Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zu Beginn der heutigen Debatte eine beeindrukkende Geschlossenheit des Hohen Hauses über die Parteigrenzen hinweg erlebt, als es darum ging, angesichts der Flutkatastrophe an der Oder eine große Herausforderung zu bewältigen. Ich hätte mir gewünscht, daß wir angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland eine ähnliche gemeinsame Geschlossenheit gefunden hätten.
Wenn im Vermittlungsausschuß die SPD und die Grünen auch nur im Ansatz verhandlungsbereit gewesen wären, könnten wir heute neben der Botschaft für die Menschen im Oderbruch auch den Menschen in Deutschland die Botschaft vermitteln: Der Standort
Hans-Peter Repnik
Deutschland ist gesichert. Es geht weiter. Wir sind ein großes Stück vorangekommen.
Verehrter Herr Kollege Voscherau, nachdem Sie ein wenig aus dem Nähkästchen der Verhandlungen der letzten paar Wochen geplaudert haben, sei es mir gestattet, auf das eine oder andere Argument einzugehen. Sie haben an diesem Pult vor wenigen Minuten den Eindruck erweckt, als habe es tatsächlich und ganz konkret die Chance gegeben, zum Beispiel 'bei der großen Steuerreform in intensiven, zielführenden, auf eine Einigung im Vermittlungsausschuß hinweisenden Gesprächen zu Lösungen zu kommen.
Diesem Eindruck muß ich hier leider widersprechen. Wir haben wiederholt ganz konkret den Versuch gemacht, Sie und Ihre Delegation zu sachlichen Gesprächen zu zwingen.
Bis auf einige wenige Ausnahmen, auf die ich gleich zu sprechen komme, sind Sie dieser Diskussion ausgewichen, und zwar aus einem einzigen Grund: Sie und Ihre Truppe - Entschuldigung -, Sie und Ihre Delegation hatten zum Abschluß einer solchen großen Lösung, die Deutschland weitergebracht hätte, die uns Arbeitsplätze gebracht hätte, kein Mandat. Dies ist die Wahrheit und nichts anderes.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ging sogar so weit, daß zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als könnten wir uns möglicherweise tatsächlich näherkommen, der saarländische Ministerpräsident - im übrigen ohne Absprache - seine Finanzministerin in die SPD-Delegation delegiert hat, damit sie aufpaßt, daß um Gottes Willen die Einsichtigen in der SPD mit uns keinen Abschluß tätigen, der nicht im Interesse des SPD-Bundesvorsitzenden ist.
- Herr Fischer, statt sich hier mit Zwischenrufen einzubringen, würde ich Ihnen raten, daß sich Frau Müller - oder wer auch immer von den Grünen ein Mandat hat - auch einmal konstruktiv beteiligt. Für mich war es in all den Verhandlungen hoch spannend, zu erleben, daß sich Ihre Kollegin bei der Diskussion um die große Steuerreform nicht beteiligt hat. Das heißt, die Grünen, die sich nach außen auch in diesem Bereich als Reformpartei geben, haben sich im Kern der Sache der Diskussion und der Lösungsfindung verweigert. Auch dies sollte bei dieser Gelegenheit einmal angesprochen werden.
Ich komme nachher auf die große Steuerreform.
Herr Kollege Voscherau, ich möchte Ihnen nachdrücklich zustimmen. Ich freue mich, daß wir es nach außerordentlich schwierigen und langwierigen Verhandlungen geschafft haben, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Daß Sie dazu einen Beitrag geleistet haben, will ich wohl bekennen. Die Gewerbekapitalsteuer wurde nicht nur abgeschafft. Mit dem Beschluß im Vermittlungsausschuß und mit dem Beschluß heute sorgen wir dafür, daß in den neuen Ländern ab dem 15. August nicht die substanzverzehrende Gewerbekapitalsteuer erhoben werden muß. Allein das ist die heutige Sitzung wert.
Wir waren aber auch bei einem zweiten Thema relativ erfolgreich, nämlich bei der Senkung der Lohnzusatzkosten. In den Verhandlungsdelegationen bestand der Konsens, daß wir die Lohnzusatzkosten zurückführen wollen. Es gab nur eine andere Auffassung.
Wir von der Koalition haben immer gesagt: Ein solcher Konsens muß aus zwei Teilen bestehen. Der erste Teil umfaßt strukturverändernde Maßnahmen; allein die Querfinanzierung von einer Kasse in die andere bringt nichts. Der zweite Teil ist ganz konkret die Finanzierung durch Steuererhöhungen, um Beitragssenkungen ermöglichen zu können. Auch das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen.
Wir waren uns relativ schnell einig, daß wir, beginnend bei der Rentenreform, den strukturverändernden Teil nicht in das Vermittlungsverfahren einbeziehen, und zwar deshalb, weil Norbert Blüm bereits einen Gesetzentwurf in erster Lesung in den Bundestag eingebracht hat, der beide Teile enthält: Strukturveränderungen auf der einen Seite und Querfinanzierung auf der anderen Seite. Deshalb haben wir gesagt: Dieser Gesetzentwurf soll in seinem strukturverändernden Teil das normale parlamentarische Verfahren durchlaufen: Ausschußberatung, darüber hinaus Anhörungen und dann die Beratung hier im Deutschen Bundestag.
Wir haben uns darauf verständigt, nur über den Finanzierungsteil zu verhandeln. Wir waren uns weitgehend darin einig, die Mehrwertsteuer um einen Punkt zu erhöhen, um die Beiträge um einen Punkt senken zu können.
- Verehrte Frau Matthäus-Maier, wenn der Herr Kollege Voscherau aus den Vorgesprächen, den kleineren Gesprächsrunden, hier zitiert, dann erlaube ich mir, ebenfalls daraus zu zitieren. Sonst hätte ich es nicht getan.
Wir waren uns einig, nur über den Finanzierungsteil zu reden. Erst als die Botschaft von den Grünen kam, sie seien nicht bereit, über eine Mehrwertsteuererhöhung zu diskutieren, sondern diese Maßnahme ausschließlich über eine Ökosteuer zu finanzieren,
Hans-Peter Repnik
und als sich der Kollege Dreßler eingeschaltet hat, der plötzlich die Gefahr heraufbeschwor, daß sich Norbert Blüm mit seiner zielführenden Rentenreform durchsetzen würde, haben Sie gemauert und blokkiert und haben bei den Lohnzusatzkosten exakt dasselbe gemacht wie bei der großen Steuerreform, zum Schaden und zum Nachteil des Standortes Deutschland.
Wir haben unser Angebot bis zum Schluß aufrechterhalten, das da lautete: Senkung des Rentenversicherungsbeitrages um einen Punkt und Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt. Sie sind, weil Sie nicht durften, auf dieses Thema nicht mehr eingegangen.
Jetzt noch einige wenige Anmerkungen zum Thema „große Steuerreform". Verehrter Herr Kollege Voscherau, alle Beratungen der vergangenen Monate, die Anhörungen im Finanzausschuß und alle Experten, die sich mit diesem Thema befaßt haben, haben deutlich gemacht, daß ausschließlich das Gesetz, das die Koalition vorgelegt hat, im Sinne der Rückführung der Arbeitslosigkeit, dem Hereinholen von neuen Investitionen und der Begründung neuer Arbeitsplätze zielführend ist. Ebenso hat die Anhörung im Finanzausschuß deutlich gemacht, daß Ihr Konzept, das nicht in einen Gesetzentwurf, sondern in ein Eckwertepapier gegossen wurde, gerade vor dem Hintergrund des Arbeitsmarktes, der Schaffung neuer Arbeitsplätze, kontraproduktiv ist, daß es nicht arbeitsplatzfördernd, sondern arbeitsplatzvernichtend ist. Diesem Urteil widerspricht kein Experte.
- Ach, ich bitte Sie, Sie haben doch selbst die Anhörung noch vor Augen. Nachher können Sie gerne darauf eingehen.
Ich möchte auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Voscherau sprach von der Globalisierungsfalle. Wir haben die Schwächen des Standortes Deutschland sorgfältig analysiert. Eine der größten Schwächen dieses Standortes sind die hohen Steuersätze. Wenn wir also der Globalisierungsfalle entgehen wollen, von der Sie gesprochen haben, dann müssen wir herunter mit den Steuersätzen und dürfen die Steuerreform nicht blockieren.
Herr Kollege Stoltenberg hat sehr anschaulich dargestellt, wie es sich mit den Millionären in Hamburg verhält. Wenn es zutrifft, daß die Hälfte der Hamburger Einkommensmillionäre keine Steuern zahlt, dann ist doch dies der beste Beweis dafür, daß wir die Steuerreform brauchen, weil wir Steuerschlupflöcher schließen müssen. Aber auch dem haben Sie sich verweigert.
Herr Kollege Voscherau, ich halte es angesichts der Tatsache, daß diese Debatte öffentlich übertragen wird, schlichtweg für unanständig, daß Sie hier erneut eine Neidkampagne entfacht haben, indem Sie sagen, die Großen würden entlastet, die Kleinen nicht.
- Lassen Sie mich bitte ausreden! - Wir können doch die große Steuerreform nicht losgelöst von den Jahressteuergesetzen sehen, die wir bereits hinter uns haben, und Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, daß allein durch das Jahressteuergesetz 1996 von dem Entlastungsvolumen von rund 20 Milliarden DM null Prozent an die großen, 100 Prozent aber an die mittleren und kleinen Einkommensbezieher in Deutschland gingen. Dies ist doch die Wahrheit.
- Herr Lafontaine, nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß mit den Maßnahmen, die im Jahressteuergesetz 1996 beschlossen wurden, im Ergebnis zum Beispiel erreicht wurde, daß fast ein Drittel der Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine Steuern mehr zahlt. Dies ist doch die Wahrheit. Wie will ich denn jemanden entlasten, der überhaupt keine Steuern mehr zahlt? Deshalb ist dieser Vergleich, wie ich finde, nicht korrekt.
Herr Kollege Voscherau, ich möchte auf ein Weiteres hinweisen. Sie haben davon gesprochen, daß wir uns bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nähergekommen seien. Das ist wohl wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber wahr ist natürlich auch folgendes: Wir haben hinsichtlich der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Synopse aus dem gemacht, was in unserem Gesetz steht und was in Ihrem Eckwertepapier und in der sogenannten Schleußer-Liste steht bzw. was Ihr Parteivorsitzender an Aussagen hier in diesem Hohen Hause getroffen hat. Da haben wir uns in der Tat bis an 33 Milliarden DM heranbewegt. Das fand ich prima, weil es die erste Bewegung war, die es bei Ihnen gab, um mit uns über die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu sprechen, allerdings auch die letzte Bewegung in diesem Zusammenhang.
Dabei muß aber folgendes festgehalten werden - das wird in aller Regel verschwiegen -: Von diesen 33 Milliarden DM sind ungefähr 14 Milliarden DM mit dem Kürzel „ÜT" versehen, was „Übereinstimmung unter der Voraussetzung, daß die Tarife nachhaltig gesenkt werden" bedeutet. Wenn es also nicht zu einer Tarifsenkung kommt, dann können Sie die 14 Milliarden DM schon einmal herausrechnen.
Daraufhin haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie wir den Tarif senken könnten. Bei Ihnen stand erstens die Anhebung des Grundfreibetrages auf 14 000 DM im Raum, was schon einmal 14 Milliarden DM ausmacht, die für 1998 wegfielen. Dann
Hans-Peter Repnik
stand eine Senkung des Eingangssteuersatzes um wenigstens 2 Prozentpunkte im Raum, was noch einmal rund 12 bis 13 Milliarden DM ausmacht. Dann waren von den verbleibenden 29 Milliarden DM schon 27 Milliarden DM weg. Dann wollten Sie das Kindergeld erhöhen, und dann stand uns plötzlich schon nicht mehr genug Geld zur Verteilung zur Verfügung.
Nachdem wir dann gesehen haben, daß rund 70 Prozent der Einnahmen aus der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich hätten erzielt werden sollen, für den Unternehmensbereich, die Körperschaftsteuer, aber keine einzige Mark zur Verfügung gestanden hat, dann hätten wir, wenn wir diesem Vorschlag gefolgt wären, eine Steuerreform gehabt, bei der die Unternehmen in Deutschland nachhaltig mehr Steuern bezahlt hätten. Da kann ich nur sagen: Walte Gott über die Investitionsfähigkeit des Standortes Deutschland! Deshalb sind wir nicht in Ihre Falle gelaufen.
Wir haben bis zum Schluß angeboten: Wir sind bereit, über eine geringere Nettoentlastung zu verhandeln, wobei wir wissen, daß wir die Nettoentlastung sowohl für die Investitionstätigkeit als auch für den Konsum des Arbeitnehmers brauchen. Wir waren bereit, über den Tarif zu verhandeln, aber erst, wenn wir die Finanzierung des Tarifs sichergestellt haben. Was soll Ihre Forderung, permanent über einen neuen Tarif mit Ihnen zu verhandeln, wenn Sie gleichzeitig nicht bereit sind, die Finanzierung eines solchen Tarifs gemeinsam mit uns sicherzustellen? Das macht doch keinen Sinn; denn sonst hätten Sie anschließend gesagt: Auch dieser Tarif ist nicht sichergestellt.
Frau Matthäus-Maier hat deutlich gemacht, daß für diese große Steuerreform und für die Nettoentlastung keine einzige Mark zur Verfügung stünde. Dies hat sie wiederholt erklärt. Eine Steuerreform ohne Nettoentlastung führt aber nicht zum Ziel: mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze in Deutschland und Rückführung der Arbeitslosigkeit.
Soweit es sich um die große Steuerreform handelt, aber auch zum Thema Senkung der Lohnzusatzkosten gibt es für mich nach den intensiven langen Beratungen nur ein Fazit: Die SPD betreibt Blockade pur.
Sie verwischt die Nähe ihrer eigenen Steuerreformvorhaben zur großen Steuerreform der Regierungskoalition. Diese Nähe hat es nämlich streckenweise gegeben. Die SPD hat alle Verhandlungsbemühungen durch immer abstrusere Forderungen verzögert. Sie hat, wenn wir uns ein Stückchen nähergekommen waren, sofort das Stöckchen höher gehängt, über das wir springen mußten. Schließlich hat sie sie sogar mutwillig scheitern lassen. Mit einem Wort: Sie ist ihrer staatspolitischen Verantwortung im Bundes-
tag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß nicht nachgekommen.
Ich gehe davon aus, daß das Beispiel aus den Vereinigten Staaten von Amerika in der vergangenen Woche, wo sich vernünftige Menschen aus beiden politischen Lagern zusammengesetzt haben, mit Sicherheit ökonomische Auswirkungen haben und uns weiter im internationalen Konkurrenzkampf zu schaffen machen wird. Ich erwarte, daß sich dieses Beispiel herumspricht und daß es Schule macht. Hoffentlich machen Ihnen die Wirtschaftsverbände, die Gewerkschaften und die Arbeitslosen in Deutschland Druck, so daß Sie in einer zweiten Verhandlungsrunde schlußendlich bereit sind, mit in das Boot zu steigen und eine Reform zustandezubringen, die Deutschland für die Zukunft fit macht, die Arbeitsplätze schafft und Arbeitslosigkeit abbaut.
Herzlichen Dank.