Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Ich begrüße Sie alle herzlich zur 229. Sitzung desBundestages. Ich hoffe, dass sich im Laufe des Vormit-tags die Regierungsbank noch teilweise füllt, und be-grüße einzelne Mitglieder der Bundesregierung stellver-tretend für dieselbe.Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf auf-merksam machen, dass die für heute verlangte AktuelleStunde zur Haltung der Bundesregierung zur Durchset-zung des Leistungsprinzips bei exorbitanten Managerge-hältern nicht stattfindet.
– Der Antrag auf diese Aktuelle Stunde ist zurückgezo-gen. Damit ist das Thema ja nicht erledigt. Die ent-täuschten Zwischenrufe werden also bei anderer Gele-genheit sicher zur Geltung kommen können.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 csowie die Zusatzpunkte 11 und 12 auf:28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ab-schirmung von Risiken und zur Planung der Sa-nierung und Abwicklung von Kreditinstitutenund Finanzgruppen– Drucksache 17/12601 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzungder Richtlinie 2011/89/EU des EuropäischenParlaments und des Rates vom 16. November2011 zur Änderung der Richtlinien 98/78/EG,2002/87/EG, 2006/48/EG und 2009/138/EGhinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigungder Finanzunternehmen eines Finanzkonglo-merats– Drucksache 17/12602 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss Rechtsausschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung des Investmentsteuergesetzes und ande-rer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz
– Drucksache 17/12603 –Überweisungsvorschlag:FinanzausschussZP 11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDPFinanzstabilität sichern – Regulierung system-relevanter Finanzinstitute und des internatio-nalen Schattenbanksystems– Drucksache 17/12686 –ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEin neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-märkte: Erpressungspotenzial verringern –Geschäfts- und Investmentbanking trennen– Drucksache 17/12687 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Einen Wider-spruch dazu höre ich nicht. Also können wir offenkundigso verfahren.
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28614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Finanz-minister das Wort, der im Unterschied zu anderen bereitsgleich zu Beginn dieser Sitzung im Saal war. – Bitteschön.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sollteich hier auch reden, wenn ich nicht da wäre!
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Abschirmungvon Risiken und zur Planung der Sanierung und Ab-wicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen gehenwir einen weiteren Schritt auf dem Weg, Konsequenzenaus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 zu zie-hen und unser Finanz- und Bankensystem insgesamt kri-senfester, stabiler zu machen.Weil die Vielzahl der einzelnen Regelungsschritte aufglobaler, auf europäischer und auf nationaler Ebenemanchmal fast schon verwirrend sein kann, ist es immerwieder wichtig, dass man sich die Zusammenhänge klar-macht bzw. sich darüber vergewissert.Funktionierende Finanzmärkte – das ist der Aus-gangspunkt all dessen, was wir 2008 diskutiert haben –sind für eine hoch arbeitsteilige, global aufgestellte Wirt-schaft unverzichtbar. Eine Krise in den Finanzmärktenbedeutet eine Krise für die Wirtschaft insgesamt. Funk-tionierende Finanzmärkte sind von daher wie eine funk-tionierende Energieversorgung Teil der öffentlichenDaseinsvorsorge. Deswegen müssen die Finanzmärktestabil gehalten werden, und es muss dafür gesorgt wer-den, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Bereichennicht das ganze System in Gefahr bringen.Im Übrigen müssen die Chancen und die Risiken ab-gewogen werden. Chance und Risiko müssen immer ineinem angemessenen Verhältnis stehen; andernfalls gibtes Fehlanreize.
Die Banken und die Finanzinstitute brauchen also genü-gend Kapital, damit sie krisenfest sind. Wir brauchen inEuropa funktionierende Aufsichtsinstitutionen auf natio-naler Ebene. Wenn es irgendwo in einem Teil Fehlent-wicklungen gibt – das gibt es immer in der Wirtschaft –,dann muss sichergestellt sein, dass sich daraus keine Ri-siken, keine nachteiligen Entwicklungen für das Systemals Ganzes ergeben können. Das ist die sogenannte An-steckungsgefahr.Weil sich das alles auf globaler und auf europäischerEbene abspielt, müssen zum Erhalt der Wettbewerbsfä-higkeit, die für alle Finanzinstitute und Banken einegroße Rolle spielt, natürlich globale oder wenigstens eu-ropäische Regelungen getroffen werden, die zusammenmit nationalen Regelungen ein sich verzahnendes Sys-tem ergeben. Das ist etwa ein ganz wichtiger Gegen-stand der Debatte um die Finanztransaktionsteuer. Allesind dafür, dass wir diese Steuer auf globaler Ebene ein-führen. Aber wir wissen natürlich, dass es beachtlicheGegenargumente gibt, sobald man sie nicht global ein-führen kann.In diesem Zusammenhang ist allerdings ein weiteresArgument zu bedenken: Wenn der Langsamste dasTempo bestimmt, dann geschieht gar nichts. Das Fest-halten an der Forderung nach globaler Regulierung isthäufig der Grund dafür, dass insgesamt nichts geschieht.Insofern müssen wir gelegentlich national Vorreiter inder Regulierung sein. Das sind wir in dieser Legislatur-periode mehrfach gewesen. Wir mussten uns immer kri-tisch fragen lassen, ob unsere Politik richtig ist. Wirhaben immer gesagt: Wir handeln im Vorgriff auf euro-päische Regelungen. So haben wir zunächst einmal na-tional die ungedeckten Leerverkäufe verboten. Dafürsind wir kritisiert worden. Zwei Jahre später gab es eineentsprechende europäische Regelung. Wären wir inDeutschland nicht vorangegangen, wäre es nicht zu die-ser Regelung gekommen.
So haben wir mit dem Restrukturierungsgesetz Re-geln eingeführt, die ermöglichen, dass Banken, die inSchwierigkeiten sind, geordnet abgewickelt werden. Zu-gleich haben wir angefangen, einen Fonds aufzubauen,der sicherstellen soll, dass die Banken selbst die Kostensolcher Aktionen tragen. Das geht nicht über Nacht. Dasnotwendige Kapital kann nur allmählich erarbeitet wer-den. Auch in diesem Bereich haben wir national ange-fangen, im Vorgriff auf die europäische Regelung.Im Augenblick sind wir dabei, mit nationalen Regelnden übertriebenen Hochfrequenzhandel wegen seiner ge-fährlichen Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu regu-lieren. Auch das tun wir im Vorgriff auf europäische Re-gelungen, nicht um sie zu ersetzen, sondern um sie zubeschleunigen, um sie weiter voranzubringen.Genau dieser Philosophie folgt der vorliegende Ge-setzentwurf, mit dem wir den Banken Abwicklungs- undSanierungspläne für den Fall, dass etwas schiefgeht, vor-schreiben. So wollen wir eine geordnete Abwicklungschwächerer einzelner Teile ermöglichen, ohne dass dieGefahr der Ansteckung für das gesamte Institut entstehtund so der gesamte Finanzmarkt in Gefahr gerät. DieAbschirmung von Risiken aus den unterschiedlichen Ge-schäftsfeldern ist der schwierigste und kompliziertesteTeil dieser gesetzlichen Regelung. Wir versuchen, Wegezu finden, wie wir Eigenhandel, Investmentbanking unddie normalen Bankgeschäfte so voneinander abgrenzenkönnen, dass Risiken in einem Bereich keine Anste-ckungsgefahren für andere Bereiche bedeuten können.Dazu muss man im Übrigen sagen: Das Universal-bankensystem in Deutschland hat sich über Jahrzehntebewährt, und es ist nicht die Ursache der Bankenkrisegewesen. Die global tätigen Unternehmen brauchenDienstleistungen von Banken aus einer Hand. Das Uni-versalbankensystem hat sich insgesamt bewährt. Manmuss allerdings die Entwicklung auf den Finanzmärktenin den zurückliegenden Jahrzehnten berücksichtigen: Esgab eine enorme Innovationsfähigkeit hin zu immer
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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komplexeren Produkten. Die Vielfalt der modernenFinanzprodukte und die Vielfalt der modernen Finanz-marktteilnehmer hat außerdem dazu geführt, dass dieFinanztransaktionen um ein Vielfaches stärker gestiegensind als das reale Bruttoinlandsprodukt, sei es in Europa,sei es weltweit. Zugleich ist der Anteil der Finanztrans-aktionen, der mit der realen Ökonomie unmittelbar zutun hat, am Gesamtmarkt der Finanztransaktionen im-mer geringer geworden. Daraus hat sich die Debatte er-geben, ob wir bessere Abschichtungen der Risiken imgesamten Bankensystem vornehmen können. Diese De-batte wird überall in der Welt geführt.In den Vereinigten Staaten wurde die „Volcker Rule“eingeführt. Das wird auch für Europa gefordert; dasmuss im Einzelfall aber genau abgegrenzt werden. Es istnämlich schwierig, weil man einem Devisengeschäft ei-ner Bank nicht unmittelbar ansieht, ob es für einen Kun-den gemacht wird oder ob es gemacht wird, um zukünf-tig einen entsprechenden Kundenbedarf erfüllen zukönnen, oder ob es auf eigene Rechnung gemacht wird.Das können die Ökonomen zwar abstrakt voneinanderabgrenzen. Dies aber in einem Gesetz zu formulieren, istschwierig.In Großbritannien geht man mit dem Vickers-Report ei-nen etwas anderen Weg. In Europa hat man die Liikanen-Kommission beauftragt, die die Fragen intensiv disku-tiert hat. Daraus wollen wir eine europäische Regelungableiten. Gemeinsam mit der französischen Regierunghaben wir uns entschieden, unseren nationalen Gesetz-gebern vorzuschlagen, den relativ unstreitigen Teil derEmpfehlungen des Liikanen-Reports im Vorgriff in na-tionale Gesetzgebung umzusetzen. Wir wollen damitkeine europäische Regelung ersetzen, sondern das Zu-standekommen einer europäischen Regelung befördern.Im Übrigen wollen wir damit dazu beitragen, dass bei ei-ner europäischen Regelung ein wenig aus den nationalenErfahrungen Frankreichs und Deutschlands geschöpftwerden kann. Deswegen gehen wir diesen Weg.Der Liikanen-Report besagt ja letztendlich, dass mannicht wirklich abgrenzen kann, was Eigenhandel undwas Kundenhandel ist. Das ist ja das eigentliche Pro-blem. Deswegen sagen wir: Ab einer bestimmten Grö-ßenordnung, also wenn die Bank Handelsaktivitäten vonüber 100 Milliarden Euro hat oder wenn dieser Teil derGeschäfte mehr als 20 Prozent des Volumens der Ge-schäfte der Bank beträgt, sollen diese Geschäftsbereichevoneinander getrennt werden in eigene rechtlich abge-schichtete Institute mit entsprechenden Haftungsbegren-zungen.Daraus ergibt sich das Problem, dass die Banken,wenn sie diese Größenordnung erreicht haben, die Pro-dukte für ihre Kunden nicht mehr vorrätig halten kön-nen. Sie können in dem Geschäftsfeld, in dem Kunden-geschäfte getätigt werden, ja nicht auf Auftrag tätigwerden, sondern sie müssen die Leistung vorrätig halten.Das ist das sogenannte Market Making. Deswegen sagenwir: Den eindeutigen Eigenhandel spalten wir ab. DasMarket Making übertragen wir in die Zuständigkeit derBankenaufsicht, damit sie im Einzelfall prüfen kann, obdas Market Making in erster Linie dem Kundengeschäftoder angesichts seiner Größenordnung doch eher demEigenhandel der Bank dient. Damit können wir Erfah-rungen sammeln, wie die Empfehlungen des Liikanen-Reports tatsächlich in der Praxis zu handhaben sind.Das ist der Kern des Problems. Darüber muss mannicht so furchtbar viele Grundsatzstreitigkeiten führen.Ich glaube, es ist vernünftig, dass wir bei der Regulie-rung von Banken nicht das Kind mit dem Bade ausschüt-ten, sondern immer daran denken, dass die Funktion undLeistungsfähigkeit unserer Banken in einem starkenMaße vom Erfolg auf den Weltmärkten abhängt. Esmuss also auch im Auge behalten werden, dass die Wirt-schaft nicht beeinträchtigt wird.
Dann sehen wir schließlich vor, die Strafbarkeit vonManagern und Verantwortlichen der Finanzinstitute beiFehlverhalten im Risikomanagement entsprechend zuverschärfen, weil die geltenden strafrechtlichen Vor-schriften nicht ausreichen. Das sind die drei Elementedieses Gesetzentwurfs.Ich will darauf hinweisen, dass wir mit diesen Maß-nahmen unsere Bemühungen fortsetzen, Schritt fürSchritt einen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte zuschaffen. Wir haben in dieser Legislaturperiode viel er-reicht. Ich möchte mich auf diesem Weg bei allen Frak-tionen des Hauses für die Zusammenarbeit herzlich be-danken. Wir werden diesen Weg konsequent fortsetzen.Es leiten uns dabei die folgenden Prinzipien: erstens,das Finanzsystem krisenfester zu machen, zweitens, dieVerursacher immer an den Kosten der Krise zu beteili-gen, drittens, der Haftung wieder Geltung zu verschaf-fen, viertens, die Transparenz auf den Finanzmärkten zuerhöhen, und fünftens, die Aufsicht auf deutscher wieauf europäischer Ebene funktionsfähiger zu machen.So schaffen wir Schritt für Schritt einen neuen Ord-nungsrahmen für die Finanzmärkte. Das Trennbanken-gesetz ist dabei ein wichtiger Schritt. Ich bitte Sie um zü-gige Beratung und um Zustimmung zum Gesetzentwurf.
Der Kollege Joachim Poß erhält nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!2008 hat die Lehman-Pleite die Finanzmärkte weltweiterschüttert. 2010 hat sich mit aller Macht der schädlicheEinfluss von Banken und Finanzspekulanten in der Krisein Griechenland, Irland, Spanien gezeigt. Vor allem imHerbst 2011 wurde an vielen Orten im Rahmen derOccupy-Bewegung gegen die Bankenmacht demons-triert. Und dann, Herr Bundesfinanzminister, dauert esnoch bis in den Februar 2013, bis Sie endlich reagierenund endlich einen Gesetzentwurf zur Einschränkung derBankenmacht vorlegen. So schön ist Ihre Bilanz an die-
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Joachim Poß
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ser Stelle nicht, wie Sie es vorhin versucht haben, darzu-stellen.
Sie malen sich das schöner, als es ist. Das gilt im Übri-gen auch für Ihre Konsolidierungspolitik wie für IhreSteuerpolitik. Ihre Bilanz ist alles andere als überzeu-gend. Das gilt auch für den Bereich „Einschränkung derBankenmacht“.
Dass Sie jetzt einen entsprechenden Gesetzentwurfvorlegen, hat nur einen Grund: Sie wollen noch schnelldas Thema Banken besetzen,
damit es Ihnen im anstehenden Wahlkampf nicht auf dieFüße fällt.
Wären Sie, Herr Schäuble, tatsächlich an einer Lösunginteressiert, die Bankenmacht und deren Erpressungs-potenzial wirksam einzuschränken, was dringend not-wendig wäre, hätten Sie schon viel eher agiert. IhreRegierungszeit als Finanzminister dauert jetzt schondreieinhalb Jahre an. Dieses jahrelange Zögern könnenSie nicht damit rechtfertigen, dass Sie auf die Empfeh-lungen von Experten gewartet haben. Es gab schon vordem Liikanen-Bericht Überlegungen der OECD, Dis-kussionen über die „Volcker Rule“ in den USA, auch derVickers-Report ist in diesem Zusammenhang zu nennen.
Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem heute zuberatenden Gesetzentwurf bereits um einen Teil IhresBundestagswahlkampfes.
Große Fortschritte im Kampf um die Begrenzung derBankenmacht sind mit Ihrem Gesetz auf jeden Fall nichtzu erzielen. Dafür fehlt es dem Gesetz an Reichweiteund an Biss.
Dass zum Beispiel Herr Fitschen von der DeutschenBank diesen Gesetzentwurf ablehnt, ist sein Job, dafürwird er bezahlt.
Aber das ist noch lange kein Beleg dafür, dass das Ge-setz tatsächlich ausreicht und das angestrebte Ziel er-reicht.Ein Grundübel dieses Gesetzes ist es, dass es in sei-nem zentralen Teil aufgrund falsch gesetzter Schwellen-werte und Größengrenzen im Ergebnis vermutlich nurwenige große Banken trifft.
Ich frage mich: Warum sollen eher mittelgroße Bankenmit den Einlagen der Kunden weiterhin hochriskanteGeschäfte machen dürfen? Warum soll das nur den ganzGroßen verboten werden? Dafür gibt es keinen Grund,Herr Bundesfinanzminister.
Ein weiterer Punkt, warum Ihr Gesetz nicht ausreicht:Die Abschirmung des Einlagen- und Kreditgeschäftsvom Eigenhandel und anderen riskanten Geschäftenwird von Ihnen nicht mit der nötigen Konsequenz durch-geführt. Der Gesetzentwurf enthält zu viele Ausnahmenund lässt den betroffenen Instituten, so zum Beispielauch der Deutschen Bank, immer noch zu viel Spielraumfür spekulative und riskante Geschäfte.Wenn Ihr Gesetzentwurf in der vorliegenden Formverabschiedet wird – Sie haben ja angedeutet, dass Siefür Verbesserungsvorschläge, die im Rahmen der weite-ren Beratung eingebracht werden, offen sind –,
werden wir es nicht schaffen, die Einlagen der Kundenund Sparer vor Verlusten aus spekulativen und riskantenGeschäften zu schützen. Es ist aber unser Ziel, diese Ein-lagen zu schützen.
Mit Ihrem Gesetz bleibt das Risiko hoch, dass großeBanken in der Krise weiter dem Steuerzahler auf der Ta-sche liegen können. Auch das wollen wir verhindern.Das ist unser Ziel.
Sie bleiben auch hinter der derzeit auf EU-Ebene ver-handelten Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung vonKreditinstituten zurück. So fordert die EU-Kommissionzum Beispiel die Absetzung der Geschäftsleitung bei ge-scheiterten Banken. Sie dagegen, Herr Schäuble, haltendas nicht für notwendig und sehen hierzu zahlreicheAusnahmen vor.Ihr Gesetz mag die betroffenen großen Banken einwenig ärgern, aber es wird nicht wirklich etwas ändern.Ein echtes Trennbankenregime wird so jedenfalls nichtetabliert.Während der gesamten, jetzt fast abgelaufenen Legis-laturperiode, in der Sie die Verantwortung im Finanz-ministerium tragen, Herr Schäuble, sind die Banken vonIhnen unterm Strich doch eher geschont worden. DenkenSie nur an die kümmerliche Bankenabgabe, die Sie ein-geführt haben und die die Banken fast aus der Portokassezahlen können.
Einen Abwicklungsfonds, der den Steuerzahler aus derStaatshaftung für die Risiken der Banken befreit, könnenSie so auf jeden Fall nicht füllen.In einem Namensartikel in der Börsen-Zeitung vom27. Februar 2013 bezeichnen Sie richtigerweise nichtdas heute zu beratende Gesetz als „zentrales Projekt der
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Joachim Poß
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Bankenregulierung“, sondern die Umsetzung von Ba-sel III. Bei dieser Umsetzung haben Sie aber jetzt wiederzeitlich Leine gelassen, damit die Briten die Möglichkeithaben, die bereits getroffene Vereinbarung über die Be-grenzung von Bankerboni aufzuweichen. Das war einklarer Fehler. Es ist nicht zu erwarten, dass man hinsicht-lich der Zustimmung der City of London auf diesemFeld wirklich vorankommt. Das ist leider so.
– Ich kenne die Argumente, die dort ausgetauscht wer-den. Das habe ich Ihnen nicht vorgeworfen. Ich habe nureine Feststellung getroffen.
Bei genauerem Hinsehen ist und bleibt Ihre Bilanzhinsichtlich der Banken- und Finanzmarktregulierungmager. Das sieht man auch an der entsprechenden Auf-stellung Ihres Ministeriums „Informationen aus demBundesfinanzministerium – Neuer Ordnungsrahmen fürdie Finanzmärkte“. Man kann sehr gut erkennen, dassdas allermeiste die Umsetzung von EU-Rechtssetzung indeutsches Recht ist. Wenn Sie selbst initiativ gewordensind, haben Sie wie beim Restrukturierungsgesetz beiSteinbrück abgeschrieben,
oder Sie springen wie bei dem heute zu lesenden Gesetz-entwurf oder dem Entwurf eines Hochfrequenzhandels-gesetzes viel zu kurz. Sie versuchen lediglich, durchviele Worte das alles zu einem großen Feldzug gegenBanken und Finanzmärkte aufzubauschen; aber die Fak-ten, Herr Schäuble, sprechen eine andere Sprache. IhreRegulierungsvorschläge sind oftmals nicht mehr alsheiße Luft.
Warum kämpfen Sie denn nicht in Brüssel für ein euro-paweit einheitliches Bankenrestrukturierungs- und -ab-wicklungsregime, das zeitgleich mit der europäischenBankenaufsicht kommt und nicht erst am Sankt-Nim-merleins-Tag? Warum hat Ihr großes Haus mit den vie-len Beamten und Experten noch keinen Aktionsplan ge-gen das Schattenbankenproblem erarbeitet? BeklagenSie nicht die Probleme, sondern fangen Sie an, wirklichzu arbeiten! Verstecken Sie sich nicht hinter EU-Kom-mission oder Financial Stability Board! Ihre Politik,Herr Schäuble, ist keine Erfolgsstory, sondern ein Regu-lierungsversäumniskatalog.
Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Björn Sänger
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Poß, die Argumentation, die Sie hierabgeliefert haben, war vorhersehbar.
Sie zieht sich wie ein roter Faden – welche Farbe sollteder Faden bei Ihnen auch sonst haben? –
durch sämtliche Diskussionen. Sie lautet, es habe zulange gedauert. Dazu sage ich: Ja, nach der Regulierungder Ratingagenturen,
nach dem Verbot der Leerverkäufe, nach der Regulie-rung des Hochfrequenzhandels, nach der Regulierungder Fondsbranche, nach der Regulierung des grauen Ka-pitalmarktes, nach der Regulierung der Vergütungssys-teme und Boni in Instituten, nach der Regulierung desDerivatehandels, nach der Regulierung der Kreditver-briefung – ich könnte noch zig weitere Vorhaben anfüh-ren – hat es in der Tat etwas gedauert, bis wir nun heutedieses wichtige Regulierungsvorhaben auf dem Tischhaben.Lieber Herr Kollege Poß, Sie sind nicht so häufig imFinanzausschuss; aber jedes Mal, wenn wir derartigeVerfahren im Ausschuss diskutieren, sind es Ihre Kolle-gen, die sagen, dass das alles irgendwie viel zu schnellgehe, man sich doch etwas mehr Zeit nehmen müsse. Ichfinde, da sollten Sie sich schon entscheiden und auf eineArgumentationslinie festlegen.
Es liegt jetzt ein sehr wichtiges Regulierungsvorha-ben vor. Das ist nach Umsetzung des Banken-Restruktu-rierungsgesetzes ein weiterer logischer Schritt in unse-rem Regulierungssystem. Dabei geht es um die Frage:Wie schirmt man Risiken ab? Das ist meines Erachtenseigentlich der entscheidende Regulierungsschritt; dennes geht darum, Prinzipien der sozialen Marktwirtschaftin der Finanzbranche wieder einzuführen. Dazu gehört,dass man eben auch scheitern kann. Versuch und Irrtumgehören zur sozialen Marktwirtschaft.Mit dem Banken-Restrukturierungsgesetz haben wirein Insolvenzrecht für Banken geschaffen, das derzeitleider europaweit noch einmalig ist. Mit dem heute vor-liegenden Gesetz gehen wir den nächsten Schritt, indemwir den Banken vorschreiben, Sanierungspläne zu erar-beiten und klar zu sagen, welcher Bereich überlebensfä-hig ist und wo die Risiken sind. Das muss den einzelnenGeschäftsbereichen zugeordnet werden, um im Ernstfall,wenn ein Unternehmen in der Krise ist bzw. wenn dasScheitern droht, eine geordnete Abwicklung so zu er-möglichen, dass zum einen der Einsatz öffentlicher Mit-tel vermieden – für uns ist ganz besonders wichtig, dasszuerst die Eigentümer und die Gläubiger zahlen, danach
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Björn Sänger
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erst der Staat – und zum anderen ein Weiterführen desunbelasteten Teils ermöglicht wird. Zugleich soll ver-mieden werden, dass dadurch Ansteckungspotenzialoder Risiken für den Finanzmarkt entstehen.Im Übrigen haben wir im Banken-Restrukturierungs-gesetz – das hätten Sie gesehen, lieber Kollege Poß,wenn Sie einmal hineingeschaut hätten – die Absetzungder Geschäftsleitung durch die BaFin entsprechend gere-gelt. Die BaFin kann das anordnen, wenn es notwendigwird. Insofern hilft auch hier ein Blick ins Gesetz bei derRechtsfindung.
Zur Frage, ob die Einlagen gefährdet sind: Wir inDeutschland haben ein Einlagensicherungssystem. DieEinlagen der Kleinsparer sind entsprechend abgesichertund durch das Banken-Restrukturierungsgesetz auch ge-schützt. Wir haben nämlich die entsprechenden Voraus-setzungen geschaffen, dass die Teile, die sozusagen„über die Wupper gehen“, ausgelagert werden können.Darüber hinaus entstehen ab einem gewissen Punkt– das geben wir ja zu – möglicherweise Risiken, die wirnoch einmal gesondert abschirmen wollen. Das machenwir mit einem Gesetzentwurf, der sich sehr stark an denKabinettsbeschluss anlehnt – zum Teil ist er damit iden-tisch –, den die französische Regierung am 19. Dezem-ber 2012 verabschiedet hat. Ich habe nicht unbedingt denEindruck, als ob in Frankreich turbokapitalistische Ban-kenhörige regieren. Mein Eindruck ist da eher ein ande-rer. Ich glaube, es handelt sich dabei um Ihre Freunde,die in dem Fall aber ein sehr gutes Gesetz zur Welt ge-bracht haben.Zusammen mit den Franzosen sagen wir nun: Wirschreiten voran und setzen gewissermaßen die unproble-matischen Teile aus dem sogenannten Liikanen-Reportum, um damit Erfahrungen zu sammeln und um dannauch auf europäischer Ebene handeln zu können. Wir ge-hen dabei davon aus, dass der Eigenhandel von Bankenab einer bestimmten Größenordnung möglicherweise Ri-siken birgt, die wir – zusätzlich zu den Regelungen, diewir ohnehin hier im Gesetz haben – entsprechend ab-schirmen und auslagern wollen.Es ist kein Wunder, dass sich die gesamte deutscheKreditwirtschaft – im Übrigen auch die Sparkassen –eindeutig für das Universalprinzip aussprechen. Es istauch logisch, Bankdienstleistungen aus einer Hand an-bieten zu wollen. Überlegen Sie einmal, wie sich dieMärkte global entwickeln werden. Glauben Sie dennernsthaft, dass wir angesichts der demografischen Ent-wicklung in Europa hier noch mit einem nennenswertenWachstum zu rechnen haben?
Das Wachstum findet auf anderen Märkten statt. UnsereMittelständler, die auf Export setzen werden, wenn siefeststellen, dass sie im Heimatmarkt nicht weiterkom-men, brauchen eben einen Dienstleister, der in der Lageist, sie nach Asien sowie in die Schwellenländer Latein-amerikas und nach Afrika zu begleiten.
Dazu muss eine Bank eine gewisse Größenordnunghaben. Dadurch wird eine Bank eben auch komplex;groß und einfach funktioniert also nicht. Um diese Risi-ken abschirmen zu können, haben wir diesen Gesetzent-wurf vorgelegt. Hohe Risiken werden wir auslagern, in-dem wir die Vorschläge aus dem Liikanen-Reportaufgreifen.Ich will noch auf einen anderen Bereich eingehen, derin diesem Gesetzesvorhaben enthalten ist. Auch das istnicht uninteressant. Es geht um die Regelung derFinanzkonglomerate, also Unternehmen, die in verschie-densten Bereichen der Finanzbranche tätig sind und dieVersicherungen, Fonds und eben auch Bankdienstleis-tungen anbieten. Momentan sind sie in ihrer Gänze nochnicht reguliert. Auch hier greifen wir gewissermaßeneine europäische Regelung auf, die entscheidend von derBundesregierung mit geprägt wurde, und setzen sie um.Des Weiteren – das ist der nächste Schritt, der sichhier schon am Horizont abzeichnet – kümmern wir unsdarum, dass die Schattenbanken einer Regulierung zuge-führt werden. Auf dem G-20-Gipfel in St. Petersburg istmit entsprechenden Ergebnissen zu rechnen. Hierbei un-terstützen wir die Bundesregierung – sie ist Vorreiter imBereich der Regulierung der Finanzmärkte – mit Nach-druck. Sie sollten über Ihren Schatten springen und dasebenfalls tun.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Sahra Wagenknecht
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Alle Finanzmärkte, Produkte und Akteure sollen re-guliert oder beaufsichtigt werden.Das hat die G 20 im Jahr eins der großen Finanzkrise imHerbst 2008 angekündigt. Fast fünf Jahre ist das her. Ichmuss schon sagen: Angesichts der Ausmaße und derDramatik der Katastrophe und angesichts der Billionen-kosten, die auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerabgewälzt wurden, finde ich die seither an den Taggelegte politische Untätigkeit der Verantwortlichenschlicht und ergreifend skandalös.
Fünf Jahre – und nichts hat sich daran geändert, dassim Finanzsektor obskure Papiere kreiert und aberwitzigeGeschäftsmodelle verfolgt werden, während die Kredit-vergabe an reale Unternehmen immer dürftiger wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28619
Sahra Wagenknecht
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Nichts hat sich daran geändert, dass mit diesen obskurenPapieren Monat für Monat mehr Geld verdient wird, alsbeispielsweise ein Arzt, der jede Woche Menschenlebenrettet, oder ein Ingenieur, der Hightechmaschinen kon-struiert, im ganzen Leben verdienen kann. Auch die vor-liegenden Gesetzentwürfe werden an dieser skandalösenSituation nicht das Geringste verändern.Derivate, also das, was Warren Buffett finanzielle Mas-senvernichtungswaffen nannte, sind heute im Nominal-wert von 640 Billionen Dollar auf dem Markt. Das istetwa zehnmal mehr als das, was die gesamte Weltwirt-schaft an Gütern und Leistungen produziert. 53 BillionenEuro sind inzwischen im Schattenbankensystem angelegt,also in dem unregulierten Dickicht von Hedgefonds, vonPrivate-Equity-Haien und sonstigen Finanzspekulanten,die gar keiner Aufsicht unterliegen.Auch für die Banker hat sich doch im Ernst nichtwirklich etwas verändert. Das Regulierungspaket Ba-sel III wurde von der Lobby kleingeschossen, und es istvöllig offen, ob es überhaupt jemals in Kraft treten wird.Die strengeren Liquiditätsvorgaben wurden aufgeweicht.Die höheren Eigenkapitalanforderungen sind ein Witz,solange die Banken einfach nur ihre Modelle, wie sie dieRisiken berechnen, ändern müssen. Schwupp ist dadurchdie Eigenkapitalquote höher, ohne dass ein einzigermüder Euro zusätzliches Eigenkapital aufgenommenwurde.
– Sie haben offenbar keine Ahnung.
Die Deutsche Bank hat im letzten Jahr ihre risikoge-wichteten Aktiva um 12 Prozent reduziert. Wie hat siedas gemacht? Etwa dadurch, dass sie weniger Derivateaufgelegt oder weniger in Lebensmitteln spekuliert hat?Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Hier drehtsie wieder ein ganz großes Rad. Sie hat das gemacht, in-dem sie, wie sie es selber nett formuliert, Model Im-provements nutzt. Ich kann Ihnen erklären, was das ist.Das funktioniert in etwa so wie mit dem Armuts- undReichtumsbericht. Wer glaubt, dass Armut dadurch ver-schwindet, dass man sie im Regierungsbericht nichtmehr erwähnt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Ri-siko dadurch verschwindet, dass man einfach die Be-rechnungsmethode verändert. Ich halte diese Logik fürvöllig absurd.
Das eigentliche Problem ist doch: Eine Bank, dieweiß, dass die Regierung sie niemals fallen lassen kann,hat es doch gar nicht nötig, Eigenkapital zu bilden. Diekann es sich, wie die Deutsche Bank, leisten, mitten inder Euro-Krise Boni in Höhe von 3,2 Milliarden Euro anihre Investmentbanker auszuschütten. Insgesamt habendie Banker im letzten Jahr übrigens 300 Milliarden Euroan Boni verteilt, die ganzen Dividenden, die ausgeschüt-tet wurden, nicht mitgerechnet. Angesichts solcher Zu-stände behaupten Sie, wir seien auf einem guten Weg.Vielleicht hätten Sie von der Bundesregierung, stattsich im Laufe dieser Legislaturperiode etwa hundertmalmit Investmentbankern zu treffen, sich lieber einmal mitden Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmenaustauschen sollen,
die Ihnen vielleicht plastisch geschildert hätten, wie oftsie schon mit dem Anliegen, einen langfristigen Investi-tionskredit zu bekommen, bei ihrer Bank abgeblitzt sindund was das am Ende für die Arbeitsplätze und für dieInnovationsfähigkeit der Wirtschaft bedeutet. Oder Siehätten sich vielleicht mit Familien treffen können, die inder Dispofalle festhängen und von den Banken jedenMonat mit Überziehungszinsen von 12 oder 14 Prozentabgezockt werden – von denselben Bankern, die diesesGeld praktisch gratis von der Europäischen Zentralbankbekommen.Die Wahrheit ist leider: Kein Finanzmarkt, kein Pro-dukt und kein Akteur ist heute wesentlich wirksamer re-guliert und beaufsichtigt als im Jahre 2008. Das ist einArmutszeugnis für die Politik und ein erschreckenderAusweis ihrer Abhängigkeit und Steuerbarkeit durch dieLobby der Banker und Finanzjongleure.
Herr Schäuble, Sie haben selbst öffentlich gewarnt,dass die Demokratie eine nochmalige Finanzmarktkrisein diesem Ausmaß nicht überleben würde. Ich frage Sie:Wie können Sie es dann verantworten, alles weiterlaufenzu lassen? Der Finanzmarkt ist heute doch genauso wievor fünf Jahren ein Markt ohne Haftung und Verantwor-tung, ein Markt, auf dem die normalen Gesetze, denensich alle anderen unterwerfen müssen, schlicht und er-greifend nicht gelten. Die Banken, die jahrelang den Li-bor manipuliert und sich damit Milliardengewinne er-gaunert haben, sollen nach dem Wunsch der EU-Kommission jetzt straffrei ausgehen, genauso wie auchdie ganz großen Finanzmüllproduzenten für das, was sieangerichtet haben, nie zur Verantwortung gezogen wur-den.Für die Situation, in der wir sind, tragen Sie alle eineMitverantwortung. Hätte beispielsweise Rot-Grün da-mals die Hedgefonds in Deutschland nicht zugelassen,
dann müssten wir uns gar nicht erst den Kopf darüberzerbrechen, wie diese verrückten Finanzvehikel wiederreguliert werden können.
– Das tut Ihnen weh, aber es ist leider die Wahrheit.
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28620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
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Hätte die Große Koalition die Idiotie der Kreditver-briefungen nicht ausdrücklich gefördert, dann wäre ver-mutlich weniger von diesem Müll in den Bilanzen derLandesbanken hängen geblieben. Hätte ein HerrSteinbrück nicht das Gesetz zur Bankenrettung ausge-rechnet von den Lobbykanzleien der Banker selberschreiben lassen, dann hätten sich die Probleme natür-lich auch weniger generös für die Finanzinstitute undweniger ruinös für den Steuerzahler lösen lassen.
Oder will heute noch jemand behaupten, dass es alter-nativlos war, der Commerzbank mindestens 2 MilliardenEuro zu schenken? 2 Milliarden Euro, davon könntenSie den Heizkostenzuschuss für arme Familien zehnJahre weiter zahlen.
Oder wollen Sie behaupten, dass es alternativlos war,200 Milliarden Euro in der Hypo Real Estate zu versen-ken,
nur damit der charmante Herr Ackermann seine Forde-rungen an die Hypo Real Estate nicht abschreiben muss?Dass Lobbykanzleien wie Freshfields für ihre erfolgrei-che Interessenvertretung für die Banker dann auch noch100 Millionen Euro vom Staat bekommen haben, setztdem Ganzen allerdings die Krone auf.Insoweit muss ich schon sagen: Wenn man sich an-sieht, wie erfolgreich die Finanzmafia in Deutschlandden Steuerzahler über den Tisch gezogen hat und wie en-gagiert Herr Steinbrück als damaliger Finanzminister da-bei behilflich war, dann sind die später geflossenen Ho-norare natürlich durchaus nachvollziehbar. Es ist nurschade, dass Korruption nach dem Motto „Gezahlt wirdspäter“ in Deutschland nicht strafbar ist.
Ich muss sagen: Natürlich finde ich es sympathisch,dass die SPD die Banken jetzt regulieren will; denn dassagen und fordern wir ja schon lange. Aber ich muss Siefragen: Wenn Sie ernsthaft den Banken ans Leder wol-len, wie konnten Sie dann ausgerechnet den Banken-mann Peer Steinbrück zu Ihrem Kanzlerkandidaten ma-chen? Das nimmt Ihnen doch der Dümmste nicht ab,
zumal die große Koalition der Bankenretter leider bisheute reibungslos weiterläuft.
Auch die Euro-Rettung war von Beginn an nichts an-deres als eine einzige große Bankenrettung: Etwa50 Milliarden Euro sind aus dem Rettungsschirm direktan die griechischen Banken geflossen, 5 Milliarden Eurodavon – das hat die Bundesregierung selber bestätigt –an die Eurobank des griechischen Milliardärs Latsis, derin einer Villa am Genfer See sein Leben genießt. WollenSie wirklich behaupten, dass der Euro kaputtgegangenwäre, wenn der griechische Milliardär Latsis einen Teilseines Vermögens verloren hätte?Sie reden von einem Bail-in der Gläubiger und vonHaftung; aber Sie tun alles, dass diese Haftung und die-ser Bail-in nicht kommen. Wo war der Aufschrei derBundesregierung, als die Europäische Zentralbank Ir-land unter Druck gesetzt hat, seine Banken und derenGläubiger komplett freizukaufen, obwohl das kleineLand sich dadurch eine Verschuldung aufgehalst hat, fürdie noch Generationen bluten werden? Wo ist der Auf-schrei der Bundesregierung angesichts des aktuellenRichtlinienentwurfs der EU-Kommission, nach dem eineGläubigerhaftung bis 2018 ausgeschlossen werden soll?Und hören Sie doch auf, uns zu erzählen, diese elendeBankenretterei auf unser aller Kosten wäre im Interessedes Kleinsparers! Das ist nun wirklich eine der dümms-ten Lügen.
Selbstverständlich könnten wir es in Europa machen,wie es die Isländer vorgemacht haben: Einlagen bis zueiner gewissen Höhe werden geschützt – sagen wir bis500 000 Euro; damit es wirklich niemanden trifft, der fürsein Geld hart gearbeitet hat –, alles andere allerdings– zunächst die Aktien, dann die Bankschuldverschrei-bungen und schließlich die Einlagen, die über dieseGrenze hinausgehen – geht, wenn eine Bank pleite ist, indie Insolvenzmasse ein. Wo ist denn da das Problem?Jeder Handwerksbetrieb, der für ein Unternehmen gear-beitet hat, das pleitegeht, muss seine Forderungen ab-schreiben; da springt auch nicht der Staat bzw. der Steu-erzahler rettend ein. Für so eine Regelung bräuchte mankeine dicken Gesetze und keine endlosen EU-Richtli-nien. Man hätte es in Irland und Griechenland so machenkönnen, und man könnte es jetzt in Spanien und Zypernso machen – und natürlich auch hier in Deutschland.
Wäre dieser Weg in Europa beschritten worden, dannwären die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler heute um4,5 Billionen Euro reicher. Im Gegenzug gäbe es ver-mutlich einige Milliardäre weniger, und das Vermögender europäischen Oberschicht wäre vielleicht auf das Ni-veau der 90er-Jahre zurückgestutzt. Dann könnten wir inDeutschland mehr Lehrer und mehr Krankenschwesternbeschäftigen, und in Griechenland und Spanien wärenwahrscheinlich nicht 60 Prozent aller jungen Menschenohne Arbeit und ohne Perspektive. Wäre das eine soschlechte Alternative?Ich glaube, der Nobelpreisträger Stiglitz hat völligrecht: Das Problem ist die Verbindung von Wirtschaftund Politik. – Wer Demokratie will, muss die Finanz-mafia entmachten, statt sich von ihr einkaufen zu lassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28621
Sahra Wagenknecht
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Wir brauchen in Deutschland keine große Koalition derBankenretter. Was wir brauchen, ist eine Politik, die end-lich den Mut aufbringt, den Zockern das Handwerk zulegen. Dafür werden wir als Linke weiterhin streiten.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Schick,Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach dem Standardvortrag von Sahra Wagenknechtwäre es einmal sinnvoll, über die Anträge und Gesetz-entwürfe, die vorliegen, zu sprechen.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass in diesemHaus eigentlich eine ganz große Einigkeit herrscht; denndie Begrifflichkeiten haben sich irgendwie angenähert:Auf beiden Seiten des Hauses ist von einem Trennban-kensystem die Rede, auf beiden Seiten des Hauses istvon Sanierungsplänen für Banken die Rede, und es istallgemein von einer Bankenunion die Rede. Die Unter-schiede sind trotzdem sehr relevant, was ich im Folgen-den deutlich machen will; denn es kommt darauf an, washinter den gerade in Wahlkampfzeiten üblichen Über-schriften steckt. Schauen wir uns die Punkte also im Ein-zelnen an:Erster Punkt: Trennbankensystem. Unsere Fraktionhat im Oktober 2011 einen Antrag vorgelegt und darinvorgeschlagen, dass man sich in Deutschland einmal da-mit beschäftigt, wie wir mit dem Problem der system-relevanten Großbanken umgehen können, ohne dass esSchäden für unsere Volkswirtschaft gibt. Wir haben vor-geschlagen, dass man bis September 2012 zusammenmit Fachleuten eine Analyse dazu durchführt, um aufdieser Grundlage ein gutes Gesetz für Deutschland ma-chen zu können.Sie haben das damals abgelehnt. In kurzer Frist legenSie jetzt schnell einen Gesetzentwurf vor, für den Siesich noch nicht einmal die Struktur in Deutschland ange-schaut haben; sie ist dort nicht eingegangen. Sie habeneinen Gesetzentwurf vorgelegt, ohne sich vorher die Be-rechnungen anzuschauen. Sie haben jetzt über die BaFinBerechnungen in Auftrag gegeben und werden diesenGesetzentwurf noch ziemlich deutlich ändern müssen,weil Sie im Wahlkampf erst einmal schnell etwas vorle-gen wollten, ohne sich die Fakten vorher richtig anzu-schauen. Meine Prognose ist, dass wir darauf noch ein-mal zurückkommen werden.Das Entscheidende ist aber: Es gibt inzwischen längsteinen Politikprozess auf europäischer Ebene. Es gibt denLiikanen-Vorschlag. Eine Expertenkommission aufeuropäischer Ebene hat genau das gemacht, was wirGrüne für Deutschland vorgeschlagen hatten, und hatentsprechende Vorschläge vorgelegt. Was passiert jetzt?Die Opposition, SPD und Grüne, fordern, diese Vor-schläge aufzugreifen und gesetzgeberisch umzusetzen;denn Leute haben sich das fachkundig angeguckt und ei-nen guten Vorschlag gemacht.
Aber was macht die Bundesregierung? Sie legt jetzteinen Gesetzentwurf vor, der inhaltlich hinter diesenVorschlägen bleibt, und tut so, als sei sie der Motor füreine bessere Regulierung in Europa. Das ist doch ab-surd!
Sie bremsen einen bestehenden Politikprozess in Europaund wollen sich als Motor verkaufen. Das ist nicht nurWahlkampf, das ist richtig schlechter Wahlkampf, weilSie die Dinge völlig verdrehen.
In der Stellungnahme für den Finanzausschuss sagtProfessor Krahnen, Mitglied der Kommission, die dieeuropäischen Vorschläge vorgelegt hat – ich zitiere –:Nach unserem Ermessen läuft der Gesetzesentwurfin seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch Gefahr,zwar symbolträchtig zu sein, aber in der Zielerrei-chung hinsichtlich Stabilität des Finanzmarktes undSchutz von Einlegern und Steuerzahlern hinter denErwartungen zurückzubleiben.Das zeigt genau: Es gibt konkrete Vorschläge für Trenn-banken, die wir als Opposition unterstützen, und es gibthier einen Wahlkampfgesetzentwurf, der in seiner Sub-stanz den Schutz von Steuerzahlern nicht erreicht.
Zweiter Punkt: Sanierungspläne/Abwicklungspläne.Wir fordern das seit langem, und das ist auch richtig.Entscheidend ist aber doch: Findet das wirklich so statt,dass Banken im Ernstfall abgewickelt werden können?Wer ist dafür eigentlich verantwortlich? Die Koalitionsagt: Die Banken sollen einmal etwas aufschreiben, aberletztlich bleibt die Bankenaufsicht verantwortlich. – Ja,Moment! Wir lassen doch die Banken nicht aus der Ver-antwortung, für ihre eigenen Probleme geradezustehen.Deswegen steht in unserem Antrag, dass die Verantwor-tung für die Sanierungspläne und dafür, dass eine Bankohne Steuerzahlergeld abgewickelt werden kann, bei denBanken liegen soll. Und das ist auch richtig so.
Dritter Punkt: Bankenunion. In Ihrem Antrag schrei-ben Sie jetzt auch etwas von Restrukturierungsfonds,aber Sie wollen nationale Restrukturierungsfonds.
– Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag! Da steht dochetwas von nationalen Restrukturierungsfonds.
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28622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. Gerhard Schick
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Es kommt zu dem Dilemma, dass eine europäischeAufsicht, die gerade auf den Weg gebracht wird, vor derEntscheidung steht, was gemacht werden soll, wenn eingroßes, grenzüberschreitendes Institut in Schieflage ge-rät. Sollen sich Mitgliedstaaten, die nationale Restruktu-rierungsfonds haben, darüber streiten, was gemachtwird, was über Monate zu Problemen führt und dazu,dass im Ernstfall wieder der Steuerzahler einspringenmuss? Nein! Wir sagen, es soll einen von den Bankenfinanzierten europäischen Abwicklungsfonds geben, da-mit der Steuerzahler in der Euro-Zone nie wieder in dieVerlegenheit kommt, mit seinem Geld in Anspruch ge-nommen werden zu müssen. Das ist der entscheidendeUnterschied: Sie lassen es nach wie vor zu, dass derSteuerzahler das Risiko hat, wir wollen den Steuerzahlerschonen und die Banken mit ihrem Fonds zahlen lassen.
Wir diskutieren gerade über das Thema Zypern. Hiermuss man eine Sache einmal sehr ernst nehmen: Wo wä-ren wir denn heute, wenn wir den Vorschlag von Kom-mission und Parlament, der schon seit über zwei Jahrenauf dem Tisch liegt, bereits umgesetzt hätten? Dannmüsste man jetzt nicht langwierige Verhandlungendurchführen, in deren Verlauf das Geld aus dem zyprioti-schen Bankensektor abfließt, sondern dann könnte eineeuropäische Bankenabwicklungsinstitution, der von unsvorgeschlagene europäische Bankenabwicklungsfonds,die betroffenen Banken zügig sanieren und die Gläubi-ger zur Kasse bitten. Wir würden damit den Steuerzah-ler, auch den deutschen Steuerzahler, mit einem Hilfs-paket für Zypern nicht so belasten müssen, wie das jetztder Fall ist.Man sieht, wie gefährlich es ist, bei den Fragen be-züglich der Bankenregulierung so zögerlich unterwegszu sein und immer wieder auszubremsen, wie es dieseKoalition tut. Wir werden im Gesetzgebungsprozess da-rauf drängen, dass die Verantwortung hier klar wird. Essoll, wie auf europäischer Ebene vorgeschlagen, einrichtiges Trennbankensystem und Sanierungspläne, beidenen die Verantwortung bei den Banken verbleibt, ge-ben. Darüber hinaus wollen wir den Steuerzahler mit ei-nem europäischen Bankenabwicklungsfonds, in den dieBanken einzahlen, schonen.Danke schön.
Klaus-Peter Flosbach ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AlsHerr Poß seine Rede hier gehalten hat, habe ich gedacht:Warum sagt er eigentlich nichts zu dem Antrag? Warumpoltert er ausschließlich herum?Ich habe dann auch an den Montag gedacht, als Sieein Papier mit dem Titel „Deutschland besser und ge-rechter regieren“ vorgelegt haben.
Darin stehen auf 4 von insgesamt 102 Seiten ein paarBemerkungen zu den Finanzmärkten. Dieses Papier ent-hält ein paar Allgemeinplätze, aber keine konkreten For-derungen. Das zeigt doch im Grunde nur, dass Sie sauersind. In jeder Debatte zeigt sich, dass Sie sich darüber är-gern, dass wir in dieser Koalition so viel geregelt haben.Wo bleibt Ihr Anspruch, es noch besser zu machen, alswir es gemacht haben?
Ich weiß, dass die SPD es besser machen will. Aber Siebeweisen hier jedes Mal aufs Neue, dass Sie es wohldoch nicht besser können.
Keine Bundesregierung zuvor hat so viel im Finanz-markt geregelt wie diese Bundesregierung, und zwarnicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf euro-päischer Ebene. Wir sind der Antreiber auf der G-20-Ebene, und in vielen Bereichen innerhalb Europas sindwir der Vorreiter und Initiator für neue Gesetze.
Daher haben wir hier eine stabile Wirtschaft. Wir ha-ben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchste Er-werbsquote. Gerade im Finanzmarkt sind wir deutlichstabiler aufgestellt als viele andere Länder. Wenn manmit den Amerikanern oder Engländern spricht, dann be-stätigen uns diese, dass wir ein klar umrissenes Systemhaben. Wir haben auf vielen Ebenen reguliert, aber wirhaben die Wirtschaft nicht kaputtgemacht.Wir haben auch die Finanzwirtschaft nicht kaputtge-macht. Denn wir haben ein bankenbasiertes Wirtschafts-system. Die Unternehmen brauchen Kredite. Sie brau-chen Banken, die sie bei ihrem internationalen Geschäftbegleiten. Schließlich gehen 40 Prozent unserer wirt-schaftlichen Leistung ins Ausland. Dafür brauchen wirein funktionierendes Bankensystem, aber keine rotenAmpeln, wie sie von Ihrer Seite gefordert werden.
Wir sprechen heute, liebe Kolleginnen und Kollegen,über ein Gesetz zur Planung der Sanierung und Abwick-lung von Banken. Wir betrachten dieses Gesetz nichtisoliert. Vielmehr ist es einer der wichtigen Bausteine imOrdnungsrahmen für die gesamte Finanzwirtschaft. Wirwerden voraussichtlich in der nächsten Woche den Eini-gungsprozess auf der europäischen Ebene über Basel IIIerleben. Basel III regelt die Eigenkapital- und Liquidi-tätsanforderungen an Banken; das ist einer der wichtigs-ten Bereiche, von denen viele nach dem Ausbruch derKrise bereits angegangen worden sind.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28623
Klaus-Peter Flosbach
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Wir haben in Europa gemeinsam den außerbörslichenDerivatehandel geregelt. Wir haben uns mit den Rating-agenturen befasst. Wir haben gerade in dieser Wocheeine Anhörung zur Regulierung von Hedgefonds, Pri-vate-Equity-Unternehmen, Investmentfonds und von of-fenen Immobilienfonds und geschlossenen Fonds durch-geführt.Wir haben auf nationaler Ebene in mehreren Gesetzenden Anlegerschutz gestärkt, und wir haben ein europäi-sches Aufsichtssystem geschaffen. Wir werden bei derEuropäischen Zentralbank die Europäische Bankenauf-sicht ansiedeln, um systemrelevante Banken kontrollie-ren zu lassen. Zusätzlich gibt es eine Aufsicht über Ver-sicherungen und Wertpapiere.Wir sind – das hat auch der Bundesfinanzministervorhin deutlich gemacht – in vielen Bereichen Vorreiter.Wir waren die Ersten, die die Leerverkäufe verboten ha-ben, und waren damit Initiator für Europa. Wir habenhier vor 14 Tagen den Hochgeschwindigkeitshandel be-handelt und Regulierungen in diesem Bereich auf denWeg gebracht. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.Nur in Deutschland gibt es eine Regulierung des Hoch-geschwindigkeitshandels.Wir haben das Restrukturierungsgesetz geschaffen.Das heißt: Wir in Deutschland sind in der Lage – dafürgibt es die rechtlichen Voraussetzungen –, Banken abzu-wickeln. Auch dies ist wieder die Blaupause für Überle-gungen auf europäischer Ebene. Meckern Sie also nichtherum, sondern machen Sie lieber mit, und unterstützenSie die Bundesregierung in diesen Fragen!
Das Restrukturierungsgesetz behandelt die rechtli-chen Grundlagen einer Abwicklung und Sanierung. Wirwollen aber nicht zwingend abwickeln und sanieren,sondern wir wollen Vorsorge treffen, präventiv arbeiten.Dafür ist dieses Gesetz da. Wir wollen, dass die Bankenvon vornherein darlegen müssen: Was passiert, wenn siein eine Schieflage geraten? Wie können sie sich selbstsanieren? Wie können sie abgewickelt werden?Gemeinsam mit der Bundesbank und der Bundesan-stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht müssen die Ban-ken darlegen, wie sie im Krisenfall abgewickelt werdenkönnen. Das ist die beste Prävention; denn dann wird fürjeden klar: Hier gibt es ein systemisches Risiko. Es gehtimmer um die systemischen Risiken. Wir wollen näm-lich nicht, dass der Steuerzahler für die Risiken, die Ban-ken eingehen, haften muss. Wir wollen, dass die Bankenhaften, dass sie gegebenenfalls auch pleitegehen unddass der Steuerzahler nicht für die Kosten herangezogenwird. Das ist die Linie dieser Bundesregierung. Dazumüssen die Banken jetzt ein sogenanntes Bankentesta-ment vorlegen.
Es gibt noch einen zweiten Bereich, der wichtig istund über den wir heute diskutieren. Es geht um dieFrage, die auch die Liikanen-Kommission – der ehema-lige finnische Finanzminister Liikanen hat diese Kom-mission geleitet – gestellt hat: Ist es nicht sinnvoller, prä-ventiv einen Teil des Bankengeschäftes auszulagern oderabzutrennen? Die Antwort findet sich im Liikanen-Be-richt. Es ist doch richtig, dass wir, wenn sich Europa aufder Grundlage dieses Berichtes auf eine Position einigt,diese Position übernehmen und nicht zusätzlich nocheine eigene aufbauen.
Was wir im Vorgriff auf europäisches Handeln gemachthaben, haben wir immer mit dem Ziel gemacht, dass wirin Europa eine gemeinsame Lösung finden. Genau diesehaben wir übernommen.
In dem Liikanen-Bericht wird deutlich, dass dieKrise, die ihren Ursprung in den Jahren 2007 bis 2009hat und die noch heute partiell vorhanden ist, nicht durchdas Universalbankensystem entstanden ist. Im drittenAbschnitt des Berichtes wird darauf hingewiesen, dassdie Krise völlig unterschiedliche Ursachen hatte. Bei derWestLB – sie ist der SPD bestens bekannt; man kannnachlesen, was dort alles passiert ist – waren es bei-spielsweise die strukturierten Papiere. Bei der HypoReal Estate war es das Finanzierungsmodell. Es warenteilweise eben nicht Universalbanken, sondern Invest-mentbanken, die die Krise ausgelöst haben. Deswegenhaben wir gesagt: Wir übernehmen im Vorgriff aufEuropa den Vorschlag, einen gewissen Bereich von denBanken zu trennen, um damit auch das Risiko zu beseiti-gen.Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein weitererBaustein im globalen Ordnungsrahmen für die Finanz-systeme. Wir müssen darauf achten, die Steuerzahlernicht zu belasten, und darauf, dass vor allen Dingen diegroßen systemrelevanten Banken kontrolliert werden.Nicht die kleinen Banken, nicht die Sparkassen, nicht dieVolksbanken vor Ort sind das Problem. Das Problemsind die großen systemrelevanten Banken. Dieses Pro-blem wird mit diesem Gesetz angegangen.Wir sorgen dafür, dass die Aufsicht für die großenBanken bei der Europäischen Zentralbank angesiedeltist. Wir fordern eine hohe Eigenkapitalquote. Diese For-derung muss von den großen Banken erfüllt werden. Wirhaben jetzt das Restrukturierungsgesetz, und wir sehendie Trennung der Geschäftsbanken von gewissen Berei-chen vor.Wir wissen zwar nicht, was in Zukunft passierenwird. Wir wissen nicht – das kann uns auch die Finanz-aufsicht nicht sagen –, ob es einmal eine neue Krise aufanderen Feldern geben wird. Aber unser Ziel ist es, Sta-bilität sowie Sicherheit für jeden Rentner und für jedenSteuerzahler zu schaffen. Das ist die Linie dieser Bun-desregierung.
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28624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
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Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Was ist ein Placebo? Ein Placebo ist einScheinmedikament ohne Wirkstoff. Es scheint nur so, alsob es wirken würde. Lieber Herr Flosbach, man kannauch Placeboreden halten. Das haben Sie eben gemacht,
indem Sie so getan haben, als ob Sie das, was auf euro-päischer Ebene diskutiert wurde, übernommen hätten.Das war also eine Placeborede.Ich werde zunächst einmal den vorliegenden Gesetz-entwurf der Bundesregierung etwas näher beleuchtenund die Frage ventilieren, ob es sich hierbei nicht um einpolitisches Placebo handelt, also um einen Gesetzent-wurf, der nur den Anschein erweckt, dass er regulierenwürde.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr als fünf Jahrenach der Lehman-Pleite ist die Gefahr einer Wiederho-lung der Krise noch nicht gebannt. Nach wie vor gibt esBanken, die „too big to fail“ sind. Nach wie vor machenBanken hochriskante Geschäfte. Nach wie vor ist die Ei-genkapitalbasis der Banken in Europa zu gering. Nachwie vor gibt es unvorstellbar hohe Bonizahlungen. Nachwie vor müsste der Steuerzahler Banken retten. Nachwie vor können systemrelevante Banken Staaten erpres-sen. Nach wie vor haben wir einen völlig unreguliertenSchattenbankensektor, dessen Risiken niemand kennt.Das ist die Realität. Deshalb wirken der Antrag vonCDU/CSU und FDP zur Finanzstabilität und das, wasSie eben gesagt haben, wie Realitätsverweigerung. Of-fensichtlich gilt das Motto: Wenn uns schon keiner lobt,dann müssen wir es selber tun.Ich will noch einen Punkt zu Ihrem Antrag erwähnen.Sie formulieren darin: Wir wollen eine europäische Auf-sicht – das wollen wir auch –, und dann wollen wir einenationale Abwicklung. Ich sage Ihnen: Das wird nichtfunktionieren. Das ist eindeutig falsch. Wenn ich eineeuropäische Aufsicht habe, dann brauche ich auch eineuropäisches Abwicklungsregime. Alles andere machtkeinen Sinn. Sie sollten Ihre Position in dieser Fragewirklich noch einmal überdenken.
Jetzt zu den Trennbanken. Ich erinnere mich noch gut,wie wir kritisiert worden sind, als wir diese Forderungaufgestellt haben, zum Beispiel durch den stellvertre-tenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, HerrnMeister, der der Zeitung Euro am Sonntag sagte, diePleite der Investmentbank Lehman Brothers habe klargezeigt, dass eine Aufspaltung nicht zur Problemlösungbeiträgt.
Wir wollen niemanden daran hindern, klüger zu werden;aber die große Frage ist: Sind Sie eigentlich klug genuggeworden?
– Ja, das werden wir jetzt erörtern.Richtig ist, die Banken zu verpflichten, Sanierungs-pläne – Stichwort: Living Wills – für den Krisenfall auf-zustellen.
Selbst wenn wir davon ausgehen müssen, dass jedeKrise anders sein wird – auch anders, als man vorher ge-dacht hat –, sind solche Notfallpläne sinnvoll.Was machen Sie beim Stichwort Trennbankensystem?Ziel eines Trennbankensystems muss es sein, in Zukunftzu verhindern, dass hochspekulative Geschäfte mit denEinlagen der Sparerinnen und Sparer finanziert werdenkönnen. Der Infektionskanal zwischen Kasino auf der ei-nen Seite und Kreditbank auf der anderen Seite mussverschlossen werden. Im Falle einer Zahlungsunfähig-keit muss der Kasinoteil geschlossen und abgewickeltwerden können.
Sie wollen nun in Ihrem Gesetzentwurf die BaFinüber die Abwicklungsfähigkeit entscheiden lassen. Siesoll den Nachweis erbringen. Dies ist falsch. Der Nach-weis der Abwicklungsfähigkeit muss eine Bringschuldder Banken sein. Jede Bank muss gegenüber der Auf-sicht den Nachweis erbringen können, dass sie auch ab-gewickelt werden kann. Diesen Punkt sollten Sie drin-gend ändern.
Dann wollen Sie systemrelevante Geldhäuser ver-pflichten, den spekulativen Handel in rechtlich selbst-ständige Einheiten auszulagern. Aber Sie legen dieHürde für diese Trennung sehr hoch. Das Ergebnis wirdsein, dass höchstens zwei bis drei Banken unter diesesGesetz fallen werden. Die Landesbanken haben jetztschon begonnen, sich mit Bilanztricks aus dieser gefähr-lichen Zone zu befreien. Das heißt, es wirkt nicht. Dieswird ein Trennbankensystem ultralight.Der nächste Punkt ist die Frage, welche Geschäftevon der Trennbankenvorschrift eigentlich erfasst sind.Sie wollen Eigenhandel in Zukunft nicht mehr erlauben,aber ein Blick in den Gesetzentwurf zeigt: Die Liste dererlaubten Geschäfte ist nach wie vor lang, ellenlang, zulang. Es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für dieKreditinstitute, auch in Zukunft toxische Handelsge-schäfte ohne Trennung durchführen zu können. Dasheißt, es fehlt der Wirkstoff.Ich will noch einmal das Market Making erwähnen,das schon angesprochen worden ist. Es ist klar, dass eine
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28625
Manfred Zöllmer
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Trennung zwischen Eigenhandel und Verkauf auf Rech-nung des Kunden hier kaum vorzunehmen ist. Aber Sieerlauben dieses Market Making. Damit unterminierenSie den Trennbankenansatz. Dies ist nicht in Ordnung.Sie gewinnen damit nichts. Um im Bild zu bleiben: Diesist weiße Salbe ohne Wirkung. Die Liikanen-Kommis-sion hat festgestellt, dass eine Trennung in der Praxiskaum möglich ist. Das heißt, es bleibt ein Gesetzespla-cebo. Sie tun wieder einmal so, als ob Sie handeln wür-den, als ob Sie Vorreiter wären.
Wir sind nicht die Einzigen, die das kritisieren. Ichdarf stellvertretend für die Medien die Süddeutsche Zei-tung zitieren. Unter der Überschrift „Zerschlagung light“heißt es:Jetzt präsentiert auch die Bundesregierung einenGesetzentwurf, der nach Aufspaltung der Bankenzumindest klingt.Ja, es klingt so; es ist aber nicht so.Schauen Sie sich doch einfach einmal den gemeinsa-men Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD an.Dort steht, wie man das richtig macht, wie man einTrennbankensystem vernünftig aufbaut.
Unter anderem fordern wir dort ein Eigenhandelsverbotauch für Market-Making-Aktivitäten. Wir brauchen ver-nünftige Schwellenwerte für die Aufteilung. Wir müssenverhindern, dass es eine Finanzierung der Finanzhan-delsinstitute durch Einlagenbanken gibt, indem wirKreditobergrenzen festlegen. Wir müssen zukünftig Ver-stöße gegen das Verbot des Eigenhandels mit strafrecht-lichen Konsequenzen versehen.
Nur so wird aus einem Placebo ein richtiges Medika-ment, und für Risiken und Nebenwirkungen sind dannnicht mehr die Steuerzahler verantwortlich, sondern dieBankmanager. Das ist der richtige Weg.
Nächster Redner ist der Kollege Volker Wissing für
die FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Mit dem Gesetz, dessen Entwurf Ihnenheute vorliegt, gehen wir einen weiteren Schritt in Rich-tung Stabilisierung der Finanzmärkte. Es rundet unsereRegulierungspolitik quasi ab, die wir in den letzten Jah-ren vorangetrieben haben.Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt,dass es um eine Abwägung geht: Geht man im nationa-len Alleingang voran, oder bringt man das Ganzeinternational im Gleichklang auf den Weg? Der interna-tionale Weg hat den Vorteil, dass er zur Wettbewerbs-gleichheit im Bankensektor führt. Das ist zu bevorzugen.
Man kann aber nicht immer warten. Es darf nicht sein– das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik –,dass am Ende der Langsamste zum Maßstab wird. Esgibt in der Tat viele, die eine Regulierung verhindernwollen und sagen: Wir warten so lange, bis es internatio-nal abgestimmt ist. Vorher machen wir gar nichts. – Die-sen Weg lehnen wir ausdrücklich ab.
Herr Minister Schäuble, Sie haben ebenfalls zu Rechtdarauf hingewiesen, dass sich – das wollen die Sozialde-mokraten nicht wahrhaben –, das universale Bankensys-tem in Deutschland bewährt hat. Das ist die Wahrheit.Die Krise ging nicht von einer Universalbank aus. Siekam vielmehr aus den USA und ging von einer Invest-mentbank aus. In Deutschland waren die problemati-schen Banken, die zur Schieflage geführt haben, auchTrennbanken wie die Landesbanken und nicht Univer-salbanken.
Deswegen kann die Lösung nicht darin bestehen, dasswir die Banken, die die Krise nicht verursacht haben, ab-schaffen, während wir die Banken, von denen die Kriseausgegangen ist, flächendeckend in Europa einführen.Was ist das denn für ein Unsinn, den sich Sozialdemo-kraten da haben einfallen lassen?
Der Kollege Poß hat sich hier an das Mikrofon ge-stellt und gesagt: Wir müssen die großen Banken inDeutschland zerschlagen.
Es gibt zwei Gruppen, die eine bestimmte Reaktionauf diese Äußerung zeigen müssen. Zum einen zuckendie deutsche Wirtschaft und die Industrie zusammen undsagen: Was ist denn jetzt los? Verstehen die denn nichtsmehr von Wirtschaftspolitik und insbesondere vonStandortpolitik?
Zum anderen schreit eine Gruppe Hurra und sagt:Das, was Herr Poß vorschlägt, ist ein guter Weg. – DieseGruppe besteht aus amerikanischen Investmentbanken,die nur darauf warten, dass wir den dummen Weg, dendie Sozialdemokraten vorschlagen, gehen, um das In-vestmentbanking vom regulierten deutschen Markt nachAmerika zu exportieren. Wie absurd ist das denn, wasdie SPD den Menschen hier vormacht?
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28626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. Volker Wissing
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In der Opposition haben Sie über Jahre hinweg ver-sucht, die Rolle des Oberregulierers einzunehmen. InWahrheit haben Sie aber überhaupt keinen Plan. Sie wis-sen nicht, was Sie wollen. Die SPD sagt heute, das gehealles zu langsam. Die Grünen sagen heute, das gehe alleszu schnell. Die SPD erhebt außerdem den Vorwurf, wirwürden alles von der SPD abschreiben. Im gleichenAtemzug sagen Sie aber, wir würden alles falsch ma-chen. Es ist doch absurd, was Sie im Bereich der Finanz-marktpolitik abliefern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Oppositionkann man ja etwas holzschnittartig vorgehen. Sicherlichsei Ihnen das zugestanden. Man muss es in der Opposi-tion nicht so genau nehmen. Deswegen wollen wireinmal vergleichen, was die eine Seite des Hauses in Re-gierungsverantwortung im Bereich der Finanzmarkt-regulierung getan hat und welche Bilanz die andere Seitedes Hauses im Bereich der Finanzmarktregulierung vor-zuweisen hat.
Wir scheuen den Vergleich mit Rot-Grün nicht. UnterRot-Grün gab es in Deutschland eine Ära der Deregulie-rung der Finanzmärkte.
Die Ära der christlich-liberalen Koalition ist eine Ärader Regulierung und der Ordnung der Märkte. Wir sindstolz auf unsere Regierungsbilanz.
Die Grünen wollen sich immer noch schnell auf dieSeite der Guten und der Richtigen schlagen. Sie sind je-doch diejenigen, die die Deregulierung in Deutschlandin Regierungsverantwortung mitgetragen und mit voran-getrieben haben. Heute wollen Sie sich davon verab-schieden und nichts mehr damit zu tun haben. Sie sagen,dass das damals so gewesen sei, aber heute seien Sie diebesseren Regulierer und im Übrigen sowieso die Guten.Bei der Schuldenbremse war das genauso. Ich kannmich noch daran erinnern, dass Herr Kretschmann in derFöderalismuskommission II aktiv gegen die Schulden-bremse argumentiert hat. Heute tun Sie so, als hätten dieGrünen die Schuldenbremse erfunden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben dasThema Finanzmarktregulierung erst entdeckt, als Siekeine Regierungsverantwortung mehr hatten. Wir habendamit angefangen, als wir die Regierungsverantwortungübernommen haben. Das ist der Unterschied zwischeneiner glaubwürdigen Finanzmarktregulierung und demGefasel einer Opposition, die nur versagt hat.
Deutschland hat nach drei Jahren CDU-, CSU- undFDP-Regierungsverantwortung mit die reguliertesten Fi-nanzmärkte weltweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen,SPD und Grüne haben in diesem Hohen Hause keine Re-gulierung mitgetragen. Das Bild ist klar. In Regierungs-verantwortung haben SPD und Grüne den Finanzmarktdereguliert. In der Opposition haben SPD und Grüne je-den Vorschlag zur Finanzmarktregulierung im Deut-schen Bundestag abgelehnt.
Warum soll ausgerechnet Ihnen jemand glauben, dassSie im September mit der Finanzmarktregulierung be-ginnen wollen? Nein, das werden Ihnen die Menschennicht glauben.
Wir wollen und wir werden unsere Politik für stabileund solide Finanzmärkte fortsetzen, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gambke,Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wissinghat seine Platte aufgelegt, die wir schon ein Stück weitkennen. Herr Wissing, damit lenken Sie aber nur ab.Herr Schick hat vorhin in seinen Ausführungen be-züglich der Situation der Trennbanken sehr klar be-schrieben, dass Sie keinen Kompass haben. Wenn er sichvorhin dafür ausgesprochen hat, abzuwarten, was aufeuropäischer Ebene beschlossen wird, hat er damit recht.Denn er traut Ihnen nicht zu, dass Sie einen klaren Kom-pass haben und vernünftige Regelungen schaffen. Des-halb hat er sich dafür ausgesprochen, zunächst einmalabzuwarten, was auf europäischer Ebene passiert.Wir haben das Trennbankensystem bereits vorge-schlagen. Das ist doch nicht neu. Ich bin Mitglied derEnquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebens-qualität“. In der Sitzung am Montag haben wir einstim-mig
– mit der FDP und mit der CDU/CSU – Grundregelnzum Finanzmarkt beschlossen. Darüber haben wir zweiJahre lang diskutiert. Es ist nicht so, dass das neu war.
Dabei standen drei Aspekte im Vordergrund, HerrFlosbach; Herr King, der Gouverneur der Zentralbankvon England, hat Ihnen das noch in der vergangenenWoche gesagt. Wir brauchen drei Dinge:
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28627
Dr. Thomas Gambke
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Wir brauchen erstens eine Stärkung des Eigenkapi-tals. Leverage Ratio war für Sie fast noch ein Fremd-wort.Zweitens brauchen wir Trennbanken. Die Debatte umdie Trennbanken läuft ein Stück weit falsch. Uns wirdunterstellt, dass es uns um die Zerschlagung der Univer-salbanken gehe.
Vielmehr geht es im Wesentlichen um Transparenz.Drittens brauchen wir ein europäisches Restrukturie-rungsregime.Das sind doch keine neuen Dinge. Jetzt tun Sie so, alsob wir das erfunden hätten. Das ist seit zwei Jahren inder Diskussion und muss jetzt umgesetzt werden.
Dann kommt immer der Satz: Wir dürfen nicht zu vielregulieren. – Das hört man immer wieder.
Herr Flosbach, Herr Brinkhaus und Herr Zöllmer warendabei, als Herr King auf meine Frage, ob wir ein Pro-blem mit Hongkong oder Singapur hätten, wenn wir zuviel regulierten, geantwortet hat: Nein, die haben einProblem mit uns, weil wir zu wenig regulieren, zu spätregulieren und möglicherweise nicht genug regulieren.Das ist doch das Problem.
Ich halte die Debatte, die Sie hier führen, für eineScheindebatte. Ich kann mich in der Tat des Eindrucksnicht erwehren, dass das, was Sie hier veranstalten, einbisschen Wahlkampf ist. Das ist dem Ernst der Sachenicht angemessen. Wir brauchen eine Stärkung des Ei-genkapitals, wir brauchen eine substanzielle Anhebungder Leverage Ratio, wir brauchen Transparenz, wir brau-chen eine europäische Restrukturierung. Sie sollten dastun.Noch etwas ist ganz lustig. Wir haben, wiederum inder Enquete-Kommission, festgestellt, dass wir eineganz merkwürdige Allianz zwischen dem Finanzminis-ter und der Opposition haben, und zwar bei der Finanz-markttransaktionsteuer.
Es sind doch Vertreter der FDP, Vertreter aus Ihren Rei-hen, die ständig dagegen schießen, sodass wir die Trans-aktionsteuer nicht zügig umsetzen können. HerrWissing, ich erinnere mich noch an die Diskussion imFinanzausschuss.
– Ich weiß es sehr gut; denn ich habe Ihre Bemerkung zudiesem Thema gehört. Also bitte, verleugnen Sie dochnicht die Intentionen, die Sie haben. Glauben Sie dochnicht, dass Sie mit der Art und Weise, in der Sie argu-mentieren, die sicher schwierige Debatte, die wir in Eu-ropa zu diesem Thema haben, befördern. Sie hemmenvielmehr diese Debatte, und Sie hemmen damit die Ein-führung der Finanzmarkttransaktionsteuer.
Wir können nicht umhin, festzustellen: Dieser Koali-tion fehlt der Kompass.
Sie kommt zu spät. Sie kommt im Ernstfall mit kleinka-rierten Lösungen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wirsie ablösen.Vielen Dank.
Hans Michelbach ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieinternationale Finanzmarktkrise hat uns gezeigt, dass dieRahmensetzungen für die Finanzbranche unzureichendwaren. Die Krise hat die Staaten und ihre Volkswirt-schaften in jeder Hinsicht hart getroffen. Der Steuerzah-ler musste zur Rettung von Instituten einspringen. DieRealwirtschaft kam in die Krise.Das darf sich nicht wiederholen. Dafür arbeiten wirmit großem Engagement; denn wir sind überzeugt: Eineneue Finanzmarktkrise würde unsere westlichen Demo-kratien nachhaltig beschädigen. Die soziale Marktwirt-schaft kann nach unserer Auffassung nur mit einemglaubwürdigen Ordnungsrahmen zukunftsfest erhaltenwerden.Dazu gehören für diese Koalition eine lückenlose Re-gulierung des Finanzsystems, eine Risiko- und Haf-tungsübernahme durch die Marktteilnehmer, höhere Ei-genkapitalanforderungen für Banken, strengere Kriterienfür alternative Investment- und Hedgefonds, eine ver-schärfte Aufsicht über den Finanzsektor und insbeson-dere über das Schattenbankensystem.Kurzum: Wir ziehen umfassende Lehren aus der Fi-nanzkrise und haben, um die Stabilität der Finanzsys-teme zu sichern und die Risiken spekulativer Geschäftezu verringern, über 30 Gesetzespakete – das war letztenEndes eine große Leistung – auf den Weg gebracht. Wirentwickeln Handlungsmechanismen und Regeln, diefrühzeitig wirken und Gefahren von der Realwirtschaftabwenden. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode
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28628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. h. c. Hans Michelbach
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bereits eine Vielzahl von Gesetzen beraten und beschlos-sen. Ich muss sagen: Es ist eigentlich unterirdisch, dassSie nicht bereit sind, diese Leistung anzuerkennen oderdie Gesetzentwürfe in irgendeiner Form positiv mitzube-raten. Sie betreiben gewissermaßen eine Fundamental-opposition, aber Sie bringen sich in der Sache nicht ein.Wir haben die beste Bilanz. Diese gute Bilanz passtIhnen nicht. Sie haben bis heute diskutiert, und wir ha-ben Schritt für Schritt gehandelt, meine Damen und Her-ren.
Heute setzen wir einen weiteren Meilenstein, um dieVorbildfunktion und Vorreiterrolle weiter wahrzu-nehmen. Weitere wichtige Vorhaben stehen auf der Ta-gesordnung: die Regulierung systemrelevanter Finanz-institute und des internationalen Systems derSchattenbanken, die man nicht in eine neue Grauzoneausweichen lassen darf – das ist die Aufgabe –, das Ge-setz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung derSanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Fi-nanzgruppen, das Kapitalanlagegesetzbuch und die Um-setzung von Basel III
mit den Regelungen zur erhöhten Unterlegung der Ban-ken mit Eigenkapital, mit hartem Kernkapital. Das sinddie wesentlichen Schritte, die das Finanzsystem insge-samt sichern.Wir wollen Sicherheit für die Sparer und Stabilität fürdie Wirtschaft. Das ist unsere Ausgangslage. Deswegenmüssen wir deutlich machen: Wir sind für eine Regulie-rung des Finanzsystems mit Vernunft, meine Damen undHerren.
Sie hingegen wählen eine Form, zu der ich sage: Das,was hier Rot-Rot-Grün betreibt, ist eigentlich ideologi-sche Bankenhetze.
Das kann nicht der Weg sein. Wir müssen deutlich ma-chen: Die Realwirtschaft muss dienende Banken haben;das gehört dazu. Sonst können wir mit unserer starkenWirtschaft nicht Exportweltmeister sein, meine Damenund Herren.
Die Radikalität von Rot-Rot-Grün gegenüber dem Marktist Ideologie und dient diesem Land, den Arbeitsplätzen,den Betrieben, nicht. Deswegen müssen wir deutlich ma-chen, dass unser Weg der richtige ist.Natürlich ist die Lernbereitschaft der Branche oftnicht sehr ausgeprägt. Die Selbstregulierungskräfte rei-chen eben nicht aus. Sie reichen vor allem deshalb nichtaus, weil das Verantwortungsbewusstsein in weiten Tei-len der Finanzbranche weltweit unterentwickelt war undteilweise noch ist. Etliche haben ihre Lektion bis heutenoch nicht gelernt. Weil das so ist, müssen wir die Bür-ger, die Unternehmen und den Staat vor den Folgen ver-antwortungslosen Handelns in der Finanzbranche schüt-zen.Meine Damen und Herren, es ist deshalb wichtig,ohne Ideologie, ohne Schaum vor dem Mund Instru-mente zu schaffen, um systemrelevante Finanzunterneh-men auf globaler und nationaler Ebene in einem geord-neten Verfahren ohne Zutun des Staates entweder zusanieren oder abzuwickeln, wenn sie in Schieflage gera-ten, ohne Einspringen des Steuerzahlers und des Staats;darauf kommt es an. Wir haben jetzt die richtigen Kon-sequenzen gezogen. Dieses Gesetz schafft die richtigeGrundlage; das ist die richtige Schrittfolge für die Zu-kunft.
Dazu gehören die Sanierungspläne, damit Finanzun-ternehmen eine Krise möglichst schnell und effektiv auseigener Kraft bewältigen, ebenso das Bankentestament,das eine geordnete Abwicklung von Finanzunternehmenermöglicht, wenn deren Sanierung scheitert. Das sindDinge, die ein verantwortungsbewusstes Managementeigentlich in der Schublade haben muss. Wir forderndies nun per Gesetz ein und setzen hier nicht auf dieSelbstvorsorge der Finanzbranche; denn wir wollen dieKunden noch besser schützen.Für viele hochriskante Spekulationsgeschäfte wurdenKundeneinlagen genutzt. Wir wollen unterscheiden zwi-schen denen, die systemrelevant sind, und denen, die da-mit letzten Endes überhaupt nichts am Hut haben. Es istwichtig, dass wir differenzieren. Sie können doch nichtalle gleichsetzen, indem Sie systemrelevante Großban-ken mit den Genossenschaftsbanken und den Sparkassenin einen Topf werfen. Da lassen wir uns nichts vorwer-fen, auch wenn Sie versuchen, hier eine Diskussion auf-zumachen und uns anzugreifen.Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtig,dass der Staat dauerhaft die richtigen Gesetze für denFall schwerwiegender Managementfehler hat. Deshalbist es konsequent, bei Großbanken die Risikogeschäftevom normalen Kundengeschäft zu trennen. Unser Trenn-bankengesetz ist ein weiteres zentrales Projekt der Fi-nanzmarktregulierung. Es ist der richtige Weg. Denn esberücksichtigt zwar aus fachlichen Gründen nicht dieMaximalforderungen, die Sie aufstellen, schafft aber einTrennbankensystem mit einer Abgrenzung zwischen Ei-genhandel und Dienstleistungen. Dabei ist letzten Endesdie Abgrenzung, die Bemessung der Größenordnung derBank, wichtig. Insofern ist das der richtige Weg.Ich meine, wir haben geliefert. Wir werden weiter lie-fern. Wir sind die, die für die Sparer, für die Wirtschaftdie richtigen Wege beschreiten. „Stabilität und Sicher-heit“ ist der Weg in die Zukunft. Dabei lassen wir unsvon niemandem überbieten. Wir sind auf dem richtigenWeg für die Realwirtschaft in unserem Land.Vielen Dank.
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Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Sieling für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir habenjetzt eine Reihe typischer „Lieferantenreden“ gehört; dieletzte Rede war ein gutes Beispiel dafür. Da wird gesagt:Wir haben geliefert; wir haben eine Reihe von Vorschlä-gen gemacht. Dann werden Überschriften der verschie-denen Gesetze, die Sie vorgelegt haben, verlesen. Wirerwarten Produktion. Bringen Sie endlich einmal Regelnauf den Weg, die wirklich wirksam sind. Bisher habenSie das nicht gemacht.
– Es ist typisch, dass von ganz rechts außen in diesemSaal Zwischenrufe kommen. Es ist immer dasselbe:Nachdem hier Vorschläge zur Finanzmarktregulierunggemacht worden sind, tritt in letzter Sekunde der Vor-stopper auf den Plan, der sich gegen jegliche Finanz-marktregulierung ausspricht. Dieser Vorstopper heißt„Wissing“ mit Nachnamen.
Herr Wissing, Sie sind mit Ihrer FDP derjenige, der hieram stärksten blockiert. Darum haben Sie es nicht ver-dient, weiter an der Regierung zu sein.
Sie sind eine wirkliche Gefahr für das, was wir errei-chen müssen.
Ich will dies an einigen Punkten deutlich machen.Wir müssen erreichen, dass die Steuerzahler endlichwirklich entlastet und nicht weiter belastet werden. Das-selbe gilt im Übrigen für die Sparer und für die Einlagen.Zu Ihrem Vorschlag, ein Trennbankensystem aufzu-bauen, will ich erst einmal sagen: Wir Sozialdemokratenschlagen eine Trennung von Geschäfts- und Investment-banking vor, um das Universalbankensystem zu stärken.Unser Ziel ist ein starkes, stabiles Universalbankensys-tem.
Ich sage das ganz klar, damit an dieser Stelle wirklichkein Zweifel aufkommt.Was machen Sie? Sie greifen Vorschläge der europäi-schen Ebene auf. Fachleute nennen das Symbolik – dasist hier schon zitiert worden – und behaupten, Sie blie-ben damit weit hinter den Erwartungen zurück. Ich ver-weise auf das, was Herr Professor Krahnen im Finanz-ausschuss gesagt hat. Sie wollen den Eigenhandel imengeren Sinne verbieten. Sprechen Sie doch einmal mitden Banken, die angeblich Eigenhandel im großen Stilmachen. Diese Banken sagen Ihnen: Wir machen so et-was in Deutschland gar nicht mehr. Das könnt ihr ruhigmachen. Das ist ein Geschäft, das hier sowieso nichtmehr funktioniert. Das haben wir ausgelagert. – Sie stel-len hier etwas übergroß dar, was in der Vergangenheitein Problem war, schlagen darauf und meinen, damithätten Sie das Problem gelöst. Nichts haben Sie gelöst!
Was Sie aber unterlassen, ist das, was man, auf Eng-lisch gesagt, Market Making, also Marktmachen, nennt.Worum geht es bei diesem Marktmachen? Es gibt Pro-duktangebote wie Aktienpakete, für die sich keine Nach-frager finden. Manche Häuser sagen: Okay, wir nehmendiese Produkte, schaffen dafür einen Markt, auch wennsie keiner will, lassen sie über unsere Bücher laufen, hal-ten sie und versuchen, sie Stück für Stück zu verkaufen.Als Sicherheit dafür nehmen diese Häuser die Einlagender Sparer. Auch das ist eine Art von Eigenhandel. Wirsind der Auffassung: Auch das muss abgespalten wer-den. Ein solches Geschäft muss Risiko derer sein, die da-ran verdienen; es muss ein Risiko der Banken darstellen.Doch dafür sorgen Sie nicht.
Sie belassen die Gefahren bei den Sparern. Das ist un-sere wesentliche Kritik. Außerdem kritisieren wir dasFehlen eines ordentlichen Rettungsfonds.Darüber hinaus will ich etwas zu den Schattenbankensagen. Hierzu liegen ja weitere Anträge vor; plötzlichhat die Koalition auch die Schattenbanken entdeckt. Esist nämlich so: Wenn Sie ein solches Gesetz auf den Wegbringen, werden die großen Häuser in Schattenbereicheabwandern, und es wird zu einer weiteren Aufblähungkommen. Schon Ende 2012 befanden sich bei Schatten-banken weltweit 53 Billionen Euro.
Um diese Zahl zu verstehen, muss man wissen, dass esvor zehn Jahren 20 Billionen Euro waren. Wenn Sie mitIhren harmlosen Anträgen so weitermachen, dann wer-den wir in zehn Jahren wahrscheinlich einen Schatten-bankensektor in Höhe von 250 Billionen Euro haben,und die Gefahren bleiben bestehen. Deshalb sind Sieauch an dieser Stelle ein zahnloser Tiger. Sie nehmensich immer einen Teil der Finanzmarktregulierung nachdem anderen vor, lösen aber nicht das Gesamtproblem.Sie sorgen hier für keine wirksame Regulierung.Es gibt einen weiteren Bereich, den ich kurz anspre-chen möchte, weil wir ihn beraten werden. In diesemgroßen Paket liegt ein Entwurf zur Anpassung des In-vestmentsteuergesetzes vor. Hierbei geht es um die Ein-führung eines Kapitalanlagegesetzbuchs, das zurzeit dis-kutiert wird. In diesem Gesetzentwurf geht es auch umdas Problem, dass Veräußerungsgewinne bei offenen Im-
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28630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. Carsten Sieling
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mobilienfonds steuerfrei gestellt sind. Diese Regelungdarf nicht auf geschlossene Fonds ausgedehnt werden,weil diese vom Kapitalanlagegesetzbuch mit erfasst wer-den. Ich sage ganz offen: Wir brauchen hier eine Lösung.Wir werden uns dieser sehr sachlich und sehr konzen-triert zuwenden. Eines will ich Ihnen sagen: Ihr Gesetzdarf nicht dazu führen, dass neue Lücken entstehen,indem nicht nur Pensionsverpflichtungen zusammen-gefasst werden können, sondern zum Beispiel auch un-ternehmerische Aktivitäten von steuerpflichtigen Perso-nengesellschaften, die gewerblich aktiv sind, in solcheFonds überführt werden und damit steuerfrei bleiben.Darauf haben die Bundesländer hingewiesen.
Wir werden diesen Hinweisen sehr kritisch nachge-hen und hoffen, dass Sie diese Lücke schließen. UnsereErfahrung ist: Ihre Finanzmarktregulierung führte bisherhinsichtlich der Steuern zu nichts Ordentlichem, weil Siekeine Lücke schließen wollen. Bisher war es immer eineHydraulik für Steuervermeidung. Das wollen wir nicht.Es kann nicht sein, dass die Großen laufen gelassen wer-den und die Kleinen herangezogen werden. Wir Sozial-demokraten stehen dafür, das zu verhindern.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aus-führungen der Opposition waren etwas bemüht. Wennich sie zusammenfasse, dann kann ich sagen: Sie wollen,genauso wie wir, Sanierungs- und Abwicklungspläne.Sie wollen sie nur etwas anders organisieren.
Sie wollen, genauso wie wir, eine Trennung der Risikenim Rahmen eines Trennbankensystems. Sie wollen esaber ein wenig strenger als wir. Sie wollen, genauso wiewir, strafrechtliche Vorschriften für Bankmanager ein-führen, wollen sie aber schärfer als wir formulieren. Siewollen, genauso wie wir, das Schattenbankensystem re-gulieren, behaupten aber, Sie könnten es ein bisschenschneller als wir.Das ist nicht nur die Zusammenfassung dieser De-batte, sondern die Zusammenfassung von dreieinhalbJahren Oppositionspolitik in der Finanzmarktregulie-rung. Irgendwie wollen Sie immer das Gleiche wie wir,behaupten aber, Sie könnten es schärfer, weitgreifenderund schneller hinbekommen.Ich möchte Ihnen das anhand des Wahlprogramms derSPD erläutern. Sie nennen es Regierungsprogramm. Dasist ein bisschen optimistisch. Ich nenne es Wahlpro-gramm der SPD. Auf zweieinhalb Seiten von insgesamt100 Seiten beschäftigen Sie sich mit dem Kernthema Fi-nanzmärkte.
Fangen wir an: Sie sagen, Sie möchten, dass kein Fi-nanzmarktakteur, kein Produkt, kein Vertriebsweg unre-guliert bleibt. Das haben wir im Übrigen auch gesagt.Dies ist umgesetzt worden. Beispielsweise ist der graueKapitalmarkt reguliert worden. Das AIFM-Gesetz, dasFinanzanlagenvermittlergesetz, Initiativen im Bereichder Schattenbanken gibt es schon. Wer hat sie gemacht?Die Koalition.
Sie möchten, dass Europa im Bereich der Bankenre-gulierung Vorreiter wird. Europa ist Vorreiter im Bereichder Bankenregulierung. Wir werden nächste Woche alseine der ersten Basel III verabschieden. Wir haben Bonibegrenzt und werden darüber hinaus einige Finanz-marktprodukte verbieten bzw. haben sie verboten. Inner-halb Europas ist Deutschland Vorreiter; denn Deutsch-land hat im Bereich der Bankenrestrukturierung, imBereich der Leerverkäufe, in der Regulierung des Hoch-frequenzhandels Maßstäbe gesetzt, die in ganz Europaund wahrscheinlich in der ganzen Welt umgesetzt wer-den.Als Drittes – übrigens ist die Reihenfolge ganz inte-ressant – fordern Sie die Begrenzung von Boni und Ver-gütung. Das gibt es schon. 2010 gab es das erste Gesetzzur Begrenzung der Vergütung in Deutschland, übrigensmit speziellen deutschen Regelungen. Wer hat es ge-macht? Die Koalition.
Sie fordern eine Finanztransaktionsteuer, mindestensdreimal, das scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. Wer hateine gemeinsame Verständigung auf den Weg gebracht?Wer hat dafür gesorgt, dass dieses Thema in Europa ver-nünftig behandelt wird? Wir waren es, diese Koalition.
Dann geht es weiter: Sie wollen, dass es vernünftigeEigenkapitalregeln unter besonderer Berücksichtigungder Besonderheiten der Volksbanken und Sparkassengibt. Das wird nächste Woche verabschiedet. Wer hat hi-neinverhandelt, dass die Sparkassen und Volksbankendabei nicht untergehen? Diese Koalition.
Sie wollen, dass ein Trennbankensystem eingerichtetwird. Wer hat einen Vorschlag gemacht, dass eine Trenn-bankenregulierung hier in Deutschland stattfindet, bevorin Europa überhaupt darüber nachgedacht wird, einenGesetzentwurf auf den Weg zu bringen? Diese Koalition.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28631
Ralph Brinkhaus
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Sie wollen die Schattenbanken regulieren. Wer hatsich wie keine andere Bundesregierung dafür eingesetzt,dass Schattenbanken weltweit reguliert werden?
Wer hat dazu Initiativanträge, Entschließungsanträge aufden Weg gebracht?
Wer treibt diesen Prozess voran? Es ist diese Koalition.
Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass bestimmteProdukte auf Finanzmärkten verboten werden. Das ha-ben wir gemacht. Als erstes Land der Welt haben wir fürein Verbot von Leerverkäufen gesorgt. Wer hat es ge-macht?
Diese Koalition.Sie fordern, dass es mehr Verbraucherschutz im Be-reich Finanzmarkt gibt. Ich kann nur sagen: OGAW, Fi-nanzanlagenvermittlergesetz, Anlegerschutz- und Funk-tionsverbesserungsgesetz, AIFM-Umsetzungsgesetz.Wer hat es gemacht? Diese Koalition.
– So ist es, genau.Sie fordern, dass der Hochfrequenzhandel reguliertwird. Wer hat als erstes Land dieser Welt den Hochfre-quenzhandel reguliert? Diese Koalition.
Sie gehen noch weiter. Sie fordern, dass Ratingagen-turen schärfer reguliert werden. Damit haben wir schon2010 angefangen. Wer hat es gemacht? Diese Koalition.
Sie fordern, dass es ein Restrukturierungsregime fürBanken gibt. Wer hat als erstes Land etwas vorgelegt,das maßgeblich für Europa ist? Diese Koalition.
Sie fordern darüber hinaus, dass die Mittelstandskom-ponente bei der Bankenregulierung berücksichtigt wird.Wer hat dafür gesorgt, dass diese Mittelstandskompo-nente Eingang in den europäischen Prozess findet? DieseKoalition.
Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass die Hono-rarberatung reguliert wird. Wer hat ein Gesetz zur Regu-lierung der Honorarberatung vorgelegt? Diese Koalition.
Ich kann Ihnen jetzt nicht vorwerfen, dass Sie nachder Identifikation der Probleme auf die gleichen Lösun-gen kommen wie wir. Das ist normal. Es ist auch das Ge-schäft der Opposition, zu sagen: Wir können das schär-fer, weitreichender, schneller und besser. Das ist auch inOrdnung. Das ist sogar Ihr Job. Ich würde es auch ma-chen, wenn ich Opposition wäre. Aber was ich Ihnennicht durchgehen lassen kann, das ist die Tatsache, dassSie in Ihrem Wahlprogramm – mit dem Bewerbungs-schreiben Ihres Kanzlerkandidaten vom letzten Herbst –und in Ihren Reden behaupten, Sie würden jetzt etwasgrundlegend Neues und Innovatives im Bereich der Fi-nanzmarktregulierung machen. Das ist nicht der Fall.Sie hätten sich mit interessanten Themen beschäfti-gen können. Wie sieht Ihr Bild vom FinanzplatzDeutschland im kommenden Jahrzehnt aus? Sie hättensich damit beschäftigen können, wie Sie in einer anhal-tenden Niedrigzinsphase sicherstellen, dass Versicherun-gen und betriebliche Altersversorgung weiterlaufen. Wassind denn Ihre konkreten Vorschläge zur Regulierungder Schattenbanken? Davon findet man in Ihren Papie-ren nichts.Am Ende des Tages ist es – irgendwie kann ich IhreVerzweiflung auch verstehen – wie in der Geschichtevom Hasen und vom Igel: Überall da, wo der Steinbrückregulieren will, da ist der Schäuble schon da.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufden Drucksachen 17/12601, 17/12602, 17/12603 und17/12687 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-schüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? –Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen sobeschlossen.Zusatzpunkt 11. Wir kommen zur Abstimmung überden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP aufDrucksache 17/12686 mit dem Titel „Finanzstabilität si-chern – Regulierung systemrelevanter Finanzinstituteund des internationalen Schattenbankensystems“. Werstimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Antrag ist mit der Mehrheit der Ko-alition angenommen.
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28632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 f auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZwei Jahre Fukushima – Ohne ehrlichenAtomausstieg keine erfolgreiche Energie-wende– Drucksache 17/12509 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologieb) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDLehren aus der Atomkatastrophe in Fuku-shima ziehen– Drucksache 17/12688 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten RenéRöspel, Rolf Hempelmann, Marco Bülow,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPDDen Euratom-Vertrag an die Herausforde-rungen der Zukunft anpassen– zu dem Antrag der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEuratom-Vertrag ändern – Atomausstiegeuropaweit voranbringen – Atomprivilegbeenden– Drucksachen 17/8927, 17/7670, 17/11713 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Georg Nüßleind) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Abgeordneten Alexander Ulrich,Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKEEine Europäische Gemeinschaft für die Förde-rung Erneuerbarer Energien gründen – EU-RATOM auflösen– Drucksachen 17/6151, 17/11723 –Berichterstattung:Abgeordnete Matthias LietzFrank SchwabeHeinz GolombeckAlexander UlrichLisa Pause) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten RolfHempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPDKeine Hermesbürgschaft für den Bau desAtomkraftwerks Angra 3– zu dem Antrag der Abgeordneten Jan vanAken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE sowie der Abgeordneten Ute Koczy,Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Bürgschaft für den Bau des Atom-kraftwerks Angra 3– Drucksachen 17/9578, 17/9579, 17/12653 –Berichterstattung:Abgeordneter Erich G. Fitzf) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENBilaterale Verhandlungen aufnehmen zur un-verzüglichen Stilllegung besonders gefährli-cher grenznaher Atomkraftwerke in Frank-reich– Drucksachen 17/11206, 17/12675 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael PaulMarco BülowAngelika BrunkhorstDorothée MenznerSylvia Kotting-UhlÜber die Beschlussempfehlung zu dem Antrag derFraktion Bündnis 90/Die Grünen zu bilateralen Verhand-lungen mit Frankreich werden wir später namentlich ab-stimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.Die Kolleginnen und Kollegen, die die Debatte imAugenblick nicht hier im Plenarsaal, sondern von ihrenBüros aus verfolgen, möchte ich schon einmal darauf
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28633
Präsident Dr. Norbert Lammert
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aufmerksam machen, dass wir gegen 12.15 Uhr eine na-mentliche Abstimmung haben werden.
– Das ist beruhigend zu hören, Herr Kollege Grund.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenam vergangenen Montag der Reaktorkatastrophe vonFukushima und der vorweggegangenen Flutwelle ge-dacht. Wir gedenken auch heute der fast 19 000 Opferdieser Flutwelle, und wir gedenken der Opfer der Atomka-tastrophe. Als Folge dieser Katastrophe mussten hundert-tausend Menschen ihre Heimat verlassen, weil Böden, Luftund Wasser radioaktiv verseucht sind. 57 000 Japanerinnenund Japaner konnten bis heute nicht zurückkehren. Siesind aus ihrer Heimat vertrieben. Diese Katastrophe hatuns gezeigt: Die Risiken der Atomtechnologie sind nichtbeherrschbar. Die Welt muss aus dieser Hochrisikotech-nologie aussteigen.
Es ist bitter, dass die neue japanische Regierung ge-gen den Willen von mittlerweile zwei Dritteln der japa-nischen Bevölkerung versucht, diese Technologie wiederzum Laufen zu bringen. Hier ist die besondere Verant-wortung für Deutschland: Es ist unsere Verantwortung,zu beweisen, dass es möglich ist, dass eine Industriena-tion seine Stromversorgung ohne Atomenergie und ohneRückgriff auf klimazerstörende Kohle realisieren kann.Das ist die globale Verantwortung, vor der dieses Landsteht. Das, lieber Herr Altmaier, ist die Hausaufgabe die-ser Regierung, die Sie zu erfüllen haben.
Sie haben mit manchen Schülern gemein, dass Sie sichmit den Hausaufgaben schwertun.
Lange Zeit haben Sie gar nicht verstanden, was IhreHausaufgabe ist. Jahrelang glaubten Sie, Ihre Aufgabebestünde darin, alles zu blockieren, was nach Energie-wende aussah. CDU, CSU und FDP waren gegen das Er-neuerbare-Energien-Gesetz. Sie waren gegen den Aus-stieg aus der Nutzung der Atomenergie.
Der Altmaier Peter hat es sogar als eine historische Ent-scheidung bezeichnet, die Laufzeiten von maroden Alt-meilern zu verlängern.
Unsere Hauptaufgabe in dieser Zeit bestand eigent-lich darin, Ihren Unsinn abzuräumen. Das haben wir miteinigem Erfolg gemacht: Nach einem Jahrzehnt erzeu-gen wir heute 25 Prozent unseres Stroms durch die Nut-zung erneuerbarer Energien. Das gibt 400 000 Menschenin diesem Land Arbeit. Nach einem Jahrzehnt schien esso zu sein, als wenn CDU und CSU ihre Hausaufgabengemacht hätten. Plötzlich waren auch Sie für das von Ih-nen vorher bekämpfte Erneuerbare-Energien-Gesetz. Beider Atomenergie haben Sie noch ein bisschen länger ge-braucht. Da bedurfte es der mehrfachen Kernschmelzevon Fukushima, bis bei Ihnen die Erkenntnis eintrat:Atomkraft ist nicht beherrschbar.Haben Sie Ihre Hausaufgabe jetzt verstanden? HabenSie verstanden, dass der Kern darin besteht, dass derje-nige, der die Energiewende wirklich will, nicht nur ent-schlossen und konsequent aussteigen muss, sondernauch in die Nutzung erneuerbarer Energien einsteigenmuss?
Nein, Sie haben es nicht verstanden. Sie steigen nichtkonsequent aus. Zu einem konsequenten Ausstieg würdezum Beispiel eine Umorientierung der Forschungspolitikgehören. Nach wie vor wird ein Drittel der Mittel inHöhe von 2,7 Milliarden Euro für die Forschung im Be-reich der Reaktortechnologie genutzt.
Nur ein kleiner Teil geht in die Endlagerforschung.Sie müssten sich, wenn Sie konsequent aus solchenVorhaben aussteigen wollten, von solchen Wahnsinns-projekten wie dem namens ITER verabschieden.
Vor allen Dingen müssten Sie, meine Damen und Her-ren, aufhören, anderswo den Bau von Atomkraftwerkenzu subventionieren, indem Sie Exporthilfen dafür geben,dass in Erdbebengebieten Atomkraftwerke errichtet wer-den.
Sie scheitern schon bei der ersten Herausforderung.Bei der zweiten sind Sie mittlerweile zu der Position zu-rückgekehrt, die Sie vor zehn Jahren eingenommen hat-ten. Statt für einen zügigen Ausbau erneuerbarer Ener-gien zu fairen Preisen zu sorgen, spielen Peter Altmaier
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28634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Jürgen Trittin
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und Philipp Rösler lieber im Glashaus Fußball, und dieKanzlerin steht daneben und verdreht die Augen.Früher gab es noch – daran erinnere ich mich – einenKonflikt zwischen Umweltminister und Wirtschafts-minister. Heute sind sich beide einig: Der Ausbau der er-neuerbaren Energien in Deutschland muss ausgebremstwerden. Das ist der Konsens zwischen Rösler undAltmaier. Herr Altmaier beziffert die Kosten der Ener-giewende mit „Fantastilliarden“-Summen.Lieber Herr Altmaier, das Forum Ökologisch-SozialeMarktwirtschaft rechnet Ihnen vor, was alles Sie falschgerechnet haben: die Effekte der Preissenkungen an derStrombörse, die Degression der Förderung und die Kos-ten für Investitionen in Kohle- und Gastkraftwerke. Sienennen die Autoren per Twitter unseriös. Peinlich für Sieist, dass sich die Autoren auf die Zahlen Ihres eigenenMinisteriums berufen. Wollen Sie behaupten, dass dasBundesumweltministerium unseriöse Zahlen liefert? Daswäre eine neue Erfahrung, die wir hier zu machen hätten.
Es ist dreist, meine Damen und Herren, anderen vor-zuhalten, sie würden ihre Hausaufgaben nicht machen.Es ist Aufgabe des Umweltministers, für den Ausbau er-neuerbarer Energien zu fairen Preisen zu sorgen. NichtIhre Aufgabe, Herr Altmaier, ist es, die Agrarindustriezu subventionieren und Banken von Stromkunden be-zahlen zu lassen. Es ist Aufgabe des Umweltministers,für mehr Klimaschutz zu sorgen; aber es ist nicht IhreAufgabe, durch Billigzertifikate für CO2 Kohlekraft-werke zu subventionieren. Weiter ist es die Aufgabe desUmweltministers, dafür zu sorgen, dass wir letztendlich100 Prozent erneuerbare Energien bei Strom, Mobilitätund Wärme erreichen. Es ist aber nicht Aufgabe, son-dern Verfehlen der Aufgabe eines Umweltministers, gareine Ausbaubremse zu initiieren, die am Ende dazu füh-ren wird, dass südlich von Ostfriesland kein einzigerWindpark mehr errichtet wird und Zehntausende Ar-beitsplätze in Deutschland in Gefahr geraten. Das sindnicht Ihre Aufgaben, sehr geehrter Herr Altmaier.
Sie machen lieber das Gegenteil. Ausbauziele für er-neuerbare Wärme sind aufgegeben worden. Die Gebäu-desanierung dümpelt dahin und wird zusammengespart.Der Emissionshandel wurde auf der Grundlage Ihrer ge-meinsamen Haltung in dieser Regierung konsequent rui-niert.Ich sage Ihnen: Sie können Energiewende nicht, weilSie sie nicht wollen. Sie sind nicht in der Lage, die Kon-sequenzen aus dem Reaktorunfall von Fukushima zu zie-hen.
Ausstieg aus der Atomenergie geht nur mit konsequen-tem Einstieg in die Erneuerbaren, mit mehr Energieeffi-zienz und mehr Energiesparen. Offensichtlich geht Aus-stieg nicht mit der Merkel-Koalition. Das zu ändern, istjetzt unsere Hausaufgabe.
Das Wort erhält der Kollege Christian Hirte für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Herr Kollege Trittin hat gerade aus-geführt, wie die Ereignisse in Fukushima vor zwei Jah-ren eine menschliche Katastrophe und Tragödie bislangunbekannten Ausmaßes verursacht haben. Ich denke,dass sich die Flutwellen in Japan in unser aller Bewusst-sein eingegraben haben – möglicherweise aber nicht beiallen Grünen. Anderenfalls hätte Claudia Roth auf ihrerFacebook-Seite sicherlich nicht den Eindruck erweckt,als wenn die vieltausendfachen Opfer in Japan Folge derReaktorkatastrophe und nicht der Erdbebenkatastrophegewesen seien.
Herr Trittin, Frau Roth und Sie bzw. Ihre Partei versu-chen,
dieses menschliche Drama, die Tragödie der Menschenin Japan, billig populistisch zu instrumentalisieren. Siespielen Wutbürger und versuchen, das Thema in einemWahlkampfjahr in die Debatte einzuführen. Das hilft unsallen überhaupt nicht weiter.
Wir in der Koalition haben unsere Hausaufgaben ge-macht, im Übrigen nicht nur nach Fukushima, sondernbereits vorher. Wir haben nach Fukushima den Ausstiegaus der Atomkraft noch einmal forciert.
Wir haben nach Fukushima die Risikobewertung für dieKernkraft in unserem Energiemix noch einmal überdachtund die notwendigen Konsequenzen gezogen. Es ist
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Christian Hirte
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doch klar, dass vor wie nach Fukushima in Deutschlandfeststand: Wir steigen aus der Kernkraft aus.
Das galt im Übrigen schon im Jahr 2010
mit der Verabschiedung unseres Energiekonzeptes; zu-gegebenermaßen gab es unterschiedliche Auffassungenzur Dauer der Restlaufzeiten. Aber dem Grunde nach hatdoch politischer Konsens darüber bestanden, dass wir inDeutschland aus der Kernkraft aussteigen.
Als Erste überhaupt haben wir in Deutschland denAtomausstieg mit einem richtigen Konzept zum Ausbauder erneuerbaren Energien verbunden. Wir haben mitunserem Energiekonzept den Weg aufgezeigt, wie derAtomausstieg bei gleichzeitigem Umstieg in eine ökolo-gische Energiegewinnung gelingen kann. Während Rot-Grün im Jahr 2000 in der Tat den Atomausstieg be-schlossen hat, sind wir einen Schritt weiter vorangegan-gen. Es reicht eben nicht, Herr Trittin, immer nur aufdem Atomausstieg zu beharren, sondern es ist auchwichtig und notwendig, diesen mit einem Konzept zumUmstieg zu begleiten. Genau das haben wir getan.
Ich glaube, dass die Erfolge der letzten Jahre uns be-stätigen.
Während Sie hier versuchen, den Anschein zu erwecken,als seien wir auf diesem Weg nicht vorangekommen, zei-gen die Tatsachen ein ganz anderes Bild. Mittlerweilebeträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Ener-giemix – Sie haben es gerade ausgeführt – etwa 25 Pro-zent. Als Sie 2000 eine Verdoppelung des Anteils der er-neuerbaren Energien gefordert haben und dann im Jahr2005 einen Anteil von 10 Prozent gefeiert haben, wardas für Sie ein Riesenerfolg. Heute sollen 25 Prozentkein Erfolg sein. Das glauben Sie doch selber nicht.
Während Sie weiterhin den Anschein erwecken wol-len, als hätten wir mit diesem Eintritt in eine professio-nelle Energiewende versucht, den Ausbau der erneuerba-ren Energien abzuwürgen, zeigt die Realität, dass dasGegenteil der Fall ist. Allein in den letzten beiden Jahrennach der Energiewende gab es erneut einen Zuwachs desAnteils der erneuerbaren Energien von 5 Prozentpunk-ten. Wir sind also von knapp 17 Prozent Anteil der er-neuerbaren Energien in 2010 auf mittlerweile gut 22, 23,24 Prozent gekommen. Wenn das kein Erfolg sein soll,dann weiß ich auch nicht.
Herr Trittin und meine Damen und Herren von derOpposition, statt sich über diesen Erfolg zu freuen undUmweltminister Altmaier und WirtschaftsministerRösler dabei zu unterstützen, den Weg professionell wei-terzugehen,
nutzen Sie das tragische Ereignis mit vielen Toten in Fu-kushima, um billig mit parteipolitischem Kalkül Wahl-kampf zu machen.
Der Ausstieg aus der Kernkraft ist beschlossen, und erwird auch ganz sicher kommen. Die Frage, die sich da-bei stellt, ist: Wie schaffen wir ihn konkret? Diese Fragestellt sich insbesondere auch deshalb, weil wir aus heuti-ger Sicht noch nicht alle Details vorab planen können;denn viele Entwicklungen – teilweise über die nächstenJahrzehnte – sind noch gar nicht klar abschätzbar. Ichglaube, ein ganz wichtiger Punkt ist – gerade auch, weilviele Dinge noch nicht abschätzbar sind –, dass wir ins-gesamt Vertrauen und Akzeptanz schaffen müssen.Diese Akzeptanz muss auf breiten Schultern basieren.Da reichen die breiten Schultern unseres Umweltminis-ters allein nicht aus. Wir müssen sie auf viel breitereSchultern stellen. Die Wirtschaft muss dahinterstehen,aber auch unsere Bevölkerung muss sehen, dass wir unsauf einem Weg befinden, der langfristig erfolgreich seinkann.In dieser Woche hat zum Beispiel Die Welt berichtet,dass möglicherweise ein weiterer Anstieg der EEG-Um-lage auf gut 6 Cent bevorsteht. Jedem, der sich mit demThema beschäftigt, ist klar, dass wir nicht so weiterma-chen können wie bisher, sondern dass wir dringend han-deln müssen, und zwar sehr kurzfristig.
Deswegen bin ich Umweltminister Altmaier und auchWirtschaftsminister Rösler ausgesprochen dankbar, dasssie Vorschläge unterbreitet und auch einen politischenProzess angestoßen haben, wie wir den Anstieg derStrompreise bremsen können. Über die einzelnen vorge-brachten Vorschläge können wir hier im Parlament si-cherlich noch diskutieren, sie beraten, überarbeiten undan der einen oder anderen Stelle vielleicht auch korrigie-ren.
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Christian Hirte
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Aber dem Grunde nach ist doch klar, dass wir etwas tunmüssen, um den Anstieg der Strompreise zu mindern.
Ein Vorschlag lautet, bei der Industrie anzusetzen,weil der Börsenstrompreis in den letzten Jahren massivgesunken ist. Aber klar ist doch auch, dass nun nicht je-der bei jedem Vorschlag sagen kann: Gerade an dieserStelle geht es aber nicht. – Wenn das der Maßstab wäre,dann kämen wir überhaupt nicht weiter. Ich denke, dassder Vorschlag von Peter Altmaier und Philipp Rösler, da-rüber nachzudenken, was wir bei Altanlagen tun können,durchaus sinnvoll ist.Natürlich müssen wir den Vertrauensschutz hier imParlament berücksichtigen.
Aber wir sollten auch darüber nachdenken – das viel-leicht als Alternativvorschlag –, ob wir nicht durch einenkleinen zusätzlichen Steueraufschlag auf den Gewinnder Anlagen diejenigen heranziehen sollten, die beson-ders stark von den Einspeisevergütungen profitieren, obwir also quasi eine Art Strompreis-Soli erheben sollten.Mit diesen Einnahmen könnte zum Beispiel die Strom-steuer gesenkt werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, um insge-samt Akzeptanz zu erreichen, brauchen wir also dieWirtschaft, die Bevölkerung, aber auch die Politik. Wirmüssen gemeinsam eine Lösung finden, um eine ver-nünftige Strompreisentwicklung zu gewährleisten. Las-sen Sie uns also konstruktiv zusammenarbeiten und da-für Sorge tragen, dass wir auf Basis der Vorschläge derRegierung zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, dasam Ende der Wirtschaft, den Bürgern, aber auch uns, derPolitik, zugutekommt, und zwar dahin gehend, dass er-kennbar wird, dass es uns nicht nur um parteipolitischesKalkül, sondern auch um die Interessen der Menschen inunserem Land geht.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Marco Bülow für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir gedenken heute der vielen Opfer der Erdbeben-katastrophe und des Tsunamis in Japan, die vor zweiJahren die Welt erschütterten. Ich kann mich daran erin-nern, dass wir vor zwei Jahren bangend vor dem Fernse-her gesessen und gesehen haben, dass das Erdbeben undder Tsunami alleine nicht ausreichten, sondern vieledurch die Atomenergie verursachte Gefahren noch oben-drauf kamen.Drei Reaktorkerne sind geschmolzen. Immer noch,zwei Jahre später, ist ein Abklingbecken gefährdet; eswird nur notdürftig gestützt, und man weiß nicht, ob esden Druck aushalten wird. 360 000 Kubikmeter Wasserwurden durch die Kühlung bzw. das Spülen verseucht.Man weiß nicht, wo man das Wasser lassen soll; auchheute ist das immer noch ein riesiges Problem. JedenTag werden 400 000 Liter Wasser durch die Reaktorengepumpt, und keiner weiß, wo man das Wasser in Zu-kunft lassen soll. Bis heute sind bereits 100 000 Kubik-meter radioaktiver Erde abgetragen und erst einmal ir-gendwo zwischengelagert worden; auch da weiß mannicht, wo man dieses Material am Ende lagern soll. Daswaren nur ein paar Zahlen, die deutlich machen, dass dasProblem auch zwei Jahre nach der Katastrophe noch im-mer riesengroß ist.77 Milliarden Euro mussten bereits aufgewendet wer-den bzw. werden aufgewendet, um die schlimmsten Aus-wirkungen der Katastrophe zu beseitigen. Es stehennoch 300 Milliarden Euro aus, die als Entschädigungs-leistungen gezahlt werden müssen. Der Haushalt in Ja-pan ist zwar relativ gut aufgestellt; aber man weiß nicht,wie man das bezahlen soll. So viel zum Thema der billi-gen Atomkraft.Alle Energieunternehmen in Japan sind im Minus undkönnen nicht mehr wirtschaften. Auf diese Unternehmenkann sich die Wirtschaft in Japan nicht mehr verlassen.Viel schlimmer noch: 160 000 Menschen haben ihreHeimat verloren und wissen nicht, ob sie jemals zurück-kehren können. Sie sind entwurzelt und haben ihren Jobverloren. Manche Menschen lebten ja von dem Land, aufdem sie vorher gewohnt haben, und sie werden nur not-dürftig versorgt. All das sind die Konsequenzen nichtnur des Tsunamis und des Erdbebens, sondern vor allenDingen auch der Reaktorkatastrophe.Das Allerschlimmste – man muss mit solchen Zahlenallerdings immer vorsichtig sein –: Bei 133 000 Untersu-chungen kleiner Kinder wurde in über 55 000 Fällen,also in über 40 Prozent der Fälle, eine Schilddrüsenver-änderung festgestellt. Eine solche Veränderung mussnicht zwangsläufig zu Krebs führen; sie ist aber ein Zei-chen, dass es dazu kommen kann. Das ist eine erschre-ckend hohe Zahl. Wen das nicht alarmiert, wer da nochsagt: „Fukushima war nicht so schlimm: Da ist ein Erd-beben passiert, da ist ein Tsunami passiert; aber das mitden Reaktoren war alles nicht so schlimm“,
dem spreche ich jedes Gewissen ab.
Schon vor einem Jahr mussten wir leider solche Redenvon einem Teil des Hauses hören, und wir werden wahr-scheinlich auch heute wieder so etwas hören.Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben be-wiesen, dass der Mensch mit diesen Reaktoren nicht um-gehen kann, dass das Risiko zu groß ist und vom Men-schen nicht beherrscht werden kann.
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Marco Bülow
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Diese Störfälle haben gezeigt: Wolken machen nichtan Grenzen Halt. Das Problem ist also ein globales Pro-blem; daher müssen diese Themen international behan-delt werden. Deswegen finde ich es auch richtig, dass dieGrünen den Antrag gestellt haben, zum Beispiel auchüber Reaktoren, die sich in unmittelbarer Nähe zur deut-schen Grenze befinden, zu sprechen. Wer sagt: „DieAtompolitik in anderen Ländern geht uns nichts an“, dermuss sich die Frage stellen, ob er hier denn wirklichdeutsche Interessen wahrnimmt, ob er die Interessen derBürgerinnen und Bürger, die an der Grenze zu Frank-reich wohnen, wirklich vertritt, wenn er sagt: Wir mi-schen uns in die Atompolitik Frankreichs nicht ein.
Nein, es ist unsere Pflicht, darüber zu diskutieren – sowie wir das bei anderen Themen auch machen, natürlichauf diplomatische Art und Weise –,
wir müssen uns Sorgen machen, wir müssen diesesThema international behandeln.
Die Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie steigtzwar in Deutschland aus der Atomenergie aus; aber fürden Bau von Reaktoren in aller Welt – auch in Erdbeben-gebieten, auch in Gebieten, wo Tsunamis entstehen kön-nen – werden weiter Hermesbürgschaften übernommen.Nur, dass die Brasilianer – Gott sei Dank – gesagt haben,sie brauchen unser Geld nicht, hilft der Bundesregie-rung, dass sie da nicht mehr beteiligt ist.Deutschland gibt weiterhin viel Geld für Euratom aus.Euratom fördert nicht nur Atomsicherheit, Euratom för-dert die Atomenergie insgesamt weiter. Es gibt keinedeutsche Initiative, die sagt: Wir müssen damit aufhören,wir müssen dafür sorgen, dass Euratom insgesamt an-ders aufgestellt wird, wir müssen Energieeffizienz för-dern, Erneuerbare fördern. – Nein, die Bundesregierungfördert international weiterhin in erster Linie die Atom-energie. Deswegen fordern wir ein Verbot solcher Her-mesbürgschaften,
und wir fordern eine Umgestaltung von Euratom. Siekönnen unseren Anträgen da gerne einmal folgen!Die Koalition spricht hier von der Energiewende.Herr Hirte hat die Geschichtsklitterung mittlerweile soweit betrieben, zu behaupten, dass die Energiewende ei-gentlich schon vor Fukushima eingeleitet worden sei.
Welche Energiewende denn? Das, was Sie vor Fuku-shima eingeleitet haben, war die Verlängerung der Lauf-zeiten der Atomkraftwerke in Deutschland. Sie hattenden Atomausstieg beendet und waren wieder eingestie-gen in diese Technologie; das ist vor Fukushima passiert.
Es ist schön – das haben wir hier mehrfach betont –,dass Sie nach Fukushima dazugelernt haben;
aber das reicht nicht aus, um eine Energiewende einzu-leiten.
In Deutschland steigen Sie aus der Atomenergie aus, eu-ropäisch fördern Sie die Atomenergie jedoch weiter. DieErneuerbaren bremsen Sie aus, und bei Energieeffizienzpassiert gar nichts.Auf den Homepages der beiden Ministerien kann mansich anschauen, wie viel in Sachen Energieeffizienz pas-siert ist: Die meisten Papiere stammen noch aus der Zeit,wo Sie noch nicht an der Regierung waren.Die Minister sitzen jetzt einträglich nebeneinander.Sonst hört man jeden Tag aus dem Wirtschaftsministe-rium etwas anderes als aus dem Umweltministerium.Der Wirtschaftsminister sagt etwas, der Umweltministeretwas anderes. Das hat uns im Umweltausschuss dazuverleitet, beide Minister einzuladen. Es war natürlichnicht möglich, sie auf einen Sitz zu kriegen.
Die Minister sind nacheinander zu uns gekommen. HerrAltmaier hat im Prinzip das Gegenteil gesagt von dem,was Herr Rösler im Ausschuss eine Stunde zuvor gesagthat. Das zeigt Ihre „Einigkeit“ in der Energiepolitik; diegibt es in dieser Bundesregierung nämlich nicht. Die Ei-nigkeit besteht allenfalls darin, dass Sie uneinig sind.
Das Einzige, wo Sie einig sind, ist – Herr Trittin hat esschon gesagt –, die Erneuerbaren zu bremsen. Sie nen-nen es die Strompreisbremse. Ich glaube, es gibt im Um-welt- und im Wirtschaftsministerium Berater, die Ihnengesagt haben: Es gibt beim Heizölpreis einen Anstieg; esgibt beim Benzinpreis einen Anstieg. – Dort gibt es keinEEG. Ein Kollege von der Union hat deswegen zu Rechtim Ausschuss gefragt – Herr Rösler war, glaube ich, da-bei –: Wo, bitte schön, bleibt denn dann die Heizölpreis-bremse und die Benzinpreisbremse? – Dazu haben wirvon Ihnen nichts gehört. Vielleicht können Sie ja heuteetwas dazu sagen.
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Marco Bülow
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Ich möchte enden mit einem Zitat von Herrn Töpfer– ich hoffe, dass wir dabei nicht stehen bleiben –, dereinmal gesagt hat:Die Lobbyisten der Vergangenheit sind stärker alsdie Lobbyisten der Zukunft.Im Energiebereich hat das jahrelang nicht gegolten: weilwir die Erneuerbaren ausgebaut haben, weil wir einenAtomausstieg gewagt haben. Aber im Augenblick habeich das Gefühl, Sie wollen keine Energiewende, Sie wol-len zurück zum Atom; einige Stimmen haben wir dazuschon gehört. Sie wollen die Erneuerbaren ausbremsenund am Ende sagen: Sehen Sie, es klappt doch allesnicht; wir müssen die Atomanlagen länger laufen lassen. –Das ist Ihre Politik. Wir werden versuchen, das zu ver-hindern.
Als nächster Redner hat jetzt der Kollege Michael
Kauch von der Fraktion der FDP das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächstmöchte ich doch noch einmal festhalten, wie unerträg-lich ich es finde, dass die Parteivorsitzende von Bünd-nis 90/Die Grünen, Claudia Roth, die es nicht einmal fürnötig hält, hier heute in die Debatte zu kommen, sichhinstellt und behauptet, es gebe 16 000 Tote wegen Fu-kushima. Hier wird ganz bewusst die Unwahrheit gesagt,um das Thema „nach oben zu ziehen“. Das finde ich aus-gesprochen unanständig, meine Damen und Herren vonden Grünen.
Ich möchte auch festhalten, dass es die schwarz-gelbeRegierung ist, die schneller als Rot-Grün aus der Kern-kraft aussteigt.
Wir haben diese Beschlüsse gefasst.
Ich komme nun zu dem, was der Kollege Trittin ge-sagt hat. Er hat davon gesprochen, wie toll Sie die erneu-erbaren Energien ausgebaut haben.Im letzten Jahr von Herrn Trittin als Umweltministerlag der Anteil der erneuerbaren Energien bei 10 Prozent.In der gesamten letzten Wahlperiode, in der Sie Umwelt-minister waren, haben Sie den Anteil der erneuerbarenEnergien um 2,3 Prozentpunkte gesteigert.
Es gab dann den Umweltminister Gabriel, den heuti-gen SPD-Vorsitzenden. Der Anteil der erneuerbarenEnergien lag zu seiner Zeit bei 16 Prozent; der Zubaubetrug 6,3 Prozentpunkte.Die Bilanz dieser Koalition sieht so aus: 25 ProzentAnteil am Strom, plus 8 Prozentpunkte. Wir sind besser,als Sie es je waren.
Das wird ganz besonders deutlich, wenn wir uns ein-mal angucken, was Sie zum Beispiel in Bezug auf denSolarstrom gemacht haben: Der Zubau unter HerrnTrittin betrug 2005 0,9 Gigawatt. Im letzten Minister-jahr von Herrn Gabriel betrug er 3,8 Gigawatt.Diese Koalition hat die Gesamtinstallation von 2009in Höhe von 9,9 Gigawatt auf über 30 Gigawatt mehr alsverdreifacht. Und da behaupten Sie, wir würden die Er-neuerbaren stoppen! Das Gegenteil ist der Fall. Nie warder Ausbau der erneuerbaren Energien so stark wie unterder christlich-liberalen Koalition.
Dass wir es trotz dieses dynamischen Ausbaus, derVerdreifachung der Solarkapazität, geschafft haben, dieVergütungssätze um über 60 Prozent abzusenken, zeigt,dass man an dieser Stelle auch die Kosten im Griff be-halten kann.Sie haben uns bei jeder Kürzung gesagt: Es wirdnichts mehr installiert. – Das Gegenteil war der Fall.Nach jeder Kürzung ging der Ausbau weiter. Das zeigtdoch: Sie haben keine Ahnung vom Markt. Sie wollennur entsprechend hohe Vergütungssätze für diejenigenerhalten, die davon profitieren, für Ihre Klientel. Wirdenken an die Bürgerinnen und Bürger und schaffen esgleichzeitig, dass die Erneuerbaren nicht abgewürgt wer-den.
Meine Damen und Herren, die Ausbauzahlen zeigenauch, dass die erneuerbaren Energien erwachsen werden,und wer erwachsen wird, dem muss man auch mehr ab-verlangen können. Das bedeutet, dass die Produzentin-nen und Produzenten von Solarstrom und von Strom ausanderen erneuerbaren Energien auch Verantwortung fürdie Versorgungssicherheit übernehmen müssen.
Deshalb ist es richtig, dass wir stärker in Richtung Di-rektvermarktung gehen. Sie müssen sich, wie jeder an-dere Produzent von Gütern in diesem Land auch, einenKunden für ihren Strom suchen.
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Michael Kauch
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Wir müssen auch daran denken, dass die Förderungder erneuerbaren Energien von jemandem bezahlt wer-den muss.
Deshalb ist es nicht irrelevant, dass wir über Kostensprechen. Viele Bürgerinnen und Bürger könnten es sicheben nicht leisten, wenn die Kosten ungebremst steigenwürden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeswirt-schaftsminister und der Bundesumweltminister hier ent-sprechende Vorschläge gemacht haben.Wir denken die erneuerbaren Energien anders als Sie.Wir denken sie stärker als Energiesystem, und wir den-ken daran, dass das Ganze am Schluss auch jemand be-zahlen muss.
Das ist vernünftige, rationale Energiepolitik.Vielen Dank.
Für die Fraktion die Linke spricht jetzt die Kollegin
Dorothée Menzner.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Aus Fukushima zu ler-nen, heißt nicht: AKW müssen sicherer werden. Nein,sie gehören abgeschaltet, und zwar unverzüglich.
Atomenergie ist ein globales Problem. Kein Land dieserWelt weiß, wohin mit seinem strahlenden Müll. DieAtomkonzerne sind globale Konzerne, und die Strahlungist ebenfalls global. Sie macht an keiner Ländergrenzehalt.Die Folgen sind langfristig, wenn es zu einem Unfallkommt. Das wissen wir aus eigener leidvoller Erfahrung.Für diejenigen von Ihnen, die es vielleicht nicht wissen:Bis heute, 27 Jahre nach Tschernobyl, müssen neun vonzehn in Teilen des Bayerischen Waldes gejagten Wild-schweinen vernichtet werden, weil sie zu hoch mitStrahlen belastet sind. Und das nach 27 Jahren!Deutschland ist nach wie vor ein Teil des Problems.Ja, es ist richtig: Vor zwei Jahren haben wir hier einenBeschluss zum Ausstieg gefasst. Neun AKW sind da-mals vom Netz gegangen. Aber der Ausstieg erfolgtenicht schnellstmöglich. Wir als Linke haben nachgewie-sen, dass er deutlich zügiger und schneller möglich ge-wesen wäre.Der Ausstiegsbeschluss, der damals gefasst wurde, istnicht unumkehrbar. Das heißt, jede neue Parlaments-mehrheit kann ihn revidieren. Außerdem erleben wir,dass der Druck auf uns alle, diese Meinung zu ändern,sehr groß ist.Und: Deutschland ist nach wie vor globaler Player imnuklearen Geschäft. Ich möchte das an einigen Beispie-len deutlich machen: Die Urananreicherungsanlage inGronau produziert weit mehr, als die deutschen Anlagenbrauchen. Weiter sind zu nennen: die Brennelementepro-duktion in Lingen, der Export von Atomkraftwerkstech-nik und Investitionen in AKW in anderen Ländern; hiermöchte ich als Beispiele nur Brasilien, die Türkei undSaudi-Arabien anführen.Des Weiteren ist Deutschland nach wie vor Teil desEuratom-Vertrags. Wir nehmen aber keine Initiativenwahr, um diesen Vertrag aufzulösen oder aus dieser Staa-tengemeinschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Atom-kraft zu fördern und auszubauen, auszusteigen.
Ich sehe von dieser Bundesregierung keine Initiativedazu.Gerade neulich haben wir im Umweltausschuss ge-hört, dass sich die Bundesregierung auf das Prinzip derNichteimischung beruft, wenn wir an die Gefahren erin-nern, die von maroden, alten Kraftwerken in anderenLändern dicht hinter der deutschen Grenze ausgehen.Ich habe am Montag deutsche Initiativen im Saarlandbesucht, die sich mit Cattenom beschäftigen. Es schau-dert einen, wenn man ihre Berichte über Cattenom hört,wenn sie berichten, dass die Anlage nur alle zehn Jahreeiner Grundrevision unterzogen wird, wenn sie von frei-liegenden Armierungsstählen an der Betonkuppel be-richten, wenn sie berichten, dass bei der Revision zweiArbeiter tödlich verletzt wurden, weil ein Gerüst nichtrichtig verankert war. Klar, das ist kein nuklearer Unfall,aber wenn solche Unfälle passieren, deutet dies zumin-dest auf Sicherheitsmängel hin. Dann möchte ich nichtwissen, wie es im nuklearen Teil der Anlage aussieht.Herr Altmaier, ich gehe davon aus, dass Sie als Saar-länder dies und noch eine ganze Menge mehr berichtenund uns erzählen könnten. Aber Wissen allein reichtnicht aus. Handeln ist das Gebot der Stunde nach all denErfahrungen, die die Menschheit mit dieser Technik inden letzten Jahren und Jahrzehnten machen musste: inSellafield, in Harrisburg, in Tschernobyl und in Fuku-shima.
Ich meine, es waren genug dramatische Unfälle, die rei-chen sollten, dass die Menschheit dazulernt.Vor zwei Jahren haben wir hier alle unsere Trauer undSolidarität mit den Japanerinnen und Japanern bekundet.Ich war seither viele Wochen und zu verschiedenen Ter-minen in ganz Japan unterwegs. Es ist richtig: Japanbraucht unsere Solidarität, und zwar nach wie vor.
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28640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dorothée Menzner
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Gerade gestern habe ich mit einer japanischen Dele-gation hier im Haus gesprochen. Sie haben mir berichtet,dass der deutsche Atomausstieg damals zwar eine großeHoffnung verbreitet hat, dass sie aber das Gefühl haben:Wir kommen nicht weiter. – Sie wünschen sich Unter-stützung und Solidarität beim Ausbau erneuerbarerEnergien in Japan. Wir alle wissen, dass dieses Land auf-grund von Sonne, Wind und Gezeiten dafür noch vielbesser geeignet ist als Deutschland.Die Japaner waren ganz erstaunt, als sie hörten, dasserneuerbare Energien bei uns inzwischen ein Arbeits-marktmotor sind. Es ist in Japan nämlich nicht bekannt,dass es in diesem Bereich fast 400 000 Arbeitsplätzegibt. Das ist ein Argument in einem Land, das von einerWirtschaftskrise geschüttelt wird.
Japan braucht Unterstützung bei der gesundheitlichenVersorgung; IPPNW hat diese Woche dramatische Zah-len vorgelegt. Japan braucht weiter Unterstützung undSolidarität bei der Bewältigung des Desasters. SelbstTepco rechnet mit 40 Jahren, bis die Anlage zurückge-baut und stabil ist. Nicht zuletzt die fast 80 Prozent derJapanerinnen und Japaner, die sich jetzt gegen Atom-kraft wenden, brauchen unsere Solidarität und die Unter-stützung der deutschen Anti-AKW-Bewegung.
Der deutsche Miniausstieg hat in Japan Mut gemacht.Ich finde, wir sollten die richtigen Konsequenzen ziehenund unseren Ausstieg konsequent fortschreiben und was-serdicht machen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Bundesumweltminister PeterAltmaier.
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Fukushima war mehr als ein tragischer techni-scher Unfall. Fukushima war eine Zeitenwende. Ich per-sönlich bin überzeugt, dass wir eines Tages, im Abstandvon 20, 30 oder 40 Jahren, feststellen werden, dass mitdem Tag des Unfalls von Fukushima die Kernenergiekeine Zukunft mehr hatte und die Entwicklung – auchweltweit – zum ersten Mal nicht nur auf einen weiterenAusbau, sondern in Richtung auf einen Ausstieg aus derKernenergie eingeleitet wurde.Ganz sicher war es das Ende der Kernenergie inDeutschland. Wir haben in Deutschland die Konsequen-zen gezogen, und wir haben sie mit großer und mit ein-drucksvoller Mehrheit gezogen. Es gibt keine andereFrage, die in der deutschen Innenpolitik in den letzten30 oder 40 Jahren so heftig umstritten war wie die Frageder friedlichen Nutzung der Kernenergie.Ich weiß, wie schwer es vielen meiner Kollegen undteilweise auch mir selber gefallen ist, nachdem wir über30 oder 40 Jahre mit dafür gesorgt haben, dass Kern-energie in Deutschland sicher und ohne schwere Unfälleund Zwischenfälle genutzt worden ist, zu sagen: Wir zie-hen einen Schlussstrich, weil wir nach Fukushima über-zeugt sind, dass diese Energieart langfristig technischnicht sicher beherrschbar ist, und weil wir einen Beitragzum gesellschaftlichen Frieden leisten wollen.Lieber Kollege Trittin, ich hätte mir an einem Tag wieheute auch gewünscht, dass wir einmal nicht nur polari-sieren und polemisieren, sondern anerkennen, welchedie demokratischen Parteien übergreifende Kraft diesemParlament innewohnt, dass es zu solchen richtunggeben-den Entscheidungen fähig ist.
Deshalb wäre es vielleicht gut gewesen, wenn Sie andiesem Tag einmal keine Wahlkampfrede, sondern einestaatsmännische Rede gehalten hätten.
Ich sage Ihnen voraus – ich bin in Gesprächen mit un-seren Partnern in Europa, aber auch weltweit –, dass beider Frage, wann und in welchen Schritten auch andereLänder den Ausstieg aus der Kernenergie in Angriff neh-men und den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Ener-gien finden, viel davon abhängt, wie es uns in Deutsch-land gelingt, nicht nur mit dem Ausstieg fertig zuwerden, sondern auch unsere Energieversorgung schritt-weise auf erneuerbare Energien umzustellen.Lieber Kollege Trittin, da möchte ich Sie auf einenIrrtum hinweisen. Die Energiewende für erneuerbareEnergien, die Sie wollen, die ich möchte, die wir allewollen,
ist nicht dann ein Erfolg, wenn das letzte Kohlekraft-werk und das letzte Atomkraftwerk geschlossen unddurch Windräder und Solardächer ersetzt sind, sonderndann, wenn wir diese Energiewende so organisieren,dass Deutschland eine umweltverträgliche, CO2-neutraleEnergieversorgung hat und immer noch eine der wettbe-werbsfähigsten Volkswirtschaften dieser Welt ist; dennnur dann werden andere Länder diese Energiewendeübernehmen und bei sich umsetzen.
Ich hätte mich gefreut, lieber Kollege Trittin, wenn alldie Hausaufgaben, die dafür notwendig sind, gemachtworden wären. Dann hätte ich jetzt viel mehr Zeit, umfür die Energiewende zu werben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28641
Bundesminister Peter Altmaier
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Das tue ich sowieso. Aber wir wussten bereits im Jahr2000 – wenn Sie Ihren eigenen Anspruch ernst genom-men haben, wussten Sie das –, wie viele Leitungen wirbei einem erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren imJahr 2013 brauchen würden. Wenn man weiß, dass eszehn Jahre dauert, um eine solche Leitung zu bauen,dann frage ich mich: Wo sind denn Ihre Leitungen heute,Leitungen, die wir dringend bräuchten, damit Stromnicht abgeregelt werden muss, sondern denen zugute-kommt, die ihn brauchen?
Lieber Kollege Trittin, es war doch klar, dass die ers-ten 25 Prozent erneuerbare Energien eine ganz andereHerausforderung darstellen als die zweiten 25 Prozent.Wenn man erneuerbare Energien zu Beginn mit hohenSubventionen und Zuschüssen ermuntert, in den Markteinzutreten,
dann stellt das für die Menschen insgesamt keine großeBelastung dar. Wenn Sie aber 25 Prozent, 30 Prozent,40 Prozent oder 50 Prozent erneuerbare Energien habenund Geld für Einspeisevergütungen und das Bereithaltenvon Reservekapazitäten in einer Größenordnung zahlen,die deutlich über dem Börsenstrompreis liegt, der in an-deren Ländern bezahlt wird, dann ist das nicht neutralfür die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deshalb sinddas keine Peanuts, sondern zentrale Fragen der Energie-wende. Sie haben das nicht geschafft. Wir werden Ihnenzeigen, wie das geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenüber Zahlen diskutiert. Ich habe als Umweltminister mitgroßem Interesse die Aussagen meiner Vorgänger gele-sen – Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel –, welche Kos-ten die Energiewende für den Stromkunden verursacht.Wenn Sie jetzt sagen, die Zahlen des Kollegen Altmaierwürden von Instituten infrage gestellt und kritisiert, dannwissen Sie: Das sind zum Teil genau die Institute, derenPrognosen in den letzten zehn Jahren mit aller Regelmä-ßigkeit falsch waren. Das beeindruckt mich nun über-haupt gar nicht.
Es waren dieselben Experten, die uns noch vor einigerZeit gesagt haben: Der Preis für eine Kilowattstundewird nicht über 3,5 Cent steigen. Es waren dieselben Ex-perten, die gesagt haben: Die Börsenstrompreise werdenweltweit steigen, und mit dem, was wir dann über dieDifferenzkosten erlösen, können wir den Neuausbau ausder Westentasche finanzieren.Tatsächlich sind die Börsenstrompreise weltweit imSinkflug. Tatsächlich steigen die Differenzkosten. Tat-sächlich muss der Stromkunde in diesem Jahr voraus-sichtlich 20 Milliarden Euro für Einspeisevergütungenzahlen, und der Betrag steigt in den nächsten Jahren re-gelmäßig an.
Deshalb ist die Frage der Bezahlbarkeit elektrischerEnergie nicht nur eine Frage, die viele Rentnerinnen undRentner und Familien mit niedrigen Einkommen betrifft;
es ist eine Frage, die unsere Volkswirtschaft insgesamtberührt, und deshalb muss sie gelöst werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Kol-lege Kelber, ich habe nicht nur Vorschläge für die Strom-preisbremse gemacht,
die darin bestehen, dass man irgendwo etwas einspart;ich habe auch Vorschläge gemacht, um die Bemessungs-grundlage zu verbreitern. Dazu gehört, dass wir die Aus-nahmen für energieintensive Unternehmen zum erstenMal seit 13 Jahren nicht weiter ausweiten, sondern ein-schränken.
Diese Vorschläge habe ich gemacht. Wir verhandeln in-zwischen mit den Ländern darüber.
Ich warte bis zum heutigen Tag auf ein gemeinsamesKonzept von SPD- und grün-regierten Ländern und Ih-ren Bundestagsfraktionen dazu, an welcher Stelle ge-spart werden soll und wie Sie Ihre lautstarken Ankündi-gungen in die Praxis umsetzen wollen.
Tatsächlich geht es bei Ihnen zu wie bei Hempels untermSofa, und Sie sind sich in keiner dieser Fragen einig.
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28642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Bundesminister Peter Altmaier
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich biete Ih-nen eines an: Wenn wir gemeinsam überzeugt sind, dassdie Energiewende richtig ist, wenn wir es gemeinsam füreinen Erfolg halten, dass wahrscheinlich in diesem Jahrin Deutschland mehr erneuerbarer Strom produziertwird, als es bislang der Fall war, wenn wir wollen, dassdie Energiewende weitergeht, wenn wir wollen, dass derStandort Deutschland nach Abschluss der Energiewendenicht schwächer, sondern stärker dasteht, wenn wir alldas wollen, dann haben wir auch ein gemeinsames Inte-resse daran, nicht nur die Frage der Preisentwicklung ausdem Wahlkampf herauszuhalten,
sondern auch dafür zu sorgen, dass die Entwicklung soorganisiert wird, dass der Strom in Deutschland heute,morgen und übermorgen bezahlbar ist.
Sie haben die Chance, dabei mitzumachen. Wir werdenSie aus dieser Verantwortung nicht entlassen.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Matthias Miersch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Altmaier, so staatstragend war das ebennicht.
Eines kann ich Ihnen schon versprechen: Aus dem Wahl-kampf werden wir dieses Thema ganz bestimmt nichtheraushalten; denn an keinem anderen Thema kann manso deutlich die Unzulänglichkeit der schwarz-gelben Re-gierung dokumentieren.
Man merkt Ihnen an, wie Sie sofort anspringen undwie sehr Sie hier Ihre Energiepolitik rechtfertigen. DennSie haben ein großes Problem: Sie müssen Ihre Persön-lichkeitsspaltung, die Sie bei der Energiepolitik in dieserLegislaturperiode zwangsläufig durchlitten haben, in ir-gendeiner Form bewältigen. Das klappt natürlich nicht.Ich bin mir sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger Ih-nen das nicht durchgehen lassen; denn, Herr MinisterAltmaier, es ist erst zwei Jahre her, dass Sie an diesemPult standen und als Parlamentarischer Geschäftsführerder CDU/CSU in einer Geschäftsordnungsdebatte dieLaufzeitverlängerung zugunsten der Atomkraftwerkegerechtfertigt haben. Sie haben damals das entspre-chende Gesetz als das umweltfreundlichste Gesetz, dasjemals in Deutschland beschlossen worden ist, bezeich-net. Das waren Sie vor zwei Jahren, Herr MinisterAltmaier.
Damit, Herr Kauch, hängt natürlich auch das zusam-men, was wir seit 2000, seit dem rot-grünen Atomaus-stiegsbeschluss, erlebt haben. Sie haben seit 2000 – nichtSie persönlich, weil Sie damals noch nicht Mitglied desDeutschen Bundestags waren, wohl aber Schwarz-Gelb –alles blockiert, was die Energiewende in Deutschlandheute viel besser hätte aussehen lassen. Sie haben immerweiter auf die Atomenergie und die Kohleenergie gesetztund den Ausbau der Erneuerbaren verhindert, und zwarin jeder Abstimmung, die wir hier durchgeführt haben.
Lieber Herr Meierhofer, es sind nicht Ihre Erfolge.Der Ausbau der Erneuerbaren, den wir heute feiern kön-nen – das machen wir ganz deutlich –, ist nicht auf IhrePolitik zurückzuführen. Trotz Ihrer Politik bauen wir dieErneuerbaren aus, ich betone: trotz Ihrer Politik.
Was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren in einemzentralen Punkt, der alle Bürgerinnen und Bürger sowiedie Wirtschaft betrifft, geschaffen haben, ist Verunsiche-rung. Diese Verunsicherung, Herr Minister Altmaier,können wir bis zum heutigen Tag spüren. Sprechen Siemit Investoren aus dem Bereich der Erneuerbaren. Diesewerden Ihnen sagen: Die Banken finanzieren nichtsmehr, weil wir nicht mehr wissen, was Regierungspolitikist, weil wir nicht wissen, wie verlässlich die Pläne sind.Im Zweifelsfall können wir die Pläne gar nicht erkennen,weil zwischen Wirtschaftsministerium und Umwelt-ministerium keine Abstimmung erfolgt. – Das ist IhrePolitik.
Herr Minister Altmaier, wenn wir schon bei derstaatstragenden Rede sind, dann muss ich sagen, dassTage wie heute bzw. solche Wochen dazu dienen müss-ten, den Menschen zu erklären, warum wir von derAtomkraft weg wollen. Sie hätten zum Beispiel einmalauflisten können, welche volkswirtschaftlichen Kostendamit verbunden wären, wenn wir diesen Weg nicht gin-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28643
Dr. Matthias Miersch
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gen. Uns liegen die Berechnungen von Sir NicholasStern vor, die aufzeigen, welche volkswirtschaftlichenKosten entstünden, wenn wir nicht umsteuern und in Eu-ropa und weltweit weiter auf klimaschädliche Kohlepoli-tik setzen. Anhand der volkswirtschaftlichen Folgelastenvon Fukushima können wir genau sagen, was es für dieAllgemeinheit, für die Steuerzahler etc. bedeutet, wennwir nicht umsteuern und solche Unfälle billigend in Kaufnehmen. Was aber machen Sie? Sie sprechen nicht vondiesen Folgen, sondern malen eine völlig unsubstan-ziierte Zahl von 1 Billion Euro Folgekosten an dieWand. Das ist nicht staatsmännisch. Das ist eines Um-weltministers nicht würdig. Sie müssen für diese Ener-giewende brennen und dürfen sie nicht verteufeln, lieberHerr Kollege Altmaier.
– Ja, Herr Goldmann. Sie bekommen eine Antwort da-rauf. Wenn Sie sagen, dass das bezahlbar sein muss,dann begehen Sie gleich den nächsten Fehler. Sie verteu-feln die Energiewende wiederum, wenn Sie sagen, dasssie angeblich nicht bezahlbar sei. Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen, lieber Herr Kollege Goldmann, wermeint, dass die alte Energiepolitik – Kohle und Atom –billig gewesen sei und erneuerbare Energien etwas kos-ten, der lügt. Das sage ich hier an dieser Stelle.
Auf Seite 1 des Papiers, das der Kollege HerrAltmaier vorgelegt hat, steht: All das, was ich hier vor-stelle, kann dazu führen, dass der Strompreis weiter an-steigt. – Warum schreiben Sie das? Sie schreiben das,weil Sie an die Wurzel des Übels nicht herangehen. DieErneuerbaren senken augenblicklich Großhandelspreiseetc. Aufgrund der Systematik kommt diese Senkung beiden Verbraucherinnen und Verbrauchern aber nicht an.An dieser Stelle hätten Sie ansetzen müssen, Herr Minis-ter, und dafür sind Sie zuständig.
Wir erleben aber genau das Gegenteil.Das konnten wir auch in der Sitzung des Umweltaus-schusses des Deutschen Bundestages in dieser Wochefeststellen. Wir haben Sie und Herrn Rösler eingeladen,um von Ihnen zu hören, welche Strategie Sie verfolgen.Das Erste ist – und das zeigt eigentlich schon alles –,dass Sie nicht bereit gewesen sind, gemeinsam vor demUmweltausschuss aufzutreten. Herr Trittin hat sicherlichauch seine Erfahrungen damit gemacht. Zwischen Um-weltministerium und Wirtschaftsministerium gibt es im-mer Reibung. Wenn diese Reibung aber genutzt wird,kann sie Wärme erzeugen, und dann ist das positiv. Sieaber gehen absolut planlos vor.Zweitens haben Sie kein Konzept. Das erkennt manam besten an dem von Ihnen eingerichteten Energie- undKlimafonds, mit dem Sie eigentlich Klimaschutzpro-jekte bzw. Energiewendeprojekte fördern wollen. Wirsagen Ihnen seit mindestens zwei Jahren, dass das nichtfunktioniert, weil Sie die Einnahmen, die Sie an dieWand gemalt haben, niemals erzielen werden. Erst woll-ten Sie die Einnahmen von den Atomkonzernen auf-grund der Laufzeitverlängerung. Jetzt wollen Sie dieseEinnahmen durch den Emissionshandel erzielen. Beidesklappt aber nicht. Wir haben in diesem Fonds, mit demdie Energiewende organisiert werden soll, augenblick-lich eine Lücke von über 1 Milliarde Euro in diesem Jahrund von noch einmal mindestens 1 Milliarde Euro imnächsten Jahr. Herr Minister Altmaier, wir haben Sie ge-fragt, wie Sie hier vorgehen wollen. Sie haben keineAntwort.Das ist ein Symbol schwarz-gelber Energiepolitik: Siekönnen das einfach nicht. – Hoffentlich geht es ab Sep-tember mit einer anderen, mit einer originalen Politikweiter. Deswegen streiten wir hier. Sie haben in derEnergiepolitik kläglich versagt.Danke.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Angelika Brunkhorst.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte das Hauptaugenmerk meiner Rede auf einenganz anderen Teil der Debatte richten, nämlich auf denin der Tagesordnung zuletzt genannten Antrag der Grü-nen, über den heute immerhin namentlich abgestimmtwerden soll. Davon war bisher noch gar nicht die Rede.In diesem Antrag wird die unverzügliche Stilllegung derKraftwerke in Cattenom und Fessenheim gefordert. Esgab eine ganze Reihe anderer Anträge dazu. Ich kommenachher auch noch auf die Vergangenheit zu sprechen.Zunächst einmal ist festzustellen, dass die EU jedemMitgliedstaat das Recht einräumt, die Struktur seinerEnergieversorgung eigenverantwortlich und souverän zubestimmen. Deutschland hat, wie wir wissen, nach denErkenntnissen der Katastrophe von Fukushima 2011 ent-schieden, acht Kernkraftwerke sofort stillzulegen undweitere neun Kernkraftwerke beschleunigt bis 2022 vomNetz zu nehmen. Wir wollen möglichst umgehend einebezahlbare, sichere und ökologische Energieversorgungforcieren, die weitgehend auf erneuerbaren Energien ba-siert. Dazu stehen wir auch. Da kann sich Herr Mierschnoch so aufregen. Es ist auch gar nicht gesund, sich so inRage zu reden, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind auf ei-nem guten Weg.
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Angelika Brunkhorst
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In Frankreich gibt es eine ganz andere Entscheidung,auch wenn es mit Herrn Hollande dort einen anderenStaatspräsidenten gibt. Auch wenn er gesagt hat, erwolle den Anteil der Kernenergie auf 50 Prozent zurück-führen, muss man doch erkennen, dass Frankreich nachwie vor vorwiegend auf die friedliche Nutzung der Kern-energie setzt. Deshalb nützt es gar nichts, wenn Sie in Ih-rem Antrag immer wieder von der Hochrisikotechnolo-gie sprechen. Das wird nicht dazu geeignet sein, dieSouveränität Frankreichs infrage zu stellen.
Es gibt viele souveräne Staaten in Europa. Es gibtwelche, die gar nicht auf Kernkraft gesetzt haben, und esgibt andere, die es getan haben. Es gibt sicherlich auchStaaten, die erstaunt oder sogar anerkennend aufDeutschland schauen und sehen, wie wir das hier regeln.Sie räumen vielleicht ein, dass sie die Energiewendenicht wie Deutschland auf den Weg gebracht haben; aberbei aller Anerkennung, die sie vielleicht für das deutscheModell haben, wollen sie deshalb nicht automatisch dasdeutsche Modell adaptieren.Es gibt ganz klare Zuständigkeiten für die sicherheits-technischen Regelungen. Die Bundesregierung hat nuneinmal nicht die Zuständigkeit, die sicherheitstechni-schen Kriterien der französischen Anlagen zu bewerten.Die Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom25. Juni 2009 bestimmt, dass die sicherheitstechnischeBewertung der Anlagen von den jeweiligen Staaten aufder Basis der nationalen Regelwerke vorzunehmen ist.Die sicherheitstechnische Bewertung konkreter französi-scher Kernkraftwerke wie Cattenom und Fessenheim ob-liegt der französischen Aufsichtsbehörde ASN. Sie wirdeigenverantwortlich ihre Entscheidungen treffen. DieAuflagen, die sie an den Weiterbetrieb stellt, wird sie si-cherlich streng und verantwortlich erfüllen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, IhrAntrag tendiert an einer Stelle dazu, der Bundesregie-rung zu unterstellen, sie bemühe sich nicht ausreichend,einen bilateralen Dialog mit Frankreich zu führen.
Das müssen wir weit von uns weisen; denn das ist wirk-lich nicht so. Es ist vielmehr so, dass Deutschland undFrankreich auf bilateraler Ebene in einem ständigenAustausch stehen, und zwar in der Deutsch-Französi-schen Kommission, wo regelmäßig Informationen undErfahrungen ausgetauscht werden. Die grenznahen Bun-desländer wie das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nehmen an diesen Sitzungen teil. Sie kön-nen dort die sicherheitstechnischen Bedenken und Anlie-gen der grenznahen Bevölkerung einbringen.Die Inhalte der Sitzungen der Deutsch-FranzösischenKommission, die da sind: Strahlenschutz, nukleare Si-cherheit, Betriebserfahrungen, Ereignisse, Nachrüstun-gen und Verbesserungen, werden von einem weitereneuropäischen Gremium getoppt. Es handelt sich um dieENSREG, eine hochrangige Gruppe von atomrechtli-chen Aufsichtsbehörden, die einen Aktionsplan aufge-stellt hat, der in nationale Aktionspläne umgesetztwurde. Im April wird ein Workshop stattfinden, wo dieseAktionspläne vorgestellt und ganz konkrete Handlungs-anweisungen erarbeitet werden.
Frau Kollegin Brunkhorst.
Ja, ich bin so weit.
Der Kollege Nink möchte Ihnen eine Zwischenfrage
stellen. Erlauben Sie das zum Ende Ihrer Rede?
Der kann eine Kurzintervention machen. Ich möchte
zum Ende kommen.
– Keine Sorge, so habe ich es nicht gemeint.
Dann kommen Sie bitte zum Schluss.
Das wird eine sehr gute Plattform sein.
Ganz zum Schluss: Der Euratom-Vertrag wird von
der FDP als wichtiges Instrument betrachtet. Wir werden
auch in Zukunft zum Euratom-Vertrag stehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Eva
Bulling-Schröter das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Fukushima war eine Zäsur; die Bundesregie-rung musste die absurde Verlängerung der Laufzeitenvon AKW zurücknehmen. Aber die Energiewende be-gann natürlich weit früher, und zwar unter dem Druckder Anti-AKW-Bewegung. An dieser Stelle herzlichenDank an die zahlreichen Bürgerinitiativen, Windmüller,Biobauern, Energiedörfer und Genossenschaften, an dieFamilien, die sich Solarpanel aufs Dach schraubten, andie Tüftler und Unternehmen, die diese zuverlässigeTechnik entwickelt haben!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28645
Eva Bulling-Schröter
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Diese Technik steht immer preiswerter zur Verfügung.Dafür hat auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ge-sorgt, das Herr Rösler am liebsten abschaffen will.Zwei Jahre nach Fukushima scheinen sich nun dieGegner der Energiewende gesammelt und in Stellunggebracht zu haben.
Sie sitzen nicht nur in den alten Strom- und Automobil-konzernen, sondern vor allem auch im Bundeswirt-schaftsministerium.
Aber diese üble Allianz kennen wir ja; sie sah unter Rot-Grün ähnlich aus.Jetzt wird von Ihrer Seite zum Sturm geblasen. Aufder einen Seite verhindert Herr Rösler den Umbau desStromsystems, indem er die Reformen beim Emissions-handel blockiert. Auf der anderen Seite ziehen Sie dieDebatte über die Verteilung der Kosten der Energie-wende so auf, dass die erneuerbaren Energien unter Be-schuss geraten, die Zukunftsenergien also, und nicht diesoziale Schieflage oder die Profite, die vielerorts damitverdient werden.
Es ist schon irrwitzig, dass es die FDP ist, die das ein-zige marktnahe Instrument zum Klimaschutz zerschie-ßen will. Dabei ist klar: Im System befinden sich fast2 Milliarden CO2-Zertifikate zu viel; das entspricht2 Milliarden Tonnen des Klimakillers CO2. Darum sinddie CO2-Zertifikatspreise im Keller. Es stimmt ebennicht, Herr Kauch, dass dieser Überschussberg vor allemdurch mehr Effizienz, den schnellen Ökostromausbauoder die Krise verursacht wurde. Nach Ihrer Philosophieist der bessere Klimaschutz für den Preisverfall verant-wortlich; weil das Cap, die fixe Emissionsobergrenze,eingehalten werde, gäbe es kein Problem. Genau so hates Herr Minister Rösler am Mittwoch im Ausschuss ver-kauft. Das Gegenteil ist richtig; denn das Cap wurde auf-gebläht: Zwei Drittel der Überschüsse resultieren ausCDM-Gutschriften aus dem Ausland. Die Hälfte dieserGutschriften ist aber faul, weil sie aus Projekten resultie-ren, bei denen kein zusätzlicher Klimaschutz stattfand.Daraus folgt zumindest für jeden, der das System halb-wegs begriffen hat: Wenn die überschüssigen CO2-Zerti-fikate nicht dauerhaft stillgelegt werden, führt das nichtnur zu dauerhaft niedrigen Zertifikatspreisen, sondernvor allem auch zu einem zusätzlichen CO2-Ausstoß.
Das aber ist das genaue Gegenteil von Klimaschutz; dasist das völlige Scheitern des Systems, ja, fast eine Straf-tat an Mensch und Umwelt.
Der niedrige CO2-Zertifikatspreis schafft kaum An-reize für den Einsatz von Effizienztechnologien. So wer-den zum Beispiel moderne Gaskraftwerke gegenüberKohlemeilern benachteiligt, Stichwort: Irsching 5. Dasist katastrophal; aber letztlich ist es nur eine Folge desaufgeblähten Caps. Das läuft eben etwas anders, HerrKauch – Herr Rösler ist nicht da –, als im ErstsemesterVolkswirtschaftslehre.Es geht natürlich nicht nur um Verständnisfragen; esgeht um Macht und Geld. Die Wahrheit ist: Sie wollendie fossilen Kraftwerke im Spiel halten und bei den er-neuerbaren Energien bremsen und verhindern, wo esgeht.
Sonst würden Sie jetzt nicht wieder alte, bereits geschei-terte Geschichten aus dem Hut ziehen wie Quotensys-teme beim EEG. Sie würden sonst auch nicht Neuinves-titionen in den Bereichen Wind und Sonne abwürgen,indem Sie die Einspeisevergütungen nachträglich strei-chen.
Sie würden sonst die energieintensive Industrie und dieBetreiber von Anlagen – Stichwort: Mindestumlage fürden Eigenverbrauch – nicht nur mit lächerlichen700 Millionen Euro zur Kasse bitten; denn die Indus-trieprivilegien, für die die restlichen Stromkunden ble-chen, sind allein beim EEG achtmal so hoch.
Reden wir noch schnell über die Profite der Kon-zerne. Für 2012 erwarten allein die beiden größtenStromkonzerne, Eon und RWE, einen irrwitzigen Ge-winn von insgesamt über 19 Milliarden Euro. Das sind3 Milliarden Euro mehr, als die gesamte Förderung dererneuerbaren Energien den Stromkunden kostet. 19 Mil-liarden Euro Profit! Da reden wir nicht über Peanuts.Diesen Profit machen dieselben, die andauernd herum-jammern, ihre Kraftwerke rechneten sich nicht mehr, siebrauchten zusätzliche Einnahmen, Stichwort „Kapazi-tätsmärkte“. Es ist immer die gleiche Geschichte: Die ei-nen verdienen sich dumm und dämlich, und die anderenbezahlen. Das ist Ihre Politik.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Was mich in meinen Gesprächen mit Japanern in den
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28646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Sylvia Kotting-Uhl
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letzten Tagen am meisten erschüttert hat, war, zu hören,dass der oberste gesundheitliche Berater der japanischenRegierung auf die Frage, ob die nach dem Unglück inFukushima frei gewordene Strahlung für die Menschengefährlich sei, sagte, Menschen, die lächeln, habe dieStrahlung nichts an, nur wer sich gräme, dem könne dieStrahlung schaden.
– Das ist in der Tat unglaublich. – Ich dachte, da lebenwir doch in einem etwas anderen Land. Aber ich musssagen: Heute habe ich hier realitätsverweigernde Äuße-rungen vernommen, die dem nicht unbedingt nachste-hen.
Herr Hirte und Herr Kauch sind stolz auf den Ausbauder erneuerbaren Energien, brüsten sich, dass unter die-ser Regierung der Ausbau der erneuerbaren Energien vo-rangeschritten ist.
Wo wären wir denn, wenn wir Ihre Konzepte übernom-men hätten? Wo wäre denn der Ausbau der erneuerbarenEnergien, wenn Sie damals, 2000, darüber zu entschei-den gehabt hätten. Das ist doch völlig absurd, was Sieerzählen.
Herr Hirte, Sie haben den Atomausstieg angeblichnoch einmal forciert. Waren wir denn 2010 alle im Deli-rium, und haben wir uns etwas zusammengeträumt? Wares gar nicht so, dass Sie den Atomausstieg rückgängiggemacht und die Atomkraftlaufzeiten verlängert haben?
Haben wir das geträumt, Herr Hirte, oder haben Sieheute geträumt, als Sie diese Rede gehalten haben?
So etwas Absurdes habe ich noch nicht gehört.Frau Brunkhorst, genauso absurd ist die ständige Er-klärung: „Wir mischen uns nicht in die Energiepolitikanderer Länder ein“, oder: Wir sind doch nicht dieAtomaufsicht von Frankreich. – Das ist doch keine Re-aktion auf ein grenzüberschreitendes Risiko. Sie weigernsich, ein grenzüberschreitendes Risiko anzuerkennen.Genauso negieren das die Bundesregierung und FrauMerkel.
Eine Bundesregierung hat den Auftrag, ihre Bevölke-rung vor Risiken zu schützen.
Wenn die Begründung für den Atomausstieg, die wir indiesem Haus gehört haben, stimmt – das Risiko derAtomkraft sei der Gesellschaft in dem bisherigen Maßenicht mehr zuzumuten; deshalb hätten wir Atomkraft-werke abschalten müssen, die Cattenom und Fessenheimin nichts nachstehen –, dann gehört zu diesem Schutz-auftrag auch, dass die Regierung bilaterale Gesprächemit Frankreich aufnimmt, um zu eruieren, ob sie ihre Be-völkerung unter Wahrung der französischen Souveräni-tät schützen kann. Nichts anderes fordern wir. Dass Siesich dem verweigern, das ist ein Skandal. Um das zu be-legen, gibt es heute eine namentliche Abstimmung. Ichbin sehr gespannt, wie Sie sich bei dieser Abstimmungverhalten werden,
und ob Sie den Menschen im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Südbaden das Risiko weiter zumuten wol-len.Nein, Minister Altmaier, Atomausstieg ist mehr alsein Abschaltplan für Atomkraftwerke. Dazu gehört einAusstieg aus Kernfusion und Transmutation. Wer inKernfusion und Transmutation einsteigen will, der steigtnicht aus der Atomkraft aus, der hat den Atomausstiegnicht begriffen.
Dazu gehört eine Überarbeitung von Euratom. Dazu ge-hört der Ausstieg aus ITER. Außerdem gehören dazuschärfere Sicherheitsanforderungen, auf die wir bisheute vergeblich warten. Das alles sind Versäumnisse.Das ist kein Atomausstieg. Das passt zu den Reden, diewir hier gehört haben; aber das passt nicht zu dem, wasSie 2011 in diesem Haus versprochen haben.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Christian Ruck.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Auch zwei Jahre nach dem Tsunami in Japangilt den Menschen in der Region unsere Anteilnahmeund unser Mitgefühl, den Verletzten, den Angehörigen,den Toten und den Traumatisierten. Unser Dank gilt aberauch unseren Mitbürgern, die in großartiger Weise mitihren Spenden zur Linderung der Not in Japan beigetra-gen haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28647
Dr. Christian Ruck
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Aus dem Unglück in Japan können wir für diese Debattemitnehmen, dass wir uns in Fragen der Energie seriösund mit dem nötigen Ernst beschäftigen, ohne Gegröleund ohne sich gegenseitig zu unterstellen, man habe eineversteckte Agenda.Vor dem Hintergrund von Fukushima hat die Bundes-regierung, hat die Koalition beschlossen, die zivile Nut-zung der Kernenergie in Deutschland zu beenden. 2022wird das letzte AKW vom Netz gegangen sein. Die älte-ren Kollegen der Opposition wissen, dass auch ich imRahmen unseres Energiekonzepts für eine Verlängerungder Laufzeiten der Kernkraftwerke war, um Geld undZeit zu gewinnen. Herr Bülow, ich muss bei Ihnen keineNachhilfe nehmen, um zu wissen, was damals die Moti-vation für unseren Beschluss war. Ich weiß besser alsSie, was wir vorhatten. Dazu stehe ich nach wie vor.
Ich akzeptiere ohne Wenn und Aber die Entscheidungder Koalition, unserer Partei, des Deutschen Bundesta-ges. Ich akzeptiere aber nicht, dass aus parteitaktischenGründen immer wieder Unkenrufe von Rot-Grün kom-men, wir nähmen den Ausstieg nicht ernst. Wir werden,im Gegensatz zu Ihren damaligen Lippenbekenntnissen,den Ausstieg vollziehen, und zwar ohne Wenn und Aber.
Ich akzeptiere auch nicht, Herr Hempelmann, IhreHäme,
die immer wieder an den Tag gelegt wird, wenn esSchwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewendegibt.
Ich akzeptiere auch, dass sich die politische Land-schaft geändert hat. Das ist für diese Diskussion sogarvon Vorteil; denn so können Sie sich mit Ihrer Mehrheitim Bundesrat nicht länger aus der Verantwortung stehlenund notwendige Maßnahmen wie die Gebäudesanierungoder die EEG-Reform blockieren, ohne dass es die Men-schen merken. Das nimmt Ihnen keiner mehr ab.
Es ist wahr, dass uns die Herausnahme der Kernkraft-werke aus unserer Energieproduktion vor massive Pro-bleme stellt. Es ist aber auch wahr, dass wir Problememit unserem eigenen Erfolg haben, nämlich dem massi-ven Aufwuchs der erneuerbaren Energien. Herr Miersch,auch wenn Sie mit Ihrem Geschrei ins Mikrofon beißen:Es ist wahr – das hat Herr Kauch sehr gut dargestellt –,dass der Aufwuchs der erneuerbaren Energien vor allemunter dieser Bundesregierung erfolgte. Das hat natürlichFolgen. Die kann man auch ansprechen. Das hat übri-gens auch ein gewisser Gabriel gestern getan; das istdoch Ihr Parteivorsitzender. Die Volatilität ist dadurchexorbitant gestiegen. Durch die absurde Ausgestaltungdes EEG gehen die Energiepreise nach oben, obwohl sieanderswo fallen: In den Vereinigten Staaten zum Bei-spiel sind die Strompreise in letzter Zeit um 60 Prozentgefallen. Bei uns sind sie in den letzten Jahren für dienormale Industrie um 20 Prozent, für die Verbraucherum 25 Prozent gestiegen. Das hat natürlich bedrohlicheFolgen für unsere Wirtschaft. Über diese Folgen müssenwir uns seriös auseinandersetzen, auch in einem Landwie Nordrhein-Westfalen. Das kann unter die Haut ge-hen, wenn wir nicht aufpassen.Man muss feststellen: Was auch unter unserer Regie-rung in den 90er-Jahren als Markteinführungsvehikel ge-dacht war, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz, hatsich zu einer gigantischen Gelddruckmaschine entwi-ckelt und ist längst von den Klimaschutzzielen abgekop-pelt. Es kommt zu einer grotesken Entkoppelung inner-halb der eigenen Gesellschaft: zu einer Privatisierunggigantischer Gewinne und zu einer Sozialisierung gigan-tischer Kosten.
Das muss doch auch die Opposition, das müssen sogarSie, Herr Kelber – französisch oder nicht –, kapiert ha-ben.Sie können die Auswüchse, die das annimmt, nichtwollen. Ein Beispiel: Wenn für ein einziges Windkraft-rad bis zu 80 000 Euro Pacht gezahlt wird, dann bedeutetdas den Ruin der normalen Landwirtschaft in Deutsch-land.
Das können wir nicht hinnehmen.
Angesichts dessen, was die Länder an Zubau planen,muss doch auch Ihnen aufgefallen sein, dass die Planun-gen Ihrer Länder mit der vorausschauenden Planung derAbnahme in keiner Weise übereinstimmen. Die ernüch-ternde Feststellung ist: Unser Ziel, mit unserer Energie-wende Vorbild für die Welt zu sein, werden wir nicht er-reichen, wenn wir jetzt nicht eingreifen.Es wird immer gesagt, wir müssten uns um die Atom-energie anderer Länder kümmern. Erstens, Frau Kotting-Uhl, finden Gespräche über die beiden französischenAtomkraftwerke statt. Das kann auch Ihnen nicht ent-gangen sein.
Zweitens. Die beste Argumentation für einen Verzichtanderer Länder auf Kernkraftwerke liefern wir, wenn esuns gelingt, eine Technologie wettbewerbsfähig, alsoauch bezahlbar zu machen, die bei uns und anderswoAtomkraftwerke überflüssig macht.Die SPD liefert uns hier ein absurdes Spektakel mitder Verdrehung von Ursache und Wirkung, von Feuer-wehr und Brandstifter; aber wenigstens ist sie aufge-wacht.
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28648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. Christian Ruck
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Ich habe genau aufgepasst, was Herr Gabriel gestern ge-sagt hat. Obwohl eine Woche vorher Peter Altmaier nochkritisiert wurde, weil er Kosten von 1 Billion Euro insSpiel gebracht hat – die übrigens zu niedrig angesetztsind, weil einige Posten gar nicht eingerechnet sind –,
hat Ihr Herr Gabriel gesagt: Die Volatilität ist zu hoch. –Das ist erstaunlich. Er hat gesagt: Die Preise sind zuhoch. – Auch das ist erstaunlich. Dann hat er gesagt: DerCO2-Ausstoß ist zu hoch. – Herr Gabriel hat auch gesagt,dass das die Analyse des gesamten Hauses sei. Das istdoch prima. Dann ist es doch nur noch ein kleiner Schritt– Wahlkampf hin oder Wahlkampf her –, zu gemeinsa-mem Handeln zu kommen.
Es ist wahr, dass die Energiewende eine Megaaufgabeist. Es ist auch wahr, dass wir Berechenbarkeit und Plan-barkeit brauchen. Genauso wahr ist, dass wir unsere An-strengungen erhöhen und die Vorgänge beschleunigenmüssen, aber auch Fehlentwicklungen korrigieren undan anderer Stelle entschleunigen müssen. Wir halten anunseren ehrgeizigen Zielen fest; aber wir müssen denAusbau der Erneuerbaren viel stärker mit dem Netzaus-bau synchronisieren. Wir müssen den Emissionshandelneu strukturieren. Wir müssen zusehen, dass wir stärkerals bisher Themen wie Innovation und Technologie inunsere eigene Politik einspeisen.Wir müssen eine Abstimmung unter den Ländern her-beiführen. Das sind nicht nur unsere Länder, sondernauch die der „Krafts“ und der „Kretschmanns“. Damitbin ich wieder bei meiner These: Es hat keinen Sinn, mitdem Finger auf andere zu zeigen. Wir brauchen ein Zu-sammenspiel von Bundestag, Bundesregierung und Bun-desrat. Das sind wir den künftigen Generationen schul-dig. Keiner wird später fragen: Habt ihr damalsWahlkampf geführt oder nicht? Jetzt geht es darum, dieBlockaden zu beenden. Das gilt auch für Rot-Grün imBundesrat.
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf
Hempelmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier! –Wo ist er? – Dort oben in den Reihen der Abgeordneten.Herr Abgeordneter, vielleicht darf ich Ihr Tête-à-Têteunterbrechen. Wir führen eine gemeinsame Debatte indiesem Haus, und Sie sind keine ganz unwichtige Figurdabei.Sie haben sich heute hier wieder breitbeinig hinge-stellt und erneut behauptet, dass Sie diejenigen seien, diejetzt endlich mit dem Systemumbau beginnen, und Rot-Grün zwar den Bereich der erneuerbaren Energien aus-gebaut, den Systemumbau aber nicht vollzogen hätte.Ich sage Ihnen, was ich Ihnen schon gestern gesagt habe– man muss es Ihnen offenbar jeden Tag sagen –: Sogeht das nicht. Andere sind weiter: Die Unternehmen ha-ben längst eingesehen, dass sie nach der Wurst, die ihnenIhre Kollegen von Schwarz-Gelb damals in Form vonLaufzeitverlängerungen hingehalten haben, niemals hät-ten greifen dürfen; denn dadurch wurde der System-umbau zehn Jahre lang blockiert.
Sie haben dafür gesorgt, dass die Atomkraftwerksbe-treiber, die zugleich Netzbetreiber waren und an den ent-sprechenden Schlüsselstellen des Systems saßen, diesenSystemumbau niemals begonnen, niemals unterstützt ha-ben. So viel auch zu Ihnen, Herr Dr. Ruck, wenn Siejetzt einfordern, wir, die Opposition, sollten die Blo-ckade beenden. Lassen Sie uns doch wenigstens einmalfeststellen: Zehn Jahre lang haben Sie eine moderneEnergiepolitik, einen Systemumbau hin zu einer stärke-ren Nutzung der erneuerbaren Energien behindert undblockiert. Sie sollten das wenigstens einmal offen sagen.
In der heutigen Debatte geht es auch um einen Antragzum Thema Euratom. Wir sagen: Wir müssen den Eura-tom-Vertrag erneuern. Damit sind wir nicht allein. Esgibt zum Beispiel einen EU-Kommissar namensOettinger, früher mal CDU-Ministerpräsident, der dasganz genauso sieht. Im Übrigen haben auch Sie dasschon einmal so gesehen: Im Jahr 2007 hat die heutigeKanzlerin die Schlussakte des Vertrags von Lissabon un-terzeichnet. Darin stand eindeutig: Wir brauchen eineÜberarbeitung des Euratom-Vertrags, insbesondere inRichtung mehr Sicherheit im Bereich der Erzeugung vonStrom in Anlagen zur atomaren Energieerzeugung.
Insofern glaube ich, dass diese Anträge sehr berechtigtsind und eigentlich auch Ihre Unterstützung verdienten.Herrn Oettinger wurmt im Übrigen, dass es keineeuropäische Kompetenz für die Überwachung und Kon-trolle der Sicherheit der 145 Atomkraftwerke in Europagibt. Er bedauert das. Allerdings hat ihm der EuGH, derEuropäische Gerichtshof, grundsätzlich schon in einerZeit grünes Licht gegeben, als er noch gar nicht Energie-kommissar war, als er noch für die Atomenergie stritt. Erist aber, glaube ich, ein wirklich Bekehrter. Deswegenmöchte er diese europäische Zuständigkeit, wie auch derEuropäische Gerichtshof sie sieht.Er hat immerhin Stresstest, Belastungsproben, für die145 AKW durchgesetzt. Die Ergebnisse sind teilweisedramatisch, auch für französische Atomkraftwerke, zumBeispiel für Cattenom – deswegen sind die Fragen, dieauf die grenzüberschreitende Sicherheit von Atomkraft-werken abstellen, völlig berechtigt –, aber auch für die17 deutschen Atomkraftwerke. Probleme wurden festge-stellt bei Notstromaggregaten, beim Erdbebenschutz,beim Überflutungsschutz, aber auch bei der passiven Si-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28649
Rolf Hempelmann
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cherheit, zum Beispiel vor Flugzeugabstürzen. Wohlge-merkt: Das wurde bei den deutschen Atomkraftwerkenfestgestellt. Der BUND in Deutschland bedauert, dassdie Probleme auch heute noch nicht beseitigt sind. Esgibt Risiken durch Brände oder altersbedingte Ausfällevon Sicherheitssystemen. Es gibt eine mangelhafte Si-cherheitsarchitektur. Kein deutsches Atomkraftwerk istgegen den Ausfall der Stromversorgung gesichert. Ge-nau das war die Ursache für die Probleme in Fukushima,für den Austritt von Radioaktivität in Japan und die Ex-plosion von zwei Reaktoren.Klar ist: Die Atomkraftwerksbetreiber in ganz Europawerden nicht freiwillig in die Sicherheit ihrer Anlageninvestieren. Es ist errechnet worden, dass es – dies istvermutlich lediglich ein erster Schritt – im Schnitt umetwa 200 Millionen Euro pro Anlage geht. Deswegenbrauchen wir – das sagt EU-Kommissar Oettinger – einegemeinsame EU-Gesetzgebung für nukleare Sicherheit.Er will im April einen Gesetzesvorschlag unterbreiten.Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung dazustellen wird.Übrigens sagte gestern ein Vertreter der Koalition:Wenn wir das machen, wird es teuer, das verteuert dannden Strompreis. Ich sehe einmal von der Tatsache ab,dass er offenbar von der Merit-Order noch nichts gehörtund deshalb noch nicht gelernt hat, dass gerade Atom-kraftwerke die größten Gewinne abwerfen, weil sie imVergleich zum konventionellen Kraftwerkspark die ge-ringsten Brennstoffkosten haben. Weiter sehe ich vonder Tatsache ab, dass eine Verteuerung von Atomstromnicht unbedingt eine Erhöhung des Endpreises bedeutenwürde. Abgesehen von diesen beiden Tatsachen zeigtdas natürlich auch Ihre Prioritätensetzung bzw. an wel-cher Stelle für Sie die Sicherheit der Menschen hier imLande steht.
Es ist kein Zufall, dass Sie bei der Überarbeitung desEuratom-Vertrags so zurückhaltend sind, wenn mansieht, wie Sie mit dem Export von Atomtechnologienumgehen. Wir waren – das ist hier schon angesprochenworden – da schon einmal weiter. Es gab unter Rot-GrünLeitlinien, die deutlich gemacht haben: Wenn man in ei-nem Land aus der Atomtechnologie aussteigt, darf esnicht sein, dass man Atomtechnologieexport mit Her-mesbürgschaften unterstützt.
So weit waren wir schon. Wenigstens dahin sollten Sienach Ihrem Austrittsbeschluss – schon allein zur Steige-rung Ihrer Glaubwürdigkeit – gelangen.Wenn Sie im Übrigen wollen, dass die deutsche Ener-giepolitik international als Modell begriffen werden soll– einer von Ihnen hat das gerade so gesagt –, müssen Sieselbstverständlich in Ihrer Politik konsistent sein. Dasheißt, man muss dafür werben, dass uns andere auf die-sem Weg folgen. Mindestens muss man dafür sorgen,dass die Sicherheit der Atomkraftanlagen verbessertwird. Auf gar keinen Fall darf man selbst zum Akteur indiesem Markt werden. Dies darf schon gar nicht mitpolitischen Instrumenten wie Hermesbürgschaften unter-stützt werden.Meine Damen und Herren, Angra in Brasilien ist nureines der Beispiele. Es gibt viele andere, die da drohen.Möglicherweise wird Angra kein deutsches bzw. Hermes-projekt werden. Viele andere aber mit ähnlichen Proble-men – dabei handelt es sich um Erdrutschgebiete, Erdbe-bengebiete usw. – sind in der Warteschleife.Ich würde mir wünschen, dass es keine Abwartehal-tung gibt, sondern ein klares Wort dieser Bundesregie-rung und möglichst auch dieser Bundeskanzlerin, dasssolche Exporte in Zukunft von der Bundesregierungnicht unterstützt werden.
Wenn Sie wollen, dass die Menschen Ihnen abneh-men, dass Sie es mit dem Atomausstieg ernst meinen– wir alle wollen das gerne glauben –, seien Sie in die-sem Sinne konsequent und folgen Sie den Vorschlägen,die wir heute gemacht haben.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Martin Lindner.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Mankann zum deutschen Ausstieg aus der Kerntechnologiestehen, wie man will. Man kann ihn für vernünftig haltenoder nicht. Richtig ist aber doch, dass wir ihn jetzt zu ei-ner gemeinsamen Erfolgsstory machen müssen. Das istes doch, was dieses Haus eint und für das wir gemein-sam stehen.
– Sie schreien herum. Ich weiß, es ärgert Sie, dass da fürSie persönlich und für Ihre Partei ein Thema wegge-rutscht ist. Man hat das gerade auch bei dem schäbigenVersuch Ihrer Parteivorsitzenden Roth gemerkt, die vie-len Toten dieser Tragödie für billige Parteipolemik undParteipolitik auszunutzen. Das ist ein wirklich ekelhafterVersuch gewesen, aus dem Schicksal dieser MenschenKapital zu schlagen.
Wenn wir eine solche Entscheidung treffen, haben wirauf der anderen Seite auch zu respektieren und zu akzep-tieren, dass andere souveräne Länder andere energiepoli-tische Entscheidungen treffen und dass nicht automa-tisch das, was wir hier in Deutschland entscheiden, fürandere genauso vorbildhaft und nachahmenswert ist.Ihre Anträge zu Euratom und Angra 3 zeugen von ei-ner erheblichen Ignoranz. Die Welt richtet sich ebennicht ausschließlich an Deutschland und Berlin aus. Zu-
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Dr. Martin Lindner
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erst zu Ihren Euratom-Anträgen. Wissen Sie, wir führenin den Ausschüssen Anhörungen durch. Zweck dieserAnhörungen ist üblicherweise ein gewisser Erkenntnis-gewinn.
Es gab, Herr Hempelmann, keinen Gutachter, der nichtbestätigt hat, dass es rechtlich gar nicht möglich ist, denEuratom-Vertrag zu kündigen, ohne gleichzeitig die EUzu verlassen.
Das war eindeutig das Ergebnis. Das kann man auchnachvollziehen. Die EU hat von Ländern wie Österreich,die nach Gründung der Euratom in die EU eingetretensind,
verlangt, den Euratom-Vertrag zu unterschreiben, ob-wohl sie selber gar nicht Betreiber von Kernkraftwerks-anlagen sind, weil im Euratom-Vertrag viele Dinge gere-gelt werden, die weit über das reine Betreiben vonKernkraftanlagen hinausgehen.
Damit bin ich beim zweiten Punkt. Es geht dabeinicht nur um eine Rechtsfrage, sondern es stellt sich na-türlich auch die Frage, ob es für ein Land wie Deutsch-land vernünftig ist, aus einem Vertrag auszuscheiden, indem Strahlenschutz, Reaktorsicherheit und Entsorgungs-fragen geregelt werden. Ist es nicht vielmehr unserePflicht und Aufgabe, deutsche Technologie zur Verfü-gung zu stellen, mit am Drücker zu bleiben, mit überdiese Fragen zu entscheiden? Das, was Sie fordern, istdoch völlig unvernünftig. Das wäre ein nationaler Al-leingang. Das wäre unvernünftig und wird von uns abge-lehnt. Das ist doch selbstverständlich.
Das andere Thema ist Angra 3. Hier rutschen Ihnenregelmäßig die verschiedenen Ebenen durcheinander.
Es gibt drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Frage, wel-che nationale Energiepolitik ein Land macht. Wir ma-chen einen Ausstieg aus der Kerntechnologie und einenEinstieg in mehr regenerative Energien. Das ist unserdeutscher Weg. Wir versuchen, ihn zur Erfolgsstory zumachen und ihn auch als Erfolgsmodell für andere Län-der darzustellen. Aber wir müssen doch respektieren,dass beispielsweise die Chinesen, die Inder und auch dieBrasilianer andere Wege in dieser Frage gehen.Die zweite Ebene ist: Haben wir nicht ein deutschesInteresse daran, dass in den Ländern, die sich nicht füreinen Atomausstieg entschieden haben, die im Gegenteilsogar noch weitere Kernkraftwerksanlagen bauen, si-chere deutsche Technologie zum Einsatz kommt? Habenwir nicht ein deutsches Interesse daran, dass genau un-sere Hochqualitätsanlagen in diesen Ländern für einStück mehr Sicherheit, für ein Stück mehr Zuverlässig-keit dieser Kernkraftwerksanlagen sorgen? Das ist dochin unserem deutschen Interesse.
Unser deutsches Interesse ist doch nicht, sich daneben-zustellen und so zu tun, als gäbe es diese ganzen Sachennicht mehr.Während der Debatte über den Atomausstieg war icheinmal bei einer Podiumsdiskussion und habe eine Kartegezeigt. Auf dieser waren 140 europäische Kernkraft-werksanlagen außerhalb von Deutschland eingezeichnet.Das können wir doch nicht ignorieren. Wir müssen dafürsorgen, dass diese Anlagen unter bestmöglichen Kondi-tionen betrieben werden.
Herr Kollege Lindner, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Arndt-Brauer?
Ja, bitte.
Danke schön. – Herr Kollege Dr. Lindner, haben Sie
mitbekommen, dass sich der Parlamentarische Beirat für
nachhaltige Entwicklung auch mit den Stimmen Ihrer
Fraktion gegen Hermesbürgschaften für Atomkraft-
werke ausgesprochen hat, weil wir denken, dass ein Aus-
stiegsbeschluss für uns auch für Bürgschaften solcher In-
vestitionen im Ausland verbindlich sein sollte?
Frau Kollegin, ich sagte gerade: Die erste Ebene istdie nationale Entscheidung über die Energieform. Diezweite Ebene ist die Frage der Technologieförderung,des Technologietransfers. Die dritte Ebene, die davon se-parat zu betrachten ist, ist die Frage, ob wir Hermesbürg-schaften für auswärtige Geschäfte zur Verfügung stellenoder nicht. Ausschließlich auf dieser Ebene ist aus mei-ner Sicht die Frage zu analysieren: Steht das Ausfall-risiko mit dem volkswirtschaftlichen Gewinn, Arbeits-plätze in Erlangen und anderswo,
in einem angemessenen Verhältnis? Es gibt drei ver-schiedene Ebenen: die Technologiefrage selbst, Techno-logieförderung, Hermes. Diese Dinge müssen Sie aus-einanderhalten, wenn Sie zu Ergebnissen kommenwollen.
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Dr. Martin Lindner
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Dies müssen Sie separat betrachten. Das werden Sieauch zukünftig machen müssen. Wir müssen die Dingeauseinanderhalten.
Wir müssen – das ist im deutschen Interesse – dafürsorgen, dass in den Ländern, in denen noch Kernkraft-werke betrieben werden, optimale Bedingungen herr-schen, deutsche Technologie zum Einsatz kommt, deut-sche Arbeitsplätze davon profitieren und insgesamt dieReaktorsicherheit gestärkt wird. Was Sie machen, ist dasGegenteil. Sie wollen einen deutschen Alleingang. Siewollen anderen Ländern vorschreiben, was sie zu tun ha-ben. Das ist so eine Art Neokolonialismus des deutschenGutmenschentums. Damit lassen wir Sie alleine. Wirlehnen Ihre Anträge selbstverständlich ab.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Thomas Bareiß von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Zum Schluss der Debatte zeigt sich wieder ein-
mal, dass Rot-Grün in der Energiepolitik nur zurück-
schaut, an einem alten Thema, nämlich am Atomaus-
stieg, krampfhaft festhält,
keine, aber wirklich keine Konzepte hat, wie diese Ener-
giewende organisiert werden muss,
und heute Vormittag keinen einzigen Lösungsvorschlag
geliefert hat. Sie hängen immer noch am Atomausstieg
fest. Wir sind diejenigen, die den Einstieg in die Energie-
wende gestaltet und organisiert haben, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren.
Für uns ist die Energiewende das Wachstums- und
Technologiethema für die nächsten vier Jahrzehnte. Des-
halb – weil es uns so wichtig ist – möchte ich anhand
von acht konkreten Punkten zeigen, was wir in den letz-
ten drei Jahren gemacht haben, um den Einstieg in die
Energiewende zu organisieren.
Erster Punkt. In den letzten drei Jahren haben wir es
geschafft, den Anteil erneuerbarer Energien an der
Stromerzeugung von 15 Prozent auf 25 Prozent auszu-
bauen. Kein einziges Land dieser Welt hat in den letzten
drei Jahren solch einen Zubau geschafft. Kein einziges
Industrieland hat so ambitionierte Ziele wie Deutsch-
land. Wir haben gleichzeitig noch das EEG novelliert
und reformiert und es bezahlbar gemacht. Wir haben im
Bereich der Photovoltaik eine Vergütungsreduktion um
70 Prozent geschafft – gegen Ihren Willen –
und damit den Verbrauchern Kosten in Höhe von 2 Mil-
liarden Euro in den nächsten 20 Jahren erspart. Wir ha-
ben den atmenden Deckel eingeführt und damit das EEG
intelligent gestaltet. Wir haben mehr Markt und Wettbe-
werb eingeführt.
Mit der Marktprämie und dem Eigenanteil haben wir et-
was geschaffen, was die erneuerbaren Energien auch zu-
kunftsfähig macht, lieber Herr Kelber.
Zweiter Punkt. Wir bauen das leistungsfähigste und
modernste Stromnetz der Welt.
Wir haben gestern mit dem Netzausbaugesetz den Start-
schuss gegeben für den Bau von 2 800 Kilometern neuer
Leitungen und den Ausbau von 2 900 Kilometern beste-
hender Leitungen. Damit verbinden wir den erzeugungs-
starken Norden mit dem verbrauchsstarken Süden. Wir
machen Schluss mit Zuständigkeitsgewurstel bei der
Planung und Genehmigung von Netzen
und verkürzen mit dem NABEG die Dauer des Netzaus-
baus von zehn auf vier Jahre. Wir setzen neue Technolo-
gien ein – HGÜ, Hochtemperaturseile, Erdverkabelung –
und schaffen damit das modernste Netz. Wir machen das
wieder gut, was Rot-Grün in den letzten Jahren versäumt
hat. Wir bauen die Netze.
Drittens. Wir fördern Gebäudesanierung und Energie-
effizienz so stark wie nie zuvor. Allein für die CO2-Ge-
bäudesanierungsprogramme geben wir 1,8 Milliar-
den Euro aus – so viel Geld wie keine andere Regierung
vor uns.
Herr Kollege Bareiß, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kelber?
Nein.
Keine Zwischenfrage.
Darüber hinaus versuchen wir mit der Mietrechtsno-velle, die Investoren zu schützen, aber auch die Mieter
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Thomas Bareiß
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zu entlasten. Wir haben es geschafft, den schlafendenRiesen Energieeffizienz im Gebäudebereich zu wecken.Viertens. Wir haben die Energiewende zum Arbeits-platzmotor gemacht. Wir haben im Bereich der erneuer-baren Energien in den letzten drei Jahren 100 000 Ar-beitsplätze geschaffen.
Im Bereich der Energieeffizienz haben wir 340 000 Ar-beitsplätze, überwiegend im Handwerk, gesichert undneu geschaffen. Das ging nicht auf Kosten der Industrie.Im Gegenteil: Wir haben den industriellen MittelstandStück für Stück entlastet. Sie haben nur die Großkon-zerne entlastet, wir haben auch den Mittelstand bei unse-rer Politik berücksichtigt. Wir sorgen mit der Energie-wende für mehr Arbeitsplätze, gerade auch imMittelstand.
Fünftens. Wir stärken den Wettbewerb und den Ver-braucher. Heute hat der Verbraucher die Wahl zwischenmehr als 50 Stromanbietern, so vielen wie noch nie zu-vor. Das haben wir mit gezielten Maßnahmen für mehrWettbewerb ermöglicht.
So haben wir den Stromkunden den Wechsel erleichtertund die Fristen für den Lieferantenwechsel auf drei Wo-chen verkürzt. Wir haben eine Schlichtungsstelle einge-richtet, die allein im ersten Jahr 14 000 Beschwerdenvon Verbrauchern entgegengenommen hat und in90 Prozent der Fälle eine Einigung erzielen konnte. Wirstärken den Verbraucher und verhindern Abzocke.
Sechstens. Deutschland ist im Bereich der Energiefor-schung so erfolgreich wie kein anderes Land der Welt.Wir haben die Mittel für die Energieforschung auf über3,5 Milliarden Euro aufgestockt; das ist Rekord. Wir för-dern damit die Zukunftstechnologien der Energiewende:200 Millionen Euro für Speicher, 150 Millionen Euro fürzukunftsfähige Netze, 400 Millionen Euro für die Elek-tromobilität. Wir machen die Energiewende zum Innova-tionsmotor für Deutschland.
Siebtens. Wir bringen Speichertechnologien voran;denn Speicher sind der Partner für die erneuerbarenEnergien. Wir fördern Speicher schon heute, sowohl imAlltag als auch in der Forschung. Wir versuchen, dieWirtschaftlichkeit voranzubringen. Wir haben die Spei-cher von Netzentgelten und von der EEG-Umlagebefreit. Wir haben Investitionen in Pumpspeicher-kraftwerke erleichtert und die Mittel für die Speicherfor-schung um 200 Millionen Euro erhöht. Wir sorgen fürpower to gas, wir sorgen für Druckluftspeicher, wir sor-gen für Batteriespeicher und für Pumpspeicherkraft-werke; auch damit bringen wir die Energiewende Stückfür Stück voran.
Achtens. Trotz des massiven Ausbaus der erneuerba-ren Energien sind wir Spitzenreiter in der Versorgungssi-cherheit und in der Netzstabilität. Im Jahr 2011 betrugdie durchschnittliche Stromunterbrechung circa 15 Mi-nuten. Wir sind damit besser als die Jahre zuvor, und wirsind besser als die USA, besser als Frankreich, besser alsGroßbritannien.
Wir wollen, dass das in Zukunft so bleibt. Deshalb habenwir abschaltbare Lasten, deshalb haben wir Smart Meter,Smart Grids vorangebracht. So bleiben wir auch weiter-hin Spitzenreiter bei der Versorgungssicherheit und stär-ken unseren Standort Deutschland.Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese achtPunkte zeigen: Unser Weg ist der richtige, die Energie-wende kommt Stück für Stück voran. Wir lassen uns aufdiesem Weg nicht beirren.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen.Ich möchte Ihnen mitteilen, dass zur Abstimmungbislang fünf Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-nung vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.1)Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufDrucksachen 17/12509 und 17/12688 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antragder Fraktion der SPD mit dem Titel „Den Euratom-Ver-trag an die Herausforderungen der Zukunft anpassen“.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 17/11713, den An-trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8927 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stim-men der SPD bei Enthaltung der Grünen.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7670mit dem Titel „Euratom-Vertrag ändern – Atomausstiegeuropaweit voranbringen – Atomprivileg beenden“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-1) Anlage 2 und 3
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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lung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünenbei Enthaltung der Linken.Tagesordnungspunkt 29 d. Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegen-heiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Frak-tion Die Linke mit dem Titel „Eine EuropäischeGemeinschaft für die Förderung Erneuerbarer Energiengründen – EURATOM auflösen“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/11723, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/6151 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istangenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthal-tung der Grünen.Tagesordnungspunkt 29 e. Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft undTechnologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mitdem Titel „Keine Hermesbürgschaft für den Bau desAtomkraftwerks Angra 3“.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 17/12653, denAntrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9578abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit Stimmen der Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen der SPD und zweier Ab-geordneter der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung vonLinken und Grünen angenommen.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des gemeinsamenAntrags der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 17/9579 mit dem Titel „KeineBürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3“.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der Oppositionsfraktionen und zweier Abge-ordneter der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 29 f. Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BilateraleVerhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stillle-gung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraft-werke in Frankreich“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/12675, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11206 abzu-lehnen.Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung aufVerlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-lich ab.Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihrePlätze eingenommen? – Gut. Dann eröffne ich die Ab-stimmung. –Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm-karte eingeworfen? – Das ist offenkundig der Fall. Dannschließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wirdIhnen später bekannt gegeben.1)Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe auf die Ta-gesordnungspunkte 30 a und 30 b sowie Zusatzpunkt 13:30 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zum Stand derBemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüs-tung und Nichtverbreitung sowie über die Ent-
– Drucksache 17/12570 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung30 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf,Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDKeine Modernisierung der US-Nuklearwaf-fen in Europa und Deutschland – Abrüs-tungschancen nicht ungenutzt verstreichenlassen– zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger,Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEAbzug statt Modernisierung der US-Atom-waffen in Deutschland– Drucksachen 17/11323, 17/11225, 17/12251 –Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerWolfgang GehrckeHans-Christian StröbeleZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Brugger, Volker Beck , Marieluise Beck
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKonsequent vorangehen für eine atomwaffen-freie Welt– Drucksachen 17/9983, 17/12733 –1) Ergebnis Seite 28655 D
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28654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerJan van AkenMarieluise Beck
Zum Jahresabrüstungsbericht 2012 der Bundesregie-rung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derSPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt esWiderspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann istdas so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnenund Kollegen, die an der Aussprache nicht teilzunehmenwünschen, den Saal zu verlassen, damit die anderen derDebatte folgen können. – Als erstem Redner erteile ichdem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle dasWort.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Erlauben Sie mir bitte, dass ich mich jenseitsdes Protokolls an Frau Kollegin Zapf wende. Frau Kolle-gin, ich möchte mich aus Anlass der Rede, die Sie gleichhalten werden, sehr herzlich für die exzellente Zusam-menarbeit insbesondere in der Abrüstungs- und Sicher-heitspolitik und in der Außenpolitik insgesamt bedankenund meinen Respekt für Ihr langjähriges Wirken in die-sem Hause zum Ausdruck bringen. Es wird möglicher-weise die letzte Gelegenheit sein, dieses anlässlich einerRede von Ihnen zum Ausdruck zu bringen. HerzlichenDank im Namen der Bundesregierung und vielleichtauch im Namen der anderen Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abrüstung,Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind einSchwerpunkt deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.Schon in der Präambel des Grundgesetzes sind die bei-den Kernpfeiler unserer Außenpolitik benannt, nämlichin einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu die-nen.Friedenspolitik, Abrüstung, Rüstungskontrolle unddie Nichtverbreitung insbesondere von Massenvernich-tungswaffen, das ist ein klarer Zusammenhang, den wirhier alle gemeinsam über die Parteigrenzen hinweg beto-nen und sehen. Wir wollen das Ziel einer nuklearwaffen-freien Welt erreichen. Wir wollen an dem Ziel einer nuk-learwaffenfreien Welt arbeiten. Deswegen setzen wir unsein für Frieden, für Sicherheit, natürlich auch für Stabili-tät durch weniger Waffen, die Verhinderung von Prolife-ration und höhere Transparenz.Wir alle wissen aus den Erfahrungen der Geschichte,dass Abrüstungspolitik einen langen Atem braucht. Ab-rüstungspolitik braucht gelegentlich auch strategischeGeduld, aber Abrüstungspolitik muss gerade dann mitlangem Atem betrieben werden, wenn die großen Er-folge nicht gleich auf den ersten Blick greifbar sind.
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Auchwenn wir in den letzten Jahren in manchen Bereichen beider Abrüstung gern weiter gegangen wären, können sichdie Erfolge der letzten Jahre weltweit sehen lassen. Wirhaben einen sehr erfolgreichen Abschluss der Überprü-fung des NATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdis-positivs beim NATO-Gipfel in Chicago im letzten Jahrgehabt. Dort wurde das Profil der Allianz auch in Abrüs-tungs- und Rüstungskontrollfragen gestärkt. Wenn mandie NATO-Strategien der letzten Jahrzehnte betrachtet,kann man sagen: So viel Abrüstungsbekenntnis in derNATO gab es noch nie.
Das ist ein klarer Erfolg und ein wichtiges Anliegen;denn wir wissen alle, dass Verteidigung und Sicherheitengstens zusammengehören.Der Gipfel in Chicago ist noch kein Durchbruch ge-wesen, aber es ist ein Aufbruch. Umso wichtiger ist es,dass weitere Abrüstungsschritte ins Auge gefasst wer-den. Dazu gibt es ermutigende Zeichen, auch durch dieAdministration der Vereinigten Staaten von Amerika.Mit neuem Elan treibt Präsident Obama die Abrüstungs-agenda voran. Dabei werden wir Präsident Obama natür-lich unterstützen. Wir wollen dabei alle Beteiligten mitan Bord nehmen.Jetzt gilt es aber, den Dialog mit Russland voranzu-bringen. Das Angebot der NATO, auch die substrategi-schen, die sogenannten taktischen Nuklearwaffen in denAbrüstungsprozess einzubeziehen, steht. Dass sich hie-rauf die NATO geeinigt hat, trotz mancher Meinungsun-terschiedlichkeit innerhalb der NATO-Mitgliedsländer,ist ein guter Erfolg auch der deutschen Abrüstungspoli-tik.
Wir wollen die Abrüstungsschritte zwischen den USAund Russland weiter unterstützen. Wir werden weiter aufeine Reduzierung der in Europa stationierten Waffenhinarbeiten.
Die Bundesregierung ist den Zielen, die sie sich zuBeginn der Legislaturperiode gegeben hat, näher gekom-men. Wir haben noch nicht alles erreicht – das war auchnicht zu erwarten –, aber wir werden unbeirrt und mitlangem Atem an der Abrüstungspolitik einschließlichder nuklearen Abrüstung festhalten.
Die Bundesregierung ist natürlich auch für Fort-schritte bei der konventionellen Rüstungskontrolle; denn
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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jeder sieht, dass das eine nicht durch Führbarkeit vonkonventionellen Kriegen erkauft werden darf. Das heißt,auch die konventionelle Rüstungskontrolle in Europableibt ein zentrales und unverzichtbares Element einerkooperativen Sicherheitsarchitektur.Ich will in diesem Zusammenhang ein Wort zur Rake-tenabwehr sagen. Die Haltung der Bundesregierung istin dieser Frage glasklar: Wir wollen mehr Sicherheit undStabilität in Europa. Wir sind der Überzeugung: Das istnur mit Russland und nicht gegen Russland erreichbar.Wir wollen, dass Russland eingebunden wird. Wir wol-len, dass Russland bei einer kooperativen Lösung undbeim Dialog, wenn es um die Raketenabwehr geht, kon-sequent eingebunden wird. Dies ist ein wichtiges Ange-bot, das die Bundesregierung in der NATO durchgesetzthat: Es geht hier nicht darum, sich gegen Russland auf-zustellen. Es geht um ein Projekt, das gemeinsam mitRussland für mehr Sicherheit auf unserem Kontinent undin unserer Weltregion sorgen soll.
Weil mir nur wenige Minuten Redezeit gegeben sind,
will ich zum Schluss noch auf zwei Dinge eingehen,nämlich einmal auf Iran und Nordkorea, und dann folgtnoch ein letzter Gedanke. Im Konflikt mit Iran verfolgtdie Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern im so-genannten E3+3-Format ihren Doppelansatz von Ver-handlungsbereitschaft und Druckausübung. Wir könneneine nukleare Bewaffnung des Irans nicht akzeptieren.Wir wollen das auf diplomatischem und politischemWege verhindern. Das ist die gemeinsame Auffassung.Alles andere, was uns unterstellt wird, ist Propaganda:gegen uns, gegen den Westen, gegen die westlichen undallgemeinen Sicherheitsinteressen.
Iran hat auf unser Verhandlungsangebot in Almatymit positiven Worten reagiert; das würdige ich ausdrück-lich. Ich mache mir keine Illusionen, aber es ist erkenn-bar zumindest schon einmal ein Fortschritt, dass ein wei-terer Prozess vereinbart werden konnte. Aber Gesprächenur um der Gespräche willen reichen nicht, sondern esbraucht substanzielle und greifbare Ergebnisse. EinSpielen auf Zeit ist kein Weg, den wir akzeptieren kön-nen.Dasselbe gilt auch im Hinblick auf Nordkorea. DieBundesregierung verurteilt in aller Schärfe den Nuklear-test sowie die jüngsten Drohungen Nordkoreas mit ei-nem nuklearen Erstschlag und der Aufkündigung desNichtangriffspaktes mit Seoul. Wir sind alle gemeinsamder Auffassung: Die Kriegsrhetorik des Regimes inNordkorea muss beendet werden.
Ich begrüße deshalb ausdrücklich die konstruktiveRolle Chinas. Wir appellieren an China, diese konstruk-tive Rolle auch in den sogenannten Sechsergesprächenweiter wahrzunehmen. Dass China sich an den jüngstenSanktionsverschärfungen in New York beteiligt hat, istein wichtiges Signal auch an das Regime.Meine Damen und Herren, natürlich geht es um un-sere Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative; vor al-len Dingen geht es aber auch um die Postkonfliktbewäl-tigung. Wir bleiben dabei, bei der Vernichtung vonWaffen einen wesentlichen Anteil zu leisten. Deutsch-land hat eine große Expertise bei der Vernichtung zumBeispiel von chemischen Waffen. Wir zeigen das inLibyen und auch an anderen Orten. Wir sind bereit, dieseExpertise und dieses Wissen mit einzubringen.Wir haben noch wichtige Aufgaben vor uns: derKampf gegen die Verbreitung auch von Kleinwaffen infragilen Staaten oder beispielsweise auch unser deswe-gen großes Bemühen für ein weltweit gültiges Waffen-handelsabkommen. Bei den anstehenden Verhandlun-gen wollen wir einen Erfolg.Wir wollen, dass Antipersonenminen und Streumuni-tion endlich von der Welt verschwinden. Wir setzen hier-bei auf Transparenz, Dialog und Diplomatie in einer en-gen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.Alles in allem ist der Abrüstungsbericht ein Erfolgs-bericht, ein Bericht auch über gute Fortschritte in derAbrüstungspolitik. Wir werden uns nicht auf ihm ausru-hen, sondern im Interesse des Friedens in der Welt mitgroßem Nachdruck, mit großer Energie, aber vor allenDingen mit großer Ausdauer weiter auf Abrüstung, Rüs-tungskontrolle und Nichtverbreitung hinarbeiten.Vielen Dank.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung – es ging um die Beschlussempfehlung zueinem Antrag betreffend die Verhandlungsaufnahme mitFrankreich bezüglich der Stilllegung von Atomkraftwer-ken – bekannt: abgegebene Stimmen 505. Mit Ja habengestimmt 280, mit Nein haben gestimmt 225, Enthaltun-gen keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
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28656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 505;davonja: 280nein: 225JaCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Bartholomäus KalbHans-Werner KammerBernhard KasterDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtDr. Michael MeisterMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannMichaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Michael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannHelga DaubBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Heinz-Peter HausteinManuel HöferlinBirgit HomburgerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterHorst MeierhoferGabriele MolitorJan MückePetra Müller
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28657
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelCornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerGerd BollmannKlaus BrandnerBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowPetra CroneDr. Peter DanckertElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Wolfgang HellmichRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMarlene Rupprecht
Annette SawadeAxel Schäfer
Ulla Schmidt
Swen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschKarin BinderHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusKlaus ErnstNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigMichael LeutertUlla LötzerThomas LutzeDorothée MenznerCornelia MöhringNiema MovassatThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterlePaul Schäfer
Dr. Ilja SeifertRaju SharmaKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Birgitt BenderAgnes BruggerViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannPriska Hinz
Dr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerUwe KekeritzKatja KeulSusanne KieckbuschMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczySylvia Kotting-UhlOliver KrischerRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarDr. Tobias LindnerNicole MaischBeate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann E. OttBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinBeate Walter-RosenheimerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerfraktionsloserAbgeordneterWolfgang Nešković
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28658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Uta Zapf fürdie SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre freundlichen undanerkennenden Worte. Das tut einem ganz gut, denkeich. Herzlichen Dank!Ich danke aber auch meinerseits, zum einen für denBericht, der wie immer ein umfangreiches Kompendiumist. Das kann man gar nicht alles auf einmal konsumie-ren. Das verlangt auch keiner von uns. Aber ich glaube,damit haben wir immer eine Quelle der Information.Deshalb auch dafür herzlichen Dank!Zum anderen danke ich ganz besonders für die guteZusammenarbeit im Unterausschuss. Ich glaube, wir ha-ben eine gute Zeit miteinander gehabt in all den Jahren,die ich in diesem Unterausschuss sein durfte. Auch dieZusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt war immerausgesprochen positiv. Das muss ich ganz deutlich sa-gen, auch wenn ich jetzt vielleicht gelegentlich etwasKritik anführe.
Wir unterstützen die Position der Bundesregierungnicht immer, aber doch immer wieder. Es ist auch nichtnur eine positive Bilanz, Herr Minister; in der Frage derBeurteilung des NATO-Gipfels bin ich ganz andererMeinung.Für mich und für die SPD war das Ergebnis desNATO-Gipfels eine große Enttäuschung. Aus unsererSicht ist die Rolle der Nuklearwaffen nicht wirklich mi-nimiert worden; denn der bisherige Mix von konventio-nellen und nuklearen Waffen hat Bestand, solange esNuklearwaffen gibt. Ich denke, das ist zu kurz gesprun-gen.
Der NATO-Abrüstungsausschuss ist ein Fortschritt.Das sehe ich auch so. Aber er ist gerade einmal etabliert,und was er macht und welche Ergebnisse er möglicher-weise bringt, wissen wir noch nicht.
– Vorher gab es auch schon Anläufe. Ich erinnere michganz gut. Da waren Sie noch nicht im Parlament.Der Transparenzdialog mit Russland in Bezug auf dietaktischen Nuklearwaffen hat noch nicht begonnen. Erist angekündigt, aber ich denke, es ist höchste Zeit, dasser in Angriff genommen wird. Denn was wir wirklichanstreben, ist das, was diese Regierung versprochen hat,nämlich die taktischen Nuklearwaffen von deutschemBoden zu entfernen. Das zu erreichen, haben wir bisherkeinerlei Aussicht. Stattdessen steht uns die Modernisie-rung der B61 ins Haus. Der Antwort auf unsere GroßeAnfrage entnehmen wir: Das ist eine nationale Angele-genheit der USA. – Nein, liebe Freunde, das ist es nicht.Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, die auch uns sehrberührt.
Herr Minister Westerwelle, Sie haben, als Obamawiedergewählt wurde, gesagt, nun müsse es neue Im-pulse geben und ein energischer weiterer Schritt ge-macht werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aberich sehe keine energischen Schritte, erst recht nicht inder Frage der Modernisierung der Bomben, die auch inBüchel liegen. Mutig wäre es in der Tat, wenn wir sagenwürden: Nein, wir modernisieren den Tornado nicht, derals Trägersystem notwendig ist. Dann kann man die mo-dernisierte B61 auch nicht dranhängen. – Stattdessen ha-ben Sie in Chicago unterschrieben – mit Brief und Siegel –,dass wir die Trägersysteme adäquat in Betrieb halten, so-dass auch modernisierte B61 in Betrieb genommen wer-den können. Ich halte das für falsch und hoffe, dass wirdarüber noch intensiv diskutieren werden.
Die NATO will durch Transparenzmaßnahmen beiden taktischen Nuklearwaffen mit Russland Fortschrittebei der Abrüstung von substrategischen Nuklearwaffenerreichen. Wie lange dauert das aber, wenn der Dialognoch nicht einmal begonnen hat? Die in Europa statio-nierten substrategischen Nuklearwaffen taugen nicht alsVerhandlungsgegenstand, wie immer behauptet wird.Russland fordert – ich denke, das ist eine Forderung, dieman ernst nehmen darf –, dass diese Waffen jeweils aufdas eigene Territorium zurückgezogen werden, dass alsodie in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen indie USA zurückgebracht werden und dass man erst dannüber weitere Schritte redet. Wir sollten noch einmal da-rüber nachdenken, ob das nicht eine gute Idee ist; denndiese Waffen sind zu nichts nutze. Sie liegen da und kos-ten Geld. Das können wir uns in der Tat sparen.
Auch der Herr Minister hat deutlich davon gespro-chen, dass wir gemeinsame Sicherheit, kooperativeSicherheit brauchen. Das ist in der Tat wahr. Das ist ins-besondere für die Aufrechterhaltung oder die Wiederher-stellung der Rüstungskontrolle in Europa notwendig.Deshalb frage ich nicht nur mich, sondern uns alle: Wasist denn mit dem Medwedew-Vorschlag passiert? Was istmit dem Korfu-Prozess passiert? Was ist mit den Be-schlüssen in Astana passiert? Der Korfu-Prozess, dereine neue Sicherheitsarchitektur für Europa definierensollte – und zwar eine gemeinsame –, ruht. Mit ihm be-fassen sich momentan nur Wissenschaftler. Aber dieserProzess sollte in die Politik überführt werden. Wir soll-ten genau darüber mit Russland reden, weil wir sonsteinfach nicht vorankommen, auch in den Abrüstungs-prozessen nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28659
Uta Zapf
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Wir brauchen – das bestätigen Wissenschaftler immerwieder – mehr Vertrauen zwischen Russland und denwestlichen Partnern, den USA und der NATO. Es gibtein tiefes Misstrauen auf beiden Seiten. Nukleare Abrüs-tung wird ohne Erneuerung der konventionellen Rüs-tungskontrolle überhaupt nicht möglich sein. Der KSE-Vertrag ist zurzeit mausetot. Das heißt, er muss dringendwiederbelebt werden. Durch das Scheitern des KSE-Ver-trags gibt es keine Inspektionen, keine Transparenz undkeine Vertrauensbildung. Das, was die Bundesregierungauf den Weg bringen will – das Ziel der verifiziertenTransparenz –, muss noch Formen annehmen, die greif-bar und umsetzbar sind.Der A-KSE-Vertrag wurde von den NATO-Staatennicht ratifiziert. Ich habe das für einen Fehler gehalten.Die Nichteinhaltung der Istanbul-Verpflichtungen – dasbetrifft die Stationierung von Truppen der Russen inGeorgien zum Beispiel und die Munitionsbestände, diein Moldawien und Transnistrien lagerten – war einGrund dafür. Die Nichtratifizierung war aber ein Fehler,weil das eigentlich nicht zusammenpasst. Wenn wir ander Rüstungskontrolle im konventionellen Bereich fest-halten wollen, dann müssen wir neue Ansätze finden.A-KSE wird nicht neu aufgelegt werden können, son-dern es wird einen neuen Anlauf geben müssen.Es hat mich sehr gefreut, dass wir im Unterausschussein Gespräch mit Herrn Schmidt von der HSFK hatten,der ein Spezialist für den KSE-Vertrag ist. Er sagte, dieInitiativen, die die Bundesregierung unternommen habe– diese waren nicht der Presse zugänglich und lagenauch nicht offen auf dem Tisch –, seien positiv und dahersehr zu loben. Insofern habe ich auch keine Schwierig-keiten damit, an dieser Stelle die Bundesregierung zu lo-ben und zu ermutigen, in diese Richtung weiterzugehen.
– Da können ruhig alle klatschen.Es gibt aber eine Bedingung, deren Einhaltung ich fürdringend notwendig halte, weil die Fortschritte, die wiruns wünschen, nicht erreicht werden können, wenn wirnicht bei der Raketenabwehr neue Gedanken entwickeln.Es gibt eine sicherheitspolitische Veränderung beim De-sign konventioneller Waffen in Europa und in den USA.„Prompt Global Strike“ und „Long-Range Strike“ sindDinge, die die Russen total irritieren und die eine anderesicherheitspolitische Situation geschaffen haben. Ichdenke, die Raketenabwehr ist ein wichtiger Punkt. Alsomüssen wir an diesen drei Stellen neue Ansätze finden.Eine kooperative Lösung zwischen der NATO und Russ-land ist deshalb dringlich. Dringender Handlungsbedarfwird auch von der Wissenschaft gesehen. Das haben wirin dieser Woche im Unterausschuss gehört. Ich glaube,wir sollten in unserem eigenen Interesse dieses Themanicht so aus dem Blick verlieren, wie dies vielleicht inden letzten Monaten und Jahren geschehen ist.Die neuen östlichen NATO-Staaten haben historischbedingt tiefes Misstrauen gegen Russland und wünschenSicherheit durch Stationierung westlicher oder US-Trup-pen. Was passiert dann aber auf russischer Seite? Löstdas dann nicht ein neues Wettrüsten aus? Dies ist nicht inunserem Interesse. Deshalb werden wir uns bemühenmüssen, alles zu tun, um wieder Vertrauen und Transpa-renz zu schaffen, aber auch um Strukturen abzubauen,die dem Interesse entgegenstehen, gemeinsame Sicher-heit zu organisieren.
Ich nenne noch ein paar Stichworte dazu. Das WienerDokument – so wurde es in Astana auf dem OSZE-Gip-fel verabredet – sollte erweitert und verbessert werden.Es ist nicht viel passiert. Ich halte das aber für wichtig,weil das eine wichtige vertrauensbildende Maßnahmeist. Als Letztes möchte ich noch den Vertrag über denOffenen Himmel erwähnen. Dieser macht uns allen Sor-gen; denn er droht kaputtzugehen. Dieser Vertrag ist abereine der wichtigen Maßnahmen. Es mag sein, dass wirden Streit zwischen der Türkei und Griechenland, derdie Tagesordnung immerfort behindert, noch bereinigenkönnen. Wir können aber nichts daran ändern, dass dieFlugzeuge, die die Trägersysteme für die optischen Ein-richtungen darstellen, das Ende ihrer Nutzungsdauer er-reichen. Deshalb muss eine Lösung gefunden werden.Der Unterausschuss hat sich dafür ausgesprochen, einneues System zu kaufen. Herr Minister, dabei sind wiruns alle einig gewesen; denn gerade durch diese gemein-samen Inspektionen und durch den Informationsaus-tausch ist großes Vertrauen geschaffen worden, das wirnicht erodieren lassen dürfen. Dafür haben wir uns aus-gesprochen. Vielleicht gelingt es, auch noch einen An-trag in der Richtung zu formulieren.Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Roderich Kiesewetter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie michbitte gleich zu Beginn als stellvertretender Vorsitzenderunseres Unterausschusses Ihnen, Frau Kollegin Zapf,ganz herzlich danken für Ihre Arbeit in den letzten vierJahren, in denen ich sie mitverfolgen konnte. Ich glaube,der heutige Bericht ist Anlass genug, einmal Ihre Arbeitzu würdigen. Ihnen, Frau Zapf, ist es gelungen, mit demUnterausschuss ein wirklich sehr gutes Instrument dergegenseitigen Information zu schaffen und die Arbeittrotz parteipolitischer Prägung sehr übergreifend zu or-ganisieren. Der Unterausschuss ist ein guter Informa-tionsausschuss geworden, der viele Anregungen gibt.Herzlichen Dank dafür!
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28660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Roderich Kiesewetter
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Das Ganze wäre nicht machbar, wenn nicht auf derSeite der Exekutive das Auswärtige Amt uns so umfas-send informieren würde. Hier möchte ich insbesondereHerrn Botschafter Nikel und sein Team ansprechen. HerrAußenminister, vorzüglich!
Es gibt nur wenig Anlässe im Deutschen Bundestag,zu denen wir übergreifend über Sicherheitspolitik disku-tieren. Die Diskussion über Abrüstung, Rüstungskon-trolle und Nichtverbreitung bietet einen Anlass dazu,weil sie Gelegenheit gibt, über übergreifende sicher-heitspolitische Zielvorstellungen zu sprechen. Wir alsParlamentarier sind aufgerufen, Dinge, die zusammen-gehören, zu verzahnen.Zu einer guten sicherheitspolitischen Strategie gehörtnicht nur die Beantwortung der Frage, wie eine Gemein-same Außen- und Sicherheitspolitik oder der transatlan-tische Pfeiler der NATO gestärkt werden können, son-dern auch, wie wir mit weniger Waffen und mit höhererTransparenz mehr Vertrauen und vor allen Dingen mehrSicherheit schaffen.Wenn es uns gelingt, Abrüstungspolitik, Rüstungs-kontrolle und Verifikation mit einer europäischen Si-cherheitsstrategie, aber auch mit einer nationalen Sicher-heitsstrategie – das Auswärtige Amt erarbeitet geradeeine – zu verzahnen, dann sind wir einen erheblichenSchritt weiter. Deshalb möchte ich aus dem aktuellenAbrüstungsbericht gerne einige Punkte ansprechen.Zunächst zur Abrüstung, Rüstungskontrolle undNichtverbreitung mit Blick auf den Nichtverbreitungs-vertrag. Hier ist es uns gelungen, in Diskussionen dafürzu werben, eine von Massenvernichtungswaffen freieZone im Nahen und Mittleren Osten zu erreichen. Wiralle wissen, wie verhärtet dort die Lage ist. Deswegenmüssen wir den dortigen Staaten ein Ziel, eine Visionbieten. Die gegenwärtige Sicherheitspolitik muss irgend-wann einmal transformiert werden, damit die Waffen,die dort im Verborgenen sind und über die wir diskutie-ren, aus dieser Region verbannt werden. Es darf nichtgeschehen, dass sich die Lage zuspitzt und es zu einemnuklearen Wettrüsten im Nahen und Mittleren Ostenkommt.Zur konventionelle Abrüstung. Frau Zapf hat zuRecht die Weiterentwicklung des sogenannten KSE-Ver-trags angesprochen. Es ist der Bundesrepublik gelungen,gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark für Im-pulse zu sorgen, sodass wir im Bereich der konventio-nellen Abrüstung möglicherweise bald Fortschritte er-zielen. Herr Außenminister, ich möchte ausdrücklichIhre Worte im Hinblick auf die Zusammenarbeit mitRussland unterstreichen. Es ist ganz entscheidend, dasswir in drei Bereichen mehr Kooperation erreichen: imBereich der Raketenabwehr, im Bereich der substrategi-schen Atomwaffen und im Bereich der konventionellenAbrüstung.Hilfreich wäre sicherlich, wenn man eine übergrei-fende Bedrohungsanalyse erreichen würde. Aber, FrauZapf, Medwedew ist nicht mehr Präsident; Putin be-stimmt die Richtlinien der russischen Politik. Ich glaube,es ist eine ganz wichtige Aufgabe deutscher Sicherheits-politik, hier weiterhin am Ball zu bleiben. Es ist ein Er-folg der deutschen Außenpolitik, dass die NATO nichtnur auf ihrem Gipfel in Chicago, sondern auch beimStrategischen Konzept Abrüstung und Rüstungskon-trolle zum Thema gemacht hat. Das ist, glaube ich, ganzentscheidend.
Ich komme zu einem weiteren Bereich, wo die Bun-desregierung sehr gut arbeitet. Es handelt sich um dasEinsammeln von Kleinwaffen in Nordafrika. Das betrifftdie Konsequenzen der Proliferation und die Fragen derEndverbleibskontrolle, was in der Vergangenheit schwierigzu lösen war. Das Einsammeln von Kleinwaffen bedeu-tet mehr regionale Sicherheit. Das geht natürlich nur ab-gestimmt mit den Partnern.Ein Letztes möchte ich in diesem Zusammenhang an-sprechen: die internationale Kooperation der G 8, deracht großen Industriestaaten, speziell die Initiative „Glo-bale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massen-vernichtungswaffen und -materialien“. Hier wurden seit2002, also seit gut zehn Jahren, 20 Milliarden Euro inter-national eingesetzt. Deutschland ist mit 1,5 MilliardenEuro der zweitgrößte Geber. Wir fokussieren insbeson-dere auf Russland und hier auf die Sicherung von Nu-klearwaffen und Reaktoren in geschützten Gebäuden.Darüber hinaus geht es uns um die Vernichtung von Che-miewaffen in Russland. Das ist uns 1,5 Milliarden Eurowert. Dies ist sicherlich auch ein Punkt, der Verhandlun-gen mit Russland beschleunigen müsste. Vielleicht kannunsere deutsche Diplomatie etwas mehr mit dieser Kartespielen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschlie-ßend möchte ich auf den Vertrag über den Offenen Him-mel eingehen. Er schafft die Grundlage für ein vorbildli-ches Verifikationsinstrument. So wird es möglich,Schulter an Schulter mit ehemaligen Gegnern aus Flug-zeugen heraus Verifikationen über bisher verschlossenenGebieten vorzunehmen. Im Jahr 1997 ist das Flugzeug,das Deutschland hierfür zur Verfügung gestellt hatte, beieinem schrecklichen Unglück vor der afrikanischenKüste abgestürzt. Seither nutzen wir Mietlösungen. EineKauflösung würde etwa 34 Millionen Euro kosten. DieGelder dafür sind nicht vorhanden. Allerdings bin ichdem Bundesverteidigungsministerium dankbar, dass eszurzeit mit unseren rüstungskontrollpolitischen Partnernauslotet, wer bereit wäre, sich hier zu engagieren. Esgeht darum, die Kosten der Beschaffung von 34 Millio-nen Euro und des jährlichen Betriebs von etwa 6 Millio-nen Euro aufzuteilen. Ich denke, wenn es uns gelingt,hier für mehr Partnerschaft zu sorgen, erhalten wir einInstrument, das eine Verifikation im täglichen Erlebenleistet und zugleich eine vertrauensbildende Maßnahmedarstellt.Die Dinge, die wir in den vergangenen 20 Jahren fürEuropa entwickelt haben, brauchen wir, um unsereNachbarschaftspolitik besser zu gestalten. Ich spracheingangs davon, dass Abrüstung, Rüstungskontrolle undNichtverbreitung Themen sind, die in eine sicherheits-politische Strategie eingebunden sein müssen. Wir haben
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28661
Roderich Kiesewetter
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im Hinblick auf die südliche Nachbarschaft in Afrikaalle Hände voll zu tun, dass den dortigen Staaten eineGrundstabilität vermittelt wird und sie freiwerdendeMittel nicht dafür verwenden, in einen Rüstungswettlaufan der südlichen Küste des Mittelmeers einzutreten. Wirsollten diesen Staaten helfen, dass sie unter Rückgriffauf Erfahrungen mitteleuropäischer Staaten im Bereichder Abrüstung ein vertrauensbildendes Kontrollsystem,eine Art Verifikationssystem, aufbauen, und zwar hin-sichtlich des Öffnens ihrer Waffentresore und hinsicht-lich verbindlicher Obergrenzen für bestimmte Rüstungs-gegenstände.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es unsgelingt, innerhalb der EU stärker dafür zu werben, kön-nen wir zumindest erreichen, dass das, was uns Mitteleu-ropäer auszeichnet – vertrauensvolle Zusammenarbeit,Kooperation und Transparenz –, auch für unsere südli-chen Nachbarn ein Anreiz ist.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allein imletzten Jahr hat die deutsche Rüstungsindustrie das Volu-men ihrer Exporte in die Golfstaaten mehr als verdop-pelt: von 570 Millionen Euro auf mehr als 1,4 MilliardenEuro. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, wiedas Thema Abrüstung in dem Bericht der Bundesregie-rung behandelt wird, ein Hohn.Das sieht man zum Beispiel daran, wie über denNATO-Gipfel berichtet wird: Die Ergebnisse vonChicago werden als Erfolg verkauft. Auf genau diesemNATO-Gipfel aber hat das Kriegsbündnis seine Atom-waffen als „Kernkomponente“ bezeichnet.
Von einer atomwaffenfreien Welt sind wir weiter ent-fernt denn je. Die deutsche Regierung hat sogar zuge-sagt, ihre Tornadoflotte für teures Geld zu modernisie-ren, damit sie auch in Zukunft für den Abwurf vonAtombomben bereitsteht. Die NATO hat damit bekräf-tigt, dass weiterhin mit der Hiroshima-Drohung Politikgemacht wird. Gegen diese Kriegspolitik haben inChicago 20 000 Menschen demonstriert; und das wargut so.
Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, eine atomwaf-fenfreie Welt sei weiterhin Ihr Ziel. Der vorliegende Jah-resabrüstungsbericht nennt das geplante Raketenabwehr-system „einen nachhaltigen Fortschritt in Richtunggrößerer Sicherheit“. Das Gegenteil ist der Fall. Das ge-plante Raketenabwehrsystem sorgt weder für mehr Si-cherheit in Europa noch für nukleare Abrüstung. Rake-tenabwehr wird Atomwaffen nicht ersetzen; es ist keinrein defensives System. Im Gegenteil: Es macht militäri-sche Offensiven wahrscheinlicher. Schwert und Schildgehören in der Militärstrategie traditionell zusammen.Die Aufrüstungsspirale wird dadurch weiter angeheizt.Die Linke sagt als einzige Partei Nein zu Atomwaffenund Nein zu dem Raketenabwehrsystem.
Aus diesem Grund müssen wir auch den SPD-Antrag ab-lehnen, der sich unter anderem für die Raketenabwehrausspricht. Schade, denn ansonsten enthält dieser Antragviele sinnvolle Forderungen. Aber als Friedenspartei
wendet sich die Linke gegen jede Form der militärischenAufrüstung.
Dann enthält der Bericht wieder einmal die üblicheKritik an den Staaten, die die Bundesregierung nicht alsihre Verbündeten ansieht. Da ist immer wieder die Redevon der Bedrohung durch den Iran und sein angeblichmilitärisches Atomprogramm. Dabei gibt es in allenIAEO-Berichten keine Beweise dafür, dass der Iran nach2003 weiter an der Atombombe gebastelt hat. Spekula-tionen, Halbwahrheiten und Lügen führen schnell zumKrieg. Hören Sie auf damit! Sorgen Sie zuerst dafür,dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogenwerden.
Die Bundesregierung lobt sich dafür, dass sie denDruck auf Nordkorea erhöht hat. Dieses Thema wirdzurzeit heftig diskutiert. Meine Damen und Herren, ha-ben Sie zur Kenntnis genommen, dass die USA ihre Mi-litärpräsenz in der gesamten Region Ostasien und Pazi-fik massiv ausbauen und gerade ein großes Manöver inSüdkorea durchführen?
Die Aufrüstung und das Säbelrasseln Nordkoreas leh-nen auch wir ab;
aber man muss beides im Zusammenhang mit der star-ken US-Präsenz in der Region sehen. Hier einseitigPjöngjang mit Sanktionen zu belegen, ist kontraproduk-tiv.
Regionale Abrüstungsinitiativen werden auch hier nurAussicht auf Erfolg haben, wenn alle Beteiligten einbe-zogen werden.
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28662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Inge Höger
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Ein weiterer Misserfolg der weltweiten Abrüstungs-politik im Jahre 2012 war die Absage der geplantenKonferenz für einen atomwaffenfreien Nahen und Mitt-leren Osten. Es wäre für eine friedliche Entwicklung inder Region und weltweit gut, wenn es in der Regionkeine Atomwaffen mehr geben würde. Dann müsste aberauch Israel seine Atombomben abschaffen. Die Bundes-regierung will sich weiter für die Einberufung dieserKonferenz einsetzen. Allerdings schweigt sie darüber,wie man das machen will. Hier stellt sich die Frage, wieman die inoffizielle Atommacht Israel
zum Mitmachen bewegen kann. Bestimmt nicht durchdie Aufrüstung mit deutschen U-Booten!
Man kann den deutschen Jahresabrüstungsberichtnicht losgelöst von den deutschen Rüstungsexporten be-trachten. Deutschland ist inzwischen der drittgrößte Rüs-tungsexporteur der Welt. Wie passt dies damit zusam-men, dass die Regierung sich rühmt, 2012 etwas gegendie Verbreitung von Kleinwaffen getan zu haben? Wiekann man einerseits das Kleinwaffen-Aktionsprogrammstärken und andererseits Kleinwaffen an den Menschen-rechtsmusterknaben Saudi-Arabien exportieren, zumalman dorthin nicht nur Kleinwaffen exportiert, sondernauch Panzer und Drohnen? Mit dieser Politik muss end-lich Schluss sein. Wir wollen keine Geschäfte mit demTod.
Wenn ich den Jahresabrüstungsbericht einem Reali-tätscheck unterziehe, bleibt von Abrüstung nicht viel üb-rig – nur die Erkenntnis: Die Regierung will überall ab-rüsten, nur nicht im eigenen Land und nicht bei denVerbündeten. Das ist heuchlerisch. Abrüstung beginntim eigenen Land. Wir Linken wollen eine echte Abrüs-tungspolitik.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Agnes Brugger von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe UtaZapf, auch ich möchte mich bei dir ganz herzlich für dietolle Zusammenarbeit bedanken. Ich finde, in deinersechsten Legislaturperiode hast du gezeigt, wie man mitviel langem Atem, mit viel Hartnäckigkeit, mit vielHerzblut und Leidenschaft für das wichtige Thema Ab-rüstung eintreten kann. Das hat mich persönlich sehr be-eindruckt.
Ich danke auch für den Jahresabrüstungsbericht derschwarz-gelben Bundesregierung. Er ist in der Tat einsehr schön formuliertes und umfangreiches Papier. Dochseitenweise schöne Worte können nicht darüber hinweg-täuschen, dass es der schwarz-gelben Abrüstungspolitikan Substanz fehlt; denn es fehlt ihr auch an Glaubwür-digkeit, an Elan und an Konsequenz. Dafür möchte ichdrei Beispiele nennen.Erstens. Herr Minister Westerwelle, Sie bekennensich hier mit großen Worten zum Willen der Bundesre-gierung, für globale Abrüstung einzutreten. Die Frage istnatürlich – ich greife da das Stichwort „Verzahnung“ desKollegen Kiesewetter auf –, was Sie jenseits dessen tun,was im Bericht geschrieben steht. Da sehen wir: DieKanzlerin hält Waffenexporte nach dem Motto „Ertüch-tigung statt Einmischung“ offensichtlich für ein wesent-liches Instrument einer neuen deutschen Außenpolitik.Ausgewählte Staaten, ungeachtet der Menschenrechts-lage, sollen mit deutschen Waffen befähigt werden, re-gional für eine vermeintliche Stabilität zu sorgen. Wirhalten diesen Kurs für falsch und für grundgefährlich.
Oder nehmen wir Verteidigungsminister de Maizière,der in den Verteidigungspolitischen Richtlinien Deutsch-lands Festhalten an der nuklearen Abschreckung bekräf-tigt hat. Herr Minister Westerwelle, was auch immer Sieheute und an anderer Stelle in Sachen Abrüstung sagen,solche Aktionen und das Handeln der Bundesregierungentlarven das als Lippenbekenntnis.Zweites Beispiel. Die nukleare Abrüstung haben Sieam Beginn der Legislaturperiode zu einem wichtigenZiel erklärt. Auch der Abzug der US-Atomwaffen ausDeutschland wurde im schwarz-gelben Koalitionsver-trag in Aussicht gestellt. Und doch werden nun dieseAtombomben im Rahmen des amerikanischen Life-Extension-Programmes modernisiert und damit nicht ab-gezogen, sondern für eine lange Zukunft ertüchtigt.Auch die NATO ist weit davon entfernt, sich von denNuklearwaffen zu verabschieden. Nach der WiederwahlBarack Obamas als Präsident der Vereinigten Staaten imNovember und seiner Ankündigung, neue Verhandlun-gen mit Russland aufnehmen zu wollen, ließ der Außen-minister verlauten, er hoffe nun auf neue Impulse in derAbrüstung. In dieser Äußerung tritt die ganze PassivitätIhrer Politik zutage. Sie warten immer nur auf den ame-rikanischen Taktgeber. Auch durch diese Passivitätscheitern Sie.
Drittens. Herr Minister Westerwelle, Sie haben auchdie Ächtung von Landminen und Streumunition ange-sprochen. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung füreine Universalisierung des entsprechenden Abkommenseinsetzt. Aber es klafft auch in Deutschland eine erhebli-che Lücke. Es ist nämlich immer noch erlaubt, in Unter-nehmen zu investieren, die diese barbarischen Waffenherstellen. Mit aller Kraft sträubt sich die schwarz-gelbeKoalition gegen ein gesetzliches Investitionsverbot. Dasnenne ich inkonsequent.
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Agnes Brugger
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Ich habe oft den Eindruck, ein grundlegendes Pro-blem Ihrer Abrüstungspolitik ist die Mutlosigkeit. Dafürwar die Lesung des Antrags der grünen Bundestagsfrak-tion, über den wir heute unter anderem abstimmen wer-den, ein gutes Beispiel. In unserem Antrag „Konsequentvorangehen für eine atomwaffenfreie Welt“ machen wireinmal mehr deutlich, dass Deutschland für ein starkesund vor allem glaubwürdiges Engagement bei der nu-klearen Abrüstung bei sich selbst beginnen muss. Des-halb fordern wir Grüne zum Beispiel die Beendigung desBeitrages der Bundeswehr mit Trägersystemen und Pilo-ten zum Bereithalten der US-Nuklearwaffen in Deutsch-land. Wir wollen, dass ihr Abzug endlich Realität wirdund sagen deshalb klar Nein zu einer Modernisierungder Trägersysteme und dieser Atombomben.
Es geht aber auch um das deutsche Engagement auf in-ternationaler Ebene, zum Beispiel für eine Konvention,die Nuklearwaffen für immer verbietet. In der Beratungunseres Antrags hier im Parlament haben wir dazu vonIhnen, meine Damen und Herren von der Koalition, inerster Linie zu hören bekommen: Das können wir nichtmachen. Das geht nicht. Das wird nichts.Ja, der Weg zur atomaren Abrüstung ist langwierigund schwierig, aber offenbar haben Sie schon aufgege-ben. Sie hocken sich an den Wegrand und warten nur da-rauf, dass jemand voranschreitet und Sie mitzieht. Si-cher, bei der atomaren Abrüstung haben wir in denvergangenen Wochen auch herbe Rückschläge erlebt.Die Konferenz zur massenvernichtungswaffenfreienZone im Nahen Osten kam nicht zustande, die Entwick-lungen im Iran und die schrillen Ankündigungen ausNordkorea bieten Anlass zu großer Sorge. Aber, meineDamen und Herren, Verzagen hilft nicht, Aufgeben giltnicht. Mit einer „Geht nicht“-Einstellung bewegt manschließlich gar nichts.Es gibt viel zu tun für eine friedliche Welt. Doch inden vergangenen dreieinhalb Jahren hat diese Bundesre-gierung kaum mehr geschafft, als leere Versprechungenzu produzieren und diese dann auch noch durch eine aus-ufernde Rüstungsexportpolitik zu konterkarieren. Eswird höchste Zeit für den Wechsel, damit Deutschlandendlich wieder zum Vorreiter für die globale Abrüstungwird.Vielen Dank.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er-
teile ich dem Kollegen Erich Fritz von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Ich hatte mich schon gefreut, dasses zum Ende dieser Woche doch noch eine Debatte gibt,die nicht vom Wahlkampf bestimmt wird.
Nun ist es zum Schluss doch nicht ganz gelungen. Daskann man Ihnen nachsehen. Aber ich muss sagen: DerAuftakt der Debatte hat mich viel mehr begeistert alsdas, was Sie eben vorgetragen haben, liebe Kollegin.Meine Damen und Herren, die Vorträge, die wir amAnfang gehört haben, vor allen Dingen die Erläuterun-gen des Außenministers, zeigen, dass die Bundesregie-rung den selbstgestellten Auftrag, eine aktive Abrüs-tungspolitik zu betreiben, tatsächlich ernst nimmt.Keine Fraktion in diesem Haus ist eine Weltmacht,die andere Mächte bewegen könnte, dies oder jenesschneller zu machen, oder durchgreifende Erfolge inkurzer Frist gewährleisten könnte. Die Agenda der Ab-rüstungspolitik lässt sich nicht mit der Agenda vonWahlterminen synchronisieren.
Abrüstungspolitik lässt sich auch nicht durch Maximal-forderungen beschleunigen, sondern sie ist einer derPolitikbereiche, in dem es am wesentlichsten darauf an-kommt, die Realitäten ganz genau zu beschreiben, dieInteressen der Beteiligten genau zu kennen und nebenihren Interessen auch noch ihre Reaktionen und ihreEmotionen zu berücksichtigen.
Ich möchte das am Beispiel Russlands gerne etwasvertiefen. Kollege Kiesewetter hat die drei Bereiche, indenen man mit Russland weiterkommen könnte undauch sollte, beschrieben. Warum ist das so schwer? Wa-rum haben wir so ein schwieriges Dialogverhältnis mitRussland in diesem Bereich?Zum einen gibt es alte Vorbehalte und tiefsitzendesMisstrauen, das durch vergleichsweise kleine Falsch-reaktionen oder schräge Töne schnell wieder gewecktwird. Das muss man berücksichtigen. So etwas kannman nicht in kurzer Frist beheben.Das Zweite ist, dass die Russen nicht nur auf diesemFeld sehr dazu neigen, dem Partner einen sehr weitrei-chenden und konstruktiven Vorschlag auf den Tisch zulegen, dann aber zu warten, was der andere darausmacht. Man kommt aber nur voran, wenn man in beideRichtungen in kleinen Portionen mit Konkretisierungenarbeitet.Drittens. Warum scheitert das auf russischer Seite im-mer wieder, was viele in Russland selbst bedauern? Dashängt damit zusammen, dass all die Sicherheitsdebattenin Russland immer noch eine ganz entscheidenden Be-deutung in der innenpolitischen Diskussion haben, unddass die Frage der Akzeptanz der Führung ganz wesent-lich mit dem Signal: „Ich bin bereit, Sicherheit auch un-ter schwierigen Bedingungen und gegen einen angeblich
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Erich G. Fritz
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starken Feind zu gewährleisten“, zusammenhängt. Dasist schade.Das heißt, wir müssen versuchen, vertrauensbildendeMaßnahmen – Frau Zapf hat es genau richtig beschrie-ben – zu ergreifen. Wir müssen positive Anreizimpulsesetzen,
was allerdings nicht so leicht ist. Ich hätte gedacht, wennman als Europäer zum Beispiel hilft, die Abrüstung derAtom-U-Boote zu fördern oder die Chemiewaffen zu be-seitigen – wie es gerade schon vorgetragen worden ist –,dann würde das als das entsprechende Zeichen aufge-fasst, dass einem daran liegt, hier sehr kooperativ vorzu-gehen.Es ist also sehr schwierig. Ich bin froh, dass es auf derSeite der NATO einen gemeinsamen formulierten Willenzur Abrüstung gibt. Wir können dazu beitragen, indemwir das positiv begleiten und nicht kleine Münze ma-chen, indem wir eine Atmosphäre erzeugen, die unshilft, Schritt für Schritt weiterzukommen.
Meine Damen und Herren, der Außenminister hat jadeutlich gemacht, dass auch in den USA ein Perspektiv-wechsel erwogen wird. Wir sollten auf europäischerSeite eine die Aspekte zusammenfassende Debatte überdie Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäi-schen Union und über eine gemeinsame Außenpolitik in-tensivieren. Warum sollten wir das tun? Warum hat dasetwas mit Abrüstung zu tun? Ich glaube, dass der Um-gang mit unseren zukünftigen Partnern südlich des Mit-telmeers sowie die Möglichkeit der Einflussnahme aufdie sicherheitspolitische Situation im Nahen Osten nurdann gegeben ist, wenn sich die Europäer selbst in dieLage versetzen, eine gemeinsame aktive Rolle zu über-nehmen.
Wir haben aber zu viele Stellen, an denen alte Reflexedas gemeinsame europäische Handeln konterkarieren.Gerade wenn wir an die vergangenen Jahre denken, wirdklar, dass die Reaktionen nicht immer ideal waren. Dasgilt auch für den Beginn der Mali-Diskussion. Ich willdas jetzt nicht kritisieren, aber doch sagen, dass man sichda etwas anderes hätte vorstellen können.Ich war mit dem Kollegen Kiesewetter vor nicht allzulanger Zeit in Libyen. Ich weiß, wie sehr man uns dortvertraut und akzeptiert. Man schätzt unser Engagementim Bereich der Minenräumung und unseren Versuch, mitArgumenten bei der Entwaffnung der Milizen oder wieauch immer man diese Einheiten nennen will zu assistie-ren. Wenn man die Zustände sieht, unter denen das dortgeschehen muss, weiß man, dass das alles andere als ein-fach ist.Ich glaube also, dass wir sowohl in der großen politi-schen Linie wie auch in den konkreten Aktionen und imUmgang mit Partnern eine sehr gute Abrüstungspolitikbetreiben. Der Bericht ist deshalb zu Recht von verschie-denen Seiten gelobt worden. Ich kann der Bundesregie-rung nur sehr dafür danken, dass sie dieses Thema wei-terverfolgt, und zwar mit genau der Konsequenz undBeharrlichkeit, die das Thema verlangt. Alles andere,jede Form des Aktivismus ist bei diesem Thema unange-bracht und ohnehin nutzlos.
Ich schließe mich dem Dank an die Kollegin Zapfsehr gerne an, obwohl ich sie lange Zeit bei diesemThema eher besichtigt als gestört habe.
Wir sind gemeinsam 1990 in den Bundestag gekommen.Das hat uns nun beide veranlasst, nicht mehr zu kandi-dieren. Da es aber noch ein paar Themen in der Pipelinegibt, zu denen ich die Möglichkeit habe, zu sprechen, istdies sicherlich nicht meine letzte Rede. Ihnen jedenfallswünsche ich alles Gute.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/12570 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-verstanden. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag derFraktion der SPD zu dem Jahresabrüstungsbericht 2012der Bundesregierung. Interfraktionell ist vereinbart, überden Entschließungsantrag auf Wunsch der einbringen-den Fraktion, abweichend von der Geschäftsordnung,sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? –Das ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag auf Drucksache 17/12703. Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit istder Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die ein-bringende Fraktion abgelehnt. CDU/CSU, FDP undLinke waren dagegen. Bündnis 90/Die Grünen habensich enthalten.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-sache 17/12251.Zunächst zu der Beschlussempfehlung zum Antrag derFraktion der SPD mit dem Titel „Keine Modernisierungder US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Ab-rüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen“.Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner Be-schlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPDauf Drucksache 17/11323 abzulehnen. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-men bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Dage-
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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gen waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Linkehat sich enthalten.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 17/11225 mit demTitel „Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffenin Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmungdurch die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion.Die Linke war dagegen. Bündnis 90/Die Grünen habensich enthalten.Zusatzpunkt 13. Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel„Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreieWelt“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 17/12733, den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9983abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen bei Zustimmung der CDU/CSU und der FDP. Dagegen waren Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten ElviraDrobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPDLage der Verbraucherinnen und Verbraucherverbessern– Drucksache 17/12689 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medienb) Beratung des Antrags der Abgeordneten NicoleMaisch, Renate Künast, Bärbel Höhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür eine moderne und nachhaltige Verbrau-cherpolitik– Drucksache 17/12694 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und MedienHierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debat-tieren. – Dazu höre und sehe ich keinen Widerspruch.Das ist dann so beschlossen.Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort der Kolle-gin Elvira Drobinski-Weiß.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Esist nun genau ein Jahr her, dass uns Ministerin Aigner er-klärt hat, ihr Auftrag sei – ich zitiere – „Kennedy 2.0“.Heute, am Weltverbrauchertag 2013, müssen wir leiderfeststellen: Auftrag nicht erfüllt, „Kennedy 2.0“ war eineMogelpackung.Beispiel Lebensmittel. Da hieß es – ich zitiere –:Was draufsteht, muss auch drin sein. Die Menschenwollen ehrliches Essen – und dafür kämpfe ich.Das sagte Ministerin Aigner in ihrer Rede vor einemJahr zum Weltverbrauchertag. Es war ein wenig erfolg-reicher Kampf: Gammelfleisch, Dioxin in Eiern, Anti-biotika in Hähnchen, Ehec, falsch etikettierte Eier, Pfer-defleisch als Rindfleisch – all das hat mit ehrlichemEssen nichts zu tun.Leider wird sich das mit dieser Bundesregierungkaum ändern, denn dafür würde man mindestens dreier-lei benötigen: eine ehrliche Analyse der Schwachstellenin der Lebensmittelkette und ihrer Kontrollen; den ehrli-chen Willen, daran etwas zu ändern, und zwar auchdann, wenn man sich dabei mit der Wirtschaft anlegenmuss; und eine ehrliche Information der Verbraucherin-nen und Verbraucher, sodass auch in Täuschungsfällenund bei Falschetikettierung Ross und Reiter genanntwerden.
Kennedy forderte in seiner Rede zum Verbraucher-schutz am 15. März 1961 für Verbraucher das Recht aufInformationen. Heute aber gibt es von Kennedy – ge-schweige denn von „Kennedy 2.0“ – keine Spur.Letzte Woche wurde in Windeseile das Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuch geändert. Nichts hat sich da-durch verbessert. Liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Koalitionsfraktionen, wir, die SPD, haben Sie davorgewarnt; denn die Hürden sind dafür zu hoch. Die Ände-rung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetz-buches wird nicht dazu führen, dass die Behörden überTäuschungsfälle informieren.
Das meinen auch die Juristen und Kontrolleure, die sichseit gestern auf dem 26. Deutschen Lebensmittelrechts-tag treffen. Sie fürchten sogar, dass die Verbraucher beiBetrügereien und Skandalen wegen juristischer Unsi-cherheiten künftig noch schlechter informiert werden.Martin Müller, Deutschlands oberster Lebensmittelkon-
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Elvira Drobinski-Weiß
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trolleur, hält das Gesetz für handwerklich schlecht ge-macht, und Fachjuristen sehen Unsicherheiten in einemAusmaß, das es noch nie gegeben hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt: Wiedereinmal sind Verbraucherschutz und Verbraucherinforma-tion an der Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaftgescheitert.
Nachbesserungen sind hier dringend nötig.
Darauf hoffen übrigens auch schwarz-gelb regierte Län-der.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jüngsten Le-bensmittelskandale und das von der Bundesregierung inAuftrag gegebene Gutachten zur Lage der Verbrauche-rinnen und Verbraucher haben erneut deutlich gemacht:Es herrscht ein Ungleichgewicht der Kräfte zwischenden Anbietern und den Verbrauchern. „Marktintranspa-renzen“ und „erhebliche Informationssuchkosten“ beiden Konsumenten – so steht es im Gutachten – erschwe-ren einen selbstbestimmten Konsum. Das Gutachten –wohlgemerkt das Gutachten der Bundesregierung – siehtBedarf für einen stärkeren staatlichen Schutz solcherVerbraucher, die ohnehin benachteiligt sind.Im Verbraucherministerium aber bleiben solche Bot-schaften ungehört. Das liegt auch daran, dass diesesMinisterium nicht ohne Grund den Verbraucherschutzals Letztes im Namen trägt. Die Bezeichnung „Verbrau-cherministerin“ ist für Frau Aigner einfach falsch;
denn die Interessen der Wirtschaft haben für sie immerVorrang. Wir halten eine Trennung der Ressorts für drin-gend erforderlich. Der Verbraucherschutz ist in einem sowirtschaftsnahen Ministerium falsch aufgehoben.
Wirtschaftsnähe ist auch das Stichwort für die Aufre-gung in den Medien in den letzten drei Tagen über dasBündnis für Verbraucherbildung. Zweifellos brauchenKinder und Jugendliche Verbraucherbildung, eine Anlei-tung zum kritischen Konsum und zum Hinterfragen vonWerbestrategien. Dafür braucht man Geld. Aber auchmich besorgt die Einbindung von Unternehmensvertre-tern, wenn diese tatsächlich Handlungsempfehlungenmit entwickeln sollten. Als Kuratoriumsmitglied derDeutschen Stiftung Verbraucherschutz halte ich eineSondersitzung zur Klärung für dringend geboten; diesehaben wir bereits vereinbart.Wir legen Ihnen heute Vorschläge vor, mit denen wirdie Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher wirklichverbessern wollen. Ich nenne ein paar Beispiele:Wir wollen mehr Markttransparenz. Deshalb fordernwir eine grundsätzliche Veröffentlichung aller amtlichenKontrollergebnisse.
Das ist grundlegend für das Recht der Verbraucher aufInformation.Wir müssen weiterhin die Grundlagen für eine bes-sere und effizientere Lebensmittelüberwachung schaf-fen. Dabei muss auch an die Finanzierung gedacht wer-den. Warum bürden wir die Kosten für die amtlicheÜberprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgabeneigentlich dem Steuerzahler auf? Die Aufgaben und derAufwand der Überwachung sind enorm gestiegen. DieAusstattung hat damit nicht Schritt gehalten. Dieses Di-lemma darf nicht verschämt verschwiegen werden.
Hier muss offensiv nach Lösungen gesucht werden;möglicherweise beinhalten diese auch eine Beteiligungder Wirtschaft an den Kosten.Wir wollen Verbraucherinnen und Verbraucher nichtmit komplizierten und wenig aussagekräftigen Informa-tionen überschwemmen, sondern wir wollen gute, dasheißt sinnvolle, für Verbraucher verständliche und hilf-reiche Informationen. Dafür müssen wir aber Kriterienerarbeiten, und zwar unter Einbeziehung etwa der Ver-braucherforschung.Wir wollen Marktwächter einrichten, die in den Be-reichen Finanzmarkt, Energie, Gesundheit, Lebensmittelund digitale Welt die Konsumenten auf Augenhöhe brin-gen und die Aufsichtsbehörden unterstützen.
Frau Kollegin.
Wir haben noch viele Vorschläge, doch meine Rede-
zeit reicht für die vollständige Aufzählung leider nicht
aus. Die Vorschläge liegen Ihnen allen aber auch vor. Sie
können uns dabei unterstützen, Verbraucherinnen und
Verbraucher zu stärken und zu schützen.
Vielen Dank.
Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Schön, dass wir am Weltverbrauchertag überdie Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher auch in
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Mechthild Heil
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Deutschland sprechen. Denn es gibt viel Gutes zu be-richten.
Die Kollegen von der SPD und von den Grünen beru-fen sich in ihren Anträgen auf das Prognos-Gutachten.Meine sehr verehrten Kollegen, Sie haben da eine ausge-zeichnete Wahl getroffen. Dort wird nämlich festgestellt:Das Vertrauen der Bürger in den Markt ist stark ausge-prägt. – Von Misstrauen, welches Sie immer heraufbe-schwören, ist da keine Rede. Also, die Verbraucherzu-friedenheit in Deutschland ist gut.Frau Drobinski-Weiß, das ist ein Lob an die Wirt-schaft, aber auch eine Bestätigung der christlich-libera-len Verbraucherpolitik. Wir machen gute Politik für dieVerbraucher, weil wir uns kümmern, weil wir hinhören,weil wir verstehen, wo den Verbraucher der Schuhdrückt, und weil wir handeln, anstatt Panikmache zu be-treiben.
Die Ergebnisse der Studie motivieren uns, noch bes-ser zu werden. Das Gutachten gibt erste Hinweise da-rauf: Wohin entwickeln sich die Märkte? Wo müssen wirmit neuen Schwierigkeiten rechnen? Das nehmen wirsehr ernst. Darum werden wir uns auch in Zukunft küm-mern und das in gute Verbraucherpolitik umsetzen. AberIhre Schlussfolgerungen aus dem Gutachten, liebe Kol-leginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen– das kann ich Ihnen heute, am Weltverbrauchertag,nicht ersparen –, sind leider genauso überholt wie abwe-gig. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen.Zunächst das Verbraucherinformationsgesetz; Sie ha-ben eben davon gesprochen. Es ist so formuliert, dass dieLänder Verstöße gegen Hygienevorschriften meldenmüssen, wenn ein Bußgeld von mehr als 350 Euro zu er-warten ist.
In den anderen Fällen können sie es melden. Aber wastut Rot-Grün in den Bundesländern, in denen sie regie-ren? Nichts, gar nichts!
Baden-Württemberg, mit grün-roter Mehrheit regiert,meldet keine einzige Verfehlung. Auch von meinemBundesland, von Rheinland-Pfalz, rot-grün regiert, wirdkeine einzige Verfehlung gemeldet.
Bayern hingegen ist Spitzenreiter beim Veröffentlichenvon Hygieneverstößen.
Sie plustern sich hier immer auf und reden von Transpa-renz. Aber im Ausschuss stimmen Sie dagegen und hal-ten in den Ländern alles unter Verschluss. Transparenzgibt es bei Ihnen nicht. Ihre Politik ist verlogen.
Es ist an der Zeit, dass Sie sich selber einmal an Ihre rot-grüne Nase fassen.
– Ich weiß, die Wahrheit tut weh.
Wenn Sie einmal im Ausschuss wären, würden Sie an-ders reden.
Möchten Sie die Zwischenfrage von Frau Maisch zu-
lassen?
Nein. Die Kollegin hat ja nachher Zeit, ihre eigenenAusführungen zu machen.
Thema: Warteschleifen. Ihr Vorwurf, Verbraucherwürden mit Warteschleifen abgezockt, ist völlig überzo-gen. Eigentlich müssten Sie es besser wissen – auch Sie,Herr Kelber, wenn Sie in den Ausschusssitzungen dabeiwären. Warteschleifen sind nach einer Übergangsfrist abdem 1. Juni 2013 völlig kostenlos, auch die nachgelager-ten.
Thema: Produktinformationsblätter. Wir haben sieeingeführt. Anleger sehen jetzt auf einen Blick die we-sentlichen Chancen und Risiken von Bankprodukten.Die deutschen Verbraucher brauchen keine Wärter oderWächter. Sie brauchen erst recht keine Finanzmarkt-wächter bei den Verbraucherorganisationen, wie Sie siefordern. Wir haben mit der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht, der BaFin, bereits eine gute Ein-richtung. Dort wird ein Verbraucherbeirat eingerichtet,der hilft, die Aufsichtsaufgaben aus Verbrauchersicht zubegleiten. Zudem haben wir die Stiftung Warentest bzw.Finanztest mit 2 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet,
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Mechthild Heil
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damit sie Finanzdienstleistungen prüfen und bewertenund ihre Informationsangebote ausbauen kann.Auch die Schlichtungsstelle im Luftverkehr kommt.Bei einem weiteren Thema hängen Sie ebenfalls hin-terher, nämlich beim Smiley. Die Gesetzeslage ist klar:Die Länder können in ihrem Zuständigkeitsbereich Mo-delle wie etwa ein Restaurantbarometer oder einenGastro-Smiley einführen.
Keiner hindert sie daran.
Aber: Eine Nährwertkennzeichnung mit Ampelfarbenauf Fertiggerichten lehnen wir ab,
weil wir die komplexe Welt nicht so einfach auf drei Far-ben reduzieren wollen. Das würde dem Verbrauchernicht helfen.
Wir setzen eben nicht auf Verbote oder Simplifizie-rungen, sondern wir wollen positive Anreize setzen.
Deshalb hat die Bundesregierung auch Projekte zur Ver-besserung des Ernährungsverhaltens und für mehr Be-wegung ins Leben gerufen, die sich vor allem an Kinderrichten. Diese Projekte sind sehr beliebt und auch sehrerfolgreich.
Zwei Dinge fallen mir an den Forderungen in IhrenAnträgen auf: Manche Forderungen, die Sie stellen, sindveraltet und schon längst umgesetzt.
Da frage ich mich natürlich: Warum führen Sie all dieseForderungen seitenweise auf? Sind Ihnen etwa zwi-schenzeitlich die Ideen ausgegangen? Insgesamt lassenIhre Forderungen erschreckende Rückschlüsse auf IhrVerbraucherbild zu.
Der Verbraucher ist für Sie in erster Linie Opfer. InIhren Augen treibt er ungeschützt und hilflos auf hoherSee, von den Wellen hin- und hergeworfen, ohne Über-blick und ohne die Kraft, selbst zu entscheiden, wohindie Fahrt gehen soll. Sie trauen dem Verbraucher nochnicht einmal zu, zu wissen, wohin er überhaupt will. Wasist das für ein Verbraucherbild, und was ist das für einMenschenbild, das dahinter steht!Wir haben ein ganz anderes Bild vom Verbraucher.Für uns Christdemokraten und Christsoziale – sicherlichspreche ich da auch für die FDP – gilt: Wir trauen denMenschen etwas zu.
Aber wir überfordern sie auch nicht. Wir wissen, dassnicht jeder in unserer komplexen und kompliziertenKonsumwelt immer und überall gleich mündig seinkann.
Aber jeder Mensch hat seinen Wert und hat seine Fähig-keiten. Für uns ist der Verbraucher nicht in erster LinieOpfer – er ist es, der die Marktmacht hat, er ist es, derdie Entscheidungen treffen kann,
und er ist es, der den Impuls für die Wirtschaft setzt. DieWirtschaft ist ohne den Verbraucher nichts. Wir schaffendie Verbindungen, damit der Verbraucher seine Markt-macht auch nutzen kann, und schützen ihn dort, wo er esnötig hat.
Es wäre toll, wenn Sie uns auf diesem Weg begleitenwürden.Vielen Dank.
Caren Lay hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es wird höchste Zeit für eine gute, moderne undengagierte Politik für Verbraucherinnen und Verbrau-cher. Das gilt nicht nur heute, am Weltverbrauchertag,das sollte eigentlich jeden Tag gelten.
Wenn wir uns heute drei Jahre schwarz-gelbe Ver-braucherpolitik ansehen, dann müssen wir sagen: Wasdie Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher an-geht, waren das drei verschenkte Jahre
unter der Ägide einer Ankündigungsministerin, die wirheute vielleicht besser Untätigkeitsministerin nennensollten;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28669
Caren Lay
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aber da sie nicht anwesend ist, wird sie diese Worte garnicht hören.Frau Kollegin Heil, ich kann Ihre Jubelbilanz wirklichnicht unterschreiben. Nehmen wir das Thema Warte-schleifen: Diese Regelung gegen Abzocke bei Warte-schleifen kam viel zu spät, und sie ist halbherzig ge-macht. Oder nehmen wir die Produktinformationsblätter,mit denen Sie sich hier brüsten wollen.
Wegen der Produktinformationsblätter von Frau Minis-terin Aigner werden die Finanzhaie nun wirklich keinezitternden Knie bekommen. Wenn das das Einzige ist,womit diese Regierung die Finanzspekulanten an dieLeine legen will, dann muss ich sagen: Das ist eine trau-rige Bilanz.
Diese Regierung wird von einem Lebensmittelskan-dal nach dem anderen getrieben. Sie haben kein schlüssi-ges Konzept vorgelegt, wie solche Skandale in Zukunftverhindert werden können. Ich muss sagen: Dieschwarz-gelbe Verbraucherpolitik bietet überhaupt kei-nen Anlass, sich zu brüsten.
Meine Damen und Herren, der Handlungsbedarf imVerbraucherbereich ist aus meiner Sicht so groß, dasswir bis zum Ende der Legislaturperiode eigentlich jedeSitzung mit verbraucherpolitischen Forderungen füllenkönnten. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, wo ausunserer Sicht dringend gehandelt werden muss. Nehmenwir die Dispozinsen – hier verweigert sich Schwarz-Gelb seit vielen Jahren der Forderung nach einer Decke-lung –, nehmen wir steigende Mieten, nehmen wir Ab-mahnungen im Internet, nehmen wir steigende Kostenbei Heizung und bei Strom: Hier hat diese Regierungnichts anzubieten, um Verbraucherinnen und Verbrau-cher zu schützen.Ich gehe noch einmal kurz auf die Lebensmittelskan-dale ein. Als der nunmehr fünfte Lebensmittelskandal indieser Legislaturperiode aktuell war, hat Frau Aignerwieder einmal einen nationalen Aktionsplan angekün-digt – mit magerem Inhalt: Er ist voller Prüfaufträge.Alle Prüfaufträge hätte man sich sparen können, wennman zu Beginn dieser Legislaturperiode einige der For-derungen von uns Linken aufgegriffen hätte,
zum Beispiel beim Verbraucherinformationsgesetz.
Ich finde es, ehrlich gesagt, müßig, danach zu fragen,welches Land wie viel Verstöße gemeldet hat. Es liegtdoch in der Verantwortung dieser Koalition und dieserRegierung, Gesetze zu erlassen, die besagen: Jedes Prüf-ergebnis, das den Behörden vorliegt, muss öffentlich zu-gänglich sein; das wäre einmal ein vernünftiger Ansatzgewesen.
Oder nehmen wir die überhöhten Strompreise. DiesesThema ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wir dieVerantwortung nicht auf die Verbraucherinnen und Ver-braucher abwälzen können. Natürlich kann man denStromanbieter wechseln; aber selbst die Stiftung Waren-test sagt, dass bei den Vergleichsportalen im Internet soviele Fallstricke zu beachten sind, dass es für viele Men-schen ganz schwer abzusehen ist, was am Ende dabei he-rauskommt. Deswegen brauchen wir hier auch andereMaßnahmen, zum Beispiel eine staatliche Preisaufsicht.
Das ist genau der zentrale Unterschied zwischen un-serer und Ihrer Verbraucherpolitik. Sie verstecken sicheinfach hinter dem Begriff „Eigenverantwortung“. FrauHeil, da Sie heute gesagt haben, Sie trauten den Men-schen etwas zu, muss ich erwidern: Sie lassen die Men-schen im Regen stehen und liefern die Verbraucherinnenund Verbraucher der Wirtschaft aus. Das ist meine Ana-lyse der Situation.
Ich denke, Sie haben im Kern einfach Angst davor– darum geht es doch –, die Wirtschaft, also die Unter-nehmen und Konzerne, in die Pflicht zu nehmen. Wirnicht!
Sie fürchten um die Gewinne Ihrer Freunde bei den Kon-zernen und machen eine entsprechende Verbraucherpoli-tik. Wir hingegen denken an die Menschen, in deren In-teresse wir gute Verbraucherpolitik machen wollen. Dasheißt, hier ab und zu auch einmal ein gutes Gesetz zu er-lassen.
– Herr Kollege Schweickert, die Einschätzung, dassdiese Regierung das permanent tut, kann ich nicht unter-schreiben.Ein letzter Punkt. Auch das sogenannte Anti-Ab-zocke-Gesetz hat ja wegen des permanenten Streits inder Koalition jahrelang in den Schubladen gelegen undschon Schimmel angesetzt. Herausgekommen ist zumSchluss eine völlig verwässerte Variante von dem, waswir brauchen.Wir brauchen endlich eine Regulierung von unseriö-sem Inkasso.
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Caren Lay
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Wir müssen verhindern, dass Jugendliche wirklich mas-senhaft abgemahnt werden, wenn sie mal ein Youtube-Video über Facebook posten. Auch die Verbraucherzen-tralen sagen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung indieser Sache macht es eher schlimmer als besser.
Deswegen sage ich auch an dieser Stelle: So kann esnicht gehen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Einige der Maßnahmen, die wir als Linke vorschlagen,werden der Wirtschaft sicherlich Schmerzen bereiten.Ich sage aber: Das muss der Politik im Zweifel egal sein,wenn sie Politik nicht nur für die Konzerne und für dieMärkte, sondern auch für die Menschen betreiben will.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege
Dr. Erik Schweickert.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Verbrau-cherinnen und Verbraucher in Deutschland war noch nieso gut wie heute.
Es war diese schwarz-gelbe Regierung, die den Verbrau-cherschutz aus der Nische geholt und in den Fokus ihrerPolitik gestellt hat.
Vieles von dem, was Sie hier fordern, haben wir be-reits erledigt. Aber bei SPD und Grünen dauert es haltimmer etwas länger – genau, wie zu Ihrer Regierungs-zeit.
Wir sind beim Verbraucherschutz deutlich weiter als Sie,die Sie mit dem Schreiben von Anträgen nicht hinterher-kommen.
Schauen wir uns doch einmal die einzelnen Punktean:Sie fordern die Einrichtung von Schlichtungsstellen.
Das ist längst erledigt. Seit Oktober 2011 gibt es die vonuns eingerichtete Schlichtungsstelle Energie, undnächste Woche beschließen wir im Bundestag in dritterLesung die Einrichtung einer Schlichtungsstelle für denFlugverkehr.
Sie fordern mehr Geld für die Stiftung Warentest. Dasist längst erledigt. Wir haben das Stiftungskapital derStiftung Warentest in unserer Regierungszeit um 50 Mil-lionen Euro aufgestockt, und wir haben ihr in diesemHaushalt 2013 noch einmal 2 Millionen Euro extra fürden speziellen Bereich der Finanzdienstleistungen zu-kommen lassen, um die Marktüberwachung zu intensi-vieren.Sie fordern die Einrichtung eines Sachverständigenra-tes für Verbraucherfragen. Das ist längst erledigt; dennwir haben die Stiftung Verbraucherschutz ins Leben ge-rufen und mit 10 Millionen Euro gefördert.
Sie fordern Marktwächter für Energie. Auch das ha-ben wir längst erledigt; denn wir haben eine Markttrans-parenzstelle eingerichtet, die den Markt überwacht unddem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucherdient.Daneben fordern Sie mehr Transparenz und bessereInformationen bei Täuschungen im Lebensmittelbereich.Wir haben gehandelt und das LFGB entsprechend geän-dert. Nun liegt es an Ihren Vertreterinnen und Vertreternin den Ländern, diesen Änderungen im Bundesrat auchzuzustimmen.Da wir gerade bei den Ländern sind: Ich finde es un-redlich, sich hier hinzustellen und ein Kennzeichnungs-system für Gaststätten zu fordern, obwohl Sie wissen,dass die Wirtschaftsminister der Länder eine solche Re-gelung blockieren. Lassen Sie also bitte den SchwarzenPeter dort, wo er hingehört, nämlich in den von Ihnen re-gierten Ländern.
Sie fordern die strengere Regulierung von Inkasso-unternehmen und die Eindämmung unerlaubter Telefon-werbung. Auch hier liefern wir. Am Mittwoch – das istalso gerade einmal zwei Tage her – wurde ein entspre-chender Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb im Kabinettbeschlossen.
– Jetzt kommt der Zwischenruf „Zu spät“. Die, die zwölfJahre lang nichts gemacht haben, sagen jetzt, wir seienzu spät dran.
Der Gesetzentwurf wurde also im Kabinett beschlos-sen. Im Inkassowesen werden die Transparenz- und In-formationspflichten erhöht, Gebühren werden gedeckeltund die Bußgelder bei Verfehlungen werden erhöht. Wirwerden eine schriftliche Bestätigungslösung für am Te-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28671
Dr. Erik Schweickert
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lefon geschlossene Verträge im Zusammenhang mit Ge-winnspielen einführen.Wir schließen also Schlupflöcher für Betrüger beimInkasso und bei unerlaubter Telefonwerbung und führenVerbesserungen ein durch kostenfreie Warteschleifen,durch eine Preisansagepflicht bei Call-by-Call und durchden Internetbutton. Wäre meine Redezeit länger, könnteich diese Liste noch beliebig fortsetzen, meine Damenund Herren.
Wenn es aber nach Ihnen ginge, dann könnten wir amTelefon nicht einmal mehr eine Pizza bestellen. Denngenau das wäre die Folge einer von Ihnen gefordertenallgemeinen Bestätigungslösung für am Telefon ge-schlossene Verträge.
Jetzt kommen Sie und sagen, wir sollten die Zinssätzefür Dispokredite deckeln, was zur Folge hätte, dass dieGirokonten insgesamt teurer würden. Ihrer Meinungnach soll also derjenige mehr zahlen, der sein Kontonicht überzieht und seine Finanzen im Griff hat, damitderjenige weniger zu zahlen braucht, der seine Finanzennicht im Griff hat. Diese Form der ungerechten Umver-teilung lehnen wir ab.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,verwechseln Verbraucherschutz mit Verbraucherbevor-mundung. Sie verfahren getreu nach dem Motto: Wirwissen besser, was der Verbrauch will, als es der Ver-braucher selber weiß. – Verbraucher, die das nicht ver-stehen oder selbst entscheiden möchten, stellen Sie mo-ralisch in die Schmuddelecke. Das ist aber nicht meineVorstellung von Verbraucherpolitik.Unsere Verbraucherpolitik ermöglicht und ermuntertzu selbstbestimmten Entscheidungen. Schwarz-gelbeVerbraucherpolitik hat faire Rahmenbedingungen her-beigeführt, ohne zu bevormunden, und wir folgen keinermoralischen Zeigefingerpolitik. Wir setzen auf die Frei-heit des Geistes, auf die Freiheit des Handelns und aufdie Freiheit der eigenen Entscheidung. Denn wir stehenfür die Freiheit, und Sie stehen für das Verbot.
Sie wollen Werbeverbote ausweiten, um von Ihnenals schlecht bewertete Produkte aus dem freien Markt zudrängen und Verbrauchern keine Wahl zu lassen. Siewollen Sonntagsfahrverbote, Alkoholverbote auf öffent-lichen Plätzen, Ladenöffnungsverbote am Sonntag,Schnäppchenverbote, Fleischverbote und einen ver-pflichtenden Veggieday. Ich würde gerne einmal sehen,was los wäre, wenn ich einen verpflichtenden Fleischtagfordern würde.
Sie wollen in diesem Bereich verbieten, was es zu ver-bieten gibt, und das schließt sogar das Ponyreiten aufJahrmärkten ein.Überall dort, wo Sie nicht verbieten können, muss zu-mindest eine neue Steuer her. Sie fordern eine Steuer aufPlastiktüten, eine Fettsteuer, eine Zuckersteuer. DieÖkosteuer haben Sie uns schon in Ihrer Regierungszeitbeschert.
Meine Damen und Herren, Sie wollen die Verbrau-cher nicht schützen, sondern ans Gängelband nehmen.Verbraucherpolitik mit Handschellen – das ist die rot-rot-grüne Vision.Weil Sie genau diesem Leitbild in Ihrer rot-grünenRegierungszeit gefolgt sind, zahlen die Verbraucherheute beim Strom eine EEG-Umlage, an der Tankstelledie Ökosteuer und im Supermarkt das Dosenpfand. Dasist das Ergebnis, wenn man Ihnen die Verantwortung fürdie Verbraucherpolitik überträgt: Der Verbraucher zahlt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD,nun fordern, Schwarz-Gelb solle für bezahlbare Energiesorgen, dann haben Sie offenbar vergessen, dass Rot-Grün die Stromrechnungen zu einem Armutsrisiko ge-macht hat. Schwarz-Gelb ändert das jetzt.
Wir setzen nicht auf Bevormundung, und wir setzennicht auf Subventionen und Steuern, sondern wir setzenauf Selbstentscheidung, auf Marktwirtschaft und aufWettbewerb.
Gerade deshalb geht es den Verbraucherinnen und Ver-brauchern in Deutschland heute auch besser, als es in Ih-ren Regierungsjahren jemals der Fall gewesen ist.Herzlichen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Nicole Maisch
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach dieser emotional aufgewühlten Verteidigung desHackbrötchens und des Ponyreitens ist es natürlichschwer, die Leidenschaftlichkeit auf diesem Niveau zuhalten.
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28672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Nicole Maisch
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Ich will es deshalb erst gar nicht versuchen, sondern di-rekt zur Sache reden.In der letzten verbraucherpolitischen Debatte sind wirZeugen eines selten uninspirierten ABCs geworden, alsIlse Aigner ihre magere Bilanz von A bis Z vor uns aus-gebreitet hat.Heute möchten wir Ihnen gerne präsentieren, wie Ver-braucherpolitik aussehen würde, wenn wir eine andereMinisterin, aber vor allem andere Mehrheiten in diesemHause hätten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesemLand können sich entscheiden, welche Mehrheit ihre In-teressen besser vertritt, indem sie Ihr ABC mit unserenAnträgen vergleichen.
Thema Energiepolitik. Wird eine schwarz-gelbeMehrheit gewünscht, der zu diesem Thema nicht mehrals durchschaubare Attacken auf das EEG einfällt? HerrSchweickert hat die EEG-Umlage zur Disposition ge-stellt, womit auch Arbeitsplätze vernichtet würden unddie Energiewende abgewürgt würde.
Oder ist eine Mehrheit erwünscht, die sich wirklich Ge-danken macht, wie man die Kosten zwischen den Privat-konsumenten und den großen energieintensiven Unter-nehmen aufteilen kann? Wir sagen: Führen Sie dieIndustrieprivilegien auf einen vernünftigen Stand zu-rück!
Dann sind auch die Kosten für die Privathaushalte trag-bar.
Gerade bei der Frage der Energiepreise müssen sichdoch die Menschen angesichts der Tatsache, dass Sie dieEnergiewende abwürgen, fragen, wie sie in Zukunft diePreise für Öl und Gas, die nicht bei uns zu Hause aufdem Acker wachsen, sondern teuer importiert werdenmüssen, bezahlen können.
Sie haben interessante Vorschläge zum Fracking ge-macht. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob das derrichtige Weg ist, die Energiepreise niedrig zu halten. Wirsagen dazu Nein.Thema Lebens- und Futtermittelüberwachung: Noro-virus auf Erdbeeren, Gammelfleisch, Dioxin-Eier, Pfer-defleisch statt Rindfleisch in Fertiggerichten. Da fragtman sich doch: Wo ist die Verbraucherministerin?
Reicht es da aus, immer wieder zu fragen: Wo sind dieLänder? – Wir haben eine Verbraucherministerin, dienichts Besseres zu tun hat, als sich hinter den Ländern zuverstecken.
Frau Heil, Sie haben eben meine Zwischenfrage nichtzugelassen. Sie haben gefragt: Welche Länder veröffent-lichen denn am meisten Hygieneverstöße? Dazu kannich Ihnen sagen: Baden-Württemberg stand auf einemguten zweiten Platz und musste dann, nachdem die Ge-richte wieder und wieder Veröffentlichungsentscheidun-gen kassiert haben, feststellen, dass das Gesetz, das Sieauf Bundesebene gemacht haben, für die Länder imVollzug nicht administrierbar ist.
Da müssen Sie doch einmal Selbstkritik üben und sichfragen: Wie kann man das Gesetz so verbessern, damitBayern und Baden-Württemberg weiter so schön fleißigveröffentlichen können und die Entscheidungen zur Ver-öffentlichung nicht von den Gerichten kassiert werden?
Auch beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärktenkönnen die Bürger entscheiden: Wollen sie weiter eineRegierung Merkel, die beim Altersvorsorge-Verbesse-rungsgesetz, bei der Honorarberatung und bei der Fi-nanzaufsicht die Interessen der Anleger fest im Blickhat, aber die Geldbörse der Bankkunden eben nicht?Das beste Beispiel ist doch die Frage der Bewertungs-reserven der Lebensversicherungen. Hier haben wir dietreuen Kämpfer für die Aktionäre von Allianz und Co.
Ich frage mich: Wer kämpft denn auf der rechten Seitedes Hauses für die Kunden mit Lebensversicherungen?Ich empfehle Ihnen einen Blick in Ihren Postkasten zuHause im Wahlkreisbüro. Da werden Sie genau wie ichdie vielen Briefe empörter Versicherungsnehmer vorfin-den, die die Altersvorsorge, mit der sie gerechnet haben,eben nicht bekommen werden.
Wir sagen: Auf den Finanzmärkten ist noch viel zutun. Das Thema Dispozinsen ist von meinen Kollegin-nen, die vor mir geredet haben, angesprochen worden.Wir sagen: Auch den Rechtsanspruch auf ein Girokontomuss es endlich geben. Frau Heil, Sie haben gesagt: Wirkümmern uns um die Leute. – Wer kümmert sich dennum die über eine halbe Million Menschen, die überhauptkein Konto hat? Darum sollten Sie sich einmal küm-mern, weil das wirklich gravierende soziale Problemenach sich zieht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28673
Nicole Maisch
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Frau Heil, Sie haben sich sehr über die Marktwächterempört. Ich finde, heute ist der falsche Tag, sich über dieFinanzmarktwächter zu empören, weil Ihnen heute wie-der einmal von den Verbraucherzentralen aufs Brot ge-schmiert wird, dass die Regelungen, die Sie zur Transpa-renz bei Provisionen im Finanzvertrieb getroffen haben,nicht funktionieren. Die meisten Banken vertreten, wasdie Befolgung solcher Transparenzregeln angeht, offen-sichtlich den Standpunkt: Kann man machen oder ebennicht. Da stellt sich schon die Frage: Müssen Sie bei derMarktaufsicht auf der einen Seite, aber natürlich auchbei der zivilgesellschaftlichen Ergänzung dieser Auf-sicht auf der anderen Seite nicht nacharbeiten?
Ein letzter Punkt angesichts der vielen blinden Stellenin Ihrem ABC. Da Sie so viel von der Selbstbestimmungund der Macht der Verbraucherinnen und Verbrauchergesprochen haben, frage ich mich: Warum sind Sie nichtin der Lage, die Bedeutung des privaten Konsums undder privaten Investitionsentscheidung für die ökologi-sche und soziale Transformation unserer Wirtschaft zuerkennen? Warum erkennen Sie nicht die Macht, diezum Beispiel hinter den Milliarden Euro steckt, die wirDeutsche jährlich in die staatlich geförderte Riester-Rente investieren? Da kann man sich doch überlegen:Braucht man nicht Mindestnachhaltigkeitskriterien?
Ich habe bei Ihnen die Hoffnung aufgegeben, dass wiruns da auf etwas einigen. Ich glaube, dass ich mich mitIhren Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsaus-schuss relativ schnell auf Standards einigen könnte, wasdie unterste Grenze sein sollte für Maßnahmen, die wirstaatlich finanziell fördern.Meine Damen und Herren, Sie haben sich über dieLänge unseres Antrags geärgert. Wenn Sie besser gear-beitet hätten, könnte der Antrag kürzer sein. Das ist erleider nicht. Aber das ist nicht die Schuld der linkenSeite des Hauses, sondern Ihre. Ich denke, da haben Sieeiniges nachzuarbeiten.
Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn die Opposition John F. Kennedy be-müht, dann klingt das geradezu hilflos.
Denn das Wort „Nachbesserung“ war das Synonym fürIhre rot-grüne Regierungszeit.Meine Damen, meine Herren, je strenger die Gesetze– man wirft uns vor, dass wir zu wirtschaftsfreundlichwären – und je höher die Standards, umso schneller wer-den kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt ge-kegelt.
In dieser Herausforderung befinden wir uns. Das heißt,wir streben eine Politik auf Augenhöhe an, die jedem ge-recht wird und jedem gerecht werden muss.Ich zitiere an dieser Stelle einen grünen Abgeordnetendes Europäischen Parlaments, der gesagt hat: Wenn allebestehenden Gesetze eingehalten würden, dann bräuch-ten wir keine neuen. – An dieser Stelle wiederhole ichunseren Appell an die Bundesländer, ihrer Hausaufgabebesser gerecht zu werden.
Ich sage es gerne noch einmal: Diese Bundesregie-rung hat für den Verbraucherschutz mehr getan als jedeandere Regierung zuvor.
Dieses Etikett gilt auch für uns, die CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion. Mich freut es ganz einfach, dass auch dieneutrale Studie von Prognos zur Lage der Verbraucherin-nen und Verbraucher zu dem Ergebnis gekommen ist:Die machen eine gute Politik.
Wer bisher aufmerksam zugehört hat, der musste sichfragen: Sind wir eigentlich in einem verbraucherpoliti-schen Entwicklungsland?
Was passiert hier eigentlich? Wird nicht unter demDeckmantel einer modernen Verbraucherpolitik ein ganzanderes Ziel verfolgt, nämlich eine demokratisch legiti-mierte Erziehungsdiktatur?
Gerade weil wir uns der wachsenden Bedeutung desVerbraucherschutzes bewusst sind, haben wir Verbrau-cherschutz und Politik umfassend im Blick. Ich zitieregerne unsere Ministerin, die in ihrer letzten Rede von„Verbraucherpolitik von A bis Z“, von „Anlegerschutz“bis „Zu gut für die Tonne“, gesprochen hat.
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28674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Marlene Mortler
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Das sind Themen, die Sie zu Ihrer Zeit nie auf derAgenda hatten.
Natürlich ist es unsere Aufgabe, falsche Entwicklun-gen zu korrigieren. Ich sage noch einmal: Wir stellen dieWeichen richtig. Ich erinnere sehr gerne an das, was derKollege Professor Schweickert in diesem Zusammen-hang gesagt hat. Ich bin auch tourismuspolitische Spre-cherin. Wir haben die Weichen für die Schlichtungsstelleim öffentlichen Personenverkehr neu gestellt. Inzwi-schen arbeitet diese Schlichtungsstelle so erfolgreich,dass immer mehr Verkehrsunternehmen mitmachen wol-len, ob im Bereich Schiffe oder im Bereich Busse. Fürnächste Woche ist die Einbringung des Gesetzentwurfszum Thema Luftverkehr angekündigt.All das ist nicht selbstverständlich. Ich weiß, dass dieAkzeptanz dieser Schlichtungsstelle aufgrund unsererPolitik weiter wächst.Meine Damen und Herren, wir sind damit in SachenFahrgastrechte gut unterwegs. Das Verfahren der außen-gerichtlichen Streitbeilegung wird weiter an Akzeptanzgewinnen und sich bewähren.Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Thema Er-nährung sagen. Ich bin auch Ernährungsexpertin. Ich bingelernte Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. WennSie von gesunder Ernährung reden, kann ich Ihnen nursagen: Es gibt keine gesunde Ernährung, sondern nur eingesundes Ernährungsverhalten. Deshalb setze ich aufeine abwechslungsreiche, saisonale, regionale und be-darfsgerechte Ernährung. Ich selber weiß am besten denWert einer ausgewogenen Ernährung zu schätzen. Es istnichts günstiger und besser, als Rohstoffe selber zu ver-arbeiten sowie Kochen und Essen zum gemeinsamen Er-lebnis zu machen.Deshalb begrüße ich ausdrücklich das geforderteSchulfach Allgemeinbildung bzw. Alltagsökonomie undLebensökonomie bzw. Alltagskompetenz. Für uns ist eswichtig, dass wir nicht jede Verantwortung auf dieSchule und den Staat verlagern. Ein solches Unterrichts-fach kann dazu beitragen, Schüler von Anfang an imSinne eines mündigen Verbrauchers fit zu machen. Ichsehe mich hier mit den Landfrauen auf der richtigenSeite.
Denn ob Ernährung, Finanzen oder Medien: Kindermüssen sich auf immer komplexer werdenden Märktenzurechtfinden. Ich freue mich übrigens, dass das Bun-desland Schleswig-Holstein bereits das UnterrichtsfachVerbraucherbildung eingeführt hat, und zwar unter PeterHarry Carstensen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten.
Frau Mortler.
Frau Präsidentin, ich schließe sofort. – Es wäre schön,
wenn das Bündnis für Verbraucherbildung auf Länder-
ebene noch größere Zustimmung fände. Wir brauchen
keine Bevormundung und erst recht keine Entmündi-
gung, sondern mündige Verbraucher von Anfang an.
Danke schön.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gabriele
Groneberg das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ichmöchte mit dem Thema Energie fortfahren; das hattenwir vorhin kurz gestreift. Herr Schweickert war kurz da-rauf eingegangen. Ich kann gerade nach den Reden derletzten Tage nur feststellen: Das organisierte Chaos derBundesregierung bei der Energiewende sollte eigentlichkaum noch zu toppen sein. Doch Frau Ministerin Aignersetzt hier durch Nichtstun Standards. Auch das ist schoneine Leistung.
Ohne Frage steht das Thema der steigenden Energie-preise für Verbraucherinnen und Verbraucher ganz obenauf der Agenda; denn genauso wie das Wohnen gehörenzu den Grundbedürfnissen eine warme Wohnung undEnergie zum Heizen, Kochen, Lesen, Musikhören undFernsehen. Sinnigerweise finden wir dazu nichts von derVerbraucherministerin.
Sie ist auf diesem Feld genauso abwesend wie im Au-genblick hier im Plenum.
Sie haben das Gutachten zur Verbraucherpolitik an-gesprochen, Frau Mortler, Frau Heil und HerrDr. Schweickert. Ich finde das witzig. Wo sind denn IhreSchlussfolgerungen aus dem Gutachten? Das Gutachtensagt ganz genau, wie man damit umzugehen hat. Wosind denn jetzt die Vorschläge der Ministerin für bezahl-bare Energie, gegen Energiearmut sowie für bezahlbareMieten und bezahlbares Wohnen? Was tut sie gegen dieSteigerung der sogenannten zweiten Miete, der Neben-kosten? Nichts, gar nichts! Ihre KabinettskollegenRösler und Altmaier organisieren fröhlich das Chaos inder Energiewende. Ihre Aufgabe wäre es, sich hier ein-zumischen. Aber hier passiert nichts. Sie glänzt nurdurch Abwesenheit.
Sie haben in den Debatten der letzten Tage zwar überdie hohen Energiepreise geklagt, aber nur unter dem As-pekt, wie sich diese auf die deutschen Unternehmen aus-wirken und wie diese darunter zu leiden haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28675
Gabriele Groneberg
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Wir fragen uns: Wo bitte sind denn die Menschen inDeutschland abgeblieben? Brauchen diese etwa keinenStrom? Der Privatverbraucher ist doch derjenige, der mitden von Ihnen zu verantwortenden hohen monatlichenStromabschlägen die Unternehmen in Deutschland mit-finanziert. Dazu war von Ihnen in den letzten Tagennichts zu hören. Auch heute gab es dazu keinen Piep.Fakt ist doch: Die Bürgerinnen und Bürger zahlen füreine total verkorkste Energiewende in Deutschland. Siezahlen für die Regressforderungen der Energiekonzerne,weil diese Bundesregierung nicht in der Lage war, denAusstieg aus der Atomenergie vernünftig zu organisie-ren.
Sie zahlen für den Wegwerfstrom, der durch den fehlen-den Netzausbau und die damit einhergehende Verstop-fung der Netze entsteht, weil diese Bundesregierungnicht in der Lage war, den Netzausbau in Deutschland zuorganisieren.Die Bürgerinnen und Bürger zahlen, weil Sie in Eu-ropa auf der Bremse stehen, wenn es um Energieeffi-zienz geht.
Sie zahlen, weil Sie den Unternehmen, die in den Aus-bau der Windkraft investieren wollen, keine Investitions-sicherheit bieten. Außerdem zahlen sie, weil sinkendeStrompreise an der Börse nur an die Großindustrie, abernicht an die Verbraucher weitergegeben werden.
Sie zahlen, weil die massiv ausgeweiteten Ausnah-men bei der Stromsteuer, von denen im Übrigen pikan-terweise Hähnchenmastanlagen und Golfplätze profitie-ren,
vom Verbraucher zu bezahlen sind. Sie zahlen, weil Sienicht in der Lage sind, etwas Wirkungsvolles gegen diesteigenden Energiepreise zu unternehmen.Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aufgrund dersteigenden EEG-Umlage mit Mehreinnahmen bei derMehrwertsteuer von bis zu 1 Milliarde Euro pro Jahr imBundeshaushalt zu rechnen ist, haben wir Ihnen angebo-ten, diese Mehreinnahmen mit unserer Zustimmungauch dafür zu verwenden, Strom für Familien und Ge-ringverdiener billiger zu machen. Darauf sind Sie in kei-ner Weise eingegangen. Wenn Sie darauf eingehen undzu diesem Thema in die Bütt gehen würden, dann wür-den wir Ihnen zustimmen.So kann ich aber nur feststellen: Dieses Verbraucher-schutzministerium ist keines. Es stellt keine Lobby fürVerbraucherinnen und Verbraucher dar.Wie soll der Verbraucher bei rund 1 000 Stromanbie-tern und etwa 800 Gasanbietern noch den Überblick be-halten?
Da soll er mündig sein? Ich frage mich, woher der Ver-braucher die Zeit nehmen soll, um sich in diesemDschungel noch zurechtzufinden.Wir brauchen Markttransparenz und Marktüberwa-chung. Das täte diesem Bereich ganz besonders gut. Hierfunktionieren die Märkte aber nur zulasten der Verbrau-cherinnen und Verbraucher. Das gilt beim Benzin ge-nauso wie beim Gas oder auch beim Öl.
Wir brauchen also dringend Marktwächter, die dieNutzer unterstützen, die die Nutzer auf Augenhöhe brin-gen und die auch die Aufsichtsbehörden unterstützenkönnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass sichdie Menschen in Deutschland beim Thema Bundesregie-rung in einigen Monaten im eigenen Interesse sehr ener-giesparend verhalten werden. Wenn ich unnötige Strom-fresser an der Steckdose habe, schalte ich diese aus.Mündige Wählerinnen und Wähler werden sich im Sep-tember genauso verhalten.Vielen Dank.
Jetzt hat Carola Stauche das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Selbstverständlich reden wir amWeltverbrauchertag in diesem Hohen Hause gern überden Verbraucherschutz. Das können wir als christlich-li-berale Koalition auch mit gutem Gewissen tun; dennkeine andere Koalition hat so viel für den Verbraucher-schutz getan wie wir in den letzten knapp dreieinhalbJahren.
Dass Ihnen das nicht passt, erkennen wir deutlich anIhren Reaktionen. Sie verstricken sich ständig in Wider-sprüche. Vorhin wurde uns zum einen vorgeworfen, wirwürden dem Verbraucher zu wenig Informationen ge-ben, zum anderen aber auch, wir würden ihm verwirren-derweise zu viele Informationen geben. Dann wollenSie, dass wir Handel und Industrie in die Pflicht nehmen.Wird dies getan und beteiligen sie sich an der Verbrau-cheraufklärung, passt Ihnen das auch wieder nicht.
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28676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Carola Stauche
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Ich weiß, warum wir dieses Thema jetzt regelmäßigdiskutieren. Nicht etwa, weil Ihnen die Verbraucherin-nen und Verbraucher am Herzen liegen.
Nein, Ihnen sind die Wahlkampfthemen ausgegangen.
Uns ist der Schutz der Verbraucher mindestens ge-nauso wichtig, wie er Ihnen ist. Es gibt aber einen ent-scheidenden Unterschied: Wir als christlich-liberale Ko-alition nehmen die Ängste der Verbraucher ernst.
Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, we-cken und schüren ständig Ängste. Die beiden Anträge,um die es in der heutigen Debatte geht, machen das wie-der einmal ganz deutlich.Bitte verstehen Sie mich nicht falsch:
Wenn der Verbraucher getäuscht wird, wie es bei denjüngsten Lebensmittelskandalen geschehen ist, gehörtdas mit aller Härte des Gesetzes bestraft.
Aber einen ganzen Wirtschaftszweig, zum Beispiel dieTierhaltung, zu verteufeln, wie das beispielsweise imAntrag der Grünen getan wird, kann nicht die Lösungsein.
Um Ängste zu schüren, brauche ich selbstverständlichauch einen Räuber hinter dem Baum, der den Verbrau-chern auflauert.Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen demVerbraucherschutz, wie Sie, sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen der Opposition, ihn sich vorstellen, undwie wir von der Union ihn uns vorstellen. Wir möchtenniemanden bevormunden. Wir maßen uns nicht an, zuwissen, was der Verbraucher kaufen will.
Wir überlassen das dem Markt oder, besser gesagt, wirüberlassen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern,selbst zu entscheiden, was sie konsumieren wollen. Wirstehen für den mündigen Verbraucher, der selbst ent-scheidet, was auf den Tisch, in den Einkaufswagen oderin das Bankportfolio kommt. Wir schreiben nicht vor,wir bevormunden nicht, wir informieren und lassenselbst entscheiden.
Das heißt allerdings nicht, dass wir die Verbraucheralleinlassen, wenn es beispielsweise aus einer Mischungvon Profitgier und krimineller Energie zur Täuschungvon Verbrauchern kommt. Hier wurden bereits vorhan-dene Sicherungssysteme durch weitere sinnvolle Ange-bote des Bundesministeriums erweitert.Lassen Sie mich einiges stichwortartig vorstellen, wasan Verbraucherschutz seit November 2009 verabschiedetwurde. Die Initiative „Klarheit und Wahrheit“ mit derHomepage www.lebensmittelklarheit.de ist ein Beispiel,wie sich Verbraucherinnen und Verbraucher informierenund, wenn nötig, beschweren und untereinander austau-schen können. Für den Bereich Ernährungsbildung undErnährungsinformation wurden Bildungsbausteine fürKitas, Schulen und Senioren entwickelt und aktualisiert.Das Gleiche gilt für Qualitätsstandards für gesunde Er-nährung bei Gemeinschaftsverpflegung.Die Förderung aus dem Bundeshaushalt für die Ver-braucherzentrale Bundesverband, die Stiftung Warentestund den DIN-Verbraucherrat ist weiterhin garantiert.Das Stiftungskapital der Stiftung Warentest wurde zu-sätzlich auf nun 75 Millionen Euro aufgestockt. Eswurde ein zentrales Verbrauchertelefon eingerichtet. DieInformationskampagne „Zu gut für die Tonne“ läuft seiteinem Jahr.
Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch wurde da-hin gehend geändert, dass Rechtsverstöße, die bei derLebensmittelüberwachung aufgedeckt wurden, durch dieBehörden veröffentlicht werden müssen. Es muss nurgetan werden.
Es wurden Kriterien für eine Regionalkennzeichnungentwickelt. Seit Mitte Januar kann man bereits so ge-kennzeichnete Produkte kaufen. Es wurde das Tier-schutzlabel eingeführt und, und, und.Ich will nicht noch einmal all das aufzählen, woraufmeine Kollegen schon hingewiesen haben. Auch möchteich nicht all das, was Frau Ministerin Aigner bereits inder vergangenen Diskussion hier im Plenarsaal darlegte,wiederholen. Insgesamt ist aber festzustellen: Die ver-braucherpolitische Bilanz der schwarz-gelben Regie-rungskoalition ist gut. Das sollte auch einmal die Oppo-sition anerkennen.
Ich würde mich freuen, wenn die Opposition in derDiskussion wieder mehr das Wohl und nicht die Ängsteder Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittel-punkt stellen und zur Sachlichkeit zurückkehren würde;denn dann wäre dem selbstbestimmten und eigenverant-wortlich handelnden Verbraucher am meisten geholfen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28677
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 17/12689 und 17/12694 an die Aus-schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-den. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung des Straßenverkehrsgesetzes undanderer Gesetze– Drucksache 17/12636 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GOEs ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu de-battieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dannverfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der HerrBundesminister Dr. Peter Ramsauer.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Alle Straßenverkehrsteilnehmer– nicht nur die Autofahrer – und Führerscheininhaberhaben Anspruch auf ein klares und nachvollziehbaresRegelwerk. Beim Flensburger Verkehrszentralregister,im Volksmund „Verkehrssünderdatei“ genannt, kann vonsolcher Klarheit und Nachvollziehbarkeit leider Gottesschon längst keine Rede mehr sein. Es ist bekannterma-ßen über 50 Jahre alt, und hier hat sich viel Unnachvoll-ziehbares und Intransparentes eingeschlichen. Das wol-len wir nun ändern.Das neue Fahreignungsregister – so nennen wir esjetzt – macht das ganze System einfacher, gerechter undvor allen Dingen transparenter, wobei das oberste Ziel istund immer sein muss, mehr Verkehrssicherheit zu schaf-fen. Dazu legen wir heute in erster Lesung den Entwurfeines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenver-kehrsgesetzes und anderer Gesetze vor.Das Thema betrifft naturgemäß viele Millionen Men-schen. Deshalb haben wir ganz bewusst dafür gesorgt,dass die Reformpläne das Ergebnis eines breit angeleg-ten Verfahrens der öffentlichen Beteiligung sind. UnsereEckpunkte vom Frühjahr des vergangenen Jahres habenwir nicht nur mit den Ländern und den Verbänden, dieim Verkehrsbereich aktiv sind, eng beraten, sondern wirhaben in den ersten drei Maiwochen des letzten Jahresauch ein ausgesprochen breit angelegtes Verfahren derBürgerbeteiligung durchgeführt, begleitet von einerganztägig anwesenden Expertengruppe von jeweilssechs Helfern und Beratern, die ständig an den Telefo-nen und online waren. Sie haben in diesen drei Wochen30 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern erhalten.All dies ist in unsere Erwägungen eingeflossen.Künftig sollen Punkte nur noch für solche Verstößevergeben werden, die für die Verkehrssicherheit relevantsind. Zwei Beispiele für Verstöße, bei denen keinePunkte mehr vergeben werden sollen: Verstöße gegendas Sonntagsfahrverbot oder gegen die Umweltplaket-tenpflicht. Weil diese Verstöße nicht verkehrssicherheits-relevant sind, sollen sie keine Punkte mehr zur Folge ha-ben. Aber ich sage in aller Deutlichkeit: Wer dagegenverstößt, geht natürlich nicht leer aus; denn er wird na-türlich mit einer Bußgeldsanktion belegt. Beispielsweiseist für einen Verstoß gegen die Umweltplakettenpflichtein Bußgeld von 80 Euro vorgesehen, also ein höheresBußgeld als bisher.Unsere Vorschläge zur neuen Höhe der Bußgelderhalte ich übrigens für ausgewogen. Ich glaube, alle, diesich mit Bußgeldern in Nachbarländern Deutschlandsbefassen, können das bestätigen. Wer beispielsweise dieHöhe der Bußgelder in Italien oder Österreich kennt– ich selbst wurde noch nie Opfer davon, aber es wirdmir ständig erzählt –, der muss sich diesbezüglich inDeutschland regelrecht wohlfühlen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Punktesystemwird also einfacher und transparenter:Erstens. Verstöße werden künftig mit einem Punkt,mit zwei Punkten oder mit drei Punkten geahndet, jenach Schwere des Verstoßes. Unterschieden wird zwi-schen einem schweren Verstoß, einem besonders schwe-ren Verstoß und einem besonders schweren Verstoß in-klusive eines Tatbestandes, der strafrechtsrelevant ist,beispielsweise wenn jemand über eine Ampel fährt, dieschon länger als eine Sekunde rot war, und dabei auchnoch jemanden verletzt.Zweitens. Wir schaffen einen Punktetacho – so habenwir es genannt – und sehen klare Maßnahmen vor: Beiein bis drei Punkten erfolgt zunächst eine Vormerkung,ab vier Punkten eine Ermahnung, ab sechs Punkten eineVerwarnung mit Anordnung der Teilnahme an einemFahreignungsseminar, ab acht Punkten schließlich einFührerscheinentzug.Drittens. Es wird endlich feste Tilgungsfristen geben.Jeder Verstoß verjährt für sich, und es wird keinenMischmasch mehr mit Überliegefristen und Tilgungs-hemmungen geben.
Jeder kann sich also darauf verlassen, dass Punkte für ei-nen bestimmten Verstoß nach einer klar definierten Zeit-spanne auch wieder gelöscht werden.Meine Damen und Herren, bei so vielen Betroffenenkann es nicht verwundern, dass heftig darüber diskutiertwird; schließlich gibt es unter den 82 Millionen Men-schen in Deutschland 82 Millionen Experten für diesesThema. Das betrifft übrigens auch die Frage – ich willdas ganz offen ansprechen –, ob es nicht weiterhin einenPunkterabatt für solche Personen geben soll, die sichfreiwillig einem Seminar unterziehen. Ein Argumentlautet, dass ohne eine solche Rabattregelung besonders
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Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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Vielfahrer stärker belastet sind. Ich weiß, das ist einernstzunehmendes Argument. Bei allem, was wir hierentscheiden und tun, sollten wir hier aber immer dieFrage der Verkehrssicherheit an vorderste Stelle rücken.
In diesem Fall müsste man die Frage beantworten, wannjemand ein Vielfahrer ist: bei 20 000 Kilometern, bei50 000 Kilometern oder bei 100 000 Kilometern? Dabeieine Abgrenzung vorzunehmen, ist auch keine ganz ein-fache Angelegenheit.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns imjetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren zu prak-tikablen und überzeugenden Lösungen kommen. Ichwerbe ausdrücklich für einen fraktionsübergreifendenKonsens. Bei der Materie, um die es sich hier handelt,geht es um Menschen und um Verkehrssicherheit. Ichglaube, hier kann das ganze deutsche Parlament zu einereinheitlichen Auffassung gelangen.Danke schön.
Jetzt hat für die SPD-Fraktion das Wort die Kollegin
Kirsten Lühmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Kaum ein Verkehrsthema ist so emotional besetztwie das, das wir heute im Rahmen der ersten Lesung desGesetzentwurfs zum Verkehrszentralregister diskutieren.Wenn man an einem Stammtisch sitzt und Gesprächs-thema das Auto ist, kommt unweigerlich irgendwann dieFrage: Und, wie viele Punkte hast du? – Was ist die rich-tige Antwort darauf? Wenn man zugibt, gar keine Punktezu haben, gilt man als Weichei und Laternenparker.Wenn man zugibt, zu viele Punkte zu haben, könnte essein, dass die Runde einem als potenzielle Verkehrsge-fahr den Schlüssel wegnimmt.Aber es gibt auch ganz viele Menschen, die gar nichtwissen, wie viele Punkte sie aktuell haben, und das istein Zustand, der nicht tragbar ist. Darum hat Bundes-minister Tiefensee schon 2009 gesagt: Da müssen wir et-was tun. In der letzten Legislatur haben die damaligenRegierungsfraktionen SPD und CDU/CSU einen Antragvorgelegt, mit dessen Verabschiedung beschlossenwurde, dass eine Expertengruppe eingesetzt wird, diesich dieses Themas annehmen soll. Diese Experten-gruppe hat im Sommer letzten Jahres ein Ergebnis vor-gelegt.Ich fange mit dem Positiven an: Wir haben jetzt einenGesetzentwurf. Das ist, mit Verlaub, bei unserem jetzi-gen Verkehrsminister nicht selbstverständlich. Er fängtals Ankündigungsminister zwar viele Themen an, sei esnun das Problem der „Kampfradler“ oder die Frage dermedizinisch-psychologischen Untersuchung, ohne sieabzuschließen; aber in diesem Fall liegt uns etwas vor.Eine zweite Sache finde ich bedeutsam: Das ist dieeben schon angesprochene Bürgerbeteiligung. Ichdenke, diese Bürgerbeteiligung zeigt, dass wir mehr Ak-zeptanz für Gesetzeswerke erreichen können. Die Zahlvon 30 000 Menschen, die sich daran beteiligt haben,macht deutlich, dass dafür ein Bedarf da ist. Ich würdedieses positive Ergebnis gerne auf andere Gesetzesvor-haben übertragen.Um zu den Inhalten zu kommen: Worüber reden wir?Der Minister hat es eben angedeutet, aber nicht klar ge-sagt: Was ist die Flensburger Datei? Wozu soll sie die-nen? Wir lesen und hören in den Medien viele Begriffewie „Bestrafung von Verstößen“ – auch der Minister hatdavon gesprochen –, „Strafpunkte“ oder „Verkehrssün-der“, ein weiteres Wort, das es nur bei uns in Deutsch-land gibt. Wir denken also an Strafe und Erziehung.Aber ist es das wirklich? Nein, meine Kollegen und Kol-leginnen, das ist es nicht. Es geht bei diesem Verkehrs-zentralregister darum, dass man der Verwaltung ein In-strument an die Hand gibt, mit dem sie erkennen kann,ob jemand geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen odernicht; mehr ist es nicht. Es ist kein pädagogisches Sys-tem, und es soll auch nicht zur Bestrafung von Autofah-rern dienen.Jetzt komme ich zu den Vorschlägen, die die Exper-tenkommission damals gemacht hat. Aus dem von mirgenannten Grund hat sie gesagt, das Sinnvollste wäre, esgäbe gar keine Punkte mehr. Entscheidend ist nur, dassjemand gegen Verkehrsregeln verstoßen hat und wie ofter dagegen verstoßen hat. Darum geht es, wenn wir derVerwaltungsbehörde helfen wollen. Die Sicherheit desVerkehrssystems hängt grundlegend von der Zuverläs-sigkeit der Menschen ab, die daran teilnehmen. Die Be-gründung der Verkehrspsychologen war eindeutig. DieBewertung dieses Regelverstoßes in schwer oder weni-ger schwer ist irrelevant. Allein entscheidend ist, dass sieregistriert werden.Ich nenne Ihnen ein Beispiel, damit Sie sehen, dass esschon jetzt gängige Praxis ist. In dem Bereich, in demich als Polizistin tätig war, gab es eine Kraftfahrzeugfüh-rerin, die sich niemals angeschnallt hat, aus Prinzipnicht. Das ist ein Verstoß, der zwar mit einem Bußgeldbewehrt wird, aber von uns allen letztendlich als nicht sogravierend angesehen würde, um die Fahrerlaubnis zuentziehen. Nach einer gewissen Zeit, in der wir sie im-mer wieder darauf angesprochen haben und sie immernoch nicht bereit war, sich regelkonform zu verhalten,wurde ihr wegen Unzuverlässigkeit die Fahrerlaubnisentzogen. Das ist heute schon möglich. Ich denke, daswar auch der Grund, warum die Experten dieses Systemvorgeschlagen haben.Der Minister hat sich anders entschieden. Im erstenEntwurf, der der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ginges darum, sich auf nur noch einen oder zwei Punkte zubeschränken. In dem Entwurf, den wir jetzt haben, lesenwir, dass es ein, zwei und drei Punkte geben soll. Hier,liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich mir die Frage:Was ist daran das revolutionäre Neue? Ob ich 7 Punktehabe und mit 18 Punkten den Führerschein verliere oderob ich 3 Punkte habe und den Führerschein mit 8 Punk-
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Kirsten Lühmann
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ten verliere, das hat nichts mit einem neuen System zutun, sondern ist eine Kleinigkeit. Das hat nichts mitTransparenz zu tun. Das versteht kein Mensch. Die ers-ten Fachleute, wie die vom ACE, sagen: Kinder, lasstbitte alles beim Alten. Das ist doch einfach nur eine Re-form des Aktionismus wegen.Unsere Länder haben auch noch andere Bedenken.Eines wurde angesprochen, was wir leider nicht im Aus-schuss behandeln. Es geht nämlich um die Änderungvon Verordnungen. Für Verordnungen ist der Bundestagnicht zuständig. Diese Verordnungen haben aber ele-mentar etwas mit unserer Reform zu tun. Wenn es nurnoch ein bis drei Punkte gibt, dann geht es um die Frage:Welcher Verstoß soll mit wie vielen Punkten geahndetwerden? Das ist eine ganz gravierende Frage. WelcherVerstoß ist so gravierend, dass es zwei Punkte gibt, undwelcher ist so gravierend, dass es drei Punkte gibt? Daswird im Ausschuss nicht beraten. Es wäre schön, wennwir es machen könnten.Die nächste Frage, die sich daran anschließt, ist: Wasmachen wir mit Verstößen, für die es keinen Punkt mehrgibt? Der Minister hat gerade angedeutet, dass er danndas Bußgeld erhöhen will. Wie könnte das aussehen?Dazu gibt es einen ersten Entwurf. Für das Einfahren indie Umweltzone soll es künftig keinen Punkt mehr ge-ben. Damit können wir uns alle anfreunden. Dafür solldas Bußgeld von 40 Euro auf 80 Euro erhöht werden.Herr Ramsauer, mich interessiert nicht, wie viel ich da-für in Frankreich oder Spanien bezahlen muss. Mich in-teressiert, wie das in unser Gefüge der Bußgelder passt.Ich lese in der Reform, die Sie neu auf den Weg gebrachthaben: Das Parken auf einem Fahrradschutzstreifen– aus meiner Sicht eine höchst gefährliche Sache; Sieparken auf einem Fahrradschutzstreifen und die Fahr-räder müssen auf die Fahrbahn ausweichen – kostet10 Euro, und das Einfahren in eine Umweltzone kostetzukünftig 80 Euro. Das passt für mich nicht mehr zu-sammen. Darüber müssen wir reden.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, denSie bereits erwähnt haben. Das ist die Frage: Soll es ei-nen Punkterabatt geben? Ich nenne Ihnen ein Beispiel,warum wir einen Punkterabatt haben: Margret Meier,Anfang 40, zwei Kinder, keine Raserin, keine Drängle-rin, Otto Normalfahrerin wie wir alle, ist mit dem Handyam Steuer erwischt worden. Der Kindergarten hat ange-rufen, und sie ist natürlich rangegangen. Sie wurde er-wischt: ein Punkt. Zwei Jahre später will sie ihre Groß-tante in Erfurt besuchen. Sie kennt Erfurt nicht. DieGroßtante lebt dort in einem Altersheim. Sie weiß nicht,dass es in der Umweltzone liegt und übersieht die Schil-der. Sie fährt in die Zone hinein, wird erwischt, und das14 Tage bevor ihr Punkt verjährt. Dumm gelaufen. Die-ser Punkt bleibt und ein zweiter kommt hinzu. Das heißt,wenn wir die Reform nicht umsetzen, dann bleibt die Si-tuation, dass sich bei Menschen, die alle zwei Jahre ein-mal erwischt werden, die Punkte ansammeln. Das sindnicht die Menschen, die wir erreichen wollen. Es warsinnvoll, dass wir bisher in diesem Fall die Möglichkeiteines Punkteabbaus hatten.Aber jetzt haben wir eine andere Situation. Der Punktvon Frau Meier, den Sie für das Telefonieren mit IhremHandy bekommen hat, ist nach zwei Jahren weg, völligegal, was zwischendurch passiert. Wenn das so ist, seheich keinen Grund, warum Frau Meier die Möglichkeithaben soll, die Punkte abzubauen; denn das würde jaheißen, dass sie innerhalb dieser zwei Jahre noch fünf-,sechs- oder siebenmal zusätzlich aufgefallen ist.Das alles bedeutet, dass diejenigen, die sich dieneuen, teuren Seminare leisten können, zukünftig eigent-lich gar nicht mehr den Führerschein verlieren. Die rei-chen Raser werden begünstigt, und die Menschen, diewir eigentlich erreichen wollen, erreichen wir nicht.Fazit: Insgesamt liegt noch eine Menge Arbeit voruns. Es ist nicht unser Ziel, den Otto Normalverkehrs-teilnehmenden für einen Fehler, der uns allen passierenkann, zu bestrafen. Unser Ziel ist es, diejenigen von un-seren Straßen zu bekommen, die andere Verkehrsteilneh-mer verunsichern: die Raser und Drängler, die notori-schen Schnellfahrer.
Kollegin Lühmann, diese Arbeit müssen Sie tatsäch-
lich in den Ausschussberatungen fortsetzen.
Ich schließe mit einem Zitat eines Verkehrswissen-
schaftlers:
Sie verfügen zur Durchsetzung eigener Interessen
eine frei zugängliche Tatwaffe mit erheblicher
Masse und Bewegungsenergie.
Diese Menschen wollen wir von der Straße haben zu-
gunsten derjenigen, die sich ordentlich verhalten oder
vielleicht einmal ein bisschen auffällig sind.
Herzlichen Dank.
Passend dazu mache ich mir gerade Gedanken da-rüber, was diese Überschreitung der Redezeit eigentlichan Sanktionen hervorrufen sollte.
– Genau.Das Wort hat die Kollegin Petra Müller für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dies ist unsere erste Beratung – das wurde schon gesagt –,und ich finde es gut, dass wir über dieses Thema disku-tieren. Es geht um die Reform des Verkehrszentralregis-ters. Damit setzen Union und FDP einen wichtigenPunkt des Koalitionsvertrages um. Wichtig ist vor allenDingen eines – der Minister hat es eben ganz ausführlicherläutert –: die Verkehrssicherheit.Im Mittelpunkt der Reform und unserer Vorschlägesteht die Verkehrssicherheit. Es wird die Möglichkeit ge-ben, den Führerschein bei schweren Verstößen sofort zuentziehen. Ich glaube, dass die Akzeptanz für solcheMaßnahmen bei den Autofahrerinnen und Autofahrernin unserem Land sehr groß sein wird.Das jetzige System – auch das ist schon angeklungen –ist für Autofahrer intransparent und viel zu kompliziert.Das gehen wir erfolgreich an. Das hat ein Lob verdient.Jeder Autofahrer in unserem Land hat das Recht, zu wis-sen, wie viele Punkte er hat. Durch die Reform soll erkünftig schnell und einfach einschätzen können, wieviele Punkte er hat und wie das mit dem Punkteabbaufunktioniert. Derzeit ist es nur Verkehrsfachleuten undVerkehrsrechtsanwälten möglich, festzustellen, wie vielePunkte man hat. Es kann nicht sein, dass man jemandenbeschäftigen muss, um eine einfache Information vomStaat zu erhalten.Ein weiteres Manko des bisherigen Systems: Die Til-gungsfristen – auch das hat die Kollegin eben angespro-chen – sind undurchsichtig und kompliziert. Aber auchdieses Problem gehen wir durch die Reform erfolgreichan. Wir werden feste Tilgungsfristen setzen. Allerdingsrichten sich diese nach der Schwere des Vergehens. DieBerechnung der Fristen erfolgt einheitlich, beginnendmit der Rechtskraftfeststellung des Verstoßes. Erst dannkann wieder getilgt werden. Das ist eine vernünftige undnachvollziehbare Reihenfolge.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,es war eine Forderung des Bundesrates, die wir, diechristlich-liberale Koalition, umsetzen. Damit hoffen wirnatürlich auch – ich möchte dafür werben –, das Gesetzeinvernehmlich beschließen zu können. Es wäre ein star-kes Signal an die deutschen Autofahrer, wenn wir dasgemeinsam beschließen würden.
Im Verkehrszentralregister sind über 9 Millionen Au-tofahrer erfasst, das ist jeder neunte deutsche Bundes-bürger.
Das bedeutet einen riesigen Verwaltungsaufwand undhohe Kosten; in Euro und Cent: 15 Millionen jährlich.Ein bewusstes Reformziel ist es, spürbare Verwaltungs-vereinfachung zu erzielen.Ihre Forderung im Bundesrat, liebe Kolleginnen undKollegen, die Tilgungsfrist auf zweieinhalb Jahre zu ver-längern, konterkariert unsere Bemühungen. Ich möchtehier für unseren Entwurf werben. Wenn wir Ihren Vor-schlag umsetzen, wird die Zahl der Eintragungen im Re-gister um 135 Prozent steigen. Wenn wir unseren Vor-schlag realisieren, wird sie sinken. Ich glaube, das istdas, was wir gemeinsam wollen.
Ich kann Ihnen versprechen, dass wir von der christlich-liberalen Koalition auch in der weiteren Diskussion ver-suchen werden, diese Dinge erfolgreich nach vorne zutreiben, weil das ein Thema ist, das jeden in diesemLand angeht.Die FDP-Bundestagsfraktion sieht bei diesem Gesetz-entwurf Ergänzungsbedarf: Den freiwilligen Seminarbe-such hat es bis jetzt immer gegeben. Aus unserer Sichtsoll er weiterhin zum Punkteabbau führen, alle fünfJahre zwei Punkte. 14 000 bundesdeutsche Autofahrernutzen diese Chance jährlich. Das sind viele Menschen,und das soll unserer Ansicht nach so bleiben.
Die Chance zum Punkteabbau – ich spreche nicht vonRabatten, sondern ich spreche von Punkteabbau – ist imHinblick auf den geplanten Führerscheinentzug bei achtPunkten umso sinnvoller und notwendiger. Das ist auchein Einwand des Verkehrsgerichtstages. Den sollten wirernstnehmen.Von der Vernunft der deutschen Autofahrer bin ichüberzeugt. Aber wer soll ohne Anreiz des Punkteabbausfreiwillig an Seminaren teilnehmen? Wir wollen doch,dass gerade die positive Wirkung dieser Seminare – Ver-besserung der Fahrweise, Verbesserung der Einstellungzum Straßenverkehr, nahezu Halbierung der Zahl derUnfälle, verkehrsangepasste Fahrweise; das alles sindErgebnisse dieser Seminare – bei allen Bürgerinnen undBürgern ankommt.Weiterhin bedeutet der Wegfall des freiwilligen Punk-teabbaus für viele Berufskraftfahrer und Vielfahrer einewirkliche Härte. Auch das muss gesagt werden.
Wir unterstützen keine Raser und Alkoholiker amSteuer. Es geht um diejenigen, die mit dem Autofahrenihr Geld verdienen. Für viele geht es dabei um ihre Exis-tenz. Deshalb sollten wir das Augenmerk auf diesenPunkt legen. Dafür möchte sich die FDP-Bundestags-fraktion einsetzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich spreche alle an –,die Gesetzesnovelle ist gut und richtig. Sie hat aber ei-nige offene Punkte. Diese möchte ich mit Ihnen konst-ruktiv diskutieren und lösen, im Sinne der Verkehrsteil-nehmer und im Sinne von Millionen Autofahrerinnenund Autofahrern in diesem Land.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit am Freitag-nachmittag.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Ramsauer,
auf das Angebot, einen fraktionsübergreifenden Antrag
zu formulieren, würden wir sehr gerne zurückkommen.
Auch nach 22 Jahren im Deutschen Bundestag müssen
wir dafür aber erst auf die Reaktion Ihrer Fraktion war-
ten. Gemeinsame Anträge, auf denen auch die Linke
steht, gab es noch nicht. Wir sind aber zu Kompromissen
bereit, wenn Sie nachher Ihr Wort halten.
Jetzt zur eigentlichen Sache. Diese Debatte ist aus un-
serer Sicht schon bemerkenswert; denn zurzeit dominie-
ren in der Verkehrspolitik andere Themen die öffentliche
Debatte, zum Beispiel die Kostenexplosion bei Stutt-
gart 21 oder das Desaster beim Berliner Flughafen. Aber
hier im Bundestag debattieren wir über Initiativen wie
die zur Wiederzulassung von alten Autokennzeichen
oder über die Reform der Flensburger Verkehrssünder-
datei. Das kann man machen. Akuter Handlungsbedarf
dafür liegt aus meiner Sicht allerdings nicht vor. Das al-
les wirft für meine Begriffe ein interessantes Licht auf
die Schwerpunktsetzung des Verkehrsministeriums.
Wie dem auch sei, der Minister hat angesichts der
drängenden Probleme in der Verkehrspolitik nun seine
Ressourcen gebündelt und es geschafft, einen Gesetzent-
wurf zur Reform des Verkehrszentralregisters vorzule-
gen. Wenn man eine solche Reform anpackt, muss sie
folgende Ziele haben: die Steigerung der Verkehrssicher-
heit zum einen und die Reduzierung der Zahl von Unfäl-
len zum anderen. Wichtig ist, dass die Anzahl der Ver-
letzten und Toten im Straßenverkehr zurückgeht. Hier
hat sich in den letzten Jahren sicherlich sehr viel zum
Positiven gewendet. Die Frage ist also heute: Leistet
diese Reform einen Beitrag dazu, diese positive Ent-
wicklung fortzusetzen? Hier sehe ich – ähnlich wie
meine Vorrednerinnen und Vorredner – einige Punkte
kritisch. Zwar ist die Absicht der Vereinfachung des
Punktesystems prinzipiell gut. Es ist allerdings die
Frage, ob dies erreicht wird, wenn einzelne Punkte wie-
derum unterschiedliche Halbwertszeiten haben. Über-
sichtlich ist etwas anderes.
Außerdem entfällt die Möglichkeit, dass durch frei-
willige Teilnahme an Seminaren Punkte getilgt werden
können. Es gab jetzt Wortbeiträge auch vonseiten der
FDP, in denen das anders gesehen wurde. Wir kritisieren
das als Linksfraktion ebenfalls; denn durch aktives Han-
deln sollte man auf sein Punktekonto Einfluss nehmen
können. Dies wiederum schafft eine positive Motivation
zur Übernahme von Verantwortung. Dazu wird nicht er-
muntert, wenn man in ein starres Zwangssystem zurück-
fällt. Eine Verbesserung von Qualitätskontrollen bei die-
sen Seminaren wäre allerdings zwingend erforderlich.
Wir müssen auch darüber reden, wie Verkehrsteilneh-
mer überhaupt zu ihren Punkten kommen. In meiner
Heimatstadt Saarbrücken finden vor Kindergärten und
Schulen so gut wie keine Geschwindigkeitsmessungen
statt, sehr wohl aber auf Hauptverkehrsstraßen kurz hin-
ter dem Ortseingangsschild. Hier müsste der Gesetzge-
ber einmal eingreifen. Wir reden darüber, dass wir Ver-
kehrsteilnehmer nicht nur bestrafen, sondern auch zur
Übernahme von Verantwortung motivieren wollen. Dazu
gehört auch, dass die Maßnahmen nachvollziehbar sind.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Bußgelder
ausschließlich dazu dienen, Haushaltslöcher zu stopfen.
Die direkte Ansprache durch Polizeibeamte an Ort
und Stelle wäre sinnvoller als der inflationäre Einsatz
von Blitzern – er hat in den letzten Jahren stark zu-
genommen – mit dem Versand von Knöllchen meist Wo-
chen oder Monate später. Auch das könnte dazu beitragen,
dass die Verkehrssicherheit nicht abstrakt wahrgenom-
men, sondern dass das Verantwortungsbewusstsein des
Einzelnen gestärkt wird.
Leider ist der Trend aufgrund der angespannten Per-
sonalsituation bei der Polizei eher umgekehrt. Vor allem
in ländlichen Regionen stellt die mangelnde Präsenz
– zumindest für einige Verkehrsteilnehmerinnen und
Verkehrsteilnehmer – eher eine Einladung zum Rasen
und zum Fahren unter Alkoholeinfluss dar.
Ich komme zum Schluss. Wenn diese Reform richtig
umgesetzt wird und im parlamentarischen Verfahren
noch einige Verbesserungen erfährt, geht sie in die rich-
tige Richtung. Der eine oder andere Wähler wird sich
dennoch fragen, wofür das Bundesverkehrsministerium
angesichts der großen Probleme der Verkehrspolitik
seine Zeit verwendet.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein herzli-
ches Glückauf!
Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Verkehrssicherheit ist ein sehr wichtiges undbedeutendes Thema, das viel zu wenig im Fokus der Öf-fentlichkeit steht. Wir haben in dem Bereich aber sehrgroße Erfolge erzielt. Bei einer weitaus geringeren Ver-kehrsleistung in den 70er-Jahren gab es allein in West-deutschland etwa 20 000 Verkehrstote pro Jahr. Inzwi-schen liegt die Zahl in Gesamtdeutschland – bei einersehr stark gestiegenen Verkehrsleistung auf den Stra-ßen – bei deutlich unter 5 000 Verkehrstoten pro Jahr. Eshat sich also sehr, sehr viel getan. Allerdings ist nicht be-sonders viel in Bezug auf die Anzahl der Unfälle sowieder Schwer- und Schwerstverletzten passiert. Deshalb istes ein Thema, dem zu widmen sich lohnt.Worauf aber haben dieses Verkehrsministerium, dieseBundesregierung und diese Koalition ihren Fokus ge-legt? Sie haben ihn auf die Reform der Punkte gelegt.Bisher lag die Grenze bei maximal 18 Punkten, und es
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28682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Dr. Anton Hofreiter
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wurden Punkte im Bereich zwischen 1 und 7 vergeben.Jetzt liegt die Grenze bei maximal 8 Punkten, und eswerden 1 bis 3 Punkte angerechnet.Es gibt einen Fortschritt. Vorher reichten zwei Händenicht aus, um die Anzahl der Punkte zu zählen. Jetzt rei-chen zwei Hände dafür aus. Das ist letztendlich der Un-terschied. Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob je-mand, der in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu führen,nicht fähig ist, bis 18 zu zählen.
Es gibt die Aussage, das jetzige System sei vollkom-men intransparent. Wenn Sie wissen wollen, wie vielePunkte Sie haben, gebe ich Ihnen einen ganz simplenTipp: Gehen Sie einfach online, und fragen Sie es ab.Das ist überhaupt nicht kompliziert, das kann jeder.Dazu muss man weder Verkehrsrechtler noch Rechtsan-walt sein. Vielmehr braucht man einen Führerschein; da-mit ist man in der Verkehrssünderpunktekartei regis-triert.
Was wäre wirklich notwendig? Wirklich notwendigwäre, dass wir uns stärker um die echten Probleme imBereich der Verkehrssicherheit kümmern. Die Hauptun-fallursache ist erhöhtes Tempo. Eine weitere häufige Un-fallursache ist Alkohol. Ein weiteres großes Problem ist,dass die Gruppe der jungen Fahrer immer noch dieHauptunfallverursacher sind. Auch im Bereich derLandstraße – Stichwort „Infrastruktur“ – gibt es großeProbleme.
Das sind die Hauptprobleme, die wir in dem Bereich ha-ben. Da macht die Bundesregierung fast nichts. Warummacht sie nichts? Beim Hauptproblem Tempo macht sieaus ideologischen Gründen nichts. Das Argument lautetimmer: freie Fahrt für freie Bürger. Dabei gehört vielstärker zur Freiheit, dass man unverletzt ankommt. BeimThema Tempo wäre es dringend notwendig, etwas zumachen. Ein erster kostengünstiger Schritt wäre, endlichein Tempolimit auf allen Autobahnen einzuführen.
Des Weiteren wäre es dringend notwendig, Verwal-tungsvereinfachungen durchzuführen. Unsere Verkehrs-polizei ist, wenn sie denn einmal Zeit und Kraft hat,Tempoüberwachungen durchzuführen, ewig damit be-schäftigt, herauszufinden, wer denn der Fahrer war. Ineinem Großteil unserer Nachbarländer gibt es etwasganz Einfaches. Das nennt sich Halterhaftung. Die Hal-terhaftung gilt natürlich nicht in strafrechtlichen Fragen,aber bei Ordnungsgeldern. Dann ist schlichtweg derje-nige verantwortlich, dem das Auto gehört. Wenn derHalter jemanden mit seinem Auto fahren lässt, der un-verantwortlich damit umgeht, dann muss er sich halt dasGeld von demjenigen zurückholen. Aber damit mussman doch nicht unsere Polizei belasten, die dafür so-wieso keine Zeit und keine Kraft hat.Sie sehen, man müsste sich endlich mit den wirklichwichtigen Themen im Bereich Verkehrssicherheit be-schäftigen. Das würde sich sogar lohnen; denn obwohlwir viele Erfolge erreicht haben, passieren Tag für Tagimmer noch schreckliche Unfälle auf unseren Straßen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Vorab möchte ich mit einem Lob für das Ministe-rium beginnen. Ich möchte es dafür loben, dass es sichdieser wichtigen Aufgabe, der Reform des Verkehrszen-tralregisters, gewidmet hat.
Denn einige Kollegen haben jetzt ja die Auffassung ver-treten, dass es wesentlich wichtigere Themen gibt, überdie wir debattieren sollten. Dieser Meinung bin ich nicht.Dieses Ministerium kümmert sich nicht nur um Kernauf-gaben, sondern auch um andere Aufgaben, und – dieKollegin Lühmann hat dies eben zu Recht gesagt – wirhatten einen Auftrag an das Ministerium formuliert, hieretwas vorzulegen.Ich erinnere mich noch gern an die Zeit 2009 in derGroßen Koalition,
als ich mit dem Kollegen Volkmar Vogel das Verkehrs-zentralregister in Flensburg besucht habe, um mir dorterklären zu lassen, welchen Verwaltungsaufwand wir be-treiben, um Punkte zu verwalten. Kollege Hofreiter, wirkönnen online zwar feststellen, wie viele Punkte wir ak-tuell haben – das ist nicht das Problem –, aber Sie wer-den online nie feststellen können, wann Ihre Punktewegfallen. Das können Ihnen wahrscheinlich nicht ein-mal die Sachbearbeiter ganz genau sagen. Da besteht In-transparenz. Das hatte uns motiviert, mit allen Fraktio-nen einen sehr weit gefassten Antrag zu formulieren, indem wir das Ministerium beauftragt haben, einen Ent-wurf für eine Reform des Verkehrszentralregisters vor-zulegen. Darüber reden wir heute.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28683
Gero Storjohann
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Deshalb finde ich den Ansatz des Ministeriums rich-tig, nicht nur Verwaltung einzusparen und alles auf EDVumzustellen, sondern auch klare und feste Tilgungsfris-ten im System nachvollziehbar zu implementieren. Ichfinde es auch richtig, dass die Verkehrssicherheit hierbeiein besonderer Aspekt ist; einige Punkte, die bisher ein-getragen wurden, konnten wegfallen.Wir wissen: Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlichdurch rücksichtsloses und zu schnelles Fahren. Da setztdie Reform die richtigen Schwerpunkte. Denn wer wie-derholt die Sicherheit gefährdet, hat auf unseren Straßennichts verloren.
Ein Diskussionspunkt ist natürlich auch, wie wir mitBerufskraftfahrern umgehen, die täglich 100, 200 oder300 Kilometer auf der Straße unterwegs sind. Als Ver-kehrssicherheitspolitiker habe ich da ein Problem. Dennich erwarte, dass man sich zum Beispiel vor einem Kin-dergarten, in sensiblen Bereichen, in denen wir die Ge-schwindigkeit bewusst reduzieren, um Gefahren zu ver-meiden, an die Regeln hält.
Da kann man keinen Unterschied machen zwischen ei-nem Berufskraftfahrer, einer Hausfrau, die es eilig hat,und einer Mutter, die schnell ihre Kinder zur Schule fah-ren muss. Da sind alle gleich zu behandeln. Ich bin derMeinung, wir sollten feststellen: Jemand, der viele Re-gelverstöße begangen hat, ist für den Verkehr auf derStraße nicht geeignet. Deshalb ist mein Petitum, dass wirkeinen Punkteabbau ermöglichen sollten.Wenn wir das gesetzlich so festlegen würden, hättenwir nach fünf Jahren auch Erfahrungen mit den Semina-ren gesammelt, die nach einer gewissen Zeit, wenn mansein Punktekonto zu sehr aufgebaut hat, verpflichtend zuabsolvieren sind. Wir könnten auch festlegen, dass wirdann evaluieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, einenPunkteabbau zu ermöglichen. Auch bei mir kommt na-türlich an, dass Experten sagen, 50 Prozent der Teilneh-mer an einem solchen Lehrgang würden hinterher einbesseres Verhalten an den Tag legen. Man könnte natür-lich auch gemein sein und sagen: Wir erwischen sienicht mehr. Wir wissen eigentlich nicht genau, ob sie ihrVerhalten verändert haben oder nicht. – Insofern ist dasein Punkt, den man wirklich evaluieren sollte, damit wirin diesem Hause allen Seiten gerecht werden.
Mein Ziel ist, dass wir diese Reform auf den Wegbringen. Wir sind eigentlich schon sehr weit. Der Bun-desrat hat noch zwei, drei Punkte in die Debatte einge-bracht, über die wir sprechen können.
Als wir mit der Debatte anfingen, haben wir gesagt: DieTilgungsfrist soll drei Jahre betragen. – Als Ergebnis istjetzt herausgekommen, dass die Tilgungsfrist zwei Jahrebeträgt. Der Bundesrat sagt: Wir hätten gerne eine Fristvon zweieinhalb Jahren. – Im Ergebnis bedeutet eineFrist von zweieinhalb Jahren mehr Verwaltung, mehrFührerscheinentzüge und, und, und. Darüber kann manreden. Daran sollte diese Reform nicht scheitern.Alle Kollegen haben gesagt: Wir möchten uns hier imPlenum um die ganz wichtigen Themen kümmern. Wirmöchten nicht, dass die Punktereform in der nächstenLegislaturperiode ein zweites Mal auf die Tagesordnungkommt. – Ich glaube, da sind wir uns einig. Wir habenvier Jahre darüber diskutiert und daran gearbeitet; sogarVerkehrsgerichtstage haben sich damit beschäftigt. Des-halb halte ich es für sinnvoll, dass wir die Punktereformim Sommer dieses Jahres final auf den Weg bringen.
Ich möchte noch auf einen Aspekt, den FrauLühmann angesprochen hat, eingehen. Sie hat gesagt,dass das Parlament keinen Einfluss auf Verordnungenhat, was die Verstöße angeht. Es ist hier allgemein Kon-sens, dass dem Gesetzgeber Verordnungsermächtigun-gen nur deswegen erteilt werden, damit sich die Fraktio-nen die jeweilige Verordnung noch einmal ansehenkönnen. Nur wenn wir ihr zustimmen, darf die Verord-nung in Kraft gesetzt werden. Insofern: Die Bußgeld-reform ist das eine. Aber die Höhe der einzelnen Bußgel-der zu bestimmen, ist ein Prozess, der uns wiedermindestens zwei, drei Jahre beschäftigen wird. Insofernist der Einfluss des Parlaments in diesem Bereich enorm.Ich glaube, Frau Lühmann, wir sind uns einig: Da wollenwir mitreden, und da sollten wir mitreden. Ich glaube,wenn auch die Bürger mitreden würden, käme dabei et-was Komplizierteres heraus, so wie es auch bei diesemGesetzentwurf der Fall ist.Ich habe eindeutig dafür geworben: Über die Til-gungsfristen können wir reden, und auch über die Kritik,die der Bundesrat vorgetragen hat, sollten wir sprechen;wir werden dazu eine Anhörung durchführen. Ich plä-diere und werbe dafür, dass wir diese Reform des Ver-kehrszentralregisters noch in dieser Legislaturperiodeauf den Weg bringen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 17/12636 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.
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28684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Vizepräsidentin Petra Pau
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer
, Christine Buchholz, Inge Höger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEAngriffskrieg verfassungs- und völkerrechts-konform unter Strafe stellen– Drucksachen 17/11698, 17/12736 –Berichterstattung:Abgeordnete Ansgar HevelingBurkhard LischkaJörg van EssenHalina WawzyniakIngrid Hönlingerb) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Paul Schäfer , Wolfgang Gehrcke,Jan van Aken, weiteren Abgeordneten und derFraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-nes … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 17/11591 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 17/12711 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingo WellenreutherDr. Dieter WiefelspützGisela PiltzUlla JelpkeWolfgang WielandNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache.Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe jetzt seit anderthalb Wochen Probleme mit Hus-ten; ich hoffe, Sie drücken mir die Daumen, dass ichmeine Rede ohne einen Hustenanfall über die Bühne be-komme. Deshalb werde ich auch etwas kürzer reden, alsdas üblicherweise der Fall ist.
Das Thema Angriffskrieg ist aus historischen Grün-den ein Thema, das die Menschen in Deutschland be-wegt. Von Deutschland sind zwei Weltkriege ausgegan-gen. Deshalb finde ich es richtig, dass in Art. 26 desGrundgesetzes festgestellt wird, dass Handlungen, dieim Zusammenhang mit einem Angriffskrieg stehen, ver-fassungswidrig sind und unter Strafe zu stellen sind.
Ich glaube, es gibt ganz wenige Fragen, die querdurch alle politischen Strömungen hindurch so einhelligbeantwortet werden wie die, dass wir eine besonderePflicht haben, sicherzustellen, dass von Deutschland niewieder Krieg ausgeht.Ob das, was in den gesetzlichen Regelungen zu fin-den ist, ausreichend ist, darüber können und müssen wirimmer wieder die Debatte führen, zumal wenn man sichdas genauer anschaut: Der Verfassungsauftrag in Art. 26des Grundgesetzes, Handlungen, die im Zusammenhangmit einem Angriffskrieg stehen, unter Strafe zu stellen,hat erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Übrigens:Beim Thema Abgeordnetenbestechung, wo die Bundes-regierung ja ein internationales Abkommen unterzeich-net hat, ist es ähnlich.Es gibt im Augenblick eine entsprechende Bestim-mung im Strafgesetzbuch. Die Diskussion über das in-nerstaatliche Recht ist jedoch zu einem Zeitpunkt ge-führt worden, als etwas, von dem ich persönlich meine,dass es einen ganz erheblichen Fortschritt bedeutet, nochnicht existierte, nämlich die völkerrechtliche Regelungim Völkerstrafgesetzbuch. Ich gehöre mit zu denen, diesich intensiv dafür eingesetzt haben. Ich bin dankbar,dass der frühere Außenminister, Klaus Kinkel, der ja zu-vor Justizminister war, sich da auch sehr engagiert hat.Angriffskriege sind in der Regel internationale Kon-flikte. Deshalb ist das Völkerstrafgesetzbuch genau derrichtige Ort.Wir alle wissen, dass es 2010 in Kampala dazu eineneue Übereinkunft gegeben hat. Im Augenblick laufenÜberlegungen, wie das Ganze gegebenenfalls auch indas nationale Strafrecht übernommen werden kann.Meine persönliche Auffassung ist – Herr Beck, ichglaube, Sie haben in der ersten Lesung auch Ihre Mei-nung dazu vorgetragen –, dass es die beste Lösung ist,das ins Völkerstrafgesetzbuch aufzunehmen: weil esdann nämlich für alle gleich gilt. Das ist, wie ich finde,der richtige Ansatz.Von daher ist alles das, was die Linkspartei in ihremAntrag aufgeführt hat – dass es Strafbarkeitslücken gibt;dass die Gefahr besteht, dass von Deutschland wiederKrieg ausgehen könnte –, Bedienung von Vorurteilen,die in ihrer Klientel natürlich vorhanden sind, aber dem,was wir diesem Thema schulden – dass wir ernsthaft da-rüber nachdenken, wie wir das beispielsweise im Völ-kerstrafgesetzbuch, aber auch gegebenenfalls in der na-tionalen Gesetzgebung umsetzen –, nicht gerecht wird.Wir sind der Auffassung: Wir sollten darüber in allerRuhe, in aller Sorgfalt nachdenken; denn Strafrecht mussnach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt seinund für den Gesetzesunterworfenen klar und eindeutigerkennbar sein. Genau diesem Ziel sind wir verpflichtet.Die Vorschläge, die die Linksfraktion dazu gemachthat, genügen diesen Anforderungen eindeutig nicht. Vondaher mein Plädoyer heute: Ablehnung der Vorschläge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28685
Jörg van Essen
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der Linksfraktion und eine sachliche Diskussion über dieanstehenden Fragen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das Vermächtnis unserer deutschen Geschichteheißt: Menschen, die gegen Recht und Gesetz Kriegevom Zaune brechen, müssen vor Gericht gestellt werden. –Das ist der Sinn des Art. 26 des Grundgesetzes und, ichdenke, das ist identitätsstiftend für alle, die hier imHause tätig sind. Darüber kann kein Zweifel bestehen.Ich persönlich bin der Auffassung, dass die Umset-zung in Gestalt der §§ 80 und 80 a Strafgesetzbuch, dieja schwer genug war, nicht ganz optimal gelungen ist. Esgibt jede Menge Abgrenzungsschwierigkeiten und bisheute keine einzige Verurteilung.
Das mag verschiedene andere Gründe haben. Insoweitmacht es durchaus auch Sinn, darüber nachzudenken, obman hier an der einen oder anderen Stelle zu Präzisierun-gen kommen kann.Aber die große Errungenschaft der letzten 20 Jahre,die auch unter starker Beteiligung Deutschlands zu-stande gekommen ist, besteht darin – an dieser Stellestimme ich mit Herrn van Essen uneingeschränkt über-ein –, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen inGestalt von Kriegen nicht mehr einfach nur Bestandteilder Geschichte sind und ohne Sanktionen bleiben. Men-schenschlächter müssen heute damit rechnen, dass siesich in Den Haag verantworten müssen. Das Rom-Statutist eine wichtige Sache, die man gar nicht hoch genugeinschätzen kann. Dieser Weg ist aber noch nicht zuEnde.Nach dem Rom-Statut hat der Internationale Strafge-richtshof auch die Zuständigkeit für einen Angriffskrieg,aber es gibt keinen entsprechenden völkerrechtlichenStraftatbestand. Hier gibt es also eine unvollkommeneRechtslage, eine Lücke, von der ich meine, dass sie aus-gefüllt werden sollte.Es wäre schön, wenn wir uns hier im Hause darauf ei-nigen könnten, dass das vielleicht doch der klügere Wegist, also nicht nur sozusagen ein deutscher Sonderweg,sondern ein Weg, den alle Staaten gehen sollten, und ichwürde mir wünschen, dass das auch für die VereinigtenStaaten von Amerika gilt; auch hierin sind wir vermut-lich alle einer Meinung.
Das ist die große Zielsetzung, die uns an dieser Stelle ei-nigen sollte. Das könnte in der Tat ein entscheidenderSchritt sein.
Ich räume ein – ich will jetzt nicht von Schnellschüs-sen reden; das passt in diesem Zusammenhang nicht –,dass hier auch Geduld gefordert ist, weil das nicht vonheute auf morgen zu regeln sein wird. Aber wir solltenuns an dieser Stelle richtig anstrengen und die Bundesre-gierung ermutigen, diesen Weg zu gehen. Wir als Parla-ment sollten unsere Möglichkeiten nutzen, um diesenWeg voranzutreiben.Das Rom-Statut und mit ihm der Internationale Straf-gerichtshof in Den Haag sind eine große zivilisatorischeErrungenschaft.
Warum soll dieses Strafgericht im Laufe der kommen-den Jahre nicht noch wichtiger werden und auch überAngriffskriege entscheiden dürfen? Ich denke, wennman sich darauf verständigen kann, hat man einen gro-ßen Schritt voran getan. Das ist jedenfalls meine persön-liche Überzeugung.
Wir haben hier heute auch noch über Art. 35 Grund-gesetz und die Einsätze der Bundeswehr im Innern zu re-den. Ich persönlich bin gemeinsam mit meiner Fraktionder Auffassung: Wir brauchen keine Ausweitung derEinsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern; wirbrauchen aber auch keine Einschränkung.
Wir haben in Deutschland kraft Verfassungslage einesehr klare Trennung: Die äußere Sicherheit ist unter an-derem Sache der Bundeswehr und nicht der Polizei, dieinnere Sicherheit ist im Wesentlichen Sache der Polizei.Nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen kann die Bun-deswehr im Innern eingesetzt werden. Vier Fälle sind inden Art. 87 a Abs. 4, Art. 87 a Abs. 3, Art. 35 Abs. 2und Art. 35 Abs. 3 des Grundgesetzes geregelt. Mehrnicht!Es ist auch eine große zivilisatorische Errungenschaft,dass wir diese Zuständigkeiten nicht vermischen. Für dieäußere Sicherheit ist die Bundeswehr zuständig, die dasgut und bewährt macht, für die innere Sicherheit gibt esdie Polizei. Das eine hat mit dem anderen nur relativ we-nig zu tun. Jeder macht seinen Job, und zwar insgesamtgesehen sehr gut. Das sollten wir nicht vermengen.Noch einmal: Wir haben keinen Regelungsbedarf inRichtung Ausweitung der Zuständigkeiten der Bundes-wehr im Innern. Wir haben aber auch keinen Regelungs-bedarf in Richtung Einschränkung der Möglichkeitender Bundeswehr in besonderen Fällen. Insofern werdenwir diesen Antrag ablehnen.Schönen Dank fürs Zuhören.
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28686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
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Das Wort hat der Kollege Dr. Patrick Sensburg für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich habe zwar keinen Husten wie
der verehrte Kollege von Essen, aber auch ich werde
mich kurzfassen, da schon meine beiden Vorredner die
zwei entscheidenden Punkte ausführlich angesprochen
haben.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie erwe-
cken den Eindruck, als hätten wir im deutschen Recht
eine Gesetzeslücke, als stünden wir kurz vor der Vorbe-
reitung eines Angriffskrieges, als müssten wir hier drin-
gendst legislatorisch-normativ tätig werden. Das ergibt
sich aus Ihren beiden Anträgen. Nichts davon ist der
Fall.
Das hat sich schon im Jahre 2003 gezeigt, als die
Strafanträge unter anderem gegen den damaligen Bun-
deskanzler Schröder, den damaligen Außenminister
Joschka Fischer und den damaligen Verteidigungsminis-
ter Dr. Peter Struck erfolglos geblieben sind, weil die
Bundesanwaltschaft ganz klar gesagt hat: Hier besteht
kein erstes Anzeichen für die Vorbereitung eines An-
griffskriegs. – § 80 StGB war die einschlägige Norm, um
dies zu prüfen.
Wir haben im Grundgesetz in Art. 26 einen Friedens-
auftrag normiert. Das ist eine besondere Leistung unse-
res deutschen Grundgesetzes, und darauf können wir
auch stolz sein. Daraus erwächst ein Auftrag insbeson-
dere im Rahmen des europäischen Friedensprozess, der
uns seit 70 Jahren – daran sollten wir auch denken –
Frieden auf deutschem Boden beschert hat. Daher soll-
ten wir diese Verantwortung wahrnehmen und den Frie-
den weiter gestalten. Meine Damen und Herren von der
Linken, das ist Ihnen in den letzten Monaten mit Ihrer
ständigen Ablehnung der Anträge, bei denen es um die
Solidarität in Europa ging, übrigens nicht gelungen.
Gleichzeitig sollten wir auch des Auftrags der Bun-
deswehr gedenken, wenn deutsche Soldaten im Ausland
ihr Leben riskieren und für Frieden einstehen. Meine
Damen und Herren von den Linken, auch da sind Sie
kein Glanzpunkt in der parlamentarischen Arbeit,
wenn Sie immer wieder das Ansehen unserer deutschen
Soldatinnen und Soldaten, die sich für Frieden einsetzen,
untergraben.
Ich glaube, Sie haben die Rechtslage nicht richtig
durchschaut, oder Sie kennen sie nicht. Wir haben mit
§ 80 des Strafgesetzbuches eine Norm, die die Vorberei-
tung des Angriffskriegs unter Strafe stellt, und die funk-
tioniert auch. Sie ist eine Ausgestaltung des Völker-
rechts. Auch Art. 26 des Grundgesetzes ist eine
Ausgestaltung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes,
das wir seit dem Jahre 1928 kennen. Nur, das Völker-
recht – das müssen wir auch wissen – hat einen gewissen
Anteil, bei dem man nicht konkreter werden kann. Straf-
rechtsnormen müssen allerdings hinreichend bestimmt
und konkret sein. Sie werden insbesondere durch das in-
ternationale Völkerstrafrecht ausgestaltet, und daran
müssen wir arbeiten.
Die beiden Kollegen haben es doch gerade darge-
stellt. Sie können eine deutsche Norm nicht so hinrei-
chend konkret formulieren, und das zeigt auch Ihr An-
trag: Sie haben keinen Paragrafen formuliert. Hätten Sie
doch einen § 80 formuliert! Den hätte ich gerne gesehen.
Sie merken doch selber, dass Sie mit Ihrem Antrag reine
Schaufensterpolitik machen,
und Sie merken auch, dass Sie hier für Ihre Altlinken an
den Stammtischen etwas tun wollen. Für die Sache sel-
ber tun Sie aber wirklich nichts Gutes.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir
ein völkerrechtliches Gebot normieren und dass wir im
Völkerstrafrecht weiterkommen. Ich glaube, dann tun
wir wirklich etwas Gutes. Mit Ihrem Antrag bewirken
Sie genau das Gegenteil. Das ist schade. Ich hoffe, dass
wir diesen beiden Anträgen heute nicht zustimmen, son-
dern sie ablehnen. Auch dann haben wir etwas Gutes ge-
tan.
Danke schön.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Paul
Schäfer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zweiwichtige Themen, zwei wichtige Vorlagen – und das invier Minuten. Das ist eine echte Herausforderung,
zumal es um zwei verschiedene Dinge geht, die abereine Gemeinsamkeit haben: Es geht um Einsätze derBundeswehr und um Rechtsklarheit.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28687
Paul Schäfer
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Erstens wollen wir kategorisch ausschließen, dass dieBundeswehr im Innern Waffen einsetzt, und zweitenswollen wir, dass verbindlich festgeschrieben wird, dasssich Deutschland niemals und in keiner Weise an derVorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen be-teiligt.
Im Verteidigungsausschuss wurde gesagt, das seidoch selbstverständlich. Dafür brauchten wir keine neueRegelung.
Niemand käme im Traum darauf, dass die Bundeswehrauf die eigene Bevölkerung schieße oder sich Deutsch-land an einem Angriffskrieg beteilige. Der Rest sei quasitypisch linke Phobie gegen die Bundeswehr.
Selbst wenn es so wäre, lieber Kollege van Essen: Waswürde denn dagegen sprechen, das, was alle wollen,rechtsverbindlich festzuschreiben?
Aber offenkundig wollen Sie ganz bestimmte Festle-gungen nicht. Nehmen wir den Antrag. Untersagt wer-den soll die Beteiligung an Angriffskriegen, die Zuwi-derhandlung soll strafrechtlich belangt werden. – Siesagen: Wenn Art. 26 des Grundgesetzes gilt, der die Be-teiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges un-tersagt, dann wird dadurch doch erst recht auch die Be-teiligung am Angriffskrieg selber erfasst.
Ja, so sollte es sein. Aber es scheint nicht ganz so zusein.Noch einmal zur Erinnerung. Deutschland hat 2003die USA bei dem Krieg im Irak unterstützt; Stichwort:bewaffnete Eskorten der US-Schiffe. Die Strafanzeigengegen die Bundesregierung wurden vom damaligen Ge-neralbundesanwalt Nehm mit der Begründung zurückge-wiesen, nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges seieindeutig strafbewehrt. Das zeigt doch: Nicht unser An-trag ist schräg, sondern dieser Zustand.Es kann auch nicht sein, dass es im deutschen Strafge-setz immer noch keine präzise Definition dazu gibt, wasman unter einem Angriffskrieg und einer kriegerischenHandlung versteht. Dafür sind aber jetzt auf internatio-naler Ebene Grundlagen geschaffen worden: einmaldurch die UNO-Generalversammlung 1974, aber vor al-lem durch die Ergänzung des Statuts des InternationalenStrafgerichtshofs 2010; das haben Sie auch gesagt.Das heißt, nach unserem Verständnis kann dieseRechtslücke jetzt geschlossen werden. Sie sollte ge-schlossen werden. Wir machen dazu einen Vorschlag.Deshalb haben wir keinen Gesetzestext vorgelegt. Viel-mehr haben wir gesagt: Diese Debatte muss weiterge-hen. Ich bin ganz froh darüber, dass der Kollege vanEssen hier in einer anderen Tonlage als in der ersten Le-sung gesprochen hat. Er hat zumindest eingeräumt: Hierist Handlungsbedarf. – Aber bitte, dann machen wir das!Mir leuchtet nicht ein, dass man sich jetzt nur auf Ent-wicklungen im Völkerstrafrecht verlegt und sagt: Imdeutschen Strafgesetzbuch lassen wir das außen vor. –Hier können wir anfangen, etwas zu machen. Dann soll-ten wir das auch tun.
Auch mit der zweiten Vorlage, unserem Gesetzent-wurf, wollen wir Rechtsklarheit schaffen. Es sollteselbstverständlich sein, dass die Bundeswehr ihre Waf-fen nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. So istes aber nicht ganz. 1968 sind mit den NotstandsgesetzenPassagen ins Grundgesetz eingefügt worden, die damalsim Geiste des Kalten Krieges verabschiedet wurden unddie die panische Angst der damaligen Bundesregierungvor sozialen Unruhen widergespiegelt haben, denen manim schlimmsten Fall – natürlich ist das eingegrenzt – mitspezifischen militärischen Mitteln begegnen müsse. DerKalte Krieg ist vorbei, aber die Ermächtigung für denGewalteinsatz der Bundeswehr ist geblieben.Es kommt hinzu: Teile der Bundesregierung sind seitlangem bestrebt, den Handlungsspielraum der Bundes-wehr im Innern auch über Art. 35 Grundgesetz zu erwei-tern. Die Regierung aus SPD und Grünen wollte, dassKampfflugzeuge im Zuge der Terrorabwehr auch zivileFlugzeuge abschießen dürfen. Dem hat das Verfassungs-gericht 2006 zum Glück einen Riegel vorgeschoben. Al-lerdings hat dasselbe Gericht im letzten Jahr auch mitdem Verweis auf die Notstandsgesetzgebung wieder einHintertürchen geöffnet. Diese Tür – darum geht es – giltes, gesetzgeberisch – das heißt: hier – wieder zu schlie-ßen.Die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ist füruns eine Aufgabe der Polizei – ohne Ausnahme! Für unsbleibt auch die Terrorismusbekämpfung eine polizeilicheAufgabe. Und für uns gibt es auch kein plausibles Sze-nario für eine bewaffnete Amtshilfe nach Art. 35 Grund-gesetz. Es blieb den Grünen vorbehalten, im Verteidi-gungsausschuss ein Szenario heraufzubeschwören, denapokalyptischen Fall eines auf die Erde stürzenden Me-teoriten, den man gegebenenfalls abschießen müsse.Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn es um die Rettungder Welt geht, spielt deutsche Gesetzgebung keine Rollemehr.Was wir hier verhandeln, was wir hier brauchen, sindklare gesetzliche Grundlagen, um den Missbrauch mili-tärischer Gewalt auszuschließen. Das fordern wir hier.Danke.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
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28688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
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Herr Kollege, bei mir ist es allenfalls der Stern von
Bethlehem. – Meine Damen und Herren! Ich finde, es
geht hier um zwei Debatten, die sich lohnen, ernsthaft
geführt zu werden. Aber ich wundere mich, dass diese
Anträge zu einem Tagesordnungspunkt zusammenge-
fasst worden sind: Einsatz der Bundeswehr im Inneren
und Verbot des Angriffskriegs.
Das hat schon ein bisschen die Grundmelodie von anti-
militaristischer Gesetzgebung gegen den Militarismus in
Deutschland.
Ich finde, das wird selbst dieser Koalition nicht wirklich
gerecht. Wir haben doch einen anderen Diskussionsstand
und eine andere politische Kultur – Gott sei Dank!
Das war nicht immer so, das war auch nicht immer so
einvernehmlich, aber das halte ich für einen Fortschritt,
den wir als Grundlage für die Debatte festhalten sollten.
Ich finde es auch gut, dass Sie sich zumindest Gedan-
ken gemacht haben, wie wir zu einer besseren Kodifizie-
rung des Verbots des Angriffskrieges kommen. Aber ich
finde, Sie springen mit Ihrem Vorschlag zu kurz.
Auf der Konferenz in Kampala einigten sich die Ver-
tragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes 2010
auf den neuen Straftatbestand des Aggressionsverbre-
chens. Danach soll ab 2017 der Internationale Strafge-
richtshof über das Verbrechen des Angriffskrieges urtei-
len können. Das kann er gegenwärtig nicht. Seine
Zuständigkeit ist bislang auf schwerste Kriegsverbre-
chen reduziert.
Zusätzlich haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet,
eine völkerrechtskonforme Regelung im jeweiligen na-
tionalen Recht zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe;
denn der Internationale Strafgerichtshof soll nur subsi-
diär eingreifen, wenn die nationale Gesetzgebung oder
Gerichtsbarkeit versagt haben.
Deshalb finde ich es falsch, das in § 80 Strafgesetz-
buch zu regeln. Dann müssten wir es vielmehr zusam-
men mit all den anderen Taten, die der Internationale
Strafgerichtshof potenziell aufgreift, im Völkerstrafge-
setzbuch regeln,
auch mit der Konsequenz, dass dann das Weltrechtsprin-
zip gilt. Das vermeidet zwar auch nicht die Einstellungs-
problematik in § 153 f StPO, die nicht jeden glücklich
macht, aber es ist der richtige Ort. Warum soll beim An-
griffskrieg nicht das Weltrechtsprinzip gelten, aber in
Bezug auf die anderen Taten, die der Internationale
Strafgerichtshof potenziell aufgreift, schon?
Der Wortlaut Ihrer Anträge – vielleicht haben Sie et-
was anderes gewollt oder gemeint, aber Sie haben es zu-
mindest nicht geschrieben – hätte zur Konsequenz, dass
nur Taten am Tatort Deutschland als Straftat verfolgt
werden. Das halte ich für zu kurz gesprungen. Deshalb
werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag
enthalten. Wir teilen zwar das Anliegen, finden aber die
Umsetzung in keiner Weise überzeugend.
Aber ich finde, wir sollten damit nicht die Diskussion
beenden. Wir sollten nicht jetzt bummeln und dann im
Jahr 2017 mit einem – dieser Begriff verbietet sich in
dieser Debatte eigentlich – Schnellschuss versuchen, das
Thema abzuräumen; vielmehr sollten wir es sorgfältig
vorbereiten. Denn das alles ist nicht trivial.
Weil wir in Deutschland eine Vorreiterrolle bei der
Einführung des Internationalen Strafgerichtshofs und der
Ratifizierung des Statuts hatten, müssen wir diesem An-
spruch gerecht werden und mutig voranschreiten. Des-
halb würde ich mich freuen, wenn sich alle Fraktionen
zu gemeinsamen Gesprächen zusammenfinden, um die-
ses Thema in einer sinnvollen Art und Weise vorzuberei-
ten, sodass wir es in der nächsten Legislaturperiode – ich
denke, in dieser schaffen wir das nicht mehr – gemein-
sam auf den Weg bringen können, weil auch das ein gu-
tes Zeichen ist, dass wir uns in diesem Punkt in Deutsch-
land zwischen den Fraktionen einig sind.
Zu den anderen Punkten: Was die Bundeswehr im In-
nern angeht, sehe ich das wie Herr Wiefelspütz in Bezug
auf die Meinung bei der Koalition: Es braucht keine
Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr. Wir wollen
die Bundeswehr nicht als Hilfstruppe der Polizei; viel-
mehr soll die Polizei grundsätzlich die Aufgaben der in-
neren Sicherheit wahrnehmen. Dabei bleiben wir.
Die von Ihnen vorgeschlagene Kodifizierung halte ich
entweder für tatsächlich oder für rechtlich ungeeignet.
Ich weiß nicht, was es bedeuten soll, wenn Sie das Wort
„unbewaffnet“ einfügen. Meinen Sie „ohne militärische
Bewaffnung“, oder meinen Sie: „Anders als die Polizei
darf ein Bundeswehrangehöriger bei einer Aufgabe im
Bereich der inneren Sicherheit überhaupt keine Waffen
tragen“? Er kommt dann also lediglich in Uniform, aber
ansonsten ist er blank. Das ist, glaube ich, bei bestimm-
ten Aufgaben der inneren Sicherheit nicht überzeugend.
Kollege Beck, ich glaube, diesen Fragen müssen Sie
sich jetzt außerhalb dieser Debatte beantworten lassen.
Das ist total schade, Frau Präsidentin. Ich hätte noch
so viel Wichtiges zu sagen.
Ich bin fest davon überzeugt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013 28689
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Aber ich muss mich kurzfassen, nicht weil ich erkältet
bin, sondern weil die Redezeit zu knapp ist. Aber viel-
leicht geben mir die anderen etwas ab.
Das ist nicht übertragbar, was hier eingespart wurde.
Der zweite Punkt sind die Notstandsgesetze. Darüber
kann man meines Erachtens reden, man muss aber fra-
gen – das will ich Ihnen noch mitgeben –, ob wir damit
nicht eine Schranke bei anderen Normen einreißen. Das
muss man zumindest diskutieren, bevor man nonchalant
diese Regelung abräumt.
Es ist also alles ein bisschen ungeeignet.
Deshalb wird das auch keine Mehrheit finden.
Der Kollege Ingo Wellenreuther hat nun für die
Unionsfraktion abschließend das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nachdem der Kollege Dr. Sensburg zumThema Angriffskrieg gesprochen hat, spreche ich zumThema Bundeswehr im Innern. Das Grundgesetz siehtden Einsatz der Bundeswehr im Innern zu Recht nur insehr eng begrenzten Fällen vor. Nach dem vorliegendenGesetzentwurf der Linken sollen die Streitkräfte in diesenengen Ausnahmefällen sich nicht ihrer spezifisch militä-rischen Waffen bedienen dürfen. Die Linke zeichnet in ih-rem Entwurf das Bild eines Staates, der angeblich bewaff-nete Einsätze der Bundeswehr im Innern gegen seineeigenen Staatsbürger ausübt. Sie zeichnet ein Zerrbildvon unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Eshandelt sich um eine Wahnvorstellung von einer zuneh-menden Militarisierung im Innern. Das entspricht nichtder Wirklichkeit unserer Bundesrepublik Deutschland.Richtig ist demgegenüber: Nach unserer Verfassung istdie Bundeswehr dazu berufen, innerhalb eines Systemskollektiver Sicherheit Frieden zu wahren, unser Land zuverteidigen, Amtshilfe zu leisten, insbesondere in Katas-trophenfällen, und Einsätze auszuführen, wenn der Be-stand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnunggefährdet ist. In diesem Rahmen leisten die Soldatinnenund Soldaten wichtige, verantwortungsvolle Aufgabenfür unser Land, die uns zu Dank verpflichten. Gerade beiden Fällen im Innern geht es ganz offensichtlich um Un-terstützungsleistungen und Einsätze zum Schutz unseresStaates und zugunsten der eigenen Bevölkerung, nicht ge-gen die Bevölkerung. Wenn Sie von den Linken hier vonEinsätzen gegen die eigenen Staatsbürger sprechen, hatdas daher mit der Realität wirklich nichts mehr zu tun,sondern ist meines Erachtens schlichtweg eine Frechheit.Irreführend ist auch, dass Sie in Ihrem Entwurf Veran-staltungen wie die Fußballweltmeisterschaft 2006 oderden Papstbesuch erwähnen. Sie erwecken damit den Ein-druck, als sei es damals zu bewaffneten Einsätzen derBundeswehr gekommen. Tatsächlich handelt es sichaber dabei um Unterstützungsleistungen und logistischeund sanitätsdienstliche Hilfen im Wege der Amtshilfenach Art. 35 Abs. 1, die unterhalb der Schwelle einesEinsatzes erfolgten. Sie mischen hier alles durcheinan-der und verunsichern damit ganz bewusst die Menschen.Konkret wollen Sie mit Ihrem Antrag das Grundge-setz in zwei Punkten ändern. Erst einmal soll Art. 35 desGrundgesetzes so gefasst werden, dass die Bundeswehrnur unbewaffnet Amtshilfe leisten darf. Das Plenum desBundesverfassungsgerichts, das heißt beide Senate zu-sammen, hatte demgegenüber am 3. Juli des letzten Jah-res beschlossen, dass die Amtshilfe nach Abs. 2 und 3des Art. 35 gerade nicht grundsätzlich ausschließt, dassdie Streitkräfte ihre spezifisch militärischen Waffen ver-wenden, und das vollkommen zu Recht.Die Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz derStreitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 rechtlich möglichist, sind äußerst eng. Es sind drei Punkte anzusprechen:Erstens. Es muss eine Katastrophe vorliegen, also eineNaturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücks-fall. Ein solcher Unglücksfall liegt nur – so formuliert esdas Bundesverfassungsgericht – bei Ereignissen kata-strophischer Dimension vor, was nur ungewöhnlicheAusnahmesituationen umfasst. Dazu sind nach demBundesverfassungsgericht auch absichtlich herbeige-führte Schadensereignisse wie Terroranschläge zweifels-frei zu zählen.Zweitens. Weiterhin ist der Einsatz der Streitkräftemit militärischen Kampfmitteln nur als Ultima Ratio,also als letztes Mittel, zulässig, wenn keine sonstigen,milderen Maßnahmen Erfolg versprechen.Drittens muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Dasheißt, der Unglücksverlauf muss bereits begonnen ha-ben. Ein Schaden braucht noch nicht eingetreten zu sein.Aber er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit unmittelbar bevorstehen.Nur wenn diese engen Voraussetzungen vorliegen, dieim Übrigen sicherstellen, dass die strikten Begrenzungendes Art. 87 a Abs. 4 nicht unterlaufen werden, ist einentsprechender Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 zu-lässig. Aber dann ist er auch sinnvoll und notwendig,weil die Polizeikräfte und die ihnen zur Verfügung ste-henden Mittel nicht ausreichen.
Deshalb ist es auch richtig, die Streitkräfte nicht ihrerspezifischen Mittel von vornherein zu berauben, so wieSie es von den Linken beabsichtigen. Ansonsten könntebei entsprechenden Gefahrensituationen eine empfindli-che Lücke entstehen und die Bevölkerung nicht ausrei-chend geschützt werden.
Metadaten/Kopzeile:
28690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 229. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2013
Ingo Wellenreuther
(C)
(B)
Wir stellen uns nur einmal vor: Es steht ein terroristi-scher Anschlag in Deutschland unmittelbar bevor. Ge-sundheit und Leben von Tausenden Menschen sind akutbedroht. Die Kräfte der Polizei reichen nicht aus, aberdie Bundeswehr mit ihren spezifischen Einsatzmittelnkönnte die Gefahr bannen. Nach dem Willen der Linkensollen die Streitkräfte nicht zum Einsatz kommen, son-dern der Staat und die Soldaten sollen tatenlos zusehenund den Terroranschlag über unsere Bürger, über un-schuldige Menschen hereinbrechen lassen.
Dass Sie durch die beabsichtigte Änderung unserer Ver-fassung diese Hilfe im äußersten Notfall verwehrenmöchten, ist skandalös. Der Staat ist zum Schutz seinerBürger, zur Gefahrenabwehr und zum Katastrophen-schutz verpflichtet. Dieses verfassungsrechtliche Gebotmissachten Sie meiner Auffassung nach sträflich. MitIhren Plänen sind Sie eine Gefahr für die Sicherheit derMenschen in unserem Land.
Der zweite Punkt Ihres Gesetzentwurfs betrifft dieRegelung in Art. 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes, mitdem Sie den Einsatz unserer Streitkräfte zur Unterstüt-zung der Polizei und der Bundespolizei verhindern wol-len. Diese Regelung wollen Sie aufheben bzw. streichen.Glücklicherweise haben wir eine stabile Demokratie,auf die wir stolz sein können. Dennoch kann es zu Kri-sensituationen kommen, zu Angriffen auf unsere Grund-werte der Freiheit und der Demokratie, auf die wir tat-sächlich und verfassungsrechtlich vorbereitet seinmüssen. Ihr Vorhaben hätte in einer solchen Krisensitua-tion folgende Konsequenz: Die Bundeswehr dürfte nichtmit militärischen Kampfmitteln eingreifen, wenn zivileObjekte geschützt werden müssen oder organisierte Auf-ständische mit militärischen Waffen den Bestand unsererfreiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährden,obwohl die Polizeikräfte der Lage nicht Herr werden.Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf unsere freiheit-lich-demokratische Grundordnung empfindlich schwä-chen. Das machen wir von der Union nicht mit. Deswe-gen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Angriffskrieg verfas-
sungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12736, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11698 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 b. Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Grundgesetzes, Art. 35 und 87 a. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12711, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/11591 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destags auf Mittwoch, den 20. März 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende, falls Sie denn eines haben.