Protokoll:
17238

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 238

  • date_rangeDatum: 26. April 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:54 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/238 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 238. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. April 2013 I n h a l t : Ausschussüberweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierzehnter Bericht zur Entwicklungspoli- tik der Bundesregierung – Weißbuch –  (Drucksache 17/13100) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister  BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD). . . . . . . . . . . . . Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Tagesordnungspunkt 40: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard Pitterle, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steueroasen trockenlegen – offshore und hierzulande (Drucksache 17/13129) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Dr. Axel Troost, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Straf- freiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen (Drucksache 17/13241) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 29969 A 29969 B 29969 B 29971 B 29973 A 29974 B 29975 C 29976 D 29978 A 29979 C 29981 A 29981 C 29983 A 29985 A 29985 B 29986 C 29987 A 29988 D 29990 C 29992 A 29992 A 29992 B 29995 C 29997 C 29999 B 30001 B 30003 D 30005 C 30005 D 30006 C 30008 A 30009 A 30009 C 30011 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Michael Kretschmer, Peter Altmaier, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Sylvia Canel, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrer- ausbildung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Für ei- nen breiten Qualitätspakt in der Re- form der Lehrerbildung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exzellente Lehrerbildung überall sichern – Pädagogische Berufe aufwerten (Drucksachen 17/9937, 17/11322, 17/10100, 17/13077) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär  BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 42: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Dr. Eva Högl, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung (Drucksachen 17/8613, 17/13271) . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Lebenslagen in Deutschland – Vierter Armuts- und Reichtumsbericht (Drucksache 17/12650) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die notwendigen poli- tischen Konsequenzen aus der Armuts- und Reichtumsberichterstattung ziehen (Drucksache 17/13102) . . . . . . . . . . . . . . c) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Markus Kurth, Katrin Göring- Eckardt, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht (Drucksachen 17/11900, 17/12837) . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin  BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Tagesordnungspunkt 44: a) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- 30012 C 30014 D 30016 D 30017 A 30018 A 30019 B 30020 B 30021 B 30022 D 30024 A 30024 D 30025 C 30027 B 30027 B 30029 A 30030 B 30031 D 30033 A 30034 A 30035 A 30036 A 30037 D 30038 A 30038 B 30038 C 30038 C 30038 D 30040 A 30041 C 30043 A 30044 A 30045 B 30046 C 30047 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 III ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Situation in deutschen Ab- schiebungshaftanstalten (Drucksachen 17/7442, 17/10596) . . . . . . b) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der Europäi- schen Union und die Praxis der Ab- schiebungshaft (Drucksachen 17/7446, 17/10597) . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist migrationspolitisch nicht relativierbar – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsge- richts zum Asylbewerberleistungsgesetz ziehen (Drucksachen 17/11663, 17/12674) . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Neuabdruck einer Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Sammelübersicht 581 zu Petitio- nen (237. Sitzung, Tagesordnungspunkt 46 k) Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30048 D 30049 A 30049 A 30049 B 30050 B 30052 A 30054 A 30055 B 30056 C 30057 A 30058 A 30058 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 29969 (A) (C) (D)(B) 238. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. April 2013 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 30057 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 26.04.2013 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2013 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 26.04.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 26.04.2013 Bilger, Steffen CDU/CSU 26.04.2013 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 26.04.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 26.04.2013 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 26.04.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 26.04.2013 Bollmann, Gerd SPD 26.04.2013 Connemann, Gitta CDU/CSU 26.04.2013 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 26.04.2013 Dreibus, Werner DIE LINKE 26.04.2013 Freitag, Dagmar SPD 26.04.2013 Fritz, Erich G. CDU/CSU 26.04.2013* Gabriel, Sigmar SPD 26.04.2013 Gerdes, Michael SPD 26.04.2013 Glos, Michael CDU/CSU 26.04.2013 Göppel, Josef CDU/CSU 26.04.2013 Günther (Plauen), Joachim FDP 26.04.2013 Hagedorn, Bettina SPD 26.04.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 26.04.2013 Hempelmann, Rolf SPD 26.04.2013 Dr. Hendricks, Barbara SPD 26.04.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 26.04.2013 Humme, Christel SPD 26.04.2013 Leibrecht, Harald FDP 26.04.2013 Leutert, Michael DIE LINKE 26.04.2013 Ludwig, Daniela CDU/CSU 26.04.2013 Mast, Katja SPD 26.04.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 26.04.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 26.04.2013 Mortler, Marlene CDU/CSU 26.04.2013 Nahles, Andrea SPD 26.04.2013 Nink, Manfred SPD 26.04.2013 Pflug, Johannes SPD 26.04.2013 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 26.04.2013 Roth (Heringen), Michael SPD 26.04.2013 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2013 Schieder (Weiden), Werner SPD 26.04.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 26.04.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 26.04.2013 Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 26.04.2013 Schuster, Marina FDP 26.04.2013 Simmling, Werner FDP 26.04.2013 Steinbrück, Peer SPD 26.04.2013 Dr. h. c. Thierse, Wolfgang SPD 26.04.2013 Thönnes, Franz SPD 26.04.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2013  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 30058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Anlage 2 Neuabdruck einer Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Sammelübersicht 581 zu Petitio- nen (237. Sitzung, Tagesordnungspunkt 46 k) Die Mehrheit des Petitionsausschusses empfiehlt, das Petitionsverfahren 3-16-11-822-001555 abzuschließen. Dieser Empfehlung werde ich nicht folgen. Ich stimme gegen den Abschluss der Petition zur Al- tersversorgung der Bergleute der Braunkohleveredlung Borna-Espenhain und fordere, die Petition zur Erwägung an die Bundesregierung zu überweisen. Es geht hier um Männer und auch Frauen, die bei ih- rer Arbeit großen gesundheitlichen Gefährdungen ausge- setzt waren. Viele erkrankten durch den Umgang mit to- xischen Gasen, Stäuben und weiteren giftigen Stoffen unter anderem an Krebs. Wegen dieser extremen Bedin- gungen hatte der DDR-Gesetzgeber die Arbeit in der Braunkohleveredlung einer bergmännischen Tätigkeit unter Tage gleichgestellt. Diese Gleichstellung sicherte die Anwendung eines Steigerungsfaktors von 2,0 bei der Berechnung der Altersversorgung und einen vorgezoge- nen Renteneintritt, bei Männern mit 60 Jahren, bei Frauen mit 55 Jahren. Durch das Rentenüberleitungsgesetz wurde diese Gleichstellung mit einer bergmännischen Tätigkeit für alle Betroffenen, die bis zum 31. Dezember 1996 in Rente gegangen sind, anerkannt. Allen anderen mit ei- nem späteren Renteneintritt werden diese Ansprüche auf eine Rente für „bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ vorenthalten. Das geschieht, obwohl die Ansprüche in den Sozial- versicherungsausweisen und in schriftlichen Bescheini- gungen des Bundesbergbauunternehmens dokumentiert sind und obwohl die Unternehmen dafür die gesetzlich vorgeschriebenen höheren Anteile an die für die Renten- versorgung zuständige Knappschaft geleistet haben. Im Rentenbescheid, Anlage 12, werden die vom Ar- beitgeber gemeldeten Leistungszeiten exakt ausgewie- sen, aber mit „0“ bewertet. Die Knappschaft ignoriert damit völlig die Gleichstellung der Tätigkeit mit einer Arbeit unter Tage. Zum vorgezogenen Renteneintritt: Da er nicht ge- währt wird, mussten und müssen viele Betroffene Ren- tenabschläge in Kauf nehmen. Und dies, obwohl im Rentenreformgesetz von 1999 ein Vertrauensschutz nach Montanuniongesetz zumindest für bestimmte Geburts- jahrgänge festgeschrieben ist, und zwar für diejenigen, die vor dem 7. Mai 1944 (Frauen) bzw. vor dem 14. Fe- bruar 1944 (Männer) geboren sind. Diese Gesetzeslage hat das Bundessozialgericht mit drei Urteilen vom 27. August 2009 (Aktenzeichen: B 13 R 107/08 R, B 13 R 111/08 R und B 13 R 121/08 R) auf- gegriffen und Rentenabschläge bei einem vorgezogenen Renteneintritt gemäß Montanuniongesetz nach Arbeits- losigkeit bzw. Altersteilzeit als ungerechtfertigt bean- standet. Selbst für diese im Gesetz und in den Urteilen ge- nannte Personengruppe erfolgt die Umsetzung vor allem durch den Druck, den die Interessengemeinschaft der Bergleute ausübt. Die Knappschaft ist nach wie vor nicht bereit, alle Personen einzubeziehen, die eine Zusage für eine Rente für „bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ haben. Zum Steigerungsfaktor 2,0 bei der Berechnung der Altersversorgung: Die Anwendung des Steigerungsfak- tors von 2,0 ist für alle noch betroffenen Bergleute gänz- lich offen, obwohl dieser ebenfalls Bestandteil der Rente „für bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ ist. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Gleichstellung mit einer bergmännischen Tätig- keit unter Tage muss endlich erfolgen. Dann kann über die Anwendung des § 254 a des SGB VI („Ständige Ar- beiten unter Tage im Beitrittsgebiet“) für die betroffenen Bergleute deren bestätigte Leistungszeit im Rentenbe- scheid Anlage 12 neu bewertet werden. Von den einst rund 1 000 betroffenen Bergleuten kämpfen aktuell noch 406 Bergleute um ihren erarbeite- ten Rechtsanspruch. Der Rückgang, so die Information der Interessengemeinschaft der Bergleute, sei „auf To- desfälle und Aufgabe des Rechtskampfes aus Alters- gründen zurückzuführen“. Wir als Gesetzgeber sollten dafür sorgen, dass alle diese älteren und häufig durch die Arbeit erkrankten Menschen endlich ihre erworbenen Ansprüche erhalten. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Überprüfung und Neuordnung Ulrich, Alexander DIE LINKE 26.04.2013 Voß, Johanna DIE LINKE 26.04.2013 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2013 Werner, Katrin DIE LINKE 26.04.2013* Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.04.2013 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 26.04.2013 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 26.04.2013  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2013 30059 (A) (C) (D)(B) der Forschungsfinanzierung – Transparente und ver- bindliche Verfahren sicherstellen – Wissenschaftsge- rechte Strukturen weiterentwickeln auf Drucksache 17/3864 zurückzieht. Der Vorsitzende des Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht nach § 3 des Energieleitungsausbaugesetzes – Drucksachen 17/11871, 17/12114 Nr. 1.2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/12587 Nr. A.1 EuB-BReg 16/2013 Innenausschuss Drucksache 17/11108 Nr. A.5 Ratsdokument 13245/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.6 Ratsdokument 13273/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.10 Ratsdokument 14235/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.11 Ratsdokument 14237/12 Drucksache 17/11242 Nr. A.1 Ratsdokument 14179/12 Drucksache 17/11242 Nr. A.2 Ratsdokument 14199/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.7 Ratsdokument 16466/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.8 Ratsdokument 16881/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.9 Ratsdokument 16883/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.11 Ratsdokument 16909/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.12 Ratsdokument 16910/12 Finanzausschuss Drucksache 17/12783 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2013)0057 Haushaltsausschuss Drucksache 17/10086 Nr. A.2 EuB-BReg 42/2012 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/12783 Nr. A.7 Ratsdokument 5890/13 Drucksache 17/12783 Nr. A.8 Ratsdokument 6521/13 Drucksache 17/12911 Nr. A.2 Ratsdokument 6952/13 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft  und Verbraucherschutz Drucksache 17/12783 Nr. A.9 Ratsdokument 5892/13 Drucksache 17/12911 Nr. A.3 Ratsdokument 6996/13 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 17/136 Nr. A.80 Ratsdokument 12761/09 Drucksache 17/790 Nr. 1.26 Ratsdokument 13981/08 Drucksache 17/5434 Nr. A.10 EP P7_TA-PROV(2011)0086 Drucksache 17/10028 Nr. A.6 Ratsdokument 9486/12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit  und Entwicklung Drucksache 17/12449 Nr. A.14 EP P7_TA-PROV(2013)0024 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 17/11242 Nr. A.14 Ratsdokument 14256/12 238. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 39 Bericht zur Entwicklungspolitik TOP 40, ZP 9 Steuerhinterziehung und Steuervermeidung TOP 41 Reform der Lehrerausbildung TOP 42 Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung TOP 43 Armuts- und Reichtumsbericht Tagesordnungspunkte Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Rechtsver-
ordnungen der Bundesregierung auf den Drucksachen
17/13308 und 17/13309 federführend an den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie mit der Bitte, den Be-
richt dem Plenum bis spätestens 12. Juni 2013 vorzule-
gen, sowie zur Mitberatung an den Auswärtigen Aus-
schuss, den Innenausschuss, den Rechtsausschuss und
den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Vierzehnter Bericht zur Entwicklungspolitik
der Bundesregierung
– Weißbuch –

– Drucksache 17/13100 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss 
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
tem Redner das Wort dem Bundesminister Dirk Niebel.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich konnte Ihnen vergangene Woche das Weißbuch, den
Vierzehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bun-
desregierung, für dieses Politikfeld vorlegen. Ich kann
heute feststellen, wie schon vor einer Woche in der Re-
gierungsbefragung: Auch in der Entwicklungspolitik
waren das vier gute Jahre für Deutschland und für unsere
Partner in der Welt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir hatten in diesem Politikfeld einen enormen Re-
formstau aufzuarbeiten. Trotzdem ist es in dieser Legis-
laturperiode gelungen, nicht nur institutionelle, sondern
vor allem auch wichtige politische Reformen umzuset-
zen: nicht nur die mittlerweile zumindest im Haus all-
seits bekannte größte Strukturreform in der Geschichte
von 51 Jahren Entwicklungspolitik, an der drei Vorgän-
gerregierungen gescheitert sind, nämlich die Zusammen-
legung der staatlichen technischen Durchführungsorga-
nisationen GTZ, DED und InWEnt zur Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, son-
dern auch kleinere institutionelle Reformen, die dem
Blick der Öffentlichkeit vielleicht entgangen sind, aber
von zentraler Bedeutung sind, zum Beispiel die Zusam-
menlegung von vier Organisationen mit ihren Instru-
menten für die Stärkung des zivilgesellschaftlichen und
kommunalpolitischen Engagements in der Entwicklungs-
zusammenarbeit in die Engagement Global gGmbH. Da-
mit wurde eine einheitliche Anlaufstelle für Bürgerinnen
und Bürger geschaffen, wo ihr Engagement zielgerichtet
gebündelt werden kann und die Ergebnisse herbeiführen
kann, die sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen.

Darüber hinaus gibt es eine Neuerung, die nicht nur in
der Bundesrepublik, sondern auch international von Be-
deutung ist: Ein unabhängiges Evaluierungsinstitut der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit gibt uns die
Möglichkeit, Legitimität gegenüber den Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahlern in diesem Land zu gewinnen, die
völlig berechtigt fragen, warum der Staat, wenn hier ka-
putte Straßen oder marode Schulen zu beklagen sind,
6,3 Milliarden Euro im Ausland investiert. Wir müssen
immer wieder belegen, dass das, was wir in der Welt tun,
nicht nur für unsere Partner gut und sinnvoll ist, sondern
auch für Deutschland. Es ist von zentraler Bedeutung,





Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)


dass möglichst viele Menschen auf der Welt in Wohl-
stand leben können, dass möglichst viele Menschen auf
der Welt gesicherte Rahmenbedingungen und gute Um-
weltbedingungen haben und dass möglichst viele Regio-
nen der Welt friedlich miteinander leben und interagie-
ren können. Dazu leisten wir als große, international
vernetzte Wirtschaftsnation einen großen Beitrag. Um
das nachweisen zu können, müssen wir uns unabhängig
evaluieren lassen. Das ist eine Herausforderung, gerade
in einem Wahljahr. Diese Herausforderung nehmen wir
gerne an. Wir haben als Bundesregierung den Mut, uns
selbst in unserem Handeln überprüfen zu lassen, um ins-
gesamt besser zu werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Darüber hinaus ist es möglich gewesen, die Koordi-
nierung der ODA-Leistungen auf das Bundesministe-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung zu konzentrieren, damit wir insgesamt einen
einheitlicheren Außenauftritt als Republik haben. Wir
haben die Steuerungsfähigkeit für die Politik zurückge-
wonnen. Es nutzt nicht nur dieser Bundesregierung, son-
dern auch allen nachfolgenden Bundesregierungen, dass
wir jetzt endlich die Gelegenheit haben, in jedem unserer
Partnerländer mindestens einen Referenten für Entwick-
lungszusammenarbeit an den Botschaften zu haben
– meistens sind es sogar zwei Referenten –, um auf diese
Art und Weise die Durchführungsorganisationen an den
politischen Willen der jeweils im Amt befindlichen Bun-
desregierung zu binden und so zu verhindern, dass
Durchführer Politik betreiben und Politik möglicher-
weise in Mikromanagement abgleitet, wie das früher oft
der Fall gewesen ist.

Wir haben unsere Politik wertebasiert aufgestellt. Das
zeigt sich unter anderem durch den von mir eingeführten
Menschenrechts-TÜV, der jede neue Maßnahme auf
menschenrechtliche Auswirkungen überprüft. Es ist von
zentraler Bedeutung, diese Werteorientierung auch öf-
fentlich darzustellen, weil wir im Gegensatz zu früher
mutig genug sind, zu sagen, dass wir auch Interessen in
der Entwicklungszusammenarbeit haben. Früher durfte
man das nicht sagen; denn das wurde nicht gerne gehört.
Alles musste altruistisch sein. Da wir aber im Rahmen
der staatlichen Entwicklungskooperation mit anderen
Staaten zusammenarbeiten, die selbstverständlich Inte-
ressen haben, glaubt uns kein Mensch, dass wir völlig in-
teressenlos wären. Das Interessante ist, Werte und Inte-
ressen zu kombinieren und unsere Interessen mit denen
unserer Partner in Ausgleich zu bringen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir konzentrieren uns auf mehr Wirksamkeit. Wir ge-
hen weg von der reinen Input-Orientierung. Viel Geld
ausgeben hilft viel, so hat man früher oft gedacht. Wir
wollen dagegen mit dem vorhandenen Geld möglichst
viele Ergebnisse erzielen. Trotz der schwierigen Haus-
haltssituation ist es uns möglich gewesen, die Mittel für
die wesentlichen politischen Kooperationspartner aufzu-
stocken. So sind zwischen 2009 und 2013 für die zivil-
gesellschaftlich Engagierten in Deutschland die Mittel
von 557 Millionen Euro auf 662 Millionen Euro erhöht
worden. Auch die Mittel für die direkte Zusammenarbeit

mit der Wirtschaft wurden erhöht. Vor allem ist die Zu-
sammenarbeit entkrampft worden. Nachhaltige Bekämp-
fung der Ursachen von Armut ohne nachhaltige wirt-
schaftliche Entwicklung ist in den Entwicklungsländern
nicht möglich. Wer sollte ein besserer Partner sein als
die deutsche und insbesondere die mittelständische Wirt-
schaft, um in unseren Partnerländern Strukturen zu
schaffen, die es ermöglichen, aus der Armut herauszu-
kommen und sich selbst nachhaltig für die Geschicke
des eigenen Landes zu engagieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben es geschafft, wichtige Zukunftsaufgaben
neu zu organisieren, auch innerhalb der Bundesregie-
rung. Wegweisend ist hier das Konzept für den Umgang
mit fragilen Staaten. Gerade in Staaten, die fragil, Kon-
fliktstaaten oder Postkonfliktstaaten sind, ist es wichtig,
dass nicht nur die Instrumentarien eines Ressorts einge-
setzt werden, um gewaltsame Konflikte zu verhindern
oder zu beenden. Vielmehr ist hier die gesamte Kompe-
tenz einer Bundesregierung nötig. Gerade weil wir wis-
sen, dass die Hälfte unserer Partnerländer fragil, Post-
konflikt- oder Konfliktstaaten sind, ist es von zentraler
Bedeutung – auch für gute Entwicklungszusammen-
arbeit –, hier im Rahmen eines vernetzten Ansatzes vor-
zugehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Darüber hinaus haben wir die Kooperation mit globa-
len Entwicklungspartnern, den sogenannten Schwellen-
ländern, auf neue Füße gestellt. Wir wissen, dass bei
Ländern, die weiter entwickelt sind als die ärmsten der
Welt, noch immer Unterstützung beim Kapazitätsaufbau
oder Know-how-Transfer notwendig ist, aber mit ande-
ren Instrumentarien, die weit marktorientierter sind als
das Zuschussgeben, wie das früher oft der Fall gewesen
ist. Auch hier achten wir mehr auf Wirkung und gute Er-
gebnisse.

Gute Ergebnisse haben wir auch im internationalen
Kontext erzielen können, zum Beispiel mit dem soge-
nannten Grünbuch Budgethilfe der Europäischen Union.
Hier ist es uns gelungen, darauf hinzuwirken, dass erst-
mals in der Geschichte der Europäischen Union die so-
genannte allgemeine Budgethilfe, also Zuschüsse für
den Haushalt eines anderen Landes, mit menschenrecht-
lichen Kriterien und Kriterien der guten Regierungsfüh-
rung versehen wird. Es wird nicht mehr nach dem Motto
„Fire and forget“ das Geld der Steuerzahler überwiesen,
ohne dass man sich darum kümmert, was damit passiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Weil ich weiß, dass im Laufe der Debatte im Wett-
streit der parteipolitischen Interessen natürlich wieder
auf die Frage des ausgegebenen Geldes rekurriert wer-
den wird, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die
Haushaltsmittel in dieser Legislaturperiode sind um
5,5 Prozent gesunken, die für die offizielle Entwick-
lungszusammenarbeit verfügbaren Mittel aber um
17 Prozent gestiegen. Die sogenannte ODA-Quote, also
die Relation zwischen den Ausgaben für die Entwick-
lungspolitik und dem Bruttonationaleinkommen, ist von
0,35 Prozent im Jahre 2009 auf 0,38 Prozent im Jahre





Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)


2012 angestiegen. Nachdem wir 2009 bundesweit
8,7 Milliarden Euro in die Entwicklungszusammenarbeit
investiert haben, sind wir im Jahre 2012 mit 10,2 Mil-
liarden Euro drittgrößter internationaler bilateraler Ge-
ber geworden.

Diese Regierung braucht sich nicht zu verstecken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Erfolgsbilanz ist eindeutig. Der Blick auf die Zu-
kunft ist auch ganz klar. Uns interessiert, wie der Prozess
nach der Erreichung der Millenniumsziele weitergeht,
damit wir die wichtigen Aufgaben der Welt besser orga-
nisieren können: eine Verbesserung der Umweltsituation
in vielen Teilen der Welt, die nachhaltige Bekämpfung
der Ursachen von Armut – nicht nur der Armut selbst –
und die Stabilität und Sicherung des Friedens in der
Welt. Deswegen braucht diese Bundesregierung ein wei-
teres Mandat von vier Jahren. Die Bürgerinnen und Bür-
ger haben in 150 Tagen die Möglichkeit, gute Politik zu
bestätigen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800100

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Sascha

Raabe das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1723800200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Herr Minister Niebel, Ihre Bilanz ist be-
schämend.


(Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben die Mittel für die ärmsten Menschen dieser
Welt gekürzt. Sie haben die Hoffnungen der ärmsten
Menschen dieser Welt enttäuscht. Wer das tut, der spart
zulasten derjenigen, die sich nicht wehren können. Sie
haben durch das Brechen der internationalen Zusagen
Deutschlands Ansehen beschädigt. Sie sind der mit Ab-
stand schlechteste Entwicklungsminister, den dieses
Land jemals hatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Wir als Bundesrepublik Deutschland haben uns im
Jahr 2005 – vorher waren das nur Absichtserklärungen –
international verpflichtet, die Mittel für die Entwick-
lungszusammenarbeit bis zum Jahr 2010 auf 0,51 Pro-
zent und bis 2015 auf 0,7 Prozent zu steigern. Da steht
auch die Kanzlerin im Wort. Herr Minister, wir haben in
Ihrer Amtszeit in den letzten vier Jahren einen Aufwuchs
von insgesamt nur 337 Millionen Euro gehabt, 2013 so-
gar Kürzungen. Es gab allein im Jahr 2009, dem letzten
Jahr Ihrer Vorgängerin, einen Aufwuchs von 680 Millio-
nen Euro. Das heißt, Sie haben in vier Jahren weniger als

die Hälfte geschafft als Heidemarie Wieczorek-Zeul in
einem Jahr.

In Ihrem Weißbuch wenden Sie einen Taschenspieler-
trick an. Sie haben nämlich am Ende des Jahres 2009
Hunderte Millionen Euro, die im Haushalt zur Verfü-
gung standen, nicht mehr ausgegeben, um die ODA-
Quote künstlich herunterzurechnen. Sie haben das Geld
erst 2010 ausgegeben. Jetzt tun Sie so, als wäre die
ODA-Quote um 17 Prozent gestiegen. Das ist lächerlich.
Das kann man Ihnen nicht durchgehen lassen. Fakt ist:
2012 lag die ODA-Quote nur bei 0,38 Prozent. Wenn
man Ihre Aussage, die Sie in einem offiziellen Papier,
dem Weißbuch, vorlegen, nämlich dass die Bundesregie-
rung daran festhält, bis 2015 auf eine ODA-Quote von
0,7 Prozent zu kommen, ernst nimmt, dann bedeutet das
– das weiß jeder hier im Raum – 10 Milliarden Euro
Aufwuchs in zwei Jahren. Gleichzeitig legen Sie, Herr
Minister, diesem Parlament einen Haushaltsplan der
Bundesregierung vor, in dem Sie bis 2015 noch Kürzun-
gen von 172 Millionen Euro vorsehen. Das ist Tarnen,
Tricksen, Täuschen, Verniebeln, Herr Minister. Das ist
unanständig. Sie haben Ihr Wort gebrochen. Stehen Sie
auch dazu!


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Kanzlerin steht hier im Wort. Sie hat auf
vielen internationalen Veranstaltungen, auf Kirchenta-
gen immer wieder gesagt: Ich persönlich als Kanzlerin
stehe dazu, dass wir nicht bei der Milliarde Menschen,
die in Hunger und extremer Armut lebt, sparen. Ich stehe
dazu, dass wir die Mittel, wie international versprochen,
steigern. – Da bin ich wirklich sehr enttäuscht. Sie hat es
uns im Ausschuss noch einmal versichert. Sie hat ihr
Wort gebrochen.

Sie hatten neben der Steigerung der Mittel noch ein
zweites Ziel, das Sie klar verfehlt haben: mehr Effizienz,
Wirksamkeit und Qualität. Sie versuchen jetzt immer,
Ihre magere finanzielle Bilanz zu beschönigen. Da muss
man dann auch einmal schauen, wie Sie dieses Ziel um-
gesetzt haben. Anstatt eine moderne, mit anderen Ge-
bern koordinierte internationale Entwicklungszusam-
menarbeit zu betreiben, machen Sie in erster Linie
deutsche Projektitis. Sie sagten ja auch gerade, dass
deutsche Interessen wichtig sind, also reine deutsche
Außenwirtschaftsförderung als Mittel der Armutsbe-
kämpfung. Sie wollen überall deutsche Fähnchen sehen.
Da sage ich Ihnen, Herr Minister: Natürlich haben auch
wir Interessen. Aber unser Interesse ist es, den ärmsten
Menschen dieser Welt zu helfen, und nicht, dass die
deutsche Wirtschaft möglichst viele Projekte bekommt.
Deswegen sagen wir an dieser Stelle: Werte- und interes-
sengeleitete Politik in der Entwicklungszusammenarbeit
muss sich immer an den Ärmsten der Armen orientieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab aber, Herr Minister, noch ein drittes Ziel, das
nicht im Koalitionsvertrag steht, den Sie immer zitieren,





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)


das Sie als FDP aber in den Koalitionsverhandlungen be-
schließen wollten. Das geht aus einem FDP-Papier zu
den Koalitionsverhandlungen hervor. Darin hat Ihre Par-
tei geschrieben: Die FDP muss Schlüsselpositionen im
BMZ besetzen; denn im Gegensatz zu anderen Politikbe-
reichen kann die FDP in der Entwicklungszusammenar-
beit verschiedene Themen, ohne ideologische Kämpfe
führen zu müssen, liberal besetzen. Es gibt kaum ein
Ministerium, welches derart viele personelle Besetzun-
gen zu bestimmen hat. – Dann wird genau aufgelistet,
wie dieser Plan in der Regierung umzusetzen ist, damit
gewährleistet wird, dass die freien Stellen durch das
BMZ künftig mit Liberalen besetzt werden. In Punkt 6
geht das sogar so weit – damit kommen wir zu dem wah-
ren Hintergrund Ihrer viel gelobten Strukturreform –:
Die Durchführung der kleinen Reformlösung zur
Zusammenlegung der deutschen Technischen Zusam-
menarbeit muss auf ranghöchster Ebene mit Liberalen
besetzt werden. – Dabei handelt es sich um die Zusam-
menlegung von GTZ, DED und InWEnt mit 14 882 Mit-
arbeitern.

Herr Minister, während Sie die ersten beiden Ziele
klar verfehlt haben – Schulnote 6! –, haben Sie Ihr drit-
tes Ziel leider voll erreicht. Sie sind hier rigoros vorge-
gangen, indem Sie gleich als Erstes Ihr Bundesministe-
rium von drei auf fünf Abteilungen aufgebläht haben,
und während es unter Ihrer Vorgängerin von den drei
Abteilungsleitern zwei gab, die parteilos waren, und nur
einen mit SPD-Parteibuch, haben Sie von diesen fünf
aufgeblähten Abteilungen vier mit FDP-Leuten und ei-
nen mit einem CDU-Parteibuch besetzt, darunter auch
die Abteilung „Planung und Kommunikation“, die Sie
neu geschaffen haben und die eine mit Steuergeldern fi-
nanzierte Wahlkampfzentrale der FDP ist.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Diese beispiellose Vetternwirtschaft brachte selbst die
CDU-Kollegin Sibylle Pfeiffer und ihre Arbeitsgruppe
auf die Palme. Sie schrieb einen Brief an die Kanzlerin,
in dem sie beklagt, dass es „eine Förderung von FDP-na-
hen Personen – und dies nur bei untergeordneter Beach-
tung ihrer fachlichen Eignung“ gebe, dass dies weit über
das übliche und vertretbare Maß hinausgehe und der
Boulevard diese Personalpolitik wahrscheinlich als gut
dotierte Versorgungsposten für Parteimitglieder bezeich-
nen werde. Nachdem der Brief öffentlich geworden ist,
war das Frau Pfeiffer peinlich; sie hat Ihnen in Nibelun-
gentreue wieder zur Seite gestanden. Fakt ist aber nun
einmal, dass leider stimmt, was Sie geschrieben haben.


(Beifall bei der SPD – Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU]: Das ist aber jetzt falsch zitiert! Wenn Sie zitieren, dann auch richtig!)


Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Der Personalrat hat das jedes Jahr in seinen Tä-
tigkeitsberichten angeprangert. Nun wird der Minister
aber sogar an die Verfassung erinnert. In der letzten
Rede im Jahr 2012 hat der Personalrat, an Sie gewandt,
gesagt: Es gilt nicht mehr der alte Grundsatz „Leistung
lohnt sich“. Ich fordere die politische Leitung und die
Verwaltung dringend auf, bei der Personalrekrutierung
und -entwicklung wieder zu den Verfassungsgrundsätzen

der Chancengleichheit beim Zugang zum öffentlichen
Amt, der Bestenauslese und der Förderung nach eigenen
Leistungen und Fähigkeiten, zurückzukehren. – Wir for-
dern Sie ebenfalls auf, Herr Minister, dazu zurückzukeh-
ren, die Stellen nach Leistung und nicht nach Parteibuch
zu besetzen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Sind die acht Minuten noch nicht um?)


Ihren guten Parteifreund und Buddy Tom Pätz haben
Sie ganz nach oben gezogen. Erst hat er im Range eines
Abteilungsleiters die Fusion moderieren dürfen. Dann
haben Sie ihm einen entfristeten Arbeitsvertrag gegeben,
damit er für immer einen Rentenposten im BMZ hat, und
ihn auch noch in den GIZ-Vorstand berufen. Ich bin ja
froh, dass in Ihrer eigenen Partei noch jemand den Mut
hat, sich dagegen zu wehren, und Ihr Haushälter Herr
Koppelin im Aufsichtsrat verhindert hat, dass er noch
eine Gehaltserhöhung bekommt. Herr Koppelin hat ge-
sagt, Tom Pätz sei eine Pfeife. Ich denke, an dieser Stelle
hat er leider recht; denn wenn jemand nur aufgrund sei-
nes Parteibuches an eine so hochbezahlte Stelle kommt,
dann ist es gut, dass Ihre eigene Partei die rote Karte
zeigt.

Ich finde Ihr Verhalten empörend, weil Sie damit die
Leistungen der vielen guten Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter im Ministerium und in den Durchführungsorgani-
sationen schlechtmachen. So demotivieren Sie die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie reisen durch die ganze
Welt und erzählen anderen etwas von guter Regierungs-
führung; gleichzeitig benehmen Sie sich hier wie ein Au-
tokrat, der – schlimmer noch als die CSU in Bayern –
seine Parteifamilie im Ministerium unterbringt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Spatz [FDP]: Haben Sie noch etwas anderes?)


Da Sie immer von Werten und Werteorientierung
sprechen, Herr Minister: Ich würde Sie bitten, diese
Werte bei sich anzulegen, aber auch bei den Partnerlän-
dern. Da, wo Großgrundbesitzer geputscht haben, ob das
in Honduras oder in Paraguay gewesen ist, haben Sie
nichts gesagt und haben sich zurückgehalten. Aber bei
anderen Partnerländern verfahren Sie ganz anders; da
machen Sie große Unterschiede.

Ich sage, Herr Minister: Wenn man sich zurückerin-
nern wird, dann werden aus Ihrer Amtszeit anstatt Spu-
ren im Sand nur zwei Dinge bleiben: eine alberne Mili-
tärmütze und ein fliegender Teppich. Das werden wir
nicht vermissen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wie hieß die Vorgängerin?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die

CDU/CSU.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1723800400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

habe nur sieben Minuten Zeit, Sascha. Diese Ausgeburt
an entwicklungspolitischer Rede


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Rede? – Joachim Spatz [FDP]: Der Kerl kann nichts anderes!)


zu kommentieren, würde allein sieben Minuten dauern;
ich habe aber auch noch Wichtigeres zu erzählen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir diskutieren den 14. Entwicklungspolitischen Be-
richt, das sogenannte entwicklungspolitische Weißbuch.
Von der SPD kommt aber nichts anderes als Personalfra-
gen, Polemik, teilweise Unwahrheiten; mich beim Vorle-
sen falsch zu zitieren, das ist, finde ich, das Allerletzte.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können gerne noch mal das Original haben!)


Wenn das die Idee der SPD zur Entwicklungspolitik ist,
dann bin ich herzlich froh, dass das Ministerium nicht in
SPD-Hand ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Wähler möge verhindern, dass es jemals wieder
dazu kommt, und der Wähler wird das tun – da bin ich
ganz sicher –, weil das gerade ein Armutszeugnis son-
dergleichen war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das war die Bilanz des Ministers!)


Was dieser entwicklungspolitische Bericht zeigt, ist
unter anderem, dass wir im Laufe der Zeit einen richtig
guten Weg gegangen sind. Wir sind von einer Entwick-
lungshilfe – ursprünglich haben wir unkonditioniert,
unkoordiniert, willkürlich Gelder verteilt – über die Ent-
wicklungszusammenarbeit mit mehr Absprachen, mit
mehr Kooperation – wir haben mehr Menschen einbezo-
gen – mittlerweile auf einem guten Weg, zu einer Ent-
wicklungspolitik zu kommen. Wenn ich „Politik“ sage,
meine ich die Politik der Entwicklungsländer vor Ort.
Wenn sie ihre politischen Ideen umsetzen wollen, be-
kommen sie unsere Unterstützung, bekommen sie Gel-
der und Beratung von uns. Es ist, glaube ich, der richtige
Weg, dass man mit Mitteln Politik macht, und zwar für
die Menschen vor Ort.

Entwicklungspolitik, liebe Freunde, ist keine Spiel-
wiese für Weltverbesserung, sondern sie leistet effektive
Hilfe zur Selbsthilfe. Das merken wir permanent, wenn
wir unsere Partner bei dem unterstützen, was sie selber
leisten können.

Entwicklungspolitik ist auch kein Instrument zur Be-
schäftigung der NGOs, sondern sie leistet einen funda-
mentalen Beitrag zur Bewältigung globaler Aufgaben.
Die globalen Aufgaben, so vielfältig sie sind, können wir
nur gemeinsam lösen. Nicht zuletzt ist es auch so, dass

wir mit der Entwicklungspolitik vorbeugen können, prä-
ventiv arbeiten können, wenn es darum geht, die Armut
zu bekämpfen, in Einzelfällen aber auch Terrorismus
und Extremismus zu bekämpfen. Das ist eine gute Ar-
beit.

Wir verbessern die Lebensverhältnisse der Menschen
vor Ort mit unseren Partnern, mit NGOs, mit Regierun-
gen. Wir sorgen für Frieden, Stabilität und Sicherheit.
Das ist gut für die Menschen vor Ort, und das, liebe
Freunde, ist auch gut für Deutschland – das, denke ich,
dürfen wir zur Kenntnis nehmen –, und deshalb ist un-
sere Arbeit wichtig und gut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nachdem ich dies alles gesagt habe, sind wir uns si-
cher alle in diesem Haus einig, glaube ich, dass es richtig
ist und richtig bleibt, dass wir dafür ein eigenständiges
Ministerium haben. Die Aufgabenvielfalt nimmt zu und
nicht ab, und die Ansprüche werden größer und nicht
kleiner. Ich gehe davon aus, dass niemand mehr in die-
sem Plenarsaal sitzt, der das nicht unterschreiben kann.

Ich glaube, wir haben in den letzten vier Jahren eine
gute Arbeit geleistet. Deshalb sind wir stolz und zufrie-
den. Die Bilanz ist gut. Die Koalitionsfraktionen haben
gute Arbeit geleistet. Das Ministerium hat gute Arbeit
geleistet. Insofern können wir der Öffentlichkeit und
auch dem Steuerzahler sicher gegenübertreten. Wir kön-
nen ihm sagen: Dein Geld ist gut angelegt; es ist zu-
kunftsorientiert und nachhaltig angelegt. Das ist das, was
uns gemeinsam weiterbringt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt muss ich leider noch etwas zur Erreichung der
ODA-Quote von 0,7 Prozent sagen.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt nichts Gutes!)


Ohne die Historie bemühen zu wollen: Seit 40 Jahren be-
mühen sich deutsche Entwicklungspolitiker, 0,7 Prozent
zu erreichen. Dies heißt, dass die bisherigen Minister bei
der Vorarbeit zur Erreichung der ODA-Quote nicht be-
sonders erfolgreich waren. Ich brauche nicht zu sagen,
dass ehemalige Bundeskanzler wie Herr Schröder auf
das Erreichen dieses Ziels definitiv keinen Wert gelegt
haben. Wir können feststellen, dass wir unsere Quote
zwar kaum verbessert haben, dass wir aber seit dem
Amtsantritt von Angela Merkel mehr als 2,5 Milliarden
Euro mehr in die Entwicklungszusammenarbeit gegeben
haben. Das kann man objektiv feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich brauchen wir hier mehr Geld. Es ist auch
richtig, dass wir daran arbeiten und an unserem Ziel be-
treffend die ODA-Quote festhalten. Wir sollten aber
nicht sagen, Sascha – und das macht ihr permanent –,
dass in dem Moment, wenn wir das 0,7-Prozent-Ziel er-
reicht haben, alles gut ist.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das macht auch keiner!)






Sibylle Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)


– Aber genau so kommt es rüber, liebe Freunde. – Ihr
sagt: Gebt uns mehr Geld, und schon wird alles gut. –
Nein, so geht es eben nicht. Wenn wir Entwicklungszu-
sammenarbeit und Entwicklungspolitik weiter konse-
quent betreiben wollen, dann reicht die Erfüllung des
0,7-Prozent-Ziels nicht aus. Es ist völlig verkehrt, dann
zu sagen: Wir haben 0,7 Prozent erreicht; jetzt ist alles
gut auf der großen weiten Welt.


(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch niemand gesagt! – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Mit der Argumentation können wir den ganzen Bundeshaushalt abschaffen!)


Das ist es, was hier suggeriert wird und was auch du ge-
rade wieder in deiner Rede gesagt hast, Sascha. Das ist
doch die Wahrheit; die kann man ruhig einmal sagen.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, weil es nicht die Wahrheit ist!)


Eigentlich wollte ich etwas ausführlicher auf ein an-
deres Thema zu sprechen kommen; aber die Zeit ist mir
weggelaufen. Lieber Sascha, du hast mir diese Zeit ge-
stohlen. – Mein Hobbythema ist das Thema Weltbevöl-
kerung, ein Querschnittsthema, wie es kein besseres
gibt. Hier geht es um Bildung, Ausbildung, Gesundheits-
versorgung, ländliche Entwicklung, wirtschaftliche Ent-
wicklung, Ernährung, Wasserversorgung, Abwasserver-
sorgung, Umwelt, Klima, Energie. Das alles sind
Themen, die auch uns beschäftigen. Wir müssen hier
sehr eng mit anderen Ressorts zusammenarbeiten, um
erfolgreich zu sein.

Ich hoffe – davon gehe ich aus –, dass wir mit unserer
erfolgreichen Entwicklungspolitik ganz entspannt in den
Wahlkampf gehen können. Wir können vor den Steuer-
zahler treten und sagen: Wir haben die Gelder zielge-
richtet, nachhaltig und sorgfältig eingesetzt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800500

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Heike Hänsel das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723800600

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Niebel, Sie stehen für schrumpfende Entwick-
lungsausgaben, für die Instrumentalisierung staatlicher
Entwicklungshilfe, für deutsche Wirtschaftsinteressen
und die Unterstützung von Freihandelsabkommen, die
die Existenzgrundlagen vieler Menschen in den Ländern
des Südens zerstören, und die Militarisierung von Ent-
wicklungszusammenarbeit. Sie stehen damit für eine
Politik, die Entwicklung verhindert, teilweise sogar ge-
fährdet, und nicht fördert.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn man sich die Kurzfassung Ihres Weißbuchs zur
Entwicklungspolitik anschaut, stößt man schon auf der
zweiten Seite auf Afghanistan und die Bundeswehr. Ge-

nau dort haben wir die Tragweite der Politik, die Sie vo-
rantreiben, der zivil-militärischen Zusammenarbeit mit
einer enormen Gefährdung der lokalen Hilfskräfte vor
Ort und der Bevölkerung, erlebt. Afghanistan ist aus den
Medien verschwunden; aber die Situation ist dort nicht
besser geworden. In Afghanistan wird weiterhin ge-
kämpft und gestorben. Die Entwicklung ist katastrophal,
auch die Sicherheitssituation. Wir haben jetzt das Pro-
blem, Herr Niebel, dass viele lokale Kräfte, die mit der
Bundeswehr zusammengearbeitet haben, gefährdet sind
und sogar in den Mitgliedstaaten der NATO Asylanträge
stellen, weil ihre Sicherheit nicht garantiert werden
kann. Das zeigt doch, dass Sie hier völlig auf dem Holz-
weg sind und dass Sie eine entwicklungsgefährdende
Politik in Afghanistan betreiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Genau diese vernetzte Sicherheit soll weiter vorangetrie-
ben werden. Sie haben eine Kooperationsvereinbarung
zwischen der GIZ und dem Verteidigungsministerium
abgeschlossen.

Sie setzen sich auch für eine enge Kooperation der
Bundeswehr mit den Entwicklungsorganisationen in fra-
gilen Staaten ein, das heißt, Sie wollen weiter die Milita-
risierung vorantreiben, anstatt zu entmilitarisieren. Wenn
eines gilt, dann doch das: Fragile Staaten brauchen nicht
noch weitere militärische Konzepte. Wir brauchen Ent-
militarisierung, sodass wir die Ursachen für Destabilisie-
rung bekämpfen können. Aber in dieser Hinsicht kommt
von Ihnen gar nichts. Sie destabilisieren die Regionen,
anstatt die Entwicklung in diesen Regionen zu fördern.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Finanzierung. Ich möchte in Erinnerung rufen
– das wurde hier schon breit debattiert –, dass Sie ganz
exklusiv der Minister waren, der sich bis zum Schluss
gegen jegliche neue Ansätze im Bereich Entwicklungs-
finanzierung gewehrt hat. An erster Stelle ist die Finanz-
transaktionsteuer zu nennen. Sie waren der erbittertste
Gegner, eine Finanzierung für die weltweite Bekämp-
fung der Armut zu ermöglichen. Deshalb sind Sie auch
kein Entwicklungsminister, sondern ein Verhinderungs-
minister.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Ihrem Weißbuch ist sehr viel von ländlicher Ent-
wicklung die Rede. Wir haben in den letzten Wochen
eine Diskussion über den Abschluss von Freihandelsab-
kommen mit Lateinamerika geführt. Sie und Ihr Ministe-
rium haben den Freihandelsabkommen massiv das Wort
geredet. Ich frage mich, wie Sie der Öffentlichkeit erklä-
ren wollen, dass Sie solche Abkommen vorantreiben, die
die Existenzgrundlagen gerade von Kleinbauern und
Kleinbäuerinnen in ländlichen Regionen – die Sie ja ei-
gentlich fördern wollen – massiv gefährden, weil sie
nicht mit den billigen Produkten aus der Europäischen
Union konkurrieren können. Damit zerstören Sie bisher
funktionierende Strukturen, für deren Reparatur Sie
Steuergelder ausgeben müssen, dabei könnten die Mittel
für Entwicklungshilfe anders eingesetzt werden. Das ist
ein völlig verquerer Ansatz. Wir müssen verhindern,





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)


dass vorhandene Entwicklungsfortschritte zerstört wer-
den. Deshalb brauchen wir keine Freihandelsabkommen,
sondern solidarische Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat der ecuadorianische Präsident Correa bei sei-
nem Besuch in Deutschland übrigens sehr eindrücklich
vermittelt. Er setzt sich dafür ein, dass wir gerechte Han-
delsbeziehungen aufbauen, damit die Länder des Südens
Wertschöpfungsketten aufbauen und sich unabhängig
machen können. Unser Ziel muss es sein, dass Entwick-
lungszusammenarbeit überflüssig wird, aber Sie verstär-
ken die Abhängigkeiten.

Herr Niebel, Sie stehen ganz klar für den verlängerten
Arm des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Sie
haben sich die Rohstoffpolitik auf die Fahnen geschrie-
ben. Sie wollen die Entwicklungszusammenarbeit und
den Zugang zu Rohstoffen verstärkt verzahnen. Dafür
haben Sie die entsprechende Infrastruktur geschaffen. Es
gibt eine Rohstoff-Taskforce zur Rohstoffversorgung der
deutschen Industrie. Wir haben jetzt eine Rohstoffson-
derbeauftragte; herzlichen Glückwunsch, Frau Kopp!

Ich frage mich: Wieso haben wir keine Sonderbeauf-
tragte für die Bekämpfung von Nahrungsmittelspekula-
tion? Warum haben wir keine Sonderbeauftragte für die
Kontrolle der Einhaltung von Arbeits- und ökologischen
Standards von deutschen und europäischen Unterneh-
men in den Ländern des Südens?


(Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist Chefsache! Das macht der Minister selbst! – Gegenruf der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eben nicht!)


Das wäre eine wichtige Funktion für das Ministerium.
Wir brauchen keine Sonderbeauftragte für deutsche
Rohstoffinteressen.


(Beifall bei der LINKEN)


In Ihrem Weißbuch finden sich keinerlei Strategien
dazu, wie Sie zum Beispiel die Kapitalflucht aus den
Ländern des Südens – eines der größten Probleme – be-
kämpfen wollen. Sie vertreten ganz klar einen überhol-
ten, neoliberalen wirtschaftspolitischen Ansatz, der mitt-
lerweile auch auf internationaler Ebene heftig kritisiert
wird.

Es gibt ein neues Manifest „Handeln Jetzt“ von welt-
weit führenden Wirtschaftswissenschaftlern, das besagt:
Dieses neoliberale Konzept ist überholt. Das sehen wir
an Europa. Das gilt erst recht für die Länder des Südens.
Wir brauchen solidarische Wirtschaftsbeziehungen, die
Armutsbekämpfung ermöglichen und die letztendlich zu
einer Unabhängigkeit der Länder des Südens führen.

Die Linke hat sich viele Gedanken darüber gemacht,
dass wir neue Ansätze brauchen. Die Frage ist: Wie kön-
nen wir den Weg zu neuen solidarischen Beziehungen
beschreiten?

Wir haben mit sozialen Bewegungen aus den Ländern
des Südens Leitlinien erarbeitet, die wir im Juni vorstel-
len wollen. Wir laden alle sehr herzlich ein, mit uns da-
rüber zu diskutieren – natürlich auch Sie, Herr Niebel.
Da können Sie sicher noch einiges lernen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800700

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Ute Koczy.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723800800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mehrheitlich eine Nabelschau, ist dieses
Weißbuch viel zu selbstbezogen. Das Allerschlimmste:
Es fehlt der Wille, das Steuer für mehr globale Gerech-
tigkeit, für einen sozialen und ökologischen Umbau der
Weltgesellschaft herumzureißen. Dafür wären tiefgrei-
fende Veränderungen von Infrastrukturen, Produktions-
prozessen, Regulierungssystemen und Lebensstilen von-
nöten. Doch davon ist in diesem Weißbuch keine Rede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dabei sind dies die zentralen Punkte für eine Ent-
wicklungspolitik der Zukunft. Doch es ist anders. Das
Weißbuch ist ein Augenöffner. Selten klaffen Selbstdar-
stellung und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei
diesem Bericht zur Entwicklungspolitik.

Jan Garvert hat es für tagesschau.de auf den Punkt
gebracht: Auf ihrer Pressekonferenz haben Sie, Herr
Niebel, nicht wie ein Entwicklungsminister gesprochen,
sondern wie der Vorstandsvorsitzender eines DAX-Un-
ternehmens, das Bilanz zieht. Mehr Effizienz, bessere
Strukturen, Weltmarktführer, „win-win“ und mehr Geld
für die deutsche Wirtschaft durch jeden eingesetzten
Euro: Sie sprechen Business, wo es doch um zentrale
Belange von Menschen und um die Bekämpfung unge-
rechter Strukturen geht. Sie haben den Auftrag eines
Entwicklungsministers falsch verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben Entwicklungspolitik für liberale Interessen
instrumentalisiert und wollen uns das als neue Ehrlich-
keit verkaufen. Das nimmt Ihnen hier keiner ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, ich gebe zu, tatsächlich hatten Sie kei-
nen guten Start. Sie haben medial viel einstecken müs-
sen, vor allem deshalb, weil Sie mit Entwicklungspolitik
nichts am Hut hatten. Ich erkenne an, dass Sie sich enga-
giert in die Arbeit eines Ministers gestürzt und sich ein-
gearbeitet haben. Dennoch lautet das Fazit heute: Das
Experiment „Generalsekretär Dirk Niebel wird Entwick-
lungsminister“ ist gescheitert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben sich als Nebenaußenminister versucht,
dann als Vizeverteidigungsminister und zuletzt als Chef-





Ute Koczy


(A) (C)



(D)(B)


lobbyist des deutschen Mittelstands. Süffisant haben Sie
gegen Partner in der Entwicklungsarbeit ausgeteilt, diese
als Alpakapulloverträger lächerlich gemacht, ihr Haus
mit Begriffen wie Hirseschüsselministerium und Weltso-
zialamt herabgesetzt. Noch nie war das Verhältnis zwi-
schen den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen und der Füh-
rung im BMZ so schlecht.


(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Sie hatten von Anfang an das Ziel, möglichst viele
FDP-Parteibuddys in das BMZ einzuschleusen. Das
Prinzip der Einstellung nach Eignung, Leistung und Be-
fähigung wurde im Ministerium mit Füßen getreten. In-
haltlich arbeitende Referate blieben ausgedünnt, über-
flüssige Abteilungen wurden geschaffen und dann auch
noch aufgebläht.

Ich hätte mich im Rahmen einer entwicklungspoliti-
schen Debatte gerne auf Kernthemen konzentriert. Aber
mir bleibt nur der Weg, die falschen Aussagen, mit de-
nen Herr Minister Niebel hausieren geht, zu entlarven.
Fünf Punkte:

Erstens. Geschlechtergerechtigkeit: Mehr als zwei
Drittel der weltweit extrem Armen sind Frauen und
Mädchen. Was haben Sie gemacht, um das zu ändern?
Sie haben eher das Gegenteil bewirkt. Eine nur bis 2010
existierende Vorgabe im BMZ-Haushalt, welche die Mit-
tel für Gender Mainstreaming und Frauenförderung in
der deutschen EZ festlegte, haben Sie abgeschafft. Der
Gender-Aktionsplan für die Entwicklungspolitik ist ab-
gelaufen, die Neuauflage verschleppt.

Zweitens. Die Fusion der Durchführungsorganisatio-
nen: So, wie Sie das darstellen, stimmt das nicht. Sie ha-
ben die kleine Lösung gewählt. Den Kern des Problems
– die Zweiteilung von Technischer und Finanzieller Zu-
sammenarbeit – haben Sie nicht angepackt. Sie trauen
sich noch nicht einmal, das Problem in den Mund zu
nehmen. Sie ignorieren es. Sie haben bei dieser kleinen
Fusion die Bildungs- und Arbeitsstrukturen von InWEnt
und DED überrollt. Das wird uns noch lange negativ be-
schäftigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt haben wir die GIZ als Monopolisten, den Sie auf
pures Wachstum trimmen und zum Weltmarktführer auf-
bauschen. Versäumt wurde, dem Ganzen eine entwick-
lungspolitische Dimension zu geben.

Drittens. Wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr
Minister, es gibt keinen Grund, hier große Töne zu spu-
cken. Es ist nicht verkehrt, mehr Wirtschaft und mehr
Unternehmen in die Länder bzw. Regionen zu bringen,
um mehr Einkommen und Beschäftigung zu schaffen.
Verkehrt ist, so zu tun, als ob das nicht schon lange vor
Ihrer Zeit stattgefunden hätte. Noch verkehrter ist es, das
mit viel Gewese als Erfolgsstory zu verkaufen. Die Er-
gebnisse belegen doch, dass Sie nicht viel mehr als Ihre
Vorgängerin geschafft haben.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Und warum wird es dann so verdammt?)


Gemessen an dem, was Sie angekündigt haben, fallen
Sie sogar hinter sie zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Sie sagen, Sie hätten die Abstimmung zwi-
schen den Ministerien verbessert. Bei der humanitären
Hilfe haben Sie sich auf einen Kuhhandel eingelassen.
Gestern noch rühmten Sie sich der Verzahnung von Au-
ßenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenar-
beit. Dafür opfern Sie Werte und Anliegen der Entwick-
lungspolitik. Das Thema Menschenrechte taucht doch
nur auf, wenn es sich um kleinere, schwächere Länder
handelt. Wo ist das Thema, wenn es um China geht? Wo
bleibt Ihre Kritik daran, dass die Bundesregierung den
Export von Rüstungsgütern, zum Beispiel von Panzern,
nach Saudi-Arabien und Katar erlaubt? Wenn Sie als
Entwicklungsminister für eine globale friedliche Ent-
wicklung eintreten müssten, verschließen Sie die Augen.
Wir haben eine bilaterale Rohstoffpartnerschaft mit Ka-
sachstan, der Mongolei und Chile. Dabei werden Men-
schenrechte verletzt, Bürgerrechte übergangen, und auf
EU-Ebene werden auch von dieser Regierung Transpa-
renzinitiativen hintergangen.

Letzter Punkt, fünftens. Ökologische und strukturelle
Gefahren stellen einen gravierenden Einschnitt in die
Lebenswirklichkeit der Menschen, vor allem in Afrika,
dar. Für Sie ist das aber kein Grund, hier in Deutschland
Veränderungen einzufordern. Diese Regierung sieht sich
nicht in der Lage, sich kritisch gegen den wahnsinnigen
Wachstumstrend der Weltgemeinschaft aufzustellen. Sie
befeuern das Falsche, anstatt die Auswirkungen der ka-
tastrophalen Politik eines Immer-Mehr an den Pranger
zu stellen. Dabei müssten Sie sich als Entwicklungs-
minister für gerechte Strukturen, faire Handelsbeziehun-
gen und die Rechte der Menschen einsetzen, für all die,
die eine Stimme gegen die Politik der Mächtigen brau-
chen. Sie, Herr Minister, stehen auf der falschen Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723800900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Dr. Christiane Ratjen-Damerau.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP):
Rede ID: ID1723801000

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte

Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren!
Es ist schon sehr beschämend, wie sich die Opposition
an diesem Thema abarbeitet. Das ist insbesondere den
Partnerländern in der EZ unwürdig. Anstatt hier eigene
Konzepte vorzulegen und die Dinge konstruktiv anzuge-
hen, arbeiten Sie sich nur an dem Minister ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Es geht doch um die Bilanz des Ministers! Sie sprechen zu seinem Weißbuch! Das ist kein FDP-Parteitag!)


– Vom Weißbuch habe ich hier nichts gehört.





Dr. Christiane Ratjen-Damerau


(A) (C)



(D)(B)


Die FDP im Deutschen Bundestag steht für eine effi-
ziente Entwicklungspolitik, die gleichermaßen werte-
und interessengeleitet ist,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


für eine Politik, die darauf setzt, die Potenziale der Men-
schen in den Entwicklungsländern zu fördern, die sie in
die Lage versetzt, sich selbst zu helfen, ohne sie zu be-
vormunden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen keine neuen Abhängigkeiten schaffen,
sondern durch eine auf die einzelnen Entwicklungslän-
der zugeschnittene Politik Freiräume für eigene Ent-
wicklungsperspektiven eröffnen. Eine Entwicklungs-
politik mit liberaler Handschrift erkennt an, dass
Grundvoraussetzung für eine Entwicklung, von der die
Bevölkerung profitiert, die Einhaltung von Menschen-
rechten sowie von rechtsstaatlichen und demokratischen
Prinzipien ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb treten wir dafür ein, dass grundlegende Men-
schen- und Bürgerrechte wie Presse- und Meinungsfrei-
heit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit sowie das
Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung in den Ent-
wicklungsländern geachtet werden. Daran richten wir
unsere Entwicklungszusammenarbeit aus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heute diskutierte Weißbuch ist eine Bilanz der
Entwicklungspolitik der Bundesregierung und der Koali-
tion.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da ist das Weißbuch!)


Es zeigt uns an, ob wir den Kampf gegen Hunger und
Krankheit erfolgreich führen, und es zeigt uns, ob wir
die richtigen Mittel und die richtigen Strategien für die
Ärmsten in dieser Welt einsetzen.

Wir haben die Entwicklungszusammenarbeit in den
letzten vier Jahren neu ausgerichtet. Durch einen tief-
greifenden strukturellen Umbau hat die deutsche Ent-
wicklungszusammenarbeit an Effizienz gewonnen, ihre
Wirksamkeit gesteigert und ihre Sichtbarkeit erhöht.
Aufgrund der Stärkung der deutschen Zivilgesellschaft
in der Entwicklungszusammenarbeit und aufgrund der
Intensivierung des entwicklungspolitischen Dialogs en-
gagieren sich heute mehr Menschen denn je in der Ent-
wicklungsarbeit. Sie leisten im Rahmen ihres bürger-
schaftlichen Engagements wertvolle Arbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Entwicklung der Wirtschaft ist nicht alles – da hat
die Opposition sicherlich recht –, weder in Deutschland
noch im Rest der Welt. Aber ohne die Entwicklung der

Wirtschaft ist alles nichts. Uns ist es gelungen, die deut-
sche Wirtschaft und die Unternehmer gezielt in die deut-
sche Entwicklungsarbeit einzubeziehen. Wir fördern und
wollen mehr Wirtschaft und mehr Arbeitsplätze, um da-
mit die Zukunftsperspektiven in den Entwicklungslän-
dern zu verbessern.

Die europäischen und internationalen Partner sind
dem deutschen Beispiel der neuausgerichteten Entwick-
lungspolitik in den vergangenen Jahren gefolgt. Wir sind
mit unseren strengeren Maßstäben bei der Vergabe von
Budgethilfe und einer kohärenteren Entwicklungszu-
sammenarbeit Vorreiter und Ideengeber. Deutschland hat
sein entwicklungspolitisches Engagement in den fragilen
Staaten ausgebaut. Wir haben ressortübergreifende Leit-
linien zum Umgang mit fragilen Staaten entwickelt. Da-
bei helfen wir, Konflikte frühzeitig zu vermeiden. Denn
Entwicklungspolitik ist die effizienteste Friedenspolitik,
und das weltweit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber nicht die zivil-militärische Zusammenarbeit!)


Wir haben die strategischen Schlüsselsektoren für
eine zukunftsfähige Entwicklung erkannt, priorisiert und
gestärkt. Damit ist es uns gelungen, unsere Ziele enger
zu verknüpfen und unsere Arbeit neu auszurichten.
Durch unsere Politik – so hat der Minister es eben schon
gesagt – gab es in der Entwicklungsarbeit vier sehr gute
Jahre.


(Beifall der Abg. Helga Daub [FDP])


Dies haben wir auch aufgrund der guten Zusammen-
arbeit in der Koalition und mit dem Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung er-
reicht. Unsere Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, hat
uns Entwicklungspolitikern stets den Rücken gestärkt
und uns ermutigt, für die Zusagen Deutschlands weiter
einzutreten.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber kein Geld zur Verfügung gestellt!)


Unser Minister Dirk Niebel hat mit seinem Team frische
Ideen und neue und richtige Ansätze im Bundesministe-
rium umgesetzt und mehr erreicht als jemals ein Minister
vor ihm.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das ist ja wie ein Werbeblock für Zwischenrufe!)


Mit meiner Kollegin Sibylle Pfeiffer wie auch mit
vielen anderen Kollegen aus der Koalition im Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit gab es eine sehr
enge, sehr vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit.
Bei Ihnen allen bedanke ich mich ganz herzlich dafür,
dass wir gemeinsam erfolgreich in der Entwicklungspo-
litik zusammengearbeitet haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723801100

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Dr. Bärbel Kofler.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1723801200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nach diesem Werbeblock zurück zur Realität. Herr
Minister, Sie haben hier heute Ihren Schlussbericht vor-
gelegt. Er beweist wieder einmal das diffuse Verhältnis,
das Sie zur Entwicklungspolitik haben. Sie suggerieren
in diesem Schlussbericht, Sie hätten das Rad neu erfun-
den, die gesamte Entwicklungspolitik neu aufgestellt.
Nichts davon ist wahr. Sie haben in all den vier Jahren,
in denen Sie tätig waren, eigentlich nichts anderes getan,
als dieses Politikfeld zu diffamieren und damit die
Hauptamtlichen in den Durchführungsorganisationen,
die Hauptamtlichen in Nichtregierungsorganisationen
und insbesondere ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen
und Bürger vor den Kopf gestoßen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit den Zitaten von Ihnen könnte ich eigentlich
meine ganze Redezeit bestreiten. Die Bezeichnung
„Weltsozialamt“ ist bereits angesprochen worden. Damit
haben Sie Ihr eigenes Ministerium diffamiert. Sie spre-
chen solch schöne Sätze wie den folgenden aus: Tanz-
therapie zur Traumabewältigung braucht man nicht
mehr. Solche Aussagen zeigen, dass Sie von Konfliktbe-
arbeitung, von Friedensarbeit keinen blassen Schimmer
haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen, die sich in diesem Land ehrenamtlich
engagieren, für internationale Zusammenarbeit und Soli-
darität stehen, mit Bürgern darüber diskutieren und diese
Gedanken weiterbringen, diffamieren Sie, indem Sie sa-
gen, sie würden in einer „politischen Kuschelecke“ le-
ben – dieses Zitat ist von Ihnen, Herr Niebel – und sich
mit dem Stricken von Alpakapullovern beschäftigen. So
kann man doch mit Menschen, die sich in der Entwick-
lungszusammenarbeit engagieren und wirklich Armut
bekämpfen wollen, nicht umgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies zeigt nur eines: Sie haben nicht begriffen, was in
der Entwicklungspolitik wirklich geleistet wird, was von
den Menschen geleistet wird. All das, dessen Sie sich in
Ihrem Schlussbericht so rühmen, ist eigentlich das Er-
gebnis der Arbeit und Leistungen all dieser Menschen.
Das hat mit Ihrer Politik Gott sei Dank nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich den Bericht genauer anschaut, findet
man dort nichts besonders Neues. Sie tun ja immer so,
als hätten Sie das Rad neu erfunden. Nein, das Rad gibt
es schon über Jahrtausende. Sie mussten es nicht neu er-

finden. Im 12. und im 13. entwicklungspolitischen Be-
richt – diese sind von 2005 und 2008 – kann man lesen,
dass Effizienz in der Zusammenarbeit ein wichtiges
Thema ist. Ja selbstverständlich ist das so. Niemand
sagt, dass man nicht auf Wirksamkeit und Effizienz ach-
ten muss. Liebe Kollegin Pfeiffer – Sie sind schon so
lange in diesem Ressort tätig –, wenn Sie behaupten, die-
ser Gedanke sei in Ihrer Regierungszeit neu entstanden,
muss ich Ihnen wirklich sagen: Über Ihr Gedächtnis
möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen.

Denken Sie nur an den Monterrey-Konsens 2002, die
Paris-Agenda und die Ergebnisse der Konferenzen von
Accra und Busan. Um was ging es denn da? Um die
Wirksamkeit in der internationalen Zusammenarbeit und
um die Frage, wie wir die Mittel, die wir zur Verfügung
haben, zum Schutze der Armen und zur Hilfe für die Ar-
men in der Welt besser einsetzen können. Darum muss
es in Zukunft gehen, und darum wurde auch bisher im-
mer gerungen. Im besten Fall könnte man sagen, Sie
stünden in dieser Kontinuität, wenn Sie wirklich neue
Akzente gesetzt oder einen ordentlichen Beitrag geleistet
hätten. Wirksamkeit ist aber keine Niebel’sche Erfin-
dung. Wirksamkeit ist ein Thema, an dem die Entwick-
lungspolitiker kontinuierlich gearbeitet haben und arbei-
ten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum machen Sie das Ganze? Das ist eine reine Ver-
schleierungstaktik. Sie haben keine ausreichenden Mittel
zur Verfügung gestellt und internationale Vereinbarun-
gen nicht eingehalten. Im Endeffekt – wenn Sie ganz
ehrlich sind, müssen Sie das zugeben – haben Sie das
größte nicht wirksame Bürokratiemonster in Ihren Ko-
alitionsvertrag geschrieben. Kein Mensch redet von ei-
ner Ein-Drittel/Zwei-Drittel-Aufteilung in bilaterale und
multilaterale Mittel. Es muss doch um Wirksamkeit im
Sinne der Armutsbekämpfung gehen. Es darf aber nicht
darum gehen, ob es sich um nationale oder internationale
Töpfe handelt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie diffamieren Organisationen wie den Global Fund
– das haben Sie auch letzte Woche in Ihrer Regierungs-
erklärung getan –, der sich wirklich große Verdienste er-
worben hat, wenn es um die Bekämpfung von Aids, Tu-
berkulose und Malaria geht. Sie stellen sich wieder
einmal als Chefaufklärer dar und tun so, als hätten Sie
alle möglichen Verfehlungen entdeckt und diese abge-
stellt. Gar nichts haben Sie in diesem Bereich getan. Die
Organisation selbst hat durch effiziente und gute Eigen-
kontrolle Probleme in Partnerländern aufgedeckt. Sie ha-
ben das als Vorwand benutzt, um Mittelkürzungen, die
Sie schon ein Jahr zuvor umsetzen wollten, nachträglich
zu rechtfertigen. So erreicht man bestimmt nicht mehr
Zusammenarbeit und mehr Effizienz in der internationa-
len Entwicklungspolitik.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


Die Haushaltsmittel sind schon angesprochen wor-
den. Sie müssen sich auch daran messen lassen, was Sie
in Ihrem „tollen“ Weißbuch geschrieben haben. In der
Kurzfassung heißt es auf Seite 8, dass die Bundesregie-
rung weiterhin anstrebt, einen Anteil der öffentlichen
Entwicklungszusammenarbeit am BNE in Höhe von
0,7 Prozent bis 2015 zu erreichen. Hier sind Sie gefor-
dert. Sie müssen sagen, wie Sie das mit Blick auf die
verbleibenden Haushalte schaffen wollen. Genau dieser
Verantwortung stellen Sie sich aber nicht.


(Stefan Rebmann [SPD]: Die Kanzlerin hat die Leute im Stich gelassen!)


Das bedeutet natürlich nicht, dass die Opposition, wenn
das Ziel von 0,7 Prozent bis 2015 erreicht werden sollte,
sagen würde: Alles ist gut. – Aber es ist ein wichtiger
Baustein, Mittel aufzubringen, um die Armut wirklich
nachhaltig bekämpfen zu können. Das tun Sie aber nicht.
Die Kanzlerin hat versprochen, bis 2015 einen Anteil
von 0,7 Prozent zu erreichen. Man kann fast sagen: Die
Kanzlerin verspricht, der Minister bricht. – Wer an dem
Ganzen schuld ist, ob die Kanzlerin das insgeheim viel-
leicht sogar so wollte oder ob Sie Ihrer Regierungschefin
auf der Nase herumtanzen, bleibt dem geneigten Be-
obachter und der Spekulation überlassen. Aber verant-
wortliches Regierungshandeln ist das an dieser Stelle
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal die Schlüsselsektoren, die Sie
auflisten, an; auch hier tun Sie so, als hätten Sie die Welt
neu erfunden. Ich greife ein Thema heraus: das Klima.
Da gab es über zehn Jahre hinweg viele gute Ansätze.
Ich erinnere nur an die Klimakonferenz in Johannesburg
und daran, dass bereits vor acht Jahren festgestellt
wurde, dass wir 100 Millionen Euro für die Förderung
erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern zur Ver-
fügung stellen. Das ist ein Bereich, in dem wir noch we-
sentlich mehr tun müssen. Energiearmut ist nämlich, was
die nachhaltige Entwicklung betrifft, in vielen Ländern
ein sehr großer Hemmschuh. Aber Sie erfinden das Rad
nicht neu. Wenn man sich genau anschaut, was Sie tun,
dann muss man feststellen: unterm Strich nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie lassen ganze Themenblöcke, bei denen man einen
wirklichen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten
könnte, außen vor. Das Hohelied der Wirtschaft singen
Sie ja immer und überall gerne. Was Sie in diesem Zu-
sammenhang aber nicht singen, ist das Hohelied der
menschenwürdigen Arbeit. Ich habe von Ihnen noch
nicht ein einziges Mal auch nur einen Satz dazu gehört,
wie wirtschaftliche Aktivitäten in menschenwürdige Ar-
beit umgesetzt werden sollten, um zur Entwicklung tra-
gender, nachhaltiger Sozialstrukturen und -systeme bei-
zutragen. Das würde übrigens nicht nur den Menschen in
den Entwicklungsländern helfen, sondern auch den
Menschen in Deutschland, die immer wieder von So-
zialdumping und ausbeuterischen Bedingungen bedroht
sind, Herr Niebel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann eines feststellen: Die Themen, die wirklich
zur nachhaltigen Armutsbekämpfung beitragen, sind
– das sagt auch die ILO, die Internationale Arbeitsorga-
nisation –: menschenwürdige Arbeit, soziale Sicherung
und Basisschutz. Diese Themen interessieren Sie aber
nicht, Herr Niebel. Warum wohl? Weil wir Sozialdemo-
kraten das Thema soziale Sicherheit bereits in der letzten
Legislaturperiode als ganz zentrales Thema behandelt
haben. Dass Sie sich dafür nicht interessieren, ist ein gu-
ter Grund dafür, dass das, was wir heute hier von Ihnen
gehört haben, Ihre Schlussbilanz war. Das ist sehr gut so,
Herr Niebel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723801300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Dr. Christian Ruck das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723801400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach 23 Jahren als Mitglied im Entwicklungsausschuss
gehe ich davon aus, dass ich jetzt meine letzte entwick-
lungspolitische Rede halten werde.


(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)


– Ja, das finde ich auch schade. – Deswegen habe ich
auch in den sieben Minuten meiner Redezeit keine Zeit
und keine Lust, mich mit dem kleinkarierten oppositio-
nellen Unsinn zu beschäftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte die Zeit für ein Resümee, das auch mit
dem Weißbuch zu tun hat, nutzen.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist in unserem Sinn!)


Im Weißbuch steht wirklich viel, das man abarbeiten
kann. Man muss nicht mit allem einverstanden sein; es
enthält aber wichtige strategische Hinweise. Für die Ha-
benseite in diesen Jahren möchte ich feststellen: Wir
können nicht nur eine erhebliche Steigerung der Mittel
für die Entwicklungspolitik,


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Von 2005 bis 2009!)


sondern vor allem auch einen erheblichen Bedeutungs-
gewinn für die Entwicklungspolitik verzeichnen. Das ist
für mich etwas sehr Positives.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mit Rohstoffpartnerschaft!)


Die Entwicklungspolitik ist zu einem strategischen
Schlüsselbereich in einer globalisierten Welt geworden.
Die Aufgaben, die dieser Schlüsselbereich mit sich





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)


bringt, dienen auch unserer Sicherheit, unserer Wirt-
schaft und der Stellung Deutschlands in der Welt.


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist kein Widerspruch!)


– Das ist kein Widerspruch; genau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben viel erreicht; das muss man in der Öffent-
lichkeit auch immer wieder sagen. Wir haben in den Be-
reichen Alphabetisierung, Gesundheit und Armutsbe-
kämpfung viel erreicht. Aber – das ist auch wahr –: Wir
brauchen mehr Finanzmittel. Die Probleme sind nämlich
teilweise schneller gewachsen als die Lösungen. Zu den
Problemen gehören der Umweltbereich, zerfallende
Staaten, Bürgerkriege, Wildwestausbeutung und vieles
mehr. Die Welt ist komplizierter geworden.

Es gibt aber auch neue Geber. Ich glaube, dass die
deutsche Entwicklungspolitik die neuen Rahmenbedin-
gungen und Probleme gerade auch in den letzten Jahren
adressiert hat. So haben wir mit einer Erhöhung der Fi-
nanzmittel und der Effizienz reagiert. Effizienz ist nichts
Technokratisches. Es heißt nicht bloß: Wie setzt man das
Geld um? Es heißt vielmehr, dass man sich bemüht, aus
jedem zur Verfügung stehenden Euro für die Menschen
so viel wie möglich herauszuholen. Das bedeutet Effi-
zienz, und diese Art der Effizienz ist völlig richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben uns stärker auf Schlüsselthemen fokus-
siert. Wir legen auch stärkeren Wert auf Koordinierung,
Arbeitsteilung und Kohärenz. Ich sage es noch einmal:
Gerade in den letzten vier Jahren haben wir in diesen Be-
reichen große Fortschritte erzielt. Die Vorfeldreform ist
ein gewaltiger Schritt gewesen. Daran haben wir uns im
Vorfeld wirklich die Zähne ausgebissen. Ich möchte Ih-
nen nichts vorrechnen. Es war aber ein gewaltiger
Schritt nach vorn, und das ist positiv.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben einen personellen Aufwuchs zu verzeich-
nen; auch dafür haben wir gekämpft, und auch das ist
positiv. Wir haben neue Spielräume in der finanziellen
Zusammenarbeit geschaffen; das ist allerdings bisher
kaum gewürdigt worden. Es handelt sich dabei aber um
Milliardenbeträge, die positiv zu Buche schlagen. Au-
ßerdem, meine lieben Kollegen von der Sozialdemokra-
tie, haben wir bewährte Dinge, die früher eingeführt
worden sind, fortgeführt. Das verschweigt doch keiner.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber der Minister diffamiert das!)


Ich spreche vom Projekt „weltwärts“ und von der ver-
netzten Sicherheit.

Ich möchte im Hinblick auf die Zukunft der Entwick-
lungszusammenarbeit ein paar Punkte aus meinem Er-
fahrungsschatz der letzten 23 Jahre ansprechen.

Erstens. Das Entscheidende ist für mich der Wille zur
guten Regierungsführung.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hat Herr Niebel nicht!)


Dieser Wille zur guten Regierungsführung ist oft eine
Frage der Gunst der Stunde. Es ist gut, wenn wir auf
diese Gunst der Stunde schneller reagieren können, in-
dem wir mehr Flexibilität schaffen, zum Beispiel indem
wir unsere Stiftungen besser ausstatten und indem wir
auch unser Instrumentarium besser darauf einstellen,
solche Gunst der Stunde zu nutzen.

Zweitens. Es wäre ein schwerer Fehler, bei schlechter
Regierungsführung, bei fragilen Staaten, bei offensicht-
lich geringer Effizienz einfach wegzuschauen, dies zu
ignorieren oder diese Staaten als hoffnungslos abzutun.
Das Gegenteil ist vielmehr angebracht: Wir müssen auch
in diesen Fällen an den Baustellen weiterarbeiten. Wir
müssen auch – den Einstieg haben wir geschafft – die In-
strumente zur Unterstützung fragiler Staaten verbessern
und neue Dinge ausprobieren. Wir dürfen auch die Men-
schen in Simbabwe, in Nordkorea und anderswo nicht
alleinlassen, sondern müssen mit anderen Instrumenten
versuchen, für bessere Zeiten vorzubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In diesem Zusammenhang kann es – drittens – nicht
falsch sein, wenn wir für Bildung und Ausbildung alles
tun, was wir können; denn das ist die beste Investition in
eine bessere Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Viertens. Zu Kooperationen mit der Wirtschaft kam
heute auf der linken Seite wieder Unsägliches zutage.
All denen auf der linken Seite, die offensichtlich ein ver-
klemmtes Verhältnis zur Wirtschaft haben,


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sage ich: Unser Leitbild ist die soziale Marktwirtschaft
und nicht ein marktwirtschaftlicher Kapitalismus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Die Vorstellungen der christlich-liberalen Koalition zur
sozialen Marktwirtschaft schließen natürlich das Soziale
mit ein, und dafür stehen wir. Ich sage auch: Es gibt für
kein Entwicklungsland eine Entwicklung ohne Wachs-
tum. Zu glauben, dass es Entwicklung ohne Wachstum
gäbe, ist völliger Schwachsinn.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber das Wachstum muss in den Entwicklungsländern bleiben!)


Mir sind Investitionen deutscher Unternehmen im
Kongo wesentlich lieber als Investitionen anderer Län-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich habe nämlich eine hohe Meinung von deutschen Un-
ternehmen und von den mit deutschen Investitionen ver-
bundenen ethischen und sozialen Standards.





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)


Fünfter Punkt: Schutz der Umwelt und der natürli-
chen Ressourcen. Ich kann nicht verhehlen, dass ich be-
sonders stolz bin auf das, was im Bereich Erhaltung der
Schöpfung gelungen ist. Ich rufe alle hier auf – von wel-
cher Partei auch immer –, diesen Schatz zu hüten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723801500

Herr Kollege Ruck, erlauben Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Hänsel von der Linken?


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723801600

Also gut, weil das heute meine letzte Rede zur Ent-

wicklungspolitik ist. – Stellen Sie am besten eine Frage,
die meine Redezeit substanziell verlängert.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723801700

Ja, Herr Ruck: Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Ihre

guten Ideen noch etwas länger zu verbreiten.

(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD)


Herr Ruck, Sie sprachen von wirtschaftlichem
Wachstum in den Ländern des Südens. Da kann ich Ih-
nen sagen: Das ist auch ein Anliegen der Linken.


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Was?)

Die Frage ist nur: Wer betreibt denn die Wertschöpfung,
und wie kommen wir dazu, dass die Hauptwertschöp-
fung in den Ländern des Südens verbleibt? Bisher ist es
nach wie vor so, dass die Länder des Südens vor allem
Rohstofflieferanten sind und der größte Profit durch die
Verarbeitung in den Industriestaaten gemacht wird, die
den Ländern des Südens die hochverarbeiteten Produkte
für teures Geld wieder verkaufen.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann müssen die Länder des Südens eben damit beginnen, die Produkte selber zu verarbeiten! Meine Güte!)


Das ist pure profitorientierte Marktwirtschaft, die durch
die Freihandelsabkommen verstärkt wird. Deshalb sind
wir gegen diese Freihandelsabkommen.

Jetzt frage ich Sie: Können Sie mir konkrete Beispiele
nennen, wo in den Ländern des Südens durch Unterstüt-
zung aus Europa, aus Deutschland in großem Maße
Wertschöpfungsketten aufgebaut wurden?


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Die gibt es nicht, weil die wirtschaftliche Zusammenarbeit am Anfang steht! Da müssen wir erst einmal hinkommen!)


Ein ganz konkretes Beispiel: Bolivien verfügt über große
Lithiumvorkommen. Bolivien würde sehr gerne vor Ort
eine Lithium-verarbeitende Industrie aufbauen,


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das machen sie auch!)


mit Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen, und Li-
thium-Akkus, die für die Elektromobilität benötigt wer-
den, herstellen. Vertreter Boliviens reisen seit mehreren
Jahren durch Europa. Dennoch gibt es bisher keinen ein-
zigen Investor, der bereit ist, dort zu investieren, und
zwar weil die Profitbedingungen dort nicht gut genug
sind.


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Ist das noch eine Frage? – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Stellen Sie einmal eine Frage!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723801800

Frau Kollegin Hänsel, bitte. Kurz und präzise sollen

die Fragen sein.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723801900

Ich wiederhole meine Frage: Können Sie mir Bei-

spiele nennen, wo Wertschöpfungsketten in den Ländern
des Südens aufgebaut wurden?


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein, weil wir wirtschaftliche Zusammenarbeit früher nie gemacht haben! Wir stehen am Anfang!)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723802000

Liebe Frau Kollegin, ich bin Ihnen sehr dankbar für

diese Frage, weil ich dadurch meine Punkte 7 bis 10 da-
ran abarbeiten kann.

Eines unserer größten Probleme ist in der Tat die
Rohstoffhausse – in jeder Hinsicht: von der Energie bis
zu Seltenen Erden. Sie stellt uns und natürlich auch die
Entwicklungsländer vor gewaltige Probleme. Die Fra-
gen, die Sie intoniert haben, lauten: Wie schafft man es,
dass der natürliche Reichtum dieser Länder nicht zum
Fluch wird? Wie verhindert man es, dass diese Länder
nur noch von ihren Rohstoffen leben und es zu Zustän-
den wie in Kongo, in Nigeria und anderswo kommt, wo
es gewaltige soziale und umweltpolitische Verwerfungen
gibt?

Hier sage ich Ihnen eines: Ausschlaggebend sind
auch hier wieder die Fähigkeit und der Wille der Ent-
wicklungsländer, mit diesen Rohstoffen entwicklungs-
orientiert umzugehen, das heißt, Wertschöpfungsketten
aufzubauen. Genau hier können wir unsere Expertise
einbringen, wenn die Staaten es denn wollen.

Nehmen Sie zum Beispiel Präsident Correa, den Sie
vorhin so gelobt haben. Correa geht auch einen schma-
len Grat in Bezug auf einen entwicklungsorientierten
Umgang mit diesen Rohstoffen. Dabei können wir ihm
mit all den Expertisen, die wir haben, helfen, zum Bei-
spiel mit dem Aufbau eines Steuersystems und auch mit
dem Aufbau von Weiterverarbeitungsketten, wenn die
Regierung das will und solche Entwicklungen gestattet –
Voraussetzung ist: Good Governance.

Selbst wenn wir bereit sind, all das zu liefern, brau-
chen wir eine internationale Zusammenarbeit. Hiermit
sind wir bei den Schwellenländern; diese stellen auch ei-
nen wichtigen Faktor dar. Wir müssen nicht mehr da-
rüber diskutieren, ob die Schwellenländer zu arm oder
zu reich sind, sondern wir müssen gerade gegenüber
Drittländern eng mit ihnen zusammenarbeiten – Stich-
wort: China. Das gilt insbesondere für den Rohstoffbe-
reich.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ist das noch ein Beispiel?)


– Ja, es kommt noch ein Beispiel.





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)



(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann warte ich noch!)


Ein sehr gelungenes Beispiel ist die Zusammenarbeit
mit der Provinz San Martín in Peru, in der der Kollege
Klein und ich neulich waren.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist aber schon eine sehr große Verlängerung Ihrer Redezeit!)


– Es wurde doch nach einem Beispiel gefragt. – Diese
Provinz hat sich durch Good Governance und einen aus-
gezeichneten Gouverneur von einer Provinz mit der
höchsten Entwaldungsrate zu einer Vorzeigeprovinz ent-
wickelt. Dort werden genau diese Wertschöpfungsketten
aufgebaut, und zwar auch mit unserer Entwicklungs-
hilfe.

Das heißt, es gibt Beispiele, aber es werden immer
zwei Seiten benötigt.

Sie haben dann noch etwas zu den internationalen
Abkommen gesagt. Ich halte es für vollkommen richtig,
dass wir bei internationalen Abkommen – vor allem von-
seiten der EU; das Neueste ist ja das Freihandelsabkom-
men der EU mit Peru und Kolumbien – darauf bestehen,
dass soziale und Umweltstandards eingearbeitet werden.
Das setzt aber voraus, dass wir in der EU – das wäre
mein Punkt 9 gewesen: Kohärenz und Koordination –
eine ordentliche Arbeitsteilung erreichen.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist nicht mehr gefragt worden! Keine weitere Verlängerung der Redezeit!)


Diese Arbeitsteilung muss natürlich beinhalten, dass
auch wir unsere Werte in die EU einbringen; ich glaube,
das werden wir tun. Nur als EU werden wir dann die
Verhandlungsmacht haben, um zum Beispiel auch Min-
deststandards für Menschenrechte und Ähnliches durch-
zusetzen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723802100

Herr Kollege Ruck, in Anbetracht Ihrer Ankündi-

gung, dass Sie Ihre letzte Rede zur Entwicklungspolitik
halten, bin ich heute natürlich besonders großzügig.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723802200

Vielen Dank, Herr Präsident.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723802300

Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie auch noch eine

Zwischenfrage der Kollegin Pfeiffer zulassen. – Das ist
dann aber die letzte Zwischenfrage, die ich zulassen
kann; denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723802400

Ja, gut.


Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1723802500

Lieber Herr Kollege Ruck, ich komme auf das zu-

rück, was die Kollegin Hänsel gesagt hat. Sie hat ganz
konkret nach den Möglichkeiten der Lithium-Industrie
in Bolivien gefragt. Sie haben in Ihrer allgemeinen Ant-

wort auf die Frage von Kollegin Hänsel ausgeführt, das
habe auch etwas mit guter Regierungsführung zu tun.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!)


Wie schätzen Sie denn die Regierungsführung des boli-
vischen Regierungschefs Evo Morales und somit das In-
teresse von Unternehmen aus der ganzen Welt, dort zu
investieren, ein?


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist ein demokratisch gewählter Präsident! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was ist denn das für eine Frage!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723802600

Herr Kollege Ruck, wir können jetzt nicht die Regie-

rungsführung in verschiedenen Ländern bewerten; das
geht jetzt etwas zu weit.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723802700

Jawohl.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723802800

Ich bitte um eine kurze Antwort.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723802900

Jawohl, eine kurze Antwort ist: Die Regierungsfüh-

rung in Bolivien kann ich nur als investitionsfeindlich
bezeichnen.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Danke schön! Das war’s! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das tut mir leid; denn Bolivien hat mir immer sehr am
Herzen gelegen. Auch da gibt es nämlich viel zu tun, um
Schöpfung zu bewahren.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bolivien hat darüber hinaus noch eine Bevölkerung! – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Erdgasvorkommen zulasten der Bevölkerung erschlossen!)


Die Regierungsführung in Bolivien ist vor allem durch
Chaos gekennzeichnet. Das ist eines der größten Investi-
tionshindernisse, die sich die bolivianische Regierung
selbst ins Nest gelegt hat.

Mein letzter Punkt, bevor ich zum Schluss komme,
ist: Internationale Zusammenarbeit – –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also, mit der Beantwortung!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723803000

Nein, Herr Kollege Ruck. Jetzt müssen Sie wirklich

zum Schluss kommen.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1723803100

Gut; dann komme ich gleich zum Schluss. – Ich habe

es immer als sehr wohltuend empfunden, dass wir mit
unserer Arbeit sehr selbstkritisch umgehen. Ich möchte
mich bei allen Kollegen bedanken, die ich in den letzten
23 Jahren erlebt habe, insbesondere aber bei den aktuel-





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)


len. Ich habe große Hochachtung vor all den Entwick-
lungsexperten, die ich getroffen habe. Ich glaube, wir
haben vieles erreicht. Ich würde mich freuen, wenn es
gelänge, den Kontakt mit Ihnen zu halten.

Ich wünsche Ihnen allen – in welcher Konstellation
auch immer; am besten natürlich in der jetzigen – viel
entwicklungspolitischen Erfolg; denn die Menschheit
braucht Sie. In diesem Sinne alles Gute!


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723803200

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kol-

lege Niema Movassat.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723803300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Niebel, Sie haben letzte Woche gesagt: „Wir sind Markt-
führer der Entwicklung in der Welt.“ Dieser Satz zeigt,
dass Sie nicht begriffen haben, was Entwicklungspolitik
bedeutet. Sie frönen dem Marktprinzip, das heißt Kon-
kurrenz und Gewinnstreben; aber die globale Entwick-
lung lebt vom solidarischen Miteinander. Das Ziel ist es,
Armut, Hunger, Krankheiten und Analphabetismus zu
besiegen, und zwar gemeinsam, nicht im Wettbewerb
gegeneinander.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Um es mit Ihren eigenen Worten zu sagen: Diese Äuße-
rung macht Sie nicht gerade zum weltweiten Marktfüh-
rer in Sachen Durchblick.

Mit dem heute diskutierten Weißbuch zur Entwick-
lungspolitik haben Sie wirklich ein Meisterstück an Ar-
roganz abgeliefert: 190 Seiten Selbstlob und Selbstherr-
lichkeit.

Die Fakten sprechen für sich: Obwohl es Deutschland
nach Aussage der Bundesregierung so gut geht wie nie
zuvor, obwohl Deutschland sich mehrfach dazu ver-
pflichtet hat, bis 2015 seine Entwicklungshilfequote auf
0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern und
obwohl eine Mehrheit der Abgeordneten öffentlich an
Sie appelliert hat, mehr Mittel für die Entwicklungszu-
sammenarbeit bereitzustellen, sinken die deutschen Bei-
träge. Im Weißbuch tun Sie so, als ob das 0,7-Prozent-
Ziel bis 2015 erreichbar wäre. Das kann nur jemand be-
haupten, der weiß, dass er ab der nächsten Legislatur
nichts mehr damit zu tun hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben das 0,7-Prozent-Ziel gemeinsam mit der
schwarz-gelben Koalition beerdigt, und das ist eine
Schande.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Trotzdem feiern Sie sich ständig selbst. Dass Sie Ihre
Bundeswehrmütze ungefragt dem Haus der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland übergeben haben, zeigt

Ihren Größenwahn. Sie betreiben Niebel-Propaganda
mit Steuergeldern. Man wird mit Ihren Hochglanzbro-
schüren und Selbstdarstellerkonferenzen zugeschüttet.
Da muss man fragen, ob es sich dabei nicht auch um
Gelder handelt, die für die entwicklungspolitische Bil-
dungsarbeit bestimmt waren und die Sie jetzt teilweise
zweckentfremdet haben.


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Bekannt ist auch, dass Sie Veröffentlichungen von
kritischen Nichtregierungsorganisationen, die von Ihrem
Ministerium bezuschusst werden, von Ihren Mitarbeitern
unter die Lupe nehmen lassen. Angeblich wollen Sie
Falschaussagen verhindern. Ich sage Ihnen: Sie wollen
unliebsame Inhalte verhindern. Was Sie machen, ist Zen-
sur, und das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Aber in Ihrem Weltbild erscheint Kritik ja per se al-
bern. Vor Ihnen waren eh alle doof im „Hirseschüsselmi-
nisterium“, wie Sie es genannt haben. Ganze Generatio-
nen von naiven Schlabberpulli-Idioten – das ist Ihr
bescheidener Blick auf die Welt. Damit beleidigen Sie
alle, die sich jahrelang für die Bekämpfung der weltwei-
ten Armut eingesetzt haben. Das ist respektlos.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das geht nicht spurlos an Ihren Mitarbeitern vorbei. In
einer gefakten Hausmitteilung Ihres Ministeriums haben
die Mitarbeiter Ihre neue Selbstbeschreibung als „Zu-
kunftsentwickler. Wir machen Zukunft“ satirisch umge-
wandelt in „Zugluftentwickler – Wir machen Heißluft“.
Erstens spricht das Bände über die interne Stimmung,
und zweitens haben die Mitarbeiter recht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als Ihren größten Erfolg feiern Sie, dass Sie die drei
Organisationen der Technischen Zusammenarbeit zur
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenar-
beit, GIZ, fusioniert haben. Aber auch dort ist laut einer
Umfrage die Mehrheit der Mitarbeiter unzufrieden mit
dem Fusionsprozess.

Ihre entwicklungspolitische Tätigkeit haben Sie als
„vier gute Jahre für Deutschland“ bezeichnet. Tatsäch-
lich waren es vier gute Jahre für die deutsche Wirtschaft.
Damit haben Sie aber komplett das Thema verfehlt. Ihr
Job wäre es gewesen, vier gute Jahre für die weltweite
Entwicklung zu gestalten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Die Daseinsberechtigung Ihres Ministeriums ist die
Bekämpfung der globalen Armut, des Hungers, unter
dem 1 Milliarde Menschen leiden, und der Krankheiten,
weil ein Drittel der Weltbevölkerung keinen Zugang zu
lebenswichtigen Medikamenten hat. Sie haben mit stolz-
geschwellter Brust herausposaunt: Für jeden Euro, den





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)


wir in die Entwicklungszusammenarbeit investieren,
fließen 3 bis 4 Euro zurück. – Im Klartext: Das Wohl der
deutschen Wirtschaft ist für Sie der zentrale Maßstab der
Entwicklungszusammenarbeit. Wie soll aber mit so ei-
nem Konzept Armut bekämpft werden? Ihre Politik führt
eher zu einem Abfluss von Ressourcen aus den Entwick-
lungsländern, als dass es sie stärkt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Sie haben letzte Woche gesagt: „Die Achtung der all-
gemeinen Menschenrechte ist unsere rote Linie.“ Letz-
ten Monat wurden in Saudi-Arabien sieben junge Män-
ner öffentlich hingerichtet. Wo war da Ihr Aufschrei?


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Ist das ein Entwicklungsland?)


Diesem menschenfeindlichen Regime liefert Deutsch-
land sogar Panzer, und das mit Ihrer ausdrücklichen Bil-
ligung im Bundessicherheitsrat. Und nebenbei fördert
die staatlich-deutsche Organisation GIZ die Ausbildung
saudischer Soldaten. Das schlägt dem Fass den Boden
aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mein Fazit: Die nächsten vier Jahre ohne Sie und Ihre
Nichtentwicklungspolitik – das ist das Beste für dieses
Land und für die Ärmsten auf der Welt.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723803400

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der

Kollege Thilo Hoppe.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723803500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Aufreger im Weißbuch steht auf Seite 25 – ich zitiere –:

Die Bundesregierung strebt weiterhin an, bis 2015
einen Anteil der öffentlichen Entwicklungszusam-
menarbeit am BNE in Höhe von 0,7 Prozent zu er-
reichen.

Ein tolles Ziel – das finden wir alle wunderbar.

Aber, Herr Minister, bitte erklären Sie uns, mit wel-
cher magischen Formel diese Bundesregierung das
Kunststück fertigbringen will, durch Kürzung des Ent-
wicklungsetats – so geschehen in diesem Jahr und ge-
plant im nächsten Jahr – die ODA-Quote von jetzt
0,38 Prozent bis 2015 auf 0,7 Prozent zu steigern. Wie
man durch eine Kürzung eine Steigerung erreichen will,
erschließt sich mir überhaupt nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Für diejenigen, die uns heute zuhören: Im Jahr 2005
hat Deutschland fest zugesagt, seine Ausgaben für Ent-
wicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe konti-

nuierlich zu steigern und dafür bis 2015 das sogenannte
0,7-Prozent-Ziel zu erreichen, also 0,7 Prozent von al-
lem, was in Deutschland erwirtschaftet wird, zur Über-
windung von extremer Armut und von Hunger einzuset-
zen.

Holland, Schweden, Dänemark, Norwegen haben ge-
halten, was sie versprochen haben. Auch England, eine
vergleichbare Volkswirtschaft, ist auf gutem Wege, das
0,7-Prozent-Ziel pünktlich zu erreichen. Deutschland
hingegen ist weit davon entfernt; es ist auf halbem Wege
stehen geblieben und müsste innerhalb von zwei Jahren
seine Ausgaben für Entwicklung fast verdoppeln, um
von 0,38 auf 0,7 Prozent zu kommen.

2011 gab es, wie bereits erwähnt, eine Initiative von
mehr als 360 Abgeordneten aus diesem Parlament. Alle
Fraktionen waren vertreten. Wir forderten, das 0,7-Pro-
zent-Versprechen endlich ernst zu nehmen und die Ent-
wicklungsgelder von 2012 an jährlich um 1,2 Milliarden
Euro zu steigern; denn nur so hätte man noch die Kurve
kriegen können. Nur so hätte man es noch geschafft, das
0,7-Prozent-Ziel fristgerecht zu erreichen. Doch diese
Initiative wurde weder von Ihnen noch von der Bundes-
kanzlerin unterstützt. Die Koalitionsmehrheit verhin-
derte den notwendigen Aufwuchs der Mittel.

Im letzten Jahr kam es dann ganz dicke: Da wurde der
Entwicklungsetat zum ersten Mal seit vielen Jahren ge-
kürzt, und dann noch um 86 Millionen Euro. Zugegeben:
Diese Kürzung war von der Regierung so nicht geplant.
Das gesamte Kabinett wurde von einem Streichkonzert
Ihrer Haushälter überrascht; Dirigent war Herr
Koppelin. Aber Sie, Herr Niebel und die Kanzlerin, ha-
ben sich das gefallen lassen. Wir, die Grünen, kamen in
die ganz eigenartige Position, den Haushaltsentwurf die-
ser Regierung zu verteidigen und verbunden mit nament-
licher Abstimmung den Antrag auf Zurückweisung die-
ser Kürzung zu stellen. Ich kann bis heute nicht
verstehen, Herr Niebel, warum Sie damals unseren Ver-
such, zu retten, was noch zu retten war, als „Spielchen“
abgetan haben und der Kürzung Ihres eigenen Etats zu-
gestimmt haben. Ich bemühe mich sonst immer um ei-
nen sachlichen Ton, aber sorry: Das war wirklich schizo-
phren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


dass Sie die Kürzung des Etats heftig kritisierten, dem Bun-
destag die Schuld für die Nichterreichung des 0,7-Prozent-
Ziels gaben, aber dann als Abgeordneter genau dieser
Kürzung zugestimmt haben. Dass es auch anders geht,
haben der werte Kollege Ruck, die Kollegin Wöhrl, Frau
Weiss, Herr Heinrich und Herr Klimke gezeigt. Diese
fünf Abgeordneten der Union haben der Kürzung eben
nicht zugestimmt.

Herr Niebel, dann haben Sie sich in Interviews über
das 0,7-Prozent-Ziel lustig gemacht, gaben zu, dass man
sich de facto davon verabschiedet hat, nannten es ein
„totgerittenes Pferd“. Aber jetzt finden wir in dem Weiß-
buch wieder den schönen Satz, den ich zu Beginn zitiert
habe: Wir streben weiterhin an, das 0,7-Prozent-Ziel bis





Thilo Hoppe


(A) (C)



(D)(B)


2015 zu erreichen. – Das ist dreist, das ist Volksverdum-
mung; denn so bitter es ist: Das 0,7-Prozent-Ziel kann
jetzt bis 2015 überhaupt nicht mehr erreicht werden,
selbst wenn Sie Lotto spielen und ganz viel gewinnen
würden. Man kann nämlich in der Entwicklungszusam-
menarbeit nicht jeden x-beliebigen Betrag innerhalb
kurzer Zeit sinnvoll ausgeben. Gute Entwicklungspro-
gramme brauchen einen Vorlauf, müssen mit den Part-
nern ausgehandelt werden – unter Beteiligung der Ziel-
gruppen. Es wäre ja auch Quatsch, Geld zu verpulvern,
nur um eine Zielmarke fristgerecht zu erreichen.

Wir werden morgen auf unserem Bundesparteitag ein
Programm mit einem gut durchgerechneten und fachlich
geprüften ODA-Aufholplan verabschieden. Darin ist
vorgesehen, in den nächsten vier Jahren jährlich 1,2 Mil-
liarden Euro mehr für Entwicklung und humanitäre Hilfe
einzustellen und zusätzlich jedes Jahr 500 Millionen
Euro mehr für den internationalen Klimaschutz. Mit die-
sem ODA-Aufholplan können wir das Ziel zwar nicht
bis 2015 erreichen, aber immerhin innerhalb einer Legis-
laturperiode. Ich bin froh, dass bei den Sozialdemokra-
ten Ähnliches im Programm steht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723803600

Herr Hoppe, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723803700

Danke. – Jetzt gibt es wirklich die Möglichkeit, die-

sen ODA-Aufholplan in Angriff zu nehmen. Die Chance
besteht, dass sich Deutschland dann endlich solidarisch
zeigt und seine Zusagen endlich ernst nimmt. Sie besteht
aber nur dann, wenn uns die Wählerinnen und Wähler
dafür einen Auftrag geben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723803800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege

Jürgen Klimke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1723803900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Bilanz dieser Bilanz-
debatte: Die Opposition kritisiert, die Regierung feiert
die Erfolge. Zwischenstand der Debatte wie in den letz-
ten Tagen: mindestens 4 : 1 für die Erfolge.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: 8 : 1!)


Die Erfolge sind dadurch begründet, dass die Entwick-
lungszusammenarbeit bei uns einen neuen Stellenwert
bekommen hat. Wir sind aus dieser Gutmenschenecke
herausgekommen und haben die Entwicklungspolitik zu
einem Kernthema der Bundespolitik gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich gemausert.
Wir können von einer grundsätzlichen Neuausrichtung
reden. Diese grundsätzliche Neuausrichtung war aus Ex-
pertensicht dringend notwendig, hat doch die frühere
Ministerin immer an diesem veralteten Bild der Ent-
wicklungshilfe festgehalten.

Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik ist
keine Politik der milden Gaben mehr, sondern sie muss
wirksam und nachhaltig sein. Das ist das Entscheidende.
Dazu haben wir uns durchgerungen und das konsequent
umgesetzt. Das zeigen auch die neuen Strukturen, die
wir aufgebaut haben. Wir haben eine Entwicklungszu-
sammenarbeit geschaffen, die den Menschen in den
Schwellen- und den Entwicklungsländern nutzt und die
vor allen Dingen auch der deutsche Steuerzahler ver-
steht. Er hat inzwischen großes Verständnis dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Reformen sind nur ein Ausschnitt unserer ge-
meinsamen Anstrengungen, aber ein sehr wichtiger. Man
kann sie mit den Stichworten „Konditionierung“, „Eva-
luierung“ und „Effektivierung“ zusammenfassen.

Erster Punkt. Konditionierung heißt: Verschlechterun-
gen, aber auch Verbesserungen in den Bereichen Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit haben Konsequen-
zen. Sie haben Konsequenzen für die Art und Höhe
unserer Entwicklungsmittel für einen Partnerstaat. Als
Grundlage dient ein verbindliches Menschenrechtskon-
zept, das wir in der Entwicklungszusammenarbeit eta-
bliert haben. Damit ist Deutschland Vorbild in der EU.
Alle Entwicklungsprojekte werden zukünftig einem
Menschenrechts-TÜV unterzogen. Dieser TÜV beinhal-
tet einen Kriterienkatalog, anhand dessen die Regie-
rungsführung und die Menschenrechtssituation in den
Partnerländern bewertet werden. Die Ergebnisse dieser
Bewertung sind dann Grundlage für Art und Ausgestal-
tung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Die-
ses Menschenrechtskonzept des BMZ ist absolut not-
wendig, damit wir in der Außenpolitik und mit unseren
diplomatischen Appellen für Menschenrechte glaubwür-
dig sind. Es passt nicht zusammen, dass wir einerseits
die Menschenrechtssituation in verschiedenen Ländern
kritisieren, andererseits Menschenrechtsverletzungen
durch Geldüberweisungen quasi noch belohnen. Das
geht nicht mehr.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Insofern ist das Menschenrechtskonzept letztlich auch
ein Beitrag zu mehr Kohärenz und Effektivierung der
Außen- und Entwicklungspolitik sowie ein Argument
für die Bürger unseres Landes, denen sehr viel an der
Stärkung der Menschenrechte weltweit liegt.

Zweiter Punkt: Evaluierung. Das bedeutet, dass man
die Wirkungen des entwicklungspolitischen Einsatzes
überprüft. Das erfordert eine ganz andere Herangehens-
weise als bisher. Zukünftig evaluieren wir nicht nur die
Umsetzung von Maßnahmen, sondern prüfen, ob auch
der erhoffte entwicklungspolitische Nutzen eingetreten
ist. Das macht die Entwicklungszusammenarbeit effi-
zienter und nachhaltiger. Auch damit erreichen wir viel
mehr Verständnis beim Steuerzahler. Die Menschen sind





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)


ja nicht dumm. Sie sind nicht gegen Entwicklungszu-
sammenarbeit, sondern sie befürchten, dass das Steuer-
geld nicht – wie es so schön heißt – unten, also bei den
Menschen in den Entwicklungsländern, ankommt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Diese Befürchtung war ja in der Vergangenheit leider
nicht ganz unberechtigt. Deswegen haben wir ein Eva-
luierungsinstitut gegründet, das Wirksamkeit, Nachhal-
tigkeit und Wirtschaftlichkeit entwicklungspolitischer
Maßnahmen bewertet und vor allen Dingen fundierte
Empfehlungen für zukünftige Entwicklungszusammen-
arbeit liefert.

Der dritte Punkt ist die Effektivierung. Bei begrenzt
zur Verfügung stehenden Mitteln muss das Geld – wir
wollen auch sparen und zukünftige Generationen nicht
mit zu hohen finanziellen Ausgaben belasten – effizient
eingesetzt werden, um größtmögliche Wirkungen her-
vorzubringen. Auf diesem Weg haben wir viel geleistet
durch die angesprochene Vorfeldreform, also die Zusam-
menlegung der Durchführungsorganisationen zur Ge-
sellschaft für Internationale Zusammenarbeit, aber auch
durch die Reduzierung der Zahl der Partnerländer, durch
die Erhöhung der Steuerungskompetenz des BMZ, durch
Personalaufbau, durch die Stärkung der Außenstrukturen
des Ministeriums – so haben wir nun Entwicklungsrefe-
renten in den wichtigen Botschaften – und durch eine
bessere Koordinierung vor allen Dingen mit anderen
Geldgebern.

Dass all dies in den letzten vier Jahren erreicht wer-
den konnte, ist eben auch das Verdienst ganz bestimmter
Personen.

Ich darf in diesem Zusammenhang als Erstes den
Minister nennen. So wie seine Entwicklungsarbeit ist, ist
er auch selber: konsequent und nachhaltig.

Es gibt aber auch Frauen in Führungspositionen. Die
neue Vorstandsvorsitzende der GIZ, Tanja Gönner, leis-
tet exzellente Arbeit.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Versorgungsposten! Abgewählt in Baden-Württemberg!)


Sie spielt die Stärken dieser hervorragenden Organisa-
tion aus. Dazu gehört auch die engere Kooperation der
Politik mit deutschen Unternehmen.

Zudem haben wir mit Christian Ruck, den wir eben
gehört haben, einen Kollegen, der entwicklungspoliti-
schen Sachverstand in allerhöchstem Maße verkörpert.
Er hat in den letzten Jahren in diesem Bereich deutlich
gemacht, wie man ihn prägen kann. Auch ein wesentli-
cher Teil des Koalitionsvertrages trägt seine Handschrift.
Wir sollten ihm gemeinsam für die unermüdliche Arbeit
in den vergangenen 20 Jahren danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich in den verbleibenden 21 Sekunden
noch einen kurzen Blick in die Zukunft wagen. Die Re-
formen sind nicht abgeschlossen. Die angesprochenen

Handlungsfelder Konditionierung, Evaluierung und Effi-
zienzsteigerung sind das eine. Aber es liegen in den
nächsten vier Jahren auch noch wichtige Aufgaben vor
uns, zum Beispiel Korruptionsbekämpfung als ein Teil
der Konditionierung. Wir arbeiten nur mit einem Land
zusammen, wenn dort die Korruption bekämpft wird.
Eine bessere Transparenz und eine bessere Abstimmung
der Geber untereinander sind ebenfalls wichtig. Wir se-
hen das jetzt in Myanmar. Das Land wird fast zugeschüt-
tet mit Geldern, wobei die Projekte nicht richtig koordi-
niert werden können. Es ist zwar gut, dass dort viel Geld
hinfließt, aber es muss besser und effektiver eingesetzt
werden.


(Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU])


Ein letzter Punkt: Koordinierung innerhalb der Minis-
terien ist für uns ein wichtiger Zukunftsaspekt, Koordi-
nierung im Bund-Länder-Bereich ein weiterer. Es steht
also viel an. Packen wir es für die nächsten vier Jahre so
erfolgreich an wie in den letzten vier Jahren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723804000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Karin Roth für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1723804100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die entwicklungspolitische Debatte ist so wich-
tig, dass man nicht nur mit Schlagworten agieren darf;
vielmehr muss man auch sehen, was geschehen ist und
was man versprochen hat. Im Koalitionsvertrag steht,
dass man in dieser Regierungszeit eine Ausgabenquote
von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die
Entwicklungspolitik und für die Finanzierung von Pro-
jekten und Maßnahmen erreichen will. Das war das Ziel.
Erreicht wurde dieses Ziel nicht. Es sind nur 0,38 Pro-
zent. Wenn man das damit begründet, dass das aufgrund
der Finanzkrise schwierig war,


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt? Hier hat das keiner gesagt!)


dann weise ich darauf hin, dass in den Niederlanden eine
Quote von 0,75 Prozent erreicht wurde. In Dänemark
waren es 0,85 Prozent, in Schweden über 1 Prozent, in
Norwegen auch. Man könnte die Liste noch weiter fort-
setzen.

Nein, Herr Minister Niebel, Sie und die Kanzlerin ha-
ben Großes versprochen, aber das Versprechen wurde
nicht gehalten. Das ist ein großer Fehler und schadet der
internationalen Glaubwürdigkeit; denn auf Deutschland
schaut die Welt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das nehmen wir wahr, wenn die Kanzlerin auf europäi-
scher oder internationaler Bühne etwas verspricht. Ver-





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)


sprechen und nicht halten, das nutzt Deutschland gar
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Heiderich möchte eine Frage stellen. Er darf es,
wenn der Präsident es zulässt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723804200

Ich lasse es zu. Aber Sie als Rednerin müssen es zu-

lassen.


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1723804300

Ja, ich habe schon gesagt, dass er es darf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723804400

Bitte schön.


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1723804500

Frau Kollegin Roth, Sie sind ja nicht die Erste, die

heute Morgen auf die Frage der ODA-Quote eingeht,
aber dabei doch vernachlässigt, darauf hinzuweisen, dass
die Mittel, die Deutschland für die Entwicklungshilfe
einsetzt, von Jahr zu Jahr angewachsen sind und dass wir
inzwischen, je nachdem, auf welchen Bericht man sich
bezieht, der weltweit drittgrößte Geber sind. Das zeigt,
dass diese Regierung sehr erfolgreich war. Ich glaube,
dass Sie dies in Ihrer Darstellung etwas stärker berück-
sichtigen sollten.

Meine Frage an Sie: Ist es nicht wesentlich bedeutsa-
mer und wichtiger – das haben einige Kollegen vorhin
schon gesagt –, dass wir darauf achten, was bei den be-
troffenen Menschen vor Ort tatsächlich ankommt und
was wir dort an Entwicklung anstoßen können? Ich
glaube, darauf sollten wir wesentlich mehr Wert legen.
Ich frage Sie, ob das nicht auch für Sie ein bedeutsames
Kriterium ist.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Hintertreiben des Versprechens!)



Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1723804600

Herzlichen Dank, Herr Heiderich, für diese Frage.

Natürlich ist die Frage der Effizienz richtig und wichtig;
das ist unbestritten. Wie sollten wir sonst den Menschen
in unserem Land erklären, wie wir mit unseren Steuer-
geldern umgehen? Zwischen der Frage der Effizienz und
der Frage der Höhe der Mittel besteht zunächst einmal
kein Zusammenhang. Wenn wir 0,7 Prozent verspre-
chen, sollten wir es einhalten. Kollege Hoppe hat ja ge-
rade ausgeführt, dass im letzten Jahr und in diesem Jahr
die Höhe der Gelder zurückgegangen ist, während man
im Weißbuch ankündigt, dass man 0,7 Prozent erreicht.
Welche Grundrechenart da zugrunde gelegt wird, er-
schließt sich mir nicht.

Die Themen Effizienz, Koordination und Kohärenz
sind unstrittig. All das sind große Themen. Aber man
muss in die Tiefe gehen, um die Wahrheit zu entdecken,
und dazu komme ich gleich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Wahrheit ist immer konkret. Wenn wir über Ko-
härenz sprechen, müssen wir uns die Frage stellen: Wie
wirkt sich das beim Lieblingsthema des Ministers, näm-
lich Wirtschaft, aus? Wir sind nicht dagegen, dass man
wirtschaftliche Zusammenarbeit organisiert. Warum
auch? Die Frage ist nur: Wie und mit welchen Konse-
quenzen? Denn wirtschaftliche Entwicklung ist natürlich
eine Voraussetzung dafür, dass die Entwicklungsländer
vorankommen können, und dazu gehört auch nachhalti-
ges und ökologisches Wachstum. Aber ebenso gehört die
Einhaltung sozialer Standards dazu, und dabei, meine
ich, haben wir einiges versäumt, zum Beispiel bei dem
Thema fairer Handel.

Sie erinnern sich: Wir hatten eine Debatte über die Si-
tuation der Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Ban-
gladesch. Vor zwei Tagen ist es erneut zu einer Katastro-
phe gekommen. Wir haben wieder gesagt: furchtbar,
traurig, schrecklich. Aber wir wussten schon vor einem
halben Jahr – eigentlich schon viel länger –, dass wir in
diesem Bereich mehr tun müssen, nämlich die deutschen
und die europäischen Unternehmen zwingen, dass sie
beim Vertragsabschluss mit ihren Partnern, den Zuliefer-
betrieben in diesen Ländern – Bangladesch und andere –,
die Einhaltung der sozialen und der Umweltstandards
einfordern.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Zusammenbruch eines maroden Hauses in Bangladesch zu tun?)


Darin waren wir eigentlich einer Meinung. Die Frage ist
nur: Was folgt daraus? Im Sinne der Kohärenz folgt da-
raus, dass wir im Rahmen der CSR-Richtlinie auf euro-
päischer Ebene nun die Voraussetzungen dafür schaffen,
dass die deutschen und die europäischen Unternehmen
die Lieferkettenkontrolle verbindlich einführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Was macht die Bundesregierung, Frau Pfeiffer? Sie or-
ganisiert eine Blockade – zunächst Herr Rösler, dann das
Arbeitsministerium –, indem sie die Verbindlichkeit der
Richtlinie in Freiwilligkeit ummünzt. Das bedeutet im
Kern: Es ändert sich nichts.

Deshalb ist das mit der Wirtschaft nicht so einfach;
denn Wachstum allein, ohne dass auf die Einhaltung von
Sozial- und Umweltstandards in den Ländern gedrängt
wird, ist nur der halbe Fortschritt.

Vor dem Hintergrund, dass wir davon profitieren, dass
es dort solche Arbeitsbedingungen gibt, bin ich sehr
froh, dass es viele Initiativen gibt, die sich gerade in die-
sem Zusammenhang – Fairer Handel, Saubere Kleidung –
ehrenamtlich engagieren. Ohne die Zivilgesellschaft wä-
ren wir in diesen Ländern nicht weit genug. Aber wir
brauchen natürlich auch die Hilfe der Gewerkschaften
und anderer Organisationen, damit sich dort etwas än-
dert. Wir müssen im Rahmen der CSR-Richtlinie unsere





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)


Verantwortung übernehmen und zeigen, dass wir das,
was wir versprochen haben, wirklich ernst meinen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das tun, was auch andere
europäische Länder wollen.

Ein weiteres Beispiel – da die Wahrheit ja immer kon-
kret ist – ist das Thema Frauenrechte; meine Kollegin
Koczy hat schon darauf hingewiesen. Das ist nicht nur
bei uns ein großes Thema in der Entwicklungspolitik.
Die Entwicklung der Frauen in den Ländern ist entschei-
dend für die wirtschaftliche Entwicklung. Aber was tun
Sie, Herr Minister? Sie haben als Erstes die verabredete
Zielgröße gestrichen. Danach haben Sie 30 Millionen
Euro irgendwie verteilt, und der Gender-Aktionsplan
2012, mit dem die Frauenrechte umgesetzt werden sol-
len, ist bis heute nicht fortgeschrieben.

Noch Weiteres kommt hinzu: Wir haben einen ge-
meinsamen Antrag zum Thema Genderpolitik gestellt.
Aber Sie haben diesen Antrag nicht ernst genommen.
Wenn Sie es getan hätten, dann hätten Sie all das, was
wir wollten, in Ihrer Zeit umgesetzt. Schade für die
Frauen und auch schade für unsere gute Zusammenar-
beit!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Thema „Soziale Sicherung“ ist ein Schlüs-
selthema für Entwicklung. Das ist die andere Seite der
Medaille. Ohne soziale Sicherung gibt es auch keine
wirtschaftliche Entwicklung. Das ist eine Sache, die be-
kannt ist. Aber was machen Sie daraus? Der Minister
kündigt als Erstes die Zielvorgaben im Haushalt für die
soziale Sicherung und unterstützt eben nicht soziale Pro-
jekte im Bereich des sozialen Basisschutzes – entgegen
den Vorstellungen der Europäischen Union, der Interna-
tionalen Arbeitsorganisation und der Weltbank. Ich bin
der Meinung: Hier müssten wir vorangehen mit unserer
Kompetenz, mit unseren Möglichkeiten der technischen
Hilfe, statt zu blockieren oder das Ganze im Grunde ad
absurdum zu führen, indem wir sagen: Das ist kein
Schwerpunkt. – Es muss in Zukunft wieder einen
Schwerpunkt „Soziale Sicherung“ geben. Deshalb wird
die Sozialdemokratie auch mit Budgethilfe international
helfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur so können wir wirtschaftliche Entwicklung und so-
ziale Gerechtigkeit umsetzen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723804700

Kommen Sie bitte zum Schluss!


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1723804800

Ja, ich komme zum Schluss. – Zu guter Letzt: Präsi-

dent Obama hat angekündigt, jährlich 1,6 Milliarden
US-Dollar für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von
Aids, Tuberkulose und Malaria zu geben, wenn andere

Länder ihren Beitrag auch verdoppeln. Das würde für
Deutschland bedeuten: nicht 200 Millionen Euro, son-
dern 400 Millionen Euro. Herr Niebel, Sie haben in Pres-
seerklärungen 1 Milliarde Euro für den Globalen Fonds
angekündigt. Das stimmt nicht. Es sind nur 200 Millio-
nen Euro jährlich.


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Wie viele Jahre?)


Für die nächste Auffüllkonferenz wären es 600 Millio-
nen Euro. Ich frage Sie: Wo bleibt Ihr Beitrag, der zeigt,
dass Sie endlich begriffen haben, dass der Globale Fonds
zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria
wichtig ist?


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt ist gut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723804900

Frau Roth, bitte.


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1723805000

Wir, die SPD, und auch die Grünen haben schon lange

die Verdopplung gefordert. Es ist Zeit, dass das kommt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723805100

Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1723805200

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Vor knapp vier Jahren haben wir dieses
Ressort übernommen. Lange hatte es den Ruf, ein Re-
formhort der Linken zu sein. Wir mussten aber erken-
nen, dass der Wind of Change der Globalisierung total
verschlafen worden war. Wir mussten eine Art mentale
Erschöpfung wahrnehmen; ich will jetzt nicht sagen:
Burn-out. Wir haben gemerkt: Da geht nichts mehr vo-
ran. Es bestand eine gewisse Selbstzufriedenheit, eine
Neigung, weiter Business as usual zu machen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie in Bayern!)


nach dem Motto: Wir machen jetzt mit unserer Budget-
hilfe einfach so weiter. Wir machen weiter mit unserer
ideologischen Friedenspolitik, wie wir sie bis jetzt ge-
macht haben. – Man hat sich nicht an die sich ändernden
Zeiten angepasst, wie das notwendig gewesen wäre.

Wir haben also ein solches Ministerium übernommen.
Wenn man Unternehmer gewesen wäre, hätte man sich
die Frage gestellt: Was mache ich angesichts des Burn-
outs dort? Wickle ich alles ab, oder stelle ich das total
neu auf? Wir haben die Aufgabe angenommen, dieses
Ministerium neu aufzustellen – das war eine Herkules-
aufgabe –, und zwar organisatorisch und strukturell.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir heute unsere Leistungsbilanz ziehen, muss
ich sagen:


(Stefan Rebmann [SPD]: Die Analyse zeigt: Ihr habt euch damals im Gefühl getäuscht!)






Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


Diese Reformschritte waren nicht einfach. Liebe Kolle-
gen von der Opposition, manchmal hätten wir uns ge-
wünscht, dass Sie uns ein bisschen mehr unterstützen
– wir arbeiten doch an einem gemeinsamen Ziel – und
dass nicht immer anderes so sehr im Vordergrund steht,
etwa: Wie schaut die Mütze des Ministers aus? Welche
Autos fahren die GIZ-Mitarbeiter? Das war nicht das
Wichtige, sondern wichtig war es, diese Reformschritte
zu machen, die Reform nach vorne zu bringen. Die inter-
nationale Anerkennung, die wir inzwischen wieder-
erlangt haben, zeigt uns, dass wir den richtigen Weg ein-
geschlagen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was war der Kern unserer Regierungspolitik? Was
war das Geheimnis, dass wir so gut vorangekommen
sind? Wir sind teilweise ja besser vorangekommen, als
wir ursprünglich selbst geglaubt haben. Das Geheimnis
war: Wir haben einen klaren Kurs gehabt. Es gibt einen
zentralen Begriff: Wirksamkeit. Der Begriff „Wirksam-
keit“ klingt nicht gerade sehr sexy, muss ich sagen.
Wirksamkeit, das klingt so einfach, aber es ist sehr
schwierig, das umzusetzen.

Wirksamkeit bedeutet zum Beispiel politische Steue-
rungsfähigkeit. Wir haben diese erhöht, indem wir alle
Organisationen zu einer zusammengelegt haben. Die nun
bestehende GIZ ist schlagkräftig. Wir haben internatio-
nal ein einheitliches Gesicht. Wir haben wieder ein deut-
sches Gesicht bekommen. Ich möchte mich bei allen
Mitarbeitern der GIZ herzlich bedanken, die in der Welt
unterwegs sind. Sie machen eine wirklich tolle Arbeit.
Danke für den guten Ruf, den wir durch Sie haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wirksamkeit bedeutet aber noch mehr. Wirksamkeit
bedeutet auch Ergebnisorientierung und Ownership. Was
heißt das? Wahr ist: Ohne Geld geht nichts. Das ist gar
kein Thema. Deshalb kann ich zu Recht darauf hinwei-
sen: Wir haben die Mittel immerhin von 8,7 Milliarden
auf 10,2 Milliarden Euro erhöht. Während der Bundes-
haushalt nur um 2,6 Prozent gewachsen ist, ist der Haus-
halt des BMZ um 17 Prozent angestiegen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber das stimmt doch nicht! Das ist ein Taschenspielertrick! Ihr rechnet das trickreich schön, aber es stimmt nicht!)


Das lässt sich doch sehen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. Darauf kann man doch stolz sein, vor allem auf-
grund der nicht einfachen Zeit, in der sich diese Regie-
rung durch die Finanzmarktkrise befunden hat. Wir sind
kein Almosenministerium. Das sind wir nicht und wol-
len wir auch nicht sein. Es ist wahr: Ohne Geld geht
nichts. Wahr ist aber auch: Mit Geld allein geht nicht al-
les.

Ich bin es einfach leid, dass man immer zuerst über
Geld spricht und dann erst über die Aufgaben.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei den Banken! Da sprechen wir ja gar nicht über Geld!)


Es muss umgekehrt sein. Wir müssen zuerst über die
Aufgaben reden und uns fragen: Was wollen wir errei-
chen? Was sind die Ziele? Dann kann man darüber spre-
chen, wie viel Geld man benötigt und wie man es effi-
zient und wirksam einsetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Afrika hat in den letzten 50 Jahren über 1 Billion Dol-
lar an Entwicklungshilfe bekommen. Vor diesem Hinter-
grund fragt Dambisa Moyo von der Weltbank in ihrem
Buch zu Recht: Geht es den Afrikanern heute wirklich
besser? Hat ihnen das Geld geholfen? Diese Fragen müs-
sen wir stellen. Auch die Weltbank hat in ihrem Bericht
festgestellt, dass 85 Prozent der Fördergelder nicht dort
eingesetzt worden sind, wo sie eigentlich hätten einge-
setzt werden sollen. Diese Themen müssen angegangen
werden. Entwicklungshilfe ist oft eher Teil des Problems
als Teil der Lösung. Man darf hier nicht blind sein.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Dann tun Sie was!)


Man darf nicht sozialideologisch verblendet sein. Man
muss sehen, dass es Probleme gibt, die man angehen und
lösen muss.

Dazu gehört, Eigenständigkeit einzufordern. Deswe-
gen ist es richtig, dass wir heute nicht mehr von Ent-
wicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammen-
arbeit sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Von Entwicklungshilfe reden wir seit 15 Jahren nicht mehr!)


Hilfe macht abhängig. Zusammenarbeit hilft, die eige-
nen Kräfte zu stärken. Die Staaten sind souverän; sie ha-
ben auch ihren Stolz. Sie wollen kein Taschengeld emp-
fangen. Sie wollen Hilfe, damit sie sich aus eigenen
Kräften selber entwickeln können. Das haben wir doch
gemerkt. Wie oft sind wir mit Delegationen in Ländern,
in denen gesagt wird: Nein, das Geld ist nicht das
Thema. Wir wollen etwas von eurem Wissen und eurem
Know-how. Wir wollen, dass unsere jungen Leute hier
zukünftig Arbeit bekommen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Es kommt doch nichts! Das ist das Problem!)


Das müssen wir erkennen und anerkennen. Wir müs-
sen ein Ziel haben – ich bitte Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, dieses Ziel zu unter-
stützen –: uns überflüssig zu machen, damit wir aus den
Ländern wieder herausgehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber nicht mit dem Freihandelsabkommen! – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sie können sich selber im September überflüssig machen!)


Die bemutternde Haltung, die in der Vergangenheit teil-
weise eingenommen wurde, widerspricht vollkommen
dem Subsidiaritätsprinzip. Das ist nicht unsere Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist Transparenz wichtig. Für uns ist Rechen-
schaftspflicht wichtig. Deshalb haben wir als erste Re-





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


gierung das Evaluierungsinstitut eingerichtet, damit wir
von Dritten kontrolliert werden. Früher habt ihr euch sel-
ber kontrolliert. Die wichtigste Frage ist nämlich, ob ein
Projekt gut und wirksam ist oder nicht. Wir sind auch
froh, dass die EU mit der „Agenda für den Wandel“ un-
serem Beispiel gefolgt ist.

Meine Damen und Herren, ein Punkt ist auch wichtig:
Wir haben uns um neue Partner gekümmert. Die Ent-
wicklungszusammenarbeit war zu lange ausschließlich
eine Domäne des Staates. Es war eine sozialpolitische
Doktrin: Der Staat wird es schon richten; der Staat ist da-
für zuständig.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei den Banken!)


Wir haben versucht, andere Partner ins Boot zu holen.
Sie haben lange gesagt, die Wirtschaft soll draußen blei-
ben. Auch bei Hilfsorganisationen war es so. Der soziale
Gedanke war richtig. Aber mit Wirtschaft und mit
Wachstum wollten Sie überhaupt nichts zu tun haben.
Das ist der falsche Ansatz. Wir haben gelernt. Auch
Weltbankpräsident Kim hat zugegeben, dass er es früher
ebenfalls anders gesehen hat. Er sagt: Die private Wirt-
schaft entwickelt sich nicht nur im mittelständischen Be-
reich, sondern auch im Entwicklungsbereich. Er sieht,
wie wichtig die mittelständischen Betriebe in diesem Be-
reich heute sind. Das ist eine Win-win-Situation. Auch
wir sind hier immens tätig.

Frau Hänsel, Sie haben vorhin nach der Wertschöp-
fungskette gefragt. Unsere Entwicklungsbank, die DEG,
ist hier unwahrscheinlich aktiv. Ein Beispiel: ein schwä-
bisches Unternehmen, das in Namibia eine Zementfabrik
betreibt. Namibia hat vorher Zement importieren müs-
sen, weil keine entsprechende Infrastruktur vorhanden
war. Jetzt wurden allein 300 Arbeitsplätze in diesem Be-
reich geschaffen, indirekt über 2 000 Arbeitsplätze, weil
die Infrastruktur ausgebaut wurde und der Zement jetzt
dort produziert wird. Es ist doch die beste Entwicklungs-
politik, wenn Arbeitsplätze in den Ländern geschaffen
werden. Das ist der erste Schritt, um die Armut zu be-
kämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Werteorientierte Entwicklungszusammenarbeit, wie wir
sie verstehen, steht nicht im Widerspruch zur Wahrung
unserer wirtschaftlichen Interessen, im Gegenteil.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723805300

Frau Kollegin Wöhrl, bitte denken Sie an die Zeit.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1723805400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Es gibt viele Tausende

Unternehmer, die auch Stifter sind,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil sie keine Steuern mehr zahlen müssen!)


viele Tausende Unternehmer, die sozial verantwortlich
agieren. Unsere CSR-Richtlinie ist in diesem Zusam-
menhang ein ideales Vorbild im Ausland. Wir sind froh,
dass wir sie haben.

Gestatten Sie mir einen letzten Satz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723805500

Aber nur einen Satz.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1723805600

Unsere neuen Partner in der Zukunft – das ist auch

nicht zu vergessen – sind unsere Kinder und Enkelkin-
der. Wir alle sollten daran arbeiten, sie für die künftige
Entwicklungszusammenarbeit, mit „weltwärts“ oder
dem Europäischen Freiwilligenkorps, zu begeistern. So
haben wir künftig viele Botschafter in der Welt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723805700

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt der Kollege Hartwig Fischer von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1723805800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Weißbuch ist die Darstellung von Fakten, es ist Bilanz
und Zukunftsherausforderung. Ich verstehe nicht von al-
len Bereichen der Entwicklungspolitik etwas, auch nicht
von allen Kontinenten.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das stimmt!)


Deshalb spreche ich nur über das, was Afrika betrifft.

Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede einen Appell
an uns alle richten: Lassen Sie uns nicht immer über den
Kontinent Afrika als Einheit sprechen, sondern lassen
Sie uns differenzieren – Afrika ist genauso differenziert
zu betrachten wie Europa: ein Kontinent mit 54 Ländern,
mit 54 Regierungen unterschiedlicher Art, unterschiedli-
chen Kulturen und unterschiedlichen Chancen –, nur
dann wird man den Ländern Afrikas gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Inhalt des Weißbuchs, was die globalen Ent-
wicklungen angeht. Wir wissen, dass wir unsere natürli-
chen Ressourcen schützen müssen. Wir wissen, dass es
in Afrika ein starkes Wirtschaftswachstum gibt, eine Be-
völkerungsdynamik, wir wissen, dass es verändertes
Konsum- und Produktverhalten gibt. Die Mittelschicht
wächst. Bis zum Jahre 2050 wird das Weltbevölkerungs-
wachstum von 7 auf 9 Milliarden steigen, aber die ver-
fügbaren Ressourcen werden nicht mehr.

Um der weltweiten Nachfrage nach Nahrungsmitteln
gerecht zu werden, müsste die Getreideproduktion bis
2050 um 40 Prozent steigen; die Fleischproduktion
müsste sich sogar verdoppeln. Seit 1960 sind 30 Prozent
der Anbauflächen aus verschiedensten Gründen verloren
gegangen. Das heißt, wir müssen mit dem Verbrauch von
natürlichen Ressourcen – Wasser, Land, Boden und Bio-
diversität – anders umgehen. Wenn wir so weiterma-
chen, brauchten wir bis zum Jahre 2035 – auch das geht





Hartwig Fischer (Göttingen)



(A) (C)



(D)(B)


aus dem Bericht hervor – einen zweiten Planeten in der
gleichen Größenordnung. Das zeigt: Wir brauchen neue
Entwicklungen.

Herr Minister, ich sage ausdrücklich – auch wenn wir
gestern im Ausschuss die Diskussion kontrovers geführt
haben –: Ich bin Ihnen dankbar, dass wir den Africa
Agriculture and Trade Investment Fund haben. In diesen
Fonds können KfW, Deutsche Bank und private Investo-
ren ihre Mittel einfließen lassen. Er soll Kredite und Ga-
rantien bereitstellen, um kleine und mittlere landwirt-
schaftliche Betriebe zu unterstützen.


(Beifall der Abg. Helga Daub [FDP])


Allein mit staatlichen Mitteln werden wir die Entwick-
lungen in den Ländern dieser Welt nicht so begleiten
können, wie es im Zusammenhang mit dem Wachstum
der Weltbevölkerung notwendig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich bitte die Opposition, zur Kenntnis zu nehmen
– das ist eben untergegangen –: Natürlich werden diese
Projekte – das steht auch in dem Programm – nur unter-
stützt, wenn sie den Anforderungen der ILO und den
IFC-Richtlinien entsprechen. Das heißt, dass Aspekte
wie Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, Ge-
sundheit am Arbeitsplatz, Bedingungen beim Lander-
werb, Biodiversität, Umgang mit dem kulturellen Erbe
vor Ort und Behandlung der einheimischen Bevölkerung
nachhaltig mit vereinbart werden. Das ist notwendig.

Die globale Wassernachfrage wird bis 2025 um 35 bis
60 Prozent steigen und sich im Jahr 2050 wahrscheinlich
verdoppelt haben. Ohne eine Effizienzsteigerung in die-
sem Bereich werden wir die Probleme auch auf unserem
Kontinent nicht lösen können. Deswegen bin ich dank-
bar, dass in der Entwicklungszusammenarbeit gerade der
Schwerpunkt Wasser deutlich verstärkt worden ist. Das
ist eine Grundlage für das Überleben der Menschen, da-
für, dass Landwirtschaft überhaupt stattfinden kann.

Aber wir müssen mit dem Wasser schonend umgehen,
denn es wird auch für die Rohstoffproduktion und Ähnli-
ches genutzt; darauf komme ich gleich noch einmal zu-
rück.

Wir wissen, dass die weltweite Nachfrage nach Ener-
gie bis 2030 um 40 Prozent steigen wird, der Stromkon-
sum sogar um 70 Prozent. Deshalb ist es richtig, dass wir
in unserem Ministerium einen Schwerpunkt bei den er-
neuerbaren Energien gesetzt haben. In diesem Bereich
zeigt sich deutlich die Kohärenz unserer Politik. Wirt-
schaftsministerium, Bildungs- und Forschungsministe-
rium sowie Entwicklungsministerium arbeiten dabei zu-
sammen, weil es notwendig ist, neue Formen der
Energieverwendung insbesondere in dezentralen Syste-
men nutzen zu können.

Das Zusammenspiel von Wasser-, Energie- und
Ernährungssicherheit – der Nexus – betrifft die Wasser-
nutzung zur Wasserkrafterzeugung, zum Abbau von
Rohstoffen, für den Energieverbrauch und für die Land-
wirtschaft. Wir müssen dabei beachten, dass die UN
schätzen, dass bis 2050 zwei Drittel der Weltbevölke-

rung – also 6 Milliarden Menschen – in Städten leben
werden.

Ich nenne Ihnen wieder ein Beispiel. Ich war gerade
in Lagos. Schon vor sieben Jahren durfte ich den Bun-
despräsidenten Horst Köhler nach Lagos begleiten. Da-
mals lebten da um die 17 Millionen Menschen. Diese
Zahl hat sich etwas erhöht. Jetzt wohnen da 21 Millionen
Menschen, und jeden Tag kommen 6 000 Menschen
durch Zuzug oder Geburt dazu.

Diese Stadt hatte die modernste Kläranlage der Welt,
gebaut 1950, als 350 000 Menschen in Lagos lebten. Sie
hat heute noch einen Wirkungsgrad von 20 Prozent. Al-
les, was dort an Abwässern anfällt, fließt in die Lagunen.
Das alles wird eines Tages bei uns anschwemmen. Das
wird eine der großen Herausforderungen der Zukunft
sein. Deshalb müssen wir uns den Megastädten in beson-
derer Weise widmen. Auch daran arbeitet eine Arbeits-
gruppe im Ministerium.

Ich will noch einmal auf von der Opposition ange-
sprochene Punkte zurückkommen, die mir große Sorgen
bereiten. Das betrifft etwa den Rohstoffbereich. Unsere
Fraktion hat mehrere Rohstoffkonferenzen abgehalten.
Es gibt doch überhaupt keinen Zweifel daran, dass
Deutschland mit seinem Lebensstandard auf Rohstoffe
angewiesen ist. Natürlich gibt es da einen Zielkonflikt.
Ich will nicht sagen, dass in der Vergangenheit alles
schlecht war.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie waren ja auch beteiligt! Das wäre ein bisschen schwierig!)


Aber die Zertifizierung von Rohstoffen zum Beispiel ha-
ben wir damals begonnen und bis heute fortgesetzt, weil
sich daraus Chancen für die Wertschöpfungsketten der
betroffenen Länder ergeben, sodass dort auch weitere
Wertschöpfungsketten aufgebaut werden können. Ein
Beispiel ist die Holzwirtschaft im Kongo; leider wurden
unsere dortigen Bemühungen durch die Chinesen weit-
gehend zerstört.

Die Mittel für die Bildung in Afrika, auch die berufli-
che Bildung, sind gerade aufgestockt worden und haben
sich von 2009 bis 2013 verdoppelt. Ich bitte Sie, Herr
Minister, die Seiten 164 bis 172 aus dem Weißbuch den
Schulen zur Verfügung zu stellen, weil wir in der Bevöl-
kerung eine Grundlage für die entwicklungspolitischen
Diskussionen brauchen, um auf entsprechende Akzep-
tanz zu stoßen.

Es gäbe so viel zu diesen Themen zu sagen; leider bin
ich fast am Ende meiner Redezeit. Mich hat heute ent-
täuscht, dass es bei der Opposition offenbar nur noch,
wie bei der Olympiade, um „höher, schneller und wei-
ter“ geht. Es sollte bei der Diskussion über diesen Be-
richt aber um inhaltliche Fragen – wie man einen besse-
ren Weg finden kann – gehen.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Wenn Sie im Nebel stochern, ist das immer ein bisschen schwierig!)


Zu den anstehenden Wahlen kann ich nur sagen: Wah-
len bieten immer eine große Chance zur Neuausrichtung.
Das ist absolut richtig. Wir treten in diesen Wettstreit





Hartwig Fischer (Göttingen)



(A) (C)



(D)(B)


auch ein. Ich hoffe, dass die Fraktion der Sozialdemo-
kraten wieder Persönlichkeiten wie Karin Kortmann
oder Walter Riester findet, bei denen die Entwicklungs-
politik richtig angesiedelt war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723805900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13100 an die Ausschüsse vorgeschla-
gen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind
Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 sowie den Zu-
satzpunkt 9 auf:

40 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard Pitterle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Steueroasen trockenlegen – offshore und hier-
zulande

– Drucksache 17/13129 –

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Dr. Axel Troost,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch
Selbstanzeige abschaffen

– Drucksache 17/13241 –

Es ist verabredet, eineinhalb Stunden hierzu zu debat-
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist auch das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Die
Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723806000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Fall

Hoeneß hat viele schockiert und enttäuscht, selbst die
Bundeskanzlerin. Aber man muss auch feststellen: Die
Regierungen haben das selbst politisch verschuldet;
denn fast alle – gleich ob Union, SPD, FDP oder Grüne
– haben mit ihrer Politik bei Reichen und Vermögenden
ein Gesellschafts- und Staatsverständnis herbeigeführt,
in dem der Staat als lästiges Übel erscheint und die so-
zial Benachteiligten als Sozialschmarotzer verunglimpft
wurden und werden.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Keine der Bundesregierungen seit 2002, weder Rot-
Grün noch Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb, hat irgend-
etwas Wirksames gegen diese und andere Formen der
Steuerflucht und der Steuerhinterziehung getan.


(Beifall bei der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: So ein Blödsinn!)


Es ist interessant, eine Logik zu durchforsten. Bun-
desminister Friedrich hat mit Blick auf die Armen aus
Bulgarien und Rumänien gesagt: Wir müssen denen die
Einreise verweigern. – Begründet hat er das damit, dass
die Armen nicht das Land wechseln dürften, um ihre Ar-
mut etwas erträglicher zu gestalten. Ich teile seine Logik
überhaupt nicht, aber ich frage Sie: Wenn man schon
eine solche Logik hat, warum ist dann noch niemand auf
die Idee gekommen, den Reichen zu sagen: „Ihr könnt
euch nicht das Land aussuchen, in dem ihr am wenigsten
Steuern bezahlt“, und auch den Unternehmen zu sagen:
„Ihr könnt euch das nicht aussuchen“? Wieso gilt diese
Logik nur für die Armen?


(Beifall bei der LINKEN)


SPD und Grüne haben das Kasino für Spekulationen
geöffnet. Dadurch kamen so dicke Gewinne zustande,
dass der Anreiz zur Steuerhinterziehung gewachsen ist.


(Holger Krestel [FDP]: Sie brauchen neue Texte!)


Die Steuersenkungsgesetze wurden von Ihnen verab-
schiedet – Sie wissen das –: Spitzensteuersatz gesenkt,
Körperschaftsteuersatz gesenkt und vieles andere mehr.
Das hat natürlich den Reichtum befördert. Andererseits
haben Sie Armut verfestigt und sogar gesteigert, nämlich
durch Hartz IV, durch prekäre Beschäftigungsverhält-
nisse, durch reale Lohnsenkung, Rentensenkung und an-
deres mehr.

Wir haben in Deutschland jetzt ein privates Geldver-
mögen von 10 Billionen Euro. 10 Prozent der Haushalte
besitzen 61 Prozent davon. Das sind über 6 Billionen
Euro. 50 Prozent der Haushalte besitzen von dem ge-
samten Geldvermögen 1 Prozent. Vor über zehn Jahren
besaßen diese 50 Prozent noch 4 Prozent. Auch das war
schon wenig. Heute besitzen sie aber nur noch 1 Prozent.
Wie wollen Sie das alles rechtfertigen?


(Beifall bei der LINKEN)


SPD und Grüne haben dann das Gesetz über die straf-
befreiende Erklärung gemacht. Dahinter steckt der Ge-
danke, den Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterzie-
hern noch mehr Straffreiheit zu gewähren. Damals haben
Sie gesagt, dass dadurch wahnsinnig viel Geld herein-
kommt: 5 Milliarden Euro. Na gut, es wurden nur
1,4 Milliarden Euro. Das hat sich also wesentlich weni-
ger gelohnt.

Das ganze Herangehen in den vergangenen Jahren hat
die Steuerhinterziehung begünstigt. Damit muss jetzt
Schluss sein. Der Zeitgeist beginnt sich zu ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Große Koalition hat zudem die Abgeltungsteuer
eingeführt. Das muss man sich einmal überlegen: Da
legt einer sein ganzes Geld an und bekommt hohe,
höchste Zinsen. Außerdem beginnt die Steuerpflicht erst
ab einem bestimmten Betrag. Und dann sagen Sie: Für
dieses leistungslos erworbene Geld – dafür hat er nichts
getan; er hat das einfach irgendwohin getan – muss er





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


25 Prozent Steuern zahlen. Wenn er für dasselbe Geld
gearbeitet hätte, müsste er dafür 42, gegebenenfalls
45 Prozent Steuern zahlen. Wie erklären Sie den Leuten,
dass derjenige, der arbeitet, viel zahlen muss und dass
derjenige, der sein Geld bloß anlegt und dicke Zinsen
macht, wenig zahlen muss?


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wo gibt es denn dicke Zinsen? Erzählen Sie mal!)


Das ist durch nichts gerechtfertigt. Das ist vielleicht eine
Logik!


(Beifall bei der LINKEN)


Das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz von
Peer Steinbrück war ein zahnloser Tiger. Allerdings war
das jetzt von der Koalition aus CDU/CSU und FDP ge-
plante Abkommen zwischen Deutschland und der
Schweiz ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Gegen einen kleinen Obolus – Sie müssen sich das ein-
mal vorstellen – wären die größten Steuerhinterzieher
einschließlich Uli Hoeneß legalisiert worden.


(Holger Krestel [FDP]: 10 Milliarden Euro sind kein kleiner Obolus!)


Es war völlig richtig, dass SPD, Grüne und Linke das im
Bundesrat verhindert haben.


(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist objektiv falsch, was Sie sagen!)


Im Übrigen: Wenn das durchgekommen wäre, dann hät-
ten die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in
Deutschland endgültig wie die Dummen ausgesehen.
Auch das wäre nicht gerechtfertigt gewesen.

Steuer-CDs. Ich bestreite doch gar nicht, dass der An-
kauf solcher CDs problematisch ist. Man bezahlt Krimi-
nelle; man hält Kriminelle anonym. Ich hätte zwar
wahnsinnige Bauchschmerzen, aber – das muss ich Ih-
nen sagen – ich wüsste als Landesfinanzminister zurzeit
nicht, wie ich anders an die Informationen über schwere
Straftäter und an das Geld für meine Bevölkerung heran-
kommen soll. Wir müssen endlich eine Lösung finden,
damit Landesfinanzminister nicht mehr gezwungen sind,
solche Wege zu gehen. Ich kann aber verstehen, dass sie
zurzeit diese Wege gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Offshore-Leaks. Ich will einmal darstellen, was dort
geschehen ist. Da haben nicht etwa Politikerinnen und
Politiker etwas ermittelt, sondern Journalistinnen und
Journalisten und andere Personen. Sie haben Millionen
Daten von über 130 000 Steuerhinterzieherinnen und
Steuerhinterziehern weltweit mit einem Gesamtvermö-
gen von 25 Billionen Euro ermittelt. Das ist das Zehnfa-
che der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Das ist ein
Drittel der Weltwirtschaftsleistung. Mein Gott, lassen
sich die Staaten betrügen! Es wird höchste Zeit, dass da-
gegen etwas unternommen wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben wiederholt Anträge zur Trockenlegung von
Steueroasen vorgelegt. Wir hatten damit bei Ihnen im-
mer schlechte Karten. Sie haben als Argument gegen un-
sere Anträge zum Beispiel die Bürokratie genannt. Ich
will gar nicht im Einzelnen darauf eingehen, weil ich
hoffe, dass Sie sich jetzt anders verhalten. Wir müssen
uns jetzt auch anders verhalten.

Wir haben zwei Anträge eingebracht. Was fordern wir
im ersten Antrag?

Erstens. Wir fordern den Aufbau einer Bundesfinanz-
polizei. Diese brauchen wir zur wirksamen Bekämpfung
großer Finanzstraftaten dringend. Der Staatssekretär des
Bundesfinanzministers hat dies inzwischen auch gefor-
dert. Also sehe ich bei Union und FDP keinen Grund
mehr, dagegen zu stimmen. Wollen wir einmal sehen,
was passiert.

Zweitens. Wir fordern mehr Fachpersonal. Dieses
braucht man, wenn man wirksam Steuern einziehen will.
Um die Steuerdelikte zu bekämpfen, braucht man
Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder. Allein in Bayern
brauchen wir 1 500 weitere Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter. Wissen Sie, was nicht geht? Es geht nicht, dass
sich Bayern bei den Reichen mit dem Hinweis beliebt
macht, man mache in Bayern nur wenige Betriebsprü-
fungen, man schaue gar nicht genau hin. Die Begünsti-
gung von Steuerstraftaten darf nicht länger ein Lockmit-
tel einiger Bundesländer in Deutschland sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt, Bayern muss aufhören, das Eldorado der
Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterzieher zu sein.
Wir müssen auch hier andere Wege gehen.

Drittens. Wir müssen die Steuerpflicht für Einkom-
men und – wenn wir endlich wieder eine Vermögen-
steuer erheben – für Vermögen an die Staatsbürgerschaft
binden. Was schlagen wir Ihnen denn hier Schlimmes
vor? Wir schlagen Ihnen vor, US-Recht in Deutschland
zu übernehmen. Was sollte dagegen sprechen? Die USA
machen das so. Ein Deutscher darf ja auf den Seychellen
wohnen. Die Reichen können nach Lichtenstein ziehen;
sie können ziehen, wohin sie wollen. Aber sie sind ver-
pflichtet, bei dem in Deutschland dafür zuständigen
Finanzamt ihr Einkommen anzugeben, ihr Vermögen an-
zugeben und mitzuteilen, wie viele Steuern sie dafür bei-
spielsweise auf den Seychellen zu zahlen haben.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie fahren dahin und prüfen das dann? Gysi auf die Seychellen!)


Die Differenz zu den Steuern, die in Deutschland gelten,
müssen sie dann überweisen. Diese Pflicht ist an die
Staatsbürgerschaft gebunden. Das machen die USA so.
Weniger als eine Handvoll haben deshalb die US-ameri-
kanische Staatsbürgerschaft aufgegeben. Für Deutsch-
land gilt: Die Betreffenden haben schon ihre Gründe,
warum sie Deutsche sein wollen. Versuchen Sie einmal,
Monegasse zu werden. Ich kann Ihnen sagen: Das ist
sehr schwierig.


(Beifall bei der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Wieso? Haben Sie das schon versucht, Dr. Gregor Gysi oder was? – Manfred Zöllmer [SPD]: Herr Gysi hat es schon ausprobiert!)





(A) (C)


(D)(B)


– Nein, aber ich habe mich erkundigt, weil ich wusste,
dass so viele von Ihnen darauf reagieren würden. Mir
war gleich klar, dass dieses Argument kommt; aber es
zieht nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage Ihnen noch eines. Ich gönne Herrn Becken-
bauer alle Bundesverdienstkreuze, die er bekommen hat.
Aber ich finde, es ist eine Unverschämtheit, dass er
Tricks nutzt, um in Deutschland keine Steuern zahlen zu
müssen. Jemand wie er, der in Deutschland wirkt und
agiert, hier aber keine Steuern zahlt, sollte wenigstens
keine Bundesverdienstkreuze bekommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir könnten das ganze Thema beenden, indem wir sa-
gen: Du kannst in Österreich wohnen. Aber die Diffe-
renz bei der Steuer hast du an Deutschland zu zahlen. –
Was spricht dagegen?

Viertens. Wir müssen, wie es ebenfalls in den USA
der Fall ist, eine Informationspflicht der Banken im Hin-
blick auf steuerrelevante Tatsachen einführen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eine Vorratsdatenspeicherung, ja?)


Was spricht denn dagegen? Wenn eine Bank diese Infor-
mationspflicht verletzt, dann gibt es in den USA emp-
findliche Geldstrafen; auch diese könnten wir einführen.

Fünftens. Wir brauchen natürlich auch einen Informa-
tionsaustausch zwischen Staaten und Banken. Wenn sich
eine ausländische Bank verweigert und sagt: „Von uns
erfahrt ihr nichts“, dann entziehen wir dieser ausländi-
schen Bank in Deutschland die Lizenz. Wenn das auch
Frankreich und – das ist allerdings sehr unwahrschein-
lich – Großbritannien machen würden, wenn wir also
immer mehr Länder dafür gewinnen könnten, was glau-
ben Sie, wie schnell die Banken diszipliniert wären?
Man merkt es ja schon jetzt: In Luxemburg denkt man
um, in Liechtenstein denkt man um, selbst in der
Schweiz beginnt man vorsichtig, umzudenken.

Nun zu unserem zweiten Antrag, in dem es um die
Straffreiheit von Steuerhinterzieherinnen und Steuerhin-
terziehern bei Selbstanzeige geht. Ich weiß, diese Rege-
lung gilt seit über 100 Jahren;


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, noch nicht so lange!)


deshalb hat man sich daran gewöhnt. Ich halte sie für
grundlegend falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich halte sie für ungerecht, weil es eine vergleichbare
Regelung für kleinere Delikte anderer Art nicht gibt.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Natürlich!)


– Das ist Quatsch, was Sie sagen.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Selbstverständlich gibt es strafbefreiende Tatbestände!)


Es gibt kein Gesetz, das bei Selbstanzeige Straffreiheit
garantiert.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sie kennen sich nicht aus im Strafgesetzbuch!)


Das gibt es nicht für den Schwarzfahrer, nicht für den
Verkehrssünder, nicht für den kleinen Betrüger und nicht
für den kleinen Dieb. Nur im Hinblick auf Steuerhinter-
ziehung in Millionenhöhe gibt es eine gesetzliche Rege-
lung.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ach was! Selbst der BFH-Präsident sieht das anders!)


Schon deshalb kann diese Regelung nicht aufrechterhal-
ten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, ein Ver-
fahren einzustellen.


(Zuruf des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU])


– Hören Sie zu! – Ich habe gerade die Anklage gegen ei-
nen Mann gelesen, der auf der Autobahn rechts überholt
hat. Das ist nicht in Ordnung; aber mehr ist nicht pas-
siert. Es beschäftigen sich zwei Polizisten, ein gut ausge-
bildeter und teurer Staatsanwalt sowie ein gut ausgebil-
deter und teurer Richter mit so einem Pipifax! Das muss
aufhören.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist für Sie Pipifax? Na, dann kann ich mir ja vorstellen, wie Sie sich im Straßenverkehr verhalten!)


Wir brauchen endlich eine vernünftige Regelung, die be-
sagt, dass Bagatelldelikte anders behandelt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir könnten zum Beispiel sagen – das Stichwort „Ba-
gatelldelikte“ spielt nämlich auch beim Thema Steuern
eine Rolle –: Bei Bagatelldelikten gibt es eine polizeili-
che Strafverfügung. Wer sie anerkennt, für den ist die
Angelegenheit erledigt. Wer sie nicht anerkennt, der
kann Einspruch einlegen; erst dann beschäftigt sich ein
Gericht damit. Was spricht denn dagegen? In anderen
Ländern gibt es solche Regelungen. Bei uns müssen sich
Staatsanwälte und Richter mit Kikikram befassen, und
für die großen Fälle haben sie dann keine Zeit mehr. Das
geht gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sage ich: Dieses Privileg muss weg.

Das Argument – es ist auch von Herrn Steinbrück an-
geführt worden, wegen dieses Privilegs habe man so viel
Geld eingenommen – hat sich doch überhaupt nicht be-
stätigt. Auch Uli Hoeneß hat seine Entscheidung nicht
ganz so freiwillig getroffen, wie er sagt. Vielmehr war es
doch so: Erst wurde das Steuerabkommen mit der
Schweiz abgelehnt, dann wurden die Steuer-CDs ge-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


kauft, und dann folgte sein Geständnis. Ich sage Ihnen:
Das hilft uns nicht wirklich weiter, und das ist auch kein
Argument gegen Strafgerechtigkeit.

Ich sage Ihnen noch etwas: Hugo Müller-Vogg hat
gestern in der Bild-Zeitung Folgendes geschrieben


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Oh, Sie lesen die Bild-Zeitung?)


– hören Sie zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union; in Ihrer Bild-Zeitung –:

Deshalb gehört die Strafbefreiungs-Möglichkeit für
asoziale Reiche endlich abgeschafft.

Recht hat die Bild-Zeitung von gestern; das muss ich zu-
geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich weiß, dass noch viel mehr gegen Steuerhinterzie-
hung zu tun wäre.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Er spricht jetzt schon 13 Minuten, Frau Präsidentin!)


Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
kümmert sich plötzlich darum, dass deutsche Banken in
22 Steueroasen Sitze haben.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ihre Redezeit ist schon länger abgelaufen!)


Da geht es um ein riesiges Vermögen von 152 Milliarden
Euro. Die Deutsche Bank unterhält in ihrer Filiale in
Singapur ein Netzwerk von über 300 Trusts und Firmen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723806100

Herr Gysi? – Ich weiß, Sie sind immer erstaunt da-

rüber, dass ausgerechnet ich Ihnen sagen muss, dass Ihre
Redezeit vorbei ist.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723806200

Ist meine Redezeit schon vorbei? Das ist sehr bedau-

erlich.

Zum Schluss sage ich Ihnen nur noch eins: Wir haben
die Chance, mit gutem Beispiel voranzugehen. Heute
müssen Sie Farbe bekennen. Stimmen Sie beiden Anträ-
gen zu,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, ist gut jetzt! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Schluss! – Holger Krestel [FDP]: Auf Wiedersehen!)


und das Werk der Steuerflucht und der Steuerhinterzie-
hung ist arg beeinträchtigt. Glauben Sie es mir!


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723806300

Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1723806400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der heute vorliegende Antrag der Linken hat den Titel
„Steueroasen trockenlegen – offshore und hierzulande“.
Offshore – ja. Aber hierzulande? Wenn jemand hier im
Deutschen Bundestag behauptet, dass es in Deutschland
Steueroasen gibt,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Die haben wir!)


dann beschimpft er sein eigenes Land.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Dann beschimpft er alle Regierungen und alle Bundes-
länder in Deutschland.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Es ist eine schäbige Schmutzkampagne, die hier betrie-
ben wird. Es gibt keine Steueroasen in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Da Sie vonseiten der Linken so dagegen brüllen: Ich
erinnere mich gerne an unseren Kollegen Karl-Josef
Laumann, Sozialpolitiker und Sozialminister in Nord-
rhein-Westfalen,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Außer Dienst!)


der hier an dieser Stelle sinngemäß gesagt hat: Ich war
1990 in Mecklenburg-Vorpommern und habe dort zum
ersten Mal ein Pflegeheim in der DDR gesehen: die
durchgelegenen Matratzen, die rostigen Gestelle. Als ich
die Zustände dort gesehen habe, habe ich mir geschwo-
ren: Mir wird niemals mehr ein Sozialist oder Kommu-
nist sagen können, was Sozialpolitik ist. – Das gilt auch
für diesen Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir reden hier über Steuerhinterziehung!)


Die internationale Besteuerung steht bei allen interna-
tionalen Konferenzen ganz oben auf der Tagesordnung.
Unser Finanzminister hat dieses Thema bei den G-5-Ver-
handlungen, also bei den großen 5 in Europa, und bei
den G-20-Verhandlungen, also bei den großen 20 in der
Welt, immer wieder auf die Tagesordnung gebracht. Un-
ser Finanzminister ist derjenige, der dieses Thema welt-
weit vorantreibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen sehr genau zwischen Steuergestaltung
und Steuervermeidung unterscheiden. Was ist Steuerge-
staltung? Vom Bundesverfassungsgericht ist deutlich ge-
macht worden, dass man innerhalb des Geltungsberei-
ches des deutschen Steuergesetzes selbstverständlich die
Vorteile des Steuergesetzes nutzen darf. Demgegenüber
steht die Steuervermeidung. Diese wird im internationa-
len Bereich sehr intensiv diskutiert. Es gibt Firmen wie
Amazon, Starbucks und Google, die durch Lizenzen und
Patente in der Tat Gewinne ins Ausland verlagern, in-
dem sie sie über Holland oder über Irland in Steueroasen
transferieren. Unser Finanzminister hat gerade die soge-





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


nannte BEPS-Initiative ergriffen, um dagegen vorzuge-
hen. Das wird sogar federführend von der deutschen
Seite betrieben. All das haben wir auf internationaler
Ebene in der letzten Zeit erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Neben der Steuervermeidung und der Steuergestal-
tung gibt es selbstverständlich die Steuerhinterziehung.
Das ist ein Straftatbestand. Es ist nicht zu ertragen, wie
viele hier Steuern hinterziehen. An dieser Stelle müssen
wir scharf durchgreifen. Das tun wir in diesem Staat
auch.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wo denn?)


So haben wir gemeinsam mit Ihnen in der Großen Koali-
tion die Verjährungsfrist für schwere Straftaten von fünf
auf zehn Jahre verlängert. Das ist doch ein Erfolg; das
sollten Sie einmal anerkennen.

Herr Gysi, Sie haben gerade davon gesprochen, dass
die Steuerpflicht an das Staatsangehörigkeitsrecht ge-
knüpft werden sollte. Wir wissen, dass das weltweit nur
Liberia und die USA so handhaben.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit den USA musst du laut sagen!)


Das Rechnungsprüfungsamt des US-Kongresses sagt:
Wir erfassen maximal 40 Prozent unserer Staatsbürger
weltweit, weil wir keinen Einfluss darauf haben, wie die
Besteuerung bzw. die Einkünfte beispielsweise in Sri
Lanka, in Indien, in Südamerika oder in Kasachstan aus-
sehen. – Das ist der Widerspruch in Ihrem Antrag. Auf
der einen Seite sagen Sie: Alle deutschen Staatsbürger
sollen erfasst werden. Auf der anderen Seite fordern Sie
aber, dass auch alle in Deutschland mit einer Dauerauf-
enthaltsgenehmigung lebenden Menschen zu 100 Pro-
zent erfasst werden sollen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie können das dann auch verrechnen, oder?)


Ich frage mich: Wofür haben wir denn dann die Doppel-
besteuerungsabkommen? Sie wollen die Menschen doch
wieder nur einschränken. Sie sind doch gegen die Frei-
zügigkeit und die Niederlassungsfreiheit. Das ist Ihre
Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


Wir haben in diesen dreieinhalb Jahren 40 Doppelbe-
steuerungsabkommen, auch mit vielen Steueroasen, ge-
schlossen. Wir haben auf Anfrage den Informationsaus-
tausch auf OECD-Standard umgestellt. In der letzten
Legislaturperiode hat Herr Steinbrück übrigens nur 6 Dop-
pelbesteuerungsabkommen umgesetzt. Herr Schäuble da-
gegen hat 40 umgesetzt. In der Fußballersprache – Fuß-
ball ist in dieser Woche ein großes Thema – würde man
sagen: Es steht 8 : 1 im Spiel Schäuble gegen
Steinbrück. Das sollten wir einmal festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben von einer Bundesfinanzpolizei gesprochen.
Selbstverständlich sind wir nicht dagegen, dass auf Bun-
desebene Dinge konzentriert werden, wie es zum Bei-
spiel beim Bundeszentralamt für Steuern der Fall ist. Es
gab in dieser Legislaturperiode eine Untersuchung dahin
gehend, ob die Fahndung und das Kriminalamt aus dem
Zoll herausgelöst werden sollen. Die Entscheidung der
Kommission lautete: Tun Sie es nicht! Das gibt nur Ver-
werfungen und neue Friktionen. Das hat keinen Sinn.
Außerdem ist das eine Sache der Länder. Das sollten wir
nicht vergessen: Die Steuerermittlung ist eine Sache der
Länder. Für eine Neuregelung bräuchte man eine Föde-
ralismuskommission III. Aber wenn es um Fragen der
Verfassung geht, sind Sie bekanntermaßen sehr zurück-
haltend.

Meine Damen und Herren, unser Ziel ist der interna-
tionale Informationsaustausch. Den OECD-Standard ha-
ben wir erreicht. Wir arbeiten weiter am internationalen
Informationsaustausch: In der nächsten Sitzungswoche
werden wir hier das Informationsabkommen FATCA mit
den USA verabschieden. Dieser automatische internatio-
nale Informationsaustausch ist wichtig.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Beim deutschschweizerischen Steuerabkommen haben Sie versagt!)


– Herr Zöllmer, Sie haben gerade dazwischengeschrien.

Seit zehn Jahren gibt es in Europa die Zinsrichtlinie.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Genau!)


Bei der Umsetzung der Zinsrichtlinie hat Rot-Grün or-
dentliche Steuerschlupflöcher eröffnet; denn man hat
sich nur auf ein Abkommen über Zinsen einigen können
und hat Österreich, Luxemburg und Belgien einfach au-
ßen vor gelassen. Sie haben diese Länder nicht einbezo-
gen, weil Sie das damals nicht umsetzen konnten.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Haben Sie das denn bisher geschafft?)


Wir fordern auch die Besteuerung von Veräußerungs-
gewinnen, von Dividenden, auf Stiftungen, auf Trusts
und auf alle Körperschaften; das ist unsere Forderung,
die wir in der nächsten Zeit umsetzen wollen, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Dafür haben Sie aber lange gebraucht!)


Die Steueramnestie, die Rot-Grün vor wenigen Jahren
umgesetzt hat – mit einem Sonderangebot von 15 Pro-
zent –, wurde uns hier als Förderung der Steuerehrlich-
keit verkauft.

Sie wissen: Wir haben die Regeln für die Selbstan-
zeige in Deutschland dramatisch verschärft. Nur wenn
man sich lückenlos erklärt und die Finanzbehörden noch
keinerlei Kenntnisse haben, ist eine Selbstanzeige mög-
lich – wie sie übrigens auch in anderen Bereichen nach
dem Strafgesetzbuch möglich ist.

Sie haben das deutsch-schweizerische Abkommen
mit Häme bedacht – wir hatten hier diese Woche eine





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


große Diskussion zu diesem Thema –; aber Sie wissen
alle genau, dass 90 Prozent aller Steuernachzahlungen
bei einer Selbstanzeige, inklusive der 5 Prozent Strafge-
bühr, geringer sind als nach dem Steuerabkommen mit
der Schweiz. Mit diesem Abkommen hätten wir 21 bis
41 Prozent aller Vermögen bekommen. 56 Prozent aller
Konten in der Schweiz sind älter als zehn Jahre; diese er-
fassen wir mit der Selbstanzeige nicht. Der Bund hätte
mindestens 10 Milliarden Euro eingenommen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Mondzahlen!)


Die Steuergewerkschaften – gehen Sie einmal auf de-
ren Homepages – gehen von der dreifachen Höhe aus.
Weil Sie, meine Damen und Herren von der linken Seite
des Hauses, diesem Abkommen nicht zugestimmt haben,
müssen wir allein wegen Verjährung auf 6 bis 15 Mil-
liarden Euro verzichten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Von allen Erbschaften, bei denen das Konto nicht be-
kannt ist, hätten wir 50 Prozent erfasst, und in Zukunft
wäre die Besteuerung die gleiche gewesen wie in
Deutschland.

Ich komme zum Schluss. Viele verlassen Deutsch-
land, darunter Sportler wie Vettel und Schumacher. Ich
finde das traurig. Es tut sehr weh, dass Leute, die hier
Erfolg gehabt haben, das Land verlassen. Aber das
Schlimmste ist, wenn Rot, Grün oder Dunkelrot mit ihrer
Vermögensteuer hier jetzt noch zugreifen wollen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723806500

Herr Kollege.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1723806600

Die Steuerehrlichen, die ihren Wohnort in Deutsch-

land haben, wollen Sie mit Ihrer Vermögensabgabe


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Jetzt sind wir noch schuld!)


von 5 Prozent jährlich enteignen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie decken Kriminelle!)


Wenn diese Vermögensteuer umgesetzt wird, gibt es
keine Investitionen mehr in Deutschland, und noch mehr
Leute werden das Land verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723806700

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1723806800

Schwarz-Gelb will diesen Staat sicher und stabil hal-

ten; das ist unser Anspruch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Steuerhinterziehung ist asozial!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723806900

Jetzt hat Joachim Poß das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1723807000

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Zunächst zum Antragsteller. Herr Gysi,
zu Ihrem Repertoire gehörte schon immer die Ge-
schichtsklitterung – bei all Ihren Reden natürlich rheto-
risch sehr gut ausgeschmückt. Das praktizieren natürlich
auch andere: So hat sich Frau von der Leyen hier gestern
als Erfinderin des Mindestlohnes stilisiert.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Bei ihr stimmt es auch!)


Das kann man Ihnen so nicht durchgehen lassen.

Nach der Bundestagswahl 2002 war die Linke hier
nur noch mit zwei Abgeordneten vertreten. Vielleicht ist
im kollektiven Gedächtnis der Partei deshalb nicht so
recht verankert, dass Rot-Grün 2002 in der Koalitions-
vereinbarung die Aufhebung des Bankgeheimnisses ver-
abredet hat. Weil ich ziemlich viel damit zu tun hatte,
weiß ich das noch so genau. Wir haben das im Bundes-
tag durchgesetzt. Es ist dann im Bundesrat an Schwarz-
Gelb gescheitert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Kompromiss, der herauskam, war der sogenannte
Kontenabruf.

Schauen Sie sich als nächsten Punkt die sogenannte
Deregulierung auf den Finanzmärkten in Deutschland
genau an, und zählen Sie doch einmal die Anzahl der
Hedgefonds, die sich anschließend in Frankfurt oder wo
auch immer niedergelassen haben! Sie wissen genau,
dass die Debatte, die Sie da führen, eine Phantomdebatte
ist.

Eichels Brücke zur Steuerehrlichkeit – von Ihnen an-
gesprochen – setzte natürlich eine Aufhebung der Ano-
nymität voraus.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da mussten die Leute die Hosen herunterlassen. Das
deutsch-schweizerische Abkommen von Schwarz-Gelb
sollte dagegen geschaffen werden, um den Steuerkrimi-
nellen die Anonymität zu belassen. Das ist der Unter-
schied.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Sozialdemokraten lassen uns von Ihnen hier nicht in
einen Topf mit anderen werfen. Das sage ich ganz klar.

Nun komme ich zu den Ankündigungspolitikern von
Schwarz-Gelb. Die überbieten sich ja jeden Tag mit
neuen Ankündigungen. Der Minister wird auf dem Feld
jetzt richtig aktiv. Bis vor einem halben Jahr hat man mit





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


Ausnahme dieses verkorksten Steuerabkommens mit der
Schweiz kaum etwas von ihm zu diesen Fragen gehört.


(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)


Das Urteil zum Steuerabkommen mit der Schweiz ist
gesprochen. Das werden Sie auch nicht mehr korrigieren
können,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sind Sie Richter?)


weil spätestens nach dem jetzt bekannt gewordenen pro-
minenten Fall, als Uli Hoeneß eingestand: „Ich habe da-
rauf gewartet, dass dieses Abkommen kommt“, den Leu-
ten klar wurde, was das eigentlich bedeutet hätte. Dieses
Abkommen kam aber nicht, und dann mussten andere
Wege gesucht werden.


(Holger Krestel [FDP]: Er hätte aber genauso viel gezahlt! Das sagen Sie aber nicht!)


Herr Flosbach, Sie versuchen, den Schwarzen Peter
bei anderen zu finden: bei der Europäischen Kommis-
sion, der OECD, den G 20, Liechtenstein, Österreich,
Großbritannien. Der Schwarze Peter hat bei Ihnen viele
Namen, weil Sie einen Schuldigen suchen: für den jahre-
langen Stillstand im Kampf gegen Steuerhinterziehung,
den Sie zu verantworten haben,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Elf Jahre SPD-Minister!)


für die Blockade der Verhandlungen zur europäischen
Zinsrichtlinie und für die Steuerschlupflöcher für Reiche
und Großkonzerne.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Den haben wir mit Steinbrück gefunden!)


Ich warne Sie aber: Der Schwarze Peter geht reihum,
und am Ende kommt er zurück. Und das ist auch gut so;
denn der Kampf gegen Steuerhinterziehung beginnt vor
der eigenen Haustüre, also hier in Deutschland, und hier
sind Sie als Koalition zuständig. Dieser Verantwortung
entziehen Sie sich.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn jetzt nach all der Aufregung um Offshore-
Leaks, neue Steuer-CDs und die Steuerhinterziehung
von Prominenten eines deutlich geworden ist, dann das,
dass Sie Ihre Verantwortung über Jahre nicht wahrge-
nommen haben.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Elf Jahre SPDMinister!)


Jetzt versuchen Sie, wie gesagt, wirklich verzweifelt, die
Verantwortung abzuschieben.


(Holger Krestel [FDP]: Wer hat denn elf Jahre den Finanzminister gestellt? Sie reden doch um den Sachverhalt herum!)


Einen Kronzeugen für den bisherigen Kuschelkurs
gegenüber Steuerkriminellen nennt heute Deutschlands

auflagenstärkste Tageszeitung. Ein Schweizer Banker
aus Zürich wird mit den Worten zitiert:

Zum Glück ist die deutsche Regierung nicht so ent-
schlossen wie die amerikanische …

Das zeigt doch wieder einmal: Sie selbst haben den Still-
stand im Kampf gegen Steueroasen ganz stark mitzuver-
antworten. Sie haben zu verantworten, dass den deut-
schen Steuerflüchtlingen in der Schweiz über Monate
die Hoffnung auf ewige Anonymität gemacht wurde. Sie
haben die Verantwortung für die gescheiterten Verhand-
lungen zur europäischen Zinsrichtlinie zu tragen. Sie ha-
ben der Schweiz eine Privilegierung angeboten, die Ös-
terreich und Liechtenstein dann auch für sich gefordert
haben.

Inzwischen kommen Sie langsam wie ein überzeugter
Wendehals zur Vernunft, aber nicht aus eigener Einsicht,
sondern weil der öffentliche Druck Tag für Tag steigt,
und fordern jetzt den automatischen Informationsaus-
tausch als neuen Standard, den Sie mit dem Deutsch-
Schweizer Abkommen systematisch unterlaufen woll-
ten. Das hat doch die Neue Zürcher Zeitung berichtet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Gehört die Schweiz zur Europäischen Union?)


Die Strategie der Schweizer Regierung – das stand in
der Neuen Zürcher Zeitung –, die europäischen Regie-
rungen gegeneinander auszuspielen, ist an der deutschen
Opposition gescheitert. Jawohl, an der deutschen Oppo-
sition und an nichts anderem ist sie gescheitert!


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen einen automatischen Informationsaustausch
für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen und na-
türlichen Personen.

Beim Jahressteuergesetz 2013 waren sich Bund und
Länder im Vermittlungsausschuss schon einig, wie man
Steuerbetrug in Deutschland bekämpfen kann. Wir
könnten zum Beispiel das Außensteuergesetz ändern.
Dann könnten wir Einkommen aus ausländischen Fami-
lienstiftungen denjenigen zurechnen, die ihr Geld in
diese Stiftungen gesteckt haben, und somit diese Ein-
künfte endlich der vollen Besteuerung zuführen. Wir
könnten auch endlich den automatisierten Informations-
austausch im EU-Amtshilfegesetz einführen oder end-
lich den bisher legalen Erbschaftsteuertrick der Cash-
GmbHs verhindern. Ihr gestern verabschiedeter Vor-
schlag fällt leider hinter die bereits getroffene Bund-
Länder-Einigung zurück.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Leider!)


Auch wenn es Sie vielleicht wundert: Das alles sind
Sachen, die Sie, wenn Sie es mit dem Kampf gegen die
Steuerhinterziehung ernst meinten, ganz einfach machen
könnten. Ihnen fehlt aber der politische Wille, ernst zu
machen. Sie erwecken nur den Anschein, als wollten Sie
sich engagieren.





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über die Verhältnisse in Bayern – damit meine ich
nicht die Menschen in Bayern, sondern die bayerische
CSU – will ich gar nicht reden, also auch nicht darüber,
wie es da mit der Steuerfahndung aussieht, die zu
40 Prozent nicht besetzt ist, nicht darüber, dass Herr
Seehofer wohl noch nie etwas vom Steuergeheimnis ge-
hört hat. Es gibt dort skandalöse Vorgänge, die man auf-
arbeiten muss.

Wir müssen auch über die strafbefreiende Selbstan-
zeige reden, die Sie nicht antasten wollen. Sie kommt
aus einer Zeit, in der der Staat nur hoffen konnte, dass
sich Steuerbetrüger von selbst stellen. Aber diese Zeiten
sind vorbei. Der Wind hat sich gedreht. Steuerbetrüger
geraten an vielen Stellen immer mehr unter Druck. Wenn
jetzt noch jemand die Selbstanzeige nutzt, dann doch
nur, weil er weiß, dass er in Bälde so oder so enttarnt
wird.

Wir stellen uns die Beibehaltung der Selbstanzeige
für eine Übergangsfrist und dann eine ganz starke Ein-
schränkung bis auf Bagatellfälle vor. Das ist unser Kon-
zept. Das sage ich hier ganz offen, weil in der Öffent-
lichkeit unterschiedliche Eindrücke aufgekommen sind.
Unser Konzept knüpft an das Konzept an, das die SPD-
Bundestagsfraktion im Frühjahr 2010 in den Deutschen
Bundestag eingebracht hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fangen Sie also endlich an, Ihre Hausaufgaben zu
machen. Schließen Sie umgehend die Steuerlücken, die
Sie als Gesetzgeber auch ohne internationale Hilfe
schließen können. Es ist nämlich schlicht falsch, wenn
Schäuble, Rösler, Wissing und Co behaupten, man
könne ohne internationale Partner gar nichts ausrichten.
Streichen Sie nicht das Jahressteuergesetz zusammen,
sondern stimmen Sie der Vorlage im Vermittlungsaus-
schuss zu, wenn Sie es mit dem Kampf gegen Steuerhin-
terziehung ernst meinen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807100

Jetzt hat der Kollege Dr. Volker Wissing das Wort für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1723807200

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wer diese Sitzungswoche, die bisherige
Debatte und insbesondere die Beiträge der Opposition


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sehr gute!)


verfolgt hat, der fragt sich, warum man zu einem so
wichtigen Thema so viel Unsinn von sich geben kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sehr gute Beiträge!)


Herr Gysi stellt sich hier an das Mikrofon und erklärt
der deutschen Öffentlichkeit, noch keine Bundesregie-
rung habe etwas Nennenswertes gegen Steuerhinterzie-
hung getan. Herr Gysi, das ist ein so geballter Unsinn.
Bisher hat jede Bundesregierung nach Kräften gegen
Steuerhinterziehung gekämpft. Das ist die Wahrheit, und
das wissen Sie auch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So getan als ob!)


Es gab allerdings unterschiedliche Konzepte. Die So-
zialdemokraten hatten für das Problem mit der Steuer-
flucht in die Schweiz den Vorschlag, dass diejenigen, die
sich freiwillig melden, mit einer Besteuerung von
15 Prozent pauschal abgegolten werden; diejenigen, die
sich nicht melden, konnten selbstverständlich in der An-
onymität bleiben und brauchten nichts zu bezahlen. Das
Konzept, das wir ausgehandelt haben, war, dass alle lü-
ckenlos besteuert werden – dem könnte sich also keiner
mehr entziehen –, und zwar mit Steuersätzen zwischen
21 und 41 Prozent.

Das sind unterschiedliche Konzepte. Wir sagen: Lü-
ckenlose Besteuerung ist gerechter; jeder soll bezahlen.
Sie hingegen sagen: Bezahlen sollen nur diejenigen, die
sich freiwillig melden, oder diejenigen, die man er-
wischt. Auch wenn diese Ansätze unterschiedlich sind,
ist das Ziel das gleiche: Steuerhinterziehung zu bekämp-
fen. Man kann es lückenhaft oder lückenlos machen. Wir
waren und bleiben für eine lückenlose Besteuerung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Lückenhaft? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Jetzt rufen Sie wieder herein: Aber nach Ihrem Kon-
zept wären die Steuerhinterzieher anonym geblieben. Ja,
das stimmt. Wenn man sich nämlich für den Weg des lü-
ckenlosen Besteuerns entscheidet, ist die Anonymität die
Kehrseite der Medaille; denn die Schweiz kann ihre Ge-
setze nicht rückwirkend ändern.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ich denke, Sie wollen den Informationsaustausch haben! Was wollen Sie denn jetzt?)


Sie sollten aufhören, dagegen zu argumentieren; denn
alles, was Sie gegen unsere Argumente sagen, ist entwe-
der Lüge oder Täuschung der Öffentlichkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dafür ist dieses Thema wirklich zu ernst.


(Joachim Poß [SPD]: Was will denn die Koalition? – Zuruf von der LINKEN: Winkeladvokat!)


– Jetzt ruft hier jemand „Winkeladvokat“.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau, Winkeladvokat!)






Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


Wissen Sie, besser Winkeladvokat, als von der deut-
schen Verfassung keine Ahnung zu haben. Darin sind
Sie nämlich ganz groß.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Holger Krestel [FDP]: Ich will mal die Stasiakte von denen sehen!)


Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es doch
an der Zeit, dass wir über dieses Thema einmal sachlich
reden; denn die Öffentlichkeit ist es doch leid, von der
Opposition bei diesen Fragen vergackeiert zu werden.
Sie unterbreiten der Öffentlichkeit zu diesem Thema seit
Monaten nur Täuschung, Lüge, Unwahrheiten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Fakten! Beweise! Keine Beschimpfungen!)


Jetzt kommen Sie mit dem Thema Bundesfinanzpoli-
zei. Ja, es ist in Deutschland immer wieder diskutiert
worden, dass die Art der Steuererhebung und auch die
Art der Steuerprüfung durch die einzelnen Finanzver-
waltungen der Länder unterschiedlich erfolgen. Auch
die Personalstärke in der Finanzverwaltung – auch bei
der Steuerfahndung – ist unterschiedlich. Das ist thema-
tisiert worden. Aber das hat doch nichts mit Bayern zu
tun, Herr Gysi.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Natürlich!)


Sie wollen doch immer so objektiv wirken. Dann wäre
es gut gewesen, wenn Sie das Land Berlin genommen
hätten, und zwar in der Zeit, in der die Linken dort Re-
gierungsverantwortung gehabt haben.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Herr Gysi!)


Dort haben Sie nämlich genau in diesem Bereich der
Finanzverwaltung, bei der Steuerfahndung, Personal ab-
gebaut.


(Beifall der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU] – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: 10 Prozent!)


Das war doch die Politik der Linken. Wenn Sie der Öf-
fentlichkeit erklärt hätten, warum Sie das gemacht ha-
ben, dann wäre etwas Sachlichkeit in diese Debatte ge-
kommen. Stattdessen reden Sie von Bayern.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nein! Von der CSU!)


Sie können doch die Dinge dort regeln, wo Sie Regie-
rungsverantwortung haben. Tun Sie das doch einmal!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie kommen uns immer mit der OECD und den
Steueroasen. Auf der aktuellen Liste der OECD wird
kein einziges Land weltweit als Steueroase geführt. Wo-
ran mag das wohl liegen? Das mag daran liegen, dass die
Bundesregierung in den letzten Jahren massiv daran ge-
arbeitet hat, dass über die Umsetzung von Abkommen
die Steueroasen ausgetrocknet werden. Das ist ein guter
Weg.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist doch immer noch kein automatischer Informationsaustausch! Das wissen Sie!)


Wir haben mit 93 Staaten Doppelbesteuerungsabkom-
men im Einkommensteuerbereich. Wir haben sechs
Doppelbesteuerungsabkommen im Erbschaft- und
Schenkungsteuerbereich, zwölf im Unternehmensteuer-
bereich und 26 Abkommen im Bereich der Rechts- und
Amtshilfe sowie beim Auskunftsaustausch.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber nicht automatisch! Das wissen Sie!)


Sie haben gesagt: Keine Regierung hat etwas Nen-
nenswertes getan. – Was glauben Sie, was die Öffent-
lichkeit über Sie denkt, Herr Gysi, nachdem Sie diese
Unwahrheiten am Mikrofon gesagt haben?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt kommen wir zur strafbefreienden Selbstanzeige.
Herr Poß hat versucht, die fünf Meinungen, die diese
Woche seitens der SPD zu diesem Thema vertreten wur-
den, zu einer zusammenzuführen.


(Joachim Poß [SPD]: Jetzt können Sie nicht mal mehr rechnen!)


Die Wahrheit ist: Poß hat gesagt: Die strafbefreiende
Selbstanzeige soll abgeschafft werden. Steinbrück hat
gesagt: Sie soll beibehalten werden. Dem Herrn Gabriel
war es peinlich, und so hat er dann gesagt: Na ja, wir
wollen sie irgendwie schon abschaffen, aber erst einmal
beibehalten, und mittelfristig muss man mal schauen. –
Das ist die Meinung, die die SPD dazu geäußert hat.

Jetzt kann ich Ihnen sagen, warum Herr Steinbrück
sagt, er will sie nicht abschaffen.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat Herr Steinbrück so nicht gesagt! Er hat gesagt: nicht im Moment! Schon wieder eine Täuschung!)


Man braucht sie im Bagatellbereich. Wenn ein Bürger
einmal vergessen hat, etwas in seiner Steuererklärung
anzugeben, und das nachliefert, dann soll er nicht in Ver-
dacht kommen, sodass ein Ermittlungsverfahren einge-
leitet und geprüft werden muss, ob das vorsätzlich oder
fahrlässig war, und das wegen 5 Euro. Das würde die
Finanzverwaltung lahmlegen, und das ist auch den Bür-
gerinnen und Bürgern nicht zuzumuten.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807300

Herr Wissing, es gibt eine Zwischenfrage von der

Linken.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1723807400

Ich möchte weiterreden. Von der Opposition kommt

zu diesem Thema nur Quatsch. Dafür brauchen wir in
diesem Haus nicht die Zeit zu verschwenden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Feigling!)


– Ja, seit Monaten kommt nur Quatsch.





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


Jetzt will ich Ihnen auch sagen, warum die strafbefrei-
ende Selbstanzeige erforderlich ist.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist eine Privilegierung der Steuerkriminalität! Bei Ihnen ist das doch klar: Sie wollen Steuerkriminelle privilegieren! Sie sind Schutzpatron der Steuerkriminellen!)


Ich habe das diese Woche hier schon einmal gesagt, aber
Sie wollen es ja nicht wahrhaben. Es gibt im Besteue-
rungsverfahren die Pflicht des Bürgers, sich der Finanz-
verwaltung wahrheitsgemäß zu offenbaren. Seit Ab-
schaffung der Inquisition 1848 haben wir den Grundsatz
„Nemo tenetur“: Kein Straftäter muss an seiner Überfüh-
rung mitwirken und sich selbst belasten.

Hier besteht ein Widerspruch: Ich kann nicht einer-
seits von einem Steuerhinterzieher erwarten, dass er sich
offenbart, und ihm andererseits sagen: Du musst dich
aber nicht selbst belasten. Deswegen gibt es die strafbe-
freiende Selbstanzeige. – Jetzt ist die Opposition aber er-
staunt!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Herr Gysi hatte jetzt 20 Jahre Zeit, sich mit der
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland aus-
einanderzusetzen.


(Joachim Poß [SPD]: Und Sie hatten viel länger Zeit und haben auch nichts gelernt!)


Herr Gysi, Sie könnten das längst wissen. Aber entweder
hängen Sie noch geistig in der Verfassungssituation der
DDR fest, oder Sie verkünden der Öffentlichkeit den
größten Quatsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten ein Be-
steuerungsabkommen vorgelegt, das für die Vergangen-
heit die lückenlose Besteuerung aller Steuerhinterzieher
sichergestellt hätte – zugegeben mit Anonymität, weil es
nicht anders ging – und für die Zukunft eine hundertpro-
zentige Sicherstellung der Besteuerung ohne die Mög-
lichkeit der Steuerhinterziehung. Sie haben das abge-
lehnt.

Nach Ihren Debattenbeiträgen komme ich langsam zu
dem Eindruck, Sie lehnen die Bekämpfung der Steuer-
hinterziehung ab, weil Sie versuchen, aus dem Thema
politisch Kapital zu schlagen. Das ist die eigentliche
Schweinerei Ihrer politischen Haltung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807500

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Thomas Gambke

für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte ist mit
Recht engagiert. Sie ist mit Recht zum Teil auch pole-

misch; denn es geht wirklich um viel. Insofern, denke
ich, ist es schon gut, ein bisschen zu den Tatsachen zu-
rückzukommen. Herr Flosbach, immer wenn Sie laut
werden – das habe ich in den letzten drei Jahren gemerkt –,
dann wird die Argumentationskette etwas dünner. Bei
Herrn Wissing ist das ähnlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Wann fängt Ihre Kette denn an?)


Erstens. Was Sie hier nicht erwähnen, ist der Inhalt
des Art. 10 in dem Schweizer Steuerabkommen. In
Art. 10 – das werden Sie nicht auswendig wissen – ist
als Alternative zu dem, was Sie dargestellt haben, näm-
lich eine Pauschalbesteuerung zwischen 21 und 41 Pro-
zent, die strafbefreiende Selbstanzeige explizit vorgese-
hen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich der
Steuerpflichtige in Form einer Günstigerprüfung – dafür
gibt es Gelegenheit, dafür wird extra Zeit eingeräumt –
zurücklehnen und sich fragen kann: Ziehe ich mich in
die kuschelige Anonymität des Abkommens zurück,
dann muss ich vielleicht ein bisschen mehr zahlen, oder
nutze ich die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstan-
zeige und zahle vielleicht weniger, muss aber dem Fi-
nanzamt, nicht der Öffentlichkeit, offenlegen, was ich
mit meinem Geld gemacht habe? – Das aber erzählen Sie
den Leuten nicht. Deshalb stimmt Ihre gesamte Argu-
mentation nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Quatsch! Das ist Bestandteil des Abkommens! Was reden Sie denn für einen Müll? – Holger Krestel [FDP]: Haben Sie das Abkommen überhaupt gelesen?)


– Lesen Sie es bitte schön nach.

Zweitens. Sie haben über FATCA gesprochen. Dabei
haben Sie so getan, als ob ein FATCA-ähnliches Abkom-
men bereits beschlossene Sache sei und in der nächsten
Sitzungswoche im Bundestag endgültig abgesegnet
werde.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Werden wir auch!)


Wir hatten Professor Grinberg in den Finanzausschuss
eingeladen. Da kannten Sie den Begriff „FATCA“ noch
gar nicht richtig.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Sie wussten nicht, dass die USA und die Schweiz schon
im Mai letzten Jahres FATCA unterzeichnet hatten und
damit einen neuen Weg eingeschlagen hatten, nämlich in
den automatischen Informationsaustausch. Erzählen Sie
hier also nicht so einen Blödsinn!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Für die Zukunft! Das ist doch wieder Quatsch!)






Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


Drittens. Herr Wissing, Sie haben zu Recht und in
sehr ruhiger Weise vorgetragen – das finde ich gut –,
dass es bei Ihrem Konzept die Wahl zwischen Anonymi-
tät und Offenlegung – aber nicht öffentlich – gegenüber
dem Fiskus gab. Was Sie aber verschweigen, ist, dass die
Vorsitzende des Finanzausschusses mit uns in Luxemburg
war und die Kollegen in Luxemburg und auch in Öster-
reich explizit erklärt haben, dass Luxemburg und Öster-
reich dann, wenn das Steuerabkommen mit der Schweiz
beschlossen und die darin vorgesehene Anonymität zu-
gesichert wird, der EU-Zinsrichtlinie nicht zustimmen
werden. Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Gehört die Schweiz zur EU?)


– Nein, sie gehört nicht dazu, aber Luxemburg und Ös-
terreich haben sich daran orientiert. Das ist doch der
Punkt.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie gehören zur EU! Die mussten das machen!)


Diese Länder haben sich deshalb schon seit Jahren ver-
weigert, und jetzt erst sagen sie: Wir machen mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will jetzt meinen Ton etwas mäßigen, weil ich
glaube, das Thema ist viel zu wichtig. Wenn man sieht,
dass heute in den USA 1,5 Billionen US-Dollar aus Ge-
winnen, die US-Konzerne im Ausland erzielen, nicht
versteuert werden, wenn man dann den Geschäftsbericht
eines DAX-notierten deutschen Unternehmens liest, wo-
nach die effektive Ertragsteuerquote 4,7 Prozent in 2009
betrug – es war ein Geschäftsbericht von 2009 – und
durch die geografische Verteilung des Konzernergebnis-
ses und die Bewertung steuerlicher Verluste wesentlich
bestimmt wurde – 4,7 Prozent! –, wenn man weiß, dass
– das ist die einzige Zahl, die im Moment bekannt ist –
die Geschäftsbanken in Deutschland – Deutsche Bank,
Commerzbank und auch alle anderen Banken dieser Art –
in den Jahren 1999 bis 2009 in der Summe 4 Milliarden
Euro gezahlt haben, während Volksbanken, Landesban-
ken und Sparkassen in der Summe 40 Milliarden Euro
gezahlt haben, wenn man diese Zahlen einmal auf sich
wirken lässt, dann weiß man, wie ernst das Problem ist.

Ich kann Ihnen von der Linken einen Vorwurf nicht
ersparen – es ist schön, Herr Troost, dass Sie jetzt in der
ersten Reihe Platz genommen haben –: Wieso legen Sie
Anträge vor, die das Problem zwar richtig beschreiben
– das ist gar keine Frage; darüber reden wir –, aber keine
richtige Lösung anbieten? Sie wollen hier etwas durch-
pauken und schon heute entscheiden. Dieses Thema ist
dafür viel zu wichtig. Sie wissen genau, wie komplex die
Materie ist. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich mit
diesem Thema in aller Ruhe beschäftigen und dass wir
dann über konkrete Dinge abstimmen. So kann ich die-
sen Antrag nur ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber darüber beraten wir trotzdem im Finanzausschuss!)


Wir reden hier über Steueroasen. Dabei muss man dif-
ferenzieren. Es geht nicht nur um das persönliche Fehl-
verhalten einzelner Steuerbürger, sondern auch um ag-
gressive Steuergestaltung. Beide Themen werden oft
miteinander vermengt, was nicht in Ordnung ist. Es geht
nicht nur um Steuergerechtigkeit im Sinne der öffentli-
chen Daseinsvorsorge, sondern auch – das ist mir sehr
wichtig – um Wettbewerbsgleichheit. So zahlen das mit-
telständische Möbelhaus und das 30 Kilometer entfernte
schwedische Möbelhaus in meinem Wahlkreis unter-
schiedlich hohe Gewerbe- und Körperschaftsteuern. Wir
Grüne wollen Wettbewerbsgleichheit herstellen, und
zwar zugunsten des Mittelstands. Da sollten Sie endlich
einmal liefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: In der Tat!)


Ich will die Brisanz dessen klarmachen, was im Mo-
ment passiert. Herr Osborne hat uns im Finanzausschuss
erklärt, dass man handeln werde. Danach wurden noch
schöne Bilder zusammen mit Herrn Schäuble gemacht.
Als ich nach Hause kam, habe ich in einem Artikel der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen – ich habe es
nicht für möglich gehalten –,


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Der hat zu Hause die FAZ! Das ist ja interessant!)


dass Großbritannien gerade dabei ist, eine sogenannte
Patent Box einzuführen. Dies bedeutet nichts anderes,
als dass das Modell, dass sich einige über Zahlungen für
Lizenzgebühren über die Niederlande die dortige Kör-
perschaftsteuer in Höhe von 4,5 Prozent zunutze ma-
chen, auch in Großbritannien ermöglicht werden soll.

Angesichts dessen hätte ich von Ihnen, meine Damen
und Herren von der Koalition, einen Aufschrei erwartet.
Wenn Sie wirklich kapiert hätten, dass es hier um Wett-
bewerbsgleichheit zugunsten des Mittelstands geht,
wenn gerade Sie von der FDP tatsächlich wüssten, was
die Menschen bewegt, und wenn Sie den Menschen
draußen im Land wirklich zugehört hätten, dann hätten
Sie gewusst: Hier müssen wir aktiv werden. Wir, die Ab-
geordneten der Koalition, müssen zum Finanzminister
gehen und ihn auffordern, in dieser Sache endlich Stel-
lung zu beziehen. – Das hätte ich mir gewünscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wissen Sie, was Mittelstand ist, bei Ihrer Vermögensabgabe?)


Es gibt viele Möglichkeiten, Steuerhinterziehung zu
bekämpfen. Eine konkrete Maßnahme wäre beispiels-
weise das Country-by-Country Reporting. Wir haben ei-
nen entsprechenden Antrag vorgelegt. Wie ich aus Ihren
Kreisen vernommen habe, gilt das eigentlich als ein gu-
ter Vorschlag. Aber dann hieß es: Schauen wir erst ein-
mal, was die OECD macht. – Ich habe Ihnen schon im
Finanzausschuss gesagt: Deutschland ist die export-
stärkste Nation in Europa. Wir alle sind stolz auf die
Leistungen der deutschen Wirtschaft. Die deutsche Wirt-
schaft hat eine hohe Reputation. Erarbeiten Sie sich doch
endlich eine ähnlich hohe Reputation, wenn es um Wett-





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


bewerbsgleichheit zugunsten des Mittelstands geht! Sa-
gen Sie Ihrem Finanzminister doch bitte, er möge dahin
gehend tätig werden. Aber er wird wahrscheinlich nichts
tun.

Im Moment wird in Brüssel über eine Offenlegungs-
pflicht für Briefkastenfirmen verhandelt. Was höre ich
aus Brüssel? Herr Schäuble bremst. Dabei geht es da-
rum, herauszubekommen, wer die wahren Eigentümer
von Briefkastenfirmen sind und wer sich hinter Stiftun-
gen und Trusts versteckt. Ich kenne aber kein einziges
Statement von Herrn Schäuble, in dem er sich für eine
Transparenzpflicht einsetzt. Tax Justice Network, Trans-
parency Deutschland und Attac sagen etwas ganz ande-
res.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die sind ja auch glaubwürdig!)


– In diesem Punkt sind diese Organisationen sehr glaub-
würdig.

Es geht darum, eine verbesserte Datenlage zu bekom-
men, Herr Brinkhaus.


(Holger Krestel [FDP]: Hören Sie mit Ihren Schummelvereinen auf, die Sie selber gegründet haben!)


Was weiß denn das Bundesfinanzministerium über-
haupt? Es weiß nichts. Ich habe im Rahmen einer An-
frage den Bundesfinanzminister gefragt, ob es Belege
für die von Herrn Semeta genannte Summe von 1 Billion
Euro, die in der EU Jahr für Jahr durch aggressive Steu-
ergestaltung und Steuerhinterziehung verloren geht, und
für die ständig genannten 150 Milliarden Euro in
Deutschland gibt und ob sich das Ganze genauer bezif-
fern lässt. Wissen Sie, was er gesagt hat? Er hat gesagt:
Wir haben keine Auskünfte darüber. – Er weiß also
nichts. Wir befinden uns im Blindflug.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wo haben Sie denn diese Zahlen her?)


– Von Herrn Semeta. Das habe ich gerade gesagt. Sie
sollten zuhören, Herr Brinkhaus.

Wir brauchen mehr Transparenz, und deshalb brau-
chen wir das Country-by-Country Reporting. Wir müs-
sen endlich wissen, was Unternehmen in einzelnen Staa-
ten machen. Wenn entsprechende Daten vorliegen,
entsteht Druck auf Unternehmen wie Starbucks, endlich
offenzulegen, wie viele Steuern bzw. ob überhaupt Steu-
ern gezahlt werden. Ich fand es schon bemerkenswert,
dass der Vertreter von Starbucks bei uns im Finanzaus-
schuss gesagt hat: Ja, wir zahlen Steuern. – Als wir nach-
gefragt haben, welche Steuer das ist, hat er gesagt: Wir
zahlen Umsatzsteuer.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da muss man dann schon sagen: Das kann es wohl nicht
sein.

Aber es gibt noch andere Dinge.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zeit!)


Wir müssen endlich den europäischen Steuerpakt in An-
griff nehmen. Wir müssen endlich eine gemeinsame Be-
messungsgrundlage und gemeinsame Sätze für die Kör-
perschaftsteuer vereinbaren.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Was machen die Sozialisten in Frankreich? Was macht Hollande in Frankreich? Was macht er denn?)


Dazu höre ich von Ihnen gar nichts.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807600

Herr Gambke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bevor Sie sich hinstellen und die Opposition wüst be-
schimpfen, sollten Sie endlich Ihre Hausaufgaben ma-
chen. Das haben Sie drei Jahre lang vermissen lassen.
Ich bin froh, dass wir wählen können.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807700

Herr Gambke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Ende werden Sie sehen, welchen Erfolg Sie mit
Ihrer Politik haben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Holger Krestel [FDP]: Setzen! Sechs! Eine glatte Sechs die Rede!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723807800

Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP])



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1723807900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich ist der Antrag der Linken, der unter diesem
Tagesordnungspunkt behandelt wird, nur einer einzigen
Würdigung wert: Er hinkt in mehrfacher Hinsicht der
Zeit und unserer Arbeit zur Bekämpfung der Steuerhin-
terziehung hinterher.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Stimmt nicht!)


Er offenbart in Teilen ein Weltbild, das schon im
19. Jahrhundert antiquiert war. Er ist ein Dokument der
Realitätsverleugnung,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie leiden an Realitätsverlust!)


der Feindbilder und wieder einmal des Klassenkampfes.
Nachdem sich das geradezu wöchentlich wiederholt,
möchte man eigentlich lächeln, wenn es nicht so bitter-





Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


traurig wäre und Rot-Grün im Zweifel in Form von Rot-
Rot-Grün nicht gemeinsame Sache mit der Linken ma-
chen würde. Aber es ist ernst. Man sieht, was Ihnen
überhaupt noch übrig bleibt: Feindbilder zu schüren, um
von dem abzulenken, was von der Koalition und von
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieser Antrag dokumentiert nur eines:


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Hohe Fachkompetenz!)


Sie sind nicht informiert, was in den letzten vier Jahren
angegangen und geleistet wurde. Sie sind vom Gang der
Dinge längst überholt worden.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Stimmt nicht!)


Sie leugnen es beharrlich, aber wir haben eine funk-
tionierende Steuerfahndung. Wir haben 40 Doppelbe-
steuerungsabkommen geschlossen.


(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)


Wir haben ein Schwarzgeldbekämpfungsgesetz durchge-
setzt. Wir haben ein Bundeszentralamt für Steuern. Ich
frage mich, wie Sie eigentlich dazu kommen, die vielen
fleißigen Steuerbeamten immer wieder so anzugehen,
wie Sie das in der letzten Zeit machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben die Offshore-Leaks-Medien gebeten, die
Unterlagen zur Prüfung zu übergeben. Sie können doch
nicht sagen, dass wir es zu verantworten haben, dass wir
diese Offshore-Leaks-Unterlagen nicht haben. Wir ha-
ben sie leider nicht bekommen. Wir müssen diese prüfen
und wollen diese prüfen. Sie müssen uns nur zugänglich
gemacht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie woll-
ten das nicht!)

Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Kommen Sie endlich
in der Gegenwart an. Ich fürchte nur, meine Damen und
Herren von Rot-Rot-Grün, dass Sie das gar nicht wollen,
weil dann alle ihre liebgewonnen Feindbilder – gegen
Bayern, gegen Steuerpflichtige, gegen Steuerbeamte –


(Manfred Zöllmer [SPD]: Gegen die CSU! Nicht gegen Bayern!)


wie ein Kartenhaus in sich zusammenfielen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723808000

Herr Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1723808100

Ja bitte?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723808200

Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Troost

zulassen?


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Mach das nicht! Wir wollen gleich mit dem Flieger weg!)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1723808300

Nein, das ist wirklich zwecklos. Es ist zwecklos, weil

Sie nur wieder versuchen, irgendwelche Feindbilder auf-
zubauen; es bleibt nichts von Ihren täglichen Parolen üb-
rig, mit denen Sie die Menschen in diesem Land mehr
oder minder verdummen wollen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Von der Steuer-Gewerkschaft kriegen Sie Informationen!)


Sie haben in den elf Jahren, in denen die SPD den Fi-
nanzminister stellte, versagt; das wissen die Leute. Da-
vor können Sie die Augen nicht verschließen. Ich sage
Ihnen: Bundesfinanzminister Hans Eichel von der SPD
hat eine untaugliche Steueramnestie zu verantworten.
Bei dieser Amnestie war der Steuerpflichtige in der Öf-
fentlichkeit genauso anonym wie beim Steuerabkommen
mit der Schweiz. Sie können dies nicht in Abrede stellen,
obwohl Sie dies immer wieder versuchen. Anonym
bleibt anonym.


(Beifall der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP])


Deswegen ist der Versuch, das Abkommen mit der
Schweiz falsch darzustellen, untauglich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Täuschen Sie doch nicht die Öffentlichkeit! Täuschung!)


Sie wollen also davon ablenken. Wir wollen eine lü-
ckenlose Besteuerung aller deutschen Steuerpflichtigen
in der Schweiz und erwarten Einnahmen in Höhe von
10 Milliarden Euro durch die Besteuerung der Vermögen
mit einem Steuersatz von bis zu 41 Prozent. Es ist Un-
treue gegenüber dem deutschen Steuerzahler und dem
deutschen Staat, dass Sie diese 10 Milliarden Euro blo-
ckieren. Das ist die Tatsache, und das muss immer wie-
der deutlich werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun noch einmal zu einzelnen Fakten. Diese bürgerli-
che Koalition und die von ihr getragene Bundesregie-
rung sind an vorderster Stelle und erfolgreich dabei, in
der Europäischen Union, in der G 20 und in der OECD,
wenn es gilt, Steuerhinterziehung und grenzüberschrei-
tende Steuergestaltung, die Verschiebung von Gewinnen
internationaler Konzerne und die Aushöhlung der Steu-
erbemessungsgrundlage zu bekämpfen, die internatio-
nale Zusammenarbeit zu verbessern und Steueroasen
Schritt für Schritt auszutrocknen.

Hierzu einige Beispiele: Minister Schäuble hat – ers-
tens – gemeinsam das BEPS-Projekt mit den britischen
und französischen Kollegen auf den Weg gebracht.





Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


Zweitens. Die OECD arbeitet gegenwärtig in drei Ar-
beitsgruppen unter deutschem Vorsitz an einem Aktions-
plan für Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Ge-
winnverlagerungen.


(Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur CSU und zu Herrn Schmid in Bayern, der zurückgetreten wurde! Sie kennen sich doch in der CSU aus! Sagen Sie mal was dazu!)


Drittens. Die G 5 haben unlängst zur Bekämpfung
von Steuerhinterziehung unter anderem die Erweiterung
des automatischen Informationsaustausches im Bereich
der Kapitaleinkünfte beschlossen.

Viertens haben wir uns seit Mitte Februar in der EU
unter anderem auf die stufenweise Einführung eines au-
tomatischen Informationsaustausches für Vergütungen
im Aufsichtsrat und Verwaltungsrat, für Lebensversiche-
rungsprodukte, Ruhegehälter und Immobilieneinkünfte
verständigt.

All dies ist auf den Weg gebracht; wir haben das Ziel
des automatischen Informationsaustausches.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja, aber wir haben es noch nicht! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wussten doch vor einem Jahr gar nicht, was das ist!)


Das ist der einzig sinnvolle Weg zu einer lückenlosen
Besteuerung aller Steuerpflichtigen, um hier steuerge-
recht bzw. steuerehrlich vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Und Herr Schmid in Bayern?)


Das sollten Sie anerkennen und nicht immer wieder in-
frage stellen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es geht Ihnen im
Wesentlichen – das war in den letzten Wochen immer
wieder das Gleiche – um Wahlkampfgetöse, es geht Ih-
nen um Desinformation.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie machen viel, viel Wind!)


Darin sind Sie, wie früher, großer Meister, Herr Gysi.
Aber Sie auf der linken Seite dieses Parlaments haben
ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)


Der Brandenburger Finanzminister ist ein Linker. Er hält
es für das Selbstverständlichste der Welt, fast 1,5 Millio-
nen Euro aus dem Landesbeamtenfonds nach Curaçao
und die Cayman Islands zu verschieben. Hört! Hört!

Ein weiteres Beispiel für Geldanlagen in Steueroasen:
Die frühere WestLB und heutige Portigon AG – immer-
hin in Landesbesitz von Nordrhein-Westfalen, Landesre-
gierung Rot-Grün – hat mit Geldanlagen in Steueroasen
gute Erfahrungen und macht dies locker nach wie vor.
Gehen Sie vor die eigene Tür, kehren Sie dort und sagen
Sie der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-West-
falen, sie soll dies sofort bei der Portigon AG einstellen.
Dann sind Sie glaubwürdig, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen: Wir, die bürgerliche Koalition, wollen
nicht Rückschritt, sondern Fortschritt. Daher lehnen wir
den Antrag ab und lassen uns von niemandem in der Be-
kämpfung der Steuerhinterziehung vorführen und über-
tölpeln. Wir werden an dieser Sache weiter aktiv arbei-
ten und einen wesentlichen Beitrag zu Steuerehrlichkeit
und Steuergerechtigkeit in der Zukunft leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723808400

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem

Kollegen Axel Troost.


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723808500

Danke schön. – Herr Kollege Michelbach, dass Sie

uns als Linke hier im Parlament immer für blöd erklären,
das kennen wir ja schon. Zu Ihrer Aussage, wir würden
die Steuerbeamten diffamieren: Alle Informationen, die
wir bekommen, bekommen wir durch unsere gute Zu-
sammenarbeit, unter anderem mit der Steuer-Gewerk-
schaft, mit Herrn Ondracek und Herrn Eigenthaler. Die
informieren uns darüber, dass die Steuerverwaltung in
der Bundesrepublik heute nicht vernünftig funktioniert,
und zwar nicht deshalb, weil die Beamtinnen und Beam-
ten schlecht arbeiten, sondern deshalb, weil die Steuer-
verwaltung völlig unterausgestattet ist.

Wo wir gerade bei Ihnen und bei Bayern sind: Von
dieser Gewerkschaft hören wir, dass Unternehmenslei-
tungen aus der ganzen Bundesrepublik ihren Firmensitz
– auch als Briefkastenfirmensitz – nach München verle-
gen, weil man weiß, dass die Steuerverwaltung München
extrem unterbesetzt ist und extrem schlecht prüft.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer denn? Haben Sie konkrete Beispiele?)


Es bleibt dabei: Wenn da nicht wirklich etwas pas-
siert, bekommen wir all die Informationen nicht. Inso-
fern bleibt es bei Mindereinnahmen, aber auch dabei: Es
gibt keine vernünftige Steuergerechtigkeit in diesem
Land.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723808600

Zur Erwiderung Herr Kollege Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1723808700

Herr Kollege Troost, ich kann Ihnen nur sagen, dass

ich Sie nicht für blöd erklärt habe; ich habe Sie für in der
Sache falsch aufgestellt erklärt.


(Heiterkeit)


– So ist es; das muss ich auch richtigstellen.

Ich kann nur sagen, dass niemand, der eine erfolgrei-
che deutsche Unternehmung führt, aus steuerlichen
Gründen den Sitz nach Bayern oder nach München ver-
legt, sondern deshalb, weil dort, am Wirtschaftsstandort





Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


Bayern, die besten Voraussetzungen gegeben sind, um
wirtschaftlichen Erfolg zu haben.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! – Joachim Poß [SPD]: Das beste Bier!)


Wir lassen uns diesen Erfolg nicht nehmen, und schon
gar nicht lassen wir die Firmen, die in Bayern tätig sind,
in irgendeiner Form unter Generalverdacht stellen. Das
ist immer Ihr Prinzip, die Leute unter Generalverdacht
zu stellen.


(Joachim Poß [SPD]: Briefkästen sind mir heilig, auch wenn sie in Bayern sind!)


Es ist niemand bereit, aus steuerlichen Gründen den Sitz
nach Bayern zu verlegen. Wir haben hier große Erfolge
mit Standortpolitik. Das hat mit dem Steueraspekt über-
haupt nichts zu tun.

Im Übrigen sind wir natürlich auch mit der Steuer-
Gewerkschaft, mit Herrn Ondracek und Herrn Eigentha-
ler, im Gespräch.

Tatsache ist auch – das ist eine Aussage von gestern –:
Es sind über 200 Neueinstellungen vorgenommen wor-
den.


(Joachim Poß [SPD]: Angekündigt!)


Letzten Endes müssen Sie einmal anerkennen: Am
meisten sprudeln die Steuerquellen in Bayern;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


sonst könnten wir uns den Länderfinanzausgleich in die-
ser Form überhaupt nicht leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir – das muss ich ganz deutlich sagen – finanzieren
doch den Rest der Republik – über den Länderfinanzaus-
gleich.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Tätä, tätä!)


– Haben wir den Länderfinanzausgleich oder nicht? Er-
kennen Sie also an, dass wir leistungsfähige Firmen in
Deutschland und insbesondere in Bayern haben und dass
durch diese Leistungsfähigkeit der Länderfinanzaus-
gleich – da halten andere die Hand gern auf – möglich
ist!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Unglaublich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723808800

Ich ahne: Da gibt es für den Wissenschaftlichen

Dienst des Bundestages wieder etwas zu tun. Dem will
ich jetzt aber nicht weiter nachgehen.


(Heiterkeit bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Die Aussage werden wir prüfen!)


Ich erteile nun als Nächstem das Wort dem Kollegen
Martin Gerster für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1723808900

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In

einem hatte Herr Wissing offenbar recht, dass nämlich
bei dieser Debatte ganz schön viel Unfug erzählt wird;
Herr Michelbach ist mit das beste Beispiel dafür.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz vorn beim Erzählen von Unfug sind Mitglieder
der Bundesregierung. Gestern war in der Schwäbischen
Zeitung das „Zitat des Tages“ vom Parlamentarischen
Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, Steffen
Kampeter. Ich zitiere:

Der Fall Hoeneß ist doch nur ein Einzelfall – ein
Zierfisch, ein dicker, fetter Zierfisch.


(Iris Gleicke [SPD]: So, so!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich, wie
es eigentlich möglich ist, in einem einzigen Satz drei
Fehler zu machen.

Erstens. Über Uli Hoeneß kann man viel erzählen. Er
ist ein erfolgreicher Fußballmanager, ein meinungsstar-
ker Fußballmanager, ein Unternehmer, ein Steuerhinter-
zieher offenbar. Aber ein Zierfisch? Ich bitte Sie! Ein
Zierfisch?! Das zeigt, wie hier geblendet wird, wie hier
bagatellisiert wird, wie hier abgelenkt wird, und das las-
sen wir Ihnen an dieser Stelle nicht durchgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Uli Hoeneß ein Einzelfall? Ich bitte Sie!
Seit 2010 haben wir über 47 000 Selbstanzeigen in die-
sem Land. Das ist doch kein Einzelfall!


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Daran lässt sich zeigen, wie Sie hier vorgehen, wie Sie
das Thema Steuerhinterziehung bagatellisieren.

Drittens. Wäre das deutsch-schweizerische Steuerab-
kommen zustande gekommen, hätten wir nie von diesem
angeblichen Einzelfall erfahren, weil er anonym hätte
bleiben können. Insofern ist es unerhört, wie Sie tagein,
tagaus Unfug erzählen, seit dieses Thema auf der Tages-
ordnung steht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Vorher auch schon!)


In der Schwäbischen Zeitung stand gestern auf dersel-
ben Seite noch etwas.


(Holger Krestel [FDP]: Lesen Sie nur eine Zeitung?)


– Ich lese mehrere Zeitungen, Herr Krestel. Sie können
nachher noch ein paar andere zitieren. Da kommen Sie
in der Berichterstattung und Kommentierung jedoch
auch nicht besser weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel Martin Gerster Troost [DIE LINKE]: Die ist aus Bayern finanziert, haben wir eben gehört!)





(A) (C)


(D)(B)


Unter dem Bildtitel „Hoeneß als warnendes Exem-
pel“ sieht man den Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble. Ich zitiere:

Wir haben uns für ein HÄRTERES Vorgehen bei
Steuerhinterziehung entschieden. Zwar BLEIBT
die Möglichkeit zur Selbstanzeige … 
… allerdings wird die Bundeskanzlerin jedem
Steuersünder persönlich ausrichten lassen, wie
ENTTÄUSCHT sie von ihm ist!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zugegebenermaßen ist dies eine Sprechblase in einer
Karikatur.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist genau das Niveau!)


Aber in jeder Karikatur steckt auch ein wahrer Kern.
Deswegen fragen wir uns, warum wir von der Bundes-
kanzlerin zu diesem Thema überhaupt kein Wort hören,
außer: Ich bin enttäuscht über Uli Hoeneß.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das wäre doch vielleicht ein Anlass für eine Regierungs-
erklärung gewesen.


(Holger Krestel [FDP]: Vielleicht eine Gedenkminute!)


Schweigen im Walde. Überhaupt nichts. Und dies, ob-
wohl sich Schwarz-Gelb beim Kampf gegen Steuerhin-
terziehung nunmehr statt als Verhinderer als Vorreiter
aufspielt.

Deswegen ist es gut, dass die Linksfraktion dieses
Thema nochmals in den Bundestag geholt hat. Einige
angesprochene Punkte sind richtig. Ich will hier die bes-
sere Kooperation der Behörden ausdrücklich erwähnen.
Es ist auch richtig festgehalten worden, dass wir bei der
Steuerverwaltung und Steuerfahndung unbedingt eine
bessere Ausstattung brauchen. Herr Wissing, Sie haben
vorhin gesagt: Das hat nichts mit Bayern zu tun. Ja, das
stimmt. Es hat eigentlich nur etwas mit der CSU und mit
Schwarz-Gelb in Bayern zu tun. Das ist doch die Wahr-
heit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Bayern unter CSU und Schwarz-Gelb sind Steuer-
fahndung und Steuerverwaltung bezogen auf die Aus-
stattung wahrlich keine Kampffische, um beim Bild von
Herrn Kampeter zu bleiben. Dort gibt es im Bereich der
betrieblichen Steuerprüfung eine personelle Unterbeset-
zung von 20 Prozent. Dies ist keine SPD-Zahl, sondern
eine Zahl des Bayerischen Obersten Rechnungshofes. In
seinem aktuellen Jahresbericht 2013 wird noch einmal
deutlich Kritik geübt. Es wird von Steuerausfällen durch
diese Unterbesetzung im dreistelligen Millionenbereich
gesprochen. Das muss man sich einmal vorstellen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Schauen wir einmal in ein anderes Bundesland: nach
Hessen. Dort waren gute Steuerfahnder unterwegs. Was
ist dann unter Volker Bouffier gemacht worden?


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: In die Psychiatrie haben sie sie gesteckt!)


Sie sind als psychisch krank deklariert worden.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sauerei!)


Es musste ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wer-
den. Man hat den Eindruck, dass in Hessen unter Volker
Bouffier nicht die Steuerhinterzieher verfolgt werden,
sondern die Steuerfahnder im Blickpunkt stehen. Das ist
doch der eigentliche Skandal.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Ländern. Herr Flosbach, Sie haben gesagt, das
sei alles Sache der Länder. Schauen wir einmal nach Ba-
den-Württemberg. Die neue Landesregierung hat
Schluss gemacht mit dem Argument: Standortvorteile
für Baden-Württemberg sind eine schlecht ausgestattete
Steuerverwaltung, eine schlecht ausgestattete Steuer-
fahndung und dass ihr so gut wie nie kontrolliert werdet.
Wir wollen dort 500 neue zusätzliche Stellen für die
Steuerfahndung und die Steuerverwaltung und 500 zu-
sätzliche Ausbildungsplätze schaffen. Das ist der rich-
tige Weg. Grün-Rot macht es an dieser Stelle vor. Das
gehört gewürdigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es bringt überhaupt nichts, wenn Sie beim Thema
Ankauf von Steuer-CDs immer wieder hereinrufen: Al-
les Hehlerei.


(Holger Krestel [FDP]: Ist es auch!)


Das ist in gewisser Weise pharisäerhaft; denn Ihre
schwarz-gelb regierten Bundesländer – es sind nicht
mehr so viele, und im Laufe des Jahres werden es noch
weniger – profitieren finanziell vom Ankauf dieser
Steuer-CDs, der aus den Reihen der FDP immer wieder
kritisiert wird. Am Mittwoch wurde dies aber auch aus
den Reihen der Fraktion der CDU/CSU in Person des
Fraktionsvorsitzenden getan. Deswegen sagen wir: So
sieht Ehrlichkeit jedenfalls nicht aus, weder in der politi-
schen Debatte noch beim Thema Steuerhinterziehung.


(Beifall bei der SPD)


Das Thema Steuerhinterziehung muss Chefsache
sein, das ist ganz klar; denn es ist ein massives Problem.
Sich darum zu kümmern, ist eine Frage der Gerechtig-
keit, um es noch einmal ganz klar zu formulieren. Steu-
erhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Deswegen ist es
richtig, es zu thematisieren.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Richtig!)


Wir brauchen die Gelder. Die Deutsche Steuer-Ge-
werkschaft hat errechnet, dass weit über 400 Milliarden
Euro von deutschen Steuerzahlern – oder eben Nicht-
steuerzahlern; so ist es richtig – am Fiskus vorbeigescho-





Martin Gerster


(A) (C)



(D)(B)


ben werden. Dabei brauchen wir die Mittel für unsere
Gesellschaft: für Bildung, für Verkehrsinfrastruktur, für
Arbeit und Soziales und für die Unterstützung unserer
Familien. Deswegen gehört dieses Thema permanent auf
die Tagesordnung.

Wir werden Sie bis zum Wahltag nicht aus der Verant-
wortung lassen, danach werden wir die Verantwortung
übernehmen und zeigen, wie man es richtig macht im
Kampf gegen Steuerhinterziehung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bildung und BadenWürttemberg: 10 000 Lehrerstellen gestrichen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723809000

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Holger

Krestel das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1723809100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Lassen Sie uns zurück zur Sache kommen, nachdem
Kollege Gerster dieser Regierungskoalition und dieser
Bundesregierung vorgeworfen hat, dass wir zu wenig
gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung inter-
national tätiger Unternehmen tun würden. Dabei haben
wir in dieser Legislaturperiode viel mehr zur Bekämp-
fung dieser Missstände getan als jede vorherige Regie-
rung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir können nicht per Federstrich das Finanzkapital
der ganzen Welt auf neue Wege leiten, so wie sich die
Linke das in ihrem Antrag zu wünschen scheint. Viel-
mehr sind es Aktionen wie das Werben von Bundes-
finanzminister Dr. Schäuble beim Treffen des IWF und
der G 20 letzte Woche in Washington für eine deutsche
Initiative gegen Steuerhinterziehung und Steuervermei-
dung international tätiger Großunternehmen, es sind An-
strengungen wie unser Einsatz für einen automatischen
Informationsaustausch über alle Kapitaleinkünfte in der
EU. Wir befinden uns in stetigem Dialog. In dieser Le-
gislaturperiode wurden rund 90 Doppelbesteuerungsab-
kommen beschlossen, viele weitere befinden sich bereits
in der Phase der Verhandlung.

Wenn Sie nun die Basis all dieser mühsam verhandel-
ten und auf den Weg gebrachten Abkommen infrage
stellen und denken, man könne diese in kürzester Zeit
mit komplett neuen Standards neu auflegen und würde
dabei noch Zuspruch vom Verhandlungspartner erhalten,
beweist das nur, dass Sie sich von der Realität internatio-
naler Finanzdiplomatie vollständig abgekapselt haben.

Im Gegenteil: Ihre Forderung, deutsche Staatsbürger
weltweit zur Kasse zu bitten, offenbart die Scheuklap-
pen, die Sie tragen. Neben den Bürgern, die hier geboren
und später ausgewandert sind, gibt es zahlreiche

Deutschstämmige, zum Beispiel in Osteuropa und Zen-
tralasien, die einen deutschen Pass haben, aber noch nie
in ihrem Leben einen Fuß auf deutsches Staatsgebiet ge-
setzt haben. Wollen Sie auch diesen Leuten in die Ta-
schen fassen? Wie wollen Sie diese neu geschaffenen
Ansprüche vollstrecken?

Der Antrag der Linken erinnert mich vom Inhalt und
vom Duktus her, ehrlich gesagt, ein bisschen an einen
Ausspruch von Winston Churchill: Das Einzige, was die
Sozialisten von Wirtschaft verstehen, ist, wie man an das
Geld fremder Leute herankommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie uns schließlich noch zu Anspruch und
Wirklichkeit linker Politik kommen. Sie fordern, dass
die Bundesländer ihren Steuervollzug verbessern und
mehr Personal einstellen. Sie waren zehn Jahre lang in
Berlin in rot-roter Regierungsverantwortung. Sie sind
dafür verantwortlich, dass die Steuerverwaltung hier in
dieser Stadt systematisch ausgetrocknet worden ist. Un-
ter Ihrer Regierungsverantwortung im Land Berlin wur-
den aufgrund einer Quote 10 Prozent der Steuerbeamten
für entbehrlich erklärt. Zusätzlich ist die Attraktivität der
Steuerverwaltung – wie übrigens der gesamten Berliner
Landesverwaltung – für junge Menschen rapide gesun-
ken, sodass die besten Nachwuchsbeamten diese Stadt
verlassen.

In der Opposition können Sie, wie heute, schöne For-
derungen stellen. Wenn Sie jedoch in der Verantwortung
stehen, schmeißen Sie das Geld lieber für linke Klientel-
projekte aus dem Fenster, anstatt es in eine effektive
Steuerverwaltung zu investieren. Das haben Sie in Ber-
lin bewiesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Den Kollegen Gysi möchte ich von dieser Kritik aber
ausnehmen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Oh!)


Er ist vor rund zehn Jahren als Berliner Wirtschaftssena-
tor nämlich so schnell wieder aus dem Amt geschieden,


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Er konnte keinen Schaden anrichten!)


dass er als Wirtschaftssenator gar keine Wirkung entfal-
ten konnte. Er war allenfalls Berliner Intermezzosenator.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723809200

Die Kollegin Höll meldet sich jetzt zu einer Kurzin-

tervention. Ich mache, damit jeder sich darauf einstellen
kann, schon jetzt darauf aufmerksam, dass das die letzte
ist, die ich zulasse, weil wir schon über unserer verein-
barten Zeit liegen.

Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723809300

Danke, Herr Präsident. – Ich möchte Bezug nehmen

auf das, was vorhin Herr Wissing und jetzt Herr Kollege
Krestel sagten. Sie sagten, die Doppelbesteuerungsab-
kommen seien in erster Linie ein Mittel zur Bekämpfung
von Wirtschaftskriminalität. Ich verstehe sie anders:
Doppelbesteuerungsabkommen sind Abkommen, die
verhindern sollen, dass Menschen und Unternehmen, die
in verschiedenen Ländern tätig sind, einer doppelten Be-
steuerung unterworfen werden.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: So ist es!)


Das setzt voraus, dass Informationen ausgetauscht
werden, und zwar im Rahmen eines automatischen In-
formationsaustauschs. Davon ist aber auch das OECD-
Musterabkommen weit entfernt.

Sie schmücken sich mit 40 abgeschlossenen Abkom-
men. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir einen au-
tomatischen Informationsaustausch haben. Dass von den
G 20 – auch von der Schweizer Finanzministerin – jetzt
eine entsprechende Willenserklärung unterzeichnet
wurde, ist das Ergebnis der Verhinderung des deutsch-
schweizerischen Steuerabkommens. Damit haben wir
verhindert, dass die Bundesrepublik als größte Volks-
wirtschaft Europas zusammen mit der Schweiz einen
Sonderweg beschreitet. Dadurch ist die Schweiz ge-
zwungen, jetzt auf den anderen Weg einzuschwenken.

Wichtigste Voraussetzung sind Informationen. Wir
müssen diesbezüglich hier in unserem Land anfangen.
Als Ergebnis Ihrer Politik werden wir international kriti-
siert. Es gibt keine Transparenz und keine Offenlegungs-
pflichten, zum Beispiel bei den Eigentümerstrukturen
von Trusts und Stiftungen. Deshalb können Finanzbe-
hörden nur schwer nachfragen, da sie nicht wissen, wem
was gehört. Es stellt sich dann zum Beispiel die Frage,
nach wem man im Hinblick auf ein Konto in der
Schweiz fragen soll.

Deshalb brauchen wir auf alle Fälle mehr Finanzbe-
amte. Außerdem brauchen wir eine Koordinierung auf
Bundesebene.

Als wir mit Rot-Rot die Regierungsverantwortung in
Berlin übernommen haben, war Berlin als Ergebnis der
Regierungspolitik von CDU und SPD so etwas von
pleite. Da ging fast gar nichts mehr. Die rot-rote Regie-
rungskoalition hat Berlin wieder nach vorne gebracht.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der FDP)


Bayern versorgt ja jetzt die ganze Welt. Sie könnten
sich 2 000 zusätzliche Finanzbeamte leisten. Sie hätten
ja in Berlin und in anderen Ländern aushelfen können.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723809400

Nächster Redner ist der Kollege Mathias Middelberg

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1723809500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, wir
sollten zur Sache zurückkommen. Der Kollege Krestel
von der FDP hat genau den richtigen Punkt angespro-
chen.

Herr Gysi, ich bin vor allem von Ihrem Beitrag heute
hier extrem enttäuscht.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Halten wir das einmal fest. Sie haben hier zu 95 Prozent
Polemik geliefert, um das Thema wahlkampftechnisch
für sich zu instrumentalisieren. Sie haben ein paar
Punkte angesprochen, die der Sache dienlich sind, über
die man auch sprechen kann. Man muss aber ernsthaft
festhalten: Als Wirtschaftssenator in Berlin hatten Sie
die Möglichkeit, in einer verantwortlichen Position in
der Exekutive diese Dinge ganz konkret anzugehen.
Nehmen wir das Thema Steuerverwaltung, das der Kol-
lege Krestel angesprochen hat: Sie hatten doch die Mög-
lichkeit, zuzupacken. Sie hätten auch über Bundesrats-
initiativen die Dinge anstoßen können, die Sie eben
angesprochen haben. – Halten wir einmal fest, dass Sie
das nicht getan haben, sondern sich nach kürzester Zeit,
schon nach wenigen Monaten aus der Verantwortung ge-
zogen und sich vom Acker gemacht haben. Das sind die
Fakten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie hier eine solche
Litanei vorgetragen haben. Damit haben Sie ein Zerrbild
dieses Landes gezeichnet. Sie haben wieder einmal mit
dem Stichwort – so nenne ich es einmal – „Armutsrepu-
blik“ angefangen. Wenn wir Bilanz ziehen und uns nüch-
tern den Armuts- und Reichtumsbericht anschauen, über
den viel diskutiert worden ist, dann sehen wir – das sind
die Fakten –, dass wir vor sieben Jahren 5 Millionen Ar-
beitslose hatten und wir dieses Maß jetzt fast halbiert ha-
ben – in diesem Jahr werden wir deutlich unter 3 Millio-
nen Arbeitslose haben –, dass wir die Quote der
Langzeitarbeitslosen in diesem Land um 40 Prozent ver-
ringert haben und statt 26 Millionen Menschen jetzt
29 Millionen Menschen in sozialversicherungspflichti-
ger Beschäftigung sind.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Was hat das mit dem Thema zu tun? Ich denke, wir reden über Steueroasen!)


Deutschland ist keine Armutsrepublik. Diese Zahlen
zeigen, dass wir mit unserer Steuer- und Wirtschaftspoli-
tik, auch mit den moderaten Steuersätzen in diesem
Land, auf genau dem richtigen Kurs sind; denn sonst
hätten wir nicht die höchsten Steuereinnahmen in der
Geschichte dieser Republik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist auch nicht richtig, dass Herr Hoeneß nach In-
krafttreten des Steuerabkommens mit der Schweiz mit
einem kleinen Obolus davongekommen wäre. Das ist
falsch.





Dr. Mathias Middelberg


(A) (C)



(D)(B)



(Joachim Poß [SPD]: Das hat auch keiner gesagt! Anonym!)


– Er hat gesagt, er wäre mit einem kleinen Obolus da-
vongekommen. – Genau das Gegenteil wäre der Fall ge-
wesen. Jetzt werden zur Besteuerung nur seine Zinser-
träge herangezogen,


(Joachim Poß [SPD]: Das können Sie doch gar nicht beurteilen!)


und er wird nachher noch eine gewisse Strafsteuer zu
zahlen haben.


(Joachim Poß [SPD]: Ach?)


Gemäß dem Steuerabkommen mit der Schweiz wäre das
gesamte Kapital, nicht nur die Zinserträge, sondern der
gesamte Zuwachs, den er zum Beispiel durch Aktien-
wertsteigerungen zu verzeichnen hatte, also der gesamte
Bestand, mit einem Zinssatz von 21 bis 41 Prozent be-
steuert worden.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie einmal, was ihm die Anonymität wert war!)


Das heißt, Herr Hoeneß hätte sehr viel mehr zahlen müs-
sen, wenn das Steuerabkommen mit der Schweiz zu-
stande gekommen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum hat er das mit der strafbefreienden Selbstanzeige nicht vorher gemacht? – Manfred Zöllmer [SPD]: Er hat allein 5 Millionen Euro Kaution gezahlt!)


Die Alternative, vor der wir standen, hat Ihnen der
Kollege Wissing eben sehr präzise und, wie ich finde,
für jedermann nachvollziehbar erklärt. Wir hätten nicht
beides bekommen können. Das haben auch Sie von der
SPD damals erkannt. Das beweist Ihr damaliger Amnes-
tievorschlag. Sie hätten die Anonymität aufheben kön-
nen. Dann wären aber ganz andere Erträge dabei heraus-
gekommen. Das ist die Wahrheit.

Jetzt, da Sie das Steuerabkommen abgelehnt haben,
bleibt es für den großen Teil der Beteiligten, die in ande-
ren Ländern unterwegs sind, bei der Anonymität. Das
finde ich, ehrlich gesagt, skandalös. Ich finde, es ist
wirklich eine Unverschämtheit – das muss ich sagen –,
dass Sie das hier anders darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben keinerlei Belehrungen nötig, was das
Thema Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf inter-
nationaler Ebene angeht; das hat der Kollege Flosbach
eben ganz überzeugend deutlich gemacht. Ich greife ein-
mal den Punkt Zinsrichtlinie auf: Unser Bundesfinanz-
minister Wolfgang Schäuble setzt sich an führender
Stelle dafür ein, dass wir endlich einen automatischen
Informationsaustausch bekommen,


(Joachim Poß [SPD]: Warum denn erst jetzt? Er hat das doch mit der Schweiz verhandelt!)


und zwar nicht nur in Bezug auf Zinserträge, sondern da-
rüber hinaus auch in Bezug auf Dividenden und Veräu-
ßerungserlöse. Das ist ganz wichtig; denn das ist ein gro-
ßer Teil der anfallenden Erträge. In Zukunft werden wir
auch Lebensversicherungen, strukturierte Finanzpro-
dukte, die vielbeschworenen Trusts, private Stiftungen
und sämtliche Formen von Investmentfonds erfassen
können. Das halte ich für den richtigen Weg.

Wir können nur in internationalen Verhandlungen
vorwärtskommen. All diese Kavalleriemodelle sind
Blödsinn. Wenn man sich ansieht, was Herr Steinbrück
in den letzten Monaten dazu und auch zu vielen anderen
Fragen erzählt hat, erkennt man, dass es immer so ab-
läuft: Herr Steinbrück sagt etwas, und zwei oder drei
Wochen später wird er von seinen eigenen Leuten aus
der SPD in dieser Sache zurückgepfiffen. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt möchte ich Ihnen noch generell etwas zum
Thema Steuerpolitik sagen; denn an diesem Wochen-
ende steht ja der Parteitag der Grünen an. Herr
Kretschmann, Ihr Ministerpräsident, hat Ihnen zu diesem
Thema ganz grundlegend und aus meiner Sicht richtig
ins Gewissen geredet.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie sich so viele Gedanken über die Grünen machen!)


Wir stehen hier vor der ganz entscheidenden Frage, wie
wir unsere Republik in Zukunft gestalten wollen. Wenn
Sie in die Situation kommen, Ihre Pläne umzusetzen,
dann erleben wir in diesem Land ab September eine rie-
sige Steuererhöhungsorgie. Fast alle müssen dann mehr
zahlen. Auf diese Wahrheit müssen wir hinweisen.

Als Erstes wollen Sie das Ehegattensplitting strei-
chen. Das heißt, jeder Verheiratete soll mehr zahlen.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch einmal unser Programm!)


Als Nächstes wollen Sie die Einkommensteuersätze an-
heben. Sie wollen 49 Prozent ab 80 000 Euro und
schummeln dort ein bisschen.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schummeln?)


– Das ist ganz deutlich, Herr Gambke. – Die Steigerun-
gen fangen dort an, wo jetzt der Spitzensteuersatz be-
ginnt, nämlich bei 52 800 Euro. Ab diesem Betrag zah-
len die Leute bei Ihrem Modell schon mehr. Davon wäre
jeder Facharbeiter betroffen. Herzlichen Glückwunsch
zu diesem Modell.

In Ihrem Programm stehen noch weitere Dinge. Sie
von den Grünen wollen die Abgeltungsteuer abschaffen,
während Sie von der SPD sie erhöhen wollen. Unterneh-
mensteuern sollen sowieso erhöht werden. Die Gewer-
besteuer soll auch auf Freiberufler ausgedehnt werden.
Herzlichen Glückwunsch auch an all diejenigen, die da-





Dr. Mathias Middelberg


(A) (C)



(D)(B)


von betroffen wären. Sie würden durch Ihre Vorhaben
reichlich mehr belastet.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Mehrbelastung! Das wissen Sie auch genau! Das wird verrechnet!)


Sie wollen wieder eine Vermögensteuer erheben, und
Sie belügen die Menschen im Land – auch Herr
Steinbrück belügt sie –, wenn Sie sagen, dass Sie dabei
zwischen Betriebsvermögen und Privatvermögen diffe-
renzieren können.


(Holger Krestel [FDP]: Das ist ein Witz!)


Bei der Besteuerung von Privatvermögen wären auch
wir dabei – das ist gar keine Frage –, aber mit der Be-
steuerung von Betriebsvermögen treffen Sie die gesam-
ten Unternehmen, den Mittelstand in diesem Land.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nehmen wir aus!)


Wenn es einmal zwei, drei schlechte Jahre gibt, zahlen
die Unternehmen das aus ihrer Substanz. Wer dann blu-
tet, sind die Arbeitnehmer; denn die Arbeitsplätze sind
dann weg. Das müssen wir in jedem Fall verhindern. Das
wäre eine Katastrophe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind in die völlig fal-
sche Richtung unterwegs. Die Franzosen und die
Spanier sind in Europa die Einzigen, die eine Vermögen-
steuer haben. Sie haben auch höhere Steuersätze, also
genau das, was Sie anstreben. Die Franzosen haben mit
dieser Politik heute eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit
und dreimal so viele Jugendarbeitslose. Das kann und
darf nicht unser Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die Zahl der Störche ist in Frankreich höher!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723809600

Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege

Manfred Zöllmer das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1723809700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben ja jetzt von einigen Kollegen der Regierungsfrak-
tionen gehört, dass die Bundesregierung angeblich zu
Lande, zu Wasser, in der Luft und auf internationalen
Konferenzen gegen Steuerhinterziehung und für Trans-
parenz kämpft.


(Holger Krestel [FDP]: Ja, da können Sie etwas lernen!)


Es gab vor einigen Tagen ein G-20-Treffen in
Washington. Auch Herr Schäuble war anwesend. Die
Süddeutsche Zeitung, erschienen am 22. April 2013, hat
dazu Folgendes geschrieben – ich darf zitieren –:

Was von solchen Konferenzen gelegentlich hängen
bleibt, machte der russische Finanzminister und

amtierende G-20-Vorsitzende Anton Siluanow un-
freiwillig deutlich: Auf die Frage eines Schweizer
Journalisten, was die Ministerrunde denn in punkto
Steuerflucht nun vereinbart habe, sagte Siluanow in
der offiziellen Pressekonferenz nach dem Treffen,
über das Thema sei seiner Erinnerung nach „gar
nicht gesprochen worden“.


(Bernd Scheelen [SPD]: Hört! Hört!)


Ja, so sehen die Bemühungen der Bundesregierung aus.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Tolles Zitat!)


Der Begriff Steueroase klingt nach Ferne, Exotik,
Sandstrand und Palmen. Aber wir haben in einer ganzen
Reihe von Beiträgen gehört, dass die Ferne auch sehr
nah sein kann. Kollege Flosbach hat am Anfang dieser
Debatte hier lautstark gesagt: Es gibt keine Steueroasen
in Deutschland. Nun haben wir schon von der Steuer-
oase Hessen gehört, wo eher Steuerfahnder verfolgt wer-
den als Steuerhinterzieher. Ich sage Ihnen: In diesem
Jahr wird es noch ein Gerichtsverfahren geben, weil
diese Sache nicht ausgestanden ist.


(Holger Krestel [FDP]: In Berlin haben sie nicht mal Steuerfahnder! Die hat Gysi abgeschafft!)


Die Fahnder kämpfen vor Gericht um ihre Rehabilitation
und Reputation. Ich wünsche den Steuerfahndern bei
diesem Kampf viel Glück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns doch einmal die Situation im
schwarz-gelb regierten Bayern an – ich zitiere –: „Ist
Bayern ein Paradies für Steuerhinterzieher?“, fragte
Merkur Online, nicht gerade eine linksradikale Publika-
tion,


(Holger Krestel [FDP]: Wenigstens mal nicht die Schwäbische Zeitung, wie beim Kollegen Gerster!)


und Spiegel Online titelte: „Weiß-blaues Steuerpara-
dies“.

Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat in einem
Bericht festgestellt, dass es in Bayern seit vielen Jahren
konsequent zu wenige Steuerprüfer gibt; das moniert er
seit Jahren, das ist keine neue Erkenntnis. Die Folge:
Söder verzichtet durch Steuerausfälle auf Einnahmen in
dreistelliger Millionenhöhe.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


In diesem Bericht heißt es wörtlich:

Bayernweit sind in der Betriebsprüfung 442 Stellen
nicht besetzt. … Die Folgen sind nicht nur Steuer-
ausfälle … Es geht auch um einen gerechten und
gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze, der mit
zu wenig Personal nicht gewährleistet werden kann.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So ist es!)






Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


Diese Aussage stammt, wie gesagt, aus dem Bericht des
Bayerischen Obersten Rechnungshofes, dessen Chef ein
CSU-Mann ist. Das muss man sich einmal vor Augen
führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So, und jetzt verkürzen wir noch die Aufbewahrungsfristen!)


Mittelgroße Betriebe prüfen die Fahnder nur alle
20 Jahre, kleine Betriebe nur alle 40 Jahre.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bei mittleren Betrieben werden um die 100 Prozent geprüft! Erzählen Sie doch keinen Humbug!)


Ich denke, eines muss man ganz klar sagen: In Bayern
herrschen, bezogen auf die Steuerpolitik, griechische
Verhältnisse.


(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Genau! Griechische Verhältnisse in Bayern!)


22 Steuer-CDs sind dem Finanzminister des Freistaa-
tes Bayern angeboten worden. Angekauft wurde keine.
Das sind wirklich griechische Verhältnisse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Unverschämtheit! Das kann ja wohl nicht wahr sein!)


Dem Ehrlichen werden die Steuern gleich mit dem Ge-
halt abgezogen, und der Unehrliche hat die Chance, sein
Geld in die Schweiz zu bringen. Dieser Umgang mit
Steuerkriminalität hat in Bayern System.

Nur am Rande möchte ich auf den ehemaligen bayeri-
schen Ministerialbeamten Wilhelm Schlötterer hinwei-
sen, der dies in seinem Buch Macht und Missbrauch de-
tailliert dokumentiert hat. Er hat fast 30 Jahre im
bayerischen Finanzministerium gearbeitet, und er wusste
genau, wovon er spricht. Er berichtet in seinem Buch
von massiven Eingriffen von CSU-Politikern in den
Steuervollzug,


(Joachim Poß [SPD]: Unglaublich!)


von Eingriffen, die der Verschleierung von Steuerverge-
hen und der Begünstigung Einzelner dienten.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Mein Gott, das hat ja so einen langen Bart! Meine Güte, der gleiche Autor musste auch schon zugeben, dass er Fehler gemacht hat!)


Das ist das System in Bayern. Jetzt stellen wir fest: Die-
ses System ist offenkundig nicht überwunden.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das System der CSU!)


– In der Tat: Das ist das System der CSU.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Also: Kavallerie nach Bayern! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Meine Güte, das wird Ihnen bei der Landtagswahl auch nicht helfen!)


Schauen wir uns die gegenwärtige Situation an; es
geht ja um einen bekannten Namen. Auf einmal ist Herr

Seehofer merkwürdig still geworden. Er ist abgetaucht.
Aber wahrscheinlich hat er mit den anderen Affären in
der CSU-Fraktion genug zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sehen: Es gibt auch in Deutschland Steueroasen.
Diese Oasen müssen schleunigst stillgelegt werden, auch
in Bayern und in Hessen. Das gelingt nur durch einen
Regierungswechsel in Bayern und in Hessen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Aber doch wohl nicht im Bund!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723809800

Manfred Kolbe hat nun für die CDU/CSU-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1723809900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manche meiner Vorredner haben sich gegenseitig be-
zichtigt, Unsinn zu reden.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie Herrn Flosbach, oder wen? Sie müssen schon ein bisschen präziser sagen, wen Sie meinen! Sonst wird es schwierig!)


Wer recht hat, muss das geneigte Publikum hier im Saal
und vor den Bildschirmen entscheiden. Fakt ist jeden-
falls, dass wir in einigen Punkten unterschiedlicher Mei-
nung sind. Ich darf ein paar dieser Punkte hervorheben.

Herr Gysi, Sie haben beklagt, dass es in Deutschland
10 Billionen Euro Geldvermögen gibt.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Den Betrag habe ich nicht beklagt! Nur die Verteilung! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Verteilung!)


Ja, ist es denn schlimm, dass Deutschland ein wohlha-
bendes Land ist? Ist Ihnen eine Situation wie bei Ihren
Parteifreunden in Nordkorea, wo Kinder verhungern, lie-
ber?


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Hallo?)


Ist das der Zustand, den Sie anstreben?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ach, das ist doch Unsinn! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Es geht um die Verteilung!)


Natürlich gibt es bei der Vermögensverteilung ge-
wisse Ungleichgewichte. Es gibt zum Beispiel ein Un-
gleichgewicht zwischen Ost und West. Im Osten
Deutschlands gibt es deutlich weniger Vermögen als im
Westen des Landes. Aber wer trägt denn die Schuld da-
ran?


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Die Kommunisten!)






Manfred Kolbe


(A) (C)



(D)(B)


Ist es die CDU/CSU, die seit 1949 die soziale Marktwirt-
schaft in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut hat,
wodurch es gelungen ist, breiten Wohlstand zu schaffen,
oder die SED, die Privatvermögen vernichtet hat und am
Ende in den Konkurs gehen musste?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Gysi!)


Wer trägt denn die Schuld am ungleichgewichtigen
Vermögen in Ost und West? Das sind Sie und nicht wir.
Manchmal habe ich bei Ihren Reden den Eindruck, dass
Sie erst dann wieder glücklich sind, wenn es wie in der
DDR zu einer privaten Versteuerung von 90 Prozent
kommt


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir sind Europäer!)


und Ihre Funktionäre Autos, Telefone und Ferienplätze
mit Wartezeiten bis zu 20 Jahren zuteilen können. Das
scheint offenbar Ihr Idealzustand zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Sie haben hier schon so viel Schwachsinn geredet, aber das übertrifft alles!)


Wir sind stolz auf den Wohlstand in der Bundesrepu-
blik Deutschland. Denn nur dieser Wohlstand kann unse-
ren Sozialstaat finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nur eine blühende Wirtschaft kann einen Sozialstaat fi-
nanzieren. Deshalb wollen wir sowohl die erfolgreiche
Marktwirtschaft als auch den Sozialstaat Bundesrepublik
Deutschland. Deswegen gehört es auch zur Wahrheit,
dass 10 Prozent der Bevölkerung mehr als die Hälfte der
Steuern zahlen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Direkte Steuern, Herr Kollege!)


Herr Gambke, Sie hatten hier einen schweren Stand.
Ihre Führungsleute sind weg und schreiben sich gegen-
seitig offene Briefe. Herr Trittin sitzt wahrscheinlich ge-
rade über einem Brief an Herrn Kretschmann, nachdem
er dessen heutiges Interview in der Süddeutschen Zei-
tung gelesen hat.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Transparenz bei den Grünen: Wir schreiben uns Briefe!)


Kretschmann hat darin gesagt, er warne davor, Bürger
und Wirtschaft durch überzogene Steuererhöhungen zu
überfordern. Sie sind doch eine so diskussionsfreudige
Partei. Warum haben Sie denn dazu nichts gesagt? Das
hätte uns interessiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir reden doch über Steueroasen, Herr Kolbe! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings! Ich rede zum Thema!)


Herr Gambke, zeigen Sie ein bisschen Mut und Of-
fenheit. Sie von den Grünen sind doch so stolz darauf.

Die SPD hat wieder Bayern- und Schweiz-Bashing
betrieben.


(Martin Gerster [SPD]: Das galt der CSU, nicht Bayern! Die CSU ist nicht Bayern!)


Das ist schon die dritte Debatte in dieser Woche zum
gleichen Thema. Jedes Mal hat die SPD dieselbe Melo-
die: Bayern und die Schweiz sind die Schuldigen.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ändert sich auch nicht!)


Ich bin weit davon entfernt, das Verhalten von Herrn
Hoeneß zu rechtfertigen. Aber Bayern und die Schweiz
sind eben auch erfolgreiche Länder. Wahrscheinlich
wurmt es Sie, dass Sie nie dazu beigetragen haben. Bay-
ern und die Schweiz haben gemein, dass dort nie Sozia-
listen regiert haben. Vielleicht ist das eine der Ursachen
für den Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie kennen ja noch nicht mal die bayerische Geschichte!)


– Herr Poß, ich kenne die deutsche Geschichte und weiß
zum Beispiel auch, dass Sachsen bis zum Zweiten Welt-
krieg das wirtschaftsstärkste Land Deutschlands war.
Dann kamen allerdings die Kommunisten, und das hat
sich geändert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das hat doch mit Bayern nichts zu tun!)


Ich hoffe, auch Sie kennen die gesamte deutsche Ge-
schichte.

Kehren wir zu Ihrem Vorwurf in Bezug auf die Ano-
nymität zurück; denn er zog sich durch die ganze De-
batte der letzten drei Tage. Sicherlich ist die Anonymität
ein Problem des deutsch-schweizerischen Steuerabkom-
mens; das ist auch uns bewusst gewesen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Mehr als ein Problem!)


– Natürlich ist das ein großes Problem. Zu dem Abkom-
men gehören aber zwei Vertragspartner, die sich am
Ende einigen müssen.

Das wirklich Ärgerliche aber ist: Sie tun so, als wäre
Eichels Steueramnestie öffentlich und nicht anonym ge-
wesen, und damit betreiben Sie Falschmünzerei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie benutzen die falschen Begriffe!)


Denn auch die Begünstigten Ihrer damaligen SPD-Am-
nestie wären durch das Steuergeheimnis geschützt gewe-
sen und in der Öffentlichkeit anonym geblieben.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch!)


Die hätten sich dann zwar in der Steuerakte wiederge-
funden.





Manfred Kolbe


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)


Aber das Steuergeheimnis hätte sie vor der Öffentlich-
keit beschützt, sofern Sie noch am Steuergeheimnis fest-
halten.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch!)


Alles andere – auch was Herr Gerster gesagt hat – er-
weckt den Eindruck, dass das Steuergeheimnis für sie
nicht mehr gilt.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie es nicht richtig verstanden! Das soll vorkommen!)


Im Ergebnis hätten Sie die Anonymität also genauso ge-
habt. Deshalb sollten Sie sich nicht auf das hohe Ross
setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zum Thema Selbstanzeige haben wir die Position der
SPD auch heute nicht vernommen. Es stehen immer
noch fünf Positionen im Raum.


(Burkhard Lischka [SPD]: Haben Sie nicht zugehört, oder was? – Martin Gerster [SPD]: Offenbar haben Sie es nicht verstanden! Das kann auch sein!)


Herr Steinbrück hat gesagt, er will sie beibehalten.


(Holger Krestel [FDP]: Das kommt auf die Uhrzeit an!)


Bisher gilt offenbar das Wort des Kanzlerkandidaten.
Möglicherweise gilt es auch nicht. Das würden wir auch
gerne einmal erfahren.


(Joachim Poß [SPD]: Zur Selbstanzeige habe ich mich geäußert! Sie können noch nicht mal zuhören! Zu dumm zum Zuhören!)


Wir sagen: Die Selbstanzeige ist ein vernünftiger
Weg. Wir als christlich-liberale Koalition haben in dieser
Legislaturperiode die Selbstanzeige so reformiert, dass
sie nicht mehr als Mittel einer Hinterziehungsstrategie
taugt. Das ist nicht mehr möglich. Das war unter Ihren
Finanzministern noch möglich. Die Teilselbstanzeige ist
nun ausgeschlossen. Der Zeitpunkt der Entdeckung ist
vorverlegt worden. Es ist außerdem ein Zuschlag zu zah-
len. Ich glaube, wir haben die Selbstanzeige vernünftig
reformiert.

Es ist nicht so – das hat auch der Präsident des Bun-
desfinanzhofs in einem Interview in der FAZ betont –,
dass sie im Strafrecht ein völliger Fremdkörper ist. Das
ist doch Unsinn. Jeder, der sich im Strafrecht halbwegs
auskennt, weiß, dass es zahlreiche Fälle des Rücktritts
von der vollendeten Tat gibt, so zum Beispiel gemäß
§ 149 Abs. 2 StGB bei der Fälschung von Geld und
Wertzeichen. Das gibt es nach § 261 Abs. 9 StGB bei der
Geldwäsche. Das gibt es beim Subventionsbetrug. Das
gibt es bei der Brandstiftung: Der Brandstifter, der nach
Inbrandsetzen des Gebäudes den Brand wieder löscht,
wird nicht bestraft, und zwar aus kriminalpräventiven
Erwägungen. Es gibt eine tätige Reue bei der fahrlässi-

gen Herbeiführung von Explosionen und bei Eingriffen
in den Straßenverkehr. Das ist ein allgemeiner Rechtsge-
danke, der auch im Steuerrecht greift.

Ich halte das für einen guten Rechtsgedanken; denn er
ebnet den Weg in die Ehrlichkeit. Ich könnte mir – das
sage ich jetzt persönlich – vorstellen, dass man diesen
Rechtsgedanken auch auf anderen Gebieten anwendet,
etwa bei der Erschleichung von Sozialleistungen. Wa-
rum sollte ein Student, der im jugendlichen Alter von 18
oder 19 Jahren auf dem BAföG-Antrag einen Nebenjob
verschwiegen oder ein Konto nicht angegeben hat, ein
oder zwei Jahre später, wenn er reifer geworden ist und
die Erkenntnis gewonnen hat, dass das nicht richtig war,
seinen Fehler nicht strafbefreiend korrigieren können?
Wir sollten nicht darüber nachdenken, die Selbstanzeige
abzuschaffen, Herr Gysi, sondern darüber, ob wir diesen
Rechtsgedanken auch auf andere Tatbestände ausdehnen
können.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Gilt das auch für Tankquittungen?)


Auch Hartz IV ist sicherlich ein Feld, auf dem man die-
sen Rechtsgedanken anwenden könnte.

Wir stehen zur Selbstanzeige und halten sie für ein ver-
nünftiges Instrument. – Der Präsident meldet sich; des-
wegen sage ich abschließend: Keine Bundesregierung hat
zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung so viel beige-
tragen wie die Bundesregierung Angela Merkel seit 2005.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723810000

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1723810100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen! Liebe Zuhörer! Innerhalb von zehn
Tagen diskutieren wir heute schon zum dritten Mal über
das Thema Steuerhinterziehung, Steuergestaltung,
Steueroasen. Man könnte meinen, liebe Kollegen von
der Opposition, Sie wollten Steuerhinterzieher durch
diese Debatten im wahrsten Sinne des Wortes zum Auf-
geben überreden. Wenn es denn hilft, gerne.

Ganz sicher hilft, was diese Bundesregierung getan
hat – da kann ich anschließen an das, was Manfred
Kolbe gerade gesagt hat –: Bundesfinanzminister
Schäuble hat sich wie kein Finanzminister vor ihm ge-
gen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung enga-
giert.

Herr Gerster, Sie haben eben zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass die Zahl der Selbstanzeigen seit 2010 auf
47 000 pro Jahr gestiegen ist. Wolfgang Schäuble ist seit
2009 Finanzminister – Sie werden den Zusammenhang
ja wohl nicht leugnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Ich möchte an mehreren Punkten sehr konkret auf die
Anträge der Linken eingehen, um nachzuweisen, dass
wir vieles getan haben und dass das, was wir nicht er-
reicht haben, sich nicht zuletzt deswegen nicht umsetzen
ließ, weil die Abgeordneten von der SPD und von der
Linken hier nicht zur Kooperation bereit waren.

Im Rahmen der Föderalismuskommission II haben
wir die Kompetenzen des Bundeszentralamts für Steuern
bei der Prüfung von sogenannten Einkommensmillionä-
ren massiv gestärkt. Das Bundeszentralamt für Steuern
darf an Außenprüfungen teilnehmen, insbesondere darf
es Außenprüfungen anregen.

Selbstverständlich ist die Frage einer besseren Zu-
sammenarbeit mit den Finanzverwaltungen der Länder
diskutiert worden. Ich glaube, es besteht Einvernehmen,
dass diese Zusammenarbeit gar nicht gut genug sein
kann und dass da Nachholbedarf besteht. Aber woran ist
denn da ein Ergebnis gescheitert? Der damalige Finanz-
minister Steinbrück hat in der ihm eigenen charmanten
Art die Verhandlungen begonnen mit einem Gutachten,
das mehr oder weniger unter dem Motto lief: Wenn ich
die Steuerverwaltung übernehme, können wir 8 Milliar-
den Euro sparen. – Daraufhin haben alle Länderfinanz-
minister die Verhandlungen über diesen Punkt abgebro-
chen. Die Kavallerie hat nicht nur bei der Schweiz,
sondern auch bei den Länderfinanzministern nichts ge-
nützt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir können über dieses Thema im Rahmen einer Föde-
ralismuskommission III gerne noch einmal reden, lieber
Axel Troost; aber ein bisschen mehr Verhandlungsge-
schick und ein bisschen weniger Kavallerie führen da
mit Sicherheit zu einem besseren Ergebnis.

Ich finde den Hinweis auf den Länderfinanzausgleich
richtig. Offensichtlich haben Sie unsere Papiere von da-
mals gelesen; Axel Troost hatte sie dabei. Dann werden
Sie festgestellt haben, dass der Länderfinanzausgleich
natürlich eine Ursache dafür ist, dass die Länder nicht
mit Begeisterung Betriebsprüfer einstellen. Wenn ein
Betriebsprüfer, dessen Gehalt das Land 100 000 Euro
kostet, dem Land zusätzliche Steuereinnahmen in
Höhe von 100 000 Euro bringt, dann ist die Begeiste-
rung des Finanzministers nicht groß, wenn er von diesen
100 000 Euro im Rahmen des Länderfinanzausgleichs
90 000 Euro abgeben muss.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Deswegen haben wir das so formuliert!)


– Ja, das sollten wir tun. Aber hier ist für diese Diskus-
sion leider nicht der richtige Ort. Wir hatten dieses
Thema schon 2008 in unserem Föko-Papier aufgegrif-
fen. Wir werden dieses Thema – die Föko III lässt grü-
ßen – wieder aufgreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber wir waren in vielen Dingen auch wirklich er-
folgreich; einige davon sind heute ja schon genannt wor-

den: automatischer Austausch von Informationen über
Zinsen durch die EU-Zinsrichtlinie, FATCA.

Herr Dr. Gambke, Sie waren eben ganz ungläubig,
dass Sie am Donnerstag der nächsten Sitzungswoche die
Möglichkeit haben, unserem FATCA-Antrag zuzustim-
men.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Doch, haben Sie. Seit gestern liegt er Ihnen sogar in
Papierform vor.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, toll!)


Am Donnerstag der nächsten Sitzungswoche werden wir
dieses Abkommen in nationales Recht umsetzen und da-
durch auch international einen Informationsaustausch er-
reichen, wenn unserem Änderungsantrag zum AIFM-
Steueranpassungsgesetz zugestimmt wird. Ich freue
mich auf Ihre Zustimmung nach der heutigen Rede.

Als weitere Erfolge nenne ich die G-5-Initiative zum
automatischen Informationsaustausch bei Dividenden
und das OECD-Projekt für Maßnahmen gegen Gewinn-
verlagerungen.

Vieles ist heute gesagt worden. Sie können das im
Protokoll ja noch einmal nachlesen.

Wir sind die erfolgreichste Regierung im Kampf ge-
gen Steuerhinterziehung, und wir werden das auch wei-
ter sein. Ich freue mich für jeden Steuerhinterzieher, den
wir dabei zurück auf den Weg der Tugend bringen. Man-
chen werden wir vielleicht auch bestrafen; denn das
kann natürlich ein Ergebnis von Steuerhinterziehung
sein.

Herr Gysi, an dieser Stelle muss ich Ihnen sagen: Ich
finde es unbeschreiblich. Sie wissen ganz genau, dass
Sie die Unwahrheit sagen, und Sie sagen die Unwahrheit
so bewusst, dass ich Ihnen das heute noch einmal vor-
halte. Sie haben nämlich behauptet, dass jemand, der
sich auf irgendeiner Steuer-CD wiederfindet, ganz
schnell sagen kann: „Oh, jetzt zeige ich mich mal selber
an“, und straffrei ausgeht. Sie wissen ganz genau, dass
das nicht so ist, aber ich lese Ihnen das noch einmal vor.

In § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO steht:

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn eine der Steuer-
straftaten im Zeitpunkt der … Nachholung ganz
oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter
dies wusste oder bei verständiger Würdigung der
Sachlage damit rechnen musste …

Selbstverständlich weiß jemand, wenn eine CD seiner
Bank in der Schweiz aufgekauft wird, dass seine Steuer-
hinterziehung in dem Fall entdeckt ist. Deshalb bin ich
auch fest davon überzeugt, dass die meisten Selbstanzei-
gen im Zusammenhang mit Steuer-CDs nicht zu einer
Strafbefreiung führen werden, weil die Entdeckung vor-
lag und wir deswegen den plötzlichen Anstand des Be-
troffenen nicht mehr brauchen. Wenn dieser Steuer-
pflichtige zu einem Zeitpunkt die Wahrheit sagt, in dem
die Finanzbehörde noch keine Erkenntnisse hat, ist eine





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Straffreiheit möglich, was für uns den Vorteil hat, dass
wir dann auch die Steuern einnehmen.

Hier greife ich gerne den Vergleich auf, den Herr Poß
eben hinsichtlich des Abkommens mit der Schweiz dar-
gestellt hat. Sie haben gesagt, wenn man das Abkommen
mit der Schweiz so gestaltet hätte, wie Sie es gewollt
hatten, dann hätten die Steuerhinterzieher die Hosen run-
terlassen müssen. Nach dem, was ich mir vorstelle, hät-
ten wir Geld bekommen. Bei der Abwägung zwischen
10 Milliarden Euro und zwei Hosen ist ganz klar, welche
Variante ich wählen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: 10 Milliarden Euro ist doch eine Mondzahl! Die können Sie doch überhaupt nicht belegen! 10 Milliarden Euro: Das ist Täuschung!)


Sie werden in den nächsten Monaten in Ihren Wahl-
kreisen erklären müssen, dass wir dieses Geld für Kin-
derbetreuung, Kindergärten und Schulsanierung nicht
zur Verfügung haben, weil Sie dafür gesorgt haben, dass
wir diese Steuereinnahmen nicht erzielen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Steuerhinterzieher haben am 31. Dezember 2012 die
Sektkorken knallen lassen, weil Sie es ihnen ermöglicht
haben, anonym und ohne Steuerzahlung davonzukom-
men.


(Joachim Poß [SPD]: So ein dummes Zeug habe ich selten gehört!)


Das werden Sie sich anhören und erklären müssen.

Letzter Punkt zur strafbefreienden Selbstanzeige.
Hier wende ich mich gerne einmal auch an die Besuche-
rinnen und Besucher oben auf der Tribüne.

Die strafbefreiende Selbstanzeige wird nicht nur bei
großen Steuerhinterziehern angewandt – da geschieht
das sogar eher nur im Ausnahmefall –, sondern die straf-
befreiende Selbstanzeige ist ein Instrument, das viel-
leicht auch einer von Ihnen schon einmal nutzen musste.
Wenn Sie eine Umsatzsteuervoranmeldung zu spät abge-
ben, ist das nämlich schon eine Steuerhinterziehung.
Wenn wir in solchen Fällen nicht in jedem Fall ein Straf-
verfahren einleiten wollen – und das wollen wir nicht –,
dann muss es die Möglichkeit geben, durch die Berichti-
gung seiner Tat diesen Fehler wiedergutzumachen, und
genau darum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sollten wir nach Auswertung der Steuer-CDs feststel-
len – ich habe mir sagen lassen, dass selbst die, die vor
zehn Jahren gekauft worden sind, bis heute noch nicht
ausgewertet wurden –, dass bei der Selbstanzeige doch
noch irgendwo eine Lücke ist, dann sind wir, wie wir das
in der Vergangenheit auch schon getan haben, die Ersten,
die diese Steuerstraffreiheit mit Ihnen gemeinsam, wenn
Sie mögen, einschränken. Hierzu möchte ich vorher aber
die Berichte der Steuerfahnder und der Finanzbeamten
hören.

Ich kann nur zitieren, was heute in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung steht. Der Präsident des Bundes-
finanzhofs hat heute sehr deutlich gesagt, dass die
Steuerselbstanzeige ein Instrument ist, das sich aus sei-
ner Sicht bewährt hat. Dieses Instrument gibt es natür-
lich auch im Strafrecht. Herr Kolbe hat Ihnen hier ja
eben ein bisschen Nachhilfe gegeben, Herr Gysi.

Ich glaube, sie ist ein gutes Instrument. Wenn es Aus-
wüchse gibt, dann werden wir sie angehen, so wie wir
auch alle anderen Maßnahmen gegen Steuerhinterzie-
hung sehr konsequent fortgesetzt haben. Wenn Sie dabei
sind, ist es umso besser. Bis dahin werden wir das aber
auch weiter alleine machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723810200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/13129 mit
dem Titel „Steueroasen trockenlegen – offshore und
hierzulande“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der An-
trag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/13241 mit
dem Titel „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch
Selbstanzeige abschaffen“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch
dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Linken mit den
Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 41 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus
Weinberg (Hamburg), Michael Kretschmer,
Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-

(Lausitz)

ter und der Fraktion der FDP

Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der
Lehrerausbildung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau),
Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Für einen breiten Qualitätspakt in der Re-
form der Lehrerbildung

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Agnes Alpers,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Exzellente Lehrerbildung überall sichern –
Pädagogische Berufe aufwerten

– Drucksachen 17/9937, 17/11322, 17/10100,
17/13077 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Sylvia Canel
Dr. Rosemarie Hein
Kai Gehring

Eine interfraktionelle Vereinbarung sieht vor, dass die
Aussprache 45 Minuten dauern soll. Gibt es dazu Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Helge
Braun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Helge Braun (CDU):
Rede ID: ID1723810300


Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in unserer
Gesellschaft eint uns der Wunsch, dass wir den Kindern
in unserem Land möglichst die besten Bildungschancen
eröffnen. Die Bildungsforschung der letzten Jahre hat
immer wieder bewiesen: Es gibt viele Faktoren, die auf
die Bildungsqualität einen Einfluss haben; aber den
größten Einfluss auf die Qualität der Bildung in unseren
Schulen hat die Qualifikation der Lehrer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb hat die Bundesregierung auch durch Initia-
tive des Deutschen Bundestages und der Koalition aus
CDU/CSU und FDP bereits im Dezember 2011 ein An-
gebot an die Länder gemacht, indem sie gesagt hat: Die
Aufgabe der Lehrerbildung und die Zuständigkeit für die
allgemeine und schulische Bildung ist eine Aufgabe der
Länder. Aber die Bundesregierung und die sie tragende
Koalition haben immer gesagt: Wir betrachten Bildung
als eine gesamtstaatliche Aufgabe, und wir wollen einen
relevanten Beitrag leisten, damit die Bildungsrepublik
Deutschland blüht. Wir sind bereit, mit den Ländern da-
rüber in Verhandlungen zu treten, was sie tun können,
um eine Qualitätsoffensive für die Lehrerbildung zu star-
ten. – In der Sitzung der GWK am 12. April 2013 haben
wir es nach rund zweijährigen Verhandlungen geschafft:
Es wird eine Qualitätsoffensive Lehrerbildung in
Deutschland geben, und der Bund wird hierfür 500 Mil-
lionen Euro in die Hand nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Karl Jaspers hat die Bedeutung der Lehrerbildung
schon einmal auf den Punkt gebracht, er sagte:

Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch be-
stimmt, wie sie ihre Lehrer achtet.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir alle gemeinsam
daran arbeiten, dass die Lehrerausbildung optimal ist.
Die Kritik in unserer Gesellschaft an den derzeitigen
Systemen besteht nicht nur darin, dass wir nicht genug
an der Lehrerausbildung arbeiten, sondern auch darin,
dass wir noch nicht für die Vergleichbarkeit der Curri-
cula, für gemeinsame Bildungsstandards, für die Ab-

schaffung der Unterschiedlichkeit von Schulbüchern und
für die Beseitigung der fehlenden wechselseitigen Aner-
kennung der Lehrer in den einzelnen Bundesländern ge-
sorgt haben.

Die Überwindung des Status quo ist eine Herausfor-
derung. Deshalb haben wir das Angebot des Bundes,
500 Millionen Euro für eine Qualitätsoffensive in der
Lehrerbildung auszugeben, mit der Forderung verbun-
den – die Länder sind darauf eingegangen, wofür wir
sehr dankbar sind –, dass es in Zukunft eine wechselsei-
tige Anerkennung der Lehrerinnen und Lehrer in den
einzelnen Bundesländern, einen gleichberechtigten Zu-
gang zum Vorbereitungsdienst und einen gleichberech-
tigten Berufszugang gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die 500 Millionen Euro, die wir in den nächsten zehn
Jahren in die Hand nehmen werden, werden wir im wett-
bewerblichen Verfahren vergeben. Das heißt, die Hoch-
schulen sind aufgefordert, Konzepte vorzubereiten, eine
Stärken- und Schwächenanalyse ihrer Lehrerausbildung
vorzunehmen und dann Konzepte einzureichen, die so-
wohl die Fachdidaktik als auch die Pädagogik und die
Schulpraxis beinhalten und alle Abschnitte, also Stu-
dium, Referendariat und die Weiterbildung im Beruf,
umfassen. Wir wollen, dass die Hochschulen in diesem
Wettbewerb Konzepte auflegen, die auch Best Practice
und eine Vernetzung über die Grenzen der Bundesländer
hinaus ermöglichen, sodass wir mit diesem 500-Millio-
nen-Euro-Programm in den nächsten Jahren die Lehrer-
ausbildung in Deutschland grundsätzlich stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen, dass die jungen Menschen in ganz
Deutschland etwas davon haben. Deshalb erfolgt die Zu-
teilung der Mittel und Initiativen nach einem relativ
komplizierten Schlüssel, der aber im Prinzip eines er-
reicht – und das ist das, was wir wollen –, nämlich dass
in allen Bundesländern die Lehrerausbildung gestärkt
wird. Indem wir die Verteilung der Projekte auf der ei-
nen Seite nach dem Königsteiner Schlüssel und auf der
anderen Seite nach der Zahl der Absolventen bemessen,
kann in jedem Bundesland von diesem Programm profi-
tiert werden.

Aber innerhalb der Bundesländer bzw. dann, wenn es
in einem Bundesland nicht ausreichend hervorragende
Anträge gibt, bleibt die wettbewerbliche Komponente
erhalten. Bevor ein nicht ausreichend exzellentes Kon-
zept gefördert wird, geht das Geld an eine Stelle, wo ein
entsprechend gutes Konzept vorhanden ist. Ich glaube,
auch das ist ein fairer Ausgleich zwischen Regionalität
und Exzellenz, den wir mit dem Programm gefunden ha-
ben.

Das macht deutlich: Wir verfügen jetzt über ein Pro-
gramm des Bundes mit einem Volumen von 500 Millio-
nen Euro, das die Lehrerbildung in den nächsten Jahren
grundlegend voranbringen wird. Deshalb ist es ein guter
Tag für die jungen Menschen in unserem Land, die da-
rauf hoffen können, dass sie auch in Zukunft in Deutsch-
land, in der Bildungsrepublik, die Zeit, die sie mit Leh-





Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun


(A) (C)



(D)(B)


ren und Lernen verbringen, hervorragend nutzen
können, um ihre eigene Zukunft zu gestalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723810400

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Jetzt erwarten wir aber Lob!)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1723810500

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine

Damen und Herren! Es ist unbestritten, dass die Auf-
gabe, die Lehrerausbildung auf neue Herausforderungen
einzustellen, eine der wichtigsten Schlüsselstellen im
Bildungswesen ist. Der Problemdruck ist an den Schulen
auch spürbar.

Wir haben diese Woche im Ausschuss noch einmal
über das Thema Inklusion gesprochen. Wer sich vor Ort
umhört, weiß, dass inklusive Bildung eine Herausforde-
rung ist, die jetzt in den Schulen anliegt. Insofern ist es
richtig, dass die Länder sich bereits auf den Weg ge-
macht haben, indem sie die Fachdidaktik und Praxispha-
sen in der Lehrerausbildung gestärkt und Lehrerbil-
dungszentren an den Hochschulen eingerichtet haben.

Es ist gut und richtig, dass der Bund und die Länder
vereinbart haben, gemeinsam und verstärkt diesen Weg
fortzusetzen. Das erkennen wir ausdrücklich an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will aber auch sagen: Genauso wie beim Hochschul-
pakt ist das nicht nur die Leistung des Bundes, sondern
es ist eine gemeinsame Leistung von Bund und Ländern.


(Beifall bei der SPD)


Die zusätzlichen Mittel aus der Qualitätsoffensive
– 50 Millionen Euro pro Jahr – werden helfen, neue Er-
kenntnisse zu gewinnen und den Transfer zu beschleuni-
gen. Wir können die Debatte über die Anträge ein biss-
chen abkürzen, weil viele Erkenntnisse und Forderungen
aus den vorliegenden Anträgen berücksichtigt werden
sollen.

Wir sollten aber nicht vergessen, was die Länder
heute schon tun. Das gilt auch für die finanzielle Seite.

In meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen bei-
spielsweise werden – zumindest wenn es nach dem
Königsteiner Schlüssel geht; die neue Regelung habe ich
noch nicht ganz überblickt – aus der Qualitätsoffensive
etwa 10 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt.
Zusätzlich zu den bisherigen Aufwendungen wendet das
Land aber schon in diesem Jahr 19 Millionen Euro für
die Weiterentwicklung des Lehramtes für die besonderen
Bedürfnisse der inklusiven Bildung auf.

Das alles zusammen zeigt: Nur gemeinsam können
Bund und Länder die Lehramtsausbildung neu profilie-

ren und dem Fachkräftemangel begegnen. Wir sollten
das an dieser Stelle auch nicht künstlich trennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil wir uns über diese gemeinsame Aktivität von
Bund und Ländern im Großen und Ganzen gar nicht
streiten müssen, will ich nur einige Punkte nennen, die
aus unserer Sicht in der Qualitätsoffensive noch der wei-
teren Berücksichtigung bedürfen. Inklusion und Hetero-
genität sind ausdrücklich Schwerpunkt der Bund-Län-
der-Vereinbarung; das begrüßen wir. Aber ich will noch
einige andere Punkte benennen.

Erstens. Wir alle sprechen über frühzeitige Berufs-
orientierung, die ab Klasse 7 oder 8 einsetzen soll. Das
stellt natürlich zusätzliche Anforderungen an Lehrerin-
nen und Lehrer. Manche fühlen sich aufgrund ihrer bis-
herigen Ausbildung, aber auch aufgrund der spezifi-
schen Lehrerbiografie, zumindest an allgemeinbildenden
Schulen, auf diese nicht immer ausreichend vorbereitet.
Deshalb wäre es gut, wenn die Qualitätsoffensive auch
Projekte aus diesem Bereich auslösen würde.

Im Übrigen – ein Punkt, der aus meiner Sicht noch
nicht so sehr öffentliche Aufmerksamkeit erfährt –
zeichnet sich insbesondere im gewerblich-technischen
Bereich der berufsbildenden Schulen ein Lehrermangel
ab. Wir müssen deshalb gemeinsam darauf achten, dass
die speziellen Belange von Berufsschulen und Berufs-
kollegs einen prominenten Platz in der Qualitätsoffen-
sive erhalten.


(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])


Zweitens. Die Enquete-Kommission „Internet und di-
gitale Gesellschaft“ hat in der vergangenen Sitzungswo-
che die Konsequenzen der Digitalisierung unseres All-
tags für die Bildung beschrieben. Schülerinnen und
Schüler müssen Medienkompetenz erwerben können,
um sich in der digitalen Welt selbstbestimmt und kritisch
bewegen zu können. Das ist nicht nur eine Frage der
Ausstattung mit digitalen Lehrmitteln – obwohl auch das
wichtig ist –; es ist vor allen Dingen eine Frage der Aus-
und Fortbildung derjenigen, die Medienkompetenz ver-
mitteln sollen. Deshalb habe ich die herzliche Bitte an
den Bund und die Länder, die Digitalisierung in der
Schule, die Digitalisierung von Bildung ebenfalls in der
Qualitätsoffensive zu verankern.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Drittens. Wir brauchen eine schnelle Schnittstelle
zwischen den Erkenntnissen der Bildungsforschung
– der Staatssekretär hat das gerade schon angesprochen –
und dem Lehrerberuf. Deswegen gehört auch der Blick
auf die gesamte Berufsbiografie in die Bund-Länder-
Vereinbarung. Auch die Fortbildung gehört ins Blickfeld
der Qualitätsoffensive. Hier müssen sich die Hochschu-
len stärker öffnen und profilieren; denn wir können nicht
nur auf die zukünftige Lehrergeneration schauen, son-
dern müssen auch diejenigen in den Blick nehmen, die
heute im Dienst sind und dort noch viele Jahre bleiben
werden.





Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)


Viertens. Schulen, die sich ihrem kommunalen Um-
feld öffnen, Ganztagsschulen zumal – das haben wir aus
aktuellen Studien ersehen können –, werden zu offenen
Häusern des Lernens, in denen viele pädagogische Pro-
fessionen zusammenarbeiten sollen. Auch das gehört zu
den Anforderungen des Lehrerberufs.

Gemeinsam haben Bund und Länder deshalb mit der
Einrichtung von zusätzlichen 3 000 Schulsozialarbeiter-
stellen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets da-
für gesorgt, dass Lehrerinnen und Lehrer auch von Auf-
gaben im familiären Umfeld der Schüler oder bei der
Berufsorientierung entlastet werden. Diese Stellen, die
letztlich auf den Druck von Rot-Grün geschaffen worden
sind, haben sich in der Praxis bewährt; das werden Sie
alle aus Ihrer Arbeit vor Ort wissen. Umso unverständli-
cher ist es, dass sich die zuständige Bundesarbeitsminis-
terin bislang weigert, die Finanzierung dieser Stellen, die
Ende 2013 ausläuft, weiter zuzusichern.


(Iris Gleicke [SPD]: Skandal!)


Wenn sich die Koalition an dieser Stelle nicht bewegt,
dann werden diese Stellen Ende des Jahres wegfallen,
und sie wird es ihrer Nachfolgeregierung überlassen, die
Scherben zusammenzufegen. Deshalb: Die zusätzliche
Schulsozialarbeit muss erhalten bleiben. Der Bund muss
hier seiner Verantwortung nachkommen.


(Beifall bei der SPD)


Ein Letztes: Die Schule ist letztlich für die Schüler da.
Wer über die Ausbildung der Lehrer redet, der muss
auch über die Schülerinnen und Schüler reden. Das, was
wir in der Lehrerausbildung bewegen wollen, muss auch
etwas bei den Schülerinnen und Schülern bewegen; da
muss etwas ankommen. Deswegen ist die Fokussierung
auf den Unterricht gut. Natürlich muss auch deutlich
werden, dass Lehrerinnen und Lehrern die Wertschät-
zung für ihre Arbeit zukommt, die sie verdienen; denn
das ist eine der wichtigsten Berufsgruppen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723810600

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Sylvia

Canel das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Sylvia Canel (FDP):
Rede ID: ID1723810700

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Verehrte Damen und Herren! Vier gute Jahre
heißt: Wir nehmen 500 Millionen Euro in die Hand und
geben das Geld an der richtigen Stelle aus. Ich habe ei-
gentlich einen Dank erwartet, liebe Kollegen von der
SPD. Es wäre ganz schön gewesen, von Ihnen einmal et-
was Positives zu hören.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Entwicklung unserer Gesellschaft wird maßgeb-
lich von der Bildungspolitik beeinflusst und getragen.
Bildung ist die Voraussetzung für ein sehr starkes Funda-

ment unserer Gesellschaft. Wir sind daher verpflichtet,
eine exzellente Qualität des Bildungssystems in
Deutschland zu sichern. Gute Bildung ist die Grundlage,
um den Fortschritt weiter voranzutreiben. Fortschritt be-
deutet mehr Gesundheit, längeres Leben, Wohlstand und
– das sage ich als Liberale – Aufklärung. Nur wenn ich
die Fremdeinflüsse auf mich kenne, habe ich die Frei-
heit, selbst zu entscheiden, welche Einflüsse ich über-
haupt zulasse. Deshalb sagen wir im Landesfachaus-
schuss Bildung in Hamburg: Die Schulen sind die Wiege
der Demokratie. – Das sollte uns Politiker im Herzen be-
rühren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gute Aufklärung braucht jedoch gute Lehrer. Ihr En-
gagement in den Klassenzimmern der Republik verdient
die höchste gesellschaftliche Anerkennung, nicht zuletzt
durch den Aspekt der Qualität. Die Qualität im Klassen-
zimmer wird maßgeblich durch die Qualität der Lehrer-
ausbildung bestimmt. Somit kann nur ein exzellenter
Unterricht gegeben werden, wenn exzellente Lehrer
auch das Ziel sind. Noch immer wird die Lehrerausbil-
dung in der Bundesrepublik jedoch stark vernachlässigt.
Verloren gegangene Anerkennung und Wertschätzung
für die Lehrer und ihren Beruf müssen dringend zurück-
gewonnen werden. Deshalb müssen wir die am besten
geeigneten Abiturienten und – diese dürfen wir nicht
vergessen – die fähigsten Quereinsteiger gewinnen und
motivieren, den Lehrerberuf, der eigentlich der schönste
Beruf von allen ist – das sage ich aus eigener Erfahrung –,
weil man mit jungen Menschen zu tun hat, zu ergreifen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass in Zukunft Lehrerman-
gel herrscht. Wir verlieren Lehrer durch Überalterung
und dadurch, dass zu wenige Jüngere nachkommen. Aus
diesem Grund erarbeiteten die Koalitionsfraktionen die
Lehrerexzellenzinitiative und ebneten damit den Weg für
eine wirklich exzellente Lehrerausbildung und für mehr
Motivation der jungen Leute, diesen wichtigen und
schönen Beruf zu ergreifen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn jetzt die Opposition zusammen mit uns Art. 91 b
des Grundgesetzes noch änderte, dann würde die Exzel-
lenzinitiative nicht als Leuchtturm dastehen, sondern
könnte auf Dauer verlässlich finanziert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die weitere Entwicklung des Bildungssystems steht
vor drei ganz besonderen Herausforderungen: dem de-
mografischen Wandel, der Inklusion und der Digitalisie-
rung unserer Gesellschaft. Der demografische Wandel ist
wohl die bedeutendste Aufgabe. Wir müssen dringend
die Lehrerausbildung reformieren und die Arbeitsbedin-
gungen verbessern, damit junge Nachwuchslehrkräfte
motiviert in diesen wunderbaren Beruf einsteigen. Sollte
dies nicht gelingen, wären die Konsequenzen verhee-
rend. Studien belegen, dass bis zum Jahr 2020 rund
460 000 Lehrer in den Ruhestand verabschiedet werden,
300 000 Lehrer alleine bis 2015; das ist in zwei Jahren.
Im Moment werden jedes Jahr nur 26 000 neue Lehr-





Sylvia Canel


(A) (C)



(D)(B)


kräfte ausgebildet. Wie soll das funktionieren? Diese Lü-
cke kann so nicht geschlossen werden. Der demografi-
sche Wandel ist in vollem Gange, und wir müssen ihm
entgegenwirken mit sehr guter Ausbildung und konse-
quenter Nachqualifizierung von Quereinsteigern.

Auch im Bereich der Inklusion müssen Weichen ge-
stellt werden. Die individuelle Förderung der Schüler
steht mehr denn je im Vordergrund. Dafür brauchen wir
gute Schulen den ganzen Tag. Wir brauchen in den
Grundschulen zwei Lehrer pro Klasse. Wir brauchen
mehr Erzieherinnen und auch – das wird Sie vielleicht
verwundern – Krankenschwestern an den Schulen. Wir
brauchen eine multiprofessionelle Schule; denn wenn
wir Beruf und Ausbildung der Kinder zusammenbringen
wollen, dann müssen wir auch daran denken, dass das
bisher nur mit gesunden Kindern funktioniert.


(Beifall der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Lehrer leisten viel, aber nicht alles. Sie sind Fachleute,
aber keine eierlegenden Wollmilchsäue. Um den heuti-
gen Anforderungen an die Lehrer gerecht zu werden,
müssen sowohl die Lehrerausbildung als auch die Schul-
organisation neu gestaltet und an die zusätzlichen Anfor-
derungen angepasst werden. Nur so kann Inklusion ge-
lingen.

Im Zuge der Digitalisierung muss sich die Ausbil-
dung von künftigen Lehrern an der heutigen Bildungs-
technologie orientieren. Die gesellschaftliche Verände-
rung bricht bestehende Reglements auf und fordert
Raum, nicht zuletzt im digitalen Klassenzimmer. Wir
werden internationaler, wir werden flexibler, und wir
können auch Kindern, die nicht am Unterricht teilneh-
men können, gute Angebote machen. Diese neuen Mög-
lichkeiten des Unterrichts müssen sich auch in einer mo-
dernen Ausbildung für Lehrerinnen und Lehrer
niederschlagen. Deshalb darf diese Ausbildung nicht
länger ein Randdasein in den Hochschulen führen. Wenn
Deutschland Erfolg erzielen möchte, dann gilt es, die
Qualität der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern
weiter voranzubringen und zu stärken. Die Koalitions-
fraktionen haben bisher sehr viel erreicht. Wir haben
sehr viel Geld in die Hand genommen. Wir haben in vier
guten Jahren die Basis für die vorliegende Initiative ge-
schaffen. Wir sind auf einem guten Weg. Diesen Weg
werden wir weitergehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723810800

Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723810900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der vorgestern veröffentlichten Studie des Allens-
bach-Instituts mit dem Titel „Hindernis Herkunft“ kann
man einige bedenkliche Befunde finden. Zwei davon
will ich einmal nennen.

Zum Ersten: 63 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer
finden, dass gute Schülerinnen und Schüler besser zu-
sammen mit anderen guten Schülerinnen und Schülern
lernen; aber auch 56 Prozent von ihnen finden, dass
schlechte Schülerinnen und Schüler mehr profitieren,
wenn sie mit deutlich leistungsstärkeren Schülerinnen
und Schülern zusammen lernen.

Der zweite Befund: 58 Prozent der Lehrkräfte an
Haupt- und Realschulen meinen, dass sie die Anforde-
rungen in den letzten Jahren senken mussten.

Ich finde das deshalb bedenklich, weil diese Befunde
deutlich machen, dass die Qualität schulischer Ausbil-
dung weiter abnehmen wird, wenn wir nichts tun. Dafür
gibt es verschiedene Gründe: die Verschlechterung der
Lehr- und Lernbedingungen an den Schulen, die Verkür-
zung der Unterrichtszeit, die Erhöhung der Unterrichts-
verpflichtungen für die Lehrkräfte, zu wenige Lehr-
kräfte, fehlendes pädagogisches Personal, eine
überbordende Bürokratie mit unzähligen Förderpro-
grammen und einem aufwendigen Berichtswesen, das
wenig zur Unterrichtsqualität beiträgt. Eine wesentliche
Ursache liegt aber auch darin, dass Lehrende von heute
nur unzureichend auf die gewachsenen pädagogischen
Anforderungen vorbereitet sind. Der Umgang mit leis-
tungsgemischten Lerngruppen beispielsweise, die Um-
setzung von Inklusion in der Schule – Frau Canel hat es
eben erläutert – und die Aufnahme gar nicht mehr so
neuer pädagogischer Arbeitsformen, wie zum Beispiel
Freiarbeit, sind nach wie vor vielen Lehrkräften suspekt.
Das ist ihnen deshalb suspekt, weil sie dafür nicht ausge-
bildet sind. Nun gut, man kann sagen: Von Lehrerinnen
und Lehrern kann man erwarten, dass sie sich ein Leben
lang fortbilden. Aber auch in der heutigen Lehramtsaus-
bildung finden sich diese Bestandteile eben nicht in aus-
reichendem Maße wieder.

Die Anträge, die uns heute hier vorliegen, widmen
sich diesem Problem. In der Problembeschreibung lie-
gen sie auch sehr dicht beieinander. Nun steht aber die
Frage, welche Verantwortung der Bund für die Verbesse-
rung der Ausbildung hat, im Raum. Genau hier scheiden
sich die Geister. Lehramtsausbildung ist Ländersache.
Obwohl es seit mehr als zehn Jahren Vereinbarungen zur
Lehrerausbildung, zur Anerkennung von Abschlüssen,
zur Harmonisierung der Ausbildung usw. usf. gibt, un-
terscheidet sich die Ausbildungspraxis in den Ländern
immer mehr voneinander.

Die Unterschiede liegen vor allem in den Inhalten der
Ausbildung. So sieht die Ausbildung in elf Bundeslän-
dern noch nicht einmal ein Praxissemester vor. In vielen
Hochschulen wurden die Ausbildungsbestandteile der
pädagogischen Wissenschaften in den letzten Jahren
massiv vernachlässigt. Zu wenige widmen sich intensiv
der Umsetzung von Inklusion in den Schulen. Aber die
heute und in den nächsten Jahren auszubildenden Lehr-
kräfte werden für etwa 40 Jahre die Qualität der Schulen
bestimmen. Darum können wir nicht mehr warten, bis
eine Exzellenzinitiative in der Breite angekommen ist
und allen Hochschulen zugutekommt. Wir brauchen eine





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)


exzellente Lehrerausbildung, heute und jetzt, in jeder
Hochschule, die eine Lehramtsausbildung anbietet.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei dem Beschluss der GWK von vor 14 Tagen wird
allerdings deutlich, dass es zwar die Absicht gibt, alle
Länder daran zu beteiligen, aber eine Garantie dafür gibt
es nicht. Vier Stadtstaaten und Bundesländer haben nur
eine einzige Hochschule, die Lehrkräfte ausbildet; da
kann es schlecht Wettbewerb geben. In weiteren vier gibt
es nur zwei, und die haben nicht immer das gesamte
Ausbildungsspektrum. In meinem Bundesland, Sachsen-
Anhalt, beispielsweise werden Lehrerinnen und Lehrer
für allgemeinbildende Schulen nahezu ausschließlich an
der Uni Halle ausgebildet. Bei der Umsetzung der Exzel-
lenzinitiative laufen, wie ich diese Vereinbarung lese,
viele Länder Gefahr, am Ende doch nichts abzubekom-
men.

Wir bleiben dabei, dass eine gute Lehrerausbildung
an allen Hochschulen stattfinden können muss. Der
Bund hat hier Handlungsmöglichkeiten. Er muss nicht
warten, bis das Kooperationsverbot aufgehoben ist, ob-
wohl das sehr helfen würde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Qualität oder Gießkanne, was wollen Sie?)


Man kann zum Beispiel den Hochschulpakt so ausgestal-
ten, dass er an den Hochschulen auch bei der Lehrerbil-
dung ankommt. Man kann auch einen Pakt für bessere
Lehre machen; auch das könnte in der Lehrerausbildung
ankommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Möglicherweise reichen dann allerdings die 500 Millio-
nen Euro nicht, die ja auf viele Jahre verteilt werden.
Aber das sollte uns eine bessere Lehrerausbildung schon
wert sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Canel, ich habe Ihre Rede sehr aufmerksam ver-
folgt und an einer Stelle auch applaudiert, wie Sie sicher
bemerkt haben. Man hat eben gemerkt, dass eine Lehre-
rin gesprochen hat. Ich frage mich nur: Sind Sie in dieser
Regierung oder nicht?

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723811000

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723811100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kinder und Jugendliche brauchen Lehrkräfte mit starken
fachlichen, pädagogischen und diagnostischen Fähigkei-
ten, Lehrkräfte, die individuell fördern und Inklusion
umsetzen können. Wir erhoffen uns von der Bund-Län-

der-Vereinbarung über die Lehrerbildung starke Impulse,
um Lehrerinnen und Lehrer auf ihre verantwortungsvol-
len Aufgaben besser vorzubereiten. Dabei gilt es zu be-
achten, dass sich Reformen in diesem Bereich erst mit-
telfristig auswirken. Bildlich gesprochen: Wenn jetzt die
Ausbildung reformiert wird, werden wahrscheinlich
noch nicht einmal die heutigen Grundschülerinnen und
Grundschüler davon profitieren. Eine zügige Weiterent-
wicklung der Lehrerbildung ist daher überfällig. Die
Bund-Länder-Initiative muss deshalb ein Erfolg werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


In der öffentlichen Debatte um die Lehrerausbildung
spielte bisher die Mobilität von Lehramtsabsolventinnen
und -absolventen eine herausragende Rolle. Dies ist ein
wichtiges Anliegen zwischen den Bundesländern, darf
aber nicht die inhaltliche, konzeptionelle und praxisnahe
Modernisierung des Lehramtsstudiums in den Hinter-
grund treten lassen; denn das ist doch der eigentliche
Kern. Die wachsenden beruflichen Anforderungen an
Lehrkräfte müssen bei einer Reform der Lehrerausbil-
dung maßgeblich sein. Im Schulalltag sind hohe fachli-
che Qualifikationen genauso gefordert wie anspruchs-
volle didaktische Qualität, Diagnostik und Evaluation.
Die stärkere Vielfalt der Schülerschaft erfordert eine
Lehr- und Lernkultur, die Integration und Inklusion ver-
bessert; denn Herkunft darf nicht zum Hindernis werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lehrerinnen und Lehrer müssen deshalb im produkti-
ven Umgang mit Heterogenität ausgebildet sein und
weitergebildet werden. Notwendig ist in diesem Zusam-
menhang auch die Stärkung der Forschung zum The-
menbereich Heterogenität und Diversity, wie sie zum
Beispiel in den entsprechenden DFG-Programmen ge-
fördert wird. Eine moderne Lehrerbildung beruht auf ei-
nem wissenschaftlichen und zugleich berufsfeldorien-
tierten Studium – das hat auch das Fachgespräch im
Bildungsausschuss des Bundestages gezeigt –; denn die
Schule ist eine zentrale Institution und Sozialisations-
instanz im Leben von Kindern und Jugendlichen. Die
Schule braucht nicht nur multiprofessionelles Personal
und eine bessere Vernetzung zwischen den Schulfä-
chern, sondern auch eine Vernetzung mit schulbezogener
Jugendsozialarbeit, mit Gesundheitsprävention und
Quartiersentwicklung vor Ort. Nur mit einer durchdach-
ten Strategie können wir all diesen Anforderungen vor
Ort gerecht werden.

Über die grundsätzlichen Ziele einer Qualitätsoffen-
sive für die Lehrerausbildung herrscht zwischen den
Fraktionen mittlerweile große Übereinstimmung. Trotz-
dem bleibt festzuhalten, dass im Antrag der Regierungs-
fraktionen ein klares Konzept zur Verbesserung der Leh-
rerausbildung fehlt. Das betrifft zum Beispiel die
Qualitätsmessung und das Auswahlverfahren; ebenso
wie im Antrag der Linksfraktion sind Fort- und Weiter-
bildung darin ziemlich unterbelichtet. Niemand kann
und darf warten, bis es zu einem kompletten Austausch
der Lehrerinnen und Lehrer gekommen ist. Fort- und





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


Weiterbildung müssen deshalb als gleichrangig zur Aus-
bildung von Lehrkräften gesehen werden. Es braucht in
jedem Kollegium und in jedem Bundesland eine echte
Weiterbildungskultur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch der von der Linken beantragte Ansatz, die Bun-
desförderung allen Hochschulen jetzt und sofort nach
dem Gießkannenprinzip zukommen zu lassen, ist nicht
zielführend. Es macht dagegen Sinn, dass eine Förde-
rung daran gekoppelt ist, dass eine Hochschule ein
schlüssiges und innovatives Konzept vorlegt.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: So ist das!)


Gute Praxisbeispiele sollen dann im Rahmen der Bund-
Länder-Zusammenarbeit ausgewertet und verbreitet
werden. Das heißt, es geht um den Transfer des Guten in
die Breite. Wir sind zuversichtlich, dass aus diesem ge-
samtstaatlichen und kooperativen Ansatz dann eine breit
angelegte und wirksame „Qualitätsoffensive Lehrerbil-
dung“ erwachsen kann.

Wir begrüßen, dass die Koalition und die Bundesre-
gierung sich von ihrem sehr engen Ansatz einer Exzel-
lenzinitiative verabschiedet haben und dass Bund und
Länder zu einer sinnvollen Einigung gekommen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir begrüßen auch, dass alle Beteiligten aus den
Schwierigkeiten beim Hochschulpakt gelernt haben:
Erstens sind Forderungen wie die Kapazitätsneutralität
in der Vereinbarung ganz klar formuliert. Zweitens geht
das Geld vom Bund direkt an die Hochschulen, und das
ist gut so. Die Bund-Länder-Vereinbarung zeigt auch,
dass ein Bildungsstaatsvertrag, wie ihn die letzten ver-
bliebenen Länderminister der Union vor ein paar Mona-
ten vorgeschlagen haben, nicht notwendig ist. Dass Frau
Wanka nach ihrer Abwahl in Niedersachsen diesbezüg-
lich dazugelernt hat, ist erfreulich. Es ist erfreulich, dass
man sich auf eine andere Vereinbarung verständigt hat.

Allerdings sind hier auch die Hinterlassenschaften der
Vorgängerin von Frau Wanka offenkundig. Herr Braun
hat vorhin noch einmal 500 Millionen Euro für die
nächsten zehn Jahre versprochen. Nicht einmal im Haus-
haltsentwurf für das Jahr 2014 sind die 50 Millionen
Euro für das nächste Jahr verankert. Das heißt, hier wird
über Geld geredet, das Frau Wanka bisher überhaupt
nicht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Den Haushaltsentwurf für 2014 gibt es doch noch gar nicht! – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Was ist denn das jetzt? Das ist ja peinlich! Das ist unredlich und falsch! Jetzt sind wir aber wirklich enttäuscht!)


– Der Haushalt ist derzeit in der Beratung.


(Anette Hübinger [CDU/CSU]: Wir haben nur die mittelfristige Finanzplanung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Tal der Ahnungslosen!)


– Es gibt einen Haushaltsentwurf und eine mittelfristige
Finanzplanung; darin muss das abgebildet sein.

Die globalen Minderausgaben – 620 Millionen Euro –
haben Sie auch noch beim BMBF. Das darf nicht zulas-
ten anderer Titel erwirtschaftet werden.

Wir hoffen und erwarten, dass die gute inhaltliche Ba-
sis für die Verbesserung der Lehrerbildung und damit für
die Vorbereitung auf diesen sehr anspruchsvollen Beruf
nun auch umgesetzt wird.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723811200

Kollege Gehring, achten Sie bitte auf die Zeit!


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723811300

Dann und nur dann wird das Ganze zum Erfolg vor

Ort werden.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Zwei Minuten überzogen! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie nicht rechnen! – Gegenruf des Abg. Jörg van Essen [FDP]: Ich habe gestoppt! Zwei Minuten!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723811400

Kollege van Essen, Sie können gern stoppen. Wenn

das so ist, dann geht Ihre Uhr schneller als die Uhr der
Präsidentin.


(Heiterkeit bei der FDP)


Der Kollege Marcus Weinberg hat für die Unionsfrak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1723811500

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Solange die Zeit nicht abläuft, ist alles in
Ordnung.

Ich danke dem Kollegen Gehring für die 97-prozen-
tige Unterstützung dieser Initiative. Das zeigt – das
wurde in allen Wortbeiträgen, auch denen der Opposi-
tion, deutlich –, dass hier mit guter Bildung ein wichti-
ges Thema aufgegriffen wurde. Es ist ein Riesenerfolg,
dass in den nächsten Jahren über 500 Millionen Euro in
die Ausbildung unserer Lehrer investiert werden. Dafür
ein herzliches Dankeschön!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur: Das Geld, das Sie versprechen, haben Sie nicht!)


Eine große gesellschaftliche Diskussion betrifft die
Frage nach den Faktoren für erfolgreiches Lernen. Dabei
geraten wir in vielen Bildungsdiskussionen immer wie-
der bis an den Rand des Streits aneinander. Es geht um
die Frage: Welche Faktoren wirken eigentlich?





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


Ich will nur einmal die McKinsey-Studie von vor we-
nigen Jahren ansprechen. Bei dieser Studie mit einem in-
ternationalen Vergleich – es wurden 24 Länder unter-
sucht – mit einer Laufzeit von einem Jahr wurden mehr
als 100 Experten befragt: Welche Faktoren sind wirk-
sam? Ist es die Finanzierung der Schulsysteme? Das ist
die Frage, die insbesondere die Linke immer gerne auf-
wirft. Da muss ich Sie leider enttäuschen, meine Damen
und Herren. Das wurde als ein nicht wesentlicher Faktor
identifiziert. Australien hat seit 1970 den Etat verdrei-
facht, die USA haben ihn verdoppelt, und die Erfolge
sind mäßig. Ist es die Ganztags- oder Halbtagsbetreu-
ung? Ich als Anhänger einer guten Ganztagsbetreuung
sehe dabei durchaus auch noch andere Funktionen. Für
den Bildungsbereich lässt sich festhalten – das wurde in
der Studie herausgearbeitet –, dass durchaus auch Schu-
len, die keine Ganztagsbetreuung anbieten, sehr gute Er-
folge erzielen. Ist es die Klassengröße? Darüber kann
man lange streiten.

Im Kern steht die Aussage – und das ist für uns nicht
unwichtig –: Entscheidend sind gute Lehrer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Ich nenne hier als Beispiel eine Untersuchung in Dallas,
die sicher viele kennen. Dort haben Toplehrer durch-
schnittlich begabte Schüler unterrichtet, die dann zu den
Top-5-Prozent ihres Jahrganges gehörten. Durchschnitt-
lich begabte Schüler, die von weniger gut ausgebildeten
Lehrern unterrichtet wurden, fanden sich relativ weit un-
ten auf der Skala wieder. Das ist der erste Befund.

Zweiter Befund – das richtet sich an die deutschen
Universitäten und diejenigen, die den Lehramtsberuf an-
streben –: Es wird häufig vom Praxisschock berichtet.
Vor einem Jahr gab es eine Allensbach-Studie, in deren
Rahmen junge Lehrer befragt wurden. Herausragend
fand ich, dass 81 Prozent der Lehrer in Deutschland im-
mer noch Freude an ihrer Arbeit haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur jeder zehnte Anfänger überlegt, auszusteigen.
83 Prozent gaben an, gerne mit Kindern und Jugendli-
chen zu arbeiten. Das heißt, bei den jungen Menschen in
Deutschland gibt es den Wunsch, mit Kindern und Ju-
gendlichen zu arbeiten. Es gibt das Streben, hier etwas
Gutes zu tun.

Dritter Befund. Kai Gehring und einige Vorredner ha-
ben die Herausforderungen für die nächsten Jahre be-
nannt. Es geht um das Thema Inklusion. Das muss nicht
nur bei der Lehrerausbildung eine Rolle spielen, sondern
auch bei der Qualifizierung und Weiterbildung der Lehr-
kräfte. Wir haben das Thema „kulturelle Vielfalt“ in den
Großstädten mit dem Thema Integration verbunden. In
Großstädten wie Hamburg und Frankfurt haben mittler-
weile über 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen ei-
nen Migrationshintergrund. Darauf muss sich die Fach-
didaktik einstellen; darauf müssen sich aber auch die
Methodik und die Pädagogik einstellen. Das Thema „he-
terogene Lerngruppen“ wurde bereits angesprochen.
Auch dieses Thema ist bei der Formulierung der Lehrer-
exzellenz aufgenommen worden. Eine weitere Heraus-

forderung, die es aufzunehmen gilt, sind die veränderten
Strukturen in Elternhaus und Familie. – Dies sind die
Bereiche, die in den nächsten Jahren durch diese Initia-
tive abgedeckt werden sollen.

Hinzu kommt etwas nicht ganz Unwichtiges, was un-
sere ehemalige Ministerin Schavan gesagt hat, der wir
sehr viel zu verdanken haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Sie hat gesagt: Wenn ein durchschnittlicher Unterneh-
mensberater mehr Ansehen in der Gesellschaft genießt
als ein guter Lehrer, dann stimmt etwas in unserer Ge-
sellschaft nicht. – Auch daran müssen wir arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir werden mit dieser Initiative drei Ziele erreichen:
Erstens. Bund und Länder wollen mit der „Qualitäts-
offensive Lehrerbildung“ den absehbaren Generations-
wechsel im Lehrpersonal nutzen, begonnene Reformen
zu unterstützen, zu beschleunigen und neue Impulse zu
setzen, gerade im Bereich der didaktischen und methodi-
schen Auslegung.

Zweitens. Sie wollen zudem überzeugende Beiträge
zur Aufwertung des Lehramtsstudiums entwickeln. Die
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ will einen wettbe-
werblichen, breit wirkenden und kapazitätsneutralen Im-
puls geben, mit dem eine qualitativ nachhaltige Verbes-
serung für den gesamten Prozess der Lehrerbildung
erreicht werden soll. Hier unterscheiden wir uns schon.
Wir wollen nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern
Exzellenz haben. Wir wollen die guten Konzepte umset-
zen. Wir wollen, dass aus den guten Konzepten auch et-
was für die Breite entsteht. Insofern verfahren wir nicht
so wie Sie von den Linken; denn Sie wollen nur immer
mehr mit der Gießkanne ausschütten. Wir wollen eine
exzellente Lehrerausbildung. Daran orientieren sich
auch andere Hochschulen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Damit erreichen wir, dass die Lehrerausbildung aus der
Nische der Hochschulen in das Zentrum der Hochschu-
len gelangt. Eine gute Universität ist eine Universität,
die gute Lehrer ausbildet.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723811600

Kollege Weinberg, achten Sie bitte auf die Redezeit!


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1723811700

Mit Blick auf die Redezeit will ich noch den dritten

Aspekt ansprechen: Drittens. Wir müssen es schaffen,
die Studienleistung anzuerkennen und Übergänge und
Mobilität zu stärken.

Heute ist ein guter Tag für die jungen Menschen, die
sich entscheiden, Lehrerin bzw. Lehrer zu werden, weil
sie endlich in das Zentrum der Gesellschaft rücken, weil
sie zu denen gehören, die wir in den nächsten Jahren mit





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


500 Millionen Euro unterstützen. Dies ist ein großer Er-
folg. – Ich wünsche ein schönes Wochenende.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723811800

Das Wort hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1723811900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mit einem Blick zurück auf das Jahr 2002/
2003 beginnen. Damals hat die PISA-Studie uns alle in
Bewegung versetzt. Die Kultusministerkonferenz hat
unter anderem im Zusammenwirken mit dem Bund sie-
ben entscheidende Handlungsfelder definiert. Viele da-
von sind angegangen bzw. abgearbeitet worden. Heute
setzen wir in der Tat einen wichtigen Punkt in Bezug auf
das siebte Handlungsfeld, nämlich der Verbesserung der
Lehrerausbildung.

Meine erste Bemerkung. Bisher lag die Handlungslei-
tung mehr bei den Ländern. Es sollte nicht unterschlagen
werden, dass die Länder Vereinbarungen zur Mobilität
getroffen haben, dass die Länder sehr viel Innovation in
die Lehrerausbildung hineingebracht haben. Dieses Pro-
gramm obendrauf ist ein gutes Versprechen. Deshalb
kann es ein guter Prozess werden, wenn wir uns zusam-
men verpflichten – egal, wer in den nächsten Jahren re-
giert –, dieses wirklich durchzuziehen. Denn bisher ist es
nur ein Versprechen.

Kollege Gehring hat völlig recht: Die Hinterlegung
im Haushalt soll erst im September vollzogen werden.
Wir werden sehr genau darauf achten, was im September
von dieser Regierung vorgelegt wird. Wir werden das
kritisch prüfen und unser Vorhaben bekräftigen, dass wir
in jedem Fall an den 500 Millionen Euro festhalten wol-
len, um für mittelfristige und für langfristige Garantien
zu sorgen. Dieses Vorhaben muss stehen, sonst ist alles
Schall und Rauch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine zweite Feststellung ist, dass der Wechsel einer
Ministerin von Landesebene auf Bundesebene manch-
mal dazu führen kann, dass man sich ganz schnell von
Staatsverträgen verabschiedet. Jetzt stehen nur noch
Sachsen und Bayern allein auf weiter Flur; die anderen
haben sich davon überzeugt, dass eine Richtlinie mehr
Mobilität garantiert.

Drittens. Es wurde aufgrund einer Bundesinitiative
eine merkwürdige, aber zum Guten verlaufende Diskus-
sion über die Struktur der Verbesserung der Lehreraus-
bildung angestoßen. Ganz am Anfang stand die Diskus-
sion über ein zentrales Qualitätssicherungsinstitut für
Lehrerbildung auf ganz Deutschland bezogen. Das ist
dann schnell vergessen worden.

Der nächste Begriff war: die Exzellenzinitiative. Kol-
lege Rupprecht, da wir uns politisch fast freundschaft-
lich verbunden sind, will ich Ihre Wandlung beschrei-
ben, die mir noch sehr gegenwärtig ist. Das war sehr
kühn von Ihnen, zu behaupten: Wenn die drei besten Ex-
zellenzinitiativen alle nur in Niedersachsen sind, dann
fordern wir sie nur in Niedersachsen. – Ein solcher An-
satz findet sich jetzt allerdings nicht mehr wieder.

Der jetzige Ansatz lautet – von Kollegin Hein über
das ganze Haus hingetragen –, dass wir gerade bei der
Lehrerbildung in jedem Bundesland innovativ sein müs-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies wird durch den Verteilschlüssel garantiert, den der
Staatssekretär richtig dargestellt hat; Frau Hein hat ihn
allerdings noch nicht richtig verstanden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt für jedes Bundesland eigenes Geld. Welche
Projekte daraus realisiert werden, wird wettbewerblich
festgestellt, analog entsprechender innovativer Vor-
schläge. Wenn die innovativen Vorschläge nicht beim
ersten Mal in den Ländern platziert werden können,
dann beginnt allerdings ein länderquotenunabhängiger
Wettlauf um die letzten Mittel.

Wir müssen uns in die Sache hineinbegeben, um das
entsprechend positiv darzustellen. Es ist positiv, dass wir
überall eine gute Lehrerausbildung stimulieren wollen.
Das Versprechen gilt: Das packt der Bund obendrauf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812000

Kollege Rossmann, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Hein?


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1723812100

Selbstverständlich, weil dann die Uhr von Herrn van

Essen langsamer geht.


(Heiterkeit)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812200

Also, ich habe sie angehalten.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812300

Vielen Dank. – Herr Rossmann, würden Sie mir recht

geben: Wenn es in einem Bundesland nur eine einzige
Einrichtung gibt, die Lehramtsausbildung durchführt
und die dann vielleicht nicht das richtige Konzept vor-
legt, kann die Klausel, dass nicht verbrauchte Mittel in
anderen Bundesländern ausgegeben werden können,
dann dazu führen, dass das Bundesland gar keine Mittel
bekommt? So interpretiere zumindest ich die Vereinba-
rung.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1723812400

Das ist richtig, und das ist doch auch in Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ein Bundesland nichts Innovatives liefert, sondern
wenn es sich allein auf Lückenschluss in Bezug auf feh-
lende Mittel bei der Lehrerausbildung konzentriert, dann
darf ein Fachkreis sagen: Die bekommen es nicht. Sie
sollen das merken. Dann gehen die Mittel für Innovation
woanders hin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jedes Bundesland hat die Chance, in einem bestimm-
ten Korridor innovative Vorschläge zu machen. Die Ba-
lance zwischen Bund und Ländern ist in der Fläche gut
austariert, dafür sorgt das linke Prinzip der Innovation
und des Fortschritts.

Zu der Rückfrage in Bezug auf die Inhalte. Nicht nur
unter den Sozialdemokraten, auch von Herrn Weinberg
bis zu Herrn Gehring herrscht breite Übereinstimmung.
Ich könnte sie zitieren, es käme das Gleiche heraus, was
wir in Bezug auf Inklusion, Ganztagsschule und Verbrei-
terung des Schulangebots sagen würden.

Kollege Braun hat seine Rede mit einem Hinweis auf
Karl Jaspers begonnen. Ich möchte an dieser Stelle einen
Gedanken hinzufügen, der bisher von den Ländern und
auch vom Bund nicht hinreichend diskutiert worden ist.
Frau Canel, Sie haben gesagt: Die Schule ist die Wiege
der Demokratie. Karl Jaspers, von Herrn Braun in die
Diskussion eingeführt, war nicht nur Philosoph, sondern
ein besorgter Politikbegleiter, der schon vor der Verlei-
hung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
1958 wichtige Werke, unter anderem Über die Atom-
bombe und die Zukunft Deutschlands, veröffentlicht hat.
Er hat immer darauf bestanden: Die Demokratie braucht
auch ihre Schule, sie braucht auch politische Bildung. Es
hat mich ein wenig verwundert – das ist jetzt eine per-
sönliche Bemerkung –, wie wenig wir dies bei der
Diskussion über die Verbesserung der Konzepte der
Lehrerbildung reflektieren, während wir gleichzeitig be-
obachten, dass junge Menschen sich nicht von vornher-
ein mit der Demokratie identifizieren und sie nicht von
vornherein praktizieren können. Demokratie ist kein
Lehrfach, sondern eine Haltung – eine Haltung, die bei
allen Lehrkräften durchscheinen müsste.

Deshalb werbe ich darum, nicht nur Schule der De-
mokratie, sondern demokratische Schule zu machen.
Wir sollten das als Aufgabe für jede Form moderner
Lehrerbildung begreifen, und das sollte auch von den
Ländern und vom Bund aufgegriffen werden. Herr
Braun, egal, ob Sie dieses Thema noch länger begleiten
oder nicht: Diese Bitte richtet sich auch an Sie.

Gute Lehrerbildung ist auch gute demokratische Bil-
dung. Denn in der demokratischen Bildung spiegelt sich
das Grundprinzip guter Lehrerbildung – von Comenius
über Nohl mit seinem pädagogischen Bezug bis zu John
Hattie von heute – wider: Der Pädagoge wirkt als Person
und über die Person in einem Bezug und holt gleichzei-
tig den Gegenstand in eine Reflexion, in eine Aneignung

an den Schulen mit hinein. Dies gilt auch für Demokra-
tie. Wir brauchen demokratische Lehrer und Lehrer der
Demokratie und die Aneignung von Demokratie.

Ich weiß, dass diese Bemerkung von den 500 Millio-
nen Euro wegführte. Aber ich wollte in diese Debatte
noch die Besinnung auf Kernpunkte der gemeinsamen
Identität hinsichtlich der Schule einbringen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812500

Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1723812600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gott sei

Dank sind die Zeiten vorbei, in denen Lehrer als faule
Säcke beschimpft wurden, und das auch noch von maß-
geblichen Politikern dieses Landes wie einem nieder-
sächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundes-
kanzler.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben nie so gedacht und haben immer eine Poli-
tik gemacht, mit der wir Deutschland als Bildungsrepub-
lik gestalten wollen, um jungen Menschen Chancen zu
geben und unseren Wohlstand hier zu erhalten.

Dabei sind die Lehrer ein ganz zentrales Thema. Die
Studie von John Hattie beweist eindrucksvoll, dass die
ganzen Debatten der vergangenen Jahre auch in
Deutschland über ideologische Schulkonzepte – die
Klassengröße, die Schulform, klassenübergreifenden
Unterricht usw. – am Thema vorbeigehen. John Hattie
hat in seiner Studie eindrucksvoll bewiesen, was wir
schon immer wussten: dass es auf den Lehrer, auf denje-
nigen ankommt, der vorne vor der Klasse steht, auf seine
fachlichen Kenntnisse und auf seine didaktischen Fähig-
keiten.

Deswegen war es folgerichtig, dass wir die Initiative
ergriffen haben. 500 Millionen Euro für eine Qualitäts-
initiative in der Lehrerbildung in ganz Deutschland ist
eine gewaltige Summe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dass dieses Geld jetzt in den Haushalt eingestellt
wird, ist klar. Dass wir auch an dieser Stelle – wie an den
anderen Stellen bei Bildung und Forschung – Wort hal-
ten, ist selbstverständlich.

Ich finde es bemerkenswert, dass die Debatte heute
– auch von der SPD – in großen Teilen als Verteidi-
gungsrede für die Länder geführt wird. Natürlich hat die
Mehrheit der Wissenschafts- und Bildungsminister in
Deutschland derzeit ein sozialdemokratisches Partei-
buch.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war keine Verteidigungsrede!)






Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)


Das ist im Übrigen eine große Verantwortung, die Sie
haben. Denn die Dinge, die jetzt in den Ländern gesche-
hen, hat die SPD zu verantworten.

Ich halte es allerdings für einen Fehler, wenn man aus
parteitaktischen Gründen jetzt alles verteidigt, alles
schönredet und jede kritische Diskussion unterbindet.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das hat niemand gemacht! Welche Debatte führen Sie eigentlich?)


Denn unsere nationale Verantwortung, der wir auch mit
dem Paket von 500 Millionen Euro für die Lehrerbil-
dung in Deutschland gerecht werden, ist es, die Zukunft
dieses Landes in den Vordergrund zu stellen. In einem
föderalen Land bedeutet das, immer wieder darauf zu
achten, was in den Ländern geschieht,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gehen Sie nach Sachsen!)


und die Dinge kritisch zu begleiten. Das erwarten wir
auch von den Sozialdemokraten hier im Deutschen Bun-
destag.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und von Sachsen aber auch! Von Sachsen!)


Föderalismus funktioniert nur dann, wenn sich am
Ende die besten Konzepte durchsetzen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: In Sachsen, da kürzen Sie bei der Bildung, Herr Kollege!)


Wenn man sich anschaut, was derzeit in Baden-Würt-
temberg passiert – eine ehemalige Berliner Schulsenato-
rin darf Konzepte zur Weiterentwicklung des Bildungs-
systems des erfolgreichsten Bundeslandes in Sachen
Bildung entwickeln –, dann kann einem nur angst und
bange werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn zu Sachsen?)


Wenn wir sehen, dass in Rheinland-Pfalz 2 000 Lehrer-
stellen eingespart werden sollen, in Schleswig-Holstein
mit Hinweis auf die zukünftige Inklusion 3 000 Lehrer-
stellen und in Baden-Württemberg sogar 12 000 Lehrer-
stellen, dann müssen wir sagen: Das ist der falsche Weg,
wenn man eine Bildungsrepublik haben möchte. Das wer-
den wir immer wieder sagen. Sie sollten das Ihren Genos-
sen auch parteiintern einmal sagen. Sie sollten das anpran-
gern und für eine Veränderung dieser Politik sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812700

Kollege Kretschmer, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung des Kollegen Rossmann?


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1723812800

Nein.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Reden Sie einmal zu Sachsen, Herr Kollege! Das ist doch billig, was Sie da machen!)


Ich möchte Ihnen gerne noch sagen, dass ich es für ei-
nen wirklich großen Erfolg halte, dass es der Bundes-
ministerin und dem BMBF gelungen ist, die Länder bei
der gegenseitigen Anerkennung der Lehrerausbildung
und des Vorbereitungsdienstes mitzunehmen. Dieses
Thema hat in der Tat viele Jahre lang für Ärger gesorgt;
das war auch nicht zu erklären. Dieser Erfolg zeigt ein-
mal mehr – das hat auch Bildungsministerin Edelgard
Bulmahn immer wieder gesagt –: Der Bund muss Ver-
antwortung übernehmen. Er muss eine gewisse Füh-
rungsfunktion übernehmen, dabei aber eine vernünftige
Sprache finden. – Deswegen sage ich es noch einmal:
Stellen Sie sich der Sache nicht in den Weg,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Tun wir doch nicht! Pappkameraden! Ab nach Sachsen!)


sondern sorgen Sie dafür, dass sich die besten Konzepte
durchsetzen und am Ende ein Erfolg steht.

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Im sozia-
len Bereich sind das die unterschiedlichen Voraussetzun-
gen, die die Schüler mitbringen – diese Unterschiede
werden immer größer –, und das wichtige Thema der In-
klusion. Hinzu kommt natürlich die Digitalisierung, der
Bereich der neuen Medien. Das stellt die Lehrer in unse-
rem Land vor völlig neue, ungeahnte Herausforderun-
gen. Deswegen darf die Lehrerausbildung in den deut-
schen Hochschulen nicht das fünfte Rad am Wagen sein,
sondern sie muss zu einem zentralen Bestandteil der
Hochschulbildung werden. Das erreichen wir mit unse-
rem Konzept.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir möchten, dass die guten Erfahrungen, die man
beispielsweise an der TU München gesammelt hat, wo
der exzellente PISA-Forscher Professor Prenzel lehrt,
überall in Deutschland genutzt werden. Wir möchten,
dass es einen Wettbewerb um die besten Konzepte gibt
und sich die besten Konzepte in der Breite durchsetzen.
Wir möchten auch, dass es zu einer Veränderung bei der
Lehrerbildung kommt. Die jungen Leute dürfen nicht
erst am Ende ihrer Ausbildung zum ersten Mal vor einer
Schulklasse stehen, sondern sie müssen schon am An-
fang vor einer Klasse stehen, damit sie relativ schnell
merken, ob sie für diesen Beruf geeignet sind. Ich
glaube, wir haben mit diesem Programm etwas Richtiges
getan. Wir werden diesen Weg weitergehen.

Der Hinweis auf die Staatsverträge im Bereich Bil-
dung ist nach wie vor richtig, weil es weitere Punkte
gibt, bei denen die Länder zu einer besseren Vergleich-
barkeit und zu gemeinsamen Arbeiten kommen müssen.
Das betrifft beispielsweise die Lehrpläne, die Prüfungen
und das Deutschland-Abitur. Deswegen sage ich an die-
ser Stelle: Indem man den Druck herausnimmt und sagt,
dass das Thema erledigt ist, wird man der Bildungsreali-
tät in Deutschland nicht gerecht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723812900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 17/13077. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP auf Drucksache 17/9937 mit dem Ti-
tel „Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrer-
ausbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der SPD-Fraktion angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11322 mit dem Ti-
tel „Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der
Lehrerbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10100 mit
dem Titel „Exzellente Lehrerbildung überall sichern – Pä-
dagogische Berufe aufwerten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Fraktion Die Linke
bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-

ordnung zu dem von den Abgeordneten Christine
Lambrecht, Burkhard Lischka, Dr. Eva Högl,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsände-
rungsgesetzes – Bekämpfung der Abgeordne-
tenbestechung
– Drucksachen 17/8613, 17/13271 –
Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1723813000

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die SPD hat um diese Debatte gebeten,

weil die Beratung einer Vorlage im Rechtsausschuss zu
lange dauert. Es ist das gute Recht einer Fraktion, dies
zu tun. Aber es gibt gute Gründe dafür, warum wir nicht
zu einem Ergebnis gekommen sind.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die möchte ich mal hören! – Christine Lambrecht [SPD]: Vielleicht verraten Sie die auch!)


Einer der Gründe ist beispielsweise, dass in der
nächsten Bundesratssitzung ein Entwurf des Landes
Nordrhein-Westfalen beraten wird. Ich bin gespannt, ob
die Länder ihn tatsächlich so verabschieden werden, wie
Nordrhein-Westfalen es vorschlägt. Er enthält unter an-
derem Regelungen zur Strafbarkeit auch von Mandats-
bewerbern; dies wirft viele rechtliche Fragen auf.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen Nachhilfe aus NordrheinWestfalen? Das ist mir ja ganz neu!)


Er enthält Regelungen zum Versuch, obwohl wir – ich
finde, zu Recht – den Straftatbestand der Abgeordneten-
bestechung in § 108 e StGB – Abgeordnetenbestechung
ist nämlich in Deutschland strafbar –


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er reicht nicht!)


bisher als Unternehmensdelikt ausgestaltet haben und
der Versuch damit mit erfasst ist. Das macht deutlich,
dass es schon wegen weiterer Vorschläge weiteren Bera-
tungsbedarf gibt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange noch? – Christine Lambrecht [SPD]: Wir können ja unabhängig entscheiden!)


Dass es gut ist, dass wir zugewartet haben, hat diese
Woche gezeigt. Denn der Kollege Kauder hat dem We-
ser-Kurier ein Interview gegeben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf hat die Welt gewartet!)


Es gibt in diesem Interview eine zentrale Aussage. Er hat
im Interview mitgeteilt, dass diejenigen, die mit ihm zu-
sammen einen Entwurf erarbeitet haben, dies nicht in
erster Linie getan haben, um die UN-Konvention umzu-
setzen. Da staune ich ja.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Denn bisher ist doch immer wieder behauptet worden, es
sei ganz schlimm, dass Deutschland die UN-Konventio-
nen nicht umgesetzt habe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Bananenrepublik!)


Jetzt lese ich auf einmal im Weser-Kurier, dass der Ent-
wurf nicht in erster Linie deswegen erarbeitet worden
ist. Von daher hat Kollege Kauder offensichtlich Be-
denken, ob das, was er vorschlägt, tatsächlich zur Um-
setzung der UN-Konvention ausreicht.





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)



(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat auch zur Motivation etwas gesagt!)


Dass er diese Bedenken zu Recht hat, weiß jeder, der
sich nur drei Minuten mit dem Problem befasst. Der
Deutsche Bundestag hat sich mit der Frage der Abgeord-
netenbestechung sehr oft und sehr intensiv befasst. Das
Ergebnis


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eins?)


ist die Vorschrift, die wir jetzt haben. Ich bin dem Kol-
lege Hans de With, der damals für die SPD die Verhand-
lungen geführt hat und in seiner Fraktion für die Lösung,
die wir gefunden haben, erfolgreich geworben hat, au-
ßerordentlich dankbar, dass wir damals so konstruktive
Gespräche führen konnten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist noch nicht angewandt worden!)


Es ist deshalb auch kein Wunder gewesen, dass es die
damaligen Koalitionsfraktionen, nämlich SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, waren, die die Bundesregierung
aufgefordert haben, wegen der Verfassungslage in der
Bundesrepublik Deutschland, wegen Art. 38 Grundge-
setz, die UN-Konvention nicht zu unterzeichnen. Abge-
ordnete sind nicht besser als Amtsträger, aber die Verfas-
sung sagt: Sie sind etwas anderes. Deshalb ist für alle
Juristen klar gewesen, dass die Gleichsetzung von Amts-
trägern und Abgeordneten in der UN-Konvention so
nicht in deutsches Recht zu übersetzen war.

Die Bundesregierung hat sich entschlossen, anders zu
handeln. Das Ergebnis war, dass die damaligen Regie-
rungsfraktionen in ihrer Regierungszeit keinerlei Gesetz-
entwurf im Hinblick auf eine Zustimmung des Bundesta-
ges zu der UN-Konvention vorgelegt haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir haben daran gearbeitet!)


Es ist auch kein Wunder, dass die Große Koalition dies
nicht getan hat; dafür gab es nämlich gute rechtliche
Gründe. Insofern werbe ich weiter dafür, dass wir es uns
nicht leichtmachen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie machen doch gar nichts!)


Auch wenn sich der Kollege Kauder vom verfassungs-
rechtlichen Paulus zum verfassungsrechtlichen Saulus
zurückentwickelt hat,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spät, aber nicht zu spät! – Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Das ist andersherum!)


ist das kein Zeichen dafür, dass wir wirklich vorange-
kommen sind.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt Ihr „Damaskus“, Herr van Essen?)


– Das wird nicht kommen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Sie sind unbelehrbar!)


Das wird deshalb nicht kommen, lieber Herr Kollege
Wieland, weil wir im Oktober vergangenen Jahres eine
Anhörung zu diesem Thema durchgeführt haben.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Jawohl!)


Sie war wirklich erhellend. In der langen Zeit, die ich
dem Rechtsausschuss mittlerweile angehöre, nämlich
fast 23 Jahre, kann ich mich an keine Anhörung erin-
nern, in der die behandelten Gesetzentwürfe so krachend
durchgefallen sind wie in dieser Anhörung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist eine Legende! – Christine Lambrecht [SPD]: Dann waren Sie wohl in einer anderen Anhörung!)


Das kann man an einem ganz einfachen Beispiel se-
hen. Ich erinnere nur ganz wenige Anhörungen, bei de-
nen das öffentliche Interesse so groß war und bei denen
so viele Journalistinnen und Journalisten anwesend wa-
ren. Ich hätte gedacht, dass es danach eine breite Be-
richterstattung geben würde. Ich muss sagen: Ich habe
lange nichts gefunden. Durch die Nachhilfe einer Kolle-
gin habe ich inzwischen einen Artikel der FTD, die in-
zwischen eingestellt worden ist, gefunden. Das war die
einzige öffentliche Reaktion.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Vielleicht haben Sie ja auch nicht richtig gesucht! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat der Weser-Kurier dazu nichts geschrieben?)


Ich habe einen der Journalisten, die ich kannte, gefragt:
Warum haben Sie darüber nicht berichtet? Seine Ant-
wort lautete: Dieses Ergebnis kann man der Öffentlich-
keit doch nicht präsentieren. – Das Ergebnis fiel also an-
ders aus, als es die Journalisten erwartet hatten.

Wir in diesem Parlament stehen in der Verantwor-
tung, für verfassungsfeste Regelungen zu sorgen. Das
Ergebnis der Anhörung war: Die Gesetzentwürfe von
SPD, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen verstie-
ßen gravierend entweder gegen Art. 38 Grundgesetz
und/oder gegen Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie haben da sehr selektiv zugehört!)


Es darf nicht sein, dass wir in diesem Parlament Rege-
lungen verabschieden, die gegen das Grundgesetz ver-
stoßen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, was tun Sie denn?)


Es ist unsere Verpflichtung, das zu verhindern;


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tut denn die Regierung? Was tun Sie? – Burkhard Lischka [SPD]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)






Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)


das empfinde ich auch ganz persönlich als Verpflich-
tung.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie? Warten auf Interviews des Kollegen Kauder?)


Deshalb ist es gut, dass wir sorgfältig beraten, und des-
halb ist es gut, dass wir keine Schnellschüsse abgeben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813100

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Christine

Lambrecht das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1723813200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr van Essen, ich habe selten eine so dreiste Begrün-
dung


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


für Arbeitsverweigerung oder Unfähigkeit gehört.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind wohl nicht in der Lage, selbst eine entspre-
chende Regelung vorzulegen. Seit Jahren kommt von Ih-
nen nichts;


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Von Ihnen ist doch auch nichts gekommen! Außerdem haben wir begründet, warum nichts kommt!)


aber seit Jahren fordern wir eine Regelung ein. Sie reden
viel über die Vorschläge anderer, über den Vorschlag der
SPD, den der Linken, den der Grünen und den aus Nord-
rhein-Westfalen. Nur, von der Koalition liegt bis heute
nichts vor.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Weil kein Bedarf besteht!)


Entweder können Sie es also nicht, oder Sie wollen es
nicht; dann verweigern Sie sich. In diesem Fall muss
man sich fragen: Ist diese Verweigerungshaltung tatsäch-
lich noch akzeptabel?

Sie haben recht: Im Jahr 2003, vor zehn Jahren,
wurde die UN-Konvention von der Regierung unter-
zeichnet. Seit dieser Zeit wurde sie nicht umgesetzt.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Auch unter Rot-Grün!)


165 Staaten der Welt haben diese UN-Konvention seit-
dem umgesetzt. Nur wir in Deutschland haben das
– ebenso wie Länder wie der Sudan, Syrien, Nordkorea
und Japan – nicht getan.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Nordkorea hat sie gar nicht unterzeichnet!)


Es kann doch nicht wahr sein, dass man jetzt immer
noch sagt: Wir nehmen uns dafür Zeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, man muss der Bevölkerung erklären, dass
es hier nicht um Pillepalle, um irgendetwas Nebensächli-
ches, geht. Es geht darum, dass in Deutschland, für deut-
sche Abgeordnete, lediglich der Stimmenkauf strafbar ist
und nicht, wie Sie es eben dargestellt haben, die Beste-
chung und die Bestechlichkeit. Strafbar ist bis heute le-
diglich der Stimmenkauf, nicht mehr. Es kann doch nicht
wahr sein, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Das
können wir nicht regeln. Das ist so schwer.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bislang hat es noch keiner gekonnt!)


Jetzt warten wir erst einmal ab, was womöglich Nord-
rhein-Westfalen macht, und dann schauen wir noch ein-
mal. – Nein. Wir sind der Gesetzgeber. Wir haben diese
UN-Konvention umzusetzen. Deshalb müssen wir jetzt
endlich handeln.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Ihr Gesetzentwurf ist doch durchgefallen!)


Dass das nicht nur wir, die wir unterschiedliche Vor-
schläge – von mir aus auch mit unterschiedlicher Quali-
tät – vorgelegt haben, so sehen, sondern viele andere
Menschen auch, kann man an der öffentlichen Debatte
sehen. Letztes Jahr im Sommer haben die Konzernchefs
von mehr als 30 großen deutschen Unternehmen einen
Brief an alle Fraktionsvorsitzenden hier im Hause ge-
sandt. Wissen Sie, Herr von Essen, was darin gefordert
wurde? Sie wurden aufgefordert, die Konvention doch
bitte endlich umzusetzen, weil die deutschen Unterneh-
mer sich schämen, wenn sie im Ausland mit anderen
Ländern zu verhandeln haben. Sie schämen sich, weil
diese Konvention noch nicht umgesetzt ist.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch Unsinn! – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


– Herr Götzer, lesen Sie den Brief doch. Da steht es ge-
nau drin, als wie peinlich das empfunden wird.

Es ist offensichtlich nicht nur der deutschen Wirt-
schaft, sondern auch dem Parlamentspräsidenten, Herrn
Lammert, peinlich. Herr Lammert hat letztes Jahr einen
Vorschlag unterbreitet.


(Jörg van Essen [FDP]: Der Gesetzgeber ist das Parlament und nicht der Präsident!)


Wir wären bereit gewesen, über diesen Vorschlag zu re-
den. Wir hätten mit Ihnen gerne darüber diskutiert. Doch
auch bei diesem Vorschlag haben Sie sich verweigert.





Christine Lambrecht


(A) (C)



(D)(B)


Genauso haben Sie sich in Bezug auf den Vorschlag von
Herrn Siegfried Kauder verweigert.

Sie haben recht: Herr Siegfried Kauder war zögerlich,
ob er diesen Weg mit uns gehen soll. Er hat lange über
dieses Thema fabuliert und gesagt, das sei nicht nötig
und das gehe nicht, weil böse Staatsanwälte dann wo-
möglich gegen Abgeordnete vorgingen. Ich kann mich
an einen Empfang des Deutschen Anwaltsvereins erin-
nern. Herr Kauder, da haben Sie noch gesagt, Sie würden
den Abgeordneten davon abraten, hier ein, zwei oder
zehn Gläser Sekt zu trinken, sonst käme morgen wo-
möglich der Staatsanwalt, wenn es nach unserer Rege-
lung geht.


(Jörg van Essen [FDP]: Das war auch so!)


Ich würde jedem Abgeordneten davon abraten, bei ei-
nem Empfang zehn Gläser Sekt zu trinken, allerdings
nicht aus Gründen der Bestechung, sondern aus Gründen
des Alkoholpegels.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie haben es offensichtlich mittlerweile auch erkannt.
Sie haben mit Kolleginnen und Kollegen von der Lin-
ken, der SPD und den Grünen einen Vorschlag erarbei-
tet. Über diesen hätten wir gerne mit Ihnen gesprochen.
Aber auch bei diesem Vorschlag verweigert sich
Schwach-Gelb die ganze Zeit.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das heißt Schwarz-Gelb, nicht Schwach-Gelb! – Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt schon: Schwach-Gelb!)


– Das war bewusst so gesagt.


(Heiterkeit bei der SPD)


Deswegen werden wir fraktionsübergreifend einen
Gruppenantrag auf den Weg bringen. Dann können alle
Abgeordneten entsprechend Art. 38 frei darüber ent-
scheiden, ob sie weiterhin in der peinlichen Gesellschaft
von Syrien, dem Sudan und Nordkorea sein wollen,


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Nordkorea hat gar nicht unterzeichnet! – Jörg van Essen [FDP]: Sie haben Japan vergessen!)


oder ob wir endlich in der Lage sind, auch für uns selbst
eine sinnvolle Regelung zu schaffen. Ich glaube, das ist
dringend an der Zeit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813300

Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1723813400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege van Essen hat in seinem Wortbeitrag auf

eine Sachverständigenanhörung im vergangenen Okto-
ber angespielt. Ich möchte mit einem Zitat aus dieser
Anhörung beginnen:

Es ist natürlich doof, zu sagen, dass es regelbar ist,
wenn ich Ihnen dazu jetzt keine gute Antwort geben
kann.

So entwaffnend ehrlich hat sich der Sachverständige von
Transparency International bei der letzten Anhörung des
Rechtsausschusses zum Thema Abgeordnetenbeste-
chung geäußert.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau so ist es! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn!)


Gegenstand der Anhörung waren dabei die Gesetzent-
würfe der Opposition, deren Entwurf der SPD Grund-
lage des heutigen Berichts nach § 62 der Geschäftsord-
nung des Deutschen Bundestages ist.

Die Äußerung zeigt zunächst, dass es nicht einfach
ist, die strafrechtliche Regelung der Abgeordnetenbeste-
chung in den Griff zu bekommen. Wenn der Vertreter ei-
ner Institution, die sich wie keine andere um Transpa-
renzregeln kümmert, eingestehen muss, dass er keine
gute Antwort geben kann, dann ist es für andere sicher-
lich auch nicht einfach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Er hat auch nicht die Aufgabe, einen Gesetzentwurf zu machen! Die Aufgabe haben wir!)


Die eben zitierte Antwort bringt auf den Punkt, dass
die Gesetzentwürfe der Opposition offensichtlich auch
nicht dazu geeignet sind, eine adäquate Lösung zur Re-
gelung der Abgeordnetenbestechung herbeizuführen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich: Sie legen nichts vor, aber beschimpfen die Opposition! Unglaublich!)


Denn das ist ganz eindeutig das Ergebnis der Anhörung.
Quer durch die Riege der Sachverständigen wurden alle
Gesetzentwürfe grundlegend kritisiert.

Es zeigt sich, dass das, was der Bundestagspräsident
an dieser Stelle bereits einmal gesagt hat, richtig ist:

Das Thema ist ganz offenkundig entschieden kom-
plizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren ist es kompliziert!)


Zumindest das ist in der Debatte deutlich geworden, die
neben offensichtlichen Unterschieden auch erkennbare
Übereinstimmungen im Hinblick auf die Beurteilung
dieser differenzierten Sachverhalte deutlich gemacht hat.

Natürlich ist es unbefriedigend, nur zu wissen, was
nicht die Lösung des Problems sein kann. Natürlich ist
es unbefriedigend, wenn der Eindruck entsteht, dass wir
alles Mögliche – auch andere komplizierte Themen – re-





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


geln können, es uns aber, wenn es um uns selbst geht,
nicht gelingt, eine Regelung zu finden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Christine Lambrecht [SPD]: Es ist nicht unbefriedigend! Es ist peinlich!)


Wobei natürlich festzuhalten ist, dass sich das seit meh-
reren Wahlperioden wie ein roter Faden durch die Dis-
kussion zieht.


(Jörg van Essen [FDP]: Oh ja! – Christine Lambrecht [SPD]: Das macht es doch nicht besser!)


Es ist ein Leichtes, aufzuzählen, wer wann was in wel-
cher Konstellation regeln wollte und warum er dann an
wem gescheitert ist. Das ist kein Problem.


(Burkhard Lischka [SPD]: Legen Sie dann doch etwas vor, Herr Heveling!)


Wenn man nur ein bisschen in den Stenografischen Be-
richten blättert, wird man schnell fündig und sieht, dass
zum Beispiel der Kollege Beck und der Kollege Ströbele
in einer vergangenen Wahlperiode unterschiedliche Posi-
tionen vertreten haben.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wann war das so? 1960? – Burkhard Lischka [SPD]: Damals, 1953! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das will ich jetzt mal hören! Herr Ströbele zittert! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren immer dafür!)


Es stimmt übrigens nicht, dass wir in Bezug auf kor-
ruptives Verhalten von Abgeordneten völlig ohne Straf-
normen dastünden: Mit § 108 e des Strafgesetzbuches
– dieser Paragraf ist mit „Abgeordnetenbestechung“
überschrieben; im Kern wird der Stimmenkauf unter
Strafe gestellt – gibt es schon eine Vorschrift im Strafge-
setzbuch.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es! – Burkhard Lischka [SPD]: Bestraft wird nur Dummheit! – Christine Lambrecht [SPD]: Nur die ganz Dummen!)


Dem wird zwar entgegengehalten, es handele sich bei
dieser Norm nur um eine rudimentäre Regelung mit vie-
len Lücken, die den Kern des Problems nicht erfasse.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Aber es lohnt sich, sich § 108 e des Strafgesetzbuches
einmal genauer anzuschauen: Der Stimmenkauf wird un-
ter Strafe gestellt, und das ist ein Unternehmensdelikt.
Das bedeutet, dass der Tatbestand mit dem Ansetzen zu
einer Handlung, die nach der Vorstellung des Täters zu
einem Stimmenkauf oder -verkauf führen soll, bereits
vollendet ist. Auf den tatsächlichen Abschluss einer Un-
rechtsvereinbarung kommt es dabei ebenso wenig an wie
auf einen inneren Vorbehalt. Auch die in den §§ 331 ff.
Strafgesetzbuch genannten Handlungen des Forderns,
Anbietens, Versprechens sind von dieser Vorschrift er-
fasst. Mithin haben wir bereits einen durchaus weitrei-

chenden Anknüpfungspunkt im Strafgesetzbuch mit
Blick auf korruptives Verhalten von Abgeordneten.


(Burkhard Lischka [SPD]: Weitreichend? Dass ich nicht lache! – Christine Lambrecht [SPD]: Die Argumentation wird immer absurder!)


Ohne Frage ist es richtig, dass § 108 e Lücken hat.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Eben! – Burkhard Lischka [SPD]: Groß wie Scheunentore!)


So ist der Abstimmungsgegenstand recht eng gefasst,
und auch ein nachträgliches – in Anführungsstrichen –
„Belohnen“ wird nicht erfasst.

Man sollte sich bei den Überlegungen zur Abgeord-
netenbestechung vielleicht einmal davon lösen, in der
Perspektive einen Unterschied zwischen Amtsträger-
und Mandatsträgereigenschaften zu machen, und überle-
gen, ob nicht die bestehende Vorschrift ein Ausgangs-
punkt für eine Erweiterung der Regelungen sein könnte.


(Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen Sie doch etwas! – Burkhard Lischka [SPD]: Unsere Kompromissfähigkeit ist in dieser Frage grenzenlos!)


Festzuhalten bleibt, dass wir im Bereich der Abgeord-
netenbestechung schon heute über strafrechtliche Rege-
lungen verfügen. Ohne Frage: Die Lücken sind unbefrie-
digend,


(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist nicht unbefriedigend! Das ist peinlich!)


aber die Materie ist schwierig. Umso mehr sollten wir
uns – zumal das eine Materie ist, die das Parlament
selbst regeln muss – mit der gebotenen Sorgfalt darum
kümmern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christine Lambrecht [SPD]: Wenn Sie es nicht regeln können, dann lassen Sie uns das machen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813500

Das Wort hat der Kollege Raju Sharma für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen

Sie, was der Unterschied zwischen einer Telenovela und
einer Daily Soap ist? Eine Telenovela geht zwar sehr
lang, ist aber endlich. Eine Daily Soap läuft im Prinzip
ewig. Das ist für manche das vollkommene Glück; für
andere ist es ein Schrecken ohne Ende. Beim Thema Ab-
geordnetenbestechung ist noch nicht ganz klar, ob es
sich um eine Telenovela oder um eine Seifenoper han-
delt.





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


Jedenfalls befassen wir uns heute – das ist heute
schon gesagt worden – gefühlt zum zwanzigsten Mal mit
diesem Thema,


(Jörg van Essen [FDP]: Da untertreiben Sie aber!)


und der Ablauf ist eigentlich immer der gleiche – das ha-
ben wir heute auch erlebt –:

Ein Vertreter der Opposition erklärt, dass Deutschland
zu den wenigen Staaten weltweit gehört, in denen die
Bestechung von Abgeordneten nicht strafbar ist. – Hefti-
ges Kopfnicken in den Reihen der Opposition, großes
Erstaunen beim Publikum – jedenfalls bei den Neuein-
steigern –, ein Zwischenruf von Jörg van Essen.

Dann geht es weiter: Der Vertreter der Opposition
weist darauf hin, dass Deutschland im Jahr 2003 die UN-
Konvention gegen Korruption unterzeichnet hat, diese
aber, im Gegensatz zu 165 anderen Staaten weltweit, bis-
her nicht ratifizieren konnte, weil die Abgeordnetenbe-
stechung in Deutschland nicht strafbar ist. – Heftiges
Kopfnicken bei der Opposition, peinliche Berührtheit
beim Publikum, ein Zwischenruf von Jörg van Essen.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gutes Drehbuch!)


Der Vertreter der Opposition erklärt unter Verweis auf
entsprechende Forderungen zahlreicher Nichtregie-
rungsorganisationen, unter anderem LobbyControl und
Transparency International, sowie der Vorstände von
30 DAX-Konzernen, dass es mittlerweile drei Gesetz-
entwürfe der Oppositionsfraktionen gibt, um dieses Pro-
blem endlich zu beseitigen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alle ungeeignet!)


Keiner erhebe den Anspruch, vollkommen zu sein; aber
alle Entwürfe seien zumindest eine Diskussionsgrund-
lage. – Zustimmung bei der Opposition und beim Publi-
kum an den Bildschirmen, Schweigen bei der Regierung,


(Jörg van Essen [FDP]: Nein!)


ein Zwischenruf von Jörg van Essen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen diesen Zurufen einmal zuhören!)


Das geht so seit drei Jahren: immer das gleiche Spiel
und kein Ende abzusehen. Alle sagen, dass Korruption
nicht in Ordnung ist. Niemand behauptet, trotz aller
Amigo-Affären, dass Deutschland besonders korrupt ist.
Und niemand hier behauptet, dass Abgeordnete in
Deutschland besonders korrupt sind.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Warum wollen Sie dann was ändern?)


Aber gerade deshalb stellt sich ja die Frage, warum
die Regierungskoalition jede Diskussion zu diesem

Thema vermeidet. Sie haben doch eine Mehrheit in die-
sem Haus, oder nicht?


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Aber keine verfassungsändernde Mehrheit!)


Warum legen Sie nicht einen eigenen Vorschlag vor,
wenn Ihnen die Vorschläge der Opposition nicht passen?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was heißt: „nicht passen“?)


Wollen Sie nicht oder können Sie nicht? Wenn Sie nicht
können, dann sagen Sie es. Dann wissen wir alle, woran
wir sind, und die Wähler können am 22. September 2013
ihre Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen wir es!)


Wenn Sie nicht wollen, dann sagen Sie es ebenfalls und
ziehen Sie auch die Konsequenzen. Beantragen Sie, dass
Deutschland seine Unterschrift unter die UN-Konven-
tion gegen Korruption zurückzieht und sich in der Ge-
sellschaft des Sudan, Saudi-Arabiens, Nordkoreas und
Syriens wohlfühlt.

Was für eine Regierungskoalition aber nicht geht, ist,
immer nur Nein zu sagen und nichts zu tun.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Seit Anfang März liegt ein weiterer Vorschlag auf dem
Tisch, ein Vorschlag, den der Vorsitzende des Rechtsaus-
schusses, Siegfried Kauder, CDU/CSU, mit den Bericht-
erstattern von SPD, Linken und Grünen gemeinsam erar-
beitet hat. Auch dieser Vorschlag ist vielleicht nicht das
Gelbe vom Ei.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Genau! – Jörg van Essen [FDP]: Er erfüllt die UN-Konvention nicht! Das sagt der Entwurf selbst!)


Er ist als ein Kompromiss angelegt, mit dem wir frak-
tionsübergreifend zeigen wollen, dass man eine Lösung
finden kann, wenn man es denn will.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Besser eine schlechte als keine?)


Meine Bitte an die anderen Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und FDP ist: Sagen Sie endlich, was Sie
wollen! Tun Sie endlich etwas! Hören Sie auf, Deutsch-
land mit Ihrer Untätigkeit weltweit lächerlich zu ma-
chen! Und: Beenden Sie diese Seifenoper!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813700

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Jörg van Essen [FDP]: Warum redet eigentlich der Herr Beck nicht?)







(A) (C)



(D)(B)



Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723813800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Sharma, das Drehbuch war spitze. Die Wirk-
lichkeit ist manchmal sogar noch besser als Drehbücher;


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


denn der Kollegen van Essen hat heute ja nicht nur Zwi-
schenrufe gemacht, sondern er hat uns hier sogar einen
regelrechten Redebeitrag geliefert. Nur: Was hat er da
gesagt? Er hat gesagt: Man hätte das gar nicht unter-
schreiben sollen. Ich habe das immer gesagt. Nun kann
man gar nichts machen und muss man warten.

Sie, die Koalition, sitzen hier jetzt schon im vierten
Jahr und machen nichts anderes, als zu den Vorschlägen
der Opposition – 2010 kam der erste von der Linkspar-
tei, wir kamen 2011 und die SPD 2012 – immer nur zu
sagen: Geht nicht, geht nicht, geht nicht, können wir
nicht regeln.

Herr van Essen, von Ihrer Partei habe ich noch immer
den Satz im Ohr:

Auf jedem Schiff, dass dampft und segelt, gibt’s ei-
nen, der die Sache regelt …

Sie sind das ganz offenbar nicht. Sie kriegen gar nichts
geregelt und sagen sogar: Ich will nicht regeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie machen sich über den Kollegen Kauder lustig, weil
er sein Damaskus-Erlebnis hatte. Wir alle freuen uns
doch darüber.


(Jörg van Essen [FDP]: Ich nicht!)


Über Spätbekehrte freut man sich am meisten. Wir
freuen uns über den Kollegen Kauder. Für Ihr Seelenheil
müssen wir eine ganz schlechte Sozialprognose abge-
ben, Herr van Essen, wenn Sie sich standhaft weigern,
selber irgendwann ein solches Damaskus-Erlebnis zu ha-
ben.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Oberlehrer!)


Das ist eine ganz schlechte Sozialprognose, Herr Ober-
staatsanwalt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich habe hier eben noch die Debatte zur Lehrerausbil-
dung gehört. Da wurde der schöne Satz von Gerhard
Schröder zitiert: Die Lehrer sind faule Säcke.


(Sebastian Edathy [SPD]: Hat er nicht gesagt!)


– Der Kollege Verteidiger aus Niedersachsen, der Kol-
lege Edathy, sagt, Schröder habe das gar nicht gesagt.
Das ist mir jetzt auch egal. – So faul, wie diese Koalition
kann kein Lehrer in diesem unserem Lande sein.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr van Essen sagt dann fein ziseliert – das ist doch
wirklich unglaublich –: Der Parlamentspräsident ist
nicht das Parlament. Das ist zwar richtig, aber er ist der,
der von uns gewählt wurde, damit er für uns spricht und
mit dafür sorgt, dass die anfallenden Fragen hier auch
behandelt werden.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Was haben Sie denn bisher zur Sache gesagt? Nichts!)


Von daher musste er hier mal seine Stimme erheben.

Was erleben wir denn hier? Wir erhalten in den
GRECO-Berichten jedes Jahr eine Rüge. Es wird immer
wieder dasselbe gesagt: Die Bundesrepublik hat noch
nicht ratifiziert und die Abgeordnetenbestechung noch
nicht geregelt. Dann schicken wir eine Erklärung hin,
und dann kommt die nächste Rüge. So etwas kann man
doch nicht aussitzen! Wie stellen Sie sich das eigentlich
vor?

Von der Hüterin des Rechts bzw. dem famosen Kolle-
gen Stadler, der sie hier vertritt, kommt auch nichts. Die
glauben offenbar auch, dass das irgendwann vergessen
sein wird, wenn man das aussitzt.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist ein Verfassungsministerium!)


Das ist nicht vergessen! Es wurden Kontrollinstanzen
eingerichtet – GRECO ist eine solche –, und die schlafen
nicht. Dennoch sagen Sie, die vergangenen Jahre hätten
nicht ausgereicht, um zu einer verfassungsfesten Rege-
lung zu kommen. Sie sprechen hier von Schnellschüs-
sen. Der Kollege Wellenreuther sagte dasselbe im Innen-
ausschuss. Dazu sage ich einmal: Das ist dritte Liga so
wie sein KSC.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schwarz-Gelb ist auf dem Weg dahin!)


Aber dritte Liga langt hier nicht. Champions League
müssen wir anstreben, lieber Herr van Essen. Mit Ihnen
geht das allerdings nicht.

Noch einmal: So kann es nicht bleiben. Der Gruppen-
antrag liegt vor. Wenn Sie hier weiter in Agonie verhar-
ren und nichts tun, ist das eine Schande, meine Damen
und Herren!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Da war das Drehbuch von Herrn Sharma noch besser! – Marco Buschmann [FDP]: Das war gar keine Liga!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723813900

Der Kollege Siegfried Kauder wurde hier schon

mehrfach erwähnt. Er hat jetzt das Wort.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)



(Burkhard Lischka [SPD]: Applaus von keiner Seite! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Wir wissen ja noch nicht, was er sagt! – Beifall der Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Sebastian Edathy [SPD])


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Wenn ein Gericht nicht zu Potte kommt und ein An-
liegen eines Bürgers nicht regelt, dann kann ein Scha-
denersatzanspruch ins Hause stehen.


(Marco Buschmann [FDP]: Da steckt der Schutzgewährungsanspruch hinter! Auch das ist Verfassung!)


So haben wir das am 24. November 2011 geregelt. Sie
sehen also: Wir helfen dem Bürger schon, dass seine An-
liegen bearbeitet werden. Wenn ein Parlament einen
Sachverhalt nicht regelt, ist darüber nach § 62 der Ge-
schäftsordnung des Deutschen Bundestages ein Bericht
zu erstellen. Das war es.

Da verstecken sich Abgeordnete hinter den Fraktio-
nen. Kollege van Essen, jeder Abgeordnete ist aufgeru-
fen, hier für eine Regelung zu sorgen und für sich die
Frage zu beantworten, ob wir Abgeordnetenbestechung
strafrechtlich sanktionieren sollen oder nicht.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus dem Kollegen van Essen werde ich nicht so ganz
schlau: Will er nicht, oder sagt er: „Wir können es
nicht“? Wenn er sagt: „Wir können es nicht“, kann man
dem abhelfen. Dann machen wir es wie hin und wieder
die Bundesregierung: Wir beauftragten ein spezialisier-
tes Anwaltsbüro. Dessen Mitarbeiter können das.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Christine Lambrecht [SPD]: Damit haben die Erfahrung!)


Überlegen Sie sich bitte, welche Botschaft wir heute
aussenden. Wir sagen der Bevölkerung: Wir schaffen es
nicht, ein wichtiges Thema, das nicht die Regierung,
nicht die Koalition, sondern jeder Parlamentsabgeord-
nete selbst regeln muss, hinzukriegen; wir können es
nicht.


(Christine Lambrecht [SPD]: Wie peinlich!)


Wir können komplizierte Gesetze in fünf Minuten durch
den Rechtsausschuss peitschen. In dieser Sitzungswoche
lag uns ein Gesetzentwurf mit 617 Seiten und 21 Ände-
rungsanträgen vor.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Damit waren wir in fünf Minuten fertig. Aber das Thema
Abgeordnetenbestechung kriegen wir nicht hin.

Meine Damen und Herren, wir müssen klare Kante
zeigen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wollen wir es regeln, oder wollen wir es nicht? Wenn
wir es nicht wollen, dann können wir dieses Thema ab-
schließen.

Eines scheinen einige vergessen zu haben: Wir haben
als Abgeordnete nicht nur Rechte. Schauen Sie in § 62
der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages: Den
Ausschüssen überwiesene Angelegenheiten sind zügig
abzuarbeiten. – Dazu sind wir verpflichtet. Den Bürgern
Pflichten aufzuerlegen, darin sind wir tough. In eigenen
Angelegenheiten sind wir dagegen lax. Deswegen kann
ich jedem nur sagen: Zu kritisieren und zu behaupten:
„Dieser oder jener Gesetzentwurf funktioniert nicht“,
das ist zu kurz gesprungen.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das ist aber leider wahr! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Dann legen Sie doch was Besseres vor!)


Herr Kollege van Essen, es ist auch zu kurz gesprun-
gen, zu sagen: Wir müssen ein Gesetz verabschieden,
damit wir eine bestimmte UN-Konvention unterschrei-
ben können. Wir müssen vielmehr einen solchen Gesetz-
entwurf verabschieden, weil die Bürger nicht wollen,
dass uns Sonderrechte eingeräumt werden, die wir nicht
brauchen und die uns auch nicht guttun.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin der Meinung, das kann geregelt werden und
muss geregelt werden. Wir müssen eine deutliche Bot-
schaft aussenden und der Bevölkerung sagen: Derjenige,
der eine Regelung will, kann sie auch zustande bringen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass ich Ihnen noch einmal zuklatsche, hätte ich auch nicht gedacht!)


Ich bin auch der Meinung, dafür brauchen wir keine
Fraktionen, die die Abgeordneten binden. Jeder kann
heute nach Hause gehen und darüber nachdenken, was er
seinen Wählern sagt, ob das seiner Meinung nach rege-
lungsbedürftig ist oder nicht. Ich kann in etwa abschät-
zen, was dazu die Bevölkerung sagt: Sie ist nicht der
Meinung, dass Kollege van Essen recht hat. Sie ist nicht
der Meinung, das ist schon in § 108 e des Strafgesetzbu-
ches geregelt. Sie ist vielmehr der Meinung: Das Ganze
ist offen.

Es ist ein Thema, dessen wir uns annehmen müssen.
Wir gehen so vor wie immer, wenn wir Gesetze entwer-
fen. Wir klären: Was ist der regelungsbedürftige Sach-
verhalt? Wie kann man diesen Sachverhalt gesetzlich in
den Griff bekommen? Ist die angestrebte Lösung verfas-
sungskonform? Wenn Sie, Herr van Essen, jetzt sagen,
mein Entwurf sei verfassungsrechtlich bedenklich, dann
kann ich nur sagen: Jeder einzelne Abgeordnete ist auf-
gerufen, sich Gedanken darüber zu machen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Funk [CDU/CSU])






Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)



(A) (C)



(D)(B)


Jeder kann einen Entwurf vorlegen. Jeder kann mitarbei-
ten. Ich habe alle dazu eingeladen, an der Weiterent-
wicklung meines Entwurfs mitzuarbeiten. Wenn dieser
Entwurf nicht funktioniert, kann man eine Alternative
anbieten. Es liegt nicht die Konstellation vor, dass wir
Regierungshandeln zu begleiten oder zu kritisieren ha-
ben. Wir als Parlament haben unsere Hausaufgaben nicht
gemacht. Deswegen sind wir gut beraten, das zu regeln,
statt uns gegenseitig zu kritisieren.

Danke.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Funk [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814000

Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1723814100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man

kann es auch für die Zuschauer nicht oft genug wieder-
holen: Was haben die EU, die USA, Brasilien, Austra-
lien, Österreich und 160 andere Staaten gemeinsam? Sie
haben eine Regelung zur Abgeordnetenbestechung; sie
ist dort strafbar. Was haben demgegenüber Nordkorea,
Syrien, der Sudan, Saudi-Arabien und Deutschland ge-
meinsam?


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ich finde das unmöglich! Das ist doch unwürdig hier! – Jörg van Essen [FDP]: Sie vergessen Japan!)


In diesen Ländern wie bei uns steht die Abgeordnetenbe-
stechung nicht unter Strafe. Ich finde, Herr van Essen,
die Gesellschaft, in der wir uns da befinden, spricht
Bände. Es ist einfach ein Skandal, über den wir heute ein
weiteres Mal debattieren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Sie unterschlagen doch wieder Japan!)


– Nein, Herr van Essen. Sie verweisen immer auf Japan.
Unser Vorbild, was die Ratifikation angeht, sind diejeni-
gen Staaten, die ratifiziert haben.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Libyen zum Beispiel! Venezuela!)


Ich habe keinen Ehrgeiz, anders als vielleicht Sie, eines
Tages mit Nordkorea allein in dieser Frage die rote La-
terne zu halten. Das ist der Unterschied zwischen uns.


(Zurufe von der FDP)

Das sieht übrigens nicht nur die Opposition in diesem

Haus so. Was haben nämlich Daimler, Siemens, die Al-
lianz-Versicherung, die Deutsche Telekom, die Deutsche
Bank und weitere der 30 großen deutschen DAX-Unter-
nehmen gemeinsam? Sie fordern, dass wir diesen Skan-
dal endlich beenden, dass wir die Abgeordnetenbeste-
chung unter Strafe stellen und die UN-Konvention gegen
Korruption nach zehn Jahren endlich ratifizieren. Alles
andere schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt.

Mit diesem unhaltbaren Zustand muss Schluss sein,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es um Korruption geht, dann kann es doch nicht
ernsthaft zwei Antworten geben. Wenn ein Abgeordneter
im Einzelfall seine Stimme an den meistbietenden Lob-
byisten verscherbelt, dann kann es doch nur eine Ant-
wort geben: Das ist strafbar. – Und wir sind aufgefordert,
dafür die gesetzlichen Regelungen zu schaffen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schon geregelt!)


Es ist ein Unding, dass wir über diese Banalität mit Ih-
nen seit Jahren diskutieren müssen.

Sie verweisen als Koalitionsfraktionen, was Ihre Ab-
lehnung angeht, immer wieder darauf, dass es zwischen
Abgeordneten und Amtsträgern bzw. Beamten einen
großen Unterschied gibt. Für diese steht das unter Strafe.
Nur, das bestreitet doch auch keiner in diesem Haus.
Aber Abgeordnete dürfen eben auch nicht über dem Ge-
setz stehen – es gibt für sie gar kein Gesetz, weil sie
nämlich kein Gesetz verabschieden –, jedenfalls nicht in
einer Gesellschaft, in der langjährigen Firmenmitarbei-
tern wegen einer verzehrten Frikadelle oder einem
50-Cent-Pfandgutschein gekündigt werden kann. Das ist
nämlich strafbar. Das können Sie doch keinem erklären.
Das zerstört das Vertrauen in die demokratischen Institu-
tionen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt viel Politik- und Parteienverdrossenheit in un-
serem Land. Es gibt teilweise eine regelrechte Verach-
tung demokratisch gewählter Politiker. Das kann uns
doch nicht egal sein.

Die Gesetzentwürfe, die zur Bekämpfung der Abge-
ordnetenbestechung vorliegen, dienen auch dazu, ein
Stückchen weit das Vertrauen in die Politik und die Poli-
tiker wiederherzustellen. Aber dann sollten die Politiker
auch das Beste geben, ein solches Gesetz Wirklichkeit
werden zu lassen.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: So wie 2005!)

Aber Ihre beharrliche Weigerung, die wir auch heute
wieder erlebt haben, spricht Bände. Es war ein fatales Si-
gnal, das Sie in dieser Debatte heute wieder ausgesendet
haben, meine Damen und Herren von Union und FDP.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie machen sich einen schlanken Fuß. Sie machen
sich überhaupt keine Gedanken über einen Gesetzent-
wurf. Sie beschränken sich seit Jahren darauf, die Ge-
setzentwürfe der Opposition wahlweise als zu streng,
verfassungswidrig oder was weiß ich zu beschimpfen.


(Jörg van Essen [FDP]: Das sind sie ja auch!)


Das ist zu wenig. Das ist erbärmlich, meine Damen und
Herren.





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)


Es gibt jetzt eine Ausnahme: mein Vorredner, der
Kollege Siegfried Kauder von der Union. Er hat sich we-
nigstens einmal die Mühe gemacht, einen eigenen Ge-
setzentwurf vorzulegen. Er ist bei allen Oppositionsfrak-
tionen auf offene Ohren gestoßen. Nur die eigenen
Koalitionsfraktionen haben ihn im Stich gelassen. Das
zeigt doch nur ein weiteres Mal: Es ist zwar möglich, et-
was zu regeln, aber Sie wollen nicht oder Sie können
nicht. Das ist wirklich nur beschämend, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814200

Der Kollege Dr. Wolfgang Götzer hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1723814300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte zwei grundlegende Bemerkungen vorweg
machen. Erstens. Gesetze macht man normalerweise
dann, wenn Handlungsbedarf bzw. konkret in unserem
Fall Regelungsbedarf besteht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den sehen Sie hier gar nicht? – Zuruf von der SPD: Dann mal los!)


Bei Strafgesetzen gilt das ganz besonders. Als zweite
Bemerkung will ich einen Satz anführen, den unser
Fraktionsvorsitzender gerne zitiert: „Politik beginnt mit
dem Betrachten der Wirklichkeit.“


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Diese beiden Bemerkungen möchte ich voranstellen.

Was ist zur Wirklichkeit zu sagen? Sind denn in den
letzten Jahren Korruptionsfälle oder auch nur Verdachts-
fälle von Korruption von Abgeordneten – –


(Burkhard Lischka [SPD]: Dann können wir es doch regeln! Dann sollten wir doch unaufgeregt sein und das regeln!)


– Jetzt hören Sie einmal zu. Sie sollten vielleicht Valium
oder Ähnliches nehmen, wenn Sie sich immer so aufre-
gen. Zuhören ist eine demokratische und parlamentari-
sche Tugend.

Sind in den letzten Jahren solche Fälle


(Burkhard Lischka [SPD]: Das bestreitet doch keiner! Das sind doch Phantomdiskussionen!)


oder auch nur Verdachtsfälle im Deutschen Bundestag
aufgetaucht? Mir ist keiner bekannt.


(Raju Sharma [DIE LINKE]: Es ist noch keiner verurteilt worden!)


Außerdem haben wir – das ist schon angesprochen
worden – eine entsprechende Regelung in § 108 e StGB.
Diese wurde 1993 vom Bundestag – –


(Burkhard Lischka [SPD]: Der Bundesgerichtshof hat hier sogar eine Strafbarkeitslücke angemahnt!)


– Ich glaube, Herr Kollege Lischka, Sie müssen noch
üben, zuzuhören. Das ist Ihre erste Legislaturperiode,
wie ich nachgelesen habe. Da muss man noch lernen, zu-
zuhören.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Reden Sie nicht so einen Unsinn!)


Wir haben eine Regelung in § 108 e StGB. Sie wurde
1993 mit überwältigender Mehrheit vom Deutschen
Bundestag beschlossen. Man war sich ebenfalls über alle
Fraktionen hinweg einig, dass eine weitere Verschärfung
dieses Straftatbestands aus verfassungsrechtlichen Grün-
den, nämlich Art. 103 Grundgesetz, Bestimmtheitsge-
bot, nicht möglich ist. Wo also ist der Handlungsbedarf?


(Christine Lambrecht [SPD]: Wegen der UN-Konvention!)


Warum wird – diese Frage stellt sich als Nächstes –
das Thema seit Jahren von der Opposition so hochge-
spielt, solange sie nicht in der Regierung ist, wohlge-
merkt?


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist nicht hochgespielt! Reden Sie doch einmal mit den DAX-Unternehmen!)


Warum wird der Bundestag inzwischen mehrmals jähr-
lich damit beschäftigt, obwohl es dazu keinen echten
Anlass gibt?


(Burkhard Lischka [SPD]: Weil Sie nichts vorlegen! – Christine Lambrecht [SPD]: Weil es peinlich ist!)


– Sie müssen schon ziemlich schwache Argumente ha-
ben, liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Linken.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie können das auch mitschreiben: Sie stellen Fragen, die längst beantwortet sind!)


Ich meine damit die Linke allgemein, weil Sie von der
SPD nämlich genauso links wie die Linkspartei sind. Da
mache ich keinen Unterschied.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie müssen schon sehr schwache Positionen haben,
wenn Sie hier dauernd dazwischenschreien.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP )


Ich sage Ihnen, warum. Weil die Opposition das
Thema am Kochen halten will, um diejenigen zu diskre-
ditieren,


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein, sogar die Wirtschaft kritisiert das!)


die aus überzeugenden Gründen keinen Änderungsbe-
darf sehen und die stichhaltige verfassungsrechtliche Be-





Dr. Wolfgang Götzer


(A) (C)



(D)(B)


denken gegen alle bisher vorgelegten Gesetzentwürfe
haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen Sie doch etwas Besseres!)


Ich habe in meiner Rede im März letzten Jahres aus-
führlich Stellung dazu genommen, welche verfassungs-
rechtlichen Bedenken gegen die vorgelegten Gesetzent-
würfe bestehen – ich nenne hier


(Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen Sie doch etwas Besseres!)


noch einmal Art. 103 Grundgesetz als ein wesentliches
Stichwort – und welche Bedenken gegen eine Ratifizie-
rung der beiden internationalen Abkommen sprechen.
Kollege van Essen hat auch da das entscheidende Stich-
wort gegeben: Dort werden Abgeordnete mit Amtsträ-
gern gleichgesetzt.

Noch ein Wort zur internationalen Lage. Sie haben
vorher gefragt, Herr Kollege Lischka, in welcher Gesell-
schaft sich denn die Regierungsparteien befinden, wenn
sie dieses Abkommen nicht ratifizieren. Ich möchte ein-
mal sagen, in welcher Gesellschaft sich diejenigen befin-
den, die diese Abkommen unterzeichnet haben: Kuba,
Russland, Afghanistan, Pakistan, Libyen unter Gaddafi!


(Burkhard Lischka [SPD]: Es wäre sehr viel glaubwürdiger, wenn wir da auf Korruption hinweisen würden, wenn wir auch ratifiziert hätten!)


Ich frage mich, welche Gesellschaft die bessere ist.

(Christine Lambrecht [SPD]: Schweiz! Öster reich! Schweden! Norwegen!)

Wir haben gute Gründe für unsere Haltung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin es, ehrlich gesagt, leid, alles zu wiederholen und
verweise deshalb auf meine Rede vom 2. März 2012. Ob
das bei der Opposition hilft, bezweifle ich, aber ich
wollte es doch gesagt haben.

Trotzdem: Obwohl alles so ist, wie ich es geschildert
habe, kommen Sie immer wieder mit diesem Thema.


(Zurufe von der SPD)

Das lässt in der Öffentlichkeit natürlich den Eindruck
entstehen, Korruption im Deutschen Bundestag stelle
tatsächlich ein gravierendes Problem dar.


(Burkhard Lischka [SPD]: Darum geht es nicht!)


Mein Sohn Maxi, der oben auf der Zuschauertribüne
sitzt, hat mir noch beim Herübergehen die Frage gestellt:
Ist das denn bei euch im Bundestag ein so schlimmes
Problem mit der Korruption?


(Burkhard Lischka [SPD]: Dann können wir das doch regeln!)


Sehen Sie: Sie erwecken diesen Eindruck, obwohl Sie
genau wissen, dass das nicht der Fall ist und nicht mit
der Wirklichkeit übereinstimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Das hat doch niemand gesagt! – Weitere Zurufe von der SPD)


Sie lassen es zu, ja, Sie tragen dazu bei, dass alle Abge-
ordneten dadurch unter Generalverdacht gestellt werden.
Dem stellen wir uns mit Entschiedenheit entgegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Wir machen Sonderrechte für uns! Das ist der Eindruck!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die wirksamsten
Mittel gegen Korruption – da zitiere ich mich jetzt sel-
ber, weil mir hierzu nichts Neues mehr einfällt; das habe
ich in meiner letzten Rede gesagt – sind öffentliche Kon-
trolle und parlamentarische Transparenz.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814400

Kollege Götzer, darf ich Sie kurz unterbrechen?


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1723814500

– Ich bin fertig. – Beides funktioniert bei uns.
Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814600

Der Kollege Kauder hatte sich gemeldet, um Ihnen

eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, zu spät!)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1723814700

Dann soll er eine Bemerkung machen. Ich bin jetzt

mit meiner Rede fertig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Gegenüber dem eigenen Fraktionskollegen! – Burkhard Lischka [SPD]: Eigener Kollege! Unmöglich! – Christine Lambrecht [SPD]: Dann kann er eine Kurzintervention machen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814800

Der Kollege Kauder hat sich zu einer Kurzinterven-

tion gemeldet.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wieso denn? Mit welcher Begründung denn?)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Kollege Götzer, eine Frage blieb offen. Sehen Sie
Handlungsbedarf oder nicht? Wenn Sie keinen sehen
und dabei eine Mehrheit hinter sich sehen, ist das Thema
abgearbeitet. Wenn Sie Handlungsbedarf sehen, müssen
Sie etwas tun.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723814900

Kollege Götzer, Sie haben die Möglichkeit, zu erwi-

dern.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1723815000

Herr Kollege Kauder, ich habe eigentlich gedacht,

dass ich in meiner Rede klar zum Ausdruck gebracht
habe, dass ich keinen Handlungsbedarf sehe.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Danke! – Burkhard Lischka [SPD]: Schon einmal eine klare Ansage!)


Ich habe mehrmals die Frage gestellt: Wo bitte besteht
Handlungsbedarf? – Ich sehe keinen. Deswegen sehen
wir uns auch nicht veranlasst, einen Gesetzentwurf vor-
zulegen. Es gibt § 108 e des Strafgesetzbuches. Dieser
ist, soviel ich weiß, einmal in einem Fall vor dem Land-
gericht Wuppertal zur Anwendung gekommen. Wie der
Kollege Sharma bereits ausgeführt hat, sind andere Fälle
nicht bekannt. Niemand behauptet, dass solche Fälle
vorgekommen sind oder noch nicht entdeckt worden
sind. Wenn angeblich niemand so etwas behauptet – Sie
suggerieren das allerdings –, dann muss ich zurückfra-
gen, warum Sie Handlungsbedarf sehen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Warum machen das dann andere Staaten?)


Diese Frage müssen nicht wir beantworten, sondern die-
jenigen, die Handlungsbedarf sehen. Aber selbst nach
Ihren Worten gibt es keine Verdachtsfälle von Korrup-
tion im Bundestag.


(Sebastian Edathy [SPD]: Armes Kind! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815100

Ich schließe die Aussprache.

Damit diejenigen, die unserer sehr lebendigen De-
batte folgen, verstehen, warum wir jetzt nicht abstim-
men, erkläre ich einfach, was in unserer Geschäftsord-
nung steht. Es gibt keine Abstimmung, da wir heute nur
über einen Bericht gemäß § 62 Abs. 2 unserer Ge-
schäftsordnung debattiert haben. Dieser Paragraf kommt
immer dann zur Anwendung, wenn zehn Wochen nach
Überweisung einer Vorlage an einen Ausschuss zur Be-
arbeitung kein Ergebnis zurückkommt und die Vorlage
nicht abschließend behandelt werden kann.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit mehr als 10 Jahren ist das so!)


– Der Kollege Wieland macht mich darauf aufmerksam,
dass das in mehreren Legislaturperioden wiederholt vor-
gekommen ist und er davon ausgeht, dass das Ganze
schon zehn Jahre in Anspruch nimmt.

Ich rufe gleichwohl nun die Tagesordnungspunkte
43 a bis 43 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Lebenslagen in Deutschland – Vierter Armuts-
und Reichtumsbericht
– Drucksache 17/12650 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde
Mattheis, Gabriele Lösekrug-Möller, Anette
Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Die notwendigen politischen Konsequenzen
aus der Armuts- und Reichtumsberichterstat-
tung ziehen

– Drucksache 17/13102 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Markus
Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht
– Drucksachen 17/11900, 17/12837 –

Zu dem Bericht der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Dr. Ursula von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-
battieren heute über den Vierten Armuts- und Reich-
tumsbericht der Bundesregierung, der ein sehr differen-
ziertes Bild – das lässt sich schon am Volumen dieses
Berichts ersehen – von Wohlstand und Ungleichheit in
Deutschland malt. Der Ordnung halber weise ich darauf
hin, dass sich der Berichtszeitraum von 2007 bis 2011
erstreckt. Bei der Entwicklung der Kernkennzahlen ist
eine deutliche Tendenz hin zum Besseren zu erkennen.
Kernkennzahlen betreffen zum Beispiel die Bekämpfung
von Einkommensarmut, die Lohnentwicklung und die
Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Zahlen,
die ich gleich noch auffächern werde, zeigen, dass in un-
serem Land trotz Krise die Wirtschaft gewachsen und
die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Ich glaube, das ist die
entscheidende Botschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)


Kommen wir zu den einzelnen Faktoren. Wichtig sind
die Zahlen, die angeben, wie viele Menschen von Trans-
ferzahlungen abhängig sind, die sogenannte Hilfequote.
Diese ist im Berichtszeitraum auf den geringsten Wert
seit der Einführung von Hartz IV gesunken. Noch prä-
gnanter ist die Zahl der Kinder in Hartz IV. Seit 2007 ist
die Zahl der Kinder in Hartz IV um 270 000 gesunken.
Das heißt, 270 000-mal sind Kinder aus Hartz IV he-
rausgekommen und haben nun bessere Chancen, weil
ihre Eltern Arbeit bekommen haben und das Haushalts-
einkommen gestiegen ist. Diese positive Entwicklung
spiegelt sich bei den Alleinerziehenden wider. Diese ha-
ben per definitionem die höchste Armutsgefährdung,
weil sie alleine für das Einkommen der Familie gerade-
stehen müssen. Die Vermittlung Alleinerziehender ge-
lingt inzwischen dank einer wirklich intensiven Arbeit
der Jobcenter und der sehr guten Arbeitsmarktlage
durchschnittlich besser als die Vermittlung der Arbeits-
losen insgesamt. Hier ist der Einsatz für die Alleinerzie-
henden noch einmal dadurch belohnt worden, dass wirk-
lich mehr Alleinerziehende in Arbeit gekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sehen es auch bei der Beschäftigung von Jugend-
lichen, Älteren und Frauen: Bei all diesen Gruppen sind
die Beschäftigungszahlen gestiegen. Wir sehen es bei
den Rentnerinnen und Rentnern. 97,4 Prozent der Rent-
nerinnen und Rentner verfügen aus eigener Kraft über
existenzsichernde Alterseinkünfte. Mit anderen Worten:
Wir sehen, dass Deutschland auf einem guten Weg ist,
dass diese vier Jahre gute vier Jahre waren. Die wollen
wir auch fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir konnten in Deutschland am Anfang der Dekade
einen beunruhigenden Trend beobachten: Die Spreizung
der Einkommen hatte weiter zugenommen. Das begann
Anfang der 2000er-Jahre. Man kann das anhand des so-
genannten Gini-Koeffizienten sehen, der die Ungleich-
heit der Einkommen misst. Wenn er steigt, steigt in ei-
nem Land die Ungleichheit der Einkommen. Wir sehen
jetzt aber, dass in den letzten drei Jahren die Spreizung
der Einkommen gestoppt worden ist, dass die Einkom-
mensschere nicht weiter auseinandergeht, sondern dass
sie sich im Gegenteil schließt. Das zeigt eben auch, dass
diese Entwicklung eine gute ist, dass es hier im Land
vielfältige Arbeit gibt, dass die Angebote gut sind und
sie genutzt werden und dass wir genau auf diesem Weg
weitergehen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt trotz der vielen positiven Nachrichten – das
finde ich immer wichtig in diesen Berichten – natürlich
keinen Anlass, die Hände in den Schoß zu legen, son-
dern der Bericht zeigt auch punktgenau, wo die kom-
menden Herausforderungen liegen. Die Schlüsselfrage
in Deutschland ist die Frage der Fachkräftesicherung. In
diesem Zusammenhang muss man, wenn man auf die
einzelnen Gruppen schaut, insbesondere die Aufgaben
benennen, die in den nächsten Jahren vor uns liegen.

Wir können und müssen besser werden bei der früh-
kindlichen Bildung. Das ist die Kernaufgabe der Länder

schlechthin. Aber da lohnt sich die Investition; denn da-
raus eröffnen sich Chancen für Kinder, später als Er-
wachsene am Arbeitsmarkt teilhaben zu können. Hierauf
sollte ein ganz großes Augenmerk liegen.

Wir müssen besser werden bei der Vermittlung junger
Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die als Jugendli-
che die Schule geschmissen oder die die Ausbildung
nicht geschafft haben und jetzt arbeitslos sind. Sie ver-
dienen eine zweite oder dritte Chance, um am Arbeits-
markt nachhaltig teilhaben zu können. Wir haben jetzt
eine Initiative gestartet, mit deren Hilfe wir in den
nächsten drei Jahren 100 000 junge Menschen zu einem
Berufsabschluss führen wollen.

Wir müssen besser werden bei der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. In Deutschland ist in den vergange-
nen Jahren ein riesiger Schub erfolgt – Stichwort Ganz-
tagsschulen, Stichwort Elterngeld, Stichwort Ausbau der
Kinderbetreuung –, aber im internationalen Vergleich
haben wir immer noch Nachholbedarf, insbesondere was
die Arbeitszeit von Frauen betrifft. Laut allgemeinen Be-
fragungen wollen Frauen mehr arbeiten. Das heißt, auf
die Dauer werden wir einerseits ein Recht auf Rückkehr
in Vollzeit brauchen, damit Frauen, die in Teilzeit gear-
beitet haben, eine verlässliche Möglichkeit der Rückkehr
in Vollzeit haben; andererseits müssen die Arbeitgeber,
um planen zu können, wissen, wann Frauen, die in Teil-
zeit gegangen sind, wieder in Vollzeit arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen besser werden bei der Weiterbildung der
Älteren. Wir müssen noch offener werden und gezielter
um qualifizierte Zuwanderinnen und Zuwanderer wer-
ben. Mit anderen Worten: Es gibt viel Arbeit in Deutsch-
land, und diese Arbeitsplätze sollten wir durch Fachkräf-
tesicherung erhalten.

Ein letzter Punkt. Armut ist nicht immer nur eine
Frage von fehlendem Geld, sondern Armut ist auch eine
Frage von Mangel an Teilhabe. Das betrifft vor allem die
Kinder. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das
Bildungspaket, das wir vor zwei Jahren – Sie erinnern
sich alle – für bedürftige Kinder eingeführt haben, weil
die Kinder bis zu diesem Zeitpunkt keine Chance auf
Bildung und Teilhabe hatten; denn die Mittel dafür wa-
ren im Hartz-IV-Regelsatz nicht enthalten. Mit dem Bil-
dungspaket sind wir auf einem sehr guten Weg. Es war
Neuland, das wir betreten haben. Es war am Anfang
schwierig, den Weg für das Bildungspaket frei zu ma-
chen. Wir wollten nicht, dass einfach nur der Regelsatz
erhöht wird, sondern wir wollten tatsächlich, dass die
Kinder Angebote bekommen, Mittagessen in den Schu-
len und Kindergärten, dass sie in Sport- und Musikver-
einen sein können, dass sie das Schulbedarfspaket erhal-
ten, dass sie Lernförderung erhalten, wenn sie in der
Schule nicht mitkommen. Inzwischen erreichen wir
73 Prozent der bedürftigen Kinder. Ich finde, das ist eine
Zahl, auf die man stolz sein kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wissen aus Untersuchungen, dass das Bildungs-
paket den bedürftigen Kindern zum allerersten Mal den





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)


Zugang zu einigen darin enthaltenen Leistungen ermög-
licht hat.

Uns geht es mit all dem, was ich eben skizziert habe,
darum, Chancengerechtigkeit zu schaffen. Die besten
Chancen sind Bildungszugang und Arbeitsplätze, und
diese sind in Deutschland gewachsen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815200

Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1723815300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung soll der
Bundesregierung jeweils in der Mitte der Legislatur ei-
nen Spiegel vorhalten, der zeigt: Was hat sich für welche
Bevölkerungsgruppe durch welche politische Maß-
nahme wie ausgewirkt? Ich weiß wirklich nicht, in wel-
chen Spiegel Sie vor Ihrer Rede geschaut haben, Frau
von der Leyen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Volle Begeisterung da drüben!)


Denn eindeutig ist, dass wir feststellen können und müs-
sen: In diesem Land hat sich die Ungerechtigkeit ver-
tieft. Die Scheren sind auseinandergegangen,


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Quatsch! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch, das stimmt! Das steht im Bericht! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein, das ist falsch!)


sowohl was die Einkommen als auch was die Vermögen
anbelangt. Würde ich hier nicht Ihre eigenen Zahlen als
Beleg nennen, könnte ich ja vielleicht noch ins Grübeln
kommen. Aber es sind Ihre Zahlen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


Ihre Zahlen im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht
dokumentieren klar, dass 40 Prozent der Einkommens-
bezieher im unteren Einkommensbereich Lohnverluste
haben hinnehmen müssen und im oberen Einkommens-
bereich – nicht unten – die Steigerungen zu verzeichnen
sind, dass die prekäre Beschäftigung zugenommen hat,
dass viele Familien einfach Angst vor einem Abstieg ha-
ben, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Angst
existiert: Rutsche ich in einen prekären Beschäftigungs-
job durch Leiharbeit, Dumpinglöhne oder Minijobs ab
und muss dann zusätzliche finanzielle Mittel beantra-
gen? Schaffen es meine Kinder überhaupt, einen Auf-
stieg hinzubekommen, oder haben wir eine Closed-
Shop-Gesellschaft, die von vornherein sagt: „Nein, du
nicht, denn du kommst nicht aus der richtigen Familie“?

Das alles, Frau Ministerin, sagt Ihr Vierter Armuts-
und Reichtumsbericht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hätten Sie ein paar Zeilen darin gelesen und die Zahlen
zur Kenntnis genommen, dann hätten Sie hier nicht eine
solche sogenannte Erfolgsstory erzählen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dabei wiederholt sich das, was Sie in den letzten Mo-
naten immer wieder versucht haben: sich irgendwie pro-
gressiv sozial zu zeigen und dann alles wieder auf die
harten Facts zusammenzuschrumpfen. Diese harten
Facts stehen im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht.

Zu den Minijobs lautete Ihre politische Antwort: Wir
erhöhen die Bezahlung auf 450 Euro.

In Bezug auf den gesetzlichen Mindestlohn, den wir
fordern, sagen wir in unserem Antrag ganz klar, welche
Ansprüche wir an die Armuts- und Reichtumsbericht-
erstattung haben. Wir wollen sie nämlich nicht entwer-
ten. Dass Sie mit dem ersten Entwurf des Berichts bei
Ihren eigenen Kabinettskollegen schlicht und ergreifend
überhaupt nicht angekommen sind und für den zweiten
Entwurf sogar wichtige Dinge streichen mussten, zeigt
doch, dass Sie versucht haben, als Tiger zu starten, aber
wieder einmal als Bettvorleger gelandet sind.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit komme ich zur Vermögensverteilung. Da kann
man in Ihrem Bericht deutlich erkennen, dass Sie sagen:
„No go, stop!“; denn Sie wollen gar nicht so öffentlich
machen, wie sich die Konzentration des Vermögens ge-
staltet: Es ist nämlich so, dass für die untere Hälfte der
Bevölkerung ein Vermögen von 120 Milliarden Euro
verzeichnet wird – dabei ist egal, um welche Form von
Vermögen es sich handelt, Immobilien zum Beispiel –,
während das obere Zehntel so viel Geld auf der hohen
Kante hat, dass die Betreffenden ihr Geld gar nicht mehr
zählen können. Sie haben ihr Vermögen rasant gesteigert –
trotz Finanzmarktkrise. Dass Sie nicht nach einem
Grund dafür suchen, dass das so ist, wenn man ordentli-
che Regierungsarbeit machen will, das wundert mich
schon.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Es wundert mich auch, warum Sie nicht sagen: Bei
10 Billionen Euro an privatem Vermögen müssen die
sich beteiligen, wenn es darum geht, das, was an Proble-
men bei uns im Lande besteht, zu lösen.

Bei den Jobs, die wir hier haben, brauchen wir einen
gesetzlichen Mindestlohn. Wo ist Ihre Stimme, Frau von
der Leyen, für diejenigen, die im Moment genau in
diesen Jobs sind, vor allen Dingen Frauen? Ich will gar
nicht von Frauen in Führungspositionen reden; ich rede
von den Frauen, die als Alleinerziehende nur einen
450-Euro-Job haben und im Prinzip beim Amt weitere
Mittel auftun müssen. Die meine ich.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)


Sie halten mit Ihrem Bildungs- und Teilhabepaket da-
gegen. Das sind Peanuts, muss ich sagen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das sind bei der Problematik für die Menschen und die
Kinder schlicht und ergreifend Peanuts.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Bei euch hat es nichts gegeben!)


Teilhabe ist ein bisschen was anderes.

Sie sagen noch nicht einmal, dass der private Reich-
tum


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die SPD hat es vergeigt!)


einhergeht mit der öffentlichen Armut.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Besonders in den SPD-Ländern!)


Sie sagen in Ihrem ARB selber: Die öffentliche Hand hat
ein Minus von 800 Milliarden Euro zu verzeichnen. Wo
bauen wir denn die Schulen? Wo bauen wir die Kinder-
gärten? Wo schaffen wir die Infrastruktur für diejenigen,
die sie brauchen? Alles das haben Sie nicht gesagt.

Nicht gesagt haben Sie auch, dass in Ihrem ersten
Entwurf etwas stand, was wahrscheinlich – ich speku-
liere hier, aber ich glaube, so ganz unrecht habe ich da
nicht – Ihr Kollege aus dem Wirtschaftsressort gestri-
chen hat, dass man nämlich prüfen muss, ob und wie
sich die Vermögenden in diesem Land an gesellschaftli-
chen Aufgaben beteiligen. Als ich das gelesen hatte,
habe ich gedacht: Die haben etwas gelernt! – Aber nein,
es wurde gestrichen.

Jetzt reden Sie nur noch davon, dass man vielleicht
über Stiftungen und Spenden der Großen dieser Welt –
die haben übrigens gehofft, ihre Steuerhinterziehung
auch noch tarnen zu können, wenn es bestimmte Ab-
kommen gibt –


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mein Gott, jetzt geht es wild durcheinander!)


den Wohlstand irgendwie mit der Gießkanne verteilt.
Das ist nicht die Gesellschaft, die wir haben wollen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD] Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kommunitarismus statt Gerechtigkeit! Darauf läuft es hinaus!)


Da gilt es, klare Kante zu zeigen und zu sagen: Wir brau-
chen mehr Steuergerechtigkeit: durch die Einführung ei-
ner Vermögensteuer, durch die Reform der Erbschaft-
steuer, durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes.


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)


Bei 10 Billionen Euro erzählen Sie mir bitte nicht, dass
das obere Zehntel dann irgendwann einmal verarmt sein
wird!


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will hier keine Sozialneiddebatte schüren; wirk-
lich nicht. Es geht in diesem Land darum, dass Leistung
gerecht bezahlt wird.


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)


Überlegen Sie aber bitte einmal, was man unter „Leis-
tung“ versteht und in welchen Proportionen das zu sehen
ist!

Wir haben ein Regierungsprogramm. Darin setzen wir
auf mehr soziale Gerechtigkeit, und das ist bitter nötig in
diesem Land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815400

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Pascal Kober

das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1723815500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es ist schon
bezeichnend, dass in dieser Debatte, in der es um Armut,
um Arbeitsplatzchancen und um Sozialpolitik geht, nicht
ein einziger Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker der SPD
anwesend ist. Das zeigt, wie wichtig Ihnen als Fraktion
das Thema ganz offensichtlich ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Ach, bei Ihnen sind auch nicht übermäßig viele anwesend!)


Vielleicht ist es aber auch so, dass Sie einfach schon
aufgegeben haben angesichts der Erfolge, die diese Re-
gierung für dieses Land erreicht hat. Die letzten vier
Jahre waren gute Jahre für Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das sind die Fakten, Frau Mattheis, die Sie hören
wollen – die Fakten sind eindeutig –: Wir haben die
niedrigste Arbeitslosenzahl seit 20 Jahren. Wir haben die
höchste Zahl an Erwerbstätigen in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die höchste
Zahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum
ersten Mal – das ist wirklich ein ganz großes Glück –
sinkt in einem Aufschwung auch die Zahl der Langzeit-
arbeitslosen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Insgesamt sind in der Regierungszeit dieser Koalition
250 000 Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit in
Arbeit gekommen. Das ist in erster Linie ein Erfolg für
diese Menschen. Das bedeutet für sie, dass sie Perspekti-
ven für sich und ihre Familien haben. Das sollten wir
nicht geringschätzen. Wir sollten dafür dankbar sein,
dass das gelungen ist. Sie sollten in dieser Debatte bereit
sein, dies auch einmal anzuerkennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Darüber hinaus haben wir in der Folge so wenige
Transferempfänger wie seit Beginn der Einführung des
Hartz-IV-Systems. Es ist außerdem ein großes Glück,
wofür wir dankbar sein sollten, dass das Risiko für Kin-
der in Deutschland, in Armut aufzuwachsen, erstmals
seit Jahren wieder rückläufig ist. Das ist das Ergebnis ei-
ner guten, vernünftigen, weitsichtigen, aber auch einer
behutsamen Arbeitsmarktpolitik, die das Richtige tut,
statt sich in Symbolen und Ideologien zu verlieren.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ha! Ihr habt keine Ideologie? Sehr witzig!)


Das ist entscheidend für den Erfolg am Arbeitsmarkt.
Diese Regierungskoalition zeigt, wie man für die Men-
schen in diesem Land erfolgreich wirken kann.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist nicht die Wirklichkeit, die die Menschen wahrnehmen!)


Wir werden diese Regierungspolitik ab September wei-
ter fortsetzen. Es waren vier gute Jahre für Deutschland,
und es werden auch weitere vier gute Jahre werden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal jemand aus der Koalition!)


Liebe Kollegin Frau Mattheis aus Baden-Württem-
berg, Sie haben die Regierungspolitik angemahnt.
Schauen wir uns einmal an, was Sie bei einer Regie-
rungsübernahme ab September planen. Sie planen für
Personengesellschaften, für Kleinstbetriebe, für Hand-
werksbetriebe, für die kleinen Mittelständler, die eine
Vielzahl von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen in
Deutschland stellen, Steuererhöhungen um über 16 Pro-
zent. Dazu kommen noch die Steuererhöhungen für die
Großbetriebe. Wenn dann auch noch eine Koalition mit
den Grünen eingegangen wird, wird es ganz grausam.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Unsinn! Sie kennen unser Wahlprogramm überhaupt nicht!)


Dann werden die kleineren Unternehmen deutlich höher
und die großen Unternehmen noch mehr belastet.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überhaupt nicht! Das Gegenteil ist der Fall!)


Mit Ihrer Politik werden Sie die Chancen der Menschen
verschlechtern. Sie setzen die Chancen der Menschen
aufs Spiel. Sie werden mit Ihrer Politik – das sagen die
Arbeitgeberverbände schon heute, weil sie es berechnen
können – Hunderttausende Arbeitsplätze aufs Spiel set-
zen. Das ist eine völlig falsche Politik. Das müssen wir
verhindern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb werden Sie ab September auch weiterhin von
den Sitzen der Oppositionsbank zuschauen, wie wir für
die Menschen in unserem Land erfolgreiche Politik ma-
chen werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wir können schon jetzt anfangen zu weinen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man nicht
glaubt,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht in der Kirche, Herr Pfarrer!)


dass Sie das, was in Ihren Regierungsprogrammen steht,
auch umsetzen, dann sollte man sich die Länder, in de-
nen Sie regieren, anschauen. Das ist die Blaupause für
das, was Sie ab September planen. In Baden-Württem-
berg hungern Sie die Berufsschulen aus.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie besetzen frei werdende Lehrerstellen nicht mehr. Sie
verhindern, dass die Menschen über das berufliche
Schulwesen, über die duale Berufsausbildung einen Auf-
stieg in unserem Bildungssystem und im Arbeitsmarkt
erreichen. Sie verhindern, dass das gelingt, indem Sie
diese Stellen nicht besetzen. Die Bildungspolitik in Ba-
den-Württemberg wird von der GEW – nicht von uns –
als Stückwerk bezeichnet, das die Chancen der Kinder
verhindert, weil die falsche Politik auf dem Rücken der
Kinder ausgetragen wird. Eine Politik, die die Chancen
der Menschen verhindert, werden wir in Deutschland
nicht zulassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Rede von gestern! Er hat die falsche Rede rausgezogen! – Mechthild Rawert [SPD]: Sie wissen, dass wir hier über den Armutsund Reichtumsbericht diskutieren?)


Wir sprechen hier über die Chancen von zukünftigen
Generationen, über die zukünftige Reichtumsverteilung
und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für diese Chan-
cen muss man frühzeitig etwas tun. Das fängt beispiels-
weise mit der richtigen Steuerpolitik an, die die richtigen
Impulse für wirtschaftliches Wachstum und Arbeits-
plätze setzt. Es fängt aber auch mit dem Bildungssystem
an; denn Kinder brauchen eine gute Schulausbildung,
damit sie ihren Weg selbstbestimmt und in Eigenverant-
wortung erfolgreich gehen können. Das ist die Politik
dieser Regierungskoalition. Diese werden wir im Sinne
der Menschen fortsetzen. Wie gesagt, es waren vier gute
Jahre für Deutschland,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gute ist, dass sie bald vorbei sind!)


und wir werden diese Politik weitere vier gute Jahre wei-
terführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815600

Das Wort hat der Kollege Matthias W. Birkwald für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Ministerin von der Leyen! Gestern Abend lief im ZDF
die Komödie Vorzimmer zur Hölle 3, in der Primetime.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Was gucken Sie denn?)


Eine der Hauptrollen spielte Eleonore Weisgerber. Die
Schauspielerin ist 65 Jahre alt und hat jetzt Einspruch
gegen ihren Rentenbescheid eingelegt. Sie ist sehr ent-
täuscht und sagt: „887 Euro, und das nach 45 Jahren Ar-
beit.“ Sie fühlt sich hintergangen und will darum bis
zum Bundesverfassungsgericht gehen. Ich weiß nicht, ob
sie das schaffen wird, aber ich kann ihre maßlose Enttäu-
schung sehr gut verstehen. Ich wünsche ihr viel Erfolg
bei ihrem Kampf für eine armutsfreie Rente.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Weisgerber sagte der Deutschen Presse-Agentur
– ich zitiere –: „Wir werden bald ein Heer von verarmten
Schauspielern über 65 haben.“ Das gilt leider auch für
Langzeiterwerbslose und für Kellnerinnen, Friseurinnen,
Wachleute, Gebäudereiniger, Taxifahrer, Callcenter-
Agents, Schneiderinnen, Zimmermädchen und viele an-
dere Menschen. Sie alle arbeiten für Niedriglöhne.

Im Jahr 2010 mussten knapp 4 Millionen Menschen
in Deutschland für einen Bruttostundenlohn unter 7 Euro
schuften. Das war im ersten Entwurf des Armuts- und
Reichtumsberichts wortwörtlich so noch zu lesen. Das
haben Sie zensiert, Herr Rösler. Im Brüderle-Sprech
könnte man sagen: „Wer hat’s gestrichen? Die FDP hat’s
gestrichen!“


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Pascal Kober [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Das steht doch nach wie vor drin!)


Die Meinungsfreiheit der Sozialministerin war den Libe-
ralen schon zu viel. Das ist unglaublich, aber wahr.

7 Euro und weniger, das sind Armutslöhne; davon
kann niemand leben. Selbst bei Vollzeitarbeit sind Al-
leinstehende in diesen Jobs schon heute arm; das gilt erst
recht später für die Rente.

Schauen Sie doch einmal in Ihren eigenen Armuts-
und Reichtumsbericht hinein, Frau Ministerin. Unter
Kanzlerin Merkel stieg das Armutsrisiko von Rentnerin-
nen und Rentnern von 12,2 auf 14,9 Prozent. Das Ar-
mutsrisiko von allen Menschen in Deutschland stieg von
14 auf gut 15 Prozent. Das alles steht in Ihrem Bericht
auf den Seiten 303 und 304.


(Mechthild Rawert [SPD]: Lesen bildet!)


Das heißt, 2011 gab es in Deutschland 12,6 Millionen
arme Kinder, Männer und Frauen, gut 2,5 Millionen
mehr als beim Amtsantritt der Bundeskanzlerin im Jahr
2005. Heute – das gehört zur Wahrheit dazu, Frau Minis-
terin – leben 2,5 Millionen Kinder in Deutschland in Ar-
mut. Ich sage: Das ist beschämend.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sind die Vermögen in Deutschland ex-
trem ungerecht und ungleich verteilt. Laut Armuts- und
Reichtumsbericht hat jeder Haushalt in der Bundesrepu-
blik ein Nettovermögen von 118 000 Euro. Sie haben die
nicht? Ja, es ist ja auch ein Durchschnittswert. Im Ar-
muts- und Reichtumsbericht heißt es vollkommen zu-
treffend – Zitat –:

Hinter diesen Durchschnittswerten steht eine sehr
ungleiche Verteilung der Privatvermögen.

Wohl wahr: zum Beispiel 132 000 Euro im Westen
und 55 000 Euro im Osten. Aber auch die werden sehr
viele Menschen nicht haben. Vor allem Haushalte von
Erwerbslosen, Migrantinnen und Migranten, Menschen
mit niedrigen Löhnen und andere haben wenig oder gar
kein Vermögen. Die obersten 10 Prozent der Bevölke-
rung verfügen über mehr als die Hälfte aller Vermögen,
die untere Hälfte besitzt fast gar nichts. Diese Spaltung
ist völlig inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Reichtum ist teilbar. Darum will die Linke gemein-
sam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac und
vielen anderen „umfairteilen“ und Reichtum besteuern.
Wir wollen mit Steuern umsteuern und eine Vermögen-
steuer für Millionärinnen und Millionäre einführen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD])


Wer ein Privatvermögen von 2 Millionen Euro hat, soll
50 000 Euro abgeben. Das ist doch nicht zu viel ver-
langt.

Wir fordern eine einmalige Vermögensabgabe mit ei-
nem Freibetrag in Höhe von 1 Million Euro. Große Erb-
schaften sollen groß besteuert werden; das selbst be-
wohnte Haus bleibt selbstverständlich steuerfrei.

Wir brauchen eine Bundesfinanzpolizei; denn die sys-
tematische Steuerhinterziehung à la Hoeneß, Zumwinkel
oder Nadja Auermann muss unbedingt ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Armut wirksam
zu bekämpfen, schlagen wir Linken unter anderem vor,
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein-
zuführen, der vor Altersarmut schützen soll und darum
nicht unter 10 Euro liegen darf.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch wenn Sie sich jetzt wieder alle furchtbar aufre-
gen werden: Wir wollen ein Verbot der Leiharbeit,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


den Sozialversicherungsschutz für Minijobs, endlich
eine gebührenfreie Kinderbetreuung für Familien und
Alleinerziehende, eine Kindergrundsicherung, länger
ausgezahltes und höheres Arbeitslosengeld I, den Hartz-
IV-Regelsatz sofort auf mindestens 500 Euro anheben





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)


und eine sanktionsfreie Mindestsicherung anstelle von
Hartz IV einführen.

Gegen Altersarmut helfen: gute Löhne, ein Rentenni-
veau, wie wir es im Jahr 2000 einmal hatten und eine
einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Min-
destrente von zunächst 900 Euro und dann 1 050 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Armut bekämpfen und Reichtum begrenzen: Das ist
der richtige Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723815800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Markus Kurth das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723815900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was wissen wir nach dem Armuts- und Reichtumsbe-
richt und nach der Großen Anfrage, welche die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gestellt hat? Oder müssen wir
eher fragen: Was wissen wir immer noch nicht?

Die Antworten der Bundesregierung auf die Große
Anfrage und auch die Erörterungen in dem Armuts- und
Reichtumsbericht sind doch insgesamt spärlich und un-
befriedigend. Denn sie weichen den offensichtlichsten
und größten Problemfeldern aus. Die drohende Altersar-
mut sprechen Sie nicht an, ebenso wenig verdeckte Ar-
mut, Wohnungslosigkeit insbesondere von Jugendlichen,
die prekäre Situation von Alleinerziehenden und das
enorm hohe Armutsrisiko von Migrantinnen und Mi-
granten. Diese Problemfelder streifen Sie allenfalls, ge-
ben aber keine konzentrierten politischen Handlungs-
empfehlungen.

Zur Einkommens- und Vermögensverteilung haben
Sie keine aktuellen Zahlen. Die Zahlen, welche die Bun-
desregierung geliefert hat, sind meistens veraltet. Ich
nenne nur zwei Beispiele: Die Einteilung in Zehntelklas-
sen beim Einkommen stützt sich auf Daten aus dem Jahr
2008. Vermögensdaten, deren Erhebung sehr interessant
wäre, haben Sie nur bis 2007. Wir wissen, dass die Ver-
mögenskonzentration trotz der Krise weiter zugenom-
men hat.

Frau von der Leyen, Sie haben gestern von dieser
Stelle aus Kurt Schumacher zitiert und darauf hingewie-
sen, dass Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit
beginnt. Die Wirklichkeit Ihres Ministeriums sind das
Jahr 2007 und das Jahr 2008.

Meine Damen und Herren, als die Erstellung eines
Armuts- und Reichtumsberichts beschlossen wurde,
wurden die Anforderungen an den Bericht und sein
Zweck vom Gesetzgeber klar und eindeutig formuliert:
Die Analyse von Armut und Reichtum muss in die Ana-
lyse der gesamten Verteilung eingebettet sein. So stand
es in der Drucksache, welche die Armutsberichterstat-
tung begründet hat.

Die Berichterstattung muss der Vielschichtigkeit von
Armut Rechnung tragen. Sie muss auch besondere Pro-
blemgruppen gesondert berücksichtigen, was Sie aber
nicht tun. Genau deswegen haben wir unsere Große An-
frage gestellt und auch noch einmal nachgefragt. Die
wenigen Zahlen, die durch die Große Anfrage bekannt
geworden sind, sind hochinteressant und alarmierend.

Bei der Verteilung der Armutsrisikoquote nach Be-
völkerungsgruppen


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erwerbslose zum Beispiel!)


gibt es einige sehr deutliche Ergebnisse. Wir haben zum
Beispiel eine hohe Armutsrisikoquote von 16,5 Prozent
bei Kindern bis 17 Jahren. Sie sagen hier, die Zahl der
Kinder von Beziehern von Arbeitslosengeld II sei gesun-
ken.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Herr Kurth, Sie haben gerade von der Armutsrisikoquote gesprochen!)


Die Zahl der Kinder insgesamt ist auch gesunken. Man
muss sich aber den Anteil aller Kinder, die auf Hartz IV
angewiesen sind, anschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Da hat sich fast nichts bewegt.

Die Armutsrisikoquote für Alleinerziehende beträgt
40,1 Prozent. Das sind Zahlen aus Ihrem Hause, die in
der Antwort auf unsere Große Anfrage stehen. Zwischen
1998 und 2010 ist die Armutsrisikoquote bei Alleiner-
ziehenden um 15,5 Prozent angestiegen. Bei Arbeitslo-
sen hat sie sich im gleichen Zeitraum sogar verdoppelt.
Mit Blick auf Altersarmut ist die Entwicklung bei den
Pensionärinnen und Pensionären sowie Rentnerinnen
und Rentnern besonders interessant. Bei ihnen ist die Ar-
mutsquote um rund 15 Prozent angestiegen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau da!)


Mit Blick auf die Zukunft finde ich gerade die Situa-
tion bei Personen mit Migrationshintergrund besonders
alarmierend. In Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage
geben Sie an, dass ein knappes Drittel der Personen ohne
deutsche Staatsangehörigkeit und über ein Viertel der
Menschen mit Migrationshintergrund von Armut betrof-
fen sind. Dieser Wert ist doppelt so hoch wie bei Men-
schen ohne Migrationshintergrund. Auch weil in dieser
Gruppe viele Kinder betroffen sind, hätte ich erwartet,
dass Sie diesen Umstand genauer betrachten und kon-
krete Handlungsempfehlungen geben, denn diese Bevöl-
kerungsgruppe stellt einen immer größer werdenden An-
teil an der Bevölkerung Deutschlands.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Für eines war unsere Große Anfrage aber trotzdem
gut: Sie deckt Ihre fragwürdige Rechtsauffassung zu den
Regelbedarfen bei Kindern, konkret zur Inanspruch-
nahme des Bildungs- und Teilhabepakets, wozu es heute





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


offensichtlich auch noch eine Pressekonferenz geben
wird, auf. Sie haben sich damit gerühmt, dass das
Bildungs- und Teilhabepaket von 73 Prozent in An-
spruch genommen wird. Sie haben gesagt, dass wir da-
rauf stolz sein können. In der Antwort der Bundesregie-
rung steht:

Eine Inanspruchnahme des Bildungspakets liegt
nach Auffassung der Bundesregierung bereits vor,
wenn mindestens eine der Bildungs- und Teilhabe-
leistungen in Anspruch genommen wurde.

Wir wissen – das müssen auch die Zuhörer wissen –,
dass es um sechs verschiedene Einzelleistungen geht.
Wenn nur eine in Anspruch genommen wird, heißt es,
dass das Bildungspaket in Anspruch genommen wird.
Konkret bedeutet das: Wenn ein Kind einen Zuschuss zu
einer Klassenfahrt bekommen hat, dann ist das für Sie
eine Inanspruchnahme, auch wenn Mittagessen, Schul-
bedarfspaket oder die Möglichkeit der Übernahme von
Vereinsbeiträgen – Stichwort: soziale und kulturelle
Teilhabe – nicht in Anspruch genommen worden sind.
So kann man sich die Wirklichkeit natürlich schönreden.

Ich fordere Sie auf: Machen Sie Ihre Hausaufgaben
so, wie der Gesetzgeber das in seinem ursprünglichen
Auftrag an die Bundesregierung 1999 vorgegeben hat.
Arbeiten Sie vernünftig und seriös an einem neuen Ar-
muts- und Reichtumsbericht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816000

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1723816100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Zusammenhang mit dem 4. Armuts- und
Reichtumsbericht gibt es eine gute Nachricht und eine
schlechte Nachricht, wie so oft.

Beginnen wir mit der guten – vieles dazu wurde von
meinen Kollegen und der Ministerin schon gesagt –:
Deutschland geht es gut. Auch den meisten Menschen in
unserem Land geht es besser als je zuvor. Wer die Nach-
richten der letzten Tage und Wochen gehört hat, weiß,
dass wir im europäischen Vergleich glänzend dastehen.
Der Reichtumsbericht bestätigt das: Deutschland geht es
gut. Auf die entsprechenden Daten ist Frau von der
Leyen gerade eingegangen.

Ich möchte Ludwig Erhard, den Vater der sozialen
Marktwirtschaft, zitieren:

Erst auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft kann
die Gesellschaft ihre eigentlichen Ziele erfüllen.

Das ist unser Auftrag. In dem Entschließungsantrag, den
wir hier einbringen, heißt es unter anderem:

Dabei ist die Vermeidung sozialer Härten nicht nur
ein moralisch motiviertes Ziel der Politik. Sie trägt
vielmehr auch zur Akzeptanz sowie zur Dynamik
und Risikobereitschaft in einer Marktwirtschaft bei.

So viel zu dem Teil „Reichtumsbericht“; dazu haben wir
schon viel gehört. Sie wissen ja, dass dieser Bericht
zweigeteilt ist: Armuts- und Reichtumsbericht.

Auch zu der schlechten Nachricht beziehen wir Stel-
lung – ich bin mir nicht im Klaren darüber, ob Sie das
wahrgenommen haben –: Nicht allen geht es gut. Diese
Aussage ist Teil des Armutsberichts. Leider viel zu viele
Menschen in Deutschland sind arm oder von Armut be-
droht. Eine Marktwirtschaft, die sich sozial nennt, muss
diese Menschen im Blick haben. Und wir haben diese
Menschen im Blick. Diese Bundesregierung hat viel für
sie getan. Eben wurde schon festgestellt, dass Rot-Grün
damals in diesem Bereich Defizite zu verzeichnen hatte.

Wir von den Koalitionsfraktionen haben diesen Ent-
schließungsantrag auf den Weg gebracht, um für eine
weitere Verbesserung der sozialen Situation in unserem
Land zu sorgen. Bevor ich darauf eingehe, will ich vor-
weg sagen: Es geht um konkrete Menschen in konkreten
Notlagen, für die wir eintreten müssen. Wir wollen aber
nicht zulassen, dass dieses Land in dieser Debatte über
den Armuts- und Reichtumsbericht künstlich schlechtge-
redet wird und dass mit billiger Polemik auf Stimmen-
fang gegangen wird.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na, na, na!)


Wir müssen uns auch über den Armutsbegriff unter-
halten. Wer pauschal einen Großteil der Bevölkerung
arm rechnet oder als arm bezeichnet, wie Sie in Ihrem
Debattenbeitrag vorhin oder Herr Gabriel in der letzten
Debatte,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie mal, was Armut ist!)


wer die Begriffe Armut und Armutsrisiko vermischt, der
geht an der Lebenswirklichkeit der wirklich Armen ein-
fach vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer ist denn wirklich arm?)


Als ehemaliger Sozialarbeiter und Heilsarmeeoffizier
hatte ich Freunde, die im Winter unter einer Brücke er-
froren sind. Ich weiß um Beerdigungen von Obdachlo-
sen. Ich habe Kinder erlebt – im Antrag der SPD steht et-
was über „Die Arche“, die von Herrn Siggelkow
gegründet wurde –, die erst am Nachmittag im Jugend-
club die erste Mahlzeit des Tages bekamen. Diesen Men-
schen ist nicht geholfen, wenn wir an der Quote drehen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Aber darüber könnte man auch einmal berichten! Obdachlose und Wohnungslose sind auch nicht drin!)


Ich zitiere noch einmal aus unserem Entschließungsan-
trag:

Daher sollte besonders darauf geachtet werden,
dass die Begriffe Armut und Armutsrisiko

– diese Begriffe wurden heute mehrfach zusammenge-
worfen –

nicht vermengt werden.





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)



(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Definieren Sie bitte den Unterschied!)


Unser Sozialstaat sichert allen Haushalten ein Ein-
kommen oberhalb der Armutsgrenze.

Rund ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts
wird für Soziales ausgegeben. In dieser öffentlichen Dis-
kussion über Armut in Deutschland dürfen die Existenz
unseres funktionierenden Sozialstaats und die große
Leistung unserer Solidargemeinschaft nicht einfach au-
ßen vor gelassen werden.

Jetzt zur Lage in Deutschland. In unserem Entschlie-
ßungsantrag stellen wir fest, dass die Beschäftigung ein
historisch hohes Niveau erreicht und dass die Arbeitslo-
sigkeit abnimmt wie selten zuvor. Für viele Menschen ist
die Abhängigkeit von staatlichen Hilfeleistungen über-
wunden. Bedenken wir dabei einmal, wie viele Einzelne
in dieser Zeit aus Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Per-
spektivlosigkeit herausgekommen sind.

Die Löhne steigen spürbar. Die Altersarmut ist gerade
angesprochen worden. Sie liegt im Durchschnitt bei
2,5 Prozent. Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit liegt
bei etwas über 5 Prozent. Sie ist so niedrig wie in keinem
anderen Land in Europa. Dahinter verbergen sich sehr
viele Einzelschicksale. Für diese Menschen gilt, dass sie
inzwischen aus Armut, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit
und Perspektivlosigkeit herausgekommen sind.

Man muss sich aber auch den anderen Menschen wid-
men. Das tun wir in unserem Entschließungsantrag. Wir
haben deshalb zehn Aufträge an die Bundesregierung
formuliert. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich
mit diesen Lücken zu beschäftigen. Die ersten vier Maß-
nahmen betreffen die Arbeitsmarktpolitik.

Ich möchte zum Schluss explizit auf zwei Maßnah-
men eingehen. Die frühkindliche Bildung – auch Sie,
Frau Ministerin, haben sie genannt – ist ein ganz wichti-
ges Ziel. In Punkt sechs fordern wir,

in Kooperation mit der Wirtschaft insbesondere Al-
leinerziehenden

– dies ist eine der im Ergebnis des Berichts genannten
Gruppen –

sowie für Menschen mit Behinderung flexible
Möglichkeiten zu bieten, am Erwerbsleben teilzu-
nehmen …

Als siebten Punkt fordern wir,

die Durchlässigkeit im Bildungssystem wie auch
die Möglichkeit, schulische Abschlüsse zu einem
späteren Zeitpunkt nachholen zu können, weiter zu
verbessern …

Ich komme zum Ende. Viel von der Saat, die übrigens
von Ihnen in Regierungsverantwortung mit ausgesät
wurde, ist in diesem Land aufgegangen. Das sage ich mit
großer Dankbarkeit. Allerdings gilt es jetzt genau auf die
Stellen zu schauen, die dadurch zutage getreten sind.
Viele von uns waren gestern Abend bei einer Veranstal-
tung, an der auch Vertreter der Bundesagentur für Arbeit
teilnahmen. Ich hörte Herrn Weise in einem Gespräch

Folgendes sagen: Viel ist erreicht worden, viel bleibt zu
tun, packen wir es an. – Ich würde am liebsten hinzufü-
gen: Machen wir das am besten gemeinsam.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816200

Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1723816300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ebenso wie der Kollege Heinrich bin ich ein bisschen er-
schrocken, wie diese Debatte über den Armuts- und
Reichtumsbericht zeigt, wie Teile von Ihnen, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, agieren.
Sie tun so, als würden die seriösen Statistiken, der Blick
auf die Realität und auf die Zahlen Sie nur stören, wenn
es darum geht, hier Ihre kontrafaktische Behauptungspo-
litik fortzusetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nur Ihre Zahlen vorgetragen!)


Ich nenne ein paar Beispiele. Ich habe mir die Mühe
gemacht, im Protokoll nachzulesen, was Sigmar Gabriel
und Katrin Göring-Eckardt in der ersten Debatte zum
Armuts- und Reichtumsbericht gesagt haben. Heute be-
ehren sie uns mit ihrer Anwesenheit leider nicht, obwohl
das Thema wichtig ist. Von den beiden genannten Perso-
nen wurde unter anderem behauptet, die Einkommen-
sungleichheit nehme in Deutschland zu. Das ist falsch.
Sie haben behauptet, vielen Alleinstehenden reiche der
Lohn nicht. Das ist falsch. Sie haben weiterhin behaup-
tet, Minijobs würden sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung verdrängen. Auch das ist falsch.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Haben Sie den Bericht gelesen?)


– Ich habe ihn gelesen, offenbar im Gegensatz zu Ihnen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aber anscheinend nicht verstanden!)


Es wurde gesagt, wer Vollzeit arbeite, habe am Ende des
Monats nicht einmal das, was jemand bekommt, der gar
nicht arbeiten geht. Das ist falsch. Bemerkenswerter-
weise wurde auch behauptet, die Tarifautonomie nutze
den Friseurinnen nichts. Das ist falsch, wie wir diese
Woche erfreulicherweise erfahren konnten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die reale Lage ausweislich der Fakten im Armuts-
und Reichtumsbericht, die von niemandem bestritten
werden, ist vielmehr folgendermaßen: Die Arbeitslosig-
keit ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht. Die Beschäfti-
gung ist so hoch wie seit 20 Jahren nicht. Die Jugendar-
beitslosigkeit ist die niedrigste in ganz Europa. Die Zahl
der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um 40 Prozent zu-





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)


rückgegangen. Wann hat es das zuletzt in Deutschland
gegeben?


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Altersarmut steigt! Die Vermögensungleichheit steigt!)


Die Armutsrisikoquote nimmt seit 2006 nicht weiter zu.
Der Niedriglohnsektor ist zuletzt geschrumpft, und die
Einkommensungleichheit ist rückläufig. Dies alles ist im
Armuts- und Reichtumsbericht nachzulesen. Sie sollten
ihn einmal lesen; das würde uns alle hier in der Debatte
voranbringen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Trotzdem ruht sich diese Koalition natürlich nicht
aus. Wir stehen vor weiteren Aufgaben. Wir wollen ja
nicht nur vier gute Jahre für Deutschland gehabt haben,
sondern wir arbeiten dafür, dass es vier weitere gute
Jahre für Deutschland gibt. Das wird auch passieren,
wenn diese Koalition wieder in Regierungsverantwor-
tung gewählt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Warten wir mal ab!)


Ich nenne nur zwei Aufgaben.

Die erste Aufgabe ist, Deutschland zu einem moder-
nen Einwanderungsland zu machen, um den Fachkräfte-
mangel zu lindern. Mit der Bluecard hat diese Koalition
Hervorragendes auf den Weg gebracht.

Die zweite Aufgabe ist, durch mehr Chancengerech-
tigkeit dafür zu sorgen, dass die Zukunft für niemanden
mehr in Deutschland von der Herkunft abhängt. Dabei
geht es um Bildung. Hier muss ich leider Folgendes sa-
gen: Herr Kurth, Sie haben das Kinderbildungspaket an-
gesprochen. Sie haben leider vergessen, zu erwähnen,
dass diese Koalition für Kinder, deren Eltern auf
Hartz IV angewiesen sind, ein Bildungspaket auf den
Weg gebracht hat,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erreichen doch keinen!)


und zwar im Gegensatz zu Ihnen, die Sie dafür nichts,
nada, niente, keinen Cent vorgesehen haben.


(Pascal Kober [FDP]: Genau! Keinen Cent sind Ihnen die Kinder wert!)


Da werfen Sie uns vor, wir würden uns nicht ausreichend
um Chancengerechtigkeit und Bildung kümmern? Ich
bitte Sie, Herr Kollege!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Leider zeigt auch Ihr Handeln in den Ländern, dass
auf Sie, wenn es um Chancengerechtigkeit geht, kein
Verlass ist. Denn die Länder, in denen Schwarz-Gelb re-
giert,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja Gott sei Dank nicht mehr so viele!)


machen nicht nur keine Schulden – somit entstehen für
die kommenden Generationen auch keine zusätzlichen
Belastungen –, sondern sie liegen auch in Evaluationen
zum Thema Bildung vorn. Das Gegenteil ist leider von
den Ländern zu sagen, in denen Rot-Grün regiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb sage ich: Wenn es um Aufstiegschancen und
Chancengerechtigkeit geht, ist dieses Land bei Schwarz-
Gelb in guten Händen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im Faktencheck fällt die Rede durch!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816400

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Peter Weiß für die Unionsfraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1723816500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Man kann natürlich alle Zahlen hin- und herwälzen
und über alle Zahlen diskutieren, die in einem solch um-
fangreichen Bericht, dem viele Untersuchungen zu-
grunde liegen, stehen. Zusammenfassend möchte ich
zum Schluss dieser Debatte sagen: Ja, wir haben jetzt
viele Jahre in Deutschland hinter uns, in denen die
Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich auseinan-
dergegangen ist, in denen die Zahl der Menschen, die
arm oder von Armut bedroht sind, zugenommen hat.

Wenn sich Frau Mattheis – sie ist zwar nicht mehr da,
weil sie weg musste; das ist verständlich –


(Iris Gleicke [SPD]: Sie hat sich entschuldigt!)


erkundigt hätte, in welcher Zeit diese Schere besonders
weit auseinandergegangen ist,


(Pascal Kober [FDP]: Da bin ich mal gespannt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bei Rot-Grün!)


dann würde sie wissen, dass ausgerechnet die rot-grüne
Regierungszeit von Gerhard Schröder die Zeit war,


(Pascal Kober [FDP]: Oh!)


in der die Schere in Deutschland am weitesten auseinan-
dergegangen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Na, na! Das stimmt so aber nicht!)


Wenn man der Frage nachgeht: „Was ist die Hauptur-
sache dafür, dass Menschen arm werden oder von Armut
bedroht sind?“,


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die Sozis!)






Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


dann stellt man fest: Die Hauptursache sind lange Pha-
sen der Arbeitslosigkeit. Das ist in allen Untersuchungen
unstrittig.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt viel mehr erwerbstätige Arme als Arbeitslose!)


Da in diesem Zusammenhang auch über Rentenarmut
gesprochen wird, sage ich Ihnen: Lange Phasen der Ar-
beitslosigkeit führen auch zu einer geringeren Rente.
Deswegen ist eine weitere Folge von Langzeitarbeitslo-
sigkeit Armut im Rentenalter.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und was ist mit Armut trotz Arbeit?)


Die entscheidende und wichtigste Nachricht lautet da-
her: Der Schlüssel, um daran etwas zu ändern und dafür
zu sorgen, dass die Zahl der Menschen, die von Armut
gefährdet ist, in Zukunft wieder abnimmt, ist der Abbau
von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur für gute Löhne, nicht für Hungerlöhne! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen müssen aber auch entsprechend bezahlt werden, und die Menschen müssen Rentenversicherungsansprüche haben!)


Es ist ein sehr großer politischer Erfolg, dass wir da-
für gesorgt haben, dass die Langzeitarbeitslosenquote
seit dem Jahr 2007 um 40 Prozent zurückgegangen ist.
Dieser Erfolg sollte uns ermuntern, daran zu arbeiten,
dass sie noch weiter zurückgeht. Das ist nämlich der
Schlüssel, um Armut in Deutschland zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weiterer Punkt. Zahlen, Daten und Fakten sind

das eine. Das andere ist die Frage: Welche Lebenssitua-
tionen und Lebenslagen sorgen dafür, dass jemand nicht
mehr aus der Armut herauskommen kann?


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und es werden immer mehr, die da nicht mehr rauskommen! Die Armut verfestigt sich!)


Bedauerlicherweise hat niemand darauf hingewiesen,
dass dies der erste Armuts- und Reichtumsbericht ist, der
sich ausführlich der Untersuchung der Lebenslagen wid-
met. Damit kann man nachvollziehen, aufgrund welcher
Strukturen – abgesehen von den monetären Gründen –
jemand in Armut verharrt und warum jemand keinen Zu-
gang zu Bildung findet.

Ich finde, es ist bemerkenswert, dass uns diese Bun-
desregierung bzw. Bundesarbeitsministerin Ursula von
der Leyen mit dem Lebenslagenkonzept einen Armuts-
und Reichtumsbericht vorgelegt hat, der mehr liefert als
Daten und Fakten, der sich wirklich mit der Lage der ar-
men Menschen beschäftigt und der Frage nachgeht: Wa-
rum verharren sie in dieser Situation, und wo sind An-
satzpunkte, um sie aus der Armut herauszuführen?
Darauf kommt es nämlich an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Warum haben Sie denn dann die Zahlen frisiert? Alles Sprechblasen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Tat
gibt es verkrustete Strukturen, die Menschen in Armut
führen oder in Armut halten. Aber das Entscheidende
mit Blick auf die vergangenen Jahre ist: Endlich, nach
einer langen Phase des Auseinanderdriftens, werden
diese Strukturen aufgebrochen. Wir haben zum ersten
Mal seit vielen Jahren die Situation, dass sich die Ein-
kommensschere wieder etwas schließt. Dass die Opposi-
tion das nicht erwähnen will, verstehe ich; sie will ja ein
anderes Bild zeichnen.

Für die Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem
Land ist etwas anderes wichtig, nämlich die Frage: Kön-
nen verkrustete Strukturen auch in Zukunft aufgebro-
chen werden, und kann die Langzeitarbeitslosigkeit auch
zukünftig abgebaut werden? Angesichts dieser Frage
sollte man denjenigen, die bewiesen haben, dass sie eine
Trendwende herbeiführen können – und das sind wir –,
vertrauen und darauf setzen, dass die Verantwortlichen
es auch in Zukunft schaffen werden, den Menschen in
Deutschland durch Bildung und Arbeit zu sozialem Auf-
stieg zu verhelfen und sie aus der Armut herauszuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Sie können es nicht! Nur Sprechblasen!)


Bei allem, was die Opposition vorgetragen hat, erin-
nere ich daran: Unter Rot-Grün ist die Schere weit aus-
einandergegangen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das macht es doch nicht besser!)


Wir haben die Trendwende geschafft. Diese Trendwende
wollen wir in den kommenden Jahren fortsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Seit Merkel ist alles schlechter! Das ist der Punkt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12650 und 17/13102 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Der Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/
CSU und FDP auf Drucksache 17/13250 soll wie die
Vorlage auf Drucksache 17/12650 überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 c auf:

a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Situation in deutschen Abschiebungshaftan-
stalten

– Drucksachen 17/7442, 17/10596 –





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der
Europäischen Union und die Praxis der Ab-
schiebungshaft

– Drucksachen 17/7446, 17/10597 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist
migrationspolitisch nicht relativierbar – Kon-
sequenzen aus dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Asylbewerberleistungs-
gesetz ziehen

– Drucksachen 17/11663, 17/12674 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Hier geht es um erhebliche soziale Probleme.
Es geht um das Asylbewerberleistungsgesetz, das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom Juli vergangenen
Jahres und um die Abschiebehaftanstalten.

Wenn im Winter, wenn es kalt ist, wenige Meter von
hier Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor demonstrie-
ren und in den Hungerstreik treten, um auf ihre Situation
in Deutschland aufmerksam zu machen, dann lässt sich
zuweilen auch die Integrationsbeauftragte aus den Rei-
hen der Union oder der Sozialstadtrat aus den Reihen der
FDP sehen; er redet ihnen dann gut zu und sagt, dass
man etwas tun wolle. Nur: Taten folgen dem nicht.

In Deutschland wird die Abschiebehaft nach wie vor
viel zu schnell und viel zu häufig angeordnet. Wir von
den Grünen haben deshalb eine Große Anfrage einge-
bracht, die inzwischen beantwortet wurde. Den Antwor-
ten ist zu entnehmen, dass die Anzahl der Haftanträge
zurückgegangen ist, also weniger Flüchtlinge in Haft
sind.

Ein grundlegender Missstand besteht aber noch im-
mer: Abschiebehäftlinge sind keine Straftäter. Ihnen
wird keine kriminelle Handlung vorgeworfen. Es sind
Flüchtlinge, es sind Zufluchtsuchende, die nach Deutsch-
land kommen, weil sie aus ihrem Heimatland vertrieben
werden, weil sie politisch verfolgt werden und weil sie
in Not sind. Deshalb kommen sie hierher. Wenn gegen
sie Haftanträge gestellt werden und sie in Haft kommen,
dann darf diese Haft nicht in normalen Haftanstalten
vollzogen werden, wo die Haftbedingungen häufig dra-
matisch schlechter sind, als sie es bei Untersuchungs-
häftlingen oder selbst Strafgefangenen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das ist nicht hinnehmbar.

Wir stellen fest, dass die Zahl der Anträge auf Ab-
schiebung von Flüchtlingen, die, bevor sie nach
Deutschland gekommen sind, zunächst in EU-Ländern
wie Griechenland, Italien oder Ungarn waren, erheblich
zugenommen hat. Uns liegen keine konkreten Zahlen
vor; aber wir wissen, dass die Anzahl der Personen, die
aus diesem Grunde in Abschiebehaft gelangen, immer
größer wird.

Deswegen fordern wir ganz dringend, dass zumindest
die Minderjährigen nicht in Abschiebehaft kommen,
dass Schwangere nicht in Abschiebehaft kommen.
Leute, die krank sind, die – häufig durch Verfolgung in
ihrem Herkunftsland – traumatisiert sind, sollen auf gar
keinen Fall in Abschiebehaft kommen. In diesen Fällen
sind Haftanträge nicht zu stellen bzw. abzulehnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Wir fordern, dass die Verhältnisse in den Abschiebe-
haftanstalten verbessert werden: dass dort Rechtsbera-
tung stattfindet, dass dort eine ausreichende medizini-
sche Versorgung gewährleistet wird. Wir fordern
grundsätzlich, dass diese Haftanstalten mittelfristig ge-
schlossen werden. Kein Mensch soll in Deutschland
mehr in Abschiebehaft genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Zum Asylbewerberleistungsgesetz. Das Bundesver-
fassungsgericht hat festgestellt, dass das Existenzmini-
mum von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Deutsch-
land derzeit nicht gesichert ist. Beim Existenzminimum
geht es um das Geld, das für eine einigermaßen men-
schenwürdige Existenz nötig ist. Da kann es doch keinen
Unterschied machen, ob jemand ein Flüchtling oder ein
Einwanderer oder ein Deutscher ist. Union und FDP sind
bis heute im Verzug damit, das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom Juli vergangenen Jahres umzusetzen
und endlich eine menschenwürdige Versorgung der
Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland sicherzu-
stellen. Da sind Sie in der Pflicht und müssen handeln.

Ein letzter Punkt.






(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816700

Herr Ströbele, achten Sie bitte darauf, dass Sie das

jetzt in den letzten Satz fassen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja. Das ist mein letzter Satz.

Das Asylbewerberleistungsgesetz muss grundsätz-
lich geändert werden. Die Forderungen, die die Flücht-
linge stellen, zuerst vor dem Brandenburger Tor und jetzt
am Oranienplatz in Kreuzberg, müssen erfüllt werden,
nämlich dass kein Mensch gezwungen werden darf, in
einem bestimmten Land zu bleiben; dass kein Mensch
gezwungen werden darf, in Sammelunterkünften zu le-
ben, wenn er gleichzeitig die Möglichkeit hat, in einer
Wohnung unterzukommen. Auch als Asylbewerber nach
Deutschland gekommene Flüchtlinge müssen die Mög-
lichkeit haben, hier Arbeit aufzunehmen, und zwar so
schnell es ihnen irgendwie möglich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723816800

Das war mehr als ein Satz.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege Frieser holt das jetzt auf!)


Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die
Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1723816900

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich würde dem Kol-

legen Ströbele gern eine Minute abtreten; er soll ja nicht
in Eile sein, wenn es um die Darstellung seiner Positio-
nen geht.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Zu spät!)


Das Vorgehen, die Fragen innerhalb der Großen An-
frage zu der Situation in deutschen Abschiebungshaftan-
stalten in einen Antrag zu packen, in dem es insgesamt
um das Asylbewerberleistungsgesetz geht, ist nicht un-
bedingt geeignet, das Thema erschöpfend abzubilden –
auch wenn der Versuch aus meiner Sicht nachvollziehbar
ist.

Mit der Überschrift ihres Antrages nehmen die Grü-
nen einen Satz aus dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts auf:

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht
zu relativieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen-
würde ist unter keinen Gesichtspunkten relativierbar.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern hätten Sie sich vielleicht einen anderen Satz aus
dem Urteil heraussuchen sollen; denn ich finde auch die-

sen Satz in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nicht unbedingt besonders geglückt.


(Zurufe von der SPD)


Ich nehme mir heraus, zu sagen, dass dieser Satz, den
Sie aus dem Zusammenhang gerissen und im Titel Ihres
Antrages verwendet haben, durchaus noch eine Erläute-
rung wert ist. Das wird man in dieser Debatte noch sagen
dürfen.

Es geht vor allem darum, dass wir eines nicht tun soll-
ten, nämlich alle Aussagen der unterschiedlichen Par-
teien zu den verschiedenen Aspekten der zumeist
schwierigen persönlichen und humanitären Gesamtlage
der Flüchtlinge in einen Topf zu werfen, einmal kräftig
umzurühren und dann den Eindruck zu erwecken, ein
menschenwürdiges Leben und Dasein als Asylbewerber
sei in diesem Land nicht machbar. Dieser Eindruck, den
Sie erwecken möchten, ist definitiv falsch.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine menschenwürdige Versorgung ist doch das Mindeste, oder?)


Klar ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht alle
Punkte, über die zu urteilen war, in seinem Urteil als ver-
fassungsgemäß bezeichnet hat. Alle! Es hat allerdings
gesagt – das will ich gerne zugestehen –, bei der Leis-
tungshöhe müsse eine Anpassung erfolgen. Mit Blick
auf die Regierungsbank sage ich: Das passiert im Au-
genblick.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganzes Jahr brauchen Sie! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sehe keinerlei Kollegen auf der Regierungsbank! Ein Staatssekretär, der Prospekte liest!)


Es ist das gute Recht der Opposition, hier zur Eile zu
mahnen, aber ich glaube, dass die Regierung diese Er-
mahnung mit Sicherheit nicht braucht; denn sie arbeitet
sorgfältig daran, eine Grenze für die Leistungen zu defi-
nieren.

Klar ist aber auch, dass das Zusammenführen all die-
ser Punkte ein wenig mit dem Föderalismus sozusagen
„garniert“ wird. Denn Sie alle wissen, dass die Länder
für viele dieser Bereiche zuständig sind. Alle Antworten
auf Fragen, bei denen die Bundesregierung die Bundes-
länder einbeziehen musste, zeigen, dass die Abschiebe-
haft in unserem Land nach wie vor die Ultima Ratio ist.

Es wird oft der Eindruck erweckt, als sei die Abschie-
behaft der Normalfall. Das sollten Sie aber unter keinen
Umständen tun. Die Länder sind sich ihrer Verantwor-
tung in diesem Zusammenhang sehr wohl bewusst. Die-
ses Mittel wird nur angewandt, wenn man sich über-
haupt nicht mehr anders zu helfen weiß.

Ein Blick auf die Zahlen sollte das einigermaßen
deutlich machen: In knapp 80 Prozent dieser Einzelfälle
beträgt die Haftverweildauer nach wie vor höchstens
sechs Wochen. Bei 0,4 Prozent der Betroffenen wird
eine längere Verbüßungszeit in Abschiebehaft für not-
wendig erachtet,





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)



(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Verbüßung? Was verbüßen sie denn?)


weil eine ständige Verschleppung des Asylverfahrens
droht. Das liegt weit unterhalb der Grenze, die hier als
rechtmäßig angesehen wird.

Es mag richtig sein, immer wieder daran zu erinnern:
Jemand, der in Abschiebehaft kommt, ist kein Strafge-
fangener. Das ist vollkommen richtig. Deshalb wird in
den Ländern auch dafür gesorgt, dass, wenn es über-
haupt zu einer gemeinsamen Unterbringung kommt, Ab-
schiebehäftlinge nur gemeinsam mit Untersuchungshäft-
lingen untergebracht werden. Wenn man das nicht
akzeptiert, dann heißt das, dass man den Untersuchungs-
häftling einem Strafgefangenen gleichstellt, und das,
glaube ich, wird der Rechtsordnung an dieser Stelle auch
nicht gerecht. Ich bitte also, deutlich zu machen, was die
Länder hier unabhängig von den Mehrheiten in dem je-
weiligen Land tun können.

Ich glaube, alle Antworten auf die in der Großen An-
frage gestellten Fragen – zur Gesundheitsvorsorge, zur
psychiatrischen Betreuung – zeigen, dass es hier – ich
möchte nicht „vorbildhaft“ sagen – gut funktioniert. Es
gibt aber natürlich noch genug Dinge, über die wir dis-
kutieren können.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fahren Sie doch einmal dahin!)


Ich habe mir auch die eine oder andere Einrichtung
angesehen.

In Bezug auf das Leistungsrecht scheint mir ganz we-
sentlich zu sein, dass auch das sogenannte Sonderleis-
tungsrecht – das ist vielleicht etwas unglücklich formu-
liert – als verfassungsgemäß anerkannt wurde. Natürlich
ist es richtig, Asylbewerbern in erster Linie Sachleistun-
gen zur Verfügung zu stellen. Warum? Weil bei Leistun-
gen in Geld die Gefahr besteht, dass sie bei jenen
Schleppern, bei jenen Schleusern landen, die dafür ge-
sorgt haben, dass diese Menschen – tragische Fälle – ihr
letztes Geld ausgegeben haben, um hier zu landen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ganz schlechte Ausrede!)


Das ist der Grund, warum wir der Auffassung sind, dass
diese Menschen und ihre Familienangehörigen auch mit
Sachleistungen bedacht werden sollten. Auch das ist et-
was, was das Bundesverfassungsgericht definitiv für
rechtmäßig erkannt hat.

Damit komme ich zur Frage der Residenzpflicht.
Auch diese Frage wird in diesem Antrag behandelt. Ich
glaube, wir haben gerade in dieser Legislaturperiode be-
wiesen, dass eine Lockerung der Residenzpflicht dort,
wo sie wirklich Sinn macht, durchaus machbar, durchaus
umsetzbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht um ein wirklich effizientes und effektives
Asylverfahren. Die betroffenen Menschen befinden sich
immer noch in einem solchen Verfahren, in dem bewie-
sen werden soll, nachgewiesen werden soll, beurteilt

werden muss: Können sie, sollen sie, dürfen sie auf
Dauer in diesem Land verweilen? Eventuell muss man
am Ende sagen: Das ist nicht der Fall. Es geht also um
die Balance zwischen einem ordnungsgemäßen Verfah-
ren auf der einen Seite und Bewegungsfreiheit auf der
anderen Seite. In dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts steht, dass wir bisher durchaus verfassungsgemäß
gehandelt haben. Insofern haben wir hier eine breite
Übereinstimmung mit dem europäischen Recht.

Letztendlich ist entscheidend – vielleicht kann man
sich in dieser Frage etwas aufeinander zubewegen –: In
keinem einzigen Fall wurde in diesem Land die Teil-
nahme eines Asylbewerbers, dessen Asylverfahren noch
nicht abgeschlossen war, an einem Integrationskurs und
damit an einem Sprachkurs abgelehnt, wenn er an die-
sem freiwillig teilnehmen wollte. Wir sind der Auffas-
sung, dass eine solche Teilnahme richtig ist. Denn Spra-
che ist etwas, was die Menschenwürde durchaus mit
ausmacht.

Gesetzlich ist es so: Ein Integrationskurs soll denen
zugutekommen, die auf Dauer in diesem Land bleiben
sollen. Natürlich kann man darüber nachdenken – ich
halte das auch für richtig –, inwieweit der Erwerb der
Sprache des Landes, in das zu fliehen man sich einmal
entschlossen hat, weil das eigene Leben bedroht worden
war, zur Achtung der Menschenwürde gehört. Ich will
noch einmal daran erinnern: In keinem einzigen Fall
wurde die oben beschriebene Teilnahme abgelehnt. Ent-
scheidend ist, dass wir keinen falschen Eindruck erwe-
cken.

Gegen Ende dieser Großen Anfrage – es handelt sich
um eine Kanonade an Fragen und, auch das darf ich sa-
gen, Behauptungen – wird nach der Verfahrensdauer ge-
fragt. Auch Sie wissen selbstverständlich, dass die Dauer
der Verfahren beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge extrem verkürzt werden konnte. Gerade vor
dem Hintergrund der Vielzahl von Fällen von Menschen
aus den Staaten des Westbalkans ist es entscheidend, die
Frage zu beantworten: Wie können wir Hilfe anfordern,
damit die Verfahrensdauer auf nur zehn Tage beschränkt
werden kann? Bisher liegt die Ablehnungsquote bei über
98 Prozent. Das heißt, vielen betroffenen Menschen
musste bisher gesagt werden: Ein Verweilen in diesem
Land hat am Ende keinen Sinn mehr. Auch diese Frage
in der sehr betagten Großen Anfrage der Grünen wurde
durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge be-
reits beantwortet.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie setzen ein Gerichtsurteil nicht um und werfen uns eine betagte Vorlage vor! Unglaublich!)


Ich komme also zu dem Ergebnis: Unser zentraler
Anspruch ist, die Wahrung der Menschenwürde zu er-
möglichen. Ich glaube, wir können mit Fug und Recht
behaupten, dass sich derjenige, der aus schwierigsten Si-
tuationen kommt und in diesem Land nach Rettung
sucht, darauf verlassen kann, dass seine Menschenwürde
gewahrt ist. Darüber hinaus wird ihm eine Perspektive
vermittelt. Er weiß, wie sich sein Leben weiterentwi-
ckeln kann; denn wir lassen das Asylverfahren nicht zu





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


einer Hängepartie werden. Vielmehr sorgen wir dafür,
dass ein Asylbewerber, dessen Asylantrag in diesem
Land negativ beschieden worden ist, nach möglichst
kurzer Dauer das Land verlassen muss. Für die betroffe-
nen Menschen muss berechenbar sein, ob sie ihr Leben
hier weiterleben können. Das ist aus meiner Sicht ein
Akt der Menschenwürde. Insofern kann ich nur hoffen,
dass wir den Antrag heute ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723817000

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Daniela Kolbe

das Wort.


(Beifall bei der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Erkläre es ihm noch mal!)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1723817100

Ich weiß nicht genau, ob zum Erklären so viel Zeit

bleibt. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kol-
leginnen und Kollegen! Das Recht auf Asyl ist für uns
Sozialdemokraten von ganz besonderer Bedeutung. In
wenigen Tagen feiern wir unseren 150. Geburtstag. Wir
blicken nicht nur auf eine Zeit zurück, in der wir dieses
schöne Land mitgestaltet haben, sondern wir blicken
auch auf eine Zeit zurück, die durchaus auch von Verfol-
gung geprägt war, sei es zu Zeiten der Sozialistenge-
setze, sei es in der DDR. Aber natürlich vor allen Dingen
in den Zeiten des Nationalsozialismus sind viele Sozial-
demokratinnen und Sozialdemokraten geflohen – Otto
Wels und Willy Brandt seien als Namen genannt – und
waren auf die Solidarität oder vielleicht auch nur den
Langmut anderer Länder angewiesen, um dort Schutz
suchen zu können.

Insofern sind wir als Sozialdemokraten stolz, dass es
mittlerweile zum Selbstverständnis Deutschlands gehört,
dass wir Menschen, die Verfolgung ausgesetzt sind, in
unserem Land Schutz bieten. Hunderttausende haben in
der Vergangenheit davon profitiert.

Aber das alles täuscht nicht darüber hinweg, dass wir
in unserem Asylrecht ganz dringend Reformen brau-
chen, die uns auch das Bundesverfassungsgericht ins
Stammbuch geschrieben hat.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen aus zwei Begründungssträngen heraus
unser Recht anpassen: erstens aus Gründen der Men-
schenwürde. Das Bundesverfassungsgericht hat es in
seinem Urteil formuliert – das wurde bereits zitiert –:
„Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu re-
lativieren.“ Das stand in dem Urteil vom 18. Juli 2012.
Dieses Urteil wird wohl kaum jemanden überrascht ha-
ben; denn die Urteile, die genau das begründeten, sind
schon einige Zeit vorher erfolgt.

Der zweite Begründungsstrang ist aber, dass wir un-
ser Recht auch an die aktuellen Gegebenheiten anpassen
müssen. Die Zahl der Asylanträge steigt in unserem
Land. Das ist richtig. Aber gleichzeitig verharrt sie auf

einem sehr moderaten Niveau, zumal im Vergleich zu
den Zahlen Anfang bis Mitte der 90er-Jahre.

Gleichzeitig erleben wir eine sehr niedrige Arbeitslo-
sigkeit, in Teilen sogar einen Fachkräftemangel, und ei-
nen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik. Sogar
bei Schwarz-Gelb ist das ein bisschen zu erahnen. Die
Bluecard wurde eingeführt, und man spricht über Zu-
wanderung im Fachkräftebereich.

Vor diesem Hintergrund erscheinen mir manche Re-
gelungen im Asylrecht regelrecht anachronistisch. Wir
leben eben nicht mehr Mitte der 90er-Jahre. Es ist auch
so, dass viele der Regelungen im Asylrecht nicht nur
menschenrechtspolitisch problematisch sind, sondern
gleichzeitig auch teuer. Deswegen sagen wir: Lassen Sie
uns das Bundesverfassungsgerichtsurteil nutzen und das
Asylrecht endlich umfassend reformieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Theoretisch besteht dabei Einigkeit bei den Regelsät-
zen – dazu gibt es auch glasklare Vorgaben des Bundes-
verfassungsgerichts –, auch wenn ich auf der Regie-
rungsbank wenig Bewegung sehe.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es ist ja nur noch einer da!)


Überraschen Sie uns doch einmal! Sie wissen sicherlich
noch nicht genau, ob Sie das hinbekommen. Ich fände
das gut.

Allein bei der Umsetzung hätten wir noch den
Wunsch, dass Sie das Bildungs- und Teilhabepaket mit
aufnehmen. Denn wir denken, dass auch Kinder von
Menschen, die einen Asylantrag stellen, Zugang zu die-
sen Leistungen haben sollten.

Dabei wollen wir aber nicht stehen bleiben. Wir wol-
len das Asylbewerberleistungsgesetz und auch die Asyl-
verfahrensrichtlinie deutlich weiter gehend reformieren.

Wir haben die Antworten auf die Großen Anfragen
der Grünen und der Linken gelesen. Wir denken, dass
wir auch da noch genauer hinschauen müssen.

Sie haben recht: Es sind lediglich 0,4 Prozent, die län-
ger als drei Monate in Abschiebehaft sind. Abschiebe-
haft muss aber wirklich die allerletzte Möglichkeit sein.
Es gibt eigentlich keinen Haftgrund. Denn diese Men-
schen haben nichts verbrochen; auch drei Monate sind
vor diesem Hintergrund eine lange Zeit. Manche sind
länger als ein Jahr in Haft, und es gibt immer noch Fälle,
in denen Minderjährige in Haft genommen werden. Wir
haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem wir fordern,
die Kinderrechtskonvention endlich auch in diesen Fäl-
len umzusetzen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen die gesundheitliche Versorgung verbes-
sern, gerade was die psychologische Betreuung angeht.
Wir wissen doch alle, dass viele Asylbewerber, die hier-
herkommen, traumatisiert sind. Zurzeit ist der Zugang zu





Daniela Kolbe (Leipzig)



(A) (C)



(D)(B)


psychologischer Betreuung in vielen Bundesländern
noch sehr mangelhaft.

Wir wollen in vielen Fällen das Regel-Ausnahme-Ver-
hältnis umdrehen. Wir wollen, dass das Sachleistungs-
prinzip nur noch in Ausnahmefällen gilt. Wir wollen
in der Regel die dezentrale Unterbringung, übrigens
auch aus finanziellen Gründen, liebe Koalitionäre. Wir
schmeißen nämlich ganz schön viel Geld aus Steuermit-
teln aus dem Fenster. Die Menschen bezahlen ihre Steu-
ern, und wir verbrennen das Geld, ohne dass es irgendje-
mandem nutzt. Die Menschen, die in diesen Unterkünften
untergebracht werden, beschweren sich über die Bedin-
gungen. Wir könnten es deutlich preiswerter haben, wenn
die Menschen dezentral untergebracht würden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Otto Schily jeden Tag erzählt!)


Vor allen Dingen wollen wir den Umfang dieses Ge-
setzes endlich wieder auf ein Normalmaß zurückführen.
Dabei geht es einerseits um den Kreis der vom Asylbe-
werberleistungsgesetz betroffenen Leistungsempfänger.
Menschen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, sollten
hiervon unbedingt ausgenommen werden. Andererseits
muss auch die Bezugsdauer geändert werden. Maximal
ein Jahr soll es Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz geben.

Die Grünen fordern in ihrem Antrag, anders als das
Herr Ströbele gerade dargestellt hat, die Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Da können wir nicht mitgehen. Wir wollen aus fachpoli-
tischen Gründen das Asylbewerberleistungsgesetz sehr
weitgehend reformieren und – so könnte man sagen –
etwa 80 oder 90 Prozent davon abschaffen; aber es muss
möglich sein, auf die besonderen Bedarfe von Asylsu-
chenden einzugehen. Deswegen werden wir uns bei der
Abstimmung über diesen Antrag enthalten, obwohl darin
viele gute Dinge stehen, zum Beispiel die Frage des Ar-
beitsmarktzuganges.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist in Zeiten von geringer Arbeitslosigkeit nun wirk-
lich anachronistisch, diesen Menschen den Zugang zum
Arbeitsmarkt zu verwehren und sie zum Nichtstun zu
verdammen. Dadurch werden im doppelten Sinne Res-
sourcen verschwendet, zum einen im Hinblick auf den
Arbeitsmarkt und zum anderen in Form von Steuergeld,
das heißt in Form von Sozialausgaben, die hier gezahlt
werden müssen.

So wie die Grünen sind auch wir für eine unvoreinge-
nommene Prüfung aller Asylanträge, was eigentlich eine
Selbstverständlichkeit ist. Aber wenn man den Rednern
von Schwarz-Gelb bei der Frage der Aufnahme der
Menschen aus Serbien und Mazedonien zuhört,


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach Quatsch!)


auch dem Staatssekretär – er spricht davon, dass
100 Prozent dieser Antragsteller keinen Anspruch auf
Asyl hätten –,


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach was! Richtig zuhören!)


dann kommen mir schon Zweifel, ob diese Prüfung tat-
sächlich immer so unvoreingenommen abläuft. Wir hal-
ten es für eine der Grundlagen unseres Asylrechtes, dass
wirklich jeder Antrag einzeln und auch unvoreingenom-
men geprüft wird.

Die Residenzpflicht wollen wir abschaffen. Ich kann
Ihre Argumentation nicht wirklich nachvollziehen. Na-
türlich wollen wir weiterhin eine Lastenteilung zwischen
den Bundesländern beibehalten und dabei den König-
steiner Schlüssel erhalten. Aber das Ganze kann man
auch über die Wahl eines Wohnsitzes regeln. Die Resi-
denzpflicht ist auf eine unangenehme Art einzigartig in
Europa.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das finden die Stadtstaaten gar nicht lustig, was Sie da erzählen!)


Die Abschaffung der Residenzpflicht würde sicher-
lich bei den Ausländerbehörden großen Applaus hervor-
rufen; denn in diesem Zusammenhang fällt sehr viel Bü-
rokratie an. Bei jedem Verlassen des Landkreises muss
ein Ausnahmeantrag gestellt werden.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Naives, ahnungsloses Geplauder! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Experte Uhl meldet sich zu Wort! Reichsverwaltungsreferent außer Dienst!)


– Herr Uhl, dass Sie jetzt so laut werden, zeigt, dass ich
mit meiner Argumentation richtig liege.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dank an die Grünen und an die Linken, dass wir die-
ses wichtige Thema heute besprechen können. An vielen
Regelungen müssen wir wirklich arbeiten.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Uhl hat sie alle gleich rausgeschmissen!)


Beim Asylbewerberleistungsgesetz sind wir nur in Nu-
ancen anderer Auffassung. Insofern werden wir uns
heute bei der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten.
Ich hoffe, dass wir über dieses wichtige Thema noch
häufig miteinander sprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir kommen im Herbst auf diese Rede zurück!)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723817200

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine

wirksame und koordinierte Abschiebungs- und Rück-
übernahmepolitik ist in der Tat nach dem Willen der EU
und ihrer Mitgliedstaaten ein zentraler Bestandteil des
gemeinsamen europäischen Asylsystems.

Lassen Sie mich grundsätzlich feststellen: Es hat kei-
nen Sinn, von „Asyl“ zu sprechen, wenn jemand, dem
dies nicht zuerkannt wird, dennoch grundsätzlich im Land
bleiben darf. Es wäre schön, wenn diejenigen, die sich im-
mer so laut und vermeintlich human gegen Abschiebun-
gen und Rückführungen in Szene setzen, den Menschen
hierzulande einfach einmal sagen würden, wofür sie denn
dann sind. Wer gegen Rückführungen bei abgelehnten
Asylanträgen ist, ist für ein uneingeschränktes Bleibe-
recht für alle, die hierherkommen wollen. Umgekehrt
muss, wer nicht für ein uneingeschränktes Bleiberecht für
alle ist, sich dazu bekennen, dass die Abschiebung unab-
dingbarer Bestandteil jeglicher Art von Zuwanderungs-
steuerung ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Natürlich haben Linke und Grüne nicht den Mut, klar
zu sagen, was sie wollen. Aber die Krokodilstränen, die
aus diesen Parteien immer wieder in Gestalt von zahllo-
sen und wohlfeilen Anträgen gegen Abschiebehaft und
Rückführungspolitik ins Parlament fließen, lassen nur
den Schluss zu, dass Linke und Grüne kein besonderes
Asylrecht mehr wollen, weil sie ohnehin keine Zuwan-
derungssteuerung wollen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wurstelt er alles durcheinander!)


Damit es keine Missverständnisse gibt: Das Recht auf
Asyl für politisch Verfolgte ist gerade für Liberale ein
wesentliches Grundrecht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah ja!)


Auch Kollege Frieser hat das für die Union gerade deut-
lich gemacht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Aus Sicht der FDP muss über das europäische Asyl-
system ständig – durchaus unter humanitären Gesichts-
punkten der Menschenrechte – weiter beraten und nach-
gedacht werden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch!)


Der aktuelle Stand – auch in Europa – ist für die FDP
nicht befriedigend.


(Beifall bei der FDP)


Eine Nachjustierung erscheint in mancher Hinsicht sinn-
voll, so zum Beispiel hinsichtlich des Rechtsschutzes.
Allerdings ist es völlig überzogen, in diesem Zusam-
menhang plakativ von menschenrechts- und europa-
rechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts zu
sprechen, wie es die Fragesteller in ihren Anträgen im-
mer wieder tun.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht sagt das!)


In allen Fällen, in denen die Gefahr besteht, dass die
Betreffenden ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen,
ist die Abschiebehaft, wenn auch als Ultima Ratio – sel-
ten angewendet in Deutschland –, unverzichtbar, um gel-
tendes Recht durchzusetzen. Natürlich ist der Abschie-
bevollzug nicht fehlerfrei. Verbesserungen erscheinen
uns gerade unter humanitären Gesichtspunkten ange-
bracht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir doch!)


Die Fragesteller von Linken und Grünen beweisen
immerhin ein Minimum an Sachkunde – das muss man
ihnen zugestehen –, da sie sich über die Länderverant-
wortung im Klaren sind. Muss ich noch anmerken – muss
ich die Länder wirklich nennen, Kollege Wieland? –, in
welchen Ländern diese beiden Parteien mitregieren?
Wenn das Problem auch nur annähernd so groß ist wie
der Umfang Ihrer Fragenkataloge: Wann haben Sie diese
Fragen das letzte Mal Ihren Landesregierungen, zum
Beispiel der in Baden-Württemberg, gestellt?


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Täglich!)


Es liegt nicht primär in Bundeshand, die Rückführungs-
politik zu verbessern. Das ist Aufgabe der Länder, die zu
einem guten Teil von Grünen, aber auch von Linken mit-
regiert werden. Statt mit dem Finger auf andere zu zei-
gen, sollten Sie vor der eigenen Haustür kehren.

Der Schutz von Menschen in Not ist ein hohes Gut,
Kollege Wieland und Kollege Ströbele. Ungesteuerte
Zuwanderung


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will die denn?)


aber bringt vor allem die Schwächeren unserer Gesell-
schaft in eine immer schwierigere Lage. Es bleibt jedoch
wichtig, dass diejenigen, die berechtigterweise Asyl in
Deutschland begehren, auch anerkannt werden. Recht-
mäßig aufhältige Menschen sind in Deutschland hoch
willkommen.

Zum Rechtsstaat gehört, dass es gegen amtliche Ent-
scheidungen Rechtsmittel geben muss. Wenn die Rechts-
mittel aber ausgeschöpft sind, muss eben auch das gel-
tende Recht vollzogen werden. Linke und Grüne
ignorieren manchmal absichtlich, dass das Schutzniveau
in Deutschland – rechtlich und tatsächlich – zu den
höchsten in der Welt gehört. Gerade diese Koalition hat
in den letzten vier Jahren dazu beigetragen, dass wir hier
deutlich weitergekommen sind, gerade bei den Regelun-
gen betreffend die Abschiebehaft. Das sollten Sie einmal





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


anerkennen, anstatt ständig den Teufel an die Wand zu
malen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Schutz von Menschen in Not ist für Liberale ein

hohes Gut. Es waren vier wirklich gute Jahre für
Deutschland – auch im Bereich des Ausländerrechts –
unter Schwarz-Gelb.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das können wir nicht mehr hören! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele wesentliche Verbesserungen, zum Beispiel im Hin-
blick auf Opfer von Menschenhandel, die Regelungen
betreffend die Abschiebehaft sowie das Bleiberecht für
Kinder und Jugendliche, wurden in dieser Legislatur-
periode geschaffen. Es waren wirklich sehr gute Jahre
für Deutschland – auch im Ausländerrecht – unter
Schwarz-Gelb.


(Mechthild Rawert [SPD]: Waren!)

Die FDP wird in der Koalition mit der CDU/CSU die

Asylpolitik weiterhin verantwortungsbewusst und sensi-
bel entwickeln und die EU-Planungen konstruktiv und
auch unter humanitären Gesichtspunkten weiter beglei-
ten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uhl freut sich darauf!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723817300

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Jetzt mal was Versöhnliches! Das wäre doch mal was zum Schluss! Letzter Wortbeitrag, Ulla!)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723817400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Wolff, ich glaube, Sie haben sich heute mit dem Thema
vertan. In den Vorlagen geht es vor allen Dingen um
schutzbedürftige Menschen und nicht um Einwan-
derungspolitik; darüber können wir an anderer Stelle dis-
kutieren. Ich finde es schon beschämend, dass Sie
20 Jahre gebraucht haben – gezwungen durch das Bun-
desverfassungsgericht –, die Leistungssätze für Asylbe-
werberinnen und Asylbewerber anzupassen. Das Bun-
desverfassungsgericht hat Ihnen ganz klar bescheinigt,
dass erstens das entsprechende Gesetz verfassungswid-
rig ist und zweitens die Leistungssätze „evident unzurei-
chend“ sind.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Was meinen Sie mit „Ihnen“? Das waren doch die Länder!)


Das Bundesverfassungsgericht hat auch gesagt, dass
der Gesetzgeber nicht versuchen darf, durch unwürdige
Lebensbedingungen Menschen von einer Flucht nach
Deutschland abzuschrecken. Aber genau das machen Sie
weiterhin, wenn Sie an der Residenzpflicht festhalten,

wenn Sie trotz Bundesverfassungsgerichtsurteil im
Grunde genommen keine neue Regelung schaffen, wenn
Sie weiterhin die Unterbringung von Flüchtlingen in La-
gern veranlassen oder wenn Sie nur Sachleistungen ge-
währen wollen. Diese Politik folgt der Logik der Ab-
schreckung. Sie muss endlich beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Frieser [CDU/CSU]: Das hat doch mit der Realität nichts zu tun!)


Trotz dieser Abschreckungspolitik kommen viele
schutzsuchende Menschen nach Deutschland, die hier
nicht immer auf Schutz hoffen können. Gerade gibt es
den aktuellen Fall von Herrn Singh Bhullar, der vor vie-
len Jahren aus Indien eingereist ist und dann vom Frank-
furter Flughafen abgeschoben wurde. Er ist gerade zum
Tode verurteilt worden. Das Verwaltungsgericht Frank-
furt hat seinerzeit diese Abschiebung für rechtswidrig er-
klärt. Als er nach Indien abgeschoben wurde, ist er in-
haftiert worden, gefoltert worden, aber man hat nie
etwas von der Bundesregierung gehört. Sie reden die
Verhältnisse hier leider sehr schön. Das finde ich gar
nicht gut.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn dies ist nämlich leider kein Einzelfall. Es gibt
zum Beispiel eine Dokumentation von der Antirassis-
tischen Initiative Berlin. Danach sind seit 1993 32 Flücht-
linge in ihrem Herkunftsland zu Tode gekommen, 562 er-
litten Misshandlungen und Folter, 71 verschwanden
spurlos. Diese Zahlen sprechen meiner Meinung nach
für sich. Ich möchte hier ebenfalls erwähnen, dass ge-
rade vor wenigen Tagen Sammelabschiebungen von
Roma in Düsseldorf stattgefunden haben, obwohl klar
ist, dass die Lebensverhältnisse in Serbien und im Ko-
sovo für sie erbärmlich sind und ihnen Diskriminierung
bevorsteht. Auch das, finde ich, ist nach wie vor ein
Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


2011 haben sich 6 466 Menschen in Abschiebehaft
befunden. Das ist keine unerhebliche Zahl. All diese
Menschen haben übrigens keine Straftaten begangen.
Was mich besonders in Sorge versetzt, ist, dass darunter
viele Minderjährige sind. Allein 2011 waren es 60 Min-
derjährige, die in Abschiebegefängnissen inhaftiert wa-
ren. Auch hier muss man sagen: Deutschland ist das
einzige Land innerhalb der EU, das Kinder in Abschie-
behaft nimmt. Wir hatten dazu vor kurzem eine Anhö-
rung, in der die Bundesregierung wiederum nicht davon
zu überzeugen war, die Kinderrechtskonvention anzu-
erkennen. Das bedeutet, dass weiterhin Kinder inhaftiert
werden können. Ich halte es wirklich für einen Riesen-
skandal, dass so etwas in Deutschland möglich ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD])


Abschiebehaft bedeutet: Menschen werden einge-
sperrt, obwohl sie keine Straftaten begangen haben. Das
ist meiner Meinung nach eines Rechtsstaates unwürdig.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)


So viel Würde muss sein, dass man Menschen nicht in-
haftiert.

Deswegen ist für die Linke ganz klar, dass dieses bru-
tale Zwangsinstrument endlich abgeschafft werden
muss, also die Abschiebegefängnisse geschlossen wer-
den müssen. Zudem müssen das Asylbewerberleistungs-
gesetz, die Residenzpflicht und die Lagerunterbringung
endlich abgeschafft werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723817500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die
Menschenwürde von Flüchtlingen ist migrationspoli-

tisch nicht relativierbar – Konsequenzen aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleis-
tungsgesetz ziehen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12674, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11663 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 15. Mai 2013, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute, liebe Kolleginnen und Kollegen.