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ID0201202000

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    2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 325 12. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 325 C, 326 B, 346 A, 368 C Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Dr. Heuss und zu den Geburtstagen der Abg. Raestrup, Gaul, Schneider (Hamburg) und Dr. Baade 325 D Nächste Fragestunde 326 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 16 betr. Erstattung der Fahrtmehrkosten an Arbeiter und Schüler im Zonengrenzgebiet (Drucksachen 148, 225) und 20 betr. Ladenschlußgesetz (Drucksachen 179, 219) 326 A Vorlage der Übersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsangaben im Rechnungsjahr 1952 (Drucksache 176) . . 326 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Regelung der verbrieften Reichsschulden (Drucksache 95) in Verbindung mit der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Regelung der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen (Drucksache 140, Umdruck 10) 326 B Dr. Atzenroth (FDP), Anfragender 326 B, 331 A Präsident D. Dr. Ehlers 328 A Seuffert (SPD), Anfragender . 328 B, 330 C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 329 D Dr. Gille (GB/BHE) 331 B Scharnberg (CDU/CSU) 332 B Überweisung des Antrags Umdruck 10 an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für den Lastenausgleich 332 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) einschließlich Ergänzungsvorlage (Drucksache 200) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 (Drucksache 201) 332 C Schoettle (SPD) 332 D Dr. Krone (CDU/CSU) 346 A Dr. Dehler (FDP) 350 B Dr. Vogel (CDU/CSU) 361 B Weiterberatung vertagt 368 C Nächste Sitzung 368 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben eine Rede gehört, die sich auf den Haushalt des Jahres 1954/55 bezogen hat. Sie ist mit Ausführungen über die Politik der Bundesregierung verbunden gewesen. Ich begrüße es, daß Kollege Schoettle seine Ausführungen nicht auf die rein haushaltsmäßigen Fragen beschränkt, sondern den Rahmen seiner Darlegungen erweitert und damit eine alte, gute Tradition der parlamentarischen Demokratie wieder aufgenommen hat.
    Herr Schoettle hat eine gute Rede gehalten. Nur mit dem letzten Satz bin ich nicht ganz einverstanden.

    (Abg. Schoettle: Das wäre ja auch ein Wunder! — Lachen bei der SPD.)

    — Ich möchte darum bitten, daß Sie meine Ausführungen nicht so billig beantworten. Ich meine den Satz, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.

    (Zuruf von der SPD: Er hat nur von der Möglichkeit gesprochen!)

    — Gut, wenn wir uns auf diesem Mittelweg verständigen können, bin ich schon eher mit diesem Satz einverstanden; sonst, würde ich sagen, sollte man sich doch gerade in dieser Stunde, in der wir stehen, davor hüten, davon zu sprechen, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Das gilt aber auch umgekehrt, Herr Kollege!)

    Diese Bemerkung des Kollegen Schoettle hindert mich also nicht, seine Rede als eine gute Haushaltsrede zu betrachten.
    Ich möchte davon ausgehen, daß hier der Vorsitzende des Haushaltsausschusses gesprochen hat, jenes Ausschusses, der wohl als der wichtigste Ausschuß — die anderen Ausschußvorsitzenden mögen mir verzeihen, wenn ich das so sage — eines parlamentarischen Systems bezeichnet werden muß, weil ja durch seine Hand all das Geld geht, das der Bund einnimmt und ausgibt. Den Vorsitz dieses so wichtigen Ausschusses führt ein Vertreter der Opposition. Ich halte es für gut, daß wir bei der Verteilung der Ausschußvorsitze dahin gekommen sind, daß gerade in der Hand der Opposition die Führung dieses Ausschusses liegt, der ja doch letzten Einblick in all die Fragen des Haushalts unseres Staates gewährt.
    Da ich dabei bin, von Ihnen, Herr Kollege Schoettle, zu sprechen, will ich auch hinzufügen — das kann ich aus der Mitarbeit im Haushaltsausschuß, wenn sie auch einige Zeit zurückliegt, sagen —, daß, glaube ich, alle Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, daß Sie nicht nur ein sehr fachkundiger und kluger Mann sind, sondern die Führung der Geschäfte dieses Ausschusses auch so handhaben, daß man Ihnen das Prädikat einer sachlichen, korrekten und unparteiischen Führung geben muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn ich so zu Beginn meiner Ausführungen dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses eine Anerkennung ausspreche, so will ich gleich ein anderes Wort der Anerkennung hinzufügen. Hier muß ich es noch etwas erweitern, will es aber, da es sich um einen Herrn handelt, der auf der Ministerbank sitzt und aus unseren Reihen kommt, mit weniger Worten sagen. Ich will darauf hinweisen, daß der Bundesfinanzminister, diese so eigenwillige und sehr oft schwer zu nehmende Persönlichkeit, doch dann, wenn er vor dem Volke spricht und seine Grundsätze darlegt, dafür, daß er jeden Pfennig, der ausgegeben werden soll, aufs schärfste verteidigt, gerade im Volke Anklang und Sympathie findet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Fraktion hat mich beauftragt, dem Herrn Bundesfinanzminister den Dank für seine Arbeit und darüber hinaus auch ihr volles Vertrauen auszusprechen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich werde mich in meinen Darlegungen, Herr Kollege Schoettle, auf das beschränken, was politisch zu sagen ist. Nachher wird noch von anderer Seite aus meiner Fraktion etwas zum Haushalt gesagt werden.
    Sie haben eine sehr gute und kluge Differenzierung vorgenommen, als Sie sagten, Sie stünden hier nicht als Feind des Herrn Finanzministers und nicht als Feind der Bundesregierung, sondern als ihr Gegner. Ich glaube, daß Sie damit das umschreiben, was die Aufgabe der Opposition überhaupt ist, daß Regierung und Opposition, Regierungsmehrheit und Minderheit zueinander geordnet sind und nicht gegeneinander stehen sollten, daß es sich hier um zwei Pole handelt, die Wesensbestandteile für das Funktionieren der Demokratie überhaupt sind.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner ersten Rede davon gesprochen, die SPD werde darauf achten, ob die Regierung dies als die Funktion der Opposition auch ansehe oder nicht. Ich glaube, die letzten vier Monate hier im Hause können für die Regierung, aber auch für die Regierungsmehrheit den Nachweis dafür erbringen, daß wir uns dieser Funktion der Opposition bewußt sind.

    (Zuruf von der SPD: Hoffentlich bleibt's so!)

    — Das wäre eine Anerkennung, verehrter Herr
    Kollege, wenn Sie mir das entgegenrufen. Ich


    (Dr. Krone)

    möchte erwarten, daß dann auch das Wort wahr bleibt, das Sie selber zu dieser Frage gesprochen haben.
    Ich bin in vielem durchaus einig mit dem, was vorhin gesagt worden ist. Zu dem, was über die Sicherung der Währung gesagt worden ist, ist kein Wort zu verlieren. Weiter ist gesagt worden, wir müßten uns vor einer Vergrößerung der sozialen Spannungen hüten. Nun, ich meine, Herr Kollege Schoettle, es ist doch in den letzten vier Jahren vieles für den Abbau der sozialen Spannungen getan worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man braucht nur in das Volk hineinzuhorchen, um festzustellen, ob das, was ich eben gesagt habe, nicht doch der Wahrheit entspricht.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ihr Hinweis darauf, daß wir hier Grenzland seien, daß wir hier zwischen Ost und West stünden, war meines Erachtens aus diesem Grunde nicht am Platze.

    (Zustimmung in der Mitte. — Abg. Schoettle: Wieso nicht? Es ist doch nur eine Tatsachenfeststellung!)

    — Wenn Sie es rein geographisch meinen, Herr Kollege Schoettle, sind wir einverstanden. Aber ich glaube, daß die vier Jahre Politik, und zwar wirtschaftlich wie sozial gesehen — ich wiederhole es noch einmal —, viel dazu beigetragen haben, daß Spannungen, die vorher bestanden haben, jetzt doch abgebaut worden sind.
    Sie haben dann Ausführungen über den Schutz der zivilen Bevölkerung gemacht. Ich bin der Meinung, daß diese Ausführungen besser nicht gemacht worden wären.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich kann mir kein Bild darüber machen, ob das, was Sie gesagt haben, sachlich berechtigt ist. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie selber auch davon gesprochen, daß nur nach Ihrer Kenntnis — ganz allgemein gesagt — die Frage aufgeworfen werden müsse, ob das genügt, was da geschieht. Wir sollten im Interesse der Sache, aber auch zur Beruhigung — oder, besser gesagt, damit keine Unruhe entsteht — solche Fragen eben nur in einer Form erörtern, die unbegründete Beunruhigungen ausschließt.

    (Abg. Blachstein: Sie wollen einschläfern, Herr Krone!)

    — Nicht im geringsten, Herr Blachstein! Ich glaube, daß der Sinn unserer ganzen Politik der ist, daß der Friede erhalten bleibt, und nichts anderes.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich will dann ein Wort zu dem sagen, was Sie über den Staat und seine Funktionen gesagt haben. Auch wir sind uns dessen bewußt, daß dem Staat heute weit mehr Aufgaben zufallen, als es vor Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Wir wissen, daß gerade unser deutscher Staat nach zwei Kriegen, deren Opfer noch heute unter uns sind, Aufgaben übernehmen mußte, die früher überhaupt nicht vorhanden gewesen sind. Ich bin aber der Meinung — und ich glaube, meine Freunde mit mir —, Herr Kollege Schoettle, daß wir jede unbegründete oder falsche Ausweitung der Staatsaufgaben nur mit Sorge beobachten können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es scheint mir kein Fortschritt zu sein, wenn gesagt wird, daß die Ausweitung von Staatsaufgaben einfach naturnotwendig sei.

    (Abg. Schoettle: Das habe ich auch nicht behauptet, Herr Krone!)

    — Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, daß wir uns in diesem Punkte treffen können, doch scheint mir, in Ihren Ausführungen lag das Gewicht zu sehr darauf, daß hier eine Notwendigkeit vorliege, der wir eben nicht entgehen könnten. Weit eher sollten wir zu einer Durchgliederung des Aufgabengebiets kommen und dem Staat, dem Bund, das geben, was ihm zusteht. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß man mehr darauf achten muß, daß Aufgaben, die in der Gemeinde gelöst werden können, auch dorthin verlegt werden,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    daß weit mehr Aufgaben, die das Land bewältigen kann, vom Lande gelöst werden müssen, wo sie überschaubarer sind als in der Zentrale.

    (Abg. Schoettle: Dann müssen aber auch die Mittel und die Steuerquellen so aufgeteilt werden!)

    — Diese Konsequenz entsteht dann, selbstverständlich.

    (Abg. Schoettle: Richtig!)

    Die Wahrung dieses Subsidiaritätsprinzips muß heute betont werden, und wir betonen es auch. Das scheint mir die Aufgabe der Staatsreform zu sein, vor der wir stehen.
    Ich habe vorhin schon gesagt, daß es sich bei dem, was wir erörtern, auch um eine Reihe von politischen Fragen handelt. Ich glaube, wir haben gut daran getan, daß wir eine alte parlamentarische Gepflogenheit aufgenommen haben, indem nach dem Sprecher der Regierung zunächst der Sprecher der Opposition sprach. Bei der ersten großen Debatte des zweiten Bundestags im Oktober vorigen Jahres haben wir von dieser auch von mir anerkannten Regel Abstand genommen. Damals sprach der Vertreter der größten Regierungspartei zuerst. Der Grund dafür lag nicht nur darin, daß der neue Bundestag zum erstenmal vor das deutsche Volk trat; es geschah auch nicht deshalb, weil wir Wert darauf legten, daß gerade die größte Koalitionsfraktion zuerst zu dem Stellung nehmen sollte, was über die Politik der vier vor dem Bundestag liegenden Jahre zu sagen war und was sie darüber dachte. Es geschah deshalb, weil gerade nach den Wahlen eine Unzahl von Vermutungen und Verdächtigungen aufgekommen waren — ich will sie im einzelnen gar nicht wiederholen — und weil damals gesagt worden war, daß das Wahlergebnis des 6. September dazu angetan sein könne, in Deutschland wieder einen ganz anderen Kurs in die Wege zu leiten. Es wurde gesagt, die nächsten Monate müßten beweisen, ob nicht der Sieg vom 6. September der Anfang einer totalitären Bewegung sei. Wir haben damals mit Sorge darauf hingewiesen, daß solche Äußerungen nicht nur im Inlande, sondern auch im Auslande zu lesen und zu hören waren. Ich möchte hier feststellen — und ich möchte glauben, daß das, was Sie, Herr Kollege Schoettle, gesagt haben, ein Beweis für meine Behauptung ist —, daß die bisherige Arbeit hier im Parlament zu solchen Verdächtigungen und zu solchen Besorgnissen in keiner Weise Anlaß gegeben hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)



    (Dr. Krone)

    Ich füge hinzu, daß nach unserem Wunsche das auch so bleiben soll. Wir müssen alles tun, um im deutschen Volke den Sinn für das Demokratische, für die großen Aufgaben unseres Volkes im Appell an den einzelnen Menschen und seine Selbstverantwortung zu wecken und dem hier im Bundestag Raum zu geben.
    Damals fiel auch das Wort, daß man die Demokratie auf kaltem Wege töten könne, in der Stickluft der Korruption und in der Muffigkeit kultureller Reaktion. Ich freue mich, daß solche Worte in der Rede des Oppositionssprechers nicht gefallen sind, und ich hoffe, daß auch seine Ausführungen über das Familienministerium keinen Anlaß dazu geben, anzunehmen, das Ja, das wir zu diesem Ministerium sagen, sei nicht aus der letzten Verantwortung, aus letzten tiefen, ethischen Gesichtspunkten für die Sicherung und den Bestand der deutschen Familie geboren. Ich halte es nicht für würdig, daß man diese Dinge so mit billigen Worten und mit billigen Bildern abtut, die an dem Sinn dieser Aufgabe völlig vorbeigehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    — Ich möchte auf dieses Wort nicht eingehen. Ich glaube, die, die das eben sprachen, versündigen sich an den Aufgaben, die das Ministerium Wuermeling zu leisten haben wird. Man kann die Dinge, um die es hier geht, doch nicht mit so billigen Worten und Scherzen abtun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn Sie es tun, dann ergibt sich daraus zwischen Ihnen und uns eine Kluft, eine weltanschauliche Diskrepanz.

    (Abg. Schoettle: Ich würde hier nicht verallgemeinern, Herr Kollege Krone!)

    — Nein? — Sie haben gesagt, ich möchte nicht verallgemeinern. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie also von diesem Wort abrücken.

    (Abg. Kriedemann: Es geht nicht um die Familie, es geht um den Minister! — Abg. Dr. Menzel: Das steht doch in der „Welt" drin! — Weitere Zurufe. — Unruhe.)

    Meine verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch ein Wort, das der Herr Kollege Schoettle an die Adresse des Bundesinnenministeriums gerichtet hat. Er sprach von dem Film „5 Minuten nach 12". Ich habe ihn auch nicht gesehen, ebensowenig wie er.

    (Abg. Schoettle: Ich habe ihn gesehen, doch!) Ich freue mich, daß Herr Kollege Schoettle selber zugab, daß auch Minister, die aus seinen Reihen kommen, mit zugestimmt haben, diesen Film zu verbieten. Ich persönlich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß es sich nach allem, was ich von den verschiedensten Seiten über diesen Film gehört habe, in der Tat um einen Fehlgriff gehandelt hat. Aber, Herr Kollege Schoettle, Sie haben gesagt, dieser Fehlgriff sei symptomatisch. Wofür symptomatisch? Für einen Kurs der Reaktion, Herr Kollege Schoettle, oder wofür?


    (Abg. Schoettle: Ich bin bereit, darauf zu antworten!)

    Für einen Kurs der Reaktion, politisch gesehen?

    (Abg. Dr. Menzel: Warum ist er denn verboten worden? — Weiterer Zuruf von der SPD: Weil Sie die Wahrheit nicht hören wollen!)

    — Ich glaube, dieses Ihr Wort geht doch zu weit. Sie können keinem unserer Herren, auch nicht dem Bundesinnenminister, auch nur im entferntesten nachsagen, daß mit dem damaligen Verbot solche Tendenzen verknüpft gewesen sind.

    (Abg. Dr. Menzel: Aber warum ist er denn verboten worden?)

    — Herr Kollege Menzel, weil man meinte, das sei aus außenpolitischen Gründen das richtigste.

    (Abg. Dr. Menzel: Das ist doch ein Wort! — Weitere Zurufe.)

    Herr Kollege Schoettle hat sodann von der Ausweitung des Kabinetts gesprochen. Er hat es nicht nur als richtig empfunden, zu sagen, daß nach seiner Meinung eine Reihe von Posten überflüssig seien, sondern er hat darüber hinaus auch geglaubt, die Aufgabe dieser Minister doch sehr despektierlich herabsetzen zu können. Wir sind der Meinung, Herr Kollege Schoettle, daß, wenn es sich um das höchste Gremium unseres Staatsaufbaus, um die Regierung. handelt, wir die Verpflichtung haben, für dort anfallende neue wichtige Aufgaben, gerade wenn sich das über den Rahmen der bisherigen Ministerien hinaus erstreckt, Minister einzusetzen. Ich füge hinzu, daß es uns angesichts der großen politischen und außenpolitischen Aufgaben, wie sie jetzt mit der Berliner Konferenz zusammenhängen, auch darauf ankam, in das Kabinett einen Kollegen zu setzen, der neben dem Minister für gesamtdeutsche Fragen gerade diese Aufgaben der Zone, des Ostens und Berlins vertritt. Wir sind der Meinung, daß es sich nicht darum handeln kann, diese Ministerien auszubauen; ich glaube, dafür ist die Gewähr auch gegeben. Wir haben vielmehr den Wunsch, daß diese Ministerien sich auf einige wenige Arbeitsgebiete beschränken. Wir sind durchaus für die Einrichtung dieser Ministerien für Sonderaufgaben.

    (Abg. Blachstein: Was macht denn dann jetzt Herr Minister Kaiser? — Abg. Meitmann: Das ist doch seine Aufgabe!)

    — Herr Kollege Blachstein, ich habe eben schon gesagt: es handelt sich hier um so eminent wichtige Fragen, daß nach unserer Meinung eine Verstärkung durchaus am Platze ist.
    Ein Wort muß dann noch zum Ministerium für Familienfragen gesagt werden. Auch von diesem Ministerium, Herr Kollege Schoettle, haben Sie geglaubt, daß es überflüssig sei. Wir sind gerade der gegenteiligen Meinung. Wenn man schon davon ausgeht, daß die Familie als die Urzelle der Gesellschaft und des Staates heute weithin in Gefahr ist, dann sollte man auch von Staats wegen alles tun, was dem Wohl und der Sicherung der Familie dient.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Es ist zu billig, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie die Arbeit des Herrn Dr. Wuermeling damit abtun wollen, daß er sich in Reden erschöpfe.

    (Zuruf von der SPD: Sonntags!)

    Ich glaube schon, daß es notwendig ist, im deutschen Volke für diese Aufgaben weit mehr Verständnis als bisher zu wecken.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Die Auffassung, daß hierin eine eminent wichtige
    Aufgabe für unser Volk liegt, ist noch gar nicht
    weit genug in das Denken weiter Kreise unseres
    Volkes eingedrungen. Wir sollten auch den Mut
    haben, einmal über die rein klassischen Ministe-


    (Dr. Krone)

    rien hinauszugehen und, wenn neue Aufgaben anfallen, diese neuen Aufgaben auch in die Hand zu nehmen.

    (Abg. Schoettle: Herr Schäffer war bei der Regierungsbildung etwas anderer Meinung als Sie!)

    — Herr Schäffer hat gerade hier gesagt, er müsse diesem Ministerium nachsagen, daß es sich finanziell in einem ganz engen Rahmen halte — eine Anerkennung der Arbeit des Ministeriums, glaube ich.

    (Abg. Schoettle: Als Mitglied des Kabinetts mußte er post festum so etwas sagen!)

    Nein, ich glaube nicht, Herr Kollege Schoettle, daß diese Aufgaben nur so zu sehen sind, wie Sie sie sehen, sondern es handelt sich hier wirklich um große Aufgaben unseres Volkes. Wir meinen, dieses Ministerium sollte seine Aufgabe darin sehen, nicht die Familie zu bevormunden, also nicht in die Familie hineinzureden, sondern der Familie im Aufbau unseres Volkes die Sicherheit zu geben, die sie braucht. Nach unserer Meinung liegt die Aufgabe dieses Ministeriums darin, dafür zu sorget, daß bei allen Gesetzen das Prinzip der Sicherung der Familie gewahrt wird. Hier liegt das Bemühen um die Familienausgleichskasse; hier liegt die Aufgabe, eine gerechte Steuerreform auch unter dem Gesichtspunkt der Familie und der kinderreichen Familie durchzuführen. Hier liegt die Aufgabe des Wohnungsbaues für die Familie und besonders für die kinderreiche Familie. Diese Aufgaben anzupacken, scheint uns im Interesse des Volksganzen eine Notwendigkeit zu sein, und darum unser Ja zu diesem Ministerium.
    In der Rede, 'die der verstorbene Kollege Dr. Schumacher im Jahre 1949 hier im Hause gehalten hat, hat er die Hoffnung auf den Sieg der sozialistischen Demokratie ausgesprochen. Nun, das Jahr 1953 hat anders entschieden. Ich glaube überhaupt, daß all das, was bisher mit dem Wort „sozialistisch" bezeichnet worden ist, gerade auch in Ihren eigenen Reihen einer Kritik unterworfen wird und daß dieses Wort im Denken unseres Volkes bei weitem nicht mehr den Anklang hat, wie das früher der Fall gewesen ist.

    (Zuruf bei der SPD: Abwarten!)

    Ich will nur darauf hinweisen, daß Herr Kollege Ollenhauer in seiner Rede nach der Regierungserklärung Ausführungen über die Wirtschaftspolitik gemacht hat, die Herrn Kollegen Dehler veranlaßt haben, zu sagen, daß hier die richtige Einsicht vorhanden sei, aber nur der Mut fehle, diese Einsicht zu realisieren. Meine Damen und Herren, wenn selbst in Ihren Reihen diese Auffassung vertreten wird und wenn darüber hinaus die Erfolge der letzten vier Jahre den Beweis dafür erbringen, daß wir mit dieser unserer Politik auf dem richtigen Wege sind, haben wir keinen Anlaß, heute von diesem Wege abzuweichen. Es liegt mir nicht daran, hier mit Zahlen aufzuwarten. Aber darauf möchte ich doch hinweisen, daß wir, wenn wir diesen Weg unserer Wirtschaftspolitik fortsetzen, auch in der Lage sind und sein müssen, all die Sorgen noch zu beheben, die auch jetzt noch in unserem deutschen Volke vorhanden sind.
    Ich bin der Meinung, daß die soziale Frage von heute ein anderes Gesicht bekommen hat, daß sienicht mehr in der Weise die Frage der Arbeiterschaft ist, wie das früher der Fall gewesen ist,

    (Abg. Albers: Sehr richtig!)

    daß es heute ganz andere Stände sind, deren Notlage gesehen werden muß. Ich denke hier an die Heimatlosen, an einen großen Teil der Vertriebenen, ich denke an unsere Alten und Invaliden und bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß für die Rentenbezieher etwas geschehen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich denke hier auch an unsere Jugend, deren Aussicht vielfach verdunkelt ist, weil ihr die Möglichkeit, Stellung zu finden, nicht gegeben ist. Ich denke hier auch an einen großen Teil der jungen Akademiker, an Menschen also, deren Bezahlung in ihren jungen Jahren so ist, daß sie nicht daran denken können, eine Familie zu gründen. Hier liegen noch ganz neue und große Aufgaben sozialer Art, die gesehen werden müssen und von uns auch gesehen und in Angriff genommen werden.

    (Zuruf von der SPD: Wann?)

    Wir sind weiter der Meinung, daß von seiten der Regierung und von seiten des Bundestages alles getan werden muß, um eine Sicherung unseres wirtschaftlichen Aufstiegs zu gewährleisten. Wir müssen die weitere wirtschaftliche Entwicklung mit Sorgfalt beachten, nicht nur im Interesse derer, die aktiv in der Wirtschaft stehen, sondern gerade auch derer, die aus dem Wirtschaftsprozeß ausgeschieden sind; eine Zahl von Menschen, die in den nächsten Jahren noch steigen wird, also eine neue Hypothek, die auf allen denen liegt, die noch im Wirtschaftsleben stehen.
    Hier liegt die enge Verbindung zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Ich wiederhole, was ich vorhin schon ausgeführt habe: Wir sollten hierbei zu einer guten Ordnung in der Aufgabenstellung zwischen Gemeinde, Land und Bund kommen. Wir sollten hier dahin kommen, daß nichts von einer höheren Instanz übernommen wird, was eine niedere leisten kann.
    Ich meine auch, daß wir dieses Prinzip auf unsere Familie selber anwenden sollten. Man sollte der Familie so weit wie nur möglich den Raum eigenen Schaffens und Sorgen geben, dann aber auch dafür sorgen, daß die Familie, der Vater und die Mutter, die ihr obliegende und zufallende Aufgabe auch leisten kann. Hier liegen die Aufgaben auf dem Gebiet der Wohnungspolitik, des Arbeitsplatzes und der Sicherung des Alters. Daher auch unsere Forderung, von uns aus alles zu tun, um den Prozeß des Absinkens in das Kollektiv so weit wie nur möglich zu unterbinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier liegen die Aufgaben der deutschen Eigentumspolitik: die Zahl der Eigentümer so weit wie möglich zu vermehren und — auch im Interesse der Sicherung unseres Volksganzen — Wege zu diesem Ziel zu beschreiten, die gangbar sind. Die Wirtschaftspolitik wird von uns vor allen Dingen bejaht, die dieser Aufgabe der Sicherung unserer Familie am besten dient. Man gebe gerade der Familie die Chance, sich selber wieder zu helfen.
    Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu einem Kapitel, das ich heute ebenso wie der Herr Kollege Schoettle nur kurz streife. Er hat gemeint, zwischen der Opposition und der Regie-


    (Dr. Krone)

    rungskoalition seien nach wie vor in der Außenpolitik Gegensätze vorhanden. Er hat allerdings hinzugefügt, sie seien etwas gemildert. Ich möchte auf dieses Wort von der Milderung der Gegensätze abheben. Heute richten sich doch die Wünsche und die Hoffnungen von 18 Millionen Menschen auf die Berliner Konferenz. Wie die Zone drüben denkt, haben wir am 17. Juni erfahren. Nun ist vorgestern im Auswärtigen Ausschuß zu meiner Freude ein Beschluß gefaßt worden, der von allen Seiten dieses Hauses gebilligt wurde.

    (Beifall in der Mitte.)

    Dieser Beschluß zeigt doch, daß unser Volk und wir in der Repräsentation unseres Volkes im Bundestag in den wesentlichen und entscheidenden Fragen der deutschen Außenpolitik einiger sind, als es manchmal in der Öffentlichkeit aussieht.

    (Abg. Mellies: Wenn Sie den IndustrieKurier von heute lesen, wissen Sie, an wen Sie Ihre Mahnungen zu richten haben! — Abg. Albers: Damit haben wir ja nichts zu tun! — Gegenrufe von der SPD: Hört! Hört!)

    — Das habe ich nicht gelesen! — Herr Kollege Mellies, ich kann nur wünschen, daß diese Linie des Gemeinsamen in diesem Hause weiterhin vertreten wird und daß wir die Stunde erkennen, die heute für unser Volk schlägt. Große und kluge Völker haben es in allen Schicksalsfragen verstanden, den Weg der Einigkeit zu gehen.

    (Bravo-Rufe bei den Regierungsparteien.)

    Diese Bitte und diese Aufforderung richte ich, Herr Kollege Mellies, an das ganze Haus; ich tue es im Interesse gerade der Menschen, die auf Berlin ihre große Hoffnung setzen. Wir haben im Bundestag in einer Reihe von Beschlüssen unsere grundsätzlichen Forderungen festgelegt. Sie gipfeln in der Forderung, das deutsche Volk hier und drüben soll selber sein Schicksal in die Hand nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind uns darin einig, daß wir nicht mehr das Jahr 1945, sondern das Jahr 1954 schreiben und daß es deshalb auch kein Zurück zu Potsdam mehr geben kann.

    (Bravo-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Wir wissen nicht, was die nächsten Tage uns bringen werden. Vielleicht erleben wir in Berlin jetzt bald den Höhepunkt und die Entscheidung. Wir können nur den Wunsch aussprechen, daß sich die Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes und vor allen Dingen der 18 Millionen Menschen drüben in der Zone auf Wiedervereinigung und auf Freiheit recht bald verwirklichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Haushalts und die damit verbundene Finanzkontrolle sind das vornehmste Recht des Parlaments. Man kann über den Haushalt nur im gesamtpolitischen Zusammenhang entscheiden. Es wird zum Stil unserer Arbeit gehören, daß die erste Lesung des Haushalts das große politische Ereignis des Jahres ist, daß jede politische Gruppe die Beratung des Haushalts dazu benutzen wird, Kritik zu üben, zu den politisehen Strömungen der Zeit Stellung zu nehmen, ihre politischen Vorstellungen, Wünsche und Ziele darzulegen. Mit Recht hat Herr Schoettle gesagt, bei der ersten Lesung des Haushalts stehe die Gesamtpolitik der Bundesregierung, die Gesamtpolitik unseres Landes zur Debatte.
    Wir müssen uns bei diesem Anlaß Gedanken über die Entwicklung unseres Staates machen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wo wir stehen, was uns fehlt, welche Forderungen noch zu erfüllen sind. Wir stehen in dem schmerzlichen Prozeß des Werdens eines neuen deutschen Staates, zum zweiten Mal nach einem fürchterlichen Zusammenbruch. Die letzten Jahre waren ein Leidensweg. Sie kennen die Entwicklung, die zugeteilte, die kontingentierte Demokratie auf der Stufe der Gemeinden, der Länder — zum Teil künstlich geschaffener Länder —, der Zonen. Sie kennen die bittere Tatsache, daß es eine Demokratie war, die zum Teil nach dem Geschmack der anderen, nach dem Geschmack der Besatzungsmächte geformt wurde. Seit jetzt fünf Jahren leben wir nach einem Grundgesetz, das nicht restlos unseren Wünschen entspricht, ein Grundgesetz, das aber besser ist als sein Ruf, das in fast allen Punkten unseren staatsbildenden Willen darstellt und das gerade in den Punkten versagt, in denen der Wille der Besatzungsmächte seinen Niederschlag gefunden hat.

    (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Gerade heute haben eine Tageszeitung und eine Wochenzeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und „Die Zeit", ernste Betrachtungen über 'die Frage angestellt, ob es uns gelungen ist, mit dem Grundgesetz ein funktionsfähiges Instrument zu schaffen, und ob dieser Staat richtig funktioniert. Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten ein Bundesverfassungsgericht berufen haben und daß dort auch tatsächlich Fragen entschieden werden, einen Beweis für ein schlechtes Funktionieren unseres Staates zu sehen. Das Gegenteil ist richtig. Hier öffnet sich ein Ventil. In anderen Staaten, die diese Verfassungsgerichtsbarkeit nicht kennen, werden die Spannungen politisch ausgetragen, im Zweifel durch Mehrheitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß die Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer aufgeht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage ist nur, w i e die Spannungen ausgetragen werden.
    Ich glaube, wenn wir zurückblicken, können wir feststellen, daß sich im Rahmen des Grundgesetzes unsere staatlichen, unsere parlamentarischen Verhältnisse in einer erfreulichen Weise konsolidiert haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das können wir feststellen, wenn wir an die politischen Sorgen anderer Länder, etwa Frankreichs oder Italiens, denken. Wir können feststellen, daß bei uns die destruktiven politischen Elemente weitgehend ausgemerzt sind. Das ist ein großer Gewinn für die Wirksamkeit unserer Demokratie im Innern und nach außen. Ich meine, man kann sagen, daß der Ungeist des Nationalsozialismus —auch das ist ein Effekt der Abstimmung unseres Volkes in der Wahl vom 6. September — nun weitgehend ertötet worden ist. Gibt es noch eine ernste Gefahr einer Restauration des Rechtsradikalismus, etwa 'des Geistes, der in der Harzburger Front seinen Niederschlag gefunden hat? Ich glaube


    (Dr. Dehler)

    es nicht. Noch vor ein, zwei Jahren haben wir uns Sorgen wegen der sogenannten Partisanenaffäre gemacht. Noch vor einem Jahr haben wir unseren Blick auf solche Übergangsvorgänge gerichtet, und das, was um den Goebbels-Staatssekretär Naumann spielte, war für uns ein ernster Anlaß, ein Symptom.

    (Abg. Behrisch: Wie es die FDP in Wiesbaden treibt!)

    — Da, Kollege Behrisch, setzen Sie sich mal mit Ihren Freunden in Wiesbaden auseinander. So billig wollen wir es uns doch nicht machen, Herr Behrisch, .daß Menschen, die auch im Dritten Reich gelebt und gewirkt haben, für alle Zeitenabgeschrieben werden müßten und nicht mehr nach dem Wert ihrer Persönlichkeit zur Wirksamkeit kommen dürften. Von dieser Seite habe ich Sie noch nicht kennengelernt, Herr Behrisch. Wir wollen uns doch überlegen, daß die unheilvolle Art der Entnazifizierung eines der großen Hemmnisse unserer Staatsbidung in den letzten Jahren war,

    (Beifall bei der FDP)

    und wir wollen froh sein, daß wir mit dieser traurigen Periode, diesem untauglichen Versuch, mit der Vergangenheit im Wege von Gerichtsverfahren fertig zu werden, endlich zu Ende gekommen sind.

    (Zurufe.)

    — Nein, der Herr Naumann hat sich jetzt in einen Schlupfwinkel verkrochen, und von unserer aktiven Leistung hängt es ab, daß er es niemals mehr wagen wird, ans politische Tageslicht zu kommen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Herr Kollege Schoettle hat eine ernste Frage angeschnitten, die die Solidität unseres Staates, das Ausgewogensein der Funktionen des Staates berührt. Er sprach von dem geringen Ansehen des Bundestages und seiner Arbeit. Er hat mit Bedauern festgestellt, daß ,das so weit geht, daß man selbst in dem amtlicher Bulletin der Bundesregierung monate-, vierteljahrelang die Tätigkeit des Bundestages und seine Existenz nicht erwähnt findet und daß dann in der Öffentlichkeit der Eindruck ,des „schwachen Bundestages" entsteht sowie die Auffassung, daß der Bundestag durch einzelne Persönlichkeiten der Bundesregierung, durch den Bundeskanzler, durch den Bundesfinanzminister, um dessen Person sich unsere heutige Debatte besonders bewegt, überdeckt wird und in ihrem Schatten steht. Ich gehe mit Herrn Kollegen Schoettle durchaus einig, daß das nicht sein darf. Die Souveränität unseres Volkes ist dem Bundestag, dem Parlament, ,der Volksvertretung übertragen. Ich sage das durchaus bewußt auch aus meiner Erfahrung und aus der Sicht, die ich in den letzten vier Jahren von dem Podium des Ministersessels her hatte.

    (Abg. Blachstein: Eine Polemik gegen den ehemaligen Minister?)

    — Nun, ich gehe mit meinem väterlichen Freund Adenauer darin einig, daß man immer etwas lernen kann. Das ist das Wertvolle, daß man die Dinge auch einmal von der anderen Seite sieht und vielleicht die Qualität gewinnt, sie ins rechte Lot zu bringen.

    (Heiterkeit.)

    Wir haben die Regierung unglaublich stark gemacht dadurch, daß der gewählte Bundeskanzler praktisch während ,der Wahlperiode nicht abberufen werden kann, daß nur das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum — im allgemeinen wenigstens — zu diesem Ergebnis führen könnte. Darin liegt auch eine Gefahr, die Gefahr einer Überheblichkeit der Bundesregierung, die Gefahr, daß man den Wert und die Bedeutung des Bundestages nicht richtig einschätzt. Ich werde häufig an ein mir politisch wichtig erscheinendes Gespräch erinnert, das der geniale Wissenschaftler und Politiker Max Weber im Frühjahr des Jahres 1919 mit Ludendorff, mit dem eben gestürzten Diktator, geführt hat. Da fragt Ludendorff, ob denn die Demokratie, die man jetzt praktiziere, richtig sei. Max Weber hat das sehr nachdrücklich abgelehnt und hat seinen Standpunkt, seine Vorstellung von der Demokratie so umschrieben: „In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht hineinreden. Nachher kann das Volk richten. Hat der Führer" — so sagt Max Weber — „Fehler gemacht, dann an den Galgen mit ihm!" — Nun, ich halte nicht viel von der Prozedur des Aufknüpfens; ich halte aber auch diese Form ,der Demokratie für falsch, als dem Wesen der repräsentativen Demokratie widerstreitend. Ich glaube, man soll die Bundesregierung trotz der Machtfülle, die sie hat, davor warnen, eine solche Demokratie verwirklichen zu wollen.

    (Zuruf von der Mitte: Sollen wir es machen, wie es in Frankreich ist?)

    — Wir wollen nicht, daß die Fehlentwicklungen, wie sie in Frankreich und Italien, das sich jetzt ja in solchen Krisen wieder schmerzlich bewegt, zu verzeichnen sind, bei uns eintreten. Dafür haben wir im Parlamentarischen Rat gesorgt. Nein, worum es mir geht, ist, daß die Regierung engste Fühlung mit dem Parlament hat, daß die Willensbildung im Wesentlichen, im Grundsätzlichen beim Parlament liegt und von der Regierung geachtet, respektiert wird. Daß dieses Verhältnis zwischen Exekutive und Parlament nicht restlos glücklich und harmonisch ist, das ist ja heute schon aufgeklungen.
    Herr Schoettle meint zwar, das Ideal sei, wie der englische Schatzkanzler mit der roten Mappe ins Parlament komme und vorher das Geheimnis seines Budgets nicht lüfte. Nun, ,die Dinge sind bei uns anders, und ich empfinde gerade den entgegengesetzten Mangel, daß Gesetze beraten werden, von deren Referentenentwürfen Gott und die Welt Kenntnis haben, deren Entwürfe mit den Verbänden und mit den Landesregierungen erörtert werden, und daß wir dann vor relativ vollendete Tatsachen gestellt werden. Man braucht sich nur der Tatsache bewußt zu werden, daß die pressure groups nicht mehr in die lobbies des Parlaments gehen, sondern daß sie die Klinken der Referententüren in den Ministerien putzen, um zu wissen, welche Verschiebung der Machtfülle sich ergeben hat.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das darf nicht sein.
    In diesem Zusammenhang bitte ich, daß das geschieht, was ich auch als Justizminister immer für richtig gehalten habe: von vornherein bei Gesetzgebungsprojekten die zuständigen Vertreter der Fraktionen, die Fachreferenten des Bundestags zur Diskussion zuzuziehen. In meiner Fraktion ist einmal bei der Kritik dieser Dinge der Gedanke hoch-


    (Dr. Dehler)

    gekommen, im Wege einer Änderung des Grundgesetzes der Bundesregierung das Initiativrecht für Gesetze zu entziehen und zu sagen, nur dann wird auf dem Gebiet der Gesetzgebung richtig vorgegangen, wenn ausschließlich das Parlament das Initiativrecht hat. Das wäre eine sehr radikale Kur. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, wie in zunehmendem Maße das Schwergewicht der Entwicklung bei den Ministerien, bei der Ministerialbürokratie liegt und wie der Einfluß des Parlaments immer mehr zurückgedrängt wird, dann muß man sich ernstlich überlegen, wie man diese Entwicklung kupieren kann.

    (Abg. Dr. Vogel: Wie wollen Sie das technisch machen?)

    — Wir haben schon viele Möglichkeiten — beispielsweise den Dokumentardienst — erwogen. Vor allen Dingen muß — ich habe das schon gefordert
    — die Regierung in dauerndem Kontakt mit uns sein. Was die Verbände 'draußen wissen, das müssen wir schon längst vorher wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Ich möchte diesen Rat auch ein klein bißchen in das Kabinett für dessen interne Arbeit hineinreichen. Das heute schon erwähnte Kriegsschädenschlußgesetz, ein derart wichtiges Gesetz, an das sich die Hoffnungen und die Befürchtungen von Millionen von Menschen heften, wird ängstlich von den Referenten eines Ministeriums erwogen, um es als Knalleffekt auf den Tisch zu legen und Milliarden von Werten — von fiktiven und vielleicht auch von realen Werten — zu vernichten. Hier muß es die Demokratie auch in den kleineren Gremien geben. So große Aufgaben können nur im Zusammenwirken gelöst werden.
    Ich spreche von den Spannungen zwischen Bundesregierung und Bundestag. Sie sind doch mehrfach aufgetreten. Im empfinde es immer noch — das muß ich wieder einmal sagen — als unverständlich, daß der wiederholte Beschluß des Bundestages, den Bundesgrenzschutz auf 20 000 Mann zu erhöhen — nach meiner Meinung eine wirklich echte staatliche Pflicht —, nicht erfüllt worden ist aus Gründen, die ich nicht recht einsehe. Dafür konnte es keine finanziellen Hemmungen geben.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Strauß: Platow-Amnestie! — Heiterkeit.)

    — Mein Lieber Freund Franz-Josef, da bleibt nichts erspart!

    (Erneute Heiterkeit.)

    Zunächst einmal das nicht eingelöste Versprechen der Reform des Rentenwesens. Diese brennende Frage muß doch gelöst werden. Wir haben nur Versprechungen und keine wirklich konstruktiven Vorschläge erhalten. Weiter das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und damit das ganze Problem, das der Herr Kollege Schoettle — ich hätte ihn gern ein bißchen als Gesprächspartner hier gehabt —

    (Abg. Mellies: Er kommt gleich zurück!) angeschnitten hat, — eine wichtige Frage.

    Wir haben der Bundesregierung mit vollem Bedacht die Waffe des Art. 113 des Grundgesetzes gegeben. Mein verstorbener Parteifreund, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Höpker-Aschoff, ist der Vater dieser Bestimmung. Ich halte sie nach wie vor für richtig. Daß das eine starke
    Waffe in der Hand der Bundesregierung ist, ist zuzugestehen, aber eine richtige Waffe, die nur geschwungen werden muß, wenn das Parlament seine Verpflichtung, keine Ausgabe ohne Deckung zu beschließen, mißachtet hat. Kollege Schoettle ist der Meinung, das Budgetrecht des Parlaments sei durch diese Bestimmung weitgehend ausgehöhlt. Ich bin anderer Meinung. Selbstverständlich untersteht auch das Parlament dem Grundgesetz und der grundgesetzlichen Verpflichtung, daß der Haushalt ausgeglichen sein muß. Nicht nur der Bundesfinanzminister, sondern auch das Parlament würde seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen verletzen, wenn es sich über diese Forderung des Grundgesetzes hinwegsetzte. Es ist die Frage: Soll die Pflicht des Parlaments, keine Ausgabenmehrung und keine Einnahmenminderung ohne die entsprechende Deckung zu beschließen, im Grundgesetz, in der Geschäftsordnung ausdrücklich festgelegt werden? Man kann darüber verschiedener Meinung sein. Ich meine, es bedarf gar nicht der Festlegung. Der § 96 der Geschäftsordnung ist in diesen Bestimmungen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Es ist ein Urteil, das mich nicht überzeugt hat, ich bedauere es; die Bestimmung hätte ausgereicht. Aber abgesehen von jeder Bestimmung im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung besteht diese Verpflichtung. Daß die Würde des Parlaments auch weitgehend von seiner Selbstzucht abhängt, ist uns bewußt.
    Nun zur Platow-Amnestie, um dem Minister für besondere Aufgaben, Herrn Strauß, zu entsprechen, auch für die besondere Aufgabe, die bajuwarische Verbindung mit mir zu pflegen.

    (Heiterkeit.)

    Ich stehe hier — es ist psychologisch ganz interessant — so mitten im Feuer. Ich habe diese Platow-Amnestie nicht ausgefertigt,

    (Bravo-Rufe rechts)

    weil ich sie für verfassungswidrig halte. Das ist auch heute noch meine Meinung. Ich bin der Ansicht, daß die Verfassungswidrigkeit auch nicht dadurch beseitigt würde, daß diese „Amnestie" in ein allgemeines Amnestiegesetz, aber doch wieder auf diese Fälle beschränkt, eingebaut würde.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ich habe die Gegenzeichnung verweigert. Meiner Unterschrift bedurfte es übrigens nach dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung nicht; denn es genügt die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers. Der Ressortminister ist für die Promulgation nicht vonnöten. Ich habe bei der Behandlung dieses Entwurfs im Vermittlungsausschuß klar erklärt — das wußte der Bundestag, das wußte der Bundesrat —: Ich werde dieses Gesetz niemals unterschreiben. Ich will jetzt nicht darüber rechten, ob ich dazu befugt bin.

    (Abg. Mellies: Es wäre aber interessant! Das ist nämlich die entscheidende Frage!)

    Ich habe als Minister nie ein Gesetz unterschrieben, das ich für verfassungswidrig hielt. Wenn ich jemals wieder in diese Situation käme, würde ich es wieder so halten. Aber die Frage ist, wie dieser Konflikt auszutragen ist. Ich habe es in diesem Hause schon einmal gesagt. Ich bin allerdings der Meinung, das ist ein echter politischer Konflikt. Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag, Minister — zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Es besteht auf jeden Fall kein


    (Dr. Dehler)

    Zwang. Ich bin der Meinung, daß der Ressortminister, der in diesem Konflikt mit dem Parlament steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen wird, die Konsequenzen ziehen und zurücktreten muß.

    (Zurufe von der SPD: So ist es richtig! — Weitere Zurufe links.)

    Daß ich diese Konsequenz auch gezogen hätte, dessen dürfen Sie gewiß sein.
    Das sind Fälle der richtigen, echten Konflikte zwischen Bundestag und Bundesregierung, und ich meine, die Bundesregierung hätte allen Anlaß, ihrerseits alles zu tun, was die Würde und das Ansehen des Parlaments, des Bundestags, steigert.
    Dem Bundestag droht noch von einer anderen Exekutive her eine erhebliche Gefahr: vom Bundesrat, der nichts anderes ist als Länderexekutive, Zusammenfassung der Länderregierungen. Es ist auch eine unglückliche Entwicklung der letzten Jahre, daß die Macht und auch die Machtansprüche des Bundesrats fortgesetzt gesteigert worden sind. Sie kennen das schwierige Problem. An sich sollte doch der Bundesrat kein echtes Parlament sein; er ist es ja auch nach seiner Struktur nicht. Der Bundesrat sollte nur die Interessen der Länder in der Bundesgesetzgebung, in der Verwaltung des Bundes sichern. In Wirklichkeit ist er schon weitgehend ein zweites Parlament geworden,

    (Sehr richtig! rechts)

    d. h. unsere gesamte Gesetzgebung ist von der Zustimmung dieser Exekutive abhängig. Eine merkwürdige Fehlentwicklung! Sie wissen, wie das gelaufen ist. Ich bin leider nicht ganz schuldlos daran. Man hat sich auf den Standpunkt gestellt, wenn auch nur eine Bestimmung eines Gesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedarf, muß das ganze Gesetz diese Zustimmung erhalten, und wenn hinterher irgendeine Bestimmung eines solchen mit Zustimmung des Bundesrates angenommenen Gesetzes geändert werden soll, muß wiederum die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden, obwohl die zu ändernde Bestimmung mit den Rechten des Bundesrates und der Länder gar nichts zu tun hat. In Kürze wird es also gar kein Gesetz mehr geben, das nicht von der Zustimmung des Bundesrates abhängig ist. Eine sehr unglückliche Entwicklung, die wir nach meiner Meinung abstoppen müssen, wenn nicht die Rechte dieses Hauses weitgehend beschränkt werden sollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir dürfen aber auch nicht den Fehler begehen, unsere Rechte noch selber weiterhin zu beschneiden. Wenn man vom Bundeswirtschaftsrat als einer notwendigen Institution träumt, so möchte ich nur warnen; er würde doch nur Funktionen auf Ihre Kosten, auf Kosten des Parlaments bekommen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Viele Gefahrenmomente der letzten Jahre, die die Rechte des Staates und des Parlaments bedrohten, sind, glaube ich, gebannt. Es wird nicht wiederkommen, daß die Gewerkschaften oder daß irgendwelche anderen Verbände aufmarschieren, Druck ausüben, Ihre Willensentscheidung zu beeinflussen versuchen. Denken wir an das, was mit dem unglückseligen Gesetz über die Mitbestimmung auf dem Gebiete von Eisen und Kohle geschah. In jeder Beziehung ein schwarzes Gesetz!

    (Abg. Sabel: Warum? — Weitere Zurufe.)

    — Ja, ein gefährliches, vieldeutiges Wort! Man
    kann gar nicht sagen, wie schwarz dieses Gesetz
    ist. Auf jeden Fall ein schwarzer Tag, an dem es beschlossen wurde.

    (Heiterkeit.)

    Ich glaube, es wird nicht wiederkehren.
    Ein anderes Problem, das hochkommt und das nicht nur mit den Rechten des Bundestags, sondern mit den Rechten des Staates überhaupt im engen Zusammenhang steht. Wir müssen, glaube ich, einmal darüber sprechen, nämlich über das Verhältnis von Staat und Kirche, über die Frage, wo die Grenzen des Staates, die Grenzen seiner Gesetzgebungsmacht, die Grenzen der Aufgaben des Staates enden, wo die der Kirche beginnen. Viele sind in letzter Zeit hochgekommen: Reform des Ehegesetzes; die Forderung auf Erschwerung der Ehescheidung; die Beseitigung der obligatorischen standesamtlichen, zivilen Trauung. Das sind alles die res mixtae, gemeinsame Angelegenheiten der Kirche und des Staates, die eine Lösung erfahren müssen. Man kann das Problem nicht nebenbei behandeln,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Nein, das kann man nicht!)

    Aber es ist, glaube ich, des Bestrebens der Edelsten in diesem Hause wert, hier klare Verhältnisse zu schaffen. Wir leben in einem säkularisierten Staate, in einem Staate mit mehreren christlichen Kirchen. Die Zeiten der Vermengung der kirchlichen und der staatlichen Sphäre sind weit von uns entfernt und werden nicht wiederkehren. Man sollte auch meinen, wenn sich der Staat darauf beschränkt, Ordnung zu stiften und Ordnung zu bewahren, wenn er vollkommen davon Abstand nimmt, in die Ordnungen der Kirche einzugreifen, müßte dieser unselige Streit zwischen Staat und Kirche, der unsere Geschichte so erschwert hat, zu Ende sein. Dann könnte es doch keine Forderungen der Kirchen mehr geben, die ja die Möglichkeit der vollen Religionsfreiheit haben, denen das Feld zur Betreuung der Gläubigen, das Feld zur geistigen Freiheit völlig freigegeben ist. Aber die Wirklichkeit ist anders, ist mit Recht anders. Denn das Glaubensbekenntnis beschränkt sich ja nicht auf die Beziehungen der einzelnen Seele zu Gott und mit Gott; es lebt in einer Gemeinschaft der Gläubigen. — Dadurch entstehen die Reibungsflächen mit dem Staate. Denn der Staat ist eine öffentliche Organisation, und die Kirche ist es nicht minder. Hier klare Verhältnisse zu schaffen, erscheint mir unbedingt erforderlich, auch als die Voraussetzung einer richtigen Diskussion von morgen, für die Auseinandersetzung über das Problem der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe. Die Kirchen, glaube ich, dürfen den Staat nicht überfordern. Die sakramentalen Bindungen einer Ehe — als Beispiel — können nicht vom Staat sanktioniert werden. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, im Gegenteil. Das wäre doch eine Entwertung der religiösen, sakramentalen Bindung des Gläubigen, wenn diese Bindung unter den staatlichen Schutz gestellt würde.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist Sophismus!)

    — Nein, das ist kein Sophismus. Das ist der ehrliche Wille, eine klare Form zu finden und eine Grenze zu ziehen. Da dürfen Sie mir nicht mit einem solchen Vorwurf begegnen. Wer dieses Problem nicht erfaßt, erkennt eine bedeutsame gesellschaftliche und politische Tatsache der Zeit nicht!

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Daß nicht der Wille besteht, den kirchlichen Einfluß zu mindern, haben, wie ich glaube, meine Freunde in den Verfassungen der Länder und im Grundgesetz bewiesen. Wir haben den Kirchen volle Wirkungsmöglichkeit gegeben, und zwar in einem Maße, wie sie die Kirche noch niemals in der Geschichte hatte.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: In der modernsten Geschichte nicht hatten!)

    Ich sage ja, das sind echte Fragestellungen, an die heranzugehen wir den Mut haben müssen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Den haben wir auch!)

    Es sind in der letzten Zeit z. B. von dem Bischof Dibelius Besorgnisse wegen der Allmacht des Staates geäußert worden. Das berührt sich auch mit diesem Problem. Wir lehnen es durchaus ab, daß der Staat allmächtig ist, durchaus ab, daß der Staat das Recht haben soll, in die letzten menschlichen Beziehungen hineinzureichen, da es menschliche Gemeinschaften gibt, die gerade ihre Würde und ihren Wert behalten, wenn der Staat vor ihnen zurückgehalten wird und wenn er nicht die Möglichkeit des Einflusses hat.
    Wenn man dieses echte Problem, das Bischof Dibelius aufwirft, durchdenkt, muß man fragen, wo vor allem die Gefahr liegt, daß die Macht des Staates übermächtig wird. — Wieder vermisse ich den Herrn Schoettle als den Mann, den ich gern ansprechen würde. — Dann sollte man wieder in die Geschichte der letzten Jahrzehnte zurückgehen und fragen, worin die Ursachen liegen, daß sich die Staaten mißentwickelt haben, daß sie zu totalitären Formen gelangt sind. Ich habe schon einmal darzulegen versucht, was die tiefere, die geistige, die politische Ursache dieser Fehlentwicklungen war. Ich sehe in einer geistigen Krisis die Ursache der Entwicklung zum Faschismus, zum Bolschewismus, zum Nationalsozialismus, im Erschlaffen des liberalen Gedankens — eng verbunden mit der Lähmung des rechtsstaatlichen Denkens.
    Wenn wir fragen, welches der richtige Weg, der geistige Weg in die Zukunft ist, dann müssen wir hier wieder anknüpfen. Man könnte sagen, daß ein Satz, den Anatole France einmal gesprochen hat, demonstriert, wo die geistige Fehlentwicklung der letzten 50, 80 Jahre begonnen hat. Dieser Satz wird gerne von Sozialisten und Sozialreformern zitiert. Er ironisiert den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, diesen „majestätischen Grundsatz, nach dem Armen und Reichen verboten ist, unter Brücken zu schlafen, Brot zu stehlen und auf den Straßen zu betteln". Meine Damen und Herren, das war ein Satz, der einer ganzen Generation von Menschen das Wesen des Staates, das Wesen des Rechtes, das Wesen der richtigen Wirtschaft verdorben hat;

    (Sehr gut! links.)

    denn das war ja das Anzweifeln des Rechtes, das für alle gilt, das war das Herunterreißen der Binde von der Justitia, das war das Überbürden der Aufgabe, Ungleiches auszugleichen, auf den Staat, auf die Gemeinschaft, und zwar in der Form des Eingreifens in das Recht, des Eingreifens in Eigentum, in Vertragsfreiheit. Wenn der Staat beginnt, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten auszugleichen, dann kann er ja nicht halt machen vor der Rechtssphäre des einzelnen. Dann bricht er in sie ein, und damit brechen die Stützen einer gesunden Gesellschaft, bricht das Recht.
    Für mich ist das Symbol der Fehlentwicklung der Wirtschaft und des Rechts das, was die beiden zusammenfaßt, das Wirtschaftsstrafrecht. Wir debattieren gerade über die Beseitigung des Wirtschaftsstrafgesetzes. Ich meine, man sollte es so rigoros, wie man nur kann, aus dem Körper unseres Rechtes und unserer Wirtschaft ausschneiden.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wenn der Strafrichter, wenn das Strafgesetz richtiges Wirtschaften erzwingen sollen, dann ist die Wirtschaft krank,

    (Beifall rechts)

    dann bürdet man dem Recht eine Aufgabe auf, die ihm nicht zukommt. Richtiges Wirtschaften muß sich aus den Gesetzen der Wirtschaft ergeben. Daß man den Gedanken des Wirtschaftsstrafrechtes haben konnte, daß man mit mittelalterlichen Vorstellungen wie dem justum pretium, dem gerechten Preis, operierte, dem Kostenpreis, daß man alle Gesetze des echten Wirtschaftens vollkommen mißachtete, ist ein Zeichen einer Fehlentwicklung unserer Wirtschaft und unseres Rechtes.
    Wir bejahen den Staat. Das ist mein Bekenntnis, das immer und immer wieder zu sagen. Ich halte es für so wichtig, daß dieser Staat, daß unser Staat Würde und Ansehen hat, daß es ein Staat ist, der von dem freien Willen seiner Bürger getragen und bejaht wird. Es wäre viel darüber zu sagen, was hier fehlt. Schlimmster Fehler, meine Damen und Herren, ist, wenn man diesen Staat mit Aufgaben überlastet, die ihm nicht zukommen. Es ist sehr interessant, was Herr Schoettle insoweit gesagt hat, was er nochmals wie in einer Apotheose in seinem letzten Satz — aus dem Dortmunder Programm, wenn ich nicht irre — zusammengefaßt hat, in dem er den Satz des Bundesfinanzministers Schäffer, der Staat habe nur Hilfsstellung im Wirtschaftlichen und im Sozialen zu leisten, bekämpfte und meinte, in den letzten hundert Jahren hätten sich so gewaltige Strukturwandlungen vollzogen, die abhängigen Existenzen hätten so gewaltig zugenommen, der Übergang von der Agrarwirtschaft zur gewerblichen, zur industriellen Wirtschaft habe solche Strukturumbrüche bedeutet, verbunden mit den gewaltigen Erschütterungen der beiden Weltkriege, daß die Finanzpolitik ein Instrument der Wirtschaftspolitik sein müsse.
    Ich lehne diesen Satz als grundsätzlich irrig ab und sehe in ihm beinahe das, was uns scheidet, das, was zwischen Ihnen und uns steht, wenn Sie glauben, man müsse mit Mitteln der Finanzpolitik Wirtschaftspolitik treiben. Wir kennen die Tatsachen, die wollen wir nicht negieren. Wir wissen, daß Einflüsse vorhanden sind, und wir kennen die Struktur der öffentlichen Hand. Aber das können wir doch nicht bejahen und hinnehmen, sondern nur als Folgen einer Fehlentwicklung registrieren und uns überlegen, wie wir diese Tatsachen beseitigen.

    (Abg. Schoettle: Herr Kollege Dehler, ich bin jetzt da!)

    — Ja, ich hätte Ihnen schon so viel Schönes zu Ihrer Belehrung sagen wollen; denn ich weiß, Sie sind auf dem rechten Wege.

    (Große Heiterkeit.)

    Ich spreche gerade über Ihre Meinung, die Strukturwandlung der letzten hundert Jahre bedinge die Notwendigkeit, von der Finanzpolitik her wirtschaftspolitisch zu wirken. Sie müssen sich


    (Dr. Dehler)

    einmal das Groteske der Entwicklung unseres politischen und wirtschaftlichen Lebens, nun, seit wann, seit der französischen Revolution vorstellen. Damals begann doch ein Unheil. Wenn man den Gründen nachgeht, dann erkennt man wieder einmal die Ironie unserer Geschichte. Warum der Sturm auf die Bastille unter diesem doch so braven, ordentlichen König Ludwig XVI., der niemandem auch nur ein Haar krümmte, unter relativ sehr günstigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen? Der Sturm auf die Bastille ging darauf zurück, daß die Regierung genötigt war, wegen der Feldzüge in Amerika die Steuern in ganz geringem Umfang zu erhöhen. Und die Entwicklung, meine Damen und Herren, hat damit geendet, daß wir jetzt Steuern zahlen, die der Konfiskation des Einkommens gleichkommen.

    (Beifall.)

    Da sehen Sie die Fehlentwicklung, Herr Kollege Schoettle. Es wäre mir sehr interessant, mit Ihnen einmal darüber zu debattieren, ob diese Entwicklung glücklich oder unglücklich ist und ob man sie nicht mit allen Mitteln beseitigen muß.
    Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß die Interventionspolitik der Roosevelt-Regierung glücklich war, daß das New Deal, das Fair Deal genützt haben? Die Erkenntnis ist doch in Amerika allgemein vorhanden, daß diese Interventionspolitik vom Übel war. Und solange ich im Kabinett war und es wurden Interventionen beschlossen, es wurden Subventionen beschlossen, — ach, nach einem halben Jahr hat sich immer herausgestellt, daß die Dinge ganz anders liefen, als der Ressortminister es sich vorgestellt hatte, daß alle Dinge ins Gegenteil umgeschlagen sind. Ich brauche Ihnen nur in Erinnerung zu rufen, wie sich, wenn wir Futtergetreide freigegeben haben, wenn wir den Preis des Brotgetreides fixiert haben, in kurzer Zeit die Dinge verschoben haben. Denken Sie an die Tragödie des Konsumbrotes! Alle Eingriffe haben sich am Ende als schädlich erwiesen. Ihr Glaube, man könne vom Staat her wirtschaften, ist trotzdem überall, wo Sie kritische Punkte angeschnitten haben, durchgeklungen.
    Sie haben gesagt, es sei gut, daß wir eine richtige Währung haben und sie bewahren. Aber viel wichtiger oder mindestens ebenso wichtig sei, die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen zu schaffen. Ich weiß ja nicht, was Sie für die richtige Relation halten, und noch weniger weiß ich, in wessen Ermessen Sie die Feststellung der richtigen Relation legen wollen. Ich habe die verdammte Sorge: in die Hand der Exekutive, in die Hand der Leute am grünen Tisch. Ein gefährlicher Weg, Herr Schoettle! Hier irren Sie wieder einmal.

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Sie wissen ja gar nicht, ob ich Ihre Prämisse akzeptiere!)

    — So haben Sie es doch dargelegt!

    (Abg. Schoettle: Nein! Da geht Ihre Phantasie wieder einmal mit Ihnen durch!)

    — Bitte, wie soll ich das verstehen? Sie verlangen von der Regierung, dafür zu sorgen, daß die richtige Relation zwischen Preis und Einkommen hergestellt wird. Sie verlangen also behördliche Maßnahmen, während wir, die wir für die wirtschaftliche Freiheit eintreten, daran glauben, daß allein aus der Entwicklung der Wirtschaft diese richtige Relation entsteht, und die Entwicklung der letzten sechs Jahre gibt uns ja weitgehend recht.
    Sie sagen, das Preisgefüge sei in Bewegung, und sprechen davon, wie notwendig es sei, ein richtiges soziales Klima zu schaffen, gerade im Hinblick darauf, daß die Bundesrepublik zwischen Osten und Westen liege, etwas Besonderes zu tun. Ja, was wollen Sie denn wieder „Besonderes"? Behördliche Maßnahmen! Etwas anderes können Sie ja nicht wollen. Aber damit verderben Sie, Herr Schoettle, Sie wackerer Schwabe, die richtige Wirtschaft!

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Ist auch eine schöne Wirtschaft!)

    Ich will Ihnen hier nicht Ihre Sünden vorhalten. Sie haben Herrn Schäffer vorgeworfen, er habe sich bei der Unterstellung, daß das Sozialprodukt wieder um 5 Prozent steigen werde, zu optimistisch verhalten. Wenn einer nicht optimistisch ist, dann er! Ich weiß das doch aus den Beratungen der Haushalte im Kabinett! Wir haben ihm unseren Optimismus immer — na, das darf ich vielleicht nicht sagen — suggeriert!

    (Heiterkeit.)

    Wir haben ihn gezwungen, optimistisch zu sein, und das hat sich auch rentiert.

    (Abg. Schoettle: Fragt sich nur, für wen!)

    Aber Sie, lieber Herr Schoettle, Sie leben im Pessimismus.

    (Lachen bei der SPD.)

    Das war schon im Wirtschaftsrat der Fall. Ich habe es mir nur erzählen lassen; aber die anwesenden Herren von Wellhausen bis Mellies waren doch in Frankfurt und wissen es doch noch!

    (Abg. Mellies: Ich habe aber nichts erzählt!)

    Ich halte es geradezu für gefährlich, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie hier an dieser Stelle für unser Volk vor dem Optimismus des Bundesfinanzministers warnen und damit natürlich den Optimismus unseres Bundeswirtschaftsministers schon gröblich schelten, denn der geht ja viel weiter.

    (Heiterkeit.)

    Aus diesem Pessimismus, Herr Schoettle, wächst doch gar nichts. Ich meine, Sie sollten gelernt haben: Als meine Freunde zusammen mit Ludwig Erhard und seinen damaligen Parteifreunden im Wirtschaftsrat in Frankfurt darangingen, in kühnem Entschluß die gewerbliche Wirtschaft zusammen mit der Währung von den Fesseln zu befreien, die Wirtschaft freizugeben und die Zwangswirtschaft aufzuheben, da kamen Sie mit dem gleichen Pessimismus und haben gewarnt. Man sagt, Sie hätten aufgezählt, in wieviel Jahren bei diesem Leichtsinn jemand ein Paar Schuhe oder ein Hemd bekäme. Der Optimismus hat recht behalten und der Optimismus wird weiter recht behalten. Aber, meine Damen und Herren und Sie, Herr Schoettle, müssen auch wissen: Konjunktur ist auch eine Sache des Willens, ist weitgehend eine Sache der Lebenskraft, und es ist gefährlich, diese Lebenskraft schmälern zu wollen, pessimistische Worte hinauszusenden und den Glauben aller deutschen Menschen an die Richtigkeit ihrer Wirtschaft in Zweifel zu ziehen.
    Ich will einmal sagen, was unsere Meinung über dieses Problem Staat und Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung: Im wirtschaftlich-sozialen Bereich so wenig Staat wie nur irgend möglich. Der Staat hat nicht zu wirtschaften!

    (Beifall rechts.)



    (Dr. Dehler)

    Das ist die große Gefahr: Wenn der Staat die Wirtschaft beherrscht, dann regelt er nicht nur die Wirtschaft, sondern er herrscht auch über die wirtschaftenden Menschen; dann beginnt die Entwicklung zum Totalitären, dann beginnt der Verzicht auf die echte Freiheit der Menschen.
    Wir sagen auf der anderen Seite: So viel Staat wie nötig, um die Voraussetzungen des fairen Wettbewerbs, des Leistungswettbewerbs zu sichern! So viel Staat wie erforderlich, um die Spielregeln für die richtige Wirtschaft aufzustellen und zu überwachen! So viel Staat, als notwendig ist, um möglichst viel privates Eigentum zu schaffen, um Gleichgewichtsstörungen zu verhindern und um besonders denen, die sozial leiden, zu helfen.
    Nun, die Rolle des Lehrers, des wirtschaftspolitischen Lehrers gegenüber einem so erfahrenen Mann wie Ihnen, Herr Schoettle, steht mir nicht zu.

    (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Warum so bescheiden, Herr Dr. Dehler?)

    — Ja, warten Sie nur! — Ich kann Sie auf viel kompetentere Leute verweisen, auf Menschen, die aus Ihrem Kreise kommen, und die auf dem Wege der Erkenntnis — sie sind auch älter —

    (erneute Heiterkeit in der Mitte und rechts)

    schon etwas weiter fortgeschritten sind.
    Sicher sind Ihnen die Briefe oder ist Ihnen wenigstens der erste Brief des Kreises, der den schönen Namen Ihres von uns allen verehrten verstorbenen Parteifreundes, des Bürgermeisters Ernst Reuter, trägt, zu Gesicht gekommen.

    (Zuruf von der SPD: Ach, du lieber Gott!)

    Niederschlag der Erfahrung eines Lebens! Wir
    wollen es doch einmal feststellen: das bedeutet so
    viel! Was hier gesagt wird, könnte das öffentliche
    Leben so weitgehend entgiften, könnte die echte
    Grundlage für ein gemeinsames Wirken aller
    Deutschen schaffen, daß man diesen Brief des
    Ernst-Reuter-Kreises gar nicht überschätzen kann.

    (Abg. Mellies: Versuchen Sie solche Ermahnungen einmal Herrn Euler gegenüber, Herr Dehler!)

    Aber es ist merkwürdig, welcher Kontrast noch zwischen dem besteht, was uns Herr Schoettle heute wirtschaftspolitisch gesagt hat, und dem, was dort als Erkenntnis niedergelegt ist: der restlose Verzicht auf alle marxistischen Vorstellungen, das Verwerfen des Gedankens, daß der Klassenkampf die wirkende geschichtliche Kraft sei. Man gibt den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf; man weiß genau, daß das Kapital die Voraussetzung für die Arbeit, die Grundlage für die Existenz der arbeitenden Menschen ist. Man gibt die Lehre auf, daß die Menschen zunehmend proletarisiert würden, eine Lehre, die auch ebensowenig richtig ist wie die Behauptung, die Zahl der abhängigen Existenzen habe zugenommen. Der Mittelstand ist doch weiter gestreut als je. Denken Sie nur daran, was eine Erfindung wie der Kraftwagen an neuen selbständigen Existenzen ermöglicht hat! So revolutionäre Vorstellungen sind dort jetzt lebendig wie die, daß der Lohn nun wahrlich nicht eine kapitalistische Ausbeutung bedeutet oder der Zins Ausdruck eines kapitalistischen Wuchers ist, sondern daß es echte volkswirtschaftliche Funktionen sind, die man nur volkswirtschaftlich und nicht etwa klassenkämpferisch beeinflussen kann. Ich kann Ihnen also nur raten, diesen
    Brief als Morgengebet und als Abendgebet zu lesen;

    (Heiterkeit rechts)

    dann wird unsere nächste Haushaltsdebatte noch viel einfacher sein.

    (Beifall rechts.)

    Nun noch eine andere Frage. Wenn ich, meine Damen und Herren, vom Rechtsstaat und seiner Bedeutung spreche als Voraussetzung dafür, daß jede Entartung unserer Demokratie vermieden wird, so heißt das: Substanz der Demokratie ist der Rechtsstaat, und nur wenn wir ihn kräftig bewahren, wird dieser Staat bestehen. Ich bin unglücklich über die Entwicklung unserer Gerichtsbarkeit im Institutionellen. Wir schaffen jetzt gerade das Obere Bundesgericht für Arbeit, das Obere Soziale Bundesgericht; wir haben geschaffen den Bundesfinanzhof und das Bundesverwaltungsgericht neben dem Bundesgerichtshof. Also fünf obere Bundesgerichte. Ich sehe darin keine glückliche Entwicklung. Für eine spätere Zeit müßte man, glaube ich, die Einheit des Rechts und die Einheit der Gerichtsbarkeit auch in dieser Hinsicht wieder anstreben. Ich sehe auf jeden Fall aber eine unglückliche Entwicklung in der Tatsache, daß die Verwaltung auch dieser Sondergerichtszweige nicht bei den Justizministern der Länder und beim Bundesjustizminister zusammengefaßt ist, sondern bei den Ressortministerien liegt,

    (Sehr richtig! rechts)

    also beim Arbeitsminister, beim Finanzminister, beim Innenminister — alles Minister, die zu leicht geneigt sein könnten, diese Gerichte als eine Funktion ihres Ressorts zu empfinden,

    (Zustimmung rechts und in der Mitte)

    mit der Gefahr der Fehlentwicklung im Persönlichen und in der Gerichtsbarkeit.
    Bundesverfassungsgericht! Ich habe schon von seiner Bedeutung gesprochen. Es ist uns allen bewußt, auch den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, daß die jetzige Struktur nicht glücklich ist, und ich glaube, es ist erforderlich zu sagen, daß wir möglichst bald an eine Reform des Gerichts und damit des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes herangehen müßten, daß wir besonders das „Zwillingsgericht" beseitigen und nur e i n Gericht schaffen müssen, vielleicht die Zahl der Richter dann verringern, daß wir — es ist mein persönlicher Wunsch — das richterliche Element, das gewachsene richterliche Element, in dem Gericht verstärken, vielleicht auch daran denken müssen, das Wahlverfahren im Bundestag zu ändern. Es hat versagt; ich meine die Tatsache, daß ein Sitz des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts seit anderthalb Jahren unbesetzt ist — ein schwerer Vorwurf.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das kann nicht fortdauern und verlangt eine Änderung.
    Rechtsstaat! Unser Staat ist schwach. Mit Sorgen sehen wir die Mängel im Verfassungsschutz. Darüber wäre viel zu sagen, z. B., daß es nicht möglich ist, vom Bundesamt für Verfassungsschutz her die Tätigkeit der Landesämter für Verfassungsschutz zu koordinieren, ihnen Weisungen zu geben. Welch ein unmöglicher Zustand angesichts der Gefahr des Unterminierens, des Unterlaufens, die uns vom Osten her droht!

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Einer entscheidenden politischen Kraft unseres Staates möchte ich anerkennend gedenken: der Presse. Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre überdenkt, dann erkennt man, was sich hier zum Guten gewendet hat, wie groß schon die Zahl der Persönlichkeiten ist, die in der Presse wirken und die ein politisches Gepräge haben, die das repräsentieren, was wir für eine gesunde Demokratie brauchen: die öffentliche Meinung, die in ihrer Person gegründete öffentliche Meinung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich greife das auf, was meine Vorredner gesagt haben: daß diese öffentliche Meinung nicht nur in der Presse, sondern auch im Film, auch in der Kunst nicht beschränkt werden darf und daß es keine Erwägung der Staatsräson gibt, die das Recht geben würde, die Rechte der Presse, der öffentlichen Meinung, das Recht auf freie Information zu schmälern.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Man kann allerdings andererseits auch an die Pflicht der Presse mahnen, der Macht eingedenk zu sein, die sie in der Hand hat. Die Selbstzucht ist in der Demokratie — das gilt für alle, die politisch wirken — höchstes Gesetz.
    Darf ich in diesem Zusammenhang etwas Böses sagen, etwas, das mich erschüttert hat, etwas, das das Lob, das ich eben gespendet habe, zu schmälern geeignet ist. Ausgerechnet die „Bayerische Staatszeitung" vom 9. Januar 1954 bringt einen Artikel „Tragische Alternative — Idee und Wirklichkeit der preußischen Macht", der sich mit einer Fiktion des Preußentums auseinandersetzt und folgendermaßen endet:
    Es sieht fast so aus, als stehe das deutsche Volk vor der Alternative, entweder in einem preußischen oder in gar keinem Staat zu leben, .eine Wahl, die gleichbedeutend ist mit der zwischen der nationalen Katastrophe und der Aufgabe des nationalen Daseins. Im Hinblick auf diesen tragischen Sachverhalt ist es verständlich,
    — achten Sie auf jedes Wort! —
    wenn heute deutsche Patrioten in der Demarkationslinie ein
    — man muß sich schämen! —
    politisches Aktivum erblicken

    (Pfui-Rufe bei der FDP und bei der SPD — Zurufe)

    — in dem Eisernen Vorhang, Herr Strauß; die Zeitung Ihres Staates! —

    (Zurufe von der SPD)

    und zur Revision dieses Standpunktes erst dann bereit wären, wenn es eine Bürgschaft dafür gibt, daß das vereinigte Deutschland kein wiedererstandenes Preußen wird.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Da weiß man, was die Pflicht der öffentlichen Meinung ist. Und das in einer vom Staate herausgegebenen Zeitung!
    Vieles wäre noch zu sagen, natürlich auch zur Wirtschaft. Ich habe schon manches in der Auseinandersetzung mit dem von mir wirklich sehr geschätzten Herrn Schoettle gesagt. Herr Krone hat seinerseits die Dinge bereits richtig beleuchtet. Von einer richtigen Wirtschaftspolitik wird weitgehend unser Schicksal abhängen, nicht von einem „Wirtschaftswunder". Das Wort höre ich ebenso wenig gern wie Sie, Herr Schoettle. Was sich in den letzten Jahren vollzogen hat, ist kein Wunder, sondern es ist wirklich eine Wirtschaft ohne Wunder. Es ist eine Wirtschaft, gegründet auf die richtigen wirtschaftlichen Erkenntnisse, die mit Mut angewandt worden sind. Das ist diese Wirtschaft.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Da ist kein Wunder geschehen. Wenn man das annehmen würde, würde man die Leistungen der letzten Jahre verringern. Nein, Männer, die das Richtige gesehen haben, haben die Entschlossenheit gehabt, ihre richtigen Erkenntnisse zu verwirklichen.

    (Abg. Heiland: Was hätten Sie wohl ohne den Korea-Boom gemacht, Herr Dehler? — Zuruf von der SPD: Viel Glück war dabei!)

    — Natürlich, Herr Heiland, gibt es immer Stimulantia. Aber ich will Ihnen erzählen, wie gut wir die Dinge nach Korea gemacht haben. Das erzähle ich Ihnen gern! Wir wollen dann fragen, was Sie damals gemacht hätten, wenn Sie auf der Regierungsbank gesessen hätten!? Ich hatte kürzlich die Gelegenheit — ich darf es etwas anekdotisch erzählen —, in Köln vor der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung — so heißt sie, glaube ich
    — zu sprechen, vor Professoren, Wirtschaftlern usw. Vorsitzender ist der Sohn unseres Bundeskanzlers, der Herr Oberstadtdirektor Dr. Max Adenauer. Ich habe ihn und die Anwesenden gefragt, was sie für die größte konkrete wirtschaftspolitische Leistung des ersten Bundeskabinetts halten. Ich habe es nicht erfahren. Auch der Sohn des Kanzlers weiß nicht, was die größte wirtschaftspolitische Leistung seines Vaters ist. Das ist ein Moment, das einem vor Augen führt, wie schwer die Demokratie zu praktizieren ist, wie schwer es ist, den Menschen nahezubringen, was wichtig ist. Aber ich darf wenigstens Herrn Heiland sagen, was ich für wichtig halte: so wie die Bundesregierung sich nach Korea verhalten hat, das war ihre größte Leistung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun, die Haltung war damals — ich will es Ihnen erzählen — im Bundeskabinett auch gar nicht einhellig. Im Gegenteil, die Mehrheit im Kabinett war dafür, wir müßten in der gleichen Weise wie die anderen Staaten, wie das reiche Amerika, wie England, Frankreich usw. angesichts des riesigen Booms auf dem Rohstoffmarkt, angesichts der Steigerung der Preise für die lebensnotwendigen Rohstoffe um Hunderte von Punkten dazu übergehen, Höchstpreise einzuführen, Verwendungsverbote zu erlassen usw. Das Kabinett hat — das ist ja schon historisch, deswegen darf ich es erzählen — einen solchen Beschluß gefaßt.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: So!? — Große Heiterkeit.)

    — Ich kann es nicht leugnen. Ich weiß, damals haben die Herren Sozialdemokraten sich doch königlich gefreut, daß die Bundesregierung nun bei der ersten Gelegenheit — das hat Dr. Kurt Schumacher gesagt — mit ihren Thesen Schiffbruch erleide, daß die freie Marktwirtschaft schon beim ersten Windstoß zusammenkrache und daß die Bundesregierung reumütig zu dem zurückkehren müsse, was Herr Schoettle heute noch für richtig hält: zu Maßnahmen ,des Staates.

    (Abg. Schoettle: Machen Sie es doch bloß nicht zu billig, Herr Dehler!)



    (Dr. Dehler)

    — Ja, so war es. Wir hatten die Verordnung damals sogar schon ausgearbeitet und haben sie dann in der Schublade liegen lassen. Ich empfinde es als eine Leistung meiner Partei, meiner Freunde, meiner Kollegen im Kabinett, auch meines Freundes Preusker, dem jetzt mit Recht ein Kabinettsrang zuerkannt worden ist — was die anderen angeht, so darf ich das jetzt nicht weiter ausspinnen —,

    (Heiterkeit)

    daß die freie Wirtschaft aufrechterhalten worden ist, daß wir auch diese Belastungen mit den Gesetzen der echten, richtigen Wirtschaft von Angebot und Nachfrage aufgefangen haben. Was war der Erfolg, Herr Schoettle? Daß die deutsche Wirtschaft die geringste Preissteigerung in der Welt erfahren hat und daß diese Preissteigerung, die in Frankreich jetzt noch mit 30, 40 % vorhanden ist, restlos überwunden ist. Wir haben Korea gemeistert. Wären Sie auf ,der Regierungsbank gesessen, so wären wir mit Ihnen in die schönste Zwangswirtschaft hineingeschlittert,

    (Sehr richtig! rechts)

    aus der man sich nie mehr herauslösen kann. Meine Parteifreunde haben in entschlossener Weise jederzeit die Ziele der Marktwirtschaft vertreten und werden das auch in der Zukunft tun. Wir sind stolz darauf, daß wir in der Koreakrisis nicht wie andere schwankend geworden sind und die Nerven verloren haben, sondern die Dinge durchgestanden haben. Wir waren an den Steuersenkungen der letzten Jahre maßgebend beteiligt. Wir haben uns initiativ dafür eingesetzt und haben geholfen, daß die Engpässe auf den Gebieten des Eisens und der Kohle überwunden worden sind und die Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkt zu überwinden wenigstens begonnen worden ist.
    Wir haben die Fehlentwicklung auf dem Gebiet des Mitbestimmungsrechts mit Erfolg bekämpft und können auch feststellen, daß das Betriebsverfassungsgesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben, zu einer echten sozialen Befriedung unserer Wirtschaft geführt hat und daß im Gegensatz dazu das Gesetz über die Mitbestimmung in den Betrieben von Kohle und Eisen als ein Fremdkörper in unserer Wirtschaft erscheint.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das zwingt zu der Konsequenz — das darf ich hier wohl nebenbei sagen —, daß wir der Ausweitungdieses Gesetzes auf Holdinggesellschaften niemals zustimmen werden,

    (Bravo! rechts)

    daß wir viel eher versuchen werden, wie wir dieses unter schlechten Vorzeichen zustande gekommene Gesetz überwinden können.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Wir werden diese Gesetze der richtigen Wirtschaft auch auf anderen Gebieten durchzusetzen versuchen. Ich brauche nur zu sagen: Wohnungszwangswirtschaft. Ich will meinem Freund Preusker nicht ins Geschäft pfuschen, aber wenn's auf mich ankäme, wäre eines meiner ersten Ziele, eine Form der Zwangswirtschaft, die .allen schadet, möglichst rasch zu beseitigen, eine Form, die gegen das Gesetz und gegen das Recht ist. Alles, meine Damen und Herren, was gegen das Recht verstößt, verstößt ja auch immer gegen die wirtschaftliche Vernunft. Glauben Sie mir diesen Satz! Eine Wirtschaftsform, die den Eigentümer entrechtet, als ob ,der Hauseigentümer nur der Wohlhabende und der Mieter der sozial Schwache und der Schützenswerte wäre, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Ich denke an die sehr lebhafte Diskussion, die ich hier geführt habe; damals war der Herr Kollege Jacobi — ich sehe ihn nicht im Saale — mein Widerpart bei der Frage der Aufhebung der Zwangswirtschaft für gewerblich benützte Räume. Die gewerblich benutzten Räume wurden aus der Wohnungszwangswirtschaft herausgenommen. Dabei wurde mir von seiten des Herrn Jacobi an die Wand gemalt, welch 'ungeheure Konsequenzen sich einstellen würden. Ich war damals auf Grund einer Ermächtigung des früheren Reichsjustizministers zusammen mit dem Wirtschaftsminister in der Lage, diese Freigabe durch eine Verordnung, deren Gültigkeit man allerdings bestritten hat, durchzuführen. Man hat damals gesagt: unerhörte Ausbeutung der Mieter von Läden, von Garagen, von Werkstätten. 300 000 Prozesse müßten geführt werden, kündigte Herr Jacobi an. Ich habe ein besonderes Verfahren geschaffen, um diese Prozesse aufzufangen und zu erleichtern. Was hat sich in der Wirklichkeit ergeben? Der Markt der gewerblich benutzten Räume hat sich eingespielt. Die Mieterhöhungen haben sich durchaus reguliert und sind in keiner Weise übersteigert gewesen. Wucherfälle sind so gut wie nicht bekannt. Es sind keine 300 000 Prozesse und keine 3000, sondern im ganzen Bundesgebiet nach meinen Feststellungen etwa 300 geführt worden. Das nur als Beispiel dafür, was richtige Wirtschaftspolitik ist,

    (Hört! Hört! rechts)

    vielleicht auch für das, was Mut ist. Das wird 'allerdings Frau Kollegin Weber wieder beanstanden.

    (Heiterkeit.)

    Sie hört nicht gern etwas von Mut in der Politik.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Doch, ganz besonders gern! — Heiterkeit und Zurufe.)

    Ein Überbleibsel der Zwangswirtschaft: der Kapitalmarkt. Ich kann es nur andeuten. Über die Notwendigkeit, die Währungen konvertibel zu machen, ist viel zu sagen. Das sind die vordringlichen wirtschaftspolitischen Aufgaben, die uns gestellt sind.
    Die Europäisierung der Wirtschaft wird nicht möglich sein nur durch eine Fortführung von Institutionen, durch Aufstockung von Organisationen nach dem Vorbild der Montanunion, sondern nur dadurch, daß man die Gesetze der echten Wirtschaft über die Grenzen hinweg durchführt, 'daß man die letzten Reste der Autarkie beseitigt.
    Wir wissen von den Spannungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht im Kabinett. Auch Herr Schoettle hat davon gesprochen. Gestatten Sie mir, daß ich besondere Erwartungen an die Tätigkeit meines Freundes Blücher knüpfe, der als Vorsitzender des Wirtschaftskabinetts und als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgabe und Fähigkeit hat, diese Spannungen in einem positiven Sinne zu lösen.
    Sollte ich ,auch ein Wort von der Landwirtschaft sagen? Vieles, was Herr Minister Lübke gesagt hat, halte ich persönlich für richtig. Ich bin insbesondere der Meinung: Auch 'die Landwirtschaft wird unter den Gesetzen der Wirtschaft stehen müssen, und Aufgabe des Staates wird nur sein, ungewöhnliche Verhältnisse der deutschen Landwirtschaft zu korrigieren, die Landwirtschaft insoweit zu schützen. Ich habe bei meiner Stellungnahme zur Regierungserklärung die Dinge, die uns vor Augen schweben, dargelegt.


    (Dr. Dehler)

    Das Verkehrsproblem. Herr Schoettle hat es von der finanziellen Seite her erörtert. Wir freuen uns, daß dieses Problem nun, man muß schon sagen, nach einigen verpaßten Jahren, in denen besonders der Verkehrsetat kümmerlich, dürftig ausgestattet war, aufgegriffen wird, und haben Hoffnung auf eine gute Lösung. Ich brauche nicht zu sagen, wie groß die Bedeutung des Verkehrsproblems für ,die nationale und für die internationale Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung, die Bundesbahn muß von den betriebsfremden Belastungen befreit werden. Nur dadurch entsteht die Voraussetzung für einen echten Leistungswettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern. Die Verkehrssicherheit muß erhöht werden durch einen zügigen Ausbau des Straßennetzes mit staatlichen Mitteln und nach meiner Meinungauch mit tragbaren Belastungen der Verkehrsbenützer. Ich gebe Herrn Kollegen Schoettle durchaus recht, wenn er meint, daß der Haushalt hier eine falsche Sparsamkeit übt.
    Über die soziale Situation ist viel zu sagen. Die soziale Frage ist aufs engste mit der Frage der richtigen Wirtschaft verknüpft. Dias haben wir langsam gelernt. Wenn die gewaltigen Belastungen der Etats des Bundes und der Länder zusammen mit den Leistungen der Sozialversicherungsträger jetzt an die 20-Milliarden-Grenze der sozialen Aufwendungen herankommen, dann muß man einmal feststellen, daß dieser Ertrag nur möglich ist durch eine richtig und konsequent durchgeführte Wirtschaftspolitik.
    Ich will nur die Rentenfrage kurz streifen und andere Fragen zurückstellen. Die Kritik am Rentenwesen, die von meinen Freunden und besonders auch von mir geübt worden ist, hat sich als berechtigt erwiesen. Manches ist reformbedürftig. Herr Dr. Wuermeling hat das Problem der Onkelehe aufgegriffen: es ist wirklich ein wunder Punkt. Die Erkenntnis, daß die soziale Leistung des Staates und der Gemeinschaft negative Wirkungen hat, dazu führt, daß Frauen ihre Würde aufgeben, sich gesellschaftlich bloßstellen, nicht erkennen, daß diese Zuwendung nur gedacht war für die Zeit, wo der Ernährer fehlte, und nicht die Konsequenz ziehen wollen, dem anderen Ernährer die Pflicht ihres Unterhalts aufzugeben und auf die Rente zu verzichten,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr richtig!)

    ist ein Teilausschnitt aus dem Gesamtproblem der Fehlentwicklung unseres sozialen Rentenwesens. Ich bin der Meinung, daß das Bundesversorgungsgesetz, das jetzt vier Jahre in der Bewährung ist, überprüft werden muß, daß man nunmehr jene strukturellen Änderungen erwägen muß, die besonders die Versorgung der Schwer- und Schwerstbeschädigten bessern,

    (Sehr richtig! rechts)

    ihnen die Versorgung geben, auf die sie einen Anspruch haben. Man muß den Schwerpunkt der Versorgung auf die wirklich Bedürftigen legen.
    Immer wieder muß man sagen, die Rente kann keinen Ersatz für Gesundheit und wirtschaftliche Existenz geben, sie kann kein Ersatz sein. Sie beseitigt nur in geringem Maße den Mangel an Subsistenzmitteln. Unsere Fürsorge muß viel stärker darauf gerichtet sein, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit ,durch Umschulung und durch andere Maßnahmen wieder herbeizuführen.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ein Wort zu den Gewerkschaften. Ich habe sie schon gelobt.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Ich habe das Gefühl, manches, was an vergifteter Atmosphäre zwischen den Gewerkschaften und der Gemeinschaft lag, ist verflogen. Der Anschauungsunterricht der letzten Jahre war ja auch nur zu deutlich, wenn man nur bedenkt, daß alle Streikmaßnahmen der französischen Gewerkschaften im Sommer vorigen Jahres nur zum Nachteil der Arbeiter ausgeschlagen sind, daß nur die Arbeiter die Leidtragenden waren. Ich glaube, das hat auch den Gewerkschaften den Mut genommen, mit Streiks Lohnerhöhungen erzwingen zu wollen, die nicht durch kostenersparende Maßnahmen der Wirtschaft und durch Erhöhung des Ertrags gerechtfertigt sind, oder gar sich wieder auf das glatte Parkett des politischen Streiks zu begeben. Wenn allerdings in den letzten Tagen wieder das Wort von der dynamischen, von der expansiven Lohnpolitik gefallen ist, dann möchte ich doch ernstlich warnen, unbedacht diesen Weg zu gehen, an dessen Ende die Gefahr der Überspannung der Wirtschaft, des Rückschlags der Konjunktur steht, was zu einem Ausweichen in die Inflation oder in die Beschäftigungslosigkeit führt.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß nicht! Sie loben mich, schönen Dank.

    (Abg. Böhm [Düsseldorf]: Sie machen sich unnütze Sorgen!)

    — Ich erkenne ja auch an und preise das Verständnis der Gewerkschaften und stelle meine Anregung, durch ein Streikgesetz die Frage des Streiks zu klären, einstweilen zurück.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Stellen Sie sich einmal vor — eine wunderbare Vorstellung —, wenn die Gewerkschaften — ich habe hier ein sehr interessantes Gespräch mit Herrn Dr. Agartz gehabt, das mich sehr beeindruckt hat — ihren Weg weitergehen und Marxismus und Klassenkampf ablehnen,

    (Zurufe von der SPD)

    welch wirksame Kraft in der Gesellschaft

    (erneute Zurufe von der SPD)

    und in der Wirtschaft diese Gewerkschaften sein können.

    (Beifall bei der FDP.)

    Noch ein Wort zu den Finanzproblemen, besonders ein Wort einmal zu der Finanzverfassung, die dieses Jahr auch als Aufgabe vor uns steht. Ich habe kürzlich die Äußerungen von Ausländern gehört, die erklärt haben, so etwas Verworrenes und so etwas Undurchsichtiges wie die deutsche Finanzverfassung gibt es in der ganzen Welt nicht mehr.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Ich möchte meinen, das ist eigentlich das höchste Lob, das man unserem Freunde Fritz Schäffer spenden kann; denn nur ein so geschickter Mann —wenn ich ihn sehe, muß ich immer an Odysseus denken, an den

    (Heiterkeit)

    der so viele Städte von Passau bis Bonn erblickte und den Sinn ihrer Menschen erkannte,

    (erneute Heiterkeit)



    (Dr. Dehler)

    nur ein solch gewandter und viel erfahrener Mann ist in der Lage, mit diesem Instrument, das uns die Alliierten in der erzwungenen Bestimmung des Grundgesetzes beschert haben, zu operieren. Aber ich glaube, man müßte nun auch aus politischen Gründen endlich an die Bereinigung der Dinge herangehen, besonders einmal klar die Steuerquellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufteilen, also den Grundsatz verwirklichen, der im Grundgesetz enthalten ist, daß Bund und Länder in der Haushaltswirtschaft unabhängig voneinander sind. Die Steuerquellen müssen so verteilt werden, daß Bund, Länder und Gemeinden wirklich unter eigener Verantwortlichkeit im Finanziellen stehen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wenn das nicht geschieht, ist alles Gerede von Föderalismus und von Selbstverwaltung nur ein schöner Trug. Ich bin der Meinung, daß Bund, Länder und Gemeinden Einkommensquellen erhalten müssen, deren Tarife nur ihrer Finanzhoheit und am Ende bei Bund und Ländern nur ihrer Gesetzgebungskompetenz unterstehen.
    Das Problem der Bundesfinanzverwaltung taucht dabei wieder auf, auch als wichtige organisatorische Frage der richtigen Finanzgebarung. Sie wissen: sie ist damals nur von den Alliierten verhindert, aber von allen, die etwas von der Sache verstehen, empfohlen worden. Ich muß immer wieder an die Tatsache denken, daß meine bayerische Heimat, das Land Bayern in der Weimarer Zeit seine Landessteuern dem Reich zur Verwaltung übergeben hat und dabei gut gefahren ist.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ich glaube, auch bei den gewandelten politischen Verhältnissen in diesem Hause sollten wir dieses Thema der Bundesfinanzverwaltung noch einmal ernstlich durchdenken.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Unsere Sorge ist immer noch die wirtschaftliche Betätigung des Staates. Wir bedauern, daß sich hier keine Lockerung zeigt, und zwar unter einem doppelten Gesichtspunkt, einmal unter dem der unnützen Konkurrenz, die der freien Wirtschaft gemacht wird, zum andern aber besonders unter dem Gesichtspunkt der Befürchtung, daß Steuermittel für unwirtschaftliche und unrentable Unternehmungen der öffentlichen Hand aufgewendet werden. Die Dinge müssen erörtert werden. Wir haben zwar bei der Regierungsbildung davon Abstand genommen, auf der Schaffung eines Bundesschatzministeriums zu bestehen. Ich glaube, daß der Herr Bundesfinanzminister jedoch zwei Seelen in seiner Brust trägt und in dieser Frage zwiespältig sein muß. Wir haben auf der anderen Seite auch wieder die Gefahr gesehen, daß sich ein Bundesschatzminister in diesem Bett wohlfühlt und für sein Ressort nicht die so gesunde Erkenntnis unseres Freundes Preusker hat, der sich das Ziel gesetzt hat, in kurzer Zeit sich und sein Ministerium überflüssig zu machen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Wir haben deswegen davon Abstand genommen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Jetzt können Sie mit § 7 c weiterfahren!)

    — Ja, ich will auch noch ein Wort dazu sagen. Die Dinge sind ja noch nicht ausgekocht!

    (Abg. Dr. Dresbach: Ihr seid mir schöne Demokraten! — Abg. Dr. Vogel: Ich bitte, den Löwen nicht zu reizen!)

    Vielleicht noch ein Wort zur Kritik des Kollegen Schoettle. Er hat die These aufgestellt und gesagt, das würde auch in anderen Staaten so gehandhabt, daß der soziale Haushalt keinesfalls wegen der Verteidigungsausgaben gekürzt werden dürfe, daß die sozialen Ausgaben im ersten Rang stünden. Ich weiß nicht, Herr Schoettle, ob dieses Wort nicht gefährlich ist. Sie wissen doch, wie unsere Existenz gefährdet ist, wie jede falsche Entscheidung den Untergang von Millionen und aber Millionen Menschen bedeuten kann. In einer solchen Lage nicht das Notwendige zu tun, wäre eine Verletzung der höchsten Aufgaben der Bundesregierung und des Bundesparlaments. Das soll nicht heißen, daß nicht nach Möglichkeit alles geschieht, was an sozialen Leistungen notwendig ist. Dafür zeugen die Leistungen der letzten Jahre.
    Noch ein Wort der Kritik, Herr Schoettle: Sie wollen sich dagegen wenden, daß der Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer erhöht wird. Daß der Herr Bundesfinanzminister in jedem Jahre genötigt ist, dieses Feilschen zu beginnen, ist ja an sich ein unerträglicher Zustand. Eine richtige Finanzverfassung muß diesen Zustand beendigen, muß saubere Verhältnisse schaffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber, meine Damen und Herren, wer kann denn ernstlich bestreiten, daß der Herr Bundesfinanzminister auf diese ergiebigste Steuer angewiesen ist, daß er den Anteil der Länder erhöhen muß. Es ist ein merkwürdiges Bild, Herr Schoettle, wenn ich mir vorstelle, daß Sie, der Sie doch in vornehmlicher Weise die Interesen des Bundes im Auge haben, mit den Landesfinanzministern, mit den Interessenten der Länder gegen den Bund paktieren. Das Bild darf und kann nicht Wirklichkeit werden, Herr Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Da haben Sie mich falsch verstanden!)

    — So haben Sie es dargestellt. Wenn Sie das Schreckbild von mir nehmen, dann bin ich Ihnen sehr dankbar.

    (Zuruf von der SPD: Das ist genommen! — Abg. Schoettle: Nein, Herr Dehler, das Gesetz zu Art. 107 ist immer noch fällig, und mit dem Flickwerk, das wir jetzt machen, ist das Problem doch nicht zu lösen!)

    — Ich habe ja schon gesagt, daß uns diese Aufgabe in diesem Jahr gestellt ist, und meine Freunde werden alles tun, um es zu einem guten Ende zu bringen.
    Steuerreform! Man müßte vieles darüber sagen. Vielleicht nur e i n Wort hinsichtlich des Zeitpunktes. Ich meine, es müßte alles getan werden, um die Steuerreform vorzuziehen. Wir sehen schon mit Beklemmung, daß die Wirtschaft, daß die Industrie, daß auch besonders der Baumarkt sich zurückhalten, nicht investieren in der Hoffnung auf günstigere steuerliche Verhältnisse. Hier gilt, Herr Schäffer, der Satz: Wer schnell gibt, gibt doppelt!

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Wir müßten uns das Ziel setzen, bis zum 1. Juli die notwendige Steuerreform durchzuführen.

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Welches sind die Ziele dieser Reform? Herr Dr. Dresbach hat mich auf den § 7 c und auf die Zwangslage hingewiesen, in die der Herr Preusker hineinkommt, darauf, daß er, wenn der § 7 c fällt, durch andere Begünstigungen einen Ersatz bekommen müsse und daß das Notwendige für den öffentlichen Wohnungsbau getan werden müsse. Darüber einzelnes zu sagen, ist ja nicht meine Aufgabe. Das ist selbstverständlich.
    Betrachten Sie das, was ich gesagt habe, nur als einen großen Überblick, zum Teil einen etwas flüchtigen Überblick über die politischen Probleme, die sich bei der Beratung des Haushalts aufdrängen. Ich habe über außenpolitische Dinge nicht gesprochen. Aber ich richte ebenfalls, wie der Herr Kollege Krone den Blick nach Berlin, wo in diesen Tagen über das deutsche Schicksal gehandelt wird, in der alten Hauptstadt des Reiches ohne uns. Wir können nur unseren Willen äußern, das, was uns nach, ich sage, göttlichem und menschlichem Recht zusteht. Das in dieser Stunde zu sagen, halte ich für unsere Pflicht, und schelten Sie mich nicht pathetisch, meine Damen und Herren, wenn ich zur Bekräftigung dessen, was uns erfüllen soll, was alle Deutschen erfüllen soll, Ihnen die schönen Worte Schillers aus „Wilhelm Tell" sage, die Worte, die nach meiner Überzeugung für uns einen neuen, einen tieferen Sinn bekommen haben:
    Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.
    Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
    eher den Tod als in der Knechtschaft leben. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
    und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, in der Mitte und rechts.)