Rede von
Dr.
Heinrich
Krone
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben eine Rede gehört, die sich auf den Haushalt des Jahres 1954/55 bezogen hat. Sie ist mit Ausführungen über die Politik der Bundesregierung verbunden gewesen. Ich begrüße es, daß Kollege Schoettle seine Ausführungen nicht auf die rein haushaltsmäßigen Fragen beschränkt, sondern den Rahmen seiner Darlegungen erweitert und damit eine alte, gute Tradition der parlamentarischen Demokratie wieder aufgenommen hat.
Herr Schoettle hat eine gute Rede gehalten. Nur mit dem letzten Satz bin ich nicht ganz einverstanden.
— Ich möchte darum bitten, daß Sie meine Ausführungen nicht so billig beantworten. Ich meine den Satz, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.
— Gut, wenn wir uns auf diesem Mittelweg verständigen können, bin ich schon eher mit diesem Satz einverstanden; sonst, würde ich sagen, sollte man sich doch gerade in dieser Stunde, in der wir stehen, davor hüten, davon zu sprechen, daß die Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk Schaden zufüge.
Diese Bemerkung des Kollegen Schoettle hindert mich also nicht, seine Rede als eine gute Haushaltsrede zu betrachten.
Ich möchte davon ausgehen, daß hier der Vorsitzende des Haushaltsausschusses gesprochen hat, jenes Ausschusses, der wohl als der wichtigste Ausschuß — die anderen Ausschußvorsitzenden mögen mir verzeihen, wenn ich das so sage — eines parlamentarischen Systems bezeichnet werden muß, weil ja durch seine Hand all das Geld geht, das der Bund einnimmt und ausgibt. Den Vorsitz dieses so wichtigen Ausschusses führt ein Vertreter der Opposition. Ich halte es für gut, daß wir bei der Verteilung der Ausschußvorsitze dahin gekommen sind, daß gerade in der Hand der Opposition die Führung dieses Ausschusses liegt, der ja doch letzten Einblick in all die Fragen des Haushalts unseres Staates gewährt.
Da ich dabei bin, von Ihnen, Herr Kollege Schoettle, zu sprechen, will ich auch hinzufügen — das kann ich aus der Mitarbeit im Haushaltsausschuß, wenn sie auch einige Zeit zurückliegt, sagen —, daß, glaube ich, alle Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, daß Sie nicht nur ein sehr fachkundiger und kluger Mann sind, sondern die Führung der Geschäfte dieses Ausschusses auch so handhaben, daß man Ihnen das Prädikat einer sachlichen, korrekten und unparteiischen Führung geben muß.
Wenn ich so zu Beginn meiner Ausführungen dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses eine Anerkennung ausspreche, so will ich gleich ein anderes Wort der Anerkennung hinzufügen. Hier muß ich es noch etwas erweitern, will es aber, da es sich um einen Herrn handelt, der auf der Ministerbank sitzt und aus unseren Reihen kommt, mit weniger Worten sagen. Ich will darauf hinweisen, daß der Bundesfinanzminister, diese so eigenwillige und sehr oft schwer zu nehmende Persönlichkeit, doch dann, wenn er vor dem Volke spricht und seine Grundsätze darlegt, dafür, daß er jeden Pfennig, der ausgegeben werden soll, aufs schärfste verteidigt, gerade im Volke Anklang und Sympathie findet.
Meine Fraktion hat mich beauftragt, dem Herrn Bundesfinanzminister den Dank für seine Arbeit und darüber hinaus auch ihr volles Vertrauen auszusprechen.
Ich werde mich in meinen Darlegungen, Herr Kollege Schoettle, auf das beschränken, was politisch zu sagen ist. Nachher wird noch von anderer Seite aus meiner Fraktion etwas zum Haushalt gesagt werden.
Sie haben eine sehr gute und kluge Differenzierung vorgenommen, als Sie sagten, Sie stünden hier nicht als Feind des Herrn Finanzministers und nicht als Feind der Bundesregierung, sondern als ihr Gegner. Ich glaube, daß Sie damit das umschreiben, was die Aufgabe der Opposition überhaupt ist, daß Regierung und Opposition, Regierungsmehrheit und Minderheit zueinander geordnet sind und nicht gegeneinander stehen sollten, daß es sich hier um zwei Pole handelt, die Wesensbestandteile für das Funktionieren der Demokratie überhaupt sind.
Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner ersten Rede davon gesprochen, die SPD werde darauf achten, ob die Regierung dies als die Funktion der Opposition auch ansehe oder nicht. Ich glaube, die letzten vier Monate hier im Hause können für die Regierung, aber auch für die Regierungsmehrheit den Nachweis dafür erbringen, daß wir uns dieser Funktion der Opposition bewußt sind.
— Das wäre eine Anerkennung, verehrter Herr
Kollege, wenn Sie mir das entgegenrufen. Ich
möchte erwarten, daß dann auch das Wort wahr bleibt, das Sie selber zu dieser Frage gesprochen haben.
Ich bin in vielem durchaus einig mit dem, was vorhin gesagt worden ist. Zu dem, was über die Sicherung der Währung gesagt worden ist, ist kein Wort zu verlieren. Weiter ist gesagt worden, wir müßten uns vor einer Vergrößerung der sozialen Spannungen hüten. Nun, ich meine, Herr Kollege Schoettle, es ist doch in den letzten vier Jahren vieles für den Abbau der sozialen Spannungen getan worden.
Man braucht nur in das Volk hineinzuhorchen, um festzustellen, ob das, was ich eben gesagt habe, nicht doch der Wahrheit entspricht.
Ihr Hinweis darauf, daß wir hier Grenzland seien, daß wir hier zwischen Ost und West stünden, war meines Erachtens aus diesem Grunde nicht am Platze.
— Wenn Sie es rein geographisch meinen, Herr Kollege Schoettle, sind wir einverstanden. Aber ich glaube, daß die vier Jahre Politik, und zwar wirtschaftlich wie sozial gesehen — ich wiederhole es noch einmal —, viel dazu beigetragen haben, daß Spannungen, die vorher bestanden haben, jetzt doch abgebaut worden sind.
Sie haben dann Ausführungen über den Schutz der zivilen Bevölkerung gemacht. Ich bin der Meinung, daß diese Ausführungen besser nicht gemacht worden wären.
Ich kann mir kein Bild darüber machen, ob das, was Sie gesagt haben, sachlich berechtigt ist. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie selber auch davon gesprochen, daß nur nach Ihrer Kenntnis — ganz allgemein gesagt — die Frage aufgeworfen werden müsse, ob das genügt, was da geschieht. Wir sollten im Interesse der Sache, aber auch zur Beruhigung — oder, besser gesagt, damit keine Unruhe entsteht — solche Fragen eben nur in einer Form erörtern, die unbegründete Beunruhigungen ausschließt.
— Nicht im geringsten, Herr Blachstein! Ich glaube, daß der Sinn unserer ganzen Politik der ist, daß der Friede erhalten bleibt, und nichts anderes.
Ich will dann ein Wort zu dem sagen, was Sie über den Staat und seine Funktionen gesagt haben. Auch wir sind uns dessen bewußt, daß dem Staat heute weit mehr Aufgaben zufallen, als es vor Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Wir wissen, daß gerade unser deutscher Staat nach zwei Kriegen, deren Opfer noch heute unter uns sind, Aufgaben übernehmen mußte, die früher überhaupt nicht vorhanden gewesen sind. Ich bin aber der Meinung — und ich glaube, meine Freunde mit mir —, Herr Kollege Schoettle, daß wir jede unbegründete oder falsche Ausweitung der Staatsaufgaben nur mit Sorge beobachten können.
Es scheint mir kein Fortschritt zu sein, wenn gesagt wird, daß die Ausweitung von Staatsaufgaben einfach naturnotwendig sei.
— Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, daß wir uns in diesem Punkte treffen können, doch scheint mir, in Ihren Ausführungen lag das Gewicht zu sehr darauf, daß hier eine Notwendigkeit vorliege, der wir eben nicht entgehen könnten. Weit eher sollten wir zu einer Durchgliederung des Aufgabengebiets kommen und dem Staat, dem Bund, das geben, was ihm zusteht. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß man mehr darauf achten muß, daß Aufgaben, die in der Gemeinde gelöst werden können, auch dorthin verlegt werden,
daß weit mehr Aufgaben, die das Land bewältigen kann, vom Lande gelöst werden müssen, wo sie überschaubarer sind als in der Zentrale.
— Diese Konsequenz entsteht dann, selbstverständlich.
Die Wahrung dieses Subsidiaritätsprinzips muß heute betont werden, und wir betonen es auch. Das scheint mir die Aufgabe der Staatsreform zu sein, vor der wir stehen.
Ich habe vorhin schon gesagt, daß es sich bei dem, was wir erörtern, auch um eine Reihe von politischen Fragen handelt. Ich glaube, wir haben gut daran getan, daß wir eine alte parlamentarische Gepflogenheit aufgenommen haben, indem nach dem Sprecher der Regierung zunächst der Sprecher der Opposition sprach. Bei der ersten großen Debatte des zweiten Bundestags im Oktober vorigen Jahres haben wir von dieser auch von mir anerkannten Regel Abstand genommen. Damals sprach der Vertreter der größten Regierungspartei zuerst. Der Grund dafür lag nicht nur darin, daß der neue Bundestag zum erstenmal vor das deutsche Volk trat; es geschah auch nicht deshalb, weil wir Wert darauf legten, daß gerade die größte Koalitionsfraktion zuerst zu dem Stellung nehmen sollte, was über die Politik der vier vor dem Bundestag liegenden Jahre zu sagen war und was sie darüber dachte. Es geschah deshalb, weil gerade nach den Wahlen eine Unzahl von Vermutungen und Verdächtigungen aufgekommen waren — ich will sie im einzelnen gar nicht wiederholen — und weil damals gesagt worden war, daß das Wahlergebnis des 6. September dazu angetan sein könne, in Deutschland wieder einen ganz anderen Kurs in die Wege zu leiten. Es wurde gesagt, die nächsten Monate müßten beweisen, ob nicht der Sieg vom 6. September der Anfang einer totalitären Bewegung sei. Wir haben damals mit Sorge darauf hingewiesen, daß solche Äußerungen nicht nur im Inlande, sondern auch im Auslande zu lesen und zu hören waren. Ich möchte hier feststellen — und ich möchte glauben, daß das, was Sie, Herr Kollege Schoettle, gesagt haben, ein Beweis für meine Behauptung ist —, daß die bisherige Arbeit hier im Parlament zu solchen Verdächtigungen und zu solchen Besorgnissen in keiner Weise Anlaß gegeben hat.
Ich füge hinzu, daß nach unserem Wunsche das auch so bleiben soll. Wir müssen alles tun, um im deutschen Volke den Sinn für das Demokratische, für die großen Aufgaben unseres Volkes im Appell an den einzelnen Menschen und seine Selbstverantwortung zu wecken und dem hier im Bundestag Raum zu geben.
Damals fiel auch das Wort, daß man die Demokratie auf kaltem Wege töten könne, in der Stickluft der Korruption und in der Muffigkeit kultureller Reaktion. Ich freue mich, daß solche Worte in der Rede des Oppositionssprechers nicht gefallen sind, und ich hoffe, daß auch seine Ausführungen über das Familienministerium keinen Anlaß dazu geben, anzunehmen, das Ja, das wir zu diesem Ministerium sagen, sei nicht aus der letzten Verantwortung, aus letzten tiefen, ethischen Gesichtspunkten für die Sicherung und den Bestand der deutschen Familie geboren. Ich halte es nicht für würdig, daß man diese Dinge so mit billigen Worten und mit billigen Bildern abtut, die an dem Sinn dieser Aufgabe völlig vorbeigehen.
— Ich möchte auf dieses Wort nicht eingehen. Ich glaube, die, die das eben sprachen, versündigen sich an den Aufgaben, die das Ministerium Wuermeling zu leisten haben wird. Man kann die Dinge, um die es hier geht, doch nicht mit so billigen Worten und Scherzen abtun.
Wenn Sie es tun, dann ergibt sich daraus zwischen Ihnen und uns eine Kluft, eine weltanschauliche Diskrepanz.
— Nein? — Sie haben gesagt, ich möchte nicht verallgemeinern. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie also von diesem Wort abrücken.
Meine verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch ein Wort, das der Herr Kollege Schoettle an die Adresse des Bundesinnenministeriums gerichtet hat. Er sprach von dem Film „5 Minuten nach 12". Ich habe ihn auch nicht gesehen, ebensowenig wie er.
Ich freue mich, daß Herr Kollege Schoettle selber zugab, daß auch Minister, die aus seinen Reihen kommen, mit zugestimmt haben, diesen Film zu verbieten. Ich persönlich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß es sich nach allem, was ich von den verschiedensten Seiten über diesen Film gehört habe, in der Tat um einen Fehlgriff gehandelt hat. Aber, Herr Kollege Schoettle, Sie haben gesagt, dieser Fehlgriff sei symptomatisch. Wofür symptomatisch? Für einen Kurs der Reaktion, Herr Kollege Schoettle, oder wofür?
Für einen Kurs der Reaktion, politisch gesehen?
— Ich glaube, dieses Ihr Wort geht doch zu weit. Sie können keinem unserer Herren, auch nicht dem Bundesinnenminister, auch nur im entferntesten nachsagen, daß mit dem damaligen Verbot solche Tendenzen verknüpft gewesen sind.
— Herr Kollege Menzel, weil man meinte, das sei aus außenpolitischen Gründen das richtigste.
Herr Kollege Schoettle hat sodann von der Ausweitung des Kabinetts gesprochen. Er hat es nicht nur als richtig empfunden, zu sagen, daß nach seiner Meinung eine Reihe von Posten überflüssig seien, sondern er hat darüber hinaus auch geglaubt, die Aufgabe dieser Minister doch sehr despektierlich herabsetzen zu können. Wir sind der Meinung, Herr Kollege Schoettle, daß, wenn es sich um das höchste Gremium unseres Staatsaufbaus, um die Regierung. handelt, wir die Verpflichtung haben, für dort anfallende neue wichtige Aufgaben, gerade wenn sich das über den Rahmen der bisherigen Ministerien hinaus erstreckt, Minister einzusetzen. Ich füge hinzu, daß es uns angesichts der großen politischen und außenpolitischen Aufgaben, wie sie jetzt mit der Berliner Konferenz zusammenhängen, auch darauf ankam, in das Kabinett einen Kollegen zu setzen, der neben dem Minister für gesamtdeutsche Fragen gerade diese Aufgaben der Zone, des Ostens und Berlins vertritt. Wir sind der Meinung, daß es sich nicht darum handeln kann, diese Ministerien auszubauen; ich glaube, dafür ist die Gewähr auch gegeben. Wir haben vielmehr den Wunsch, daß diese Ministerien sich auf einige wenige Arbeitsgebiete beschränken. Wir sind durchaus für die Einrichtung dieser Ministerien für Sonderaufgaben.
— Herr Kollege Blachstein, ich habe eben schon gesagt: es handelt sich hier um so eminent wichtige Fragen, daß nach unserer Meinung eine Verstärkung durchaus am Platze ist.
Ein Wort muß dann noch zum Ministerium für Familienfragen gesagt werden. Auch von diesem Ministerium, Herr Kollege Schoettle, haben Sie geglaubt, daß es überflüssig sei. Wir sind gerade der gegenteiligen Meinung. Wenn man schon davon ausgeht, daß die Familie als die Urzelle der Gesellschaft und des Staates heute weithin in Gefahr ist, dann sollte man auch von Staats wegen alles tun, was dem Wohl und der Sicherung der Familie dient.
Es ist zu billig, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie die Arbeit des Herrn Dr. Wuermeling damit abtun wollen, daß er sich in Reden erschöpfe.
Ich glaube schon, daß es notwendig ist, im deutschen Volke für diese Aufgaben weit mehr Verständnis als bisher zu wecken.
Die Auffassung, daß hierin eine eminent wichtige
Aufgabe für unser Volk liegt, ist noch gar nicht
weit genug in das Denken weiter Kreise unseres
Volkes eingedrungen. Wir sollten auch den Mut
haben, einmal über die rein klassischen Ministe-
rien hinauszugehen und, wenn neue Aufgaben anfallen, diese neuen Aufgaben auch in die Hand zu nehmen.
— Herr Schäffer hat gerade hier gesagt, er müsse diesem Ministerium nachsagen, daß es sich finanziell in einem ganz engen Rahmen halte — eine Anerkennung der Arbeit des Ministeriums, glaube ich.
Nein, ich glaube nicht, Herr Kollege Schoettle, daß diese Aufgaben nur so zu sehen sind, wie Sie sie sehen, sondern es handelt sich hier wirklich um große Aufgaben unseres Volkes. Wir meinen, dieses Ministerium sollte seine Aufgabe darin sehen, nicht die Familie zu bevormunden, also nicht in die Familie hineinzureden, sondern der Familie im Aufbau unseres Volkes die Sicherheit zu geben, die sie braucht. Nach unserer Meinung liegt die Aufgabe dieses Ministeriums darin, dafür zu sorget, daß bei allen Gesetzen das Prinzip der Sicherung der Familie gewahrt wird. Hier liegt das Bemühen um die Familienausgleichskasse; hier liegt die Aufgabe, eine gerechte Steuerreform auch unter dem Gesichtspunkt der Familie und der kinderreichen Familie durchzuführen. Hier liegt die Aufgabe des Wohnungsbaues für die Familie und besonders für die kinderreiche Familie. Diese Aufgaben anzupacken, scheint uns im Interesse des Volksganzen eine Notwendigkeit zu sein, und darum unser Ja zu diesem Ministerium.
In der Rede, 'die der verstorbene Kollege Dr. Schumacher im Jahre 1949 hier im Hause gehalten hat, hat er die Hoffnung auf den Sieg der sozialistischen Demokratie ausgesprochen. Nun, das Jahr 1953 hat anders entschieden. Ich glaube überhaupt, daß all das, was bisher mit dem Wort „sozialistisch" bezeichnet worden ist, gerade auch in Ihren eigenen Reihen einer Kritik unterworfen wird und daß dieses Wort im Denken unseres Volkes bei weitem nicht mehr den Anklang hat, wie das früher der Fall gewesen ist.
Ich will nur darauf hinweisen, daß Herr Kollege Ollenhauer in seiner Rede nach der Regierungserklärung Ausführungen über die Wirtschaftspolitik gemacht hat, die Herrn Kollegen Dehler veranlaßt haben, zu sagen, daß hier die richtige Einsicht vorhanden sei, aber nur der Mut fehle, diese Einsicht zu realisieren. Meine Damen und Herren, wenn selbst in Ihren Reihen diese Auffassung vertreten wird und wenn darüber hinaus die Erfolge der letzten vier Jahre den Beweis dafür erbringen, daß wir mit dieser unserer Politik auf dem richtigen Wege sind, haben wir keinen Anlaß, heute von diesem Wege abzuweichen. Es liegt mir nicht daran, hier mit Zahlen aufzuwarten. Aber darauf möchte ich doch hinweisen, daß wir, wenn wir diesen Weg unserer Wirtschaftspolitik fortsetzen, auch in der Lage sind und sein müssen, all die Sorgen noch zu beheben, die auch jetzt noch in unserem deutschen Volke vorhanden sind.
Ich bin der Meinung, daß die soziale Frage von heute ein anderes Gesicht bekommen hat, daß sienicht mehr in der Weise die Frage der Arbeiterschaft ist, wie das früher der Fall gewesen ist,
daß es heute ganz andere Stände sind, deren Notlage gesehen werden muß. Ich denke hier an die Heimatlosen, an einen großen Teil der Vertriebenen, ich denke an unsere Alten und Invaliden und bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß für die Rentenbezieher etwas geschehen muß.
Ich denke hier auch an unsere Jugend, deren Aussicht vielfach verdunkelt ist, weil ihr die Möglichkeit, Stellung zu finden, nicht gegeben ist. Ich denke hier auch an einen großen Teil der jungen Akademiker, an Menschen also, deren Bezahlung in ihren jungen Jahren so ist, daß sie nicht daran denken können, eine Familie zu gründen. Hier liegen noch ganz neue und große Aufgaben sozialer Art, die gesehen werden müssen und von uns auch gesehen und in Angriff genommen werden.
Wir sind weiter der Meinung, daß von seiten der Regierung und von seiten des Bundestages alles getan werden muß, um eine Sicherung unseres wirtschaftlichen Aufstiegs zu gewährleisten. Wir müssen die weitere wirtschaftliche Entwicklung mit Sorgfalt beachten, nicht nur im Interesse derer, die aktiv in der Wirtschaft stehen, sondern gerade auch derer, die aus dem Wirtschaftsprozeß ausgeschieden sind; eine Zahl von Menschen, die in den nächsten Jahren noch steigen wird, also eine neue Hypothek, die auf allen denen liegt, die noch im Wirtschaftsleben stehen.
Hier liegt die enge Verbindung zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Ich wiederhole, was ich vorhin schon ausgeführt habe: Wir sollten hierbei zu einer guten Ordnung in der Aufgabenstellung zwischen Gemeinde, Land und Bund kommen. Wir sollten hier dahin kommen, daß nichts von einer höheren Instanz übernommen wird, was eine niedere leisten kann.
Ich meine auch, daß wir dieses Prinzip auf unsere Familie selber anwenden sollten. Man sollte der Familie so weit wie nur möglich den Raum eigenen Schaffens und Sorgen geben, dann aber auch dafür sorgen, daß die Familie, der Vater und die Mutter, die ihr obliegende und zufallende Aufgabe auch leisten kann. Hier liegen die Aufgaben auf dem Gebiet der Wohnungspolitik, des Arbeitsplatzes und der Sicherung des Alters. Daher auch unsere Forderung, von uns aus alles zu tun, um den Prozeß des Absinkens in das Kollektiv so weit wie nur möglich zu unterbinden.
Hier liegen die Aufgaben der deutschen Eigentumspolitik: die Zahl der Eigentümer so weit wie möglich zu vermehren und — auch im Interesse der Sicherung unseres Volksganzen — Wege zu diesem Ziel zu beschreiten, die gangbar sind. Die Wirtschaftspolitik wird von uns vor allen Dingen bejaht, die dieser Aufgabe der Sicherung unserer Familie am besten dient. Man gebe gerade der Familie die Chance, sich selber wieder zu helfen.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu einem Kapitel, das ich heute ebenso wie der Herr Kollege Schoettle nur kurz streife. Er hat gemeint, zwischen der Opposition und der Regie-
rungskoalition seien nach wie vor in der Außenpolitik Gegensätze vorhanden. Er hat allerdings hinzugefügt, sie seien etwas gemildert. Ich möchte auf dieses Wort von der Milderung der Gegensätze abheben. Heute richten sich doch die Wünsche und die Hoffnungen von 18 Millionen Menschen auf die Berliner Konferenz. Wie die Zone drüben denkt, haben wir am 17. Juni erfahren. Nun ist vorgestern im Auswärtigen Ausschuß zu meiner Freude ein Beschluß gefaßt worden, der von allen Seiten dieses Hauses gebilligt wurde.
Dieser Beschluß zeigt doch, daß unser Volk und wir in der Repräsentation unseres Volkes im Bundestag in den wesentlichen und entscheidenden Fragen der deutschen Außenpolitik einiger sind, als es manchmal in der Öffentlichkeit aussieht.
— Das habe ich nicht gelesen! — Herr Kollege Mellies, ich kann nur wünschen, daß diese Linie des Gemeinsamen in diesem Hause weiterhin vertreten wird und daß wir die Stunde erkennen, die heute für unser Volk schlägt. Große und kluge Völker haben es in allen Schicksalsfragen verstanden, den Weg der Einigkeit zu gehen.
Diese Bitte und diese Aufforderung richte ich, Herr Kollege Mellies, an das ganze Haus; ich tue es im Interesse gerade der Menschen, die auf Berlin ihre große Hoffnung setzen. Wir haben im Bundestag in einer Reihe von Beschlüssen unsere grundsätzlichen Forderungen festgelegt. Sie gipfeln in der Forderung, das deutsche Volk hier und drüben soll selber sein Schicksal in die Hand nehmen.
Wir sind uns darin einig, daß wir nicht mehr das Jahr 1945, sondern das Jahr 1954 schreiben und daß es deshalb auch kein Zurück zu Potsdam mehr geben kann.
Wir wissen nicht, was die nächsten Tage uns bringen werden. Vielleicht erleben wir in Berlin jetzt bald den Höhepunkt und die Entscheidung. Wir können nur den Wunsch aussprechen, daß sich die Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes und vor allen Dingen der 18 Millionen Menschen drüben in der Zone auf Wiedervereinigung und auf Freiheit recht bald verwirklichen.