Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, ich komme auf Ihre Frage und auf die Steuerreform im Rahmen meiner Ausführungen zurück. Sie bekommen dann die Antwort.
Meine Damen und Herren, in unserem Land muß sich das Steuer- und Abgabensystem ändern, die Staats- und Abgabenquote muß herunter, und zwar vorrangig bei den Sozialabgaben; denn in Wahrheit ist die Steuerquote seit den 50er und 60er Jahren im wesentlichen gleichgeblieben.
Darüber hinaus aber muß sich sehr viel mehr ändern, soll der Ansatz, Auslandsinvestitionen nach Deutschland zu holen und die Abwanderung der deutschen Unternehmen zu begrenzen, Erfolg haben.
Wir brauchen das Bekenntnis aller zur Unauflöslichkeit von Leistung und Solidarität; beides gehört zusammen. Wir müssen zukunftsgerichtet die Forschung und die Anwendung stärken. Sie tun das Gegenteil. Wir müssen uns auf die Grundlagen unserer Stärke besinnen: Das ist das Können und das Wollen der Menschen. Die Arbeit muß wieder bezahlbar werden, die Lohnnebenkosten müssen herunter. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden. Das Steuersystem muß gerechter und transparenter werden. Weiterhin muß der Sozialstaat für diejenigen, die ihn benötigen, berechenbar verläßlich bleiben. Auch das unterminieren Sie unablässig.
Gleichzeitig kritisiere ich mit Nachdruck den schleichenden Rückzug von Teilen der deutschen Funktionseliten aus dem Gemeinwohl und aus der Verantwortung für das Gemeinwesen.
An dieser Stelle, Herr Bundesminister der Finanzen, haben Sie recht, wenn Sie sich in der „Welt am Sonntag" vom vergangenen Sonntag altmodisch zur „Pflicht unserem Vaterland gegenüber" bekennen; als diese Zeitung erklärte, Ihr Appell an die Arbeitgeber, Sie hätten eine patriotische Pflicht, neue Stellen zu schaffen, wirke etwas altmodisch.
Meine Damen und Herren, mit dem Bundesminister der Finanzen bekenne ich mich zu dieser Form altmodischen Denkens.
Wir brauchen Arbeitsplatzpatriotismus, wir brauchen Steuerpatriotismus, wir brauchen Sozialstaatspatriotismus für die Menschen in diesem Lande - nicht als Gegensatz zu den Interessen von Nachbarn und anderen Ländern, aber doch selbstbewußt in der solidarischen Verteidigung unserer eigenen Interessen.
Eine Steuerreform muß also dem Erhalt bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen. Eine Steuerreform darf die öffentlichen Finanzen nicht noch weiter ruinieren.
Der bayerische Finanzminister hat während der Beratungen des Vermittlungsausschusses deutlich gemacht, in der Brust eines jeden Finanzministers wohnten zwei Seelen: die des Finanzpolitikers und die des Steuerpolitikers.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben uns nun alle in einer Situation vorgefunden - eigentlich müßten Sie das einräumen -, in der diese beiden Seelen miteinander im Konflikt stehen. Das liegt daran, daß die öffentlichen Finanzen in diesem Ausmaß zerrüttet sind. Sie hingegen verbreiten mit Ihrer These von vorhin die Behauptung, man brauche nur auf die großen ruinösen Steuerlücken jetzt noch anderthalbe zu setzen, gewissermaßen mit einer zusätzlichen Vorwärtsverschuldung, dann werde das andere sich im nachhinein Jahre später schon gegenfinanzieren. Dazu wiederhole ich das Wort, daß in der amerikanischen politischen Auseinandersetzung dafür geprägt worden ist: „Voodoo economics".
Eine Steuerreform ist also kein Selbstzweck. Der Vermittlungsausschuß hatte es mit drei unterschiedlichen Paketen zu tun: Erstens mit der sogenannten allgemeinen großen Steuerreform.
Wir sind für eine große Steuerreform, allerdings nicht für Ihre, und zwar aus sachgerechten Erwägungen.
Erstens. Sie sprechen über ein großes Entlastungsvolumen von netto 30 Milliarden DM, völlig unfinanziert, brutto ursprünglich 56 Milliarden DM, jetzt noch 45 Milliarden DM, weil die Steuerschätzung vom Mai so verheerend ausgefallen ist.
Ein Drittel dieses Entlastungsvolumens nach den Vorstellungen der Koalition kommt dem obersten i Prozent der Steuerzahler zugute - ein Drittel dem obersten 1 Prozent!
Die Hälfte des Entlastungsvolumens kommt den obersten 10 Prozent zugute. Der unteren Hälfte unse-
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rer gesamten Bevölkerung, dem Millionenheer der fleißigen gering verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt nur ein Siebtel des Entlastungsvolumens zugute. Das ist die Verteilungswirkung Ihrer Steuerreform.
Das ist ein Grund, warum wir diese Verteilungswirkung aus Gerechtigkeitsgründen so strikt ablehnen.
Ich sage das jetzt zum fünften Mal; der Bundesminister der Finanzen kennt das. Ich fordere ihn nochmals auf: Wenn Sie diese Plausibilitätsrechnungen meiner Beamten für so falsch halten, dann bestreiten Sie diese Verteilungswirkung nicht einfach abstrakt, sondern dann veröffentlichen Sie Ihre Berechnungen und Ihre alternative Gegenrechnung, damit sich diese auch alle Bürger von Stralsund bis Saarbrücken und von Flensburg bis Reit im Winkl anschauen können.
Ihre Entlastungswirkung mit dieser ungewichtigen Verteilung berücksichtigt auch nicht, daß wir dringend die lahmende Binnennachfrage durch eine Entlastung der geringverdienenden Haushalte stärken müssen,
die nämlich jede Mark, die sie monatlich mehr im Portemonnaie haben, wirklich in den Konsum umsetzen. Ihre Steuerreform mit diesen riesigen, ruinösen Haushaltslücken verkennt, daß sich der Bund, der laufende Ausgaben durch Schulden finanzieren muß, die Länder, die das teilweise tun müssen, und viele Gemeinden nicht leisten können, solche großen zusätzlichen Lücken zu machen.
Im übrigen verweise ich noch einmal darauf, Herr Repnik, daß wir uns auf ein für die Gegenfinanzierung einer soliden Steuerreform zur Verfügung stehendes Volumenverbreiterungskonzept von überschlägig 33 Milliarden DM geeinigt hatten. Abzüglich der 4 Milliarden DM auf Grund der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer macht das 29 Milliarden DM. 29 Milliarden DM sind sehr viel Geld. Kommen Sie auf uns zu! Legen Sie einen neuen, realistischen Tarifverlauf vor!
Geben Sie ihn nicht nur der „FAZ"! Dort wurde er veröffentlicht; mir liegt er bis zur Stunde nicht vor. Was ist das für ein Vermittlungsausschuß, der aus der Wirtschaftspresse erfährt, die Koalition habe ihren ursprünglichen Tarifvorschlag zurückgezogen und habe einen neuen, aber man bekommt ihn nicht? Das ist nicht der Sinn eines Vermittlungsverfahrens.
Dann die Lohnnebenkosten. Schon seit Beginn dieses Jahres habe ich an Sie appelliert: Priorität in diesem Land für die Senkung der Abgabenquote und die Entlastung der Arbeitsplatzkosten muß die Senkung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten haben. Das IAB in Nürnberg hat, bezogen auf die ehrgeizige und, wie ich finde, unterstützenswerte Zielsetzung des Bundeskanzlers, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, deutlich gemacht, ohne Senkung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten um drei Prozentpunkte werde das nicht möglich sein. Nun hat Herr Schäuble diese Zielsetzung schon kassiert. Jedenfalls stand es so in der Zeitung. Wir halten daran fest. Es wäre jetzt an der Zeit, die gesetzlichen Lohnzusatzkosten um zwei Prozentpunkte zu senken.
Der Vermittlungsausschuß hat - ich räume ein: zu meinem Leidwesen - mit knapper Mehrheit dem Bundestag ein Ergebnis vorgelegt, das heute zur Annahme oder Ablehnung ansteht.
Es sieht die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung um einen Prozentpunkt vor. Wir haben auf uns genommen, die unpopuläre Gegenfinanzierung offenzulegen: 10 Pfennig plus bei der Mineralölsteuer, 21/2 Pfennig plus beim Heizöl, 1 Punkt plus bei der Mehrwertsteuer. Das nennen Sie Populismus und Taktik? Wir haben das auf uns genommen.
Ich bin in der Hoffnung hier hergekommen, es gäbe vielleicht doch noch eine Einsicht und Sie würden Simsalabim wie Kai aus der Kiste heute diesen Vorschlag annehmen.
Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Ich appelliere an Sie, das zu tun.
Zum Schluß zur Gewerbesteuer. Der gegenwärtige Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Herr Abgeordneter Blens, hat mehrfach im Rahmen des Vermittlungsverfahrens mit liebevoller Ironie Scherzworte aus der Geschichte bemüht, indem er darauf verwiesen hat, 1928 habe der Reichsverband der Deutschen Industrie die Abschaffung der Gewerbesteuer als unmittelbar bevorstehend bezeichnet. Das war 1928. Jetzt haben wir 1997.
Sie werden mir nicht verargen, wenn ich sage: Ich empfinde es auch persönlich als ein sehr befriedigendes Ergebnis, daß letztlich durch den Hamburger Vorstoß eines Gesetzentwurfs zur Abschaffung jedenfalls, Herr Blens, der Gewerbekapitalsteuer, wieder so viel Bewegung in die Sache gekommen ist, daß wir heute, sofern der Bundestag die entsprechenden Mehrheiten dafür hat, diesen Durchbruch erzielen können, nämlich die Befreiung der Unter-
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nehmen in Deutschland von einer ertragsunabhängigen Substanzbesteuerung.
- Gegenüber Ihrer Unruhe, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, möchte ich in Anspruch nehmen, daß es im Vermittlungsausschuß über diese Angelegenheit am Ende gemeinsam, parteiübergreifend Befriedigung und auch wechselseitig - das kam schon bei dem Bundesminister der Finanzen zum Ausdruck - Dankbarkeit und Anerkennung gab. Nun haben wir das offenbar gemeinsam geschafft; reden Sie es doch nicht wieder klein!
Dieses Ergebnis ist gut für die Betriebe. Es ist gut für die Arbeitsplätze. Meine vielen Kolleginnen und Kollegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den deutschen Städten und Gemeinden werden mir hoffentlich nicht allzu sehr nachtragen, daß es nicht gelungen ist, 2,3 Prozent Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer zu erreichen. Immerhin sind es 2,2 Prozent statt 1,9 oder statt 2,1 Prozent.
Da in den Gemeinden die alltäglichen Bürgerdienstleistungen erbracht werden, sind die Gemeindefinanzen und die Finanzkraft der Gemeinden das solide Fundament unseres dreistufigen demokratischen Staatsaufbaus.
Unglaublich viele Menschen aus allen Parteien, die in diesem Hause sind, engagieren sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. Was haben sie meistens davon? Nichts als Nackenschläge; das darf man den Bürgerinnen und Bürgern einmal sagen und sie aufrufen: Macht doch selber in den Gemeinden mit und geht in die Kommunalpolitik!
Wir haben, glaube ich, insgesamt eine gute Lösung.
Nun, lieber Herr Stoltenberg, zu Ihnen. Am 17. Februar habe ich öffentlich geäußert - ich darf das verkürzt vorlesen -:
Eine ... Entlastung von 44 Milliarden bei den Steuern ist nicht finanzierbar. Das dicke Ende wird später als Erhöhung der Verbrauchsteuern .präsentiert. Speziell für den Unternehmensbereich gilt: Auch hier muß es vorrangig um Aufkommensneutralität gehen. Vor allem im Hinblick auf die dringend notwendige Ansiedlung ausländischer Unternehmen wäre schon viel gewonnen, wenn wir die psychologisch schädlichen hohen nominellen Steuersätze durch Abbau der vielen Steuervergünstigungen senken könnten.
Das ist unverändert meine Überzeugung. Deswegen habe ich immer wieder teilweise ganz persönlich, aber auch öffentlich deutlich gemacht: Für den Fall, daß man sich auf eine solide finanzierte, die Staatsfinanzen nicht weiter ruinierende Steuerreform einigen könnte, deren Verteilungswirkungen gerecht sind, halte ich als krönenden Abschluß des Tarifverlaufs auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes für „unausweichlich". Die fachlichen Gründe für dieses Wort kennen Sie genau so gut wie ich.
Warum ist das so notwendig? Nun, schlagen Sie bei den Ergebnissen des baden-württembergischen Rechnungshofs nach, über die man in diesen Tagen in den Zeitungen lesen kann.
Dort ist die Rede davon, daß bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 250 000 DM nach den Feststellungen des baden-württembergischen Rechnungshofs die durchschnittliche steuerliche Belastung bei 25 Prozent liegt. Sie steigt bei den Einkommensmillionären auf 42 - nicht 53 - Prozent. Bei den Einkommensmillionären, nicht den Vermögensmillionären!
So wurde am 31. Juli die jüngste Denkschrift des Landesrechnungshofs zitiert, die mich selber nicht erreicht hat.
- Da Sie mich auf Hamburg ansprechen, nenne ich Zahlen.
In Hamburgs ärmstem Stadtteil - Sie kennen ihn alle -, in Sankt Pauli, hatten die Steuerpflichtigen 1989 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 31400 DM und 1992 - damals gab es die nächste Steuerstatistik - eines von 39 753 DM. Das heißt, die Ärmsten hatten 1992 im Vergleich zu 1989 ein höheres zu Steuerleistungen herangezogenes Einkommen.
Nun nehmen wir Hamburgs reichsten Stadtteil, Nienstedten an der Elbe. 1989 betrug das zu versteuernde Jahreseinkommen dort durchschnittlich 316250 DM und 1992 178511 DM.
Es ist die „Bild"-Zeitung, die schreibt: Es wurde nicht weniger verdient, sondern es wurden nur weniger Steuern gezahlt.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, das alles geschieht legal.
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Ich habe deswegen, von seiten der CDU/CSU und F.D.P. wochenlang öffentlich massiv kritisiert, vor Jahren gesagt, nur noch etwa die Hälfte der Hamburger Millionäre zahle Einkommensteuern. Dabei wurde ich von Ihnen massiv kritisiert.
Nun hat der Bundesminister der Finanzen vor wenigen Wochen vor dem Deutschen Städtetag in Hamburg vor 2000 Oberbürgermeistern gesagt, inzwischen, rückblickend, müsse man ja feststellen, an dieser Bemerkung von mir damals sei mehr als nur ein Körnchen Wahrheit gewesen.
Lieber Herr Stoltenberg, wegen der Auslandsinvestoren, die wir wieder stärker ins Land holen müssen,
und wegen der Gerechtigkeit bei der Heranziehung zu Steuersätzen
brauchen wir allerdings auch für die Zukunft dieses Landes eine Steuer- und Abgabenreform, aber Ihre nicht.