Rede:
ID0201202200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2012

  • date_rangeDatum: 4. Februar 1954

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    2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 325 12. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 325 C, 326 B, 346 A, 368 C Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Dr. Heuss und zu den Geburtstagen der Abg. Raestrup, Gaul, Schneider (Hamburg) und Dr. Baade 325 D Nächste Fragestunde 326 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 16 betr. Erstattung der Fahrtmehrkosten an Arbeiter und Schüler im Zonengrenzgebiet (Drucksachen 148, 225) und 20 betr. Ladenschlußgesetz (Drucksachen 179, 219) 326 A Vorlage der Übersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsangaben im Rechnungsjahr 1952 (Drucksache 176) . . 326 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Regelung der verbrieften Reichsschulden (Drucksache 95) in Verbindung mit der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Regelung der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen (Drucksache 140, Umdruck 10) 326 B Dr. Atzenroth (FDP), Anfragender 326 B, 331 A Präsident D. Dr. Ehlers 328 A Seuffert (SPD), Anfragender . 328 B, 330 C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 329 D Dr. Gille (GB/BHE) 331 B Scharnberg (CDU/CSU) 332 B Überweisung des Antrags Umdruck 10 an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für den Lastenausgleich 332 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) einschließlich Ergänzungsvorlage (Drucksache 200) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 (Drucksache 201) 332 C Schoettle (SPD) 332 D Dr. Krone (CDU/CSU) 346 A Dr. Dehler (FDP) 350 B Dr. Vogel (CDU/CSU) 361 B Weiterberatung vertagt 368 C Nächste Sitzung 368 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Haushalts und die damit verbundene Finanzkontrolle sind das vornehmste Recht des Parlaments. Man kann über den Haushalt nur im gesamtpolitischen Zusammenhang entscheiden. Es wird zum Stil unserer Arbeit gehören, daß die erste Lesung des Haushalts das große politische Ereignis des Jahres ist, daß jede politische Gruppe die Beratung des Haushalts dazu benutzen wird, Kritik zu üben, zu den politisehen Strömungen der Zeit Stellung zu nehmen, ihre politischen Vorstellungen, Wünsche und Ziele darzulegen. Mit Recht hat Herr Schoettle gesagt, bei der ersten Lesung des Haushalts stehe die Gesamtpolitik der Bundesregierung, die Gesamtpolitik unseres Landes zur Debatte.
    Wir müssen uns bei diesem Anlaß Gedanken über die Entwicklung unseres Staates machen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wo wir stehen, was uns fehlt, welche Forderungen noch zu erfüllen sind. Wir stehen in dem schmerzlichen Prozeß des Werdens eines neuen deutschen Staates, zum zweiten Mal nach einem fürchterlichen Zusammenbruch. Die letzten Jahre waren ein Leidensweg. Sie kennen die Entwicklung, die zugeteilte, die kontingentierte Demokratie auf der Stufe der Gemeinden, der Länder — zum Teil künstlich geschaffener Länder —, der Zonen. Sie kennen die bittere Tatsache, daß es eine Demokratie war, die zum Teil nach dem Geschmack der anderen, nach dem Geschmack der Besatzungsmächte geformt wurde. Seit jetzt fünf Jahren leben wir nach einem Grundgesetz, das nicht restlos unseren Wünschen entspricht, ein Grundgesetz, das aber besser ist als sein Ruf, das in fast allen Punkten unseren staatsbildenden Willen darstellt und das gerade in den Punkten versagt, in denen der Wille der Besatzungsmächte seinen Niederschlag gefunden hat.

    (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Gerade heute haben eine Tageszeitung und eine Wochenzeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und „Die Zeit", ernste Betrachtungen über 'die Frage angestellt, ob es uns gelungen ist, mit dem Grundgesetz ein funktionsfähiges Instrument zu schaffen, und ob dieser Staat richtig funktioniert. Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten ein Bundesverfassungsgericht berufen haben und daß dort auch tatsächlich Fragen entschieden werden, einen Beweis für ein schlechtes Funktionieren unseres Staates zu sehen. Das Gegenteil ist richtig. Hier öffnet sich ein Ventil. In anderen Staaten, die diese Verfassungsgerichtsbarkeit nicht kennen, werden die Spannungen politisch ausgetragen, im Zweifel durch Mehrheitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß die Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer aufgeht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage ist nur, w i e die Spannungen ausgetragen werden.
    Ich glaube, wenn wir zurückblicken, können wir feststellen, daß sich im Rahmen des Grundgesetzes unsere staatlichen, unsere parlamentarischen Verhältnisse in einer erfreulichen Weise konsolidiert haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das können wir feststellen, wenn wir an die politischen Sorgen anderer Länder, etwa Frankreichs oder Italiens, denken. Wir können feststellen, daß bei uns die destruktiven politischen Elemente weitgehend ausgemerzt sind. Das ist ein großer Gewinn für die Wirksamkeit unserer Demokratie im Innern und nach außen. Ich meine, man kann sagen, daß der Ungeist des Nationalsozialismus —auch das ist ein Effekt der Abstimmung unseres Volkes in der Wahl vom 6. September — nun weitgehend ertötet worden ist. Gibt es noch eine ernste Gefahr einer Restauration des Rechtsradikalismus, etwa 'des Geistes, der in der Harzburger Front seinen Niederschlag gefunden hat? Ich glaube


    (Dr. Dehler)

    es nicht. Noch vor ein, zwei Jahren haben wir uns Sorgen wegen der sogenannten Partisanenaffäre gemacht. Noch vor einem Jahr haben wir unseren Blick auf solche Übergangsvorgänge gerichtet, und das, was um den Goebbels-Staatssekretär Naumann spielte, war für uns ein ernster Anlaß, ein Symptom.

    (Abg. Behrisch: Wie es die FDP in Wiesbaden treibt!)

    — Da, Kollege Behrisch, setzen Sie sich mal mit Ihren Freunden in Wiesbaden auseinander. So billig wollen wir es uns doch nicht machen, Herr Behrisch, .daß Menschen, die auch im Dritten Reich gelebt und gewirkt haben, für alle Zeitenabgeschrieben werden müßten und nicht mehr nach dem Wert ihrer Persönlichkeit zur Wirksamkeit kommen dürften. Von dieser Seite habe ich Sie noch nicht kennengelernt, Herr Behrisch. Wir wollen uns doch überlegen, daß die unheilvolle Art der Entnazifizierung eines der großen Hemmnisse unserer Staatsbidung in den letzten Jahren war,

    (Beifall bei der FDP)

    und wir wollen froh sein, daß wir mit dieser traurigen Periode, diesem untauglichen Versuch, mit der Vergangenheit im Wege von Gerichtsverfahren fertig zu werden, endlich zu Ende gekommen sind.

    (Zurufe.)

    — Nein, der Herr Naumann hat sich jetzt in einen Schlupfwinkel verkrochen, und von unserer aktiven Leistung hängt es ab, daß er es niemals mehr wagen wird, ans politische Tageslicht zu kommen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Herr Kollege Schoettle hat eine ernste Frage angeschnitten, die die Solidität unseres Staates, das Ausgewogensein der Funktionen des Staates berührt. Er sprach von dem geringen Ansehen des Bundestages und seiner Arbeit. Er hat mit Bedauern festgestellt, daß ,das so weit geht, daß man selbst in dem amtlicher Bulletin der Bundesregierung monate-, vierteljahrelang die Tätigkeit des Bundestages und seine Existenz nicht erwähnt findet und daß dann in der Öffentlichkeit der Eindruck ,des „schwachen Bundestages" entsteht sowie die Auffassung, daß der Bundestag durch einzelne Persönlichkeiten der Bundesregierung, durch den Bundeskanzler, durch den Bundesfinanzminister, um dessen Person sich unsere heutige Debatte besonders bewegt, überdeckt wird und in ihrem Schatten steht. Ich gehe mit Herrn Kollegen Schoettle durchaus einig, daß das nicht sein darf. Die Souveränität unseres Volkes ist dem Bundestag, dem Parlament, ,der Volksvertretung übertragen. Ich sage das durchaus bewußt auch aus meiner Erfahrung und aus der Sicht, die ich in den letzten vier Jahren von dem Podium des Ministersessels her hatte.

    (Abg. Blachstein: Eine Polemik gegen den ehemaligen Minister?)

    — Nun, ich gehe mit meinem väterlichen Freund Adenauer darin einig, daß man immer etwas lernen kann. Das ist das Wertvolle, daß man die Dinge auch einmal von der anderen Seite sieht und vielleicht die Qualität gewinnt, sie ins rechte Lot zu bringen.

    (Heiterkeit.)

    Wir haben die Regierung unglaublich stark gemacht dadurch, daß der gewählte Bundeskanzler praktisch während ,der Wahlperiode nicht abberufen werden kann, daß nur das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum — im allgemeinen wenigstens — zu diesem Ergebnis führen könnte. Darin liegt auch eine Gefahr, die Gefahr einer Überheblichkeit der Bundesregierung, die Gefahr, daß man den Wert und die Bedeutung des Bundestages nicht richtig einschätzt. Ich werde häufig an ein mir politisch wichtig erscheinendes Gespräch erinnert, das der geniale Wissenschaftler und Politiker Max Weber im Frühjahr des Jahres 1919 mit Ludendorff, mit dem eben gestürzten Diktator, geführt hat. Da fragt Ludendorff, ob denn die Demokratie, die man jetzt praktiziere, richtig sei. Max Weber hat das sehr nachdrücklich abgelehnt und hat seinen Standpunkt, seine Vorstellung von der Demokratie so umschrieben: „In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht hineinreden. Nachher kann das Volk richten. Hat der Führer" — so sagt Max Weber — „Fehler gemacht, dann an den Galgen mit ihm!" — Nun, ich halte nicht viel von der Prozedur des Aufknüpfens; ich halte aber auch diese Form ,der Demokratie für falsch, als dem Wesen der repräsentativen Demokratie widerstreitend. Ich glaube, man soll die Bundesregierung trotz der Machtfülle, die sie hat, davor warnen, eine solche Demokratie verwirklichen zu wollen.

    (Zuruf von der Mitte: Sollen wir es machen, wie es in Frankreich ist?)

    — Wir wollen nicht, daß die Fehlentwicklungen, wie sie in Frankreich und Italien, das sich jetzt ja in solchen Krisen wieder schmerzlich bewegt, zu verzeichnen sind, bei uns eintreten. Dafür haben wir im Parlamentarischen Rat gesorgt. Nein, worum es mir geht, ist, daß die Regierung engste Fühlung mit dem Parlament hat, daß die Willensbildung im Wesentlichen, im Grundsätzlichen beim Parlament liegt und von der Regierung geachtet, respektiert wird. Daß dieses Verhältnis zwischen Exekutive und Parlament nicht restlos glücklich und harmonisch ist, das ist ja heute schon aufgeklungen.
    Herr Schoettle meint zwar, das Ideal sei, wie der englische Schatzkanzler mit der roten Mappe ins Parlament komme und vorher das Geheimnis seines Budgets nicht lüfte. Nun, ,die Dinge sind bei uns anders, und ich empfinde gerade den entgegengesetzten Mangel, daß Gesetze beraten werden, von deren Referentenentwürfen Gott und die Welt Kenntnis haben, deren Entwürfe mit den Verbänden und mit den Landesregierungen erörtert werden, und daß wir dann vor relativ vollendete Tatsachen gestellt werden. Man braucht sich nur der Tatsache bewußt zu werden, daß die pressure groups nicht mehr in die lobbies des Parlaments gehen, sondern daß sie die Klinken der Referententüren in den Ministerien putzen, um zu wissen, welche Verschiebung der Machtfülle sich ergeben hat.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das darf nicht sein.
    In diesem Zusammenhang bitte ich, daß das geschieht, was ich auch als Justizminister immer für richtig gehalten habe: von vornherein bei Gesetzgebungsprojekten die zuständigen Vertreter der Fraktionen, die Fachreferenten des Bundestags zur Diskussion zuzuziehen. In meiner Fraktion ist einmal bei der Kritik dieser Dinge der Gedanke hoch-


    (Dr. Dehler)

    gekommen, im Wege einer Änderung des Grundgesetzes der Bundesregierung das Initiativrecht für Gesetze zu entziehen und zu sagen, nur dann wird auf dem Gebiet der Gesetzgebung richtig vorgegangen, wenn ausschließlich das Parlament das Initiativrecht hat. Das wäre eine sehr radikale Kur. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, wie in zunehmendem Maße das Schwergewicht der Entwicklung bei den Ministerien, bei der Ministerialbürokratie liegt und wie der Einfluß des Parlaments immer mehr zurückgedrängt wird, dann muß man sich ernstlich überlegen, wie man diese Entwicklung kupieren kann.

    (Abg. Dr. Vogel: Wie wollen Sie das technisch machen?)

    — Wir haben schon viele Möglichkeiten — beispielsweise den Dokumentardienst — erwogen. Vor allen Dingen muß — ich habe das schon gefordert
    — die Regierung in dauerndem Kontakt mit uns sein. Was die Verbände 'draußen wissen, das müssen wir schon längst vorher wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Ich möchte diesen Rat auch ein klein bißchen in das Kabinett für dessen interne Arbeit hineinreichen. Das heute schon erwähnte Kriegsschädenschlußgesetz, ein derart wichtiges Gesetz, an das sich die Hoffnungen und die Befürchtungen von Millionen von Menschen heften, wird ängstlich von den Referenten eines Ministeriums erwogen, um es als Knalleffekt auf den Tisch zu legen und Milliarden von Werten — von fiktiven und vielleicht auch von realen Werten — zu vernichten. Hier muß es die Demokratie auch in den kleineren Gremien geben. So große Aufgaben können nur im Zusammenwirken gelöst werden.
    Ich spreche von den Spannungen zwischen Bundesregierung und Bundestag. Sie sind doch mehrfach aufgetreten. Im empfinde es immer noch — das muß ich wieder einmal sagen — als unverständlich, daß der wiederholte Beschluß des Bundestages, den Bundesgrenzschutz auf 20 000 Mann zu erhöhen — nach meiner Meinung eine wirklich echte staatliche Pflicht —, nicht erfüllt worden ist aus Gründen, die ich nicht recht einsehe. Dafür konnte es keine finanziellen Hemmungen geben.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Strauß: Platow-Amnestie! — Heiterkeit.)

    — Mein Lieber Freund Franz-Josef, da bleibt nichts erspart!

    (Erneute Heiterkeit.)

    Zunächst einmal das nicht eingelöste Versprechen der Reform des Rentenwesens. Diese brennende Frage muß doch gelöst werden. Wir haben nur Versprechungen und keine wirklich konstruktiven Vorschläge erhalten. Weiter das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und damit das ganze Problem, das der Herr Kollege Schoettle — ich hätte ihn gern ein bißchen als Gesprächspartner hier gehabt —

    (Abg. Mellies: Er kommt gleich zurück!) angeschnitten hat, — eine wichtige Frage.

    Wir haben der Bundesregierung mit vollem Bedacht die Waffe des Art. 113 des Grundgesetzes gegeben. Mein verstorbener Parteifreund, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Höpker-Aschoff, ist der Vater dieser Bestimmung. Ich halte sie nach wie vor für richtig. Daß das eine starke
    Waffe in der Hand der Bundesregierung ist, ist zuzugestehen, aber eine richtige Waffe, die nur geschwungen werden muß, wenn das Parlament seine Verpflichtung, keine Ausgabe ohne Deckung zu beschließen, mißachtet hat. Kollege Schoettle ist der Meinung, das Budgetrecht des Parlaments sei durch diese Bestimmung weitgehend ausgehöhlt. Ich bin anderer Meinung. Selbstverständlich untersteht auch das Parlament dem Grundgesetz und der grundgesetzlichen Verpflichtung, daß der Haushalt ausgeglichen sein muß. Nicht nur der Bundesfinanzminister, sondern auch das Parlament würde seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen verletzen, wenn es sich über diese Forderung des Grundgesetzes hinwegsetzte. Es ist die Frage: Soll die Pflicht des Parlaments, keine Ausgabenmehrung und keine Einnahmenminderung ohne die entsprechende Deckung zu beschließen, im Grundgesetz, in der Geschäftsordnung ausdrücklich festgelegt werden? Man kann darüber verschiedener Meinung sein. Ich meine, es bedarf gar nicht der Festlegung. Der § 96 der Geschäftsordnung ist in diesen Bestimmungen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Es ist ein Urteil, das mich nicht überzeugt hat, ich bedauere es; die Bestimmung hätte ausgereicht. Aber abgesehen von jeder Bestimmung im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung besteht diese Verpflichtung. Daß die Würde des Parlaments auch weitgehend von seiner Selbstzucht abhängt, ist uns bewußt.
    Nun zur Platow-Amnestie, um dem Minister für besondere Aufgaben, Herrn Strauß, zu entsprechen, auch für die besondere Aufgabe, die bajuwarische Verbindung mit mir zu pflegen.

    (Heiterkeit.)

    Ich stehe hier — es ist psychologisch ganz interessant — so mitten im Feuer. Ich habe diese Platow-Amnestie nicht ausgefertigt,

    (Bravo-Rufe rechts)

    weil ich sie für verfassungswidrig halte. Das ist auch heute noch meine Meinung. Ich bin der Ansicht, daß die Verfassungswidrigkeit auch nicht dadurch beseitigt würde, daß diese „Amnestie" in ein allgemeines Amnestiegesetz, aber doch wieder auf diese Fälle beschränkt, eingebaut würde.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ich habe die Gegenzeichnung verweigert. Meiner Unterschrift bedurfte es übrigens nach dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung nicht; denn es genügt die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers. Der Ressortminister ist für die Promulgation nicht vonnöten. Ich habe bei der Behandlung dieses Entwurfs im Vermittlungsausschuß klar erklärt — das wußte der Bundestag, das wußte der Bundesrat —: Ich werde dieses Gesetz niemals unterschreiben. Ich will jetzt nicht darüber rechten, ob ich dazu befugt bin.

    (Abg. Mellies: Es wäre aber interessant! Das ist nämlich die entscheidende Frage!)

    Ich habe als Minister nie ein Gesetz unterschrieben, das ich für verfassungswidrig hielt. Wenn ich jemals wieder in diese Situation käme, würde ich es wieder so halten. Aber die Frage ist, wie dieser Konflikt auszutragen ist. Ich habe es in diesem Hause schon einmal gesagt. Ich bin allerdings der Meinung, das ist ein echter politischer Konflikt. Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag, Minister — zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Es besteht auf jeden Fall kein


    (Dr. Dehler)

    Zwang. Ich bin der Meinung, daß der Ressortminister, der in diesem Konflikt mit dem Parlament steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen wird, die Konsequenzen ziehen und zurücktreten muß.

    (Zurufe von der SPD: So ist es richtig! — Weitere Zurufe links.)

    Daß ich diese Konsequenz auch gezogen hätte, dessen dürfen Sie gewiß sein.
    Das sind Fälle der richtigen, echten Konflikte zwischen Bundestag und Bundesregierung, und ich meine, die Bundesregierung hätte allen Anlaß, ihrerseits alles zu tun, was die Würde und das Ansehen des Parlaments, des Bundestags, steigert.
    Dem Bundestag droht noch von einer anderen Exekutive her eine erhebliche Gefahr: vom Bundesrat, der nichts anderes ist als Länderexekutive, Zusammenfassung der Länderregierungen. Es ist auch eine unglückliche Entwicklung der letzten Jahre, daß die Macht und auch die Machtansprüche des Bundesrats fortgesetzt gesteigert worden sind. Sie kennen das schwierige Problem. An sich sollte doch der Bundesrat kein echtes Parlament sein; er ist es ja auch nach seiner Struktur nicht. Der Bundesrat sollte nur die Interessen der Länder in der Bundesgesetzgebung, in der Verwaltung des Bundes sichern. In Wirklichkeit ist er schon weitgehend ein zweites Parlament geworden,

    (Sehr richtig! rechts)

    d. h. unsere gesamte Gesetzgebung ist von der Zustimmung dieser Exekutive abhängig. Eine merkwürdige Fehlentwicklung! Sie wissen, wie das gelaufen ist. Ich bin leider nicht ganz schuldlos daran. Man hat sich auf den Standpunkt gestellt, wenn auch nur eine Bestimmung eines Gesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedarf, muß das ganze Gesetz diese Zustimmung erhalten, und wenn hinterher irgendeine Bestimmung eines solchen mit Zustimmung des Bundesrates angenommenen Gesetzes geändert werden soll, muß wiederum die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden, obwohl die zu ändernde Bestimmung mit den Rechten des Bundesrates und der Länder gar nichts zu tun hat. In Kürze wird es also gar kein Gesetz mehr geben, das nicht von der Zustimmung des Bundesrates abhängig ist. Eine sehr unglückliche Entwicklung, die wir nach meiner Meinung abstoppen müssen, wenn nicht die Rechte dieses Hauses weitgehend beschränkt werden sollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir dürfen aber auch nicht den Fehler begehen, unsere Rechte noch selber weiterhin zu beschneiden. Wenn man vom Bundeswirtschaftsrat als einer notwendigen Institution träumt, so möchte ich nur warnen; er würde doch nur Funktionen auf Ihre Kosten, auf Kosten des Parlaments bekommen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Viele Gefahrenmomente der letzten Jahre, die die Rechte des Staates und des Parlaments bedrohten, sind, glaube ich, gebannt. Es wird nicht wiederkommen, daß die Gewerkschaften oder daß irgendwelche anderen Verbände aufmarschieren, Druck ausüben, Ihre Willensentscheidung zu beeinflussen versuchen. Denken wir an das, was mit dem unglückseligen Gesetz über die Mitbestimmung auf dem Gebiete von Eisen und Kohle geschah. In jeder Beziehung ein schwarzes Gesetz!

    (Abg. Sabel: Warum? — Weitere Zurufe.)

    — Ja, ein gefährliches, vieldeutiges Wort! Man
    kann gar nicht sagen, wie schwarz dieses Gesetz
    ist. Auf jeden Fall ein schwarzer Tag, an dem es beschlossen wurde.

    (Heiterkeit.)

    Ich glaube, es wird nicht wiederkehren.
    Ein anderes Problem, das hochkommt und das nicht nur mit den Rechten des Bundestags, sondern mit den Rechten des Staates überhaupt im engen Zusammenhang steht. Wir müssen, glaube ich, einmal darüber sprechen, nämlich über das Verhältnis von Staat und Kirche, über die Frage, wo die Grenzen des Staates, die Grenzen seiner Gesetzgebungsmacht, die Grenzen der Aufgaben des Staates enden, wo die der Kirche beginnen. Viele sind in letzter Zeit hochgekommen: Reform des Ehegesetzes; die Forderung auf Erschwerung der Ehescheidung; die Beseitigung der obligatorischen standesamtlichen, zivilen Trauung. Das sind alles die res mixtae, gemeinsame Angelegenheiten der Kirche und des Staates, die eine Lösung erfahren müssen. Man kann das Problem nicht nebenbei behandeln,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Nein, das kann man nicht!)

    Aber es ist, glaube ich, des Bestrebens der Edelsten in diesem Hause wert, hier klare Verhältnisse zu schaffen. Wir leben in einem säkularisierten Staate, in einem Staate mit mehreren christlichen Kirchen. Die Zeiten der Vermengung der kirchlichen und der staatlichen Sphäre sind weit von uns entfernt und werden nicht wiederkehren. Man sollte auch meinen, wenn sich der Staat darauf beschränkt, Ordnung zu stiften und Ordnung zu bewahren, wenn er vollkommen davon Abstand nimmt, in die Ordnungen der Kirche einzugreifen, müßte dieser unselige Streit zwischen Staat und Kirche, der unsere Geschichte so erschwert hat, zu Ende sein. Dann könnte es doch keine Forderungen der Kirchen mehr geben, die ja die Möglichkeit der vollen Religionsfreiheit haben, denen das Feld zur Betreuung der Gläubigen, das Feld zur geistigen Freiheit völlig freigegeben ist. Aber die Wirklichkeit ist anders, ist mit Recht anders. Denn das Glaubensbekenntnis beschränkt sich ja nicht auf die Beziehungen der einzelnen Seele zu Gott und mit Gott; es lebt in einer Gemeinschaft der Gläubigen. — Dadurch entstehen die Reibungsflächen mit dem Staate. Denn der Staat ist eine öffentliche Organisation, und die Kirche ist es nicht minder. Hier klare Verhältnisse zu schaffen, erscheint mir unbedingt erforderlich, auch als die Voraussetzung einer richtigen Diskussion von morgen, für die Auseinandersetzung über das Problem der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe. Die Kirchen, glaube ich, dürfen den Staat nicht überfordern. Die sakramentalen Bindungen einer Ehe — als Beispiel — können nicht vom Staat sanktioniert werden. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, im Gegenteil. Das wäre doch eine Entwertung der religiösen, sakramentalen Bindung des Gläubigen, wenn diese Bindung unter den staatlichen Schutz gestellt würde.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist Sophismus!)

    — Nein, das ist kein Sophismus. Das ist der ehrliche Wille, eine klare Form zu finden und eine Grenze zu ziehen. Da dürfen Sie mir nicht mit einem solchen Vorwurf begegnen. Wer dieses Problem nicht erfaßt, erkennt eine bedeutsame gesellschaftliche und politische Tatsache der Zeit nicht!

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Daß nicht der Wille besteht, den kirchlichen Einfluß zu mindern, haben, wie ich glaube, meine Freunde in den Verfassungen der Länder und im Grundgesetz bewiesen. Wir haben den Kirchen volle Wirkungsmöglichkeit gegeben, und zwar in einem Maße, wie sie die Kirche noch niemals in der Geschichte hatte.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: In der modernsten Geschichte nicht hatten!)

    Ich sage ja, das sind echte Fragestellungen, an die heranzugehen wir den Mut haben müssen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Den haben wir auch!)

    Es sind in der letzten Zeit z. B. von dem Bischof Dibelius Besorgnisse wegen der Allmacht des Staates geäußert worden. Das berührt sich auch mit diesem Problem. Wir lehnen es durchaus ab, daß der Staat allmächtig ist, durchaus ab, daß der Staat das Recht haben soll, in die letzten menschlichen Beziehungen hineinzureichen, da es menschliche Gemeinschaften gibt, die gerade ihre Würde und ihren Wert behalten, wenn der Staat vor ihnen zurückgehalten wird und wenn er nicht die Möglichkeit des Einflusses hat.
    Wenn man dieses echte Problem, das Bischof Dibelius aufwirft, durchdenkt, muß man fragen, wo vor allem die Gefahr liegt, daß die Macht des Staates übermächtig wird. — Wieder vermisse ich den Herrn Schoettle als den Mann, den ich gern ansprechen würde. — Dann sollte man wieder in die Geschichte der letzten Jahrzehnte zurückgehen und fragen, worin die Ursachen liegen, daß sich die Staaten mißentwickelt haben, daß sie zu totalitären Formen gelangt sind. Ich habe schon einmal darzulegen versucht, was die tiefere, die geistige, die politische Ursache dieser Fehlentwicklungen war. Ich sehe in einer geistigen Krisis die Ursache der Entwicklung zum Faschismus, zum Bolschewismus, zum Nationalsozialismus, im Erschlaffen des liberalen Gedankens — eng verbunden mit der Lähmung des rechtsstaatlichen Denkens.
    Wenn wir fragen, welches der richtige Weg, der geistige Weg in die Zukunft ist, dann müssen wir hier wieder anknüpfen. Man könnte sagen, daß ein Satz, den Anatole France einmal gesprochen hat, demonstriert, wo die geistige Fehlentwicklung der letzten 50, 80 Jahre begonnen hat. Dieser Satz wird gerne von Sozialisten und Sozialreformern zitiert. Er ironisiert den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, diesen „majestätischen Grundsatz, nach dem Armen und Reichen verboten ist, unter Brücken zu schlafen, Brot zu stehlen und auf den Straßen zu betteln". Meine Damen und Herren, das war ein Satz, der einer ganzen Generation von Menschen das Wesen des Staates, das Wesen des Rechtes, das Wesen der richtigen Wirtschaft verdorben hat;

    (Sehr gut! links.)

    denn das war ja das Anzweifeln des Rechtes, das für alle gilt, das war das Herunterreißen der Binde von der Justitia, das war das Überbürden der Aufgabe, Ungleiches auszugleichen, auf den Staat, auf die Gemeinschaft, und zwar in der Form des Eingreifens in das Recht, des Eingreifens in Eigentum, in Vertragsfreiheit. Wenn der Staat beginnt, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten auszugleichen, dann kann er ja nicht halt machen vor der Rechtssphäre des einzelnen. Dann bricht er in sie ein, und damit brechen die Stützen einer gesunden Gesellschaft, bricht das Recht.
    Für mich ist das Symbol der Fehlentwicklung der Wirtschaft und des Rechts das, was die beiden zusammenfaßt, das Wirtschaftsstrafrecht. Wir debattieren gerade über die Beseitigung des Wirtschaftsstrafgesetzes. Ich meine, man sollte es so rigoros, wie man nur kann, aus dem Körper unseres Rechtes und unserer Wirtschaft ausschneiden.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wenn der Strafrichter, wenn das Strafgesetz richtiges Wirtschaften erzwingen sollen, dann ist die Wirtschaft krank,

    (Beifall rechts)

    dann bürdet man dem Recht eine Aufgabe auf, die ihm nicht zukommt. Richtiges Wirtschaften muß sich aus den Gesetzen der Wirtschaft ergeben. Daß man den Gedanken des Wirtschaftsstrafrechtes haben konnte, daß man mit mittelalterlichen Vorstellungen wie dem justum pretium, dem gerechten Preis, operierte, dem Kostenpreis, daß man alle Gesetze des echten Wirtschaftens vollkommen mißachtete, ist ein Zeichen einer Fehlentwicklung unserer Wirtschaft und unseres Rechtes.
    Wir bejahen den Staat. Das ist mein Bekenntnis, das immer und immer wieder zu sagen. Ich halte es für so wichtig, daß dieser Staat, daß unser Staat Würde und Ansehen hat, daß es ein Staat ist, der von dem freien Willen seiner Bürger getragen und bejaht wird. Es wäre viel darüber zu sagen, was hier fehlt. Schlimmster Fehler, meine Damen und Herren, ist, wenn man diesen Staat mit Aufgaben überlastet, die ihm nicht zukommen. Es ist sehr interessant, was Herr Schoettle insoweit gesagt hat, was er nochmals wie in einer Apotheose in seinem letzten Satz — aus dem Dortmunder Programm, wenn ich nicht irre — zusammengefaßt hat, in dem er den Satz des Bundesfinanzministers Schäffer, der Staat habe nur Hilfsstellung im Wirtschaftlichen und im Sozialen zu leisten, bekämpfte und meinte, in den letzten hundert Jahren hätten sich so gewaltige Strukturwandlungen vollzogen, die abhängigen Existenzen hätten so gewaltig zugenommen, der Übergang von der Agrarwirtschaft zur gewerblichen, zur industriellen Wirtschaft habe solche Strukturumbrüche bedeutet, verbunden mit den gewaltigen Erschütterungen der beiden Weltkriege, daß die Finanzpolitik ein Instrument der Wirtschaftspolitik sein müsse.
    Ich lehne diesen Satz als grundsätzlich irrig ab und sehe in ihm beinahe das, was uns scheidet, das, was zwischen Ihnen und uns steht, wenn Sie glauben, man müsse mit Mitteln der Finanzpolitik Wirtschaftspolitik treiben. Wir kennen die Tatsachen, die wollen wir nicht negieren. Wir wissen, daß Einflüsse vorhanden sind, und wir kennen die Struktur der öffentlichen Hand. Aber das können wir doch nicht bejahen und hinnehmen, sondern nur als Folgen einer Fehlentwicklung registrieren und uns überlegen, wie wir diese Tatsachen beseitigen.

    (Abg. Schoettle: Herr Kollege Dehler, ich bin jetzt da!)

    — Ja, ich hätte Ihnen schon so viel Schönes zu Ihrer Belehrung sagen wollen; denn ich weiß, Sie sind auf dem rechten Wege.

    (Große Heiterkeit.)

    Ich spreche gerade über Ihre Meinung, die Strukturwandlung der letzten hundert Jahre bedinge die Notwendigkeit, von der Finanzpolitik her wirtschaftspolitisch zu wirken. Sie müssen sich


    (Dr. Dehler)

    einmal das Groteske der Entwicklung unseres politischen und wirtschaftlichen Lebens, nun, seit wann, seit der französischen Revolution vorstellen. Damals begann doch ein Unheil. Wenn man den Gründen nachgeht, dann erkennt man wieder einmal die Ironie unserer Geschichte. Warum der Sturm auf die Bastille unter diesem doch so braven, ordentlichen König Ludwig XVI., der niemandem auch nur ein Haar krümmte, unter relativ sehr günstigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen? Der Sturm auf die Bastille ging darauf zurück, daß die Regierung genötigt war, wegen der Feldzüge in Amerika die Steuern in ganz geringem Umfang zu erhöhen. Und die Entwicklung, meine Damen und Herren, hat damit geendet, daß wir jetzt Steuern zahlen, die der Konfiskation des Einkommens gleichkommen.

    (Beifall.)

    Da sehen Sie die Fehlentwicklung, Herr Kollege Schoettle. Es wäre mir sehr interessant, mit Ihnen einmal darüber zu debattieren, ob diese Entwicklung glücklich oder unglücklich ist und ob man sie nicht mit allen Mitteln beseitigen muß.
    Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß die Interventionspolitik der Roosevelt-Regierung glücklich war, daß das New Deal, das Fair Deal genützt haben? Die Erkenntnis ist doch in Amerika allgemein vorhanden, daß diese Interventionspolitik vom Übel war. Und solange ich im Kabinett war und es wurden Interventionen beschlossen, es wurden Subventionen beschlossen, — ach, nach einem halben Jahr hat sich immer herausgestellt, daß die Dinge ganz anders liefen, als der Ressortminister es sich vorgestellt hatte, daß alle Dinge ins Gegenteil umgeschlagen sind. Ich brauche Ihnen nur in Erinnerung zu rufen, wie sich, wenn wir Futtergetreide freigegeben haben, wenn wir den Preis des Brotgetreides fixiert haben, in kurzer Zeit die Dinge verschoben haben. Denken Sie an die Tragödie des Konsumbrotes! Alle Eingriffe haben sich am Ende als schädlich erwiesen. Ihr Glaube, man könne vom Staat her wirtschaften, ist trotzdem überall, wo Sie kritische Punkte angeschnitten haben, durchgeklungen.
    Sie haben gesagt, es sei gut, daß wir eine richtige Währung haben und sie bewahren. Aber viel wichtiger oder mindestens ebenso wichtig sei, die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen zu schaffen. Ich weiß ja nicht, was Sie für die richtige Relation halten, und noch weniger weiß ich, in wessen Ermessen Sie die Feststellung der richtigen Relation legen wollen. Ich habe die verdammte Sorge: in die Hand der Exekutive, in die Hand der Leute am grünen Tisch. Ein gefährlicher Weg, Herr Schoettle! Hier irren Sie wieder einmal.

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Sie wissen ja gar nicht, ob ich Ihre Prämisse akzeptiere!)

    — So haben Sie es doch dargelegt!

    (Abg. Schoettle: Nein! Da geht Ihre Phantasie wieder einmal mit Ihnen durch!)

    — Bitte, wie soll ich das verstehen? Sie verlangen von der Regierung, dafür zu sorgen, daß die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen hergestellt wird. Sie verlangen also behördliche Maßnahmen, während wir, die wir für die wirtschaftliche Freiheit eintreten, daran glauben, daß allein aus der Entwicklung der Wirtschaft diese richtige Relation entsteht, und die Entwicklung der letzten sechs Jahre gibt uns ja weitgehend recht.
    Sie sagen, das Preisgefüge sei in Bewegung, und sprechen davon, wie notwendig es sei, ein richtiges soziales Klima zu schaffen, gerade im Hinblick darauf, daß die Bundesrepublik zwischen Osten und Westen liege, etwas Besonderes zu tun. Ja, was wollen Sie denn wieder „Besonderes"? Behördliche Maßnahmen! Etwas anderes können Sie ja nicht wollen. Aber damit verderben Sie, Herr Schoettle, Sie wackerer Schwabe, die richtige Wirtschaft!

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Ist auch eine schöne Wirtschaft!)

    Ich will Ihnen hier nicht Ihre Sünden vorhalten. Sie haben Herrn Schäffer vorgeworfen, er habe sich bei der Unterstellung, daß das Sozialprodukt wieder um 5 Prozent steigen werde, zu optimistisch verhalten. Wenn einer nicht optimistisch ist, dann er! Ich weiß das doch aus den Beratungen der Haushalte im Kabinett! Wir haben ihm unseren Optimismus immer — na, das darf ich vielleicht nicht sagen — suggeriert!

    (Heiterkeit.)

    Wir haben ihn gezwungen, optimistisch zu sein, und das hat sich auch rentiert.

    (Abg. Schoettle: Fragt sich nur, für wen!)

    Aber Sie, lieber Herr Schoettle, Sie leben im Pessimismus.

    (Lachen bei der SPD.)

    Das war schon im Wirtschaftsrat der Fall. Ich habe es mir nur erzählen lassen; aber die anwesenden Herren von Wellhausen bis Mellies waren doch in Frankfurt und wissen es doch noch!

    (Abg. Mellies: Ich habe aber nichts erzählt!)

    Ich halte es geradezu für gefährlich, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie hier an dieser Stelle für unser Volk vor dem Optimismus des Bundesfinanzministers warnen und damit natürlich den Optimismus unseres Bundeswirtschaftsministers schon gröblich schelten, denn der geht ja viel weiter.

    (Heiterkeit.)

    Aus diesem Pessimismus, Herr Schoettle, wächst doch gar nichts. Ich meine, Sie sollten gelernt haben: Als meine Freunde zusammen mit Ludwig Erhard und seinen damaligen Parteifreunden im Wirtschaftsrat in Frankfurt darangingen, in kühnem Entschluß die gewerbliche Wirtschaft zusammen mit der Währung von den Fesseln zu befreien, die Wirtschaft freizugeben und die Zwangswirtschaft aufzuheben, da kamen Sie mit dem gleichen Pessimismus und haben gewarnt. Man sagt, Sie hätten aufgezählt, in wieviel Jahren bei diesem Leichtsinn jemand ein Paar Schuhe oder ein Hemd bekäme. Der Optimismus hat recht behalten und der Optimismus wird weiter recht behalten. Aber, meine Damen und Herren und Sie, Herr Schoettle, müssen auch wissen: Konjunktur ist auch eine Sache des Willens, ist weitgehend eine Sache der Lebenskraft, und es ist gefährlich, diese Lebenskraft schmälern zu wollen, pessimistische Worte hinauszusenden und den Glauben aller deutschen Menschen an die Richtigkeit ihrer Wirtschaft in Zweifel zu ziehen.
    Ich will einmal sagen, was unsere Meinung über dieses Problem Staat und Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung: Im wirtschaftlich-sozialen Bereich so wenig Staat wie nur irgend möglich. Der Staat hat nicht zu wirtschaften!

    (Beifall rechts.)



    (Dr. Dehler)

    Das ist die große Gefahr: Wenn der Staat die Wirtschaft beherrscht, dann regelt er nicht nur die Wirtschaft, sondern er herrscht auch über die wirtschaftenden Menschen; dann beginnt die Entwicklung zum Totalitären, dann beginnt der Verzicht auf die echte Freiheit der Menschen.
    Wir sagen auf der anderen Seite: So viel Staat wie nötig, um die Voraussetzungen des fairen Wettbewerbs, des Leistungswettbewerbs zu sichern! So viel Staat wie erforderlich, um die Spielregeln für die richtige Wirtschaft aufzustellen und zu überwachen! So viel Staat, als notwendig ist, um möglichst viel privates Eigentum zu schaffen, um Gleichgewichtsstörungen zu verhindern und um besonders denen, die sozial leiden, zu helfen.
    Nun, die Rolle des Lehrers, des wirtschaftspolitischen Lehrers gegenüber einem so erfahrenen Mann wie Ihnen, Herr Schoettle, steht mir nicht zu.

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Warum so bescheiden, Herr Dr. Dehler?)

    — Ja, warten Sie nur! — Ich kann Sie auf viel kompetentere Leute verweisen, auf Menschen, die aus Ihrem Kreise kommen, und die auf dem Wege der Erkenntnis — sie sind auch älter —

    (erneute Heiterkeit in der Mitte und rechts)

    schon etwas weiter fortgeschritten sind.
    Sicher sind Ihnen die Briefe oder ist Ihnen wenigstens der erste Brief des Kreises, der den schönen Namen Ihres von uns allen verehrten verstorbenen Parteifreundes, des Bürgermeisters Ernst Reuter, trägt, zu Gesicht gekommen.

    (Zuruf von der SPD: Ach, du lieber Gott!)

    Niederschlag der Erfahrung eines Lebens! Wir
    wollen es doch einmal feststellen: das bedeutet so
    viel! Was hier gesagt wird, könnte das öffentliche
    Leben so weitgehend entgiften, könnte die echte
    Grundlage für ein gemeinsames Wirken aller
    Deutschen schaffen, daß man diesen Brief des
    Ernst-Reuter-Kreises gar nicht überschätzen kann.

    (Abg. Mellies: Versuchen Sie solche Ermahnungen einmal Herrn Euler gegenüber, Herr Dehler!)

    Aber es ist merkwürdig, welcher Kontrast noch zwischen dem besteht, was uns Herr Schoettle heute wirtschaftspolitisch gesagt hat, und dem, was dort als Erkenntnis niedergelegt ist: der restlose Verzicht auf alle marxistischen Vorstellungen, das Verwerfen des Gedankens, daß der Klassenkampf die wirkende geschichtliche Kraft sei. Man gibt den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf; man weiß genau, daß das Kapital die Voraussetzung für die Arbeit, die Grundlage für die Existenz der arbeitenden Menschen ist. Man gibt die Lehre auf, daß die Menschen zunehmend proletarisiert würden, eine Lehre, die auch ebensowenig richtig ist wie die Behauptung, die Zahl der abhängigen Existenzen habe zugenommen. Der Mittelstand ist doch weiter gestreut als je. Denken Sie nur daran, was eine Erfindung wie der Kraftwagen an neuen selbständigen Existenzen ermöglicht hat! So revolutionäre Vorstellungen sind dort jetzt lebendig wie die, daß der Lohn nun wahrlich nicht eine kapitalistische Ausbeutung bedeutet oder der Zins Ausdruck eines kapitalistischen Wuchers ist, sondern daß es echte volkswirtschaftliche Funktionen sind, die man nur volkswirtschaftlich und nicht etwa klassenkämpferisch beeinflussen kann. Ich kann Ihnen also nur raten, diesen
    Brief als Morgengebet und als Abendgebet zu lesen;

    (Heiterkeit rechts)

    dann wird unsere nächste Haushaltsdebatte noch viel einfacher sein.

    (Beifall rechts.)

    Nun noch eine andere Frage. Wenn ich, meine Damen und Herren, vom Rechtsstaat und seiner Bedeutung spreche als Voraussetzung dafür, daß jede Entartung unserer Demokratie vermieden wird, so heißt das: Substanz der Demokratie ist der Rechtsstaat, und nur wenn wir ihn kräftig bewahren, wird dieser Staat bestehen. Ich bin unglücklich über die Entwicklung unserer Gerichtsbarkeit im Institutionellen. Wir schaffen jetzt gerade das Obere Bundesgericht für Arbeit, das Obere Soziale Bundesgericht; wir haben geschaffen den Bundesfinanzhof und das Bundesverwaltungsgericht neben dem Bundesgerichtshof. Also fünf obere Bundesgerichte. Ich sehe darin keine glückliche Entwicklung. Für eine spätere Zeit müßte man, glaube ich, die Einheit des Rechts und die Einheit der Gerichtsbarkeit auch in dieser Hinsicht wieder anstreben. Ich sehe auf jeden Fall aber eine unglückliche Entwicklung in der Tatsache, daß die Verwaltung auch dieser Sondergerichtszweige nicht bei den Justizministern der Länder und beim Bundesjustizminister zusammengefaßt ist, sondern bei den Ressortministerien liegt,

    (Sehr richtig! rechts)

    also beim Arbeitsminister, beim Finanzminister, beim Innenminister — alles Minister, die zu leicht geneigt sein könnten, diese Gerichte als eine Funktion ihres Ressorts zu empfinden,

    (Zustimmung rechts und in der Mitte)

    mit der Gefahr der Fehlentwicklung im Persönlichen und in der Gerichtsbarkeit.
    Bundesverfassungsgericht! Ich habe schon von seiner Bedeutung gesprochen. Es ist uns allen bewußt, auch den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, daß die jetzige Struktur nicht glücklich ist, und ich glaube, es ist erforderlich zu sagen, daß wir möglichst bald an eine Reform des Gerichts und damit des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes herangehen müßten, daß wir besonders das „Zwillingsgericht" beseitigen und nur e i n Gericht schaffen müssen, vielleicht die Zahl der Richter dann verringern, daß wir — es ist mein persönlicher Wunsch — das richterliche Element, das gewachsene richterliche Element, in dem Gericht verstärken, vielleicht auch daran denken müssen, das Wahlverfahren im Bundestag zu ändern. Es hat versagt; ich meine die Tatsache, daß ein Sitz des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts seit anderthalb Jahren unbesetzt ist — ein schwerer Vorwurf.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das kann nicht fortdauern und verlangt eine Änderung.
    Rechtsstaat! Unser Staat ist schwach. Mit Sorgen sehen wir die Mängel im Verfassungsschutz. Darüber wäre viel zu sagen, z. B., daß es nicht möglich ist, vom Bundesamt für Verfassungsschutz her die Tätigkeit der Landesämter für Verfassungsschutz zu koordinieren, ihnen Weisungen zu geben. Welch ein unmöglicher Zustand angesichts der Gefahr des Unterminierens, des Unterlaufens, die uns vom Osten her droht!

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Einer entscheidenden politischen Kraft unseres Staates möchte ich anerkennend gedenken: der Presse. Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre überdenkt, dann erkennt man, was sich hier zum Guten gewendet hat, wie groß schon die Zahl der Persönlichkeiten ist, die in der Presse wirken und die ein politisches Gepräge haben, die das repräsentieren, was wir für eine gesunde Demokratie brauchen: die öffentliche Meinung, die in ihrer Person gegründete öffentliche Meinung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich greife das auf, was meine Vorredner gesagt haben: daß diese öffentliche Meinung nicht nur in der Presse, sondern auch im Film, auch in der Kunst nicht beschränkt werden darf und daß es keine Erwägung der Staatsräson gibt, die das Recht geben würde, die Rechte der Presse, der öffentlichen Meinung, das Recht auf freie Information zu schmälern.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Man kann allerdings andererseits auch an die Pflicht der Presse mahnen, der Macht eingedenk zu sein, die sie in der Hand hat. Die Selbstzucht ist in der Demokratie — das gilt für alle, die politisch wirken — höchstes Gesetz.
    Darf ich in diesem Zusammenhang etwas Böses sagen, etwas, das mich erschüttert hat, etwas, das das Lob, das ich eben gespendet habe, zu schmälern geeignet ist. Ausgerechnet die „Bayerische Staatszeitung" vom 9. Januar 1954 bringt einen Artikel „Tragische Alternative — Idee und Wirklichkeit der preußischen Macht", der sich mit einer Fiktion des Preußentums auseinandersetzt und folgendermaßen endet:
    Es sieht fast so aus, als stehe das deutsche Volk vor der Alternative, entweder in einem preußischen oder in gar keinem Staat zu leben, .eine Wahl, die gleichbedeutend ist mit der zwischen der nationalen Katastrophe und der Aufgabe des nationalen Daseins. Im Hinblick auf diesen tragischen Sachverhalt ist es verständlich,
    — achten Sie auf jedes Wort! —
    wenn heute deutsche Patrioten in der Demarkationslinie ein
    — man muß sich schämen! —
    politisches Aktivum erblicken

    (Pfui-Rufe bei der FDP und bei der SPD — Zurufe)

    — in dem Eisernen Vorhang, Herr Strauß; die Zeitung Ihres Staates! —

    (Zurufe von der SPD)

    und zur Revision dieses Standpunktes erst dann bereit wären, wenn es eine Bürgschaft dafür gibt, daß das vereinigte Deutschland kein wiedererstandenes Preußen wird.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Da weiß man, was die Pflicht der öffentlichen Meinung ist. Und das in einer vom Staate herausgegebenen Zeitung!
    Vieles wäre noch zu sagen, natürlich auch zur Wirtschaft. Ich habe schon manches in der Auseinandersetzung mit dem von mir wirklich sehr geschätzten Herrn Schoettle gesagt. Herr Krone hat seinerseits die Dinge bereits richtig beleuchtet. Von einer richtigen Wirtschaftspolitik wird weitgehend unser Schicksal abhängen, nicht von einem „Wirtschaftswunder". Das Wort höre ich ebenso wenig gern wie Sie, Herr Schoettle. Was sich in den letzten Jahren vollzogen hat, ist kein Wunder, sondern es ist wirklich eine Wirtschaft ohne Wunder. Es ist eine Wirtschaft, gegründet auf die richtigen wirtschaftlichen Erkenntnisse, die mit Mut angewandt worden sind. Das ist diese Wirtschaft.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Da ist kein Wunder geschehen. Wenn man das annehmen würde, würde man die Leistungen der letzten Jahre verringern. Nein, Männer, die das Richtige gesehen haben, haben die Entschlossenheit gehabt, ihre richtigen Erkenntnisse zu verwirklichen.

    (Abg. Heiland: Was hätten Sie wohl ohne den Korea-Boom gemacht, Herr Dehler? — Zuruf von der SPD: Viel Glück war dabei!)

    — Natürlich, Herr Heiland, gibt es immer Stimulantia. Aber ich will Ihnen erzählen, wie gut wir die Dinge nach Korea gemacht haben. Das erzähle ich Ihnen gern! Wir wollen dann fragen, was Sie damals gemacht hätten, wenn Sie auf der Regierungsbank gesessen hätten!? Ich hatte kürzlich die Gelegenheit — ich darf es etwas anekdotisch erzählen —, in Köln vor der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung — so heißt sie, glaube ich
    — zu sprechen, vor Professoren, Wirtschaftlern usw. Vorsitzender ist der Sohn unseres Bundeskanzlers, der Herr Oberstadtdirektor Dr. Max Adenauer. Ich habe ihn und die Anwesenden gefragt, was sie für die größte konkrete wirtschaftspolitische Leistung des ersten Bundeskabinetts halten. Ich habe es nicht erfahren. Auch der Sohn des Kanzlers weiß nicht, was die größte wirtschaftspolitische Leistung seines Vaters ist. Das ist ein Moment, das einem vor Augen führt, wie schwer die Demokratie zu praktizieren ist, wie schwer es ist, den Menschen nahezubringen, was wichtig ist. Aber ich darf wenigstens Herrn Heiland sagen, was ich für wichtig halte: so wie die Bundesregierung sich nach Korea verhalten hat, das war ihre größte Leistung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun, die Haltung war damals — ich will es Ihnen erzählen — im Bundeskabinett auch gar nicht einhellig. Im Gegenteil, die Mehrheit im Kabinett war dafür, wir müßten in der gleichen Weise wie die anderen Staaten, wie das reiche Amerika, wie England, Frankreich usw. angesichts des riesigen Booms auf dem Rohstoffmarkt, angesichts der Steigerung der Preise für die lebensnotwendigen Rohstoffe um Hunderte von Punkten dazu übergehen, Höchstpreise einzuführen, Verwendungsverbote zu erlassen usw. Das Kabinett hat — das ist ja schon historisch, deswegen darf ich es erzählen — einen solchen Beschluß gefaßt.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: So!? — Große Heiterkeit.)

    — Ich kann es nicht leugnen. Ich weiß, damals haben die Herren Sozialdemokraten sich doch königlich gefreut, daß die Bundesregierung nun bei der ersten Gelegenheit — das hat Dr. Kurt Schumacher gesagt — mit ihren Thesen Schiffbruch erleide, daß die freie Marktwirtschaft schon beim ersten Windstoß zusammenkrache und daß die Bundesregierung reumütig zu dem zurückkehren müsse, was Herr Schoettle heute noch für richtig hält: zu Maßnahmen ,des Staates.

    (Abg. Schoettle: Machen Sie es doch bloß nicht zu billig, Herr Dehler!)



    (Dr. Dehler)

    — Ja, so war es. Wir hatten die Verordnung damals sogar schon ausgearbeitet und haben sie dann in der Schublade liegen lassen. Ich empfinde es als eine Leistung meiner Partei, meiner Freunde, meiner Kollegen im Kabinett, auch meines Freundes Preusker, dem jetzt mit Recht ein Kabinettsrang zuerkannt worden ist — was die anderen angeht, so darf ich das jetzt nicht weiter ausspinnen —,

    (Heiterkeit)

    daß die freie Wirtschaft aufrechterhalten worden ist, daß wir auch diese Belastungen mit den Gesetzen der echten, richtigen Wirtschaft von Angebot und Nachfrage aufgefangen haben. Was war der Erfolg, Herr Schoettle? Daß die deutsche Wirtschaft die geringste Preissteigerung in der Welt erfahren hat und daß diese Preissteigerung, die in Frankreich jetzt noch mit 30, 40 % vorhanden ist, restlos überwunden ist. Wir haben Korea gemeistert. Wären Sie auf ,der Regierungsbank gesessen, so wären wir mit Ihnen in die schönste Zwangswirtschaft hineingeschlittert,

    (Sehr richtig! rechts)

    aus der man sich nie mehr herauslösen kann. Meine Parteifreunde haben in entschlossener Weise jederzeit die Ziele der Marktwirtschaft vertreten und werden das auch in der Zukunft tun. Wir sind stolz darauf, daß wir in der Koreakrisis nicht wie andere schwankend geworden sind und die Nerven verloren haben, sondern die Dinge durchgestanden haben. Wir waren an den Steuersenkungen der letzten Jahre maßgebend beteiligt. Wir haben uns initiativ dafür eingesetzt und haben geholfen, daß die Engpässe auf den Gebieten des Eisens und der Kohle überwunden worden sind und die Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkt zu überwinden wenigstens begonnen worden ist.
    Wir haben die Fehlentwicklung auf dem Gebiet des Mitbestimmungsrechts mit Erfolg bekämpft und können auch feststellen, daß das Betriebsverfassungsgesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben, zu einer echten sozialen Befriedung unserer Wirtschaft geführt hat und daß im Gegensatz dazu das Gesetz über die Mitbestimmung in den Betrieben von Kohle und Eisen als ein Fremdkörper in unserer Wirtschaft erscheint.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das zwingt zu der Konsequenz — das darf ich hier wohl nebenbei sagen —, daß wir der Ausweitungdieses Gesetzes auf Holdinggesellschaften niemals zustimmen werden,

    (Bravo! rechts)

    daß wir viel eher versuchen werden, wie wir dieses unter schlechten Vorzeichen zustande gekommene Gesetz überwinden können.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Wir werden diese Gesetze der richtigen Wirtschaft auch auf anderen Gebieten durchzusetzen versuchen. Ich brauche nur zu sagen: Wohnungszwangswirtschaft. Ich will meinem Freund Preusker nicht ins Geschäft pfuschen, aber wenn's auf mich ankäme, wäre eines meiner ersten Ziele, eine Form der Zwangswirtschaft, die .allen schadet, möglichst rasch zu beseitigen, eine Form, die gegen das Gesetz und gegen das Recht ist. Alles, meine Damen und Herren, was gegen das Recht verstößt, verstößt ja auch immer gegen die wirtschaftliche Vernunft. Glauben Sie mir diesen Satz! Eine Wirtschaftsform, die den Eigentümer entrechtet, als ob ,der Hauseigentümer nur der Wohlhabende und der Mieter der sozial Schwache und der Schützenswerte wäre, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Ich denke an die sehr lebhafte Diskussion, die ich hier geführt habe; damals war der Herr Kollege Jacobi — ich sehe ihn nicht im Saale — mein Widerpart bei der Frage der Aufhebung der Zwangswirtschaft für gewerblich benützte Räume. Die gewerblich benutzten Räume wurden aus der Wohnungszwangswirtschaft herausgenommen. Dabei wurde mir von seiten des Herrn Jacobi an die Wand gemalt, welch 'ungeheure Konsequenzen sich einstellen würden. Ich war damals auf Grund einer Ermächtigung des früheren Reichsjustizministers zusammen mit dem Wirtschaftsminister in der Lage, diese Freigabe durch eine Verordnung, deren Gültigkeit man allerdings bestritten hat, durchzuführen. Man hat damals gesagt: unerhörte Ausbeutung der Mieter von Läden, von Garagen, von Werkstätten. 300 000 Prozesse müßten geführt werden, kündigte Herr Jacobi an. Ich habe ein besonderes Verfahren geschaffen, um diese Prozesse aufzufangen und zu erleichtern. Was hat sich in der Wirklichkeit ergeben? Der Markt der gewerblich benutzten Räume hat sich eingespielt. Die Mieterhöhungen haben sich durchaus reguliert und sind in keiner Weise übersteigert gewesen. Wucherfälle sind so gut wie nicht bekannt. Es sind keine 300 000 Prozesse und keine 3000, sondern im ganzen Bundesgebiet nach meinen Feststellungen etwa 300 geführt worden. Das nur als Beispiel dafür, was richtige Wirtschaftspolitik ist,

    (Hört! Hört! rechts)

    vielleicht auch für das, was Mut ist. Das wird 'allerdings Frau Kollegin Weber wieder beanstanden.

    (Heiterkeit.)

    Sie hört nicht gern etwas von Mut in der Politik.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Doch, ganz besonders gern! — Heiterkeit und Zurufe.)

    Ein Überbleibsel der Zwangswirtschaft: der Kapitalmarkt. Ich kann es nur andeuten. Über die Notwendigkeit, die Währungen konvertibel zu machen, ist viel zu sagen. Das sind die vordringlichen wirtschaftspolitischen Aufgaben, die uns gestellt sind.
    Die Europäisierung der Wirtschaft wird nicht möglich sein nur durch eine Fortführung von Institutionen, durch Aufstockung von Organisationen nach dem Vorbild der Montanunion, sondern nur dadurch, daß man die Gesetze der echten Wirtschaft über die Grenzen hinweg durchführt, 'daß man die letzten Reste der Autarkie beseitigt.
    Wir wissen von den Spannungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht im Kabinett. Auch Herr Schoettle hat davon gesprochen. Gestatten Sie mir, daß ich besondere Erwartungen an die Tätigkeit meines Freundes Blücher knüpfe, der als Vorsitzender des Wirtschaftskabinetts und als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgabe und Fähigkeit hat, diese Spannungen in einem positiven Sinne zu lösen.
    Sollte ich ,auch ein Wort von der Landwirtschaft sagen? Vieles, was Herr Minister Lübke gesagt hat, halte ich persönlich für richtig. Ich bin insbesondere der Meinung: Auch 'die Landwirtschaft wird unter den Gesetzen der Wirtschaft stehen müssen, und Aufgabe des Staates wird nur sein, ungewöhnliche Verhältnisse der deutschen Landwirtschaft zu korrigieren, die Landwirtschaft insoweit zu schützen. Ich habe bei meiner Stellungnahme zur Regierungserklärung die Dinge, die uns vor Augen schweben, dargelegt.


    (Dr. Dehler)

    Das Verkehrsproblem. Herr Schoettle hat es von der finanziellen Seite her erörtert. Wir freuen uns, daß dieses Problem nun, man muß schon sagen, nach einigen verpaßten Jahren, in denen besonders der Verkehrsetat kümmerlich, dürftig ausgestattet war, aufgegriffen wird, und haben Hoffnung auf eine gute Lösung. Ich brauche nicht zu sagen, wie groß die Bedeutung des Verkehrsproblems für ,die nationale und für die internationale Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung, die Bundesbahn muß von den betriebsfremden Belastungen befreit werden. Nur dadurch entsteht die Voraussetzung für einen echten Leistungswettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern. Die Verkehrssicherheit muß erhöht werden durch einen zügigen Ausbau des Straßennetzes mit staatlichen Mitteln und nach meiner Meinungauch mit tragbaren Belastungen der Verkehrsbenützer. Ich gebe Herrn Kollegen Schoettle durchaus recht, wenn er meint, daß der Haushalt hier eine falsche Sparsamkeit übt.
    Über die soziale Situation ist viel zu sagen. Die soziale Frage ist aufs engste mit der Frage der richtigen Wirtschaft verknüpft. Dias haben wir langsam gelernt. Wenn die gewaltigen Belastungen der Etats des Bundes und der Länder zusammen mit den Leistungen der Sozialversicherungsträger jetzt an die 20-Milliarden-Grenze der sozialen Aufwendungen herankommen, dann muß man einmal feststellen, daß dieser Ertrag nur möglich ist durch eine richtig und konsequent durchgeführte Wirtschaftspolitik.
    Ich will nur die Rentenfrage kurz streifen und andere Fragen zurückstellen. Die Kritik am Rentenwesen, die von meinen Freunden und besonders auch von mir geübt worden ist, hat sich als berechtigt erwiesen. Manches ist reformbedürftig. Herr Dr. Wuermeling hat das Problem der Onkelehe aufgegriffen: es ist wirklich ein wunder Punkt. Die Erkenntnis, daß die soziale Leistung des Staates und der Gemeinschaft negative Wirkungen hat, dazu führt, daß Frauen ihre Würde aufgeben, sich gesellschaftlich bloßstellen, nicht erkennen, daß diese Zuwendung nur gedacht war für die Zeit, wo der Ernährer fehlte, und nicht die Konsequenz ziehen wollen, dem anderen Ernährer die Pflicht ihres Unterhalts aufzugeben und auf die Rente zu verzichten,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr richtig!)

    ist ein Teilausschnitt aus dem Gesamtproblem der Fehlentwicklung unseres sozialen Rentenwesens. Ich bin der Meinung, daß das Bundesversorgungsgesetz, das jetzt vier Jahre in der Bewährung ist, überprüft werden muß, daß man nunmehr jene strukturellen Änderungen erwägen muß, die besonders die Versorgung der Schwer- und Schwerstbeschädigten bessern,

    (Sehr richtig! rechts)

    ihnen die Versorgung geben, auf die sie einen Anspruch haben. Man muß den Schwerpunkt der Versorgung auf die wirklich Bedürftigen legen.
    Immer wieder muß man sagen, die Rente kann keinen Ersatz für Gesundheit und wirtschaftliche Existenz geben, sie kann kein Ersatz sein. Sie beseitigt nur in geringem Maße den Mangel an Subsistenzmitteln. Unsere Fürsorge muß viel stärker darauf gerichtet sein, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit ,durch Umschulung und durch andere Maßnahmen wieder herbeizuführen.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ein Wort zu den Gewerkschaften. Ich habe sie schon gelobt.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Ich habe das Gefühl, manches, was an vergifteter Atmosphäre zwischen den Gewerkschaften und der Gemeinschaft lag, ist verflogen. Der Anschauungsunterricht der letzten Jahre war ja auch nur zu deutlich, wenn man nur bedenkt, daß alle Streikmaßnahmen der französischen Gewerkschaften im Sommer vorigen Jahres nur zum Nachteil der Arbeiter ausgeschlagen sind, daß nur die Arbeiter die Leidtragenden waren. Ich glaube, das hat auch den Gewerkschaften den Mut genommen, mit Streiks Lohnerhöhungen erzwingen zu wollen, die nicht durch kostenersparende Maßnahmen der Wirtschaft und durch Erhöhung des Ertrags gerechtfertigt sind, oder gar sich wieder auf das glatte Parkett des politischen Streiks zu begeben. Wenn allerdings in den letzten Tagen wieder das Wort von der dynamischen, von der expansiven Lohnpolitik gefallen ist, dann möchte ich doch ernstlich warnen, unbedacht diesen Weg zu gehen, an dessen Ende die Gefahr der Überspannung der Wirtschaft, des Rückschlags der Konjunktur steht, was zu einem Ausweichen in die Inflation oder in die Beschäftigungslosigkeit führt.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß nicht! Sie loben mich, schönen Dank.

    (Abg. Böhm [Düsseldorf]: Sie machen sich unnütze Sorgen!)

    — Ich erkenne ja auch an und preise das Verständnis der Gewerkschaften und stelle meine Anregung, durch ein Streikgesetz die Frage des Streiks zu klären, einstweilen zurück.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Stellen Sie sich einmal vor — eine wunderbare Vorstellung —, wenn die Gewerkschaften — ich habe hier ein sehr interessantes Gespräch mit Herrn Dr. Agartz gehabt, das mich sehr beeindruckt hat — ihren Weg weitergehen und Marxismus und Klassenkampf ablehnen,

    (Zurufe von der SPD)

    welch wirksame Kraft in der Gesellschaft

    (erneute Zurufe von der SPD)

    und in der Wirtschaft diese Gewerkschaften sein können.

    (Beifall bei der FDP.)

    Noch ein Wort zu den Finanzproblemen, besonders ein Wort einmal zu der Finanzverfassung, die dieses Jahr auch als Aufgabe vor uns steht. Ich habe kürzlich die Äußerungen von Ausländern gehört, die erklärt haben, so etwas Verworrenes und so etwas Undurchsichtiges wie die deutsche Finanzverfassung gibt es in der ganzen Welt nicht mehr.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Ich möchte meinen, das ist eigentlich das höchste Lob, das man unserem Freunde Fritz Schäffer spenden kann; denn nur ein so geschickter Mann —wenn ich ihn sehe, muß ich immer an Odysseus denken, an den

    (Heiterkeit)

    der so viele Städte von Passau bis Bonn erblickte und den Sinn ihrer Menschen erkannte,

    (erneute Heiterkeit)



    (Dr. Dehler)

    nur ein solch gewandter und viel erfahrener Mann ist in der Lage, mit diesem Instrument, das uns die Alliierten in der erzwungenen Bestimmung des Grundgesetzes beschert haben, zu operieren. Aber ich glaube, man müßte nun auch aus politischen Gründen endlich an die Bereinigung der Dinge herangehen, besonders einmal klar die Steuerquellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufteilen, also den Grundsatz verwirklichen, der im Grundgesetz enthalten ist, daß Bund und Länder in der Haushaltswirtschaft unabhängig voneinander sind. Die Steuerquellen müssen so verteilt werden, daß Bund, Länder und Gemeinden wirklich unter eigener Verantwortlichkeit im Finanziellen stehen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wenn das nicht geschieht, ist alles Gerede von Föderalismus und von Selbstverwaltung nur ein schöner Trug. Ich bin der Meinung, daß Bund, Länder und Gemeinden Einkommensquellen erhalten müssen, deren Tarife nur ihrer Finanzhoheit und am Ende bei Bund und Ländern nur ihrer Gesetzgebungskompetenz unterstehen.
    Das Problem der Bundesfinanzverwaltung taucht dabei wieder auf, auch als wichtige organisatorische Frage der richtigen Finanzgebarung. Sie wissen: sie ist damals nur von den Alliierten verhindert, aber von allen, die etwas von der Sache verstehen, empfohlen worden. Ich muß immer wieder an die Tatsache denken, daß meine bayerische Heimat, das Land Bayern in der Weimarer Zeit seine Landessteuern dem Reich zur Verwaltung übergeben hat und dabei gut gefahren ist.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ich glaube, auch bei den gewandelten politischen Verhältnissen in diesem Hause sollten wir dieses Thema der Bundesfinanzverwaltung noch einmal ernstlich durchdenken.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Unsere Sorge ist immer noch die wirtschaftliche Betätigung des Staates. Wir bedauern, daß sich hier keine Lockerung zeigt, und zwar unter einem doppelten Gesichtspunkt, einmal unter dem der unnützen Konkurrenz, die der freien Wirtschaft gemacht wird, zum andern aber besonders unter dem Gesichtspunkt der Befürchtung, daß Steuermittel für unwirtschaftliche und unrentable Unternehmungen der öffentlichen Hand aufgewendet werden. Die Dinge müssen erörtert werden. Wir haben zwar bei der Regierungsbildung davon Abstand genommen, auf der Schaffung eines Bundesschatzministeriums zu bestehen. Ich glaube, daß der Herr Bundesfinanzminister jedoch zwei Seelen in seiner Brust trägt und in dieser Frage zwiespältig sein muß. Wir haben auf der anderen Seite auch wieder die Gefahr gesehen, daß sich ein Bundesschatzminister in diesem Bett wohlfühlt und für sein Ressort nicht die so gesunde Erkenntnis unseres Freundes Preusker hat, der sich das Ziel gesetzt hat, in kurzer Zeit sich und sein Ministerium überflüssig zu machen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Wir haben deswegen davon Abstand genommen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Jetzt können Sie mit § 7 c weiterfahren!)

    — Ja, ich will auch noch ein Wort dazu sagen. Die Dinge sind ja noch nicht ausgekocht!

    (Abg. Dr. Dresbach: Ihr seid mir schöne Demokraten! — Abg. Dr. Vogel: Ich bitte, den Löwen nicht zu reizen!)

    Vielleicht noch ein Wort zur Kritik des Kollegen Schoettle. Er hat die These aufgestellt und gesagt, das würde auch in anderen Staaten so gehandhabt, daß der soziale Haushalt keinesfalls wegen der Verteidigungsausgaben gekürzt werden dürfe, daß die sozialen Ausgaben im ersten Rang stünden. Ich weiß nicht, Herr Schoettle, ob dieses Wort nicht gefährlich ist. Sie wissen doch, wie unsere Existenz gefährdet ist, wie jede falsche Entscheidung den Untergang von Millionen und aber Millionen Menschen bedeuten kann. In einer solchen Lage nicht das Notwendige zu tun, wäre eine Verletzung der höchsten Aufgaben der Bundesregierung und des Bundesparlaments. Das soll nicht heißen, daß nicht nach Möglichkeit alles geschieht, was an sozialen Leistungen notwendig ist. Dafür zeugen die Leistungen der letzten Jahre.
    Noch ein Wort der Kritik, Herr Schoettle: Sie wollen sich dagegen wenden, daß der Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer erhöht wird. Daß der Herr Bundesfinanzminister in jedem Jahre genötigt ist, dieses Feilschen zu beginnen, ist ja an sich ein unerträglicher Zustand. Eine richtige Finanzverfassung muß diesen Zustand beendigen, muß saubere Verhältnisse schaffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber, meine Damen und Herren, wer kann denn ernstlich bestreiten, daß der Herr Bundesfinanzminister auf diese ergiebigste Steuer angewiesen ist, daß er den Anteil der Länder erhöhen muß. Es ist ein merkwürdiges Bild, Herr Schoettle, wenn ich mir vorstelle, daß Sie, der Sie doch in vornehmlicher Weise die Interesen des Bundes im Auge haben, mit den Landesfinanzministern, mit den Interessenten der Länder gegen den Bund paktieren. Das Bild darf und kann nicht Wirklichkeit werden, Herr Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Da haben Sie mich falsch verstanden!)

    — So haben Sie es dargestellt. Wenn Sie das Schreckbild von mir nehmen, dann bin ich Ihnen sehr dankbar.

    (Zuruf von der SPD: Das ist genommen! — Abg. Schoettle: Nein, Herr Dehler, das Gesetz zu Art. 107 ist immer noch fällig, und mit dem Flickwerk, das wir jetzt machen, ist das Problem doch nicht zu lösen!)

    — Ich habe ja schon gesagt, daß uns diese Aufgabe in diesem Jahr gestellt ist, und meine Freunde werden alles tun, um es zu einem guten Ende zu bringen.
    Steuerreform! Man müßte vieles darüber sagen. Vielleicht nur e i n Wort hinsichtlich des Zeitpunktes. Ich meine, es müßte alles getan werden, um die Steuerreform vorzuziehen. Wir sehen schon mit Beklemmung, daß die Wirtschaft, daß die Industrie, daß auch besonders der Baumarkt sich zurückhalten, nicht investieren in der Hoffnung auf günstigere steuerliche Verhältnisse. Hier gilt, Herr Schäffer, der Satz: Wer schnell gibt, gibt doppelt!

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Wir müßten uns das Ziel setzen, bis zum 1. Juli die notwendige Steuerreform durchzuführen.

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Welches sind die Ziele dieser Reform? Herr Dr. Dresbach hat mich auf den § 7 c und auf die Zwangslage hingewiesen, in die der Herr Preusker hineinkommt, darauf, daß er, wenn der § 7 c fällt, durch andere Begünstigungen einen Ersatz bekommen müsse und daß das Notwendige für den öffentlichen Wohnungsbau getan werden müsse. Darüber einzelnes zu sagen, ist ja nicht meine Aufgabe. Das ist selbstverständlich.
    Betrachten Sie das, was ich gesagt habe, nur als einen großen Überblick, zum Teil einen etwas flüchtigen Überblick über die politischen Probleme, die sich bei der Beratung des Haushalts aufdrängen. Ich habe über außenpolitische Dinge nicht gesprochen. Aber ich richte ebenfalls, wie der Herr Kollege Krone den Blick nach Berlin, wo in diesen Tagen über das deutsche Schicksal gehandelt wird, in der alten Hauptstadt des Reiches ohne uns. Wir können nur unseren Willen äußern, das, was uns nach, ich sage, göttlichem und menschlichem Recht zusteht. Das in dieser Stunde zu sagen, halte ich für unsere Pflicht, und schelten Sie mich nicht pathetisch, meine Damen und Herren, wenn ich zur Bekräftigung dessen, was uns erfüllen soll, was alle Deutschen erfüllen soll, Ihnen die schönen Worte Schillers aus „Wilhelm Tell" sage, die Worte, die nach meiner Überzeugung für uns einen neuen, einen tieferen Sinn bekommen haben:
    Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.
    Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
    eher den Tod als in der Knechtschaft leben. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
    und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, in der Mitte und rechts.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem so brillanten Feuerwerk wieder in die karge Steppe des Bundeshaushalts zurückzukehren, ist ein gewagtes Unternehmen. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, daß mein sehr verehrter Herr Vorredner die den Geigenvirtuosen nicht unbekannte Technik des Springbogens anwandte und zu sehr in gewisse artistische Formulierungen verfallen ist.

    (Heiterkeit.)

    Ich möchte auf der anderen Seite meine Freude darüber aussprechen, daß mit der heutigen Debatte der Versuch gemacht worden ist, die alte Tradition, von der bereits Herr Dr. Krone sprach, wiederherzustellen und in eine, ich möchte einmal sagen, generelle Gewissenserforschung über das Verhältnis von Parlament zu Regierung einzutreten, dabei uns darüber klarzuwerden, welche Stellung wir hier einnehmen, auch wir von der führenden Regierungspartei und von der Koalition.
    Lassen Sie mich zunächst auch auf etwas hinweisen, was schon vorhin in den Worten meines verehrten Ausschußvorsitzenden, des Herrn Kollegen Schoettle, anklang, als er sich über den heute im deutschen Volk herrschenden Mangel an Kenntnissen über den Haushalt beklagte. Gerade in den letzten Tagen las ich darüber ein Beispiel, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. In einer niederrheinischen Stadt von 450 000 Einwohnern, so wird berichtet, habe der Millionenhaushalt dieser großen Kommune, wie es nach der Satzung der Stadt zu geschehen hat, den Bürgern eine Woche lang zur Einsichtnahme offengelegen. Zwei von den 450 000 machten von diesem Bürgerrecht Gebrauch!
    Ich halte es infolgedessen für ein sehr begrüßenswertes Beginnen, daß uns der Herr Bundesfinanzminister diesen „Wegweiser" an die Hand gegeben hat, die Kenntnis über den Haushalt, der das Kernstück des staatlichen Wollens darstellt, ein wenig mehr in das Volk hineinzutragen, als es bis jetzt der Fall war. Er nimmt damit eine sehr gute Übung wieder auf, die bis 1933 bestand. Nichts kennzeichnet ja das Wesen eines totalitären Staates stärker als sein Bestreben, den Haushalt dem Volke überhaupt fernzuhalten.
    Wir sind allerdings auch in einer sehr schwierigen Situation, wenn wir nun zu einem Kompendium von 2000 Seiten Stellung nehmen sollen und uns der zu wenigen Hilfsmittel bewußt werden, die uns dabei zur Verfügung stehen. In den Haushaltsjahren vor dem ersten Weltkrieg und bis 1933 vermochten die Parlamente angesichts des weitaus geringeren Umfangs der damaligen Haushaltspläne diese Aufgabe bei rechtzeitiger Vorlage auch ohne weiteres zu bewältigen. Aber seit der Begründung der Bundesrepublik steht dieses Hohe Haus vor der äußerst schweren Aufgabe, einen gegenüber den Reichshaushalten von vor 1933 in seinem Umfang verdreifachten, ja noch darüber hinausgehenden Haushalt in kürzester Frist zu verabschieden.
    Diese Aufgabe wird deshalb so ungemein schwierig, weil sich Wirtschaft und Steuerpolitik in einem früher unbekannten Maße heute verzahnt haben. Ja man kann wohl ohne Übertreibung aussprechen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in weiten Gebieten steuerabhängig geworden ist, so daß zur Kontrolle dieser Wechselbeziehungen umfassende Erhebungen, Informationen und Einblicke für uns notwendig sind. Sie stehen uns leider nicht in dem wünschenswerten Ausmaß zur Verfügung. Auch das, was Gewerkschaftsinstitute, was die Institute der freien Wirtschaft und der öffentlichen Hand, was Universitätsinstitute auf diesem Gebiet in dankenswerter Weise leisten, kann nur Notbehelf sein. Das Parlament ist insgesamt in eine bedrükkende Abhängigkeit von den Angaben, Statistiken und Mitteilungen der Exekutive geraten. So wird es eine der kommenden Aufgaben dieses Hohen Hauses sein — und vor allen Dingen auch des Haushaltsausschusses —, einmal nachzuprüfen, welche Maßnahmen zur Beseitigung dieses Mißverhältnisses getroffen werden können.
    Hier bieten sich die Erfahrungen anderer Länder an. Ich denke da z. B. an den Reference-Service des amerikanischen Kongresses, eine großartige, allerdings höchst komplizierte und kostspielige Einrichtung, die zur Verfügung der beiden Häuser des amerikanischen Kongresses steht. Wir sollten uns vielleicht auch an die erprobten Einrichtungen des britischen Parlaments, nämlich an die Einsetzung von königlichen Kommissionen zur Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für besonders brennende Probleme erinnern. In der Bundesrepublik werden der Bundesrechnungshof und der Bundesbeauftragte und ihre künftigen Funktionen in den Mittelpunkt einer solchen künftigen Erwägung zu stellen sein.


    (Dr. Vogel)

    Trotz alledem, Herr Kollege Schoettle, bin ich in bezug auf die Möglichkeiten einer termingerechten Verabschiedung des Haushaltes ein wenig optimistischer. Ich teile ja in dieser Beziehung auch den „fröhlichen Optimismus" des Herrn Bundesfinanzministers ein wenig mehr, als Sie das getan haben. Wenn ich es auch nicht für möglich halte, Herr Bundesfinanzminister, den Haushalt bis zum 1. April in beiden Häusern zu verabschieden, halte ich es doch immerhin für denkbar, daß wir im Haushaltsausschuß so viel Zeit gewinnen, daß die Überschreitung des Termins vom 1. April Sie nicht in allzu große Verlegenheit bringt.
    Für uns ergeben sich bei einem kritischen Blick auf die Ihnen allen vorliegenden Zahlenbilder des Gesetzentwurfs des ordentlichen und außerordentlichen Haushaltsplanes insgesamt folgende Fragestellungen.
    Erstens. Ist dieser vorgelegte Haushaltsplan in sich ausgeglichen?
    Zweitens. Enthält er noch Reserven?
    Drittens. Erlauben etwaige Reserven noch Neubelastungen im kommenden Haushalt?
    Viertens. Mit welchen Belastungen in den kommenden Haushaltsjahren, auf die wir uns jetzt schon einrichten müssen, werden wir mit Sicherheit zu rechnen haben?
    Die Opposition hält im Gegensatz zum Bundesfinanzminister den vorgelegten Haushaltsplan für durchaus „nicht so stabil". Sie hat den „fröhlichen Optimismus" des Herrn Bundesfinanzministers kritisiert. Das ist ihr gutes Recht. Indes wird sie wohl kaum bestreiten, daß der vorgelegte Haushalt 1954/55 in sich wesentlich stabiler ist als alle Haushalte, die wir vorher seit 1949 vorgelegt bekommen haben. Er zeigt sehr bemerkenswerte Anzeichen einer Konsolidierung. W o aber, meine Damen und Herren, gäbe es heute in der gesamten freien Welt noch Haushalte, die sich mit der Ausgeglichenheit der Haushalte der sogenannten klassischen parlamentarischen Zeit vor dem ersten Weltkriege vergleichen könnten, bevor diese zwei grauenhaften Weltkriege, bevor die internationale Wirtschaftskrise von 1930, die Inflationen usw. das Wirtschaftsbild und damit die Wirtschaftsstruktur der gesamten Welt grundsätzlich verändert haben?! Darf man allerdings aus dem Vorwurf der Opposition, Herr Kollege Schoettle, dieser Haushalt sei nicht stabil genug, ihre feste Entschlossenheit und den guten Willen ableiten, bei mit Ausgaben verbundenen Initiativanträgen im kommenden Haushaltsjahr besonders vorsichtig zu sein

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und dadurch die schon angezweifelte Stabilität nicht noch mehr zu gefährden?
    Ich komme damit auf eine grundsätzliche Frage von außerordentlicher Bedeutung zu sprechen, und die geht die Koalition nicht weniger an als die Opposition. Nicht nur Herr Kollege Schoettle, sondern auch Herr Kollege Dehler haben sich ja mit der Grundsatzfrage des Initiativrechtes hier auseinandergesetzt. Lassen Sie mich dazu noch einige grundsätzliche Auffassungen vortragen.
    Wir kennen zweierlei Auffassungen von diesem Problem des Verhaltens und der Wechselbeziehungen von Koalition und Regierung zueinander und darüber hinaus von Legislative und Exekutive überhaupt. Die erste Auffassung stützt sich auf das britische Vorbild. Auch viele Staatsrechtler in Deutschland sehen in der Regierung im Grunde genommen nichts weiter als einen Exekutivausschuß der herrschenden oder der regierenden Koalitionsparteien.
    Wer sich dieser Auffassung anschließt, muß daraus gewisse Konsequenzen ziehen, wie sie das britische Parlament bereits seit 1713 gezogen hat. Denn — Herr Kollege Schoettle, hier ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen — das britische Parlament hat zwar keine offizielle Geschäftsordnung, aber es hat die Ordinances, die einen umfassenden — —

    (Abg. Schoettle: Ich habe nicht behauptet, daß es keine Geschäftsordnung habe, sondern ich habe nur behauptet, daß es keine geschriebene englische Verfassung gebe!)

    — Das ist richtig, da stimme ich Ihnen vollkommen bei. Aber in diesem umfassenden Kompendium der britischen Ordinances, nach denen ja das Parlament verfährt, heißt es wörtlich in Ordinance Nr. 78 von 1713:
    Das Haus wird kein Gesuch um Zuwendung von öffentlichen Fonds annehmen oder auf Anträge eingehen, die eine Geldbewilligung oder sonst eine Belastung von öffentlichen Einnahmen zum Inhalt haben, außer, wenn sie von der Krone empfohlen worden sind.
    Das heißt heute: von der Regierung eingebracht worden sind. Mit vollem Recht weist Professor Dr. Bühler, München, in seiner Betrachtung in der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung" darauf hin, daß dies ein Akt äußerster Selbstverleugnung der Koalition und der Regierungspartei gegenüber der eigenen Regierung ist. Aber er weist auch darauf hin, daß dadurch England seit 240 Jahren von der Misere der kontinentalen Staaten befreit gewesen ist.

    (Abg. Seuffert: Aber in England stimmen die Regierungsparteien nicht gegen die Regierung! Das ist der Witz!)

    — Ja, einen Augenblick! Auch das tun sie nicht immer so ohne weiteres.

    (Abg. Seuffert: Sonst tritt die Regierung ab!) — Nein, nicht ohne weiteres.

    Nun, meine Damen und Herren, keine Bestimmung hat, glaube ich, so sehr zur Wahrung des Parlamentarismus schlechthin in der modernen Welt beigetragen wie gerade diese Bestimmung. Dieses anziehende Beispiel können wir aber leider nicht ohne weiteres befolgen, sei es auch nur in einer Geschäftsordnung, wie das hier versucht worden ist. Sie ist bekanntlich am Einspruch des Bundesverfassungsgerichts gescheitert, das eine Beschränkung des Initiativrechts des Bundestages für verfassungswidrig erklärte. Allerdings richtete damals das Bundesverfassungsgericht an das Hohe Haus auch den Appell zur Selbstdisziplin, einen Appell, den wir durchaus beherzigen sollten.
    Nach der auch im Grundgesetz verankerten zweiten Auffassung über das Verhältnis von Regierung und Parlament wird eine scharfe Trennung von Exekutive und Legislative gefordert. Damit wird automatisch das ja auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Initiativrecht der Koalition bejaht, und zur Vermeidung von Haushaltsverschlechterungen stellt das Grundgesetz der Bundesregierung den hier schon öfter, auch von meinen Herren Vorrednern angezogenen Art. 113 und dem Herrn Bundesfinanzminister ganz besonders den Art. 112 zur Verfügung. Es könnte auch daran gedacht werden, einen Ausweg zu finden, Herr Kollege


    (Dr. Vogel)

    Schoettle, in einer Sonderstellung des Haushaltsausschusses. Ich fürchte nur, das Hohe Haus wird uns nicht darin folgen, diesem Ausschuß ein Sonderrecht zu bewilligen.

    (Abg. Schoettle: Ich möchte auch keines haben! Wir sollten genug haben von unseren Vorwegbewilligungen in den letzten vier Jahren, Herr Kollege!)

    Meine Freunde und ich sind nun der Auffassung, daß bei künftig eintretenden Divergenzen — und solche sind ja keineswegs ausgeschlossen — oder bei drohender Gefährdung des Haushalts der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung sich — eben zur Vermeidung von Schwebezuständen, wie wir sie in der Vergangenheit manchmal erlebt haben — der Art. 112 und 113 energischer bedienen sollten, als das bis jetzt der Fall war, falls wir uns von der Regierungskoalition nicht dazu entschließen sollten, notfalls Überweisungen von Ausgaben verursachenden Initiativanträgen ohne Deckungsnachweis an die Ausschüsse überhaupt zu verweigern. Ich glaube allerdings, daß das britische Parlament in der Beziehung die glücklichere Praxis aufgezeigt hat. Dabei verkenne ich keinesfalls, daß sehr vieles nur möglich ist angesichts der überaus starken Stellung einer in Deutschland unbekannten Institution, nämlich des britischen Chief Controller als Hüters der Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft des britischen Staatswesens überhaupt.
    Lassen Sie mich nach dieser grundsätzlichen Betrachtung zu der Frage nach der Ausgeglichenheit des Haushalts zurückkehren. Sie wird wohl am besten durch die dem Hohen Hause in der Drucksache 200 vorliegenden Stellungnahme des Bundesrates beim ersten Durchgang selbst beantwortet. Wenn die erfahrenen Leute der Herren Finanzminister der Länder im Bundesrat sogar dazu gelangt sind, Abstriche in Höhe von mehr als 400 Millionen DM an diesem Haushalt für verkraftbar zu halten, dürften die Besorgnisse der Opposition wesentlich gedämpft sein.
    Der Bundesrat bejaht ja im Grunde genommen bereits auch die zweite von mir aufgeworfene Frage nach dem Vorhandensein von Reserven in diesem Haushalt. Selbst wenn man in bezug auf die Bereitstellungen für die Zinsleistungen des Bundes einem vielleicht noch fröhlicheren Optimismus huldigen würde, als es der Herr Bundesfinanzminister tut, und auch bei den Zöllen, beim Notopfer Berlin, bei der Tabaksteuer und bei der Mineralölsteuer vielleicht zu einer günstigeren Schätzung als das Bundesfinanzministerium gelangte — obwohl ich hier ausdrücklich anerkennen möchte, daß die Schätzungen des Herrn Bundesfinanzministers sich in der Vergangenheit als erstaunlich exakt erwiesen haben —, ich sage, selbst unter diesen Kautelen wäre immer noch unter keinen Umständen folgendes zu übersehen — das gleiche gilt in ebenso starkem Maße für jene hier auch schon angedeuteten Einsparungsmöglichkeiten im Falle eines — Gott wolle es verhüten! — Nichtinkrafttretens des EVG-Vertrags bis zum 1. Juli 1954 —: Nach dem Haushaltsrecht ist der Bundesfinanzminister gehalten, jede nur erdenkliche Einsparung zunächst zur Tilgung der bis jetzt mitgeschleppten Haushaltsdefizite vergangener Jahre zu verwenden. Der Bundesfinanzminister sollte nach unserer Auffassung unter allen Umständen dafür Sorge tragen, daß die seit 1951 immer wieder übernommenen Schulden in Höhe von 1 Milliarde allein aus diesem Jahre 1951 entweder abgetragen oder langfristig konsolidiert werden.

    (Abg. Schoettle: Er hat es auch zu einem Teil getan!)

    — Eben! Leider konnte er es nur zu einem kleinen Prozentsatz tun, vor allem im Haushaltsplan 1952 zu 1953. —
    Das ist um so notwendiger, als wir uns in den kommenden Haushaltsjahren auf ungewöhnlich hohe neue Belastungen mit Sicherheit einrichten müssen. Nach einer vor mir liegenden Aufstellung werden wir an Mehrausgaben im Bundeshaushaltsplan 1955 gegenüber dem Haushalt 1954/55, der uns hier vorliegt, mit folgenden Beträgen zu rechnen haben: Das Heimkehrergesetz allein wird rund 200 Millionen DM mehr beanspruchen, der Schuldendienst 150 Millionen, das Kriegsschädenschlußgesetz, das uns bereits in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers angekündigt wurde, mehr als 200 Millionen, die Restitutionen etwa 150 Millionen, Bundesgrenzschutz und Luftschutz 50 Millionen, Sonstiges 100 Millionen.
    Hier ist der Fehlbetrag aus 1953 voraussichtlich rechnungsmäßig mit 1,3 Milliarden noch nicht drin. Es sind ferner nicht drin die mit Sicherheit auf uns zukommenden Zuschüsse zur Bundesbahn vielleicht mit mindestens 150 Millionen, Straßenbaumehrbelastungen mit mindestens 100 Millionen, außerdem Vorratshaltung, Subventionen und Sozialausgaben, die mit Sicherheit auf uns zukommen.
    Wir müssen uns also, meine Damen und Herren, so unangenehm das uns auch sein mag, auf eine Mehrbelastung im übernächsten Haushaltsjahr von mindestens 1 Milliarde zusätzlich gefaßt machen. Der Bundesfinanzminister würde leichtfertig handeln, wenn er jetzt nicht schon sein Auge auf diese auf uns zukommenden Lasten richten würde.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte eingehen, die nicht nur in der Diskussion bei der Verabschiedung vorangegangener Haushalte im Haushaltsausschuß selbst, sondern auch draußen in der Publizistik und in der Presse einen gewissen Raum eingenommen haben. Ich meine das Bundesvermögen und die Kassenlage der öffentlichen Hand generell.
    In den allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushaltsplan 1954/55 — eine ebenso nützliche und, wie das auch bereits von der Opposition anerkannt worden ist, sehr brauchbare Erneuerung früherer guter Handhabungen — hat das Bundesfinanzministerium in Ausführung der Bestimmungen des Grundgesetzes zum ersten Mal eine Vermögensaufstellung des Bundes veröffentlicht. Das ist eine überaus dankenswerte Leistung der zuständigen Abteilung des Bundesfinanzministeriums, die meine Freunde durchaus zu würdigen wissen —dies um so mehr, als erst zwei von den auf eine doppelt so lange Regierungstätigkeit zurückblikkenden Ländern bis jetzt der gleichen Verpflichtung nach Aufdeckung ihrer Vermögensverhältnisse nachgekommen sind. Um wieviel leichter würden sich alle 'diejenigen tun, die sich mit öffentlichen Finanzen zu befassen haben, wenn wir nicht nur vom Bund und den Ländern, sondern auch von allen Gemeinden derartige Einblicke in ihre Vermögensverhältnisse bekämen!

    (Richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Vogel)

    Nun wäre über die Bewertung des ausgewiesenen Bundesvermögens natürlich einiges zu sagen. Ich bin überzeugt, Wirtschaftstreuhänder haben hier ein sehr weites Feld vor sich. Der Herr Bundesfinanzminister hat, wohl im Vorgriff auf die zu erwartende öffentliche Kritik, die in der allgemeinen Vorbemerkung angesetzte Summe von 1,2 Milliarden allein für die Beteiligungen des Bundes inzwischen selber in seiner Rede hier bei der Einbringung seines Haushalts auf 2 Milliarden erhöht. Unser Herr Bundesfinanzminister ist ob seiner lobenswerten Vorsicht bekannt. Wir werden also wohl bei der Einkalkulation selbst noch drohender Belastungen dieses Vermögens mit einem vielleicht noch höheren Betrag allein bei den Beteiligungen rechnen dürfen.
    Aber, meine Damen und Herren, das ist nicht das Entscheidende. Unsere Kritik richtet sich gegen den, in unseren Augen höchst ungenügenden und — ich möchte einmal beinahe sagen: verschwindend kleinen Betrag von nur 9 Millionen an Erträgen aus diesem Milliardenvermögen! So weit sollte das an sich verständliche Bestreben der vom Bund kontrollierten Unternehmen nach Eigenfinanzierung nun nicht gerade gehen!
    Oft genug ist nun in der Öffentlichkeit die Veräußerung von Teilen des Bundesvermögens und sogar seine Heranziehung zur Deckung bestimmter Ausgaben des Haushalts gefordert worden. Ganz abgesehen davon, daß zur Durchführung einer solchen Forderung eine Änderung des Haushaltsgesetzes notwendig wäre, müßten zunächst einmal auch zahlungskräftige Käufer gefunden werden. An Anwärtern, die billig zu Bundesvermögenswerten kommen wollen, fehlt es uns sicherlich nicht. Wenn man sich aber in den maßgebenden Kreisen der Wirtschaft ernsthaft mit derartigen Forderungen nach einer Reprivatisierung des Bundesvermögens befaßt, dann sollte man auch zuerst für ein wirklich fundiertes und für den Bund annehmbares Angebot Sorge tragen.
    Ich möchte allerdings dem Herrn Bundesfinanzminister zu erwägen geben, ob man nicht in einem großzügigen Verfahren die vielen Tausende durch die Autobahn und die Errichtung von Wehrmachtanlagen in ihrem Eigentum geschädigten Grundbesitzer durch Rückgabe der nicht unbedingt gebrauchten Grundstücke befriedigen könnte. Zu meiner Freude habe ich feststellen können, daß die für die Entschädigung der enteigneten Grundbesitzer im Haushaltsplan bereitgestellten Mittel — wir hatten darüber beim letzten Haushalt hier eine Debatte — von 20 auf 40 Millionen DM erhöht worden sind und damit hoffentlich bereits im nächsten Haushaltsplan dieses ein wenig leidige Kapitel der noch offengebliebenen Forderungen der Autobahnanlieger und der Anlieger von Wehrmachtterrain endgültig abgeschlossen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ein besonders ernstes Anliegen ist meinen Freunden und mir die dritte von mir aufgeworfene Frage, ob der vor uns liegende Haushaltsplan noch zusätzlich soziale Belastungen verträgt. Wir sind der Auffassung, daß die beste Wirtschaftspolitik zugleich die beste Sozialpolitik ist. Nur aus einer gedeihenden und blühenden Wirtschaft heraus können die von uns gewünschten — durchaus gewünschten! — höheren Leistungen auch für die Sozialpolitik und vor allen Dingen für die Anspruchsberechtigten entnommen werden. Der vor uns liegende Haushaltsplan ist aber in seinen sehr exakten Einnahmeschätzungen auf die Vermehrung des Brutto-Sozialprodukts um mindestens 5 % abgestimmt. Herr Kollege Schoettle, hier gestatten Sie mir schon, darauf hinzuweisen: es kann kein Mensch und es kann kein Volk ohne Hoffnung leben. Wir alle teilen in dieser Beziehung durchaus den Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers, zumal er sich ja schließlich nicht auf reine Prophezeiungen, sondern auf sehr gute Argumente und Berechnungen stützt. Meine Damen und Herren, die letzten fünf Jahre haben uns den kaum zu widerlegenden Beweis geliefert, daß unsere Auffassung und damit auch unser Optimismus fundiert und richtig waren. Hätten wir uns von Ihrem Pessimismus, meine Damen und Herren der Opposition, leiten lassen, dann wären die bis jetzt möglichen Steigerungen auch in den Sozialausgaben auf 19,2 Milliarden DM insgesamt überhaupt nicht möglich gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Dabei sind wir uns zutiefst der Verpflichtung bewußt, daß über diese bereits gesteigerten Renten hinaus noch zusätzlich etwas getan werden muß. Meine Freunde werden deshalb gemeinsam mit dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundesarbeitsminister überlegen, wie diese von uns als notwendig erkannte Erhöhung vor allem der Altrenten in dem vorgelegten Haushaltsplan verankert werden kann. Es wird unter Umständen auch noch zu überlegen sein, ob nicht eventuell auch durch Umgruppierungen in den Beiträgen zu den Sozialversicherungen dieses Ziel zunächst einmal erreicht werden kann, bis die auch von uns dringend erwartete Reform der Sozialversicherung eine endgültige Klärung bringt.
    Hier allerdings möchte ich auch den besonderen Wunsch meiner Freunde nach einer größeren Aktivität des dem Herrn Bundesarbeitsminister zur Verfügung stehenden Wissenschaftlichen Beirats mit einschließen.

    (Abg. Albers: Bravo!)

    Für ein für die weitere Vermehrung des Sozialprodukts unentbehrliches Stimulans halten wir die vom Bundesfinanzminister angekündigte zweite Steuerreform. Meine Damen und Herren, wir wollen hier nicht mit großen Tönen von „großer Steuerreform", „organischer Steuerreform" sprechen, sondern wollen es schlicht die „zweite Steuerreform" nennen. Das Hohe Haus wird sich mit der entsprechenden Vorlage der Bundesregierung hoffentlich sehr bald zu befassen haben.
    Wir fordern von dieser Steuerreform ganz allgemein drei Dinge. Sie sollte erstens so schnell wie möglich eingebracht werden und spätestens am 1. Januar 1955 in Kraft sein, zweitens eine wirkliche Vereinfachung beinhalten, drittens die Familie stärker, als das bisher der Fall war, fördern und viertens einen möglichst großen Kreis vor allem der Lohnempfänger, des Mittelstandes und der Bauernschaft vom Finanzamt freisetzen.
    In der Überzeugung von der Unabdingbarkeit einer zweiten Steuerreform scheinen wir uns in weitgehender Übereinstimmung auch mit den Veröffentlichungen der Gewerkschaften zu befinden. Die in den „Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften" von Wolkersdorf bereits im Mai 1953 veröffentlichten Untersuchungen über die bedauerlichen Auswirkungen einer überdrehten Steuerschraube sind


    (Dr. Vogel)

    auch heute noch ungemein zeitnah. Dabei wollen wir keineswegs übersehen, wie sehr der Wegfall der Steuerbegünstigungen auch die freiwilligen Sozialleistungen der Wirtschaft unter Umständen in Mitleidenschaft ziehen kann, wenn in Zukunft jede Ausgabe weit sorgsamer kalkuliert wird,, als das bis jetzt der Fall war.
    Es scheint mir ganz nützlich zu sein, auch einmal auf die Untersuchungen der Handelskammer Hamburg etwas näher einzugehen. Gegenüber den vor dem Kriege aufgebrachten freiwilligen Sozialleistungen von durchschnittlich 8 % der gezahlten Löhne und Gehälter errechnet die Handelskammer Hamburg in einer vor zwei Tagen veröffentlichten Aufstellung eine Steigerung von 8 auf 13 % im Bundesdurchschnitt. Die Zahl schwankt zwischen 11,5 % in Baden-Württemberg und 17,3N in Hamburg.
    Oft genug ist der Bundesfinanzminister übrigens auch von sehr seriösen Organen angeregt worden, angesichts der außerordentlichen Liquidität der öffentlichen Hand vielleicht sogar an eine Kampferspritze an die Wirtschaft in Gestalt einer Steuerstundung zu denken. Wir glauben, man sollte sich derartige Gewaltrezepte für andere Zeiten vorbehalten.
    Die Bank deutscher Länder hat uns eine Sondererhebung über die Kassenlage der öffentlichen Hand angekündigt. Allein schon in dieser Ankündigung liegt eine gewisse Kritik. Immerhin ergab die repräsentative Erhebung der BdL vom 23. November 1953 einen Einlagenbestand aller öffentlich-rechtlichen Körperschaften — allein bei dem hier kontrollierten Bankensystem von 480 Banken — von 900,2 Millionen DM. Das bedeutet gegenüber dem gleichen Zeitpunkt 1952 mit nur 6,7 Milliarden DM eine um so höhere Steigerung, als sich inzwischen die kleine Steuerreform bereits ausgewirkt hatte und auch die Senkung der Verbrauchsteuern sich auszuwirken begann. Von diesen Einlagen entfielen am 15. November 1953 4,7 Milliarden auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und nur 5,4 Milliarden DM — also 4,7 zu 5,4 — auf die Spareinlagen der Wirtschaft. Es ist mir übrigens beim besten Willen nicht gelungen, zu entdecken, wo eigentlich die sagenhaften 5 Milliarden DM geblieben sein sollen, die in manchen Zeitungen über diese Bestände von 9 Milliarden DM hinaus aufgetaucht sind. Ich glaube, hier liegt wohl ein Rechenfehler vor.
    Der Herr Bundesfinanzminister kann mit gutem Recht auf die 2,4 Milliarden DM noch nicht abgerufener Besatzungskosten verweisen, die in diesen 9 Milliarden enthalten sind. Zieht man diesen Riesenbetrag von dem Einlagenbestand der Bundesregierung ab, dann verbleiben zwar noch immer einige 100 Millionen; aber übersehen wir doch nicht, in welcher Relation diese Einlagen — sozusagen als das Betriebskapital der Bundesregierung — zu dem Gesamtumfang des Haushalts von 27 Milliarden DM stehen. Auch die Höhe des Bundesvermögens muß nun einmal an der Gesamtsumme des Bundeshaushalts gemessen werden, wenn man eine richtige Einschätzung vornehmen will.
    Man ist sich deshalb in der Bank deutscher Länder durchaus dessen bewußt, wie lückenhaft ihre Statistik der öffentlichen Kassenlage ist. Deshalb auch die Ankündigung der Sondererhebung. Dem aufmerksamen Beobachter konnte allerdings keineswegs entgehen, daß allein schon die Ankündigung der BdL, eine solche Erhebung mit dem Stichtag zum 31. Oktober 1953 durchzuführen, den Abzug von rund einer halben Milliarde DM öffentlicher Gelder sofort bewirkt hat. Vermutlich wurden sie in Wertpapieren angelegt, die nachher wieder in die alten Konten zurückkehrten. Auch der Bundesfinanzminister hat nach dem Versuch einer Deutung des Zustandekommens dieser außerordentlich hohen Einlagen im Bulletin vom 4. Dezember 1953 bereits bekannt: „Damit soll nun nicht etwa gesagt sein, daß die hohen Kassenbestände etwas Erstrebenswertes wären." Wir haben dieser Feststellung von unserer Seite aus nichts mehr hinzuzufügen. Das ist ein Problem, das nicht nur den Bundeshaushalt allein betrifft, sondern die Gesamtheit der Haushalte von Ländern, Gemeinden und öffentlichen Körperschaften.
    Damit ist für uns aber auch die Frage gestellt, ob das von uns und von meinem werten Vorredner, Herrn Dr. Krone, hier in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellte Subsidiaritätsprinzip in der Bundesrepublik richtig durchgeführt wurde, d. h. ob die öffentliche Hand aus den Verantwortungsbereichen der kleinsten Gebilde der Gesellschaft nicht zu viel an sich gerissen hat. Wenn wir diese Frage stellen, müssen wir zu gleicher Zeit ehrlicherweise auch eine zweite aufwerfen. Das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft und der Freiheit überhaupt in demokratischen Staatsgebilden fordert eine hinreichend große Zahl und Schicht von Menschen, die zur Vorsorge für ihre Familie und zur Vorsorge für ihren Betrieb und ihr Eigentum entschlossen sind. Auf diese Entschlossenheit und auf diese Vorsorge, damit auch zugleich auf diese Eigeninitiative müssen wir zählen können, wenn unser Eintreten für diese Grundsätze auch legimitiert sein soll.
    In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Wohnungsbau. Wir hoffen sehr, daß die erfreuliche Steigerung des Absatzes von Pfandbriefen auch für die für uns sehr schwer tragbare Abschaffung des § 7 c einen gewissen Ausgleich bringen wird. Sollte das nicht ausreichen, wird man gründlich und schnell überlegen müssen, ob nicht über die steigenden Rückflüsse aus den Zuschüssen zum Wohnungsbau in den vergangenen Haushaltsjahren hinaus noch zusätzliche Mittel mobilisiert werden können.
    Aus dieser grundsätzlichen Einstellung heraus haben wir noch einen dritten Wunsch zur kommenden Steuerreform herausgestellt: die besondere Förderung der Familie. Hier möchte ich der Opposition ein zweites zu bedenken geben. Ich finde es eigentlich nicht ganz veständlich, warum man auch in manchen Kreisen der Opposition für die Gründung eines Familienministeriums nicht das notwendige Verständnisaufgebracht hat. Das geht uns alle an. Schon jetzt müssen in der Bundesrepublik im Durchschnitt vier Erwerbstätige den Unterhalt von drei Unterhaltsberechtigten mitverdienen. Sie alle kennen den unglücklichen Aufbau der Alterspyramide unseres Volkes. Die bisherigen Berechnungen lassen jetzt schon erkennen, daß im Jahre 1961 11,5 % mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als im Jahre 1951, während nur ein Zugang von 2,3 % erfolgt. Dieser Zustand wird sich fortgesetzt verschlechtern. In absehbarer Zeit werden vier Erwerbstätige vier Unterhaltsberechtigte, vielleicht sogar fünf unterhalten müssen. Die Sorge um den Schutz der Familie und den Nachwuchs ist deshalb ein elementares Anliegen nicht nur der Koalition, sondern der ganzen Nation, wenn sie


    (Dr. Vogel)

    eine echte Vorsorge für ein würdiges und sorgenfreies Alter der heute Schaffenden treffen will.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Reihe von Sonderproblemen ansprechen, denen wir in dem Riesenbereich des Haushalts 1954/55 begegnen. In dem Bereich des Haushalts des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind begreifliche und verständliche Wünsche meiner Freunde aus der Landwirtschaft nicht berücksichtigt worden. Auch der Bundesfinanzminister hat die mangelnde Parität von Erlösen und Anschaffungskosten zwischen Industrie und Landwirtschaft anerkannt. Immerhin stellen wir mit Befriedigung den ersten Posten für Zinsverbilligungen in diesem Haushalt fest, der durch ein sehr vereinfachtes Verfahren der Landwirtschaft ein dringend gebrauchtes neues Kreditvolumen von über einer halben Milliarde D-Mark erschließen könnte. Allerdings, Herr Bundesfinanzminister, will uns eines hier nicht behagen, nämlich daß Sie diese Zinsverbilligung, die unbedingt notwendig ist, mit dem Eingang von mindestens 120 Millionen an Abschöpfungsbeträgen gekoppelt haben. Dieser Punkt wird noch einmal zu überlegen sein.
    Wenn dagegen heute schon bei der Frage der Subventionen, die auch die Opposition aufgerollt hat, Einwendungen erhoben werden, so bitte ich doch zu überlegen, daß wir in den vergangenen Haushalten über 2 Milliarden an Verbilligungen und Subventionen stehen hatten. Wir können uns auch hier der Forderung der Opposition, die Mittel in diesem Haushalt zu kürzen, nicht anschließen. Es wäre uns im Gegenteil sehr viel erwünschter, wenn vielleicht auch diese Mittel, auf die Sie anspielten, Herr Kollege Schoettle, etwa für die Trinkmilchversorgung, noch einen etwas breiteren Spielraum hätten, als das jetzt der Fall ist. Wir sind mit dem bekannten Programm des Herrn Ministers Lübke einverstanden, daß nicht nur die wesentliche Beschleunigung der Flurbereinigung, sondern auch die Verstärkung der Rindergesundheitsdienste eine unabdingbare Vorbedingung für den Einbau der deutschen Landwirtschaft in eine europäische Gemeinschaft darstellen.
    Weiter haben wir mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß entscheidende Maßnahmen zur Bereinigung des Verhältnisses zwischen Schiene und Straße bevorstehen. Mit der Beseitigung der ebenso überflüssigen wie kostspieligen Konkurrenz zwischen Bundesbahn und Bundespost auf dem Gebiet der Paketbeförderung ist endlich ein Schritt vorwärts getan worden. Wir haben angesichts des Defizits bei Bundesbahn und Bundespost kein Verständnis für die Fortdauer des gleichen Konkurrenzkampfes im Omnibusverkehr und erwarten darüber hinaus eine baldige und sichtbare Reform bei der Bundesbahn und der Bundespost zur Herabdrückung ihrer Unkosten.
    Mit großem Interesse haben wir im Bulletin vom 12. Januar 1954 aus der Feder des Haushaltsexperten Dr. Vialon eine Gegenüberstellung des Persanalbestandes des höheren Dienstes von 1932 und desjenigen von 1954 gelesen. Er sagt dazu wörtlich in einer Betrachtung:
    Die oft diskutierte Frage, ob die Verwaltung
    an Stelle der viele Jahre unzulänglichen Besoldung öffentlicher Dienste in höhere und zahlenmäßig mehr Planstellen ausgewichen ist,
    wird aus den dargebotenen Unterlagen mit
    einiger Sicherheit beantwortet werden können.
    Ich glaube, man darf diese Bemerkungen auch auf
    Länder und Gemeinden ausdehnen. Im Wettlauf
    um die besten Kräfte der Verwaltung haben häufig genug die in ihren Bewegungen finanziell freieren großen Städte und Kreise das Rennen gemacht.
    In dem Zusammenhang auch noch ein kurzes Wort zur Beamtenbesoldung. Die angekündigte Beamtenbesoldungsreform wird sich in dem kommenden Haushaltsplan noch nicht auswirken können. Die Prüfungen und Überlegungen, unter anderem auch über eine Neubewertung der Stellen, sind aber in vollem Gange.
    Noch eine Bemerkung zur Bundesverwaltung schlechthin. Wenn sich gerade die für die Gesetzesarbeit dringend notwendigen und seltenen Fachkräfte gewinnen lassen sollen, muß die Leistung auch eine entsprechende Bewertung erfahren. Die bislang nicht nur auf dem Beamtensektor zu beobachtende Tendenz zur Nivellierung der Einkommen entspricht nicht unserer Auffassung.

    (Bravo! rechts.)

    Wir verfolgen sie nicht nur in der systematischen Verringerung des Einkommenabstandes zwischen dem höheren und dem mittleren Dienst, sondern ebenso sehr zwischen ungelernten und Facharbeitern, zwischen Facharbeitern und Werkmeistern und nicht zuletzt auch zwischen den höchsten Stufen der Unterhaltsberechtigten einerseits und den allzu niedrigen Landarbeiterlöhnen andererseits. Heute umfaßt das Besoldungsgesamtvolumen der öffentlichen Hand 13,2 Milliarden jährlich. Sie werden aus dieser Ziffer unschwer entnehmen, welche haushaltsmäßigen Rückwirkungen auch nur sehr geringfügige prozentuale Erhöhungen für alle Haushalte, auch der Gemeinden und der Länder, bewirken müssen.
    Gerade in Deutschland war übrigens die Stellung der Verwaltung — lassen Sie mich auch das sagen — infolge einer langen und stolzen Tradition gewissenhafter Arbeit im Dienst des Staates bedeutender als in anderen westlichen Ländern. Nun hat das Grundgesetz mittelbar dazu beigetragen, diese Rolle noch zu verstärken. Durch das Grundgesetz wurde der Bundeskanzler fast unabsetzbar und die Stellung der Bundesminister gleichfalls wesentlich gefestigter. In dem gleichem Maße aber — darauf hat auch eine Reihe meiner Herren Vorredner bereits abgestellt —, in dem sich dies vollzieht, wird auch die Position der Verwaltung gegenüber dem Parlament gestärkt. Je unabsetzbarer praktisch ein Bundesminister wird, desto machtvoller gestaltet sich zwangsläufig die Stellung der leitenden Beamten, für die der Minister vor dem Parlament die politische Verantwortung trägt. Auch Herr Kollege Dr. Dehler hat dazu sehr Bemerkenswertes gesagt. Ich möchte wünschen und hoffen, daß sich die Herren Bundesminister als Chefs ihrer Ämter dieser zwangsläufigen Folgeerscheinung des Grundgesetzes gegenüber dem Parlament stets bewußt bleiben.
    Wir begrüßen dabei z. B. durchaus die Verringerung der Bundesstelle für Warenverkehr, eine der wenigen Stellenverringerungen, die wir im ganzen Bundeshaushaltsplan festzustellen haben neben sehr erheblichen Erweiterungen im Haushalt des Auswärtigen Amts, bei der Dienststelle Blank usw. Die Absicht, damit zugleich, wie das Bundeswirtschaftsministerium das angekündigt hat, Aufgaben des Bundeswirtschaftsministeriums den nachgeordneten Bundesbehörden zu übergeben, wird durchaus von uns begrüßt. Die Regierung soll regieren und nicht verwalten.

    (Beifall in der Mitte.)



    (Dr. Vogel)

    Lassen Sie mich zu einem ganz anderen Gegenstand, den auch der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede in der vollen Bedeutung für die kommenden Jahre herausgestellt hat, übergehen. Ich meine die Belastungen aus dem Londoner Schuldenabkommen und den sonstigen Verpflichtungen des Bundes. Wir werden in den nächsten Jahren mit wachsenden Zinsendiensten zu rechnen haben. Der Investitionsbedarf der deutschen Wirtschaft ist außerordentlich hoch. Er wird allein für die wesentlichsten Zweige unserer Wirtschaft zur Zeit auf über 11 Milliarden DM geschätzt; darüber hinaus fordert die Landwirtschaft für ihr absolut notwendiges Programm noch weitere Milliardenbeträge an. Angesichts der von der Bundesrepublik übernommenen sehr hohen Zinslasten hatten wir eigentlich auf das Hereinströmen von ausländischem Kapital gehofft, da wir den enormen Investitionsbedarf infolge Mangels eigener Kapitalansammlung nur in einem allzu langsamen Tempo befriedigen könnten. Wir verkennen dabei keineswegs die wesentlichen Verbilligungen und Entlastungen, die der Finanzierung unseres Im- und Exports als Folge der Anerkennung unserer alten Schuldverpflichtungen und des wachsenden Vertrauens zu unserer D-Mark entstanden sind. Was allerdings bis jetzt an Kapitalangeboten sichtbar geworden ist, bedeutet eine Enttäuschung für uns. Ich denke z. B. an die sich mühselig hinschleppenden Verhandlugen über die angebotene allzu bescheidene 20-Millionen-Dollar-Anleihe der Weltbank. Wir bitten das Ausland, zu begreifen, daß nach den Vorleistungen im Londoner Schuldenabkommen und nach dem heutigen Stand der D-Mark Anleihebedingungen, die unsere Zahlungsfähigkeit in Zweifel ziehen könnten, schwer annehmbar erscheinen.
    Noch ein Wort zu den sogenannten Haushaltsresten, jenen Beträgen, die durch Haushalte früherer Jahre bewilligt, aber bis zum Schluß des Rechnungsjahres nicht eingenommen oder ausgegeben worden sind. In dem vorhin bereits zitierten überaus lesenswerten Kommentar über die Feinheiten des Haushalts von Ministerialrat Dr. Vialon heißt es, daß „diese Reste das stille Geheimnis der Haushaltswirtschaft" seien. Wer in der Tat die Höhe dieser Ausgabenreste und ihr Wachstum von 223 Millionen DM im Jahre 1950 auf 509 Millionen DM im Jahre 1951 und auf 681 Millionen DM im Jahre 1952 verfolgt, könnte hier mehr vermuten, als offenbar da ist. Ich habe mir zur Kontrolle dieser Dinge vom Bundesfinanzministerium eine Gegenüberstellung der Ausgabenreste der früheren Haushalte vor 1933 geben lassen. Dabei habe ich zu meinem Trost festgestellt, daß z. B. der hohe Ausgabenrest von 681 Millionen DM im Jahre 1952 nur 3 % der Ist-Ausgaben von rund 20,6 Milliarden DM ausmachte gegenüber 704 Millionen RM, d. h. damals 8,2 %, im Jahre 1926. Mit der Normalisierung der Haushalte nach der Inflation haben sich diese Reste damals übrigens bis zum Jahre 1930 auf 2,2 % vermindert.
    Meine Damen und Herren, es gäbe hier noch eine Unmenge von Wünschen vorzutragen. Aber ich sehe immer mit Besorgnis auf den Zeiger der Uhr vor mir, und ich möchte diejenigen, die so brav ausgeharrt und ihr Mittagessen zurückgestellt haben, um mir zu folgen, nicht einer unnützen Belastungsprobe aussetzen. Lassen Sie mich deswegen nur sehr kurz auf einzelne noch übriggebliebene Wünsche eingehen. Es wäre eine Menge auch zu dem Haushalt für Forschung zu sagen.
    Hier wird noch in der Beratung des Haushalts des Bundesinnenministeriums, die jetzt bevorsteht, ein von uns schon lange gehegter Wunsch nach einer Zusammenfassung der Beträge und einer Vermeidung von Doppelarbeit bei Forschungsinstituten näher geprüft werden müssen. Auch wir sind der Überzeugung, daß man das, was man durch Streichungen irgendwie zusammenkratzen könnte, vielleicht hier noch einfügen sollte.
    Wenn wir alle diese Faktoren des vor uns liegenden Haushaltsplans zusammenfassen und die eingeplante Steuerreform hinzunehmen, dann möchten wir doch im großen und ganzen von diesem Haushalt als einem Haushalt sprechen, der den Zielen der von uns verfolgten Wirtschaftspolitik durchaus angepaßt ist. Was man auch immer an manchmal nur zu berechtigten Klagen gegenüber der Finanzwirtschaft der öffentlichen Hand vorgebracht hat, sollte uns doch letzten Endes nicht den Erfolg dieser Haushaltspolitik in den letzten Jahren aus den Augen verlieren lassen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Im Mittelpunkt dieser Haushaltspolitik stand der immer noch gelungene Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen und die erstaunlich starke Festigung der D-Mark in den letzten fünf Jahren. Nicht ohne Stolz haben wir gerade vor einiger Zeit zum erstenmal den Vorgang beobachten können, daß diese D-Mark in der Schweizer Notierung über den Schweizer Franken zu stehen kam. Ich bitte auch alle, die durch die Schnelligkeit unseres wirtschaftlichen Aufstiegs die notwendige Distanz zu den bitteren Jahren von 1945 bis 1948 allzuschnell erreicht haben, niemals die Augen vor der Existenz von nicht weniger als 11,4 Millionen Unterhalts-und Versorgungsberechtigten in unserer Mitte zu verschließen. Sie müssen sich zwangsläufig bei jedem Versuch zu einer Konsumausweitung — so sehr wir das mit unserer Politik der sozialen Marktwirtschaft auch anstreben möchten — leider ähnlich hemmend auswirken, wie sich auch früher einmal das Millionenheer der Arbeitslosen in den bitteren Jahren von 1930 bis 1933 ausgewirkt hat. Aber wer sich diese Zahl der 11,4 Millionen wirklich Ärmsten der Armen als der Folge der furchtbarsten Katastrophe unserer Geschichte vor Augen hält, dem erwächst aber auch die eminent christliche Verpflichtung zum Maßhalten gegenüber nicht nur politischen, sondern auch wirtschaftlichen Extremen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Albers: Und persönlicher Lebenshaltung!)

    — Ich stimme Ihnen durchaus zu, Herr Kollege Albers. Ich glaube, daß dieser Haushalt ein sichtbarer Ausdruck unserer Entschlossenheit zu eben diesem Maßhalten ist. Götz Brief s, der bekannte Sozialrechtler, hat im Jahre 1950 in einem Vortrag die Frage aufgeworfen, wo denn die Instanz läge, die Autorität genug besäße, um zwischen den großen „Condottieri" unserer Zeit auszugleichen. Er hob dabei auf die amerikanischen Verhältnisse ab. Bei unseren wesentlich friedlicheren Verhältnissen wird man ja diesen Ausdruck nicht ganz für angebracht halten. Er fragte, wo denn zwischen diesen beiden großen Polen — lassen Sie mich einmal so sagen — der Ausgleich zu finden sei. Er zitierte dabei sein letztes Gespräch mit Professor Schumpeter, den wir ja keinesfalls zu unseren Sozialtheoretikern rechnen, son-


    (Dr. Vogel)

    dern der Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nahesteht. Herr Schumpeter hat ihm kurz vor seinem Tod — so erzählte er uns damals — bekannt, er sehe die Möglichkeit eines solchen Ausgleichs nur in einer außerordentlichen, nämlich in einer moralischen Instanz: in der christlichen Lehre. Meine Damen und Herren, von dieser Autorität allein empfangen wir die Verpflichtung zu jenem Maßhalten zwischen den Forderungen der großen politischen und wirtschaftlichen Machtgebilde unserer Tage. Lassen Sie uns auch in der Zukunft bei der Beurteilung und Einschätzung der Forderungen, von welcher Seite sie auch an uns herangetragen werden mögen, gemeinsam an diesem christlichen Maß festhalten. Wir werden so am sichersten und besten, glaube ich, alle miteinander der Wohlfahrt unseres Volkes dienen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)