Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Redner der FDP und SPD haben mit besonderem Nachdruck Wert auf die Feststellung gelegt, daß die Bundesregierung beabsichtige, alles, was noch an ungeregelten
Komplexen auf diesem Gebiet vorliegt, in einem Gang zu erledigen und in Ordnung zu bringen. Wir sind der Meinung, daß man doch zumindest das eine konzedieren sollte, daß es nicht möglich ist, einen solchen Komplex völlig ohne Rücksicht auf andere noch unerledigte Komplexe zu behandeln und zu regeln. Wir haben volles Verständnis dafür, daß der Herr Bundesfinanzminister erst einmal einen Überblick darüber gewinnen will, was an Forderungen dieser Art noch auf uns zukommen kann. Ob diese ganzen Materien dann in einem Gesetz oder in zwei oder drei behandelt werden, ist dann doch wohl eine mehr technische Frage. Es kann doch sein, daß die eine Materie in gesetzestechnischer Hinsicht eher als eine andere erledigt werden kann; aber der Grundsatz, daß es notwendig ist, erst einmal einen möglichst vollständigen Überblick über alles das zu gewinnen, was auf uns zukommt, scheint uns unerläßlich zu sein.
Die beiden Redner, die das Wort zur Begründung ihrer Großen Anfragen genommen haben, haben die Unterscheidung zwischen Rechtsproblemen und Sozialproblemen gemacht. Herr Seuffert sprach von „wirklichen Verbindlichkeiten", wozu zu sagen ist, daß man dann wohl auch, wenn man will, von unwirklichen oder nicht voll begründeten Verbindlichkeiten sprechen kann. Diese Unterscheidung scheint mir aber nicht richtig zu sein. Auf dem Boden des rein Rechtlichen lassen sich die Dinge nicht regeln. Ich glaube, das hat die Vergangenheit schon zur Genüge bewiesen, und wenn noch etwas dazu hinzuzufügen war, dann hat es vielleicht das Karlsruher Verfassungsgericht getan, indem es sein diesbezügliches Urteil ausgesprochen hat. Wie man bei einer solchen Situation glauben kann, daß es möglich sei, alle diese Fragen auf dem Boden rein rechtlicher Auseinandersetzung zu klären, ist mir nicht recht verständlich.
Zwei weitere Schadensgebiete sind heute noch nicht angesprochen worden, obwohl sie in diesen Komplex hineingehören. Es gibt im Raum Schleswig-Holsteins eine ganz beträchtliche Zahl von Besitzern von Grund und Boden, denen bei Ausgang des Krieges Ländereien von der Wehrmacht ohne Einhaltung von Formalien einfach weggenommen worden sind. Bis zum heutigen Tag ist keinerlei Entschädigung dafür gezahlt worden. Aus nicht verständlichen Gründen hält aber die Bundesvermögensverwaltung all diese Ländereien heute noch in ihrem Besitz und zieht dafür Pachtzinsen, ohne die eigentlichen Empfangsberechtigten bis zum heutigen Tage auch nur mit einem Heller dafür entschädigt zu haben. Mir ist bekannt, daß diese Tatsache in den Westkreisen des Landes Schleswig-Holstein — an den Westküsten — sehr viel Unwillen hervorgerufen hat, und eine Fülle von Verwaltungsstreitigkeiten hat sich daraus im Laufe der Zeit ergeben.
Der andere Komplex, der auch heute noch nicht angesprochen worden ist, der aber in seiner Bedeutung und in seinem Ausmaß im Augenblick noch gar nicht zu übersehen ist, betrifft die Geschädigten, denen die Erfüllung von Restitutionsansprüchen auferlegt worden ist. Meine Damen und Herren, das mag vielleicht etwas merkwürdig klingen; ich will Ihnen aber zwei Beispiele dafür nennen, was da an unverschuldeter neuer Rechtsnot heranwächst. Ein Rückerstattungsberechtigter verlangt sein Grundstück zurück. Er bekommt es auch verhältnismäßig sehr schnell. Inzwischen hat aber dieser Grundbesitz mehrfach den Besitzer gewechselt, und der jetzige Eigentümer ist in keiner
Weise mehr an den Vorgängen der sogenannten Arisierung — und wie diese Worte alle heißen — beteiligt. Er findet aber nicht mehr einen Vorbesitzer, der ihm für den Schaden, der ihm nun erwächst, geradestehen kann. Es geht hier darum, daß Existenzen in verhältnismäßig kurzer Zeit einfach ihre Grundlage entzogen bekommen und echte Notstände erwachsen.
Mir ist gerade in den letzten Tagen folgender Fall bekanntgeworden. Der Grundbesitz eines Rückerstattungsberechtigten war erstmals formal in der Hand des Reichs. Das Reich hat ihn an eine Stadt weiterverkauft, und die Stadt hat den Besitz im Jahre 1949 einem heimatvertriebenen Gewerbetreibenden vermietet bzw. verpachtet. Dort sind mit nicht unerheblichen Mitteln Investierungen vorgenommen worden. Ein durchaus rentabler, blühender Gewerbebetrieb ist entstanden. Jetzt kommt der Rückforderungsanspruch: Das Grundstück muß herausgegeben werden, ebenso muß der Besitz des jetzigen Mieters aufgegeben werden. Mit rechtlichen Begründungen gegenüber den Vorgängern sind diese Probleme gar nicht zu lösen.
Ich spreche diese Frage, Herr Bundesfinanzminister, deshalb etwas ausführlich an, weil ich der Meinung bin, durch rechtzeitige Vorsorge, meinetwegen auch im Wege der Darlehensgewährung, kann verhindert werden, daß sich diese Schäden eines Tages doch erheblich auswachsen. Ich habe im Bundesfinanzministerium zu erkunden versucht, ob derartige Vorsorgen schon erwogen werden. Ich habe eine verneinende Antwort bekommen. Ich bitte den Herrn Bundesfinanzminister,
vielleicht nach Feststellung der Fälle, die heute in der Praxis bereits sichtbar geworden sind, doch einmal zu erwägen, ob nicht in einem Vorgriffsverfahren durch Darlehensgewährungen die Gefahr der Vernichtung von Existenzen und damit des Entstehens eines sehr weiten Schadens rechtzeitig zu beseitigen ist.
Im übrigen noch eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister. In seiner Etatrede hat der Herr Bundesfinanzminister als Grundsatz für die Regelung dieses ganzen Komplexes gesagt, er werde diese Dinge nach den Grundsätzen der Währungsgesetze und des Lastenausgleichs anpacken. Das zweite Wort habe ich heute nicht mehr von ihm gehört. Wie ich meine, dürfte sich das Haus doch sicherlich darüber einig sein, daß insbesondere die verbrieften Schulden, bei denen die Zahl der wirklichen Einzelbesitzer nach meiner Auffassung gering ist — die Hauptmasse der Gläubiger werden doch wahrscheinlich die Banken und die Sparkassen sein, die, wie Sie schon richtig sagten, zum großen Teil durch die Ausgleichsforderungen befriedigt sind —, nicht einfach unter dem Gesichtspunkt einer gleichmäßigen Entschädigung à la Altsparergesetz oder Währungsumstellungsgesetze geregelt werden können. Hier wird doch zweifellos ein quo-taler Maßstab eine Rolle spielen müssen.