Gesamtes Protokol
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. einberufen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen mitteilen, daß zu Beginn der heutigen Tagesordnung der Bundeskanzler eine Erklärung zur Hochwasserkatastrophe an der Oder und Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung abgeben wird.
Der auf der Tagesordnung unter 1 b aufgeführte Antrag auf Drucksache 13/8338 soll abgesetzt und durch einen interfraktionellen Entschließungsantrag auf Drucksache 13/8341 ersetzt werden.
Interfraktionell ist vereinbart worden, bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 13/8340 von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt sowie Tagesordnungspunkt 1 a auf:
ZP Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Die Hochwasserkatastrophe an der Oder und die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung
1. a) Vereinbarte Debatte
zur Hochwasserkatastrophe an der Oder
- Auch das hätten wir, Herr Fischer, wenn ich es wollte.
Es liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen.
Jetzt wird es einen Augenblick dauern. Der Bundeskanzler ist auf dem Weg. Sobald er hier ist, wird er die Regierungserklärung abgeben.
Wir kommen jetzt zur Regierungserklärung. Der Bundeskanzler sagt mir gerade, es sei noch etwas dazwischengekommen. Ich denke, so etwas gibt es bei Regierungsgeschäften.
Ich erteile jetzt das Wort zur Regierungserklärung dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich um Entschuldigung dafür, daß es etwas später geworden ist. Aber das gibt es in der Tat, und man kann es nicht immer vermeiden.
Meine Damen und Herren, auch in diesem Augenblick kämpfen Tausende von Helfern darum, die Deiche an der Oder zu sichern. Die Lage in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten ist immer noch dramatisch. Zwar wächst nach den Nachrichten der letzten Stunden die Hoffnung, daß die größte Gefahr vorüber ist. Doch leider - Sie wissen das - gibt es noch keinen Anlaß zur Entwarnung.
Dies ist die größte Naturkatastrophe, die das wiedervereinigte Deutschland getroffen hat, und es ist zugleich eine der schlimmsten Katastrophen in Deutschland in diesem Jahrhundert. Seit über zwei Wochen bedroht das Hochwasser die Bevölkerung in der Oderregion und verursacht immer größere Schäden. Die Ziltendorfer Niederung ist überflutet. Eine Fläche von 650 Quadratkilometern im Oderbruch ist akut gefährdet. Rund 5 000 Menschen mußten im Verlauf der Hochwasserkatastrophe evakuiert werden. Weitere Tausende sitzen buchstäblich auf ge-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
packten Koffern. Ihnen allen gilt unsere Sorge. Wir hoffen und beten, daß die Deiche standhalten und das Schlimmste verhindert werden kann.
In dieser Situation brauchen die betroffenen Menschen jede nur mögliche Unterstützung. Ihnen beizustehen ist ein dringendes Gebot der Solidarität, eine nationale Aufgabe, der wir alle verpflichtet sind.
Vor einer Woche habe ich zum zweitenmal die so hart geprüfte Region besucht. Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen und habe, wie auch viele hier im Hause, erlebt, in welch verzweifelter Lage sie sich befinden. Wir haben ihre Sorgen, ihre Ängste, aber auch ihre Hoffnungen gespürt. Mich hat dies tief berührt.
Meine Damen und Herren, es geht hier um Menschen, die nicht auf der Sonnenseite der deutschen Geschichte standen. In den Jahrzehnten der SED-Diktatur hatten sie nicht die gleichen Chancen wie beispielsweise die Menschen an Rhein und Mosel. Nach der Wende und der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes mußten sie sich auf eine völlige Veränderung ihrer Lebensumstände einstellen. Und jetzt, wo sich die ersten Früchte der Anstrengungen zeigen, bedroht die Flut des Hochwassers ihr Hab und Gut. Manche haben alles verloren, was sie besaßen.
Diese Menschen haben allen Anspruch auf unseren Beistand und auf unsere Unterstützung. Ich bekräftige hier erneut, was ich auch vor Ort gesagt habe: Wir lassen Sie nicht im Stich.
Ich spreche für die Bundesregierung und - dessen bin ich sicher - auch für alle hier im Hause vertretenen Parteien, wenn ich sage: Wir werden weiterhin alles tun, was in unserer Kraft steht, um Ihnen zu helfen.
Meine Damen und Herren, es zählt zu den Widersprüchlichkeiten einer solchen Katastrophe, daß Not und Elend einhergehen mit der Erfahrung der besten menschlichen Eigenschaften. Überall an der Oder begegnen wir einer Einstellung, die gekennzeichnet ist von Mut und Entschlossenheit, von Hilfsbereitschaft und von Gemeinschaftsgeist. Im Angesicht der Not stehen die Menschen in einer Weise zusammen, die manch einer in unserem Land gar nicht mehr für möglich hielt. Das gilt zum Beispiel für die Einwohner der betroffenen Region, ihre besonnene Haltung und ihre Nachbarschaftshilfe. Dies alles - so denke ich - verdient unsere Bewunderung.
Es geht aber weit darüber hinaus. In ganz Deutschland haben die Fluten der Oder eine breite Welle von Mitgefühl und Solidarität erzeugt. Die Not der Betroffenen bewegt die Herzen überall in unserem Land. Ost oder West - das spielt angesichts dieser Katastrophe keine Rolle mehr. Auf eine eindringliche Weise wird deutlich, wie sehr sich die Menschen in Deutschland als Gemeinschaft verstehen können, wenn es darauf ankommt. Dafür sollten wir dankbar sein.
Meine Damen und Herren, unser Dank gebührt allen, die mit aufopferungsvollem Einsatz bisher das Schlimmste verhindert haben und hoffentlich auch noch weiter verhindern mögen. Er gilt den vielen freiwilligen Helfern, die nicht nur aus ganz Brandenburg, sondern aus vielen Teilen Deutschlands an die Oder gekommen sind, um einfach mit anzupacken. Er gilt den Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Polizei, den Mitarbeitern des Technischen Hilfswerkes, den Feuerwehren und vielen anderen Organisationen, die unermüdlich am Werk sind.
Er gilt ganz besonders den Soldaten unserer Bundeswehr.
Sie leisten im Kampf um die Deiche ganz Außergewöhnliches. Es sind großartige junge Männer, die alles geben. Sie nehmen große Gefahren in Kauf, um anderen zu helfen. Auch in dieser Naturkatastrophe erweist sich erneut: Die Bundeswehr ist die Armee unseres Volkes. Wir sind stolz auf sie.
Die anhaltend dramatische Situation an der Oder macht den Einsatz von Kräften des Bundes weiter erforderlich. Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Technisches Hilfswerk sind darauf eingestellt. Sie halten entsprechende Einheiten zur technischen Hilfeleistung und auch zur kurzfristigen Verstärkung bei eventuellen Deichdurchbrüchen bereit. Und sie werden auch zur Verfügung stehen, wenn die akute Gefahr gebannt und das Hochwasser - hoffentlich bald - abgelaufen ist. Dann, meine Damen und Herren, wird es darum gehen, die Betroffenen bei der Beseitigung der unmittelbaren Hochwasserfolgen zu unterstützen und mit den Aufräumarbeiten, der Schlammbeseitigung sowie den Pump- und Abstützungsmaßnahmen zu beginnen. Dies alles wird in einer engen Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg erfolgen.
Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, Ihnen, Herr Ministerpräsident Stolpe, und den Mitgliedern Ihrer Regierung für Ihren Einsatz und auch für die gute Zusammenarbeit zu danken.
Meine Damen und Herren, unser besonderes Augenmerk muß sich jetzt darauf richten, wie wir den von der Katastrophe schwer geprüften Menschen wirkungsvoll helfen können. Die Bundesregierung hat zur Milderung der akuten Notlage als allererste Maßnahme einen Betrag von 20 Millionen DM für Sofort- und Übergangshilfen zur Verfügung gestellt. Eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung mit dem Land Brandenburg wurde schon am 31. Juli unterschrieben.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hält zinsverbilligte Kredite in einem Umfang von 200 Millionen DM für Hochwassergeschädigte bereit. Sie stehen vor allem kleinen und mittleren Unternehmungen, Landwirten, aber auch Privatpersonen zur Verfügung. Zusätzlich sind steuerliche Erleichterungen
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
vorgesehen, wie zum Beispiel die Stundung von Steuern oder der Abzug von Kosten für Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung als außergewöhnliche Belastung.
Gerade auch für die Landwirtschaft in der Oderregion bedeutet das Hochwasser einen verheerenden Rückschlag. Wir müssen davon ausgehen, daß bis zum heutigen Tage auf landwirtschaftlichen Nutzflächen von rund 11000 Hektar die Ernte vernichtet ist, und heute weiß noch niemand, ob es dabei bleiben wird. Die Finanzhilfen des Bundes, die auch landwirtschaftlichen Betrieben und Haushalten zugute kommen, werden dazu beitragen, den betroffenen Landwirten eine neue Perspektive zu geben. Zusätzlich wird die Landwirtschaftliche Rentenbank Darlehen zu besonders günstigen Konditionen im Rahmen ihres Programmes für junge Landwirte anbieten.
Der Finanzierung von Hilfsmaßnahmen für die Hochwassergeschädigten dient nicht zuletzt die Herausgabe einer Sonderbriefmarke mit Zuschlag. Über eine Marke „Solidarität in der Not - Hochwasserhilfe Oder 1997" hat das Bundespostministerium bereits entschieden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich beschreibe hier nur die Maßnahmen der Bundesregierung, die bereits beschlossen sind. Für mich steht fest, daß die Bundesregierung zur Beseitigung der Hochwasserfolgen weitere finanzielle Unterstützung leisten muß. In den Ressorts werden gegenwärtig alle entsprechenden Möglichkeiten geprüft.
Ich denke, wir sollten jetzt nicht in einen öffentlichen Wettbewerb um Zahlen und Beträge eintreten nach der Devise „Wer bietet mehr". Das würde der Ernsthaftigkeit unseres gemeinsamen Anliegens nicht gerecht.
Wenn das Hochwasser abgelaufen ist, muß festgestellt werden, wie groß der entstandene Schaden ist. Darüber läßt sich jetzt mit Sicherheit noch keine seriöse Auskunft geben. Wir werden in Gesprächen mit dem Land Brandenburg feststellen, wie die Erfahrungen mit dem Soforthilfeprogramm ausfallen. Vor diesem Hintergrund werden wir entscheiden, was weiter, auch finanziell, getan werden muß und getan werden kann.
Eine der wichtigsten Aufgaben wird die Instandsetzung und der Wiederaufbau von Wohngebäuden sein. Die Bundesregierung klärt derzeit, welche zusätzlichen Bundesfinanzhilfen in Ergänzung des 200-Millionen-DM-Kreditprogramms für diesen Zweck bereitgestellt werden können. Sie sollen dann urn entsprechende Landesmittel ergänzt werden und vor allem Personen zugute kommen, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus förderberechtigt sind. Haushaltsmittel stehen schließlich auch für die Reparatur von Bundeswasserstraßen und Bundesstraßen bereit, die unter dem Hochwasser gelitten haben.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß die von der Bundesregierung bereits ergriffenen und noch anstehenden Hilfsmaßnahmen ein Gesamtvolumen von zunächst 500 Millionen DM umfassen werden. „Zunächst" heißt, daß sich dieser Betrag noch erhöhen kann.
Uns kommt es sehr darauf an, daß all diese Hilfen rasch und möglichst unbürokratisch geleistet werden; denn wir wissen aus der Erfahrung der Vergangenheit, daß schnelle Hilfe die beste Hilfe ist. Deswegen muß alles getan werden, um die Entscheidungen möglichst unbürokratisch zu treffen.
Ich erwarte dies im übrigen auch von den Versicherungsunternehmen.
Ich gehe davon aus, daß die Abwicklung der Schadensfälle nicht mit dem Finger auf dem Kleingedruckten, sondern mit der größtmöglichen Kulanz erfolgt.
Es ist den Menschen nicht zuzumuten, daß staatliche Hilfen, Kredite oder Versicherungsleistungen nur schleppend oder nach komplizierten und unverständlichen Regelungen gewährt werden. Hier müssen wir, so denke ich, aus früheren Erfahrungen lernen.
Bei all dem, was der Bund und das Land Brandenburg leisten, um die Notlage an der Oder zu lindern - sie allein werden die Last nicht tragen können. Wir müssen weiterhin um jede Unterstützung werben, die wir zugunsten der Betroffenen erhalten können.
Inzwischen hat auch die EU-Kommission über Hilfen für die Hochwasserregion entschieden. Wir sind für dieses Zeichen der Solidarität sehr dankbar.
Wir treten nachdrücklich dafür ein, daß darüber hinaus weitere Mittel der EU zugunsten der Oder-Region eingesetzt werden.
Neben den öffentlichen Hilfeleistungen kommt der privaten Hilfsbereitschaft eine große Bedeutung zu. Die privaten Hilfsorganisationen leisten in dieser Notsituation eine wertvolle und unverzichtbare Arbeit. Wir wissen, daß die Betroffenen auf ihre Unterstützung weiterhin angewiesen sind.
Zugleich werbe ich dafür, die erfolgreich angelaufenen Spendenaktionen zu unterstützen. Jeder einzelne ist aufgerufen, seinen ganz persönlichen Beitrag zu leisten und durch seine Hilfe die Botschaft zu verstärken, daß die Menschen in Deutschland füreinander da sind.
Meine Damen und Herren, die schlimme Erfahrung der Hochwasserkatastrophe an der Oder muß ein Anlaß sein, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an diesem Fluß zu vertiefen. Einmal mehr hat sich jedem gezeigt, wie sehr wir in Europa aufeinander angewiesen sind. Nationale Grenzen haben keine Bedeutung mehr, wenn die Wasserfluten das Land diesseits wie jenseits des Flusses verwüsten.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Die Bundesregierung hat das ihr Mögliche getan, um nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch bei unseren Nachbarn in Polen und Tschechien zu helfen. Insbesondere das Technische Hilfswerk und das Deutsche Rote Kreuz leisten einen unschätzbaren Beitrag, um zum Beispiel die Trinkwasserversorgung in und um Breslau zu gewährleisten. Alle großen deutschen Hilfsorganisationen sind in Polen im Einsatz und liefern unter anderem Pumpen, Medikamente, Nahrungsmittel, Decken und Bekleidung. So werden über die Oder zugleich - das hoffen wir gemeinsam - weitere Brücken der Verständigung und der Freundschaft gebaut.
Meine Damen und Herren, für die Zukunft wird es darauf ankommen, daß wir gemeinsam - Deutschland, Polen und Tschechien - die Erfahrungen der Hochwasserkatastrophe auswerten und die nötigen Konsequenzen ziehen. In den dazu erforderlichen Gesprächen wird es auch darum gehen, die Vorstellungen über die weitere Gestaltung des Oder-Raumes zu bündeln und in sie neben dem Katastrophenschutz auch die weitere wirtschaftliche Entfaltung der Region und nicht zuletzt den Schutz der Umwelt einzubeziehen.
In allen Anrainerstaaten müssen wir dabei die Lehre beherzigen, die sich mit der Hochwasserkatastrophe verbindet: Wir müssen den Flüssen ihren Raum lassen. Sie holen ihn sich sonst - mit schlimmen Folgen für die betroffenen Menschen - zurück.
Wenn wir und die Generationen, die nach uns kommen, in Frieden mit der Natur leben wollen, dann müssen wir auch in diesem Punkt umdenken.
Meine Damen und Herren, für die Menschen an der Oder sind diese Tage eine schwere Prüfung. Es stand in niemandes Macht, daß sie von dieser Prüfung verschont blieben. Wir müssen einmal mehr zur Kenntnis nehmen, daß es auch in unserem so überaus geregelten Leben in Mitteleuropa Naturgewalten gibt, die wir Menschen nicht beherrschen. Aber soviel können wir sagen: Was immer in unseren Kräften steht, wird getan und muß getan werden. Wir lassen nichts unversucht, um an den Deichen das Schlimmste zu verhindern. Wir werden alles tun, was möglich ist, um den Notleidenden zu hellen. Wir werden mit Nachdruck darauf hinwirken, daß für die Zukunft grenzüberschreitende Vorkehrungen zu einem wirkungsvollen Hochwasser- und Umweltschutz getroffen werden.
Nicht zuletzt werden wir versuchen, jenen Geist wachzuhalten, der in der Stunde der Katastrophe die Deutschen solidarisch vereint. Dann, meine Damen und Herren, wird sich mit dem Hochwasser an der Oder nicht nur die Erinnerung an Not verbinden, die wir lindern wollen und lindern müssen, sondern auch die Erfahrung einer solidarischen Gemeinschaft, die zu bewahren sich lohnt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Dr. Manfred Stolpe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich danke Ihnen ausdrücklich für Ihre Ausführungen, für die klaren Zusagen, die Sie namens der Bundesregierung dort gegeben haben, aber auch für Ihr persönliches Engagement in dieser großen Belastung, die wir an der Oder erfahren.
Wir kämpfen jetzt 19 Tage gegen das Hochwasser an der Oder. Jeder kennt nun die Bilder von der Flutkatastrophe, die vielen ihr Hab und Gut nahm, bei der Hunderte ihr Haus verloren.
Erinnern wir uns: Am 8. Juli gibt es Anzeichen für eine Hochwasserkatastrophe. Am 9. Juli werden bei uns in Brandenburg erste Maßnahmen eingeleitet. Am 17. Juli erreicht die Flutwelle Brandenburg, und zwar am Zusammenfluß von Neiße und Oder. Bei Ratzdorf liegt an diesem Tag der Pegel mit 6,20 Meter vier Meter über normal. Die Deiche werden mit Sandsäcken verstärkt. Es bilden sich Sickerstellen, die sofort abgedichtet werden.
Noch einmal gibt es dann starke Regenfälle. Eine zweite Flutwelle kündigt sich an. Am 23. Juli bricht der Deich bei Brieskow-Finkenheerd, am 24. Juli bei Aurith. Die Ziltendorfer Niederung ist auf eine Fläche von rund 6 000 Hektar überflutet. Die Ortschaften Aurith, Kunitzer Loose und der Ziltendorfer Ortsteil Thälmann-Siedlung versinken im Wasser. Die Bedrohung für das Siedlungsgebiet nördlich von Frankfurt, das Oderbruch, wächst. Lebus, Reitwein, Zollbrücke und vor allem Hohenwutzen heißen nun die Orte, deren Bilder in aller Medien sind.
Noch werden die Deiche gehalten. Dahinter, 6 Meter unter dem Oderpegel, liegt der Lebensraum für mehr als 20 000 Menschen. Seit vorgestern, am 17. Tag der Hochwasserkatastrophe, wird begründete Hoffnung stärker als Furcht. Die Pegelstände sinken, allerdings sehr, sehr langsam. Für eine Entwarnung ist es zu früh; denn noch drücken die Wassermassen mit enormer Kraft auf die durchweichten Deiche. Noch ist auch nicht abzusehen, wann das Wasser aus den Überflutungsgebieten wieder abfließen wird.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir kämpfen gegen eine Hochwasserkatastrophe, wie sie in der über tausendjährigen Geschichte Brandenburgs bisher nicht überliefert ist. Zum Glück kämp-
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe
fen wir nicht allein. Überall gibt es ein vorbildliches Zusammenwirken vieler Freiwilliger aus der Region und zahlreicher Helfer aus Brandenburg, Berlin und allen Teilen der Bundesrepublik. Mitglieder der Freiwilligen und Berufsfeuerwehren, des Technischen Hilfswerkes, des Roten Kreuzes, des Bundesgrenzschutzes und vor allem der Bundeswehr arbeiten Hand in Hand. Ihnen allen gilt Dank und Bewunderung.
Diese Menschen vereint jetzt der Wille, die ganz große Katastrophe, nämlich den Untergang des Oderbruchs, zu verhindern. Die Menschen rücken im Kampf gegen die Naturgewalten zusammen. Ossis und Wessis erleben angesichts der existentiellen Herausforderung, daß sie zusammengehören. An den Deichen der Oder hat die deutsche Nation im Jahre sieben der Einheit ihre Bewährungsprobe bestanden.
Wir haben erfahren, daß Frauen und Männer in der größten Not ihren Nachbarn nicht vergessen. Wir haben erfahren, daß Solidarität ein warmes Wort voll lebendiger Hilfsbereitschaft ist. Wir erfahren diese Solidarität auch durch die vielen Geld- und Sachspenden. Wir sind für diese Hilfen sehr dankbar; denn Geld wird gebraucht, um die erste Not derjenigen zu lindern, die in den überfluteten Häusern alles zurücklassen mußten. Darunter sind viele, die bis zuletzt den Deich verteidigten und darüber das eigene Habe vernachlässigten. Das Geld wird zum Wiederaufbau eines Landstriches gebraucht, der nach dem Abzug des Wassers ohne Hilfe nicht mehr lebensfähig wäre.
Diese Bundestagssitzung setzt ein Zeichen der Hoffnung. Bundestag und Bundesregierung bestätigen den Wiederaufbau der Oderregion als nationale Aufgabe; denn Brandenburg allein wäre hiermit völlig überfordert.
Das gesamte Ausmaß der Schäden kann heute niemand genau beziffern. Die Schätzungen einiger Versicherungen nennen Milliardenbeträge. Das ist wohl nicht übertrieben; denn 160 Kilometer Deiche müssen verläßlich gesichert werden, Unmassen Schlamm sind zu beseitigen, der Boden muß entseucht werden und Leitungen aller Art sind wiederherzustellen. Straßen und Brücken sind zu erneuern, Gebäude sind zu stabilisieren oder völlig neu zu bauen. Entlang der Oder geht es darum, die Lebens- und Erwerbsmöglichkeiten der Menschen wiederherzustellen und zu schützen und darüber hinaus der Natur ihr Recht zu lassen.
Bei den Hilfen muß berücksichtigt werden, daß die meisten Betroffenen, auch die rund 800 Unternehmen, keine Sicherheiten für Kredite bieten können. So könnte es geschehen, daß die Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau gar nicht genügend in Anspruch genommen werden können. Deshalb sollten wir noch überprüfen, ob die Laufzeit verlängert werden kann. Wichtig wären auch eine Haftungsentlastung der Kreditnehmer und eine Verringerung der
Tilgungsraten für die meist ohnehin bereits kreditüberbelasteten Bürgerinnen und Bürger.
Mit der Bundesanstalt für Arbeit haben wir bereits die Eckpunkte eines Sonderprogramms verabredet, das für etwa 3 000 Arbeitsplätze ausgelegt ist. Die Arbeitsämter sind bereit, einen Lohnkostenzuschuß zu gewähren. Das Land wird den Zuschuß zu den Lohnkosten aufstocken, so daß die Lohnkosten nahezu schon finanziert sind. Offen ist dabei noch die Finanzierung der Sachkosten. Ich denke, daß auch dafür ein Weg gefunden wird. Ich bitte, die Arbeitsämter zu bestärken, schnell und flexibel zu handeln, um die notwendigen Projekte und Lösungswege zu finden.
Noch größere Not hat Polen und Tschechien getroffen. Es ist für mich eine beglückende Erfahrung, wie bei uns trotz eigener Sorgen Hilfe für diese Nachbarn geleistet wird. Es ist aber auch nötig, gemeinsam aus der Katastrophe Schlußfolgerungen zu ziehen. Deutschland, Polen und Tschechien sollten gemeinsam mit der Europäischen Union ein Europaprojekt „Lebensraum Oder" starten, in dem es um den Schutz der Menschen, einen sinnvollen Umgang mit der Natur und wirtschaftliche Existenzgrundlagen gehen sollte. Ein solches Vorhaben könnte europäische Solidarität und Integration befördern.
Ich weiß seit heute morgen, daß die polnische Regierung ausdrücklich ihre Bereitschaft dazu erklärt hat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen allen. Durch Ihre Anteilnahme, Ihre Hilfe und Ihre Besuche erfahren wir hautnah das vereinte Deutschland. Das sind gute Signale zur richtigen Zeit. Noch geht der Kampf gegen das Wasser weiter. Aber gemeinsam können wir es schaffen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Kollege Ulrich Junghanns.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bilder, Filme, Berichte und Kommentare zur Hochwasserkatastrophe an der Oder in Tschechien, in Polen und hierzulande in Brandenburg kann keiner mehr zählen. Eigentlich ist - so mutet es an - alles jedem berichtet, gesagt und gezeigt. Aber weil es letztlich nicht darauf ankommt, nur tagaktuell informiert zu sein, sondern darauf, die richtigen politischen, wirtschaftlichen und auch privaten Folgerungen aus den Ereignissen zu ziehen, und weil es nicht geschehen darf, daß sich - wie so oft in unserer mediengestützten und -geprägten Welt - mit dem Fortgang der Ereignisse die notwendige öffentliche Debatte von den örtlichen Tatsachen und Erfordernissen
Ulrich Junghanns
abhebt und entfernt, möchte ich aus persönlichen Erlebnissen der letzten 14 Tage - ich wohne in Frankfurt an der Oder und habe die Flutkatastrophe mit ihren verschiedenen Schicksalen erlebt - einige Erfahrungen, Gedanken und Hoffnungen einbringen. Das kann nicht erschöpfend sein; denn wir stehen noch mitten im Kampf gegen die Fluten, und die Oder läßt einem keine Zeit für umfassende Vorbereitungen.
Die schwere Befindlichkeit der Betroffenen an den Ufern der Oder in unserer Region ist nicht oder bestenfalls halbwegs in Zeitungsüberschriften zu fassen. Diese schwere Betroffenheit und schwere Befindlichkeit der Mitbürger in unserer Region äußert sich vor allem in bangen Fragen, Fragen des alten Mannes, der am Rande der überfluteten Ziltendorfer Niederung steht, mir, ohne es zu sehen, die Richtung seines Hauses angibt und sagt: Es ist untergegangen. Ich habe wieder alles verloren. Wie soll es nur weitergehen? Wo soll ich noch hin? - Dann sind da die Fragen der Evakuierten aus den Oderbruch-Dörfern, die hinter den Dämmen - der Ministerpräsident hat es gesagt - acht Meter unter der Wasserlinie hoffen und bangen und fragen: Wird der Deich halten? Was soll geschehen, wenn er nicht hält?
Keiner hätte geahnt oder geglaubt, daß die Deiche einmal so in Gefahr geraten - haben sie doch 250 Jahre lang gehalten! Aber dieses Bangen - Tag und Nacht - und diese unbeantworteten Fragen lähmen nicht. Im Gegenteil: So wie es in Ratzdorf angepackt und mit großen Hilfen bewältigt wurde, nehmen die Menschen in der Oderregion die Herausforderung der Natur allerorts an. Sie kämpfen dafür, daß Gefahren abgewendet und Schäden verhindert werden. Selbstlos wird bis zur Erschöpfung füreinander eingestanden und geholfen: Beim Dammbau in Ziltendorf, Wiesenau, Frankfurt/Oder, an der Ziegelstraße und am Kuhweg, bei Reitwein und Hohenwutzen; Tag und Nacht werden Säcke gefüllt, zuletzt vor allen Dingen in Altreetz und Groß Neuendorf, um die Dörfer nur beispielhaft zu nennen.
Diejenigen, für die es letztlich um alles geht, empfinden doppelt und dreifach, was Hilfe in fast auswegloser Situation bedeutet. Der Bundeskanzler hat sehr eindrucksvoll aufgezeigt, daß und wie das Menschenmögliche getan wird, um Schaden abzuwenden. Als aus dieser Region Kommender möchte ich Ihnen sagen, was die Menschen dort empfinden. Sie empfinden große Dankbarkeit für die großartigen Leistungen. Niemand bei uns vermag sich vorzustellen, was geschehen wäre, wenn nicht die Bundeswehr, der BGS, das THW und die anderen Hilfsorganisationen gemeinsam mit den Feuerwehren und den vielen Freiwilligen in einer beispiellosen „Muskel-Kraftanstrengung'' an den Bollwerken - an den Dämmen und Deichen - gearbeitet hätten. Allein hätten wir das nicht schaffen können!
Der Dank richtet sich natürlich zuallererst an die Helfer, an die Soldaten, die auf der Straße, auf dem Dorf oder an Hof und Haus mithelfen. Er richtet sich aber genauso an die Kommandeure, die sich selbst auferlegt haben, nicht ausgewechselt zu werden, sondern die für sich gesagt haben: Diesen Katastropheneinsatz werden wir vom ersten bis zum letzten
Tage leiten. Für diese Standhaftigkeit sind die Menschen sehr dankbar.
Ich will sie nennen: General von Kirchbach und Korvettenkapitän Mauersberger von der Bundeswehr, den Leitenden Polizeidirektor Hasslinger und Polizeidirektor Reimann vom BGS sowie vom THW die Kameraden Tiesler und Wieland, der als Deichläufer jedem in Frankfurt/Oder bekannt ist. Genauso gehen mein Dank und meine Anerkennung an die Feuerwehr und an die freiwilligen Helfer. Sie gehen an alle Katastrophenstäbe und an die Deichgrafen mit Matthias Platzeck an der Spitze. Sie haben Großes, Beispielgebendes geleistet und leisten es.
Es ist bei dieser Oderflut nicht schwer - lassen Sie es mich einmal mit ein bißchen Pathos sagen -, Helden zu finden. Den Helden ist aber allen eigen, daß sie keine Helden sein wollen. Sie wollen den Sieg über diese Fluten erringen. Unseren Deich - so die Soldaten -, den müssen wir halten.
Wir fühlen und erleben, daß die Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Brandenburg alles nur Mögliche für die Katastrophenbekämpfung tut. Wir spüren vor allem, daß der Bundeskanzler mit den fachlich befaßten Ministern vor Ort ist und damit einen wichtigen Antrieb, einen wichtigen Impuls für Mut und Zuversicht in die Zukunft verleiht. Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen an dieser Stelle danke sagen.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur gelernt, daß zweieinhalb Schaufeln Sand in einen Sandsack gehören und daß nicht klares, sondern trübes Wasser von den Gefahren für die Deiche zeugt, sondern auch und vor allem, miteinander in der Lage zu sein, das schier Unmögliche zu schaffen. Das gilt für das Miteinander auf den Deichen und auf dem Sandsackplatz; aber das gilt insbesondere für das Miteinander der Verantwortlichen in unserem Staat - von der Kommune über die Landkreise und das Land bis zum Bund. Diese Erfahrung möchte ich von dieser Stelle aus ausdrücklich hervorheben und würdigen, Herr Ministerpräsident. Für unsere Region entlang der Oder und für die Menschen in diesem wunderschönen Landstrich wurde und wird von allen politisch Verantwortlichen nicht nur einem Strang, sondern auch am selben Ende des Stranges gezogen. Das gibt uns die Zuversicht, daß wir erfolgreich sein werden. Diese Kraft muß über den Tag hinausreichen, und es muß eine gründliche Auswertung des Katastrophenverlaufs vorgenommen werden. Wir konnten auf diese extreme Situation nicht vorbereitet sein, und deshalb ist es so wichtig, nicht nur aus den Stärken, sondern auch aus den Schwächen und Mängeln zu lernen.
Wenn die Kameras abgeschaltet werden, gilt es, in der Hilfe nicht nachzulassen. Die betroffenen Bedürftigen hoffen und bauen auf die zugesagte Hilfe. Das Wort des Bundesministers Rühe „Wenn das Wasser geht, die Soldaten bleiben" ist in aller Munde. Es ist
Ulrich Junghanns
oft die einzige Antwort auf die unbeantworteten Fragen.
Streit um große Summen hilft nicht. Die Betroffenen wenden sich davon eher ab. Sie haben keinen Sinn dafür. Wichtig ist jetzt, das Notwendige zu leisten und daß die Hilfe aus vielen Hilfsorganisationen und Spendenveranstaltungen bei den Bedürftigen auch ankommt.
Hilfe materieller und finanzieller Art, die sich an den Problemfällen orientiert, die die soziale und wirtschaftliche Lage der betroffenen Bedürftigen berücksichtigt, ist vonnöten. Da gibt es den Rentner - ich will ihn beispielhaft nennen -, der sein Haus verloren hat. Er ist 68 Jahre alt und weiß nicht, wohin. Da gibt es den Eigenheimbauer, der gerade mit seinem Bau fertig ist und nun mit der Tilgung beginnen wollte. Jetzt fängt er mit seinem Fertigteilhaus praktisch wieder von vorn an.
Da gibt es die Handwerker, die Bäcker, die ihre Betriebe im evakuierten Gebiet schließen mußten. Da gibt es die Bauernvereinigung in der Ziltendorfer Niederung. Die gesamte Ackerfläche -4000 Hektar - steht unter Wasser, so daß die Ernte verloren ist. 80 Bauern sind betroffen, 18 Familien wurden evakuiert.
Es geht aber auch um jene Bauern, die in den evakuierten Gebieten mit hohen Vieh- und Futtertransportkosten konfrontiert sind. Auch in den Aufnahmebetrieben kommt es zu Streßsituationen und damit zu Leistungsabfällen bzw. zu zusätzlichen Kostenaufwendungen. Wir müssen insbesondere bei der Landwirtschaft unter den Bedingungen der Evakuierung an die abgebenden und die aufnehmenden Betriebe denken. Dafür ist ein finanzieller Rahmen abgesteckt.
Ich bin für die Betonung des Bundeskanzlers, daß wir uns an den Problemen orientieren, sehr dankbar. An den Problemen orientieren heißt - ich bin dem Bundesminister für Finanzen sehr dankbar, der das heute morgen in der Sondersitzung der befaßten Ausschüsse hervorgehoben hat -, daß wir die Haftungsfreistellung erhöhen werden. Das muß natürlich mit der Erhöhung der notwendigen Leistungen und Beiträge der Landesregierung einhergehen.
Ich möchte hervorheben, daß die Laufzeiten verlängert werden und daß andere Programme wie das sogenannte Modernisierungsprogramm der MW mit 25jähriger Laufzeit und fünf tilgungsfreien Jahren vielleicht insbesondere für den Privatmann eine günstigere Lösung darstellen. Ich möchte die Landesregierung animieren, vorhandene wirtschaftliche Förderprogramme auf die Oderregion zu konzentrieren. Ich glaube, zu einer solchen solidarischen Leistung wären alle, die damit in Brandenburg befaßt sind, bereit und fähig.
Ich bitte, nicht zu vergessen, daß sich die Gemeinden selbst in einer großen finanziellen Notlage befinden und trotz dankenswerter Kostenentlastung durch die Einsatzkräfte nicht wissen, wie Reparaturen an öffentlichen Einrichtungen, an Straßen und Betrieben außerhalb des Wohnungsbaus finanziert werden sollen. Ich bin der Auffassung, daß wir auch auf diesem Gebiet sehr eng und schnell zusammenkommen müssen.
Das, was mit dem Blick über die Oder hinweg gesagt worden ist, kann ich nur unterstreichen. Natürlich fragen mich die Bürger, warum es ein abgestimmtes Katastrophen- und Frühwarnsystem nicht schon früher gegeben hat. Jetzt müssen wir nach vorn schauen. Das, was gestern von den Ministern für Umwelt unter Federführung von Ministerin Merkel in Frankfurt/Oder ausgehandelt wurde, ist ein solides und sicheres Fundament dafür, daß das Notwendige schnell geschieht.
Denn alle, die jetzt an der Oderregion kämpfen und die Bilder aus unseren benachbarten Staaten sehen, bekommen mit, wie wichtig und hilfreich es ist, daß in Deutschland so eng zueinander gestanden wird. Das ist nicht überall der Fall, aber diesen Beistand möchte ich von dieser Stelle über die Grenze hinweg nach Polen und Tschechien zusagen; denn wir wollen gemeinsam unsere Zukunft an diesem Fluß gewinnen.
250 Jahre Oderdeiche werden gefeiert. Daß diese Feier in eine solche Kraftanstrengung münden muß, gehört vielleicht zur Eigenart solcher Katastrophen. Ich weiß nicht, ob es ein Jahrhundert- oder ein Jahrtausendhochwasser ist, das wir gegenwärtig erleben und dessen Gefahren wir von uns abzuwenden versuchen. Aber ich weiß eines, nämlich daß es zu der Feier gehört, sich um diese Deiche zu sorgen, daß es das Anliegen unserer Generation sein muß, sie fit zu machen, zu stabilisieren und zu vitalisieren für die Aufgabe, für die sie vor 250 Jahren errichtet worden sind. Ich glaube, auch auf diese Aufgabenstellung kann man das Wort unseres Hauses, wonach die Katastrophenbekämpfung an der Oder eine nationale Aufgabe ist, beziehen.
Mit dem Blick nach vorn kann ich nur eines betonen: Für Entwarnung ist noch keine Zeit. Aber die Tatsache, daß uns diese große Hilfe zuteil wird, und die Erfahrung der Menschen, bisher schier Unmögliches geleistet zu haben, begründen unsere Zuversicht, daß wir das jetzt noch auf uns Wartende meistern werden und letztlich als Sieger aus dem Kampf gegen die Oderfluten hervorgehen werden.
Danke schön.
Das Wort erhält jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Notlage an der Oder hat tatsächlich die Menschen in unserem Land enger zusammenrücken lassen, ist auf viele zupackende Hände und auf viel Hilfsbereitschaft gestoßen. Alle Vorredner haben es schon gesagt - auch ich selbst habe mich vor Ort davon überzeugen können -: Die Organisation und die Zusammenarbeit bei der Deichsicherung sind wirklich großartig. Die Arbeit wird trotz vielfacher Erschöpfung
Franziska Eichstädt-Bohlig
mit großem Engagement, hervorragender Umsicht und großem Durchhaltevermögen organisiert. Das gilt auch für die Sicherungs- und Räumungsarbeiten im Hinterland. Ich möchte auch für unsere Fraktion allen Beteiligten von Bundeswehr, Grenzschutz, Technischem Hilfswerk, Landes- und Gemeindeverwaltungen, Feuerwehr, Polizei und den vielen freiwilligen Helfern ganz herzlich für ihre großartige Leistung, ihre Ausdauer und Entschlossenheit danken, mit der sie dem Wasser immer wieder Einhalt gebieten. Wir hoffen alle, daß das zumindest am Oderbruch auch wirklich gelingt, wenn es schon in der Ziltendorfer Niederung nicht gelingen konnte.
Ich möchte mich ganz besonders bei den beiden brandenburgischen Ministern Matthias Platzeck und Alwin Ziel bedanken; denn ich glaube wirklich - das war vor Ort zu spüren -, daß ihr fortdauernder persönlicher Einsatz ganz wesentlich dazu beiträgt, daß am Oderbruch die Dämme gehalten werden und alle derartig engagiert zusammenarbeiten.
Gleichzeitig möchte ich gegenüber allen betroffenen Bewohnern, den Betrieben, den Landwirten, den Beschäftigten und allen Menschen vor Ort unser Mitgefühl und unsere Hilfsbereitschaft zum Ausdruck bringen. Ich denke, wir werden noch intensiv daran arbeiten, zu Spendensammlungen aufzurufen und Unterstützung zu mobilisieren.
Sehr nachdrücklich und engagiert möchte ich aber auch für die in Tschechien und in Polen sehr viel stärker betroffenen Menschen sprechen. Gerade die Hochwasserkatastrophe lehrt uns, daß Oder und Neiße uns nicht trennen, sondern verbinden. Insofern ist diese Katastrophe auch ein Stück weit ein politisches Symbol. Das sollten wir ernst nehmen und zum Positiven wenden. Wir sollten die Zusammenarbeit weiter konstruktiv entwickeln und sollten gerade in diesem Bereich von Oder und Neiße die Renaturierung - ich danke dem Bundeskanzler dafür, daß er dieses Wort so deutlich ausgesprochen hat - vor Ort aktiv unterstützen und betreiben. Darum sollten wir neben der Hilfe und der Solidarität für die Menschen in Brandenburg nicht die Hilfe und die Solidarität für die Menschen in Slubice, in Breslau, in Ratibor, Olmütz und in den vielen kleinen Ortschaften vergessen.
Ich meine aber, daß wir die Hilfsinstrumente sehr genau prüfen müssen. Ich sehe die gleichen Probleme, die eben auch Herr Ministerpräsident Stolpe angesprochen hat: Das 200-Millionen-Kreditprogramm wird in der Form, wie es jetzt aufgelegt wird, nicht greifen. Denn zu viele Betriebe und zu viele Haushalte sind auf Grund der Investitionen der letzten Jahre zur Zeit hoch verschuldet und können sich derzeit nicht weiter verschulden. Es müssen also Modifikationen vorgenommen und weitere Lösungen entwickelt werden. Ich denke - auch da sind sich offenbar alle Fraktionen einig, und auch der Herr Bundeskanzler hat es ausgesprochen -, daß wir weiterhin Geld brauchen, das in Form von direkten verlorenen
Zuschüssen gewährt wird, damit alles wieder repariert werden kann.
Mir ist wichtig, daß wir die Menschen nicht nur durch aktuelle Hilfe unterstützen, sondern daß wir eine bewußte und aktive Nachfrage nach Wirtschaftsgütern aus Brandenburg und aus der Oderregion hervorrufen und bewußtere Konsumenten in diesem Bereich werden. Das gilt vor allen Dingen für meine Heimatstadt Berlin. Ich hoffe, daß wir auch in dieser Form wirtschaftliche Unterstützung leisten.
Mir ist außerdem wichtig - ich bedauere, daß darüber bisher zu wenig gesprochen worden ist -, daß wir den Anlaß der Hochwasserkatastrophe sehr ernst nehmen. Natürlich sind die extrem starken, plötzlichen und anhaltenden Regenfälle der letzten Wochen das auslösende Moment, doch die Ursachen für die vielen Schäden haben wir Menschen selber mit unseren vielfachen Eingriffen in den Naturhaushalt zu verantworten.
Insofern bitte ich darum, daß wir den Satz von Bundeskanzler Kohl „Wir müssen den Flüssen ihren Raum geben" sehr ernst nehmen. Ich hoffe, daß dementsprechende Zeichen auch noch in dieser Legislaturperiode gesetzt werden.
Ich möchte es ganz konkret sagen: Andere Flußausbauprojekte und insbesondere das Projekt Nr. 17 Deutsche Einheit sehen weitere Kanalisierungs- und Flußregulierungsmaßnahmen vor. Oder und Warthe sollen im Rahmen der transeuropäischen Netze ausgebaut werden, für Elbe, Havel, Saale, Donau, Weser und weitere Flüsse gilt das gleiche. Unsere Forderung ist einfach - damit bekommen wir auch Mittel frei -: Stoppen wir diese Projekte schnellstmöglich und beschränken die Flußregulierungsmaßnahmen auf wenige unumgängliche Ausbaumaßnahmen! Statt dessen sollten wir die Frachtschiffe, ihre Technik und Bauweise so fortentwickeln, daß sie sich den Flüssen anpassen, statt die Flüsse auf eine von der Rheinschiffahrt gesetzte Europanorm zu zwingen. Damit schaffen wir nur mehr Schäden, ähnliche vielleicht, wie sie jetzt bei der Oder aufgetreten sind, obwohl dort bisher kaum neuere Ausbaumaßnahmen vorgenommen wurden. Wenn wir aber so wie bisher an den Flüssen weiterbauen, werden wir uns demnächst nicht mehr streiten müssen, ob wir Jahrhundert- oder Jahrtausendkatastrophen haben, denn solche Katastrophen werden regelmäßig auftreten.
Auf diese Art können wir Mittel sowohl für die anstehenden Maßnahmen zur Soforthilfe im eigenen Land als auch für transnationale Hilfsmaßnahmen und für Renaturierungsmaßnahmen freibekommen. Allein das Projekt Nr. 17 bindet insgesamt 4 Milliarden DM. Die Beträge, über die wir hier heute reden, sind wesentlich bescheidener. Von daher fordere ich alle Beteiligten auf, hier schnell und richtig zu handeln.
Franziska Eichstädt-Bohlig
Unsere wichtigsten Aufgaben heißen:
Erstens - da sind wir uns alle einig - müssen wir unbürokratisch und großzügig nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Tschechien und Polen - auch zusammen mit der EU - schnell hellen.
Zweitens - auch darüber müssen wir demnächst diskutieren - dürfen wir den Hochwasserschutz nicht nur als Landesaufgabe betrachten, sondern müssen ihn zur Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Län-dem machen. Es geht nicht, daß jedes Land für sich allein im Binnenverhältnis vor sich hin werkelt.
Drittens. Wir müssen aus der Katastrophe lernen und endlich die weiteren Flußausbauprojekte stoppen oder modifizieren.
Viertens. Die transnationale Zusammenarbeit zur Renaturierung des Oder-Neiße-Flußsystems und auch zur Wiederaufforstung und naturnahen Bewirtschaftung des Riesengebirges muß als ernste Aufgabe begriffen und umgehend in Angriff genommen werden.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Oder sieht es wirklich schlimm aus. Deshalb brauchen diese Region und ihre Menschen unsere Hilfe und Solidarität.
Da ist der Eigenheimbauer - Familie gegründet, Haus gebaut, hohe Kredite aufgenommen -, den die Flut überraschte. Da sind die Existenzgründer im mittelständischen Bereich, im landwirtschaftlichen Bereich in dieser vom Aufschwung nicht gerade begünstigten Region. Sie haben Risikobereitschaft gezeigt und die Ärmel hochgekrempelt. Gerade jetzt, wo sie anfangen, die Früchte ihrer harten Arbeit einzufahren und schwarze Zahlen zu schreiben, stehen sie wieder vor dem Nichts. All diese Menschen brauchen jetzt eine neue Chance und unsere Solidarität.
Und diese Solidarität gibt es noch. Sie war jetzt zu entdecken, und darüber bin auch ich froh. Das hat die Benefiz-Veranstaltung von ARD und „Bild" -Zeitung am Sonntag in Berlin gezeigt. Aus der ganzen Republik kommen Mitgefühl, Spenden und Anfragen, wie man helfen kann. Wenn man diese Unterstützung spürt - so sagten mir Betroffene -, fällt der Neuanfang leichter.
Da spendete zum Beispiel eine Stadtratsfraktion in Bad Honnef - welche Partei, das ist jetzt nicht entscheidend, denn dieses Thema ist tatsächlich nicht für den Wahlkampf geeignet - spontan 500 DM, weil die Honnefer wissen, was eine Hochwasserkatastrophe bedeutet.
Das Ausmaß der Katastrophe wäre aber sehr viel größer, wenn wir nicht diese großartigen Bundeswehrsoldaten hätten. Man kann das wirklich nicht oft genug sagen.
Als Bürger aus Brandenburg war ich nicht nur Sandsäcke füllen, sondern ich war auch an dem bis zur Krone abgerutschten Damm in Hohenwutzen. Dort habe ich die Soldaten schuften gesehen, wie sie zum Beispiel Stützpfeiler aus Sandsäcken bauten. Sie arbeiteten bis zur Erschöpfung und immer unter Lebensgefahr; das muß man sich einmal deutlich machen. Das ist echte Lebensgefahr; denn niemand konnte und kann garantieren, daß der Damm gerade in dieser Flußbiegung hält, weil das Wasser dort stärker als sonst üblich gegen den Damm und in die Bisamrattenlöcher drückt.
Sie bauen im sumpfigen Hinterland Straßen, da die ausgezeichneten Hubschrauberpiloten nicht alle benötigten Sandsäcke heranschaffen können.
Diese jungen Kerle wollen helfen, und sie kamen aus allen Gegenden Deutschlands. Hier war kein Platz für Ossi-Wessi-Gerede, und das war gut so.
Ich möchte - das kann ich, glaube ich, im Namen des gesamten Hauses hier erklären - einfach danke sagen. Herr Rühe, Sie haben eine tolle Truppe.
Wenn man sich bedankt, dann dürfen auch die anderen nicht vergessen werden - ich will das wiederholen -: die Leute vom Bundesgrenzschutz, die vielen Feuerwehrleute, das Technische Hilfswerk und die Taucher von der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft, die unter Lebensgefahr Folienbahnen zur besseren Wasserdruckverteilung unter Wasser anbringen.
Nicht vergessen darf man auch die vielen freiwilligen Helfer auf den Sandsackfüllplätzen. Sie kommen zum Beispiel aus Berlin. Sie haben auf diesen Plätzen sogar ihre Zelte aufgeschlagen.
Damit die Hilfe anhält, müssen wir als Parlament jetzt aktiv werden, bevor die Katastrophe wieder aus den Schlagzeilen gerät. Das Sofortprogramm der Bundesregierung und der Brandenburger Hilfsfonds waren lebenswichtig. Hinzufügen will ich auch das Drei-Länder-Hochwasseraktionsprogramm, das Staatssekretär Walter Hirche vorgeschlagen hat. Jetzt muß es darum gehen, die Menschen beim Wiederaufbau zu unterstützen.
Die Schadensbeseitigung und die Beseitigung der Überschwemmungsursachen wird - das ist jetzt schon abzusehen - Milliarden kosten. Diese Gelder, Herr Ministerpräsident, kann Brandenburg natürlich nicht selber aufbringen. Deshalb sollten wir ein Hilfs-
Jürgen Türk
programm einrichten. Ich fordere die Länder und Kommunen auf, sich an diesem Hilfsprogramm, an dieser nationalen Aufgabe - wie das hier wiederholt gesagt wurde -, zu beteiligen; denn Solidarität bedeutet, daß alle ihren Beitrag leisten.
Die Haushaltslage ist überall schlecht: im Bund, in den Ländern und in den Kommunen. Aber wenn es jemandem schlechtgeht, muß zusammengelegt werden. Das heißt für mich Solidarität. Denn dieser Wiederaufbau und der verbesserte Hochwasserschutz - in dieser Auffassung kann ich den Bundeskanzler nur unterstützen - ist eben eine nationale Aufgabe. Es wäre wünschenswert und ein Zeichen des Funktionierens des Föderalismus, wenn wir uns über Parteigrenzen hinweg darüber einigen könnten.
Das schließt nicht aus, daß wir uns mit wirksamer - ich betone: mit wirksamer - Hilfe überbieten. Ich kann mir gut vorstellen, daß die Wirtschaftsverbände - das hat zum Beispiel die Handwerkskammer Cottbus mit 250 000 DM getan -, die Landwirtschaftsverbände und auch die Banken und Versicherungen in diesen Wiederaufbaufonds einzahlen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung setzen heute ein Zeichen und sagen der Hochwasserregion Hilfe mit einem Gesamtvolumen von zunächst 500 Millionen DM zu. Ich freue mich, daß wir wenigstens diese Hilfe heute parteiübergreifend regeln konnten.
Bei aller innerdeutschen Solidarität sollten wir Tschechien und Polen in der Not nicht vergessen. Die Hochwasserkatastrophe zeigt, daß endlich mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit begonnen werden muß. Das Hochwasseraktionsprogramm kann und muß der Anfang sein. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Modellregionen muß eingebettet in konkrete Projekte folgen. So stelle ich mir das vor. Hier muß aus der Not eine Tugend gemacht werden und schon jetzt von einer „als-ob"-EU-Mitgliedschaft von Polen und Tschechien ausgegangen werden.
Wenn jetzt richtigerweise mit einem Hochwasseraktionsplan begonnen wird, darf natürlich die Neiße nicht fehlen. Wir hatten nur Glück, daß es in diesem Einflußgebiet nicht so stark geregnet hat. Darum möchte ich das Wiederaufbau- und Hochwasseraktionsprogramm nicht nur als nationale Aufgabe verstanden wissen, sondern auch und gerade als Bewährungschance für Europa; denn in der Not erkennt man seine Freunde.
Vielen Dank.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine leere Floskel, sondern eine durchaus nötige Wiederholung, wenn ich hier sage, daß unsere uneingeschränkte Solidarität all denen gilt, die vom Hochwasser betroffen sind, und wenn ich natürlich unsere Bereitschaft zur Hilfeleistung nach Notwendigkeit und eigenen Möglichkeiten erkläre.
Es ist auch keine leere Floskel, wenn ich hier den Dank, den andere Kolleginnen und Kollegen schon ausgesprochen haben, an die Tausenden Helfer der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes, des Technischen Hilfswerkes, des Deutschen Roten Kreuzes und an die vielen zivilen Heller bekräftige und sage: Danke schön für das bisher Geleistete und auch Mut für das noch zu Leistende.
Es zeigt sich im übrigen, wie sinnvoll eine Armee sein kann, wenn sie Landesverteidigung in diesem geschilderten und erlebten Sinne praktiziert.
Noch ist das Ausmaß des Schadens nicht festgestellt. Die ungefähren Zahlenangaben zeigen aber trotzdem das Ausmaß der Probleme, vor denen die Menschen stehen. Zehntausende leben praktisch seit Wochen im Ausnahmezustand. So wie mit dem Steigen des Pegels der Oder die Bereitschaft überall stieg - auch das ist hier schon gesagt und anerkannt worden -, unmittelbar Hilfe zu leisten, so wird jetzt eines deutlich: Jeder Zentimeter, den das Hochwasser nachgibt, weckt die Hoffnung, daß dies auch so bleibt, bei denen, die bisher verschont blieben, und zeigt zugleich den unmittelbar Betroffenen, wie groß das Ausmaß des persönlich erlittenen Schadens ist. Bei vielen, mit denen wir und auch Sie aus den Fraktionen gesprochen haben, wächst die Verzweiflung, ob das alles bewältigt werden kann.
Die Frage wird in unterschiedlichster Form gestellt und immer wieder aufgeworfen: Was wird, wenn das Hochwasser abgezogen, das Medieninteresse zurückgegangen ist und sich das öffentliche Interesse auf andere Aufgaben konzentriert? Wird die Bereitschaft zur Hilfeleistung auch dann noch vorhanden sein, und werden die vielen Zusagen zur Hilfeleistung auch dann noch gültig sein? Es wird an uns gemeinsam liegen, den Satz eines Betroffenen „Wenn das Hochwasser nicht mehr auf Titelseiten schwappt, dann vergessen die Politiker schnell" zu widerlegen. Das sind Äußerungen und Fragen, die sich auch daraus ergeben, weil zu lesen und zu hören war, daß Hochwasseropfer aus dem Rhein-Main-Gebiet, die 1995 betroffen waren, zum Teil noch heute auf das zugesagte Geld warten.
Es geht mir nicht um eine Beteiligung an Spekulationen, wie hoch die nötige Summe sein wird, die erbracht werden muß, um die Hochwasserfolgen zu überwinden, auch nicht um einen Wettbewerb, wie viele Millionen DM eingesetzt werden. Wichtig aber
Rolf Kutzmutz
ist, daß die Mittel wirklich unbürokratisch und schnell zur Verfügung gestellt werden.
Natürlich spielten in den vielen Gesprächen das 20-Millionen-DM-Sofortprogramm des Bundes und des Landes Brandenburg und auch das 200-Millionen-DM-Programm der KfW eine Rolle. Aber darin liegt ein entscheidendes Problem. Ein Landwirt aus dem Oderbruch hat gesagt: Zum Wieder-Wiedereinrichter fehlt mir die Kraft. Das heißt nichts anderes, als daß Kredite, seien sie noch so zinsgünstig, letztlich doch wieder neue Schulden sind, daß solche Kredite wegen der generellen Einkommenssituation, der Eigenkapitallage von Unternehmen, des eingetretenen Verlusts banküblicher Sicherheiten von Privatpersonen und Unternehmen nur eingeschränkte Hilfe leisten können; das heißt auch, daß die angekündigten steuerlichen Begünstigungen zwar Bestandteil eines Gesamtprogramms sein können, sie jedoch wegen der zeitlichen Verzögerung, mit der sie wirksam werden, nur eine begrenzte Wirkung entfalten. Ich meine, bei der Hilfe für die Hochwasseropfer muß es um einen Ersatz des Verlorenen gehen.
Wir sollten als Gesetzgeber auch über eine Veränderung des Versicherungsrechts nachdenken; denn Versicherungen lehnen es bisher ab, in hochwassergefährdeten Gebieten - mit Ausnahme eines Bundeslandes - entsprechende Zusatzpolicen zu unterzeichnen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung davon gesprochen, daß jeder einzelne aufgerufen sei, das in seinen Möglichkeiten Stehende zu tun, um Hilfe zu leisten. Das ist mir Veranlassung, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten. Die Gruppe der PDS hat beschlossen, daß jeder Abgeordnete 1000 DM spendet, die für ein vom Land Brandenburg vorgeschlagenes Projekt zum Einsatz kommen sollen. Wir haben unsere Mitarbeiter gebeten, sich entsprechend ihren Möglichkeiten zu beteiligen. Ich bitte Sie, zu prüfen, ob Sie sich einer solchen Aktion auch in Ihrer Fraktion anschließen können. So könnten wir Mitglieder des Deutschen Bundestages ein größeres Projekt gemeinsam direkt finanzieren.
Zwei Anmerkungen zum Abschluß.
Erstens. Bei den Gesprächen im Oderbruch spielte eine Rolle, daß es gut sei, daß die Oder nicht betoniert ist und eine halbwegs intakte Flußlandschaft vorhanden ist. Was für die Oder gilt, müßte auch für andere Flüsse, so zum Beispiel für Elbe und Havel, gelten. Frau Eichstädt-Bohlig hat dazu gesprochen; ich kann mich dieser Meinung nur anschließen.
Zweitens. Es wurde betont, daß das Hochwasser nicht parteipolitisch vereinnahmt werden solle. Es liegt ein Entschließungsantrag aller Fraktionen vor. Für mich ist es schlicht nicht nachvollziehbar, daß die Gruppe der PDS keine Gelegenheit erhält, diesen
Antrag mit einzubringen. - Geschenkt; wir werden trotzdem unseren Beitrag weiter leisten.
Danke schön.
Abschließend in dieser Aussprache spricht der Kollege Dr. Mathias Schubert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage an der Oder scheint sich langsam zu entspannen. Die Pegelstände zwischen Ratzdorf und Bad Freienwalde sinken. Die Deiche, die eigentlich längst weggeschwemmt sein müßten, halten noch immer. In der vergangenen Nacht war zum erstenmal seit Wochen ein Deichbruch nicht unmittelbar zu befürchten. Gott sei Dank ist bisher kein einziges Menschenleben zu beklagen.
Dieses - wie es manche nennen - „Wunder von der Oder" hätte sich nicht ereignet, wenn nicht drei Wochen lang Tausende von Helfern jeden Tag bis zur Erschöpfung gearbeitet hätten.
Dabei gab es Situationen, wo es gar nicht mehr uni die Rettung der Deiche, sondern nur noch um die Verzögerung der Überflutung ging.
Die Überflutung der Ziltendorfer Senke konnte nicht verhindert werden. Dagegen war der Kampf um den Deich bei Hohenwutzen erfolgreich. Ein Deichbruch dort hätte leicht die Ursache für ein überflutetes Oderbruch sein können und kann dies immer noch werden. Das wäre die Katastrophe. Dies würde für die Bewohnerinnen und Bewohner der Oderregion nicht nur den Verlust ihrer Häuser, ihrer Ernten, ihrer Geschäfte und ihrer Firmen, sondern für viele nach der Vertreibung von 1945 einen neuerlichen Verlust von Heimat bedeuten. Das ist eine besondere Situation, die ich zu verstehen bitte und die auch die Zähigkeit, jedenfalls zum Teil, erklärt, mit der von allen Beteiligten um die Oderdeiche gerungen wurde und noch wird.
Ich bin, da der Oderbruch zu meiner Heimat gehört, in den letzten Wochen oft dort gewesen. Viele der Dörfer sind verlassen; aber sie sind nicht aufgegeben. Bei vielen Menschen wandelte sich im Laufe der Hochwassertage die Stimmung von Panik und Ohnmacht in vorsichtige Zuversicht, da sie und die vielen Helfer mehr getan haben, als eigentlich hätte getan werden können. Wenn die Flut dennoch gekommen wäre, hätten sie wohl noch einmal alles oder wenigstens sehr vieles verloren. Aber sie hätten sich nicht noch einmal vertreiben lassen.
Deshalb ist es nötig, den vielen Helfern nicht nur für. ihre Arbeit zu danken, sondern auch dafür, daß
Dr. Mathias Schubert
sie mit ihrem Einsatz mehr getan haben, als nur die Oderregion vor der Überflutung zu retten.
Sie haben gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern mehreren zehntausend Menschen die Heimat erhalten und gezeigt, daß dies eine' Aufgabe ist, die uns alle betrifft.
Aus diesen Gründen sage ich aufrichtigen und herzlichen Dank allen, die mit ihren Kräften die Deiche gehalten haben: den Freiwilligen, den Feuerwehren, dem Technischen Hilfswerk, den Rettungsdiensten, den Tauchern, der Bundeswehr, den Krisenstäben in Bad Freienwalde, Eisenhüttenstadt und Potsdam und meiner Landesregierung.
Ich möchte dabei niemanden hervorheben; aber der Einsatz der Bundeswehr war und ist für uns von besonderer Bedeutung.
Auf der Tribüne haben einige Soldaten der Bundeswehr Platz genommen. Ich bitte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ihnen stellvertretend für ihre Kameraden, die jetzt an der Oder sind, mit einem herzlichen Applaus zu danken.
Ihnen, Herr Minister Rühe, einen besonderen Dank dafür, daß die Bundeswehr auch für den Wiederaufbau an der Oder zur Verfügung stehen wird.
Selbstverständlich danken wir genauso herzlich der Europäischen Union, dem Bund und dem Land Brandenburg für die Bereitstellung finanzieller Soforthilfen über das beim Kampf um die Deiche Geleistete hinaus.
Gedankt werden muß aber auch den vielen Spendern in der ganzen Bundesrepublik. Mit den Geld-und Sachspenden kann vor allem den Menschen wirksam geholfen werden, deren Häuser und Grundstücke in der Ziltendorfer Senke überschwemmt sind, die damit zum Teil eben auch ihre Existenzgrundlagen verloren haben und die deshalb unsere besondere Soforthilfe benötigen.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, es geht die Rede durchs Land, die Rettung der Oderregion vor der Flut sei zu einer nationalen Aufgabe geworden, um eine nationale Katastrophe zu verhindern. Die Rettung vor der Flut als Symbol für die innere Einheit, ein Neubeginn nach einer verhinderten Sintflut - vielleicht können die letzten drei Wochen an der Oder wirklich so etwas wie ein Symbol dafür werden. Aber ich warne davor, das zu überziehen. Denn um hier ein wirklich dauerhaftes Zeichen zu setzen, bleibt noch vieles zu tun. Nur drei Aspekte dafür möchte ich kurz ansprechen.
Da ist erstens der Wiederaufbau. Er wird lange Zeit in Anspruch nehmen und teuer werden. Wir müssen und werden unmittelbar, schnell und unbürokratisch helfen. Ich nehme dabei auf, was Ministerpräsident Stolpe gesagt hat. Wir brauchen günstige Kredite für die Landwirte und für die Gewerbetreibenden. Aber wir brauchen natürlich auch Mittel und Wege, um es ihnen überhaupt zu ermöglichen, diese Kredite aufzunehmen. Also sollten wir über Möglichkeiten wie Ausfallbürgschaften und ähnliches beim konkreten Vollzug unseres gemeinsamen Antrags ernsthaft nachdenken.
Zweitens ist es dringend notwendig, nicht nur an der Oder, sondern in der gesamten Bundesrepublik Hochwasser- und Katastrophenschutz auch als präventive ökologische Aufgabe zu begreifen und in die Tat umzusetzen.
Drittens. Das Oderhochwasser hat - viele haben es schon gesagt - die grenzüberschreitende Dimension der Aufgabe gezeigt. Über 150000 Menschen in Polen sind evakuiert. 40 Prozent aller Tschechen sind vom Hochwasser betroffen. Der frühere Raubbau an der Natur in diesen Gebieten ist einer der Gründe für diese Katastrophe.
Wir müssen um unserer selbst willen mit beiden Nachbarn schnell nach Wegen suchen, um solche Flutrisiken in Zukunft möglichst zu minimieren. Dazu gehört auch ein gemeinsames Hochwasserschutzprogramm über die Europäische Union. Die Europäische Union hat hier die Pflicht, koordinierend und auch mit finanziellen Hilfen das Ihre dazu beizutragen. Ich danke Ihnen ganz herzlich, daß - sollten meine Informationen stimmen - es möglich ist, in unserem gemeinsamen Antragsentwurf noch eine entsprechende Passage aufzunehmen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn wir es in den kommenden Monaten schaffen, diese Aspekte im Blick unseres politischen Handelns zu behalten, mag der Kampf um die Deiche an der Oder ein Symbol wachsender innerer Einheit genannt werden. Dann hätten wir auch die Menschen im Oderbruch, die Helfer und die Spender richtig verstanden.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/8341 . Wer stimmt für diesen Entschließungs-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag einstimmig angenommen.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8345 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf:
a) Vereinbarte Debatte zu Steuern und Arbeitsplätzen
b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 13/8340 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Finanzausschuß
Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Sondersitzung des Deutschen Bundestages befaßt sich auch mit den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses, der gestern seine Beratungen abgeschlossen hat. Die Bürger unseres Landes haben jetzt Anspruch, umfassend darüber informiert zu werden, wie es weitergeht.
Mit dem heutigen Beschluß über die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform schafft der Deutsche Bundestag Rechtssicherheit für die Unternehmen und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Gewerbekapitalsteuer wird nicht eingeführt; die vorbereiteten Vorauszahlungsbescheide werden nicht am 15. August an die Unternehmen in den neuen Ländern versandt. Schon deswegen, meine Damen und Herren, ist diese Sitzung notwendig und gerechtfertigt und dient dem Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern.
Mit dem Wegfallen der Gewerbekapitalsteuer wird nach der Vermögensteuer die letzte Arbeitsplatzvernichtungssteuer abgeschafft. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis des Vermittlungsausschusses der letzten Woche. Ich danke allen, die an diesen Verhandlungen aktiv oder passiv beteiligt waren.
Die Einigung kam buchstäblich in letzter Minute. Ein weiteres Verschieben hätte unweigerlich die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern nach sich gezogen. Vorauszahlungsbescheide lagen versandbereit in den Schubladen. Ich möchte meinen Respekt insbesondere gegenüber Ministerpräsident Vogel aus Thüringen zum Ausdruck bringen, der wie ein Löwe dafür gekämpft hat, daß diese falsche Steuer in seinem Bundesland und auch in anderen neuen Bundesländern nicht erhoben werden muß.
Ich möchte mich, Herr Voscherau, obwohl Sie nachher wahrscheinlich schlecht über mich reden, auch für Ihren Anstoß bedanken. Dies will ich nicht verschweigen.
Gemeinsam mit dem Wegfall der Vermögensteuer ist die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ein wichtiges Signal. Die Standortqualität Deutschlands hat sich dadurch wesentlich verbessert. Wir haben unsere Position im internationalen Investitionswettbewerb gestärkt.
Aus Gesprächen mit Wirtschaftsführern wissen wir: Die endgültige Abschaffung der Substanzsteuern wird viele Investitionsentscheidungen positiv beeinflussen. Die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen wird gefördert. Diejenigen, die das immer als ganz wichtiges Signal für den Standort Deutschland angesehen und gefordert haben, sind nun am Zug, entsprechend zu handeln, im Interesse der Arbeitslosen und im Interesse derer, die ihren Arbeitsplatz gesichert sehen wollen.
Auch die Kommunen sind Gewinner der Reform. Die Steuerbasis der Gemeinden wird durch die im Grundgesetz verankerte Beteiligung an der Umsatzsteuer dauerhaft gesichert. Mit einem Anteil von 2,2 vom Hundert an der Umsatzsteuer wird der Einnahmeausfall durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer mehr als kompensiert.
Für das laufende Jahr erhalten die Gemeinden in den neuen Ländern neben den bereits vorhandenen Möglichkeiten für zinsgünstige Kredite einen weiteren Ausgleich für entgangene Einnahmen. Bund und Länder verzichten auf die Gewerbesteuerumlage in entsprechender Höhe.
Für durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer besonders betroffene Gemeinden gibt es einen speziellen Ausgleichsmechanismus. Die Länder können bis zu 20 vom Hundert des gemeindlichen Umsatzsteueranteils für durch die Reform besonders betroffene Gemeinden heranziehen.
Von den kommunalen Spitzenverbänden weiß ich: Die Gemeindefinanzreform und die Beteiligung an
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
der Umsatzsteuer wurden als eine historische Chance verstanden. Wir haben damit die Gemeinden in ganz Deutschland auf eine bessere qualitative und quantitative Basis gestellt. Ich bin überzeugt, daß wir damit einen sehr kommunalfreundlichen Akt vollzogen haben.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer stand schon lange auf der politischen Tagesordnung. Mit dem Steueränderungsgesetz 1992 haben wir als ersten Schritt Entlastungen bei den substanzbelastenden Steuern, insbesondere bei der betrieblichen Vermögensteuer und bei der Gewerbeertragsteuer, durchgesetzt. 1993 folgte mit dem Standortsicherungsgesetz der zweite Schritt zur Strukturverbesserung der Unternehmensteuern. Im Mittelpunkt stand die Senkung der Körperschaftsteuersätze und des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte. Die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kann jetzt endlich in Kraft treten.
Nur, meine Damen und Herren, wir können uns bei der großen Steuerreform fünf Jahre Lern- und Überlegenszeit wie bei der Gewerbekapitalsteuer nicht leisten. Es darf nicht noch einmal Jahre dauern.
Wir beraten heute ein Vermittlungsergebnis über den sogenannten Restanten des Jahressteuergesetzes 1996, ein Vorschlag, der bereits 1995 als Gesetzentwurf vorlag. Zu einer Zustimmung zur Unternehmensteuerreform sahen sich die SPD-regierten Länder auch damals nicht in der Lage. Ein Jahr später, im Herbst 1996, wurde die Zustimmung zur Abschaffung abermals verweigert, da wir sie mit dem Erhalt einer anderen substanzverzehrenden Steuer, nämlich der Vermögensteuer, hätten erkaufen müssen. Das haben wir nicht getan.
Es ist bedauerlich, aber in der Steuerpolitik ist die SPD unkalkulierbar.
Vermeintliche Argumente werden vorgeschoben; Machtkalkül bestimmt die Verhandlungen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns davon nicht entmutigen lassen. Die Steuerpolitik gerade mit Ihnen erinnert mich an Max Weber, der Politik als „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" definiert hat. Das haben wir Ende der 70er Jahre beim ideologischen Grabenkampf der SPD gegen die Abschaffung der arbeitsplatzvernichtenden Lohnsummensteuer erlebt. Das gleiche Schauspiel vollzog sich in den vergangenen Jahren bei der Gewerbesteuerreform.
Zur Steuerreform - das ist jetzt der bedauerliche Aspekt dieser Sondersitzung - ist es im Ausschuß zu keiner Einigung gekommen. Warum nicht? Bei aller
Kompromißbereitschaft der Koalitionsseite stand schon vor Beginn der Verhandlungen - -
- Sie können doch überhaupt nicht bestreiten, daß wir jede Möglichkeit gesucht haben, zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.
Sie hatten keine Abschlußvollmacht. Am Tisch saßen zwar Mandatsträger; sie hatten aber nicht das Mandat ihres Parteivorsitzenden. Es ist traurig, daß frei gewählte Ministerpräsidenten, Finanzminister oder Bundestagsabgeordnete hier nicht das tun, was richtig ist und was sie als richtig ansehen, sondern ihre Überzeugung und das Gemeinwohl auf dem Altar der Parteitaktik des SPD-Vorsitzenden opfern.
Wo waren in der letzten Woche die Matadore, die sich permanent öffentlich äußern? Es wäre eigentlich Ihre Pflicht gewesen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, auch im Vermittlungsausschuß persönlich zugegen zu sein. Der Ministerpräsident des Saarlandes empfängt für sein Land viel Solidarität in der Bundesrepublik Deutschland; ich denke hier etwa an den Finanzausgleich. Sie schulden dem Bund und dem Gemeinwohl auch Solidarität, die Sie ihnen gerade in den letzten Wochen verweigert haben. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf.
Wo war der Ministerpräsident Schröder, als es um die Steuerreform ging?
In Interviews zur inneren Sicherheit gebärdet er sich wie August der Starke. Wenn es aber um die Steuerreform, um Arbeitsplätze geht, dann verhält er sich wie eine Mickymaus.
Auch Ministerpräsident Rau und das große Land NRW waren bei den Diskussionen im Grunde nicht vertreten. Wo war Ministerpräsidentin Simonis, sonst um starke Worte nie verlegen? Im Vermittlungsausschuß hätte sie Gelegenheit gehabt, das Steuerprogramm der SPD Schleswig-Holstein zu vertreten, das immerhin eine Absenkung des Körperschaftsteuersatzes für thesaurierte Gewinne vorsah.
In einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung" am 1. August 1997 sagte der SPD-Vorsitzende Lafontaine:
Daß wir die Steuerpläne der Koalition gestoppt haben, entspricht dem Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung.
- Ich wäre mit dem Beifall vorsichtig; denn ich werde Ihnen gleich noch ein Zitat vorhalten.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Im Bundesrat sagte Ministerpräsident Oskar Lafontaine am 12. September 1996:
Wir brauchen eine grundlegende Reform der Lohn- und Einkommensteuer, und zwar nicht erst 1999, sondern zum 1. Januar 1998.
- Moment, Sie werden noch viel Freude an dem Zitat haben. Er sagte des weiteren wörtlich:
Ich habe, wie auch der Kollege Voscherau in der Nachfolge als Koordinator für die Mehrheit dieses Hauses, mehrfach angeboten, über die Ergebnisse der Bareis-Kommission zu verhandeln, die von der Bundesregierung eingesetzt worden ist. Statt dessen schmeißt man deren Ergebnisse in den Papierkorb und kündigt dann an, daß man irgendwann einen neuen Vorschlag machen werde. Ich möchte nur einmal wissen, was dabei herauskommen soll.
Meine Damen und Herren, es ist im höchsten Grade scheinheilig,
am 12. September 1996 nach der Bareis-Kommission zu rufen und danach alles abzulehnen, was von der Bareis-Kommission an Abbau von Steuervergünstigungen vorgeschlagen worden ist.
Im Gegensatz zu Ihrer Meinung, Herr Lafontaine, daß die große Mehrheit der Bevölkerung die Steuerreform nicht wolle, wartet die große Mehrheit der Bevölkerung auf eine solche große Steuerreform. Die Bürger haben längst verstanden, daß es einer grundlegenden Reform unseres Steuersystems bedarf, um unser Land wettbewerbsfähiger zu machen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern.
Die öffentliche Berichterstattung über die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß - das ist ein Menetekel für uns alle - ist verheerend. Ich zitiere nur einige Überschriften: „Verplempert", „Theater ohne Ende", „Gescheitert", „Politische Lähmung", „Gelähmte Republik", „Trauerspiel". Nur, in dem eben erwähnten Interview sagt Herr Lafontaine weiter:
Auch bei uns bleibt die Steuerreform auf der Tagesordnung. Direkt nach der Bundestagswahl werden wir eine Steuerreform machen.
Das nenne ich eine wirklich schlimme Strategie, bewußt eine Reform jetzt nicht durchzuführen, obwohl sie jetzt für die Arbeitsplätze, für die Konjunktur und für die Investitionen notwendig wäre.
Die Folgen dieser Blockade tragen wir nämlich alle: Sie und auch wir, die Ministerpräsidenten Rau, Eichel, Beck, Schröder und Stolpe, die Ministerpräsidentin Simonis und der Erste Bürgermeister Scherf. Ich frage mich und auch Sie: Wie lange wollen Sie sich Ihrer Mitwirkungspflicht für das Gemeinwohl entziehen und sich der Strategie Ihres Parteivorsitzenden unterwerfen?
Die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu, die Schar der Nichtwähler wird größer, und extreme Strömungen könnten wieder Zulauf erhalten. Weder Sie noch wir, noch Demokraten und demokratische Parteien werden von dieser Strategie profitieren. Darum fordere ich Sie auf, mit dieser Strategie Schluß zu machen und wieder zum gemeinsamen Arbeiten für das Gemeinwohl zurückzukehren.
Der DGB-Vorsitzende Schulte bewertet ein Scheitern der Steuerreform für die deutschen Arbeitnehmer als fatal und kündigt höhere Lohnforderungen an. Der Vorsitzende der IG Chemie, Schmoldt, ruft die Bevölkerung zu einer Protestwelle gegen die deutschen Politiker auf, „damit wir" - ich zitiere wörtlich - „im zweiten Vermittlungsverfahren endlich eine Steuerreform verabschieden". Ich glaube, Herr Hennemann in der „Süddeutschen Zeitung" trifft das Stimmungsbild in Deutschland, wenn er am 31. Juli die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß wie folgt kommentiert: Es ist „erschreckend ... , weil dieser Vorgang die Mehrheit der Bürger und Wähler in ihrem Eindruck bestätigen wird, daß sich das politische System in Deutschland inzwischen selbst lahmlegt und es insofern als ziemlich sinnlos erscheinen kann, überhaupt noch zu wählen".
Wir sind wirklich uns, unserem Gewissen und unserem Auftrag schuldig, daß wir Ende dieses Monats oder Anfang des nächsten Monats notwendige Entscheidungen treffen, um damit klarzumachen, daß wir im Interesse der Menschen handeln und nicht irgendeiner Parteistrategie verantwortlich sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den grundlegenden Zielen einer Steuerreform besteht durchaus parteiübergreifender Konsens. Eine Steuerreform, die den Namen verdient, muß mit einer deutlichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des Spitzensteuersatzes verbunden sein.
Steuersätze von 20 und 40 Prozent sind dabei anstrebenswert. - Von wem ist der Satz? Er könnte von mir sein, aber er ist von Heinz Schleußer. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wie schnell Sie sich von dem verabschiedet haben, was noch vor einem Jahr bei Ihnen fast steuerpolitischer Konsens war.
Durch eine grundlegendere Reform der Einkommensbesteuerung muß das Steuerrecht einfacher und gerechter gestaltet werden. Dabei müssen die Steuersätze spürbar gesenkt werden. - Zu dieser Erkenntnis kam dieselbe Person.
- Das ist erst der zweite Zuruf. Sie müssen wissen, Herr Tauss, das hat das Präsidium der SPD bereits im September 1996 gesagt. Sie haben das offensichtlich damals nicht zur Kenntnis genommen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Zumindest der SPD-Managerkreis will dies nicht akzeptieren.
In seinem jüngsten Thesenpapier zu Bedeutung und Umfang einer Steuerreform fordert er einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzensteuersatz um 40 Prozent sowie niedrigere Körperschaftsteuersätze. Folgen Sie wenigstens den Managern, die in Ihrer Nähe sind und Ihnen diesen Rat gegeben haben!
Der finanzpolitische Koordinator, Bürgermeister Voscherau, meint nun, wir könnten uns eine Steuerreform nicht leisten, da die Einnahmeverluste zu hoch seien. Nur, Herr Kollege Voscherau, das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen uns eine Steuerreform leisten, um die Steuererosion nicht weiter fortschreiten zu lassen und die Steuereinnahmen auf eine verläßliche Basis zu stellen.
Die unbefriedigende Entwicklung der Steuereinnahmen der letzten Jahre zeigt: Die Steuerreform ist notwendiger denn je. Nach jüngsten Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würden Bund, Länder und Gemeinden 135 Milliarden DM an Steuereinnahmen allein in den nächsten vier Jahren verlieren, wenn die Steuerreform nicht kommt. Eine grundlegende Strukturreform des deutschen Steuerrechts ist überfällig. Unternehmer haben in den letzten Jahren zunehmend Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Gewinnsteuern genutzt. Die intensive Ausnutzung von Steuerersparnissen oder die legale Steuervermeidung etwa in Form der Gewinnverlagerung ins Ausland gehören zu den normalen Geschäften. Wer wie Sie, Herr Voscherau, beklagt, daß die Millionäre in Hamburg keine oder fast keine Steuern zahlen, der darf nicht noch einmal ein oder zwei Jahre warten, bis die Steuerschlupflöcher endlich geschlossen werden. Das erfordert Ihre Mitwirkung.
Solange sich die Gewinnüberlegungen angesichts hoher Steuersätze stärker an Steuerersparnis und Steuervermeidung orientieren, werden arbeitsplatzschaffende Investitionen in Deutschland auf sich warten lassen und auch die Gewinnsteuern auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau verharren. Dieses Problem kann nur durch eine durchgreifende Tarifreform, wie von der Steuerreformkommission vorgeschlagen, gelöst werden. Wir brauchen einen niedrigeren Eingangssteuersatz, damit die Arbeitsaufnahme attraktiver wird. Wir brauchen einen niedrigeren Spitzensteuersatz, damit die Steuern in Deutschland und nicht im Ausland gezahlt werden. Wir brauchen niedrigere Gewinnsteuersätze sowohl beim thesaurierten wie auch beim ausgeschütteten Gewinn, damit Deutschland wieder als Investitionsstandort für ausländische Unternehmen an Attraktivität gewinnt und das Kapital nicht einen Bogen um Deutschland macht. Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit mehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nach dem günstigsten Steuersparmodell.
Das Steuerreformkonzept der Koalition ist überzeugend und wird von Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt.
Auch kritische Beobachter der Gewerkschaften halten die generelle Ausrichtung der Steuerreform für richtig.
Die Finanzierung unserer geplanten Tarifsenkung besteht aus drei Elementen: einmal einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in einem Volumen von rund 55 Milliarden DM, dann der Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern in der Größenordnung eines Mehrwertsteuerpunktes und dann den Selbstfinanzierungseffekten durch reforminduzierte Wachstums- und Beschäftigungswirkungen. Dazukommen muß eine Nettosteuerentlastung in vertretbarer Größenordnung. Wer hier nur statisch denkt, wer glaubt, man könne Zahlenreihen einfach fortschreiben, der wird sich wundern: Dann wird die Steuererosion noch weitergehen; sie wird nicht gestoppt, und es wird schon gar nicht Abhilfe geschaffen werden können.
Über Nettoentlastung wird zu oft statisch diskutiert. Auch hier haben wir den Versuch gemacht - der Kollege Repnik hat das getan -, Ihnen entgegenzukommen, und eine geringere Summe der Nettoentlastung ins Gespräch gebracht. Aber auch darauf kam von Ihnen keinerlei Reaktion.
Fast zeitgleich zu den Diskussionen, die wir hier führen, einigen sich ein republikanisch dominierter Kongreß und ein demokratischer Präsident in Amerika auf ein gemeinsames Programm über Steuererleichterungen und einen ausgeglichenen Haushalt.
Während die Skandinavier, die Niederländer und die Briten ihre Hausaufgaben gemacht haben und die Beschäftigung wächst, sieht man die deutsche Reformunfähigkeit im Ausland mit Spott und mit Schadenfreude.
Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es noch mehr als ein Jahr. So lange darf es bei der Steuerreform keinen Stillstand geben. Wir sind unserer Verantwortung gerecht geworden und werden das Notwendige tun. Ursprünglich wollten wir eine solche große Steuerreform zum 1. Januar des Jahres 2000. Wir haben sie um ein Jahr vorgezogen. Mitte des letzten Jahres wurde die Steuerreformkommission eingesetzt. Am 23. Januar dieses Jahres hat die Kommission ihre Petersberger Steuervorschläge vorgestellt. Der Referentenentwurf wurde erarbeitet. Die Anhörungen haben stattgefunden. Die Gesetzentwürfe wurden eingebracht. Die Steuergesetze wurden im Finanzausschuß intensiv beraten. Hier im Deutschen Bundestag wurden die Steuergesetze diskutiert und noch vor der Sommerpause verabschiedet.
Auch wenn im Vermittlungsausschuß keine Einigung gefunden werden konnte, werden wir nicht aufgeben. Unser Land braucht noch in dieser Legislaturperiode einen Beschluß über eine Steuerreform.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wir sind zu einem Kompromiß bereit. Wir wollen aber keinen faulen Kompromiß. Der Lohn- und Einkommensteuertarif muß durchgängig gesenkt werden.
Über die Eckpunkte läßt sich reden.
Im Interesse unseres Landes appelliere ich an die Vertreter der SPD: Überdenken Sie Ihre Strategie. Die Arbeitnehmer und die Arbeitsuchenden - nicht nur im Saarland und in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland - werden es Ihnen danken.
Der Appell von Bundespräsident Professor Roman Herzog, den Reformstau zu überwinden, darf nicht verhallen. Er sagt allerdings auch, zu den Steuergesprächen aber falle ihm nichts mehr ein. Mir fällt zu den Steuergesprächen aber eine ganze Menge ein. Einen Teil dessen habe ich versucht zum Ausdruck zu bringen. Hält der Reformstau weiter an, darf sich niemand wundern, wenn der Ruf nach einer Verfassungskorrektur laut wird. So hat der Politologe Fritz Scherpf beklagt, es gebe - mit der möglichen Ausnahme der Schweiz - kein anderes Land, in dem so viele Instanzen mit Verhinderungsmacht ausgestattet seien.
Unsere föderale Grundordnung hat sich bewährt. Sie wurde von den Vätern des Grundgesetzes nicht dafür geschaffen, parteipolitische Blockade zu betreiben.
In den 50er und 60er Jahren, aber auch in den 70er und 80er Jahren gab es bewegende Diskussionen zwischen Bundestag und Bundesregierung auf der einen Seite und einer anderen Mehrheit im Bundesrat auf der anderen Seite. Aber nie hat eine Bundesratsmehrheit in den 50er Jahren - zeitweilig eine Mehrheit der SPD - oder in den 70er oder 80er Jahren - Anfang der 80er Jahre eine Mehrheit von uns - etwas Großes, Wichtiges scheitern lassen.
- Nein! - Der frühere Finanzminister
- der von 1974 bis 1978; Sie wissen es ganz genau, er kommt aus Hamburg wie Sie, Herr Kollege - hat neulich bei der Vorstellung eines Buches gesagt, auch er habe es als damaliger Finanzminister gegen eine Mehrheit von CDU/CSU im Bundesrat nicht einfach gehabt. Aber er hat hinzugefügt, in entscheidenden Fragen sei es nie zu einer Blockade gekommen. Denn auf der anderen Seite habe es einen Ministerpräsidenten namens Stoltenberg gegeben, der sich letztlich nie dem Gemeinwohl versagt habe und dafür gesorgt habe, daß es zu einvernehmlichen Lösungen gekommen sei. Die gleiche Haltung erwarten wir jetzt auch von Ihnen.
Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof hat recht, wenn er sagt, der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates sei ein Vorbehalt in Länderinteressen, nicht in den Bundesinteressen von Landesfürsten. Deshalb appelliere ich noch einmal an die SPD-Ministerpräsidenten. Denken Sie verantwortungsbewußt an die Arbeitsplätze von heute und morgen, für diese und für die kommenden Generationen. Die Steuerreform muß kommen!
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Henning Voscherau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundesminister der Finanzen hat seine Ausführungen mit der Erwartung eingeleitet, ich würde nach ihm schlecht über ihn reden. Herr Bundesminister, da täuschen Sie sich. Ich denke gar nicht daran, Sie persönlich anzurempeln; denn erstens ist es besser, sich in der Sache auseinanderzusetzen,
und zweitens sind die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes des ritualisierten Streits in den deutschen Parlamenten müde. Sie wollen Taten in der Sache sehen.
In diesem Zusammenhang wird vielfach über Blokkade gesprochen. Kein Geheimnis: Der Herr Bundeskanzler, der Bundesminister der Finanzen und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU sprechen landauf, landab von Blockade. Soeben haben wir gehört, es sei einmalig, daß eine solche Strategie im Bundesrat stattfinde.
Haben Sie denn alle vor wenigen Monaten die, wie ich finde, sehr erheiternde Karikatur nicht gesehen, in der ein Detektiv mit der Lupe die Fingerabdrücke des Bundeskanzlers Kohl als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz auf der Notbremse im Bundesrat ausfindig macht?
Ist es nicht so, Herr Bundeskanzler, daß Sie selbst 1976 in den Stoßseufzer ausgebrochen sind, damals an Helmut Schmidt gerichtet: Herr Bundeskanzler, lassen Sie doch bitte die dauernde Schelte des Bundesrates! Irgendwie muß das etwas mit dem Rollenverständnis zu tun haben.
Deshalb lassen Sie mich zu Beginn ganz deutlich feststellen: Es gibt keine Blockadestrategie,
Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau
sondern es gibt unterschiedliche Auffassungen und gegensätzliche Konzepte.
Der Bundesminister der Finanzen hat soeben dem thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel seinen Dank ausgesprochen. Vielleicht, Herr Bundesminister, gibt mir das in diesem Zusammenhang Veranlassung, Bernhard Vogel aus der Zeitung „Die Welt" vom 28. Juli 1997 - kurz vor Abschluß der Meinungsstreitigkeiten im Vermittlungsausschuß - zu zitieren:
Es geschieht weniger Totalblockade, vielmehr konkurrieren zwei fundamental entgegengesetzte Konzepte, wovon das eine natürlich das andere blockiert. Entscheidend aber ist, daß sie so völlig unterschiedliche Ansätze haben und dadurch so gut wie unvermittelbar sind.
Das ist eine lautere, sachgerechte Beschreibung des Kerns: Wir sind verschiedener Meinung.
Was mich stört, ist, daß sich die Diskussion um Steuerreform und um Entlastungsvolumina in diesen Wochen und Monaten immer stärker eingeengt hat, als handelte es sich bei beiden um eine Art Selbstzweck. Ist es denn nicht ursprünglich so gewesen - übrigens, Herr Bundeskanzler, auch auf Ihrer Seite und bei Ihnen persönlich, das will ich nachdrücklich, und zwar würdigend, unterstreichen -, daß diese Steuerreform als ein Teil der Notwendigkeit eines großen deutschen Aufbruchs, eines Fitneßprogramms für das neue Jahrhundert, einer Beendigung des Reformstaus, einer Anpassung unserer Strukturen an den globalen Umbruch, einer Vorsorgestrategie gegen die Schwächung des Wirtschafts- und Arbeitsstandorts Deutschland, als ein integrierter Bestandteil eines gerechten, tüchtigen und wirksamen Gesamtkonzepts eingeleitet wurde?
Was ist davon übriggeblieben? Jetzt reden wir über die Senkung des Solidaritätszuschlages als Selbstzweck, und Sie haben offenbar in der Koalition nicht die 7,5 Milliarden DM, um das ohne Gegenfinanzierung aus eigener Kraft zu machen, was Sie ja könnten. Jetzt reden wir von einer 30-MilliardenNettoentlastung als Selbstzweck, und kein Mensch bei Ihnen spricht mehr über diesen ehrgeizigen, wichtigen, zukunftsbezogenen Ansatz
einer Gesamtkonzeption, an die die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Ost und West glauben können, weil sie gerecht ist und jeden dazu motiviert, mit anzufassen. Denn in Wahrheit liegt doch da der Hase im Pfeffer.
Diese Bundesregierung bringt es nicht fertig - das möge bitte nicht der Opposition in die Schuhe geschoben werden; denn auf diesem Sektor können Sie allein handeln -, die 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes dazu zu motivieren, mit anzupacken, weil sie sich gegen die Maxime der Gerechtigkeit vergeht. Das ist der Punkt.
Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das unser Land im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die hier leben, und im Interesse unserer Kinder und Enkel fit macht und auf die Auswirkungen des globalen Umbruchs vorbereitet.
- Sie können mich von dieser Überzeugung nicht durch Geschrei abbringen. Ich glaube, wir stehen vor einer ernsten Herausforderung, vor einer prinzipiellen Prüfung unserer Reformfähigkeit. Der globale Umbruch, die Globalisierungsfalle, wird die nächsten beiden Generationen der Deutschen in ihrem Arbeitsleben herausfordern und die Anspannung aller Kräfte erfordern. Denn ich möchte fragen: Wovon leben wir denn? - Wir leben vom Vorsprung; wir leben davon, daß wir besser sind als die Konkurrenz; wir leben davon, daß wir schneller sind als die Konkurrenz.
Dies bezieht sich auf alle Deutschen. Das bezieht sich nicht isoliert auf eine ganz kleine, sehr erfolgreiche, sehr vermögende Höchstverdienerschicht. Sie ist es - vielleicht 1 Prozent, vielleicht 5 Prozent der deutschen Steuerzahler -, die durch Ihre Steuerreformvorschläge vor allen anderen massiv entlastet wird.
Im Mittelpunkt dieser Diskussion müssen doch die 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätze in Deutschland stehen - vielleicht sind es gar mehr -; im Mittelpunkt der Diskussion müssen die 4,5 Millionen registrierten Arbeitslosen stehen.
Dieses Land steht mitten in der größten Verschuldungskrise der öffentlichen Finanzen - auch der Bundeshaushalt, Herr Bundesminister der Finanzen, genauso wie die Haushalte von Ländern und Gemeinden - seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949.
Herr Erster Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Selle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gerne.
Bitte.
Herr Bürgermeister Voscherau, Sie haben gesagt, daß es gegensätzliche, miteinander konkurrierende Auffassungen in der Steuerpolitik gibt. Das bringt mich zu folgender Frage, die ich Ihnen stellen möchte: Hat denn die SPD förmlich einen eigenen Gesetzesvorschlag eingebracht oder nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die SPD-Mitglieder des Vermittlungsausschusses haben - mir gegenüber saß der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Repnik, der hier anwesend ist - spät - das will ich einräumen -, aber doch in knackiger und geradliniger Form
an Hand des Konzeptes der Koalition und des Konzeptes der Sozialdemokratie einen Schnelldurchgang durch den Abbau von Steuervergünstigungen, von Privilegien, von Subventionen und von Abschreibungsmöglichkeiten gemacht.
- In einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses. Da der Herr Abgeordnete Repnik in der Reihe vor Ihnen sitzt, können Sie ihn auch ganz leise fragen, statt bei mir dazwischenzubrüllen.
Wir haben gemeinsam ein Volumen von 33 Milliarden DM erreicht, das für eine Finanzierung der Steuerreform zur Verfügung stünde. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Herr Repnik hat dieses Ergebnis mit einem gewissen Dank gewürdigt. Das fand ich menschlich in Ordnung, lieber Herr Repnik.
Stichwort „größte Verschuldungskrise": Die Staatsschulden in Deutschland belaufen sich in Bund, Ländern und Gemeinden inzwischen auf über 2 Billionen DM. Der Anstieg ist atemberaubend. Der Finanztransfer in die östlichen Länder wird hauptsächlich von den Beitragszahlern finanziert. Die Rückflüsse aus den östlichen Ländern durch Steuereinnahmen des Bundes werden von der Bundesregierung meist tunlichst verschwiegen. Art. 115 des Grundgesetzes wird in Anspruch genommen, um laufende Ausgaben durch Kredite zu decken. Das allerdings, Herr Bundeskanzler, holt Ihre damalige Klage gegen Bundeskanzler Schmidt in ähnlicher Angelegenheit jetzt peinlich ein.
So, meine Damen und Herren, stehen wir, das ist das traurige Fazit, gegenwärtig in der denkbar schlechtesten Situation für eine sehr große unfinanzierte Steuerreform, denn die öffentlichen Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland sind zerrüttet. Gleichzeitig lesen wir in der Wirtschaftspresse, daß der Welthandelsanteil der deutschen Volkswirtschaft rapide zurückgeht. Der frühere Exportweltmeister hält nicht Schritt. Jedes vierte Unternehmen baue ab, liest man in der Presse, jedes dritte Unternehmen erwäge Abwanderung.
Jetzt schmilzt Ihnen sogar der Außenwert der Deutschen Mark weg. Der Dollar steht heute bei 1,87 DM.
Man stelle sich vor - ich sage das nicht allein an die Anwesenden, sondern an die Deutschen in Ost und West -, dies wäre die Bilanz von eineinhalb Jahrzehnten Regierung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Herr Bundeskanzler, ein Sozialdemokrat, der all diese Negativrekorde auf sich zöge, müßte auswandern.
Aber für die regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. ist völlig klar, wer die Schuld hat: natürlich die Opposition. Die Opposition ist es gewesen, die seit 15 Jahren nicht mehr im Kanzleramt war. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich überlegen, ob sie das glauben wollen.
Herr Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stoltenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meinem früheren Nachbarn aus Schleswig-Holstein gerne.
Herr Bürgermeister, halten Sie es für logisch und schlüssig, soeben klagend der Regierung vorzuwerfen, daß immer mehr Investitionskapital und immer mehr Unternehmen ins Ausland gehen, und gleichzeitig eine Steuerreform, die genau die Investitionsbereitschaft in Deutschland wieder vergrößern sollte, mit dem wahrheitswidrigen Argument, daß hier 1 Prozent der Leute begünstigt werden sollten, abzulehnen? Besteht hier für Sie kein Zusammenhang?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Stoltenberg, wenn ich nach der Geschäftsordnung des Hauses vom Rednerpult eine Gegenfrage stellen dürfte, würde ich Sie bitten, mir die Frage zu beantworten, ob Sie die Finanzpolitik Ihres Nachfolgers für logisch und schlüssig halten?
Auf die Steuerreform komme ich später zurück.
Herr Stoltenberg fragt, ob Sie eine Zusatzfrage gestatten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herrn Stoltenberg gestatte ich gerne noch eine Zusatzfrage. Dann würde ich gerne im Zusammenhang fortfahren.
Herr Regierender Bürgermeister, besteht eine Chance, nachdem es leider nicht möglich ist, Ihre Zusatzfrage zu beantworten, auf meine Frage einzugehen? Das war eigentlich der Sinn meiner Anfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, ich komme auf Ihre Frage und auf die Steuerreform im Rahmen meiner Ausführungen zurück. Sie bekommen dann die Antwort.
Meine Damen und Herren, in unserem Land muß sich das Steuer- und Abgabensystem ändern, die Staats- und Abgabenquote muß herunter, und zwar vorrangig bei den Sozialabgaben; denn in Wahrheit ist die Steuerquote seit den 50er und 60er Jahren im wesentlichen gleichgeblieben.
Darüber hinaus aber muß sich sehr viel mehr ändern, soll der Ansatz, Auslandsinvestitionen nach Deutschland zu holen und die Abwanderung der deutschen Unternehmen zu begrenzen, Erfolg haben.
Wir brauchen das Bekenntnis aller zur Unauflöslichkeit von Leistung und Solidarität; beides gehört zusammen. Wir müssen zukunftsgerichtet die Forschung und die Anwendung stärken. Sie tun das Gegenteil. Wir müssen uns auf die Grundlagen unserer Stärke besinnen: Das ist das Können und das Wollen der Menschen. Die Arbeit muß wieder bezahlbar werden, die Lohnnebenkosten müssen herunter. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden. Das Steuersystem muß gerechter und transparenter werden. Weiterhin muß der Sozialstaat für diejenigen, die ihn benötigen, berechenbar verläßlich bleiben. Auch das unterminieren Sie unablässig.
Gleichzeitig kritisiere ich mit Nachdruck den schleichenden Rückzug von Teilen der deutschen Funktionseliten aus dem Gemeinwohl und aus der Verantwortung für das Gemeinwesen.
An dieser Stelle, Herr Bundesminister der Finanzen, haben Sie recht, wenn Sie sich in der „Welt am Sonntag" vom vergangenen Sonntag altmodisch zur „Pflicht unserem Vaterland gegenüber" bekennen; als diese Zeitung erklärte, Ihr Appell an die Arbeitgeber, Sie hätten eine patriotische Pflicht, neue Stellen zu schaffen, wirke etwas altmodisch.
Meine Damen und Herren, mit dem Bundesminister der Finanzen bekenne ich mich zu dieser Form altmodischen Denkens.
Wir brauchen Arbeitsplatzpatriotismus, wir brauchen Steuerpatriotismus, wir brauchen Sozialstaatspatriotismus für die Menschen in diesem Lande - nicht als Gegensatz zu den Interessen von Nachbarn und anderen Ländern, aber doch selbstbewußt in der solidarischen Verteidigung unserer eigenen Interessen.
Eine Steuerreform muß also dem Erhalt bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen. Eine Steuerreform darf die öffentlichen Finanzen nicht noch weiter ruinieren.
Der bayerische Finanzminister hat während der Beratungen des Vermittlungsausschusses deutlich gemacht, in der Brust eines jeden Finanzministers wohnten zwei Seelen: die des Finanzpolitikers und die des Steuerpolitikers.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben uns nun alle in einer Situation vorgefunden - eigentlich müßten Sie das einräumen -, in der diese beiden Seelen miteinander im Konflikt stehen. Das liegt daran, daß die öffentlichen Finanzen in diesem Ausmaß zerrüttet sind. Sie hingegen verbreiten mit Ihrer These von vorhin die Behauptung, man brauche nur auf die großen ruinösen Steuerlücken jetzt noch anderthalbe zu setzen, gewissermaßen mit einer zusätzlichen Vorwärtsverschuldung, dann werde das andere sich im nachhinein Jahre später schon gegenfinanzieren. Dazu wiederhole ich das Wort, daß in der amerikanischen politischen Auseinandersetzung dafür geprägt worden ist: „Voodoo economics".
Eine Steuerreform ist also kein Selbstzweck. Der Vermittlungsausschuß hatte es mit drei unterschiedlichen Paketen zu tun: Erstens mit der sogenannten allgemeinen großen Steuerreform.
Wir sind für eine große Steuerreform, allerdings nicht für Ihre, und zwar aus sachgerechten Erwägungen.
Erstens. Sie sprechen über ein großes Entlastungsvolumen von netto 30 Milliarden DM, völlig unfinanziert, brutto ursprünglich 56 Milliarden DM, jetzt noch 45 Milliarden DM, weil die Steuerschätzung vom Mai so verheerend ausgefallen ist.
Ein Drittel dieses Entlastungsvolumens nach den Vorstellungen der Koalition kommt dem obersten i Prozent der Steuerzahler zugute - ein Drittel dem obersten 1 Prozent!
Die Hälfte des Entlastungsvolumens kommt den obersten 10 Prozent zugute. Der unteren Hälfte unse-
Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau
rer gesamten Bevölkerung, dem Millionenheer der fleißigen gering verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt nur ein Siebtel des Entlastungsvolumens zugute. Das ist die Verteilungswirkung Ihrer Steuerreform.
Das ist ein Grund, warum wir diese Verteilungswirkung aus Gerechtigkeitsgründen so strikt ablehnen.
Ich sage das jetzt zum fünften Mal; der Bundesminister der Finanzen kennt das. Ich fordere ihn nochmals auf: Wenn Sie diese Plausibilitätsrechnungen meiner Beamten für so falsch halten, dann bestreiten Sie diese Verteilungswirkung nicht einfach abstrakt, sondern dann veröffentlichen Sie Ihre Berechnungen und Ihre alternative Gegenrechnung, damit sich diese auch alle Bürger von Stralsund bis Saarbrücken und von Flensburg bis Reit im Winkl anschauen können.
Ihre Entlastungswirkung mit dieser ungewichtigen Verteilung berücksichtigt auch nicht, daß wir dringend die lahmende Binnennachfrage durch eine Entlastung der geringverdienenden Haushalte stärken müssen,
die nämlich jede Mark, die sie monatlich mehr im Portemonnaie haben, wirklich in den Konsum umsetzen. Ihre Steuerreform mit diesen riesigen, ruinösen Haushaltslücken verkennt, daß sich der Bund, der laufende Ausgaben durch Schulden finanzieren muß, die Länder, die das teilweise tun müssen, und viele Gemeinden nicht leisten können, solche großen zusätzlichen Lücken zu machen.
Im übrigen verweise ich noch einmal darauf, Herr Repnik, daß wir uns auf ein für die Gegenfinanzierung einer soliden Steuerreform zur Verfügung stehendes Volumenverbreiterungskonzept von überschlägig 33 Milliarden DM geeinigt hatten. Abzüglich der 4 Milliarden DM auf Grund der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer macht das 29 Milliarden DM. 29 Milliarden DM sind sehr viel Geld. Kommen Sie auf uns zu! Legen Sie einen neuen, realistischen Tarifverlauf vor!
Geben Sie ihn nicht nur der „FAZ"! Dort wurde er veröffentlicht; mir liegt er bis zur Stunde nicht vor. Was ist das für ein Vermittlungsausschuß, der aus der Wirtschaftspresse erfährt, die Koalition habe ihren ursprünglichen Tarifvorschlag zurückgezogen und habe einen neuen, aber man bekommt ihn nicht? Das ist nicht der Sinn eines Vermittlungsverfahrens.
Dann die Lohnnebenkosten. Schon seit Beginn dieses Jahres habe ich an Sie appelliert: Priorität in diesem Land für die Senkung der Abgabenquote und die Entlastung der Arbeitsplatzkosten muß die Senkung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten haben. Das IAB in Nürnberg hat, bezogen auf die ehrgeizige und, wie ich finde, unterstützenswerte Zielsetzung des Bundeskanzlers, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, deutlich gemacht, ohne Senkung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten um drei Prozentpunkte werde das nicht möglich sein. Nun hat Herr Schäuble diese Zielsetzung schon kassiert. Jedenfalls stand es so in der Zeitung. Wir halten daran fest. Es wäre jetzt an der Zeit, die gesetzlichen Lohnzusatzkosten um zwei Prozentpunkte zu senken.
Der Vermittlungsausschuß hat - ich räume ein: zu meinem Leidwesen - mit knapper Mehrheit dem Bundestag ein Ergebnis vorgelegt, das heute zur Annahme oder Ablehnung ansteht.
Es sieht die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung um einen Prozentpunkt vor. Wir haben auf uns genommen, die unpopuläre Gegenfinanzierung offenzulegen: 10 Pfennig plus bei der Mineralölsteuer, 21/2 Pfennig plus beim Heizöl, 1 Punkt plus bei der Mehrwertsteuer. Das nennen Sie Populismus und Taktik? Wir haben das auf uns genommen.
Ich bin in der Hoffnung hier hergekommen, es gäbe vielleicht doch noch eine Einsicht und Sie würden Simsalabim wie Kai aus der Kiste heute diesen Vorschlag annehmen.
Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Ich appelliere an Sie, das zu tun.
Zum Schluß zur Gewerbesteuer. Der gegenwärtige Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Herr Abgeordneter Blens, hat mehrfach im Rahmen des Vermittlungsverfahrens mit liebevoller Ironie Scherzworte aus der Geschichte bemüht, indem er darauf verwiesen hat, 1928 habe der Reichsverband der Deutschen Industrie die Abschaffung der Gewerbesteuer als unmittelbar bevorstehend bezeichnet. Das war 1928. Jetzt haben wir 1997.
Sie werden mir nicht verargen, wenn ich sage: Ich empfinde es auch persönlich als ein sehr befriedigendes Ergebnis, daß letztlich durch den Hamburger Vorstoß eines Gesetzentwurfs zur Abschaffung jedenfalls, Herr Blens, der Gewerbekapitalsteuer, wieder so viel Bewegung in die Sache gekommen ist, daß wir heute, sofern der Bundestag die entsprechenden Mehrheiten dafür hat, diesen Durchbruch erzielen können, nämlich die Befreiung der Unter-
Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau
nehmen in Deutschland von einer ertragsunabhängigen Substanzbesteuerung.
- Gegenüber Ihrer Unruhe, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, möchte ich in Anspruch nehmen, daß es im Vermittlungsausschuß über diese Angelegenheit am Ende gemeinsam, parteiübergreifend Befriedigung und auch wechselseitig - das kam schon bei dem Bundesminister der Finanzen zum Ausdruck - Dankbarkeit und Anerkennung gab. Nun haben wir das offenbar gemeinsam geschafft; reden Sie es doch nicht wieder klein!
Dieses Ergebnis ist gut für die Betriebe. Es ist gut für die Arbeitsplätze. Meine vielen Kolleginnen und Kollegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den deutschen Städten und Gemeinden werden mir hoffentlich nicht allzu sehr nachtragen, daß es nicht gelungen ist, 2,3 Prozent Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer zu erreichen. Immerhin sind es 2,2 Prozent statt 1,9 oder statt 2,1 Prozent.
Da in den Gemeinden die alltäglichen Bürgerdienstleistungen erbracht werden, sind die Gemeindefinanzen und die Finanzkraft der Gemeinden das solide Fundament unseres dreistufigen demokratischen Staatsaufbaus.
Unglaublich viele Menschen aus allen Parteien, die in diesem Hause sind, engagieren sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. Was haben sie meistens davon? Nichts als Nackenschläge; das darf man den Bürgerinnen und Bürgern einmal sagen und sie aufrufen: Macht doch selber in den Gemeinden mit und geht in die Kommunalpolitik!
Wir haben, glaube ich, insgesamt eine gute Lösung.
Nun, lieber Herr Stoltenberg, zu Ihnen. Am 17. Februar habe ich öffentlich geäußert - ich darf das verkürzt vorlesen -:
Eine ... Entlastung von 44 Milliarden bei den Steuern ist nicht finanzierbar. Das dicke Ende wird später als Erhöhung der Verbrauchsteuern .präsentiert. Speziell für den Unternehmensbereich gilt: Auch hier muß es vorrangig um Aufkommensneutralität gehen. Vor allem im Hinblick auf die dringend notwendige Ansiedlung ausländischer Unternehmen wäre schon viel gewonnen, wenn wir die psychologisch schädlichen hohen nominellen Steuersätze durch Abbau der vielen Steuervergünstigungen senken könnten.
Das ist unverändert meine Überzeugung. Deswegen habe ich immer wieder teilweise ganz persönlich, aber auch öffentlich deutlich gemacht: Für den Fall, daß man sich auf eine solide finanzierte, die Staatsfinanzen nicht weiter ruinierende Steuerreform einigen könnte, deren Verteilungswirkungen gerecht sind, halte ich als krönenden Abschluß des Tarifverlaufs auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes für „unausweichlich". Die fachlichen Gründe für dieses Wort kennen Sie genau so gut wie ich.
Warum ist das so notwendig? Nun, schlagen Sie bei den Ergebnissen des baden-württembergischen Rechnungshofs nach, über die man in diesen Tagen in den Zeitungen lesen kann.
Dort ist die Rede davon, daß bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 250 000 DM nach den Feststellungen des baden-württembergischen Rechnungshofs die durchschnittliche steuerliche Belastung bei 25 Prozent liegt. Sie steigt bei den Einkommensmillionären auf 42 - nicht 53 - Prozent. Bei den Einkommensmillionären, nicht den Vermögensmillionären!
So wurde am 31. Juli die jüngste Denkschrift des Landesrechnungshofs zitiert, die mich selber nicht erreicht hat.
- Da Sie mich auf Hamburg ansprechen, nenne ich Zahlen.
In Hamburgs ärmstem Stadtteil - Sie kennen ihn alle -, in Sankt Pauli, hatten die Steuerpflichtigen 1989 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 31400 DM und 1992 - damals gab es die nächste Steuerstatistik - eines von 39 753 DM. Das heißt, die Ärmsten hatten 1992 im Vergleich zu 1989 ein höheres zu Steuerleistungen herangezogenes Einkommen.
Nun nehmen wir Hamburgs reichsten Stadtteil, Nienstedten an der Elbe. 1989 betrug das zu versteuernde Jahreseinkommen dort durchschnittlich 316250 DM und 1992 178511 DM.
Es ist die „Bild"-Zeitung, die schreibt: Es wurde nicht weniger verdient, sondern es wurden nur weniger Steuern gezahlt.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, das alles geschieht legal.
Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau
Ich habe deswegen, von seiten der CDU/CSU und F.D.P. wochenlang öffentlich massiv kritisiert, vor Jahren gesagt, nur noch etwa die Hälfte der Hamburger Millionäre zahle Einkommensteuern. Dabei wurde ich von Ihnen massiv kritisiert.
Nun hat der Bundesminister der Finanzen vor wenigen Wochen vor dem Deutschen Städtetag in Hamburg vor 2000 Oberbürgermeistern gesagt, inzwischen, rückblickend, müsse man ja feststellen, an dieser Bemerkung von mir damals sei mehr als nur ein Körnchen Wahrheit gewesen.
Lieber Herr Stoltenberg, wegen der Auslandsinvestoren, die wir wieder stärker ins Land holen müssen,
und wegen der Gerechtigkeit bei der Heranziehung zu Steuersätzen
brauchen wir allerdings auch für die Zukunft dieses Landes eine Steuer- und Abgabenreform, aber Ihre nicht.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Herr Bürgermeister Voscherau, es gibt einige Punkte, an denen man nach Ihren Ausführungen weiterdiskutieren sollte. Ich glaube, das, was Sie zum Schluß über Steuervermeidung gesagt haben - da stimme ich im Ansatz manchem zu, was Sie hier ausgeführt haben -, steht in einem gewissen Widerspruch zu den von Ihnen beschriebenen angeblichen Verteilungswirkungen der Steuerreform.
Wenn nach Ihrer Vermutung 50 Prozent der Hamburger Millionäre keine Steuern zahlen, dann können sie auch nicht zu denen gehören, die überdurchschnittlich entlastet werden.
Ich will diese Problematik hier nur einmal verdeutlichen. In diesem Punkt sind sowohl Ihre Argumente als auch die Sachverhalte überprüfungswürdig.
Aber wichtig war ein anderer Teil - das spricht dafür, daß ein zweites Vermittlungsverfahren und eine Verständigung doch ernsthaft versucht werden -:
Sie haben sich noch einmal ausdrücklich zu dem bekannt, was Sie vorher gesagt hatten, nämlich daß es richtig und gerecht sei, hohe Steuersätze einschließlich des Spitzensteuersatzes durch den massiven Abbau von Steuervergünstigungen drastisch zu senken, Das ist ein Punkt - das gilt auch für den Spitzensteuersatz -, bei dem Sie mit der Koalition Einvernehmen haben.
Wenn Sie dann exploratorisch zwischen den Hauptakteuren im Vermittlungsausschuß gesagt haben, unter gewissen Bedingungen könnten wir über 30 Milliarden DM Steuersubventionen abbauen, dann müßte es doch möglich sein, daß im zweiten Vermittlungsverfahren das, was bisher bei Ihnen wohl noch nicht erkennbar war, nämlich ein möglicher Tarifverlauf mit einem Ablauf von Steuervergünstigungen in Höhe von 30 Milliarden DM und einer zweistelligen Milliardenzahl, die ich einmal offenlasse, an echter Steuerentlastung, herauskommt. Dann würde ich die Aussichten für ein ernsthaftes Bemühen etwas optimistischer beurteilen als vor Ihrer Rede. Ich stand immer noch unter dem Eindruck der etwas anders klingenden öffentlichen Reden von Herrn Lafontaine. Ich lade alle ein, diesen Versuch im Vermittlungsausschuß wirklich zu machen.
Herr Bürgermeister Voscherau, wollen Sie antworten?
- Dann hat jetzt der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zu Beginn der heutigen Debatte eine beeindrukkende Geschlossenheit des Hohen Hauses über die Parteigrenzen hinweg erlebt, als es darum ging, angesichts der Flutkatastrophe an der Oder eine große Herausforderung zu bewältigen. Ich hätte mir gewünscht, daß wir angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland eine ähnliche gemeinsame Geschlossenheit gefunden hätten.
Wenn im Vermittlungsausschuß die SPD und die Grünen auch nur im Ansatz verhandlungsbereit gewesen wären, könnten wir heute neben der Botschaft für die Menschen im Oderbruch auch den Menschen in Deutschland die Botschaft vermitteln: Der Standort
Hans-Peter Repnik
Deutschland ist gesichert. Es geht weiter. Wir sind ein großes Stück vorangekommen.
Verehrter Herr Kollege Voscherau, nachdem Sie ein wenig aus dem Nähkästchen der Verhandlungen der letzten paar Wochen geplaudert haben, sei es mir gestattet, auf das eine oder andere Argument einzugehen. Sie haben an diesem Pult vor wenigen Minuten den Eindruck erweckt, als habe es tatsächlich und ganz konkret die Chance gegeben, zum Beispiel 'bei der großen Steuerreform in intensiven, zielführenden, auf eine Einigung im Vermittlungsausschuß hinweisenden Gesprächen zu Lösungen zu kommen.
Diesem Eindruck muß ich hier leider widersprechen. Wir haben wiederholt ganz konkret den Versuch gemacht, Sie und Ihre Delegation zu sachlichen Gesprächen zu zwingen.
Bis auf einige wenige Ausnahmen, auf die ich gleich zu sprechen komme, sind Sie dieser Diskussion ausgewichen, und zwar aus einem einzigen Grund: Sie und Ihre Truppe - Entschuldigung -, Sie und Ihre Delegation hatten zum Abschluß einer solchen großen Lösung, die Deutschland weitergebracht hätte, die uns Arbeitsplätze gebracht hätte, kein Mandat. Dies ist die Wahrheit und nichts anderes.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ging sogar so weit, daß zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als könnten wir uns möglicherweise tatsächlich näherkommen, der saarländische Ministerpräsident - im übrigen ohne Absprache - seine Finanzministerin in die SPD-Delegation delegiert hat, damit sie aufpaßt, daß um Gottes Willen die Einsichtigen in der SPD mit uns keinen Abschluß tätigen, der nicht im Interesse des SPD-Bundesvorsitzenden ist.
- Herr Fischer, statt sich hier mit Zwischenrufen einzubringen, würde ich Ihnen raten, daß sich Frau Müller - oder wer auch immer von den Grünen ein Mandat hat - auch einmal konstruktiv beteiligt. Für mich war es in all den Verhandlungen hoch spannend, zu erleben, daß sich Ihre Kollegin bei der Diskussion um die große Steuerreform nicht beteiligt hat. Das heißt, die Grünen, die sich nach außen auch in diesem Bereich als Reformpartei geben, haben sich im Kern der Sache der Diskussion und der Lösungsfindung verweigert. Auch dies sollte bei dieser Gelegenheit einmal angesprochen werden.
Ich komme nachher auf die große Steuerreform.
Herr Kollege Voscherau, ich möchte Ihnen nachdrücklich zustimmen. Ich freue mich, daß wir es nach außerordentlich schwierigen und langwierigen Verhandlungen geschafft haben, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Daß Sie dazu einen Beitrag geleistet haben, will ich wohl bekennen. Die Gewerbekapitalsteuer wurde nicht nur abgeschafft. Mit dem Beschluß im Vermittlungsausschuß und mit dem Beschluß heute sorgen wir dafür, daß in den neuen Ländern ab dem 15. August nicht die substanzverzehrende Gewerbekapitalsteuer erhoben werden muß. Allein das ist die heutige Sitzung wert.
Wir waren aber auch bei einem zweiten Thema relativ erfolgreich, nämlich bei der Senkung der Lohnzusatzkosten. In den Verhandlungsdelegationen bestand der Konsens, daß wir die Lohnzusatzkosten zurückführen wollen. Es gab nur eine andere Auffassung.
Wir von der Koalition haben immer gesagt: Ein solcher Konsens muß aus zwei Teilen bestehen. Der erste Teil umfaßt strukturverändernde Maßnahmen; allein die Querfinanzierung von einer Kasse in die andere bringt nichts. Der zweite Teil ist ganz konkret die Finanzierung durch Steuererhöhungen, um Beitragssenkungen ermöglichen zu können. Auch das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen.
Wir waren uns relativ schnell einig, daß wir, beginnend bei der Rentenreform, den strukturverändernden Teil nicht in das Vermittlungsverfahren einbeziehen, und zwar deshalb, weil Norbert Blüm bereits einen Gesetzentwurf in erster Lesung in den Bundestag eingebracht hat, der beide Teile enthält: Strukturveränderungen auf der einen Seite und Querfinanzierung auf der anderen Seite. Deshalb haben wir gesagt: Dieser Gesetzentwurf soll in seinem strukturverändernden Teil das normale parlamentarische Verfahren durchlaufen: Ausschußberatung, darüber hinaus Anhörungen und dann die Beratung hier im Deutschen Bundestag.
Wir haben uns darauf verständigt, nur über den Finanzierungsteil zu verhandeln. Wir waren uns weitgehend darin einig, die Mehrwertsteuer um einen Punkt zu erhöhen, um die Beiträge um einen Punkt senken zu können.
- Verehrte Frau Matthäus-Maier, wenn der Herr Kollege Voscherau aus den Vorgesprächen, den kleineren Gesprächsrunden, hier zitiert, dann erlaube ich mir, ebenfalls daraus zu zitieren. Sonst hätte ich es nicht getan.
Wir waren uns einig, nur über den Finanzierungsteil zu reden. Erst als die Botschaft von den Grünen kam, sie seien nicht bereit, über eine Mehrwertsteuererhöhung zu diskutieren, sondern diese Maßnahme ausschließlich über eine Ökosteuer zu finanzieren,
Hans-Peter Repnik
und als sich der Kollege Dreßler eingeschaltet hat, der plötzlich die Gefahr heraufbeschwor, daß sich Norbert Blüm mit seiner zielführenden Rentenreform durchsetzen würde, haben Sie gemauert und blokkiert und haben bei den Lohnzusatzkosten exakt dasselbe gemacht wie bei der großen Steuerreform, zum Schaden und zum Nachteil des Standortes Deutschland.
Wir haben unser Angebot bis zum Schluß aufrechterhalten, das da lautete: Senkung des Rentenversicherungsbeitrages um einen Punkt und Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt. Sie sind, weil Sie nicht durften, auf dieses Thema nicht mehr eingegangen.
Jetzt noch einige wenige Anmerkungen zum Thema „große Steuerreform". Verehrter Herr Kollege Voscherau, alle Beratungen der vergangenen Monate, die Anhörungen im Finanzausschuß und alle Experten, die sich mit diesem Thema befaßt haben, haben deutlich gemacht, daß ausschließlich das Gesetz, das die Koalition vorgelegt hat, im Sinne der Rückführung der Arbeitslosigkeit, dem Hereinholen von neuen Investitionen und der Begründung neuer Arbeitsplätze zielführend ist. Ebenso hat die Anhörung im Finanzausschuß deutlich gemacht, daß Ihr Konzept, das nicht in einen Gesetzentwurf, sondern in ein Eckwertepapier gegossen wurde, gerade vor dem Hintergrund des Arbeitsmarktes, der Schaffung neuer Arbeitsplätze, kontraproduktiv ist, daß es nicht arbeitsplatzfördernd, sondern arbeitsplatzvernichtend ist. Diesem Urteil widerspricht kein Experte.
- Ach, ich bitte Sie, Sie haben doch selbst die Anhörung noch vor Augen. Nachher können Sie gerne darauf eingehen.
Ich möchte auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Voscherau sprach von der Globalisierungsfalle. Wir haben die Schwächen des Standortes Deutschland sorgfältig analysiert. Eine der größten Schwächen dieses Standortes sind die hohen Steuersätze. Wenn wir also der Globalisierungsfalle entgehen wollen, von der Sie gesprochen haben, dann müssen wir herunter mit den Steuersätzen und dürfen die Steuerreform nicht blockieren.
Herr Kollege Stoltenberg hat sehr anschaulich dargestellt, wie es sich mit den Millionären in Hamburg verhält. Wenn es zutrifft, daß die Hälfte der Hamburger Einkommensmillionäre keine Steuern zahlt, dann ist doch dies der beste Beweis dafür, daß wir die Steuerreform brauchen, weil wir Steuerschlupflöcher schließen müssen. Aber auch dem haben Sie sich verweigert.
Herr Kollege Voscherau, ich halte es angesichts der Tatsache, daß diese Debatte öffentlich übertragen wird, schlichtweg für unanständig, daß Sie hier erneut eine Neidkampagne entfacht haben, indem Sie sagen, die Großen würden entlastet, die Kleinen nicht.
- Lassen Sie mich bitte ausreden! - Wir können doch die große Steuerreform nicht losgelöst von den Jahressteuergesetzen sehen, die wir bereits hinter uns haben, und Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, daß allein durch das Jahressteuergesetz 1996 von dem Entlastungsvolumen von rund 20 Milliarden DM null Prozent an die großen, 100 Prozent aber an die mittleren und kleinen Einkommensbezieher in Deutschland gingen. Dies ist doch die Wahrheit.
- Herr Lafontaine, nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß mit den Maßnahmen, die im Jahressteuergesetz 1996 beschlossen wurden, im Ergebnis zum Beispiel erreicht wurde, daß fast ein Drittel der Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine Steuern mehr zahlt. Dies ist doch die Wahrheit. Wie will ich denn jemanden entlasten, der überhaupt keine Steuern mehr zahlt? Deshalb ist dieser Vergleich, wie ich finde, nicht korrekt.
Herr Kollege Voscherau, ich möchte auf ein Weiteres hinweisen. Sie haben davon gesprochen, daß wir uns bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nähergekommen seien. Das ist wohl wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber wahr ist natürlich auch folgendes: Wir haben hinsichtlich der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Synopse aus dem gemacht, was in unserem Gesetz steht und was in Ihrem Eckwertepapier und in der sogenannten Schleußer-Liste steht bzw. was Ihr Parteivorsitzender an Aussagen hier in diesem Hohen Hause getroffen hat. Da haben wir uns in der Tat bis an 33 Milliarden DM heranbewegt. Das fand ich prima, weil es die erste Bewegung war, die es bei Ihnen gab, um mit uns über die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu sprechen, allerdings auch die letzte Bewegung in diesem Zusammenhang.
Dabei muß aber folgendes festgehalten werden - das wird in aller Regel verschwiegen -: Von diesen 33 Milliarden DM sind ungefähr 14 Milliarden DM mit dem Kürzel „ÜT" versehen, was „Übereinstimmung unter der Voraussetzung, daß die Tarife nachhaltig gesenkt werden" bedeutet. Wenn es also nicht zu einer Tarifsenkung kommt, dann können Sie die 14 Milliarden DM schon einmal herausrechnen.
Daraufhin haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie wir den Tarif senken könnten. Bei Ihnen stand erstens die Anhebung des Grundfreibetrages auf 14 000 DM im Raum, was schon einmal 14 Milliarden DM ausmacht, die für 1998 wegfielen. Dann
Hans-Peter Repnik
stand eine Senkung des Eingangssteuersatzes um wenigstens 2 Prozentpunkte im Raum, was noch einmal rund 12 bis 13 Milliarden DM ausmacht. Dann waren von den verbleibenden 29 Milliarden DM schon 27 Milliarden DM weg. Dann wollten Sie das Kindergeld erhöhen, und dann stand uns plötzlich schon nicht mehr genug Geld zur Verteilung zur Verfügung.
Nachdem wir dann gesehen haben, daß rund 70 Prozent der Einnahmen aus der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich hätten erzielt werden sollen, für den Unternehmensbereich, die Körperschaftsteuer, aber keine einzige Mark zur Verfügung gestanden hat, dann hätten wir, wenn wir diesem Vorschlag gefolgt wären, eine Steuerreform gehabt, bei der die Unternehmen in Deutschland nachhaltig mehr Steuern bezahlt hätten. Da kann ich nur sagen: Walte Gott über die Investitionsfähigkeit des Standortes Deutschland! Deshalb sind wir nicht in Ihre Falle gelaufen.
Wir haben bis zum Schluß angeboten: Wir sind bereit, über eine geringere Nettoentlastung zu verhandeln, wobei wir wissen, daß wir die Nettoentlastung sowohl für die Investitionstätigkeit als auch für den Konsum des Arbeitnehmers brauchen. Wir waren bereit, über den Tarif zu verhandeln, aber erst, wenn wir die Finanzierung des Tarifs sichergestellt haben. Was soll Ihre Forderung, permanent über einen neuen Tarif mit Ihnen zu verhandeln, wenn Sie gleichzeitig nicht bereit sind, die Finanzierung eines solchen Tarifs gemeinsam mit uns sicherzustellen? Das macht doch keinen Sinn; denn sonst hätten Sie anschließend gesagt: Auch dieser Tarif ist nicht sichergestellt.
Frau Matthäus-Maier hat deutlich gemacht, daß für diese große Steuerreform und für die Nettoentlastung keine einzige Mark zur Verfügung stünde. Dies hat sie wiederholt erklärt. Eine Steuerreform ohne Nettoentlastung führt aber nicht zum Ziel: mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze in Deutschland und Rückführung der Arbeitslosigkeit.
Soweit es sich um die große Steuerreform handelt, aber auch zum Thema Senkung der Lohnzusatzkosten gibt es für mich nach den intensiven langen Beratungen nur ein Fazit: Die SPD betreibt Blockade pur.
Sie verwischt die Nähe ihrer eigenen Steuerreformvorhaben zur großen Steuerreform der Regierungskoalition. Diese Nähe hat es nämlich streckenweise gegeben. Die SPD hat alle Verhandlungsbemühungen durch immer abstrusere Forderungen verzögert. Sie hat, wenn wir uns ein Stückchen nähergekommen waren, sofort das Stöckchen höher gehängt, über das wir springen mußten. Schließlich hat sie sie sogar mutwillig scheitern lassen. Mit einem Wort: Sie ist ihrer staatspolitischen Verantwortung im Bundes-
tag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß nicht nachgekommen.
Ich gehe davon aus, daß das Beispiel aus den Vereinigten Staaten von Amerika in der vergangenen Woche, wo sich vernünftige Menschen aus beiden politischen Lagern zusammengesetzt haben, mit Sicherheit ökonomische Auswirkungen haben und uns weiter im internationalen Konkurrenzkampf zu schaffen machen wird. Ich erwarte, daß sich dieses Beispiel herumspricht und daß es Schule macht. Hoffentlich machen Ihnen die Wirtschaftsverbände, die Gewerkschaften und die Arbeitslosen in Deutschland Druck, so daß Sie in einer zweiten Verhandlungsrunde schlußendlich bereit sind, mit in das Boot zu steigen und eine Reform zustandezubringen, die Deutschland für die Zukunft fit macht, die Arbeitsplätze schafft und Arbeitslosigkeit abbaut.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man mag es erfreulich finden, daß wir in diesem schönen Plenarsaal so nett zusammensitzen. Aber wenn man dieser Debatte gefolgt ist, dann muß man feststellen: Das Vernünftigste am heutigen Tag war, daß wir über die Lage an der Oder gesprochen haben. Ich hoffe, daß das den Betroffenen auch nutzt. Ansonsten war diese Debatte bisher nicht mehr als eine einzige Wahlkampfshow. Das war auch zu erwarten.
Diese ganze Sondersitzung war von vornherein ganz einfach überflüssig. Wir hätten nämlich alle Ergebnisse aus dem Vermittlungsausschuß genauso gut im September verhandeln können,
weil vor dem September sowieso nichts mehr passiert: Weder tagt der Bundesrat noch gibt es ein neues Vermittlungsverfahren. Deshalb gibt es keinen sachlichen Grund für diese Sitzung. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hätten uns und den Steuerzahlern diese Sitzung besser erspart.
Die große Steuerreform ist mit dem Beschluß des Vermittlungsausschusses gescheitert. Das ist in der Tat bedauerlich. Es ist bedauerlich, weil wir wirklich eine große Steuerreform brauchen. Wir brauchen eine deutliche Vereinfachung des Steuerrechts. Wir brauchen einen drastischen Abbau von Möglichkeiten, das Steuerzahlen zu vermeiden und zu umgehen. Davon profitieren nämlich nur Leute mit großen Einkommen. Wir brauchen eine deutliche Entlastung
Kerstin Müller
für Menschen mit geringem Verdienst und vor allen Dingen für Haushalte mit Kindern.
Sie vergießen hier jetzt Krokodilstränen über den Standort Deutschland, der von der angeblichen Blokkadepolitik der Opposition zugrunde gerichtet wird. Dann schauen wir uns doch einmal an, warum diese Steuerreform gescheitert ist. Das Steuerreformkonzept der Koalition konnte nicht Gesetz werden; es durfte nicht Gesetz werden. Das hat mit Blockadepolitik gar nichts zu tun, sondern ganz einfach mit der Qualität Ihrer Vorlage.
Ihr Konzept war nicht seriös, und es war nicht solide finanziert. Wir haben doch erst im Juni erlebt, wie kritisch es um den Bundeshaushalt steht. Wie mühselig hat Herr Waigel die Millionen zusammengekratzt, um Ihren Haushalt wenigstens auf dem Papier auszugleichen. Die Aktion Goldfinger wird niemand so schnell vergessen.
Die letzte Steuerschätzung brachte Einnahmeausfälle von 18 Milliarden DM. Nach der aktuellen IfoStudie werden die Ausfälle noch größer werden als im Mai erwartet. Dann, meine Damen und Herren von der Koalition, legen Sie ein Steuerreformkonzept vor, das neue, zusätzliche Löcher in Höhe von mindestens 45 Milliarden DM in die öffentlichen Haushalte reißen sollte. Das war von vornherein völlig abwegig. Herr Repnik, an diesem Punkt haben Sie uns in den Verhandlungen kein genaues und konkretes Angebot gemacht. Sie sind bei Ihrem Riesenloch geblieben. Das ist nicht zu verantworten, und deshalb sind wir nicht weiter aufeinander zugegangen.
Ein solches Konzept hätte vielleicht 1992 oder 1993 noch eine Chance gehabt. Damals waren die Spielräume größer. Aber damals wollten Sie keine Reform. Damals hat Herr Waigel das Bareis-Gutachten zunächst einmal in den Papierkorb geworfen. Aber heute: Die langsame Erholung der neuen Länder, viel langsamer als erwartet; die Kosten der deutschen Einheit, deren Schulden wir noch viele Jahre abbezahlen werden; die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit; der große, über Jahre aufgestaute Nachholbedarf in Forschung und bei den Universitäten; wegbrechende Haushalte in Bund, Ländern und Kommunen. In solchen Zeiten ist für solche Manöver einfach kein Spielraum.
Deshalb haben selbst koalitionsregierte Länder im Bundesrat nicht etwa freudige Zustimmung zu Ihrer Reform erklärt. Bayern, CSU-regiert, und Baden-Württemberg, regiert von CDU und F.D.P., haben im Gegenteil mit eigenen Anträgen die Anrufung des Vermittlungsausschusses gefordert. Der Vorwurf der Wahltaktik fällt also auf Sie selbst zurück. Platter kann man Wahlkampf nicht betreiben als mit Versprechungen, für die man selbst keine müde Mark zur Verfügung hat.
Ihre Taktik war auch ziemlich durchsichtig. Sie von der Koalition versprechen erst einmal Steuersenkungen, Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger und für die Industrie. Das klingt zunächst gut, und das ist auch wichtig, für die Steuersenkungsexperten von der F.D.P. geradezu überlebenswichtig. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Bundesrat dem zustimmt, war gleich Null. Denn das wäre der Ruin nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Haushalte der Bundesländer gewesen. Die Steuererhöhungen und Leistungskürzungen zur Finanzierung Ihrer Steuergeschenke sollte dann das Vermittlungsverfahren bringen. Wochenlang haben Sie zum Beispiel das Wort Mehrwertsteuererhöhung gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Erst im Vermittlungsausschuß sind Sie damit herausgerückt. Steuerentlastungen mit der Klientelpartei F.D.P. und Steuererhöhungen mit der Opposition - diese Rechnung, Herr Repnik, konnte nicht aufgehen.
Ihr Konzept war auch extrem sozial ungerecht. Herr Voscherau hat zu Recht noch einmal auf die Ergebnisse des baden-württembergischen Rechnungshofes hingewiesen. Menschen mit einem Jahreseinkommen von stolzen 250 000 DM zahlen heute im Durchschnitt real 25 Prozent Steuern. Bei diesen Leuten nun die große Entlastung anzusetzen, ist nicht sozial gerecht. Genau das hatten Sie vor: enorme Entlastung für die Spitzenverdiener - ein Drittel der Entlastung allein für die oberen zehn Prozent -, aber wenig oder nichts für die normalen Einkommen. Das untere Fünftel der Haushalte sollte bei Ihrer Steuerreform völlig leer ausgehen. Es sollte sogar durch eine höhere Mehrwertsteuer die Entlastung der Reichen und Superreichen mitfinanzieren. Das ist Umverteilung zur Freude der F.D.P., aber keine Reform, auf die die Opposition sich einlassen kann.
Sie haben an diesem Steuerkonzept mit dem Charme und der Beweglichkeit eines stillgelegten Güterbahnhofs festgehalten. Herr Gerhardt hat sogar ganz offen gesagt: Lieber scheitern lassen als verwässern! Das heißt: Ihre Gesprächsbereitschaft war gleich null. Wer, bitte schön, blockiert hier wen?
Dann kam eine Sache, die ich wirklich empörend finde. Wir entnehmen der „FAZ" vom 29. Juli 1997, die Koalition bewege sich und wolle einen neuen Vorschlag machen, der nur 15 Milliarden DM koste. Ich finde auch diesen Vorschlag absurd, denn auch die 15 Milliarden DM sind durch nichts gedeckt. Aber immerhin ist das ein Zeichen von Bewegung. Herr Repnik erklärt und Herr Schäuble wiederholt, wie toll sich die Koalition bewegt habe. Manche
Kerstin Müller
Leute haben das sogar geglaubt. Nur: Sie haben diese Vorschläge nie eingebracht.
- In keiner Arbeitsgruppe und auch nicht im Vermittlungsausschuß selbst haben Sie ein solches Angebot auf den Tisch gelegt.
Sie haben der Öffentlichkeit erklärt, Sie seien kompromißbereit, aber davon war am Verhandlungstisch nichts zu sehen.
Zu Ihren Blockadelegenden möchte ich folgendes klarstellen, Herr Repnik. Wir haben in diesem Sommer ungefähr 50 Stunden - ich glaube, es waren mehr - verhandelt. Ich habe einmal nachgerechnet: Wir haben vielleicht fünf Stunden zur großen Steuerreform verhandelt. Das war gerade einmal ein Zehntel der Zeit. Der Rest das wissen Sie genau - war ein einziges Tauziehen um vernünftige Regelungen bei der Gewerbekapitalsteuer. Das wurde dann noch dadurch unterbrochen, daß Sie vor der Tür klären mußten, was der F.D.P. noch zuzumuten wäre, zum Beispiel wenn es um die Grundgesetzänderung geht. Das hat uns so viel Zeit gekostet. Wenn Sie jetzt so tun, als hätten wir über die Zukunft des Standortes Deutschland verhandelt und diese leichtfertig verspielt, dann ist das schlicht nicht wahr, dann waren Sie in einer anderen Verhandlung als ich.
Sie hatten die Steuerreform nach kürzester Zeit abgeschrieben. Sie haben sich in den Verhandlungen keinen Millimeter bewegt. Sie haben Ihr Steuerkonzept als Fertigmenü aufgetischt und sind jetzt empört, daß wir als Opposition das nicht heruntergewürgt haben. Das ist kein fairer Umgang zwischen Bund und Ländern. Fairer Umgang ist etwas anderes: Man muß dann schon bereit sein, das Menü gemeinsam zu kochen.
Bei den vorliegenden Konzepten gibt es viele Überschneidungen. Natürlich wären Einigungen und Kompromisse möglich gewesen. Aber Sie sind in der Koalition ja so blockiert, daß Sie sich selbst nicht mehr rühren können.
Machen Sie neue, realistische Vorschläge! Kommen Sie endlich auf den Teppich und lassen Sie uns nach Lösungen suchen!
Jetzt wollen Sie also ein weiteres Vermittlungsverfahren beantragen.
Ich sage Ihnen: Solange Sie keine neuen und seriösen Angebote machen, muß auch dieses Verfahren scheitern.
Jeder hier im Saal, der an den vergangenen Verhandlungen teilgenommen hat, weiß das - auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition. Deshalb ist dieses Verfahren überflüssig wie ein Kropf. Es hat nur einen einzigen Zweck. Es geht um den Solidaritätszuschlag. Sie wollen Zeit gewinnen, Zeit für den Streit mit der F.D.P., ob der Soli auch ohne Steuerreform gesenkt werden soll oder nicht. Herr Sohns erklärt zum Thema Soli, die Senkung komme auf jeden Fall, egal wie. Die CDU solle gefälligst ihre Ministerpräsidenten im Osten zur Räson bringen. Das Wie sei ihr Problem. Übrigens ein interessantes Verständnis vom Bundesrat! Dagegen erklärt Herr Finanzminister Waigel zum Thema Soli: Wer das will, muß mir sagen, wie wir das gegenfinanzieren wollen.
Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Aber Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., haben dazu gleich ja noch Gelegenheit.
Nun rückt also die Stunde der Wahrheit näher: Umfallen oder raus aus der Regierung? Es geht doch längst nicht mehr um kompromißfähige Lösungen; es geht längst nicht mehr um die Solidarität mit dem Osten. Es geht nur noch um das Überleben der F.D.P.
Das ist Ihre aktuelle Misere. Diese Selbstblockade der Koalition lähmt nicht nur die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß, sie lähmt die Stimmung im ganzen Land. Der Porsche-Chef Wiedeking sagte so treffend: Viele Leistungsträger halten sich zurück, weil sie nicht wissen, wohin der Zug fährt. Wie sollten sie auch, wenn im Stellwerk komplettes Chaos herrscht?
Die Selbstblockade der Koalition sieht man noch an einem anderen Punkt, nämlich bei der Senkung der Lohnnebenkosten. Der Vermittlungsausschuß hat dazu einen Vorschlag gemacht: Wenn Sie ernsthaft Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen Sie hier Bewegung zeigen. Die Senkung der Lohnnebenkosten um zwei Punkte bringt etwa 200 000 neue Arbeitsplätze.
Wir Bündnisgrünen wollen die Sozialbeiträge durch die ökologische Steuerreform senken, wir wollen die Steuern insbesondere auf den Energieverbrauch erhöhen, um im Gegenzug die Lohnnebenkosten senken zu können. Nur auf diese Weise erhält die Wirtschaft entscheidende Modernisierungsimpulse, die auch zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen. Solange wir die ökologische Steuerreform nicht
Kerstin Müller
energisch angehen, werden wir die Strukturprobleme nicht in den Griff bekommen.
Nun hat sich die SPD offenbar als Zeichen von Kompromißbereitschaft bereit erklärt, die Senkung der Lohnnebenkosten teilweise durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren. Wir halten das aus zwei Gründen für sehr problematisch: Erstens hat die Mehrtwersteuer keine ökologische Lenkungswirkung. Zweitens bedeutet die Erhöhung der Mehrwertsteuer schlicht und einfach ein Stück Inflation. Fast alle Preise werden steigen, und das ist natürlich besonders für die Menschen bitter, die jetzt schon niedrige Einkommen beziehen oder arbeitslos sind. Diese Menschen merken dann nur eines: Sie zahlen höhere Steuern. Deswegen halten wir nichts von einer Mehrwertsteuererhöhung und werden uns zu diesem Punkt des Vermittlungsergebnisses der Stimme enthalten.
Den heutigen Vorschlag der Koalition, die Lohnnebenkosten um einen Punkt zu senken und dafür die Mehrwertsteuer zu erhöhen, werden wir ablehnen. Er ist nämlich nicht nur unsozial, er ist auch halbherzig. Von dem einen Prozentpunkt, um den Sie senken wollen, werden bereits 0,3 Prozentpunkte zum 1. Januar 1998 allein durch die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung aufgefressen. Das wird nicht reichen, um auf dem Arbeitsmarkt wirklich etwas zu bewegen.
Es geht hier übrigens um Steuererhöhungen. Mich würde interessieren, was die Steuersenkungshelden von der F.D.P. dazu sagen. Das ist hier leider noch nicht angesprochen worden, aber die Erhöhung der Mehrwertsteuer hat ja nun nichts mit Steuersenkungen zu tun.
Man muß den Eindruck gewinnen, daß sich die Koalition eigentlich schon selbst aufgegeben hat. Da sagt Herr Gerhardt: Wir sind an der Regierung, aber nicht an der Macht.
Das ist ein wirklich beispielloser Satz. Damit leisten Sie, Herr Gerhardt, damit leistet diese Regierung im Grunde, einen Offenbarungseid.
Die Verantwortung für die verfahrene Situation trägt allein der Herr Bundeskanzler, der jetzt leider nicht da ist.
Er hat sich völlig verkalkuliert, weil er an den Niederungen der Tagespolitik keinen Anteil mehr nimmt,
weil er sich meilenweit von den Ängsten und Sorgen der Menschen im Lande entfernt hat und weil er nicht mehr in der Lage ist, die Zukunft des Landes zu gestalten.
Mich würde interessieren, ob er einen ganz konkreten Vorschlag dazu hat, wie es mit der Steuerreform weitergehen soll, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, wie auch in so schwierigen Zeiten wie den jetzigen Solidarität mit den Schwächsten erhalten werden kann. Ich fürchte, da wird nicht viel kommen; denn er hatte ja Gelegenheit dazu vor der Sommerpause. Da hat er uns 14 Monate Wahlkampf angekündigt und keine konkrete politische Initiative ergriffen.
Ich fürchte, wir werden auf Hintze-Niveau 14 Monate lang immer dieselbe Debatte darüber erleben, wer schuld daran ist, daß in der Bundesrepublik nichts vorangeht. Was für eine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger: statt Problemlösung, statt politischer Gestaltung 14 Monate Wahlkampf auf Hintze-Niveau.
Einmal angenommen, alles das, was Sie in den letzten Tagen öffentlich erklärt haben, wäre richtig, einmal angenommen, es wäre wirklich so, daß Herr Lafontaine ein Schreckensregiment über die SPD-Ministerpräsidenten errichtet hat, daß die SPD wegen der bevorstehenden Bundestagswahl den Bundesrat mißbraucht und blockiert, daß eine rot-grüne Wahlkampftaktik die Verhältnisse in Deutschland lenkt, daß diese Regierung nicht mehr regieren kann, sondern nur noch machtlos ist, was müßte dann die Konsequenz sein?
Wenn das so wäre, dann gäbe es nur eine Alternative: Dann müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden, dann müssen die Bürgerinnen und Bürger an der Urne die politische Lähmung beenden, dann muß es Neuwahlen geben, und zwar jetzt. Das ist die einzige Konsequenz aus Ihrem Gejammere.
Wenn Sie sich so blockiert sehen, dann verbinden Sie doch einen neuen, seriösen Vorschlag zur Senkung der Lohnnebenkosten mit der Vertrauensfrage. Wenn die F.D.P. noch einen letzten Rest von Glaubwürdigkeit hat, dann müßte sie sofort aussteigen, und der Weg für Neuwahlen wäre frei.
Es gibt nur einen einzigen Grund, warum Sie diesen Weg nicht gehen, weil Sie nämlich sofort an das Wahldebakel Ihres Freundes Jacques Chirac denken, Herr Bundeskanzler, weil Sie Angst haben, bei Neuwahlen endlich die Quittung für Ihre verfehlte Politik zu bekommen. Die reine Angst vor dem Wähler treibt Sie dazu, weiterzuwursteln wie bisher - zum Schaden aller.
Kerstin Müller
Herr Bundeskanzler, werden Sie Ihrer Richtlinienkompetenz gerecht! Stellen Sie sich der Wählerentscheidung! Machen Sie den Weg für Neuwahlen frei, und zwar jetzt!
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bürgermeister Voscherau, Sie haben in Ihrer Rede behauptet, daß sich unterschiedliche Konzepte der Koalition und der SPD gegenüberstünden und es deshalb keine Einigung gebe. Das ist nicht richtig. In der SPD gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen zur Steuerreform. Ich darf Ihnen vielleicht ein paar Zitate vortragen, in denen das zum Ausdruck kommt; Sie selbst kommen dabei auch vor.
Zum einen die Finanzministerin Brandenburgs im Januar 1997:
Diese Mischung, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht in Bausch und Bogen abzulehnen.
Rudolf Scharping am 24. Januar - Zitat -:
Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig. Es ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 oder 40 Prozent liegt.
SPD-Vorsitzender Oskar Lafontaine am 4. Februar 1997 - Zitat -:
Der Spitzensteuersatz von 53 Prozent muß in der jetzigen Höhe bleiben. Denn in der Verfassung steht, daß jeder nach Leistungsfähigkeit besteuert wird.
Sie, Herr Bürgermeister Voscherau, am 4. Februar 1997 - Zitat -:
Die SPD hat sich darauf festgelegt, daß sie die Senkung des Spitzensteuersatzes von jetzt 53 Prozent für möglich - ich füge für mich hinzu: für unausweichlich - hält.
Jetzt einige Zitate von Herrn Schröder, zum Beispiel:
Wir werden sehr genau prüfen müssen, ob die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent steuer- und finanzpolitisch möglich ist.
Oder:
Eine Senkung des heutigen Spitzensteuersatzes halte ich schon für richtig, aber 39 Prozent sind nicht drin.
Oder:
Wir müssen auf jeden Fall dazu kommen, daß es eine Nettoentlastung gibt.
Und:
Einen Blockadekurs kann sich die SPD nicht leisten.
Diese Zitate, Herr Bürgermeister Voscherau, zeigen eines ganz klar: Die Einigkeit, von der Sie behaupten, sie wäre in der SPD in der Sache vorhanden, ist nicht vorhanden, im Gegenteil. Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Es gab ja auch von Ihnen persönlich Beiträge, die dann mit zu diesen Steuerreformvorschlägen geführt haben. Das einzige, was die SPD eint, ist der Wille, daß es zu einer Reform in Deutschland nicht kommen darf.
Das ist der Punkt, warum wir an dieser Stelle zu einer Einigung im Vermittlungsausschuß nicht gekommen sind.
Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Gerne. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Thiele, wollten Sie mit diesem letzten Satz Ihre Aussage, die ich in der „Wirtschaftswoche" gelesen habe, revidieren? Dort sprachen Sie davon, daß man nach Ihrer Einschätzung gar nicht so weit auseinander sei.
Herr Kollege Poß, dieser Auffassung bin ich nach wie vor. Wir können uns bei der Nettoentlastung einigen; da können wir heruntergehen. Wir können uns beim Tarif einigen; wir können uns bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage einigen. In diesem Zusammenhang ist für mich nur erstaunlich, daß die Grünen ein interessantes theoretisches Modell vorgelegt haben, aber im Vermittlungsausschuß davon überhaupt keine Rede mehr war. Es wäre durchaus möglich gewesen, und es ist jetzt, im nächsten Vermittlungsverfahren, wieder möglich, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage über den kleinsten gemeinsamen Nenner
Carl-Ludwig Thiele
von 33 Milliarden DM hinaus gemeinsam zu beschließen, damit wir endlich zu der Reform kommen, die wir in Deutschland brauchen.
Das bedeutet natürlich auch, daß die Grünen in bezug auf den Tarif nichts gesagt haben. Die Grünen haben sich dem Blockadekurs der SPD in diesem Punkt total angeschlossen.
Wir können uns einigen. Die Unterschiede in den Auffassungen und den Konzepten sind viel geringer, als diese öffentliche Auseinandersetzung nach außen vermuten läßt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Scheel?
Ausgesprochen gerne.
Herr Thiele, können Sie mir einmal erklären, wo die Schnittmenge Ihrer Auffassung mit unserer Konzeption sein soll, die einen Abbau von Steuervergünstigungen und von Subventionen in einem Umfang von etwa 100 Milliarden DM und einen Tarifvorschlag vorsieht? Gleichzeitig haben wir ja auch gesagt, daß wir den Weg der Nettoentlastungslüge der Koalition und insbesondere der F.D.P. nicht mitgehen, sondern eine aufkommensneutrale Steuerreform fordern. Wo liegt also die Schnittmenge?
Zum ersten Punkt, Frau Kollegin Scheel, der Nettoentlastung: Wir sind hier unterschiedlicher Auffassung. Wir halten bei einer Steuerreform eine Nettoentlastung für zwingend erforderlich, weil Sie ohne Nettoentlastung nicht Ausnahmen streichen können, das führt zu einer erheblichen Problematik wegen der auftretenden Schlechterstellung.
Sie würde dazu führen, daß die Akzeptanz für eine Steuerreform in unserer Bevölkerung nicht gegeben wäre. Deshalb halten wir eine Nettoentlastung für zwingend erforderlich; über die Höhe können wir diskutieren.
Zu Ihrem zweiten Punkt - Sie hatten ja zwei Fragen in Ihrer einen Frage gestellt -, Verbreiterung der Bemessungsgrundlage: Wenn Sie es auch in der sachlichen Arbeit mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage tatsächlich ernst meinen, möchte ich Sie daran erinnern, daß wir uns in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses zusammengesetzt haben und dort überprüfen und feststellen wollten, wo denn Gemeinsamkeiten bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bestehen. Denn im Grundsatz sind wir uns übrigens alle in diesem Hause einig.
Wenn wir Ausnahmen steuerlicher Art streichen, wird das zu versteuernde Einkommen insgesamt erhöht. Wenn es insgesamt erhöht wird, dann können wir die Tarife senken, ohne daß wir dadurch weniger Steuereinnahmen hätten. Nur hat sich Ihre Kollegin im Vermittlungsausschuß bei den Überlegungen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage überhaupt nicht beteiligt. Es ist seitens der Grünen kein Vorschlag gekommen, hier doch über diese Schnittmenge hinaus weitere Ausnahmetatbestände zu streichen. Ich sage Ihnen hier: Wir sind in der Diskussion auch offen dafür, mehr Ausnahmen als bisher vorgesehen zu streichen, wenn es zu einer Einigung im Vermittlungsverfahren kommt. DA hoffe ich, daß sich auch Ihre Partei konstruktiver als im ersten Vermittlungsverfahren zeigt, da außer der hohen Ideologie und dem schönen Entwurf, den Sie eingebracht haben, seitens der Grünen in der Sache nichts Substantielles geleistet wurde.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, seit 1991 betreiben wir die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Sie ist immer wieder insbesondere von der SPD blockiert worden. Sie wollte nicht einmal diese Reform. Sie wurde förmlich zu ihr gedrängt. Es ist gut, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer heute vom Deutschen Bundestag beschlossen wird. Dadurch werden Betriebe und Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern von der Einführung einer zusätzlichen Steuer freigestellt. In den alten Bundesländern wird endlich diese unsinnige Substanzsteuer abgeschafft, die auch gezahlt werden muß, wenn ein Betrieb Verluste macht. Die Kommunen erhalten endlich einen Anteil an der Umsatzsteuer und damit eine verläßlichere finanzielle Basis als im Bereich der Gewerbesteuer.
Nicht glücklich sind wir über die Gegenfinanzierung. Die von uns vorgeschlagene Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen hätten wir für richtiger gehalten, aber wir tragen dieses Ergebnis mit, weil die SPD an dieser Stelle über Abschreibungsverschlechterungen überhaupt nicht mit sich reden ließ.
Mit dieser Abschaffung schaffen wir aber noch keine grundlegende Neuordnung für das deutsche Steuerrecht. Denn der weitere Anlaß der heutigen Sondersitzung, die Zurückweisung des unechten Vennittlungsausschußergebnisses zur Steuer- und Rentenreform, ist alles andere als erfreulich. Diese Sitzung wäre nicht nötig gewesen, hätte die SPD nicht wider besseren Wissens einer Einigung nicht zugestimmt und ein unechtes Vermittlungsausschußergebnis herbeigeführt. Man kann es nicht häufig genug wiederholen: Im Zeitalter der Globalisierung - Herr Bürgermeister Voscherau, Sie haben es auch angesprochen - und in Zeiten, in denen bei uns die Arbeitslosigkeit steigt und Nationen in der Welt darum kämpfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit auch im Bereich des Steuerrechtes zu verbessern, damit in ihren Ländern Investitionen getätigt werden und Arbeitsplätze entstehen, bedeutet Stillstand in der Steuerpolitik Rückschritt für unser Land. Einen
Carl-Ludwig Thiele
Rückschritt in dieser zentralen Frage kann sich unser Land überhaupt nicht leisten. Es ist staatspolitisch unverantwortlich, hier so zu agieren.
Wir müssen für die öffentlichen Körperschaften auch feststellen, daß mit unserem Steuersystem etwas nicht stimmt, wenn die Steuerschätzungen regelmäßig hinter den Erwartungen zurückbleiben. Auch dies spricht dafür, hier eine neue Basis zu finden.
Wir haben es bei anderen Steuern schon erlebt: Wenn wir Ausnahmen streichen und Steuersätze senken, dann können durch Wachstumseffekte, durch Dynamik am Ende dieser Steuerreform durchaus mehr Steuereinnahmen stehen als vorher. Vor allem haben wir ein gerechteres Steuersystem, weil die Schlupflöcher geschlossen werden und jeder seinen Beitrag an dieser Stelle zahlen muß.
Der dynamische Effekt wird gerade von der SPD bestritten. Alle anderen Länder, die eine Steuerreform hatten, haben doch bessere wirtschaftliche Entwicklung, mehr Arbeitsplätze und mehr Steuereinnahmen. Das, was in den anderen Ländern richtig ist, soll für uns nicht gelten?
Schlimmer noch: Wenn wir jetzt nicht zu einer Steuerreform kommen - Herr Bürgermeister Voscherau, das haben Sie selber im „Spiegel" erklärt -, dann kommen wir erst im Jahr 2001 zu einer Steuerreform. Da sage ich Ihnen: Diese dreieinhalb Jahre kann unser Land nicht warten. Soviel Zeit dürfen wir nicht verstreichen lassen. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig, diese Reform voranzutreiben und die Gemeinsamkeit zu finden, damit wir endlich durch eine vernünftige Reform mehr Wachstum und mehr wirtschaftliche Dynamik erreichen.
Wir haben im Jahressteuergesetz 1996 auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedingt die Bürger im Existenzminimum freigestellt. Wir haben den Familienleistungsausgleich neu geordnet und erhebliche zusätzliche Mittel für Familien mit Kindern zur Verfügung gestellt. Wir haben ferner den Kohlepfennig auch in Form einer Ersatzsteuer nicht mehr erhoben. Wir haben die Bürger um 30 Milliarden DM pro Jahr entlastet. Das war gut so, das war richtig so.
Aber diese Entlastung von 30 Milliarden DM hat nicht zu der Aufbruchstimmung, zu der Dynamik in unserem Lande geführt, weil eben die Tarifreform noch nicht Bestandteil dieser Reform war. Deshalb brauchen wir unbedingt eine Tarifreform, damit die Dynamik hier endlich Platz greift.
Nettoentlastung und Strukturreform, das sind zwei Punkte einer Steuerreform. Hier müssen wir leider feststellen: Der SPD fehlt der Wille zur Einigung. Daran ist die Steuerreform im ersten Anlauf gescheitert.
Die SPD hat auch keinen Sachverstand für konstruktive Konzepte. Es gibt keinen Gesetzesentwurf der SPD zur Steuerreform. Herr Voscherau selber hat vor seinen SPD-Freunden in Bremen erklärt, daß er gar nicht daran dächte, der Koalition bei dieser schwierigen Arbeit Hilfestellung dadurch zu geben, daß die SPD die Koalition bei dieser Steuerreform Hand in Hand begleiten würde.
Es ist vollkommen klar: Wer darangeht, Ausnahmetatbestände zu streichen, der hat zwar grundsätzlich ein gewisses Wohlwollen, aber im Einzelfall wird er von denen kritisiert, die Nutznießer dieser Ausnahmevorstellungen sind.
Bei diesen Überlegungen wollten Sie uns nicht helfen. Sie haben gesagt: Das sind Probleme, die wir der Koalition überlassen; wir machen das anders; mit diesem Problem lassen wir die einmal alleine.
Nur: So bekommen wir eine Steuerreform nicht hin. Wenn Sie dann sagen, der Zeitpunkt für diese Steuerreform sei falsch, kann ich Ihnen nur entgegnen: Der Zeitpunkt für eine Reform ist richtig, wenn die Reform richtig ist. Da diese Steuerreform richtig ist, gibt es auch keinen falschen Zeitpunkt für diese Steuerreform.
Dieser Zeitpunkt ist der richtige; ein späterer Zeitpunkt ist ein schlechter. Wir können auf einen späteren Zeitpunkt überhaupt nicht warten.
Im letzten Jahr gab es auch namhafte Stimmen in der SPD, die eine Steuerreform gefordert haben, etwa Herrn Schleußer. Herr Bürgermeister Voscherau - Sie selbst haben einen Entwurf eines solchen Steuerreformpaketes für die SPD vorgelegt, in dem - man höre und staune - die Besteuerung der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge enthalten war. Das ist doch Bestandteil Ihres Vorschlages gewesen.
Wir haben dann versucht, auch bei diesem Punkt auf die öffentliche Kritik einzugehen. Wir haben in den Beratungen im Finanzausschuß diesen Teil geändert. Wir haben dies über mehrere Jahre gestreckt.
Wir haben bei der Frage der Besteuerung der Lebensversicherung ebenfalls eine Abänderung zu unserem ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Im Bereich der Rente haben wir allerdings gesagt: Wenn nach wie vor 80 oder 85 Prozent der Rentner nicht schlechtergestellt sind als bisher, dann ist auch dieser Teil der Reform so weiter vertretbar.
Wir sind in vielen Einzelfragen auf Sie zugegangen. Nur, nachdem diese Probleme gelöst waren, wurden sie überhaupt nicht mehr erwähnt. Es wurden einfach neue Probleme in den Raum gestellt.
Es gibt zwei unterschiedliche Vorwürfe, die die SPD jetzt als Kritik an dieser Steuerreform ins Feld führt.
Erster Vorwurf: Eine Nettoentlastung der Bürger ruiniere die öffentlichen Haushalte. Dieser Vorwurf der SPD ist falsch. Unsere Steuerreform setzt durch
Carl-Ludwig Thiele
eine Nettoentlastung wirtschaftliche Dynamik frei. Die Reformen in anderen Ländern haben gezeigt, daß Wachstumseffekte und Steuermehreinnahmen die Folge einer solchen Reform sind. Ist es nicht so, daß unser derzeitiges Steuersystem die öffentlichen Haushalte schwächt? Wegen der hohen Steuerbelastung werden Gewinne soweit wie möglich ins Ausland verlagert. Die Schwarzarbeit nimmt zu. Die Bürger versuchen, durch Ausnutzung aller legalen Sondertatbestände ihre Steuerlast zu minimieren. Auch dadurch brechen die Steuereinnahmen weg. Wir brauchen ein tragfähigeres Steuerrecht, damit die Einnahmeseite für die öffentlichen Körperschaften weiter berechenbar ist.
Zweiter Vorwurf der SPD: Die Vorschläge der Koalition seien ungerecht. Millionäre würden auf Kosten der kleinen Leute entlastet. Wie soll ich denn gerade die von Ihnen, Herr Bürgermeister Voscherau, häufig gehörte Feststellung einordnen, daß Hamburger Millionäre überhaupt keine Steuern bezahlen? Das widerspricht sich und zeigt, daß die SPD so argumentiert, wie es ihr gerade zweckdienlich erscheint.
Tatsache ist - dieser Punkt sollte noch einmal in der Öffentlichkeit angesprochen werden -, daß 25 Prozent der Steuerpflichtigen im oberen Bereich gut 70 Prozent des Steueraufkommens erbringen. 50 Prozent der Steuerpflichtigen im unteren Bereich tragen lediglich zu 10 Prozent des Steueraufkommens bei. Im Zuge einer Tarifreform muß ich auch den Bereich entlasten, der 70 Prozent des Steueraufkommens in Deutschland trägt. Deshalb ist eine Tarifentlastung auch im Bereich der höheren Steuersätze notwendig, weil gerade der dadurch betroffene Bevölkerungskreis die Hauptlast der Einkommensteuer in unserem Lande trägt. Es ist auch nur logisch, daß der, der relativ mehr bezahlt, unter Wahrung der Leistungsfähigkeit auch relativ mehr entlastet wird.
Die Steuerreformgesetze sehen aber auch vor, daß alle Leistungsfähigen künftig Steuern zahlen sollen, indem steuerliche Schlupflöcher abgeschafft werden. Die SPD versucht in der Öffentlichkeit Neidkomplexe zu schüren, indem sie ständig auf die Entlastung der Millionäre hinweist, wobei Sie, Herr Voscherau, sagen, daß sie sowieso keine Steuern zahlen. Auch das kann nicht unwidersprochen bleiben. Wir wollen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Wer mehr verdient, soll auch mehr bezahlen. Mir ist es lieber, daß ein Einkommensmillionär zu niedrigeren Steuersätzen und mit weniger Steuerausnahmen Steuern zahlt, als überhaupt keine Steuern bei höheren Steuersätzen.
Wenn wir hier nicht zu einer Änderung des Gesetzes kommen, Herr Poß, dann wird der Zustand so bleiben. Wer unser Steuerrecht verändern will, der
muß auch zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit sein.
Wer es nicht verändern will, wer die Zustände bei uns so lassen will, wie sie sind, der muß sich dieser Mitarbeit verweigern. An dieser Stelle kann von einer Gerechtigkeitslücke überhaupt keine Rede sein.
Wir waren bis zum Ende des Vermittlungsverfahrens zu Kompromissen bereit, sei es beim Entlastungsvolumen, sei es bei den Steuersätzen. Die SPD hat ihre staatspolitische Verantwortung im ersten Vermittlungsausschußverfahren mit Füßen getreten. Herr Voscherau, wenn Sie sagen: Steuerreform erst 2001, dann kann ich nur sagen: Jetzt brauchen wir die Steuerreform. Jetzt müssen wir ein neues Vermittlungsverfahren beginnen. Jetzt müssen wir zu einer Einigung kommen. Die Lähmung der Politik durch die SPD an dieser Stelle hilft keinem.
Sie hilft keiner Partei. Sie schürt nur Politikverdrossenheit. Wir brauchen Ergebnisse.
Die SPD muß dem Bürger erklären, warum sie weiter auf der hohen Steuerbelastung beharrt. Die SPD muß den Arbeitslosen erklären, warum sie gegen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze gestimmt hat. Die SPD muß den in- und ausländischen Investoren erklären, warum sie für die Beibehaltung der schlechten Investitionsbedingungen in Deutschland ist.
Wir wollen die Reform; wir wollen zu Kompromissen kommen. Ich appelliere an die Ministerpräsidenten der Bundesländer, auch an Herrn Voscherau in Hamburg, konstruktiv mitzuarbeiten, um zu einem Ergebnis zu kommen, und sich nicht parteipolitisch instrumentalisieren zu lassen.
Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Peter Dreßen?
Ja.
Herr Kollege Thiele, trifft es zu, daß Sie in Ihrem Steuerkonzept Rentner zusätzlich besteuern wollten? Trifft es zu, daß Sie durch die Streichung bei den Schichtzulagen Arbeitnehmerhaushalte getroffen haben?
Trifft es zu, daß Sie durch die Verminderung der Kilometerpauschale wiederum ausschließlich Arbeitnehmerhaushalte getroffen haben? Trifft es zu, daß Sie Ihr Loch zum Teil durch eine Erhöhung der Ver-
Peter Dreßen
brauchsteuern schließen wollten? Können Sie nicht verstehen, daß wir dann sagen, daß man so keine Steuerreform machen kann, weil sie einseitig ein Klientel trifft? Können Sie dem nicht zustimmen?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe vorhin erklärt, in welchen Bereichen wir die Steuerreform im Finanzausschuß und danach hier im Deutschen Bundestag verändert haben. Wir haben Kritik aufgenommen, allerdings unter Beibehaltung des Grundsatzes, daß Einkommen, egal, wie es erzielt wird, Grundlage der Besteuerung in Deutschland sein soll. Deshalb müssen wir an das Streichen von Ausnahmetatbeständen herangehen.
Wir haben allerdings gesagt: Sollte es zu einem zu starken Bruch bei der Besteuerung der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge kommen, dann sind wir bereit, das über einen gewissen Zeitraum zu strekken, damit die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit haben, in Tarifverträgen entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
Es ist vorhin auch von Herrn Bürgermeister Voscherau angesprochen worden, daß wir eine BareisKommission hatten. Die Bareis-Kommission hat all diese Punkte herausgearbeitet. Als 1995 die BareisKommission ihr Konzept vorstellte, sind Herr Poß und andere Mitglieder Ihrer Fraktion zu Herrn Bareis gegangen, um sich das Konzept erklären zu lassen, damit es endlich umgesetzt wird.
Jetzt wollen wir es umsetzen, jetzt wollen wir steuerliche Ausnahmetatbestände reduzieren, um die Bemessungsgrundlage, das heißt das steuerpflichtige Einkommen, zu erhöhen und gleichzeitig die Tarife zu senken. Das ist keine einfache Operation. Da hat es sich die Regierung nicht einfach gemacht und mit der Steuerreform ein ausgewogenes Ergebnis vorgelegt. Wir haben im Deutschen Bundestag noch nachgearbeitet, so daß die Möglichkeit einer Einigung besteht. Ich sage es noch einmal: Wir sind dazu bereit. Es muß hier zu einer Einigung kommen. Die SPD kann nicht immer wieder ein neues Stöckchen hinhalten, über welches die Koalition springen soll. Die Kritikpunkte, die Sie ursprünglich vorgebracht haben, sind von uns entkräftet worden.
Wir alle - nicht nur der Bundestag, auch der Bundesrat und die Abgeordneten in den. Ländern - haben die Verantwortung dafür, Zustände in unserem Land, die wir gemeinsam für reformbedürftig halten, tatsächlich zu ändern. Lassen Sie uns das tun!
Denn die Bürger wollen nicht wissen, was nicht geht; die Bürger wollen wissen, was geht.
Wir haben eine Antwort vorgelegt. Von Ihnen gibt es nicht einmal einen Gesetzentwurf. Lassen Sie uns hier zu einer Einigung kommen! Das sind wir allen schuldig.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als diese Sondersitzung von der Regierungskoalition beantragt wurde, ging es noch nicht um den ersten Tagesordnungspunkt, sondern nur um den zweiten, mit dem wir uns jetzt beschäftigen. Der erste ist sozusagen auf Wunsch der SPD hinzugekommen, nachdem schon feststand, daß diese Sondersitzung abgehalten wird.
Deshalb stimme ich der Kollegin Müller völlig zu und sage: Diese Sondersitzung des Deutschen Bundestages ist nichts anderes als die Wahlkampferöffnungsveranstaltung von CDU/CSU und F.D.P.
Die Besonderheit besteht allerdings darin, daß ich zu dieser Wahlkampferöffnungsveranstaltung eingeladen bin. Das war bisher nicht der Fall. Insofern nehme ich diese Einladung wahr.
Ich füge allerdings hinzu, daß eigentlich Wahlkampferöffnungsveranstaltungen von den Parteien selbst zu finanzieren sind und nicht durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wie eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages.
Denn es gibt ein logisches Argument, das Sie nicht aus der Welt bekommen. Daß so eine Sitzung teuer ist, das wissen wir alle. ,Ein zweites Vermittlungsverfahren, ob nun sinnvoll oder sinnlos, können Sie frühestens einleiten, nachdem wieder der Bundesrat getagt hat und über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses beraten hat. Das tut er aber erst am 5. September.
Deshalb war die Sondersitzung am heutigen Tage völlig überflüssig. Sie beschleunigt gar nichts. Sie hat nur Geld gekostet, das angeblich so knapp ist.
Nun sind Sie ja mit der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses nicht zufrieden und kritisieren immer dessen Ergebnisse. Vielleicht - so behaupte ich - liegt das ja daran, daß der PDS, wie ich meine, grundgesetzwidrig der Platz im Vermittlungsausschuß vorenthalten wird. Wenn wir mitwirken könnten, kämen vielleicht doch vernünftigere Ergebnisse zustande. Immerhin wäre es einen Versuch wert.
Ich will Ihnen folgendes sagen: Wenn die F.D.P. nicht dabei wäre, was glauben Sie, was für Ergebnisse dann im Vermittlungsausschuß zustande kä-
Dr. Gregor Gysi
men? Darauf könnten wir uns vielleicht verständigen.
Jetzt sage ich Ihnen zum Ernst der Sache einmal folgendes: Herr Bundeskanzler, mich stört wirklich, daß Sie in den letzten Tagen mehrfach davon gesprochen haben, der Bundesrat werde von der SPD zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht. Worum geht es eigentlich? Es kommt doch auch niemand auf die Idee, der Mehrheit des Bundestages, wenn sie einen Antrag der Opposition ablehnt oder einen eigenen annimmt, vorzuwerfen, daß sie den Bundestag mißbrauche. Es ist doch ganz normal, daß in Gremien Mehrheiten entscheiden; das ist ein demokratisches Prinzip. Wenn der Bundestag einen Gesetzentwurf beim Bundesrat einbringt und dieser von seiner durch die Verfassung gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, nein zu sagen, was ist denn daran Mißbrauch? Wenn er zum Ja verpflichtet wäre, dann bräuchte man den Bundesrat nicht; denn dann hätte er gar keinen Entscheidungsspielraum.
Ich mache mir darüber sehr ernsthafte Gedanken. Nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat ist aus demokratischen Wahlen hervorgegangen. Wenn Sie im Bundesrat die Mehrheit haben wollen, um über die Dinge so abstimmen zu können, wie Sie es gerne hätten, dann hätten Sie bei den Landtagswahlen eben erfolgreicher sein müssen.
Es kommt noch folgendes hinzu: Welche Vorstellung steckt denn eigentlich hinter dem Mißbrauchsgedanken? Daß die SPD im Bundesrat nur dann eine richtige Politik machen würde, wenn sie Ihr Steuerkonzept gebilligt hätte. Nun, Herr Bundeskanzler, werden Sie aber doch nicht bestreiten können, daß Ihr Steuerkonzept Ihren politischen Vorstellungen entspricht; es ist Ausdruck der neoliberalen Politik dieser Bundesregierung und dieser Regierungskoalition. Wenn die SPD Ihrer Meinung nach moralisch verpflichtet wäre, dazu einfach ja zu sagen, frage ich Sie, wozu wir dann noch Wahlen bräuchten; denn dann gäbe es ja gar nichts mehr auszuwählen, weil die Steuerkonzepte immer völlig identisch wären, unabhängig davon, ob diese Koalition oder eine andere regieren würde. Deshalb sind die Argumente, die Sie da benutzen, demokratiegefährlich. Daher wundert es mich nicht, daß Herr Henkel fordert, den Bundesrat am besten gleich ganz abzuschaffen. Wenn schon, dann sollte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz weniger um mich und mehr um Herrn Henkel kümmern; das wäre für diese Gesellschaft sehr viel sinnvoller.
Ich finde es ganz normal, daß man zu Ihrem Steuerkonzept nein sagt. Zunächst einmal ist es eine Tatsache, daß 45 Milliarden DM bisher nicht finanziert sind. Das heißt, Sie machen den Staat arm. Aber ein armer Staat kann Armut nicht mehr bekämpfen. Deshalb ist es nicht sinnvoll, diese Art von Politik zu betreiben, die Sie vorschlagen. Sie wollen die Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer senken; Sie haben schon die Vermögensteuer abgeschafft; Sie besteuern immer weniger die Gewinne der Unternehmen und der Banken.
Ich frage mich, ob Sie schon vergessen haben, daß zum Beispiel die Abschaffung der Vermögensteuer und die Einführung des ganzen Steuerpakets mit der gleichen Argumentation hier beschlossen worden sind, die Sie, Herr Thiele, vorhin benutzt haben, um uns das Steuerkonzept irgendwie schmackhaft zu machen. Sie haben gesagt, die Wirtschaftstätigkeit werde dadurch belebt; dadurch stiegen die Einnahmen; Investitionen kämen zustande; dadurch entstünden mehr Arbeitsplätze. War das nicht auch Ihre Argumentation beim Sparpaket? War das nicht auch Ihre Argumentation bei den verschiedenen Gesundheitsreformen? War das nicht auch Ihre Argumentation bei der Abschaffung der Vermögensteuer? Wo sind denn die Arbeitsplätze? Wo sind denn die Investitionen? Dieses Konzept ist doch nun endgültig gescheitert. Deshalb kann man nicht heute ja zu diesem Konzept sagen.
Die Gewinne der Banken sind allein im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen. Allein im Jahre 1997 haben die Deutsche Bank und die Dresdner Bank durch die gestiegenen Provisionen beim schwungvoll gewachsenen Aktienhandel zusätzliche Milliardengewinne gemacht. Eine Steuerreform, die an diese Gewinne nicht herangeht, ist doch einfach inakzeptabel. Das hat mit Leistung gar nichts zu tun. Sie partizipieren einfach daran, daß mehr Leute Aktien kaufen. Das ist alles. Dadurch werden sie immer reicher.
Sie können auch nicht leugnen, daß ein Drittel der geplanten Entlastungen nur einem Prozent der Bevölkerung zugute kommen soll. Ich habe es Ihnen schon einmal ausgerechnet: Ein Einkommensmillionär würde bei Ihrer Steuerreform im Jahr 127 000 DM Steuern sparen. Eine Bankkauffrau mit zwei Kindern würde im Jahr 74 DM Steuern sparen. Erklären Sie das einmal der Bankkauffrau. Wenn Sie noch die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöhen, gibt die Bankkauffrau diese 74 DM schon im Januar aus und hat überhaupt nichts von Ihrer Steuerreform, außer einer Mehrbelastung, damit der andere, der Einkommensmillionär, 127 000 DM im Jahr sparen kann. Das ist völlig inakzeptabel.
Ihr Steuerkonzept ist nicht solide finanziert, und es ist im höchsten Maße sozial ungerecht. Deshalb kann ich nur hoffen, daß die SPD auch im zweiten Vermittlungsverfahren nicht schwach wird, durchhält und bei ihrem Nein bleibt.
Dr. Gregor Gysi
Eine wirkliche Reform müßte ganz andere Ansätze haben. Deshalb auch meine Kritik an dem Mehrheitsvorschlag des Vermittlungsausschusses zu den Lohnnebenkosten, Herr Ministerpräsident Lafontaine. Sie machen dabei im Grunde genommen dasselbe mit. Sie wollen die Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt reduzieren und gleichen dies durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer aus. Das heißt, die Arbeitslosen und die Lohnabhängigen bezahlen über die Mehrwertsteuer und die Mineralölsteuer letztlich die geringeren Lohnnebenkosten der Unternehmen. Ist das wirklich der Lösungsansatz? Das ist doch keine Reform. Sie gehen hier ein paar Prozentpunkte hoch und dort ein paar Prozentpunkte herunter.
Lassen Sie uns doch einmal ernsthaft über eine Reform nachdenken, zum Beispiel über eine andere Bemessungsgrundlage. Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, daß immer weniger Beschäftigte in immer kürzerer Zeit immer mehr produzieren. Wenn das so ist, kann die Bruttolohnsumme nicht länger die Bemessungsgrundlage für die Einzahlungen der Unternehmen in die Versicherungssysteme sein.
Wir haben vorgeschlagen, die Wertschöpfung, also das Betriebsergebnis, zur eigentlichen Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungskosten der Unternehmen zu machen. Das wäre auch wesentlich flexibler: Gehen die Gewinne hoch, müssen die Betriebe mehr einzahlen. Gehen die Gewinne runter, müssen sie weniger einzahlen, und die Einzahlungen sind nicht mehr abhängig von der Zahl der Beschäftigten. Damit wird nicht länger Arbeit bestraft, wie das heute immer noch der Fall ist.
Wenn ein solcher Gedanke umgesetzt würde, wäre das eine Reform, aber es ist keine Reform, wenn Sie ein paar Prozentpunkte hoch- oder ein paar Prozentpunkte heruntergehen. Sie machen einfach immer eine neue Berechnung, je nach Situation. Das bedeutet Leben von der Hand in den Mund. Genau das ist das Konzept der Bundesregierung. Von diesem Konzept müssen wir uns trennen.
Zu einer wirklichen Reform würde eine gerechte Besteuerung gehören. Dazu müßten wir gerade auch die hohen Gewinne der Banken und Versicherungen, die Spekulationsgewinne, große Vermögen und hohe Einkommen endlich gerecht besteuern. Dann hätten wir auch die finanziellen Mittel, die wir für eine soziale Grundsicherung und einen öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor brauchen. Darüber würden auch wieder neue Steuereinnahmen für den Staat entstehen.
Wir brauchen eine Förderung der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Gerade Sie von der F.D.P., aber auch Sie von der CDU/CSU erklären immer, daß Ihnen die kleinen und mittelständischen Unternehmen so sehr am Herzen liegen. Aber in Wirklichkeit machen Sie immer wieder Politik für große Unternehmen. Ein Beispiel dafür ist Ihr Vorgehen bei der Gewerbekapitalsteuer.
Wir sind nicht gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Sie ist sinnvoll, weil es eine Substanzsteuer ist, die uns nichts bringt. Aber vergessen wir eines nicht: Nur 16 Prozent der Unternehmen bezahlen nach Ihrem Kompromiß keine Gewerbekapitalsteuer mehr. Die anderen bezahlen sie schon längst nicht mehr. Sie wird nur noch von 16 Prozent der Unternehmen in den alten Bundesländern bezahlt. Das sind die Großunternehmen. Aber für alle Unternehmen, auch für die im Osten, wird die Gewerbeertragsteuer erhöht.
Das heißt, alle Unternehmen, auch die kleinsten, finanzieren den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer bei den großen Unternehmen. Das ist die Realität. Sie fördern nie die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sondern immer die großen Konzerne, die Banken und die Versicherungen. Daran muß sich endlich etwas ändern.
Es kann nicht dabei bleiben, daß nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die kleinen und mittelständischen Unternehmen die Bundesrepublik Deutschland finanzieren, während sich die Konzerne, die Banken und die Versicherungen aus der Finanzierung der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet haben.
Natürlich brauchen wir eine Förderung der Kaufkraft.
- Ich finde es ganz rührend, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich um meine Redezeit Gedanken machen und darauf hinweisen, daß der Präsident schlafe. Aber der Präsident schläft nicht. Er weiß, wie lang meine Redezeit ist. Darauf wird hier ganz korrekt geachtet. Damm, Herr Bundeskanzler, müssen Sie sich ausnahmsweise nicht kümmern.
Lassen Sie mich etwas sagen: In Wirklichkeit geht es nicht um eine Blockade des Bundesrates gegenüber dem Bundestag. Es geht um eine gesellschaftliche Blockade. Weder diskutieren wir über Probleme richtig, noch analysieren wir sie, noch kommen wir zu wirklichen Lösungsansätzen. Wir verfallen überwiegend in Polemik. Der Bundeskanzler hat angekündigt, uns in den nächsten 14 Monaten mit Polemik zu beschäftigen. Deshalb sind auch wir für Neuwahlen eingetreten.
Allerdings muß ich die Kollegin Müller etwas fragen. Sie, Frau Kerstin Müller, haben sich hier hingestellt und vehement Neuwahlen gefordert. Aber im Juni 1997 gab es hier einen Antrag zu entscheiden. Dieser Antrag lautete: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird aufgefordert, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Gegen diesen Antrag hat aber nicht nur die Koalition gestimmt, sondern auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit haben
Dr. Gregor Gysi
Sie noch im Juni 1997 dem Bundeskanzler Ihr Vertrauen ausgesprochen.
- Na sicher, Sie haben den Antrag doch abgelehnt. Der Kanzler kann sich zu Recht freuen, daß Sie das getan haben. Dann aber ist es nicht besonders glaubwürdig, einen Monat später Neuwahlen zu fordern. Sie hätten damals unserem Antrag zustimmen müssen, sonst sind Sie als Opposition auch nicht glaubwürdig - wenn ich das hinzufügen darf.
- Einschließlich der Grünen, Herr Fischer.
Wenn wir uns inzwischen einig sind, daß Neuwahlen erforderlich wären, dann frage ich mich allerdings, warum sich die Koalition so dagegen sperrt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, hat jetzt in einem Interview gesagt, Neuwahlen würden an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nichts ändern. Das heißt: Er geht davon aus, die Regierungskoalition würde durch Neuwahlen bestätigt werden. Wenn Sie davon wirklich überzeugt sind, dann machen Sie es doch. Danach hätten Sie eine ganz andere moralische Rechtfertigung für Ihre politischen Forderungen. Im Augenblick glaubt Ihnen doch niemand mehr, daß Sie über eine Mehrheit in der Gesellschaft verfügen. Ich glaube, Sie glauben es auch nicht. Deshalb lehnen Sie Neuwahlen ab und gehen im Krebsgang bis zum 27. September 1998. Das aber ist eine Zumutung für die Bevölkerung.
Deshalb sage ich: Man muß wissen, wann Schluß ist. Man muß wissen, wann eine Regierung ausgelaugt ist.
- Ich finde es sehr gut, daß Sie mir dafür Beifall spenden. Wir fangen ja erst an, und zwar so richtig.
Ihre Regierung aber ist nun schon seit 15 Jahren dran, im nächsten Jahr seit 16 Jahren. Jeder sollte wissen, wann es vorbei ist, wann man in Rente gehen und wann man sich im Leben Gutes gönnen kann. Das wünschen wir Ihnen allen.
Wir brauchen Veränderungen, um den Problemstau aufzulösen. Ein Regierungswechsel ist nicht alles, aber er kann Signale für solche Veränderungen setzen. Deshalb brauchen wir ganz schnell Neuwahlen. Wenn Sie so sicher sind, daß Sie sie gewinnen werden, dann machen Sie sie doch! Wenn Sie aber in Wirklichkeit wissen, daß Sie sie verlieren werden, dann machen Sie sie auch. Schieben Sie die Niederlage nicht weiter hinaus! Es lebt sich leichter, wenn man dies schnell hinter sich hat.
Deshalb: Geben Sie uns allen die Chance zu Neuwahlen in Ihrem und in unserem Interesse, damit es zu Veränderungen in dieser Gesellschaft kommt!
Danke.
Ich habe in der zu Ende gehenden Debatte nur noch eine Wortmeldung zu einer Kurzintervention. Das Wort hat der Kollege Dr. Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nehmen zur Kenntnis, daß die CDU/CSU-Fraktion diese Debatte nicht fortsetzen will. Das, Herr Präsident, beweist, übrigens auch die Reden von Herrn Waigel, Herrn Repnik und Herrn Thiele, wie überflüssig diese Debatte und auch diese Sondersitzung des Deutschen Bundestages waren.
Ich handhabe das jetzt einmal locker, Herr Kollege Hörster, hoffe aber, daß ich im Ältestenrat dafür nicht gerügt werde. Eigentlich muß auf eine Kurzintervention derjenige erwidern, der angesprochen worden ist.
Wir nehmen das heute aber einmal nicht so genau. Sie haben das Wort.
Herr Präsident, wenn es das Hohe Haus nachsieht, dann subsumieren Sie mich doch bitte unter CDU/CSU-Fraktion; sie war angesprochen.
Ich möchte zunächst einmal rein der Sachlichkeit halber darauf hinweisen, Herr Kollege Dr. Struck, daß die Sondersitzung des Deutschen Bundestages allein wegen des echten Vermittlungsergebnisses zur Gewerbekapitalsteuer erforderlich war.
Die Annahme dieses Vermittlungsergebnisses hat die Qualität einer dritten Lesung eines Bundesgesetzes durch den Bundestag. Infolgedessen ist damit zum einen eine Rechtssituation geschaffen worden, die es dem Bundesrat ermöglicht, bei seiner Sondersitzung am 5. September ebenfalls diesem Vermittlungsergebnis zuzustimmen. Zum anderen schafft es Rechtssicherheit für die Finanzbehörden in den fünf neuen Bundesländern, die die Gewerbekapitalsteuer nicht zu erheben und nicht zu veranlagen brauchen.
Außerdem haben wir verabredet, daß wir im Zusammenhang mit der Abschaffung der Gewerbeka-
Joachim Hörster
pitalsteuer zügig eine Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Art. 28 und 106 vornehmen wollen. Um den Gesetzentwurf einzubringen, war die Sitzung notwendig.
Schließlich haben wir heute eine wichtige Entscheidung getroffen, was die Opfer der von der Hochwasserkatastrophe an der Oder betroffenen Menschen anbetrifft.
Wir haben erstens der Regierung einvernehmlich die Unterstützung des Hauses bei den Maßnahmen zur Behebung von Schäden zugesichert und zweitens die Regierung aufgefordert, weitere Maßnahmen zusammen mit dem Land Brandenburg zu prüfen.
Ein letztes - und das ist jetzt eine politische Berner-kung auf das, was Herr Kollege Struck gesagt hat -: Die Debatte wird nicht dadurch beendet, daß wir es wollen, sondern die Debatte wird dadurch beendet, daß aus den Reihen der SPD-Fraktion bis zur jetzigen Minute kein einziger Beitrag zur Steuerreform gekommen ist.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/8342. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Nun die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/8343: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 8346: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/8340 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
zum Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform
- Drucksachen 13/901, 13/7000, 13/7570, 13/ 7579, 13/8325 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zum Steuerreformgesetz (StRG) 1998
- Drucksachen 13/7242, 13/7775, 13/8020, 13/ 8177, 13/8178, 13/8326 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zum Steuerreformgesetz 1999
- Drucksachen 13/7480, 13/7917, 13/8022, 13/ 8023, 13/8177, 13/8179, 13/8327 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich dem Hause mit, daß es eine Protokollerklärung, ausgefertigt von Herrn Dr. Blens, zur Drucksache 13/8325 gibt, die ich vorlese, weil sie wichtig ist:
Der Vermittlungsausschuß geht davon aus, daß das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform erst nach der Änderung der Art. 28 und 106 des Grundgesetzes in Kraft treten kann.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich dem Hause außerdem mit, daß es eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung von mehreren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion gibt, die schriftlich zu Protokoll gegeben wird.*)
Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/8325? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1998. Berichterstatter ist der Kollege Dr. Peter Struck. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vom 26. Juni 1997 den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/7242 und den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der
•) Anlage 2
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Bundesregierung auf Drucksache 13/7775 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/8326? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999. Berichterstatter ist der Kollege Dr. Peter Struck. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/8327? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir sind damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September 1997, 11 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.