Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Sondersitzung des Deutschen Bundestages befaßt sich auch mit den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses, der gestern seine Beratungen abgeschlossen hat. Die Bürger unseres Landes haben jetzt Anspruch, umfassend darüber informiert zu werden, wie es weitergeht.
Mit dem heutigen Beschluß über die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform schafft der Deutsche Bundestag Rechtssicherheit für die Unternehmen und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Gewerbekapitalsteuer wird nicht eingeführt; die vorbereiteten Vorauszahlungsbescheide werden nicht am 15. August an die Unternehmen in den neuen Ländern versandt. Schon deswegen, meine Damen und Herren, ist diese Sitzung notwendig und gerechtfertigt und dient dem Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern.
Mit dem Wegfallen der Gewerbekapitalsteuer wird nach der Vermögensteuer die letzte Arbeitsplatzvernichtungssteuer abgeschafft. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis des Vermittlungsausschusses der letzten Woche. Ich danke allen, die an diesen Verhandlungen aktiv oder passiv beteiligt waren.
Die Einigung kam buchstäblich in letzter Minute. Ein weiteres Verschieben hätte unweigerlich die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern nach sich gezogen. Vorauszahlungsbescheide lagen versandbereit in den Schubladen. Ich möchte meinen Respekt insbesondere gegenüber Ministerpräsident Vogel aus Thüringen zum Ausdruck bringen, der wie ein Löwe dafür gekämpft hat, daß diese falsche Steuer in seinem Bundesland und auch in anderen neuen Bundesländern nicht erhoben werden muß.
Ich möchte mich, Herr Voscherau, obwohl Sie nachher wahrscheinlich schlecht über mich reden, auch für Ihren Anstoß bedanken. Dies will ich nicht verschweigen.
Gemeinsam mit dem Wegfall der Vermögensteuer ist die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ein wichtiges Signal. Die Standortqualität Deutschlands hat sich dadurch wesentlich verbessert. Wir haben unsere Position im internationalen Investitionswettbewerb gestärkt.
Aus Gesprächen mit Wirtschaftsführern wissen wir: Die endgültige Abschaffung der Substanzsteuern wird viele Investitionsentscheidungen positiv beeinflussen. Die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen wird gefördert. Diejenigen, die das immer als ganz wichtiges Signal für den Standort Deutschland angesehen und gefordert haben, sind nun am Zug, entsprechend zu handeln, im Interesse der Arbeitslosen und im Interesse derer, die ihren Arbeitsplatz gesichert sehen wollen.
Auch die Kommunen sind Gewinner der Reform. Die Steuerbasis der Gemeinden wird durch die im Grundgesetz verankerte Beteiligung an der Umsatzsteuer dauerhaft gesichert. Mit einem Anteil von 2,2 vom Hundert an der Umsatzsteuer wird der Einnahmeausfall durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer mehr als kompensiert.
Für das laufende Jahr erhalten die Gemeinden in den neuen Ländern neben den bereits vorhandenen Möglichkeiten für zinsgünstige Kredite einen weiteren Ausgleich für entgangene Einnahmen. Bund und Länder verzichten auf die Gewerbesteuerumlage in entsprechender Höhe.
Für durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer besonders betroffene Gemeinden gibt es einen speziellen Ausgleichsmechanismus. Die Länder können bis zu 20 vom Hundert des gemeindlichen Umsatzsteueranteils für durch die Reform besonders betroffene Gemeinden heranziehen.
Von den kommunalen Spitzenverbänden weiß ich: Die Gemeindefinanzreform und die Beteiligung an
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
der Umsatzsteuer wurden als eine historische Chance verstanden. Wir haben damit die Gemeinden in ganz Deutschland auf eine bessere qualitative und quantitative Basis gestellt. Ich bin überzeugt, daß wir damit einen sehr kommunalfreundlichen Akt vollzogen haben.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer stand schon lange auf der politischen Tagesordnung. Mit dem Steueränderungsgesetz 1992 haben wir als ersten Schritt Entlastungen bei den substanzbelastenden Steuern, insbesondere bei der betrieblichen Vermögensteuer und bei der Gewerbeertragsteuer, durchgesetzt. 1993 folgte mit dem Standortsicherungsgesetz der zweite Schritt zur Strukturverbesserung der Unternehmensteuern. Im Mittelpunkt stand die Senkung der Körperschaftsteuersätze und des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte. Die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kann jetzt endlich in Kraft treten.
Nur, meine Damen und Herren, wir können uns bei der großen Steuerreform fünf Jahre Lern- und Überlegenszeit wie bei der Gewerbekapitalsteuer nicht leisten. Es darf nicht noch einmal Jahre dauern.
Wir beraten heute ein Vermittlungsergebnis über den sogenannten Restanten des Jahressteuergesetzes 1996, ein Vorschlag, der bereits 1995 als Gesetzentwurf vorlag. Zu einer Zustimmung zur Unternehmensteuerreform sahen sich die SPD-regierten Länder auch damals nicht in der Lage. Ein Jahr später, im Herbst 1996, wurde die Zustimmung zur Abschaffung abermals verweigert, da wir sie mit dem Erhalt einer anderen substanzverzehrenden Steuer, nämlich der Vermögensteuer, hätten erkaufen müssen. Das haben wir nicht getan.
Es ist bedauerlich, aber in der Steuerpolitik ist die SPD unkalkulierbar.
Vermeintliche Argumente werden vorgeschoben; Machtkalkül bestimmt die Verhandlungen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns davon nicht entmutigen lassen. Die Steuerpolitik gerade mit Ihnen erinnert mich an Max Weber, der Politik als „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" definiert hat. Das haben wir Ende der 70er Jahre beim ideologischen Grabenkampf der SPD gegen die Abschaffung der arbeitsplatzvernichtenden Lohnsummensteuer erlebt. Das gleiche Schauspiel vollzog sich in den vergangenen Jahren bei der Gewerbesteuerreform.
Zur Steuerreform - das ist jetzt der bedauerliche Aspekt dieser Sondersitzung - ist es im Ausschuß zu keiner Einigung gekommen. Warum nicht? Bei aller
Kompromißbereitschaft der Koalitionsseite stand schon vor Beginn der Verhandlungen - -
- Sie können doch überhaupt nicht bestreiten, daß wir jede Möglichkeit gesucht haben, zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.
Sie hatten keine Abschlußvollmacht. Am Tisch saßen zwar Mandatsträger; sie hatten aber nicht das Mandat ihres Parteivorsitzenden. Es ist traurig, daß frei gewählte Ministerpräsidenten, Finanzminister oder Bundestagsabgeordnete hier nicht das tun, was richtig ist und was sie als richtig ansehen, sondern ihre Überzeugung und das Gemeinwohl auf dem Altar der Parteitaktik des SPD-Vorsitzenden opfern.
Wo waren in der letzten Woche die Matadore, die sich permanent öffentlich äußern? Es wäre eigentlich Ihre Pflicht gewesen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, auch im Vermittlungsausschuß persönlich zugegen zu sein. Der Ministerpräsident des Saarlandes empfängt für sein Land viel Solidarität in der Bundesrepublik Deutschland; ich denke hier etwa an den Finanzausgleich. Sie schulden dem Bund und dem Gemeinwohl auch Solidarität, die Sie ihnen gerade in den letzten Wochen verweigert haben. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf.
Wo war der Ministerpräsident Schröder, als es um die Steuerreform ging?
In Interviews zur inneren Sicherheit gebärdet er sich wie August der Starke. Wenn es aber um die Steuerreform, um Arbeitsplätze geht, dann verhält er sich wie eine Mickymaus.
Auch Ministerpräsident Rau und das große Land NRW waren bei den Diskussionen im Grunde nicht vertreten. Wo war Ministerpräsidentin Simonis, sonst um starke Worte nie verlegen? Im Vermittlungsausschuß hätte sie Gelegenheit gehabt, das Steuerprogramm der SPD Schleswig-Holstein zu vertreten, das immerhin eine Absenkung des Körperschaftsteuersatzes für thesaurierte Gewinne vorsah.
In einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung" am 1. August 1997 sagte der SPD-Vorsitzende Lafontaine:
Daß wir die Steuerpläne der Koalition gestoppt haben, entspricht dem Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung.
- Ich wäre mit dem Beifall vorsichtig; denn ich werde Ihnen gleich noch ein Zitat vorhalten.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Im Bundesrat sagte Ministerpräsident Oskar Lafontaine am 12. September 1996:
Wir brauchen eine grundlegende Reform der Lohn- und Einkommensteuer, und zwar nicht erst 1999, sondern zum 1. Januar 1998.
- Moment, Sie werden noch viel Freude an dem Zitat haben. Er sagte des weiteren wörtlich:
Ich habe, wie auch der Kollege Voscherau in der Nachfolge als Koordinator für die Mehrheit dieses Hauses, mehrfach angeboten, über die Ergebnisse der Bareis-Kommission zu verhandeln, die von der Bundesregierung eingesetzt worden ist. Statt dessen schmeißt man deren Ergebnisse in den Papierkorb und kündigt dann an, daß man irgendwann einen neuen Vorschlag machen werde. Ich möchte nur einmal wissen, was dabei herauskommen soll.
Meine Damen und Herren, es ist im höchsten Grade scheinheilig,
am 12. September 1996 nach der Bareis-Kommission zu rufen und danach alles abzulehnen, was von der Bareis-Kommission an Abbau von Steuervergünstigungen vorgeschlagen worden ist.
Im Gegensatz zu Ihrer Meinung, Herr Lafontaine, daß die große Mehrheit der Bevölkerung die Steuerreform nicht wolle, wartet die große Mehrheit der Bevölkerung auf eine solche große Steuerreform. Die Bürger haben längst verstanden, daß es einer grundlegenden Reform unseres Steuersystems bedarf, um unser Land wettbewerbsfähiger zu machen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern.
Die öffentliche Berichterstattung über die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß - das ist ein Menetekel für uns alle - ist verheerend. Ich zitiere nur einige Überschriften: „Verplempert", „Theater ohne Ende", „Gescheitert", „Politische Lähmung", „Gelähmte Republik", „Trauerspiel". Nur, in dem eben erwähnten Interview sagt Herr Lafontaine weiter:
Auch bei uns bleibt die Steuerreform auf der Tagesordnung. Direkt nach der Bundestagswahl werden wir eine Steuerreform machen.
Das nenne ich eine wirklich schlimme Strategie, bewußt eine Reform jetzt nicht durchzuführen, obwohl sie jetzt für die Arbeitsplätze, für die Konjunktur und für die Investitionen notwendig wäre.
Die Folgen dieser Blockade tragen wir nämlich alle: Sie und auch wir, die Ministerpräsidenten Rau, Eichel, Beck, Schröder und Stolpe, die Ministerpräsidentin Simonis und der Erste Bürgermeister Scherf. Ich frage mich und auch Sie: Wie lange wollen Sie sich Ihrer Mitwirkungspflicht für das Gemeinwohl entziehen und sich der Strategie Ihres Parteivorsitzenden unterwerfen?
Die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu, die Schar der Nichtwähler wird größer, und extreme Strömungen könnten wieder Zulauf erhalten. Weder Sie noch wir, noch Demokraten und demokratische Parteien werden von dieser Strategie profitieren. Darum fordere ich Sie auf, mit dieser Strategie Schluß zu machen und wieder zum gemeinsamen Arbeiten für das Gemeinwohl zurückzukehren.
Der DGB-Vorsitzende Schulte bewertet ein Scheitern der Steuerreform für die deutschen Arbeitnehmer als fatal und kündigt höhere Lohnforderungen an. Der Vorsitzende der IG Chemie, Schmoldt, ruft die Bevölkerung zu einer Protestwelle gegen die deutschen Politiker auf, „damit wir" - ich zitiere wörtlich - „im zweiten Vermittlungsverfahren endlich eine Steuerreform verabschieden". Ich glaube, Herr Hennemann in der „Süddeutschen Zeitung" trifft das Stimmungsbild in Deutschland, wenn er am 31. Juli die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß wie folgt kommentiert: Es ist „erschreckend ... , weil dieser Vorgang die Mehrheit der Bürger und Wähler in ihrem Eindruck bestätigen wird, daß sich das politische System in Deutschland inzwischen selbst lahmlegt und es insofern als ziemlich sinnlos erscheinen kann, überhaupt noch zu wählen".
Wir sind wirklich uns, unserem Gewissen und unserem Auftrag schuldig, daß wir Ende dieses Monats oder Anfang des nächsten Monats notwendige Entscheidungen treffen, um damit klarzumachen, daß wir im Interesse der Menschen handeln und nicht irgendeiner Parteistrategie verantwortlich sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den grundlegenden Zielen einer Steuerreform besteht durchaus parteiübergreifender Konsens. Eine Steuerreform, die den Namen verdient, muß mit einer deutlichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des Spitzensteuersatzes verbunden sein.
Steuersätze von 20 und 40 Prozent sind dabei anstrebenswert. - Von wem ist der Satz? Er könnte von mir sein, aber er ist von Heinz Schleußer. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wie schnell Sie sich von dem verabschiedet haben, was noch vor einem Jahr bei Ihnen fast steuerpolitischer Konsens war.
Durch eine grundlegendere Reform der Einkommensbesteuerung muß das Steuerrecht einfacher und gerechter gestaltet werden. Dabei müssen die Steuersätze spürbar gesenkt werden. - Zu dieser Erkenntnis kam dieselbe Person.
- Das ist erst der zweite Zuruf. Sie müssen wissen, Herr Tauss, das hat das Präsidium der SPD bereits im September 1996 gesagt. Sie haben das offensichtlich damals nicht zur Kenntnis genommen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Zumindest der SPD-Managerkreis will dies nicht akzeptieren.
In seinem jüngsten Thesenpapier zu Bedeutung und Umfang einer Steuerreform fordert er einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzensteuersatz um 40 Prozent sowie niedrigere Körperschaftsteuersätze. Folgen Sie wenigstens den Managern, die in Ihrer Nähe sind und Ihnen diesen Rat gegeben haben!
Der finanzpolitische Koordinator, Bürgermeister Voscherau, meint nun, wir könnten uns eine Steuerreform nicht leisten, da die Einnahmeverluste zu hoch seien. Nur, Herr Kollege Voscherau, das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen uns eine Steuerreform leisten, um die Steuererosion nicht weiter fortschreiten zu lassen und die Steuereinnahmen auf eine verläßliche Basis zu stellen.
Die unbefriedigende Entwicklung der Steuereinnahmen der letzten Jahre zeigt: Die Steuerreform ist notwendiger denn je. Nach jüngsten Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würden Bund, Länder und Gemeinden 135 Milliarden DM an Steuereinnahmen allein in den nächsten vier Jahren verlieren, wenn die Steuerreform nicht kommt. Eine grundlegende Strukturreform des deutschen Steuerrechts ist überfällig. Unternehmer haben in den letzten Jahren zunehmend Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Gewinnsteuern genutzt. Die intensive Ausnutzung von Steuerersparnissen oder die legale Steuervermeidung etwa in Form der Gewinnverlagerung ins Ausland gehören zu den normalen Geschäften. Wer wie Sie, Herr Voscherau, beklagt, daß die Millionäre in Hamburg keine oder fast keine Steuern zahlen, der darf nicht noch einmal ein oder zwei Jahre warten, bis die Steuerschlupflöcher endlich geschlossen werden. Das erfordert Ihre Mitwirkung.
Solange sich die Gewinnüberlegungen angesichts hoher Steuersätze stärker an Steuerersparnis und Steuervermeidung orientieren, werden arbeitsplatzschaffende Investitionen in Deutschland auf sich warten lassen und auch die Gewinnsteuern auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau verharren. Dieses Problem kann nur durch eine durchgreifende Tarifreform, wie von der Steuerreformkommission vorgeschlagen, gelöst werden. Wir brauchen einen niedrigeren Eingangssteuersatz, damit die Arbeitsaufnahme attraktiver wird. Wir brauchen einen niedrigeren Spitzensteuersatz, damit die Steuern in Deutschland und nicht im Ausland gezahlt werden. Wir brauchen niedrigere Gewinnsteuersätze sowohl beim thesaurierten wie auch beim ausgeschütteten Gewinn, damit Deutschland wieder als Investitionsstandort für ausländische Unternehmen an Attraktivität gewinnt und das Kapital nicht einen Bogen um Deutschland macht. Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit mehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nach dem günstigsten Steuersparmodell.
Das Steuerreformkonzept der Koalition ist überzeugend und wird von Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt.
Auch kritische Beobachter der Gewerkschaften halten die generelle Ausrichtung der Steuerreform für richtig.
Die Finanzierung unserer geplanten Tarifsenkung besteht aus drei Elementen: einmal einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in einem Volumen von rund 55 Milliarden DM, dann der Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern in der Größenordnung eines Mehrwertsteuerpunktes und dann den Selbstfinanzierungseffekten durch reforminduzierte Wachstums- und Beschäftigungswirkungen. Dazukommen muß eine Nettosteuerentlastung in vertretbarer Größenordnung. Wer hier nur statisch denkt, wer glaubt, man könne Zahlenreihen einfach fortschreiben, der wird sich wundern: Dann wird die Steuererosion noch weitergehen; sie wird nicht gestoppt, und es wird schon gar nicht Abhilfe geschaffen werden können.
Über Nettoentlastung wird zu oft statisch diskutiert. Auch hier haben wir den Versuch gemacht - der Kollege Repnik hat das getan -, Ihnen entgegenzukommen, und eine geringere Summe der Nettoentlastung ins Gespräch gebracht. Aber auch darauf kam von Ihnen keinerlei Reaktion.
Fast zeitgleich zu den Diskussionen, die wir hier führen, einigen sich ein republikanisch dominierter Kongreß und ein demokratischer Präsident in Amerika auf ein gemeinsames Programm über Steuererleichterungen und einen ausgeglichenen Haushalt.
Während die Skandinavier, die Niederländer und die Briten ihre Hausaufgaben gemacht haben und die Beschäftigung wächst, sieht man die deutsche Reformunfähigkeit im Ausland mit Spott und mit Schadenfreude.
Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es noch mehr als ein Jahr. So lange darf es bei der Steuerreform keinen Stillstand geben. Wir sind unserer Verantwortung gerecht geworden und werden das Notwendige tun. Ursprünglich wollten wir eine solche große Steuerreform zum 1. Januar des Jahres 2000. Wir haben sie um ein Jahr vorgezogen. Mitte des letzten Jahres wurde die Steuerreformkommission eingesetzt. Am 23. Januar dieses Jahres hat die Kommission ihre Petersberger Steuervorschläge vorgestellt. Der Referentenentwurf wurde erarbeitet. Die Anhörungen haben stattgefunden. Die Gesetzentwürfe wurden eingebracht. Die Steuergesetze wurden im Finanzausschuß intensiv beraten. Hier im Deutschen Bundestag wurden die Steuergesetze diskutiert und noch vor der Sommerpause verabschiedet.
Auch wenn im Vermittlungsausschuß keine Einigung gefunden werden konnte, werden wir nicht aufgeben. Unser Land braucht noch in dieser Legislaturperiode einen Beschluß über eine Steuerreform.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wir sind zu einem Kompromiß bereit. Wir wollen aber keinen faulen Kompromiß. Der Lohn- und Einkommensteuertarif muß durchgängig gesenkt werden.
Über die Eckpunkte läßt sich reden.
Im Interesse unseres Landes appelliere ich an die Vertreter der SPD: Überdenken Sie Ihre Strategie. Die Arbeitnehmer und die Arbeitsuchenden - nicht nur im Saarland und in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland - werden es Ihnen danken.
Der Appell von Bundespräsident Professor Roman Herzog, den Reformstau zu überwinden, darf nicht verhallen. Er sagt allerdings auch, zu den Steuergesprächen aber falle ihm nichts mehr ein. Mir fällt zu den Steuergesprächen aber eine ganze Menge ein. Einen Teil dessen habe ich versucht zum Ausdruck zu bringen. Hält der Reformstau weiter an, darf sich niemand wundern, wenn der Ruf nach einer Verfassungskorrektur laut wird. So hat der Politologe Fritz Scherpf beklagt, es gebe - mit der möglichen Ausnahme der Schweiz - kein anderes Land, in dem so viele Instanzen mit Verhinderungsmacht ausgestattet seien.
Unsere föderale Grundordnung hat sich bewährt. Sie wurde von den Vätern des Grundgesetzes nicht dafür geschaffen, parteipolitische Blockade zu betreiben.
In den 50er und 60er Jahren, aber auch in den 70er und 80er Jahren gab es bewegende Diskussionen zwischen Bundestag und Bundesregierung auf der einen Seite und einer anderen Mehrheit im Bundesrat auf der anderen Seite. Aber nie hat eine Bundesratsmehrheit in den 50er Jahren - zeitweilig eine Mehrheit der SPD - oder in den 70er oder 80er Jahren - Anfang der 80er Jahre eine Mehrheit von uns - etwas Großes, Wichtiges scheitern lassen.
- Nein! - Der frühere Finanzminister
- der von 1974 bis 1978; Sie wissen es ganz genau, er kommt aus Hamburg wie Sie, Herr Kollege - hat neulich bei der Vorstellung eines Buches gesagt, auch er habe es als damaliger Finanzminister gegen eine Mehrheit von CDU/CSU im Bundesrat nicht einfach gehabt. Aber er hat hinzugefügt, in entscheidenden Fragen sei es nie zu einer Blockade gekommen. Denn auf der anderen Seite habe es einen Ministerpräsidenten namens Stoltenberg gegeben, der sich letztlich nie dem Gemeinwohl versagt habe und dafür gesorgt habe, daß es zu einvernehmlichen Lösungen gekommen sei. Die gleiche Haltung erwarten wir jetzt auch von Ihnen.
Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof hat recht, wenn er sagt, der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates sei ein Vorbehalt in Länderinteressen, nicht in den Bundesinteressen von Landesfürsten. Deshalb appelliere ich noch einmal an die SPD-Ministerpräsidenten. Denken Sie verantwortungsbewußt an die Arbeitsplätze von heute und morgen, für diese und für die kommenden Generationen. Die Steuerreform muß kommen!
Ich danke Ihnen.