirklich gewinnen.

(Heiterkeit.)

Ich möchte nicht in alle Einzelheiten dessen einsteigen, was der Herr Bundesminister für Familienfragen in der Öffentlichkeit sagt. Aber ich werde die Frage stellen — wir haben ja da einige Erfahrungen in der Vergangenheit —, ob auf Herrn Dr. Wuermeling die Sammelaufgabe übergegangen ist, der Sonntagsredner der Bundesregierung zu werden.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

— Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, wir haben kürzlich hier eine Art Retourkutsche erlebt bei einer Fragestunde, als der Herr Bundesminister des Innern erklärte, was der Herr Minister für Familienfragen gesagt habe, sei nicht die Auffassung der Bundesregierung. So oder ähnlich sagte er. Aber, meine Damen und Herren, es gibt doch so etwas wie eine Geschäftsordnung der Bundesregierung,

(Sehr richtig! bei der SPD)

in deren § 12 steht, daß Reden, die die Minister in der Öffentlichkeit halten, den Richtlinien der Politik entsprechen müssen, die der Herr Bundeskanzler bestimmt. Das können Sie im § 12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung nachlesen. Ich frage mich also, ob nun Herr Dr. Schröder mit seiner Antwort auf die Frage meines Kollegen Menzel recht gehabt hat, ob die Geschäftsordnung schließlich recht behält und wer überhaupt maßgebend ist, wenn Minister Sonntagsreden halten. Wenn Sie uns sagen, daß Herr Dr. Wuermeling eine reine Privatperson sei und in dieser Eigenschaft reden könne, was er wolle, dann muß ich fragen, wie Sie die Trennung zwischen Amt und Privatperson auf die Dauer aufrechterhalten wollen angesichts einer solch klaren Regelung, wie sie die Geschäftsordnung der Bundesregierung enthält.

(Abg. Mellies: Oder man soll den Paragraphen in der Geschäftsordnung streichen!)

Abschließend noch ein Wort zu den übrigen neuen Ministerien, den vier Sonderministerien. Ich will keinem der Herren zu nahe treten, ich mag sie alle ganz gern leiden, wenn sie nicht oben auf der Ministerbank sitzen würden.

(Große Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)

Herr Tillmanns sitzt gerade vor mir, und da er so nett dasitzt, muß ich ihm das sagen: wir haben diese vier Posten zunächst einmal für völlig überflüssig gehalten und sind uns völlig klar darüber, daß wir darin auf dieser Seite des Hauses viele Freunde haben. Zum andern wissen wir diese Herren nicht anders zu definieren, als daß sie Fraktionssekretäre mit Kabinettsrang sind.

(Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.)

Das ist nicht sehr schmeichelhaft, was ich da sage,
aber ich muß es sagen, denn es stand ja nicht in
Ihrem Wahlprogramm, daß Sie eine solche Ausweitung der Regierung herbeiführen würden. Ihre Wähler haben das sicher auch nicht erwartet. Diese kleine Bosheit bitte ich mir nachzusehen.
Zum Schluß eine Bosheit gegen den Bundesrat, der — abgesehen von der zweiten Reihe — nicht vertreten ist. Der Bundesrat hat zum Haushaltsplan bevorzugt Stellung genommen, ehe wir ihn gesehen haben. Ich habe aus dem, was der Bundesrat zum Haushalt gesagt hat, den Eindruck, daß er sich die Sache in vielen Fragen verhältnismäßig leicht gemacht hat. Ich sage das deshalb, weil ich die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause davor bewahren möchte, als Sprecher der Opposition des Bundesrates gegen den Herrn Bundesfinanzminister zu erscheinen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das ist nicht unsere Aufgabe, und deshalb bedauere ich, daß der Bundesrat es möglicherweise nicht für notwendig hält, seinen in vielen Punkten doch sehr interessanten, wenn auch abweichenden und nicht immer gut begründeten Standpunkt auch einmal in diesem Hause in der ersten Lesung zu begründen,

(erneute Zustimmung bei der SPD)

so daß wir mit einer begründeten Ansicht des Bundesrates ausgestattet in den Haushaltsausschuß gehen können und nicht einfach sagen müssen: Das wollen wir schon gar nicht zur Kenntnis nehmen, denn darüber hat niemand mit uns geredet. Hier wäre der Ort, an dem der Bundesrat auch einmal sagen könnte, wie er sich zu der Haushaltspolitik des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundesregierung stellt. Das geht an die Adresse des Bundesrates.

(Beifall bei der SPD und den Regierungsparteien.)

Ich möchte zum Schluß kommen. Wir Sozialdemokraten sind in diesen vergangenen Jahren in Opposition zur Bundesregierung gestanden. An dieser Haltung hat sich nichts geändert. Das ist nicht einfach der Ausfluß von Animosität, sondern das Resultat echter Meinungsverschiedenheiten, gegensätzlicher Standpunkte, ja des Interessengegensatzes, der politische Parteien als Repräsentanten von gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strömungen voneinander trennt. Deshalb möchte ich an den Schluß ein Zitat aus den Formulierungen setzen, die eine wirklich repräsentative sozialdemokratische Körperschaft vor mehr als einem Jahr beschlossen und veröffentlicht hat. Denn diese Auffassung ist der Ausgangspunkt unserer Kritik am Bundeshaushalt, unserer Kritik an der Gesamtpolitik der Bundesregierung und der Leitstern für unsere Arbeit am Bundeshaushalt. Dieses Zitat möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, weil es in vielem das präzisiert, was ich zu Anfang zu den grundsätzlichen Bemerkungen des Herrn Bundesfinanzministers gesagt habe:
Das grundsätzliche Problem — so haben wir da programmatisch gesagt, und das gilt noch immer —, ob es zweckmäßig und notwendig ist, öffentliche Mittel zur Erreichung wirtschafts-, sozial- oder bevölkerungspolitischer Ziele einzusetzen, ist eindeutig entschieden, seitdem sich in den letzten Jahrzehnten die Auffassung durchgesetzt hat, daß Finanzpolitik zunehmend im Dienste nichtfiskalischer Zwecke stehen muß und infolgedessen finanzpolitische Maßnahmen verstärkt Einfluß auf Wirtschaftsablauf und Sozialstruktur gewinnen. Diese


(Schoettle)

Entwicklung beruht auf bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Daten, die durch die Kriegsfolgen in der Bundesrepublik ungeheuer verschärft worden sind.
Von diesen Auffassungen werden wir uns bei der Mitarbeit am Haushalt leiten lassen; sie bestimmen auch unsere Haltung zu all den Fragen, die ich hier nur im Vorbeigehen streifen konnte. In diesem Sinne werden wir mitarbeiten, wie wir in der Vergangenheit mitgearbeitet haben, als parlamentarische Opposition gegenüber einer Regierung, von der wir sagen müssen, daß ihre Politik in wesentlichen Teilen nicht mit unseren Ansichten übereinstimmt, und von der wir zum andern befürchten, daß sie Wirkungen haben kann, die für unsere Nation sehr schädlich sein können.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0201201800
Ehe ich weiter das Wort erteile, gebe ich bekannt, daß die für heute 15 Uhr 30 vorgesehene Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität in Zimmer 204 Süd auf 16 Uhr vertagt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.

Dr. Heinrich Krone (CDU):
Rede ID: ID0201201900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben eine Rede gehört, die sich auf den Haushalt des Jahres 1954/55 bezogen hat. Sie ist mit Ausführungen über die Politik der Bundesregierung verbunden gewesen. Ich begrüße es, daß Kollege Schoettle seine Ausführungen nicht auf die rein haushaltsmäßigen Fragen beschränkt, sondern den Rahmen seiner Darlegungen erweitert und damit eine alte, gute Tradition der parlamentarischen Demokratie wieder aufgenommen hat.
Herr Schoettle hat eine gute Rede gehalten. Nur mit dem letzten Satz bin ich nicht ganz einverstanden.

(Abg. Schoettle: Das wäre ja auch ein Wunder! — Lachen bei der SPD.)

— Ich möchte darum bitten, daß Sie meine Ausführungen nicht so billig beantworten. Ich meine den Satz, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.

(Zuruf von der SPD: Er hat nur von der Möglichkeit gesprochen!)

— Gut, wenn wir uns auf diesem Mittelweg verständigen können, bin ich schon eher mit diesem Satz einverstanden; sonst, würde ich sagen, sollte man sich doch gerade in dieser Stunde, in der wir stehen, davor hüten, davon zu sprechen, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Das gilt aber auch umgekehrt, Herr Kollege!)

Diese Bemerkung des Kollegen Schoettle hindert mich also nicht, seine Rede als eine gute Haushaltsrede zu betrachten.
Ich möchte davon ausgehen, daß hier der Vorsitzende des Haushaltsausschusses gesprochen hat, jenes Ausschusses, der wohl als der wichtigste Ausschuß — die anderen Ausschußvorsitzenden mögen mir verzeihen, wenn ich das so sage — eines parlamentarischen Systems bezeichnet werden muß, weil ja durch seine Hand all das Geld geht, das der Bund einnimmt und ausgibt. Den Vorsitz dieses so wichtigen Ausschusses führt ein Vertreter der Opposition. Ich halte es für gut, daß wir bei der Verteilung der Ausschußvorsitze dahin gekommen sind, daß gerade in der Hand der Opposition die Führung dieses Ausschusses liegt, der ja doch letzten Einblick in all die Fragen des Haushalts unseres Staates gewährt.
Da ich dabei bin, von Ihnen, Herr Kollege Schoettle, zu sprechen, will ich auch hinzufügen — das kann ich aus der Mitarbeit im Haushaltsausschuß, wenn sie auch einige Zeit zurückliegt, sagen —, daß, glaube ich, alle Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, daß Sie nicht nur ein sehr fachkundiger und kluger Mann sind, sondern die Führung der Geschäfte dieses Ausschusses auch so handhaben, daß man Ihnen das Prädikat einer sachlichen, korrekten und unparteiischen Führung geben muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn ich so zu Beginn meiner Ausführungen dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses eine Anerkennung ausspreche, so will ich gleich ein anderes Wort der Anerkennung hinzufügen. Hier muß ich es noch etwas erweitern, will es aber, da es sich um einen Herrn handelt, der auf der Ministerbank sitzt und aus unseren Reihen kommt, mit weniger Worten sagen. Ich will darauf hinweisen, daß der Bundesfinanzminister, diese so eigenwillige und sehr oft schwer zu nehmende Persönlichkeit, doch dann, wenn er vor dem Volke spricht und seine Grundsätze darlegt, dafür, daß er jeden Pfennig, der ausgegeben werden soll, aufs schärfste verteidigt, gerade im Volke Anklang und Sympathie findet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Fraktion hat mich beauftragt, dem Herrn Bundesfinanzminister den Dank für seine Arbeit und darüber hinaus auch ihr volles Vertrauen auszusprechen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich werde mich in meinen Darlegungen, Herr Kollege Schoettle, auf das beschränken, was politisch zu sagen ist. Nachher wird noch von anderer Seite aus meiner Fraktion etwas zum Haushalt gesagt werden.
Sie haben eine sehr gute und kluge Differenzierung vorgenommen, als Sie sagten, Sie stünden hier nicht als Feind des Herrn Finanzministers und nicht als Feind der Bundesregierung, sondern als ihr Gegner. Ich glaube, daß Sie damit das umschreiben, was die Aufgabe der Opposition überhaupt ist, daß Regierung und Opposition, Regierungsmehrheit und Minderheit zueinander geordnet sind und nicht gegeneinander stehen sollten, daß es sich hier um zwei Pole handelt, die Wesensbestandteile für das Funktionieren der Demokratie überhaupt sind.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner ersten Rede davon gesprochen, die SPD werde darauf achten, ob die Regierung dies als die Funktion der Opposition auch ansehe oder nicht. Ich glaube, die letzten vier Monate hier im Hause können für die Regierung, aber auch für die Regierungsmehrheit den Nachweis dafür erbringen, daß wir uns dieser Funktion der Opposition bewußt sind.

(Zuruf von der SPD: Hoffentlich bleibt's so!)

— Das wäre eine Anerkennung, verehrter Herr
Kollege, wenn Sie mir das entgegenrufen. Ich


(Dr. Krone)

möchte erwarten, daß dann auch das Wort wahr bleibt, das Sie selber zu dieser Frage gesprochen haben.
Ich bin in vielem durchaus einig mit dem, was vorhin gesagt worden ist. Zu dem, was über die Sicherung der Währung gesagt worden ist, ist kein Wort zu verlieren. Weiter ist gesagt worden, wir müßten uns vor einer Vergrößerung der sozialen Spannungen hüten. Nun, ich meine, Herr Kollege Schoettle, es ist doch in den letzten vier Jahren vieles für den Abbau der sozialen Spannungen getan worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Man braucht nur in das Volk hineinzuhorchen, um festzustellen, ob das, was ich eben gesagt habe, nicht doch der Wahrheit entspricht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ihr Hinweis darauf, daß wir hier Grenzland seien, daß wir hier zwischen Ost und West stünden, war meines Erachtens aus diesem Grunde nicht am Platze.

(Zustimmung in der Mitte. — Abg. Schoettle: Wieso nicht? Es ist doch nur eine Tatsachenfeststellung!)

— Wenn Sie es rein geographisch meinen, Herr Kollege Schoettle, sind wir einverstanden. Aber ich glaube, daß die vier Jahre Politik, und zwar wirtschaftlich wie sozial gesehen — ich wiederhole es noch einmal —, viel dazu beigetragen haben, daß Spannungen, die vorher bestanden haben, jetzt doch abgebaut worden sind.
Sie haben dann Ausführungen über den Schutz der zivilen Bevölkerung gemacht. Ich bin der Meinung, daß diese Ausführungen besser nicht gemacht worden wären.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich kann mir kein Bild darüber machen, ob das, was Sie gesagt haben, sachlich berechtigt ist. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie selber auch davon gesprochen, daß nur nach Ihrer Kenntnis — ganz allgemein gesagt — die Frage aufgeworfen werden müsse, ob das genügt, was da geschieht. Wir sollten im Interesse der Sache, aber auch zur Beruhigung — oder, besser gesagt, damit keine Unruhe entsteht — solche Fragen eben nur in einer Form erörtern, die unbegründete Beunruhigungen ausschließt.

(Abg. Blachstein: Sie wollen einschläfern, Herr Krone!)

— Nicht im geringsten, Herr Blachstein! Ich glaube, daß der Sinn unserer ganzen Politik der ist, daß der Friede erhalten bleibt, und nichts anderes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich will dann ein Wort zu dem sagen, was Sie über den Staat und seine Funktionen gesagt haben. Auch wir sind uns dessen bewußt, daß dem Staat heute weit mehr Aufgaben zufallen, als es vor Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Wir wissen, daß gerade unser deutscher Staat nach zwei Kriegen, deren Opfer noch heute unter uns sind, Aufgaben übernehmen mußte, die früher überhaupt nicht vorhanden gewesen sind. Ich bin aber der Meinung — und ich glaube, meine Freunde mit mir —, Herr Kollege Schoettle, daß wir jede unbegründete oder falsche Ausweitung der Staatsaufgaben nur mit Sorge beobachten können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es scheint mir kein Fortschritt zu sein, wenn gesagt wird, daß die Ausweitung von Staatsaufgaben einfach naturnotwendig sei.

(Abg. Schoettle: Das habe ich auch nicht behauptet, Herr Krone!)

— Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, daß wir uns in diesem Punkte treffen können, doch scheint mir, in Ihren Ausführungen lag das Gewicht zu sehr darauf, daß hier eine Notwendigkeit vorliege, der wir eben nicht entgehen könnten. Weit eher sollten wir zu einer Durchgliederung des Aufgabengebiets kommen und dem Staat, dem Bund, das geben, was ihm zusteht. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß man mehr darauf achten muß, daß Aufgaben, die in der Gemeinde gelöst werden können, auch dorthin verlegt werden,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

daß weit mehr Aufgaben, die das Land bewältigen kann, vom Lande gelöst werden müssen, wo sie überschaubarer sind als in der Zentrale.

(Abg. Schoettle: Dann müssen aber auch die Mittel und die Steuerquellen so aufgeteilt werden!)

— Diese Konsequenz entsteht dann, selbstverständlich.

(Abg. Schoettle: Richtig!)

Die Wahrung dieses Subsidiaritätsprinzips muß heute betont werden, und wir betonen es auch. Das scheint mir die Aufgabe der Staatsreform zu sein, vor der wir stehen.
Ich habe vorhin schon gesagt, daß es sich bei dem, was wir erörtern, auch um eine Reihe von politischen Fragen handelt. Ich glaube, wir haben gut daran getan, daß wir eine alte parlamentarische Gepflogenheit aufgenommen haben, indem nach dem Sprecher der Regierung zunächst der Sprecher der Opposition sprach. Bei der ersten großen Debatte des zweiten Bundestags im Oktober vorigen Jahres haben wir von dieser auch von mir anerkannten Regel Abstand genommen. Damals sprach der Vertreter der größten Regierungspartei zuerst. Der Grund dafür lag nicht nur darin, daß der neue Bundestag zum erstenmal vor das deutsche Volk trat; es geschah auch nicht deshalb, weil wir Wert darauf legten, daß gerade die größte Koalitionsfraktion zuerst zu dem Stellung nehmen sollte, was über die Politik der vier vor dem Bundestag liegenden Jahre zu sagen war und was sie darüber dachte. Es geschah deshalb, weil gerade nach den Wahlen eine Unzahl von Vermutungen und Verdächtigungen aufgekommen waren — ich will sie im einzelnen gar nicht wiederholen — und weil damals gesagt worden war, daß das Wahlergebnis des 6. September dazu angetan sein könne, in Deutschland wieder einen ganz anderen Kurs in die Wege zu leiten. Es wurde gesagt, die nächsten Monate müßten beweisen, ob nicht der Sieg vom 6. September der Anfang einer totalitären Bewegung sei. Wir haben damals mit Sorge darauf hingewiesen, daß solche Äußerungen nicht nur im Inlande, sondern auch im Auslande zu lesen und zu hören waren. Ich möchte hier feststellen — und ich möchte glauben, daß das, was Sie, Herr Kollege Schoettle, gesagt haben, ein Beweis für meine Behauptung ist —, daß die bisherige Arbeit hier im Parlament zu solchen Verdächtigungen und zu solchen Besorgnissen in keiner Weise Anlaß gegeben hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)



(Dr. Krone)

Ich füge hinzu, daß nach unserem Wunsche das auch so bleiben soll. Wir müssen alles tun, um im deutschen Volke den Sinn für das Demokratische, für die großen Aufgaben unseres Volkes im Appell an den einzelnen Menschen und seine Selbstverantwortung zu wecken und dem hier im Bundestag Raum zu geben.
Damals fiel auch das Wort, daß man die Demokratie auf kaltem Wege töten könne, in der Stickluft der Korruption und in der Muffigkeit kultureller Reaktion. Ich freue mich, daß solche Worte in der Rede des Oppositionssprechers nicht gefallen sind, und ich hoffe, daß auch seine Ausführungen über das Familienministerium keinen Anlaß dazu geben, anzunehmen, das Ja, das wir zu diesem Ministerium sagen, sei nicht aus der letzten Verantwortung, aus letzten tiefen, ethischen Gesichtspunkten für die Sicherung und den Bestand der deutschen Familie geboren. Ich halte es nicht für würdig, daß man diese Dinge so mit billigen Worten und mit billigen Bildern abtut, die an dem Sinn dieser Aufgabe völlig vorbeigehen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

— Ich möchte auf dieses Wort nicht eingehen. Ich glaube, die, die das eben sprachen, versündigen sich an den Aufgaben, die das Ministerium Wuermeling zu leisten haben wird. Man kann die Dinge, um die es hier geht, doch nicht mit so billigen Worten und Scherzen abtun.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie es tun, dann ergibt sich daraus zwischen Ihnen und uns eine Kluft, eine weltanschauliche Diskrepanz.

(Abg. Schoettle: Ich würde hier nicht verallgemeinern, Herr Kollege Krone!)

— Nein? — Sie haben gesagt, ich möchte nicht verallgemeinern. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie also von diesem Wort abrücken.

(Abg. Kriedemann: Es geht nicht um die Familie, es geht um den Minister! — Abg. Dr. Menzel: Das steht doch in der „Welt" drin! — Weitere Zurufe. — Unruhe.)

Meine verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch ein Wort, das der Herr Kollege Schoettle an die Adresse des Bundesinnenministeriums gerichtet hat. Er sprach von dem Film „5 Minuten nach 12". Ich habe ihn auch nicht gesehen, ebensowenig wie er.

(Abg. Schoettle: Ich habe ihn gesehen, doch!) Ich freue mich, daß Herr Kollege Schoettle selber zugab, daß auch Minister, die aus seinen Reihen kommen, mit zugestimmt haben, diesen Film zu verbieten. Ich persönlich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß es sich nach allem, was ich von den verschiedensten Seiten über diesen Film gehört habe, in der Tat um einen Fehlgriff gehandelt hat. Aber, Herr Kollege Schoettle, Sie haben gesagt, dieser Fehlgriff sei symptomatisch. Wofür symptomatisch? Für einen Kurs der Reaktion, Herr Kollege Schoettle, oder wofür?


(Abg. Schoettle: Ich bin bereit, darauf zu antworten!)

Für einen Kurs der Reaktion, politisch gesehen?

(Abg. Dr. Menzel: Warum ist er denn verboten worden? — Weiterer Zuruf von der SPD: Weil Sie die Wahrheit nicht hören wollen!)

— Ich glaube, dieses Ihr Wort geht doch zu weit. Sie können keinem unserer Herren, auch nicht dem Bundesinnenminister, auch nur im entferntesten nachsagen, daß mit dem damaligen Verbot solche Tendenzen verknüpft gewesen sind.

(Abg. Dr. Menzel: Aber warum ist er denn verboten worden?)

— Herr Kollege Menzel, weil man meinte, das sei aus außenpolitischen Gründen das richtigste.

(Abg. Dr. Menzel: Das ist doch ein Wort! — Weitere Zurufe.)

Herr Kollege Schoettle hat sodann von der Ausweitung des Kabinetts gesprochen. Er hat es nicht nur als richtig empfunden, zu sagen, daß nach seiner Meinung eine Reihe von Posten überflüssig seien, sondern er hat darüber hinaus auch geglaubt, die Aufgabe dieser Minister doch sehr despektierlich herabsetzen zu können. Wir sind der Meinung, Herr Kollege Schoettle, daß, wenn es sich um das höchste Gremium unseres Staatsaufbaus, um die Regierung. handelt, wir die Verpflichtung haben, für dort anfallende neue wichtige Aufgaben, gerade wenn sich das über den Rahmen der bisherigen Ministerien hinaus erstreckt, Minister einzusetzen. Ich füge hinzu, daß es uns angesichts der großen politischen und außenpolitischen Aufgaben, wie sie jetzt mit der Berliner Konferenz zusammenhängen, auch darauf ankam, in das Kabinett einen Kollegen zu setzen, der neben dem Minister für gesamtdeutsche Fragen gerade diese Aufgaben der Zone, des Ostens und Berlins vertritt. Wir sind der Meinung, daß es sich nicht darum handeln kann, diese Ministerien auszubauen; ich glaube, dafür ist die Gewähr auch gegeben. Wir haben vielmehr den Wunsch, daß diese Ministerien sich auf einige wenige Arbeitsgebiete beschränken. Wir sind durchaus für die Einrichtung dieser Ministerien für Sonderaufgaben.

(Abg. Blachstein: Was macht denn dann jetzt Herr Minister Kaiser? — Abg. Meitmann: Das ist doch seine Aufgabe!)

— Herr Kollege Blachstein, ich habe eben schon gesagt: es handelt sich hier um so eminent wichtige Fragen, daß nach unserer Meinung eine Verstärkung durchaus am Platze ist.
Ein Wort muß dann noch zum Ministerium für Familienfragen gesagt werden. Auch von diesem Ministerium, Herr Kollege Schoettle, haben Sie geglaubt, daß es überflüssig sei. Wir sind gerade der gegenteiligen Meinung. Wenn man schon davon ausgeht, daß die Familie als die Urzelle der Gesellschaft und des Staates heute weithin in Gefahr ist, dann sollte man auch von Staats wegen alles tun, was dem Wohl und der Sicherung der Familie dient.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Es ist zu billig, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie die Arbeit des Herrn Dr. Wuermeling damit abtun wollen, daß er sich in Reden erschöpfe.

(Zuruf von der SPD: Sonntags!)

Ich glaube schon, daß es notwendig ist, im deutschen Volke für diese Aufgaben weit mehr Verständnis als bisher zu wecken.

(Zustimmung bei der CDU.)

Die Auffassung, daß hierin eine eminent wichtige
Aufgabe für unser Volk liegt, ist noch gar nicht
weit genug in das Denken weiter Kreise unseres
Volkes eingedrungen. Wir sollten auch den Mut
haben, einmal über die rein klassischen Ministe-


(Dr. Krone)

rien hinauszugehen und, wenn neue Aufgaben anfallen, diese neuen Aufgaben auch in die Hand zu nehmen.

(Abg. Schoettle: Herr Schäffer war bei der Regierungsbildung etwas anderer Meinung als Sie!)

— Herr Schäffer hat gerade hier gesagt, er müsse diesem Ministerium nachsagen, daß es sich finanziell in einem ganz engen Rahmen halte — eine Anerkennung der Arbeit des Ministeriums, glaube ich.

(Abg. Schoettle: Als Mitglied des Kabinetts mußte er post festum so etwas sagen!)

Nein, ich glaube nicht, Herr Kollege Schoettle, daß diese Aufgaben nur so zu sehen sind, wie Sie sie sehen, sondern es handelt sich hier wirklich um große Aufgaben unseres Volkes. Wir meinen, dieses Ministerium sollte seine Aufgabe darin sehen, nicht die Familie zu bevormunden, also nicht in die Familie hineinzureden, sondern der Familie im Aufbau unseres Volkes die Sicherheit zu geben, die sie braucht. Nach unserer Meinung liegt die Aufgabe dieses Ministeriums darin, dafür zu sorget, daß bei allen Gesetzen das Prinzip der Sicherung der Familie gewahrt wird. Hier liegt das Bemühen um die Familienausgleichskasse; hier liegt die Aufgabe, eine gerechte Steuerreform auch unter dem Gesichtspunkt der Familie und der kinderreichen Familie durchzuführen. Hier liegt die Aufgabe des Wohnungsbaues für die Familie und besonders für die kinderreiche Familie. Diese Aufgaben anzupacken, scheint uns im Interesse des Volksganzen eine Notwendigkeit zu sein, und darum unser Ja zu diesem Ministerium.
In der Rede, 'die der verstorbene Kollege Dr. Schumacher im Jahre 1949 hier im Hause gehalten hat, hat er die Hoffnung auf den Sieg der sozialistischen Demokratie ausgesprochen. Nun, das Jahr 1953 hat anders entschieden. Ich glaube überhaupt, daß all das, was bisher mit dem Wort „sozialistisch" bezeichnet worden ist, gerade auch in Ihren eigenen Reihen einer Kritik unterworfen wird und daß dieses Wort im Denken unseres Volkes bei weitem nicht mehr den Anklang hat, wie das früher der Fall gewesen ist.

(Zuruf bei der SPD: Abwarten!)

Ich will nur darauf hinweisen, daß Herr Kollege Ollenhauer in seiner Rede nach der Regierungserklärung Ausführungen über die Wirtschaftspolitik gemacht hat, die Herrn Kollegen Dehler veranlaßt haben, zu sagen, daß hier die richtige Einsicht vorhanden sei, aber nur der Mut fehle, diese Einsicht zu realisieren. Meine Damen und Herren, wenn selbst in Ihren Reihen diese Auffassung vertreten wird und wenn darüber hinaus die Erfolge der letzten vier Jahre den Beweis dafür erbringen, daß wir mit dieser unserer Politik auf dem richtigen Wege sind, haben wir keinen Anlaß, heute von diesem Wege abzuweichen. Es liegt mir nicht daran, hier mit Zahlen aufzuwarten. Aber darauf möchte ich doch hinweisen, daß wir, wenn wir diesen Weg unserer Wirtschaftspolitik fortsetzen, auch in der Lage sind und sein müssen, all die Sorgen noch zu beheben, die auch jetzt noch in unserem deutschen Volke vorhanden sind.
Ich bin der Meinung, daß die soziale Frage von heute ein anderes Gesicht bekommen hat, daß sienicht mehr in der Weise die Frage der Arbeiterschaft ist, wie das früher der Fall gewesen ist,

(Abg. Albers: Sehr richtig!)

daß es heute ganz andere Stände sind, deren Notlage gesehen werden muß. Ich denke hier an die Heimatlosen, an einen großen Teil der Vertriebenen, ich denke an unsere Alten und Invaliden und bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß für die Rentenbezieher etwas geschehen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich denke hier auch an unsere Jugend, deren Aussicht vielfach verdunkelt ist, weil ihr die Möglichkeit, Stellung zu finden, nicht gegeben ist. Ich denke hier auch an einen großen Teil der jungen Akademiker, an Menschen also, deren Bezahlung in ihren jungen Jahren so ist, daß sie nicht daran denken können, eine Familie zu gründen. Hier liegen noch ganz neue und große Aufgaben sozialer Art, die gesehen werden müssen und von uns auch gesehen und in Angriff genommen werden.

(Zuruf von der SPD: Wann?)

Wir sind weiter der Meinung, daß von seiten der Regierung und von seiten des Bundestages alles getan werden muß, um eine Sicherung unseres wirtschaftlichen Aufstiegs zu gewährleisten. Wir müssen die weitere wirtschaftliche Entwicklung mit Sorgfalt beachten, nicht nur im Interesse derer, die aktiv in der Wirtschaft stehen, sondern gerade auch derer, die aus dem Wirtschaftsprozeß ausgeschieden sind; eine Zahl von Menschen, die in den nächsten Jahren noch steigen wird, also eine neue Hypothek, die auf allen denen liegt, die noch im Wirtschaftsleben stehen.
Hier liegt die enge Verbindung zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Ich wiederhole, was ich vorhin schon ausgeführt habe: Wir sollten hierbei zu einer guten Ordnung in der Aufgabenstellung zwischen Gemeinde, Land und Bund kommen. Wir sollten hier dahin kommen, daß nichts von einer höheren Instanz übernommen wird, was eine niedere leisten kann.
Ich meine auch, daß wir dieses Prinzip auf unsere Familie selber anwenden sollten. Man sollte der Familie so weit wie nur möglich den Raum eigenen Schaffens und Sorgen geben, dann aber auch dafür sorgen, daß die Familie, der Vater und die Mutter, die ihr obliegende und zufallende Aufgabe auch leisten kann. Hier liegen die Aufgaben auf dem Gebiet der Wohnungspolitik, des Arbeitsplatzes und der Sicherung des Alters. Daher auch unsere Forderung, von uns aus alles zu tun, um den Prozeß des Absinkens in das Kollektiv so weit wie nur möglich zu unterbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier liegen die Aufgaben der deutschen Eigentumspolitik: die Zahl der Eigentümer so weit wie möglich zu vermehren und — auch im Interesse der Sicherung unseres Volksganzen — Wege zu diesem Ziel zu beschreiten, die gangbar sind. Die Wirtschaftspolitik wird von uns vor allen Dingen bejaht, die dieser Aufgabe der Sicherung unserer Familie am besten dient. Man gebe gerade der Familie die Chance, sich selber wieder zu helfen.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu einem Kapitel, das ich heute ebenso wie der Herr Kollege Schoettle nur kurz streife. Er hat gemeint, zwischen der Opposition und der Regie-


(Dr. Krone)

rungskoalition seien nach wie vor in der Außenpolitik Gegensätze vorhanden. Er hat allerdings hinzugefügt, sie seien etwas gemildert. Ich möchte auf dieses Wort von der Milderung der Gegensätze abheben. Heute richten sich doch die Wünsche und die Hoffnungen von 18 Millionen Menschen auf die Berliner Konferenz. Wie die Zone drüben denkt, haben wir am 17. Juni erfahren. Nun ist vorgestern im Auswärtigen Ausschuß zu meiner Freude ein Beschluß gefaßt worden, der von allen Seiten dieses Hauses gebilligt wurde.

(Beifall in der Mitte.)

Dieser Beschluß zeigt doch, daß unser Volk und wir in der Repräsentation unseres Volkes im Bundestag in den wesentlichen und entscheidenden Fragen der deutschen Außenpolitik einiger sind, als es manchmal in der Öffentlichkeit aussieht.

(Abg. Mellies: Wenn Sie den IndustrieKurier von heute lesen, wissen Sie, an wen Sie Ihre Mahnungen zu richten haben! — Abg. Albers: Damit haben wir ja nichts zu tun! — Gegenrufe von der SPD: Hört! Hört!)

— Das habe ich nicht gelesen! — Herr Kollege Mellies, ich kann nur wünschen, daß diese Linie des Gemeinsamen in diesem Hause weiterhin vertreten wird und daß wir die Stunde erkennen, die heute für unser Volk schlägt. Große und kluge Völker haben es in allen Schicksalsfragen verstanden, den Weg der Einigkeit zu gehen.

(Bravo-Rufe bei den Regierungsparteien.)

Diese Bitte und diese Aufforderung richte ich, Herr Kollege Mellies, an das ganze Haus; ich tue es im Interesse gerade der Menschen, die auf Berlin ihre große Hoffnung setzen. Wir haben im Bundestag in einer Reihe von Beschlüssen unsere grundsätzlichen Forderungen festgelegt. Sie gipfeln in der Forderung, das deutsche Volk hier und drüben soll selber sein Schicksal in die Hand nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind uns darin einig, daß wir nicht mehr das Jahr 1945, sondern das Jahr 1954 schreiben und daß es deshalb auch kein Zurück zu Potsdam mehr geben kann.

(Bravo-Rufe bei der CDU/CSU.)

Wir wissen nicht, was die nächsten Tage uns bringen werden. Vielleicht erleben wir in Berlin jetzt bald den Höhepunkt und die Entscheidung. Wir können nur den Wunsch aussprechen, daß sich die Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes und vor allen Dingen der 18 Millionen Menschen drüben in der Zone auf Wiedervereinigung und auf Freiheit recht bald verwirklichen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0201202000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0201202100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Haushalts und die damit verbundene Finanzkontrolle sind das vornehmste Recht des Parlaments. Man kann über den Haushalt nur im gesamtpolitischen Zusammenhang entscheiden. Es wird zum Stil unserer Arbeit gehören, daß die erste Lesung des Haushalts das große politische Ereignis des Jahres ist, daß jede politische Gruppe die Beratung des Haushalts dazu benutzen wird, Kritik zu üben, zu den politisehen Strömungen der Zeit Stellung zu nehmen, ihre politischen Vorstellungen, Wünsche und Ziele darzulegen. Mit Recht hat Herr Schoettle gesagt, bei der ersten Lesung des Haushalts stehe die Gesamtpolitik der Bundesregierung, die Gesamtpolitik unseres Landes zur Debatte.
Wir müssen uns bei diesem Anlaß Gedanken über die Entwicklung unseres Staates machen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wo wir stehen, was uns fehlt, welche Forderungen noch zu erfüllen sind. Wir stehen in dem schmerzlichen Prozeß des Werdens eines neuen deutschen Staates, zum zweiten Mal nach einem fürchterlichen Zusammenbruch. Die letzten Jahre waren ein Leidensweg. Sie kennen die Entwicklung, die zugeteilte, die kontingentierte Demokratie auf der Stufe der Gemeinden, der Länder — zum Teil künstlich geschaffener Länder —, der Zonen. Sie kennen die bittere Tatsache, daß es eine Demokratie war, die zum Teil nach dem Geschmack der anderen, nach dem Geschmack der Besatzungsmächte geformt wurde. Seit jetzt fünf Jahren leben wir nach einem Grundgesetz, das nicht restlos unseren Wünschen entspricht, ein Grundgesetz, das aber besser ist als sein Ruf, das in fast allen Punkten unseren staatsbildenden Willen darstellt und das gerade in den Punkten versagt, in denen der Wille der Besatzungsmächte seinen Niederschlag gefunden hat.

(Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

Gerade heute haben eine Tageszeitung und eine Wochenzeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und „Die Zeit", ernste Betrachtungen über 'die Frage angestellt, ob es uns gelungen ist, mit dem Grundgesetz ein funktionsfähiges Instrument zu schaffen, und ob dieser Staat richtig funktioniert. Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten ein Bundesverfassungsgericht berufen haben und daß dort auch tatsächlich Fragen entschieden werden, einen Beweis für ein schlechtes Funktionieren unseres Staates zu sehen. Das Gegenteil ist richtig. Hier öffnet sich ein Ventil. In anderen Staaten, die diese Verfassungsgerichtsbarkeit nicht kennen, werden die Spannungen politisch ausgetragen, im Zweifel durch Mehrheitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß die Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer aufgeht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage ist nur, w i e die Spannungen ausgetragen werden.
Ich glaube, wenn wir zurückblicken, können wir feststellen, daß sich im Rahmen des Grundgesetzes unsere staatlichen, unsere parlamentarischen Verhältnisse in einer erfreulichen Weise konsolidiert haben.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Das können wir feststellen, wenn wir an die politischen Sorgen anderer Länder, etwa Frankreichs oder Italiens, denken. Wir können feststellen, daß bei uns die destruktiven politischen Elemente weitgehend ausgemerzt sind. Das ist ein großer Gewinn für die Wirksamkeit unserer Demokratie im Innern und nach außen. Ich meine, man kann sagen, daß der Ungeist des Nationalsozialismus —auch das ist ein Effekt der Abstimmung unseres Volkes in der Wahl vom 6. September — nun weitgehend ertötet worden ist. Gibt es noch eine ernste Gefahr einer Restauration des Rechtsradikalismus, etwa 'des Geistes, der in der Harzburger Front seinen Niederschlag gefunden hat? Ich glaube


(Dr. Dehler)

es nicht. Noch vor ein, zwei Jahren haben wir uns Sorgen wegen der sogenannten Partisanenaffäre gemacht. Noch vor einem Jahr haben wir unseren Blick auf solche Übergangsvorgänge gerichtet, und das, was um den Goebbels-Staatssekretär Naumann spielte, war für uns ein ernster Anlaß, ein Symptom.

(Abg. Behrisch: Wie es die FDP in Wiesbaden treibt!)

— Da, Kollege Behrisch, setzen Sie sich mal mit Ihren Freunden in Wiesbaden auseinander. So billig wollen wir es uns doch nicht machen, Herr Behrisch, .daß Menschen, die auch im Dritten Reich gelebt und gewirkt haben, für alle Zeitenabgeschrieben werden müßten und nicht mehr nach dem Wert ihrer Persönlichkeit zur Wirksamkeit kommen dürften. Von dieser Seite habe ich Sie noch nicht kennengelernt, Herr Behrisch. Wir wollen uns doch überlegen, daß die unheilvolle Art der Entnazifizierung eines der großen Hemmnisse unserer Staatsbidung in den letzten Jahren war,

(Beifall bei der FDP)

und wir wollen froh sein, daß wir mit dieser traurigen Periode, diesem untauglichen Versuch, mit der Vergangenheit im Wege von Gerichtsverfahren fertig zu werden, endlich zu Ende gekommen sind.

(Zurufe.)

— Nein, der Herr Naumann hat sich jetzt in einen Schlupfwinkel verkrochen, und von unserer aktiven Leistung hängt es ab, daß er es niemals mehr wagen wird, ans politische Tageslicht zu kommen.

(Beifall bei der FDP.)

Herr Kollege Schoettle hat eine ernste Frage angeschnitten, die die Solidität unseres Staates, das Ausgewogensein der Funktionen des Staates berührt. Er sprach von dem geringen Ansehen des Bundestages und seiner Arbeit. Er hat mit Bedauern festgestellt, daß ,das so weit geht, daß man selbst in dem amtlicher Bulletin der Bundesregierung monate-, vierteljahrelang die Tätigkeit des Bundestages und seine Existenz nicht erwähnt findet und daß dann in der Öffentlichkeit der Eindruck ,des „schwachen Bundestages" entsteht sowie die Auffassung, daß der Bundestag durch einzelne Persönlichkeiten der Bundesregierung, durch den Bundeskanzler, durch den Bundesfinanzminister, um dessen Person sich unsere heutige Debatte besonders bewegt, überdeckt wird und in ihrem Schatten steht. Ich gehe mit Herrn Kollegen Schoettle durchaus einig, daß das nicht sein darf. Die Souveränität unseres Volkes ist dem Bundestag, dem Parlament, ,der Volksvertretung übertragen. Ich sage das durchaus bewußt auch aus meiner Erfahrung und aus der Sicht, die ich in den letzten vier Jahren von dem Podium des Ministersessels her hatte.

(Abg. Blachstein: Eine Polemik gegen den ehemaligen Minister?)

— Nun, ich gehe mit meinem väterlichen Freund Adenauer darin einig, daß man immer etwas lernen kann. Das ist das Wertvolle, daß man die Dinge auch einmal von der anderen Seite sieht und vielleicht die Qualität gewinnt, sie ins rechte Lot zu bringen.

(Heiterkeit.)

Wir haben die Regierung unglaublich stark gemacht dadurch, daß der gewählte Bundeskanzler praktisch während ,der Wahlperiode nicht abberufen werden kann, daß nur das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum — im allgemeinen wenigstens — zu diesem Ergebnis führen könnte. Darin liegt auch eine Gefahr, die Gefahr einer Überheblichkeit der Bundesregierung, die Gefahr, daß man den Wert und die Bedeutung des Bundestages nicht richtig einschätzt. Ich werde häufig an ein mir politisch wichtig erscheinendes Gespräch erinnert, das der geniale Wissenschaftler und Politiker Max Weber im Frühjahr des Jahres 1919 mit Ludendorff, mit dem eben gestürzten Diktator, geführt hat. Da fragt Ludendorff, ob denn die Demokratie, die man jetzt praktiziere, richtig sei. Max Weber hat das sehr nachdrücklich abgelehnt und hat seinen Standpunkt, seine Vorstellung von der Demokratie so umschrieben: „In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht hineinreden. Nachher kann das Volk richten. Hat der Führer" — so sagt Max Weber — „Fehler gemacht, dann an den Galgen mit ihm!" — Nun, ich halte nicht viel von der Prozedur des Aufknüpfens; ich halte aber auch diese Form ,der Demokratie für falsch, als dem Wesen der repräsentativen Demokratie widerstreitend. Ich glaube, man soll die Bundesregierung trotz der Machtfülle, die sie hat, davor warnen, eine solche Demokratie verwirklichen zu wollen.

(Zuruf von der Mitte: Sollen wir es machen, wie es in Frankreich ist?)

— Wir wollen nicht, daß die Fehlentwicklungen, wie sie in Frankreich und Italien, das sich jetzt ja in solchen Krisen wieder schmerzlich bewegt, zu verzeichnen sind, bei uns eintreten. Dafür haben wir im Parlamentarischen Rat gesorgt. Nein, worum es mir geht, ist, daß die Regierung engste Fühlung mit dem Parlament hat, daß die Willensbildung im Wesentlichen, im Grundsätzlichen beim Parlament liegt und von der Regierung geachtet, respektiert wird. Daß dieses Verhältnis zwischen Exekutive und Parlament nicht restlos glücklich und harmonisch ist, das ist ja heute schon aufgeklungen.
Herr Schoettle meint zwar, das Ideal sei, wie der englische Schatzkanzler mit der roten Mappe ins Parlament komme und vorher das Geheimnis seines Budgets nicht lüfte. Nun, ,die Dinge sind bei uns anders, und ich empfinde gerade den entgegengesetzten Mangel, daß Gesetze beraten werden, von deren Referentenentwürfen Gott und die Welt Kenntnis haben, deren Entwürfe mit den Verbänden und mit den Landesregierungen erörtert werden, und daß wir dann vor relativ vollendete Tatsachen gestellt werden. Man braucht sich nur der Tatsache bewußt zu werden, daß die pressure groups nicht mehr in die lobbies des Parlaments gehen, sondern daß sie die Klinken der Referententüren in den Ministerien putzen, um zu wissen, welche Verschiebung der Machtfülle sich ergeben hat.

(Beifall bei der FDP.)

Das darf nicht sein.
In diesem Zusammenhang bitte ich, daß das geschieht, was ich auch als Justizminister immer für richtig gehalten habe: von vornherein bei Gesetzgebungsprojekten die zuständigen Vertreter der Fraktionen, die Fachreferenten des Bundestags zur Diskussion zuzuziehen. In meiner Fraktion ist einmal bei der Kritik dieser Dinge der Gedanke hoch-


(Dr. Dehler)

gekommen, im Wege einer Änderung des Grundgesetzes der Bundesregierung das Initiativrecht für Gesetze zu entziehen und zu sagen, nur dann wird auf dem Gebiet der Gesetzgebung richtig vorgegangen, wenn ausschließlich das Parlament das Initiativrecht hat. Das wäre eine sehr radikale Kur. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, wie in zunehmendem Maße das Schwergewicht der Entwicklung bei den Ministerien, bei der Ministerialbürokratie liegt und wie der Einfluß des Parlaments immer mehr zurückgedrängt wird, dann muß man sich ernstlich überlegen, wie man diese Entwicklung kupieren kann.

(Abg. Dr. Vogel: Wie wollen Sie das technisch machen?)

— Wir haben schon viele Möglichkeiten — beispielsweise den Dokumentardienst — erwogen. Vor allen Dingen muß — ich habe das schon gefordert
— die Regierung in dauerndem Kontakt mit uns sein. Was die Verbände 'draußen wissen, das müssen wir schon längst vorher wissen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

Ich möchte diesen Rat auch ein klein bißchen in das Kabinett für dessen interne Arbeit hineinreichen. Das heute schon erwähnte Kriegsschädenschlußgesetz, ein derart wichtiges Gesetz, an das sich die Hoffnungen und die Befürchtungen von Millionen von Menschen heften, wird ängstlich von den Referenten eines Ministeriums erwogen, um es als Knalleffekt auf den Tisch zu legen und Milliarden von Werten — von fiktiven und vielleicht auch von realen Werten — zu vernichten. Hier muß es die Demokratie auch in den kleineren Gremien geben. So große Aufgaben können nur im Zusammenwirken gelöst werden.
Ich spreche von den Spannungen zwischen Bundesregierung und Bundestag. Sie sind doch mehrfach aufgetreten. Im empfinde es immer noch — das muß ich wieder einmal sagen — als unverständlich, daß der wiederholte Beschluß des Bundestages, den Bundesgrenzschutz auf 20 000 Mann zu erhöhen — nach meiner Meinung eine wirklich echte staatliche Pflicht —, nicht erfüllt worden ist aus Gründen, die ich nicht recht einsehe. Dafür konnte es keine finanziellen Hemmungen geben.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Strauß: Platow-Amnestie! — Heiterkeit.)

— Mein Lieber Freund Franz-Josef, da bleibt nichts erspart!

(Erneute Heiterkeit.)

Zunächst einmal das nicht eingelöste Versprechen der Reform des Rentenwesens. Diese brennende Frage muß doch gelöst werden. Wir haben nur Versprechungen und keine wirklich konstruktiven Vorschläge erhalten. Weiter das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und damit das ganze Problem, das der Herr Kollege Schoettle — ich hätte ihn gern ein bißchen als Gesprächspartner hier gehabt —

(Abg. Mellies: Er kommt gleich zurück!) angeschnitten hat, — eine wichtige Frage.

Wir haben der Bundesregierung mit vollem Bedacht die Waffe des Art. 113 des Grundgesetzes gegeben. Mein verstorbener Parteifreund, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Höpker-Aschoff, ist der Vater dieser Bestimmung. Ich halte sie nach wie vor für richtig. Daß das eine starke
Waffe in der Hand der Bundesregierung ist, ist zuzugestehen, aber eine richtige Waffe, die nur geschwungen werden muß, wenn das Parlament seine Verpflichtung, keine Ausgabe ohne Deckung zu beschließen, mißachtet hat. Kollege Schoettle ist der Meinung, das Budgetrecht des Parlaments sei durch diese Bestimmung weitgehend ausgehöhlt. Ich bin anderer Meinung. Selbstverständlich untersteht auch das Parlament dem Grundgesetz und der grundgesetzlichen Verpflichtung, daß der Haushalt ausgeglichen sein muß. Nicht nur der Bundesfinanzminister, sondern auch das Parlament würde seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen verletzen, wenn es sich über diese Forderung des Grundgesetzes hinwegsetzte. Es ist die Frage: Soll die Pflicht des Parlaments, keine Ausgabenmehrung und keine Einnahmenminderung ohne die entsprechende Deckung zu beschließen, im Grundgesetz, in der Geschäftsordnung ausdrücklich festgelegt werden? Man kann darüber verschiedener Meinung sein. Ich meine, es bedarf gar nicht der Festlegung. Der § 96 der Geschäftsordnung ist in diesen Bestimmungen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Es ist ein Urteil, das mich nicht überzeugt hat, ich bedauere es; die Bestimmung hätte ausgereicht. Aber abgesehen von jeder Bestimmung im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung besteht diese Verpflichtung. Daß die Würde des Parlaments auch weitgehend von seiner Selbstzucht abhängt, ist uns bewußt.
Nun zur Platow-Amnestie, um dem Minister für besondere Aufgaben, Herrn Strauß, zu entsprechen, auch für die besondere Aufgabe, die bajuwarische Verbindung mit mir zu pflegen.

(Heiterkeit.)

Ich stehe hier — es ist psychologisch ganz interessant — so mitten im Feuer. Ich habe diese Platow-Amnestie nicht ausgefertigt,

(Bravo-Rufe rechts)

weil ich sie für verfassungswidrig halte. Das ist auch heute noch meine Meinung. Ich bin der Ansicht, daß die Verfassungswidrigkeit auch nicht dadurch beseitigt würde, daß diese „Amnestie" in ein allgemeines Amnestiegesetz, aber doch wieder auf diese Fälle beschränkt, eingebaut würde.

(Sehr gut! rechts.)

Ich habe die Gegenzeichnung verweigert. Meiner Unterschrift bedurfte es übrigens nach dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung nicht; denn es genügt die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers. Der Ressortminister ist für die Promulgation nicht vonnöten. Ich habe bei der Behandlung dieses Entwurfs im Vermittlungsausschuß klar erklärt — das wußte der Bundestag, das wußte der Bundesrat —: Ich werde dieses Gesetz niemals unterschreiben. Ich will jetzt nicht darüber rechten, ob ich dazu befugt bin.

(Abg. Mellies: Es wäre aber interessant! Das ist nämlich die entscheidende Frage!)

Ich habe als Minister nie ein Gesetz unterschrieben, das ich für verfassungswidrig hielt. Wenn ich jemals wieder in diese Situation käme, würde ich es wieder so halten. Aber die Frage ist, wie dieser Konflikt auszutragen ist. Ich habe es in diesem Hause schon einmal gesagt. Ich bin allerdings der Meinung, das ist ein echter politischer Konflikt. Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag, Minister — zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Es besteht auf jeden Fall kein


(Dr. Dehler)

Zwang. Ich bin der Meinung, daß der Ressortminister, der in diesem Konflikt mit dem Parlament steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen wird, die Konsequenzen ziehen und zurücktreten muß.

(Zurufe von der SPD: So ist es richtig! — Weitere Zurufe links.)

Daß ich diese Konsequenz auch gezogen hätte, dessen dürfen Sie gewiß sein.
Das sind Fälle der richtigen, echten Konflikte zwischen Bundestag und Bundesregierung, und ich meine, die Bundesregierung hätte allen Anlaß, ihrerseits alles zu tun, was die Würde und das Ansehen des Parlaments, des Bundestags, steigert.
Dem Bundestag droht noch von einer anderen Exekutive her eine erhebliche Gefahr: vom Bundesrat, der nichts anderes ist als Länderexekutive, Zusammenfassung der Länderregierungen. Es ist auch eine unglückliche Entwicklung der letzten Jahre, daß die Macht und auch die Machtansprüche des Bundesrats fortgesetzt gesteigert worden sind. Sie kennen das schwierige Problem. An sich sollte doch der Bundesrat kein echtes Parlament sein; er ist es ja auch nach seiner Struktur nicht. Der Bundesrat sollte nur die Interessen der Länder in der Bundesgesetzgebung, in der Verwaltung des Bundes sichern. In Wirklichkeit ist er schon weitgehend ein zweites Parlament geworden,

(Sehr richtig! rechts)

d. h. unsere gesamte Gesetzgebung ist von der Zustimmung dieser Exekutive abhängig. Eine merkwürdige Fehlentwicklung! Sie wissen, wie das gelaufen ist. Ich bin leider nicht ganz schuldlos daran. Man hat sich auf den Standpunkt gestellt, wenn auch nur eine Bestimmung eines Gesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedarf, muß das ganze Gesetz diese Zustimmung erhalten, und wenn hinterher irgendeine Bestimmung eines solchen mit Zustimmung des Bundesrates angenommenen Gesetzes geändert werden soll, muß wiederum die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden, obwohl die zu ändernde Bestimmung mit den Rechten des Bundesrates und der Länder gar nichts zu tun hat. In Kürze wird es also gar kein Gesetz mehr geben, das nicht von der Zustimmung des Bundesrates abhängig ist. Eine sehr unglückliche Entwicklung, die wir nach meiner Meinung abstoppen müssen, wenn nicht die Rechte dieses Hauses weitgehend beschränkt werden sollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir dürfen aber auch nicht den Fehler begehen, unsere Rechte noch selber weiterhin zu beschneiden. Wenn man vom Bundeswirtschaftsrat als einer notwendigen Institution träumt, so möchte ich nur warnen; er würde doch nur Funktionen auf Ihre Kosten, auf Kosten des Parlaments bekommen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Viele Gefahrenmomente der letzten Jahre, die die Rechte des Staates und des Parlaments bedrohten, sind, glaube ich, gebannt. Es wird nicht wiederkommen, daß die Gewerkschaften oder daß irgendwelche anderen Verbände aufmarschieren, Druck ausüben, Ihre Willensentscheidung zu beeinflussen versuchen. Denken wir an das, was mit dem unglückseligen Gesetz über die Mitbestimmung auf dem Gebiete von Eisen und Kohle geschah. In jeder Beziehung ein schwarzes Gesetz!

(Abg. Sabel: Warum? — Weitere Zurufe.)

— Ja, ein gefährliches, vieldeutiges Wort! Man
kann gar nicht sagen, wie schwarz dieses Gesetz
ist. Auf jeden Fall ein schwarzer Tag, an dem es beschlossen wurde.

(Heiterkeit.)

Ich glaube, es wird nicht wiederkehren.
Ein anderes Problem, das hochkommt und das nicht nur mit den Rechten des Bundestags, sondern mit den Rechten des Staates überhaupt im engen Zusammenhang steht. Wir müssen, glaube ich, einmal darüber sprechen, nämlich über das Verhältnis von Staat und Kirche, über die Frage, wo die Grenzen des Staates, die Grenzen seiner Gesetzgebungsmacht, die Grenzen der Aufgaben des Staates enden, wo die der Kirche beginnen. Viele sind in letzter Zeit hochgekommen: Reform des Ehegesetzes; die Forderung auf Erschwerung der Ehescheidung; die Beseitigung der obligatorischen standesamtlichen, zivilen Trauung. Das sind alles die res mixtae, gemeinsame Angelegenheiten der Kirche und des Staates, die eine Lösung erfahren müssen. Man kann das Problem nicht nebenbei behandeln,

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Nein, das kann man nicht!)

Aber es ist, glaube ich, des Bestrebens der Edelsten in diesem Hause wert, hier klare Verhältnisse zu schaffen. Wir leben in einem säkularisierten Staate, in einem Staate mit mehreren christlichen Kirchen. Die Zeiten der Vermengung der kirchlichen und der staatlichen Sphäre sind weit von uns entfernt und werden nicht wiederkehren. Man sollte auch meinen, wenn sich der Staat darauf beschränkt, Ordnung zu stiften und Ordnung zu bewahren, wenn er vollkommen davon Abstand nimmt, in die Ordnungen der Kirche einzugreifen, müßte dieser unselige Streit zwischen Staat und Kirche, der unsere Geschichte so erschwert hat, zu Ende sein. Dann könnte es doch keine Forderungen der Kirchen mehr geben, die ja die Möglichkeit der vollen Religionsfreiheit haben, denen das Feld zur Betreuung der Gläubigen, das Feld zur geistigen Freiheit völlig freigegeben ist. Aber die Wirklichkeit ist anders, ist mit Recht anders. Denn das Glaubensbekenntnis beschränkt sich ja nicht auf die Beziehungen der einzelnen Seele zu Gott und mit Gott; es lebt in einer Gemeinschaft der Gläubigen. — Dadurch entstehen die Reibungsflächen mit dem Staate. Denn der Staat ist eine öffentliche Organisation, und die Kirche ist es nicht minder. Hier klare Verhältnisse zu schaffen, erscheint mir unbedingt erforderlich, auch als die Voraussetzung einer richtigen Diskussion von morgen, für die Auseinandersetzung über das Problem der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe. Die Kirchen, glaube ich, dürfen den Staat nicht überfordern. Die sakramentalen Bindungen einer Ehe — als Beispiel — können nicht vom Staat sanktioniert werden. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, im Gegenteil. Das wäre doch eine Entwertung der religiösen, sakramentalen Bindung des Gläubigen, wenn diese Bindung unter den staatlichen Schutz gestellt würde.

(Zuruf von der Mitte: Das ist Sophismus!)

— Nein, das ist kein Sophismus. Das ist der ehrliche Wille, eine klare Form zu finden und eine Grenze zu ziehen. Da dürfen Sie mir nicht mit einem solchen Vorwurf begegnen. Wer dieses Problem nicht erfaßt, erkennt eine bedeutsame gesellschaftliche und politische Tatsache der Zeit nicht!

(Beifall bei der FDP.)



(Dr. Dehler)

Daß nicht der Wille besteht, den kirchlichen Einfluß zu mindern, haben, wie ich glaube, meine Freunde in den Verfassungen der Länder und im Grundgesetz bewiesen. Wir haben den Kirchen volle Wirkungsmöglichkeit gegeben, und zwar in einem Maße, wie sie die Kirche noch niemals in der Geschichte hatte.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: In der modernsten Geschichte nicht hatten!)

Ich sage ja, das sind echte Fragestellungen, an die heranzugehen wir den Mut haben müssen.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Den haben wir auch!)

Es sind in der letzten Zeit z. B. von dem Bischof Dibelius Besorgnisse wegen der Allmacht des Staates geäußert worden. Das berührt sich auch mit diesem Problem. Wir lehnen es durchaus ab, daß der Staat allmächtig ist, durchaus ab, daß der Staat das Recht haben soll, in die letzten menschlichen Beziehungen hineinzureichen, da es menschliche Gemeinschaften gibt, die gerade ihre Würde und ihren Wert behalten, wenn der Staat vor ihnen zurückgehalten wird und wenn er nicht die Möglichkeit des Einflusses hat.
Wenn man dieses echte Problem, das Bischof Dibelius aufwirft, durchdenkt, muß man fragen, wo vor allem die Gefahr liegt, daß die Macht des Staates übermächtig wird. — Wieder vermisse ich den Herrn Schoettle als den Mann, den ich gern ansprechen würde. — Dann sollte man wieder in die Geschichte der letzten Jahrzehnte zurückgehen und fragen, worin die Ursachen liegen, daß sich die Staaten mißentwickelt haben, daß sie zu totalitären Formen gelangt sind. Ich habe schon einmal darzulegen versucht, was die tiefere, die geistige, die politische Ursache dieser Fehlentwicklungen war. Ich sehe in einer geistigen Krisis die Ursache der Entwicklung zum Faschismus, zum Bolschewismus, zum Nationalsozialismus, im Erschlaffen des liberalen Gedankens — eng verbunden mit der Lähmung des rechtsstaatlichen Denkens.
Wenn wir fragen, welches der richtige Weg, der geistige Weg in die Zukunft ist, dann müssen wir hier wieder anknüpfen. Man könnte sagen, daß ein Satz, den Anatole France einmal gesprochen hat, demonstriert, wo die geistige Fehlentwicklung der letzten 50, 80 Jahre begonnen hat. Dieser Satz wird gerne von Sozialisten und Sozialreformern zitiert. Er ironisiert den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, diesen „majestätischen Grundsatz, nach dem Armen und Reichen verboten ist, unter Brücken zu schlafen, Brot zu stehlen und auf den Straßen zu betteln". Meine Damen und Herren, das war ein Satz, der einer ganzen Generation von Menschen das Wesen des Staates, das Wesen des Rechtes, das Wesen der richtigen Wirtschaft verdorben hat;

(Sehr gut! links.)

denn das war ja das Anzweifeln des Rechtes, das für alle gilt, das war das Herunterreißen der Binde von der Justitia, das war das Überbürden der Aufgabe, Ungleiches auszugleichen, auf den Staat, auf die Gemeinschaft, und zwar in der Form des Eingreifens in das Recht, des Eingreifens in Eigentum, in Vertragsfreiheit. Wenn der Staat beginnt, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten auszugleichen, dann kann er ja nicht halt machen vor der Rechtssphäre des einzelnen. Dann bricht er in sie ein, und damit brechen die Stützen einer gesunden Gesellschaft, bricht das Recht.
Für mich ist das Symbol der Fehlentwicklung der Wirtschaft und des Rechts das, was die beiden zusammenfaßt, das Wirtschaftsstrafrecht. Wir debattieren gerade über die Beseitigung des Wirtschaftsstrafgesetzes. Ich meine, man sollte es so rigoros, wie man nur kann, aus dem Körper unseres Rechtes und unserer Wirtschaft ausschneiden.

(Sehr richtig! rechts.)

Wenn der Strafrichter, wenn das Strafgesetz richtiges Wirtschaften erzwingen sollen, dann ist die Wirtschaft krank,

(Beifall rechts)

dann bürdet man dem Recht eine Aufgabe auf, die ihm nicht zukommt. Richtiges Wirtschaften muß sich aus den Gesetzen der Wirtschaft ergeben. Daß man den Gedanken des Wirtschaftsstrafrechtes haben konnte, daß man mit mittelalterlichen Vorstellungen wie dem justum pretium, dem gerechten Preis, operierte, dem Kostenpreis, daß man alle Gesetze des echten Wirtschaftens vollkommen mißachtete, ist ein Zeichen einer Fehlentwicklung unserer Wirtschaft und unseres Rechtes.
Wir bejahen den Staat. Das ist mein Bekenntnis, das immer und immer wieder zu sagen. Ich halte es für so wichtig, daß dieser Staat, daß unser Staat Würde und Ansehen hat, daß es ein Staat ist, der von dem freien Willen seiner Bürger getragen und bejaht wird. Es wäre viel darüber zu sagen, was hier fehlt. Schlimmster Fehler, meine Damen und Herren, ist, wenn man diesen Staat mit Aufgaben überlastet, die ihm nicht zukommen. Es ist sehr interessant, was Herr Schoettle insoweit gesagt hat, was er nochmals wie in einer Apotheose in seinem letzten Satz — aus dem Dortmunder Programm, wenn ich nicht irre — zusammengefaßt hat, in dem er den Satz des Bundesfinanzministers Schäffer, der Staat habe nur Hilfsstellung im Wirtschaftlichen und im Sozialen zu leisten, bekämpfte und meinte, in den letzten hundert Jahren hätten sich so gewaltige Strukturwandlungen vollzogen, die abhängigen Existenzen hätten so gewaltig zugenommen, der Übergang von der Agrarwirtschaft zur gewerblichen, zur industriellen Wirtschaft habe solche Strukturumbrüche bedeutet, verbunden mit den gewaltigen Erschütterungen der beiden Weltkriege, daß die Finanzpolitik ein Instrument der Wirtschaftspolitik sein müsse.
Ich lehne diesen Satz als grundsätzlich irrig ab und sehe in ihm beinahe das, was uns scheidet, das, was zwischen Ihnen und uns steht, wenn Sie glauben, man müsse mit Mitteln der Finanzpolitik Wirtschaftspolitik treiben. Wir kennen die Tatsachen, die wollen wir nicht negieren. Wir wissen, daß Einflüsse vorhanden sind, und wir kennen die Struktur der öffentlichen Hand. Aber das können wir doch nicht bejahen und hinnehmen, sondern nur als Folgen einer Fehlentwicklung registrieren und uns überlegen, wie wir diese Tatsachen beseitigen.

(Abg. Schoettle: Herr Kollege Dehler, ich bin jetzt da!)

— Ja, ich hätte Ihnen schon so viel Schönes zu Ihrer Belehrung sagen wollen; denn ich weiß, Sie sind auf dem rechten Wege.

(Große Heiterkeit.)

Ich spreche gerade über Ihre Meinung, die Strukturwandlung der letzten hundert Jahre bedinge die Notwendigkeit, von der Finanzpolitik her wirtschaftspolitisch zu wirken. Sie müssen sich


(Dr. Dehler)

einmal das Groteske der Entwicklung unseres politischen und wirtschaftlichen Lebens, nun, seit wann, seit der französischen Revolution vorstellen. Damals begann doch ein Unheil. Wenn man den Gründen nachgeht, dann erkennt man wieder einmal die Ironie unserer Geschichte. Warum der Sturm auf die Bastille unter diesem doch so braven, ordentlichen König Ludwig XVI., der niemandem auch nur ein Haar krümmte, unter relativ sehr günstigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen? Der Sturm auf die Bastille ging darauf zurück, daß die Regierung genötigt war, wegen der Feldzüge in Amerika die Steuern in ganz geringem Umfang zu erhöhen. Und die Entwicklung, meine Damen und Herren, hat damit geendet, daß wir jetzt Steuern zahlen, die der Konfiskation des Einkommens gleichkommen.

(Beifall.)

Da sehen Sie die Fehlentwicklung, Herr Kollege Schoettle. Es wäre mir sehr interessant, mit Ihnen einmal darüber zu debattieren, ob diese Entwicklung glücklich oder unglücklich ist und ob man sie nicht mit allen Mitteln beseitigen muß.
Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß die Interventionspolitik der Roosevelt-Regierung glücklich war, daß das New Deal, das Fair Deal genützt haben? Die Erkenntnis ist doch in Amerika allgemein vorhanden, daß diese Interventionspolitik vom Übel war. Und solange ich im Kabinett war und es wurden Interventionen beschlossen, es wurden Subventionen beschlossen, — ach, nach einem halben Jahr hat sich immer herausgestellt, daß die Dinge ganz anders liefen, als der Ressortminister es sich vorgestellt hatte, daß alle Dinge ins Gegenteil umgeschlagen sind. Ich brauche Ihnen nur in Erinnerung zu rufen, wie sich, wenn wir Futtergetreide freigegeben haben, wenn wir den Preis des Brotgetreides fixiert haben, in kurzer Zeit die Dinge verschoben haben. Denken Sie an die Tragödie des Konsumbrotes! Alle Eingriffe haben sich am Ende als schädlich erwiesen. Ihr Glaube, man könne vom Staat her wirtschaften, ist trotzdem überall, wo Sie kritische Punkte angeschnitten haben, durchgeklungen.
Sie haben gesagt, es sei gut, daß wir eine richtige Währung haben und sie bewahren. Aber viel wichtiger oder mindestens ebenso wichtig sei, die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen zu schaffen. Ich weiß ja nicht, was Sie für die richtige Relation halten, und noch weniger weiß ich, in wessen Ermessen Sie die Feststellung der richtigen Relation legen wollen. Ich habe die verdammte Sorge: in die Hand der Exekutive, in die Hand der Leute am grünen Tisch. Ein gefährlicher Weg, Herr Schoettle! Hier irren Sie wieder einmal.

(Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Sie wissen ja gar nicht, ob ich Ihre Prämisse akzeptiere!)

— So haben Sie es doch dargelegt!

(Abg. Schoettle: Nein! Da geht Ihre Phantasie wieder einmal mit Ihnen durch!)

— Bitte, wie soll ich das verstehen? Sie verlangen von der Regierung, dafür zu sorgen, daß die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen hergestellt wird. Sie verlangen also behördliche Maßnahmen, während wir, die wir für die wirtschaftliche Freiheit eintreten, daran glauben, daß allein aus der Entwicklung der Wirtschaft diese richtige Relation entsteht, und die Entwicklung der letzten sechs Jahre gibt uns ja weitgehend recht.
Sie sagen, das Preisgefüge sei in Bewegung, und sprechen davon, wie notwendig es sei, ein richtiges soziales Klima zu schaffen, gerade im Hinblick darauf, daß die Bundesrepublik zwischen Osten und Westen liege, etwas Besonderes zu tun. Ja, was wollen Sie denn wieder „Besonderes"? Behördliche Maßnahmen! Etwas anderes können Sie ja nicht wollen. Aber damit verderben Sie, Herr Schoettle, Sie wackerer Schwabe, die richtige Wirtschaft!

(Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Ist auch eine schöne Wirtschaft!)

Ich will Ihnen hier nicht Ihre Sünden vorhalten. Sie haben Herrn Schäffer vorgeworfen, er habe sich bei der Unterstellung, daß das Sozialprodukt wieder um 5 Prozent steigen werde, zu optimistisch verhalten. Wenn einer nicht optimistisch ist, dann er! Ich weiß das doch aus den Beratungen der Haushalte im Kabinett! Wir haben ihm unseren Optimismus immer — na, das darf ich vielleicht nicht sagen — suggeriert!

(Heiterkeit.)

Wir haben ihn gezwungen, optimistisch zu sein, und das hat sich auch rentiert.

(Abg. Schoettle: Fragt sich nur, für wen!)

Aber Sie, lieber Herr Schoettle, Sie leben im Pessimismus.

(Lachen bei der SPD.)

Das war schon im Wirtschaftsrat der Fall. Ich habe es mir nur erzählen lassen; aber die anwesenden Herren von Wellhausen bis Mellies waren doch in Frankfurt und wissen es doch noch!

(Abg. Mellies: Ich habe aber nichts erzählt!)

Ich halte es geradezu für gefährlich, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie hier an dieser Stelle für unser Volk vor dem Optimismus des Bundesfinanzministers warnen und damit natürlich den Optimismus unseres Bundeswirtschaftsministers schon gröblich schelten, denn der geht ja viel weiter.

(Heiterkeit.)

Aus diesem Pessimismus, Herr Schoettle, wächst doch gar nichts. Ich meine, Sie sollten gelernt haben: Als meine Freunde zusammen mit Ludwig Erhard und seinen damaligen Parteifreunden im Wirtschaftsrat in Frankfurt darangingen, in kühnem Entschluß die gewerbliche Wirtschaft zusammen mit der Währung von den Fesseln zu befreien, die Wirtschaft freizugeben und die Zwangswirtschaft aufzuheben, da kamen Sie mit dem gleichen Pessimismus und haben gewarnt. Man sagt, Sie hätten aufgezählt, in wieviel Jahren bei diesem Leichtsinn jemand ein Paar Schuhe oder ein Hemd bekäme. Der Optimismus hat recht behalten und der Optimismus wird weiter recht behalten. Aber, meine Damen und Herren und Sie, Herr Schoettle, müssen auch wissen: Konjunktur ist auch eine Sache des Willens, ist weitgehend eine Sache der Lebenskraft, und es ist gefährlich, diese Lebenskraft schmälern zu wollen, pessimistische Worte hinauszusenden und den Glauben aller deutschen Menschen an die Richtigkeit ihrer Wirtschaft in Zweifel zu ziehen.
Ich will einmal sagen, was unsere Meinung über dieses Problem Staat und Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung: Im wirtschaftlich-sozialen Bereich so wenig Staat wie nur irgend möglich. Der Staat hat nicht zu wirtschaften!

(Beifall rechts.)



(Dr. Dehler)

Das ist die große Gefahr: Wenn der Staat die Wirtschaft beherrscht, dann regelt er nicht nur die Wirtschaft, sondern er herrscht auch über die wirtschaftenden Menschen; dann beginnt die Entwicklung zum Totalitären, dann beginnt der Verzicht auf die echte Freiheit der Menschen.
Wir sagen auf der anderen Seite: So viel Staat wie nötig, um die Voraussetzungen des fairen Wettbewerbs, des Leistungswettbewerbs zu sichern! So viel Staat wie erforderlich, um die Spielregeln für die richtige Wirtschaft aufzustellen und zu überwachen! So viel Staat, als notwendig ist, um möglichst viel privates Eigentum zu schaffen, um Gleichgewichtsstörungen zu verhindern und um besonders denen, die sozial leiden, zu helfen.
Nun, die Rolle des Lehrers, des wirtschaftspolitischen Lehrers gegenüber einem so erfahrenen Mann wie Ihnen, Herr Schoettle, steht mir nicht zu.

(Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Warum so bescheiden, Herr Dr. Dehler?)

— Ja, warten Sie nur! — Ich kann Sie auf viel kompetentere Leute verweisen, auf Menschen, die aus Ihrem Kreise kommen, und die auf dem Wege der Erkenntnis — sie sind auch älter —

(erneute Heiterkeit in der Mitte und rechts)

schon etwas weiter fortgeschritten sind.
Sicher sind Ihnen die Briefe oder ist Ihnen wenigstens der erste Brief des Kreises, der den schönen Namen Ihres von uns allen verehrten verstorbenen Parteifreundes, des Bürgermeisters Ernst Reuter, trägt, zu Gesicht gekommen.

(Zuruf von der SPD: Ach, du lieber Gott!)

Niederschlag der Erfahrung eines Lebens! Wir
wollen es doch einmal feststellen: das bedeutet so
viel! Was hier gesagt wird, könnte das öffentliche
Leben so weitgehend entgiften, könnte die echte
Grundlage für ein gemeinsames Wirken aller
Deutschen schaffen, daß man diesen Brief des
Ernst-Reuter-Kreises gar nicht überschätzen kann.

(Abg. Mellies: Versuchen Sie solche Ermahnungen einmal Herrn Euler gegenüber, Herr Dehler!)

Aber es ist merkwürdig, welcher Kontrast noch zwischen dem besteht, was uns Herr Schoettle heute wirtschaftspolitisch gesagt hat, und dem, was dort als Erkenntnis niedergelegt ist: der restlose Verzicht auf alle marxistischen Vorstellungen, das Verwerfen des Gedankens, daß der Klassenkampf die wirkende geschichtliche Kraft sei. Man gibt den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf; man weiß genau, daß das Kapital die Voraussetzung für die Arbeit, die Grundlage für die Existenz der arbeitenden Menschen ist. Man gibt die Lehre auf, daß die Menschen zunehmend proletarisiert würden, eine Lehre, die auch ebensowenig richtig ist wie die Behauptung, die Zahl der abhängigen Existenzen habe zugenommen. Der Mittelstand ist doch weiter gestreut als je. Denken Sie nur daran, was eine Erfindung wie der Kraftwagen an neuen selbständigen Existenzen ermöglicht hat! So revolutionäre Vorstellungen sind dort jetzt lebendig wie die, daß der Lohn nun wahrlich nicht eine kapitalistische Ausbeutung bedeutet oder der Zins Ausdruck eines kapitalistischen Wuchers ist, sondern daß es echte volkswirtschaftliche Funktionen sind, die man nur volkswirtschaftlich und nicht etwa klassenkämpferisch beeinflussen kann. Ich kann Ihnen also nur raten, diesen
Brief als Morgengebet und als Abendgebet zu lesen;

(Heiterkeit rechts)

dann wird unsere nächste Haushaltsdebatte noch viel einfacher sein.

(Beifall rechts.)

Nun noch eine andere Frage. Wenn ich, meine Damen und Herren, vom Rechtsstaat und seiner Bedeutung spreche als Voraussetzung dafür, daß jede Entartung unserer Demokratie vermieden wird, so heißt das: Substanz der Demokratie ist der Rechtsstaat, und nur wenn wir ihn kräftig bewahren, wird dieser Staat bestehen. Ich bin unglücklich über die Entwicklung unserer Gerichtsbarkeit im Institutionellen. Wir schaffen jetzt gerade das Obere Bundesgericht für Arbeit, das Obere Soziale Bundesgericht; wir haben geschaffen den Bundesfinanzhof und das Bundesverwaltungsgericht neben dem Bundesgerichtshof. Also fünf obere Bundesgerichte. Ich sehe darin keine glückliche Entwicklung. Für eine spätere Zeit müßte man, glaube ich, die Einheit des Rechts und die Einheit der Gerichtsbarkeit auch in dieser Hinsicht wieder anstreben. Ich sehe auf jeden Fall aber eine unglückliche Entwicklung in der Tatsache, daß die Verwaltung auch dieser Sondergerichtszweige nicht bei den Justizministern der Länder und beim Bundesjustizminister zusammengefaßt ist, sondern bei den Ressortministerien liegt,

(Sehr richtig! rechts)

also beim Arbeitsminister, beim Finanzminister, beim Innenminister — alles Minister, die zu leicht geneigt sein könnten, diese Gerichte als eine Funktion ihres Ressorts zu empfinden,

(Zustimmung rechts und in der Mitte)

mit der Gefahr der Fehlentwicklung im Persönlichen und in der Gerichtsbarkeit.
Bundesverfassungsgericht! Ich habe schon von seiner Bedeutung gesprochen. Es ist uns allen bewußt, auch den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, daß die jetzige Struktur nicht glücklich ist, und ich glaube, es ist erforderlich zu sagen, daß wir möglichst bald an eine Reform des Gerichts und damit des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes herangehen müßten, daß wir besonders das „Zwillingsgericht" beseitigen und nur e i n Gericht schaffen müssen, vielleicht die Zahl der Richter dann verringern, daß wir — es ist mein persönlicher Wunsch — das richterliche Element, das gewachsene richterliche Element, in dem Gericht verstärken, vielleicht auch daran denken müssen, das Wahlverfahren im Bundestag zu ändern. Es hat versagt; ich meine die Tatsache, daß ein Sitz des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts seit anderthalb Jahren unbesetzt ist — ein schwerer Vorwurf.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das kann nicht fortdauern und verlangt eine Änderung.
Rechtsstaat! Unser Staat ist schwach. Mit Sorgen sehen wir die Mängel im Verfassungsschutz. Darüber wäre viel zu sagen, z. B., daß es nicht möglich ist, vom Bundesamt für Verfassungsschutz her die Tätigkeit der Landesämter für Verfassungsschutz zu koordinieren, ihnen Weisungen zu geben. Welch ein unmöglicher Zustand angesichts der Gefahr des Unterminierens, des Unterlaufens, die uns vom Osten her droht!

(Beifall bei der FDP.)



(Dr. Dehler)

Einer entscheidenden politischen Kraft unseres Staates möchte ich anerkennend gedenken: der Presse. Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre überdenkt, dann erkennt man, was sich hier zum Guten gewendet hat, wie groß schon die Zahl der Persönlichkeiten ist, die in der Presse wirken und die ein politisches Gepräge haben, die das repräsentieren, was wir für eine gesunde Demokratie brauchen: die öffentliche Meinung, die in ihrer Person gegründete öffentliche Meinung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich greife das auf, was meine Vorredner gesagt haben: daß diese öffentliche Meinung nicht nur in der Presse, sondern auch im Film, auch in der Kunst nicht beschränkt werden darf und daß es keine Erwägung der Staatsräson gibt, die das Recht geben würde, die Rechte der Presse, der öffentlichen Meinung, das Recht auf freie Information zu schmälern.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Man kann allerdings andererseits auch an die Pflicht der Presse mahnen, der Macht eingedenk zu sein, die sie in der Hand hat. Die Selbstzucht ist in der Demokratie — das gilt für alle, die politisch wirken — höchstes Gesetz.
Darf ich in diesem Zusammenhang etwas Böses sagen, etwas, das mich erschüttert hat, etwas, das das Lob, das ich eben gespendet habe, zu schmälern geeignet ist. Ausgerechnet die „Bayerische Staatszeitung" vom 9. Januar 1954 bringt einen Artikel „Tragische Alternative — Idee und Wirklichkeit der preußischen Macht", der sich mit einer Fiktion des Preußentums auseinandersetzt und folgendermaßen endet:
Es sieht fast so aus, als stehe das deutsche Volk vor der Alternative, entweder in einem preußischen oder in gar keinem Staat zu leben, .eine Wahl, die gleichbedeutend ist mit der zwischen der nationalen Katastrophe und der Aufgabe des nationalen Daseins. Im Hinblick auf diesen tragischen Sachverhalt ist es verständlich,
— achten Sie auf jedes Wort! —
wenn heute deutsche Patrioten in der Demarkationslinie ein
— man muß sich schämen! —
politisches Aktivum erblicken

(Pfui-Rufe bei der FDP und bei der SPD — Zurufe)

— in dem Eisernen Vorhang, Herr Strauß; die Zeitung Ihres Staates! —

(Zurufe von der SPD)

und zur Revision dieses Standpunktes erst dann bereit wären, wenn es eine Bürgschaft dafür gibt, daß das vereinigte Deutschland kein wiedererstandenes Preußen wird.

(Hört! Hört! bei der FDP.)

Da weiß man, was die Pflicht der öffentlichen Meinung ist. Und das in einer vom Staate herausgegebenen Zeitung!
Vieles wäre noch zu sagen, natürlich auch zur Wirtschaft. Ich habe schon manches in der Auseinandersetzung mit dem von mir wirklich sehr geschätzten Herrn Schoettle gesagt. Herr Krone hat seinerseits die Dinge bereits richtig beleuchtet. Von einer richtigen Wirtschaftspolitik wird weitgehend unser Schicksal abhängen, nicht von einem „Wirtschaftswunder". Das Wort höre ich ebenso wenig gern wie Sie, Herr Schoettle. Was sich in den letzten Jahren vollzogen hat, ist kein Wunder, sondern es ist wirklich eine Wirtschaft ohne Wunder. Es ist eine Wirtschaft, gegründet auf die richtigen wirtschaftlichen Erkenntnisse, die mit Mut angewandt worden sind. Das ist diese Wirtschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da ist kein Wunder geschehen. Wenn man das annehmen würde, würde man die Leistungen der letzten Jahre verringern. Nein, Männer, die das Richtige gesehen haben, haben die Entschlossenheit gehabt, ihre richtigen Erkenntnisse zu verwirklichen.

(Abg. Heiland: Was hätten Sie wohl ohne den Korea-Boom gemacht, Herr Dehler? — Zuruf von der SPD: Viel Glück war dabei!)

— Natürlich, Herr Heiland, gibt es immer Stimulantia. Aber ich will Ihnen erzählen, wie gut wir die Dinge nach Korea gemacht haben. Das erzähle ich Ihnen gern! Wir wollen dann fragen, was Sie damals gemacht hätten, wenn Sie auf der Regierungsbank gesessen hätten!? Ich hatte kürzlich die Gelegenheit — ich darf es etwas anekdotisch erzählen —, in Köln vor der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung — so heißt sie, glaube ich
— zu sprechen, vor Professoren, Wirtschaftlern usw. Vorsitzender ist der Sohn unseres Bundeskanzlers, der Herr Oberstadtdirektor Dr. Max Adenauer. Ich habe ihn und die Anwesenden gefragt, was sie für die größte konkrete wirtschaftspolitische Leistung des ersten Bundeskabinetts halten. Ich habe es nicht erfahren. Auch der Sohn des Kanzlers weiß nicht, was die größte wirtschaftspolitische Leistung seines Vaters ist. Das ist ein Moment, das einem vor Augen führt, wie schwer die Demokratie zu praktizieren ist, wie schwer es ist, den Menschen nahezubringen, was wichtig ist. Aber ich darf wenigstens Herrn Heiland sagen, was ich für wichtig halte: so wie die Bundesregierung sich nach Korea verhalten hat, das war ihre größte Leistung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun, die Haltung war damals — ich will es Ihnen erzählen — im Bundeskabinett auch gar nicht einhellig. Im Gegenteil, die Mehrheit im Kabinett war dafür, wir müßten in der gleichen Weise wie die anderen Staaten, wie das reiche Amerika, wie England, Frankreich usw. angesichts des riesigen Booms auf dem Rohstoffmarkt, angesichts der Steigerung der Preise für die lebensnotwendigen Rohstoffe um Hunderte von Punkten dazu übergehen, Höchstpreise einzuführen, Verwendungsverbote zu erlassen usw. Das Kabinett hat — das ist ja schon historisch, deswegen darf ich es erzählen — einen solchen Beschluß gefaßt.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: So!? — Große Heiterkeit.)

— Ich kann es nicht leugnen. Ich weiß, damals haben die Herren Sozialdemokraten sich doch königlich gefreut, daß die Bundesregierung nun bei der ersten Gelegenheit — das hat Dr. Kurt Schumacher gesagt — mit ihren Thesen Schiffbruch erleide, daß die freie Marktwirtschaft schon beim ersten Windstoß zusammenkrache und daß die Bundesregierung reumütig zu dem zurückkehren müsse, was Herr Schoettle heute noch für richtig hält: zu Maßnahmen ,des Staates.

(Abg. Schoettle: Machen Sie es doch bloß nicht zu billig, Herr Dehler!)



(Dr. Dehler)

— Ja, so war es. Wir hatten die Verordnung damals sogar schon ausgearbeitet und haben sie dann in der Schublade liegen lassen. Ich empfinde es als eine Leistung meiner Partei, meiner Freunde, meiner Kollegen im Kabinett, auch meines Freundes Preusker, dem jetzt mit Recht ein Kabinettsrang zuerkannt worden ist — was die anderen angeht, so darf ich das jetzt nicht weiter ausspinnen —,

(Heiterkeit)

daß die freie Wirtschaft aufrechterhalten worden ist, daß wir auch diese Belastungen mit den Gesetzen der echten, richtigen Wirtschaft von Angebot und Nachfrage aufgefangen haben. Was war der Erfolg, Herr Schoettle? Daß die deutsche Wirtschaft die geringste Preissteigerung in der Welt erfahren hat und daß diese Preissteigerung, die in Frankreich jetzt noch mit 30, 40 % vorhanden ist, restlos überwunden ist. Wir haben Korea gemeistert. Wären Sie auf ,der Regierungsbank gesessen, so wären wir mit Ihnen in die schönste Zwangswirtschaft hineingeschlittert,

(Sehr richtig! rechts)

aus der man sich nie mehr herauslösen kann. Meine Parteifreunde haben in entschlossener Weise jederzeit die Ziele der Marktwirtschaft vertreten und werden das auch in der Zukunft tun. Wir sind stolz darauf, daß wir in der Koreakrisis nicht wie andere schwankend geworden sind und die Nerven verloren haben, sondern die Dinge durchgestanden haben. Wir waren an den Steuersenkungen der letzten Jahre maßgebend beteiligt. Wir haben uns initiativ dafür eingesetzt und haben geholfen, daß die Engpässe auf den Gebieten des Eisens und der Kohle überwunden worden sind und die Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkt zu überwinden wenigstens begonnen worden ist.
Wir haben die Fehlentwicklung auf dem Gebiet des Mitbestimmungsrechts mit Erfolg bekämpft und können auch feststellen, daß das Betriebsverfassungsgesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben, zu einer echten sozialen Befriedung unserer Wirtschaft geführt hat und daß im Gegensatz dazu das Gesetz über die Mitbestimmung in den Betrieben von Kohle und Eisen als ein Fremdkörper in unserer Wirtschaft erscheint.

(Beifall bei der FDP.)

Das zwingt zu der Konsequenz — das darf ich hier wohl nebenbei sagen —, daß wir der Ausweitungdieses Gesetzes auf Holdinggesellschaften niemals zustimmen werden,

(Bravo! rechts)

daß wir viel eher versuchen werden, wie wir dieses unter schlechten Vorzeichen zustande gekommene Gesetz überwinden können.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Wir werden diese Gesetze der richtigen Wirtschaft auch auf anderen Gebieten durchzusetzen versuchen. Ich brauche nur zu sagen: Wohnungszwangswirtschaft. Ich will meinem Freund Preusker nicht ins Geschäft pfuschen, aber wenn's auf mich ankäme, wäre eines meiner ersten Ziele, eine Form der Zwangswirtschaft, die .allen schadet, möglichst rasch zu beseitigen, eine Form, die gegen das Gesetz und gegen das Recht ist. Alles, meine Damen und Herren, was gegen das Recht verstößt, verstößt ja auch immer gegen die wirtschaftliche Vernunft. Glauben Sie mir diesen Satz! Eine Wirtschaftsform, die den Eigentümer entrechtet, als ob ,der Hauseigentümer nur der Wohlhabende und der Mieter der sozial Schwache und der Schützenswerte wäre, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Ich denke an die sehr lebhafte Diskussion, die ich hier geführt habe; damals war der Herr Kollege Jacobi — ich sehe ihn nicht im Saale — mein Widerpart bei der Frage der Aufhebung der Zwangswirtschaft für gewerblich benützte Räume. Die gewerblich benutzten Räume wurden aus der Wohnungszwangswirtschaft herausgenommen. Dabei wurde mir von seiten des Herrn Jacobi an die Wand gemalt, welch 'ungeheure Konsequenzen sich einstellen würden. Ich war damals auf Grund einer Ermächtigung des früheren Reichsjustizministers zusammen mit dem Wirtschaftsminister in der Lage, diese Freigabe durch eine Verordnung, deren Gültigkeit man allerdings bestritten hat, durchzuführen. Man hat damals gesagt: unerhörte Ausbeutung der Mieter von Läden, von Garagen, von Werkstätten. 300 000 Prozesse müßten geführt werden, kündigte Herr Jacobi an. Ich habe ein besonderes Verfahren geschaffen, um diese Prozesse aufzufangen und zu erleichtern. Was hat sich in der Wirklichkeit ergeben? Der Markt der gewerblich benutzten Räume hat sich eingespielt. Die Mieterhöhungen haben sich durchaus reguliert und sind in keiner Weise übersteigert gewesen. Wucherfälle sind so gut wie nicht bekannt. Es sind keine 300 000 Prozesse und keine 3000, sondern im ganzen Bundesgebiet nach meinen Feststellungen etwa 300 geführt worden. Das nur als Beispiel dafür, was richtige Wirtschaftspolitik ist,

(Hört! Hört! rechts)

vielleicht auch für das, was Mut ist. Das wird 'allerdings Frau Kollegin Weber wieder beanstanden.

(Heiterkeit.)

Sie hört nicht gern etwas von Mut in der Politik.

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Doch, ganz besonders gern! — Heiterkeit und Zurufe.)

Ein Überbleibsel der Zwangswirtschaft: der Kapitalmarkt. Ich kann es nur andeuten. Über die Notwendigkeit, die Währungen konvertibel zu machen, ist viel zu sagen. Das sind die vordringlichen wirtschaftspolitischen Aufgaben, die uns gestellt sind.
Die Europäisierung der Wirtschaft wird nicht möglich sein nur durch eine Fortführung von Institutionen, durch Aufstockung von Organisationen nach dem Vorbild der Montanunion, sondern nur dadurch, daß man die Gesetze der echten Wirtschaft über die Grenzen hinweg durchführt, 'daß man die letzten Reste der Autarkie beseitigt.
Wir wissen von den Spannungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht im Kabinett. Auch Herr Schoettle hat davon gesprochen. Gestatten Sie mir, daß ich besondere Erwartungen an die Tätigkeit meines Freundes Blücher knüpfe, der als Vorsitzender des Wirtschaftskabinetts und als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgabe und Fähigkeit hat, diese Spannungen in einem positiven Sinne zu lösen.
Sollte ich ,auch ein Wort von der Landwirtschaft sagen? Vieles, was Herr Minister Lübke gesagt hat, halte ich persönlich für richtig. Ich bin insbesondere der Meinung: Auch 'die Landwirtschaft wird unter den Gesetzen der Wirtschaft stehen müssen, und Aufgabe des Staates wird nur sein, ungewöhnliche Verhältnisse der deutschen Landwirtschaft zu korrigieren, die Landwirtschaft insoweit zu schützen. Ich habe bei meiner Stellungnahme zur Regierungserklärung die Dinge, die uns vor Augen schweben, dargelegt.


(Dr. Dehler)

Das Verkehrsproblem. Herr Schoettle hat es von der finanziellen Seite her erörtert. Wir freuen uns, daß dieses Problem nun, man muß schon sagen, nach einigen verpaßten Jahren, in denen besonders der Verkehrsetat kümmerlich, dürftig ausgestattet war, aufgegriffen wird, und haben Hoffnung auf eine gute Lösung. Ich brauche nicht zu sagen, wie groß die Bedeutung des Verkehrsproblems für ,die nationale und für die internationale Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung, die Bundesbahn muß von den betriebsfremden Belastungen befreit werden. Nur dadurch entsteht die Voraussetzung für einen echten Leistungswettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern. Die Verkehrssicherheit muß erhöht werden durch einen zügigen Ausbau des Straßennetzes mit staatlichen Mitteln und nach meiner Meinungauch mit tragbaren Belastungen der Verkehrsbenützer. Ich gebe Herrn Kollegen Schoettle durchaus recht, wenn er meint, daß der Haushalt hier eine falsche Sparsamkeit übt.
Über die soziale Situation ist viel zu sagen. Die soziale Frage ist aufs engste mit der Frage der richtigen Wirtschaft verknüpft. Dias haben wir langsam gelernt. Wenn die gewaltigen Belastungen der Etats des Bundes und der Länder zusammen mit den Leistungen der Sozialversicherungsträger jetzt an die 20-Milliarden-Grenze der sozialen Aufwendungen herankommen, dann muß man einmal feststellen, daß dieser Ertrag nur möglich ist durch eine richtig und konsequent durchgeführte Wirtschaftspolitik.
Ich will nur die Rentenfrage kurz streifen und andere Fragen zurückstellen. Die Kritik am Rentenwesen, die von meinen Freunden und besonders auch von mir geübt worden ist, hat sich als berechtigt erwiesen. Manches ist reformbedürftig. Herr Dr. Wuermeling hat das Problem der Onkelehe aufgegriffen: es ist wirklich ein wunder Punkt. Die Erkenntnis, daß die soziale Leistung des Staates und der Gemeinschaft negative Wirkungen hat, dazu führt, daß Frauen ihre Würde aufgeben, sich gesellschaftlich bloßstellen, nicht erkennen, daß diese Zuwendung nur gedacht war für die Zeit, wo der Ernährer fehlte, und nicht die Konsequenz ziehen wollen, dem anderen Ernährer die Pflicht ihres Unterhalts aufzugeben und auf die Rente zu verzichten,

(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr richtig!)

ist ein Teilausschnitt aus dem Gesamtproblem der Fehlentwicklung unseres sozialen Rentenwesens. Ich bin der Meinung, daß das Bundesversorgungsgesetz, das jetzt vier Jahre in der Bewährung ist, überprüft werden muß, daß man nunmehr jene strukturellen Änderungen erwägen muß, die besonders die Versorgung der Schwer- und Schwerstbeschädigten bessern,

(Sehr richtig! rechts)

ihnen die Versorgung geben, auf die sie einen Anspruch haben. Man muß den Schwerpunkt der Versorgung auf die wirklich Bedürftigen legen.
Immer wieder muß man sagen, die Rente kann keinen Ersatz für Gesundheit und wirtschaftliche Existenz geben, sie kann kein Ersatz sein. Sie beseitigt nur in geringem Maße den Mangel an Subsistenzmitteln. Unsere Fürsorge muß viel stärker darauf gerichtet sein, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit ,durch Umschulung und durch andere Maßnahmen wieder herbeizuführen.

(Sehr gut! rechts.)

Ein Wort zu den Gewerkschaften. Ich habe sie schon gelobt.

(Heiterkeit in der Mitte.)

Ich habe das Gefühl, manches, was an vergifteter Atmosphäre zwischen den Gewerkschaften und der Gemeinschaft lag, ist verflogen. Der Anschauungsunterricht der letzten Jahre war ja auch nur zu deutlich, wenn man nur bedenkt, daß alle Streikmaßnahmen der französischen Gewerkschaften im Sommer vorigen Jahres nur zum Nachteil der Arbeiter ausgeschlagen sind, daß nur die Arbeiter die Leidtragenden waren. Ich glaube, das hat auch den Gewerkschaften den Mut genommen, mit Streiks Lohnerhöhungen erzwingen zu wollen, die nicht durch kostenersparende Maßnahmen der Wirtschaft und durch Erhöhung des Ertrags gerechtfertigt sind, oder gar sich wieder auf das glatte Parkett des politischen Streiks zu begeben. Wenn allerdings in den letzten Tagen wieder das Wort von der dynamischen, von der expansiven Lohnpolitik gefallen ist, dann möchte ich doch ernstlich warnen, unbedacht diesen Weg zu gehen, an dessen Ende die Gefahr der Überspannung der Wirtschaft, des Rückschlags der Konjunktur steht, was zu einem Ausweichen in die Inflation oder in die Beschäftigungslosigkeit führt.

(Zurufe von der SPD.)

— Ich weiß nicht! Sie loben mich, schönen Dank.

(Abg. Böhm [Düsseldorf]: Sie machen sich unnütze Sorgen!)

— Ich erkenne ja auch an und preise das Verständnis der Gewerkschaften und stelle meine Anregung, durch ein Streikgesetz die Frage des Streiks zu klären, einstweilen zurück.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

Stellen Sie sich einmal vor — eine wunderbare Vorstellung —, wenn die Gewerkschaften — ich habe hier ein sehr interessantes Gespräch mit Herrn Dr. Agartz gehabt, das mich sehr beeindruckt hat — ihren Weg weitergehen und Marxismus und Klassenkampf ablehnen,

(Zurufe von der SPD)

welch wirksame Kraft in der Gesellschaft

(erneute Zurufe von der SPD)

und in der Wirtschaft diese Gewerkschaften sein können.

(Beifall bei der FDP.)

Noch ein Wort zu den Finanzproblemen, besonders ein Wort einmal zu der Finanzverfassung, die dieses Jahr auch als Aufgabe vor uns steht. Ich habe kürzlich die Äußerungen von Ausländern gehört, die erklärt haben, so etwas Verworrenes und so etwas Undurchsichtiges wie die deutsche Finanzverfassung gibt es in der ganzen Welt nicht mehr.

(Zurufe von der Mitte.)

Ich möchte meinen, das ist eigentlich das höchste Lob, das man unserem Freunde Fritz Schäffer spenden kann; denn nur ein so geschickter Mann —wenn ich ihn sehe, muß ich immer an Odysseus denken, an den

(Heiterkeit)

der so viele Städte von Passau bis Bonn erblickte und den Sinn ihrer Menschen erkannte,

(erneute Heiterkeit)



(Dr. Dehler)

nur ein solch gewandter und viel erfahrener Mann ist in der Lage, mit diesem Instrument, das uns die Alliierten in der erzwungenen Bestimmung des Grundgesetzes beschert haben, zu operieren. Aber ich glaube, man müßte nun auch aus politischen Gründen endlich an die Bereinigung der Dinge herangehen, besonders einmal klar die Steuerquellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufteilen, also den Grundsatz verwirklichen, der im Grundgesetz enthalten ist, daß Bund und Länder in der Haushaltswirtschaft unabhängig voneinander sind. Die Steuerquellen müssen so verteilt werden, daß Bund, Länder und Gemeinden wirklich unter eigener Verantwortlichkeit im Finanziellen stehen.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn das nicht geschieht, ist alles Gerede von Föderalismus und von Selbstverwaltung nur ein schöner Trug. Ich bin der Meinung, daß Bund, Länder und Gemeinden Einkommensquellen erhalten müssen, deren Tarife nur ihrer Finanzhoheit und am Ende bei Bund und Ländern nur ihrer Gesetzgebungskompetenz unterstehen.
Das Problem der Bundesfinanzverwaltung taucht dabei wieder auf, auch als wichtige organisatorische Frage der richtigen Finanzgebarung. Sie wissen: sie ist damals nur von den Alliierten verhindert, aber von allen, die etwas von der Sache verstehen, empfohlen worden. Ich muß immer wieder an die Tatsache denken, daß meine bayerische Heimat, das Land Bayern in der Weimarer Zeit seine Landessteuern dem Reich zur Verwaltung übergeben hat und dabei gut gefahren ist.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ich glaube, auch bei den gewandelten politischen Verhältnissen in diesem Hause sollten wir dieses Thema der Bundesfinanzverwaltung noch einmal ernstlich durchdenken.

(Zustimmung bei der SPD.)

Unsere Sorge ist immer noch die wirtschaftliche Betätigung des Staates. Wir bedauern, daß sich hier keine Lockerung zeigt, und zwar unter einem doppelten Gesichtspunkt, einmal unter dem der unnützen Konkurrenz, die der freien Wirtschaft gemacht wird, zum andern aber besonders unter dem Gesichtspunkt der Befürchtung, daß Steuermittel für unwirtschaftliche und unrentable Unternehmungen der öffentlichen Hand aufgewendet werden. Die Dinge müssen erörtert werden. Wir haben zwar bei der Regierungsbildung davon Abstand genommen, auf der Schaffung eines Bundesschatzministeriums zu bestehen. Ich glaube, daß der Herr Bundesfinanzminister jedoch zwei Seelen in seiner Brust trägt und in dieser Frage zwiespältig sein muß. Wir haben auf der anderen Seite auch wieder die Gefahr gesehen, daß sich ein Bundesschatzminister in diesem Bett wohlfühlt und für sein Ressort nicht die so gesunde Erkenntnis unseres Freundes Preusker hat, der sich das Ziel gesetzt hat, in kurzer Zeit sich und sein Ministerium überflüssig zu machen.

(Lachen bei der SPD.)

Wir haben deswegen davon Abstand genommen.

(Abg. Dr. Dresbach: Jetzt können Sie mit § 7 c weiterfahren!)

— Ja, ich will auch noch ein Wort dazu sagen. Die Dinge sind ja noch nicht ausgekocht!

(Abg. Dr. Dresbach: Ihr seid mir schöne Demokraten! — Abg. Dr. Vogel: Ich bitte, den Löwen nicht zu reizen!)

Vielleicht noch ein Wort zur Kritik des Kollegen Schoettle. Er hat die These aufgestellt und gesagt, das würde auch in anderen Staaten so gehandhabt, daß der soziale Haushalt keinesfalls wegen der Verteidigungsausgaben gekürzt werden dürfe, daß die sozialen Ausgaben im ersten Rang stünden. Ich weiß nicht, Herr Schoettle, ob dieses Wort nicht gefährlich ist. Sie wissen doch, wie unsere Existenz gefährdet ist, wie jede falsche Entscheidung den Untergang von Millionen und aber Millionen Menschen bedeuten kann. In einer solchen Lage nicht das Notwendige zu tun, wäre eine Verletzung der höchsten Aufgaben der Bundesregierung und des Bundesparlaments. Das soll nicht heißen, daß nicht nach Möglichkeit alles geschieht, was an sozialen Leistungen notwendig ist. Dafür zeugen die Leistungen der letzten Jahre.
Noch ein Wort der Kritik, Herr Schoettle: Sie wollen sich dagegen wenden, daß der Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer erhöht wird. Daß der Herr Bundesfinanzminister in jedem Jahre genötigt ist, dieses Feilschen zu beginnen, ist ja an sich ein unerträglicher Zustand. Eine richtige Finanzverfassung muß diesen Zustand beendigen, muß saubere Verhältnisse schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber, meine Damen und Herren, wer kann denn ernstlich bestreiten, daß der Herr Bundesfinanzminister auf diese ergiebigste Steuer angewiesen ist, daß er den Anteil der Länder erhöhen muß. Es ist ein merkwürdiges Bild, Herr Schoettle, wenn ich mir vorstelle, daß Sie, der Sie doch in vornehmlicher Weise die Interesen des Bundes im Auge haben, mit den Landesfinanzministern, mit den Interessenten der Länder gegen den Bund paktieren. Das Bild darf und kann nicht Wirklichkeit werden, Herr Schoettle.

(Abg. Schoettle: Da haben Sie mich falsch verstanden!)

— So haben Sie es dargestellt. Wenn Sie das Schreckbild von mir nehmen, dann bin ich Ihnen sehr dankbar.

(Zuruf von der SPD: Das ist genommen! — Abg. Schoettle: Nein, Herr Dehler, das Gesetz zu Art. 107 ist immer noch fällig, und mit dem Flickwerk, das wir jetzt machen, ist das Problem doch nicht zu lösen!)

— Ich habe ja schon gesagt, daß uns diese Aufgabe in diesem Jahr gestellt ist, und meine Freunde werden alles tun, um es zu einem guten Ende zu bringen.
Steuerreform! Man müßte vieles darüber sagen. Vielleicht nur e i n Wort hinsichtlich des Zeitpunktes. Ich meine, es müßte alles getan werden, um die Steuerreform vorzuziehen. Wir sehen schon mit Beklemmung, daß die Wirtschaft, daß die Industrie, daß auch besonders der Baumarkt sich zurückhalten, nicht investieren in der Hoffnung auf günstigere steuerliche Verhältnisse. Hier gilt, Herr Schäffer, der Satz: Wer schnell gibt, gibt doppelt!

(Sehr wahr! in der Mitte.)

Wir müßten uns das Ziel setzen, bis zum 1. Juli die notwendige Steuerreform durchzuführen.

(Beifall bei der FDP.)



(Dr. Dehler)

Welches sind die Ziele dieser Reform? Herr Dr. Dresbach hat mich auf den § 7 c und auf die Zwangslage hingewiesen, in die der Herr Preusker hineinkommt, darauf, daß er, wenn der § 7 c fällt, durch andere Begünstigungen einen Ersatz bekommen müsse und daß das Notwendige für den öffentlichen Wohnungsbau getan werden müsse. Darüber einzelnes zu sagen, ist ja nicht meine Aufgabe. Das ist selbstverständlich.
Betrachten Sie das, was ich gesagt habe, nur als einen großen Überblick, zum Teil einen etwas flüchtigen Überblick über die politischen Probleme, die sich bei der Beratung des Haushalts aufdrängen. Ich habe über außenpolitische Dinge nicht gesprochen. Aber ich richte ebenfalls, wie der Herr Kollege Krone den Blick nach Berlin, wo in diesen Tagen über das deutsche Schicksal gehandelt wird, in der alten Hauptstadt des Reiches ohne uns. Wir können nur unseren Willen äußern, das, was uns nach, ich sage, göttlichem und menschlichem Recht zusteht. Das in dieser Stunde zu sagen, halte ich für unsere Pflicht, und schelten Sie mich nicht pathetisch, meine Damen und Herren, wenn ich zur Bekräftigung dessen, was uns erfüllen soll, was alle Deutschen erfüllen soll, Ihnen die schönen Worte Schillers aus „Wilhelm Tell" sage, die Worte, die nach meiner Überzeugung für uns einen neuen, einen tieferen Sinn bekommen haben:
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod als in der Knechtschaft leben. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, in der Mitte und rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0201202200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0201202300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem so brillanten Feuerwerk wieder in die karge Steppe des Bundeshaushalts zurückzukehren, ist ein gewagtes Unternehmen. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, daß mein sehr verehrter Herr Vorredner die den Geigenvirtuosen nicht unbekannte Technik des Springbogens anwandte und zu sehr in gewisse artistische Formulierungen verfallen ist.

(Heiterkeit.)

Ich möchte auf der anderen Seite meine Freude darüber aussprechen, daß mit der heutigen Debatte der Versuch gemacht worden ist, die alte Tradition, von der bereits Herr Dr. Krone sprach, wiederherzustellen und in eine, ich möchte einmal sagen, generelle Gewissenserforschung über das Verhältnis von Parlament zu Regierung einzutreten, dabei uns darüber klarzuwerden, welche Stellung wir hier einnehmen, auch wir von der führenden Regierungspartei und von der Koalition.
Lassen Sie mich zunächst auch auf etwas hinweisen, was schon vorhin in den Worten meines verehrten Ausschußvorsitzenden, des Herrn Kollegen Schoettle, anklang, als er sich über den heute im deutschen Volk herrschenden Mangel an Kenntnissen über den Haushalt beklagte. Gerade in den letzten Tagen las ich darüber ein Beispiel, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. In einer niederrheinischen Stadt von 450 000 Einwohnern, so wird berichtet, habe der Millionenhaushalt dieser großen Kommune, wie es nach der Satzung der Stadt zu geschehen hat, den Bürgern eine Woche lang zur Einsichtnahme offengelegen. Zwei von den 450 000 machten von diesem Bürgerrecht Gebrauch!
Ich halte es infolgedessen für ein sehr begrüßenswertes Beginnen, daß uns der Herr Bundesfinanzminister diesen „Wegweiser" an die Hand gegeben hat, die Kenntnis über den Haushalt, der das Kernstück des staatlichen Wollens darstellt, ein wenig mehr in das Volk hineinzutragen, als es bis jetzt der Fall war. Er nimmt damit eine sehr gute Übung wieder auf, die bis 1933 bestand. Nichts kennzeichnet ja das Wesen eines totalitären Staates stärker als sein Bestreben, den Haushalt dem Volke überhaupt fernzuhalten.
Wir sind allerdings auch in einer sehr schwierigen Situation, wenn wir nun zu einem Kompendium von 2000 Seiten Stellung nehmen sollen und uns der zu wenigen Hilfsmittel bewußt werden, die uns dabei zur Verfügung stehen. In den Haushaltsjahren vor dem ersten Weltkrieg und bis 1933 vermochten die Parlamente angesichts des weitaus geringeren Umfangs der damaligen Haushaltspläne diese Aufgabe bei rechtzeitiger Vorlage auch ohne weiteres zu bewältigen. Aber seit der Begründung der Bundesrepublik steht dieses Hohe Haus vor der äußerst schweren Aufgabe, einen gegenüber den Reichshaushalten von vor 1933 in seinem Umfang verdreifachten, ja noch darüber hinausgehenden Haushalt in kürzester Frist zu verabschieden.
Diese Aufgabe wird deshalb so ungemein schwierig, weil sich Wirtschaft und Steuerpolitik in einem früher unbekannten Maße heute verzahnt haben. Ja man kann wohl ohne Übertreibung aussprechen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in weiten Gebieten steuerabhängig geworden ist, so daß zur Kontrolle dieser Wechselbeziehungen umfassende Erhebungen, Informationen und Einblicke für uns notwendig sind. Sie stehen uns leider nicht in dem wünschenswerten Ausmaß zur Verfügung. Auch das, was Gewerkschaftsinstitute, was die Institute der freien Wirtschaft und der öffentlichen Hand, was Universitätsinstitute auf diesem Gebiet in dankenswerter Weise leisten, kann nur Notbehelf sein. Das Parlament ist insgesamt in eine bedrükkende Abhängigkeit von den Angaben, Statistiken und Mitteilungen der Exekutive geraten. So wird es eine der kommenden Aufgaben dieses Hohen Hauses sein — und vor allen Dingen auch des Haushaltsausschusses —, einmal nachzuprüfen, welche Maßnahmen zur Beseitigung dieses Mißverhältnisses getroffen werden können.
Hier bieten sich die Erfahrungen anderer Länder an. Ich denke da z. B. an den Reference-Service des amerikanischen Kongresses, eine großartige, allerdings höchst komplizierte und kostspielige Einrichtung, die zur Verfügung der beiden Häuser des amerikanischen Kongresses steht. Wir sollten uns vielleicht auch an die erprobten Einrichtungen des britischen Parlaments, nämlich an die Einsetzung von königlichen Kommissionen zur Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für besonders brennende Probleme erinnern. In der Bundesrepublik werden der Bundesrechnungshof und der Bundesbeauftragte und ihre künftigen Funktionen in den Mittelpunkt einer solchen künftigen Erwägung zu stellen sein.


(Dr. Vogel)

Trotz alledem, Herr Kollege Schoettle, bin ich in bezug auf die Möglichkeiten einer termingerechten Verabschiedung des Haushaltes ein wenig optimistischer. Ich teile ja in dieser Beziehung auch den „fröhlichen Optimismus" des Herrn Bundesfinanzministers ein wenig mehr, als Sie das getan haben. Wenn ich es auch nicht für möglich halte, Herr Bundesfinanzminister, den Haushalt bis zum 1. April in beiden Häusern zu verabschieden, halte ich es doch immerhin für denkbar, daß wir im Haushaltsausschuß so viel Zeit gewinnen, daß die Überschreitung des Termins vom 1. April Sie nicht in allzu große Verlegenheit bringt.
Für uns ergeben sich bei einem kritischen Blick auf die Ihnen allen vorliegenden Zahlenbilder des Gesetzentwurfs des ordentlichen und außerordentlichen Haushaltsplanes insgesamt folgende Fragestellungen.
Erstens. Ist dieser vorgelegte Haushaltsplan in sich ausgeglichen?
Zweitens. Enthält er noch Reserven?
Drittens. Erlauben etwaige Reserven noch Neubelastungen im kommenden Haushalt?
Viertens. Mit welchen Belastungen in den kommenden Haushaltsjahren, auf die wir uns jetzt schon einrichten müssen, werden wir mit Sicherheit zu rechnen haben?
Die Opposition hält im Gegensatz zum Bundesfinanzminister den vorgelegten Haushaltsplan für durchaus „nicht so stabil". Sie hat den „fröhlichen Optimismus" des Herrn Bundesfinanzministers kritisiert. Das ist ihr gutes Recht. Indes wird sie wohl kaum bestreiten, daß der vorgelegte Haushalt 1954/55 in sich wesentlich stabiler ist als alle Haushalte, die wir vorher seit 1949 vorgelegt bekommen haben. Er zeigt sehr bemerkenswerte Anzeichen einer Konsolidierung. W o aber, meine Damen und Herren, gäbe es heute in der gesamten freien Welt noch Haushalte, die sich mit der Ausgeglichenheit der Haushalte der sogenannten klassischen parlamentarischen Zeit vor dem ersten Weltkriege vergleichen könnten, bevor diese zwei grauenhaften Weltkriege, bevor die internationale Wirtschaftskrise von 1930, die Inflationen usw. das Wirtschaftsbild und damit die Wirtschaftsstruktur der gesamten Welt grundsätzlich verändert haben?! Darf man allerdings aus dem Vorwurf der Opposition, Herr Kollege Schoettle, dieser Haushalt sei nicht stabil genug, ihre feste Entschlossenheit und den guten Willen ableiten, bei mit Ausgaben verbundenen Initiativanträgen im kommenden Haushaltsjahr besonders vorsichtig zu sein

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und dadurch die schon angezweifelte Stabilität nicht noch mehr zu gefährden?
Ich komme damit auf eine grundsätzliche Frage von außerordentlicher Bedeutung zu sprechen, und die geht die Koalition nicht weniger an als die Opposition. Nicht nur Herr Kollege Schoettle, sondern auch Herr Kollege Dehler haben sich ja mit der Grundsatzfrage des Initiativrechtes hier auseinandergesetzt. Lassen Sie mich dazu noch einige grundsätzliche Auffassungen vortragen.
Wir kennen zweierlei Auffassungen von diesem Problem des Verhaltens und der Wechselbeziehungen von Koalition und Regierung zueinander und darüber hinaus von Legislative und Exekutive überhaupt. Die erste Auffassung stützt sich auf das britische Vorbild. Auch viele Staatsrechtler in Deutschland sehen in der Regierung im Grunde genommen nichts weiter als einen Exekutivausschuß der herrschenden oder der regierenden Koalitionsparteien.
Wer sich dieser Auffassung anschließt, muß daraus gewisse Konsequenzen ziehen, wie sie das britische Parlament bereits seit 1713 gezogen hat. Denn — Herr Kollege Schoettle, hier ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen — das britische Parlament hat zwar keine offizielle Geschäftsordnung, aber es hat die Ordinances, die einen umfassenden — —

(Abg. Schoettle: Ich habe nicht behauptet, daß es keine Geschäftsordnung habe, sondern ich habe nur behauptet, daß es keine geschriebene englische Verfassung gebe!)

— Das ist richtig, da stimme ich Ihnen vollkommen bei. Aber in diesem umfassenden Kompendium der britischen Ordinances, nach denen ja das Parlament verfährt, heißt es wörtlich in Ordinance Nr. 78 von 1713:
Das Haus wird kein Gesuch um Zuwendung von öffentlichen Fonds annehmen oder auf Anträge eingehen, die eine Geldbewilligung oder sonst eine Belastung von öffentlichen Einnahmen zum Inhalt haben, außer, wenn sie von der Krone empfohlen worden sind.
Das heißt heute: von der Regierung eingebracht worden sind. Mit vollem Recht weist Professor Dr. Bühler, München, in seiner Betrachtung in der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung" darauf hin, daß dies ein Akt äußerster Selbstverleugnung der Koalition und der Regierungspartei gegenüber der eigenen Regierung ist. Aber er weist auch darauf hin, daß dadurch England seit 240 Jahren von der Misere der kontinentalen Staaten befreit gewesen ist.

(Abg. Seuffert: Aber in England stimmen die Regierungsparteien nicht gegen die Regierung! Das ist der Witz!)

— Ja, einen Augenblick! Auch das tun sie nicht immer so ohne weiteres.

(Abg. Seuffert: Sonst tritt die Regierung ab!) — Nein, nicht ohne weiteres.

Nun, meine Damen und Herren, keine Bestimmung hat, glaube ich, so sehr zur Wahrung des Parlamentarismus schlechthin in der modernen Welt beigetragen wie gerade diese Bestimmung. Dieses anziehende Beispiel können wir aber leider nicht ohne weiteres befolgen, sei es auch nur in einer Geschäftsordnung, wie das hier versucht worden ist. Sie ist bekanntlich am Einspruch des Bundesverfassungsgerichts gescheitert, das eine Beschränkung des Initiativrechts des Bundestages für verfassungswidrig erklärte. Allerdings richtete damals das Bundesverfassungsgericht an das Hohe Haus auch den Appell zur Selbstdisziplin, einen Appell, den wir durchaus beherzigen sollten.
Nach der auch im Grundgesetz verankerten zweiten Auffassung über das Verhältnis von Regierung und Parlament wird eine scharfe Trennung von Exekutive und Legislative gefordert. Damit wird automatisch das ja auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Initiativrecht der Koalition bejaht, und zur Vermeidung von Haushaltsverschlechterungen stellt das Grundgesetz der Bundesregierung den hier schon öfter, auch von meinen Herren Vorrednern angezogenen Art. 113 und dem Herrn Bundesfinanzminister ganz besonders den Art. 112 zur Verfügung. Es könnte auch daran gedacht werden, einen Ausweg zu finden, Herr Kollege


(Dr. Vogel)

Schoettle, in einer Sonderstellung des Haushaltsausschusses. Ich fürchte nur, das Hohe Haus wird uns nicht darin folgen, diesem Ausschuß ein Sonderrecht zu bewilligen.

(Abg. Schoettle: Ich möchte auch keines haben! Wir sollten genug haben von unseren Vorwegbewilligungen in den letzten vier Jahren, Herr Kollege!)

Meine Freunde und ich sind nun der Auffassung, daß bei künftig eintretenden Divergenzen — und solche sind ja keineswegs ausgeschlossen — oder bei drohender Gefährdung des Haushalts der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung sich — eben zur Vermeidung von Schwebezuständen, wie wir sie in der Vergangenheit manchmal erlebt haben — der Art. 112 und 113 energischer bedienen sollten, als das bis jetzt der Fall war, falls wir uns von der Regierungskoalition nicht dazu entschließen sollten, notfalls Überweisungen von Ausgaben verursachenden Initiativanträgen ohne Deckungsnachweis an die Ausschüsse überhaupt zu verweigern. Ich glaube allerdings, daß das britische Parlament in der Beziehung die glücklichere Praxis aufgezeigt hat. Dabei verkenne ich keinesfalls, daß sehr vieles nur möglich ist angesichts der überaus starken Stellung einer in Deutschland unbekannten Institution, nämlich des britischen Chief Controller als Hüters der Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft des britischen Staatswesens überhaupt.
Lassen Sie mich nach dieser grundsätzlichen Betrachtung zu der Frage nach der Ausgeglichenheit des Haushalts zurückkehren. Sie wird wohl am besten durch die dem Hohen Hause in der Drucksache 200 vorliegenden Stellungnahme des Bundesrates beim ersten Durchgang selbst beantwortet. Wenn die erfahrenen Leute der Herren Finanzminister der Länder im Bundesrat sogar dazu gelangt sind, Abstriche in Höhe von mehr als 400 Millionen DM an diesem Haushalt für verkraftbar zu halten, dürften die Besorgnisse der Opposition wesentlich gedämpft sein.
Der Bundesrat bejaht ja im Grunde genommen bereits auch die zweite von mir aufgeworfene Frage nach dem Vorhandensein von Reserven in diesem Haushalt. Selbst wenn man in bezug auf die Bereitstellungen für die Zinsleistungen des Bundes einem vielleicht noch fröhlicheren Optimismus huldigen würde, als es der Herr Bundesfinanzminister tut, und auch bei den Zöllen, beim Notopfer Berlin, bei der Tabaksteuer und bei der Mineralölsteuer vielleicht zu einer günstigeren Schätzung als das Bundesfinanzministerium gelangte — obwohl ich hier ausdrücklich anerkennen möchte, daß die Schätzungen des Herrn Bundesfinanzministers sich in der Vergangenheit als erstaunlich exakt erwiesen haben —, ich sage, selbst unter diesen Kautelen wäre immer noch unter keinen Umständen folgendes zu übersehen — das gleiche gilt in ebenso starkem Maße für jene hier auch schon angedeuteten Einsparungsmöglichkeiten im Falle eines — Gott wolle es verhüten! — Nichtinkrafttretens des EVG-Vertrags bis zum 1. Juli 1954 —: Nach dem Haushaltsrecht ist der Bundesfinanzminister gehalten, jede nur erdenkliche Einsparung zunächst zur Tilgung der bis jetzt mitgeschleppten Haushaltsdefizite vergangener Jahre zu verwenden. Der Bundesfinanzminister sollte nach unserer Auffassung unter allen Umständen dafür Sorge tragen, daß die seit 1951 immer wieder übernommenen Schulden in Höhe von 1 Milliarde allein aus diesem Jahre 1951 entweder abgetragen oder langfristig konsolidiert werden.

(Abg. Schoettle: Er hat es auch zu einem Teil getan!)

— Eben! Leider konnte er es nur zu einem kleinen Prozentsatz tun, vor allem im Haushaltsplan 1952 zu 1953. —
Das ist um so notwendiger, als wir uns in den kommenden Haushaltsjahren auf ungewöhnlich hohe neue Belastungen mit Sicherheit einrichten müssen. Nach einer vor mir liegenden Aufstellung werden wir an Mehrausgaben im Bundeshaushaltsplan 1955 gegenüber dem Haushalt 1954/55, der uns hier vorliegt, mit folgenden Beträgen zu rechnen haben: Das Heimkehrergesetz allein wird rund 200 Millionen DM mehr beanspruchen, der Schuldendienst 150 Millionen, das Kriegsschädenschlußgesetz, das uns bereits in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers angekündigt wurde, mehr als 200 Millionen, die Restitutionen etwa 150 Millionen, Bundesgrenzschutz und Luftschutz 50 Millionen, Sonstiges 100 Millionen.
Hier ist der Fehlbetrag aus 1953 voraussichtlich rechnungsmäßig mit 1,3 Milliarden noch nicht drin. Es sind ferner nicht drin die mit Sicherheit auf uns zukommenden Zuschüsse zur Bundesbahn vielleicht mit mindestens 150 Millionen, Straßenbaumehrbelastungen mit mindestens 100 Millionen, außerdem Vorratshaltung, Subventionen und Sozialausgaben, die mit Sicherheit auf uns zukommen.
Wir müssen uns also, meine Damen und Herren, so unangenehm das uns auch sein mag, auf eine Mehrbelastung im übernächsten Haushaltsjahr von mindestens 1 Milliarde zusätzlich gefaßt machen. Der Bundesfinanzminister würde leichtfertig handeln, wenn er jetzt nicht schon sein Auge auf diese auf uns zukommenden Lasten richten würde.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte eingehen, die nicht nur in der Diskussion bei der Verabschiedung vorangegangener Haushalte im Haushaltsausschuß selbst, sondern auch draußen in der Publizistik und in der Presse einen gewissen Raum eingenommen haben. Ich meine das Bundesvermögen und die Kassenlage der öffentlichen Hand generell.
In den allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushaltsplan 1954/55 — eine ebenso nützliche und, wie das auch bereits von der Opposition anerkannt worden ist, sehr brauchbare Erneuerung früherer guter Handhabungen — hat das Bundesfinanzministerium in Ausführung der Bestimmungen des Grundgesetzes zum ersten Mal eine Vermögensaufstellung des Bundes veröffentlicht. Das ist eine überaus dankenswerte Leistung der zuständigen Abteilung des Bundesfinanzministeriums, die meine Freunde durchaus zu würdigen wissen —dies um so mehr, als erst zwei von den auf eine doppelt so lange Regierungstätigkeit zurückblikkenden Ländern bis jetzt der gleichen Verpflichtung nach Aufdeckung ihrer Vermögensverhältnisse nachgekommen sind. Um wieviel leichter würden sich alle 'diejenigen tun, die sich mit öffentlichen Finanzen zu befassen haben, wenn wir nicht nur vom Bund und den Ländern, sondern auch von allen Gemeinden derartige Einblicke in ihre Vermögensverhältnisse bekämen!

(Richtig! bei der SPD.)



(Dr. Vogel)

Nun wäre über die Bewertung des ausgewiesenen Bundesvermögens natürlich einiges zu sagen. Ich bin überzeugt, Wirtschaftstreuhänder haben hier ein sehr weites Feld vor sich. Der Herr Bundesfinanzminister hat, wohl im Vorgriff auf die zu erwartende öffentliche Kritik, die in der allgemeinen Vorbemerkung angesetzte Summe von 1,2 Milliarden allein für die Beteiligungen des Bundes inzwischen selber in seiner Rede hier bei der Einbringung seines Haushalts auf 2 Milliarden erhöht. Unser Herr Bundesfinanzminister ist ob seiner lobenswerten Vorsicht bekannt. Wir werden also wohl bei der Einkalkulation selbst noch drohender Belastungen dieses Vermögens mit einem vielleicht noch höheren Betrag allein bei den Beteiligungen rechnen dürfen.
Aber, meine Damen und Herren, das ist nicht das Entscheidende. Unsere Kritik richtet sich gegen den, in unseren Augen höchst ungenügenden und — ich möchte einmal beinahe sagen: verschwindend kleinen Betrag von nur 9 Millionen an Erträgen aus diesem Milliardenvermögen! So weit sollte das an sich verständliche Bestreben der vom Bund kontrollierten Unternehmen nach Eigenfinanzierung nun nicht gerade gehen!
Oft genug ist nun in der Öffentlichkeit die Veräußerung von Teilen des Bundesvermögens und sogar seine Heranziehung zur Deckung bestimmter Ausgaben des Haushalts gefordert worden. Ganz abgesehen davon, daß zur Durchführung einer solchen Forderung eine Änderung des Haushaltsgesetzes notwendig wäre, müßten zunächst einmal auch zahlungskräftige Käufer gefunden werden. An Anwärtern, die billig zu Bundesvermögenswerten kommen wollen, fehlt es uns sicherlich nicht. Wenn man sich aber in den maßgebenden Kreisen der Wirtschaft ernsthaft mit derartigen Forderungen nach einer Reprivatisierung des Bundesvermögens befaßt, dann sollte man auch zuerst für ein wirklich fundiertes und für den Bund annehmbares Angebot Sorge tragen.
Ich möchte allerdings dem Herrn Bundesfinanzminister zu erwägen geben, ob man nicht in einem großzügigen Verfahren die vielen Tausende durch die Autobahn und die Errichtung von Wehrmachtanlagen in ihrem Eigentum geschädigten Grundbesitzer durch Rückgabe der nicht unbedingt gebrauchten Grundstücke befriedigen könnte. Zu meiner Freude habe ich feststellen können, daß die für die Entschädigung der enteigneten Grundbesitzer im Haushaltsplan bereitgestellten Mittel — wir hatten darüber beim letzten Haushalt hier eine Debatte — von 20 auf 40 Millionen DM erhöht worden sind und damit hoffentlich bereits im nächsten Haushaltsplan dieses ein wenig leidige Kapitel der noch offengebliebenen Forderungen der Autobahnanlieger und der Anlieger von Wehrmachtterrain endgültig abgeschlossen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein besonders ernstes Anliegen ist meinen Freunden und mir die dritte von mir aufgeworfene Frage, ob der vor uns liegende Haushaltsplan noch zusätzlich soziale Belastungen verträgt. Wir sind der Auffassung, daß die beste Wirtschaftspolitik zugleich die beste Sozialpolitik ist. Nur aus einer gedeihenden und blühenden Wirtschaft heraus können die von uns gewünschten — durchaus gewünschten! — höheren Leistungen auch für die Sozialpolitik und vor allen Dingen für die Anspruchsberechtigten entnommen werden. Der vor uns liegende Haushaltsplan ist aber in seinen sehr exakten Einnahmeschätzungen auf die Vermehrung des Brutto-Sozialprodukts um mindestens 5 % abgestimmt. Herr Kollege Schoettle, hier gestatten Sie mir schon, darauf hinzuweisen: es kann kein Mensch und es kann kein Volk ohne Hoffnung leben. Wir alle teilen in dieser Beziehung durchaus den Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers, zumal er sich ja schließlich nicht auf reine Prophezeiungen, sondern auf sehr gute Argumente und Berechnungen stützt. Meine Damen und Herren, die letzten fünf Jahre haben uns den kaum zu widerlegenden Beweis geliefert, daß unsere Auffassung und damit auch unser Optimismus fundiert und richtig waren. Hätten wir uns von Ihrem Pessimismus, meine Damen und Herren der Opposition, leiten lassen, dann wären die bis jetzt möglichen Steigerungen auch in den Sozialausgaben auf 19,2 Milliarden DM insgesamt überhaupt nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

Dabei sind wir uns zutiefst der Verpflichtung bewußt, daß über diese bereits gesteigerten Renten hinaus noch zusätzlich etwas getan werden muß. Meine Freunde werden deshalb gemeinsam mit dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundesarbeitsminister überlegen, wie diese von uns als notwendig erkannte Erhöhung vor allem der Altrenten in dem vorgelegten Haushaltsplan verankert werden kann. Es wird unter Umständen auch noch zu überlegen sein, ob nicht eventuell auch durch Umgruppierungen in den Beiträgen zu den Sozialversicherungen dieses Ziel zunächst einmal erreicht werden kann, bis die auch von uns dringend erwartete Reform der Sozialversicherung eine endgültige Klärung bringt.
Hier allerdings möchte ich auch den besonderen Wunsch meiner Freunde nach einer größeren Aktivität des dem Herrn Bundesarbeitsminister zur Verfügung stehenden Wissenschaftlichen Beirats mit einschließen.

(Abg. Albers: Bravo!)

Für ein für die weitere Vermehrung des Sozialprodukts unentbehrliches Stimulans halten wir die vom Bundesfinanzminister angekündigte zweite Steuerreform. Meine Damen und Herren, wir wollen hier nicht mit großen Tönen von „großer Steuerreform", „organischer Steuerreform" sprechen, sondern wollen es schlicht die „zweite Steuerreform" nennen. Das Hohe Haus wird sich mit der entsprechenden Vorlage der Bundesregierung hoffentlich sehr bald zu befassen haben.
Wir fordern von dieser Steuerreform ganz allgemein drei Dinge. Sie sollte erstens so schnell wie möglich eingebracht werden und spätestens am 1. Januar 1955 in Kraft sein, zweitens eine wirkliche Vereinfachung beinhalten, drittens die Familie stärker, als das bisher der Fall war, fördern und viertens einen möglichst großen Kreis vor allem der Lohnempfänger, des Mittelstandes und der Bauernschaft vom Finanzamt freisetzen.
In der Überzeugung von der Unabdingbarkeit einer zweiten Steuerreform scheinen wir uns in weitgehender Übereinstimmung auch mit den Veröffentlichungen der Gewerkschaften zu befinden. Die in den „Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften" von Wolkersdorf bereits im Mai 1953 veröffentlichten Untersuchungen über die bedauerlichen Auswirkungen einer überdrehten Steuerschraube sind


(Dr. Vogel)

auch heute noch ungemein zeitnah. Dabei wollen wir keineswegs übersehen, wie sehr der Wegfall der Steuerbegünstigungen auch die freiwilligen Sozialleistungen der Wirtschaft unter Umständen in Mitleidenschaft ziehen kann, wenn in Zukunft jede Ausgabe weit sorgsamer kalkuliert wird,, als das bis jetzt der Fall war.
Es scheint mir ganz nützlich zu sein, auch einmal auf die Untersuchungen der Handelskammer Hamburg etwas näher einzugehen. Gegenüber den vor dem Kriege aufgebrachten freiwilligen Sozialleistungen von durchschnittlich 8 % der gezahlten Löhne und Gehälter errechnet die Handelskammer Hamburg in einer vor zwei Tagen veröffentlichten Aufstellung eine Steigerung von 8 auf 13 % im Bundesdurchschnitt. Die Zahl schwankt zwischen 11,5 % in Baden-Württemberg und 17,3N in Hamburg.
Oft genug ist der Bundesfinanzminister übrigens auch von sehr seriösen Organen angeregt worden, angesichts der außerordentlichen Liquidität der öffentlichen Hand vielleicht sogar an eine Kampferspritze an die Wirtschaft in Gestalt einer Steuerstundung zu denken. Wir glauben, man sollte sich derartige Gewaltrezepte für andere Zeiten vorbehalten.
Die Bank deutscher Länder hat uns eine Sondererhebung über die Kassenlage der öffentlichen Hand angekündigt. Allein schon in dieser Ankündigung liegt eine gewisse Kritik. Immerhin ergab die repräsentative Erhebung der BdL vom 23. November 1953 einen Einlagenbestand aller öffentlich-rechtlichen Körperschaften — allein bei dem hier kontrollierten Bankensystem von 480 Banken — von 900,2 Millionen DM. Das bedeutet gegenüber dem gleichen Zeitpunkt 1952 mit nur 6,7 Milliarden DM eine um so höhere Steigerung, als sich inzwischen die kleine Steuerreform bereits ausgewirkt hatte und auch die Senkung der Verbrauchsteuern sich auszuwirken begann. Von diesen Einlagen entfielen am 15. November 1953 4,7 Milliarden auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und nur 5,4 Milliarden DM — also 4,7 zu 5,4 — auf die Spareinlagen der Wirtschaft. Es ist mir übrigens beim besten Willen nicht gelungen, zu entdecken, wo eigentlich die sagenhaften 5 Milliarden DM geblieben sein sollen, die in manchen Zeitungen über diese Bestände von 9 Milliarden DM hinaus aufgetaucht sind. Ich glaube, hier liegt wohl ein Rechenfehler vor.
Der Herr Bundesfinanzminister kann mit gutem Recht auf die 2,4 Milliarden DM noch nicht abgerufener Besatzungskosten verweisen, die in diesen 9 Milliarden enthalten sind. Zieht man diesen Riesenbetrag von dem Einlagenbestand der Bundesregierung ab, dann verbleiben zwar noch immer einige 100 Millionen; aber übersehen wir doch nicht, in welcher Relation diese Einlagen — sozusagen als das Betriebskapital der Bundesregierung — zu dem Gesamtumfang des Haushalts von 27 Milliarden DM stehen. Auch die Höhe des Bundesvermögens muß nun einmal an der Gesamtsumme des Bundeshaushalts gemessen werden, wenn man eine richtige Einschätzung vornehmen will.
Man ist sich deshalb in der Bank deutscher Länder durchaus dessen bewußt, wie lückenhaft ihre Statistik der öffentlichen Kassenlage ist. Deshalb auch die Ankündigung der Sondererhebung. Dem aufmerksamen Beobachter konnte allerdings keineswegs entgehen, daß allein schon die Ankündigung der BdL, eine solche Erhebung mit dem Stichtag zum 31. Oktober 1953 durchzuführen, den Abzug von rund einer halben Milliarde DM öffentlicher Gelder sofort bewirkt hat. Vermutlich wurden sie in Wertpapieren angelegt, die nachher wieder in die alten Konten zurückkehrten. Auch der Bundesfinanzminister hat nach dem Versuch einer Deutung des Zustandekommens dieser außerordentlich hohen Einlagen im Bulletin vom 4. Dezember 1953 bereits bekannt: „Damit soll nun nicht etwa gesagt sein, daß die hohen Kassenbestände etwas Erstrebenswertes wären." Wir haben dieser Feststellung von unserer Seite aus nichts mehr hinzuzufügen. Das ist ein Problem, das nicht nur den Bundeshaushalt allein betrifft, sondern die Gesamtheit der Haushalte von Ländern, Gemeinden und öffentlichen Körperschaften.
Damit ist für uns aber auch die Frage gestellt, ob das von uns und von meinem werten Vorredner, Herrn Dr. Krone, hier in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellte Subsidiaritätsprinzip in der Bundesrepublik richtig durchgeführt wurde, d. h. ob die öffentliche Hand aus den Verantwortungsbereichen der kleinsten Gebilde der Gesellschaft nicht zu viel an sich gerissen hat. Wenn wir diese Frage stellen, müssen wir zu gleicher Zeit ehrlicherweise auch eine zweite aufwerfen. Das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft und der Freiheit überhaupt in demokratischen Staatsgebilden fordert eine hinreichend große Zahl und Schicht von Menschen, die zur Vorsorge für ihre Familie und zur Vorsorge für ihren Betrieb und ihr Eigentum entschlossen sind. Auf diese Entschlossenheit und auf diese Vorsorge, damit auch zugleich auf diese Eigeninitiative müssen wir zählen können, wenn unser Eintreten für diese Grundsätze auch legimitiert sein soll.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Wohnungsbau. Wir hoffen sehr, daß die erfreuliche Steigerung des Absatzes von Pfandbriefen auch für die für uns sehr schwer tragbare Abschaffung des § 7 c einen gewissen Ausgleich bringen wird. Sollte das nicht ausreichen, wird man gründlich und schnell überlegen müssen, ob nicht über die steigenden Rückflüsse aus den Zuschüssen zum Wohnungsbau in den vergangenen Haushaltsjahren hinaus noch zusätzliche Mittel mobilisiert werden können.
Aus dieser grundsätzlichen Einstellung heraus haben wir noch einen dritten Wunsch zur kommenden Steuerreform herausgestellt: die besondere Förderung der Familie. Hier möchte ich der Opposition ein zweites zu bedenken geben. Ich finde es eigentlich nicht ganz veständlich, warum man auch in manchen Kreisen der Opposition für die Gründung eines Familienministeriums nicht das notwendige Verständnisaufgebracht hat. Das geht uns alle an. Schon jetzt müssen in der Bundesrepublik im Durchschnitt vier Erwerbstätige den Unterhalt von drei Unterhaltsberechtigten mitverdienen. Sie alle kennen den unglücklichen Aufbau der Alterspyramide unseres Volkes. Die bisherigen Berechnungen lassen jetzt schon erkennen, daß im Jahre 1961 11,5 % mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als im Jahre 1951, während nur ein Zugang von 2,3 % erfolgt. Dieser Zustand wird sich fortgesetzt verschlechtern. In absehbarer Zeit werden vier Erwerbstätige vier Unterhaltsberechtigte, vielleicht sogar fünf unterhalten müssen. Die Sorge um den Schutz der Familie und den Nachwuchs ist deshalb ein elementares Anliegen nicht nur der Koalition, sondern der ganzen Nation, wenn sie


(Dr. Vogel)

eine echte Vorsorge für ein würdiges und sorgenfreies Alter der heute Schaffenden treffen will.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Reihe von Sonderproblemen ansprechen, denen wir in dem Riesenbereich des Haushalts 1954/55 begegnen. In dem Bereich des Haushalts des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind begreifliche und verständliche Wünsche meiner Freunde aus der Landwirtschaft nicht berücksichtigt worden. Auch der Bundesfinanzminister hat die mangelnde Parität von Erlösen und Anschaffungskosten zwischen Industrie und Landwirtschaft anerkannt. Immerhin stellen wir mit Befriedigung den ersten Posten für Zinsverbilligungen in diesem Haushalt fest, der durch ein sehr vereinfachtes Verfahren der Landwirtschaft ein dringend gebrauchtes neues Kreditvolumen von über einer halben Milliarde D-Mark erschließen könnte. Allerdings, Herr Bundesfinanzminister, will uns eines hier nicht behagen, nämlich daß Sie diese Zinsverbilligung, die unbedingt notwendig ist, mit dem Eingang von mindestens 120 Millionen an Abschöpfungsbeträgen gekoppelt haben. Dieser Punkt wird noch einmal zu überlegen sein.
Wenn dagegen heute schon bei der Frage der Subventionen, die auch die Opposition aufgerollt hat, Einwendungen erhoben werden, so bitte ich doch zu überlegen, daß wir in den vergangenen Haushalten über 2 Milliarden an Verbilligungen und Subventionen stehen hatten. Wir können uns auch hier der Forderung der Opposition, die Mittel in diesem Haushalt zu kürzen, nicht anschließen. Es wäre uns im Gegenteil sehr viel erwünschter, wenn vielleicht auch diese Mittel, auf die Sie anspielten, Herr Kollege Schoettle, etwa für die Trinkmilchversorgung, noch einen etwas breiteren Spielraum hätten, als das jetzt der Fall ist. Wir sind mit dem bekannten Programm des Herrn Ministers Lübke einverstanden, daß nicht nur die wesentliche Beschleunigung der Flurbereinigung, sondern auch die Verstärkung der Rindergesundheitsdienste eine unabdingbare Vorbedingung für den Einbau der deutschen Landwirtschaft in eine europäische Gemeinschaft darstellen.
Weiter haben wir mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß entscheidende Maßnahmen zur Bereinigung des Verhältnisses zwischen Schiene und Straße bevorstehen. Mit der Beseitigung der ebenso überflüssigen wie kostspieligen Konkurrenz zwischen Bundesbahn und Bundespost auf dem Gebiet der Paketbeförderung ist endlich ein Schritt vorwärts getan worden. Wir haben angesichts des Defizits bei Bundesbahn und Bundespost kein Verständnis für die Fortdauer des gleichen Konkurrenzkampfes im Omnibusverkehr und erwarten darüber hinaus eine baldige und sichtbare Reform bei der Bundesbahn und der Bundespost zur Herabdrückung ihrer Unkosten.
Mit großem Interesse haben wir im Bulletin vom 12. Januar 1954 aus der Feder des Haushaltsexperten Dr. Vialon eine Gegenüberstellung des Persanalbestandes des höheren Dienstes von 1932 und desjenigen von 1954 gelesen. Er sagt dazu wörtlich in einer Betrachtung:
Die oft diskutierte Frage, ob die Verwaltung
an Stelle der viele Jahre unzulänglichen Besoldung öffentlicher Dienste in höhere und zahlenmäßig mehr Planstellen ausgewichen ist,
wird aus den dargebotenen Unterlagen mit
einiger Sicherheit beantwortet werden können.
Ich glaube, man darf diese Bemerkungen auch auf
Länder und Gemeinden ausdehnen. Im Wettlauf
um die besten Kräfte der Verwaltung haben häufig genug die in ihren Bewegungen finanziell freieren großen Städte und Kreise das Rennen gemacht.
In dem Zusammenhang auch noch ein kurzes Wort zur Beamtenbesoldung. Die angekündigte Beamtenbesoldungsreform wird sich in dem kommenden Haushaltsplan noch nicht auswirken können. Die Prüfungen und Überlegungen, unter anderem auch über eine Neubewertung der Stellen, sind aber in vollem Gange.
Noch eine Bemerkung zur Bundesverwaltung schlechthin. Wenn sich gerade die für die Gesetzesarbeit dringend notwendigen und seltenen Fachkräfte gewinnen lassen sollen, muß die Leistung auch eine entsprechende Bewertung erfahren. Die bislang nicht nur auf dem Beamtensektor zu beobachtende Tendenz zur Nivellierung der Einkommen entspricht nicht unserer Auffassung.

(Bravo! rechts.)

Wir verfolgen sie nicht nur in der systematischen Verringerung des Einkommenabstandes zwischen dem höheren und dem mittleren Dienst, sondern ebenso sehr zwischen ungelernten und Facharbeitern, zwischen Facharbeitern und Werkmeistern und nicht zuletzt auch zwischen den höchsten Stufen der Unterhaltsberechtigten einerseits und den allzu niedrigen Landarbeiterlöhnen andererseits. Heute umfaßt das Besoldungsgesamtvolumen der öffentlichen Hand 13,2 Milliarden jährlich. Sie werden aus dieser Ziffer unschwer entnehmen, welche haushaltsmäßigen Rückwirkungen auch nur sehr geringfügige prozentuale Erhöhungen für alle Haushalte, auch der Gemeinden und der Länder, bewirken müssen.
Gerade in Deutschland war übrigens die Stellung der Verwaltung — lassen Sie mich auch das sagen — infolge einer langen und stolzen Tradition gewissenhafter Arbeit im Dienst des Staates bedeutender als in anderen westlichen Ländern. Nun hat das Grundgesetz mittelbar dazu beigetragen, diese Rolle noch zu verstärken. Durch das Grundgesetz wurde der Bundeskanzler fast unabsetzbar und die Stellung der Bundesminister gleichfalls wesentlich gefestigter. In dem gleichem Maße aber — darauf hat auch eine Reihe meiner Herren Vorredner bereits abgestellt —, in dem sich dies vollzieht, wird auch die Position der Verwaltung gegenüber dem Parlament gestärkt. Je unabsetzbarer praktisch ein Bundesminister wird, desto machtvoller gestaltet sich zwangsläufig die Stellung der leitenden Beamten, für die der Minister vor dem Parlament die politische Verantwortung trägt. Auch Herr Kollege Dr. Dehler hat dazu sehr Bemerkenswertes gesagt. Ich möchte wünschen und hoffen, daß sich die Herren Bundesminister als Chefs ihrer Ämter dieser zwangsläufigen Folgeerscheinung des Grundgesetzes gegenüber dem Parlament stets bewußt bleiben.
Wir begrüßen dabei z. B. durchaus die Verringerung der Bundesstelle für Warenverkehr, eine der wenigen Stellenverringerungen, die wir im ganzen Bundeshaushaltsplan festzustellen haben neben sehr erheblichen Erweiterungen im Haushalt des Auswärtigen Amts, bei der Dienststelle Blank usw. Die Absicht, damit zugleich, wie das Bundeswirtschaftsministerium das angekündigt hat, Aufgaben des Bundeswirtschaftsministeriums den nachgeordneten Bundesbehörden zu übergeben, wird durchaus von uns begrüßt. Die Regierung soll regieren und nicht verwalten.

(Beifall in der Mitte.)



(Dr. Vogel)

Lassen Sie mich zu einem ganz anderen Gegenstand, den auch der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede in der vollen Bedeutung für die kommenden Jahre herausgestellt hat, übergehen. Ich meine die Belastungen aus dem Londoner Schuldenabkommen und den sonstigen Verpflichtungen des Bundes. Wir werden in den nächsten Jahren mit wachsenden Zinsendiensten zu rechnen haben. Der Investitionsbedarf der deutschen Wirtschaft ist außerordentlich hoch. Er wird allein für die wesentlichsten Zweige unserer Wirtschaft zur Zeit auf über 11 Milliarden DM geschätzt; darüber hinaus fordert die Landwirtschaft für ihr absolut notwendiges Programm noch weitere Milliardenbeträge an. Angesichts der von der Bundesrepublik übernommenen sehr hohen Zinslasten hatten wir eigentlich auf das Hereinströmen von ausländischem Kapital gehofft, da wir den enormen Investitionsbedarf infolge Mangels eigener Kapitalansammlung nur in einem allzu langsamen Tempo befriedigen könnten. Wir verkennen dabei keineswegs die wesentlichen Verbilligungen und Entlastungen, die der Finanzierung unseres Im- und Exports als Folge der Anerkennung unserer alten Schuldverpflichtungen und des wachsenden Vertrauens zu unserer D-Mark entstanden sind. Was allerdings bis jetzt an Kapitalangeboten sichtbar geworden ist, bedeutet eine Enttäuschung für uns. Ich denke z. B. an die sich mühselig hinschleppenden Verhandlugen über die angebotene allzu bescheidene 20-Millionen-Dollar-Anleihe der Weltbank. Wir bitten das Ausland, zu begreifen, daß nach den Vorleistungen im Londoner Schuldenabkommen und nach dem heutigen Stand der D-Mark Anleihebedingungen, die unsere Zahlungsfähigkeit in Zweifel ziehen könnten, schwer annehmbar erscheinen.
Noch ein Wort zu den sogenannten Haushaltsresten, jenen Beträgen, die durch Haushalte früherer Jahre bewilligt, aber bis zum Schluß des Rechnungsjahres nicht eingenommen oder ausgegeben worden sind. In dem vorhin bereits zitierten überaus lesenswerten Kommentar über die Feinheiten des Haushalts von Ministerialrat Dr. Vialon heißt es, daß „diese Reste das stille Geheimnis der Haushaltswirtschaft" seien. Wer in der Tat die Höhe dieser Ausgabenreste und ihr Wachstum von 223 Millionen DM im Jahre 1950 auf 509 Millionen DM im Jahre 1951 und auf 681 Millionen DM im Jahre 1952 verfolgt, könnte hier mehr vermuten, als offenbar da ist. Ich habe mir zur Kontrolle dieser Dinge vom Bundesfinanzministerium eine Gegenüberstellung der Ausgabenreste der früheren Haushalte vor 1933 geben lassen. Dabei habe ich zu meinem Trost festgestellt, daß z. B. der hohe Ausgabenrest von 681 Millionen DM im Jahre 1952 nur 3 % der Ist-Ausgaben von rund 20,6 Milliarden DM ausmachte gegenüber 704 Millionen RM, d. h. damals 8,2 %, im Jahre 1926. Mit der Normalisierung der Haushalte nach der Inflation haben sich diese Reste damals übrigens bis zum Jahre 1930 auf 2,2 % vermindert.
Meine Damen und Herren, es gäbe hier noch eine Unmenge von Wünschen vorzutragen. Aber ich sehe immer mit Besorgnis auf den Zeiger der Uhr vor mir, und ich möchte diejenigen, die so brav ausgeharrt und ihr Mittagessen zurückgestellt haben, um mir zu folgen, nicht einer unnützen Belastungsprobe aussetzen. Lassen Sie mich deswegen nur sehr kurz auf einzelne noch übriggebliebene Wünsche eingehen. Es wäre eine Menge auch zu dem Haushalt für Forschung zu sagen.
Hier wird noch in der Beratung des Haushalts des Bundesinnenministeriums, die jetzt bevorsteht, ein von uns schon lange gehegter Wunsch nach einer Zusammenfassung der Beträge und einer Vermeidung von Doppelarbeit bei Forschungsinstituten näher geprüft werden müssen. Auch wir sind der Überzeugung, daß man das, was man durch Streichungen irgendwie zusammenkratzen könnte, vielleicht hier noch einfügen sollte.
Wenn wir alle diese Faktoren des vor uns liegenden Haushaltsplans zusammenfassen und die eingeplante Steuerreform hinzunehmen, dann möchten wir doch im großen und ganzen von diesem Haushalt als einem Haushalt sprechen, der den Zielen der von uns verfolgten Wirtschaftspolitik durchaus angepaßt ist. Was man auch immer an manchmal nur zu berechtigten Klagen gegenüber der Finanzwirtschaft der öffentlichen Hand vorgebracht hat, sollte uns doch letzten Endes nicht den Erfolg dieser Haushaltspolitik in den letzten Jahren aus den Augen verlieren lassen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Im Mittelpunkt dieser Haushaltspolitik stand der immer noch gelungene Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen und die erstaunlich starke Festigung der D-Mark in den letzten fünf Jahren. Nicht ohne Stolz haben wir gerade vor einiger Zeit zum erstenmal den Vorgang beobachten können, daß diese D-Mark in der Schweizer Notierung über den Schweizer Franken zu stehen kam. Ich bitte auch alle, die durch die Schnelligkeit unseres wirtschaftlichen Aufstiegs die notwendige Distanz zu den bitteren Jahren von 1945 bis 1948 allzuschnell erreicht haben, niemals die Augen vor der Existenz von nicht weniger als 11,4 Millionen Unterhalts-und Versorgungsberechtigten in unserer Mitte zu verschließen. Sie müssen sich zwangsläufig bei jedem Versuch zu einer Konsumausweitung — so sehr wir das mit unserer Politik der sozialen Marktwirtschaft auch anstreben möchten — leider ähnlich hemmend auswirken, wie sich auch früher einmal das Millionenheer der Arbeitslosen in den bitteren Jahren von 1930 bis 1933 ausgewirkt hat. Aber wer sich diese Zahl der 11,4 Millionen wirklich Ärmsten der Armen als der Folge der furchtbarsten Katastrophe unserer Geschichte vor Augen hält, dem erwächst aber auch die eminent christliche Verpflichtung zum Maßhalten gegenüber nicht nur politischen, sondern auch wirtschaftlichen Extremen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Albers: Und persönlicher Lebenshaltung!)

— Ich stimme Ihnen durchaus zu, Herr Kollege Albers. Ich glaube, daß dieser Haushalt ein sichtbarer Ausdruck unserer Entschlossenheit zu eben diesem Maßhalten ist. Götz Brief s, der bekannte Sozialrechtler, hat im Jahre 1950 in einem Vortrag die Frage aufgeworfen, wo denn die Instanz läge, die Autorität genug besäße, um zwischen den großen „Condottieri" unserer Zeit auszugleichen. Er hob dabei auf die amerikanischen Verhältnisse ab. Bei unseren wesentlich friedlicheren Verhältnissen wird man ja diesen Ausdruck nicht ganz für angebracht halten. Er fragte, wo denn zwischen diesen beiden großen Polen — lassen Sie mich einmal so sagen — der Ausgleich zu finden sei. Er zitierte dabei sein letztes Gespräch mit Professor Schumpeter, den wir ja keinesfalls zu unseren Sozialtheoretikern rechnen, son-


(Dr. Vogel)

dern der Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nahesteht. Herr Schumpeter hat ihm kurz vor seinem Tod — so erzählte er uns damals — bekannt, er sehe die Möglichkeit eines solchen Ausgleichs nur in einer außerordentlichen, nämlich in einer moralischen Instanz: in der christlichen Lehre. Meine Damen und Herren, von dieser Autorität allein empfangen wir die Verpflichtung zu jenem Maßhalten zwischen den Forderungen der großen politischen und wirtschaftlichen Machtgebilde unserer Tage. Lassen Sie uns auch in der Zukunft bei der Beurteilung und Einschätzung der Forderungen, von welcher Seite sie auch an uns herangetragen werden mögen, gemeinsam an diesem christlichen Maß festhalten. Wir werden so am sichersten und besten, glaube ich, alle miteinander der Wohlfahrt unseres Volkes dienen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0201202400
Meine Damen und Herren, ich unterstelle das Einverständnis des Hauses, wenn ich jetzt die Beratung zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung unterbreche und sie auf morgen als ersten Punkt vertage. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich gebe noch folgendes bekannt: Sitzung des Petitionsausschusses statt um 15 Uhr um 16 Uhr, Sitzung des Ausschusses für Jugendfragen statt um 15 Uhr um 16 Uhr in Zimmer P 120. Der Verkehrsausschuß tagt eine Stunde nach Schluß des Plenums im Zimmer 210, Südflügel, zweiter Stock.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste, die 13. Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Freitag, den 5. Februar 1954, 9 Uhr 30, und schließe hiermit die 12. Sitzung.