Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist er-
öffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zu-
satzpunkte 8 und 9 auf:
10 Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung
der Steuersätze und zur Reform der Unterneh-
– Drucksache 14/2683 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU
Eine Steuerreform für mehr Wachstum und
Beschäftigung
– Drucksache 14/2688 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun
, Rainer Brüderle, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der F.D.P.
Unternehmenssteuerreform – Liberale Posi-
tionen gegen die Steuervorschläge der Koali-
tion
– Drucksache 14/2706 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Das Steuersenkungsgesetz, das wir heuteberaten, ist eines der größten Steuerreformpakete, dasder Bundestag jemals beraten hat.
Es ist ein Meilenstein in der deutschen Steuerpolitik,
und zwar nicht nur wegen seiner quantitativen Auswir-kungen, sondern auch wegen der überfälligen struktu-rellen Veränderungen des deutschen Steuersystems. Wir ziehen im Hinblick auf die Globalisierung kon-krete Konsequenzen aus dem Veränderungsprozess inEuropa und in der Welt. CDU und CSU haben bisherdarüber nur geredet. Aber wir ziehen die konkretenKonsequenzen.
Deshalb haben Bundeskabinett und SPD-Bundestags-fraktion diesen Entwurf einstimmig beschlossen, dessenEckpunkte ich jetzt erläutere. Bei den Kapitalgesellschaften sollen einbehaltene undausgeschüttete Gewinne ab dem 1. Januar 2001 mit einem einheitlichen und definitiven Körperschaft-steuersatz von 25 Prozent besteuert werden. Diese vorgesehene kräftige Senkung der Steuersätze wird die
Metadaten/Kopzeile:
8138 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmenam Standort Deutschland verbessern. Das wird sich vorallem auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken und einSignal für die internationalen Investoren setzen. Das zurzeit noch geltende komplizierte Vollanrech-nungsverfahren bei der Körperschaftsteuer ist miss-brauchsanfällig und soll durch das wesentlich einfachereEU-konforme Halbeinkünfteverfahren ersetzt werden.Das löst auch das Problem bei den grenzüberschreiten-den Kapitalanlagen. Kapitalgesellschaften sollen zukünftig einen definiti-ven Steuersatz von 25 Prozent bezahlen. Diese Belas-tung wird nicht mehr, wie beim geltenden Vollanrech-nungsverfahren, auf die Steuerschuld der Anteilseignerangerechnet. Der Anteilseigner muss die Ausschüttungkünftig nicht mehr vollständig, sondern nur noch zurHälfte mit seinem persönlichen Einkommensteuersatzversteuern.Für die Besteuerung der Personengesellschaftenwerden wir eine systematische Verbesserung schaffen.Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sindPersonengesellschaften oder Einzelunternehmen. DerGesetzentwurf sieht Entlastungen für alle Personenun-ternehmen vor, unabhängig davon, ob es sich um Groß-,Mittel- oder Kleinunternehmen handelt. Deshalb haben all diejenigen Unrecht, die immernoch behaupten, wir würden nur etwas für die großenUnternehmen tun. Wir werden in den nächsten Wochenund Monaten in vielen Gesprächen mit Handwerkern,Kaufleuten und Existenzgründern beweisen, dass wir diesteuerliche Situation der mittelständischen Wirtschaftverbessern.
Dies wird inzwischen selbst von Herrn Stihl vom DIHTanerkannt, der wohl nicht als Freund dieser Koalitiongilt.
Die großen Personengesellschaften werden künftigdie Möglichkeit haben, sich ohne Umwandlung ihrerRechtsform in jeder Hinsicht wie eine Körperschaft be-steuern zu lassen. Auch Freiberufler und Landwirtekönnen diese Möglichkeit nutzen. Sie unterliegen dannaber auch der Gewerbesteuer. Eine Rosinenpickerei gibtes in diesem Zusammenhang nämlich nicht. Personengesellschaften, für die sich eine Option nichtlohnt, dürfen wie bisher die Gewerbesteuer als Be-triebsausgabe abziehen und darüber hinaus zukünftig ei-nen Teil der Gewerbesteuer in pauschalierter Form di-rekt mit der Einkommensteuerschuld verrechnen. Damitwird bei einem durchschnittlichen Gewerbesteuerhebe-satz die heutige Gewerbesteuerbelastung beseitigt. Die Kommunen behalten dadurch ihre finanzielle Basis, weil die Gewerbesteuer als ihre große eigene Fi-nanzierungsquelle erhalten bleibt. Wir wollen das auchso, während F.D.P. und Teile der CDU die Gewerbe-steuer so schnell wie möglich gänzlich abschaffen wol-len
– das ist ein wesentlicher Unterschied –, ohne dass sieeine Lösung anbieten können, ohne dass sie einen adä-quaten Ersatz anbieten können.
Personenunternehmen, die wegen des Gewerbesteuer-freibetrages in Höhe von 48 000 DM keine Gewerbe-steuer zahlen, also weniger gewinnstark sind, profitierenvon den zukünftigen steuerlichen Entlastungen bei derEinkommensteuer, die über die bereits beschlossenenMaßnahmen im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzeshinausgehen. Das betrifft 1,8 Millionen Unternehmen.Die Nettoentlastung durch die Unternehmensteuerre-form beläuft sich auf gut 8 Milliarden DM. Das heißt,der Mittelstand wird seit 1998 bis zum Jahr 2005 durchdas Steuerentlastungsgesetz und durch die Steuerreform2000 um rund 17 Milliarden DM entlastet.
Die von der Opposition vorgebrachte Argumentationvon einer willkürlichen Begünstigung der großen undeiner Benachteiligung der kleinen Unternehmen ist des-halb haltlos. Es ist ein untauglicher Versuch, das Re-formkonzept der Koalition schlechtzureden, obwohl esim In- und Ausland gelobt wird. Damit werden Sie,meine Damen und Herren von der Opposition, aber kei-nen Erfolg haben.
Im Übrigen argumentieren Sie sehr widersprüchlich.
Herr Glos hat gestern beklagt, dass wir nur etwas für dieGroßen täten. Die SPD ist jetzt sozusagen zur Partei desGroßkapitals avanciert.
Das war die Formulierung. Als wir das Steuerentlastungsgesetz hier diskutierthaben, wurde von Ihrer Seite beklagt, dass wir Versi-cherungskonzerne und andere gewinnstarke Konzernestärker steuerlich belasten und damit stärker an der Fi-nanzierung des Gemeinwesens beteiligen würden. Wobleibt die Logik in Ihrer Argumentation, meine Damenund Herren?
Nun komme ich zur Reform der Einkommensbe-steuerung. Die dritte Stufe des Steuerentlastungsgeset-zes wird jetzt um ein Jahr vorgezogen und tritt damitJoachim Poß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8139
zeitgleich mit der Reform der Unternehmensbesteuerungin Kraft. Dieses Vorziehen der Einkommensteuerentlas-tung bringt den Arbeitnehmern sowie den Personenun-ternehmen im Jahre 2001 über 27 Milliarden DM. Wir wollen auch danach die Steuersätze kräftig sen-ken. Über eine weitere Senkung der Steuerbelastungzum 1. Januar 2003 sollen bis zum 1. Januar 2005 derEingangssteuersatz auf 15 Prozent und der Spitzensteu-ersatz auf 45 Prozent gesenkt werden. Der Grundfreibe-trag steigt dann auf rund 15 000 DM. Mit der Stufe 2003 wollen wir eine Nettoentlastungvon rund 13 Milliarden DM herbeiführen, mit der Stufe2005 eine Nettoentlastung von zusätzlich 21 MilliardenDM. Damit beträgt die Gesamtentlastung im Zeitraum2001 bis 2005 rund 44 Milliarden DM. Von dieser Ent-lastung entfallen über die Hälfte, also 22 MilliardenDM, auf die privaten Haushalte, gut 14 Milliarden DMauf den Mittelstand und rund 7 Milliarden DM auf diegroßen Unternehmen. Man kann also von einer ausge-wogenen Mischung in der Entlastung sprechen. Zusammen mit den bereits seit 1998 realisiertenMaßnahmen entlasten wir die Steuerzahler damit umrund 75 Milliarden DM. Das sind eindrucksvolle Zahlen,denen die Opposition nichts entgegenzusetzen hat,
jedenfalls nichts, was annähernd seriös wäre. Wir wollennämlich in Verantwortung für die nachfolgenden Gene-rationen den erfolgreich eingeschlagenen Konsolidie-rungskurs beharrlich fortsetzen. Das ist nachhaltige Fi-nanzpolitik, die das Markenzeichen dieses Bundesfi-nanzministers und der Regierungskoalition ist. Damithaben Sie überhaupt nichts im Sinn. Sie setzen mit Ihrensteuerpolitischen Versprechungen auf den Egoismus.
Wir machen eine Doppeloperation: Haushaltskonso-lidierung und Senkung von Steuern und Abgaben blei-ben die beiden Leitplanken einer zukunftsweisendenStrategie für eine nachhaltige Förderung von Wachstumund Beschäftigung. Keiner kann ernsthaft bestreiten,dass sich die Bundesregierung und die sie tragendenFraktionen mit dieser Steuerreform sehen lassen können.Die Opposition hat das auch bemerkt; denn sie geht nachihrer anfänglichen heftigen Ablehnung immer mehr aufunser Konzept ein und rückt von ihren eigenen, nichtbezahlbaren Vorschlägen ab. Herr Merz hat sogar signa-lisiert, dass die Reform nicht an der Unionsforderungnach Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozentscheitern müsse. Er hat auch das zunächst von ihm abge-lehnte Optionsmodell nunmehr als Verhandlungsmassebezeichnet. Das Gleiche gilt für die Anrechnung derGewerbesteuer.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, allerdings fragen, warum Sie sich erst monatelang gestritten haben
– CDU und CSU; von der F.D.P. rede ich gar nicht –,um eine einheitliche Position zu finden, um schon kurzeZeit später diese für nicht wesentlich zu erklären. Das isteine Zickzackpolitik, ein Umherirren, das man nieman-dem erklären kann. „Zick“ steht dabei vielleicht fürFaltlhauser und „zack“ für Merz. Man kann es auch um-kehren.
– Immer mit der Ruhe, ich weiß ja, was Sie bewegt. Es kann im Übrigen nicht schaden, Herr Merz, wennein Finanz- und Steuerpolitiker Vorsitzender der Frakti-on der CDU/CSU wird; denn eine solche Aufgabe indieser Zeit und angesichts der in Ihren Reihen herr-schenden Zustände zu übernehmen ist ein Zeichen vonMut. Das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich kann ihmdabei zwar nicht allzu viel Erfolg wünschen, aber ichkann ihm meinen Respekt davor ausdrücken, dass er dieschwierige Aufgabe zu lösen versucht, eine großeVolkspartei wieder zu integrieren. Wir werden aber jetzt beobachten können, ob und wiestark sich die Oppositionspolitik der CSU in der Steuer-und Finanzpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktiondurchsetzen wird. Das war schon bisher der Fall: HerrSchäuble hat vor wenigen Monaten noch von einer Net-toentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM gesprochen.Herr Stoiber hat am gleichen Tag von 50 Milliarden DMgesprochen. Die CSU hat sich mit ihrer Forderung nacheiner Entlastung von 50 Milliarden DM durchgesetzt.Die CDU war sich über einen Spitzensteuersatz von35 Prozent noch nicht im Klaren. Die CSU hat sich mitihrer Forderung nach einem Spitzensteuersatz von35 Prozent durchgesetzt. Wir werden erleben, in wel-chen anderen Punkten sich die CSU noch durchsetzenwird. Es ist – neben allen anderen Schwierigkeiten –schon ein Trauerspiel für die CDU, jetzt von ihrer baye-rischen Schwesterpartei so dominiert zu werden.
– Ich habe heute Morgen Kaffee getrunken, aber sonsttrinke ich Tee; da haben Sie Recht. Ich bin dem saarländischen Ministerpräsidenten fürseine Deutlichkeit dankbar. Herr Müller hat zugegeben,dass eine höhere Entlastung der Steuerzahler, wie sieCDU und allen voran CSU bislang gefordert haben,nicht finanzierbar sei. Das hat Ministerpräsident Müllersicherlich nicht mit Blick auf den Bundesetat, sondernmit Blick auf die Auswirkungen auf die Länder- undGemeindehaushalte gesagt. Dies belegt, dass das Gerededer Opposition von einer mutlosen und nicht schnell ge-nug wirkenden Steuerreform dummes Geschwätz ist. Joachim Poß
Metadaten/Kopzeile:
8140 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Ebenso ist klar: Wenn Sie bei der Vorlage Ihres Kon-zepts den Eindruck erwecken, damit könne man3 Millionen Arbeitsplätze schaffen, dann hat das mitder ökonomischen Realität nichts zu tun. In diesem Fallist das, was Sie betreiben, wirklich ökonomischer Voo-doo. Es gibt das Wundermittel, von dem Sie da reden,überhaupt nicht. Aber es zeigt sich, dass Sie konzeptio-nell verwirrt sind, weil Ihre konkrete Politik unter Kohlgescheitert ist. Jetzt suchen Sie einen konzeptionellenAusweg, den Sie bisher – neben allen übrigen Proble-men, mit denen Sie es zu tun haben – noch nicht gefun-den haben.
Wir befinden uns mit dem Steuerentlastungsgesetz,mit der sozialökologischen Steuerreform und dem Fami-lienförderungsgesetz inmitten eines weitreichendensteuerpolitischen Reformprozesses. Wenn wir jetzt mitdem Steuersenkungsgesetz nahtlos fortfahren, so belegtdas den zügigen Fortschritt unserer Reformpolitik unddes von uns vor der Bundestagswahl versprochenen Po-litikwechsels.Auch der Bevölkerung wird immer klarer, was aufdem Gebiet der Steuerpolitik bereits geleistet worden ist – jeder hat es mittlerweile in seinem Geldbeutel ge-spürt. Die Konjunktur gewinnt an Fahrt, die Arbeitslo-sigkeit sinkt, Optimismus breitet sich aus. Dagegen wirdIhr Schlechtreden nichts nützen.
Wir entlasten jetzt insbesondere diejenigen, die in derKohl-Ära am stärksten belastet wurden. Arbeitnehmer,Familien mit Kindern und der Mittelstand mussten beiIhnen doch bluten. Diese Gruppen werden unter unsererVerantwortung jetzt entlastet. Das ist eine Trendwendein der deutschen Politik.
Alle Steuerzahler, ob mit kleinem, mittlerem odergroßem Einkommen, alle Unternehmen, ob kleine, mitt-lere oder große Personengesellschaften oder Kapitalge-sellschaften, werden steuerlich nicht unbeträchtlich ent-lastet. Der verheiratete Durchschnittsverdiener mit zweiKindern wird im Jahre 2005 gegenüber 1998 um über4 000 DM entlastet. Diese Entlastungsbeispiele lassensich auch für Unternehmer mit einem Gewinn von50 000 DM oder von 150 000 DM fortsetzen. Alle Bei-spiele machen deutlich: Endlich geht es auch für denMittelstand unter der Verantwortung dieser Koalitionsteuerlich voran.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Zahlenund Fakten gegenüber Ihrer Propaganda auf Dauerdurchsetzen werden. Wir werden Sie in jeder möglichenDiskussion stellen. Wir werden sozusagen um die Seeledes Mittelstandes ringen. Wir werden die Tatsachenfeststellen.
Die Forderungen nach einer noch größeren Senkungdes Spitzensteuersatzes als bisher vorgesehen ist dahereine einseitige Interessenpolitik für einige gut Besoldetemit Nebeneinkünften oder für andere Arbeitnehmer mitSpitzeneinkommen, zum Beispiel für Manager. Die von Ihnen geforderte Senkung des Spitzensteuer-satzes auf 35 Prozent hat eine deutliche soziale Schlag-seite. Sie wollen den Eingangssteuersatz um 7,9 Pro-zentpunkte und den Spitzensteuersatz um 16 Pro-zentpunkte senken. Das ist mehr als doppelt so viel. Esist nicht zu finanzieren und es verdeutlicht einmal mehr,dass CDU und CSU mit sozialer Gerechtigkeit nichts imSinn haben.
Das steuerpolitische Konzept der Bundesregierungund der Koalitionsfraktionen ist ein wichtiges Elementunserer Strategie zur Erneuerung der wirtschaftlichenGrundlagen in Deutschland. Es stärkt den Standort undsichert uns eine gute Startposition in der immer globalerwerdenden Weltwirtschaft. Ich bin zuversichtlich, dassdieses große und weitreichende Steuerreformpaket mitgroßer Unterstützung der Bevölkerung und der Wirt-schaft hier im Mai beschlossen werden wird.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kol-
legen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Wir sind heute Morgen in der erstenLesung eines Unternehmensteuerreformgesetzes. DerKollege Poß hat die Einbringungsrede gehalten, eineAufgabe, die normalerweise von einem Vertreter derBundesregierung übernommen wird,
aber sicherlich auch von Vertretern der Koalitionsfrakti-onen übernommen werden kann.
Bemerkenswert an dieser Rede war, dass sich derjenige,der das Konzept der rot-grünen Bundesregierung vor-stellen sollte, zu zwei Dritteln seiner Redezeit mit demKonzept der Union beschäftigt hat.
Joachim Poß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8141
Damit wir uns nicht falsch verstehen, Herr Kollege Poß:Ich kritisiere das nicht. Im Gegenteil, ich begrüße dasausdrücklich, denn das zeigt auch: Die Opposition istpolitisch präsent und handlungsfähig.
Wir haben in der Tat gerade in der Steuerpolitik das bes-sere Konzept.Das will ich begründen.
Es trifft sich gut, Herr Bundesfinanzminister und HerrBundeswirtschaftsminister, dass wir in dieser Wochenicht nur über die Steuerreform diskutieren, sondern Siehier gestern auch den Jahreswirtschaftsbericht vorge-stellt und begründet haben. Wir haben dabei einen Sach-verhalt miteinander diskutiert, der im Zusammenhangmit der Steuerpolitik eine Rolle spielt. Es gibt nämlicheine Entwicklung, die uns alle mittlerweile mit nicht un-erheblicher Sorge erfüllen muss: Ich meine die Entwick-lung des Wechselkurses unserer gemeinsamen Währung,des Euro. Wir haben gestern erneut feststellen müssen,dass der Wert des Euro erheblich gegenüber dem desDollars, aber auch gegenüber dem anderer Währungendieser Welt verfallen ist.
Wenn es richtig ist, dass der Wechselkurs einer Wäh-rung praktisch der Aktienkurs einer Volkswirtschaft ist,dann ist in der Zeit, in der diese Bundesregierung imAmt ist, der Aktienkurs der Volkswirtschaft der Bundes-republik Deutschland gegenüber anderen großen Wirt-schafts- und Währungsräumen dieser Welt um 15 Pro-zent, zum Teil um 20 Prozent gesunken. Darin kommtdie Politik der rot-grünen Bundesregierung zum Aus-druck.
Meine Damen und Herren, der Euro-Verfall – so wirdes richtig bewertet – dokumentiert zweierlei. Er doku-mentiert die anhaltende Stärke insbesondere der ameri-kanischen Volkswirtschaft. Amerika geht in das neunteJahr eines ungebrochenen wirtschaftlichen Auf-schwungs. In Amerika wurde mittlerweile Vollbeschäf-tigung erreicht. Europa steht vor erheblichen strukturel-len Problemen und die Bundesrepublik Deutschlandstellt mit etwa einem Drittel des Bruttoinlandsproduktesder Euro-Teilnehmerstaaten die größte einzelne Volks-wirtschaft. Die Lage in der Bundesrepublik Deutschlandist deswegen bestimmend für die Entwicklung des Euro.Die ausgebliebenen Reformen, auch und insbesondereim Bereich der Steuerpolitik, dokumentieren sich ebenauch in der Schwäche des Euro.
Wir werden in der Bundesrepublik Deutschland weitüber die Steuerpolitik hinaus in den nächsten Jahrenauch und besonders hier darüber zu debattieren haben,welche Reformen dieses Land braucht. Es müssen Re-formen sein, die den marktwirtschaftlichen Herausforde-rungen und insbesondere den Herausforderungen einessich verschärfenden globalen und europäischen Wettbe-werbs gerecht werden. Dazu brauchen die Bundesrepu-blik Deutschland und insbesondere diese Bundesregie-rung eine Besinnung auf einen klaren marktwirtschaft-lichen Kurs. Erlauben Sie mir, dass ich auch in diesem Zusam-menhang an die Debatte des gestrigen Tages anknüpfe.Herr Bundeswirtschaftsminister, aus Ihrem Hause, alsoaus den eigenen Reihen, stammt ein Papier, das mittler-weile die Öffentlichkeit erreicht hat und mit Ihnen, aberauch mit der ganzen Bundesregierung durch eine nachmeinem Kenntnisstand jedenfalls bisher unbekannte Kri-tik so hart ins Gericht geht, dass dies Ihnen, aber auchIhnen, Herr Bundesfinanzminister, doch zu denken ge-ben muss. Ich zitiere wörtlich aus diesem Papier:Man merkt es der Wirtschaftspolitik bereits an. Esbegann mit dem Zurückdrehen der ... markt-wirtschaftlichen Reformen der alten Bundesregie-rung und setzte sich fort: Holzmann, Mannesmann,Gewinnverwendungssteuerung, verbunden mit ei-ner Stigmatisierung der Gewinne im Rahmen derUnternehmensteuerreform, Diskriminierung be-stimmter aktiver und passiver Einkommen in derSteuerpolitik, diskretionäre und diskriminierende sogenannte Ökosteuerreform.
Die BMWi-Philippika gipfelt dann in der Bemer-kung, die Entwicklung – gemeint ist die Entwicklungder Politik dieser Bundesregierung – gehe vom Konzeptder sozialen Marktwirtschaft zur instrumentalen Belie-bigkeit, zum Punktualismus.
Das ist eine zutreffende Beschreibung des wirt-schafts- und finanzpolitischen Kurses der Bundesregie-rung.
Herr Bundesfinanzminister, dies kommt insbesonderein der Steuerreform zum Ausdruck, die Sie heute demDeutschen Bundestag vorlegen.
Sie führen keine Unternehmensteuerreform durch.Vielmehr gehen Sie einseitig von einer Absenkung derKörperschaftsteuersätze aus.
Dies ist keine Reform unseres Einkommensteuerrechtes,sondern stellt eine Absenkung der Körperschaftsteuer-Friedrich Merz
Metadaten/Kopzeile:
8142 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
sätze für die großen Unternehmen in der BundesrepublikDeutschland dar.
Ausgehend von den Körperschaftsteuersätzen suchenSie nach Wegen, wie Sie die kleinen und mittleren Un-ternehmen der Bundesrepublik Deutschland entlastenkönnen. Das ist keine Reform; das ist Punktualismus.
Dies ist eine Reform, die insbesondere dem großenTeil der mittelständisch geprägten Unternehmen, die inder Rechtsform von Personengesellschaften oder Ein-zelkaufleuten geführt werden, nicht gerecht wird.
Die Hilfskonstruktionen, die Sie wählen, um auch dieje-nigen Unternehmen zu entlasten, die dem Einkommen-steuergesetz unterliegen, werden der eigentlichen wirt-schaftspolitischen Aufgabe, der wir uns gemeinsam ge-stellt sehen, überhaupt nicht gerecht. Denn diese Hilfs-konstruktionen – Herr Kollege Poß, das mussten Sie indem, was Sie hier gerade dargestellt haben, einräumen –sind Konstruktionen, die auf halbem Wege stehen blei-ben und die in der Tat völlig unzureichend sind. Ich willdas begründen.Herr Bundesfinanzminister, im Bundesfinanzministe-rium wurde eine Reihe von Planspielen durchgeführt,wie diejenigen Unternehmen gestellt werden, die vonder so genannten Option des Körperschaftsteuergeset-zes Gebrauch machen. Ich frage Sie – ich bitte Sie, dassSie, wenn Sie nachher sprechen werden, die Gelegenheitnutzen, darüber Auskunft zu geben –: Warum veröffent-lichen Sie bis zum heutigen Tage die Ergebnisse dieserPlanspiele nicht?
Es scheint einen Grund dafür zu geben. Wenn es richtigist, was aus den von Ihnen mit externem Sachverstandbesetzten Arbeitsgruppen berichtet wird, dann kommenalle diese Planspiele zu dem Ergebnis, dass jedes Unter-nehmen – egal welcher Rechtsform und gleichgültig inwelcher Größe es geführt wird – durch die Option fürdas Körperschaftsteuergesetz im Vergleich zum gegen-wärtigen steuerpolitischen Stand massiv benachteiligtwird.
Herr Eichel, ich fordere Sie deshalb noch einmal auf:Geben Sie Auskunft darüber, wie das Ergebnis der Plan-spiele ist, die Sie in Ihrem Hause haben durchführen las-sen. Die Öffentlichkeit in Deutschland und insbesonderedie betroffenen Unternehmen haben einen Anspruchdarauf, dies zu wissen.
Der eigentliche Kern wird sich deswegen auf die An-rechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerderjenigen Unternehmen konzentrieren, die dem Ein-kommensteuergesetz unterliegen. Hier muss uns klarsein: Das Konzept der Anrechnung der Gewerbesteuerauf die Einkommensteuerschuld der dem Einkommen-steuergesetz unterliegenden Unternehmen – das betrifft85 Prozent der Unternehmen in der BundesrepublikDeutschland – macht eine Steuer zum Mittelpunkt derReform, die ihrerseits in ihrer Erhebung und in ihrerUngleichmäßigkeit der Belastung in höchstem Maßeverfassungsrechtlich anfechtbar ist.
Wir und Sie müssen wissen, dass Sie damit eine Steuerzum Mittelpunkt der Reform machen, die ihrerseitszwangsläufig noch in dieser Legislaturperiode einergrundlegenden Überprüfung bedarf.
– Meine Damen und Herren, zu Ihrer Reaktion ist zu sa-gen: Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit IhrerZustimmung eine Grundgesetzänderung vereinbart undbeschlossen, gemäß der die Kommunen Anspruch aufeine wirtschaftskraftbezogene Steuer mit eigenem Hebe-satzrecht haben. So steht es in Art. 28 unseres Grundge-setzes. Das muss nicht die Gewerbesteuer sein. Aber dasmuss eine unternehmens- und wirtschaftskraftbezogenekommunale Steuer sein. Die gegenwärtige Gewerbesteuer – ich wiederhole es – wird aufgrund der Ungleichmäßigkeit ihrer Erhe-bung den Ansprüchen an eine zukunftsweisende und zu-kunftsfähige Unternehmensbesteuerung auf kommunalerEbene nicht gerecht.
Wir werden diese Steuer im Laufe dieser Legislaturpe-riode grundlegend überarbeiten müssen.
Meine Damen und Herren, wenn wir das tun, dann wirddie gesamte Unternehmensteuerreform, die Sie heutevorschlagen, in ihrem Kern noch einmal infrage gestellt.Denn Sie machen die Gewerbesteuer, so wie sie heuteist, zum Ausgangspunkt für die Unternehmensteuerre-form.Sie werden auch mit Hilfskonstruktionen, insbeson-dere mit der Anrechnung der Gewerbesteuer, den legi-timen Ansprüchen der mittelständischen Unternehmenin der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht.
Wir brauchen eine Unternehmensteuerreform, die glei-chermaßen Einkommensteuergesetz und Körperschafts-teuergesetz überarbeitet und reformiert. Wir sehen unsdaher nicht in der Lage, Ihnen auf diesem Weg zu fol-gen.Herr Kollege Poß, mein ausdrücklicher Kritikpunkt,den ich aufrechterhalte, war: Mit Hilfskonstruktionen fürmittlere und kleine Unternehmen – das gilt auch für Großunternehmen, die in der Rechtsform von Perso-nengesellschaften geführt werden – können Sie eine Friedrich Merz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8143
Unternehmensteuerreform in der BundesrepublikDeutschland, die den wirtschaftspolitischen Anforde-rungen der Zukunft gerecht werden soll, nicht durch-führen. Das ist unsere entscheidende Kritik, die wir ohneAusnahme aufrechterhalten.
Wir haben deswegen über den Jahreswechsel1999/2000 die steuerpolitischen Vorschläge, die wirauch in der letzten Legislaturperiode eingebracht undverabschiedet haben, die aber – dieser Punkt muss er-wähnt werden – am parteipolitisch motivierten Wider-stand der Sozialdemokraten im Bundesrat gescheitertsind,
im Lichte der neuen Entwicklung, im Lichte des sichverschärfenden internationalen Wettbewerbs und natür-lich auch im Lichte der Haushaltsnotwendigkeiten vonBund, Ländern und Gemeinden noch einmal überarbei-tet.Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir unverändertdaran festhalten können, in der Bundesrepublik Deutsch-land nicht nur die Körperschaftsteuersätze zu senken,sondern auch den Einkommensteuertarif durchgehendvom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz so zusenken, dass nicht nur ein einheitlicher Einkommens-begriff aufrechterhalten wird, sondern dass auch ohneHilfskonstruktionen die mittelständischen Unternehmenin der Bundesrepublik Deutschland genauso entlastetwerden wie diejenigen Unternehmen, die, etwa als großeAktiengesellschaften, dem Körperschaftsteuergesetz un-terliegen.
Am Anfang der Beratungen im Deutschen Bundestagüber die verschiedenen Konzepte der Steuerreform müs-sen die Unterschiede deutlich werden. Diese Unter-schiede sind nicht etwa nur in der Höhe der Steuersätzezu finden. Sie reichen vielmehr tief in die steuerpoliti-sche Systematik unseres gesamten Ertragsteuersystemshinein. Wir müssen wissen, dass das Konzept der Bun-desregierung – Absenkung der Körperschaftsteuer-sätze, Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkom-mensteuerschuld – nicht etwa nur eine technische Frageberührt. Das Konzept bedeutet in Wahrheit die Auf-lösung der einheitlichen Einkommensbesteuerung unddie Auflösung der in das System der Einkommensbe-steuerung integrierten Unternehmensbesteuerung, diedurch die Körperschaftsteuerreform im Jahre 1977erreicht wurde.
Wir lösen damit den einheitlichen Einkommensbegriffund auch die einheitliche Unternehmensbesteuerung inder Bundesrepublik Deutschland auf.Diese Einheitlichkeit war eine der großen Errungen-schaften der Körperschaftsteuerreform. Ich betone dasJahr 1977 deshalb, um deutlich zu machen, dass das ent-sprechende Gesetz in der Zeit der sozialliberalen Koali-tion verabschiedet worden ist.Klaus Lennartz [SPD]: Wir waren immerschon gut! Das wissen wir!)Dieses Gesetz der sozialliberalen Koalition wurde –wenn ich mich recht erinnere – mit Zustimmung desBundesrates, in dem die Union damals eine Mehrheithatte, verabschiedet.
Diese Tatsache zeigt, dass es ein gutes Gesetz war. Die-ses Gesetz hat weltweit Beachtung gefunden, weil essteuerpolitisch von einer großen Stringenz und Systema-tik geprägt gewesen ist. Diese Stringenz und Systematikwird mit dem Reformvorhaben der Bundesregierung nunvollständig aufgelöst.
– Sie machen an dieser Stelle den Einwand: Weil es lo-gisch ist. Ja, es ist in der Tat logisch und es ist unab-weisbar. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen inder Bundesrepublik Deutschland in den nächsten fünfJahren in mindestens 500 000 Unternehmen vor der Ge-nerationenfolge. Rund ein Drittel dieser Unternehmenhat bis zum heutigen Tag keinen Nachfolger.
Glauben Sie im Ernst, dass diese Generationennachfolgemit der Verfünffachung der Erbschaftsteuer für die klei-nen und mittleren Unternehmen des Mittelstandes nochzu bewältigen ist?
Diese Unternehmen sind nach übereinstimmender Er-kenntnis aller bisher von uns als das Rückgrat der deut-schen Volkswirtschaft bewertet worden. Wenn Sie derMeinung sind, dass diese Unternehmen in Zukunft in derFriedrich Merz
Metadaten/Kopzeile:
8144 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Bundesrepublik Deutschland keinen Platz mehr haben,dann müssen Sie es sagen.
Ich weise auf die Konsequenzen hin, die das für dieAktionäre von Aktiengesellschaften haben wird. Wa-rum verschweigen Sie, meine Damen und Herren, dasseine erheblich höhere Besteuerung insbesondere derKleinaktionäre die zwangsläufige Folge des von Ihnengewählten Besteuerungsverfahrens bei den Dividendensein wird? Warum verschweigen Sie das zu einem Zeit-punkt, zu dem wir doch eigentlich über die Kultur derAktie in Deutschland miteinander reden?
Im Übrigen ist Ihre Behauptung, meine Damen undHerren, das Halbeinkünfteverfahren, das Sie jetztwählen, sei im Gegensatz zum bisherigen Besteuerungs-verfahren, nämlich dem Anrechnungsverfahren, europa-tauglich, schlicht falsch.
Die grenzüberschreitende Anwendung des so genanntenHalbeinkünfteverfahrens ist genau so unmöglich wie diegrenzüberschreitende Anwendung des An-rechnungsverfahrens. Ich will das deutlich machen, da-mit diejenigen, die dieser Debatte an den Bildschirmenfolgen, auch verstehen, worüber wir sprechen.
Meine Damen und Herren, ein Aktionär bekommtheute eine Körperschaftsteuergutschrift. Diese kann erauf die eigene Einkommensteuerschuld anrechnen. Erunterliegt der Einkommensteuer mit seinem individuel-len Steuersatz. Das hat zur Folge, dass alle Aktionäregleichbehandelt werden, je nach individuellem Steuer-satz.
Dieses körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahrenkann man über die Grenzen – innerhalb der Europäi-schen Gemeinschaft, auch außerhalb der EuropäischenGemeinschaft – nicht mitnehmen.
Das macht dieses Anrechnungsverfahren in der Tat nichteuropatauglich.
Aber, meine Damen und Herren, das Anrechnungsver-fahren gilt, seitdem wir es in Deutschland eingeführt haben, seit 1977, auch in einer Reihe anderer Mit-gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die es ebenfalls eingeführt haben. Das Verfahren, das Sie jetztwählen, das so genannte Halbeinkünfteverfahren, unterwirft den Steuerpflichtigen unabhängig von derVorbelastung in der Aktiengesellschaft einer Doppelbe-steuerung zusätzlich zu seinem persönlichen Steuersatz.
Da Sie einen so genannten Progressionsvorbehalt aufge-nommen haben, hat dies zur Folge, dass diejenigen miteinem niedrigen Steuersatz, also mit niedrigem Gesamt-einkommen, durch Ihr Verfahren wesentlich höher be-steuert werden und diejenigen, die ein höheres Einkom-men haben, wesentlich niedriger besteuert werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir in der altenKoalition vorgeschlagen hätten, das Besteuerungsver-fahren für die Aktionäre so zu ändern und damit dieSteuerausfälle auszugleichen, die durch die Steuerfrei-heit von Veräußerungsgewinnen zwischen Kapitalge-sellschaften entstehen, hätten Sie in diesem Land eineDiskussion über Turbokapitalismus, über Shareholder-Value-Mentalität angefangen, deren wir uns hätten ü-berhaupt nicht mehr erwehren können. Das wäre das Er-gebnis gewesen.
Ich stelle deshalb fest: Sie machen eine Unterneh-mensteuerreform zulasten der Aktionäre und zugunstender großen Kapitalgesellschaften.
Damit kein Missverständnis entsteht: Auch wir sind derAuffassung, dass wir eine erhebliche Erleichterung derUmstrukturierungen in Unternehmen brauchen. Ge-rade die Unternehmen, die sich von Anteilsbesitz tren-nen wollen, die umstrukturieren wollen, brauchen dazuauch eine steuerliche Erleichterung. Aber wenn diesrichtig ist und wenn dies die gemeinsame Erkenntnis ist,meine Damen und Herren, dann darf diese steuerlicheErleichterung nicht nur für Kapitalgesellschaften gelten,dann muss sie auch für Personengesellschaften gelten.
Deswegen haben wir einen Vorschlag in Form einerErgänzung unseres steuerpolitischen Konzeptes, das wir„Die bessere Alternative“ genannt haben, gemacht, wieman Personengesellschaften bei den Umstrukturierun-gen, die notwendig sind, steuerlich genauso entlastenkann wie Kapitalgesellschaften.
Wir stellen diesen Vorschlag zur Diskussionen, mei-ne Damen und Herren. Wir sind offen für Vorschläge, esnoch besser zu machen. Wir erwarten aber von der rot-grünen Koalition, dass sie in den nächsten Wochen ineine öffentliche Debatte geht in der Bereitschaft, auchihrerseits Verbesserungen an dem Konzept vorzuneh-men, das sie vorgeschlagen hat. Nichts anderes habe ichin dieser Woche gesagt, als ich darauf hingewiesen ha-be, dass wir, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, genau-so wie die von CDU und CSU geführten Länder bereitFriedrich Merz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8145
sind, auf dem Weg zu einer Steuerreform mit Ihnen ei-nen Kompromiss zu finden. Wir machen keine Blockadenach Oskar Lafontaine. Aber wir erwarten ein vernünf-tiges Ergebnis im Sinne der Bundesrepublik Deutsch-land.
Lassen Sie mich zum Schluss in vier Punkten zu-sammenfassen, wo die Unterschiede liegen. Erstens. Sie machen eine einseitige Reform für dieKapitalgesellschaften und suchen Hilfskonstruktionenfür die Personengesellschaften. Wir wollen eine breitangelegte Reform für kleine, mittlere und große Unter-nehmen unabhängig von ihrer Rechtsform. Zweitens. Sie senken die Körperschaftsteuersätze mitHilfskonstruktionen und verzichten auf die durchgrei-fende Änderung des Einkommensteuergesetzes. Wirwollen eine grundlegende Reform des Einkommensteu-ergesetzes mit niedrigen Steuersätzen für alle auf breitersteuerlicher Bemessungsgrundlage.
Drittens. Sie besteuern die Dividenden der Aktionärehöher, um damit die Steuerfreiheit der Veräußerungser-löse zwischen Kapitalgesellschaften zu finanzieren. Wirwollen den reinvestierten Gewinn für alle Unternehmenermöglichen, unabhängig davon, ob es Kapitalgesell-schaften oder Personengesellschaften sind.
Viertens. Sie, meine Damen und Herren von der Koa-lition, lösen mit diesem Steuerkonzept eine dramatischeVerkomplizierung unseres gesamten Steuerrechts aus.
Wir, meine Damen und Herren, wollen mit unsererbesseren Alternative nicht nur eine Absenkung der Steu-ersätze für alle.
Wir wollen – und wir können auch nachweisen, dassdies erreichbar ist – eine grundlegende Vereinfachungunseres Steuersystems, sodass die Bürgerinnen und Bür-ger dieses Landes sich vom Staat mit einem überschau-baren und gerechten Steuersystem, gerecht behandeltfühlen, meine Damen und Herren.
Deshalb haben wir mit dem, was wir „Die bessere Al-ternative“ genannt haben, das getan, was von einer Op-position erwartet werden kann, nämlich ruhig und nüch-tern zu prüfen, was die Koalitionsfraktionen der Bundes-regierung vorlegen, es zu kritisieren, es an den Stellen,wo es gut und richtig ist und auch in die richtige Rich-tung zeigt, zu unterstützen und gleichzeitig eigene Vor-schläge vorzulegen, die in den parlamentarischen Bera-tungen der nächsten Wochen die Alternative der Opposi-tion sein können. Meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis:Die Opposition, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion,wird in diesen Bereichen der Steuerpolitik, aber auchüberall sonst ihren Auftrag als Opposition auf gleicherAugenhöhe mit der Bundesregierung in den nächstenzweieinhalb Jahren kraftvoll wahrnehmen. Vielen Dank.
Ich erteile dem Kol-
legen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegen-satz zu meinem Vorredner möchte ich die Steuerreform2000 etwas politischer fassen und diskutieren
und nicht so sehr in einem steuerpolitischen Fachsemi-nar abhandeln. Ich glaube, dass wir mit dieser Steuerreform den ein-geschlagenen Kurs in der Haushalts- und Finanzpoli-tik konsequent fortsetzen. Mit dem Haushaltssanie-rungsgesetz und mit dem Haushalt 2000 haben wir Endeletzten Jahres die ersten Schritte getan, um den Staats-haushalt wieder in Ordnung zu bringen – einen Staats-haushalt, Herr Merz, den die alte Regierung über Jahrehat verlottern und völlig aus dem Ruder laufen lassen.
Dass Sie von der Opposition es mit dem Geld nicht sogenau genommen haben, haben wir in den letzten Wo-chen und Monaten ja deutlich bemerkt und staunend zurKenntnis genommen.
Wir hingegen sind uns bewusst, dass der Staat keinSelbstbedienungsladen ist.
Wir hingegen sind uns bewusst, das die Belastbarkeitmit Steuern und Abgaben endlich ist. Für uns ist – an-ders als für die Opposition – klar, dass wir nicht weiterauf Kosten der kommenden Generationen leben wollenund leben können, wie das in den letzten 16 Jahren ge-schehen ist.Friedrich Merz
Metadaten/Kopzeile:
8146 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Wir gehen endlich wieder sparsamer mit dem Geld um,das die Bürgerinnen und Bürger am Ende eines Monatsan Steuern und Abgaben in die Staatskasse zahlen.Mit dem Haushaltssanierungsgesetz und mit demHaushalt 2000, mit dem wir im ersten Durchgang dieNettoneuverschuldung um knapp 30 Milliarden DM re-duziert haben, haben wir die Ausgabenseite wieder inOrdnung gebracht bzw. angefangen, sie in Ordnung zubringen. Heute geht es mit der Steuerreform 2000 umdie Einnahmenseite. Uns geht es nicht nur darum, dieSteuergelder sparsamer und effektiver einzusetzen. Dasist der eine Weg, um zu einer gerechteren Verteilung derChancen in unserer Gesellschaft zu kommen. Der andereWeg besteht darin, den Menschen wieder Luft zum At-men zu geben. Gerechtigkeit kann man nämlich nichtnur dadurch schaffen, dass man Geld einnimmt und esdann mithilfe der Bürokratie wieder verteilt. Gerechtig-keit kann auch heißen, den Menschen das Geld erst garnicht zu nehmen, sondern es bei ihnen zu belassen. Die-sen Weg schlagen wir ein.
Deshalb bringt die Regierungskoalition die größteSteuerentlastung in der Geschichte unseres Landes aufden Weg. Wir entlasten die Steuerzahler alles im allemum mehr als 70 Milliarden DM. Was wir in diesem Landnach Jahren der schwarz-gelben Stagnation nun endlichauf den Weg bringen, ist ein Steuersystem, das jedennach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, ein Steuer-system, das den Beziehern von kleinen und mittlerenEinkommen und Familien wieder spürbare finanzielleFreiräume eröffnet, aber auch ein Steuersystem, das An-reize für Investitionen und somit für mehr Beschäftigungin unserem Land schafft.Meine Damen und Herren von der Union, die Sie sichin der Opposition steuerpolitisch – das ist ja heute nichtder erste Vorschlag – mit einem unseriösen Vorschlagnach dem nächsten so richtig austoben, Ihnen sage ich:Das, was wir bisher gemacht haben und jetzt machen, istschon nach 16 Monaten um vieles mehr als das, was Siein langen 16 Jahren zuwege gebracht haben.
Nicht Versprechungen, nicht Zahlen auf dem Papierzählen, sondern es zählt das, was die Menschen am Endeeines Monats real mehr in der Tasche haben. Sie hattenlange genug Zeit, etwas für die Familien und für kleineund mittlere Einkommen zu tun. Sie haben es nicht ge-tan, wir tun es.
Deshalb halten die Menschen das, was Sie hier als „bes-sere“ Alternative vorlegen, für das, was es ist: leere Ver-sprechungen ohne Substanz, unseriös und nicht finan-ziert noch dazu.
Weniger Steuern, geringere Abgaben, höhere Netto-löhne – das ist unser Reformdreiklang, der die Konjunk-tur wieder in Fahrt bringen wird. Insgesamt werden wirden Eingangssteuersatz um satte 10,9 Prozent und denSpitzensteuersatz um 8 Prozent senken. Herr Merz,sind Ihnen diese Zahlen entgangen, wenn Sie sagen, diessei keine Senkung der Steuern? Ich weiß nicht, in wel-ches Konzept Sie geschaut haben. Diese Zahlen müssenIhnen doch heute in den Ohren klingen! Sie waren dochsozusagen der Traum Ihrer Nächte, weil Sie sie mit derSteuerreform in der letzten Legislaturperiode eben nichtdurchgebracht haben.
Es ist kein Geheimnis, dass es bis zu diesem mutigenSchritt ein weiter Weg war, ein Weg, den insbesonderewir Grünen geebnet haben.
Was in den Koalitionsverhandlungen noch nicht mög-lich war, liegt heute in Gesetzesform vor. Das macht unsGrünen besondere Freude.Das zeigt aber auch, dass diese Regierung nicht nurdie selbst gesteckten Ziele erreicht, sie übertrifft sie so-gar. 15 Prozent Eingangssteuersatz, 45 Prozent Spit-zensteuersatz und ein Grundfreibetrag von 15 000DM, das entspricht dem grünen Bundestagswahlpro-gramm. Ich kann für meine Fraktion an diesem Punktmit voller Überzeugung sagen: Das haben wir verspro-chen und das haben wir gehalten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, HerrMerz, wenn Sie einmal ganz ehrlich sind, einen MomentIhre sonstigen Sorgen vergessen und sich nur diese Zah-len anschauen, müssen Sie doch frank und frei sagen:Das hat diese Koalition gut gemacht.
Ich weiß, Herr Merz, dass man das von Ihnen jetzt nichtverlangen kann, müssten Sie doch sonst eingestehen,dass Rot-Grün, nachdem der Haushalt 2000 und dasHaushaltskonsolidierungsgesetz den Bundesrat passierthaben, Sie schon wieder auf Ihrem ureigensten Feld, derHaushalts- und Finanzpolitik, spürbar geschlagen hat.
Rezzo Schlauch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8147
Herr Merz, ich kann Ihnen versprechen: Wir werdendies immer wieder tun.Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., las-sen Sie mich noch einen weiteren Grund nennen, warumSie nicht zugeben können, dass diese Regierung wiederetwas Gutes gemacht hat: Wir haben Sie auch gleichnoch in der Wirtschaftspolitik überrundet. Die Steuer-reform 2000 entlastet nicht nur die Einkommen-steuerzahler, sondern bringt auch die längst überfälligeUnternehmensteuerreform auf den Weg.Herr Merz, ich weiß nicht, welche Zeitungen Sie le-sen. In den Zeitungen, die ich lese, ist die Meinung,auch die Meinung der Wirtschaft, eindeutig. Alle sagen:Die Richtung stimmt. Hans-Olaf Henkel in der „BerlinerZeitung“ von gestern: „Alternative zu Rot-Grün nicht inSicht“.
Ich kann nur sagen: Blattschuss für die Konservativen.
Der Chefvolkswirt – Herr Merz, jetzt hören Sie gutzu – des weltweit agierenden Investmenthauses MorganStanley, Dean Witter, spricht sogar von einer „NewGermany Story“. Deutschland stehe vor einer „struktu-rellen Revolution“. Und da kommen Sie und sagen, das,was wir machen, sei keine strukturelle Reform!
Auch die „Financial Times“ nennt unsere Steuerreformeine „marktgesteuerte Revolution“.Die Opposition – wir haben es heute gehört – führtdas gleiche schlechte Stück wie schon beim Haushalt2000 auf. Erster Akt: Das schaffen die nie. Zweiter Akt:So wie sie es machen, ist es falsch. Dritter und letzterAkt: Na ja, wenn es alle so positiv sehen, stimmen wirhalt auch zu.
Der Sinneswandel der Union bleibt nicht unbemerkt.Die „FAZ“ vom letzten Dienstag schreibt:Hinter den überraschend frühzeitigen Kompromiss-signalen aus der Union steht offensichtlich die Ein-schätzung, dass die Union mit einer Blockade derSteuerreform über den Bundesrat nichts gewinnenkönnte.So ist es! Sie können nichts gewinnen, weil Sie unsnichts Substanzielles entgegenzusetzen haben.
Während Sie sich mit sich selbst beschäftigt haben,
hat diese rot-grüne Koalition eine blitzsaubere Unter-nehmensteuerreform
mit dem Ziel vorgelegt, mehr Arbeitsplätze in unseremLand durch ein Mehr an Dynamik und Wachstum in derWirtschaft, durch ein Mehr an Kaufkraft für die Bürge-rinnen und Bürger und durch bessere Investitionsbedin-gungen für die Unternehmen zu schaffen. Wir setzendabei entgegen dem, was Sie ausführen, vor allem aufden Mittelstand in unserem Lande. Insbesondere meineFraktion hat sich neben der Steuerentlastung für die gro-ßen Unternehmen für eine deutliche Mittelstandskom-ponente eingesetzt.
Neben den privaten Haushalten ist der MittelstandHauptprofiteur unserer Reform. Von den noch vor unsliegenden Steuersenkungen in den Jahren 2001, 2003und 2005
entfallen 52 Prozent auf die privaten Haushalte und26 Prozent auf den Mittelstand.
Wenn angesichts dessen die Union sagt, wir hättennicht genügend getan, dann brauche ich nur auf Folgen-des hinzuweisen: Sie, die es in den langen Jahren IhrerRegierungszeit nie geschafft haben, den Spitzensteuer-satz unter 50 Prozent zu senken, Sie, die den Eingangs-steuersatz erhöht statt gesenkt haben, Sie, die mit dengroßen Unternehmen die Koffer getauscht und die klei-nen im Regen stehengelassen haben,
Sie haben an diesem Punkt überhaupt keine Rechtferti-gung und keinen Grund, uns vorzuwerfen, wir tätennichts für den Mittelstand.
Sicherlich kann man nach dem, was Sie in der Mit-telstandspolitik an Wüste hinterlassen haben, nicht ge-nug für den Mittelstand tun. Aber wir müssen die Kircheauch im Dorf lassen. Die Senkung des gesamten Steuer-tarifs und die Anrechnung der Gewerbesteuer sind diegrößte Entlastung des Mittelstands seit langem.
Wir Grünen haben uns von Anfang an für diese Mit-telstandskomponente stark gemacht und wir lassen keinen Zweifel daran, dass wir auch im weiteren parla-mentarischen Gesetzgebungsverfahren jede seriöseRezzo Schlauch
Metadaten/Kopzeile:
8148 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Möglichkeit – jede seriöse! – für eine weitere Entlastungdes Mittelstandes nutzen wollen.Meine Damen und Herren, die Senkung des Körper-schaftsteuersatzes auf einheitlich 25 Prozent und dieFörderung des Mittelstands sind die ersten beiden Säu-len der Unternehmensteuerreform. Die dritte Säule bil-det die von Ihnen ja auch angegriffene Steuerfreiheitvon Beteiligungsveräußerungen. Hierbei geht es nichtdarum, wie vereinzelt zu hören ist, die Reichen reicherzu machen.
Vielmehr geht es darum, das derzeit gebundene immobi-le Kapital zu aktivieren und für neue Investitionen undArbeitsplätze nutzbar zu machen.
Die Steuerfreiheit von Beteiligungsveräußerungen gibtdem Strukturwandel in unserem Land den entschei-denden Schub. Die Firmen werden ihre Beteiligungenauf den Prüfstand stellen und oftmals zu neuen Investiti-onsentscheidungen kommen.Lassen Sie mich mit einem Missverständnis aufräu-men:Die Steuerfreiheit führt eben nicht dazu, dass bei Betei-ligungsveräußerungen überhaupt keine Steuern mehr ge-zahlt werden. Im Gegenteil, sie führt dazu, dass dieBuchwerte endlich den realen Werten angepasst werden.Das ist nicht nur gut für die Dividenden der Anleger,sondern auch für die Staatskasse. Aber das haben Sie of-fensichtlich nicht begriffen.
Das Aufbrechen des Lock-in-Effekts setzt Kapitalfrei, das dringend für die aufstrebenden Internet-, Infor-mations- und Kommunikations- sowie Umwelt- undjungen Start-up-Firmen gebraucht wird. Dabei geht esum nichts Geringeres, als das kumulierte Kapital des In-dustriezeitalters für das kommende Informationszeitalternutzbar zu machen. Das ist es, was mit struktureller Re-volution gemeint ist.
Andere Länder sind uns hier schon lange voraus. Dieshaben Sie sträflich verschlafen. Die traditionellen Themen der Union, an die Sie jetztanknüpfen wollen, haben Sie an uns verloren. Haus-halts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sind jetzt Marken-zeichen dieser Regierung.
Wir haben auf diesen Feldern unseren Job gemacht.Noch bevor sich Ihr Phönix – wie immer er auch heißenmag – aus der Asche erhebt, haben wir ihm hier die Flü-gel kräftig gestutzt.
Wir setzen mit unserer Politik eine wirtschaftlicheDynamik in Gang, wie wir sie in unserem Lande schonlange nicht mehr hatten. Schon jetzt scheint es, als wür-den die Wachstums- und Arbeitsmarktprognosen fürdieses Jahr von der Realität positiv überholt werden. Auch das ist übrigens ein wesentlicher Unterschiedzur alten Regierung: Bei Ihnen stand das Wachstum am Beginn eines jeden Jahres im Jahreswirtschafts-bericht, wurde aber bis zum Jahresende nicht erreicht;stattdessen mündete es in immer höhere Arbeitslosen-zahlen. Wir hingegen werden mit unserer Politik der finanziellen Seriosität, der sozialen Fairness und der ökologischen Erneuerung die Arbeitslosenzahlen in unserem Land weiterhin und endlich spürbar senken.Die Steuerreform 2000 ist hierfür ein entscheidenderSchritt.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kol-
legen Hermann Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Der einzig spürbare Beitrag derGrünen zur Steuerpolitik war die Durchsetzung der sogenannten Ökosteuer.
Das kostet die Bürger zunächst 35 Milliarden DM; wennSie weiter in der Regierung sind, wird sich dieser Betragnoch erhöhen. Für diese 35 Milliarden DM, die siezusätzlich zahlen dürfen, sind die Bürger Ihnen Dankschuldig.
In der Debatte um diese Unternehmensteuerreform istes vielleicht doch notwendig, kurz den Blick zurückzu-wenden.
Herr Minister Eichel, auf der Basis dessen, was Sie hiervorlegen – ich beziehe mich auf die Steuersätze und dasEntlastungsvolumen –, wäre 1997 ein Kompromissmöglich gewesen. Aber Sie haben damals jede Möglich-keit zum Kompromiss verhindert und blockiert. Wir ha-ben mindestens drei Jahre für eine Steuerentlastung ver-säumt.
In diesen drei Jahren hätten hunderttausend MenschenArbeitsplätze finden können. Sie haben zu verantworten,dass das nicht gelungen ist. Rezzo Schlauch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8149
Gerade der Kollege Poß und auch andere haben unsimmer wieder entgegnet,
eine Gegenfinanzierung sei nicht zu machen. Sie habendoch noch in den Ohren, was damals abgelaufen ist.
Aber jetzt kommen Sie zu dem Ergebnis: Das geht sehrwohl.
Diese 50 Milliarden DM, die Sie nun dafür aufwendenwollen, übersteigen den Betrag, den wir damals vorge-sehen haben, um diese Steuerreform auf den Weg zubringen. Sie beweisen damit, dass Sie dies damals ein-seitig nur aus politischen Gründen blockiert haben. Dasmuss heute noch einmal gesagt werden.
Jetzt hat Herr Eichel sehr geschickt Köder für dieWirtschaft ausgelegt – aber natürlich nicht für die Wirt-schaft insgesamt, sondern nur für die großen Kapitalge-sellschaften.
Diese sollen nun entlastet werden.
Man hätte es gar nicht anders erwarten können: Diestimmen natürlich öffentlich zu, während der Mit-telstand, der kein geschlossenes Sprachrohr hat, dabeiauf der Strecke bleibt. Eine Steuerreform, die eine vernünftige Entlastungmit sich bringt, ist unterstützenswert. Ist aber die Gestal-tung der Entlastung so ungleichmäßig, dass sie einerSteuerreform, die dem Anspruch, Steuergerechtigkeit zuerzielen, nicht gerecht wird, dann müssen wir sie ableh-nen.
Wie sollte eine Steuerreform aussehen? Das Steuer-system soll einfach und gerecht sein und niedrige Steu-ersätze haben. Das heißt, die Steuerpflichtigen sollengleich behandelt werden. Alle diese Ziele werden ver-letzt. Das will ich an einigen Punkten deutlich machen. Aber eines vorab: Warum müssen wir eine solcheSteuerreform machen? Weil die Bürger das Steuerrechtnicht mehr akzeptieren.
Sie verstehen es nicht. Sie werden überfordert. Sie wei-chen aus, die einen in die Schwarzarbeit, die anderen indie Kapitalflucht. Deswegen muss ein Steuersystem sogestaltet werden, dass es jeder verstehen kann.Das Steuerrecht, was Sie vorschlagen mit Options-möglichkeiten,
bei denen keiner weiß, welche Risiken man dabei ein-geht, mit der Einführung einer Doppelbesteuerung durchdas Halbeinkünfteverfahren und mit einer verfassungs-mäßig riskanten Anrechnung bei der Gewerbesteuer –der Bundesfinanzhof hat gesagt, dass das verfassungs-widrig ist –, führt zu viel mehr Unsicherheit. Der Pla-nungshorizont, gerade für die mittelständischen Unter-nehmen, die die Arbeitsplätze schaffen sollen, ist so un-sicher, dass sie gar nicht wissen, wie sie darauf reagierensollen. Das führt dann zu dem, was man eben geradenicht will, nämlich dass Investitionen zurückgestelltwerden, dass Unsicherheit eintritt und dass nur diejeni-gen, die es sich leisten können, teure Anwälte und Bera-ter zu bezahlen, damit zurechtkommen. Das sind dannwieder die Großunternehmen.Einer der Päpste der Steuerpolitik in Deutschland,Professor Bareis, hat heute in der „Berliner Zeitung“kundgetan – ich zitiere –:Das Steuerrecht wird in Zukunft noch komplizierterund damit ungerechter. Wer Geld für clevere Steu-ergestaltung ausgibt, kommt besser weg. Das warnicht das Ziel der Reform.So Professor Bareis.
Das entscheidende Missverständnis bei Ihren Ansät-zen liegt darin, dass Sie weiter dem Gedanken IhresBundeskanzlers Gerhard Schröder anhängen, dass dieUnternehmen entlastet werden müssen, aber nicht dieUnternehmer.
Das ist die wirtschaftspolitisch dümmste Aussage einesBundeskanzlers seit der Existenz der BundesrepublikDeutschland.
Sie zeigt ein absolutes Missverständnis um die Zu-sammenhänge der Wirkungsweise unserer sozialenMarktwirtschaft. Immer geht die Initiative von Men-schen aus, die sich einsetzen, die ein Risiko eingehen,die ihr Kapital zur Verfügung stellen, die zur Verant-wortung stehen und die auch das Risiko durch ihr Eigen-Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
8150 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
tum und das ihrer Familien tragen. Daraus werden neueArbeitsplätze und neue Unternehmen geschaffen, diedann wachsen. Die Großunternehmen kaufen die kleinen auf, fusio-nieren mit anderen Unternehmen im Ausland, verlagernihre Produktionsstätten oder ihre Sitze ins Ausland. Siesind nicht an das Inland gebunden. Deswegen muss derSchwerpunkt bei den natürlichen Personen ansetzen undnicht bei den anonymen Kapitalgesellschaften. Genaudiesen strategischen Fehler machen Sie bei Ihrer Steuer-reform.
Die Kapitalgesellschaften werden im Übrigen bei derKörperschaftsteuer mit 25 Prozent jetzt deutlich stärkerentlastet. Zusammen mit der Gewerbesteuer kommen siedann auf 37 Prozent. Die Personengesellschaften blei-ben bei 45 Prozent ab 2005. Aber auch sie müssen Ge-werbesteuer bezahlen. Sie werden also deutlich höherbesteuert. Das führt natürlich zu einer echten Benachtei-ligung. Das können wir in den Beratungen noch ändern.Wir sind dazu bereit. Dann kann es auch eine Zustim-mung geben. Wenn dieser fundamentale Fehler nichtausgeglichen wird, wird es jedenfalls dort, wo die F.D.P.mitzureden hat, keine Zustimmung im Bundesrat geben.
Sie wissen selber – man hört das in den Diskus-sionen –, dass das Optionsmodell das nicht vollständigausgleichen kann. Das Optionsmodell hat fundamentaleNachteile – nicht nur dadurch, dass die Bemes-sungsgrundlage für die Erbschaftsteuer steigt, vielleichtbis zum Fünffachen –, sondern auch dadurch, dass diePlanbarkeit, die Nebenwirkungen des Optionsmodellsnicht berechenbar sind, sodass die Unternehmer nichtwissen: Können wir es riskieren? Was passiert denndann? Welche Risiken gehen wir ein? Das aber ist – dassagt der Steuerberaterverband schon heute – nicht hand-habbar. Damit kann man nicht umgehen und das wird zumehr Verunsicherung führen.Die Gewerbesteueranrechnung ist verfassungsbe-denklich.
Das ist auch völlig klar: Es macht keinen Sinn, die Gewerbesteuer auf der einen Seite zu erheben und sieauf der anderen Seite, bei der Einkommensteuer, teil-weise abzugsfähig zu machen.In diesem Punkt, Herr Merz, bin ich enttäuscht vonden Vorschlägen der CDU.
Wir waren in der Koalition viel weiter. Im Koalitions-vertrag 1994 hatten wir die Vereinbarung getroffen, dassdie Gewerbesteuer abgeschafft wird und dass sich dieKommunen über andere Steuerarten finanzieren. Daswäre auch möglich.
Nur wenn Sie die Gewerbesteuer abschaffen, können Sieeine Gleichbehandlung der Besteuerung erreichen. So-lange die Gewerbesteuer existiert, wird dies immer zueiner Benachteiligung der Gewerbebetriebe führen.Wirklich entsetzt hat mich allerdings – das habe icheinem Zeitungsbericht entnommen –, dass Sie, HerrMerz, vorschlagen, die Gewerbesteuer solle den Charak-ter einer kommunalen Unternehmensteuer annehmen.Dabei müssten auch diejenigen, die bisher keine Gewer-besteuer zahlten – beispielsweise die Freiberufler – indie Gewerbesteuer einbezogen werden. Ich glaube, aufder Basis finden auch wir keine Vereinbarung. Die Ein-beziehung der freien Berufe – und dann vermutlich auchder Landwirte – in das System der Gewerbesteuer wirdes mit der F.D.P. jedenfalls nicht geben. Das ist ein völ-lig falscher Vorschlag.
Der einzig richtige, systemkonforme Vorschlag ist dieAbschaffung der Gewerbesteuer.
Noch ein Wort zur Besteuerung der Veräußerungs-gewinne. Herr Eichel hat – das war ja der größte Köderfür die Unternehmen, insbesondere für die Banken undVersicherungen – angeboten, dass Beteiligungen steuer-frei veräußert werden könnten. Die Gewinne verbleibendann ja erst einmal im Unternehmen. Das stärkt dieMacht des Managements, schwächt den Einfluss der Ak-tionäre,
aber führt zu einer einseitigen Begünstigung der Kapi-talgesellschaften gegenüber den Personengesellschaftenund den Einzelkaufleuten. Dagegen haben Sie im letztenJahr, mit dem so genannten Steuerentlastungsgesetz1999, den hälftigen Steuersatz für Personenunternehmenbei Betriebsaufgabe und Betriebsveräußerung abge-schafft; Sie verlangen jetzt den vollen Steuersatz. Diesebeiden Entscheidungen stehen so krass im Widerspruchzueinander, dass wir darüber reden müssen. Das ist überhaupt nicht akzeptabel.
Wir machen den Vorschlag – aber der ist diskussions-fähig –, dass wir für alle Rechtsformen den halbenSteuersatz einführen und dass wir die Grenze für diewesentliche Beteiligung bei 10 Prozent lassen. Bei klei-nen Unternehmen ist 1 Prozent absolut zu wenig; beiGroßunternehmen kann 1 Prozent natürlich sehr vielsein. Aber die Masse sind eben kleine und mittlere Un-ternehmen.
Deshalb müssen wir bei 10 Prozent bleiben.Ich halte auch den Vorschlag der CDU mit der Re-investitionsrücklage für keinen guten Vorschlag. Denndie Investitionen sind dann wieder an bestimmte Krite-rien gebunden; die Gewinnverwendungsfreiheit wirdDr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8151
dadurch ausgehöhlt. Besser wäre es, dies im Wege einesreduzierten Steuersatzes zu regeln. Das ist einfach zuhandhaben und die Wirtschaftsobjekte können je nachihren wirtschaftlichen Interessen damit umgehen.
Für mich ist entscheidend, dass in diesem Steuervor-schlag dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und derGleichbehandlung nicht Rechnung getragen wird. Dasist aber in Anbetracht unseres komplizierten Steuer-rechts das Wichtigste. Deswegen haben wir, die F.D.P.,vorgeschlagen – unser Vorschlag liegt ja seit einem Jahrauf dem Tisch; der Stufentarif schon seit Anfang 1996 –, ein ganz einfaches Steuersystem einzuführen:15 Prozent für Bezieher kleiner Einkommen, 25 Prozentfür Bezieher mittlerer und 35 Prozent für Bezieher grö-ßerer Einkommen, für alle Rechtsformen und für alleEinkunftsarten – und das ist es! Dann ist eine völligeGleichbehandlung gewährleistet und die vielen kompli-zierten Vorschriften zur Abgrenzung können beseitigtwerden. Das ergibt ein ganz einfaches Steuerrecht.Dann könnten wir das Ziel erreichen, dass jeder, derEinkünfte aus nur einer Quelle bezieht, seine Einkom-mensteuererklärung auf einer Postkarte abschicken kannund innerhalb von zehn Tagen die Reaktion des Finanz-amtes bekommt. Das wäre ein ideales Steuersystem. DieSteuerbürger könnten dann sagen: Okay, das ist einfach,ich verstehe, was jeder bezahlen muss, es ist nicht soviel und das akzeptiere ich. Mit einem solchen Steuerrecht wären wir allen ande-ren Ländern in der Europäischen Union voraus. Das wä-re der Idealfall, den man erreichen kann. Deshalb blei-ben wir dabei: Dieser Vorschlag eines radikal verein-fachten Steuersystems mit drei Steuerstufen für alle Ein-kunftsarten ist das, was wir anstreben sollten. Wir ver-folgen dieses Ziel auch weiterhin. Interessant ist, dassbei einer Umfrage unter tausend mittelständischen Un-ternehmern über die Hälfte gesagt hat: Dieser Dreistu-fentarif der F.D.P. wäre das Beste, was sie sich vorstel-len könnten. Das heißt, wir haben mit diesem Modell be-reits eine hohe Akzeptanz und Zustimmung erreicht undwerden weiter dafür werben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Ich finde, Herr Solms, dass Sie HerrnRezzo Schlauch insofern Unrecht getan haben, als dertheoretische Ansatz seiner Rede einem Bewerbungs-schreiben an die F.D.P. glich. Ich habe sozusagen dengesamten Neoliberalismus herausgehört,
wenn es auch in Details, insbesondere bei der Ökosteu-er, Differenzen geben mag. Im Kern geht es um die Frage der Verbindung vonSteuern, Wirtschaft und Arbeitsplätzen. Ich habe in dergestrigen Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht ge-hört, dass sich die Bundesregierung dafür lobt, dass dieArbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr niedrigersind. Es ist wichtig, in solchen Punkten die Wahrheit zusagen. Das Entscheidende ist nämlich, dass wir heutenicht mehr Arbeitsplätze haben als vor einem Jahr. DieZahlen sind nur deshalb niedriger, weil die aus dem Ar-beitsleben ausscheidenden Jahrgänge stärker sind als diein den Arbeitsmarkt eintretenden geburtenschwachenJahrgänge. Diese Wahrheit gehört einfach dazu, wennman mit solchen Behauptungen operiert.
– Sie sollten etwas mehr Respekt gegenüber dem dienst-ältesten Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestaghaben.
– Nein, das stimmt nicht. Als ich hier anfing, war Herr Dregger Ihr Fraktionsvorsitzender. Da täuschen Siesich.
– Selbst das stimmt nicht, weil dieses Hohe Haus be-schlossen hat, dass der Gruppenvorsitzende die Rechteeines Fraktionsvorsitzenden hat.
Meine Aussage ist völlig zutreffend. Aber lassen wirdas!
Der Kollege Schwanhold hat für die SPD etwas ge-sagt, was ich sehr bedenkenswert finde. Er hat erklärt,soziale Gerechtigkeit stelle man nicht dadurch her, dassman umverteile, sondern dadurch, dass man den Zugangauf den ersten Arbeitsmarkt erleichtere. Das bekam auchviel Zustimmung aus den Reihen der CDU/CSU. Wenndie SPD wirklich die Position vertritt, an der Umvertei-lung, das heißt an der Art der Verteilung müsse sich inder Bundesrepublik nichts mehr ändern, kann ich nursagen: Dann allerdings gute Nacht, SPD! Sie wollendoch nicht im Ernst behaupten, dass die Verteilung indieser Gesellschaft gerecht ist.
Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
8152 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Wir erleben fast täglich, dass ein unfähiger Vor-standsvorsitzender, der einen Konzern ruiniert hat, ent-lassen werden muss und noch 2 Millionen DM nachge-worfen bekommt, während auf der anderen Seite dieDurchschnittsrente der Frauen in den alten Bundeslän-dern 860 DM beträgt. Da behaupten Sie im Ernst, es seikeine Umverteilung mehr erforderlich und der gegen-wärtige Zustand sei gerecht! Das halte ich für ein Ar-mutszeugnis für die Sozialdemokratie, weil es bedeutet,dass sowohl Armut als auch Reichtum festgeschriebenwerden.
Wenn sich sowohl SPD als auch Grüne ständig dafür lo-ben, dass sie von Herrn Henkel gelobt werden, solltenbeide einmal darüber nachdenken, was dessen Zufrie-denheit mit Ihnen bedeutet. Ich glaube, dass hängt mitsolchen Ansichten zusammen. Die Umverteilung von unten nach oben setzt sichfort. Ich will dafür ein Beispiel nennen: Herr Eichel er-klärt hier stolz, die Regierung werde bis zum Jahr 2005Steuerentlastungen von über 70 Milliarden DM realisie-ren. Erinnern Sie sich noch, was Sie im Herbst letztenJahres erklärt haben, als es um die Frage der Nettolohn-anpassung bei Rente, Arbeitslosengeld und Sozialhilfeging, als es darum ging, dass für Arbeitslose künftigniedrigere Beiträge in die gesetzliche Rentenversiche-rung gezahlt werden sollten, sodass viele in Altersarmutenden würden? Können Sie sich daran erinnern, dass Sieerklärt haben, diese Einsparung sei „alternativlos“?Ich sage Ihnen: Diese gesamte Einsparung bringt 10 Milliarden DM. Dies bedeutet: Hätten wir auf diesemGebiet mehr soziale Gerechtigkeit durch Nettolohnan-passung und höhere Beitragszahlungen für die Arbeits-losen in die Rentenversicherung gewährleistet, hätte Siedas in den Jahren 2000 und 2001 10 Milliarden DM ge-kostet. Wenn Sie wirklich in der Lage sind, Steuerge-schenke von 73 Milliarden DM zu machen, dann hättenSie eben auf 10 Milliarden DM verzichtet und dafürnicht die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosenund die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeemp-fänger geschröpft.
Denn hinzu kommt doch noch eines: Diese Steuerent-lastungen wirken sich genau für diese drei Gruppennicht aus. Sie sind ja nicht steuerpflichtig. Das heißt,Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfängerinnen undSozialhilfeempfänger zahlen nur zu – zum Ersten durchdie geringe Anpassung, aber zum Zweiten auch durchdie Ökosteuer und viele andere Momente. Das ist ebendie Umverteilung von unten nach oben. Natürlich gibt es auch positive Momente bei derSteuerreform. Ich nenne einmal die Erhöhung des Exis-tenzminimums, obwohl weit unter dem, was SPD undGrüne hier beantragt haben, als sie noch in der Opposi-tion waren.
– Das ist wahr. Sehen Sie es sich einmal an: Sie habendas heutige Existenzminimum von 14 000 DM schon für1998 beantragt. Sie haben aber heute eine ganz anderePreisstruktur. Die Grünen wollten für 1999 schon einExistenzminimum von 15 000 DM; da sind wir nochlange nicht.
Es ist auch positiv, dass der Eingangssteuersatz ge-senkt werden soll.
– Passen Sie auf. Ich sage ja, das geht in Ordnung. AberSie haben natürlich auch Probleme damit. Wissen Sieauch, weshalb? – Weil Sie immer so tun, als ob sich dasnur für die Geringverdienenden auswirken würde. Siewissen ganz genau, dass es sich, wenn Sie das Exis-tenzminimum erhöhen, wenn Sie den Eingangssteuer-satz senken, auch für die Besser- und Bestverdienendenauswirkt –
auch für die Bundestagsabgeordneten.
– Nein. Dagegen ist deshalb nichts zu sagen, weil jeder,der die Verantwortung trüge, es nicht anders machenkönnte. Wenn man das Existenzminimum erhöht undden Eingangssteuersatz senkt, dann gilt das für alle. Daswerfe ich Ihnen deshalb überhaupt nicht vor. Ich werfe Ihnen nur vor, dass Sie gleichzeitig auchnoch den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer sen-ken, weil das nämlich bedeutet, dass die Besser- undBestverdienenden gleich dreimal entlastet werden: durchdie Erhöhung des Existenzminimums, durch die Sen-kung des Eingangssteuersatzes und durch die Senkungdes Spitzensteuersatzes. Letzteres wirkt sich eben für dienormalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über-haupt nicht aus.
All das muss ja bezahlt werden. Ich sage Ihnen, daslassen Sie letztlich – das war die Auseinandersetzungdes Herbstes – von Rentnern und auch von Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern und von anderen bezahlen.
Die Ökosteuer, die Sie völlig unsozial gestaltet haben,müssen ja all diese Leute bezahlen, und zwar direktdurch höhere Benzinpreise, höhere Energiepreise, hö-here HeizkostenDr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8153
und indirekt, indem auch noch die Fahrpreise erhöhtwerden. Soweit Unternehmen herangezogen werden, le-gen sie natürlich diese höheren Steuern auf die Preiseum. Insofern zahlen das dann auch wieder die Verbrau-cherinnen und Verbraucher. Netto wirklich entlastetwerden nur die Besser- und Bestverdienenden.
Nun zum Steuerrecht. Erstens machen Sie es durchIhr Anrechnungsverfahren und Ihre Optionsmodellewirklich komplizierter.
Von einer Vereinfachung, die Sie einmal vorhatten,kann überhaupt keine Rede sein. Lassen Sie uns zweitens doch einmal über die Fragediskutieren, ob es richtig ist, einbehaltenen Gewinnviel weniger zu besteuern als ausgeschütteten Gewinn.Zum Ersten zu der Philosophie, die dahinter steckt. Da-hinter steckt doch die Annahme, ausgeschütteter Gewinnwird konsumiert, einbehaltener Gewinn wird investiert.Das ist deshalb bemerkenswert, weil die SPD ja bisherimmer die Theorie vertreten hat, dass man die Kaufkraftstärken muss. Wenn Sie jetzt aber sagen, dass Sie denKonsum stärker bestrafen, als der Gewinn besteuertwird, der im Unternehmen bleibt, dann geben Sie ersteinmal Ihre Kaufkrafttheorie auf. Von einem gleichwer-tigen Verhältnis von Angebot und Kaufkraft kann keineRede mehr sein. Zum Zweiten unterstellen Sie einfach etwas. Sie un-terstellen nämlich, Herr Minister Eichel, dass im Unter-nehmen bleibende Gewinne investiert werden. Woherwissen Sie denn das? Das kann genauso gut ins Auslandgehen. Damit kann man spekulieren, damit kann man ra-tionalisieren, also auch Arbeitsplätze abschaffen. Damitkann man zum Beispiel Fusionen bezahlen. Insofern istdas eine sehr offene Rechnung, die Sie da machen. Wenn überhaupt, dann hätten Sie sagen müssen, dassSie einbehaltene Gewinne, die tatsächlich für Investitio-nen eingesetzt werden, günstiger stellen, aber nicht pau-schal alle einbehaltenen Gewinne unabhängig von ihrerVerwendung.
Weiterhin bekommen Sie damit ein verfassungs-rechtliches Problem, und zwar wiederum aus einemganz einfachen Grunde. Wenn Sie sagen: Das, was manfür sich behält, ist weniger zu besteuern als das, wasman ausgibt, dann frage ich Sie: Wie kommen Sie da-rauf, das nur für Unternehmen zu regeln? Dann müssenSie das auch bei den Einkommen und Löhnen so regeln.Dann müssen Sie unterscheiden, ob sich Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer etwas von ihrem Gehalt kau-fen oder ob sie es zur Sparkasse bringen. Dann müssenSie je nachdem die Einkommen unterschiedlich be-steuern, sonst gibt es keine Steuergerechtigkeit mehr.Das wird die Gleichheit vor dem Gesetz verletzen. Da-mit müssen Sie sich auseinander setzen.
Sie behaupten immer, die Betriebsteuer käme auchden kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute.Ich kann das letztlich aufgrund der Komplexität der Ma-terie nicht erkennen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das errei-chen wollen, was Sie behaupten, dann hätten Sie eineprogressive Betriebsteuer bzw. Körperschaftsteuer ein-führen müssen. Das heißt, Sie hätten durchsetzen müs-sen, dass für kleine Gewinne ein wesentlich geringererSteuersatz und für größere Gewinne ein wesentlich hö-herer Steuersatz gilt. Wenn Sie das progressiv gestaltenwürden, dann würden Sie die kleinen und mittelständi-schen Unternehmen tatsächlich entlasten. Genau das ha-ben Sie nicht getan.
Herr Schwanhold hat gestern gesagt, man solle nichtimmer ein Feindbild von großen Konzernen, Versiche-rungen und Banken zeichnen. Darum geht es überhauptnicht. Keiner möchte, dass sie weggehen. Aber wir wol-len, dass sie endlich entsprechend ihrer Leistungsfähig-keit herangezogen werden. Das ist das Entscheidende.Sie gewährleisten genau das nicht, weil Sie die großenKapitalgesellschaften günstiger stellen im Vergleich zuden Bürgerinnen und Bürgern und im Vergleich zu denkleinen und mittelständischen Unternehmen.
– Hören Sie doch einmal zu. – Das sagen Ihnen doch al-le. Ich möchte einen Kommentar aus der „SüddeutschenZeitung“ vom 12. Januar zitieren:Ergänzungsbedarf ergibt sich auch wegen der vonAnfang an verfehlten Grundkonzeption der Reformvon den Kapitalgesellschaften her. Diesevor allem sollen mit niedrigen Steuersätzen be-glückt werden und obendrein Steuerfreiheit für ihreVeräußerungsgewinne erhalten – während etwa dieermäßigten Steuersätze für Veräußerungen einesGewerbebetriebs gerade erst abgeschafft wordensind.Dadurch bringen Sie Ihre Haltung zum Ausdruck, diekleinen Unternehmen deutlich stärker zu belasten unddie großen zu entlasten.
Sie behaupten immer: Das schafft Arbeitsplätze. Ichweise Sie darauf hin: Wir haben gemeinsam in der letz-ten Legislaturperiode die alte Regierung wegen ihresFesthaltens an dieser falschen Theorie kritisiert; dennder Anteil der Einnahmen aus den Unternehmensteuernan den Gesamteinnahmen betrug 1970 24 Prozent. Heu-te beträgt er nur noch 7 Prozent. Ich frage Sie: Wie vieleArbeitsplätze sind denn dadurch tatsächlich entstanden?In Wirklichkeit sind Arbeitsplätze immer nur abgebautDr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
8154 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
worden. Sie haben nun den gleichen Weg wie die alteBundesregierung eingeschlagen. Sie sind genauso zurWirtschaftslobby geworden wie die alte Regierung,
ohne aber innerhalb der Wirtschaft die notwendige Dif-ferenzierung vorzunehmen, die erforderlich wäre, umwirklich Arbeitsplätze zu schaffen. Sie stärken einseitigdie großen Unternehmen zulasten der Rentnerinnen undRentner, der Arbeitslosen, auch der Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer sowie der kleinen und mittelständi-schen Unternehmen; denn irgendeiner wird das Ganzebezahlen müssen.
Wenn Sie den kleinen und mittelständischen Unter-nehmen helfen wollen, dann machen Sie sich doch ein-mal Gedanken über unsere Vorschläge, zum Beispiel ei-nen niedrigeren Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent fürReparaturleistungen, für verordnete Arzneien und fürKinderbekleidung.
Das würde kleinen und mittelständischen Unternehmenhelfen. Dann kann man 6 Prozent auf Luxusgüter drauf-schlagen. Das wäre ein bisschen Umverteilung unddurchaus gerecht.
Sie könnten kleine und mittelständische Unternehmenauch direkt fördern. Sie könnten eine progressive Ge-winnsteuer – für die kleinen und mittelständischen Un-ternehmen wäre das sehr wichtig – einführen. Sie könn-ten endlich dafür sorgen, dass sich der Arbeitgeberanteilan den Zahlungen in die Versicherungssysteme nichtlänger nach der Bruttolohnsumme, sondern endlich nachder Wertschöpfung bemisst. Auch das würde die kleinenund mittelständischen Unternehmen entlasten und würdewesentlich mehr Gerechtigkeit zur Folge haben, weilnämlich die arbeitsintensiven Sektoren in der Wirtschaftentlastet würden und diejenigen, die mit wenigen Ar-beitskräften hohe Gewinne machen, stärker herangezo-gen würden. All das würde zur Schaffung von mehr Ge-rechtigkeit gehören.Wenn Sie ernsthaft Arbeitsmarktpolitik machen wol-len, dann kommen Sie um eine Verkürzung der Arbeits-zeit und um eine Wertschöpfungsabgabe nicht umhin.Sie müssen einen öffentlich geförderten Beschäftigungs-sektor für wichtige Tätigkeiten einführen, die sonst nichterledigt werden und über die man sich Gedanken ma-chen muss, wie sie endlich bezahlt werden können. Siemüssen kleine und mittelständische Unternehmen för-dern und einen wirklichen ökologischen Umbau vor-nehmen und dürfen nicht eine Ökosteuer im Rahmen ei-ner Steuerreform einführen – das wollen wir nicht ver-gessen –, deren ökologische Wirkung Null ist, die sozialextrem ungerecht ist und mit der Sie den Leuten die Ökologie abgewöhnen, statt sie ihnen als Bereiche-rung der Lebensqualität näher zu bringen. Deswegen werden Sie zumindest von uns keine Zu-stimmung zu dieser Steuerreform bekommen.
Aber darauf sind Sie auch nicht angewiesen. Sie befin-den sich ja schon in Kompromissverhandlungen mit derCDU/CSU. Jeder ahnt, was dabei herauskommen wird.
Ich erteile dem Bun-
desminister Hans Eichel das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Lassen Sie mich zunächst sagen: Die Töne, die in derheutigen Debatte angeschlagen werden, sind schon ganzandere als die, die wir noch im vergangenen Herbst imDeutschen Bundestag gehört haben. Dafür bin ich dank-bar; denn sie zeigen, dass wir die Chance haben, imLaufe der ersten Hälfte dieses Jahres zu einem gemein-sam getragenen Ergebnis, jedenfalls was den DeutschenBundestag und den Bundesrat angeht, zu kommen.Noch im Herbst habe ich zu hören bekommen, ichsolle das alles einpacken, ich solle ganz von vorne an-fangen usw. Lassen Sie uns das alles beiseite räumenund sagen: Ja, es hat sich in der Diskussion eine Mengebewegt und wir liegen offenkundig nicht so ganz falsch.Das ist jedenfalls die Überzeugung des ganzen Hauses.
Die heutige Debatte um die in der Tat größte Steuer-entlastung und um die ambitionierteste Steuerreform,die es in Deutschland nach dem Kriege gegeben hat, hateine Vorgeschichte: die letzte Hälfte des vergangenenJahres. Denn ohne einen Einstieg in konsequente Haus-haltsausgabendisziplin, in eine Politik der Konsolidie-rung des Haushaltes, in einen Weg heraus aus derSchuldenfalle auf der einen Seite, ist auf der anderenSeite eine Steuersenkung in großem Umfang, wie wir sievorsehen, überhaupt nicht zu verantworten. Jeder andereWeg führt nur zu immer höheren Vorbelastungen späte-rer Generationen.
Beide Flanken, die Einnahme- und die Ausgabenseiteder Finanzpolitik, müssen wir im Blick behalten und wirmüssen das eine immer mit dem anderen abstimmen. Jenäher die Notwendigkeit rückt zu entscheiden, je mehrdie Finanzminister der Länder, die Kämmerer der Kreiseund Städte rechnen müssen, was das für sie bedeutet,umso klarer und realistischer wird, dass wir den Bürge-rinnen und Bürgern auf der einen Seite nur das in derTasche lassen können, was wir auf der anderen Seite inder Perspektive nicht mehr ausgeben; sonst ist das alleseine unseriöse, nur auf Pump finanzierte Veranstaltung.Dies wollen wir nicht.
Dr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8155
Nicht weil ich Recht haben will, sondern weil wir ge-schaut haben, was möglich ist, bin ich ziemlich sicher:Die von uns vorgeschlagenen Steuerentlastungen sind inder Tat das, was der Gesamtstaat bei äußerster Anstren-gung wirklich schultern kann. Es ist ganz schön, wahr-zunehmen, dass inzwischen auch bei den Finanzminis-tern der CDU die Realität angekommen ist. Der Finanzsenator aus Berlin sagt, er könne das über-haupt nicht. Der Finanzstaatssekretär aus Hessen – demwirtschaftsstärksten Land; davon verstehe ich etwas –sagt, damit sei aber die Grenze der Leistungsfähigkeitdes Landes Hessen erreicht. Der saarländische Minister-präsident sagt mir in einer öffentlichen Debatte, das Ent-lastungsvolumen werde am Schluss wohl näher bei demliegen, was die Bundesregierung vorgeschlagen habe,als bei dem, was CDU und CSU vorschlagen. Der Mannweiß, wovon er redet, seit er Verantwortung für einenHaushalt trägt.
Ich denke, wir kommen da ganz vernünftig zusammen.Ganz leise gesagt: Ich habe eine ziemlich genaueVorstellung davon, wie das Vermittlungsverfahren imSommer läuft und welche Länderfinanzminister untermTisch, wenn keine Kameras dabei sind, die Hand aufhal-ten.
– Natürlich; man muss deshalb aufpassen, dass man kei-ne vollmundigen Erklärungen in die Welt setzt, die miteiner verantwortlichen Politik nicht mehr zu vereinbarensind. Das ist doch das Problem.
Unsere Politik ist sehr ambitioniert. Mit ihr beschrei-ten wir den Weg heraus aus der Schuldenfalle. Die Ziel-setzung lautet, mittelfristig, also jedenfalls bis zum Endeder nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages,zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Vondiesem Weg wollen wir uns – das sollte für uns alle gel-ten – nicht abbringen lassen. Die Steuerreform muss sogestaltet werden, dass das mittelfristige Ziel, aus derSchuldenfalle herauszukommen, nicht gefährdet wird.Beides gilt: heraus aus der Schuldenfalle und Senkungder Steuern- und Abgabenlast insgesamt.Nun, meine Damen und Herren, noch einmal zu IhrenLegenden. Was wir, seitdem wir die Regierungsverant-wortung übernommen haben, hier vorgelegt haben, istganz einfach: Steuerentlastungsgesetz, Familienförde-rungsgesetz und nun das Steuersenkungsgesetz bedeutenzusammen eine Entlastung – es ist immer etwas schwie-rig, hier exakte wissenschaftliche Zahlen vorzulegen,weil ja auch die Wirtschaftssubjekte aufgrund der Steu-ergesetzgebung ihr Verhalten ändern – von rund75 Milliarden DM ab 2005. Das steigt stufenweise an.Zu dem Zeitpunkt entspricht das dann ungefähr1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von diesen75 Milliarden DM kommen rund 55 Milliarden DM vor-zugsweise bei privaten Haushalten mit niedrigen Ein-kommen – auf die anders lautende Legendenbildung vonHerrn Gysi komme ich gleich noch zurück – und knapp20 Milliarden DM bei den Unternehmen an. Diese lan-den fast vollständig bei den kleinen und mittleren Un-ternehmen. In diesem Punkt sind Ihre Ausführungenschlicht unredlich.
Herr Poß hat Sie zu Recht auf das hingewiesen, wasSie vor einem Jahr hier gesagt haben. Wahr ist – das ha-be ich übrigens mit aller Deutlichkeit immer gesagt undnirgendwo versteckt –, dass wir mit dem Steuerentlas-tungsgesetz die großen Unternehmen wie zum Beispieldie Versicherungen und die Energieversorger, in der Tatsteuerlich zusätzlich belastet haben. Ich sage aber dazumit Nachdruck: Wer Rückstellungen in Höhe von72 Milliarden DM für die Entsorgung von Kernkraft-werken gebildet hat, der kann auch 16,7 Milliarden DMan Steuern dafür zahlen. Dabei habe ich kein schlechtesGewissen.
Die ganze Legendenbildung hier ist hoch spannend:Plötzlich reichen sich im Rahmen dieser Legendenbil-dung nämlich CDU/CSU bzw. F.D.P. und PDS die Hän-de. Dabei spielt natürlich jeder sein eigenes Spielchen.Das ist interessant. Ihre Aussagen sind aber nicht wahrund das wird von uns aufgedeckt. Sie werden keineChance haben, damit in der öffentlichen Kommunika-tion zu bestehen.
Auch etwas anderes ist klar: Wir berücksichtigen bei-de Seiten. Was nämlich bei den Privathaushalten an-kommt, das dient in der Tat zunächst zur Stärkung derNachfrageseite. Die einseitige Politik von früher, dieimmer sagte, unser wirtschaftliches Heil liege im Ex-port, ist im Zeichen des europäischen Binnenmarktesfalsch. Mehr als 80 Prozent unserer wirtschaftlichenLeistung wird nämlich im Binnenmarkt erbracht. Europabefindet sich in keiner anderen Lage als die VereinigtenStaaten. Nur etwa 18 Prozent werden auf dem Welt-markt erbracht, bei den Amerikanern noch etwas weni-ger, nämlich etwa 12 bis 13 Prozent. Das heißt, dass wirzuallererst einen funktionierenden Binnenmarkt benö-tigen. Hierfür brauchen wir Nachfrage, und zwar einergroßen Zahl von Menschen, sonst kann der Binnenmarktnicht funktionieren. Das ist ein Argument dafür, warumwir den Schwerpunkt bei der Einkommensteuerentlas-tung auf das untere Ende legen. Das war nie Ihre Lei-denschaft.
Wir setzen das steuerfreie Existenzminimum hoch undden Eingangssteuersatz herunter,
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
8156 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
und zwar um fast 11 Prozent in sechs Jahren, von25,9 Prozent auf 15 Prozent. Sie haben in all der Zeitvorher gerade mal eine Absenkung, mal eine Erhöhungum 3 Prozentpunkte zuwege gebracht.
Das war Ihr Ergebnis, mehr nicht. Wir schaffen11 Prozentpunkte in sechs Jahren.
CSU]: Sie Blockierer! – Bartholomäus Kalb[CDU/CSU]: Sie haben die Bremsklötze nochan Ihren Schuhen!)Auch der berühmte Spitzensteuersatz ist von uns ge-senkt worden. Herr Gysi möchte das gerne verschwei-gen, aber wir haben die Besteuerung nach der Leistungs-fähigkeit wieder hergestellt.
Das hat übrigens – ich will das fairerweise sagen –schon zu Ihrer Zeit begonnen. Wir haben uns ja gemein-sam darauf verständigt, die Sonderabschreibungen fürden Aufbau Ost auslaufen zu lassen. Das ist doch in dervorigen Legislaturperiode gemeinsam beschlossen wor-den. Dagegen sage ich auch nichts. Ich sage nur, dasswir das systematisch mit dem Steuerentlastungsgesetzfortgesetzt haben. Sie sollten wirklich nicht mehr wie imvergangenen Herbst bei der Beratung des Steuerbereini-gungsgesetzes den Versuch machen, die Schlupflöcherwieder aufzumachen, die wir mühsam geschlossen ha-ben.
Daran misst sich nämlich die Glaubwürdigkeit IhrerThese, dass Sie die Basis verbreitern und die Steuersätzesenken wollen. Verehrter Herr Merz und Herr Solms, Sie sollteneinmal konkretisieren, was mit einer einfachen Ein-kommensteuer gemeint ist. Sie sollten endlich einmalzugestehen, dass es die Sonntags-, Feiertags- undNachtzuschläge betrifft und dass insbesondere dieKrankenschwestern und die Busfahrer dafür zahlen,wenn wir den Einkommensteuerspitzensatz weiter sen-ken.
Damit wäre der Redlichkeit der öffentlichen Debatte ge-dient. Ich glaube nicht, dass Ihre Planungen Sinn ma-chen.
Wir haben die Besteuerung nach der Leistungsfähig-keit wieder hergestellt und wir haben auch beim oberenSteuersatz ordentlich gesenkt. Verehrte Damen und Her-ren von der Opposition, die Heldentaten in den16 Jahren Ihrer Regierung sahen so aus: Der Spit-zensteuersatz wurde in 16 Jahren von 56 auf 53 Prozent,also um 3 Prozentpunkte, gesenkt.
Wir wollen ihn innerhalb von sechs Jahren von 53 auf45 Prozent – das sind 8 Prozentpunkte – absenken. An-gesichts dessen muss man sich von Ihnen keine Vorhal-tungen machen lassen.
Ich komme gleich noch einmal auf das Thema Spit-zen- und Eingangssteuersatz bei den Personengesell-schaften zurück. Ich weise aber schon einmal darauf hin,dass Deutschland im Rahmen der Europäischen Unionmit einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent bei der Ein-kommensteuer fast am unteren Ende liegt. Es gibt nochzwei Länder, die einen niedrigeren Spitzensteuersatz ha-ben: Das sind Großbritannien und Portugal. In allen an-deren Ländern der EU liegt der Spitzensteuersatz bei45 Prozent und aufwärts. Angesichts dessen muss mansich wirklich fragen, ob die politische Leidenschaft, dieSie in dieses Thema stecken, noch in irgendeinem ver-nünftigen Verhältnis zu wirtschaftlichen Ergebnissensteht.
Wir haben also eine starke Entlastung bei den unterenEinkommensteuersätzen vorgenommen. Nun aber zur Angebotsseite, zu den Unternehmen. –All diese Vorhaben liegen übrigens im Rahmen dessen,was wir in unserer Koalitionsvereinbarung im Herbst1998 festgeschrieben haben. – Was ist in diesem Zu-sammenhang die erste Aufgabe? Die erste Aufgabe ist,dafür zu sorgen, dass der Investitionsstandort Deutsch-land keine Nachteile hat. Wir sind aus vielen Gründen –wir haben zum Beispiel hervorragend qualifizierte Ar-beitnehmer; wir liegen wissenschaftlich noch immervorne und wir bauen das wieder aus; wir haben einehervorragende Infrastruktur – ein guter Standort. Manmuss darauf achten, dass das Steuersystem im Hinblickauf den Standortwettbewerb, den es natürlich gibt,nicht zu Nachteilen führt. Deswegen müssen wir zuallererst ein wettbewerbsfä-higes Steuerrecht und Steuersystem sowie wettbewerbs-fähige Steuersätze schaffen. Der Nachteil in Deutsch-land ist: eine schmale Bemessungsgrundlage, dort vieleAusnahmetatbestände und auf der schmalen Gewinn-ermittlungsbasis hohe nominale Steuersätze. Das ist Un-sinn. Damit räumen wir auf. Auch an dieser Stelle wirdkritisiert, das sei ein Eingriff in die Abschreibungen.Wir meinen, Basis der Gewinnermittlung sollte sein, dieBemessungsgrundlage ordentlich zu verbreitern und dieSteuersätze herunterzusetzen. Genau das tun wir. Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8157
Im Hinblick auf die Körperschaften ist es wichtig,nicht nur im Vergleich zu Europa richtig vorzugehen,sondern auch im Vergleich zum transatlantischen Bereich. Denn wir haben sehr viele transatlantischeKonzerne im Lande. Zudem ist spannend, wie sich derenInvestitions- und Ausschüttungsverhalten entwickelt.Wenn wir so wie geplant vorgehen, stehen wir sowohlim transatlantischen als auch im europäischen Vergleichgut da. Dann haben wir keine Nachteile mehr aufgrundunseres Unternehmensteuerrechtes. – Das ist die ersteAufgabe.Zweite Aufgabe. Wir müssen alle Barrieren hinsicht-lich des europäischen Binnenmarktes abbauen. Ich binfroh, dass die dogmatische Auseinandersetzung über dasVollanrechnungs- oder das Halbeinkünfteverfahrenweggefallen ist. Jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis:Meine Mitarbeiter haben mir gesagt – das waren ja be-reits die Mitarbeiter von Theo Waigel –, dass die Frage,ob das Vollanrechnungsverfahren europatauglich ge-macht werden kann, schon vor Jahren unter einem ande-ren Bundesfinanzminister geprüft und mit negativemErgebnis beantwortet worden ist. Deswegen gehen wir zum Halbeinkünfteverfahrenüber. Denn die bestehenden Barrieren müssen wegfal-len. Es muss immer wieder gefragt werden: Wie machenwir uns europatauglich und wie stärken wir unsere Posi-tion auf dem europäischen Binnenmarkt?Nun zu den Personengesellschaften. Ihr Vorwurf,dass unsere Reform den Kapitalgesellschaften zugutekomme und gegen die Personengesellschaften gerichtetsei, ist grundfalsch.
Auch Sie wissen das. Sie brauchen nur einmal nachzule-sen, was Herr Hinterdobler, der Hauptgeschäftsführerder Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, dersowohl in der Unternehmensteuerkommission als auchin unserem Beirat für das Handwerk mitgearbeitet hat,dazu gesagt hat. – Herr Merz, nebenbei gesagt, es istvorgesehen, die Ergebnisse unserer Planspiele zu veröf-fentlichen; denn das ganze Verfahren ist transparent.
– Die Ergebnisse sind gerade im Druck. Sie bekommensie. Das ist gar kein Problem. Herr Hinterdobler, der an dieser Studie mitgearbeitethat, hat im Einzelnen dargestellt, dass wir diese Reformfür den Mittelstand und für die Personengesellschaftenmachen. Das kann ich Ihnen im Einzelnen belegen.
Ich rate dazu, dass wir an dieser Stelle nachdenken,wie unsere Position in Europa ist.
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein,ich möchte die Thematik im Zusammenhang darstellen.
Richtig ist, dass wir in Deutschland ungefähr15 Prozent Kapitalgesellschaften und ungefähr85 Prozent Personengesellschaften haben. Dies ist – ichbitte alle, über diesen Punkt nachzudenken – eine Be-sonderheit in Europa. Diese Besonderheit ist in einigenBereichen positiv, sie kann auf die Dauer aber auchproblematisch werden. Ob wir uns auf Dauer mit dieserBesonderheit in Europa behaupten werden, kann manzumindest bezweifeln.Anders, als Sie es darstellen, beinhaltet das Opti-onsmodell – das ist übrigens auch keine deutsche Be-sonderheit; man findet es in Frankreich, in den Vereinig-ten Staaten, in Portugal, in Spanien, in den Niederlandenund in einer Reihe anderer Länder – das Angebot an diePersonengesellschaften, sich wie die Körperschaften be-steuern zu lassen. In diesem Fall treffen auf die Unter-nehmen die Körperschaftsteuersätze zu. Dadurch wirdfür sie das Steuerrecht wesentlich einfacher. Das ist eingroßer Schritt der Vereinfachung.Das Problem ist – das verstehe ich sehr wohl –, dassdie Personengesellschaften zunächst einmal die Schwierig- keit haben, die Frage zu klären, ob sie sich für dieseOptionen entscheiden wollen. Das kann ich verstehen.
– Sie kriegen sie; das habe ich doch gerade gesagt. –Wenn sich die Unternehmen für diese Option entschei-den, dann trifft auf sie ein wesentlich einfacheres Steuer-recht zu.Sie müssen sich einmal in Europa – ich erwähne be-sonders die Niederlande – umschauen. Sie werden dannfeststellen, dass sich selbst die Ein-Personen-Gesell-schaften als Kapitalgesellschaften organisieren. Manmuss diese Tatsache einfach einmal zur Kenntnis neh-men.
– Nein, das will ich gerade nicht.
– Hören Sie einmal zu! Wir eröffnen durch diese Wahl-möglichkeit Chancen. Was ist denn Ihr Begriff vonFreiheit in diesem Lande?
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
8158 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Es ist eine der großartigsten Regelungen, die ich ken-ne: Jetzt haben die Unternehmer die Wahl zwischenzwei Möglichkeiten, die sie vorher nie hatten. Sie kön-nen sich entweder nach dem Einkommensteuerrecht oder nach dem Körperschaftsteuerrecht besteuern lassen.
Und das ist Ihnen, den Advokaten der Wahlfreiheit,wiederum nicht recht. Ich kann das nicht verstehen.
Nun kommen Sie mit Ihrer Rosinenpickerei. Dazuwill ich Ihnen zwei Punkte sagen. Ich nenne in diesemZusammenhang das Beispiel Erbschaftsteuer. Warumgibt es bei den Personengesellschaften das große erb-schaftsteuerliche Privileg? Das gibt es nur aus einemeinzigen Grund. Dieses Privileg wird nämlich aus derSozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 desGrundgesetzes abgeleitet. Der Staat hat danach seineSteuergesetzgebung ausgerichtet. Wenn nämlich der Un-ternehmer als Eigentümer seinem Sohn oder seinerTochter das Unternehmen vererbt, dann könnte einZugriff der Erbschaftsteuer nicht nur zu einem Problemfür Sohn oder Tochter als neue Eigentümer werden,sondern auch zu einem Problem für den Betrieb werdenund zu einer Gefährdung der Arbeitsplätze führen.
Deshalb gibt es dieses erbschaftsteuerliche Privileg.
Im Fall der Kapitalgesellschaft handelt es sich aberum zwei getrennte Vorgänge. Weil in diesem Fall derUnternehmer zu der einen und der Eigentümer zu deranderen Sphäre gehört, ist eine Vererbung innerhalb derSphäre der Eigentümer ohne jeden Belang für die Sphä-re der Unternehmer.
Es verändert sich vielleicht die Eigentümerstruktur.Wenn bei einem Aktionär der Erbschaftsfall eintritt,dann ist diese erbschaftsteuerliche Regelung ohne jedenBelang, weil bei den Kapitalgesellschaften eine Tren-nung zwischen Eigentümer und Unternehmer vorliegt.Bereden Sie einmal mit Ihren Finanzministern der Län-der, was passiert, wenn auch dieser Fall erbschaftsteuer-lich privilegiert würde! Dann gäbe es keine Basis für dieErbschaftsteuer mehr.
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, in
diesem Fall gerne.
Herr Bundesfinanzmi-
nister, ich finde, da Sie etwas im Hinblick auf das Erb-
schaftsteuergesetz dargelegt haben, ist es an dieser
Stelle wichtig, zwei Sachfragen zu klären.
Erstens. Ist es richtig, dass Sie davon ausgehen, dass
nur Personengesellschaften vererbt werden und dass
Kapitalgesellschaften unabhängig von der Struktur der
Eigentümer nicht vererbt werden?
Zweitens. Ist es dann richtig, dass eine Personenge-
sellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz optiert,
praktisch ohne Eigentümer dasteht, die an die nachfol-
gende Generation vererben können?
Das ist wichtig. Ich finde, das sollte man klären. Sie
haben das gerade so dargestellt, als ob eine Kapitalge-
sellschaft nicht vererbt wird. Wie ist es mit einer Perso-
nengesellschaft, die für das Körperschaftsteuergesetz
optiert und bei der die Generationenfolge ansteht? Fin-
det dabei nach Ihrer Auffassung ein Erbschaftsvorgang
statt oder nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es istdoch ganz einfach. Im Falle der Kapitalgesellschaft wirddas Kapital vererbt und die Eigentümerstruktur ändertsich gegebenenfalls. Für die Bilanz des Unternehmensist das ohne jeden Belang. Dort fällt das gar nicht auf.Deswegen ist auch ein Erbschaftsfall ohne Problem fürdas Unternehmen. – Herr Hauser nickt. Es ist auch rich-tig.
Deswegen gibt es auch keinen Grund für ein erb-schaftsteuerliches Privileg.
– Ja, natürlich. – Deswegen können Sie keine Rosinen-pickerei zulassen. Im Übrigen müssen Sie einmal nach-sehen, wie viele Personengesellschaften als Eigen-tümerunternehmer vererbt werden. Das ist auch einespannende Frage. Wenn Sie mit der Option gleichzeitigauch das erbschaftsteuerliche Privileg vererben, dannstellt sich allerdings die Frage nach der Rechtfertigungdafür, die Vererbung von Aktien noch der Erbschaft-steuer zu unterwerfen. Das ist das Problem.
Infolgedessen wird auf diese Weise die Erbschaftsteuernicht unterhöhlt. Ich bin ganz sicher, dass das die Fi-nanzminister der Länder – auch Ihre – keinen Deut an-ders sehen.
Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8159
Herr Minister, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habeHerrn Merz geantwortet. Nein, jetzt nicht mehr. Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Per-sonengesellschaften. Das Optionsmodell gibt es auch invielen anderen Ländern. Übrigens kann man dann seinGeschäftsführergehalt und Pensionsrückstellungen an-setzen, wie in anderen Ländern auch. Für den, der dasnicht kann oder nicht will, gibt es die pauschalierte An-rechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Nun, meine Damen und Herren, komme ich nocheinmal zum Einkommensteuertarif und zum Eingangs-steuersatz zurück. Zwei Drittel aller Betriebe in Deut-schland haben einen Gewinn von weniger als48 000 DM jährlich und zahlen sowieso keine Körper-schaftsteuer und keine Gewerbeertragsteuer. Diejenigen,die einen Gewinn von 48 000 DM und weniger auswei-sen, sehen alle den Spitzensteuersatz in der Einkommen-steuer nicht einmal von ferne. Diese können Sie nurdurch die Senkung des Eingangssteuersatzes unddurch die Erhöhung des steuerfreien Existenzmini-mums entlasten.
[CDU/CSU]: Und was bringt ihnen die An-rechnung der Gewerbesteuer?Ich wiederhole das: Zwei Drittel aller Unternehmenin Deutschland können Sie nur durch die Senkung desEingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des steu-erfreien Existenzminimums entlasten, wenn Sie sie dennentlasten wollen. Wie lange hat insbesondere die CSU,diese famose Mittelstandspartei gebraucht, bis sie aufunseren Druck hin bereit war, beim Eingangssteuersatzvon 19 Prozent auf 15 Prozent herunterzugehen? Das istIhre Art der Mittelstandspolitik, meine Damen und Her-ren!
Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass auch Frei-berufler für die Körperschaftsteuer optieren können unddamit in dieselbe Situation kommen. Sie betreiben hierFalschmünzerei, die darauf setzt, dass die Leute den Un-terschied zwischen einer Definitivbesteuerung und einerlinear-progressiven Einkommensteuer nicht kennen.Denn die Körperschaft zahlt natürlich, ganz gleich, wiegroß oder wie klein der Gewinn ist, immer ihre25 Prozent plus Gewerbeertragsteuer, 37 Prozent oder38 Prozent definitiv. Bei der linear-progressiven Ein-kommensteuer kommen Sie, wenn Sie die 45 Prozenterreichen, vielleicht gerade auf eine Durchschnittsbe-steuerung, auf eine Definitivbesteuerung, von27 Prozent bis 28 Prozent. Die 38 Prozent der Körper-schaft erreichen Sie bei der Einkommensteuer nach un-serem Tarifverlauf dann, wenn Sie als Alleinstehendermindestens 200 000 DM und als Verheirateter mindes-tens 400 000 DM zu versteuerndes Einkommen haben.Die Freibeträge kommen dann auch noch hinzu.
Darum kämpfen Sie. Das hat nichts mit einer Unter-nehmensteuerreform zu tun. Das hat nichts mit den 1,7 Millionen kleinen und mittleren Betrieben inDeutschland, nichts mit dem Handelsvertreter, nichtsmit dem Frisörmeister, nichts mit dem Handwerksmeis-ter mit zwei oder drei Gesellen zu tun. Die sehen denSpitzensteuersatz nicht einmal von ferne. Deswegen ma-chen wir die Unternehmensteuerreform für die kleinenund mittleren Betriebe.
Meine Damen und Herren, wir verbessern in der Tatdas Steuersystem, indem wir den unsinnigen Unter-schied, dass ausgeschüttete Gewinne besser behandeltwerden als einbehaltene – das ist Ihre bisherige Syste-matik –, aufheben. Dies führt übrigens auch dazu – dieBundesbank hat uns dies im Monatsbericht vom Oktobervergangenen Jahres im Vergleich zu Frankreich vor-gehalten –, dass die deutschen Unternehmen – im be-sonderen Maße die kleinen und mittleren Betriebe, aberauch die großen – in der Eigenkapitalausstattung deut-lich schlechter sind als die französischen und deutlichstärker insolvenzgefährdet sind. Dies wollen wir beseiti-gen. Wir wollen starke Unternehmen, damit sie in einerKrise durchhalten und nicht bei einer Krise kaputtgehen.
Deswegen tun wir genau das, was die Bundesbank indiesem Punkt nahe legt. Wir schaffen ein ähnliches Sys-tem wie Frankreich. Deswegen ist das ein guter Weg.Es ist übrigens ein Weg – deswegen dürfen Sie sichüber die Zustimmung der Wirtschaft nicht wundern –,den wir nicht allein entwickelt haben. Die Unterneh-mensteuerreformkommission, die im Dezember 1998eingesetzt worden ist,
wurde von Herrn Kühn geleitet. Das ist der Steuerexper-te des Deutschen Industrie- und Handelstages. AlleWirtschaftsverbände und die Gewerkschaften haben ihreSteuerfachleute in der Kommission gehabt. Auch HerrHinterdobler hat dazugehört. Deswegen ist diese Reformabseits der Frage der Steuersätze in der Tat auch aus derPerspektive der Unternehmensverbände gemacht wor-den.
Das Sie das schmerzt, meine Damen und Herren, kannich verstehen. Sie hätten das aber früher bemerken sol-len. Ich sage noch einmal: Dies ist eine Steuerreform, diewir nur angehen konnten, weil wir konsequent den Ein-
Metadaten/Kopzeile:
8160 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
stieg in die Konsolidierung des Haushaltes und den Wegaus der Schuldenfalle gegangen sind. Wir können es uns nur deswegen leisten, in dem be-ginnenden Aufschwung ein deutliches Zeichen für einenstärkeren Aufschwung zu setzen, weil wir die große Net-toentlastung des Steuerentlastungsgesetzes von 2002 auf2001 vorziehen. Damit der Aufschwung, soweit dieSteuerpolitik Beiträge leisten kann, ein lang anhaltenderwird, setzen wir etwas dahinter: Weil es mit dem Ziel,aus der Schuldenfalle herauszukommen, vereinbar ist,gibt es weitere Steuerentlastungen bei der Einkommen-steuer bis zu den 15 Prozent unten und 45 Prozent oben. Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich, dassdies ein sehr offenes Verfahren wird. Wir haben dassorgfältig vorbereitet. Die Reaktionen der Wirtschaftzeigen es auch. Sie machen Ihnen die Totalopposition,die Sie im vergangenen Herbst noch angekündigt hatten,unmöglich, weil Sie genau wissen, dass dies auch indem Bereich, der Ihnen politisch nahe steht, als einevernünftige Reform angesehen wird, an der die Unter-nehmensverbände genauso wie der Steuerexperte desDeutschen Gewerkschaftsbundes mitgearbeitet haben.
Es ist richtig, eine Steuerpolitik so vorzubereiten,weil wir Transparenz wollen und weil wir mit den Un-ternehmen, ebenso wie mit den Bürgerinnen und Bür-gern, über die Höhe der Besteuerung immer fechtenwerden. Aber wir müssen nicht um das System fechten.Deswegen war es vernünftig, sie dabei zu haben. Deswegen sage ich: Ich begrüße die Töne heute, diesehr differenziert waren, auch wenn sie nicht mit allenPunkten Einverständnis signalisierten. Ich sage ganzausdrücklich – auch wenn wir es sorgfältig vorbereitethaben –: Wenn es Vorschläge gibt, die uns wieder in dieGefahr eine Steuersenkung auf Pump führen, so werdenwir das auf keinen Fall mitmachen. Das kann niemandvernünftigerweise mitmachen.
Wir sind natürlich bereit, über alle Einzelheiten zureden. Warum soll es nicht jemanden geben, der trotz al-ler sorgfältigen Vorberatung mit den Experten der Ver-bände noch fragt: Habt ihr an der einen oder anderenStelle noch eine bessere Lösung? Deswegen reden wir darüber. Das Ziel muss sein, im In-teresse unseres Landes vor der Sommerpause zum Ab-schluss zu kommen. Ich denke, dieses Ziel ist erreichbar.Das ist für Deutschland gut, weil es uns hilft, von einemder hinteren Plätze bei der Wirtschaftsentwicklung inEuropa ganz weit nach vorne zu kommen, wo wir hin-gehören. Die Großen müssen vorne stehen.Das ist ein Weg, der genau zu dem führt, wofür wirangetreten sind. Denn dann wird die Arbeitslosigkeit imLande – der Prozess hat ja schon begonnen – nachhaltigabgebaut sein. Das wollen wir erreichen.Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Barbara Höll, PDS-
Fraktion, das Wort.
Herr Minister Eichel, Siehaben der PDS Legendenbildung vorgeworfen, insbe-sondere im Hinblick auf die Einschätzung des unter-schiedlichen Entlastungsvolumens für die Bezieherunterer und hoher Einkommen.
Nimmt man nicht nur die prozentualen Anteile an denEntlastungen seit 1999, sondern schaut man sich den In-halt an, dann erkennt man, dass 1999 noch 80 Prozentder Gesamtentlastung auf die Bezieher unterer und mitt-lerer Einkommen entfällt und dass sich das in den Jahren2001 und 2002 ändert. Das bedeutet, dass am Ende ihrer Steuerentlastungs-politik etwas herauskommt, was Ihnen doch sehr zudenken geben sollte. Bereits im Jahre 2002 entfällt dasHauptentlastungsvolumen zu einem sehr viel höherenProzentsatz – verglichen mit dem, was Sie vorher ma-chen – auf die oberen Einkommensgruppen. Rechnetman das einmal pro Kopf der Bevölkerung um, so heißtdas für das Ende Ihrer Steuerentlastungspolitik im Jahre2005: Auf die wenigen Prozent der Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen entfällt eine Entlastung von8 734 DM pro Person, während die Entlastung für Be-zieher mit niedrigem Einkommen nur 1 478 DM beträgt.Sie können nun wirklich nicht behaupten, dass das nochin einem vernünftigen Verhältnis steht. Das ist ganz ein-deutig eine viel stärkere Entlastung hoher Einkommen.
Sie haben Ihre Rede damit beendet, das Sie gesagthaben, insbesondere durch die steuerliche Besserstellungeinbehaltener Gewinne würden Arbeitsplätze entstehen.Sie haben aber überhaupt keine Vorsorge getroffen.Während Sie im Unternehmensbereich bei der Gewinn-verwendung zumindest im Hinblick auf die einbehalte-nen Gewinne das Prinzip der Neutralität aufrechterhal-ten, sehen Sie das bei der Entlastung der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer nicht so. Am Wochenende ha-ben Sie nämlich eine Zwangsabgabe für eine privateRente vorgeschlagen. Wenn die Bezieher sehr hoherEinkommen nun auch noch überproportional steuerlichentlastet werden, warum schlagen Sie dann nicht endlicheinmal vor, dass sie zwangsweise in die gesetzliche Ren-tenversicherung einzahlen? Denn dann käme wirklicheinmal etwas heraus, was uns hilft. Das, was die Regie-rung den Menschen mit einem sehr hohen Einkommenschenken und erlassen will, würde dann sinnvoll ver-wendet. Wenn Sie es schon für die einen machen wol-len, dann machen Sie es doch bitte für alle!Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8161
Zu einer
weiteren Kurzintervention hat sich der Kollege Ernst
Hinsken gemeldet. Herr Minister ich schlage vor, dass
Sie anschließend auf beide eingehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einver-
standen.
Herr
Hinsken, bitte schön.
Ich habe mich zu dieser
Kurzintervention gemeldet, weil der Herr Minister mei-
ne Zwischenfrage nicht zuließ.
Herr Minister Eichel, ich erwarte von Ihnen, dass Sie
schön bei der Wahrheit bleiben.
Da Sie Herrn Hinterdobler als „Kronzeugen“ genannt
haben, möchte ich darauf verweisen, dass Herr
Hinterdobler – insgesamt gesehen – nur gesagt hat, die
Richtung stimme.
Aber er hat auch darauf verwiesen, dass das Options-
modell am Handwerk total vorbeigeht. Das haben Sie
unterschlagen. Es gehört mit dazu, dass Sie diesbe-
züglich hier ergänzende Ausführungen machen. Denn
ich meine, wenn viele Fernsehzuschauer diese Debatte
verfolgen, sollten sie auch ordnungsgemäß informiert
werden.
Im Übrigen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen entgan-
gen, dass auch Präsident Philipp vom Zentralverband
des Deutschen Handwerks gesagt hat, dass diese Steuer-
reform den Mittelstand nicht so berücksichtigt, wie es
an und für sich sein sollte?
Wie deuten Sie das, was Kollege Poß vorhin gesagt hat,
nämlich: „Wir werden mit den mittelständischen Ver-
bänden noch Gespräche führen können“? Heißt das: Mit
dem Mittelstand spricht man und den Großen gibt man?
Das kann doch nicht nachvollzogen werden. Das ist
nicht die Politik, die der Mittelstand, insbesondere als
Leistungsträger dieser Gesellschaft braucht.
Herr
Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie ha-
ben gesagt: Mit dem Mittelstand spricht man und den
Großen gibt man. Aber die Steuerreform durch unser
Steuerentlastungsgesetz, die Familienförderung und das
Steuersenkungsgesetz läuft für die Großen praktisch auf
Null hinaus. Für den Mittelstand gibt es eine Entlastung
von 17, 18 Milliarden DM. Das ist es.
Zweitens habe ich nicht behauptet, dass Herr
Hinterdobler mit allen Einzelheiten einverstanden ist.
Sie haben die Generalkritik geäußert, wir machten eine
Steuerreform für die Großen und belasteten den Mit-
telstand. Herr Hinterdobler sagt das genaue Gegenteil.
Das haben Sie eben nicht deutlich gesagt.
Was drittens Herrn Präsidenten Philipp betrifft, so
weiß ich, dass er insbesondere das Thema Spitzensteuer-
satz in der Einkommensteuer behandelt. Ich wüsste ger-
ne, wie viele dem Zentralverband des Deutschen Hand-
werks angehörende Betriebe tatsächlich vom Spitzen-
steuersatz betroffen sind.
Vielleicht kommen wir dann zu einer anderen Debatte.
Ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, dass zwei
Drittel aller Unternehmen in Deutschland – das ist eine
Vielzahl von Kleinbetrieben, die in Wahrheit in keiner
anderen Situation sind als sehr viele Arbeitnehmer
auch – nur durch die Gestaltung des Eingangssteuersat-
zes und des Existenzminimums entlastet werden können.
Der Fehler gerade der CDU/CSU war, diesen Sachver-
halt nicht erkannt zu haben, sondern sich erst dazu ha-
ben zwingen lassen zu müssen.
Was die Zwischenfrage von Frau Dr. Höll angeht, sa-
ge ich: Jeder hat nur seine selektive Auswahl von Fak-
ten. Sie unterschlagen schlicht, was wir im Steuerentlas-
tungsgesetz getan haben, um hohe Einkommen wieder
zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit heranzu-
ziehen. Das unterschlagen Sie. Es kommt bilanziell ge-
nau das heraus, was ich eben vorgetragen habe. Aber je-
der macht eben seine Propaganda mit Halbwahrheiten.
Ich sage Ihnen nur: Wir werden unsere Wahrheiten
dagegen durchsetzen. Sie werden keine Chance haben,
das öffentlich klar zu machen.
DasWort hat jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt von derCDU/CSU-Fraktion.Dr. Barbara Höll
Metadaten/Kopzeile:
8162 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Wenn es nach den Verspre-chungen der Regierung gegangen wäre, dann würdenwir heute nicht über einen Entwurf diskutieren, sonderndann hätten wir schon seit dem 1. Januar 2000 eine Un-ternehmensteuerreform,
und zwar mit Sätzen von 35 Prozent inklusive Gewerbe-steuer.
Dass daraus nichts geworden ist und wir erst heutedarüber diskutieren, ist nicht auf uns zurückzuführen,sondern liegt an Ihnen.
– Sie haben doch nicht einmal etwas vorgelegt, HerrStiegler, da kann man doch gar nicht von Kompromiss-losigkeit sprechen!
Wenn es nach uns gegangen wäre – auch darauf mussnoch hingewiesen werden –, dann hätten wir schon seitmehr als zwei Jahren eine deutliche Entlastung allerSteuerzahler, und zwar eine so große Entlastung, dassauch eine entsprechende Impulswirkung auf Wirtschaftund Arbeitsmarkt zu verzeichnen gewesen wäre.
Dass daraus nichts geworden ist, haben wir ebenfallsnicht zu verantworten, sondern auch das liegt wiederumbei Ihnen.
Das, lieber Herr Finanzminister, gehört zur Vorge-schichte, genauso wie dazugehört, dass in den vergange-nen Jahren nicht eine Entlastung, sondern eine Belas-tung eingetreten ist,
nicht nur wegen der Ökosteuer, sondern auch wegen derVerbreiterung der Bemessungsgrundlage in weiten Be-reichen, weshalb Sie diese Unternehmensteuerreformversprochen haben, die Sie erst jetzt umzusetzen versu-chen.
Nun sind wir ja froh, dass überhaupt ein Entwurf vor-liegt.
Richtig ist auch, dass wir uns jetzt intensiv über denrichtigen Weg streiten sollten. Die größte Schwachstel-le – das ist in der heutigen Diskussion bereits zum Aus-druck gekommen – ist die Schieflastigkeit zugunstender Großaktionäre und zulasten der Kleinaktionäre,
die Schieflastigkeit zugunsten der Großbetriebe, dergroßen Unternehmen, der Kapitalgesellschaften und zu-lasten der kleinen und mittelständischen Unternehmen,eine Schieflastigkeit aber auch in Bezug auf Sparer undUnternehmen. Denn das, was im Unternehmen gespartwird, wird bevorzugt, während das, was privat gespartwird, benachteiligt wird.
Herr Minister, wenn Sie vorhin gesagt haben, dassHandwerksvertreter etwa Herr Hinterdobler und andere,das grundsätzlich begrüßen, dann möchte ich schon da-rauf hinweisen, dass hier immer wieder ein enormerVerbesserungsbedarf angemahnt wird. Dabei geht esnicht nur um den Spitzensteuersatz, sondern um den ge-samten Tarifverlauf,
beispielsweise auch darum, wann der Spitzensteuersatztatsächlich gezahlt werden muss. Sie bleiben ja nichteinmal beim jetzigen Stand, sondern gehen noch herun-ter. Das heißt, schon bei einem Einkommen von98 000 DM muss der Spitzensteuersatz, der im nächstenJahr noch 48,5 Prozent beträgt und erst im Jahr 2005 auf45 Prozent abgesenkt wird, gezahlt werden. Dies führtdazu, dass die Kurve noch steiler wird
und dass nicht nur diejenigen, deren Einkommen überdem Spitzensteuersatz liegt, sondern auch alle, die da-runter liegen, mehr belastet werden. Dies zu vermeidenist ein wesentliches Anliegen des Mittelstandes.
Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von denRegierungsfraktionen, wird der Unternehmensstrukturin unserem Lande auch nicht gerecht. 85 Prozent unsererUnternehmen sind als Personengesellschaften organi-siert, ein Großteil als Einzelunternehmen. Diese Unter-nehmen stellen den Großteil der Arbeits- und Ausbil-dungsplätze. Sie sind von der Einkommensteuer betrof-fen. Eine Unternehmensteuerreform, die diesen Namenwirklich verdient und eine Entlastung der Unternehmenmit sich bringen soll, kann an diesen 85 Prozent nichtvorbeigehen. Sie müssen vielmehr in den Mittelpunktgestellt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8163
Sie machen genau das Gegenteil: Sie lösen den Zu-sammenhang zwischen Einkommensteuer und Körper-schaftsteuer auf und begünstigen einseitig die großenUnternehmen und die Kapitalgesellschaften.
– Natürlich, die kleinen und mittleren Unternehmen, dieLandwirte, die Freiberufler werden bei Ihnen nur ganzgeringfügig und sehr spät über den Einkommensteuerta-rif entlastet, während die Kapitalgesellschaften schon imersten Jahr mit 25 Prozent einen deutlich niedrigerenSteuersatz für die einbehaltenen Gewinne haben.
Es leugnet niemand, dass ein Strukturwandel in derWirtschaft notwendig ist und dass man über geeigneteMaßnahmen nachdenken muss. Nach Ihrem Vorhabenaber sieht die Situation künftig folgendermaßen aus:Wenn eine Kapitalgesellschaft Anteile an einer Kapi-talgesellschaft verkauft, sind die Erlöse daraus steuer-frei. Wenn eine Personengesellschaft oder eine Privat-person Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft,wird nach dem so genannten Halbeinkünfteverfahren dieHälfte der Einkünfte mit dem vollen Steuersatz belegt.Wenn ein Personenunternehmer, zum Beispiel einHandwerker, sein Unternehmen verkauft bzw. abgibtoder wenn ein Gesellschafter Anteile einer Personenge-sellschaft verkauft, gilt weder die Steuerfreiheit noch diehälftige Besteuerung, sondern die volle Besteuerung.
Da kann man doch nicht davon reden, dass vergleichba-re Sachverhalte steuerlich gleich behandelt werden.
– Genau, das liegt am System. Deshalb ist schon dasSystem falsch.
Sie können vergleichbare Sachverhalte nicht unter-schiedlich besteuern.
Ich möchte dazu den Präsidenten des DeutschenSteuerberaterverbandes, Herrn Pinne, zitieren: Pinne kritisierte, „der Mittelständler muss alles ver-steuern und die großen Kapitalgesellschaften kön-nen steuerfrei umstrukturieren, das ist eine eindeu-tige Begünstigung der Großindustrie“. Er habe oh-nehin „das Gefühl, dass hier mehr für die internati-onal tätigen Konzerne getan worden ist als für denMittelstand, der ja eigentlich die Säule unsererWirtschaft ist“ ...Meine Damen und Herren, wo er Recht hat, hat erRecht. Dies trifft den Kern der Sache.
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auch verankert,dass die Personenunternehmen optieren können. Siekönnen wählen, wie ein Personenunternehmen mit derEinkommensteuer belegt zu werden oder wie eine Kapi-talgesellschaft mit der niedrigeren Körperschaftsteuer.Allein die Tatsache, dass Sie diese Optionsmöglichkeitverankern, macht schon deutlich, dass Sie selbst zu-gestehen, dass hier eine Ungleichbehandlung besteht.Sähen Sie diese Ungleichbehandlung nicht, würden Siediese „Krücke“ nicht einbauen. Nun sind die 25 Prozent Körperschaftsteuer ja sehrverlockend, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zurganzen Wahrheit gehört, dass mit dieser Opti-onsmöglichkeit eine Fülle von zusätzlichen Komplizie-rungen verbunden ist. Das Steuerrecht wird also nichteinfacher, sondern weit komplizierter. Wir werden in diegleiche Situation kommen wie beim Steuerentlastungs-gesetz. Dieses Gesetz ist zwar bereits seit einem Jahr inKraft, aber zu wichtigen Punkten sind noch immer Gerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
8164 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
keine Durchführungsanweisungen vorhanden, weil dieseschlicht nicht machbar sind. Es gibt also keine Vereinfa-chung, sondern zusätzliche Komplizierungen. Zudem isteine Fülle von Fallen enthalten. Die Unternehmen gehenein kostspieliges Risiko ein, letztlich die Gefahr einerwirtschaftlichen Geisterfahrt, wenn Sie so wollen.
Ich will einige Beispiele ansprechen: Es wird immerverschwiegen, dass, wenn es um eine Personengesell-schaft geht, alle Gesellschafter einstimmig entscheidenmüssen, auch wenn die individuelle Situation der Ge-sellschafter sehr unterschiedlich ist, was in der Regel derFall ist. Gelegentlich wird auch verschwiegen, dass fürdiejenigen, die optieren und zurzeit noch keine Gewer-besteuer zahlen, die Gewerbesteuerpflicht hinzukommt,beispielsweise bei den Landwirten und den Freiberuf-lern. Verschwiegen wird auch, dass zwei Bilanzen er-stellt werden müssen: eine Handels- und eine Steuerbi-lanz. Nun kann man sagen: Gut, das macht vielleicht einbisschen mehr Arbeit. Dass dies aber für den Betriebnicht nur mehr Arbeit, mehr Aufwand bedeutet, sondernauch mehr Kosten verursacht, muss bei dieser Gelegen-heit einmal erwähnt werden.
Sind in einer Personengesellschaft bzw. einem Perso-nenunternehmen Immobilien vorhanden, die betrieblichgenutzt werden – das ist sehr häufig der Fall –, kommthinzu, dass bei der Option das Sonderbetriebsvermögenals entnommen gilt und der daraus entstehende Gewinnversteuert werden muss. Das ist eine zusätzliche Besteu-erung, die bei vielen Betrieben einen sehr großen Betragausmacht, weil eben die betriebliche Nutzung vonGrundstücken, gerade auch von Immobilien, bei Perso-nenunternehmen sehr häufig vorkommt.Wenn nun nach einigen Jahren wieder zurückoptiertwird, das heißt, wenn das Unternehmen ertragsschwä-cher wird – die Option zur Kapitalgesellschaft rentiertsich dann nicht mehr so stark –, dann muss der Gewinn,der bis dahin nur mit 25 Prozent versteuert wird, ausge-schüttet und im Halbeinkünfteverfahren nachversteuertwerden. Wenn man berücksichtigt, dass dies gerade zueiner Zeit kommt, in der die Unternehmen ertrags-schwächer sind, eine Phase, in der sie in aller Regel eben nicht so liquide sind, und dass nun die zusätzlicheSteuerlast hinzukommt, dann müssen Sie doch sehen,dass dies eine Falle ist, aus der viele gar nicht mehr he-rauskommen.
Nun zur Erbschaftsteuer. Herr Minister, Sie haben,als Sie dies angesprochen haben, offensichtlich den Ein-druck erweckt, dass Sie dabei etwas geschwommen sindund sich auf Glatteis begeben haben.
Sie haben Recht, dass bei Kapitalgesellschaften die Ge-sellschaft als solche nicht vererbt wird, sondern die An-teile vererbt werden. Aber in diesem Fall der Optionhaben wir es nicht mit einer Kapitalgesellschaft per sezu tun, sondern wir haben es nach wie vor mit einemPersonenunternehmen zu tun, das nur steuerrechtlich sowie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird. Das ist einvöllig anderer Zusammenhang. Das heißt, die Konsequenz, die Sie ziehen, dass indiesen Fällen eine Personengesellschaft wie eine Kapi-talgesellschaft erbschaftsteuerlich zu behandeln ist, istvöllig falsch. Sie kann so nicht gezogen werden. Bei derKapitalgesellschaft wird das Betriebsvermögen völliganders bewertet als bei Personenunternehmen. Die führtdazu, dass die Erbschaftsteuer nicht von einer anonymenGesellschaft, sondern von den verantwortlichen Perso-nen getragen wird. Es besteht nach wie vor die persönli-che Verantwortung in der Personengesellschaft, so dassdie Erbschaftsteuerbelastung dabei nicht nur ein wenighöher wird, sondern etwa das Fünffache betragen wird. Gerade bei ertragstarken Unternehmen, bei denensich die Option vom Steuersatz her lohnen würde, istdies ganz besonders ausgeprägt, weil die Kapitalgesell-schaften im Erbschaftsteuerfall eben nach dem Ertrags-wert bewertet werden. Das heißt, Sie haben bei der Erb-schaftsteuer eine solche zusätzliche Erschwernis für dieOption mit eingebaut, dass es wirklich unglaublich ist. Ich will nur darauf hinweisen, dass sich der Beirat,den Sie mehrfach zitiert haben, bei der Problematik derErbschaftsteuer hinsichtlich der Option nicht umsonsteiner Äußerung enthalten hat. Die Erbschaftsteuerrege-lung, so wie Sie sie jetzt im Gesetz vorsehen, war nichtenthalten.Diese Option ist so ausgestaltet, dass sie als Berateroder als Unternehmer wirklich ein Hellseher sein müs-sen, wenn Sie sich dafür entscheiden. Es ist ein Aben-teuer ohne Kenntnis des Ausgangs. Deshalb kann esnicht empfohlen werden. Daher überrascht es nicht, dass Sie, Frau Scheel, voreinigen Tagen gesagt haben: Es ist mir ziemlich egal -wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie wört-lich „schnurz“ gesagt - wie viele optieren. Sie rechnenmit maximal etwa fünf Prozent. Wenn Sie schon mit sogeringen Zahlen rechnen, wenn Sie selbst schon davonausgehen, dass nur ganz wenige dies in Anspruch neh-men, dann ist doch deutlich, dass Sie das nur als Feigen-blatt und als Alibi haben. Sie haben es nur ins Gesetzaufgenommen, um davon abzulenken, dass Sie für diePersonenunternehmen keine adäquate Regelung gefun-den haben.
Wenn Sie schon sagen, dass es nur ein paar Prozentsein werden, dann will ich nur darauf hinweisen, dassSie eine Art symbolische Gesetzgebung machen. Wasdas für Konsequenzen hat, will ich hier nur am Randeerwähnt haben.
Deshalb haben wir eine völlig andere Alternative.Wir setzen an der gleichmäßigen Besteuerung allerSteuerpflichtigen und an der gleichmäßigen Steuer-Gerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8165
entlastung aller an: der Kapitalgesellschaften genausowie der Personenunternehmen, der kleinen und mittel-ständischen Unternehmen, der freien Berufe, der Land-wirte und der Arbeitnehmer. Auch diese darf man dabeinicht vergessen.
Wir setzen nicht mehr nur am Höchststeuersatz an,sondern am gesamten Tarifverlauf. Bei uns beginnt derHöchststeuersatz von 35 Prozent nicht wie bei Ihnen bei98 000, sondern weiter hinten, nämlich erst bei 110 000DM. Das sehen wir im Übrigen auch schon viel frühervor.Bei der Körperschaftsteuer wollen wir beim An-rechnungsverfahren bleiben, aber auch hier eine deutliche Senkung des Steuersatzes vornehmen, auf30 Prozent bzw. – bei den ausgeschütteten Gewinnen –auf 25 Prozent. Was uns aber ganz besonders wichtig ist,ist die Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften undPersonenunternehmen. Deshalb haben wir den Vor-schlag gemacht – so wie es geschildert wurde –, bei derBesteuerung der Veräußerungsgewinne eine Reinvestiti-onsrücklage einzuführen. Es kann nicht dabei bleiben,dass die Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaftensteuerfrei sind, die Personengesellschaften aber außenvor bleiben.
Mindestens genauso wichtig ist uns die Rücknahmeder Beschlüsse im Steuerentlastungsgesetz, die belas-tend für den Mittelstand wirken. Besonders herausneh-men will ich die Besteuerung bei Veräußerungs- undAbgabegewinnen mit dem halben durchschnittlichenSteuersatz, die Sie abgeschafft haben. Wir wollen, dassdieser halbe durchschnittliche Steuersatz für Personen-unternehmen und Einzelkaufleute wie Handwerker wie-der eingeführt wird und zum Tragen kommt, wenn einBetrieb aufgegeben oder veräußert wird.
Wir müssen uns am Schluss die Frage stellen: Waskommt nach den Monaten intensiver Diskussion heraus?Wir stehen jetzt am Anfang der parlamentarischen Bera-tungen. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden nicht –so wie Sie das gemacht haben – blockieren,
nicht weil der Entwurf so gut wäre, sondern deshalb,
weil wir unserer gesamtpolitischen Verantwortung be-wusst sind. Deshalb werden wir nicht blockieren.
Wir wollen aber keine einseitige Entlastung, sondern ei-ne gleichmäßige Belastung. Wir wollen den zeitlichenRahmen festschreiben und Änderungen in einem Um-fang vorsehen, die tatsächlich zu mehr Impulsen aufdem Arbeitsmarkt führen. Wir wollen weiter daran ar-beiten, dass das Steuerrecht nicht komplizierter, sonderneinfacher wird.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in dennächsten Monaten diese schwierige Aufgabe gemeinsamangehen, in der Hoffnung, dass wir alle sachlich undkonstruktiv, aber auch kritisch an die Arbeit gehen!
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Hansgeorg Hauser. Sie sollten sagen, auf welchen Bei-
trag die Kurzintervention erfolgt.
Ich möchte eine kurze Anmerkung zu der Rede vonHerrn Minister Eichel machen.Herr Minister, Sie haben gerade von „Halbwahrhei-ten“ gesprochen. In Bezug auf die Erbschaftsteuer ha-ben Sie richtig angemerkt, dass die Anteile an Kapital-gesellschaften die Objekte sind, die der Erbschaftsteuerunterliegen werden. Insofern habe ich zustimmend ge-nickt. Das ist absolut richtig. Diese Anteile werden, wiedas Frau Hasselfeldt sehr deutlich zum Ausdruck ge-bracht hat, in einem Ertragswertverfahren bewertet. Indieses Ertragswertverfahren werden die zukünftigen Er-träge mit einbezogen. Bei einer ertragstarken GmbHwird so selbstverständlich ein hoher Wert entstehen. ImGegensatz dazu werden für die Bemessung der Erb-schaftsteuer bei Personengesellschaften in der Regel nurdie Buchwerte zugrunde gelegt. Dieser Wert ist natür-lich erheblich geringer als der im Ertragswertverfahrenermittelte.Das veranlasst uns zu der Bemerkung – auch die Ex-perten stellen das alle klipp und klar fest –: Die Option,wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden, führtim Falle der Erbschaftsteuer und – das ist für uns nochviel wichtiger, weil es für die vorgezogene Erbfolge, al-so den Generationenwechsel, von Belang ist – bei derSchenkungsteuer zwangsläufig zu erheblichen höherenSteuerwerten als das bei Personengesellschaften norma-lerweise der Fall wäre.Lassen Sie mich noch ganz kurz einen zweiten Punktansprechen, die Frage der Finanzierung. Sie haben ge-sagt, Sie wollten mit der von Ihnen vorgeschlagenen 25-prozentigen Körperschaftsteuer, einer definitiven,end-gültigen Besteuerung.
– Plus Gewerbesteuer, das ist klar –, dazu beitragen,dass die Innenfinanzierung gestärkt wird. Ich glaube,dass Sie mit dieser Entscheidung gegen eine Reihe vonNeutralitätsgeboten verstoßen. Sie verstoßen gegen dieGerda Hasselfeldt
Metadaten/Kopzeile:
8166 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Finanzierungsneutralität. Sonst sagen Sie überall, derKapitalmarkt solle gestärkt werden; denn die Außenfi-nanzierung müsse gleichermaßen berücksichtigt werden.Hier schließen Sie den Kapitalmarkt aus, weil die Ge-winne eingesperrt bleiben, also nicht auf dem Kapital-markt bessere Verwendung finden. Sie verstoßen gegendie Rechtsformneutralität und Sie verstoßen gegen dieGewinnverwendungsneutralität. Das sind ganz typischeMerkmale dieses Reformwerkes.Deswegen sollten Sie das noch einmal überdenken. Ineinigen Punkten sollten wir erheblich andere Ergebnisseerzielen. Positiv ist, dass Sie endlich einsehen, dass wir eineUnternehmensteuerreform mit niedrigeren Sätzen brau-chen. Das hat bei Ihnen im Sommer noch ganz andersgeklungen, als Herr Poß uns die falschen Zahlen von derOECD um die Ohren gehauen hat. Er hat damals gesagt,die Unternehmen würden in Deutschland so günstig be-steuert, dass wir keine Veränderungen brauchten.
Herr
Bundesminister Eichel, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens,
Herr Kollege Hauser: Die niedrigen Sätze stehen in der
Koalitionsvereinbarung dieser Koalition. Insofern sind
Ihre Aussagen schlicht falsch.
Zweitens. Das Neutralitätsgebot hatten Sie im jetzi-
gen Steuerrecht verletzt, weil Sie den ausgeschütteten
Gewinn begünstigten.
Jetzt soll sowohl der einbehaltene als auch der ausge-
schüttete Gewinn für das Unternehmen gleich besteuert
werden. Eine weitere Besteuerung findet im Zeitpunkt
der Ausschüttung beim Aktionär statt. Das ist der Sach-
verhalt.
Das Ergebnis dessen, was wir bisher haben, Herr Kol-
lege Hauser, wird von der Bundesbank analysiert. Sie
hat sich in ihrem Monatsbericht vom Oktober oder No-
vember letzten Jahres, den ich vorhin bereits zitiert ha-
be, damit befasst. Das ist genau das, was Sie an anderer
Stelle zu Recht beklagt haben, nämlich die schmale
Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen, die einen
schweren Nachteil für unsere Wirtschaft darstellt.
Wer sich mit der Entwicklung der Finanzierungskosten
beschäftigt, der weiß, dass wir zurzeit eine harte Ab-
wehrschlacht führen. Ich denke an die Baseler Eigenka-
pitalvereinbarung.
– Das hat mit Rot-Grün nichts zu tun, Herr Thiele. Das
ist das Eindringen anglo-amerikanischer Tendenzen in
unseren Kapitalmarkt. – Das ist eine erhebliche Bedro-
hung der Kosten der Außenfinanzierung unserer Unter-
nehmen. Dies beklagt der Mittelstand zu Recht. Deswe-
gen: Wenn wir ein Stück Vorsorge treffen wollen, sind
wir besser beraten, wenn die deutschen Unternehmen –
ebenso wie die Unternehmen in anderen Ländern – eine
bessere Eigenkapitalbasis haben. Dafür müssen wir auch
steuerliche Akzente setzen. Genau das werden wir tun.
Sie werden sich im Übrigen wundern: Wenn Sie mit den
Vertretern der Wirtschaft reden, werden Sie feststellen,
dass Sie auf verlorenem Posten kämpfen, weil diese die
Dinge anders als Sie sehen.
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Insgesamtkann man übereinstimmend sagen: Heute ist ein schönerTag. Es ist deswegen ein schöner Tag, weil wir es end-lich geschafft haben, mit der Steuerreform 2000 ein Re-formwerk vorzulegen, das die weitreichendste Steuer-senkung mit positiven Effekten für die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer, die Selbstständigen und Unter-nehmer beinhaltet, die es jemals gegeben hat.
Während der Amtszeit dieser Regierung sind zumersten Mal nicht nur die Bruttolöhne, sondern durch un-sere Steuer- und Abgabenpolitik auch die Nettolöhnegestiegen. Während Ihrer Regierungszeit waren auf-grund Ihrer Politik zwar die Bruttolöhne gestiegen, dieNettolöhne aber gesunken, weil die Steuer- und Abga-benbelastung gewachsen war.
Die alte Regierung hat uns sehr hohe Steuersätze undsehr hohe Abgaben im Sozialbereich hinterlassen, diewir jetzt Schritt für Schritt nach unten führen und damitsowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber indiesem Land entlasten.
Herr Merz, wir freuen uns – wo ist er denn? –,
dass es von Ihrer Seite Rauchzeichen gibt. Mich über-rascht nur, dass Herr Merz immer von „wir“ redet. Ermeint damit wohl CDU/CSU. Hansgeorg Hauser
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8167
Aufgrund Ihrer Probleme, die Sie in den letzten Wochenund Monaten hatten, hat sich die CDU im Bereich dersteuerpolitischen Vorschläge vor den Karren der CSU,vor allem von Herrn Faltlhauser, spannen lassen.
Es konnte im Bundesrat bisher niemals eine Zustim-mung erfolgen, weil die Länder diese unseriösen Vor-schläge, die nicht finanzierbar sind, nicht akzeptierenkönnen. Aus diesem Grunde werden diese unseriösenVorschläge seit Anfang dieser Woche Stück für Stückzurückgenommen.
Das ist gut so. Da sind wir dann auf einer Ebene, auf derwir sachlich miteinander reden können, auf der wir überDinge sprechen können, die in diesem Land auch tat-sächlich umgesetzt werden können. Wenn Herr Merzsagt: „Eine Einigung wollen wir“, dann gehe ich auchdavon aus, dass diese Einigung stattfindet, dass wir die-ses Reformwerk im Sommer im Gesetzgebungsverfah-ren Realität werden lassen. Das ist übrigens das erste Mal, dass eine Steuerre-form bereits im Sommer durch das Parlament geht,durch den Bundesrat gehen kann und, wenn es nötig ist,vielleicht auch durch den Vermittlungsausschuss gehtund dass in diesem Land für alle Beteiligten von dersteuerberatenden Branche über die Finanzämter bis hinzu den Unternehmen und Arbeitnehmern ausreichendZeit ist,
sich darauf einzustellen. Das ist das, was von der Wirt-schaft und allen anderen immer eingefordert worden ist:
Nehmt euch Zeit für die Beratungen, beratet ordentlich.
Beschließt ein Gesetz nicht kurz vor Weihnachten, dasdann zum 1. Januar im Bundesgesetzblatt steht und beidem keiner so genau weiß, was in der kurzen Zeit ei-gentlich passiert ist, sondern beschließt es so, dass wiruns ordentlich damit auseinander setzen und uns daraufeinstellen können.
Dies wird, so hoffe ich, auch geschehen. An uns wird esnicht liegen, wenn sich das Ganze verzögert. Ich gehenicht davon aus, dass dies so kommt.
Mit der Integration der Körperschaft- und Ein-kommensteuerreform wird eine steuerliche Entlastungfür alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen realisiert.Unternehmen, Unternehmer, Arbeitnehmer werdendurchgreifend entlastet. Es ist schlicht falsch, Frau Hasselfeldt, wenn Sie immer wieder die Mär hier aufzu-bauen versuchen, dass wir einseitig Kapitalgesellschaf-ten bevorzugten.
Es gibt einen Unterschied in der Besteuerung durchdie Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer. Ichsage es noch einmal – ich habe es schon oft an dieserStelle gesagt –: Die Körperschaftsteuer ist eine Defini-tivsteuer. Das heißt, man zahlt bei der ersten Mark 25Prozent und man zahlt bei der letzten Mark 25 Prozent.Dann kommt die Gewerbesteuer noch dazu. Der Minister hat es angesprochen: Wir kommen zueiner Belastung von etwa 37, 38 Prozent insgesamt, vonder ersten Mark bis zur letzten Mark. Das kann mannicht so einfach mit dem oberen Grenzsteuersatz derEinkommensteuer vergleichen. Wenn man vergleichenwill, dann muss man mit der durchschnittlichen Steuer-belastung bei der Einkommensteuer vergleichen. Bei derdurchschnittlichen Belastung derjenigen, die Einkom-mensteuer zahlen, sind wir eindeutig unter diesen37, 38 Prozent. Das heißt, es ist im Effekt genau umge-kehrt zu dem, was Sie hier darzustellen versuchen.
Für das Vorziehen der Stufe der Reform der Ein-kommensteuer, die eigentlich für den 1. Januar 2002geplant war, auf den 1. Januar 2001 haben wir als Grü-ne sehr stark gearbeitet, weil wir wollen, dass alle zum1. Januar 2001 in den Genuss niedriger Steuersätzekommen, und weil wir wissen, wie eminent wichtig dasist, weil wir gerade in Deutschland in der Unterneh-mensstruktur einen Anteil der Personengesellschaftenbzw. Personenunternehmen von 80 bis 85 Prozent ha-ben. Davon können wiederum 70 Prozent – das sind1,65 Millionen Unternehmen – Gewinne von unter50 000 DM realisieren. Damit bekommen wir einenSchub in der Entlastung vor allem der kleinen und dermittleren Unternehmen. Es ist auch in Ihrem Interesse, denke ich, dass dieEinkommensteuerreform mit einem Eingangssteuersatzvon 15 Prozent, mit einem erhöhten Grundfreibetrag von15 000 DM, mit einem oberen Grenzsteuersatz von45 Prozent natürlich auch für die Privathaushalte Kauf-kraft freisetzt. Das ist gut für dieses Land.Das kann man an einem Beispiel festmachen. Wennman sieht, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitneh-merin mit 5 000 DM Bruttoentgelt im Monat schon imJahr 2001 um 960 DM entlastet wird, dass eine Familiemit einem Jahreseinkommen von 50 000 DM am Endeder Steuerreform überhaupt keine Steuern mehr bezah-len wird, dann kann man feststellen. dass das gut ist, dasdient den Familien mit Kindern. Das ist der richtigeWeg. Christine Scheel
Metadaten/Kopzeile:
8168 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Das ist eine wunderbare soziale Begleiterscheinung desvon uns vorgelegten Steuerpakets.
Die Unternehmen- und Einkommensteuerreform istder wichtigste Baustein der rot-grünen Koalition für einekontinuierliche Entwicklung der Konjunktur. Sie bietetzugleich einen wesentlichen Anstoß für in- und auslän-dische Unternehmen, ihr Investitionsverhalten struktu-rell zu verändern. Der Unternehmensstandort Deutsch-land wird durch den definitiv niedrigen Körperschaft-steuersatz von 25 Prozent international endlich wiederwettbewerbsfähig. Es wird auch für ausländische Unter-nehmen aufgrund der von uns vorgeschlagenen Strukturfür die Unternehmen endlich wieder interessanter sein,hier in Deutschland zu investieren. Das müsste auch imInteresse der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion sein.In der Bundesrepublik gibt es 420 000 Kapitalgesell-schaften. Davon sind nur die wenigsten große Kapital-gesellschaften, nämlich 2 500. Ich weise darauf hin, weiluns immer vorgeworfen wird: Ihr entlastet sowieso nurdie riesengroßen Unternehmen wie Versicherungen undBanken. Eine GmbH mit einem voll einbehaltenen Ge-winn von 60 000 DM zum Beispiel wird nach In-Kraft-Treten dieser Reform um 6 753 DM entlastet. Das ent-spricht 21,7 Prozent der jetzigen Steuerlast dieserGmbH.
Angesichts dieser Entlastung können Sie uns doch nichtvorwerfen, wir entlasteten nur die Großen und machtenim unteren Bereich zu wenig. Wenn man ehrlich ist undsich an die Fakten und Zahlen hält, dann sieht man, dassdiese Reform vor allen Dingen im unteren Bereich sehrgroße Entlastungen bringt. Ich weise auch darauf hin, dass alle Personengesell-schaften, die gewerbesteuerpflichtig sind und Gewerbe-steuer zahlen, das heißt, die über dem Freibetrag von48 000 DM liegen, durch den Vorschlag, den diese Koa-lition jetzt vorgelegt hat, auch eine enorme Entlastungerfahren. Es ist im Prinzip doch geradezu genial, wennwir auf der einen Seite den Kommunen ihre Einnahmensichern. Wir stehen bei den Kommunen im Wort. Wirhaben mit den kommunalen Spitzenverbänden darübergesprochen. Diese wollen, dass wir vorläufig an derGewerbesteuer festhalten. Das tun wir, damit die Ein-nahmen der Kommunen in den nächsten Jahren gesi-chert sind. Wir reden hier immerhin über ein Volumenvon 50 000 DM.
– Entschuldigung, es sind natürlich 50 Milliarden DM.Auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass Unter-nehmen, die bislang Gewerbesteuer zahlen, durch dievon uns angebotene Verrechnungsmöglichkeit in vollemUmfang von der Gewerbesteuer entlastet werden. Dasist gut so. Wir haben nämlich beide Komponenten be-rücksichtigt: Wir haben zum einen die Finanzkraft derKommunen gestärkt und zum anderen die Unternehmen,die Personengesellschaften sind und keine Gewerbesteu-er zahlen, entlastet. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.Ich möchte Ihnen auch hierfür ein Beispiel geben: Füreinen verheirateten mittelständischen Einzelunternehmermit einem Jahresgewinn von 150 000 DM bedeutet diesim nächsten Jahr eine Entlastung von 6 000 DM durchdie Anrechnung der Gewerbesteuer und die abgesenkteEinkommensteuer. Es werden also 13 Prozent der Steu-erschuld reduziert. Auch das ist mittelstandsfreundlichund entlastet gerade die Personengesellschaften.
Ergo: Diese Steuerreform ist mittelstandsfreundlich.Bewiesen wird dies durch die Möglichkeit, die Gewer-besteuer auf die Einkommensteuer anzurechnen, densehr niedrigen Eingangssteuersatz, den Grundfreibetragvon 15 000 DM und den Verlauf des Tarifes, von demgerade diejenigen profitieren, die Sie vorgeben entlastenzu wollen. Durch diese Steuerreform wird auch nicht die Veräu-ßerung von Betrieben behindert. Hinsichtlich der Über-gabe eines Betriebes innerhalb der Familie wird durchdiese Steuerreform nichts verändert.Auch die Übertragung eines Teilbetriebs oder einesMitunternehmeranteils als Sachgesamtheit ist ohne Auf-deckung stiller Reserven weiterhin möglich. Eine Steu-erlast kann es nur bei Aufgabe eines Betriebes oder beieiner entgeltlichen Übertragung geben, wenn zusätzlichzu dem, was der Betrieb einbringt, enorm hohe Einnah-men, zum Beispiel aus Vermietung oder Verpachtung,vorhanden sind. Nur wenn das der Fall ist, kann es sein,dass durch die von uns getroffene Neuregelung einesteuerliche Mehrbelastung entsteht. Ich meine, das istdann aber auch angemessen und richtig.Sie behaupten immer, die von uns im Einkommen-steuerrecht geschaffene Fünftelungsregelung bei Be-triebsveräußerungen sei feindlich bei Betriebsüberga-ben und schlecht gegenüber dem halben Steuersatz.Schauen Sie sich einfach einmal die Zahlen an: Bei80 Prozent der veräußerten Betriebe – ich beziehe michauf die letzte Erhebung – liegt der zu versteuernde Ge-winn um 250 000 DM. Von dieser Fünftelungsregelungprofitieren – im Vergleich zum halben Steuersatz – dieTeilhaber bei Veräußerungen bis zu einer Größenord-nung von 500 000 DM. Deswegen ist es gerade für Klei-ne interessant, die Fünftelungsregelung beizubehalten.
Genau aus diesem Grunde werden wir das tun.
Man kann im Verlaufe der Diskussion darüber reden,ob man beim Freibetrag – den übrigens Sie vonChristine Scheel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8169
120 000 DM auf 60 000 DM gesenkt haben; auch dasmuss einmal gesagt werden – ein bisschen an derSchraube dreht und ihn vom Lebensalter oder von dau-ernder Berufsunfähigkeit abhängig macht. Wir sind für eine solche Diskussion offen. Es geht umdie persönliche Altersvorsorge, die unsere Koalitionstärken will.
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Fest steht: Dieses Werk ist gut für die Konjunktur
und damit gut für die Arbeitsplätze. Es ist gut für die
selbstständigen Arbeitnehmer und für die Unternehmen.
Es ist hochinteressant für ausländische Investoren. Es ist
ein ausgewogenes Gesetzeswerk, das in der Bevölke-
rung und in der Wirtschaft auf große Sympathien stößt.
Darum sind wir froh, dass wir es heute einbringen konn-
ten.
Danke schön.
Das
Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der
F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen! Das Einzige, was die Grünen nachhaltig durchge-setzt haben, ist die Ökosteuer mit einer jährlichen Belas-tung von 35 Milliarden DM für die Bürger in unseremLande.
Frau Kollegin Scheel, ich möchte noch einmal daranerinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode ein ei-genes Steuermodell vorgelegt haben. Von der von Ihnenbeabsichtigten Verbreiterung der Bemessungsgrundlage,die seinerzeit von Teilen der Öffentlichkeit sehr gelobtwurde, ist in diesem Steuerpaket nichts, aber auch garnichts zu finden.
Sie haben gesagt: Beraten Sie ordentlich. Ich halte esschon für abenteuerlich, dass der Finanzausschussgleich zusammentreten wird, um auf Vorschlag von Rot-Grün den Kreis der Anhörungsberechtigten auf 60 zubeschränken. Das macht die SPD, die unter WillyBrandt einmal „mehr Demokratie“ gefordert hat!
Denselben Vorschlag machen die Grünen, die ansonstendafür sind, dass auch kritische Stellungnahmen einge-bracht werden können. Wenn wir nachher im Finanzausschuss erleben soll-ten, dass Sie dadurch Sachverstand aus dem politischenGeschäft heraushalten wollen, dass Sie nur noch Cla-queure bestellen, dann werden wir darüber weiterhin po-litisch diskutieren und dann wünsche ich Ihnen vielFreude.
Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass dieEinkommensteuer einfacher, niedriger und gerechterausgestaltet werden muss. Aus Sicht der F.D.P. erfülltder Gesetzentwurf diese Voraussetzungen nicht. DasSteuerrecht wird nicht einfacher, sondern komplizierter.Das Steuerrecht wird nicht gerechter, wenn die Veräuße-rungsgewinne bei Betriebsaufgaben von Einzel-unternehmen und Mittelständlern voll, die von Kapital-gesellschaften aber überhaupt nicht besteuert werden.Auch die Steuerentlastung wird nicht niedriger. Beider angeblichen Nettoentlastung von 44 Milliarden DMbis zum Jahr 2005 muss man nämlich berücksichtigen,dass alleine bis zum Jahre 2003 die Steuereinnahmennach der Steuerschätzung der rot-grünen Koalition um100 Milliarden DM auf dann 1 000 Milliarden DM proJahr steigen. Das wird sich in den Jahren bis 2005 fort-setzen, sodass wir voraussichtlich eine Steuermehrbelas-tung von 150 Milliarden DM haben werden. Sie gebenden Bürgern davon 44 Milliarden DM zurück und lassensich als großer Entlaster feiern.
Das stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. DieSteuerbelastung wird steigen.
Mit dieser Unternehmensteuerreform setzen Sie dieFinanzpolitik von Oskar Lafontaine fort. An den Vo-raussetzungen für die Brühler Beschlüsse hat sich nichtsgeändert. Gewinne der investierenden Unternehmenwerden als gute eingestuft, Einkünfte der Arbeitnehmerbzw. derjenigen, die der Einkommensteuer unterliegen,werden dagegen von Ihnen diskriminiert. Als F.D.P. sind wir der Auffassung, dass das grund-sätzliche Problem in unserem Lande nicht darin besteht,dass wir zu geringe Staatseinnahmen haben, sondern wirhaben zu hohe Staatsausgaben.
Da muss angesetzt werden. Es darf nicht bei den in-vestiven Bereichen angesetzt werden, Herr Bundesfi-nanzminister Eichel, wie Sie es getan haben, sondern esChristine Scheel
Metadaten/Kopzeile:
8170 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
muss bei den konsumptiven Bereichen angesetzt wer-den,
weil hier der Bund die höchsten Ausgaben hat. Dazusind Sie bislang nicht in der Lage. Deshalb stellt sich nach Auffassung der F.D.P. bei je-der Steuerreform die Grundfrage, wie viel von dem Er-wirtschafteten, das die Bürger unseres Landes erarbei-ten, an den Staat abgegeben werden muss und wie vielden Bürgern verbleiben darf. Wir treten dabei für eineweitestgehende Nettoentlastung der Bürger in unseremStaat und für weniger Staat ein. Weil der Staat häufigvom Sparen redet, aber faktisch das Gegenteil macht,muss er zum Sparen gezwungen werden. Voraussetzungfür eine gute Entwicklung unseres Landes ist, dass dieBürger und Unternehmen steuerlich netto entlastet wer-den.
Mit den bisherigen unter Ihrer Führung erstelltenSteuergesetzen, Herr Finanzminister Eichel, haben Siedie Bürger und die Wirtschaft in unserem Lande massivbelastet.
Das so genannte Steuerentlastungsgesetz war ein rei-nes Steuererhöhungsgesetz für den Mittelstand und wargegen die Arbeitsplätze in unserem Lande gerichtet.
Die so genannte ökologische Steuerreform ist eine wei-tere massive Steuererhöhung zulasten der Bürger undder Wirtschaft.
Trotz dieser angeblichen Steuersenkungsgesetze wer-den die Steuermehrbelastungen bis zum Jahre 2005150 Milliarden DM betragen. Das muss der Öffentlich-keit deutlich gemacht werden, damit die entsprechendeArgumentation von Rot-Grün, die von guten Gesetzenspricht, entlarvt wird und deutlich wird, dass mehr Staatdamit verbunden ist. Dahinter steckt nämlich das Ver-ständnis, über mehr Staat die Wirtschaft in unseremLande lenken zu müssen. Wir sind da anderer Auffas-sung, kritisieren das und werden das auch weiter kritisie-ren.
Es ist noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Gesetzhinzuweisen: Die SPD hat ja schon, als Herr Lafontainein der letzten Wahlperiode ihr Verhandlungsführer war,darauf gedrängt, die Abschreibungssätze nicht zu sen-ken, weil sie die Sorge hatte, dass sonst die Innovations-fähigkeit unseres Landes Schaden leidet. Mit den vonIhnen vorgesehenen Absenkungen der Abschreibungenvon 30 auf 20 Prozent und der Abschreibungssätze ge-nerell führen Sie ein massives Desinvestitionsprogrammein: Es wirkt wie eine Desinvestitionssteuer.
Ich bezweifle, ob das tatsächlich zu mehr Aufschwungführt. Ich habe Sorge, dass das im Gegenteil dazu führt,dass der Aufschwung Schaden nimmt. Bis heute fehltjedes Wort von Ihnen dazu, ob diese Verschlechterun-gen der Abschreibungssätze möglicherweise rückwir-kend ab dem 1. Januar 2000 gelten. Ich fordere an dieserStelle Klarheit und fordere Sie auf, zu erklären, dassdies, wenn Sie es beabsichtigen, erst ab nächstem Jahrgelten soll.
Ihre Reform hat zwei Grundfehler: Erstens. Sie ist auf der Entlastungsseite viel zu mut-los. Als F.D.P. fordern wir eine deutlich stärkere Netto-entlastung. Zweitens. Sie halten weiter an der Gewerbesteuerfest. Dabei ist die Gewerbesteuer im internationalenVergleich eine Sonderbelastung der deutschen Arbeits-plätze. Sie ist wettbewerbsverzerrend. Es ist paradox,dass wir uns in Deutschland ausgerechnet mit einerSteuer auf Arbeitsplätze beschäftigen müssen, obwohlwir alle wissen, dass wir mehr Arbeitsplätze benötigen.
Wir als F.D.P. sind der Auffassung, dass die Gewer-besteuer abgeschafft gehört und dass zugleich ein ent-sprechender Ausgleich für die Kommunen gefundenwerden muss. Wenn die F.D.P. nicht über Jahre ge-drängt hätte, dann würde es heute noch eine Gewerbe-kapitalsteuer geben. Wir werden bei diesem Thema wei-ter drängen, damit es eines Tages in Deutschland keineGewerbesteuer als Sondersteuer für Arbeitsplätze mehrgibt.
Weil es diese Gewerbesteuerbelastung gibt, senkenSie die Körperschaftsteuer in der Hoffnung darauf, dasshierdurch in unserem Lande Arbeitsplätze geschaffenwerden. Dadurch kommen Sie in die Problematik derSpreizung zwischen einem Körperschaftsteuersatz von25 Prozent und einem Einkommensteuersatz von45 Prozent. Das führt zu einer verfassungsrechtlichenProblematik; denn die Gleichmäßigkeit der Besteuerungist nicht mehr gewährleistet. Art. 3 des Grundgesetzessteht dem entgegen. Weil dies so ist, greifen Sie zu einer verfassungs-rechtlichen Krücke, nämlich zu dem Optionsmodell.Danach soll der betroffene Steuerpflichtige selber ent-scheiden können, ob er nach der Körperschaft- oder derEinkommensteuer veranlagt wird. Frau Kollegin Scheelhat vorgestern erklärt, dass dies lediglich 5 Prozent derBetroffenen tun können. Ich sage Ihnen: Diese Ent-scheidung wird fast niemand treffen können, weil einsolches Modell nicht praktikabel ist. Dieses Modell stehtCarl-Ludwig Thiele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8171
nur auf dem Papier; damit wird eine Schimäre aufge-baut. Nachdem Frau Kollegin Scheel das Ganze vorges-tern in der Debatte dargelegt hatte, erklärte ProfessorKirchhof: Angesichts dessen habe er die Bitte an denGesetzgeber, dass man, wenn dies nur symbolisch ge-meint sei, folgende Fußnote anfügen solle: Dieser Teildes Gesetzes braucht den Studenten nicht gelehrt zuwerden, weil er nicht ernst gemeint ist.
Beseitigen Sie den Grundfehler Ihrer Reform: SenkenSie die Sätze bei den Einkommensteuertarifen. Dennwenn die Steuersätze gesenkt werden, dann brauchenSie diese Krücke nicht mehr. Solange Sie glauben, eine Investitionslenkung da-durch betreiben zu können, dass Sie zwischen guten undschlechten Gewinnen unterscheiden,
so lange hängen Sie – Herr von Larcher, Sie sowieso –alten staatskapitalistischen Ideen an.
Solange Sie der ideologischen Auffassung sind, dass einUnterschied zwischen Unternehmen und Unternehmernzu machen ist, verkennen Sie einen der zentralen Grund-sätze der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in un-serem Lande. Aufgrund dieses falschen Grundverständ-nisses müssen unsere Gesetze zwangsläufig falsche Poli-tikansätze enthalten. Das liegt hier vor. Solange Sie der Auffassung sind, dass Steuersätzenicht gesenkt werden können, so lange werden wir keinegute Steuerreform in unserem Lande erleben. Wir brau-chen für alle Einkunftsarten, wie von der F.D.P. gefor-dert, eine Einkommensteuer mit einem Eingangssteuer-satz von 15 Prozent, einem mittleren Steuersatz von25 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent. Dann wird in Deutschland ein Großteil der bestehen-den Steuerliteratur nicht mehr erforderlich sein. Dannwerden wir international wettbewerbsfähig sein. Dannist es für junge Menschen interessant, in unserem Land –und nicht in anderen Ländern – ihre Start-up-Firmenaufzubauen und ihre Existenz selbst in die Hand zunehmen. Dann hat unser Land tatsächlich eine Chance.Auf der Verfolgung dieses Weges werden wir als F.D.P.weiter beharren und in den Beratungen des Finanzaus-schusses werden wir weiter darauf drängen, dass diesauch tatsächlich realisiert wird. Herzlichen Dank.
Zu ei-
nem einminütigen Beitrag hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mir verbleibt in der Tat nur
noch eine Redezeit von einer Minute.
Deshalb will ich ausschließlich die wichtigste Frage, die
mich bewegt, an das Hohe Haus herantragen: Wie wol-
len Sie als Bundesregierung, wie wollen Sie als Koaliti-
on aus SPD und Grünen dafür sorgen, dass die Kommu-
nen in der Bundesrepublik Deutschland infolge der be-
absichtigten Unternehmensteuerreform und der Vorzie-
hung der Senkung des Einkommensteuertarifs nicht wei-
ter ausbluten angesichts der Tatsache, dass ab dem Jahre
2001 für die Kommunen bundesweit Einkunftsverluste
in einem Umfang von 6 Milliarden DM anstehen?
Für die Stadt Halle an der Saale wären das etwa
25 Millionen DM jährlich. Wie wollen Sie das verhin-
dern? Wann endlich, Herr Bundesfinanzminister, neh-
men Sie die dringend fällige Kommunalfinanzreform in
Angriff,
um die Kommunalfinanzen in Deutschland endlich vom
Kopf auf die Füße zu stellen?
Herr
Kollege Rössel, die Minute ist abgelaufen.
Herr Finanzminister,
liebe Koalition, machen Sie mir bitte das Leben als
künftiger Oberbürgermeister von Halle an der Saale
nicht so schwer!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Als
nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Die Finanzpolitik dieserBundesregierung und der sie tragenden Koalition ist einePolitik aus einem Guss. Die Sanierung der Staatsfinan-zen, mehr Steuergerechtigkeit, deutliche Steuerentlas-tungen und eine nachhaltige Förderung von Wachstumund Beschäftigung bilden eine Einheit.Diese Politik findet in Deutschland breite Zustim-mung und international Anerkennung. Deswegen bin ichganz sicher, dass die Oppositionsparteien folgende Tat-sache nicht verkennen, sondern berücksichtigen werden:Wir brauchen diese Reformen, die in diesem Sommer zueinem Abschluss gebracht werden müssen; denn es istlange genug über Steuerreformen nur geredet worden.Jetzt endlich muss die Politik, die wir eingeleitet haben,auch mit Zustimmung des Bundesrates fortgesetzt wer-den.Carl-Ludwig Thiele
Metadaten/Kopzeile:
8172 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Verantwortungsbewusste Konsolidierung war auchdie Voraussetzung für weitere Steuerentlastungen.Herr Kollege Thiele – auch Herr Merz hat vorhin darüber geredet –, Sie haben alles Mögliche in Ihrer Re-gierungszeit angekündigt. Es ist nur nie etwas dabei he-rausgekommen.
Unter dem Strich haben Sie mutige Programme entwor-fen, aber immer in der Hoffnung, dass Sie nicht in dieVerlegenheit kommen, diese Programme zu realisierenzu müssen.
Dieses Verhalten, Scheinversprechungen zu machen,setzen Sie fort. Sie kündigen jetzt nämlich die massiveSenkung von Tarifen an in der Hoffnung, dass diesenicht zustande kommt.
Herr
Kollege Spiller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hirche?
Sehr gerne.
Bitte
schön, Herr Hirche.
Vielen Dank – Herr Kollege
Spiller, wollen Sie bestreiten, dass der Bundestag in der
letzten Legislaturperiode mit der notwendigen Mehrheit
Steueränderungsgesetze, das heißt: Steuerentlastungsge-
setze, beschlossen hatte, die dann im Bundesrat von der
SPD blockiert worden sind? Auf diese Weise haben wir
drei Jahre für unsere Steuerbürger verloren.
Herr Kollege Hirche, ichwill Ihnen insbesondere bestätigen, dass Sie ein Konzeptmit Ihrer Mehrheit beschlossen hatten,
das nicht gegenfinanziert war. Bei Ihrem Konzept wur-den 45 Milliarden DM Mindereinnahmen vorausgesagt.Aber es gab eine kleine Anmerkung in Form einesSternchens, dass durch eine Veränderung des Verhält-nisses von indirekten zu direkten Steuern diese Minder-einnahme verringert werden könnte. Die arme FrauNolte hat in einem Anflug von Ehrlichkeit – damals warin der Union Ehrlichkeit noch üblich –
während des Wahlkampfes darauf hingewiesen, dass esdieses Sternchen gab. Danach ist dieses Sternchen sozu-sagen verglüht,
weil die Bürger erkannt haben, dass dieses Konzept eineMogelpackung war.
Ihren Konzepten, die Sie bisher angekündigt haben –es gibt ja kein gemeinsames Konzept von F.D.P. undUnion mehr; aber auch innerhalb der Union ist der Dis-kussionsprozess offenbar noch nicht zu Ende –, ist einGrundprinzip gemeinsam, nämlich die Steuerentlastungauf Pump. Das machen wir nicht mit.
Ich will Ihnen einmal sagen, was die von uns durch-gesetzten Maßnahmen schon jetzt für die Bürgerinnenund Bürger dieses Landes bedeuten. In diesem Jahr hatein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Bruttojah-resverdienst von 50 000 DM pro Jahr 600 DM mehr inder Tasche. Im Jahre 2001 wird er mit demselben Brut-togehalt 1 400 DM mehr in der Tasche haben. Ein Ehe-paar mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkom-men von 60 000 DM hat im Jahre 2001 3 000 DM mehrin der Tasche. Sie haben immer nur davon geredet, wiraber haben die Steuerentlastung umgesetzt.
Außerdem haben wir eines nie vernachlässigt: Es gibteine volkswirtschaftliche Wirkung von Steuern. Diesewollen wir nicht gering einschätzen. Für uns kommt esauch hinsichtlich der makroökonomischen Wirkung da-rauf an, dass die Binnennachfrage in Deutschland ge-stärkt wird. Binnennachfrage ist nicht nur privater Kon-sum. Wir haben schon eine Menge für die Kaufkraft derbreiten Bevölkerung gemacht und dies wird mit demVorziehen der Tarifentlastung von 2002 auf 2001 fort-gesetzt. Aber es kommt auch darauf an – das ist eine ebenso wichtige Komponente der Binnennachfrage –,dass die Investitionskraft der Unternehmen gestärktwird. Meine Damen und Herren, das ist das eigentlicheKernstück der Unternehmensteuerreform. Wenn man dieganze Kette der Besteuerung nimmt, so entscheiden wiruns bewusst dafür, dass Gewinne, die im Unterneh-mensbereich verbleiben und dort der Stärkung der Ei-genkapitalbasis und der Investitionskraft dienen, steuer-lich deutlich entlastet werden, dass sie besser behandeltwerden als der ausgeschüttete Gewinn, der ja von demEmpfänger der Dividende oder des Gewinns zu versteu-ern ist. Die Stärkung der Eigenkapitalbasis ist insbesondereauch für die mittelständischen Unternehmen wichtig.Ich möchte mit der Legende, die Sie so sehr pflegen,aufräumen, dass unser Steuerreformkonzept für den Be-reich der Unternehmensbesteuerung einseitig an derStärkung der Kapitalgesellschaften ausgerichtet sei. DasGegenteil ist der Fall. Jeder, der vernünftig und sachlichdamit umgeht – deswegen haben wir auch diese breiteZustimmung –, erkennt, dass gerade die mittelständi-schen Unternehmen davon in besonderer Weise profitie-Jörg-Otto Spiller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8173
ren werden, auch die jungen Unternehmen, die ihre In-vestitionskraft erst noch erarbeiten müssen, und zwaraus Gewinnen.
Diese werden davon profitieren. Das trifft übrigens inbesonderer Weise auch für die ostdeutschen Unterneh-men zu; denn die Eigenkapitalbasis ist dort fast überallschwach. Der Hauptgeschäftsführer der HandwerkskammerNiederbayern-Oberpfalz, Herr Hinterdobler, ist bereitsmehrfach erwähnt worden.
Er hat kürzlich bei einer Veranstaltung des „Handels-blatt“ ein Referat mit dem Titel „Die Unternehmensteu-erreform – eine Reform auch zugunsten der Per-sonenunternehmen“ gehalten. Mit Genehmigung desPräsidenten darf ich zwei Sätze aus diesem Referat zitie-ren, in dem er sich ausdrücklich zu dem Optionsmodell,also zu dem Modell, dass sich ein Personenunternehmenentscheidet, steuerlich so behandelt zu werden wie eineKapitalgesellschaft, geäußert hat. Herr Hinterdoblersagt: Mittelständische Unternehmen leiden unter einerschwachen Ausstattung mit Eigenkapital. DieseUnternehmen sind nur in Ausnahmefällen in derLage, Eigenkapital über Außenfinanzierung amMarkt zu gewinnen.
Sie sind daher auf Innenfinanzierungseffekte ange-wiesen. Diese Effekte werden durch das Modelldeutlich gestärkt, da die Betriebe Gewinne zu ei-nem günstigen Steuersatz thesaurieren können.
.... Das Wachstumspotenzial wird umso höher, jegünstiger die Eigenkapitalbildung verläuft.Das Optionsmodell, meine Damen und Herren, istdeswegen insbesondere auch für mittelständische Unter-nehmen geeignet.
Ja, ein CSU-Mitglied.Ich möchte noch einmal darauf hinweisen – das hatder Kollege Merz inzwischen öffentlich bestätigt –, dassdas bisherige System, bei dem die Körperschaftsteuerden Anteilseignern erstattet wird, nicht europatauglichist. Das bisherige System der Vollanrechnung ist nichteuropatauglich. Das ist auch in Ihren Reihen überhauptnicht umstritten. Deswegen nehme ich dankbar zurKenntnis, dass bei der Union die Bereitschaft wächst,diese Diskussion nüchtern und sachgerecht zu führen. Eine Bemerkung zu den Veräußerungsgewinnen:Die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnenwird uns bestimmt noch in den Ausschussberatungenbeschäftigen. Aber man darf nicht nur im Auge haben,was geschieht, wenn sich die Allianz-Versicherung odereine Großbank von einer Industriebeteiligung trennt.Man muss auch sehen, wie die Bedingungen für die Be-schaffung von Risikokapital bei jungen Unternehmensind. Für Venture Capital ist es eine ganz wesentlicheFrage: Wie wird die steuerliche Behandlung von Veräu-ßerungsgewinnen bei Kapitalbeteiligungen sein? Das isteine der Schlüsselfragen für die Dynamik der Wirtschaftin Deutschland. Der Kollege Merz hat einen etwas kompliziertenVorschlag gemacht, wie man das behandeln könnte.Herr Solms hat – wie ich finde, völlig zu Recht – gesagt,dass der zwar ganz interessant sei, aber viel zu kompli-ziert. Das Steuerrecht soll ja einfacher werden, HerrHirche, nicht noch komplizierter. Letzte Bemerkung: Es werden künstlich Unterschiedegemacht. Die deutsche Wirtschaft wird sozusagen inGroßunternehmen – die bei Ihnen die Bösen sind –
und in Mittelständler – die bei Ihnen die Guten sind –aufgeteilt. Eine solche Unterscheidung ist ökonomischziemlicher Unfug. Denn es gibt eine enge Verflechtungzwischen den großen und den kleinen Unternehmen.Wirtschaftlich gehören die zusammen. Hören Sie mitdiesem Gegeneinander auf!
Herr
Spiller, kommen Sie bitte zum Schluss.
Der Verband in Deutsch-
land, der von seiner mitgliedschaftlichen Zusammenset-
zung her verpflichtet ist, für die gesamte Unternehmens-
landschaft zu sorgen, ist der Deutsche Industrie- und
Handelstag. Herr Stihl hat Sie, insbesondere die Union
und auch die unionsgeführten Länderregierungen, aufge-
fordert, dieser Reform zuzustimmen. Denn wir brauchen
diese Reform: nicht nur wegen der steuerlichen Gerech-
tigkeit, sondern auch für die wirtschaftliche Dynamik
dieses Landes.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich schonsehr erstaunlich, wie viel Zeitaufwand die Redner, zumJörg-Otto Spiller
Metadaten/Kopzeile:
8174 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Beispiel Herr Eichel, Herr Spiller, Herr Poß und FrauScheel, brauchen, um klarzumachen, dass diese Reformfür den Mittelstand gut sei. Der Grund ist mir natürlichklar: Sie wissen alle, wenn wir auf dem Arbeitsmarktnach vorne kommen wollen, dass dies nur mit dem Mit-telstand geht; wenn nicht mit ihm, dann überhaupt nicht. Herr Poß hat sogar gesagt, er werde um die Seele desMittelstandes kämpfen.
Herr Poß, ich bin Mittelständler. Ich kenne mich da gutaus.
Ich weiß, dass Sie mit dieser Steuerreform die Seele desMittelstandes nicht erreichen.
Diese Reform ist eine reine Großbetriebssteuerreformzulasten der Personengesellschaften, der Freiberuflerund damit des Mittelstandes in einer fast schon diskri-minierenden Art.
Herr Eichel, Sie haben hier eingeführt, dass zweiDrittel der Unternehmen einen Gewinn von unter50 000 DM haben. Das muss man sich einmal auf derZunge zergehen lassen. Ich will Ihnen einmal die genau-en Zahlen anhand der Umsatzsteuerstatistik von 1997 –das ist die letzte, die wir haben – sagen. Da hatten wirnoch 1 656 000 Unternehmen mit einem Gewinn vonunter 50 000 DM.
Die haben von Ihrer Gewerbesteueranrechnung über-haupt nichts.
Wir hatten 345 000 Unternehmen mit einem Gewinnzwischen 50 000 und 100 000 DM. Die haben bei derAnrechnung im Schnitt gerade einmal einen Vorteil von700 DM.
Herr Eichel, diese Betriebe sind über die Jahre be-lastet worden: mit Veränderungen bei den Gewinner-mittlungsvorschriften, mit Verschlechterungen bei denAbschreibungsmöglichkeiten, mit der Ökosteuer, mitdem 630-Mark-Gesetz und mit dergleichen mehr. Dielächerliche Entlastung im Tarif, die jetzt kommt, gleichtdieser Mehrbelastung durch die vorhergehenden Verän-derungen in keiner Weise aus.
Aber auch für die wenigen verbleibenden Personenge-sellschaften mit einem Gewinn von über 100 000 DMbringt diese Reform so gut wie nichts. Das wurde bereitsgesagt.
Diese Option ist eine reine Schimäre, ein Feigenblatt,damit Sie weiter behaupten können, auch etwas für denMittelstand zu tun.Freiberufler würden zunächst einmal gewerbeer-tragsteuerpflichtig. Alle Betriebe mit unterschiedlicherGewinnerwartung begäben sich – sehen wir von derErbschaftsteuer einmal ab – in eine Falle, was sie mögli-cherweise teuer zu stehen kommt. Übrigens ist offenbarbereits in Vergessenheit geraten, dass wir 1951 schoneinmal so einen Unfug hatten – mit verheerenden Fol-gen.
Das konnte nicht gehandhabt werden; 1953 wurde dasGesetz bereits wieder abgeschafft.Den Personengesellschaften ist nur – wie im Unions-vorschlag
und F.D.P.-Vorschlag vorgesehen – mit einer durchgrei-fenden Senkung des Einkommensteuersatzes gehol-fen.
Wer behauptet, dass die heute vorgelegte Steuerreformden Mittelstand entlaste, der ist entweder ahnungslosoder redet wider besseres Wissen.
Diese Unternehmensteuerreform ist ein Anschlag auf dieUnternehmenskultur in Deutschland. Ich frage mich,warum der Gesetzgeber durch die Steuerpolitik Unter-nehmen offenbar in die Rechtsform der Kapitalgesell-schaft treiben will.
Der voll haftende Eigentümer-Unternehmer ist doch dasHerzstück der Unternehmensstruktur in Deutschland
und hat in den letzten 50 Jahren maßgeblich zum wirt-schaftlichen Aufschwung dieses Landes beigetragen.
Diese Reform spiegelt den alten sozialistisch-kommunistischen Irrglauben wider,Peter Rauen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8175
dass man Unternehmen vom Unternehmer trennen kön-ne.
– Schreien Sie ruhig! Sie wissen, dass Sie getroffen sind.
Es ist der alte sozialistische Traum, man könnte Unter-nehmen, die Arbeitsplätze schaffen, von dem Unter-nehmer trennen, der nach Ihren Vorstellungen zu vielverdient.
Der zweite schwere Webfehler dieses Gesetzes ist dieBegünstigung des nicht entnommenen Gewinns. Demliegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass im Be-trieb belassene Gewinne eher als andere Gewinnverwen-dungsarten zur Schaffung von Arbeitsplätzen führenwürden. In einer Zeit, in der sich Wissen alle fünf Jahreverdoppelt, in der Schnelligkeit gefordert ist, um dieMärkte zu beherrschen, und in der man schnell reagierenmuss, ist es blanker Unfug, Kapital in bestehende Struk-turen einzumauern.
Es werden also nicht die Anstrengungen kreativer Un-ternehmer oder anderer Innovatoren belohnt; vielmehrwird die Kapitalkonzentration angeregt. Wer meint, mitder Begünstigung der Selbstfinanzierung Investitionenund Arbeitsplätze in Deutschland fördern zu können, derirrt, weil die Unternehmen die ersparten Beträge unteranderem auch im Ausland investieren, in reinen Finanz-titeln anlegen, Schulden tilgen oder gar – nach neuemHandelsrecht – zum Rückkauf eigener Aktien und damitzur Steigerung des Shareholder-Value nutzen.Es ist zu begrüßen, dass Veräußerungsgewinne beiKapitalgesellschaften steuerlich entlastet werden. Aberwenn heute der Verkauf von Aktienpaketen von einemUnternehmen an ein anderes steuerfrei gestellt wird,dann ist es nur schwer zu ertragen, Herr Eichel, dassgleichzeitig, wenn der Handwerksmeister seinen Be-trieb, der seine Altersvorsorge war, im Alter aufgibt,diese Betriebsaufgabe voll versteuert wird, das Ganzefrei nach dem Motto: Steuerbefreiung für die Großen,Beseitigung von Steuererleichterungen für die Kleinen.
Diese Methode setzt sich bei der Behandlung ausge-schütteter Gewinne nahtlos fort. Bei der Umstellungdes früheren Anrechnungsverfahrens auf das Halbein-künfteverfahren haben wir den Fall, dass Personen, dieüber 110 000 DM – ohne den Ausschüttungsbetrag – zuversteuern haben, begünstigt werden, während die, diedarunter liegen durch diese Methode schlechter gestelltwerden. Da dies nicht nur für kleine Unternehmer gilt,sondern auch für Kleinaktionäre, ist es mir fast unerklär-lich, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregie-rung ein solches Gesetz eingebracht hat.Im Gegensatz zum Unionsvorschlag ist diese Reformauch aus Sicht der Arbeitnehmer völlig unzulänglich.Einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einenSpitzensteuersatz von 45 Prozent erst für das Jahr 2005vorzusehen wird in keiner Weise der Notwendigkeit ge-recht,
die zu große Spanne zwischen Bruttoarbeitskosten undNettoeinkommen der Arbeitnehmer zu verringern.
Durch die jährlichen heimlichen Steuererhöhungen unddurch das Zusammenwirken von Progression und Infla-tion wird in dieser langen Zeitspanne dem Arbeitnehmermehr Geld aus der Tasche gezogen, als die Tarifentlas-tung im Jahre 2005 bringt,
erst recht, wenn man bedenkt, dass der Spitzensteuersatzdann bereits – Gerda Hasselfeldt hat es schon gesagt –bei einem Einkommen von 98 766 DM erreicht werdensoll. Das heißt, der Durchschnittssteuersatz wird, auchfür die deutschen Facharbeiter, für die Arbeitnehmer,ständig höher.
– Herr Eichel, Sie können ruhig lachen und den Kopfschütteln. Wir haben in Deutschland zurzeit ein Durch-schnittseinkommen von 52 000 DM. Das heißt, der Spit-zensteuersatz wird bereits mit dem 1,6fachen des Durch-schnittssteuersatzes erreicht. Vor 20 Jahren war es das25fache!
Wenn man dann so tut, als ob man den Steuersatz senkt,wenn durch die Inflation ohnehin bereits ein Durch-schnittssteuersatz erreicht ist, der an die 48 Prozent he-rankommt, dann ist das eine Verdummung der Leute!
Ich will noch eines sagen, Herr Eichel: Sie werdenvon 1999 bis 2003 90 Milliarden DM zusätzlich für denBund einnehmen, auch deshalb, weil Sie in den letztenJahren Abschreibungsverschlechterungen durchgesetzthaben. Die alte Regierung musste fünf Jahre lang mitteilweise sogar fallenden Jahressteuereinnahmen zu-rechtkommen.
Peter Rauen
Metadaten/Kopzeile:
8176 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Das, was Sie jetzt als Nettoentlastung bezeichnen, ist imPrinzip nicht nennenswert, weil es unter dem Strichnicht zu einer Absenkung der Steuerquote führen wird.Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass die Inflations-rate in Deutschland durch den anhaltend schwachen Au-ßenwert des Euro – Friedrich Merz hat darauf hingewie-sen – mittelfristig steigt, kommt diese Tarifänderungviel zu spät, um die Nettolohnentwicklung in Deutsch-land nachhaltig zu verbessern. Ich frage mich: Wie sol-len die Leute in der Zukunft zusätzlich auch noch Lohn-bestandteile für eine kapitalgedeckte Altersvorsorgeaufbringen, wenn nicht die Nettoeinkommen durch einekräftige Tarifreform deutlich steigen? Die heute einge-brachte Steuerreform ist für Personenunternehmen undArbeitnehmer völlig unzureichend.
Mit diesem Gesetz werden die Kräfte, die in der deut-schen Wirtschaft stecken, insbesondere im Mittelstand,weiterhin blockiert;
die Schaffung neuer Arbeitsplätze wird verhindert.Eine beschäftigungsorientierte Steuerreform mussdie gesamte Einkommensteuer erfassen und drei Ele-mente enthalten: erstens eine deutliche Senkung desSteuertarifs, der für alle Einkommensarten gelten muss,zweitens eine konsequente Erweiterung der Bemes-sungsgrundlage und drittens eine Nettoentlastung für diePrivaten. Solange die Bundesregierung diesen Weg nichtgeht, werden ihre steuerpolitischen Maßnahmen nicht zudem Erfolg führen, den wir auf dem Arbeitsmarkt drin-gend brauchen.Schönen Dank.
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann, SPD-
Fraktion.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte miteinem Zitat beginnen:Wir erleben zurzeit eine Arbeitslosigkeit, dieschlimmer ist als jene in den Jahren des Wiederauf-baus. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepu-blik hat es so viele Firmenzusammenbrüche gege-ben, noch nie sind so viele Existenzen vernichtetworden. Die Fähigkeit unserer Wirtschaft, durchInvestitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist er-heblich geschwächt. Gleichzeitig erhöhten sich dieAbgabenbelastungen. Die Eigenkapitalquote derdeutschen Wirtschaft droht noch weiter abzuneh-men. Die Wachstums- und Beschäftigungskrise,meine Damen und Herren, hat in aller Deutlichkeitdie Finanzkrise unseres Staates offen gelegt.Natürlich könnte ich Sie jetzt alle raten lassen, werdiese Worte wann gesprochen hat. Um Zeit zu sparen,verrate ich es Ihnen gleich: Das stammt aus der Regie-rungserklärung von Helmut Kohl am 13. Oktober 1982,von der man hätte denken können, dass es seine letzteRede als Bundeskanzler war.
So konnte es aber nicht weitergehen.Wir legen heute die Steuerreform 2000 auf denTisch. Wir gehen damit konsequent den Weg der Konso-lidierung weiter, den wir nach der Regierungsübernahmeeingeschlagen haben. Viele Wirtschaftsverbände habenuns zu dieser Reform gratuliert. Wir haben den Mut,diese überfällige Reform endlich anzupacken, jenen Mutund jene Tatkraft, die Sie von der Union und der F.D.P.schon lange nicht mehr aufbringen. Das, meine Damenund Herren, haben uns viele von Ihnen nicht zugetraut.Zu diesem Erfolg, lieber Hans Eichel, möchte ich dir andieser Stelle ganz herzlich gratulieren.Eigentlich müssen jetzt auch die letzten Pessimistenund Kritiker unserer Steuerreform eingestehen: Wir sen-ken die Steuern und machen sie international wettbe-werbsfähig. Wir fördern die Eigenkapitalbildung derUnternehmen. Wir schaffen attraktive Bedingungen fürInvestoren aus dem Inland und auch aus dem Ausland.Wir fördern damit das Wachstum und schaffen die Vor-aussetzungen für eine deutliche Verringerung der Ar-beitslosigkeit.Durch die Unternehmensteuerreform wird die Wirt-schaft spürbar entlastet.
Die Entlastung wird sich nicht nur bei Großunterneh-men, sondern auch zugunsten von Mittelstand undHandwerk positiv auswirken. Die rund 3,3 Millionenkleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigenerwarten von uns diese Reform, sie brauchen sie auchsehr dringend. Für den Mittelstand führen unsere Steu-erprogramme im Zeitraum von 1999 bis 2005 zu einerGesamtentlastung von über 17 Milliarden DM. DiesesGeld brauchen die Unternehmer dringend, um neueMärkte zu erschließen und Arbeitsplätze zu schaffen.Genau das ist unser Ziel, meine Damen und Herren.
Wir alle wissen, dass die meisten Mittelständler dieRechtsform der Personengesellschaft wählen. Für siehaben wir das Optionsmodell entwickelt. Sie könnenselbst entscheiden, ob sie sich als Personengesellschaftoder lieber als Kapitalgesellschaft besteuern lassen wol-len. Sie werden dann mit nur 25 Prozent Körperschafts-teuer belastet. Personengesellschaften und Einzelunter-nehmen, die nicht optieren wollen, gehen auch nicht leeraus. Sie dürfen weiterhin die Gewerbesteuer als Be-triebsausgabe abziehen. Zusätzlich können sie künftigeinen Teil der Gewerbesteuer pauschal und direkt mitder Einkommensteuerschuld verrechnen. Durch diesespauschalierte Verfahren wird ein Unternehmen bei ei-nem Hebesatz von 400 Prozent und einem Grenzsteuer-Peter Rauen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8177
satz von 50 Prozent vollständig von der Gewerbesteuerentlastet.Natürlich zahlen nicht alle kleinen und mittleren Unternehmen Gewerbesteuer. Deswegen werden diezahlreichen Kleinunternehmen, die wenig Gewinne ma-chen und daher keine Gewerbesteuer zahlen, von unsebenfalls entlastet. Zu diesem Zweck wird die dritte Stu-fe des Steuerentlastungsgesetzes auf das Jahr 2001 vor-gezogen. Das heißt: Die Einkommensteuersätze werdenweiter gesenkt und die Freibeträge erhöht. Meine Damen und Herren, ist das wirklich mit-telstandsfeindlich? Ich glaube, nicht. Für Unternehmenmit einem jährlichen Gewinn bis etwa 150 000 DM –das sind immerhin fast 90 Prozent aller kleinen undmittleren Personengesellschaften – verringert sich dieGesamtsteuerlast um 12 bis 38 Prozent. Bei höherenGewinnen rechnet sich das Optionsmodell. Ich höre schon die Kolleginnen und Kollegen von derOpposition laut diskutieren, unser Steuersystem sei an-geblich sehr kompliziert.
Aber war das Vollanrechnungsverfahren nicht eine AB-Maßnahme für Steuerberater?
Selbstverständlich muss Neues erst einmal begriffenwerden. Ich sehe aber keine größeren Schwierigkeiten,unser Modell zu begreifen und anzuwenden.
Das Vollarrechnungsverfahren ist nicht nur unnötigkompliziert, sondern auch im europäischen Maßstabnicht tauglich und schon gar nicht vor Missbrauch ge-schützt. Wir ersetzen das Anrechnungsverfahren durchdas Halbeinkünfteverfahren. Die Steuerverrechnungwird viel einfacher und effizienter.Wie ich schon sagte, sieht das Optionsmodell nur aufden ersten Blick kompliziert aus. Die Steuerberater wer-den es ganz schnell im Griff haben und ihre Mandantenkompetent beraten können.Ich möchte noch auf einen positiven Aspekt unsererSteuerreform zu sprechen kommen, der mir als ostdeut-scher Abgeordneten besonders am Herzen liegt. Ich ha-be schon darauf hingewiesen, dass Unternehmen, dienicht optieren wollen, von der ermäßigten Gewerbe-steuer profitieren. Die ermäßigte Gewerbesteuer führtdazu, dass Standorte mit niedrigeren Hebesätzen, alsomit Hebesätzen unter 400 Prozent, künftig für die Un-ternehmen besonders attraktiv werden. Gerade im Ostengibt es viele Gemeinden mit Hebesätzen sogar unter300 Prozent. Deswegen wird das Investieren im Ostenviel interessanter.Hinzu kommt ein zweiter Punkt, der für Ostdeutsch-land sehr wichtig ist. Mit der Unternehmensteuerreformstärken wir die Eigenkapitaldecke von Unternehmen,und zwar indem die einbehaltenen Gewinne ebenso wiedie ausgeschütteten mit 25 Prozent besteuert werden.Unternehmen bekommen den steuerlichen Anreiz zurSelbstfinanzierung. Damit helfen wir gerade den ost-deutschen Unternehmen, die noch immer eine schwä-chere Kapitaldecke haben, ihre Kapitaldecke zu erhöhen.Ich bin natürlich nicht überrascht, dass die Politikerder Union und der F.D.P. von uns noch umfangreichereSteuersenkungen fordern. Liebe Kolleginnen und Kolle-gen, haben Sie vergessen, in welche Haushaltslage Sieuns gebracht haben? Deshalb halte ich diese Forderun-gen für nicht seriös. Wir müssen den Haushalt weitersanieren. Wir müssen und werden die Nettoneuver-schuldung des Bundes in den nächsten Jahren schritt-weise zurückführen. Im Jahr 2006 wollen wir einenBundeshaushalt ohne Nettoneuverschuldung erreichen. Durch die Steuersenkungen werden die Privathaus-halte und die Wirtschaft in großem Maße entlastet. DieSteuerreform wurde frühzeitig angekündigt, sodass sichjeder darauf vorbereiten und einstellen konnte. Das musshier, wie ich glaube, deutlich unterstrichen werden. Das alles bedeutet, dass wir mit unseren politischenMaßnahmen den Standort Deutschland mittel- und lang-fristig auf ein sicheres Fundament stellen. Damit unter-scheiden wir uns deutlich von der alten Regierung. Unddas ist gut für unser Land.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Elke Wülfing von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! LiebeFrau Hoffmann, wenn das alles so einfach wäre, wie Siees dargestellt haben, dann bräuchten wir darüber hiernicht lange zu beraten.Gestern ist hier im Deutschen Bundestag der Jah-reswirtschaftsbericht beraten worden. Er ist vom Bun-desfinanzminister aufgestellt worden, da das Finanzmi-nisterium für den Wirtschaftsbericht zuständig ist.
Der Jahreswirtschaftsbericht singt auf Seite 46 das HoheLied auf Mittelstand, auf Handwerk und auf freie Beru-fe. Ich zitiere: Mit rund 20 Mio. Arbeitsplätzen sind die mittel-ständischen Unternehmen der wichtigste Beschäfti-gungsträger in Deutschland.
– Sehr gut. Vielen Dank. Ich denke, bei diesem Satzkann man auch nur Bravo sagen.
Es heißt weiter: Jelena Hoffmann
Metadaten/Kopzeile:
8178 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Hier legt der Mittelstand wesentliche Grundlagenfür die Modernisierung der Wirtschaft, für Innova-tionen und technischen Fortschritt.Das alles hört sich wunderbar an. Dieser Jahreswirt-schaftsbericht ist allerdings von dem Minister aufgestelltworden, der uns diese Unternehmensteuerreform – URefSenkG oder wie sich das Ding nennet – bescherthat.
In der Gesetzesbegründung schreiben Sie, Ziel desGesetzes sei eine gleichwertige Entlastung von Einzel-unternehmen und Kapitalgesellschaften. Ich frage michnur ganz besorgt: Warum halten Sie sich nicht an Ihr ei-genes, selbst gegebenes Wort, Herr Minister? Die Un-ternehmensteuerreform ist, so wie Sie sie vorgelegt ha-ben, darauf angelegt, mittelständische Strukturen zuzerschlagen und Kapitalgesellschaften als das leuchten-de Ziel für unsere Bundesrepublik Deutschland darzu-stellen, auf das man sich hinentwickeln soll.
Dabei ist es gerade die mittelständische Struktur, umdie uns die Welt beneidet. Das besondere Eigentümer-interesse des selbst haftenden Unternehmers bringtschnelle Reaktionen hervor. Das ist vor allem bei denglobalen Herausforderungen wichtig. Es scheint derSPD allerdings nicht ganz klar zu sein, dass selbstver-ständlich auch Mittelständler in den internationalenWettbewerb eingebunden sind. Deswegen brauchen sieendlich international vergleichbare Steuerbelastungen.Die SPD hat die steuerlichen Belastungen der Unter-nehmen bis vor kurzem geleugnet. Es ist vorhin vonHerrn Hauser in seiner Intervention gesagt worden, dassHerr Poß, den ich im Moment nicht sehe, diesem fal-schen OECD-Bericht am liebsten geglaubt hätte. DieserOECD-Bericht ist längst korrigiert worden. Sie warengedanklich noch immer bei Lafontaine, der negiert hat,dass es für deutsche Unternehmen überhaupt höhere Be-lastungen gibt.
Das haben Sie aber nun endlich eingesehen. Körper-schaftsteuer in Höhe von 25 Prozent: Das ist ein ganzschöner Vorschlag. Allerdings wird es dabei nicht blei-ben; das wissen Sie auch. Die Belastung wird sehrschnell bei 37 oder 38 Prozent liegen. Gleichzeitig versuchen Sie aber, die deutsche Wirt-schaftsstruktur, die sich in 50 Jahren so entwickelt hat,kaputtzumachen. Das kann doch wohl nicht sein! DassSie versuchen, die Unternehmen durch das Optionsmo-dell dazu zu zwingen, sich in Kapitalgesellschaften um-wandeln zu lassen, liegt entweder einzig und allein da-ran, dass Sie aus Neid den Spitzensteuersatz nicht sen-ken wollen, oder an der Shareholder-Value-Mentalitätaus dem Tony-Blair-Papier. Ich bin mir nicht so sicher,welche Richtung Sie eigentlich einschlagen wollen:
die von Eichel/Schröder und Tony Blair mit Sharehol-der-Value oder die von Herrn Poß, dass der Spitzensteu-ersatz gar nicht so niedrig sein müsste. Davon könntennur die so genannten Reichen profitieren. Dabei machenSie genau den Fehler, den man nicht machen darf: Sievergessen dabei die persönlich haftenden Unternehmer.Das ist eine Katastrophe.
Sie wissen ganz genau, dass Sie mit Ihrem Steuerent-lastungsgesetz den Mittelstand erheblich belastet haben.Jetzt versuchen Sie, den Mittelstand noch einmal abzu-zocken, und zwar schon beim Eintritt. Ich weiß sehrwohl, dass Sie versuchen, sich mit den Verbänden andie Seite des Großkapitals zu stellen und den Mittelstandzu vergessen.
Es ist schlimm genug, wenn es in den Verbänden nurnoch Vertreter des Großkapitals gibt. Ich bin froh, dassMichael Fuchs vom Groß- und Außenhandel gesternsehr deutlich gesagt hat, diese Unternehmensteuerreformbelaste und benachteilige ganz eindeutig den Mit-telstand. Ich bin nur froh, dass der Vorsitzende desSachverständigenrates für die Begutachtung der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung, Herr Professor Hax,sehr deutlich sagt, dass es keine Gleichbehandlung gibt,dass der Mittelstand von Ihnen wieder einmal benachtei-ligt wird.
Ich bin der Meinung von Herrn Stihl – und nicht derMeinung, die Sie verkünden –, der in einer Pressemittei-lung ebendies bestätigt: Der Mittelstand ist benachtei-ligt. Mit dem Großkapital, mit den Banken, den Versi-cherungen sind Sie gut Freund,
aber nicht mit denen, die vor Ort arbeiten, die zwei Drit-tel der Arbeitsplätze stellen und uns dazu verhelfen, dasswir so flexibel sind, wie das in der Vergangenheit derFall war.
Elke Wülfing
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8179
Außerdem: Die Trennung von Unternehmen und Un-ternehmer, auf die Herr Schröder ja immer hinweist, istwirklich realitätsfremd.
Eine Personengesellschaft lebt ja gerade davon, dassder Unternehmer keine Grenze zieht zwischen seinemUnternehmen und sich selbst. Er benötigt den Gewinn,um sein Einkommen zu finanzieren, und das ist der An-reiz dafür, es wieder in seinem Unternehmen einzuset-zen. Wenn er dabei von hohen Steuersätzen gehemmtwird, dann kann er seine Eigenkapitalbasis nicht verbes-sern.Ich will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit nocheinmal sagen – es ist ja vollkommen richtig, was vorhinzu den Petersberger Beschlüssen gesagt worden ist –:Acht Jahre haben wir verloren.
– Es tut mir Leid, wenn Sie ein so schlechtes Gedächtnishaben, dass Sie sich nicht daran erinnern, dass Herr Stoltenberg eine Steuerreform gemacht hat, die uns3 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht hat.
– Das scheint tatsächlich so zu sein.
Die Sache mit der Option müssen wir uns noch ein-mal genau anschauen. Wenn ich das richtig betrachte,wird diese Option wahrscheinlich nur für Unternehmenmit mindestens 200 000 DM oder 250 000 DM Jahres-gewinn interessant. Es könnte sein, dass das für dieseUnternehmen etwas bringt. Aber es ist eben sehr, sehrkompliziert. Außerdem muss man ganz klar sehen: Die-se Regelung ist für Sie nur ein Feigenblatt.
Denn wenn Sie annehmen würden, dass diese Optiontatsächlich von allen in Anspruch genommen wird, dannkönnten Sie das ja auch so machen, wie wir es vorschla-gen, nämlich im Wege einer Einkommensteuerreform.Stellen Sie sich einmal vor, alle Unternehmen würdenvon der Option Gebrauch machen und auf 25 Prozentgehen. Dann könnten Sie die ganze Unternehmensteuer-reform nicht mehr bezahlen. Sie gehen also davon aus,dass das nur wenige tun – und es werden immer weni-ger. Denn das ist absoluter Unsinn.
Im Münsterland gibt es zum Glück noch Mittelständ-ler, Herrn Schultz.
– Dummerweise sorgt er nicht einmal für seine eigenenInteressen. Sie sollten sich genauso wie ich für dieMittelständler einsetzen.
Die überwältigende Mehrheit wird also von dieserOption überhaupt nichts haben. Es ist ein Feigenblatt.
Wenn Herr Eichel das fallen lässt – jetzt sitzt FrauHendricks auf der Regierungsbank; die braucht das Blattvielleicht nicht, zumindest nützt ihr ein einzelnes Fei-genblatt vielleicht nicht so ganz viel –, dann steht erdoch ziemlich nackt da.
Viel anzubieten für den Mittelstand hat er dann nichtmehr.Sie kommen dann mit der Anrechnung bei der Ge-werbeertragsteuer. Aber auch das betrifft ja nur ganzwenige. Diejenigen, die von der Anrechnung auf dieGewerbeertragsteuer nichts haben, stehen bei Ihrer Steu-erreform wirklich im Regen. Wir, die CDU, – ich darfdie F.D.P. vielleicht einschließen –, sind diejenigen, diefür den Mittelstand sorgen.
Auch bei den Verbänden scheint dieses Interesse aus derMode gekommen zu sein.
Wir werden dafür sorgen, dass die Verhandlungen überdiese Steuerreform Verbesserungen bringen und dassSie dem zustimmen. Ich will ja nicht sagen, dass dieRichtung ganz falsch ist. Aber in den einzelnen Berei-chen, die sich für den Mittelstand so schlecht darstellen,werden wir dem Mittelstand zu seinem Recht verhelfen.Darauf können Sie sich verlassen.Vielen Dank.
Als letz-
ter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Detlev
von Larcher von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Nach drei Stunden Debatte sindWiederholungen unvermeidbar, das haben wir bereitsbei den vorigen Rednerinnen und Rednern bemerkt.Elke Wülfing
Metadaten/Kopzeile:
8180 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Zum Schluss ist es wichtig festzustellen, dass das Geset-zespaket nicht isoliert dasteht, sondern dass es sich dabeium die Fortsetzung einer Steuerpolitik handelt, die in ei-nem Guss darzustellen ist. Der Ansatz der SPD war im-mer, einen ausgewogenen Mix aus Angebots- undNachfragepolitik zu finden. Deshalb ist die Unternehmensteuerreform in eineFortsetzung der Politik eingebettet, die wir mit demSteuerentlastungsgesetz begonnen und mit dem Famili-enförderungsgesetz fortgeführt haben. Eine Arbeitneh-merfamilie mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkom-men in Höhe von 60 000 DM jährlich muss einschließ-lich der Kindergelderhöhung bereits in diesem Jahr2 196 DM weniger Steuern zahlen als 1998. Im nächstenJahr steigt die Entlastung auf 2 944 DM an und sie er-reicht schließlich ab 2005 mehr als 4 000 DM jährlich. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU undF.D.P., haben bisher von Steuersenkungen immer nurallgemein geredet oder völlig unfinanzierbare Plänevorgelegt. Wir, die Koalition, entlasten wirklich und le-gen dabei den Schwerpunkt auf die Stärkung der Kauf-kraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wirentlasten Mittelstand und kleine Unternehmen.
Von der Steuerentlastung – darauf hat der Finanzmi-nister bereits hingewiesen – im Unternehmensbereichvon etwa 19 Milliarden DM entfallen auf Mittelstandund Kleinunternehmen 17 Milliarden DM. Der andere Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt aufder Stärkung der Investitionen. Dazu war es überfällig,endlich den Systemwechsel bei der Unternehmensbe-steuerung anzugehen.
Mit diesem Systemwechsel werden Unternehmen, dieihre Gewinne reinvestieren wollen, dazu deutlich besse-re Möglichkeiten erhalten. Ich habe von Herrn Thiele gehört, wir würden zwi-schen guten und bösen Gewinnen unterscheiden. Dazusage ich Ihnen, Herr Thiele: Reden Sie ruhig weiterQuatsch.
Wir sind jedenfalls der Überzeugung, dass es wirt-schaftspolitisch vernünftig ist, diejenigen Unternehmensteuerlich besser zu stellen, die ihre Gewinne in dieSchaffung neuer Arbeitsplätze stecken. Die zukünftig definitive Körperschaftsteuer bietetgegenüber dem alten Konzept eine ganze Reihe vonVorteilen: Sie ist europatauglich, sie ermöglicht niedrigeSteuersätze, sie stärkt die Investitionskraft der Unter-nehmen und sie stärkt die Eigenkapitalbildung. Das bisherige System der Körperschaftsteuer mit un-terschiedlichen Sätzen für einbehaltene und ausgeschüt-tete Gewinne und dem Vollanrechnungsverfahren beiAusschüttungen war dringend reformbedürftig. Es pass-te zu einer weitgehend binnenorientierten Wirtschaft, beider grenzüberschreitende Kapitalverflechtungen undGewinnausschüttungen allenfalls eine Randerscheinungwaren. Deshalb wurde das Anrechnungsverfahren beiseiner Einführung auch von allen Seiten bejubelt. Heute sind aber sehr viele Unternehmen in Deutsch-land stark internationalisiert, und dieser Trend wird sichverstärkt fortsetzen. Deshalb können wir nicht länger aneiner Unternehmensbesteuerung festhalten, die nur beiinländischen Anteilseignern inländischer Unternehmendas erreicht, was dieses System eigentlich will: die ein-malige Besteuerung von ausgeschütteten Gewinnen mitdem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseig-ners.Ein auch auf internationaler Ebene praktikables Steu-ersystem muss so gestaltet sein, dass sich seine einzel-nen Elemente mit anderen Steuersystemen ergänzen. Mitder definitiven Körperschaftsteuer und dem Halbein-künfteverfahren bei ausgeschütteten Gewinnen ist ver-bunden, dass Gewinne steuerlich privilegiert sind, so-lange sie im Unternehmen verbleiben. Genau das ist un-sere Absicht; denn ein wichtiges Ziel der Unternehmen-steuerreform ist es, die Investitionstätigkeit der Unter-nehmen zu unterstützen. Es gibt noch einen weiteren, zu wenig beachteten As-pekt – er wurde heute bereits angesprochen –, der für diesteuerliche Begünstigung der Eigenkapitalbildungspricht. In den 90er-Jahren hat sich die Zahl der Insol-venzen in Deutschland verdoppelt. Im letzten Jahr istdiese Entwicklung erfreulicherweise zum Stillstand ge-kommen.
– Ja, vielleicht wegen unserer Regierung, Herr Thiele.Danke schön.
Ein Grundübel aber, das dafür mitverantwortlich ist,bleibt bestehen: Die deutschen Unternehmen verfügenoft über wenig Eigenkapital. Das liegt nicht daran, dasssie zu wenig Gewinn erwirtschaften. Das liegt daran,dass unser bisheriges Steuerrecht die Fremdfinanzie-rung – auch durch Gesellschafter – begünstigt.
Wenn wir also mit der Unternehmensteuerreform dazubeitragen, dass mehr Eigenkapital in den Unternehmenverbleibt und deren Krisenfestigkeit erhöht, dann kanndas nur nützlich sein.
Nun hören wir schon seit Wochen von der Oppositiondie Arie, die wir auch heute bis zum Überdruss gehörthaben, unsere Unternehmensteuerreform sei eine für dieganz Großen, während sie die Mittleren und Kleinen be-laste. Ganz abgesehen davon, dass die Rolle der CDU –übrigens auch die der F.D.P. – als Hüterin der kleinenDetlev von Larcher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8181
Unternehmen und des Mittelstandes so komisch ist wieder Fuchs als Hüter der Hühner, ist diese Propagandavollständig parteitaktischer Unsinn. Sie soll nur desin-formieren und Angst machen. Unsere Unternehmensteuerreform ist ein dreistufigesSystem für Personengesellschaften und Personenunter-nehmen unterschiedlicher Größe. In der untersten Stufe,in der sich ungefähr 60 Prozent der kleinen und mittle-ren Unternehmen befinden, profitieren die Unternehmenvon der Senkung des Eingangsteuersatzes von jetzt22,9 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2005 und von einemhöheren Grundfreibetrag. Diesen Unternehmen kannman so wie den Arbeitnehmern nur durch die Senkungdes Eingangsteuersatzes helfen, weil sie einen zu ver-steuernden Gewinn von unter 48 000 DM melden, alsokeine Gewerbesteuer zahlen und den Spitzensteuersatzder Einkommensteuer nicht einmal in der Ferne sehen.Im Mittelfeld, das ungefähr in der Höhe des neuenSpitzensteuersatzes von 45 Prozent liegt, wird dieEinkommensteuer durch eine pauschalierteAnrechnung der Gewerbesteuer gemindert. Insgesamtwird damit die tatsächliche Belastung dieserUnternehmen mit Gewerbesteuer auf nahe Null gesenkt.Die Kommunen erhalten jedoch wie bisher die volleGewerbesteuer. Die Großen können optieren, sie müssennicht optieren. Sie können selbst entscheiden, sich wieeine Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen. Zum Schluss will ich noch auf einen Punkt eingehen,der von der Börse sehr begrüßt worden ist, aber auchviel Kritik herausgefordert hat. Ich meine die Steuer-freiheit für Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft beimVerkauf von Anteilen an eine andere erzielt. Es gibtgute steuersystematische Gründe dafür.
– Danke schön. Gewinne sollen im Rahmen der Körperschaftsteuernur einmal versteuert werden. Steigende Anteilswertesind Ausdruck von bereits entstandenen oder für die Zu-kunft erwarteten Gewinnen. Wenn Kursgewinne separatversteuert werden, kommt es daher formal zu einerDoppelbesteuerung. Dennoch müssen wir der Frage kri-tisch nachgehen, ob hier das Richtige gewollt und dochdie Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht erreicht wird,denn soweit Veräußerungsgewinn auf Gewinnerwartungberuht, gewährt die Steuerfreiheit dem Veräußerer einenlangfristigen zinslosen Kredit. Ich erlaube mir eine persönliche Bemerkung, die ichausdrücklich nicht namens meiner Fraktion mache.
Nach Abgleich des Bundesfinanzministeriums mitden Finanzministerien der Länder bedeutet diese Rege-lung einen Steuerausfall von 4 Milliarden DM, so wiejetzt im Tableau ausgewiesen. Die Annahme, diese Re-gelung bringe neben Schwung in die Wirtschaft auchzusätzliche Arbeitsplätze, ist nicht beweisbar.
Sie basiert auf dem Prinzip Hoffnung. Nicht einmal einbilliges Versprechen der Wirtschaft gibt es dafür. Auf der anderen Seite wird diese Summe in denHaushalten des Bundes und der Länder schmerzhaft feh-len. Diese 4 Milliarden DM könnten sehr gut für drin-gend notwendige öffentliche Investitionen ausgegebenwerden, zum Beispiel für das Ziel, Güter von der Straßeauf die Bahn zu bringen. Das Niveau der öffentlichenInvestitionen ist ohnehin beängstigend niedrig. DieseSumme könnte auch gut für aktive Arbeitsmarktpolitikgenutzt werden. Ich für meinen Teil sehe also diese Regelung sehr kri-tisch, allerdings ausdrücklich nicht, weil sie angeblichdie kleinen und mittleren Unternehmen benachteilige,wie die Opposition behauptet. Eine vergleichbare Rege-lung außerhalb der Körperschaftsteuer wäre unsinnig,denn in diesem Falle stehen dem höheren Kaufpreisauch zukünftige Abschreibungen gegenüber. Dies istbeim Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaftnicht der Fall. Deshalb kann man beides nicht über einenKamm scheren. Den Personengesellschaften und Perso-nenunternehmen widerfährt ja durch das erwähnte Drei-stufensystem Gerechtigkeit. Dies ist meine persönlicheAuffassung. Meine Damen und Herren, wir werden bei der Anhö-rung zu diesem Gesetzentwurf und bei den Beratungenim Finanzausschuss sorgfältig zuhören. Wir werden Argumente prüfen und abwägen. Für guteArgumente werden wir offen sein. Sie können uns zurÄnderung im Detail bringen, ohne dass wir die grund-sätzliche Richtung korrigieren. Durchsichtige parteitak-tische Behauptungen werden uns jedoch nicht beeindru-cken.Ich danke Ihnen.
Ichschließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-entwurfs auf Drucksache 14/2683 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zu-sätzlich soll der Haushaltsausschuss den Gesetzentwurfgemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten. Gibt es dazuanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung beschlossen.Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage aufDrucksache 14/2688 zur federführenden Beratung anden Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Aus-schuss für Wirtschaft und Technologie und den Haus-haltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitigeVorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-weisung so beschlossen.Detlev von Larcher
Metadaten/Kopzeile:
8182 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Die Vorlage auf Drucksache 14/2706 soll zur feder-führenden Beratung an den Finanzausschuss und zurMitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsaus-schuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie,den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Aus-schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, denAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, denAusschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, denAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit und den Haushaltsausschuss überwiesen werden.Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nichtder Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 a auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Afrika darf nicht zu einem vergessenen Kon-tinent werden – Drucksache 14/2571 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung
Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebeich das Wort dem Kollegen Rudolf Kraus von derCDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Deutschlands Me-dienwelt spiegelt uns einen scheinbar breiten, partei-übergreifenden Konsens im Hinblick auf unser Verhält-nis zu Afrika vor: Jedermann bekundet seine Solidaritätmit diesem südlichen Nachbarkontinent Europas undruft zu mehr Unterstützung seiner Not leidenden Völkerauf. Die Bundesregierung selbst überschlägt sich gera-dezu in ihren öffentlichen Verlautbarungen über Afrika.Die Leitungen von Auswärtigem Amt und BMZ über-treffen sich gegenseitig mit Appellen, Afrika sei Zu-kunft, und Ziel der Bundesregierung sei es, möglichstvielen Afrikanern die Chance auf ein menschenwürdige-res Leben zu eröffnen. Die tatsächliche deutsche Außen- und Entwicklungs-politik entblößt diese schöne Reden jedoch als blankenZynismus.
Auf keinem anderen Kontinent dieser Erde gibt es soviel Not, Gewalt und Hunger wie in Afrika. Die Hälfteder Bevölkerung südlich der Sahara lebt noch immer inbitterer Armut. Nur rund 45 Prozent der Menschen ha-ben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Gut die Hälfteder Erwachsenen gelten als Analphabeten. Verschärfendkommt hinzu, dass in mehr als einem Drittel der Ländersüdlich der Sahara Bürgerkriege oder zwischenstaatlicheKonflikte toben, die Entwicklung verhindern, knappeRessourcen vergeuden und unermessliches, zusätzlichesLeid über die Bevölkerung bringen.In Ländern wie Sudan, Somalia, Sierra Leone, Libe-ria, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea oderÄthiopien leidet besonders die Zivilbevölkerung unterkriegerischen Auseinandersetzungen von unvorstellbarerGrausamkeit. Dabei wird immer häufiger darauf hinge-wiesen, dass Afrika heute – höchstwahrscheinlich –weitaus besser dastehen würde, wenn die internationaleGemeinschaft dort nur mit dem Bruchteil des gleichenEinsatzwillens interveniert hätte, wie sie es gerade aufInitiative von Politikern wie Minister Fischer in Europaoder im Nahen Osten vorexerziert hat.
– Ich habe es zwar nicht verstanden; aber es wird sicher-lich nicht richtig sein.
Die Afrikaverlautbarungen des Außenministers de-maskieren sich schließlich vollends dadurch, dass dasAuswärtige Amt Botschaften und deutsche Kulturein-richtungen in Afrika in einem solchen Umfang schließt,dass der international anerkannte Afrikaspezialist vonLucius bereits von einem „Kontinent der geschlossenenVertretungen“ spricht. In dieses Bild passt nur zu gut, dass Afrikas Regie-rungsoberhäupter, wie zuletzt Nigerias Präsident Obasanjo, nachdrücklich mehr politisches InteresseDeutschlands an Afrika einfordern, während MinisterFischer aber nun zum wiederholten Male seine unter an-derem nach Nigeria geplante Afrikareise aus landtags-wahlkampfstrategischen Gründen verschoben hat.
– Zu spät, Frau Kollegin.Das BMZ fuhr die Mittel für die Entwicklungszu-sammenarbeit mit Afrika um ganze 20 Prozent unddamit auf den niedrigsten Stand seit 1972 herunter. Ver-schlimmert wird dies in Anbetracht der immensen Aids-katastrophe in Afrika dadurch, dass das BMZ darüberhinaus seine Programme und Projekte im Gesundheits-sektor halbiert sowie die Maßnahmen zur Familienpla-nung und zur Bevölkerungspolitik auf ein Drittel desVorjahresstandes zusammengestutzt hat.
Von den weltweit etwa 34 Millionen Infizierten lebenrund 70 Prozent in den Ländern Afrikas südlich der Sa-hara. Dort hat Aids bereits heute zu einer Senkung derLebenserwartung um zehn Jahre geführt. Es wird erwar-tet, dass diese im nächsten Jahrzehnt um weitere zehnJahre zurückgeht. In einigen dieser Länder wird damitbald jeder vierte Erwachsene an Aids sterben. Aids wirdVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8183
viele Staaten Afrikas südlich der Sahara in ihrer Ent-wicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.Die mittlerweile rund zehn Millionen Aidswaisendort stellen Afrikas bisher größte soziale Katastrophedar. Sie bedürfen ganz besonders dringlich unserer Hil-fe, da immer mehr von ihnen vernachlässigt und ausge-beutet werden. Sie müssen sich oft als Straßenkinderdurchschlagen oder sie werden sogar als Kindersoldatenmissbraucht.Eine weitere gravierende EntwicklungsproblematikAfrikas liegt im Umweltsektor. Neben Amazonien undSüdostasien existiert in Zentral- und Westafrika die drit-te bedeutende Tropenwaldzone unserer Erde. Die fragi-len afrikanischen Ökosysteme, die in besonderem Maßevon der Erhaltung der tropischen Regenwälder abhängigsind, sind durch Brandrodung, Erosion, Holzeinschlagund sonstige Übernutzung bedroht.Der verhängnisvolle Kreislauf zwischen Überbevöl-kerung, Armut und Überlastung der Umwelt wirkt sichhier besonders schlimm aus. Völlig unverständlich istdeshalb, dass die Ministerin im wichtigen Umwelt- undRessourcenschutzsektor das Budget um 25 Prozent re-duziert hat.
Dieser Rückzug der Bundesregierung aus Afrika istumso bedauerlicher, als er just zu einem Zeitpunktkommt, wo sich ein Silberstreif der Hoffnung auf be-ständige Besserung am afrikanischen Horizont zeigt.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten der Stagnation und desNiedergangs lag das Wirtschaftswachstum in Afrika inder zweiten Hälfte der 90er-Jahre erstmals wieder etwasoberhalb des Bevölkerungswachstums.
Zudem fällt auf, dass sich die zunehmende Reform-orientierung in Afrika offenbar auf einen wachsendenBewusstseinswandel der politisch Verantwortlichengründet. Mehr und mehr afrikanische Regierungen undEntscheidungsträger bekennen sich zu Eigenverantwor-tung für ihre Entwicklung. Der Wille zur Selbsthilfewächst und die demokratische Öffnung schreitet voran.Ich denke, dass dies von uns stärker gefördert werdenmuss.Unter Carl-Dieter Spranger wurden Kriterien vorge-geben, die auch die Behandlung dieses Problems umfas-sen. Mit ihrer Anwendung soll erreicht werden, dassRegierungen, die keine gute Politik machen, notfalls vonder Entwicklungshilfe ausgeschlossen werden.
Wenn sich die Bundesregierung schon zu diesen Kri-terien, die wir gemeinsam für richtig halten, bekennt,dann stellt sich uns die große Frage, warum sie dieseGrundsätze ausgerechnet gegenüber Menschen wie Mu-gabe, dem Präsidenten von Zimbabwe, der sein Landmit Krieg, Korruption und Verschwendung überzieht,nicht durchsetzt und warum sie nicht politisch entspre-chend handelt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese doppel-züngige Afrikapolitik der Bundesregierung zum Anlassgenommen, einen Antrag mit dem Titel „Afrika darfnicht zu einem vergessenen Kontinent werden“ vorzule-gen
sowie die heutige Afrikadebatte im Bundestag zu initiie-ren, um damit die Wiederherstellung des früheren Um-fanges der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika
und ein stärkeres außenpolitisches Engagement derBundesregierung zur Beendigung bestehender und zurVermeidung zukünftiger Konflikte in Afrika einzufor-dern. Ich weiß, dass wir mit vielen Politikern auch aus denRegierungsfraktionen in dieser Frage letztendlich über-einstimmen. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass auch dieMinisterin einiges gerne anders machen würde, aber siehat diese Politik zu vertreten; das ist in der Gage enthal-ten. Wir können auf die Verbiegungen, die deshalb nötigsind, keine Rücksicht nehmen.
Wir werden uns in Zukunft verstärkt dafür einsetzen,dass die Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika wieder einensehr viel größeren Stellenwert bekommt, als das augen-blicklich der Fall ist.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Schuster.
Frau Präsidentin!Liebe Afrika-Fans! Als erstes ein Dankeschön an dieOpposition, dass sie uns Gelegenheit gibt, Afrika hier imPlenum wieder zu thematisieren!
Aber, meine Damen und Herren, ich erinnere mich –wir beide, Herr Hedrich, haben ja eine über mehrereWahlperioden gehende gemeinsame Historie –, dass derAntrag, den die SPD-Fraktion 1993/94 mit der Über-schrift „Afrika hat Zukunft“ eingebracht hat, von IhnenRudolf Kraus
Metadaten/Kopzeile:
8184 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
eloquent abgelehnt wurde. Er enthielt Forderungen, dieich heute zum Teil in Ihrem Antrag wiederfinde.
Die Frage ist doch, ob es sich hierbei um einen echtenBewusstseinswandel handelt oder nur um einen Wechselder Bänke.
Ihr Antrag weist außerdem zwei gravierendeSchwachpunkte auf:
Erstens. Er strotzt vor Arroganz. Den Grünen und denRoten vorzuwerfen, sie müssten ermahnt werden, Afrikanicht zu vergessen, ist nichts anderes als schlichterHohn.
Ich gehe aber davon aus, dass die Ministerin in der ge-bührenden Art und Weise alle Ihre Vorwürfe sauber wi-derlegen wird.
Das zweite Defizit Ihres Antrages: Sie gehen, HerrHedrich, nach wie vor so einäugig vor wie in den letztenWahlperioden, in denen ich dabei war. Sie sehen Hand-lungsbedarf nämlich nur im Süden, fassen sich abernicht an die eigene Nase. Sie fordern zu Recht, dass man die Vergabekriterieneinhalten muss. Wir haben aber nicht vergessen, dassSie unterschiedliche Messlatten an Afrika, China und andie Türkei legten. Wenn Sie von „good governance“ re-den, empfehle ich Ihnen gerade jetzt einmal mit afrika-nischen Botschaftern zu reden, von denen wir zu Recht„good governance“ fordern. Diese werden fragen: Giltin Deutschland eine andere Messlatte? Ebenfalls fehlt die Erwähnung der Fremdbestim-mung, unter der die afrikanischen Nationen aufgrundder Partikularinteressen der Vereinigten Staaten, vonFrankreich und von Großbritannien zu leiden haben. Dervon mir sehr geschätzte ehemalige Präsident von Weizsäcker hat am letzten Samstag auf der Willy-Brandt-Konferenz in Bonn – Frau Ministerin, Sie erin-nern sich – sehr deutliche Worte gefunden und daraufhingewiesen, dass es notwendig ist, dass die VereinigtenStaaten auch die Verantwortung, die sich aus ihrer Mo-nopolsituation ergibt, reflektieren müssen und dass ge-wisse Verhaltensänderungen notwendig sind. Bei Ihren Forderungen fehlt der Hinweis auf Rüs-tungsexportkontrollen, Lieferung von Kleinwaffen unddergleichen. Am allermeisten stört mich, dass der Hinweis fehlt,dass wir durch das „Vorbild“, das wir abgeben, vielSchaden anrichten. Was meinen Sie denn, Herr Hedrich,wovon meine und Ihre schwarzen Freunde, wenn wir anden Hütten zusammensitzen, träumen? Die sagen doch:Spätestens unsere Kinder sollen möglichst so leben, wiedie Menschen in Deutschland leben. Verständlich! Fürden Fall, dass es so kommt, kennen Sie alle aber das Er-gebnis. Wir Sozialdemokraten haben in dieser Woche einGrundsatzpapier mit dem Titel „Afrika an der Schwellezum nächsten Jahrtausend“ herausgegeben. Ich werde esnach meiner Rede den Sprechern der anderen Fraktionenüberreichen, damit Sie wissen, worüber wir sprechen.
– Herr Hornhues, es ist ganz bewusst dreisprachig gehal-ten. Es soll unseren Partnern in Afrika als Dialogangebotdienen. Denn der Dialog kommt häufig immer noch zukurz.Ich gehe davon aus, dass unsere Regierungskoalitionanlässlich der Beratungen im Ausschuss auf der Basisdieses Papieres ein paar Änderungsvorschläge oder ei-nen eigenen Antrag einbringt, so wie wir das üblicher-weise tun. Dazu will ich noch ein paar kurze Worte verlieren:Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, dass in Afri-ka eine nachhaltige Entwicklung stattfindet. Herr Kinkel, das hat etwas mit unserer historischen Verant-wortung und unserem Wertesystem zu tun. Das hat et-was mit der räumlichen Nähe im positiven wie im nega-tiven Sinne zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass wirein Interesse daran haben, dass das dortige Ökosystemintakt bleibt – diesen Gedanken teile ich mit Herrn Kraus –, und es hat etwas mit Folgendem zu tun – da-rauf weist mein Kollege Tappe immer hin –: Afrika wirdder Kontinent der Zukunft werden. Dort wird es in20 Jahren mehr als 1 Milliarde Menschen geben. Werdort rechtzeitig richtig investiert, für den bestehen großeChancen. Afrika ist nach unserem Verständnis derMarkt der Zukunft. Dieses originäre Eigeninteresse Deutschlands an derEntwicklung in Afrika veranlasst uns zu fünf zentralenBotschaften – ich reduziere dies bewusst auf fünf Bot-schaften –:
Erstens. Es darf nur Hilfe zur Selbsthilfe geben.Wenn die andere Seite nicht bereit ist, selber etwas zutun, dann sind alle Bemühungen unsererseits unsinnig.Wir dürfen die Afrikaner aber nicht überfordern. Wirkönnen von ihnen kein Geld verlangen, wenn wir wis-sen: Sie haben kein Geld. Also müssen wir von ihnen imRahmen der Selbsthilfe andere Leistungen erwarten. Zweitens. Die zukünftige Entwicklung – darin stim-men wir überein – muss schwerpunktmäßig auf dieEntwicklung der zivilgesellschaftlichen Strukturen aus-gerichtet sein. Partizipation nennen wir das. Wir mei-Dr. R. Werner Schuster
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8185
nen nicht nur die Nichtregierungsorganisationen, dieKirchen und die Gewerkschaften, sondern auch die Han-delskammern, Banken, Verbände und dergleichen. Siegehören ebenfalls zu dem Bereich, der unterstütztwerden muss. In Afrika müssen vor allen Dingen aberFrauenorganisationen unterstützt werden. Denn jedervon Ihnen, der häufiger in Afrika war, weiß: Arbeitentun dort nur die Frauen. Wer in diese Ressourcen nichtinvestiert, der investiert nicht richtig in Afrika.
Drittens. Eine weiterer Schwerpunkt sind die Regio-nalkooperationen. Die kennen Sie. Sowohl im sicher-heitspolitischen als auch im wirtschaftspolitischen Be-reich unterstützen wir SADC, ECOWAS, IGAD bzw.die East African Cooperation. Viertens. Wir müssen deutlich machen, dass unserePartikularinteressen die Entwicklung in Afrika wirklichbehindern. Das gilt zum Beispiel auch für solche Or-ganisationen wie die WTO. Ich erinnere in diesem Zu-sammenhang an Seattle. Fünftens. Wir müssen uns immer wieder bewusstsein, dass unser negatives Vorbild die Afrikaner prägtund sie an einer nachhaltigen Entwicklung hindert. Den-ken Sie an unser Konsumverhalten. Denken Sie auch andie zum Teil unreflektierte Übernahme des Mehrheits-wahlrechts nach Westminster-Vorbild. Das löst ethni-sche Konflikte und Minoritätenprobleme nicht. Schließen möchte ich mit einem Satz unseres derzei-tigen Bundespräsidenten, Herrn Rau. Er hat – ebenfallsam letzten Samstag auf der von mir bereits genanntenWilly-Brandt-Konferenz in Bonn – sinngemäß aus-geführt: Unsere Verfassung zeichnet sich durch dieFormulierung in Art. 1 des Grundgesetzes aus: DieWürde des Menschen ist unantastbar. Das gilt nicht nur im Innenverhältnis, sondern auchim Außenverhältnis. Für wen gilt diese Forderung mehrund präziser als für unsere schwarzen Freunde in Afri-ka? Lassen Sie uns deswegen alles daransetzen, den Afrikanern den notwendigen Spielraum einzuräumen,damit sie ihr Leben selbst organisieren können, um inWürde leben zu können. Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der afrikanische Kontinenthat mich in meinem gesamten beruflichen Leben, vor al-lem natürlich in meiner Zeit als Außenminister, immerbesonders umgetrieben und hat mich bis heute nicht los-gelassen. Einige der Kollegen, die hier als Afrika-Fansanwesend sind, wissen das. Bei meinen vielen Besuchenauf diesem 800-Millionen-Einwohner-Kontinent, der23 Prozent der festen Erdoberfläche bedeckt, habe ichmir ein Bild von den Problemen und von der zum Teilschrecklichen Armut, aber eben auch von dem kulturel-len und dem menschlichen Reichtum unseres Nachbar-kontinents machen können.Einige von Ihnen waren dabei: Die Bilder in Ruandaim Gefängnis von Kigali und in der leichenübersätenKirche nach dem schrecklichen Genozid, dem 1 MillionMenschen zum Opfer fielen, lassen einen zeitlebensnicht mehr los. Afrika zu helfen und mit den Afrikanernzusammenzuarbeiten braucht eben Mitleidens- und Mit-empfindungsfähigkeit, aber auch ein sehr starkes Ein-fühlungsvermögen, Engagement, Interesse und vor al-lem viel Geduld. Ein afrikanisches Sprichwort lautet janicht umsonst: „Das Gras wächst auch dann nichtschneller, wenn man an ihm zieht.“Afrika, vor allem natürlich das Afrika südlich der Sa-hara, bleibt leider ein Sorgenkind der Welt. Auf diesemleidgeprüften afrikanischen Kontinent liegen Licht undSchatten sehr eng beieinander. Ich nenne in diesem Zu-sammenhang Bürgerkriege, Unterentwicklung, ethnischeSpannungen, die schreckliche Aidsproblematik, Natur-katastrophen und Wassermangel. Ich werde nie verges-sen, wie ich aus dem Wahlkampf heraus zu meiner letz-ten UNO-Vollversammlung nach New York geeilt bin.Dort habe ich mitbekommen, wie sich Vertreter von54 afrikanische Ländern nur über das eine Thema, näm-lich über das Thema Wasser, unterhalten haben. Zur sel-ben Zeit berichtete der Außenminister von Bangladesch,einem Land mit immerhin 115 Millionen Einwohnern,dass sein Land zu zwei Dritteln unter Wasser stand.Vielleicht erinnern Sie sich in diesem Zusammenhangan die Überschwemmung in China und an die schreckli-chen Hurrikans in Lateinamerika.Die Situation wird schwierig bleiben. Ich brauche de-nen, die sich für Afrika interessieren, nicht zu sagen,dass wir von Globalisierung so lange nicht zu redenbrauchen – davon zu sprechen wäre in diesem Fall einHohn –, solange Millionen von Kindern von der erstenSekunde ihres Lebens an nicht die geringste Chance aufnur ein einigermaßen menschenwürdiges Leben haben.Denken Sie nur daran, dass durch die Entwicklung desInternet Nord und Süd noch weiter gespalten werden.Natürlich wird Afrika von dieser Entwicklung noch wei-ter abgekoppelt. Es gibt aber, auch im wirtschaftlichenBereich, Hoffnungszeichen. Denken Sie zum Beispiel anBotswana, Mosambik und Uganda. Dort gibt es hoheWachstumsraten.Auch die politischen Trends sind natürlich gemischt.Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich der ideologi-sche Druck auf diesem Nebenschauplatz des Ost-West-Konflikts abgebaut. Afrika hat jetzt mehr Möglichkeitenfür eine eigenständige Entwicklung. Leider hat sich dieBereitschaft in den Industrieländern, sich in den afrika-nischen Ländern stark zu engagieren, nicht in hohemMaße weiterentwickelt.Deshalb ein paar Forderungen – einige von Ihnenkennen mein Credo –: Die 54 Länder Afrikas sind zumDr. R. Werner Schuster
Metadaten/Kopzeile:
8186 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Teil einfach zu schwach und zu klein, als dass sie ohneRegionalisierung etwas leisten könnten.
Was wir innerhalb der SADC erreicht haben, müssenwir weiter vorantreiben.
Die 14 SADC-Staaten bilden mit einem Markt von180 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistungvon 170 Milliarden das wirtschaftliche Herz Afrikas.Die vielen kleinen Länder haben allein keine Chance.
– Ich habe nur eine Redezeit von sechs Minuten. Erlau-ben Sie bitte, Frau Eid, dass ich weiterrede.Natürlich hat sich auch die politische Situation ver-bessert. Ich denke zum Beispiel an die positive Entwick-lung in Nigeria, aber vor allem auch in Südafrika. Mankann bei Anwendung westlicher Maßstäbe natürlichnoch längst nicht von einer Demokratisierung Afrikassprechen. Auch die Menschenrechtssituation in vielenLändern kann man weiß Gott noch nicht preisen.Ganz besonders furchtbar ist der Kinderhandel in Afrika. Die hier Anwesenden wissen, wovon ich rede.Es ist ganz schlimm, was sich diesbezüglich in Afrikaabspielt. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat einen eige-nen Antrag zum Thema Kinderhandel in Afrika einge-bracht. Ich hoffe, dass er bald im Plenum behandeltwird.Angesichts der Situation in Afrika sind natürlich dieVereinten Nationen in besonderer Weise gefragt. Aberdie Vereinten Nationen können nicht jedes Problem dortlösen. Deshalb habe ich immer dafür plädiert – ich weiß,dass Sie mich in diesem Punkt unterstützen –, dass vorallem die OAU stärker als bisher eingreift. Afrika musslernen, in verstärktem Maße mit seinen eigenen Problemfertig zu werden und nicht immer sofort zu den Verein-ten Nationen in New York zu schielen. In diesem Punktmuss mehr getan werden. Das geht aber nur, wenn wirdie OAU stärken.Ja, meine Damen und Herren, der Tenor dessen, washeute zwischen uns diskutiert wird, ist richtig: Der afri-kanische Kontinent darf nicht in Vergessenheit geraten.Wer, wenn nicht die Europäer und auch die Deutschen,soll denn den Afrikanern helfen? In diesem Zusammen-hang muss man zur Bundesregierung zumindest teilwei-se ein kritisches Wort sagen. Zwei Personen werde ichausdrücklich ausnehmen, will aber der Bundesregierunginsgesamt sagen: Sie haben Botschaften geschlossen, Siehaben die Mittel gekürzt. Ich prangere das nicht generellan. Ich weiß, dass es mit den Haushaltsmitteln im Au-genblick schwierig ist. In Afrika hätte man vielleicht,was die Kürzung der Entwicklungshilfe anbelangt, vor-sichtiger sein sollen. Sie hat ihren niedrigsten Stand seit1972 erreicht, und Sie haben auch erfolgreiche Koopera-tionsprojekte eingestellt. Mein Nachfolger, Herr Fischer, muss sich sagen las-sen – ich habe es ihm von diesem Pult aus schon einmalgesagt –, dass er vollmundige Versprechen macht undsie nicht einhält.
– Liebe Frau Kollegin Eid, er hat zum vierten Mal eineAfrikareise abgesagt. Dies mache ich ihm wie auch derGrünen-Fraktion zum Vorwurf, die vollmundig Positi-onspapiere für eine neue Afrikapolitik ankündigt. Ver-geblich warten die Menschen in Afrika auf ein Zeichen,ja nur ein freundliches Wort des Bundeskanzlers oderdes Außenministers. Ich werfe ihm vor, erneut CNN-Politik zu betreiben, nämlich dort hinzugehen, wo dieScheinwerfer des Fernsehens sind. Und in Afrika sindsie eben nicht! Das ist eine Politik, die nicht gut, die ein-äugig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Kinkel, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen!
Ja, ich komme zum
Schluss, bitte Sie aber – um in der Sportlersprache zu
sprechen –, mir eine zweite kurze Luft zu erlauben.
Die ganze Dritte Welt spielt für den Bundeskanzler
und für den Außenminister praktisch keine Rolle. Wenn
ich mir die Afrikapolitik der neuen Bundesregierung an-
sehe, so nehme ich ausdrücklich Ministerin Wieczorek-
Zeul und ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Uschi
Eid, aus. Beide sind in Afrika außerordentlich engagiert.
Natürlich muss ich kritisieren, Frau Ministerin, dass
Mittel gestrichen werden mussten. Ich tue das aber nicht
mit großer Anklage. Ich merke, wie sehr Sie sich bei
Reisen engagieren, und ich weiß von Frau Eid, was sie
getan hat. Da kann ich nur sagen: Deutschland muss
wertorientierte Außenpolitik machen. Afrika hat bei al-
len Problemen Chancen auf eine bessere, friedliche und
menschenwürdige Zukunft. Aber Afrika braucht unsere
Solidarität und Afrika braucht vor allem unsere Zuwen-
dung. Das ist das Allerwichtigste.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Dr. Uschi Eid von der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich begrüße es sehr, dass wir uns heute in diesem Hausemit dem afrikanischen Kontinent befassen. Aber ich fin-de, dass die Herausforderungen viel zu groß sind, alsDr. Klaus Kinkel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8187
dass wir hier ein parteipolitisches Hickhack veranstaltensollten. Deswegen will ich mich daran auch gar nichtbeteiligen.
Lassen Sie mich stattdessen einige Anmerkungen zu un-serer inneren Haltung gegenüber diesem Kontinent ma-chen.Bei meiner Arbeit, in den vielen Gesprächen mit afrikanischen Regierungsvertretern, mit Parlamenta-riern – zum Beispiel gestern mit Parlamentariern ausKamerun –, mit Vertretern von Menschenrechts- undUmweltgruppen, mit Unternehmern und Wissenschaft-lern wird immer wieder deutlich, dass ein sehr großesInteresse an guten, freundschaftlichen Beziehungen zuDeutschland, an Entwicklungskooperation, an deutschenInvestitionen, an der Ausweitung des Handels mit derEuropäischen Union und am Wissenschaftsaustauschbesteht.Die Partner sind an einem freundschaftlich-kritischenund offenen Dialog interessiert. Sie erwarten – und dieszu Recht –, dass Deutschland sie ernst nimmt, auch ihreLeistungen anerkennt, ihnen zuhört – viel zu oft reisenwir mit erhobenem Zeigefinger durch die Lande undpredigen, sind pädagogisch, anstatt dass wir zuhören –,und sie erwarten, dass wir sie bei der Schaffung vonStrukturen unterstützen, die eine menschenwürdigeEntwicklung ermöglichen und zur Chancengleichheitbeitragen.Dabei geht es – das möchte ich ausdrücklich beto-nen – nicht in erster Linie um Geld bzw. um Entwick-lungshilfe. Es geht um den aufrichtigen, ernsthaften Dia-log zwischen Partnern, und zwar auf gleicher Augenhö-he, mit gegenseitigem Respekt. Das ist nämlich ent-scheidend.
Ich glaube, alle von uns haben schon erlebt, dass afrika-nische Parlamentarier eine Kategorie von Politikernsind, denen allzu oft der Respekt verweigert wird, weilwir meinen, die Afrikaner bekämen es nicht geregelt. Wer nun behauptet, dass Afrika in Vergessenheit ge-rät – dies insinuiert der Antrag der CDU –, hat die inter-nationale Diskussion um die Aktivitäten in den letztenMonaten überhaupt nicht verfolgt. An diesen Aktivitätensind wir intensiv beteiligt. Ich möchte einige Beispielenennen. Ich war im vergangenen November in Dakar zur Ta-gung der „Global Coalition for Africa“.
Dort haben sich amtierende und ehemalige afrikanischeStaatschefs und Minister mit Abgeordneten, Unterneh-mern und Vertretern von Bürgergruppen aus 21 afrikani-schen Ländern getroffen. Ich konnte mich selbst über-zeugen, welche bedeutenden Schritte Länder wie Bots-wana, Benin, Mali oder Kap Verde zur Demokratisie-rung unternommen haben. Im letzten Dezember haben die Weltbank und diewichtigsten Geber in Paris die „Initiative für eine Strate-gische Partnerschaft mit Afrika“ gegründet. Die Verein-ten Nationen hatten den Januar zum Afrika-Monat er-klärt und wichtige Debatten geführt. Die Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommenkonnten Anfang dieses Monats erfolgreich abgeschlos-sen werden. Gerade die Ministerin hat während unsererEU-Ratspräsidentschaft wesentlich dazu beigetragen.Am 3. und 4. April wird ein EU-Afrika-Gipfel derStaats- und Regierungschefs in Kairo stattfinden. Nichtzuletzt wird die erweiterte Entschuldung, wie sie letztesJahr in Köln beschlossen wurde, die sich der Bundes-kanzler zu Eigen gemacht hatte, vorwiegend afrikani-schen Staaten zugute kommen.
Herr Kraus, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlenhaben, als Sie behauptet haben, dass wir für Umwelt-und Ressourcenschutz nur 25 Prozent zur Verfügungstellen. Wenn Sie die AWZ-Unterlagen zur Rahmenpla-nung, die Sie von mir bekommen haben, gelesen hätten,dann hätten Sie gewusst, dass dafür 1999 32 Prozent zurVerfügung gestellt worden sind und 41 Prozent im Jahr2000 zur Verfügung gestellt werden.
Es stimmt zwar, dass wir im Zuge der Haus-haltskonsolidierung das Volumen für Afrika haben sen-ken müssen.
Immerhin sind wir aber bei 29,6 Prozent. Damit hat Afrika in diesem Jahr Asien als Hauptempfängerkonti-nent abgelöst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich an vielenAfrika-Diskussionen stört, ist, dass diese Diskussionenhäufig von einer unglaublichen Ignoranz und Arroganzsowie einer eurozentristischen Sichtweise geprägt sind.Oft wird die Situation beschönigt, ja sogar romantisiert,sehr häufig aber auch dramatisiert, wenn Afrika nur alsder Chaos-Kontinent wahrgenommen wird. Eigenanstrengungen unter schwierigsten Bedingun-gen in vielen afrikanischen Ländern werden nicht zurKenntnis genommen. Ich nenne nur den Aufbau einerunabhängigen Antikorruptionsbehörde in Kenia, von de-ren Arbeit ich mich gerade vor 14 Tagen bei meinemBesuch in Nairobi überzeugen konnte. Ich nenne dieWirtschaftsentwicklungen in Mosambik, Ghana undUganda, die laut „World Economic Outlook“ vom Ok-tober letzten Jahres – die stärksten in Afrika südlich derSahara sind, sowie den beeindruckenden Versuch zurDr. Uschi Eid
Metadaten/Kopzeile:
8188 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda. Herr Kinkel,ich war mit Ihnen damals in Ruanda. Vor einer Wochehabe ich die gleiche Stätte, das Völkermordmahnmal inGitarama, besucht. Ich war auch wieder im Gefängnis.Ich muss sagen: Was die ruandische Regierung beimVersuch der Versöhnung unternimmt, um mit diesemVölkermord fertig zu werden – juristisch, psycholo-gisch –, ist beeindruckend. Da müssen wir Ruanda un-terstützen.
Ich nenne auch das Referendum Anfang der Woche inSimbabwe gegen die Amtszeitverlängerung des Präsi-denten. Ich finde, da haben die Simbabwer Herrn Muga-be wirklich einmal die rote Karte gezeigt. Das war gutso.
Schließlich nenne ich die Unterzeichnung eines Vertra-ges im letzten November durch Kenia, Tansania undUganda zur Bildung einer ostafrikanischen Gemein-schaft. Dazu herrscht Einstimmigkeit hier im Hause.Regionale Kooperation muss unterstützt werden.
Deswegen habe ich 3 Millionen DM für die nächstendrei Jahre überbracht, sodass diese ostafrikanische Com-munity auf ihrem Weg hin zu einer politischen Union unterstützt wird. Ich denke, das war in Ihrem Sin-ne.Trotz aller Anstrengungen gehen die ausländischenInvestitionen an Afrika vorbei. Die eigenen Fachkräftekehren ihrer Region den Rücken. Das afrikanische Fi-nanzkapital verlässt den Kontinent und fließt zu auslän-dischen Banken. Einnahmen aus riesigen Ölgeschäftenwerden fehlgeleitet. Die Region der Großen Seenkommt nicht zur Ruhe. An der Grenze zwischen Äthio-pien und Eritrea wurde die größte Schlacht seit demZweiten Weltkrieg mit 70 000 Toten geschlagen. Sie al-le wissen, dass mir diese Region besonders am Herzenliegt, weil ich drei Jahre dort gelebt habe. Ich empfindedas als den irrsinnigsten Krieg, den ich mir überhauptvorstellen kann.Frau Präsidentin, nun noch einige Worte zumSchluss. Woran liegt das alles? Fehlende Verlässlich-keit von Regierungen, unverantwortliche Regierungs-führung, Korruption und Vetternwirtschaft, fehlendedemokratische Kultur, Missachtung von Menschenrech-ten, unkontrollierte Sicherheitsorgane, ein nicht funktio-nierendes Bankenwesen, keine Rechtsstaatlichkeit undkeine Rechtssicherheit – aus all diesen Gründen gibt eskeine Alternative zur Fortsetzung von politischen, sozia-len, ökonomischen und ökologischen Reformen. Wirwollen Afrika und afrikanische Regierungen bei diesenReformvorhaben unterstützen. Ich glaube, wir brauchen dabei überhaupt keinenNachhilfeunterricht von der CDU/CSU und der F.D.P.
Sie hatten zwanzig Jahre lang die Chance zu einer gutenAfrikapolitik.
– Nein, verpasst. Sie haben sie nicht so genutzt, wie eshätte sein können. Ich nehme einzelne Personen dabeiaus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Carsten Hübner das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Einführend möchte auch ichsagen, dass ich das Bemühen der CDU/CSU-Fraktiondurchaus schätze, sich derart umfassend mit der Ent-wicklung und mit den Problemen in Afrika auseinanderzu setzen, wie es mit diesem Antrag geschehen ist. Undauch ich begrüße die teilweisen Demokratisierungs-erfolge, etwa in Südafrika, Namibia oder Nigeria, auchwenn ich Ihre Euphorie gerade im Fall Nigerias nochnicht teilen mag. Aber es ist richtig: Afrika muss alsThema auf die Tagesordnung – umfassend, konzeptio-nell und kontinuierlich. Seine Probleme sind so vielfäl-tig, so evident und geballt – das wurde bereits angespro-chen – wie gegenwärtig in keiner anderen Region derWelt.Gleichzeitig schaut die viel beschworene so genannteWeltgemeinschaft in der Regel weg – zumindest so lan-ge, wie nicht elementare Interessen der reichen Staatendes Nordens gefährdet erscheinen, wie etwa die Inter-vention in Somalia gezeigt hat, als Ölförderrechte ame-rikanischer Konzerne bedroht waren. Ansonsten domi-niert – von entwicklungspolitischen Maßnahmen einmalabgesehen – eher stille Interessenpolitik oder gar politi-sche Abstinenz.Doch diesem Defizit, dieser Abwesenheit einer an-gemessenen und nachhaltigen Afrikakonzeption kommtman, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU,leider auch mit diesem Antrag nicht hinreichend bei.Denn auch darin dominieren wieder die allgemeinenAppelle und Absichtserklärungen und überwiegt derHang zu Lippenbekenntnissen; es fehlt die Forderungnach konkreten Taten – von aus meiner Sicht vielfachzweifelhaften Analysen der Ursachen einmal abgesehen.Wir sollten das in den Ausschussberatungen im Einzel-nen erörtern. An dieser Stelle nenne ich einige Stichwor-te. Wieder gilt das Bevölkerungswachstum als Ursacheund nicht als Folge von Unterentwicklung; Dr. Uschi Eid
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8189
wieder wird das westliche Entwicklungsmodell unkri-tisch als Lösung statt als Problem begriffen; wiederwerden Marktwirtschaft und wirtschaftsliberale De-regulierung unkritisch zu Heilsbringern erklärt; wiederwird die Verschiedenheit von Ethnien als quasinatürli-cher Konfliktherd beschrieben, das Konfliktpotenzialaus kolonialer Grenzziehung und soziokultureller Zer-rüttung und Ausbeutung im Zuge kolonialer und neoko-lonialer Ausplünderung hingegen nicht erwähnt. Vonder destruktiven Wirkung der drohenden WTO-Liberalisierungsrunden ist schon gar nicht die Rede.Immer wieder erkennt man den unreflektierten Zeige-finger „good governance“, obwohl doch gerade erst dieAnti-Korruptions-Nichtregierungsorganisation Transpa-rency International im AWZ darüber berichtet hat, dasses gerade die Unternehmen aus den Industriestaatensind, die mit Blick auf lukrative Großprojekte die politi-sche und gesellschaftliche Verfasstheit ganzer Regionenmittels Bestechung und Korruption unterminieren. Siehinterlassen auch bei uns im Land entsprechende Spu-ren. Das haben Sie in Ihrer Partei selber erfahren müs-sen.Zur Wirkung von Waffenexporten brauche ich schongar nichts zu sagen.Der Antrag ist zu umfassend, als dass ich in meinenvier Minuten detailliert dazu Stellung nehmen könnte.Ich beschränke mich deshalb auf ein Beispiel, wie einekonkrete und verantwortliche Politik im angesprochenenKontext aussehen könnte, und zwar was die SchuldenSüdafrikas, eines Hoffnungsträgers, gegenüber derBundesrepublik Deutschland anbetrifft.Im letzten Jahr der Apartheid betrugen die Schul-den Südafrikas gegenüber der deutschen Wirtschaft7,4 Milliarden DM, Schulden, die von einem verab-scheuungswürdigen Regime gemacht wurden und fürdie man das heutige, das demokratische Südafrika nichtin Haftung nehmen sollte.
Es ist geradezu paradox, dass die befreiten Menschennun auch noch die Schulden ihrer Unterdrücker, dieKosten ihrer Unterdrückung zahlen sollen.Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dassdeutsche Unternehmen zwischen 1986 und 1993 aus di-rekten und indirekten Investitionen im Südafrika derApartheid Einnahmen in Höhe von 4,71 Milliarden DMerzielt haben. Darüber hinaus fanden Nettokapitalexpor-te von Deutschland nach Südafrika in Höhe von3,56 Milliarden DM allein in der Zeit von 1985 bis 1993statt. Ich möchte nur daran erinnern, dass dies die Zeitder internationalen Sanktionen gegen Südafrika war.Wie legitim kann da der Anspruch auf Rückzahlungsein, frage ich Sie.Die eben bereits erwähnte Gesamtschuld gegenüberder deutschen Wirtschaft von 7,4 Milliarden DM im Jahr1993 machte jedenfalls 27,3 Prozent aller Auslands-schulden des öffentlichen Sektors des Apartheidregimesaus und machte die deutsche Wirtschaft damit zum in-ternational wichtigsten Direktfinanzier der Apartheid.Diese Schulden umgehend zu erlassen wäre doch einmaleine konkrete Forderung für Ihren Antrag gewesen. Aber dazu gehört schlichtweg etwas mehr Mut, als Sieoffenbar aufzubringen bereit sind.Was die Bundesregierung in dieser Frage unterneh-men will, wird sich allerdings auch erst noch erweisenmüssen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner
ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege
Karl-Heinz Hornhues.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wennman sich mit Afrika beschäftigt, gerät man, vor allemwenn man in einen solchen Kontinent verliebt ist – unddas sind hier manche –, leicht in die Gefahr, das Maß zuverlieren. Ich glaube, dass der deutsche BundeskanzlerGerhard Schröder vielleicht doch Recht hat, wenn er inseiner Grundsatzrede vor der Deutschen Gesellschaft fürAuswärtige Politik, in der er den Fachleuten dieses Lan-des seine Außenpolitik, die Politik seiner Regierung unddie von ihm bestimmten Richtlinien seiner Politik erläu-terte, in 17 Schreibmaschinenseiten Afrika nur am Ran-de erwähnt hat. Wir sollten uns gegenüber ehrlich genugsein, als Realität zur Kenntnis zu nehmen, dass dieseRede des Bundeskanzlers mit dem beiläufigen Erwäh-nen von Afrika – mit Afrika wolle man weitermachenwie bisher, so war der Zusammenhang – der Wirklich-keit vielleicht näher kommt als manches, was wir erklä-ren, wenn wir hier stehen und unser Herzblut vergießen.Mir scheint es von daher wichtig zu sein, zu überle-gen, was man denn tun kann, um unseren Regierungen –da möchte ich Ihnen gerne helfen, liebe Frau KolleginEid und liebe Frau Ministerin – klarer zu machen, dassdieser Kontinent für uns vielleicht wichtiger ist, alsmancher, auch der heutige Kanzler, das wahrhaben will.Ich will hinzufügen: Ich habe vor vielen Jahren einmaleinem Chef des Kanzleramtes, der meiner Partei ange-hörte, einen bitteren Brief geschrieben, in dem es kurzgefasst hieß, dass mir bewusst geworden sei, dass fürdas Kanzleramt südlich von Europa nur noch die Ant-arktis existiere. Ich will damit nur sagen: Das, was ichhier kritisiere, war auch damals schon problematisch –damit Sie mir nichts anderes unterstellen.Herrn Kinkel will ich zum Großteil ausnehmen, weilich sein starkes Engagement in den vielfältigsten Funk-tionen kenne.
Carsten Hübner
Metadaten/Kopzeile:
8190 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Ich kann Ihnen sogar die Schulen nennen, bei denen ermir geholfen hat, dass sie nicht geschlossen werden, undvieles andere mehr. Aber das will ich nicht vertiefen.Die Frage ist für mich: Was können wir tun, um die-sem Kontinent ein bisschen mehr den Platz zu geben,der ihm zusteht, da die meisten von uns ja meinen, dasser diesen Platz zurzeit nicht einnimmt? Ich glaube, es istganz wichtig, dass wir uns verschärft die Frage vor Au-gen führen, wie man es jenseits aller Blut-und-Tränen-Geschichten, aller grausamen Geschichten und auch al-ler herzerwärmenden Geschichten, die man über dieHerzlichkeit und Freundschaft erzählen könnte, welcheeinem begegnen, wenn man mit den Menschen dort zu-sammentrifft – jeder, der dort war, kann stundenlang er-zählen, wie schön es da war –, schafft, unter den Kolle-gen, aber vor allen Dingen in unserem Land ein anderesBewusstsein zu erreichen.
Dabei scheint mir wichtig zu sein, herauszuarbeiten, umwelche Punkte es geht.Erster Punkt: Auf dem Gipfel in Essen ist erstmalig ineinem EU-Papier in erheblichem Umfange auf die Be-deutung der Beziehung Europas zu Afrika eingegan-gen worden. Dies ist in der Folgezeit ein wenig in Ver-gessenheit geraten. Daher möchte ich dringend daran er-innern, diesen Aspekt zu sehen und nicht wieder Portu-gal, Spanien, Frankreich und Italien, also die Südländer,die Nachbarländer des Nordteils Afrikas, für die für Af-rika zuständigen zu erklären. Auch aus anderen Gründenist es zutiefst unser Interesse, dass wir mit ihnen derenProbleme diskutieren.Wenn die Marokkaner ihre Probleme in Spanien ha-ben, wenn sich in den Exklaven Spaniens in Nordafrikadie Lager mit Zehntausenden von Schwarzafrikanernfüllen, die zu uns in die EU wollen, dann dürfen wir diesnicht aus unserer Distanz zu Südeuropa zu deren Pro-blem erklären; denn es ist auch unser Problem. Warum?Aus ganz egoistischen Gründen: Wenn wir ein wenignach Osten schauen, sehen wir, woher unsere Problemekommen, von denen Portugal und Frankreich weiter ent-fernt sind. Unser Interesse ist, dass sich die Südeuropäerfür unsere prioritären Probleme engagieren. Dies könnenwir bei unseren Partnern in Europa aber nur erreichen,wenn wir bereit sind, ihre Probleme so ernst wie unsereeigenen zu nehmen. Anderenfalls klappt das Ganzenicht.
Zweiter Punkt: Wir alle, die wir uns engagiert mit Afrika beschäftigen – lieber Kollege Schuster, liebeKollegin Eid, liebe andere Freunde –, müssen unserenBürgern hier deutlicher als bisher die „good news“, dieguten Nachrichten überbringen. In Afrika haben sichnicht nur Not, Elend und Aids ausgebreitet, sondern esgibt auch Fortschritte, die von Bedeutung sind und diewir nennen müssen. Die afrikanische Wirtschaft wächstprozentual erstmals stärker als die Bevölkerung, auchwenn dies hinterfragt werden muss. Die Zahl der demo-kratischen Länder steigt. Was sich in Simbabwe tut, istprima. Die politischen Eliten in Afrika wachsen, die esals ihre Aufgabe ansehen, ihre Länder zu entwickeln,anstatt das einheimische Kapital zu exportieren. Diessind wichtige neue Nachrichten.Des Weiteren sollten wir unseren Mitbürgern aberauch klarmachen: Afrika zu entwickeln bedeutet, dasswir uns selbst helfen. Wir können nämlich – Herr Schuster hat es angesprochen – nur dann mit AfrikaGeld verdienen – um es drastisch zu formulieren – wenndie Afrikaner auch bezahlen können und wenn sie nichterst einen Kredit von uns bekommen müssen, damit siedas bezahlen können, was wir ihnen verkaufen wollen.Dies macht auf Dauer keinen Sinn. Wohlfahrt für Afrikaist also in gleichem Maße Wohlfahrt für uns.
Diese Sätze sagen wir auch auf Russland und andereLänder bezogen; wir sollten sie auch auf Afrika bezogenpublik machen.Ein weiterer Punkt: Wir werden die Welt nichtschnell verändern können und die Menschen in Afrikasind diejenigen, die sich zunächst einmal selbst aus demSumpf ziehen müssen, soweit sie in ihm stecken. Aberin einigen Bereichen müssen wir helfen, so gut wir kön-nen. Eines der wichtigen Stichworte der Außenpolitikheißt Krisenprävention. Ich erinnere mich daran, dass,als wir zum ersten Mal mit Truppen nach Sarajevomussten, in Deutschland gesagt worden ist, wir solltenum Gottes willen keine Soldaten nach Sarajevo schi-cken, sondern lieber Krisenprävention bei der UNO undanderswo betreiben. Das Stichwort fällt uns meistensein, wenn die nächste Krise so spät definiert und ent-deckt worden ist, dass sie mit Krisenprävention nichtmehr zu lösen ist.
Deswegen müssen wir den Menschen bei uns klarma-chen, dass uns in Deutschland die Splitter der Krisen jeweniger um die Ohren fliegen, desto mehr wir präventivhelfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt kommeich zur Bewertung dessen, was diese Regierung vor demHintergrund unserer ureigensten Interessen, bezogen aufAfrika – das kann man den Menschen bei uns klarma-chen – macht. So Leid es mir tut, hier komme ich nichtzu einer guten Bilanz. Ich hätte lieber eine bessere, weilich – das gebe ich ja zu – in diese Gegend auch ein biss-chen verliebt bin. Krisenprävention verlangt, dass ichweiß, wo die Krisen sind. Deshalb brauche ich Men-schen, die mich darüber informieren. Angesichts dessenBotschaften in Ländern zu schließen, deren HauptstädteBujumbura, Freetown und Djamena heißen – diese dreiLänder stehen symbolhaft für dickste Krisen – und indie, nebenbei bemerkt, unsere Minister und Staatssekre-täre aus dem AA und BMZ – ich habe mir eine Liste ih-rer Reisen geben lassen – nicht gereist sind, ist das Ge-genteil von Krisenprävention und zutiefst bedauerlich,Dr. Karl-Heinz Hornhues
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8191
zumal unsere Entwicklungshelfer auch noch ein Stückweit schutzlos gelassen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren aus der Koa-lition, ich weiß, Sie stimmen mir zu, auch wenn Sie dasnicht öffentlich kritisieren dürfen – das haben wir ja frü-her auch nicht getan –, weil Sie Ihre Regierung unter-stützen müssen.
Die Förderung des Kulturaustausches zu Papier zubringen ist prima, Goethe-Institute zu schließen und dieZahl der Austauschprogramme zu reduzieren dagegennicht. Sie wollten doch alles besser machen. Sie machenweniger, und das noch nicht einmal, so fürchte ich, bes-ser.Am Schluss meiner Rede kann ich nur eines sagen:Afrikaner aller Fraktionen vereinigt euch, um diese Re-gierung daran zu hindern, diese reduzierte Politik bezo-gen auf Afrika fortzusetzen!Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin indieser Debatte ist die Bundesministerin für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung, HeidemarieWieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Von allen Rednern und Rednerinnenist in dieser Diskussion mehrfach beklagt worden, dassin der Öffentlichkeit bezogen auf Afrika häufig Desinte-resse oder auch Pessimismus vorherrschen. Ich möchtedie Reihe derjenigen ergänzen, die gesagt haben: Manmuss diesen Kontinent sehr differenziert betrachten undauch manche Zahl zur Kenntnis nehmen. Die amerikani-sche Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ hatZahlen vorgelegt: Im letzten Jahrzehnt ist in Afrika dieZahl der autoritär regierten Staaten von 43 auf 21 ge-sunken. Es sind also deutliche Schritte in Richtung De-mokratie erkennbar, wenn auch nicht so ausgeprägt, wiewir sie uns in Westeuropa vorstellen. Ich begrüße des-halb ausdrücklich diese Debatte. Wir lassen Afrika nichtallein.Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen – das wurdeimmer wieder angesprochen –, dass die Höhe der Mittelim Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zwarwichtig ist, aber längst nicht alles aussagt.
So waren wir zum Beispiel gezwungen, unsere Finan-zielle Zusammenarbeit mit Äthiopien und Eritrea auszu-setzen. Wir wollen doch nicht mit unseren Finanzmittelndazu beitragen, dass zwei Länder gegeneinander Kriegführen; denn sie würden doch auch unsere Mittel dafüreinsetzen. Das muss in diesem Zusammenhang immergesagt werden.
Ich begrüße, dass sich der UN-Sicherheitsrat in einerDiskussion im Januar dieses Jahres des Themas Afrikastärker angenommen hat. Wir müssen aber dazu beitra-gen – das habe ich in vielen Gesprächen bei Besuchen inafrikanischen Staaten immer wieder feststellen kön-nen –, dass die internationale Gemeinschaft bzw. derUN-Sicherheitsrat bezüglich der UN-Friedensmis-sionen in Afrika konsequent ist. Ich plädiere engagiertfür eine UN-Friedensmission für die Konfliktregion derGroßen Seen, um die sich dort abzeichnenden Friedens-möglichkeiten international zu stützen.
Das wäre ein notwendiger Akt der Prävention. Ansons-ten setzt sich der UN-Sicherheitsrat dem Vorwurf aus –der in Afrika immer erhoben wird – dass die Regionenmit zweierlei Maß gemessen werden. Meine Damen und Herren, ich habe es eben schonangesprochen: Obwohl viele Regierungen in Afrikanachweislich Reformanstrengungen unternehmen, lebendort noch immer Millionen von Menschen in unerträgli-cher Not. Die Weltbank hat es in einem ihrer letztenTexte so ausgedrückt: „Afrika geht es besser, den Afri-kanern aber nicht“. Bezogen auf das, was Werner Schuster vorhin zu den Afrikanerinnen gesagt hat,möchte ich hinzufügen: den Afrikanerinnen schon garnicht. Entsprechend konzentrieren wir uns in der Entwick-lungszusammenarbeit auf die Armutsbekämpfung.Rund 40 Prozent der afrikanischen Bevölkerung leben inabsoluter Armut. Wir nutzen all unsere Möglichkeiten,um hier zu helfen. Ich spreche alle Kollegen an, die sich zu diesemThema geäußert haben: Wir können doch nicht vonGlobalisierung reden, aber dann, wenn es an die Be-trachtung geht, immer nur Ausschnitte, einzelne Ele-mente der Titel auf bilateraler Ebene heranziehen. UnserSchwerpunkt ist, dazu beizutragen, die regionalen Stabi-litätsinseln in Afrika zu stützen. Mit unserem Haushalt –wir haben die Mittel dafür auf 28,5 Millionen DM auf-gestockt – unterstützen wir die afrikanischen Regional-organisationen: die südafrikanische Entwicklungsge-meinschaft, die westafrikanische Wirtschaftsgemein-schaft und die Wirtschaftsgemeinschaft, die den Sudan,Somalia und Dschibuti umfasst. Wir wissen doch ausEuropa: Diejenigen, die regional wirtschaftlich verfloch-ten sind, die kooperieren, die schießen nicht aufeinan-der. Deswegen sind die Mittel, die in diesem Bereicheingesetzt werden, so wichtig.
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Metadaten/Kopzeile:
8192 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Herr Kollege Hornhues, Sie haben die Frage der Kri-senprävention angemahnt. Ich nenne hier noch andereElemente, die der Bundesregierung und in diesem Fallvor allem meinem Ministerium besonders wichtig sind.Erstens. Wir haben während unserer Ratspräsidentschafteine Initiative zur Bekämpfung der Verbreitung vonKleinwaffen in Gang gesetzt. Das ist die wichtigsteVoraussetzung, damit Kinder nicht zu Soldaten gemachtund missbraucht werden. Die Vereinten Nationen wollendurch eine Initiative, die auch in diese Richtung geht,entsprechende Beschlüsse zur Unterstützung der europä-ischen Initiative fassen. Das ist ein wichtiges Instrumentzur Krisenprävention.
Ein zweiter Punkt betrifft den zivilen Friedens-dienst. In Afrika wird es drei Einsatzorte geben: Ugan-da, Simbabwe und Sudan. Der zivile Friedensdienst ar-beitet mit Nichtregierungsorganisationen und mit derBundesregierung zusammen.Drittens, – auch das zum Stichwort Krisenpräven-tion –: Wir stärken die Zivilgesellschaft und demokrati-sche Strukturen, indem wir – ich nehme als Beispiel Ma-li – die Dezentralisierung in Ländern fördern, unterstüt-zen und finanzieren. So kann sich bei den Regional- undKommunalwahlen die Bevölkerung beteiligen. Damitwird Demokratisierung gefördert. Das ist ein echter Aktder Prävention, den wir durch unsere Entwicklungszu-sammenarbeit schwerpunktmäßig fördern.Viertens. Wir richten unsere gesamte Entwicklungs-zusammenarbeit auf Krisenprävention aus! Das heißt,bei jedem Projekt, bei jedem Konzept, das wir in denEntwicklungsländern in Afrika verwirklichen, haben wirKrisenindikatoren, die die Konflikte frühzeitig aufde-cken. Das setzt natürlich voraus, dass das Melden unddas Erkennen dieser Konflikte – ich nenne nur das Bei-spiel Ruanda – zu konkretem politischen Handeln derinternationalen Gemeinschaft führt.Im Folgenden möchte ich eine Reihe von Punktennennen, die widerlegen, dass wir die Länder in Afrikafinanziell nicht ausreichend unterstützen würden; werdas behauptet, der hat keinen genügenden Einblick indie Situation. Wir haben eine Entschuldungsinitiativegestartet. Das bedeutet, dass Unterstützung in einer Ge-samthöhe von 70 Milliarden US-Dollar auf den Weg ge-bracht worden ist. 36 Entwicklungsländer können davonprofitieren; 30 davon sind afrikanische Staaten. Dergrößte Teil dieser Mittel wird also den afrikanischenStaaten zugute kommen. Dieser Teil wird für Gesund-heit und Bildung eingesetzt. Das ist ein sehr großer Fort-schritt, den es bisher nicht gegeben hat.
Dabei wird jedes Land verpflichtet, dazu beizutragen,dass über Armutsbekämpfung – das ist wichtig, dennauch in afrikanischen Ländern gibt es Arme und Rei-che – mit der eigenen Bevölkerung diskutiert und diesezum Schwerpunkt gemacht wird. Da kann man sehr un-terschiedliche Gewichtungen feststellen. Auch in diesemBereich wird deutlich, dass wir unsere Verantwortungwahrnehmen.Zum Punkt Europäische Union und afrikanisch-karibisch-pazifische Länder. Es ist uns gelungen – unserMinisterium ist bei den Verhandlungen in diesem Be-reich federführend gewesen –, im Februar ein Nachfol-geabkommen abzuschließen. Es umfasst in der Phase bis2004 ein Finanzvolumen von 12,5 Milliarden Euro. Un-ter den 71 AKP-Staaten sind 47 afrikanische Länder,die von dieser Finanzierung profitieren. Es sage also bit-te niemand, wir würden diese nicht ausreichend einbe-ziehen. Im Mittelpunkt all unserer Bemühungen – das habeich deutlich gemacht – stehen die Menschen in Afrika.Frau Kollegin Eid hat vorhin schon deutlich gemacht:was die bilaterale Zusammenarbeit angeht, so ist imVergleich zu 1997 der Anteil der Zusagen am Gesamt-volumen von damals unter 25 Prozent auf fast 29 Pro-zent im Jahr 1999 gestiegen und wird in der Rahmen-planung 2000 bei rund 30 Prozent liegen,
sodass nicht mehr Asien die Region in der Welt ist, dieden Vorrang bei unserer Entwicklungszusammenarbeithat, sondern Afrika.Ich bitte die Kollegen der Opposition, das zur Kenntniszu nehmen.
Ich schlage vor – unabhängig von all diesen Initiati-ven, die zeigen, dass wir das ernst nehmen und dass unsdie Situation der Menschen am Herzen liegt –, innerhalbder Weltbank einen Afrikafonds aufzulegen, an dessenFinanzierung sich die Staaten, die Zivilgesellschaft, abervor allen Dingen auch Wirtschaftsunternehmen beteili-gen können, um damit die Regierungen zu unterstützen,die auf verantwortliche Regierungsführung, auf Rechts-staatlichkeit und auf transparente Haushalte orientiertsind. Das hat einen ganz praktischen Hintergrund: Nur 3von 95 Milliarden Dollar, das heißt, etwa 3 Prozent derausländischen Direktinvestitionen gehen in die Entwick-lungsländer südlich der Sahara. Das ist völlig unzurei-chend angesichts der großen Zahl von Direktinvesti-tionen in diesen Entwicklungsländern. Wir sollten alsoauch im Interesse dieses Aspektes dazu beitragen, alleRegierungen zu unterstützen, die eine verantwortlicheRegierungsführung in Afrika praktizieren. Eine solcheEntwicklung ist auch für ausländische Investoren einewichtige Voraussetzung. Wir sollten und müssen dazubeitragen.
Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zumSchluss machen. Ich gehe davon aus, dass die Bundes-regierung den Vorschlag, den ich eben gemacht habe, ininternationalen Organisationen aufgreifen wird. Werauch immer das Engagement des Bundeskanzlers indiesem Bereich angemahnt hat, wird sich noch Heidemarie Wieczorek-Zeul
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8193
außerordentlich wundern, dass die Vorschläge der Bun-desregierung Gehör finden werden. Insbesondere bei derMillenniumsversammlung der UN im September diesesJahres in New York werden sie deutlich werden.Das Problem Aids ist hier schon mehrfach angespro-chen worden. Deshalb muss ein Fonds – wie ich das eben angesprochen habe – aufgelegt werden, der überdas Vorhandene hinausgeht. Aids hat in manchen Ent-wicklungsländern bereits jetzt die Entwicklungsfort-schritte der letzten 30 Jahre vernichtet. Allein in denletzten 15 Jahren sind an dieser Seuche 11 MillionenMenschen in Afrika gestorben. Es bleiben die Kinderund die Älteren. Die Menschen, die ein Land voranbrin-gen können – die Generation der Erwerbstätigen –, ster-ben. Die Staaten Afrikas selbst haben diese Bedrohungbisher häufig tabuisiert. Aber dort, wo nach einer langenPhase der Verdrängung das Thema offen angesprochenwird, zeigen sich entsprechende Fortschritte. Wir solltenalles dazu tun, dass dieses Thema in allen internationa-len Organisationen zu einem gemeinsamen Engagementgegenüber Afrika führt. Das gilt für die G-7-Gipfel, dasgilt auch für die Aktionen der UN. Deshalb ist es gut,dass Aids eines der wichtigsten Themen auf der Tagungdes Development Committee der Weltbank im Aprilsein wird.Sie sehen: Die internationale Gemeinschaft nimmt ih-re Verantwortung durch wachsendes Engagement wahr,auch bezogen auf dieses Problem. Dies aber macht dengemeinsamen Einsatz finanzieller und politischer Mittelnotwendig.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. – Interfraktionell wird Überweisung der Vorla-
ge auf Drucksache 14/2571 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zu-
satzpunkt 10 auf:
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Max Stadler, Hildebrecht Braun ,
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Erweiterung des Untersuchungsauftrages
des 1. Untersuchungsausschusses der 14.
Wahlperiode.
– Drucksache 14/2527 –
ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ergänzung des Untersuchungsauftrages
des 1. Untersuchungsausschusses
– Drucksache 14/2686 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
Fraktion der SPD die Kollegin Christine Lambrecht.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir habenhier am 2. Dezember 1999 die Einsetzung eines Unter-suchungsausschusses zur Aufklärung des Spendenskan-dals der CDU beschlossen. Damals wusste die Öffent-lichkeit lediglich von dubiosen Bargeldkoffern, einemmöglichen Zusammenhang mit Panzergeschäften inSaudi-Arabien und von schwarzen Konten, über dieHelmut Kohl nach Belieben verfügte. Allein die Tatsa-che, dass ein ehemaliger Kanzler gegen Recht, Verfas-sung und Amtseid verstoßen hat, hat schon gereicht, umdie Republik zu erschüttern. Seitdem ist viel passiert. Als wir den Untersuchungs-auftrag formulierten, wussten zumindest die meisten vonuns noch nichts von Bargeldübergaben an HerrnSchäuble oder Frau Baumeister – wie auch immer. Wirwussten noch nichts über illegale Konten der hessischenCDU in der Schweiz und in Liechtenstein. Wir wusstennoch nichts über die Stiftung „Zaunkönig“, mit der dasGeld der hessischen CDU gewaschen wurde und nochnichts über die Stiftung „Norfolk“, die das gleichePrinzip mit ebenfalls illegalen Konten für die Bundes-CDU verfolgt hat. Wir wussten auch noch nichts überdie Unwahrheiten des hessischen Noch-Minister-präsidenten Roland Koch – ist er es noch? Ich habe seitcirca einer Stunde keine Nachrichten mehr gehört –
und noch nichts über viele andere Ungereimtheiten, de-ren Aufzählung zu lange dauern würde. All das erinnertan etwas, das die CDU angeblich immer erbittert be-kämpfen wollte, nämlich an organisierte Kriminalität.Ob die Vorwürfe wirklich zutreffen, muss von derStaatsanwaltschaft und vom Untersuchungsausschussermittelt werden. Zumindest verbal eint uns derzeit alle ein Ziel: einerückhaltlose Aufklärung. Um diese zu ermöglichen,muss angesichts der Fülle neuer Fakten, die täglich, jafast stündlich zutage treten, der Untersuchungsauftragerweitert werden.
Wenn es Ihnen von der CDU/CSU um wirkliche Aufklä-rung geht, wären Sie gut beraten, dem hier auchzuzustimmen.
Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, Sie versuch-ten die Aufklärung durch Taschenspielertricks zu behin-dern, wo Sie es nur können. Heidemarie Wieczorek-Zeul
Metadaten/Kopzeile:
8194 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Das zeigt, dass Sie immer noch nicht begriffen haben,worum es eigentlich geht. Es läuft hier keine Kampagneder Sozialdemokratie gegen die arme, unschuldigeCDU. Sie haben den größten und schwerwiegendstenSkandal in der Bundesrepublik zu verantworten.
In Ihren Reihen sitzen nicht unschuldige Opfer, sonderndie Täter dieses Skandals.
Statt Konsequenzen zu ziehen, kommen Sie mit juristi-schen Spitzfindigkeiten. Unser Antrag folgt dem juristischen Bestimmt-heitsgebot, das besagt, dass konkrete und tatsächlicheAnhaltspunkte für Rechtsverstöße zur Durchführung ei-ner Untersuchung erforderlich sind. Die hierzu gehörtenSachverständigen – auch der von der CDU/CSU benann-te – sehen das ebenso. Es ist selten genug, wenn zweiRechtsprofessoren eine übereinstimmende Meinung ver-treten. Ich glaube, die ungeheuerlichen Vorgänge umdas Verschieben von Geld ins Ausland, das Nichtange-ben von Vermögen in Rechenschaftsberichten, diewahrheitswidrige Angabe von angeblichen Vermächt-nissen sind wohl für jeden offensichtliche und konkreteAnhaltspunkte für Rechtsverstöße.
Was muss noch alles passieren, damit Sie mit einerUntersuchung einverstanden sind? Es kann keine Rededavon sein, dass durch die Erweiterung des Untersu-chungsauftrags Parteien ausgeforscht werden sollen. Esgeht darum, Rechtsverstöße aufzuklären. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch,dass solche skandalösen Vorgänge aufgeklärt werden,nicht nur wegen des Transparenzgebotes, das den Bür-gern die Offenlegung der Finanzierung garantiert, son-dern auch, weil die Vorlage von falschen Rechen-schaftsberichten dazu geführt hat, dass staatliche Zu-wendungen ohne Rechtsanspruch ausgezahlt wurden. Es kann wirklich niemand mehr verstehen, wenn Sie – um sich den Konsequenzen zu entziehen – jetztbehaupten, Ihr Rechenschaftsbericht sei im Sinne desParteiengesetzes aufgestellt und die vom Bundestagsprä-sidenten Thierse geforderte Rückzahlung daher nichtrechtmäßig.
Meine Damen und Herren von der CDU, wem wollenSie denn weissmachen, dass ein Rechenschaftsbericht,der einen Vermögensbestand der hessischen CDU inHöhe von 18 Millionen DM nicht enthält, ein Rechen-schaftsbericht im Sinne des Parteiengesetzes sein soll?Man hört abstruse Einlassungen, es reiche aus, wenn überhaupt ein Rechenschaftsbericht vorgelegt sei, egal,was dieser beinhalte. Ich war selbst von meinen Studen-ten im ersten Semester bessere Stellungnahmen ge-wöhnt. Ich glaube, Sie brauchen eine juristische Nach-hilfestunde.
Das Parteiengesetz fordert, dass ein Rechenschaftsbe-richt nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buch-führung erstellt werden muss. Die Grundsätze dafürfinden Sie, falls Sie es nicht wissen, im Handelsgesetz-buch. Danach ist ein solcher Bericht vollständig zuerstellen. Es ist keine Rede davon, dass es ausreicht, ir-gendeinen Bericht vorzulegen, wenn er auch noch sofalsch ist. Was bei der Vorlage von Berichten für Kaufleute gilt,das muss wohl auch für politische Parteien gelten. Siesollten es sich gut überlegen, bevor Sie dagegen etwasunternehmen wollen. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um dieRückforderung von Geld, das aus der Tasche desBundestagspräsidenten gezahlt wurde, sondern es gehtum Steuergelder. Diejenigen, die Steuern bezahlen,haben auch ein Recht darauf, dass solche Vorgänge dannaufgeklärt werden. Ich freue mich, dass die Kolleginnenund Kollegen von der F.D.P. dies nunmehr genauso se-hen,
wahrscheinlich auch, um ihr etwas angekratztes Imagein der Öffentlichkeit aufzupäppeln, was ja durch dasVerhalten ihrer Kollegen im Hessischen Landtag,
insbesondere durch Frau Wagner, ziemlich angeschla-gen ist. Gestern hat sie übrigens zumindest einen zutreffen-den Halbsatz erwähnt. Sie hat nämlich gesagt, dass wirin einer Zeit des Verlustes der politischen Kultur leben.Schade, dass sie solche Sätze nur sagt und nicht danachlebt und an ihrem Kumpanen,
dem Noch-Ministerpräsidenten Herrn Koch, ohne Wennund Aber festhält. Ich würde mir wünschen, dass sie imSinne der Demokratie ihren Ministerposten frei machenund im Interesse der Demokratie an dieser Koalitionnicht länger festhalten würde.
Ich bin aber auch froh, dass wir hier im Bundestagdie Mehrheiten haben, eine sinnvolle Erweiterung desUntersuchungsauftrages zu beschließen. Den Bürgerin-nen und Bürgern in unserem Land muss deutlich gezeigtwerden: In einer Demokratie gibt es Politiker, die Geset-ze brechen, aber nur in einer Demokratie ist es möglich,dieses auch öffentlich aufzuklären. Dies ist die Ver-Christine Lambrecht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8195
antwortung des Parlaments und dieser Verantwortungstellen wir uns. Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Andreas Schmidt.
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die CDUmassive Verstöße gegen das Parteiengesetz zu verant-worten hat, dass Vertrauen verloren gegangen ist unddass wir nur eine Chance haben, dieses Vertrauen zu-rückzugewinnen – wenn wir wirklich alles tun, um auf-zuklären, dass wir die Fehler eingestehen und auch bereit sind, die Konsequenzen zu tragen. Daran kannüberhaupt kein Zweifel bestehen. Dies will ich gern amAnfang sagen.
Meine Damen und Herren, für uns besteht auf denersten Blick in dem Antrag auf Erweiterung des Unter-suchungsauftrages ein verlockendes Angebot.
ich finde – das wird von Tag zu Tag deutlicher –, es gibtgute Gründe für die SPD und auch für die Grünen, jetztmit ihrer Häme, ihrem Hochmut und mit dem morali-schen Zeigefinger in Richtung Union Schluss zu ma-chen.
Es wird Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von denanderen Fraktionen, dass Sie auch beginnen, vor Ihrereigenen Haustür zu kehren. Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es! –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da kannman nur den Kopf schütteln!)Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sieuns, auch wenn Sie es nicht gerne hören, heute darübersprechen. Ich würde gerne wissen, was Sie zu einem Be-richt der „Wirtschaftswoche“ vom 17. Februar sagen,wo etwas über Ihren Fraktionsvorsitzenden steht.
– Dann erklären Sie das. – Ich sage Ihnen, was hier drinsteht. Hier steht, dass es eine allgemeine Hospitalgesell-schaft gibt, die sich mit Suchtkliniken befasst. Vor-standsvorsitzender ist Herr Weber, ein früherer Sozial-demokrat, Bevollmächtigter des Saarlandes. Aufsichts-ratsmitglied ist Herr Struck.
– Ja, hören Sie doch mal zu. Es tut weh, aber hören Siedoch zu. Diese Gesellschaft soll am 18. August 1998 den So-zialdemokraten eine Spende von 25 000 DM angewie-sen haben. Dann soll auf Veranlassung der Schatzmeis-terei der SPD diese Spende gestückelt worden sein, so-dass 19 900 DM an einen SPD-Verein und 5 100 DM di-rekt an den Vorstand der SPD gegangen sind. Sie solltendas aufklären, denn wenn das so ist, dann ist das eineUmgehung des Gesetzes, und wir sollten das aufklären.
Nach dem Bericht soll es weiterhin eine Spende andie SPD-Fraktion gegeben haben, mit der eine Zeitungder SPD-Fraktion kurz vor der Wahl 1998 finanziertworden ist.
Meine Damen und Herren, wir wollen Aufklärungauch über diesen Bereich.
Uns interessiert auch die Frage: Was ist eigentlich mitden Flügen, die die WestLB für Sozialdemokraten be-zahlt hat, die zu Wahlkampfveranstaltungen geflogensind?
Wir haben in der gestrigen Anhörung den Sachverstän-digen, Herrn Morlok, der von der SPD benannt wordenist, gefragt, ob dies eine Spende wäre. Er hat, von denSozialdemokraten benannt, geantwortet, dies sei nachseiner Rechtsauffassung eine Spende, die im Rechen-schaftsbericht aufgeführt werden müsste. Nach meinerKenntnis sind solche Spenden von Ihnen nicht im Re-chenschaftsbericht aufgeführt worden. Darüber müssenwir reden. Ich erwarte, dass der Bundestagspräsidentdies genauso aufklärt und dann genau die gleichen Kon-sequenzen wie bei der Union zieht.
Wir erwarten auch, dass Sie Auskunft geben, ob esrichtig ist, dass mit Mitteln der WestLB und des LandesNordrhein-Westfalen der Wahlkampf von Herrn Stolpeunterstützt worden ist. Ich habe den Eindruck: In Nord-rhein-Westfalen mauern Sie hinsichtlich der Aufklärung.Hier heben Sie den Zeigefinger gegen die Union; dortverhindern Sie die Aufklärung, weil es um Ihre eigenenVerfehlungen geht. Christine Lambrecht
Metadaten/Kopzeile:
8196 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Ich möchte auch gerne wissen, ob das, was in derheutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zei-tung“ steht, zutreffend ist, nämlich dass es einen Ver-merk der SPD-Schatzmeisterin gibt, wonach die SPD bis in die 80erJahre hinein anonyme Spenden verbuchthat.
Sie sollten klären, ob dieser Bericht zutreffend ist. Uns interessiert übrigens auch, ob es zutreffend ist,dass der DGB den letzten Bundestagswahlkampf derSPD massiv mit Geldern unterstützt hat.
Herr Ströbele, auch Ihnen möchte ich ein Wort mitauf den Weg geben: Sie sollten aufhören, mit dem Fin-ger auf die CDU zu zeigen, solange Sie mit dem auf ei-nem Bundesparteitag der Grünen verabschiedeten Be-schluss, der Ihre Fraktionsmitglieder zwingt, aus derunversteuerten Kostenpauschale eine Spende an diePartei abzuführen, massiv gegen die gesetzlichen Vor-schriften verstoßen. Auch dies sollten Sie hier bitte zu-stimmend zur Kenntnis nehmen.
Nach meiner Aufzählung wird deutlich, dass es füruns verlockend wäre, den Untersuchungsauftrag auf denvon mir beschriebenen Bereich auszudehnen.
Aber ich weiß natürlich genau: Sie werden mit IhrerAusschussmehrheit alles verhindern, was die Aufklä-rung Ihrer Verfehlungen betrifft. Diese Erfahrung habenwir machen müssen.
Ihr Ziel, den Untersuchungsauftrag zu erweitern, ist dasGegenteil von Aufklärung.
– Nein, Ihr Erweiterungsantrag ist das Gegenteil vonAufklärung.
Das zeigt auch die Vergangenheit im Untersuchungsaus-schuss. Der Untersuchungsauftrag, den wir im Bundes-tag einstimmig beschlossen haben, ist völlig eindeutig.Er besagt: Wir sollen aufklären, ob Entscheidungen derRegierung Helmut Kohl durch Geldzahlungen beein-flusst worden sind. Wenn man dies ernst nimmt – wirmüssen diesen Auftrag ernst nehmen –, dann liegt es aufder Hand, dass wir zunächst die Leute als Zeugen befra-gen, die in der damaligen Regierung die Verantwortunggetragen haben.
– Herr Ströbele, hören Sie mir gut zu! – Wir haben Hel-mut Kohl, Herrn Genscher, Herrn Waigel und HerrnBohl als Zeugen vorgeschlagen. Sie haben mit IhrerMehrheit verhindert, dass diese Personen als Zeugen zuden Vorwürfen gehört werden können.
Damit beweisen Sie, dass es Ihnen um Parteipolitik geht,aber nicht um Aufklärung des Gegenstandes des Unter-suchungsauftrags.
Ich möchte Ihnen jetzt erklären, warum wir davonüberzeugt sind, dass Sie den eigentlichen Gegenstanddes Untersuchungsauftrags nicht aufklären wollen. Sieglauben heute nämlich selbst nicht mehr daran, dass dieEntscheidungen der Regierung Helmut Kohl käuflichgewesen sein sollen. Deswegen wollen. Sie von dem ei-gentlichen Untersuchungsauftrag abrücken und sich ei-nem anderen Thema zuwenden. Je länger Sie die Aufklärung des eigentlichen Ge-genstandes des Untersuchungsauftrages verhindern undhinauszögern, desto länger haben Sie die Chance, dasThema auf der Ebene der Gerüchteküche und der Unter-stellungen weiterhin gegen die CDU zu instrumentalisie-ren.
Ein Beispiel für Ihre Strategie haben wir gestern imUntersuchungsausschuss erlebt. Es wurde ohne Kenntnisder Fakten behauptet, dass Akten verschwunden seien.
Wir können davon ausgehen – darauf haben wir Sie ges-tern hingewiesen –, dass sämtliche Akten aus dem Kanz-leramt bereits zwei Untersuchungsausschüssen vorgele-gen haben.
Ich bin relativ sicher, dass sich die Aktenbestände, dieangeblich verschwunden sind, noch heute in der Ge-Andreas Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8197
meinschutzstelle des Deutschen Bundestages befinden.Ich fordere Sie auf: Bevor Sie mit weiteren Unterstel-lungen arbeiten, sollten Sie mit uns gemeinsam ganzschnell nachschauen, ob sich die Akten dort befinden.Hören Sie so lange auf, mit Unterstellungen gegen diealte Bundesregierung und gegen die Union zu arbeiten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Nein,
ich will jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Herr Ha-
cker.
Sie müssen sich daran gewöhnen, dass wir zur politi-
schen Auseinandersetzung zurückfinden. Das mag für
Sie hart sein; aber Sie müssen sich auch diese Themen
heute gefallen lassen.
Ich glaube, dass der Erweiterungsantrag, den Sie vor-
gelegt haben, ein durchschaubarer Trick ist, um von dem
eigentlichen Untersuchungsauftrag, den wir im Deut-
schen Bundestag einstimmig beschlossen haben, abzu-
lenken, um ihn nach hinten zu schieben und um weiter
auf der Ebene der Gerüchteküche arbeiten zu können.
Sie wollen mit der Erweiterung die Union ins Visier
nehmen, um zu versuchen, die politische Auseinander-
setzung mit Ihrer schwachen und schlechten Politik in
Deutschland zu verhindern.
Dies werden wir nicht mitmachen.
Ich sage noch einmal: Wir sind für Aufklärung. Wir
sind auch dafür, dass wir die Konsequenzen für die Vor-
gänge, für die wir verantwortlich sind, tragen. Daran
kann kein Zweifel bestehen. Wir wollen aber auch, dass
Sie mit dem Zeigefinger nicht nur auf uns zeigen; viel-
mehr wollen wir, dass auch Sie endlich bereit sind, vor
Ihrer eigenen Haustür zu kehren. Sie sollten Ihre eigenen
Verfehlungen hier eingestehen. Sie sollten hier zur Auf-
klärung beitragen und die Aufklärung in Düsseldorf
nicht behindern. Wenn das geschieht, sollten wir ge-
meinsam zum eigentlichen Untersuchungsauftrag zu-
rückkehren, um die von Ihnen gegen die alte Bundesre-
gierung erhobenen Vorwürfe schnell zu untersuchen,
damit sie vom Tisch kommen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der KollegeHans-Christian Ströbele.
Kollegen! Herr Schmidt, was sollen wir denn machen,wenn wir vor den Vertretern einer Fraktion und einerPartei sitzen, die selber sagen: Wir können nicht mehraufklären; das ist jetzt Sache des Staatsanwaltes? IhrFraktionsvorsitzender – ich glaube, er ist es noch im-mer – ist mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit ge-gangen und hat damit die Waffen Ihrer eigenen Aufklä-rung gestreckt. Was sollen wir denn machen, wenn sichdie Mitglieder Ihres eigenen Fraktionsvorstands in derÖffentlichkeit mit eidesstattlichen Versicherungen be-harken, zu denen der Jurist sagt: Ist das nicht Theaternach außen? Haben die eigentlich einen juristischenWert, wenn die Vorstandsmitglieder nun in der Parteieidesstattliche Versicherungen austauschen?Was sollen wir denn anderes machen, als zu sagen:Herr Schmidt, das gehört in den zuständigen Untersu-chungsausschuss dieses Deutschen Bundestages, weilIhre Mittel, die Angelegenheit aufzuklären, offenbarnicht mehr ausreichen? Sie haben auf der ganzen Linieversagt. Sie haben das in der Öffentlichkeit eingestan-den. Daher muss diese Aufgabe leider der Untersu-chungsausschuss erledigen.
Wir brauchen die Erweiterung des Untersuchungsauf-trages. Es geht nicht darum, das festzustellen, was wirgestern Nachmittag diskutiert haben. Es ging um dasParteiengesetz, das Sie gemacht haben. Von diesemParteiengesetz sagen Sie jetzt, es sei verfassungswid-rig – nur weil Sie dagegen verstoßen haben –, das habeich von Ihren Juristen gehört. Deshalb müsse man sichdanach nicht richten. Dieses Gesetz sei verfassungswid-rig und deshalb seien den Konsequenzen, die HerrThierse aus der Tatsache gezogen habe, dass Sie gegendas Gesetz verstoßen hätten, nicht Folge zu leisten;vielmehr müsse man dagegen gerichtlich angehen.Herr Schmidt, so geht es doch nicht. Sie können dochnicht verlangen, dass wir den ehemaligen Herrn Bun-deskanzler, der sicherlich der zentrale Zeuge in dieserSache ist, als Ersten hören, wenn er sich überall in denMedien hinstellt und sagt: Die entscheidende Frage, vonwem ich das Geld bekommen habe, werde ich auch imAusschuss nicht beantworten. – Somit fehlt dem Aus-schuss die Möglichkeit, festzustellen, ob eine politischeBeeinflussung vorhanden war, ob Herr Kirch, Siemens,Springer oder wer auch immer ihm das Geld gegebenhaben und ob damit politische Entscheidungen gekauftwerden sollten. Sollen wir diesen Herrn laden, wenn eruns von vornherein sagt, er werde zu diesen entschei-denden Fragen nichts sagen? Sollen wir uns drei odervier Stunden lang seine Verdienste um die Weltge-schichte anhören? Die haben wir schon häufiger imFernsehen genossen.Andreas Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
8198 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
– Herr Schmidt, wir werden zuerst – das ist sachgerechteAufklärung – diejenigen hören, die unsere Fragen be-antworten müssen.
Wir werden die Leute hören, die kein Auskunftsverwei-gerungsrecht haben und die dabei waren, als der ehema-lige Bundeskanzler – freilich nicht als Bundeskanzler,sondern als Parteivorsitzender – die Hand ausgestrecktund die großen Kuverts mit dem gebündelten Baren be-kommen hat. Diejenigen hätten wir gerne zuerst gehört,die uns darüber Auskunft geben können, wer die großenUnbekannten waren, was sie gebracht haben und wasdort besprochen wurde. Dann werden wir – Sie könnenberuhigt sein, ich denke, das wird vor der Sommerpausesein – dem ehemaligen Bundeskanzler Gelegenheit ge-ben, dazu Auskunft zu geben. Wir bitten ihn dann auch Auskunft zu geben, was ei-gentlich davon zu halten ist, dass er und Sie von seinerFraktion hier ein Gesetz machten, an das sich der ehe-malige Kanzler, wie er im Fernsehen verkündete, nichtnur über viele Jahre, von 1993 bis 1998, nicht gehaltenhat, sondern an das er sich auch heute und sonst jedenTag weiterhin nicht halten will. Zur Offenlegungs-pflicht im Gesetz, die von Herrn Kohl und wahrschein-lich auch von Ihnen beschlossen wurde, sagt er: Die istmir egal, es kann da im Gesetz stehen, was da will, ichhalte mich nicht daran. Da stellt sich doch für mich als Linker die Frage,Herr Schmidt,
ob nicht etwas richtig ist an dem Satz, mit dem wir frü-her immer das Verhalten der Herrschenden beschriebenhaben: Die Gesetze sind für das gemeine Volk, das hatsich daran zu halten, wenn es sich nicht daran hält, gibtes drakonische Strafen;
aber wir, das Establishment, die Herrschenden, brauchenuns doch nicht an das Gesetz halten. Das ist die Grund-haltung, die Helmut Kohl jeden Tag der Bevölkerung indiesem Lande vermittelt. Das ist das Schlimme.
Das ist wirklich moralischer Verfall; Herr Kanther be-klagte ihn ja immer dann, wenn von Sprayern die Redewar. Das ist der Verfall der Moral, die Sie immer ver-sucht haben hoch zu halten.
Um das aufzuklären – das ist das Interesse dieserDemokratie und dieses Bundestages und sollte auch IhrInteresse sein –, brauchen wir die Erweiterung des Auf-trages des Untersuchungsausschusses. Wir brauchennicht eine Erweiterung in der Form, wie sie die F.D.P.ursprünglich einmal beantragt hat, nun bei den Grünennachzuprüfen, inwieweit durch Spenden das Regie-rungshandeln von 1993 bis 1998 beeinflusst worden ist.Ich denke nämlich, dass wir da völlig unverdächtig sind,weil Sie damals ja nicht auf uns gehört haben, sodasswir das Regierungshandeln leider nicht beeinflussenkonnten. Wir hätten es – mit oder ohne Spenden – gernegemacht, konnten es aber einfach nicht. Deshalb wardieser Antrag damals einfach Unsinn.Jetzt haben wir einen vernünftigen Antrag vorgelegt.In ihm steht nicht mehr, dass nur CDU/CSU und F.D.P.überprüft werden sollen, sondern wir wollen gegen alleermitteln, bei denen konkrete und tatsächliche Anhalts-punkte vorliegen, dass sie bewusst gegen die Offenle-gungspflicht des Grundgesetzes und des Parteiengeset-zes, die mit gutem Grund dort aufgenommen wurde,verstoßen haben. Wir wollen die dafür politische Ver-antwortlichen feststellen, stellen und Konsequenzen an-mahnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktionbefürwortet nachdrücklich die Erweiterung des Untersu-chungsauftrages des so genannten Parteispenden-Untersuchungsausschusses.
Die Aufklärung der unfassbaren Vorgänge der letztenWochen darf doch nicht länger nur den Pressekonferen-zen und den Talkshows überlassen bleiben.
Das Parlament ist der Ort, wo überprüft werden muss,wie von Politikern gegen die von eben diesem Parlamentgesetzten Regeln über die Parteienfinanzierung ver-stoßen worden ist. Deshalb geht es bei dem heutigen Beschluss auch um das Selbstverständnis des Parla-ments. Wenn der Untersuchungsausschuss seinen Auftrag er-füllen soll, durch Aufklärung wenigstens einen kleinenBeitrag dazu zu leisten, dass verlorenes Vertrauen wie-dergewonnen wird, dann darf dieser Ausschuss dochnicht durch einen zu eng gefassten Untersuchungsauf-trag an seiner Aufgabe gehindert werden. Genau dieseSituation besteht aber zurzeit.Hans-Christian Ströbele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8199
Der im Dezember beschlossene Auftrag betrifft, kurzgesagt, den Verdacht der politischen Korrumpierung.Niemand könnte es doch verstehen, wenn sich dieserUntersuchungsausschuss ausgerechnet mit dem Thema,das seit Wochen die Bürgerinnen und Bürger inDeutschland bewegt, nicht befassen dürfte, weil es sich„nur“ um Verstöße gegen das Parteiengesetz handelt,die nicht den Verdacht zulassen, dass damit Korruptionverbunden wäre.
Daher hat die F.D.P. als erste Fraktion am 19. Januar2000 einen entsprechenden Antrag auf Erweiterung desUntersuchungsauftrages eingebracht.
– Herr Ströbele, Sie haben sich offenbar nicht die Mühegemacht, die in diesem Zusammenhang vorgelegten An-träge zu lesen. Sie haben kritisiert, dass wir bei der Einsetzung desUntersuchungsausschusses wollten, dass zumindest dieMöglichkeit besteht, das Verhalten aller Parteien zu un-tersuchen. Aber jetzt geht es um ganz konkrete Ver-dachtsmomente, die übrigens nicht nur gegen die CDUbestehen. Deswegen haben sogar Sie, unserem Beispielvom 19. Januar 2000 folgend, vorgeschlagen, dass wiruns im Rahmen des erweiterten Untersuchungsauftragesnicht auf eine Partei beschränken, sondern uns zu Rechtdarauf beziehen, ob konkrete Anhaltspunkte dahin ge-hend bestehen, dass massive Verstöße gegen das Par-teiengesetz vorliegen.Herr Kollege Schmidt von der CDU, ich bin froh,dass Sie in Ihrem Redebeitrag nicht den Versuch unter-nommen haben, der Erweiterung des Untersuchungs-auftrages mit fadenscheinigen juristischen Argumentenzu widersprechen.
Denn obwohl zwischendurch von Ihrer Seite geäußertwurde, man dürfe einen solchen Auftrag nicht erweitern,ist völlig eindeutig, dass wir nicht gegen die Bund-Länder-Kompetenzregelung verstoßen. Denn es gehtum Vorgänge, die die Bundesparteien betreffen. Es gibtüberhaupt keinen Zweifel daran, dass wir uns damit be-fassen dürfen. Wir müssen uns sogar damit befassen. Wir verletzen auch nicht die Chancengleichheit derParteien.
Denn wer durch Gesetzesverstöße Anlass zu Untersu-chungen gibt, kann sich doch nicht zugleich darauf beru-fen, dass andere Parteien möglicherweise nicht in dergleichen Weise untersucht werden. Der hat die Ursachefür eine solche Prüfung selber geschaffen. Im Übrigen – darauf habe ich schon hingewiesen – wäre eine Beschränkung nur auf das Verhalten der CDUnach all dem, was wir wissen, weder sachgerecht, nochist dies in den Anträgen vorgesehen. Die Koalition hat nunmehr am 15. Februar diesesJahres, nachdem die F.D.P. mit ihrem Antrag den ent-sprechenden Impuls gegeben hatte, einen eigenen An-trag nachgereicht, der sich von unserem Vorschlag nurin einem wesentlichen Punkt unterscheidet. Wir mein-ten, dass der Untersuchungszeitraum auf die Zeit seitder Neuregelung der Parteienfinanzierung befristetwerden sollte. Sie schlagen vor, eine solche Befristungnicht einzuführen. An diesem Detail soll eine gemein-same Beschlussfassung nicht scheitern. Denn es gibt inder Tat immer wieder neue Gesichtspunkte, die es gera-ten sein lassen, den Auftrag auch in seiner zeitlichenDimension nicht zu beschränken.Wünschenswert wäre es allerdings gewesen – so wiedas in unserem Antrag vorgesehen wurde –, in den Un-tersuchungsauftrag ausdrücklich hineinzuschreiben, dassder Untersuchungsausschuss im Rahmen seiner Erkennt-nisse selbstverständlich Vorschläge hinsichtlich einereventuellen Neuregelung der Parteienfinanzierung un-terbreiten wird. Ich vermute, er wird dies so oder so tun.
Unser Hauptanliegen jedenfalls – dies wird heute be-schlossen werden – ist eine klare Grundlage für die Un-tersuchung all dessen, was unbedingt ans Licht der par-lamentarischen Öffentlichkeit muss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der F.D.P. geht es mit ihremAntrag darum, auch die anderen Oppositionsparteien mitins Boot des Untersuchungsauftrages zu holen. Dagegenist an sich nichts einzuwenden, auch wenn ich – jeden-falls momentan – noch keinen konkreten Grund dafürerkennen kann, der eine solche Ausweitung auf aus-drücklich alle Parteien zwingend erfordert. Sonstige Per-sonen, das heißt auch Politiker anderer Parteien, sindohnehin durch den Einsetzungsantrag erfasst. Aber wennes der F.D.P. so am Herzen liegt, bitte! Wir jedenfalls haben nichts dagegen, dass der Unter-suchungsausschuss auch die Frage prüft, ob an die PDSSpenden oder Ähnliches geflossen sind, die geeignetwaren, politische Entscheidungsprozesse des Bundes-tages zu beeinflussen.
Dr. Max Stadler
Metadaten/Kopzeile:
8200 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Ob durch die PDS Einfluss auf das Regierungshandelnunter der Kohl-Regierung ausgeübt wurde, diese Fragedürfte wohl niemand ernsthaft untersuchen wollen, auchwenn nach den letzten drei Monaten vieles möglich er-scheint.
Man könnte dazu natürlich auch Herrn Dr. Kohl befra-gen. Ich bin gespannt auf seine Antwort.
Die PDS hat jedenfalls nichts zu verbergen und nichtszu befürchten. Allerdings erlaube ich mir noch denHinweis, dass wir erst seit 1990 im Bundestag vertretensind. Die Frage der Verantwortlichkeit für die Zeitspan-ne von 1982 bis 1990 müssen Sie deshalb, auch wennSie das sicher schmerzt, unter sich ausmachen.
Ausdrücklich begrüßen möchte ich die Erweiterungin Ziffer 2 des Antrages zur Unterbreitung von Vor-schlägen für eine Neuregelung der Parteienfinan-zierung. Meine Fraktion hat in dieser Woche bereits einÄnderungsgesetz zu einem zentralen Abschnitt des Par-teiengesetzes, der Rechenschaftslegung, vorgelegt undwird sich aktiv in diese Diskussion einbringen. Auch derErgänzungsantrag der Koalitionsparteien trifft auf unse-re Zustimmung; zumal es genügend tatsächliche An-haltspunkte für die Verletzung des Parteiengesetzes wiein Hessen gibt.Wir haben immer wieder gefordert, bei konkretenAnhaltspunkten Verletzungen des Transparenzgebo-tes in die Untersuchungen einzubeziehen. Nur so ist esmöglich, eine wirklich lückenlose und politisch glaub-würdige Aufklärung zu erreichen. Dass dies nicht dieChancengleichheit der Parteien verletzt, haben bei dergestrigen Anhörung auch die beiden Sachverständigenbestätigt.Bei aller Unterschiedlichkeit ist jedoch beiden Anträ-gen eines gemein: Sie erweitern sehr großzügig den Un-tersuchungsauftrag, obwohl unser Ausschuss bereitsjetzt hoffnungslos überlastet, ja überfordert ist. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichtsgegen die geplanten Erweiterungen. Wir müssen aberauch bedenken, ob die bisherige herkömmliche Handha-bung solcher Ausschüsse nach der Geschäftsordnungden jetzigen Arbeitsanforderungen gerecht wird. Ichmeine: nein und plädiere dafür, dass wir versuchen, auchden Rahmen, den uns die Geschäftsordnung gibt, so fle-xibel und unbürokratisch wie möglich auszuschöpfen,um – wie man umgangssprachlich sagt – endlich in dieGänge zu kommen. Denn auch eine zu zögerliche undhartleibige Untersuchungsarbeit, die hinter den öffentli-chen Erwartungen zurückbleibt, kann die Glaubwürdig-keit von Politik weiter beschädigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Frank Hofmann von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrterHerr Schmidt, das verlorene Vertrauen in die CDU istmit Ihrer heutigen Rede nicht einmal in Ansätzen zu-rückgewonnen worden.
Sie gehören weiterhin zu den Altaufklärern, zu den Ver-neblern und Vertuschern und nicht zu den Neuaufklä-rern. So bleibt die neue CDU die alte CDU.
Wer Geld hat, segelt im günstigen Winde. Seit Be-kanntwerden der schwarzen Kassen und Konten ist beider CDU der günstige Wind dem politischen Orkan ge-wichen. Noch am 8. Februar erklärte Jürgen Rüttgers,der CDU-Landesverband NRW werde Schäuble bei seiner Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzendenunterstützen. Nicht einmal eine Woche später über-nimmt genau dieser CDU-Landesverband die Führungder Revolte gegen Schäuble – mit beachtlichem Erfolg,wie wir heute alle wissen. Schäuble wurde der Miss-brauch, den er mit dem Wort Aufklärung trieb, zumVerhängnis.Das Prinzip der Altaufklärer bei der CDU heißt:Gib nur das zu, was schon jeder weiß, und nenne diesAufklärung. – Dieses Prinzip gilt für die Bundes-CDUund für die Hessen-CDU. Die Altaufklärer müssen ver-tuschen, verschleiern und so wie Schäuble und Koch lü-gen.
Die rücksichtlosen und brutalen Aufklärer sind nichtsanderes als eine Mogelpackung. Pressekonferenzen mitscheibchenweisen Enthüllungen hat die CDU immer nurdann anberaumt, wenn Skandale nicht mehr länger unterder Decke gehalten werden konnten.
Vorher war der CDU keine Lüge zu plump. Sie scheutezurück, nicht einmal davor, jüdische Vermächtnisse alsGeldquellen anzugeben, getreu dem Grundsatz: Geld,das stumm ist, macht recht, was krumm ist.Eine Partei, die nach Belieben mit gewaschenen Mil-lionen jonglieren kann, wird leichtsinnig und überheb-lich. Treffliches Beispiel hierfür ist der hessische Minis-terpräsident Koch. Er musste mittlerweile einräumen,Dr. Evelyn Kenzler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8201
dass der CDU-Rechenschaftsbericht 1998 frisiert ist.Statt seine Schuld einzugestehen, ließ er aber Anwältean einem holperigen Rechtsgutachten basteln. DiesesGutachten soll Koch im Nachhinein von jeglicherSchuld reinwaschen. Hier zeigt sich die Arroganz derCDU-Macht; denn seit 1982 wurde der Glaube genährt,das Recht sei dort, wo das meiste Geld ist.Im Bund hat der Wähler diese Schieflage korrigiert.Er hat die alte Bundesregierung abgewählt. Auch inHessen wird Gerechtigkeit dann einziehen, wenn manden Wählerinnen und Wählern diese Chance gibt.
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein Desasterfür unsere Demokratie, dass Koch nicht die Verantwor-tung für seine Lügen übernimmt. Er steht nicht für einenNeubeginn der CDU. Er gehört wie Schäuble zu denAltaufklärern. Aber im Gegensatz zu Schäuble versteckter sich hinter fragwürdigen juristischen Gutachten. Ver-schanzt er sich möglicherweise in Kürze hinter einemärztlichen Attest? Dem Untersuchungsausschuss bleibt gar keine andereWahl, als sich mit den ans Tageslicht getretenen offen-sichtlichen Verfassungsverstößen der CDU zu beschäf-tigen. Tatsache ist: Die CDU hat mit Geldern ausschwarzen Kassen nur so um sich werfen können. Witt-genstein wusste schon gar nicht mehr, wie er das heißeGeld unter seine Leute bringen sollte. Das Geflecht derCDU-Allfinanz enthält mehr Verstecke als jeder Fuchs-bau. Ich bin der festen Überzeugung: Der Höhepunkt derAufklärung ist längst noch nicht erreicht. Dies deutenauch schon die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young inihrem Bericht für die CDU an. Die Frage: „Wer hatwann was von Anderkonten, Schweizer Banksafes, du-biosen Stiftungen und Bargeldkoffern, der Umwandlungvon Fraktionsgeldern in Parteigelder gewusst?“ darf beidem personellen Neuanfang der Union nicht unbeant-wortet ad acta gelegt werden. Auf die Gnade der spätenGeburt oder des schlichten Nichtwissens kann sich dienach dem plötzlichen politischen Tod Kohls undSchäubles entstandene Erbengemeinschaft nicht berufen.
Mit den schwarzen Kassen wurden die Bürger hinterdas Licht geführt. Betrogen wurden aber auch alle mitder CDU konkurrierenden Parteien, auch die F.D.P., diein Hessen zum Teil noch versucht, Koch die Treue zuhalten. Lange wird sie diesen Kurs nicht mehr durchhal-ten können. Andere von der CDU gelinkte F.D.P.-Landesverbände rebellieren schon lange. Zu Recht, wieich meine. Schließlich hat die CDU den Grundsatz derChancengleichheit der Parteien seit Jahren mit Füßengetreten.
Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt daher die Er-weiterung des Untersuchungsauftrages. Offensichtli-che, das heißt konkrete Fälle des Verstoßes gegen diePflicht der Parteien zur öffentlichen Rechnungslegungmüssen der parlamentarischen Untersuchung unterlie-gen. Mit einer Erweiterung des Untersuchungsauftragesräumen die von der CDU seit Jahren benachteiligtenParteien der CDU die Chance ein, sich zumindest imUntersuchungsausschuss aktiv an der Aufklärung ihrerParteispendenaffäre zu beteiligen. An dieser Stelle möchte ich mich bei der F.D.P. aus-drücklich dafür bedanken, dass sie unseren Antrag un-terstützt. Wer den vorliegenden Antrag als unzulässigeParteienausforschung bezeichnet, der hält mit dem Be-griff „Neuanfang“ schon wieder eine Lüge im Larven-stadium in der Rückhand. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ichfordere Sie daher auf: Gehen Sie sich Ihre Hände wa-schen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache und erteile jetzt dem Kollegen Max Stadler zur
Geschäftsordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Fraktion wünscht
und beantragt zu der Vorlage der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen noch eine kleine, aber nach
unserer Meinung nicht unwichtige Ergänzung. Wir bit-
ten zu formulieren: „sofern konkrete“ – dieses Wort soll
eingefügt werden – tatsächliche Anhaltspunkte be-
stehen ...
Damit wird wirklich völlig klar, was von allen Rednern
betont worden ist: Niemand will in unzulässiger Weise
und ohne einen konkreten Anlass das Finanzgebaren an-
derer konkurrierender Parteien ausforschen. Wir be-
schränken die Erweiterung des Untersuchungsauftrages
auf wirklich konkrete Verdachtsmomente.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir stimmen zu-nächst über den soeben vom Abgeordneten Stadlermündlich vorgetragenen Änderungsantrag ab. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmender CDU/CSU-Fraktion angenommen.Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zurErgänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersu-chungsausschusses auf Drucksache 14/2686 mit der so-eben vorgetragenen Änderung. Wer stimmt für diesenFrank Hofmann
Metadaten/Kopzeile:
8202 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Antragist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ange-nommen.Ich gehe davon aus, dass der Antrag der Fraktion derF.D.P. auf Drucksache 14/2527 nach Annahme des ge-änderten Antrages der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen zurückgezogen ist.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysiund der Fraktion der PDS eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insol-venzordnung
– Drucksache 14/2496 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und SozialordnungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei diePDS eine Redezeit von fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-Fraktion hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Das neue Insolvenzrecht istbekanntlich vor gut einem Jahr in Kraft getreten. Einewesentliche Neuerung stellen dabei die Regelungen zurVerbraucherinsolvenz dar. Die Erwartungen an diese neue Entschuldungsmög-lichkeit waren angesichts von über 2,5 Millionen über-schuldeten Privathaushalten deshalb auch sehr hoch. Ichsage absichtlich „waren“, denn diese Hoffnungen vielerBetroffener in einer für sie schier aussichtslosen Situati-on haben sich leider nicht erfüllt. Der erwartete Ansturmauf die Gerichte ist ausgeblieben. Die Verbraucherinsol-venz hat sich in großen Teilen einfach nicht als prakti-kabel erwiesen. Der Katalog an Nachbesserungsforde-rungen von Juristen und Schuldnerberatern ist inzwi-schen lang. Ich zähle kurz einige Beispiele auf. Erstens. Das gesamte Verfahren ist zu langwierig,kompliziert und bürokratisch. Zweitens. Viele Schuldner bleiben bereits im außer-gerichtlichen Einigungsversuch stecken. Die Schuldner-beratungsstellen sind in der Regel weder personell nochmateriell genügend ausgestattet. Die meist hoffnungslosverarmten Schuldner stehen jeweils einer Vielzahl vonGläubigern gegenüber, die allesamt angeschrieben wer-den müssen. Sie sind mit einer so genannten Nulllösungoder nur geringen Tilgungsraten jedoch meist nicht ein-verstanden. Da im außergerichtlichen Stadium bislangnoch kein Vollstreckungsschutz besteht, wird von vielenGläubigern bei Bekanntwerden der Überschuldung derEinigungsprozess durch Pfändungsversuche konterka-riert. Drittens. Ein ganz großes Problem ist die weitgehen-de Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe im Verfah-ren der gerichtlichen Schuldenbereinigung. Ich verweisewegen der begrenzten Zeit auf die von mir in der Geset-zesbegründung angeführten amts- und landgerichtlichenEntscheidungen. Es versteht sich von selbst, dass ohnePKH-Bewilligung für den überwiegenden Teil derSchuldner die Verfahren nicht finanzierbar sind. Viertens. Da in diesem gerichtlichen Stadium die bis-lang fehlenden Gläubigerzustimmungen durch das Ge-richt nur ersetzt werden können, wenn die, die sich vor-her bereits geweigert haben, nochmals kontaktiert wer-den, entstehen wiederum hohe Kosten und ein großerVerwaltungsaufwand. Fünftens. Hinzu kommt, dass es sich bei den meistenSchuldnern um so genannte Armutsschuldner handelt,die auf absehbare Zeit ihren Schuldenberg nicht oder nurgeringfügig abtragen können. Damit ist für diese großeGruppe der Schuldenbereinigungsplan eigentlich einNullplan. Auch die Restschuldbefreiung krankt an der langenWohlverhaltensperiode von sieben Jahren. Mit dem au-ßergerichtlichen Einigungsversuch und dem gerichtli-chen Schuldenbereinigungsverfahren kommt man gutund gerne auf eine Verfahrensdauer von neun, wennnicht sogar zehn Jahren. Die Lösung, die meine Fraktion mit dem vorliegen-den Entwurf vorgelegt hat, kann nur eine Zwischenlö-sung sein, um die gravierendsten Probleme anzugehen.Ansonsten läuft die Verbraucherinsolvenz weiter insLeere und erfüllt nicht ihren vom Gesetzgeber vorgese-henen Zweck. Der jahrelange Kampf um ein verein-fachtes Konkursverfahren für Privatpersonen wardann umsonst. Die Betroffenen wenden sich enttäuschtab. In unserem Entwurf geht es erstens um eine klarstel-lende Regelung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe.Hier sollte nicht erst die Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts abgewartet werden. Es geht zweitens um die Verkürzung der Wohlverhal-tensperiode von sieben auf fünf Jahre, um eine unver-hältnismäßig lange Zeit bis zur endgültigen Entschul-dung mit enorm hohen Anforderungen an den jeweiligenSchuldner angemessen zu verringern. Es geht drittens um die Einführung des so genanntenNullplans für die überwiegende Gruppe der mittellosenArmutsschuldner. Es geht viertens um die Ausweitung des Vollstre-ckungsschutzes auch auf den außergerichtlichen Eini-gungsversuch, um ernsthafte Bemühungen um einenvernünftigen Schuldenbereinigungsplan nicht von vorn-herein zum Scheitern zu verurteilen. Auch wenn es wenig erfreulich ist, die Insolvenzord-nung bereits nach einjähriger Lebensdauer wieder ge-setzgeberisch zu korrigieren: Im Bereich der Verbrau-Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8203
cherinsolvenz ist dieser Schritt unvermeidlich. Nach vie-len Gesprächen mit Betroffenen, engagierten Schuldner-beratern, Justiz, Juristen und anderen Rechtsexpertenkönnen wir uns damit nicht mehr viel Zeit lassen. Vorallem besteht nicht genügend Zeit, um die mehrjährigenErfahrungswerte bei der Anwendung der Insolvenzord-nung in Gänze abzuwarten. Mit Sicherheit wird man uns auch wieder vorwerfen,der Entwurf sei nicht ausgewogen genug und zu starkauf Schuldnerbelange ausgerichtet. Wer die Vorschlägejedoch richtig liest, wird feststellen, dass die vorge-schlagenen Neuregelungen, zum Beispiel zum Nullplanoder zum erweiterten Vollstreckungsschutz, auch eineganze Reihe von Verpflichtungen und Beschränkungenfür die Betroffenen enthalten, um die Interessen beiderGruppen, der Schuldner wie der Gläubiger, angemessenzu berücksichtigen. Ich hoffe deshalb, dass die Vorschläge meiner Frakti-on auf fruchtbaren Boden fallen, um aus der derzeitigenSackgasse, in der sich die Verbraucherinsolvenz befin-det, so rasch wie möglich herauszukommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Kolleginnen und Kollegen
Hartenbach, Freiherr von Stetten, Beck und Funke wol-
len ihre Reden zu Protokoll geben.**) Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Damit schließe ich be-
reits die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 14/2496 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 11 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Aus für den Transrapid Hamburg–Berlin;
Auswirkungen für den Wirtschafts- und
Technologiestandort Deutschland
Erste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Sothmann für
die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der „flüstern-de Silberpfeil“ ist ein technisch perfektes, weltweit bis heute einzigartiges Hightech-Projekt „made in Ger-many“. Doch rund 30 Jahre nach dem Forschungsauf-trag des damaligen SPD-Verkehrsministers Leber fürdas Hochgeschwindigkeitssystem Transrapid habenSchröder und Co. diesem einmaligen Zukunftsprojektden Todesstoß versetzt – ______*) Anlage 2
und das zu einem Zeitpunkt, zu dem - das muss mansich einmal überlegen – die ersten Planfeststellungsbe-scheide für den Bau der Anwendungsstrecke Hamburg –Berlin vorliegen. Der Skandal ist perfekt; der Baustoppist in jeder Hinsicht eine Katastrophe.
Der Verzicht auf diese Referenzstrecke bedeutet – obman will oder nicht – auch den Verzicht auf die Vorteileder gesamten Technologie.
Die Bundesregierung und Bahnchef Mehdorn verspielenso unseren weltweiten Entwicklungsvorsprung und un-sere Exportchancen. Wer kauft denn eine Katze imSack?
Kein Exportschlager ohne Anwendungserfolg im eige-nen Land! Jetzt machen wir den Weg für unsere größtenKonkurrenten Frankreich und Japan frei, deren Systemenun wohl als Erste zum Einsatz kommen werden. Bund und Bahn zerstören mit einem Schlag unserenguten Ruf als Wirtschafts- und Hochtechnologiestand-ort – und das im Vorfeld der Weltausstellung EXPO 2000“! Ein solcher Imageschaden, ein solcherVerlust an Glaubwürdigkeit kann nur sehr schwer repa-riert werden.
Bund und Bahn verschenken insgesamt 15 000 neueArbeitsplätze in Norddeutschland - und das angesichtssteigender Massenarbeitslosigkeit. In Hessen werdenrund 1 000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Thyssen-Standort Kassel ist gefährdet; mit der Anwendungsstre-cke wären dort dagegen Hunderte von Arbeitsplätzengeschaffen worden. Bund und Bahn legen ein hocheffi-zientes und umweltfreundliches Mittel zur Bewältigungdes steigenden Massenverkehrs ad acta. Wir verpassendamit auch die Chance für den Start in ein hochmoder-nes transeuropäisches Magnetschwebebahnnetz mit demKnotenpunkt Berlin. Bund und Bahn ignorieren bestän-dig die unbestreitbaren Vorteile des Transrapid. An-gesichts der Zugunglücke in Eschede und Brühl mitHunderten von Toten ist es für mich unbegreiflich, wieman auf eine absolut entgleisungssichere Hochtech-nologie wie den Transrapid verzichten kann.Die Rechnung von Bund und Bahn gegen die StreckeBerlin–Hamburg geht auch ökonomisch nicht auf. Siesetzen alle bisherigen Entwicklungskosten – rund 3 Mil-liarden DM Steuergelder – in den Sand und sparen nichteinmal Bau- und Betriebskosten.
Denn auch der Aus- bzw. Neubau der ICE-StreckeHamburg–Berlin würde 8 bis 11 Milliarden DM kos-ten, wenn man auf eine Fahrtzeit von 90 Minuten kom-men will.Dr. Evelyn Kenzler
Metadaten/Kopzeile:
8204 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Die Vorschläge zur Lösung des Finanzierungspro-blems wurden im Übrigen niemals ernsthaft geprüft,weil die negative Entscheidung von Bahnchef Mehdornzum Transrapid bereits vor Beginn der Verhandlungenfeststand.Ich erinnere an das Angebot von Bund und Industrie,ihre Mittel aufzustocken. Ich erinnere an das Angebotder Länderbürgschaften. Die Entscheidung gegen dieStrecke Hamburg–Berlin ist absolut innovations- undzukunftsfeindlich.
Dass man jetzt ins Auge fasst, eine alternative An-wendungsstrecke zu suchen, ist eine Farce. Denn wound wann soll sie gebaut werden? Auf Kurzstreckenkommen die Vorzüge des Transrapid nicht zur Geltung.Das finanzielle Risiko würde auch nicht geringer, und inzwölf Jahren, wenn die Planungen für eine Alternativ-strecke vielleicht endlich abgeschlossen wären, wäre derZug in die Zukunft längst abgefahren, und zwar ohneuns.
Das einzig Vernünftige aus meiner Sicht ist, dass dieTransrapid-Versuchsanlage in Emsland schnellstmöglichmodernisiert und zweispurig ausgebaut wird. Das Ems-land muss ein attraktives internationales Schaufensterfür den Transrapid werden.Ich appelliere eindringlich an die Bundesregierung,dieses Ziel so bald wie möglich in Angriff zu nehmenund damit auch der Transrapid-Industrie den Rücken zustärken. Nur schnellstes, effizientes Handeln kann dasZukunftsprojekt Transrapid, kann unseren Ruf als High-tech-Standort, kann unsere Exportchancen auf demWeltmarkt jetzt noch retten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Angelika Mertens.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Warum diese Aktuelle Stunde heutebeantragt wurde, bleibt das Geheimnis der CDU/CSU.
Wenn ich einmal in die Runde schaue, stelle ich fest,dass manche wichtigen – andere sind nicht unwichtig –,mit diesem Projekt befassten Leute nicht präsent sind.Der Berichterstatter, Herr Brunnhuber, ist nicht da, derAusschussvorsitzende ist nicht da und ich vermisse sehrmeinen Kollegen Fischer,
den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU, der jabei der letzten Debatte hier so viel heiße Luft verbreitethat, dass ich schon gedacht habe, wir müssten ihn vonder Kuppel herunterholen. Er hat den Untergang desAbendlandes prophezeit für den Fall, dass der Transra-pid nicht gebaut wird, und sich praktisch als Retter derWitwen und Waisen, die dann verlassen am Bahnsteigstehen und auf den Transrapid warten, aufgespielt. Jetztist er noch nicht einmal da. Wir fragen uns natürlich, woer ist. Er hat einen wichtigen Termin in Hamburg. Dassei ihm auch gegönnt, denn er hat morgen Organisati-onswahlen.
Das ist bei der CDU in heutigen Zeiten vielleicht nichtso ganz einfach.Die Entscheidung, die Transrapid-Strecke Hamburg–Berlin nicht zu realisieren, dürfte jedenfalls für kaumjemanden überraschend gekommen sein. Bereits in denMonaten zuvor war überdeutlich geworden, dass dieKostensteigerungen für den Fahrweg von bisher6,1 Milliarden DM auf rund 9 Milliarden DM völlig ausdem Ruder gelaufen waren. Hinzu kam, dass das Be-triebsrisiko für die DB AG unkalkulierbar wurde.
Sie haben früher jemanden gehabt, der das immer abge-nickt hat. Herr Mehdorn hat es nicht abgenickt und dieIndustrie konnte sich nicht dazu durchringen, sich amBetriebsrisiko zu beteiligen.Es ist eine alte Erfahrung, dass man, wenn alle Betei-ligten merken, dass ein Projekt so nicht mehr durchführ-bar ist, so etwas wie einen gordischen Knoten zerschla-gen muss. Der Verkehrs- und Bauminister ReinhardKlimmt hat mit großem Engagement und viel Geduld inden vergangenen Monaten nach einer fairen Lösung füralle Beteiligten gesucht. Ich finde, dass es ihm gelungenist.
Darauf kann er und darauf können auch wir stolz sein.
Das war kein leichtes Stück Arbeit. Die vorige Bun-desregierung hat uns eine schwere Hypothek hinterlas-sen. Das milliardenschwere Prestigeobjekt Transrapidhatte einen gravierenden Schönheitsfehler: Es basiertenicht auf seriösen Wirtschaftlichkeitsberechnungen,sondern auf dem Prinzip „Wunsch und Wolken“.Wie sorglos die CDU als Partei mit Geld umgegan-gen ist, können wir zurzeit hautnah erfahren. Bei Ihnenkönnen es ja schon einmal ein paar Milliönchen mehrsein. Nach diesem Prinzip sind Sie aber leider auch imVerkehrsbereich vorgegangen. Es gab den einen oderBärbel Sothmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8205
anderen Spatenstich nach dem Motto: Was kostet dieWelt? Bezahlt wird irgendwann später.Die jetzige Bundesregierung und die Koalitionsfrak-tionen, die sich in den letzten Jahren keiner so wunder-samen Geldvermehrung erfreuen konnten, haben ge-lernt – das ist die andere Seite des Geldmangels –, wieman mit dem ganz spitzen Bleistift rechnet. So stehenunsere Haushalte unter dem Motto der Solidität. Mit die-ser Bundesregierung wird es keine Verkehrsinfrastruk-turplanung geben, die nicht solide begründet ist. Daherhaben schlussendlich die Wirtschaftlichkeitsüberlegun-gen dazu geführt, von der Transrapid-Strecke Ham-burg – Berlin Abstand zu nehmen. Das ist vernünftigund dient übrigens auch dem Ansehen des StandortesDeutschland.Sie weinen natürlich Krokodilstränen; das haben Sievorhin bereits zugegeben. Natürlich haben auch wir un-sere Vergangenheit, was den Transrapid angeht. Sie ha-ben schon darauf hingewiesen, Frau Sothmann, dass essich hierbei um ein Leber-Projekt handelt. Das bedeutetaber auf der anderen Seite, dass Sie wirklich volle 16 Jahre Zeit hatten, um dieses Projekt zu verwirklichen.Sie haben es aber nicht getan.Ein objektives Problem ist die Strecke von Hamburgnach Berlin. Die Fraktionen von SPD und Grünenerwarten von der Bundesregierung eine schnelle Lösungim doppelten Sinne: einmal schnell, was den Zeitraumder Lösung angeht, und ein zweites Mal schnell, was dieFahrzeit auf der Strecke angeht. Hier denken wir an 90 Minuten.Demjenigen, der heute nicht anwesend ist, Herrn Fischer, wünsche ich viel Glück für morgen, wenn ersich wieder als Landesvorsitzender zur Wahl stellt. Eingutes Ergebnis für ihn garantiert dem rot-grünen Ham-burger Senat ein gutes Ergebnis bei den nächsten Bür-gerschaftswahlen.
Wir gehen davon aus, dass der alte und dann auch neueBürgermeister im Herbst nächsten Jahres in 90 Minutenvon Hamburg nach Berlin kommen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner istder Kollege Albert Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
– Wir handhaben das ausnahmsweise anders, weil derKollege von der F.D.P. gerade ins Plenum gelaufen kamund noch aus der Puste ist. Im Sinne des kollegialenMiteinanders ist eine solche Verschiebung sicherlich zu-lässig. Wir haben es so abgesprochen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Selbstverständlich. Nun muss ich aber mei-ne Gedanken während der Rede ordnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich beginne, indem ich Ihnen etwas vorlese:Der Transrapid wird nicht gebaut. Für die Bahn, fürdie deutsche Verkehrspolitik und nicht zuletzt fürdas Ansehen des Wirtschaftsstandortes Deutschlandist das eine gute Nachricht. Die Bundesregierungdarf sich etwas darauf zugute halten,
dass sie die von der Vorgängerkoalition auf sie überkommene Hypothek mit einer wirtschaftlichzwingenden, politisch nichtsdestoweniger mutigenEntscheidung gelöscht hat. Die kalkulatorische Irr-fahrt des Projektes Transrapid von Hamburg nachBerlin ist damit beendet.Das stammt aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“vom 7. Februar 2000.
Beim letzten Mal habe ich Ihnen aus dem „Handels-blatt“ vorgelesen. Heute lese ich Ihnen aus der „FAZ“vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wastun Sie sich und uns eigentlich an? Warum zelebrierenSie noch Ihre eigene Niederlage, obwohl Ihnen alle Ga-zetten mittlerweile den Schwachsinn des Projekts be-scheinigen? Warum zelebrieren Sie auch noch Ihren ei-genen Unverstand und Ihre Uneinsichtigkeit bis über dasletzte Sterbeglöcklein hinaus? Ich kann es nicht begrei-fen. Dabei stehlen Sie auch noch sich und uns den Ein-stieg in das Wochenende.
Woran ist das Transrapid-Projekt gescheitert? Es istnicht an schnöder Einsparwut gescheitert, auch nicht angrünem Verhinderungswahn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an den geschön-ten und getürkten Kostenberechnungen der Vorgänger-regierung gescheitert.Angelika Mertens
Metadaten/Kopzeile:
8206 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
Dass dort mit 6,1 Milliarden DM für den Fahrweg undmit 11 Millionen Fahrgästen Zahlen vertraglich ins Eck-punktepapier hineingeschrieben wurden, die sich nach-her als nicht haltbar erwiesen haben, ist Ihr Problem.
„Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeu-gend immer Böses muss gebären“, würde Goethe oderirgendjemand sagen.
– Oder Shakespeare, okay.Der Transrapid ist zweitens daran gescheitert, dasswir von Anfang an ein Alternativkonzept vorgelegt ha-ben: ein Dreistufenkonzept zum Ausbau der Bahnstre-cken, das nicht nur deutlich kostengünstiger ist, sondernauch von der Fahrzeit her ein sehr attraktives Angebotdarstellt.Es ist also nicht so, wie Frau Sothmann hier zum x-ten Mal behauptet hat, dass man zwischen Hamburgund Berlin eine neue Bahnstrecke bauen müsse. Da gibtes schon zwei Bahnstrecken, Frau Kollegin Sothmann. Was muss geschehen? Erstens muss auf der StreckeHamburg–Büchen–Wittenberge im Wege einer Aus-nahmegenehmigung und durch Ersatz der Halbschran-ken durch Vollschranken die Geschwindigkeit der Zügevon 160 auf 200 km/h und in einigen Abschnitten sogarweiter erhöht werden. Das würde uns schon einmal ei-nen substanziellen Fahrtzeitgewinn bescheren.Zweitens müssen die Bahnübergänge sukzessive,Schritt für Schritt, beseitigt und durch Über- und Unter-führungsbauwerke ersetzt werden. Dann braucht mankeine Ausnahmegenehmigung mehr; dann reicht einereguläre Genehmigung.Drittens – das meine ich zumindest – muss die zweiteBahnstrecke, die Strecke von Hamburg über Uelzen undStendal nach Berlin, im mittleren Drittel, auf den 103 Kilometern zwischen Uelzen und Stendal, durch einzweites Gleis verstärkt und für Hochgeschwindigkeits-züge ausgerichtet werden.Dann haben wir für einen Bruchteil der Transrapid-Milliarden vier „schnelle Gleise“ zwischen Hamburgund Berlin. Diese könnten wir schon heute haben, hättenwir nicht Jahre mit sinnlosen, fruchtlosen, teuren undergebnislosen Planspielen zum Transrapid vergeben.
Der Transrapid ist auch an seiner eigenen Innovati-onsschwäche gescheitert; das, so glaube ich, war ent-scheidend. Sie wollen uns diese Technologie heute wie-der als den Inbegriff der neuen Technologie verkaufen.In Wahrheit aber ist diese Technik in der ersten Hälftedes vergangenen Jahrhunderts erfunden und patentiertworden. Sie hat sich über ein Dreivierteljahrhunderthinweg weltweit nirgendwo durchgesetzt. Der Transra-pid kann nichts, was die Bahn inzwischen nicht längstkönnte – die Rad-Schiene-Technik hat im Übrigen zuimmer mehr Schnelligkeit geführt –; er ist nur teurer.Und das war sein Problem.Der Transrapid mag zwar das Rad einsparen, er kannes aber nicht neu erfinden. Die neue Generation vonschnellen Zügen, die 300 und mehr km/h fahren können,und die Neigetechnikzüge, die sich wie ein Motorrad indie Kurve legen können, haben dazu beigetragen, dassdie Transrapid-Technologie im Fernverkehr nicht mehrerforderlich ist. Ein Gefährt, das noch schneller ist alsder Transrapid und keinen Fahrweg braucht, existiert be-reits: Es ist das Flugzeug.Glauben Sie im Ernst an die „rasende StraßenbahnTransrapid“ zum Flughafen? Ich glaube nicht daran. Ichprophezeie Ihnen: Das, was wir bezüglich dieser teurenPlanung in Deutschland an Desaster erlebt haben, wirdsich demnächst in Japan ereignen. Auch dort wird mandem schnellen Zug Shinkansen gegenüber der Maglev-Technik, der Magnetschwebebahn-Technik, den Vorzuggeben; denn auch dort ist das Kriterium der Wirtschaft-lichkeit zum zentralen Entscheidungskriterium erklärtworden. Von daher wird die Entscheidung dort ähnlichausfallen wie bei uns. Ich glaube, wir sollten keine Krokodilstränen vergie-ßen, sondern froh sein, dass wir der Deutschen Bahn AGdiesen Klotz nicht ans Rad gebunden haben. Wir solltenjetzt schleunigst dazu beitragen, bald auf der Schiene ineineinhalb Stunden von Hamburg nach Berlin fahren zukönnen, und das auch noch zu einem akzeptablen Fahr-preis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum einen: MancherBefürworter des Transrapid, der hier gesprochen hat,kommt mir vor wie jemand, dem man das liebste Spiel-zeug weggenommen hat.Zum anderen: Frau Sothmann, Sie sind Betriebswir-tin. Herr Mehdorn hat doch nichts anderes gemacht alsdas, was wir von einem Manager verlangen, nämlichdass er betriebswirtschaftlich rechnet und fragt: Waskostet mich die Sache, und was kommt an Nutzen dabeiheraus? Herr Mehdorn ist aufgefordert, jährlich3,5 Milliarden DM an Personalkosten einzusparen. Soller sich jetzt in die Gefahr begeben, noch einen Verlustdurch den Transrapid einzufahren? Ich halte die Ent-scheidung für richtig.Ich möchte aber auch noch etwas zu dem KollegenSchmidt, der gerade gesprochen hat, sagen. Ich kannAlbert Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8207
mich daran erinnern, dass Sie sich am 19. Januar ganzvehement dagegen ausgesprochen haben, dass das Ge-setz zum Transrapid, das ausdrücklich die Strecke Ber-lin – Hamburg vorschreibt, aufgehoben wird. Insoferngibt es auch eine jüngere Vergangenheit.
– Ja, es ist überflüssig. Aber damals ist die Entscheidungnoch nicht gefallen.
Man muss auch in dieser Frage realistisch bleiben.Ich sage deutlich: Der Transrapid in der Form, wie erhier immer vorgestellt worden ist, scheitert auch daran,dass die Nachhaltigkeit relativ gering ist. Natürlich weißich, dass er leise und energieeffizient ist – aber ebenauch nur im Verhältnis zu seiner Geschwindigkeit: Bei400 Stundenkilometern zum Beispiel knallt er ebensolaut und mit demselben Stromverbrauch durch die Land-schaft wie beispielsweise ein ICE bei 250 Stundenkilo-metern.
Die Sinnhaftigkeit solcher Geschwindigkeit aber istes, die Transrapid-Befürworter endlich einmal hinterfra-gen sollten. Dann könnten sie sich selbst die Frage be-antworten, warum – Herr Schmidt hat darauf hingewie-sen – ein Patent aus dem Jahre 1937 in über 60 Jahrennicht den wirtschaftlichen Durchbruch geschafft hat.Diesen Durchbruch wird es auch nicht schaffen, solangedie Prämissen für seinen Einsatz lauten: Rapider Trans-port großer Mengen, vor allem von Personen, über weiteEntfernungen – eben Trans-Rapid.Es hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges geän-dert. Zum einen wurde sowohl die Rad-Schiene- alsauch die Flugzeugtechnologie seit Ende der 30er-Jahrederart optimiert, dass sich für den genannten Zweckschlicht die Frage betriebswirtschaftlicher Grenzkostenstellt. Natürlich kann man sich auch am Boden technischnoch schneller fortbewegen. Aber um welchen Preis?Sie können alle Transrapid-Befürworter aus der Wirt-schaft fragen, letztlich räumt jeder ein, dass der poten-zielle Markt für Höchstgeschwindigkeitstransportmittel,also Transrapid, selbst im Hochgeschwindigkeitsbe-reich – siehe ICE, TGV oder Shinkansen – sehr kleinund ungewiss ist. Deshalb sind schließlich jene, die mitdem System irgendwann Geld verdienen wollen, nichtbereit, weitere Kostenrisiken zu übernehmen, eben weildie Ungewissheit bleibt, ob es jemals verkauft wird – inEuropa sowieso nicht, aber selbst in Nordamerika nicht.Auch anderswo könnte es – wir hatten das bei den Ge-sprächen lange im Auge; wir haben alle die Disskussionverfolgt – aus eigener Kraft nicht bezahlt werden.Die zweite Veränderung, die in den letzten Jahrenviel zu langsam begann und von uns politisch viel stär-ker als bisher befördert werden muss, ist der Trend zunachhaltiger Entwicklung. Der Transrapid aber steht fürdas Motto: immer schneller, immer weiter – das „immerhöher“ kann man sich in diesem Falle sparen. Es mussaber um „global kommunizieren“, „lokal produzierenund konsumieren“ gehen, wenn die Menschheit nicht imökologischen Kollaps untergehen will. Für Ersteres stehtbeispielsweise das Internet, für Letzteres die regionaleVerflechtung von Wirtschaftsstrukturen.Die Beerdigung des Transrapid muss weder Arbeits-plätze noch technologisches Know-how kosten. Wennwir endlich das Magnetschwebebahngesetz aufhebenwürden, stünden 6,1 Milliarden DM beispielsweise fürden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, für kosten-günstige Sanierung und Wiederbelebung der Bahn in derFläche zur Verfügung, zum Beispiel mittels kleiner undleichter Triebwagen. Davon hätte man beispielsweise inNordbrandenburg und Mecklenburg etwas, wo man im-mer mehr Bahnlinien aufgibt und sich stattdessen in hilf-losen symbolischen Spatenstichen ergangen hat, oderauch in Kassel, denn irgendwo muss die neue Generati-on von Bahnfahrzeugen gebaut werden.Magnetschwebebahntechnik kann eine große Zukunftgewinnen, wenn sie nicht länger als Transrapid, sondernals alternative Nahverkehrstechnologie weiterentwickeltwird. Dafür würde es nicht nur weltweit, sondern auchinnerhalb Europas große und weiter wachsende Märktegeben. Denn überall gibt es noch Engpässe, wo beste-hende Träger den regionalen Verkehr nicht zufrieden-stellend befriedigen können. Beim Einsatz auf solchenKurzstrecken und damit im Niedergeschwindigkeitsbe-reich würde auch die geringe Lärmemission des Schwe-bens gegenüber dem Fahren tatsächlich unüberhörbarwerden. Statt mit dem Transrapid das Vorgestern zu be-tonieren, sollte mit dem Magnetschweben verkehrspoli-tisch endlich Zukunft gestaltet werden.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/ CSU-
Fraktion.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunftdes Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Die Frage dabei ist: Dient es dem WirtschaftsstandortDeutschland in Zukunft, wenn wir mit einer Magnet-schnellbahntechnik eine neue Exportchance auftun, oderdient es der Zukunft dieses Landes nicht?Die Koalition hat ihren Koalitionsvertrag am20. Oktober 1998 mit dem Satz überschrieben: Aufbruchin das 21. Jahrhundert. In diesem Koalitionsvertrag stehtnachweislich – ich möchte daran erinnern, welche ArtRolf Kutzmutz
Metadaten/Kopzeile:
8208 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
der Wählertäuschung wir erleben –: Wir sind für denTransrapid. – Das ist eine Bekräftigung für die Techno-logie und für das Verfahren.Herr Schröder, Herr Müller, der Finanzminister, fastalle Ministerpräsidenten sind dafür. Und jetzt hat derVertreter der Bündnisgrünen dem Transrapid und – dashat man heraushören müssen – der Technik endgültigeine Absage erteilt. Jetzt ist der Transrapid wirklich ge-storben. Die Bündnisgrünen haben sich heute – das istder Punkt – auch gegen die Technik ausgesprochen.
Man muss sich doch einmal vor Augen halten: Nochvor einigen Wochen ist Bundeskanzler Gerhard Schrö-der nach China gefahren und hat einen Vertrag zumVerkauf des Transrapid für eine Strecke in der Volksre-publik unterzeichnet,
während die Bündnisgrünen hier zu Hause knallhart ge-gen den Bundeskanzler stimmen, mit dem sie in einerKoalition verbunden sind. Nein, das ist jetzt der falscheWeg. Der Transrapid ist nicht nur gestorben; mit derheutigen Rede vonseiten des Vertreters der Bündnisgrü-nen ist er im Grunde beerdigt worden.Das Argument, mit dem man bisher gearbeitet hat, isthochinteressant: Der Transrapid sei auf der StreckeHamburg–Berlin teurer als die Bahn. Bis heute sind indie Bahnstrecke Hamburg–Berlin 5,4 Milliarden DM investiert worden. Was ist herausgekommen? – EinTempo von durchschnittlich 160. Das heißt, der Zugbraucht – ich fahre die Strecke selbst – zweieinhalbStunden; das ist langsamer als in den 30er-Jahren.
Der Transrapid ist günstiger: Er kostet 6,1 Milliar-den DM auf dieser Strecke. Die Bahn dagegen muss,wenn sie in neue Gleise investieren sollte – nur dannkann sie schneller werden –, 7,9 Milliarden DMzusätzlich finanzieren.
Wer die Neubaustrecke Frankfurt–Köln und die Neu-baustrecke über Hannover sieht, weiß genau, um welchePreise es sich handelt. Das Institut für Bahntechnik hatdas eindeutig nachgewiesen.Nein, es geht gar nicht um das Kostenargument. Esgeht alleine um die Frage der Koalition.
Der Transrapid ist das letzte Symbol der klaglos versa-genden grünen Politik.
Um nicht noch das letzte Symbol zu stürzen, wird derTransrapid jetzt auf dem Altar der Koalition geopfert.
Denn immer noch sprechen sich führende Sozialdemo-kraten für den Transrapid aus. Noch vor einer Wochehat sich Bundesverkehrsminister Klimmt dafür ein-gesetzt. Der Punkt ist: Der Transrapid wurde jetzt auf-grund der Situation in der Koalition wegen der Grünenbeerdigt.
– Mehdorn war skeptisch. Aber erst als er die Ansatz-punkte der Grünen gesehen hat, hat er dem eine Absageerteilt.
Es geht somit auch – damit will ich schließen – umdie Frage der Steuergelder. Man kann nicht vergnügtdarüber sein, dass jetzt Steuergelder in Höhe von fast2 Milliarden DM und private Investitionskosten in Höhevon 1,3 Milliarden DM beerdigt worden sind. Das habenSie verschuldet – aus politischen, nicht aus ökonomi-schen Gründen –: 3,2 Milliarden DM weggespült! Wiewollen Sie so den Aufbruch in das 21. Jahrhundert errei-chen? Zu Fuß?
Die Schlussfolgerung aus dieser verpassten Chanceist: Die Spitze der Regierung zeigt einen Mangel an Ri-sikobereitschaft. Wie wollen wir den Wirtschafts-standort Deutschland in die Zukunft führen, wenn schondie Regierung im EXPO-Jahr 2000 eines der interessan-testen, der besten, der umweltfreundlichsten Verkehrs-projekte beerdigt? Da hat die deutsche Politik versagt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Börnsen, Sie
müssen zum Schluss kommen.
Ich
komme zum Schluss. – Damit schaden wir in diesem
EXPO-Jahr 2000 dem Ansehen Deutschlands ganz ent-
scheidend. Mit dieser Beerdigung dokumentieren wir
Mangel an Risikobereitschaft.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt derKollege Reinhold Hiller für die SPD-Fraktion.Wolfgang Börnsen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8209
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Herr Kollege Börnsen, vonIhnen habe ich schon bessere Reden gehört,
insbesondere gestern. Ihre heutigen Argumente sindlängst überholt. Die Steuergelder, die Sie angesprochen haben, sindbei jeder Entscheidung, die zum Transrapid getroffenwird, verloren, weil die Strecke Hamburg–Berlin nichtrealisierbar ist. Das ist der Geburtsfehler dieser Diskus-sion über den Transrapid. Ich will das gerne näher be-gründen. Wir haben Ihnen das schon häufiger gesagt,doch ist es von Ihnen immer wieder ignoriert worden.Sie fahren mit dieser Eisenbahn oft von Hamburg bzw.Flensburg nach Berlin. Wenn ich diese Strecke fahre,stelle ich fest, dass ich meistens einen ganzen Waggonfür mich alleine habe. Diese Strecke ist im Eisenbahn-verkehr in keiner Weise ausgelastet
und entspricht überhaupt nicht den Annahmen der Wirt-schaftlichkeitsberechnung für die Strecke Hamburg–Berlin. Dies ist der Geburtsfehler für den Transrapid. Sie haben vorhin von Japan gesprochen.
– Ja, von China hat er auch gesprochen. – In Japan wirddie Strecke zwischen den beiden größten Ballungsräu-men Tokio und Osaka entwickelt; der Verkehrsaus-schuss ist dort gewesen; Sie können das in dem Berichtnachlesen. Dort wurde die Strecke zwischen den Räu-men geplant, in denen die meisten Menschen wohnen.Zwischen Hamburg und Berlin wohnen viel zu wenigeMenschen, um den Transrapid zu rechtfertigen. Sie haben weiter kritisiert, wir erreichten heute nochnicht die Fahrzeiten, die vor dem Krieg erreicht wurden.Heute dauert die Fahrt auf dieser Strecke circa zweiein-halb Stunden. Dies war eines der Argumente, mit wel-chem der Transrapid schöngerechnet wurde.
Das müssen wir hier auseinander halten. Dies war derGrund dafür, dass Sie Ihr Versprechen nicht eingehaltenhaben, die Strecke Hamburg–Berlin im Rahmen desVerkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ zu realisieren. Siehaben zu lange an Ihrem Glauben an den Transrapid, ichbetone: auf dieser Strecke, festgehalten. Deshalb bin ich froh, dass Bundeskanzler Schrödererklärt hat, dass jetzt Mittel zur Entwicklung dieserBahnstrecke eingesetzt werden sollen. Das hätte schonlängst geschehen müssen. Dass das bisher nicht gesche-hen ist, war Ihr Versäumnis und nicht das Versäumnisder neuen Bundesregierung.
Sie wurden immer wieder darauf aufmerksam ge-macht. Bereits in der Anhörung haben die Verkehrswis-senschaftler auf diese Tatbestände hingewiesen. Siewollten es nicht hören und haben daher weggehört. Siehaben sogar weggehört, als der damalige Verkehrsminis-ter Wissmann vorsichtig versucht hat, diese Strecke in-frage zu stellen.
Sie haben aus ideologischen Gründen weggehört. Mich enttäuscht, dass Sie sogar heute in der Opposi-tion noch weghören und nicht ernst nehmen, was bei-spielsweise die Industrie gesagt hat. Der jetzige Be-schluss zum Transrapid ist im Konsens mit der Industriegefasst worden. Sie können mir glauben: ich habe imKapitalismus noch kein Unternehmen kennen gelernt,das sich verweigern würde, wenn irgendwo eine Markzu verdienen ist.
Das habe ich noch nie erlebt und das sollten auch Sie alsMarktwirtschaftler wissen. Die Industrie hat letztlichzugestimmt, weil sie zu der Auffassung gekommen ist,dass auf dieser Strecke kein Geld zu verdienen ist.
Das muss man feststellen. Diese Strecke rechnet sich auch nicht mit Ideologie.Auf der geplanten Strecke liegen keine Ballungsgebiete.Sie liegen möglicherweise im Bereich von Rhein/Ruhroder Rhein/Main. Ich will keine neue Streckendiskussi-on beginnen. Das tut man auch nicht fünf Minuten nachso grundlegenden Entscheidungen. Darüber muss manlange nachdenken und deshalb sind für die Prüfung, obes noch eine andere mögliche Strecke gibt, zwei Jahrevorgesehen. Der Transrapid wäre langfristig der Klotz am Beinhinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Eisenbahn gewe-sen
und hätte die Situation der Eisenbahn gegenüber anderenVerkehrsträgern – insbesondere der Straße – weiterhinverschlechtert. Auch das, Kollege Börnsen, haben Sieignoriert. Wir sollten einmal ehrlich sein: Eine für denTransrapid prognostizierte Fahrzeit von 90 Minuten aufder Strecke Hamburg–Berlin ist auch mit der Eisenbahnmachbar. Damit bedienen Sie alle Verknüpfungspunktesowie den Güterverkehr. Auch 95 Minuten wären ehrli-cherweise industrie- und verkehrspolitisch tolerabel. Wirwollen hier nicht weiter um das goldene Kalb Transra-pid tanzen. Der Exportschlager wurde immer angekündigt, wennirgendwelche Diskussionen oder Entscheidungen an-standen. Bisher hat sich auf keinem Kontinent ein ernst-
Metadaten/Kopzeile:
8210 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
hafter Interessent gefunden. Das müssen wir leider auchzur Kenntnis nehmen.Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber HerrSchmidt, auf Ihr Zuhören lege ich besonderen Wert. Ich bin vorhin zu spät gekommen, weil ich von Han-nover hier herübergefahren bin, wo eine Infrastruktur-Vision im Bereich der Weser vorgestellt wurde. Ich binzu spät gekommen, weil in meinem Heimatort heute 110Frauen ihre Arbeit verloren haben, da die Firma Steil-mann ihre Produktion ins Ausland verlegt. Ich bin zuspät gekommen, weil die Umweltverbände schon wiedergegen das Emssperrwerk klagen und das Oberverwal-tungsgericht in Lüneburg diese Klage angenommen hat.Ich denke, Herr Schmidt, vor diesem Hintergrund – –
– Halten Sie einfach mal den Mund. Wenn Sie da nichtsempfinden, Herr Schmidt, dann glaube ich wirklich,dass sich eine Auseinandersetzung mit Ihnen nicht lohnt.
Vor diesem Hintergrund, Herr Schmidt und liebeKolleginnen und Kollegen, diskutieren wir im Rahmender Aktuellen Stunde die Perspektiven des Transrapid.
– Herr Schmidt, lassen Sie uns einen Schlussstrich zie-hen. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen keine Anwen-dung des Transrapid in Deutschland, Sie wollen keineweitere Erforschung der technologischen Möglichkeitendes Transrapid.
Ich setze darauf, dass der Bundeskanzler, dass FrauMertens und die Freunde von der SozialdemokratischenPartei und auch andere, auch der Vertreter der PDS – ichbegrüße das, was Sie gesagt haben, ausdrücklich –, zuneuen Konzepten vielleicht auch im Nahverkehr beitra-gen werden, die darauf abzielen, den Transrapid inDeutschland zur Anwendung zu bringen. Herr Schmidt, ich war bis jetzt der Meinung – dieserMeinung bin ich nach wie vor –, dass die Technologiedes Transrapid so etwas wie eine Vision von ökologi-schem, schnellem, sicherem Verkehr in Deutschland ist.
Vor diesem Hintergrund habe ich bis jetzt mein Enga-gement für den Transrapid gesehen. Ich glaube, das istnach wie vor richtig. Der Transrapid ist eine Zukunftstechnologie. Der Trans-rapid ist eine ökologische Technologie, der Transrapidist eine sichere Technologie. Nun, liebe Freunde, müs-sen wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir in dieserTechnologie bleiben. Der eine fängt an und diskutiert eine Strecke vonBremen nach Amsterdam, der Nächste diskutiert eineStrecke von Köln nach Bonn, der Nächste diskutiert eineStrecke von Huhn nach Hahn, hätte ich fast gesagt. Dasist doch katastrophal, was hier im Moment stattfindet!
Wir reden den Transrapid in seinen Anwendungsmög-lichkeiten durch solche überstürzten Diskussionen tot. Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unternehmen,um die Anwendungsstrecke in Lathen so zu konditionie-ren, dass diese Strecke Zukunft hat, dass diese Streckedie Möglichkeit bietet, Interessenten dieser Technologieetwas zu zeigen, was sie überzeugt, dass diese Techno-logie exportfähig ist.
Es geht auch um die Arbeitsplätze der Menschen inLathen. Es geht darum, dass die Teams, die in diesenBereichen forschen, erhalten bleiben. Machen Sie bittemit.
– Machen Sie mit, Frau Mertens? Stellen Sie Haus-haltsmittel bereit, damit die Anwendungsstrecke inLathen, die ja mittlerweile 17 Jahre alt ist und die imGrunde genommen schon nach 10 Jahren hätte erneuertwerden müssen, so konditioniert wird, dass sich dieTransrapid-Technologie voll entfalten kann? MachenSie das mit? Sagen Sie Ja.
Setzen Sie sich bei den nächsten Haushaltsplanberatun-gen dafür ein, dass Mittel bereitgestellt werden? SetzenSie sich im Bereich von Forschung und Entwicklung da-für ein, dass diese Strecke dann auch zweispurig ausge-baut wird?
Setzen Sie sich dafür ein, dass die Menschen, die dortarbeiten, hoch qualifizierte Fachleute, in dieser ArbeitReinhold Hiller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8211
bleiben, damit wir uns gemeinsam auf einen Weg bege-ben, neue, zukunftsorientierte Technologien zu erschlie-ßen?
– Lieber Kollege Schmidt, ich würde gern hören, wasSie sagen, aber ich kann schlecht hören, während ich re-de. Bitte melden Sie sich. Ich bin dann gern bereit, mitIhnen darüber zu diskutieren.
– Herr Schmidt, wenn Sie als starke Persönlichkeit inder SPD sagen: „Wir werden dafür sorgen, dass die Ver-suchsstrecke in Lathen die Möglichkeit bietet, die Trans-rapid-Technologie weiterzuentwickeln,
damit wir das Ziel, eine Referenzstrecke in Deutschlandauf den Weg zu bringen, nicht aus den Augen verlieren“,dann bin ich sehr damit einverstanden. – Herr Schmidt,ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln.
– Wie kommen Sie dazu, zu sagen, dass das, was ich sa-ge, Unsinn ist? Woher nehmen Sie das Recht, so etwaszu sagen?
Haben Sie schon einmal mit den Menschen, die dieTechnik in Lathen erproben, geredet? Sind Sie schoneinmal mit dem Transrapid gefahren? Haben Sie sich inJapan nach der Transrapid-Technologie erkundigt? Nachmeiner Meinung ist es nicht korrekt, dass Sie etwas –aus meiner Sicht – Vernünftiges, das jemand zu den Zu-kunftschancen des Transrapid sagt, als Unsinn abtun.
Auch wenn Sie hier schon ein bisschen länger sitzen alsich, haben Sie nicht das Recht, ein Urteil über eineTechnologie und über die Chancen der Menschen aufArbeitsplätze zu fällen, wie Sie es getan haben.Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Koalitionspartner, dieGrünen, hat sich heute von jeder Form der Transrapid-Technologie in Deutschland verabschiedet.
Die Grünen sind die großen Sieger.
Ich muss Herrn Schmidt loben: Er war immer gegen die-se Technologie. Er war immer gegen die Anwendung.Er war immer für die Eisenbahn. Das hat vielleicht auchetwas damit zu tun, dass er im Aufsichtsrat der Deut-schen Bahn AG sitzt. Aber Herr Schmidt hat seine Liniewenigstens konsequent vertreten. Nur, das, was Sie, Herr Schmidt, und Ihre Kollegenvon der SPD machen, ist Verhohnepipeln der Menschen,die an dieser Technologie arbeiten. Das ist Verlogenheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Goldmann,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das ist nicht
mit Ihren Positionen im Koalitionsvertrag in Einklang zu
bringen. Das ist auch nicht mit dem in Einklang zu brin-
gen, was Schröder damals als Ministerpräsident in Nie-
dersachsen und jetzt als Bundeskanzler über die Trans-
rapid-Technologie gesagt hat. Wenn Sie behaupten, ich
redete Unsinn, dann muss ich sagen: Sie lügen beim
Transrapid.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Kristin Heyne für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Lieber Kollege Goldmann, angesichts derKrokodilstränen, die Sie in aller Breite zelebriert haben,muss man genau hinschauen, wie der Ausstieg zustandegekommen ist.
Es reicht nicht aus, in Lathen eine interessante und fas-zinierende Technik zu entwickeln. Dass sie das ist,möchte ich gar nicht bestreiten. Natürlich bin ich mitdem Transrapid gefahren. Natürlich ist das eindrucks-voll. Herr Goldmann, das reicht aber nicht. Eine guteTechnologie kann nämlich nur dort vernünftig eingesetztwerden, wo sie ihre Stärke entwickeln und wo sie wirt-schaftlich betrieben werden kann. Das kann sie zwi-schen Hamburg und Berlin nicht.
Herr Krause, der später „Tankstellen-Krause“ ge-nannt wurde, und sein Nachfolger, Herr Wissmann, ha-ben gedacht: Jetzt gibt es ein Beschleunigungsgesetz.Jetzt können wir den Transrapid auch bald fahren lassen.– Alle anderen Aspekte haben sie unter den Tisch fallenlassen. Sie haben im Zeitraum von 1993 bis 1995 keinevernünftige Wirtschaftlichkeitsprüfung durchführen las-sen; vielmehr ist die Strecke Hamburg–Berlin – daraufhat der Kollege Börnsen richtigerweise hingewiesen –absichtlich langsamgerechnet worden. Man hat die Zah-len absichtlich hochgerechnet. Man hat geglaubt, dieLeute würden mit dem Transrapid nach Berlin fahren,Hans-Michael Goldmann
Metadaten/Kopzeile:
8212 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
um von dort weiterzufliegen. All diese Rechnungen ha-ben wir hier zigmal diskutiert.Herr Wissmann hat schon seit einigen Jahren gesagt:Transrapid ja, aber nur, wenn er wirtschaftlich ist. Daswollten Sie damals nicht hören. Er hat sehr früh ange-deutet, dass der Transrapid zwischen Hamburg und Ber-lin nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Damalssind die Planungen nicht auf vernünftige Füße gestelltworden. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Wir ha-ben ein Gesetz beschlossen, das ein absolutes Unikumwar, nämlich das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz.Normalerweise ermittelt man einen Bedarf. Aber hier istder Bedarf per Gesetz festgelegt worden. Das ist dieCrux mit der Planung dieser Technologie gewesen.
Nebenbei eine Bemerkung zur Referenzstrecke: Na-türlich braucht man eine Referenzstrecke, wenn man ei-ne Technologie verkaufen möchte, entweder im Inlandoder im Ausland. Aber jeder künftige Kunde wird dochzuerst schauen: Funktioniert das Ding und arbeitet eswirtschaftlich? Die Wirtschaftlichkeit hätte man zwi-schen Hamburg und Berlin nicht beweisen können. Dasheißt, diese Strecke wäre noch nicht einmal als Refe-renzstrecke geeignet, auch dann nicht, wenn Sie noch soviele Subventionen hineingeknallt hätten, wie Sie es eben in Ihrem Beitrag – das hat mich etwas gewundert –gefordert haben.
– Zwischenfragen sind hier nicht erlaubt. Ich bin auch etwas enttäuscht, dass der Kollege Fi-scher heute nicht hier ist. Ich habe gedacht, dass einesolche Debatte eine gute Gelegenheit für unser üblichesSpiel sei. Aber es gibt gute Gründe dafür, dass er nichthier ist. Jetzt wird nämlich deutlich, was Hamburg dafürzahlen muss, dass so lange unverantwortlich geplantworden ist.
Die Hamburger haben inzwischen festgestellt, dass manfür die Strecke von Hamburg nach Berlin zweieinhalbStunden und für die Strecke zwischen Hannover undBerlin nur eineinhalb Stunden benötigt. Aber jetzt ent-stehen die Geschäftskontakte zwischen Hamburg undBerlin oder zwischen Berlin und Hannover, wo sich eineneue norddeutsche Wirtschaftsstruktur herausbildet.Dieser Zeitpunkt ist jetzt und nicht erst in zehn Jahren.Jetzt ist Hamburg eben nicht in der Lage zu konkurrie-ren, weil der Herr Wissmann und der Herr Fischer großeRosinen im Kopf hatten. Deswegen steht Hamburg heu-te im Hemd da.
Diese rot-grüne Bundesregierung sorgt endlich dafür,dass es jetzt mit der größtmöglichen Geschwindigkeiteine vernünftige Verbindung zwischen Hamburg undBerlin gibt. Noch in diesem Jahr werden wir den Ausbaurealisieren, damit möglichst schon beim nächsten Fahr-planwechsel eine Beschleunigung eintreten kann. Wenndas geschehen ist, sollten wir in aller Ruhe schauen,welche Strecke – es gibt zwei: die über Uelzen undStendal bzw. die über Büchen und Wittenberge – die ge-eignetere für den Hochgeschwindigkeitsverkehr undwelche die geeignetere für den Güterverkehr ist. Jederweiß, dass es auf Dauer sinnvoll ist, diese beiden Ver-kehre zu trennen.
Auf diese Untersuchungen haben Sie ganz bewusst zehnJahre lang verzichtet. Weil es diese Untersuchungennicht gibt, müssen wir sie heute erst durchführen.
Ich bin froh, dass der Bundeskanzler und der Ministerdeutlich gesagt haben: Es wird in allerkürzester Zeit dasGeld für diese notwendige Strecke zwischen Hamburgund Berlin geben und wir werden bald schneller hierhinzu unserem Arbeitsplatz kommen können.Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Esist nicht nur so, dass die Bahn durch den Verzicht aufden Transrapid ein Pleiteprojekt nicht übernehmenmusste – es wäre für die Bahn ein Fass ohne Boden ge-worden –; vielmehr hat dieser Verzicht auch noch eineandere wichtige Folge: Für die Hamburger und auch fürdie Schleswig-Holsteiner in der Region bleibt wertvollesökologisches Gebiet erhalten, zum Beispiel die Hahnen-koppel. Das ist ein zukünftiges Naturschutzgebiet. Dagibt es noch Wald mit seltenen Pflanzen und seltenenTieren. Es ist ein sehr wertvolles Naherholungsgebiet inunmittelbarer Nähe der Stadt.Sie wollten – unnötigerweise, nicht weil ein großerBedarf bestand – durch dieses Gebiet eine Strecke bau-en; sie wollten den Anwohnern in Hamburg und inSchleswig-Holstein unnötigerweise eine zusätzlicheTrasse zumuten. Das werden wir nicht tun. Aber dieCDU in Schleswig-Holstein hat verkündet, dass sie einezehnjährige Ökopause machen und dass sie zehn JahreZeit haben möchte, alle diese Gebiete platt zu machen.Erst danach will sie sich wieder mit Ökologie beschäfti-gen. Genau das wollen wir nicht und auch die Wählerwerden es nicht wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt fürdie CDU/CSU-Fraktion der Kollege Paul Krüger.Kristin Heyne
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8213
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde dieDiskussion schon ziemlich absurd, obwohl sie wiedereinmal deutlich macht, wie die Positionen der einzelnenFraktionen zu modernen Technologien sind. Wir befas-sen uns damit ja nicht zum ersten Mal im Plenum desDeutschen Bundestages, sondern kontinuierlich; inso-fern sind die Argumente nicht neu.Allerdings habe ich immer daran geglaubt, dass esuns gelingen wird, die Magnetbahntechnik in Deutsch-land wirklich in Bewegung zu bringen bzw. aufs Gleiszu setzen. Seit heute habe ich diesen Glauben endgültigverloren. Letztlich erbringt die Koalition ein Opfer ge-genüber den Grünen. Wer sich die Beiträge hier ange-hört hat, der ist sich dessen sicher.Sie müssen sich einmal die Absurdität dieser Debattevor Augen führen. 30 Jahre lang haben wir bei ständigenKontrollen eine Technologie entwickelt, in die Milliar-den investiert worden sind – und das nicht ohne rechtli-che Reglements. Wenn ich allerdings die Vertreter derGrünen höre, dann habe ich das Gefühl, dass wir wirk-lich in einer Bananenrepublik leben. Nur zur Erinne-rung: Diese Technologie ist unter anderem von IhrerFraktion in den 70er-Jahren gepuscht worden.Wir haben nach ausführlicher und gewissenhafterDiskussion in diesem Hause dieses Projekt vorbereitet.Die Planungen sind inzwischen abgeschlossen. Alles,was notwendig ist – es handelt sich um ein gewaltigesPensum –, ist erledigt. Und wir stehen heute an dieserStelle und müssen darüber diskutieren, ob wir nach alldiesen Maßnahmen das Projekt tatsächlich realisierenwollen. Sind wir denn noch normal?
Die ganze Welt schaut auf uns, und wir lassen ein Pro-jekt sterben, das wir wirklich in akribischer, langer undkostenträchtiger Arbeit entwickelt haben.
Nur um Ihre scheinbare Unkenntnis zu beseitigen: Es istim Übrigen seinerzeit eine ganze Reihe von Trassen un-tersucht worden. Ich finde Ihr Verhalten frech und be-merkenswert. Ich erwarte von Ihnen ein öffentliches Be-kenntnis dazu, wie Sie mit denjenigen Menschen – eswaren Wissenschaftler dabei – umgehen wollen, die sei-nerzeit die Untersuchungen der Trassen gewissenhaftdurchgeführt haben. Das ist keine politische Entschei-dung gewesen, es war eine sachlich fundierte Entschei-dung. Wollen Sie hier allen Ernstes behaupten, dass die-se Menschen manipuliert waren? Dann müssen Sie dasöffentlich verkünden. Ich finde es schon unerhört, inwelcher Weise hier mit einer wichtigen Verkehrstechno-logie umgegangen wird.
Die Hauptargumente von den Grünen und insbeson-dere von Herrn Schmidt zielten heute auf die betriebs-wirtschaftliche Seite dieser Technologie. Es ist in derTat nicht verwunderlich, dass man dann, wenn man die-ses Problem nur durch die betriebswirtschaftliche Brilleanschaut, den Transrapid nie wird bauen können. Das istwahr. An den Transrapid werden mittlerweile nämlichstrengere wirtschaftliche Anforderungen gestellt, als siejemals an die Bahn gestellt worden sind. Wo rechnetsich denn die Bahn betriebswirtschaftlich?
Der Transrapid aber soll solche Vorgaben von Anfangan erfüllen, obwohl wir wissen, dass ein Streckenkilo-meter bei ihm wesentlich billiger ist als bei der Bahn.Das wird öffentlich nie verkündet. Auch das möchte ichhier noch einmal ganz deutlich feststellen. Der Transrapid ist nicht nur aus ökologischer Sichteine bessere Technologie, sondern er ist auch eine we-sentlich billigere Technologie. Es fällt schon schwerhinzunehmen, dass eine Technologie, die geeignet ist,die gesamte heutige Verkehrstechnik zu revolutionieren,insbesondere einen Beitrag zur Lösung der riesigenProbleme im Flugbereich und insbesondere bei Nacht-flügen zu leisten, die einfach unter den Teppich gekehrtwerden – hier zeigt diese Technologie eine wirklichweltweit einsetzbare Alternative auf –, von Ihnen auf-grund betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte geopfertwerden soll. Ich kann die Welt nicht mehr verstehen,wenn ich das höre.
Ich verstehe sogar die Argumentation der Grünen,dass wir uns nicht permanent immer schneller, weiter,höher und besser fortbewegen können.
Wir haben aber nun den seltenen Fall – dieses Ziel wur-de von Anfang an so anvisiert –, dass uns eine Techno-logie zur Verfügung steht, die schnellere Fortbewegungermöglicht, aber in Bezug auf fast alle Parameter ökolo-gischer, sicherer und viel komfortabler und damit letzt-lich viel attraktiver als andere Technologien ist. Deshalbkann ich Sie nur noch einmal dringend auffordern, sichzu dieser Technologie zu bekennen und hier keinen gro-ßen Fehler zu machen. Abschließend, nachdem schon alle Argumente ausge-tauscht worden sind, will ich Ihnen noch eines sagen:
Mich ärgert natürlich besonders, dass die Nichtrealisie-rung dieser Technologie für die neuen Bundesländer be-sonders schwierige Bedingungen schafft. Wir haben sei-nerzeit nicht nur auf den A3XX gesetzt, sondern auchein wenig auf den Transrapid. Tausende von Arbeits-plätzen werden aufgrund dieser Entscheidung verlorengehen: im Bereich der Planung, im Bereich des Baus,vor allem aber im Bereich des Betriebs und der Instand-setzung.
Metadaten/Kopzeile:
8214 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
All diese Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die At-traktivität einer ganzen Region wird gemindert. Schwe-rin ist kein Haltepunkt mehr. Im Übrigen hatten wirauch darauf gesetzt, dass der Transrapid als weltweiteNeuheit Attraktivität entfaltet. Nicht zuletzt wird natür-lich auch der ICE – der Ausbau der Trasse für ihn wirdnoch viel Geld kosten – an Mecklenburg-Vorpommernvorbeirollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Krüger,
Sie müssen zum Schluss kommen.
Dieses Verhalten
steht symbolisch für den Umgang dieser Bundesregie-
rung mit den neuen Bundesländern.
Ich kann Sie nur auffordern, dieses Projekt nun
schnellstens mit Risikobereitschaft und Augenmaß auf
die Schiene zu setzen. Die Realisierung einer Alternati-
ve würde mindestens einen Zeitraum von zehn Jahren
für die Planung in Anspruch nehmen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Christine Lucyga, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine VorrednerFrau Sothmann, Herr Börnsen und Herr Krüger! Das istnicht die erste Debatte zu diesem Thema – das ist rich-tig –, es wird auch nicht die letzte Debatte zum Transra-pid sein; denn wir halten hier keinen Nachruf, sondernes geht auch uns darum, künftig die Transrapid-Technikmit vertretbarem finanziellem Aufwand endlich serien-reif zu machen.
Wenn wir heute zur Kenntnis nehmen müssen – dasbedaure ich, da ich aus Mecklenburg-Vorpommernkomme, natürlich sehr –, dass es für die strukturschwa-chen Länder Mecklenburg-Vorpommern und Branden-burg vorerst keinen Anschluss an diese Hochtechnologiegeben wird, dann müssen wir auch die Frage nach neuenImpulsen für den Norden auf die Tagesordnung setzen,damit insbesondere nicht das Land Mecklenburg-Vorpommern zum Verlierer wird. Insofern gebe ich Ih-nen natürlich Recht. Ich werde mich dennoch nicht aufdas Schwarzer-Peter-Spiel einlassen, das die Oppositionhier anfangen will. Ich möchte lediglich anmerken, dassRisikobereitschaft, um Innovationen zum Durchbruch zuverhelfen, nicht allein Angelegenheit des Staates seinkann. Deshalb haben wir bei der Übernahme der Regie-rungsverantwortung klar gemacht: Wir halten am Trans-rapid fest. Denn er ist eine faszinierende Innovation. Wirbeteiligen uns an der Realisierung dieses Projektes, undzwar entsprechend der Eckpunktevereinbarung zwischenBund, DB AG und Industrie vom April 1997 – siestammt also noch aus Ihrer Ära –, und wir behalten dievereinbarte Kosten- und Risikoverteilung bei, und dasnicht zuletzt im Interesse der internationalen Wettbe-werbsfähigkeit, die Sie hier ja ständig beschwören. Andiese Zusagen haben wir uns gehalten. Wir haben aber auch klar gemacht, wo für uns Gren-zen sind. Wenn die Umsetzung dieses Projektes so ein-fach gewesen wäre, wie Sie von der Opposition jetzt tun,
dann frage ich mich, warum Sie seinerzeit nicht so ge-handelt haben, wie Sie heute darüber sprechen.
Denn Sie hatten doch Gelegenheit, dieses Projekt si-cherzustellen. Es befindet sich immerhin seit 1992 imBundesverkehrswegeplan.
– Herr Krüger, dann frage ich Sie, warum der frühereBundesverkehrsminister Wissmann es bis 1998 nichtfertig gebracht hat, einen entscheidungsreifen Vertrag zuunterzeichnen. Mit dem Transrapidvorhaben wurden aber auch Wei-chen gestellt – und zwar durch Sie –, die nicht ohne wei-teres um- oder abzustellen sind. Denn zugunsten desTransrapids sind im norddeutschen Raum und insbeson-dere in Mecklenburg-Vorpommern dringend notwendigeInvestitionen in die Schieneninfrastruktur zurückgestelltworden. Herr Krüger, daran haben Sie mitgewirkt undwir müssen diese Versäumnisse aufarbeiten.
– Herr Krüger, als Minister waren Sie ein Hasenherz.Heute haben Sie ein Löwenmaul. Lieber wäre mir gewe-sen, es wäre umgekehrt gewesen.
Unter den neuen Voraussetzungen muss zum Beispielmit Blick auf die zunehmenden Skandinavienverkehreund die EU-Osterweiterung ein Ausbau der Schienen-verbindung Warnemünde–Rostock–Berlin erfolgen, diein Ihrer Ära völlig aus der Optik geraten ist und bei derzurzeit die bestehenden Möglichkeiten als kürzeste Ver-bindung von Nord nach Süd nicht ausgeschöpft werden.Wenn bei einer Strecke von circa 240 Kilometern dieFahrzeit drei Stunden beträgt, dann hat die Bahn natür-lich schlechte Karten. Die Bahn wurde in diesem Spielvon vornherein auf Platz zwei gesetzt. Darüber müssenwir nachdenken.Dr.-Ing. Paul Krüger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8215
Angesichts einer eventuellen ICE-Verbindung zwi-schen Hamburg und Berlin muss auch über einen Halt inMecklenburg-Vorpommern diskutiert werden. Denn ei-ne Anbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz derBahn ist für Mecklenburg-Vorpommern unbedingt er-forderlich.Zu den Erwartungen, die Sie sträflicherweise geweckthaben, gehören auch Arbeitsplatzerwartungen. Der frü-here Verkehrsminister hat da einfach locker vom Hocker18 000 Arbeitsplätze an die Wand gemalt.
Niemand bestreitet, dass in der Trassenregion, in Meck-lenburg-Vorpommern und in Brandenburg, sowohl tem-porär als auch in der Betriebsphase die Schaffung eini-ger hundert hochwertiger Arbeitsplätze möglich gewe-sen wäre.
Wenn wir jetzt nach Alternativen suchen, werden wirüber komplementäre und kompensatorische Maßnahmennachdenken müssen, und zwar dergestalt, dass die aktu-elle Entscheidung hinsichtlich des Transrapids nicht alsSchlussstrich gewertet wird, sondern als Beginn neuerÜberlegungen, bei denen Mecklenburg-Vorpommernselbstverständlich nicht zum Verlierer werden darf. –Das an Sie, Herr Krüger.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Vorhang zu für das TrauerspielTransrapid! Das Stück ist lang und hat sich im Laufe derZeit von einem Innovationsstück und Lustspiel zu einemTrauerspiel entwickelt.
Der Spielplan sieht folgendermaßen aus – er umfasstsehr viele Seiten –: 1922 wurde diese Technik erfunden,1969 gab Verkehrsminister Leber von der SPD
den Auftrag zur Durchführung eines Transrapidprojek-tes; merken Sie sich das bitte einmal. 1979 wurde derTransrapid vorgestellt und 1983 in Betrieb genommen.1992 kam es zur Aufnahme der Magnetschwebebahn-verbindung Hamburg–Berlin in den Bundesverkehrswe-geplan. 1998 erfolgte die Planfeststellung für die StreckeHamburg–Berlin, jetzt, im Jahre 2000, die Beerdigung.Nachdem kritisiert worden ist, dass unser KollegeDirk Fischer nicht anwesend ist, muss ich fragen: Wo istdenn eigentlich der Grabredner Klimmt? Er hat sich jaimmer für den Transrapid ausgesprochen. Wenn ermeint, dass er eine andere Strecke schneller realisierenkann, dann täuscht er sich. Machbarkeitsstudien könnenvielleicht schnell durchgeführt werden, aber diePlanungszeiten bis zur Baureife sind lang. Wir haben jaheute von den Grünen gehört, dass sie sich von dieserTechnik verabschieden.Mit dem Aus für den Transrapid ist der Abschied von der Zukunftsfähigkeit des TechnologiestandortesDeutschland eingeläutet. Die Aussicht auf viele Ar-beitsplätze ist zerstört. Viele bereits vorhandene Ar-beitsplätze werden vernichtet werden. Ich habe geradegehört, dass es sich in der ersten Phase um100 Arbeitsplätze handelt. Es ist eine Schande für dieBundesregierung, dass eine neue Verkehrstechnik beiuns nicht mehr durchzusetzen ist.
Wo bleibt denn eigentlich die Glaubwürdigkeit desBundeskanzlers, der zwar vollmundig getönt hat, derTransrapid werde gebaut, der aber jetzt auf Tauchstationgegangen ist? Für Panzerlieferungen hat Schröder eineKoalitionskrise riskiert. Für die Realisierung des Trans-rapid rührt er aber keinen Finger.
Das ist die widersprüchliche Politik von Rot-Grün, mitder Deutschland im weltweiten Wettbewerb um High-techarbeitsplätze ins Abseits gestellt wird.Wenn beim Transrapid von mangelnder Wirtschaft-lichkeit die Rede ist, dann muss ich sagen, dass dies einan den Haaren herbeigezogenes Argument ist. Es gehtnicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um eine neueTechnik, die in Deutschland angewendet werden soll.Auch manche ICE-Strecke rechnet sich nicht sofort.Es muss daher ein entsprechendes Angebot geschaffenwerden. Die Behauptung, die ICE-Trasse Hamburg–Berlin könne mit 350 Millionen DM gebaut werden –wie Mehdorn im Ausschuss sagte –, ist doch unsinnigund auch gelogen; denn man braucht wesentlich mehrGeld für den Bau der Strecke Hamburg–Berlin.Kollege Schmidt, da Sie von der Wirtschaftlichkeitund den Fahrgastzahlen geredet haben, muss ich IhnenFolgendes sagen: Sie haben einmal eine Anfrage an dieBundesregierung gerichtet. In der Antwort der Bundes-regierung steht, dass sich die Fahrgastzahlen für denTransrapid nach Angaben der DB aufgrund der bekann-ten ICE-Zahlen für die Strecke Hamburg–Berlin rech-nen. Diese Tatsache muss man im Kopf haben. AberMehdorn will jetzt nichts mehr von dieser Strecke wis-sen.
Es ist auch klar, dass bei der Anwendung von neuenTechnologien in aller Regel zunächst einmal Unwirt-schaftlichkeit in Kauf genommen werden muss. AuchDr. Christine Lucyga
Metadaten/Kopzeile:
8216 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
der Airbus hat viele Jahre rote Zahlen geschrieben, be-vor er zum Plus-Geschäft wurde.Kollege Schmidt, Sie müssen die „FAZ“ schon rich-tig zitieren. Glauben Sie denn im Ernst das, was in die-sem „FAZ“-Artikel steht, nämlich dass sich eine StreckeBerlin–Warschau–Moskau rechnet?
Ich kann nur darüber lachen, welche Zahlen in diesemZusammenhang im Umlauf sind. Sie müssen die Artikelschon richtig zitieren, Herr Kollege Schmidt.Ein Punkt ist heute in der Aktuellen Stunde ganzdeutlich geworden: Die Grünen würden am liebstenwieder mit der Pferdekutsche fahren.
– Ist in Ordnung, Sie benutzen die Schnecke. – Die Grü-nen haben sich heute von der neuen Technik verab-schiedet. Die SPD ist eingeknickt und gibt den Grünennach.
Im Grunde genommen ist das eine ganz große Schandefür die Regierungskoalition.
Die technologische Leistungsfähigkeit und das AnsehenDeutschlands nehmen mit diesem Aus ganz großenSchaden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Konrad Kunick von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Wir haben heute einLehrstück in der Interpretation von Industriepolitik be-kommen. Industriepolitisch sind Sie mit dem Transrapidauf eine Weise umgegangen, dass es nur so zum Weinenist. Zwar schicken Sie im Nachhinein eine Betriebswir-tin vor, aber vorher glaubte der Kollege Fischer, auswelcher Intention auch immer – heute hat er sich wohl-weislich verdrückt –, den Transrapid ohne rechnerischeArgumente puschen zu können.Die CDU/CSU-Fraktion kann mit ihren laufendenTransrapid-Debatten nicht davon ablenken, dass es ganzbesonders ihr früherer Verkehrsminister ist, der die Ver-antwortung dafür trägt, dass das Projekt Hamburg–Berlin heute so gut wie tot ist. Sie haben die Grundsätzeeiner verantwortlichen Industriepolitik grob verletzt –
– schreien Sie nicht dazwischen, Herr Goldmann; Siekönnen sich hinterher melden –, indem Sie die kleineEmslandstrecke ohne die notwendige Erprobung im Ta-gesverkehr, ohne die notwendigen Kalkulationen undmit deutlich überhöhten Benutzerzahlen – Sie haben an-fangs von 14 Millionen Benutzern gesprochen – in deninternationalen Fernverkehr, in eine Fernstrecketransplantieren wollten.
Sie haben mit allen Mitteln versucht, wirtschaftliche Er-kenntnisse dahin gehend zu beugen, dass es sich rechnenmusste.
Dieser Leichtsinn fliegt nun am Ende auf. Das, was Siebetrieben haben, war industriepolitisches Abenteurer-tum.
Das beweist nichts besser als die Zurückhaltung der In-dustrie und der Banken, die Sache mit etwas mehr Wag-niskapital selber in die Hand zu nehmen. Diese Streckerechnete sich offenkundig nur, wenn Vater Staat vonvorne bis hinten bezahlte.
– Herr Kollege Goldmann, in unserer Koalitionsverein-barung ist dies deshalb enthalten, weil wir nicht bereitsind, die Sache so auszuschütten, als wäre hier nicht Er-hebliches investiert worden, sondern weil die erste Fragelautet: Was ist mit der Strecke Hamburg–Berlin? Dastellt sich ja nun heraus, dass dies voll in den Sand ge-setzt wurde, aber nicht durch uns, sondern durch Sie.Und da muss man dann die Frage der Technologie vonder Frage der Strecken trennen.
– Ich habe das auch gründlich gelernt, Herr Kollege, undzwar nicht im Osten, sondern im Westen, wo man rech-nen lernen musste, wenn irgendetwas werden sollte. Was Sie bisher vorgeführt haben, war eine technolo-giepolitische Inszenierung, aber keine Industriepolitik.Es wird zu prüfen sein – im Übrigen kann ich nur anra-ten, beim Bundesverkehrsministerium sorgfältig in dieAkten zu schauen; das würde sich sicherlich lohnen –,
wie dieser Entscheidungsgang eigentlich vorbereitetworden ist. Denn Logik steckt in der Entscheidung, diekleine Emsland-Strecke auf die lange Strecke Hamburg–Berlin zu übersetzen, leider nicht. Renate Blank
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8217
Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Bundesver-kehrsminister Klimmt ganz klar erklärt, die Bundesre-gierung wolle die „faszinierende Magnetbahntechnolo-gie auf keinen Fall“ aufgeben. Ebenso begrüßen wir es,dass zwecks Demonstration unter Praxisbedingungen ei-nes täglichen stundenweisen Verkehrs nun eine kürzere,sinnvolle Anwendung gesucht wird. Wenn Sie es heutegelesen haben, dann haben Sie bewusst unterdrückt, dassBundesverkehrsminister Klimmt, in München beimCSU-Verkehrsminister zu Besuch, darüber geredet hat,ob nicht die Strecke zwischen München und dem Mün-chener Flughafen gegebenenfalls die richtige wäre.
Aber dass die CSU mit schnellen Abstaubertouren das,was die CDU vorher versaut hat, an Land ziehen möch-te, passt Ihnen heute wohl nicht sonderlich in den Kram.
Was die CSU so alles wünscht, kann ich hier nur zurKenntnis nehmen.
Jedenfalls berufe ich mich auf die zitierte „Frankfur-ter Allgemeine Zeitung“. Wenn Sie den Kommentar imGanzen gelesen haben, dann wissen Sie, dass darin steht,eine Anbindung des Flughafens München sei wohl des-halb nicht sonderlich sinnvoll, weil man dort gerade diezweite S-Bahn eingeweiht habe. Es komme darauf an,eine Anwendung zu finden, bei der nicht schon paralleleVerkehre bestehen. Das ist auch die Schwäche derHamburger Strecke. Im Übrigen hat keiner ein Wortdarüber verloren, warum man eigentlich die Tüchtigkeitder Hamburger Strecke dadurch reduzieren wollte, dassman zukünftig nur noch alle zwei Stunden Interregio-Züge fahren lässt, um die Leute überhaupt erst auf denTransrapid zu prügeln. Aber all diese Schwächen kön-nen wir in aller Ruhe bei anderer Gelegenheit bereden.Es kommt darauf an – und wir Sozialdemokraten blei-ben dabei –, eine vernünftige Anwendung dieser Tech-nologie, wenn es sie gibt, zu finden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Kunick, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wer die Emslandstrecke sel-
ber befahren hat, stellt fest, dass es dort ordentlich läuft.
Es kommt dann darauf an, eine – höchstens – mittlere
Strecke in Deutschland zu finden, die etliche Punkte
sinnvoll miteinander verbindet, mit der man im weiteren
Tagesverkehr prüfen und dann auch zeigen kann, ob es
sich als exportfähig erweist. Daran führt kein Weg vor-
bei. Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU,
vorgeführt haben, war industriepolitisch hoch schädlich
für diese Technologie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staats-
sekretär Siegfried Scheffler.
S
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen!
– Ich fühle mich recht wohl, Frau Blank, auch deshalb,weil wir seit 1991 – intensiv seit 1993/1994 – gemein-sam über die Problematik des Transrapid sowohl hier alsauch im Ausschuss und darüber hinaus auch in den Län-dern diskutiert haben. Aber offensichtlich haben Sie,Frau Blank, und Ihre Kolleginnen und Kollegen, diedamals in der Regierung waren, einige Dinge vergessen.Vergessen haben Sie auch – jedenfalls scheint es Ihnennicht bekannt zu sein –, was der Minister mit der Indus-trie, und mit der Bahn AG letztlich verabredet hat: dasses – ganz klar – kein Aus für den Transrapid gibt. Nurauf der Strecke Hamburg–Berlin. Ich weiß, dass natür-lich auch unserem Koalitionspartner diese Tatsachenbekannt sind, was hier verabredet ist. Und offensichtlich haben Sie, Herr Kollege Krüger,der Sie sich hier so sehr ereifern, auch vergessen, wasIhr ehemaliger Minister im Eckpunktepapier festgelegthat. Ich darf Ihnen einmal daraus vorlesen:Sollte die Überprüfung der Betriebs- und Investiti-onskosten ergeben, dass die Werte deutlich vomEckpunktepapier abweichen, ist über das Projektneu zu entscheiden. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.
– Herr Krüger, ich habe im Namen der Regierung dochganz klar gesagt: Die Entscheidung ging gegen die Stre-cke Hamburg–Berlin. Sie bedeutet aber nicht ein Aus fürden Transrapid. Vielmehr halten wir an dieser Techno-logie fest.
Ich kann Ihnen nicht ersparen, Sie noch einmal daraufhinzuweisen, was Herr Wissmann 1994 in dasEckpunktepapier hineingeschrieben hat.
– Das ist nicht uninteressant, Frau Blank. Das ist derGrund, warum wir heute überhaupt diese Aktuelle Stun-de haben. Minister Wissmann hat schon 1994 gesagt:Wir ziehen den Transrapid unbeirrt durch. Auf die Frageeines Interviewers des „Tagesspiegel“, wie die StreckeHamburg–Berlin ertüchtigt werden solle, antwortete er: Wir modernisieren die Bahn für den Regional- undhochwertigen Güterverkehr. Nun bin ich zufrieden und glücklich, dass die Bun-desregierung damals die Verkehrsprojekte „DeutscheEinheit“ festgelegt hat und dass die Angleichung derVerkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern einKonrad Kunick
Metadaten/Kopzeile:
8218 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000
erhebliches Stück vorangekommen ist. Aber schauen wiruns einmal das Verkehrsprojekt Nr. 2, Ausbau derSchienenstrecke Hamburg–Büchen–Berlin, 270 km, et-was näher an: Ich hoffe, die Parteien der früheren Bun-desregierung stehen nach wie vor zu diesem Ziel. Dieheutige Bundesregierung jedenfalls, auch der Koaliti-onspartner, steht zu dem Ziel der Verbesserung der An-bindung der neuen Bundesländer sowie der Länder Ost-und Südosteuropas an die Nordseehäfen und der Schaf-fung einer leistungsfähigen Verbindung zwischen denbeiden größten deutschen Städten. Wenn ich mir aberdas Interview von Herrn Wissmann vor Augen führe –„Wir modernisieren die Bahn für den Regional- undhochwertigen Güterverkehr“ –, dann kann ich mir nichtverkneifen, Ihnen vorzuhalten, dass das für mich keineleistungsfähige Verbindung ist.
Auch den zweiten Punkt wollen Sie heute nicht mehrwahrhaben. Wir handeln nicht wie Ihr damaliger Ver-kehrsminister auf der Grundlage von „Wunsch und Wol-ke“. Wir wollen heute nicht anfangen, über die100 Milliarden DM oder über die Unterfinanzierungdes Bundesverkehrswegeplanes zu reden.
– Kollegin Blank, schon damals haben Ihnen das dieVerkehrsexperten, Verkehrswissenschaftler, Vertreterder Bahn und die Oppositionsparteien – damals hattenSie ja noch die Mehrheit – bei den Anhörungen in denAusschüssen gesagt. Es ging schon immer um drei gravierende Punkte: das Finanzierungskonzept der In-dus-trie, die exportpolitischen Aussichten und die Ver-antwortbarkeit der finanziellen Risiken vor dem Steuer-zahler.Die Redner der Opposition haben mehrfach denKanzler angesprochen. Sie hätten dabei aber – auch dasInterview aus China – zu Ende zitieren müssen. DerBundeskanzler hat – so wie auch Minister Klimmt – ge-sagt: „Wir wollen den Transrapid.“ Er hat aber hinzuge-fügt, dass er den Transrapid auf der Grundlage des Eck-punktepapiers will. Darin stehen nämlich die 6,1 Milli-arden DM für den Fahrweg.Renate Blank [CDU/CSU]: Was Sie jetzt sa-gen, ist Beerdigung erster Klasse!)Der neue Schatzmeister der Union, Herr Wissmann,der an sich mit Zahlen umgehen und rechnen könnensollte,
hat sich bei dieser Strecke damals um 2 bis 3 Milliar-den DM verrechnet.
Das muss man so deutlich sagen.
– Das sage ich Ihnen, Kollege Goldmann, noch ganzkonkret. Ich darf Ihnen noch einmal zitieren, was die alte Bun-desregierung gesagt hat: Sie hielt – so sagte es derdamalige Verkehrsminister Wissmann – „die ge-wünschte Klarstellung bei Transrapid-Betriebskostenfür überflüssig.“ Nun gibt es mit Herrn Mehdorn einenneuen Bahnchef. Wir sind nicht die DB AG; ich redeauch nicht für die DB AG. Für Herrn Mehdorn aber ist,so denke ich, die Klarstellung der Betriebskosten vonsehr großer Bedeutung.
Ihre Zahlen über die so genannten Beförderungsfälle än-derten sich laufend: 14,1 Millionen, 12 Millionen,11 Millionen. Jetzt sind wir – nehmen wir einmal2,2 Millionen Fahrgäste pro Jahr zwischen Hamburgund Berlin an – bei 8,8 Millionen. Das ist der Unter-schied: Die Erlöserwartung für die Deutsche Bahn AGtritt nicht so ein, wie wir uns das gemeinsam vorgestellthaben.
– Der ICE? Die Kollegin ist jetzt leider nicht mehr an-wesend und war auch damals bei der Diskussion zumTransrapid und zu den ICE-Strecken nicht anwesend.Sonst müsste sie wissen, dass gerade die Strecke Ham-burg–Berlin im Rahmen des Verkehrsprojektes „Deut-sche Einheit“, wo wir 4,1 Milliarden DM mit einer zu-sätzlichen Milliarde, nicht aber über 11 Milliarden DMeingestellt haben, bis zum Jahre 2004 so ausgebaut wer-den kann, das wir zumindest eine Option für 200 Kilo-meter in der Stunde haben.Da Herr Goldmann danach gefragt hat, möchte ichIhnen natürlich sagen, was die Bundesregierung vorhat.Minister Klimmt hat alle Ministerpräsidenten für den25. Februar eingeladen, um sich mit ihnen zu bespre-chen und eine entsprechende Anwendungsstrecke in denkommenden zwei Jahren zu suchen. Wir haben die Su-che auf kürzere Strecken – der Beschleunigungseffektdes Transrapid bzw. der Magnetschwebetechnik ist jaauch dort gewaltig – und auf entsprechende Referenz-strecken im Regionalverkehr ausgeweitet.Sie wissen, was wir wollen. Die Bundesregierung hatschon die erste konkrete Vereinbarung mit dem Bundes-kanzler und dem Finanzminister getroffen, nämlich rund1 Milliarde DM für die Ertüchtigung der Strecke Ham-burg–Berlin bereitzustellen. Sie wissen – das ist insbe-sondere an die Adresse des Kollegen Krüger gerichtet –,dass wir zusätzlich mit 1 Milliarde DM circa 12 000 bis15 000 Arbeitsplätze halten können. Natürlich weiß ich,dass wir für die Strecke Hamburg–Berlin während derBetriebsphase keine zusätzlichen Arbeitsplatzeffektehaben werden. Nun sind die Ministerpräsidenten, auchHerr Ringstorff und Herr Stolpe, der sich hier geäußerthat, aufgerufen, mit uns gemeinsam mit der DB AG eineentsprechende Referenzstrecke zu suchen.Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Februar 2000 8219
Aber eines muss man Ihnen ganz deutlich sagen: DieErfüllung Ihrer Forderung nach einer Privilegierung derTransrapid-Investitionen zulasten der Rad-Schiene-Technik, gerade im Rahmen der transeuropäischenHochgeschwindigkeitsnetze, kann es jetzt unter einerverantwortungsvollen Bundesregierung natürlich nichtgeben. Da unterscheiden wir uns grundsätzlich von Ih-nen.
– Sie fragen, was mit der Versuchsanlage im Emslandgeschieht. Sie bleibt bis auf weiteres in Betrieb. Auchhier hat Minister Klimmt sehr schnell – Sie sagen, dasseien nur leere Worte, aber leere Worte gab es bis zumRegierungswechsel – mit dem Finanzminister gespro-chen.
– Das macht überhaupt nichts, Frau Blank. Wir habenExperten, die Ihnen hier Rede und Antwort stehen kön-nen.Wir haben jetzt ganz konkret 20 Millionen DM Jah-reskosten. Davon übernimmt der Bund die Hälfte, je-weils 5 Millionen DM tragen die beteiligten Industrieun-ternehmen und die DB AG.
Damit ist auch die Durchführung der EXPO sicherge-stellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Scheff-
ler, da wir uns in einer Aktuellen Stunde befinden, muss
ich Sie an die Redezeit erinnern. Sie ist schon weit über-
schritten.
S
Ganz zum Schluss noch einmal, damit es deutlich für
Sie wird: Das Aus für den Transrapid auf der Strecke
Hamburg–Berlin bedeutet kein Aus für den Transrapid
schlechthin.
Wir wollen gemeinsam mit Bundesminister Klimmt und
dem Bundeskanzler notwendige Schritte veranlassen,
um nach Alternativstrecken zu suchen und diese Alter-
nativstrecken in einem Zeitraum von zwei Jahren hier
vorzustellen.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die tem-
peramentvolle Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist be-
endet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf Mittwoch, den 23. Februar 2000,
13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluss durchgehalten haben, ausdrücklich eine gu-
te Heimreise, ob nun auf der Schiene oder auf anderen
Wegen.
Die Sitzung ist geschlossen.