Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Bundeshaushalt 1954 eröffnen heißt das Risiko auf sich nehmen, mit ungleichen Waffen zu kämpfen. Denn der Herr Bundesfinanzminister — er möge mir das nicht übelnehmen — ist mit der ganzen schweren Rüstung, die ihm sein Ministerium verleiht, in die Schranken geritten, während wir armen Angehörigen des gouvernementalen Fußvolks — und die Opposition rechnet sich in diesem Sinne, im angelsächsischen Sinne, auch zum government — gezwungen sind, mit etwas weniger Armatur auf den Plan zu treten. Wir sind nicht in alle Geheimnisse eingeweiht. Wir kennen nicht all die kleinen, etwas verspinnwebten hinteren Kämmerchen des fiskalischen Haushalts, und wir müssen deshalb in vielen Fragen spekulieren oder uns dem guten Glauben anvertrauen, daß der Herr Bundesfinanzminister — entgegen der geschichtlichen Erfahrung mit Finanzministern — hier in diesem Hause die volle Wahrheit sagt und alle seine Karten auf den Tisch legt.
Nach dieser etwas vom Thema abweichenden Einleitung möchte ich mich der Sache selber zuwenden. Die erste Beratung eines öffentlichen Haushalts ist in der Regel eine Gelegenheit zu allgemeinen Stellungnahmen. Man soll indessen die
Dinge nicht zu weit treiben und nicht von Gott und der Welt reden, wenn es sich um eine so nüchterne Sache handelt wie den Haushalt der Bundesrepublik. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede anläßlich der Einbringung des Haushalts vor 14 Tagen eine Reihe von Bemerkungen gemacht, die beinahe den Charakter von Grundsatzerklärungen hatten. Wir Sozialdemokraten, die wir in diesem Hause die einzige Opposition sind — es sei denn, daß wir innerhalb der Regierungskoalition von Zeit zu Zeit einen oppositionellen Flügel entdecken —,
wir möchten diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne uns mit einigen der prinzipiellen Feststellungen des Herrn Bundesfinanzministers zu beschäftigen.
Zunächst eine allgemeine und auch grundsätzliche Bemerkung. Wir stimmen vorbehaltlos zu, wenn der Herr Minister sich zur Gesunderhaltung der Währung bekennt. Das ist in der Tat ein fundamentaler Grundsatz, auf den sich alle diejenigen einigen sollten, die wünschen, daß sich dieses Land nach einer Periode des Suchens nach einer Lebensform wirklich auf der Straße der Demokratie zu einem klar und eindeutig erkannten Ziel vorwärtsbewegt. Aber die Gesunderhaltung der Währung ist ja ein Axiom, das nur einen Sinn hat, wenn man dabei gleichzeitig auch einige andere Dinge sicherstellt, so z. B. — und das ist gerade vom Standpunkt der Sozialdemokratie und vom Standpunkt weiter Schichten unseres Volkes wesentlich —, daß das Preisgefüge oder, besser gesagt, das Preisniveau und die innere Kaufkraft des Geldes in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.
Das ist erstens bei uns in der Bundesrepublik keineswegs der Fall. Mindestens gehen die Meinungen darüber, ob die Relation Preis — Einkommen in der Bundesrepublik richtig sei, weit auseinander. Wir werden darüber im Laufe der kommenden vier Jahre noch des öfteren zu reden haben. Außerdem gibt es einige Anzeichen dafür, daß das Preisgefüge wieder einmal in Bewegung gerät. Zum mindesten sind bestimmte Gebiete unseres Wirtschaftslebens jetzt schon in Bewegung. Wenn wir auch offen erklären, daß wir für einige der Veränderungen gar nicht die Bundesregierung und ihre Politik verantwortlich machen wollen und können, weil ja Rückwirkungen von den Weltmärkten her nicht restlos an den Grenzen Deutschlands aufgefangen werden können, so müssen wir doch sagen, daß einige andere Dinge außerordentlich bedenklich sind und zu großen sozialen Spannungen führen können. Die Tatsachen im ganzen bleiben bedrohlich genug vom Standpunkt der Stabilität der Entwicklung im Innern und der Entspannung unseres sozialen Lebens.
Ich will die zwei Punkte nennen, an die ich zunächst gedacht habe, wenn ich sagte, daß wir hier die Verantwortlichen nicht von Weltmarktgesichtspunkten aus entschuldigen können. Es ist eine Erhöhung der Postgebühren angekündigt; sie ist noch nicht praktisch. Ich habe Stimmen gehört, die von Leuten kommen, die es eigentlich wissen müssen; die sind der Meinung, daß dabei der neue Herr Bundespostminister etwas weit über seine derzeitigen Einsichten — er ist ja noch ein Neuling auf diesem Gebiet — hinausgestoßen sei
und daß das, was er da angekündigt hat, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß sein dürfte. Daß außerdem der jetzt so oft besprochene Fehlbetrag bei der Post möglicherweise gar nicht ein eigentlicher, echter Fehlbetrag, ein Kassenfehlbetrag sei, sondern daß es sich hier um eine Konsequenz der Bindung der Postverwaltung an haushaltsrechtliche Vorschriften handle, die einem wirtschaftlichen Betrieb wie der Post Schranken auferlegen, die vielleicht in anderen Wirtschaftsunternehmungen nicht vorhanden sind und die es der Post verwehren, ihren Wirtschaftsplan so in Ordnung zu halten, daß nicht nur kein rechnerischer Fehlbetrag, sondern überhaupt kein Fehlbetrag herauskommt, darüber müßte sich im einzelnen noch reden lassen. Ich will das hier nur andeuten.
Eine andere starke Beunruhigung — man muß das offen aussprechen — entsteht aus dem verschiedentlich geäußerten Gedanken, die Wohnungsmieten neu zu regeln. Wir bestreiten gar nicht, daß auf diesem Gebiet einiges zu regeln ist. Wir sind aber der Meinung, daß jede Lösung, die die sozialen Spannungen verschärft, von keinem verantwortet werden kann, der wirklich wünscht, daß sich das innerpolitische Klima einigermaßen vernünftig entwickelt, und der weiß, wie stark ungelöste soziale Spannungen in unserem Grenzland zwischen Ost und West auch zu politischen Konsequenzen führen können, die wir alle nicht wollen.
Erheblichen Nachdruck hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede auch auf die Feststellung gelegt, daß die Finanzpolitik der Regierung das Ziel habe, eine Erhöhung der Steuerlast zu vermeiden und bei Wahrung der finanziellen Ordnung doch die Voraussetzungen für eine Milderung der Steuerlast zu schaffen. Ich bin in der peinlichen Lage, daß ich zu diesem Thema nicht sprechen kann und nicht sprechen will und daß mein Freund Professor Dr. Gülich, der eigentlich die Aufgabe übernommen hatte, im Zusammenhang mit dem Inanspruchnahmegesetz und ähnlichen Fragen auch zur wieder einmal hinausgeschobenen Steuerreform zu sprechen, erkrankt ist, so daß ich mich also mit einigen Randbemerkungen begnügen muß.
Das Ziel, das der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede umschrieben hat, ist sicher sehr schön. Es ist ein Ziel, mit dem die Opposition ebenfalls übereinstimmt, allerdings unter der Voraussetzung, daß der Staat, wenn er diesem Ziele nachgeht, nicht Aufgaben vernachlässigt, die ihm, ob er will oder nicht, aus der ganzen modernen Entwicklung unseres Gesellschaftslebens zuwachsen. Herr Schäffer hat in diesem Zusammenhang den Versuch gemacht, die Finanztheorien der Vergangenheit, wie er es genannt hat, zu revidieren. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser Versuch restlos gelungen ist. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß der Herr Bundesfinanzminister aus einer scheinbaren Not — nämlich aus der Not, den Haushalt wenigstens auf dem Papier auszugleichen — eine ebenso scheinbare Tugend gemacht hat. Sein neuer Glaubenssatz, daß die öffentliche Hand ihre Ausgaben nach den Einnahmen richten müsse, hört sich zwar für manche Leute, die das gern haben wollen — ich glaube, der Bund der Steuerzahler und seine leitenden Männer gehören in diese Kategorie —, außerordentlich schön an. Aber dieser Satz hat einen sehr beträchtlichen Pferdefuß — ich hoffe, daß das, was ich jetzt sage, nicht als Rede-
blüte in die Protokolle eingeht! —, einen Pferdefuß, der sofort sichtbar wird, wenn man den Bundeshaushalt in seinen einzelnen Teilen mit den Notwendigkeiten unserer Lage vergleicht.
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Augenblick noch nicht auf Einzelheiten eingehen; ich begnüge mich damit, ein einziges Stichwort zu nennen, bei dem die Diskrepanz zwischen dem, was der Herr Bundesfinanzminister für möglich hält, und dem, was alle Sachverständigen für notwendig halten, geradezu in die Augen springt. Das ist das Stichwort: Verkehrspolitik.
Ich komme noch darauf zu sprechen. Es gäbe noch andere, ähnliche Stichworte aus dem Bereich des Sozialhaushalts, bei denen man sagen könnte, daß sie sogar noch größeres Gewicht haben und daß auch hier die Notwendigkeiten mit den vom Herrn Bundesfinanzminister anerkannten Möglichkeiten in einem außerordentlichen Widerspruch stehen.
Die Wahrheit ist — daran kommt auch Herr Schäffer mit seinen zweifellos sehr klugen Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium nicht vorbei —, daß eine echte Senkung der Ausgabenseite und damit eine Entlastung auf der Einnahmenseite nur möglich ist, wenn Aufgaben wegfallen, weil sie tatsächlich nicht mehr existieren, nicht weil man sie verschleiert oder sie auf andere abschiebt, die ja dann auch bezahlen müssen. Da die anderen in irgendeiner Weise auch zu dem großen Kreis der Steuerzahler gehören, zahlen die Steuerzahler auf jeden Fall, ob sie nun auf der Bundes-, auf der Länder- oder der Gemeindeebene zahlen oder entbehren müssen.
Man kann also nicht so tun, als ob wir in einer neuen Situation wären, die neue haushaltsrechtliche und haushaltspolitische Gesichtspunkte sozusagen aus dem Nichts gebären lassen könnte.
Im übrigen erscheint die Anwendung des Prinzips, das Herr Bundesfinanzminister Schäffer entwickelt hat, auf den gegenwärtigen Bundeshaushalt nicht, ganz zweifelsfrei gelungen zu sein. Es ist zwar richtig, daß die Endsummen des Haushalts 1954 um rund 700 Millionen DM niedriger sind als die des Vorjahres. Wenn man aber die Sache etwas genauer betrachtet — und hier muß ich dem Bundesrat folgen, dem ich sonst nicht in allen Teilen bei seiner Kritik am Bundeshaushalt folgen möchte —, dann sieht man, daß die optische Senkung des Haushaltsvolumens in erster Linie daher kommt, daß der ERP-Haushalt, der früher als durchlaufender Posten im Haushalt erschien, jetzt nicht mehr dort erscheint, sondern dem Haushalt als Anlage, als Wirtschaftsplan beigegeben ist, aber bei der Endaufrechnung nicht zählt. Das sind immerhin 875 Millionen DM im vorigen Jahr; und wenn Sie nun 700 Millionen DM Senkung und 875 Millionen DM „Verdunstung" miteinander in Vergleich setzen, dann bleibt immerhin noch etwas auf der negativen Seite übrig.
Dabei hat der Herr Bundesfinanzminister seinen ordentlichen Haushalt ja noch dadurch entlastet, daß er 576 Millionen DM für den Wohnungsbau in den außerordentlichen Haushalt transferiert hat.
Dieser außerordentliche Haushalt ist zwar um 1225 Millionen niedriger als der vorjährige, aber
angesichts der Abhängigkeit des außerordentlichen Haushalts von den Möglichkeiten des Kapitalmarkts will uns diese Methode eher als ein Unsicherheitsfaktor bei der Befriedigung wichtigster Bedürfnisse erscheinen
als als echter Versuch, den Haushalt auszubalancieren.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht gleich die Frage stellen, wie der Herr Bundesfinanzminister seine Ankündigung verwirklichen will, daß die gesamte für den Wohnungsbau im außerordentlichen Haushalt veranschlagte Summe mit Sicherheit zur Verfügung steht und daß diese Summe schon jetzt verplant werden kann. Diese Ankündigung wird jeder, der die Dringlichkeit des Wohnungsbaues anerkennt — und ich glaube, es gibt wenige in diesem Hause, die das nicht tun —, sehr gerne hören. Aber bei der Ungewißheit bezüglich der Ergiebigkeit des Kapitalmarkts und bei dem Mangel an Reserven im Haushaltsplan, auf den der Herr Bundesfinanzminister selber so nachdrücklich hingewiesen hat, ist doch die Frage erlaubt: Hat Herr Schäffer dabei vielleicht noch andere Finanzierungsquellen im Auge, über die er bis jetzt geschwiegen hat? Denkt er vielleicht — die Summen sind so merkwürdig ähnlich — daran, die 512 Millionen DM, die er der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung abknöpfen möchte, auf diesem Wege dem Wohnungsbau zuzuführen?
Er hat sie auch noch nicht, denn darüber ist zwischen ihm und der Bundesanstalt noch kein Übereinkommen getroffen worden.
Man könnte sagen, das sei ein denkbarer Weg und eine nützliche Anwendung der Zwangsanleihe, die er da im Auge hat — denn bei aller Freiwilligkeit der Vereinbarung wird es doch letzten Endes darauf hinauslaufen —; aber es ist doch ein Umweg. Da ja nicht nur die Bundesanstalt, sondern auch die Sozialversicherungsträger selber in der Schußlinie sind, kann man sogar befürchten, daß eine Reihe von Möglichkeiten, die die Sozialversicherungsträger bei der Anlage ihrer eigenen Mittel haben, verbaut wird, nur damit der Herr Bundesfinanzminister mit den 512 Millionen dann auf einem Umweg wieder als Wohltäter auf dem Wohnungsbaumarkt erscheinen kann.
Wir sind ja gar nicht neugierig; aber wir möchten das gerne wissen.
Das Bundesfinanzministerium — damit komme ich zu einem anderen Punkt — hat sich in diesem Jahr außerordentlich bemüht — man muß das ohne weiteres anerkennen —, den Haushaltsplan durch Lieferung von aufhellendem Drucksachenmaterial verständlich zu machen. Für die Abgeordneten, die Zeit haben, vor allem diejenigen, die gezwungen sind, sich damit zu beschäftigen, mag das eine gute Hilfe sein. Wir begrüßen es z. B., daß der Brauch der „Vorbemerkungen" wieder aufgenommen worden ist, denn darin wird doch eine ganze Menge aufgehellt. Man wird es also in mancher Hinsicht leichter haben. Das Bundesfinanzministerium hat auch einen „Wegweiser" — so nennt sich das Druckwerk — herausgebracht. Das ist eine Neuerung, von der uns gesagt worden ist, sie sei in erster Linie zur Abkürzung der Haushaltsberatun-
gen erfunden worden. Warum sie dann gleich so erscheinen mußte, daß man sie möglicherweise im Buchhandel verbreiten und zur Popularisierung des noch gar nicht verabschiedeten Haushalts verwenden kann, vermag ich nicht ganz einzusehen. Aber das ist eine Nebenbemerkung, die ich nicht tragisch zu nehmen bitte. Im übrigen bin ich nicht ganz sicher, ob mit diesem Heft der vorgesehene Zweck erfüllt wird, die Beratungen des Haushaltsplanes in diesem Hause abzukürzen. Man hat uns gesagt, es enthalte eine romanhafte Darstellung der Haushaltstatsachen. Nun, ich habe — zugegebenermaßen — schon interessantere Romane gelesen, aber man kann es vielleicht auch auf diese Weise machen.
— Nein, ein Kriminalroman ist es nicht; da muß ich Sie enttäuschen!
— Es gibt da keine offensichtlichen Morde!
— Ich war bei einem anderen Thema, meine Herren, und ich bitte Sie, mir die Sache nicht zu schwer zu machen. Ich habe es sowieso schon schwer genug gegenüber diesem Bundesfinanzminister.
Ich möchte nun noch einen Schritt weitergehen und die Frage behandeln, ob der Haushaltsplan 1954 rechtzeitig, d. h. mit dem Ablauf des alten Haushaltsjahres, verabschiedet und in Kraft gesetzt werden kann. Da muß ich schon sagen, für die Eingeweihten, für die kundigen Thebaner gehört etwas mehr als der fröhliche Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers dazu, an ein solches Wunder zu glauben. Es wäre in der Tat ein Wunder, wenn es dem Haushaltsausschuß, dem Hohen Hause selber, das ja auch noch etwas von der Sache haben will, und dem Bundesrat, der nach dem Grundgesetz für den zweiten Durchgang drei Wochen zur Verfügung hat, gelänge, dieses gewaltige Stück Arbeit bis zum 31. März dieses Jahres zu bewältigen. Dabei ist der Herr Bundesfinanzminister selber sich wohl darüber tim klaren, daß einer seiner dubiosen Posten beim Haushaltsausgleich, nämlich die vierprozentige Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, vermutlich schon ein recht beträchtliches Hindernis für die rechtzeitige Abwicklung der Haushaltsberatungen in beiden Häusern sein dürfte. Daß es darüber noch zu einer recht harten Auseinandersetzung mit den Länderfinanzministern kommen wird, scheint ziemlich sicher, vor allem nachdem der Parteifreund von Herrn Schäffer — ich nehme an, daß zwischen CSU und CDU mindestens in diesem Punkte eine gewisse Identität besteht, so daß ich von Parteifreund sprechen kann —,
nämlich Herr Dr. Fleck en, der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, so unzweideutig sein „Nein, niemals!" in die Welt gerufen hat. Da muß man schon sagen: unter solcher Führung werden sich die Finanzminister aller Länder bestimmt vereinigen.
Ich denke noch jetzt mit Schrecken an die Prozedur beim letzten Haushalt und vor allem an die zähen Verhandlungen im Vermittlungsausschuß, die uns vermutlich auch dieses Mal wieder bevorstehen.
Noch ein Wort zu unserer eigenen, sozialdemokratischen Haltung zu der Frage der Erhöhung des Bundesanteils, in diesem Zeitpunkt, will ich hinzufügen. Wir werden diese Erhöhung ablehnen, und zwar aus guten politischen Gründen, auf die ich jetzt nicht eingehen will; denn beim Inanspruchnahmegesetz werden wir darüber noch zu reden haben. Wir sind ganz gewiß der Meinung, daß der Bund haben soll, was er braucht. Wir glauben aber, daß im Bundeshaushalt insgesamt einige Positionen sind, die es nicht unbedingt notwendig erscheinen lassen, daß der Bund jetzt seinen eigenen Anteil zu Lasten der Länder erhöht. Ob sich der Herr Bundesfinanzminister übrigens sein Spiel mit seinen Länderkollegen dadurch erleichtert hat, daß er in den Entwurf dieses Haushaltsplans eines der mit Recht so beliebten Junktims eingebaut hat, nämlich das Junktim zwischen Heimkehrerentschädigung, Hilfe für die Zonengrenzgebiete, an denen die Länder interessiert sind, und Erhöhung des Bundesanteils, das möchte ich erst einmal abwarten. Wir werden ja sehen.
— Ich will mich jetzt auf einen solchen Zwischenruf nicht einlassen. Wir werden darüber reden, ob das im Sinne des Grundgesetzes ist oder nicht. Ich bin jetzt im Augenblick offen gestanden überfordert, wenn Sie von mir verlangen, daß ich da einsteigen soll.
Auf jeden Fall erscheint es mir — und damit komme ich auf die Frage zurück, die ich vorhin angeschnitten habe — unmöglich, daß der Haushaltsausschuß des Bundestages das Tempo der Beratungen des Entwurfs dieses Haushaltsplans auf Kosten der Gründlichkeit steigert. Ich will auch hier offen aussprechen, was ich schon der Presse gegenüber auf Befragen gesagt habe: wir sollten froh sein, wenn wir durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten diesen Haushaltsplan vor Ostern unter Dach und Fach haben. Die sozialdemokratische Opposition wird auf jeden Fall darauf bestehen, daß keine Frage, die der Entwurf dieses Haushaltsplans aufwirft, unbeantwortet bleibt. Sie wird aber auch von sich aus alles tun, das will ich hinzufügen, um die Beratungen zu fördern und so früh wie möglich abzuschließen. So früh wie möglich! Nicht so früh, wie der Herr Bundesfinanzminister es gewünscht hat. Er hat nämlich gewünscht, daß wir bereits am 5. März mit den Beratungen fertig sein sollten, damit der Bundesrat im Rahmen dieses Haushaltsjahrs seine drei Wochen konsumieren kann. Ich glaube, diesen Gefallen können wir Herrn Schäffer, so leid es uns tut, nicht erweisen.
— So weit sind wir Gott sei Dank hier in der Bundesrepublik noch nicht. Wenn sich aus der Notwendigkeit einer gründlichen Beratung in anderer Hinsicht Schwierigkeiten ergeben sollten, so sind wir gern bereit, an ihrer Überwindung mitzuhelfen; denn wir sind mit dem Herrn Bundesfinanzminister durchaus einer Meinung, wenn er sagt, daß die finanzwirtschaftliche Ordnung und ihre Aufrechterhaltung ein gemeinsames Anliegen aller sei, die mit dem Herzen bei
der Demokratie sind, und — das hat er nicht gesagt, aber das sage ich — es gibt ja auch Demokraten, die nur mit den Beinen auf dem Boden der Demokratie stehen und mit dem Herzen ganz woanders.
Gerade wenn man aber mit dem Herzen bei der Demokratie ist, kann man in einer Reihe von sehr wichtigen Fragen, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede aufgeworfen hat, völlig anderer Meinung sein als er und die Bundesregierung, deren Finanzpolitik er vertritt.
Ich kann mich nicht auf das ganze weite Feld der Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition begeben. Ich muß mich da mit Stichproben begnügen. Aber einen Punkt, und zwar nach meiner Meinung einen entscheidenden Punkt, möchte ich jetzt herausgreifen, um zu zeigen, daß man anderer Meinung sein kann, daß wir Sozialdemokraten anderer Meinung sein müssen als der Herr Minister und daß hier eine der entscheidenden Wurzeln unserer Gegnerschaft — nicht unserer Feindschaft — liegt. Ich glaube, wir können und sollten uns angewöhnen, wenn wir von politischer Gegnerschaft sprechen, darin nicht zugleich auch noch den Kern menschlicher Feindschaften zu sehen.
Ich sage also: die sozialdemokratische Fraktion ist mindestens in einem entscheidenden Punkt — ich lege Wert auf das „mindestens", es gibt also doch noch eine ganze Menge anderer — wesentlich anderer Meinung als der Herr Minister. Er hat in seiner Rede die These aufgestellt, daß der Staat in diesem Zeitpunkt und von jetzt an offenbar lediglich die Aufgabe habe, Hilfsstellung zu leisten, damit die private Wirtschaft ihre Aufgaben erfüllen könne. Uns will scheinen, daß diese Auffassung des Herrn Ministers an der geschichtlichen Entwicklung einfach vorbeigeht.
Es ist ja nicht eine deutsche Spezialität, daß die öffentlichen Haushalte eine Tendenz zum Wachsen zeigen. Man kann diese Tendenz in allen modernen Industrieländern beobachten. Sie ist nicht das Ergebnis theoretischer Überlegungen. Man braucht dazu nicht an den Genfer See zu gehen, um Aufklärung über moderne Entwicklungstendenzen zu bekommen. Es genügt schon ein Studium unserer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung als Folge der grundlegenden Strukturwandlungen, die die modernen Nationen in den letzten 50, 60, 100 Jahren im Zuge der industriellen Revolution erlebt haben. Einer der entscheidenden Gründe ist die wachsende Zahl der abhängigen Existenzen und die Ausweitung der industriellen Wirtschaft mit der Verschiebung des Schwergewichts von der agrarischen zur industriellen Bevölkerung, kurzum alles das, was wir eben in einem modernen Industriestaat sehen. In Deutschland wird diese Situation nach zwei Weltkriegen noch verschärft durch alles, was der öffentlichen Hand durch die Liquidation der Kriege und ihrer Folgeerscheinungen an Aufgaben zuwächst. In demselben Maße aber, wie man diese Entwicklung nicht nur theoretisch zur Kenntnis nehmen, sondern praktische Konsequenzen aus ihr ziehen muß — gezwungen ist, sie zu ziehen —, wächst die Notwendigkeit öffentlicher Leistungen und damit der Finanzbedarf der öffentlichen Hand. Der Staat gewinnt auf
diese Weise ohne Rücksicht auf Theorien und Ideologien eine neue Funktion, die er früher—vielleicht kann man sagen: in manchen glücklicheren Zeiten — nicht gehabt hat. Seine Einnahmewirtschaft dient nicht mehr allein der Befriedigung von Verwaltungsbedürfnissen; sie wird, ob es uns lieb ist oder leid, ein Instrument der Wirtschafts-, der Konjunkturpolitik, und auf weiten Gebieten — meine Damen und Herren, das wissen Sie alle selber — ist der Staat als Auftraggeber aus der modernen Wirtschaft überhaupt nicht mehr wegzudenken. Nicht ohne Grund hat der Herr Bundesfinanzminister selber in seiner Haushaltsrede darauf hingewiesen, daß in dem Augenblick, in dem man die Haushaltssumme auf beiden Seiten senkt, aus der Wirtschaft der Schrei nach vermehrten Staatsaufträgen ertönt. Die Rufer wissen genau, wo sie der Schuh drückt. Sie schreien nicht nur, weil sie schreien wollen, sondern weil tatsächlich jedes Nachlassen staatlicher Auftragsgebung sofort in einer Reihe von Gebieten der Wirtschaft Lücken reißt, Schwierigkeiten schafft, Existenzen gefährdet.
Wir Sozialdemokraten sehen in dieser Tendenz zur Ausweitung der öffentlichen Haushalte — um da gar kein Mißverständnis aufkommen zu lassen — nicht nur einen Fortschritt, wie ja überhaupt geschichtliche Entwicklungen nicht nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden können, ob sie zufällig in ein theoretisches Konzept passen oder nicht; sie sind häufiger eine Last als eine Freude.
Wir sehen also nicht nur einen Fortschritt in dieser Entwicklung. — Klatschen Sie nicht zu früh;
es ist manchmal ein Fehler, und vielleicht kommt mancher erst bei längerem Nachdenken darauf, was gemeint ist.
— Ich sage das an die Adresse der Herren Klatscher;
ich warne nur Neugierige! — Wir sehen auch die Nachteile dieser Entwicklung, vor allem sehen wir das Wachsen bürokratischer Verwaltungsmethoden und -praktiken, und das empfinden wir genau so wie viele andere als eine Last. Trotzdem glauben wir nicht, daß man aus diesen Nachteilen nun die extreme Forderung ableiten kann: Weg mit dem staatlichen Einfluß auf allen Gebieten, weg mit den staatlichen Interventionen! Sie mögen zwar auch eine Last sein, aber sie sind ebenso sehr eine Notwendigkeit. Und Notwendigkeiten soll man vollstrecken, man soll sich nicht um sie herumdrücken, zumal in Deutschland, wo wir die Aufgabe durchzuführen haben, die Erbschaft von zwei Weltkriegen und zwei Zusammenbrüchen zu liquidieren. Wir werden auf absehbare Zeit ohne staatliche Interventionspolitik auf weiten Gebieten nicht auskommen, trotz aller schönen Begründungen für das, was man heute die „soziale Marktwirtschaft" nennen mag, wobei noch die Frage zu überlegen wäre, wieweit denn diese Theorien, die angeblich neu sind, heute in der Praxis angewandt werden und wieweit nicht bereits heute weite Gebiete unseres Wirtschaftslebens von dieser „sozialen Marktwirtschaft" ausgenommen sind.
2. Deutscher Bundestag — 12, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 337
Ich habe dieser Tage eine Rede des neuen Herrn Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört, und ich muß sagen, ich sah mich da auf ganz verwandten Gebieten. Ich fand, daß es nicht in das Konzept des Herrn Kollegen Erhard von der Wirtschaft paßt, und ich habe mich gefragt, wie denn das alles im Rahmen einer doch ziemlich festgelegten Politik realisiert werden soll. Auch der Herr Ernährungsminister selber hat keine vollständige Antwort auf diese Frage gegeben. Das kann man ihm nicht übelnehmen. Ich wollte nur in diesem einen Falle schon darauf hingewiesen haben, wie sehr Theorie und Praxis — man kann auch sagen, wie Propaganda und Praxis — manchmal auseinanderlaufen.
Ich sagte, wir sind überzeugt, daß wir auf absehbare Zeit ohne staatliche Interventionen auf weiten Gebieten nicht auskommen. Aber wir wollen nicht leugnen, daß es eine Aufgabe der Demokratie und der Demokraten ist, die Grenzen des staatlichen Einflusses zu bestimmen und die freie Entscheidungsfähigkeit des Bürgers gegen ein Übermaß von Bevormundung und Staatsaufsicht zu verteidigen. .
In diesem Zusammenhang muß ich noch eine andere Frage berühren, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede aufgeworfen hat. Er hat vom Budgetrecht des Parlaments gesprochen und von der Notwendigkeit, dieses Budgetrecht zu verteidigen. Wir stehen da in einer Front, so hoffe ich, bin aber dessen nicht so ganz sicher, wie ich es gern sein möchte. Das Budgetrecht des Parlaments und die im Grundgesetz etablierte Befugnis der Bundesregierung, mit Hilfe des Art. 113 das Gleichgewicht des Bundeshaushalts zu sichern, enthalten nämlich ein gerütteltes Maß von echten Problemen. Wir sind bisher kaum darauf gestoßen, weil der Herr Bundesfinanzminister und die Bundesregierung es vorgezogen haben, den Art. 113 sozusagen wie das Schwert in der Scheide zu bewahren und nur gelegentlich mit dem Instrument zu winken, ohne es je zu gebrauchen. Ich verstehe durchaus, daß Herr Minister Schäffer den Art. 113 als ein sehr praktikables Instrument in seinen Händen begrüßt; er wäre ja sonst nicht Finanzminister. Aber, meine Damen und Herren, die Stabilität der Finanzen in allen Ehren, und wir sind auch der Meinung, daß das ein großes Gut ist, das man erhalten soll; nur sollte man bei der Erwähnung des Art. 113 mit staatsrechtlichen Vergleichen und mit Blicken nach anderen Ländern, z. B. nach England mit seinem House of Commons, sehr vorsichtig sein. Gewiß, in England hat das Unterhaus, wenn man so will, gar kein eigentliches Budgetrecht in dem Sinne, daß es die Höhe der Einnahmen und Ausgaben wesentlich beeinflussen könnte. Da öffnet der Schatzkanzler am budget day seine rote Mappe, und alle Welt wartet auf seine Überraschungen. Dann gibt es im House of Commons eine Debatte. Aber sie endet in der Regel damit, daß der Schatzkanzler recht behält. Das liegt in der Natur der englischen Konstitution, die ungeschrieben ist, die aber doch über sehr, sehr starke und stabile Grundsätze verfügt. Und wie ist es denn bei uns? Bei uns kommt nicht der Herr Bundesfinanzminister mit der roten Mappe, sondern da weiß die Presse — und weiß Gott wer noch — längst, ehe das Parlament auch mir eine Ziffer des
Haushaltsplans erblickt hat, schon alles, was drinsteht.
Ich habe d e n Bundesfinanzminister noch nicht kennengelernt und werde ihn vermutlich während der Geltungsdauer des Grundgesetzes nicht kennenlernen, der wegen eines solchen Verstoßes gegen das Budgetgeheimnis, etwa weil er 10 Minuten vor seiner Rede einen Journalisten informiert hat, in die Wüste geschickt wird, wie es seinerzeit dem englischen Schatzkanzler ging.
Worauf geht es denn hinaus? Wir reden über den Art. 113 und seine segensreiche Wirkung. Auf der anderen Seite verzichten wir aber auf das Äquivalent dieser der Bundesregierung gegebenen Befugnis, in Finanzfragen mit bindender Kraft nein zu sagen. Wir verzichten nämlich auf die Ergänzung, daß eine Regierung, deren Mehrheit sie in entscheidenden finanziellen Fragen im Stiche läßt, zu gehen hat und das Parlament aufzulösen ist. Das gibt es bei uns im Grundgesetz nicht.
Die Väter unseres Grundgesetzes wollten — wie man bei uns im Süden und vielleicht auch anderwärts sagt — die Decke bei sämtlichen Zipfeln nehmen. Deshalb haben sie die Regierung unstürzbar gemacht. Das mag seine guten Seiten haben; ich will darüber gar nicht rechten. Aber daß gleichzeitig das Parlament praktisch völlig entmachtet wird, ist eine Zutat zu dieser Sicherung der Kontinuität, die noch sehr, sehr schädliche Konsequenzen haben kann. Denn das Parlament ist dadurch praktisch auf den Umfang des Budgetrechts beschränkt, den ihm Regierung und Bundesfinanzminister gnädigst bewilligen. Um Ihnen zu beweisen, daß das keine Behauptung eines böswilligen Oppositionsmannes ist — dazu kennen mich die Damen und Herren, die seit längerer Zeit hier in diesem Hause tätig sind, zu genau —, will ich Ihnen die Antwort an Hand der Praxis des Bundestages und des Haushaltsausschusses geben. Wie steht es denn überhaupt um das Budgetrecht des Bundestages? Der Herr Bundesfinanzminister hat es selbst ausgesprochen. Er hat gesagt, daß mehr als 90 % des gesamten Haushaltsvolumens fixe Posten sind. Das ist zum Teil ein Resultat der unglückseligen Geschichte unserer Nation. Wir müßten ja nicht unbedingt im Haushalt Besatzungskosten und Verteidigungslasten von der Art, wie sie jetzt etatisiert sind, haben, wenn wir nicht einige große Unglücksfälle in der Geschichte unserer Nation gehabt hätten.
Auf der anderen Seite sind selbstverständlich auch die Soziallasten fixiert durch Gesetze, durch Bindung von Mitteln im Bundeshaushalt. Darüber kann man nicht reden, wenigstens nicht im Rahmen des Haushaltsplans, der ja die gesetzlichen Verpflichtungen nur in haushaltsrechtliche Form bringt. Aber der Rest ist doch auch nur noch in sehr engen Grenzen interessant. Der Haushaltsausschuß — ohne Unterschied der politischen Farbe — und dieses Hohe Haus selbst haben weder einen nennenswerten Einfluß auf das Haushaltsvolumen, noch auf die Gewichtsverteilung innerhalb des Haushalts. Das ist eine Feststellung, der, glaube ich, niemand in diesem Hause widersprechen kann, der die Tatsachen kennt.
Was heißt hier Budgetrecht? Das heißt hier offenbar, im großen und ganzen ja zu dem zu sagen, was der Herr Bundesfinanzminister nach langen Kämpfen mit den Ressorts und schließlich unter Abwägung aller Möglichkeiten für richtig gehalten hat!
Das Gesamtbild ändert sich auch dann nicht, wenn wir im Haushaltsausschuß auf Anträge aus dem Hause oder von Ausschußmitgliedern versuchen, mal da eine dreistellige oder dort eine vierstellige oder gar eine fünfstellige Zahl — aber das ist das höchste der Gefühle — von einem Titel zum anderen zu transportieren. Das kostet dann einen ungeheuren Aufwand an Kraft, Nerven und Überredungskünsten gegenüber denen, die opfern sollen, während die anderen, die bekommen sollen, natürlich immer bereit sind, das zu nehmen; doch ist es meist nicht genug.
Der Art. 113 hat also auch eine andere Seite oder, kann man sagen, mehrere andere Seiten als die „segensreiche" Wirkung, das Parlament daran zu hindern, Ausgaben zu beschließen. Ja, wenn es nur diese Wirkung hätte!
Aber da komme ich auf ein schmerzliches Kapitel in der Geschichte des Art. 113 in der Praxis. Die Bundesregierung hat ja, wie ich schon sagte, kaum davon Gebrauch gemacht. Sie hat sich mit Drohungen begnügt. Und je näher der Wahltag kam, meine Damen und Herren, um so weniger wirkten die Drohungen; denn sie haben ja nicht gegenüber der Opposition, die in der Minderheit ist, sondern nur gegenüber der Regierungsmehrheit einen Sinn. Ihre Klagen, sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, im Wahlkampf und nachher über die ungehemmte Bewilligungsfreudigkeit des Parlaments mußten sich doch in erster Linie an die Mehrheit richten.
Ich weiß nicht, ob die Damen und Herren, nachdem der Wahltag vorüber ist, in sich gegangen sind und für die Zukunft Besserung gelobt haben; wir können es abwarten.
— Ich hoffe, wir begegnen einander im Haushaltsausschuß; da können wir privatim einiges miteinander reden. Jedenfalls mußten Sie sich an Ihre Mehrheit wenden, Herr Finanzminister; denn diese Mehrausgaben sind beschlossen worden, nicht nur weil die Opposition die Mehrausgaben gefordert hat — das haben wir getan, das ist unser gutes Recht, und wir werden uns davon nie abhalten lassen —, sondern weil Ihre Mehrheit Sie im Stich gelassen hat. In dem einen Fall, Herr Bundesfinanzminister, in dem Sie schließlich mehr oder weniger vor dem öffentlichen Druck haben kapitulieren müssen, nämlich in dem Fall des Heimkehrerentschädigungsgesetzes, haben Sie sich ja gar nicht des Art. 113 bedient, sondern Sie haben sich vielmehr hinter eine sehr extensive und außerordentlich fragwürdige Interpretation der Verkündungspflicht der Bundesregierung im Hinblick auf rechts gültig beschlossene Gesetze geflüchtet. Darüber wird man ja noch reden müssen, ob es die Bundesregierung in der Hand hat, je nach Bedarf, Geschmack, Laune oder politischen Erwägungen die Fristen für die Verkündung eines rechtsgültig beschlossenen Gesetzesauszudehnen; das ist eine Frage, die wir klären müssen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede schließlich erklärt, daß er es begrüßen würde, wenn das Zusammenwirken aller Beteiligten im Sinne des Art. 113 gesetzlich oder in der Geschäftsordnung des Bundestags gesichert würde. Dazu haben wir nur eines zu sagen. Wir werden uns einer solchen Bindung des Parlaments widersetzen. Sie liefe praktisch darauf hinaus, daß der Bundestag vollends an die Kette gelegt würde. Wenn es die Bundesregierung nicht fertigbringt, ihre Mehrheit bei der Stange zu halten, wenn es um finanzpolitische Entscheidungen geht, .so sehen wir nicht ein, daß wir dazu auch noch grundgesetzliche Änderungen und Änderungen in unserer Geschäftsordnung vornehmen sollen. Das ist doch eine Frage der politischen Überzeugungsfähigkeit zwischen Regierung und Mehrheit und nicht Sache einer gesetzlichen Regelung. Vom Standpunkt einer echten Erziehung zur Demokratie ist ein solcher Zustand auf die Dauer unerträglich. Die Staatsbürger würden darin bestimmt nicht eine Aufforderung erblicken, vor dem Parlament mehr Achtung zu haben, als dieses sowieso schon genießt.
Wir wissen als sozialdemokratische Opposition in diesem Hause, daß wir nicht in der Lage sind., eine Änderung dieses Zustandes herbeizuführen. Es ist zweifelhaft, ob sich überhaupt in diesem Hause eine Mehrheit fände, die bereit wäre, die Rechte des Parlaments gegenüber. der Regierung wirklich energisch zu vertreten, d. h. das Grundgesetz nicht in einem Sinne zu ändern, wie es der Herr Bundesfinanzminister will, um die Kette noch zu verstärken, sondern dem Parlament die Budgethoheit zu geben, die ihm zukommt.
— Herr Kollege Arndgen, wie oft haben Sie sich vor dem Wahlkampf den Kopf über die Deckung von Ausgaben zerbrochen, die Sie mit beschlossen haben! Ich glaube, da sollten wir alle, die wir im Glashaus sitzen, uns nicht allzusehr mit Steinen bewerfen.
Und nun, meine Damen und Herren, Spaß beiseite! Was ich bis jetzt gesagt habe, war kein Spaß. Ich bin überzeugt, daß in diesen Ausführungen einige sehr ernste Dinge stecken, über die wir uns alle Gedanken machen sollten.
Zum Entwurf des Haushaltsplans selbst. Es ist selbstverständlich nicht meine Aufgabe, hier alle Einzelheiten des Entwurfs zu durchleuchten. Dazu haben wir die Beratungen im Ausschuß, dazu haben wir die zweite und dritte Lesung, und meine Fraktion wird sich nicht scheuen, entsprechende Anträge zu stellen, wo sie es für notwendig hält. Ich wende mich auch nicht So sehr mit Zahlen abplagen wie der Herr Bundesfinanzminister, der das zur Begründung seines Entwurfs auch wirklich nötig hatte. Wenn ich Zahlen verwende, dienen sie nur der Illustration des von mir vertretenen Standpunkts.
Herr Schäffer hat seinen Entwurf als einen Haushalt der Sparsamkeit bezeichnet. Sparsamkeit ist eine Tugend. Aber sie kann auch am falschen Ort angewandt werden. Dann wird sie zur Untugend, dann wird sie nämlich zur Vernachlässigung von Aufgaben, die man nicht vernachlässigen dürfte. Ein typisches Beispiel — ich habe davon schon gesprochen — ist der Verkehrshaushalt, ein
sehr gewichtiger Posten im Gesamthaushalt der Bundesrepublik. Der Verkehrshaushalt, den ich hier gar nicht im einzelnen analysieren will, enthält einige Positionen, die heute draußen in der Öffentlichkeit Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit sind. Ich brauche nur Stichworte zu erwähnen: Bundesbahndefizit, Bundesbahnschwierigkeiten, Straßenbauprobleme, der Konflikt SchieneStraße.
In welcher Weise finden alle diese Dinge ihren Niederschlag im Haushalt des Verkehrsministeriums? Von der Antwort auf diese Frage ist man einigermaßen enttäuscht. Gewiß, der Entwurf sieht vor, daß die Bundesbahn mit Hilfe von Darlehen gewisse Überbrückungsmöglichkeiten erhält. Gewiß, z. B. der Straßenetat enthält eine Summe von, wenn ich recht im Bilde bin, rund 315 Millionen DM für 'dieses Haushaltsjahr. Aber, meine Damen und Herren, gerade wenn man sich die Frage überlegt, wie denn das Problem Schiene-Straße entwirrt werden soll, kommt man doch zu einigen sehr bedenklichen Ergebnissen hinsichtlich dieses „sparsamen" Bundeshaushaltes 1954. Ich weiß, der Herr Bundesverkehrsminister wird, wenn nicht eine gesamtpolitische Entscheidung innerhalb der Bundesregierung erfolgt — und ich sehe sie bisher noch nicht einmal recht in Umrissen—, noch auf lange Zeit einen sehr schweren Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister über die Ausstattung seines Etats zu kämpfen haben. Aber wenn wir uns überlegen, was diese 315 Millionen DM für alle Aufgaben des Straßenhaushalts der Bundesrepublik — von den Ländern rede ich in diesem Zusammenhang nicht
— bedeuten, dann kommen wir zu folgendem Ergebnis. Die Schätzungen der Sachverständigen über die Kosten der Instandsetzung unseres Straßennetzes, so daß es einigermaßen den modernen Verkehrsbedürfnissen entspricht, liegen, wenn ich mich recht erinnere, zwischen 12 und 15 Milliarden DM
— in dieser Größenordnung etwa —. Und zwar sind die Leute, die es wissen müssen, der Meinung, daß man das nicht auf viele Jahre aufschieben kann, sondern daß heute bereits die Grenzen des Erträglichen erreicht sind, was das Verhältnis des Zustandes der Straßen zu ihrer Inanspruchnahme durch den modernen Kraftfahrzeugverkehr betrifft. Nach dem Tempo, das der jetzige Verkehrshaushalt andeutet — nämlich alles in allem 315 Millionen DM in diesem Jahr —, würden wir vermutlich etwa 50 Jahre brauchen, bis wir den Straßenzustand hergestellt hätten, der dem heutigen Verkehr, der heutigen Verkehrsdichte entspricht, wobei man annehmen darf, daß der Verkehr inzwischen weiter gewachsen wäre.
Das ist eine rohe Berechnung. Ich gebe das zu; sie ist wirklich über den Daumen gepeilt. Aber ob Sie 50 oder 40 Jahre nehmen, ist schließlich angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe gar nicht so sehr wichtig. Es kommt darauf an, daß die Beträge, die der Herr Bundesfinanzminister unter Abwägung aller Gesichtspunkte glaubt zur Verfügung stellen zu können, weit hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre, um auch nur in einem Jahr die Winterschäden zu beheben und das bißchen Neubau und Fortführung des Ausbaus unserer Straßen zu bewerkstelligen, das notwendig ist. Vielleicht ergäbe sich auf diese Weise und bei diesem Tempo eine Lösung des Problems SchieneStraße; aber ich fürchte, daß es nicht die richtige Lösung sein würde, sondern daß wir dabei allesamt eines Tages noch sehr draufzahlen müßten.
Meine Damen und Herren, diese Bemerkungen sind nur als ein ganz bescheidener Beitrag zum Thema „Sparsamkeit des Haushalts", eben nur im Rahmen dieser ersten Lesung, aufzufassen. Wir werden die Einzelberatung im Haushaltsausschuß dazu benutzen müssen, alle diese Dinge unter die Lupe zu nehmen, so daß bei der zweiten und dritten Beratung hier im Plenum dann tatsächlich alle die Teile des Haushalts so abgewogen sind, daß man ein Gesamtbild davon bekommt, inwieweit die vom Herrn Bundesfinanzminister ausgesprochenen allgemeinen Grundsätze in diesem Haushaltsplan Berücksichtigung gefunden haben.
Nun zu einigen anderen Einzelplänen, ohne daß ich auch hier auf die Details eingehe. Nach dem Grundgesetz bestimmt der Herr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik. Es steht also hier die Gesamtpolitik der Bundesregierung mit zur Debatte. Da der Herr Bundeskanzler außerdem noch immer sein eigener Außenminister ist, wäre auch die Außenpolitik einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Sie werden verstehen, daß ich im Hinblick auf die gegenwärtig schwebenden Verhandlungen der Vier Mächte in Berlin gerade dieses Thema nicht berühre.
Ich glaube, wir werden sowieso einer außenpolitischen Debatte in absehbarer Zeit nicht entgehen können, und da mag dann alles das gesagt werden, was zu diesem Thema gesagt werden muß. Daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition in dieser Frage bestehen, ist kein Geheimnis. Sie sind nicht wesentlich abgeschwächt worden; aber ich nehme an, daß wir darüber, wie gesagt, reden werden.
Ich will einige Bemerkungen zur innenpolitischen Atmosphäre machen. Wir haben eine Bundestagswahl gehabt. Nach dem Zusammentritt des Bundestages mochte es vielen scheinen, als ob die Temperatur der Auseinandersetzungen hier in diesem Haus und in der Öffentlichkeit erheblich gesunken sei. Ich habe mehr das Gefühl, daß das der Tatsache zu verdanken ist, daß dieser Bundestag in den ersten Monaten seiner Tätigkeit noch nicht die richtige Wärme gefunden hat, noch nicht den Kontakt miteinander und auch noch nicht den Kontakt mit der praktischen Arbeit, so daß es nicht so viele Gelegenheiten gab, die Klingen zu kreuzen. Das sich das alles im Laufe der Zeit noch finden wird, davon bin ich fest überzeugt.
Schließlich will ich noch ein Wort zum Wahlkampf sagen. Befürchten Sie nicht, daß ich ihn hier wieder aufleben lasse. Gegenwärtig werden ja die Entgleisungen des Wahlkampfs von den Gerichten oder durch außergerichtliche Vergleiche korrigiert.
— Das ist Ihr Beitrag zu meiner Rede. — Ich will darauf nicht eingehen. Man hätte vielleicht klüger getan, diese Entgleisungen gar nicht erst passieren zu lassen und manches nicht zu sagen, was man nachträglich dann vor den Gerichten und mit Hilfe von Anwälten aus der Welt schaffen muß. Aber da wir nun allzumal Menschen sind, möge das als ein Nachtusch betrachtet werden. Ich will die Debatte über dieses ganze Thema nicht weiter vertiefen.
Die innerpolitische Atmosphäre, von der ich sprach, wird vielleicht durch nichts besser gekennzeichnet als durch den Umstand — und ich fühle mich verpflichtet, das hier zur Sprache zu brin-
gen —, daß sich neuerdings sogar sehr prominente Vertreter der Regierungskoalition über das kühle Verhältnis der Bundesregierung zum Parlament zu wundern beginnen, — um es milde auszudrücken. Ich will keine Geheimnisse verraten, aber ich will so viel sagen: Dieser Tage wurde in einem Gremium dieses Hohen Hauses neben anderen Fehlleistungen die Tatsache beklagt, daß im Bulletin der Bundesregierung — wir haben ja eine recht umfängliche Verwaltung für Presse- und Informationsangelegenheiten, und eines der Extrakte der Tätigkeit dieser Verwaltung ist das, was man heute mit einem schönen deutschen Wort „Bulletin" nennt, oder wie Sie es aussprechen wollen —
die Existenz des Bundestages als einer Quelle der Gesetzgebung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werde.
Ich habe den Versuch gemacht, diese Behauptung zu prüfen. Ich habe mir das Register für das zweite Halbjahr 1953 des Bulletins vorgenommen, und in der Tat, in diesem Register kommt das Wort Deutscher Bundestag überhaupt nicht vor.
Mit anderen Worten: von der gesetzgebenden Körperschaft wird im Sprachrohr der Bundesregierung überhaupt nicht Notiz genommen; sonst hätte es ja irgendwann mal auftauchen müssen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich gar nicht um Protokollfragen. Das wäre die Sache etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Hier handelt es sich doch um die wirkliche Stellung des Parlaments innerhalb der gesamten staat lichen Ordnung.
Ich stelle die Frage, ob wir wenigstens in diesem Hause und wenigstens auf diesem einen Gebiete an einem Strang ziehen könnten, damit endlich auch für gewisse Leute — vielleicht sind sie sogar Mitglieder dieses Hauses, aber sie haben andere, offiziellere Eigenschaften —, denen es richtig erscheint, eine gewisse Distanz zwischen das Parlament und sich zu legen, das Parlament in der parlamentarischen Demokratie, wie sie das Grundgesetz etabliert hat, tatsächlich den Rang und die Würde bekommt, die ihm zukommen,
und damit es nicht sozusagen unter „ferner liefen" registriert wird.
Zur inneren Politik selber. Es wäre da viel zu sagen, aber es genügt die Bemerkung, daß sich der neue Herr Innenminister nicht gerade glänzend eingeführt hat. Es tut mir fast leid um ihn; denn er ist einer der — nun, ich will niemanden beleidigen — nettesten Erscheinungen auf der Regierungsbank.
Man hätte ihm eigentlich ein besseres Debut gewünscht als das mit den „5 Minuten nach 12".
Ich will gar nicht verschweigen, daß da auch Leute meiner eigenen Couleur recht erheblich danebengetappt sind unter gütiger Anleitung ihres Bundesregierungskollegen.
— Ja, man weiß allmählich gar nicht mehr, wie man die Titel alle abwägen soll! Wir kommen bald in die Gegend von Kotzebues „Deutsche Kleinstädter", wenn das so weitergeht.
Ich glaube, das war eine schlechte Visitenkarte. Sie war deshalb schlecht, weil sie von einem großen Unverständnis zeugt für die wirklichen politischen Probleme des Deutschlands neun Jahre nach dem großen Kladderadatsch von 1945, und für ein geringes Einfühlungsvermögen in das, was die Menschen draußen denken, was sie fühlen, worauf sie reagieren.
Dieser Fehlgriff war symptomatisch und ließ Befürchtungen bezüglich der Zukunft auftauchen. Ich will diese Befürchtungen hier im einzelnen gar nicht ausführen. Ich möchte auch keine Gespenster an die Wand malen. Das liegt mir nicht. Aber ich möchte warnend sagen, meine Damen und Herren: Wir wünschten sehr, daß wir nicht erst fünf Minuten nach zwölf entdecken, daß man der Demokratie Bärendienste leistet, wenn man unser Volk daran hindert, nüchtern und ungeschminkt seiner eigenen Vergangenheit in die Augen zu blicken.
Der Film mag technisch schlecht gewesen sein, Herr Bundesminister. Ich habe ihn selber gesehen, und ich fand ihn nicht gerade berauschend.
— Ich meine: nicht berauschend gut, nach der technischen Seite.
Er mag uns manches nicht gegeben haben, was man in diesem Zusammenhang geben müßte. Aber sicher war das Verbot ein untaugliches Mittel, das Problem zu lösen, das dieser Film aufgerollt hat.
— Nur soviel zu diesem Thema.
Da ich gerade beim Bundesinnenministerium bin, will ich einige Klagen vorbringen, die mir zugetragen worden sind, die in der zweiten Lesung irgendwie behandelt werden müssen und die auch in den Beratungen des Haushaltsausschusses einen Niederschlag finden sollten. Das Bundesinnenministerium — und das ist sicher nicht die Schuld des Ressorts, sondern die Schuld der Umstände und der Hartnäckigkeit des Herrn Bundesfinanzministers und seiner Referenten — hat eine Reihe von Titeln im Etat, die nach unserer Meinung nicht gerade zulänglich ausgestattet sind. Das Gesundheitswesen ist im wesentlichen Sache der Länder. Aber der Bund hat auch auf diesem Gebiet eine Menge Verpflichtungen, die er erfüllen und für die er entsprechende Mittel bereitstellen sollte.
Insgesamt stehen für das Gesundheitswesen etwa 6 Millionen DM im Haushalt. Davon entfällt 1 Million DM auf allgemeine Ausgaben, d. h. Unterstützung einer ganzen Reihe von Institutionen und Organisationen. Manchmal kann man wirklich fragen, ob Organisationen nur dann leben können, wenn ihnen der Bund einen Zuschuß gibt.
Vielleicht gehen wir auf diesem Gebiet gelegentlich etwas zu weit; wir sollten uns das etwas genauer ansehen.
Aber das Bundesgesundheitsamt selbst mit seinem Etat von 5 Millionen DM ist auch nicht all-
zu üppig dotiert. Die Mittel zur Bekämpfung von ernsthaften Epidemien oder von Katastrophen, die wir nicht ahnen können, von denen wir aber immerhin annehmen müssen, daß sie einmal kommen könnten, sind einfach ungenügend. Ich sage das ohne jede Polemik, sondern stelle es nur fest, weil ich glaube, daß man sehr ernsthaft darüber sprechen müßte, wie man diese im allgemeinen gar nicht so sehr zählenden Positionen des Haushalts, die aber für seine Atmosphäre selber etwas besagen, in Ordnung bringen kann.
Ein anderes, ähnliches Kapitel! Der Herr Bundesfinanzminister hat sich sehr stolz auf eine Zusammenstellung der Leistungen des Bundeshaushalts für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung berufen. 71 Millionen DM, sagt er, stehen dafür im Bundeshaushalt. Ich muß sagen, Herr Bundesfinanzminister, da haben Ihre Experten aber wirklich den letzten Rest an bundeseigenen Instituten zusammengekratzt, um auf diese Summe zu kommen.
Ich glaube nicht, daß bei näherer Betrachtung all die Institute, die der Bund zur Erfüllung seiner laufenden Aufgaben auf diesem oder jenem Gebiet geschaffen oder übernommen hat, unter dem Rubrum „Förderung der wissenschaftlichen Forschung" zusammengefaßt werden können. So einfach sollte man sich die Sache nicht machen. Tatsache ist, daß die wissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik mit dem, was sie vom Bund erhält, noch immer weit unter dem liegt, was notwendig wäre, damit wir auch nur einigermaßen wieder gleichziehen können. Meine Damen und Herren, das ist ja nicht hinausgeworfenes Geld.
Das ist doch geradezu die Voraussetzung für künftige praktische Entwicklungen in der Wirtschaft. Die Wissenschaft ist ja nicht im luftleeren Raum, und sie soll es auch nicht sein; sie soll im Leben stehen. Trotzdem gibt es eine Reihe von Gebieten der Forschung, von denen man zwar nicht sagen kann, daß sie unmittelbar praktischen Gewinn abwerfen, von denen man aber sagen muß, daß der Staat ouch sie nicht vernachlässigen darf.
Ich denke da z. B. an die Förderung der Geisteswissenschaften. Gewiß sind etwa auf dem Gebiete der Universitätsbildung weitgehend die Länder zuständig. Aber der Bund ist ja heute mehr als jemals die Visitenkarte dieses Teiles Deutschlands, er ist die Repräsentanz dieses Gebietes, und er sollte gerade für die Förderung der deutschen Wissenschaft, bei der durch politische Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte so vieles vernachlässigt oder in falsche Richtung gedrängt worden ist, das Seine tun, um der Wissenschaft im Leben unserer Nation zu dem Rang zu verhelfen, der ihr gebührt.
Wenn man sich die Wirklichkeit ansieht, dann bleibt es nicht bei den 71 Millionen — wir liegen sowieso nicht ganz richtig, wenn wir das so zusammenkratzen —; dann sieht man, daß z. B. der Beitrag des Bundes an die Forschungsgemeinschaft der deutschen Wissenschaft nicht unbeträchtlich gekürzt worden ist unter Berufung darauf, daß die Länder mehr geben. Ja, die Länder geben zwar etwas mehr; aber die Kürzung, die der Bund vorgenommen hat, gleicht das nicht nur aus, sondern stellt die Forschungsgemeinschaft wahrscheinlich im kommenden Haushalt sehr viel schlechter als im vergangenen. Ein Grund ist nicht einzusehen, es sei denn der, daß der Herr Bundesfinanzminister sparen wollte. Aber hier ist nach unserer bescheidenen Meinung wieder einmal Sparsamkeit zur Untugend geworden.
Es besteht auch eine Gefahr, daß die 10 Millionen DM, die im Haushalt für Schwerpunktforschung ausgesetzt sind, ebenfalls noch gekürzt werden. Sie werden betroffen von der vierprozentigen Kürzung, die der Herr Bundesfinanzminister für alle Ressorts insgesamt verordnet hat — das steht im Entwurf —, und sie werden möglicherweise — und das ist eine Frage an den Herrn Bundesinnenminister und seinen Kollegen von der Finanz — noch dadurch gekürzt, daß der Bund, wie ich höre, die Absicht hat, einer internationalen Konvention zur Förderung der Kernphysikforschung beizutreten und daß die 3 Millionen, die er zum Aufbau eines Atommeilers — ich glaube, in Genf — beitragen soll, möglicherweise von diesen 10 Millionen für die Förderung der Schwerpunktforschung abgesetzt werden sollen. Ich würde das für eine sehr untaugliche Methode halten. Man sollte dem Hause gleich davon Kenntnis geben, ob das wirklich beabsichtigt ist. — Ich bin dankbar, wenn das verneint wird. Aber ich wollte zu Protokoll gegeben haben, daß darüber geredet wird. Je beruhigender die Nachrichten von der Regierungsbank klingen, um so besser ist es.
Ich komme zu einem anderen Kapitel — einem düsteren Kapitel, möchte ich sagen. Ich bitte, dabei nicht gleich zu erschrecken, wenn der Vertreter der Opposition von „düsteren Kapiteln" im Bundeshaushalt spricht.
Luftschutz! Jedermann wird mir zugeben, daß das keine freudige Angelegenheit ist. Luftschutz — nun, die Zeiten scheinen danach zu sein, daß man ernsthaft an den Schutz der Menschen vor der Genialität ihrer eigenen Wissenschaftler und ihren Konsequenzen denken könnte. Es ist nur merkwürdig: ehe man wirklich den Schutz der Menschen organisiert, weil man eine Gefahr für gegeben hält, organisiert man die Organisation des Schutzes und gibt dafür schon eine ganze Menge Geld aus, ohne daß bewiesen wäre, daß diese Organisation des Schutzes tatsächlich ein Schutz wäre. Man kann sogar sagen — das gilt nicht nur für die Bundesrepublik, das gilt sogar für ein so großes Land wie Amerika —, daß das, was man heute unter vorbeugendem Schutz der Zivilbevölkerung versteht, der Zivilbevölkerung im Ernstfall kaum zugute kommen wird.
Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man feststellt, daß das, was angesichts der Entwicklung der Atomwaffentechnik an Luftschutz notwendig wäre, weder durch irgendeine öffentliche Hand in irgendeinem Land noch durch private Anstrengungen finanziert werden könnte und daß, wenn der Ernstfall eintreten würde, zwar möglicherweise diejenigen geschützt wären, die den Krieg zu führen haben, aber nicht diejenigen, die ihn zu erdulden haben.
Ich möchte auf dieses Mißverhältnis, ohne daß ich irgend jemandem die Schuld zuschreibe, hingewiesen haben, weil ich glaube, daß hier eine ernsthafte Aufgabe liegt. Schließlich, meine Damen und Herren: wir haben ja durch die strategische Planung der westlichen Alliierten auf dem Gebiet der Bundesrepublik neuerdings Atomkanonen bekommen. Es ist mir gesagt worden — ich kann es nicht beweisen und will auch gar keine Anstren-
gungen machen, es zu beweisen —, daß diese Atomkanonen nur 32 km weit tragen — das mag vielleicht nur der augenblickliche Stand der Technik auf diesem Gebiet sein —, daß sie aber nicht rechtsrheinisch eingesetzt werden dürften, sondern nur linksrheinisch. Wenn also einmal mit diesen Dingern geschossen werden müßte, dann könnte man sich vorstellen, wo die Wirkungen erzielt werden.
Ich sage das nicht um Panik zu machen, sondern nur um darauf hinzuweisen, an welchem Punkt wir denn überhaupt halten, wenn von Rüstung oder von militärischen Anstrengungen gesprochen wird. Da kommt man doch zwangsläufig auf die Frage: Was hat denn all das an Rechnerischem auf dem grünen Tisch mit Divisionen und Ausrüstungen usw. praktisch zu bedeuten angesichts der Tatsache, daß man heute mit einer Atombombe nicht mehr 15 000 t Dynamit abwirft, sondern vielleicht 100 000 oder 200 000 t, wie die neuere Wissenschaft feststellt? Das verändert doch all die Probleme, über die wir in den vergangenen Jahren so mit leichter Hand debattiert haben; und man sollte gerade, wenn es sich um den Schutz der Zivilbevölkerung handelt — der spielt ja beim Luftschutz im Haushalt des Innenministeriums eine beträchtliche Rolle —, daran denken, daß die Bevölkerung wirklich geschützt werden muß und daß man nicht so tun soll, nur damit die Herren Luftschutzwarte der Vergangenheit vielleicht eine Wiederbelebung ihrer ehemaligen Tätigkeit erleben.
Ich bedauere, meine Damen und Herren, daß ich Sie noch einige Momente aufhalten muß, weil mir ein Teil der Aufgabe zugefallen ist, die mein Parteifreund Gülich hier hätte übernehmen sollen.
Ich möchte noch einige Blicke auf den Haushalt des Ernährungsministeriums werfen. Der Ernährungshaushalt ist ebenfalls einer der sehr gewichtigen Teile des Bundeshaushalts. Da sind zum Beispiel aufgeführt — auch das nur ein Stichwort und eine Illustration — annähernd 200 Millionen DM — genauer: 198,2 Millionen DM — als Einnahme. Warum kritisiert der Vertreter der Opposition einen Einnahmeposten? Meine Damen und Herren, es ist eben eine unerfreuliche Art von Einnahme; denn um diesen Betrag sollen eingeführte Lebensmittel verteuert werden. Es ist gar nicht zu bestreiten, daß diese Maßnahme notwendig ist, wenn man das innerdeutsche landwirtschaftliche Preisgefüge aufrechterhalten will; und das wollen auch wir von der sozialdemokratischen Opposition. Aber bei aller grundsätzlichen Zustimmung zur Marktordnung, auf welche die deutschen landwirtschaftlichen Erzeuger bestimmt nicht verzichten können und auch nicht verzichten sollen, müssen wir doch aussprechen, daß lebenswichtige Nahrungsmittel um diese außerordentlich hohe Summe zu Lasten der Verbraucher verteuert werden; und da die Marktordnung bekanntlich beiden Seiten, dem Verbraucher und dem Erzeuger, dienen soll, ergibt sich nach der Meinung der Sozialdemokratie die zwingende Notwendigkeit, diesen Betrag oder mindestens sehr wesentliche Teile davon dem Verbraucher wieder zuzuführen, natürlich nicht auf eine Weise, die der Landwirtschaft schadet. Daran mitzuwirken wäre auch Aufgabe der sozialdemokratischen Opposition, der wir uns gern unterziehen wollen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man aus diesen Mitteln eine großzügige Schulmilchversorgung finanzieren wollte?
Dann würde man nicht nur den Verbrauchern in ihrer Gesamtheit etwas von dem zurückgeben, was man ihnen mit der Abschöpfung nimmt, man würde darüber hinaus der Landwirtschaft eine große Sorge hinsichtlich des Milchabsatzes abnehmen; auch eine verdienstvolle Leistung!
Ich will in diesem Zusammenhang gleich einen Punkt streifen, der ebenfalls mit dem Haushalt des Ernährungsministeriums im Zusammenhang steht. Sehr erhebliche Summen fordert nämlich die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen. Dazu muß eine kritische Bemerkung gemacht werden. Sie sollte von niemandem als ein Angriff auf die Marktordnung aufgefaßt werden, zu der sich meine Fraktion nach wie vor bekennt. Aber es scheint mir, daß hier einmal wirksamer, als es im ersten Bundestag leider möglich war, untersucht werden sollte — und zwar unvoreingenommen —, welche Mittel eingespart werden können. Angesichts der Tatsache, daß für die allerseits anerkannten dringenden Aufgaben der Landwirtschaft wie z. B. Flurbereinigung und vor allem Tbc-Bekämpfung beim Milchvieh nur absolut unzureichende Mittel zur Verfügung stehen, besteht alle Veranlassung, den Haushalt des Landwirtschaftsministeriums 'gründlich auf alle Möglichkeiten einer wirksameren Konzentration der Mittel auf die vordringlichen Aufgaben zu untersuchen.
Das gilt nicht zuletzt auch für Beträge, wie sie für Förderungsmaßnahmen und für Forschungszwecke eingesetzt sind. Ich sage dies nicht, um abzuschwächen, was ich vorhin über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung gesagt habe, sondern um darzutun, daß es nicht nur um die quantitative Erhöhung der Mittel, sondern auch um ihre zweckmäßige Verwendung geht. Denn manchmal werden Mittel ausgegeben, nicht weil es notwendig ist, bestimmte wissenschaftliche Arbeiten zu fördern, sondern weil irgend jemand ein Institut aufgemacht hat, an dessen Förderung bestimmte Leute ein Interesse haben. Da muß dann ein Betrag entweder zu Lasten anderer Institute abgezweigt werden, weil man den Gesamtansatz nicht erhöhen will, oder es wird dann eben noch etwas hinzugebuttert, was — gemessen an der Wirksamkeit der Aufwendungen — ganz und gar nicht notwendig wäre. Deshalb mache ich diese Bemerkung.
Ich will mich im übrigen bei dem Kapitel Ernährungspolitik auf diese Bemerkungen beschränken, aber noch einmal die Frage aufwerfen, wie sich denn die neue Agrarpolitik des Herrn Ministers Lübke in den Rahmen der Gesamtwirtschaftspolitik der Bundesregierung einfügt. Ich will klar sagen, ,daß wir im großen ganzen mit dem übereinstimmen, was Herr Dr. Lübke zur Erreichung seiner Ziele betreffend die Umstellung der landwirtschaftlichen Erzeuger auf ihre neuen Aufgaben und auf ihre neue Situation für notwendiggehalten hat. Er wird dabei auf weite Strecken in der sozialdemokratischen Opposition einen Bundesgenossen haben. Wir wünschen nur, daß er seine Bundesgenossen nicht nur ,aus der sozialdemokratischen Opposition bekommt,
sondern sie auch in seinem eigenen Lager und insbesondere bei den Herrschaften von der Grünen Front findet, denn die haben damals bei seinem Vortrag bemerkenswerterweise völlig geschwiegen.
Ein weites Feld wäre ferner die Wirtschaftspolitik. Ich will hier nur kurz auf den — vom Stand-
punkt der Opposition — amüsanten Streit zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard und seinen Freunden aus der Industrie hinweisen, den Streit um die Kartelle. Wir werden uns in diesem Hause ja noch damit zu beschäftigen haben. Es ist immerhin bemerkenswert, daß es einen solchen Streit gibt. Vielleicht kommt sogar, wenn sich die beiden prügeln, zum Schluß doch noch etwas Vernünftiges dabei heraus, was auch andere akzeptieren können. Denn so viel ist sicher: man kann nicht ungestraft die freie Marktwirtschaft predigen, man muß dann auch konsequent sein und muß bis zu einem Punkte gehen, an dem wirklich der freie Wettbewerb für alle garantiert ist.
Dann gibt es eben keine geschützten Ecken. Aber die Konsequenzen sollte man dann auch ganz nüchtern und vor vollbrachter Tat allen Beteiligten vor Augen führen, damit sie nicht erst nachher entdecken, wie sie angeschmiert worden sind.
— Bitte entschuldigen Sie, Frau Kollegin Weber, wenn ich mal ein Wort aus der Volkssprache .benütze. Ich bin ja schließlich ein ehemaliger Arbeiter, und ich bin heute noch stolz darauf.
Nun noch eine Bemerkung zu einem anderen Kapitel, nämlich zum Sozialhaushalt. Der Herr Bundesarbeitsminister verwaltet ja einen großen Teil der Mittel, die im Bundeshaushalt für soziale Aufwendungen ausgebracht sind. Infolgedessen ist es zweckmäßig, bei seinem Etat einige Bemerkungen — wenigstens vorläufiger Art —dazu zu machen. Wir erklären ganz offen, daß wir der Absicht widersprechen, noch einmal die Träger der Sozialversicherung und insbesondere die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit einer Entnahme von 512 Millionen DM zu belasten, wenn auch in der Form einer Anleihe, wie sie diesmal im außerordentlichen Haushalt untergebracht worden ist.
Bis jetzt hat sich die Bundesanstalt offenbar nicht bereit gefunden, diesem Zugriff zuzustimmen.
Im übrigen bin ich dem Herrn Bundesfinanzminister dafür dankbar, daß er selber einen Irrtum aufgeklärt hat, der aus bestimmten Stellen in den Vorbemerkungen sehr leicht hätte entstehen können. Da war nämlich von einem Sozialetat die Rede, der weit über 10 Milliarden DM lag. Der Herr Bundesfinanzminister hatte ja dann schon in seiner Haushaltsrede einen erheblichen Betrag abgestrichen, wie es nur Rechtens war. Dieses Mißverständnis kann also bestimmt nicht auf den Herrn Bundesfinanzminister zurückgeführt werden.
Aber wer weiß, ob nicht draußen im Lande irgend jemand mal anstatt mit den rund 8 Milliarden mit den 10 Milliarden operiert, die hier deshalb ausgewiesen sind, weil in der Hauptsache die Leistungen aus dem Lastenausgleich auch unter „Sozialaufwendungen" gebucht werden, wo sie nicht hingehören.
Wie gesagt, Herr Schäffer hat gut daran getan, das zu korrigieren. Wenn man diese Korrektur akzeptiert und die Zahlen genau ansieht, kommt man zu dem Ergebnis, daß die Endsummen des sogenannten Sozialhaushalts im Jahre 1954 nicht höher, sondern niedriger als im Vorjahre sind. Auch das nur eine Feststellung nebenbei, aus der ich die Folgerung ziehe, daß die schlecht Weggekommenen und die nicht Mitgekommenen aus den vergangenen vier Jahren ihre alten Forderungen noch immer mit Recht anmelden.
Das gilt auch für die Kriegsopfer und für die Heimkehrer. Von den letzteren war schon im Zusammenhang mit der Behandlung des Entschädigungsgesetzes die Rede. Ich will das hier nicht vertiefen, ich möchte nur ankündigen, daß wir im Haushaltsausschuß gerade diesem Kapitel der Kriegsopferversorgung und ihrer Behandlung im Haushalt unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Ich müßte noch sehr viel zu dem Thema Finanzpolitik und Finanzministerium selbst sagen. Ich muß mich auch hier beschränken, weil meine Redezeit offenbar über das hinausgeht, was mir eigentlich zugestanden hätte. Ich konsumiere aber gleich einen Teil der Redezeit, die meinem Freund Gülich zusteht.
Was die Finanzpolitik angeht, so hat der Herr Bundesminister Schäffer davon gesprochen — und auch in der Presse stand es zu lesen —, daß dieser Bundeshaushalt 1954 solider sei als die vergangenen. Es kommt ganz darauf an, was man unter einem solchen Begriff versteht. Der Versuch, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, ist gemacht worden; das kann nicht bestritten werden. Aber sehr muß bestritten werden, daß er gelungen ist. Denn die Dubiosen. von denen ich schon sprach, sind zweifellos so erheblich, daß von einem echten Ausgleich des Etats, d. h. anders als auf dem Papier, eigentlich nicht gesprochen werden kann. Ich will gleich vorweg sagen: ich finde bei näherem Zusehen, es war nicht schön, daß der Herr Bundesfinanzminister noch einmal von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, durch Haushaltsgesetz die Veranschlagung der Haushaltsdefizite der vergangenen Jahre hinauszuschieben. Nun, es ließe sich darüber reden. Ich bin überhaupt überzeugt, daß es durchaus nicht als ein Evangelium angesehen werden muß, daß der Haushaltsausgleich innerhalb eines Haushaltsjahres erfolgen muß. Das Grundgesetz legt uns da Verpflichtungen auf. Aber es gibt Länder und es gibt Haushaltspraktiker, die der Meinung sind, man könne da auch an eine mehrjährige Periode denken. Das würde dem Finanzminister — es ist nicht meine Aufgabe, ihm das Leben zu erleichtern — bestimmt das Leben etwas leichter machen. Man kann darüber reden. In der Praxis handelt er ja so. Das heißt, er bricht eigentlich mit seinen eigenen theoretischen Überzeugungen.
Aber lassen wir das dahingestellt und reden wir von den fragwürdigen Positionen. Es sind eine ganze Anzahl; ich will nur einige nennen. Fragwürdig ist zunächst einmal die Grundannahme in diesem Haushalt, daß das Sozialprodukt in der Bundesrepublik auch im Jahre 1954 noch einmal eine fünfprozentige Steigerung erfahren werde. Das ist mindestens eine von dem fröhlichen Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers getragene Schätzung. Man könnte nun sagen, ein Finanzminister dürfe von Fall zu Fall und wie es gerade trifft,
auch optimistisch sein. Aber wenn man unterstellt, daß es der erste wirkliche Normalhaushalt seit der Gründung der Bundesrepublik ist, dann muß ich sagen, es wäre besser gewesen, man wäre nicht an all den Anzeichen einer leichten Konjunkturabschwächung in der ganzen Welt vorbeigegangen, man hätte sich nicht zu sehr darauf verlassen, daß drüben über dem großen Teich schließlich durch die Interventionspolitik der amerikanischen Regierung doch noch alles gut gehen wird, sondern hätte sich mit seinen Schätzungen vielleicht etwas mehr nach der unteren Grenze hin bewegt. Dann wäre man der Realität etwas näher gekommen. Diesen Einwand gegen die Annahme einer fünfprozentigen Steigerung des Sozialprodukts bitte ich nicht als einen gegen den Herrn Bundesfinanzminister mit Heftigkeit ,abgeschossenen Pfeil zu betrachten, sondern als eine Warnung vor dem Optimismus, dem man sich nur allzu leicht hingibt, wenn man beim Aufrechnen der Haushaltsendzahlen noch irgendwo ein Loch entdeckt und die Frage prüft, wie man dieses Loch füllen kann. Der andere sehr fragwürdige Teil des Haushaltsausgleichs ist, wie ich schon sagte, der vierprozentige Bundesanteil.
Noch eine ,andere Frage. Sie betrifft die Kassenlage und die Verteidigungslasten. Vielleicht werden wir im Laufe dieser Debatte mal von einem Angehörigen der Mehrheit des Hauses die Frage beantwortet bekommen, wie man, wenn man die Politik der Bundesregierung für richtig hält, nämlich dem Aufbau einer Wehrmacht zuzustreben, auch im Rahmen einer europäischen Organisation glaubt, ,auf die Dauer mit der Behauptung auskommen zu können, daß die Schaffung einer solchen Verteidigungsmacht — so wollen wir sie nennen — auf lange Sicht ohne die Steigerung der öffentlichen Lasten möglich sei. Ich glaube nicht, daß wir eine überzeugende Antwort bekommen werden. Wir haben sie in der Vergangenheit nicht bekommen. Wir müssen diese Frage immer wieder stellen, weil j a die Verteidigungslasten in unserem Haushalt ein so beträchtliches Maß angenommen haben. Und wer weiß, ob es bei den angesetzten 9 Milliarden bleibt. Herr Minister Schäffer hat selber einen leisen Zweifel aufkommen lassen, als er von den Verhandlungen sprach, die nach dem Ablauf der jetzigen Abmachungen geführt werden müssen.
Gewiß haben die anderen Länder ihre Verteidigungslasten gesenkt. Es besteht eine offenkundige Tendenz, überall, wo dies Problem auftaucht, zunächst einmal die Frage zu stellen, ob denn der soziale Standard nicht durch das herabgedrückt werde, was nach der Seite der Rüstung hin verschoben wird. Man hat sich dann in der Regel entschlossen, den sozialen Standard zu Lasten der Rüstung zu verteidigen, und wir möchten dieses Prinzip als einen der Ausgangspunkte unserer sozialdemokratischen Politik auch hier in diesem Hause festgehalten wissen.
Übrigens sind diese 9 Milliarden im Bundeshaushalt bis auf weiteres in den Augen der sozialdemokratischen Opposition noch etwas von der Reserve, von der der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, daß er über sie nicht verfüge. Wir wissen nicht, wie die Dinge gehen. Ich gedenke mich hier nicht etwa in den Mantel eines Propheten zu hüllen, aber solange Herr Minister Schäffer diese 9000 Millionen nicht ausgeben muß, sind sie in seinem Besitz, und sie stehen im Haushalt, sagen wir, als eine ungeklärte Größe.
Dazu die Besatzungslasten. Sie weisen einen beträchtlichen Überhang auf. Darüber sind wir informiert worden. Es ist keine boshafte Frage, sondern nur etwas, das meiner Neugier entspringt, wenn ich sage: Herr Minister Schäffer, Sie haben mit Recht beklagt, daß die westlichen Besatzungsmächte sich bisher noch nicht bereit gefunden haben, einen Zahlungsplan für das vorzulegen, was Sie Besatzungskostenüberhang nennen. Wenn die Leute, wie Sie selber sagten, bereits diese ganze Summe verplant haben, dann weiß ich nicht, wo die Schwierigkeit liegen soll, denen, die zahlen sollen und über deren Häuptern der Abruf dieses Besatzungskostenüberhangs wie ein Damoklesschwert hängt, schon heute einen Zahlungsplan vorzulegen. Ich weiß, Sie sind ein zäher Unterhändler, aber ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß ich glaube, daß Sie in diesem Punkt doch vielleicht etwas zu schnell den Standpunkt der Organe der Besatzungsmächte akzeptiert haben, sie seien nicht in der Lage, einen solchen Zahlungsplan vorzulegen. Schließlich müssen wir ja einmal Gewißheit haben, was denn nun daraus werden soll. Es kann ein Punkt kommen, an dem Sie einfach sagen müßten: Meine Herren, jetzt ist bei mir der Bart ab; jetzt gibts nichts mehr. Ewig können die Leute ja nicht im Unklaren darüber sein, wie sie das Geld, das in unserem Haushalt verplant ist, ausgeben wollen, oder uns wenigstens nicht in Unklarheit darüber lassen. Ich sehe also bei den Verteidigungslasten noch einige Reserven; aber ich muß zugeben, daß die Haltung zu dieser Frage allmählich schon mehr Glaubenssache geworden ist; denn der eine glaubt, daß es noch ernst wird, und der andere glaubt es eben nicht. Ich kann diesen Zwiespalt hier nicht lösen.
Noch eine Frage zum Schluß, Herr Minister, auch nur Neugierde, keineswegs eine bösartige Absicht: Wie hoch sind, wenn man das erfahren kann, die Zinsgewinne aus der Anlage von Kassenmitteln, die Sie ja doch immer wieder einnehmen? Niemand wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, daß Sie Geld, das in Ihrer Verfügungsgewalt ist, so lange zinsbringend anlegen oder auf einem Umweg zinsbringend anlegen, als Sie es nicht ausgeben müssen. Wird man das bei der Rechnung erfahren? Das ist ein etwas langwieriger Prozeß. Oder wird man das schon früher, wenigstens schätzungsweise, erfahren können? Die Frage ist deshalb nicht ganz ohne Interesse, weil sie auf eine der Möglichkeiten des Bundesfinanzministers hinführt, zu rangieren, sich aus Schwierigkeiten herauszuhelfen. Da möchte man doch auch gern wissen, wie er das macht.
— Die kleinen Fettpolster, Herr Vogel, wir haben sie ja beide!
Dann muß ich leider noch ein Wort zu der Vergrößerung des Bundeskabinetts sagen. Wir haben ja bisher keine Gelgenheit dazu gehabt, es sei denn bei der Regierungserklärung. Aber hier beim Haushalt taucht die Frage umgerechnet in Mark und Pfennig auf, wenn es auch nur 1,3 Millionen DM sind, die für die Etablierung der fünf neuen Ministerien aufgewandt werden.
Es sind also fünf neue Ministerien, darunter das
Ministerium, das unser hochverehrter Herr Kollege
Dr. Wuermeling, den wir aus dem Haushaltsausschuß alle kennen und aus mancher Redeschlacht hier im Hause,
verwaltet, das Familienministerium. Wir wissen von der Tätigkeit des Herrn Kollegen Dr. Wuermeling zunächst nur, was er redet. Und daß er gerne redet, den Eindruck konnte man in der letzten Zeit wirklich gewinnen.
Ich möchte nicht in alle Einzelheiten dessen einsteigen, was der Herr Bundesminister für Familienfragen in der Öffentlichkeit sagt. Aber ich werde die Frage stellen — wir haben ja da einige Erfahrungen in der Vergangenheit —, ob auf Herrn Dr. Wuermeling die Sammelaufgabe übergegangen ist, der Sonntagsredner der Bundesregierung zu werden.
— Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, wir haben kürzlich hier eine Art Retourkutsche erlebt bei einer Fragestunde, als der Herr Bundesminister des Innern erklärte, was der Herr Minister für Familienfragen gesagt habe, sei nicht die Auffassung der Bundesregierung. So oder ähnlich sagte er. Aber, meine Damen und Herren, es gibt doch so etwas wie eine Geschäftsordnung der Bundesregierung,
in deren § 12 steht, daß Reden, die die Minister in der Öffentlichkeit halten, den Richtlinien der Politik entsprechen müssen, die der Herr Bundeskanzler bestimmt. Das können Sie im § 12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung nachlesen. Ich frage mich also, ob nun Herr Dr. Schröder mit seiner Antwort auf die Frage meines Kollegen Menzel recht gehabt hat, ob die Geschäftsordnung schließlich recht behält und wer überhaupt maßgebend ist, wenn Minister Sonntagsreden halten. Wenn Sie uns sagen, daß Herr Dr. Wuermeling eine reine Privatperson sei und in dieser Eigenschaft reden könne, was er wolle, dann muß ich fragen, wie Sie die Trennung zwischen Amt und Privatperson auf die Dauer aufrechterhalten wollen angesichts einer solch klaren Regelung, wie sie die Geschäftsordnung der Bundesregierung enthält.
Abschließend noch ein Wort zu den übrigen neuen Ministerien, den vier Sonderministerien. Ich will keinem der Herren zu nahe treten, ich mag sie alle ganz gern leiden, wenn sie nicht oben auf der Ministerbank sitzen würden.
Herr Tillmanns sitzt gerade vor mir, und da er so nett dasitzt, muß ich ihm das sagen: wir haben diese vier Posten zunächst einmal für völlig überflüssig gehalten und sind uns völlig klar darüber, daß wir darin auf dieser Seite des Hauses viele Freunde haben. Zum andern wissen wir diese Herren nicht anders zu definieren, als daß sie Fraktionssekretäre mit Kabinettsrang sind.
Das ist nicht sehr schmeichelhaft, was ich da sage,
aber ich muß es sagen, denn es stand ja nicht in
Ihrem Wahlprogramm, daß Sie eine solche Ausweitung der Regierung herbeiführen würden. Ihre Wähler haben das sicher auch nicht erwartet. Diese kleine Bosheit bitte ich mir nachzusehen.
Zum Schluß eine Bosheit gegen den Bundesrat, der — abgesehen von der zweiten Reihe — nicht vertreten ist. Der Bundesrat hat zum Haushaltsplan bevorzugt Stellung genommen, ehe wir ihn gesehen haben. Ich habe aus dem, was der Bundesrat zum Haushalt gesagt hat, den Eindruck, daß er sich die Sache in vielen Fragen verhältnismäßig leicht gemacht hat. Ich sage das deshalb, weil ich die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause davor bewahren möchte, als Sprecher der Opposition des Bundesrates gegen den Herrn Bundesfinanzminister zu erscheinen.
Das ist nicht unsere Aufgabe, und deshalb bedauere ich, daß der Bundesrat es möglicherweise nicht für notwendig hält, seinen in vielen Punkten doch sehr interessanten, wenn auch abweichenden und nicht immer gut begründeten Standpunkt auch einmal in diesem Hause in der ersten Lesung zu begründen,
so daß wir mit einer begründeten Ansicht des Bundesrates ausgestattet in den Haushaltsausschuß gehen können und nicht einfach sagen müssen: Das wollen wir schon gar nicht zur Kenntnis nehmen, denn darüber hat niemand mit uns geredet. Hier wäre der Ort, an dem der Bundesrat auch einmal sagen könnte, wie er sich zu der Haushaltspolitik des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundesregierung stellt. Das geht an die Adresse des Bundesrates.
Ich möchte zum Schluß kommen. Wir Sozialdemokraten sind in diesen vergangenen Jahren in Opposition zur Bundesregierung gestanden. An dieser Haltung hat sich nichts geändert. Das ist nicht einfach der Ausfluß von Animosität, sondern das Resultat echter Meinungsverschiedenheiten, gegensätzlicher Standpunkte, ja des Interessengegensatzes, der politische Parteien als Repräsentanten von gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strömungen voneinander trennt. Deshalb möchte ich an den Schluß ein Zitat aus den Formulierungen setzen, die eine wirklich repräsentative sozialdemokratische Körperschaft vor mehr als einem Jahr beschlossen und veröffentlicht hat. Denn diese Auffassung ist der Ausgangspunkt unserer Kritik am Bundeshaushalt, unserer Kritik an der Gesamtpolitik der Bundesregierung und der Leitstern für unsere Arbeit am Bundeshaushalt. Dieses Zitat möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, weil es in vielem das präzisiert, was ich zu Anfang zu den grundsätzlichen Bemerkungen des Herrn Bundesfinanzministers gesagt habe:
Das grundsätzliche Problem — so haben wir da programmatisch gesagt, und das gilt noch immer —, ob es zweckmäßig und notwendig ist, öffentliche Mittel zur Erreichung wirtschafts-, sozial- oder bevölkerungspolitischer Ziele einzusetzen, ist eindeutig entschieden, seitdem sich in den letzten Jahrzehnten die Auffassung durchgesetzt hat, daß Finanzpolitik zunehmend im Dienste nichtfiskalischer Zwecke stehen muß und infolgedessen finanzpolitische Maßnahmen verstärkt Einfluß auf Wirtschaftsablauf und Sozialstruktur gewinnen. Diese
Entwicklung beruht auf bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Daten, die durch die Kriegsfolgen in der Bundesrepublik ungeheuer verschärft worden sind.
Von diesen Auffassungen werden wir uns bei der Mitarbeit am Haushalt leiten lassen; sie bestimmen auch unsere Haltung zu all den Fragen, die ich hier nur im Vorbeigehen streifen konnte. In diesem Sinne werden wir mitarbeiten, wie wir in der Vergangenheit mitgearbeitet haben, als parlamentarische Opposition gegenüber einer Regierung, von der wir sagen müssen, daß ihre Politik in wesentlichen Teilen nicht mit unseren Ansichten übereinstimmt, und von der wir zum andern befürchten, daß sie Wirkungen haben kann, die für unsere Nation sehr schädlich sein können.