Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Beratungspunkte ergänzt werden, die Ihnen in der Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" vorliegen:1. Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer rd. 78,5 ha großen Teilfläche des ehem. Flugplatzes Eschborn/Taunus an das Land Hessen
Überweisungswunsch: Haushaltsausschuß2. Beratung der Ergänzung zum Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer 2 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Ge-landes an der Dachauer Straße in München an den Freistaat Bayern
Überweisungswunsch: Haushaltsausschuß3. Erste, zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hasinger, Dr. Hammans, Frau Schleicher, Burger, Dr. Becker , Frau Dr. Neumeister, Frau Karwatzki, Dr. Meyer zu Bentrup und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Hebammengesetzes (Drucksache 8/4356)Zusatzpunkt 3 soll nach Punkt 6 der Tagesordnung behandelt werden. Am Donnerstag soll Punkt 13 der Tagesordnung vor Punkt 11 aufgerufen werden. Ist das Haus mit der so geänderten Tagesordnung einverstanden? — Kein Widerspruch. Damit ist so beschlossen.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. Juni 1980 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Zweites Gesetz zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer GesetzeZweites Gesetz zur Änderung der BundeshaushaltsordnungGesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 28. Juni 1978 über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schußwaffen durch EinzelpersonenZweites Gesetz zur Änderung des WaffengesetzesZweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 — 2. FStrAbÄndG — Gesetz über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1980 Gesetz zu dem Abkommen vom 21. Dezember 1979 zwischen der Regierung der Budesrepublik Deutschland und der Regierung derDeutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des VeterinärwesensGesetz zu dem Genfer Protokoll von 1979 zum Allgemeinen Zoll-und HandelsabkommenGesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene FlüchtlingeIn seiner Sitzung am 27. Juni 1980 hat der Bundesrat ferner beschlossen, hinsichtlich der nachstehenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:StaatshaftungsgesetzStrafrechtsänderungsgesetz
Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen
Seine Schreiben werden als Drucksachen 8/4342, 8/4343, 8/4344 und 8/4345 verteilt.Ich rufe zunächst die Zusatzpunkte 1 und 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer rd. 78,5 ha großen Teilfläche des ehem. Flugplatzes Eschborn/Taunus an das Land Hessen— Drucksache 8/4346 —Überweisungswunsch: HaushaltausschußBeratung der Ergänzung zum Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer 2 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Geländes an der Dachauer Straße in München an den Freistaat Bayern— Drucksache 8/4351 —Überweisungswunsch: Haushaltsausschuß
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18522 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Vizepräsident Dr. von WeizsäckerDas Wort wird nicht gewünscht. Interfraktionell ist vereinbart, beide Vorlagen an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf:a) Beratung der Sammelübersicht 73 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/4235 —b) Beratung der Sammelübersicht 74 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. Mai 1980 eingegangenen Petitionen— Drucksache 8/4290 —c) Beratung der Sammelübersicht 75 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/4306 —d) Beratung der Sammelübersicht 76 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/4307 —Das Wort zur Berichterstattung nach § 113 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Meininghaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundestagsdebatte über den schriftlichen Jahresbericht 1979 des Petitionsausschusses am 18. Juni 1980 sind von den Rednern aller Fraktionen grundsätzliche Fragen des Petitionsrechts und allgemeine Probleme aus der Arbeit des Petitionsausschusses behandelt worden. Lassen Sie mich daher in diesem letzten Bericht des Petitionsausschusses der 8. Wahlperiode zunächst ein paar Worte zu einem Schwerpunkt der Bürgeranliegen, nämlich der Sozialversicherung, sagen und sodann einige besonders gravierende Fälle aus den letzten Ausschußsitzungen schildern.Sozialversicherungsprobleme machen mit rd. 16 % aller Petitionen den größten Block aus. Besonders häufig sind Eingaben, in denen sich Bürger über Fehler in der Rentenberechnung beklagen, insbesondere bei der Anrechnung bestimmter Zeiten, z. B. als Ersatz- oder Ausfallzeiten bei der Rentenfestsetzung.Nicht selten werden aber auch allgemeine Fragen der Rentenpolitik angesprochen. Unter anderem war die Besteuerung der Renten Gegenstand zahlreicher Eingaben. Viele Rentner wandten sich gegen die nach ihrer Meinung zu hohe steuerliche Erfassung der Sozialrenten und beanstandeten vereinzelt auch ihre angebliche Doppelbesteuerung. Meistens handelte es sich dabei um weiterarbeitende Rentner bzw. Witwen oder solche, die andere zusätzliche Einkommen hatten.Der Ausschuß konnte sich das Anliegen dieser Mitbürger nicht zu eigen machen. Er wies darauf hin, daß nur der sogenannte Ertragsanteil der Renten besteuert wird. Dieser beträgt z. B. für einen Rentner, der mit 65 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheidet, nur 20 %, so daß die meisten Renten steuerfrei bleiben. Eine steuerliche Belastung tritt nur ein, wenn der Ertragsanteil die Grundfreibeträge übersteigt oder der Rentenempfänger bzw. sein Ehegatte noch andere zu besteuernde Einkünfte hat. In dieser Regelung kann jedoch keine Härte gesehen werden. Vielmehr dient sie der gleichmäßigen Besteuerung aller Mitbürger.Zudem wird weiterarbeitenden Rentnern der Altersfreibetrag und bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Altersentlastungsbetrag gewährt, so daß sie ohnehin nur in geringem Umfange steuerlich herangezogen werden.Im übrigen — um das der Vollständigkeit halber zu sagen — unterliegen auch die Versorgungsbezüge der Beamten bis auf einen begrenzten Freibetrag voll der Einkommensteuer.Oft wurde auch eine sogenannte Doppelbesteuerung beanstandet — einerseits der Beiträge, andererseits der Renten. Wir mußten dann den Petenten deutlich machen, daß die Beiträge des Arbeitnehmers zur gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der Regelungen für den Sonderausgabenabzug steuerfrei sind, so daß hier von einer Doppelbesteuerung nicht gesprochen werden kann.Eine im vergangenen Jahr — von wem auch immer — entfachte Diskussion über eine stärkere steuerliche Belastung der Renten war für viele Rentner Anlaß, sich besorgt an den Ausschuß zu wenden. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß kein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich betonen, daß für die Rentner kein Grund zur Unruhe besteht. Eine allgemeine höhere Besteuerung der Renten ist in allen drei Bundestagsfraktionen nicht beabsichtigtLassen Sie mich nun über drei besonders interessante Beschlüsse des Ausschusses aus den letzten Monaten berichten, über Eingaben, die wir der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen haben, also mit dem dringenden Ersuchen, dem Anliegen des Petenten zu entsprechen: Ein sehr grundsätzliches Problem wurde in der Petition eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst aufgeworfen. Es geht darum, daß das Benachteiligungsverbot für Personalräte unbedingt streng eingehalten werden muß. § 8 des Bundespersonalvertretungsgesetzes schreibt ausdrücklich vor, daß einem Personalratsmitglied aus seiner Personalratstätigkeit keine Vorteile, aber auch keine Nachteile erwachsen dürfen. Dies gilt natürlich nicht zuletzt für die dienstliche Beurteilung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18523
MeininghausIn dem uns vorliegenden Fall war ein Personalratsvorsitzender eine volle Stufe schlechter beurteilt worden als zwei Jahre vorher. In manchen Einzelnoten wurde er sogar um zwei Stufen herabgesetzt, so beispielsweise ausgerechnet bei dem Beurteilungsmerkmal „Sozialverhalten". Man sollte meinen, daß soziales Verhalten bei einem Personaloder Betriebsratsmitglied besonders gut ausgeprägt sein muß, wenn er von seinen Kollegen überhaupt gewählt werden will. Der Betroffene ist der Überzeugung, daß die Beurteilung von Auseinandersetzungen beeinflußt worden ist, die er als Personalratsvorsitzender mit seinem Vorgesetzten zwangsläufig gehabt hat.Was seine Leistungen angeht, betonte er, daß er für seine Personalratstätigkeit ca. 20 % seiner Dienstzeit habe aufwenden müssen. Die dadurch bedingte Minderleistung hätte ihm hier nicht angelastet werden dürfen. Offensichtlich war das aber der Fall.Nach eingehender Diskussion vertrat der Ausschuß die Auffassung, daß im Hinblick auf den hohen Rang des Personalvertretungsgesetzes an die Beurteilung von Personalratsmitgliedern ein besonders kritischer Maßstab anzulegen sei und auf alle Fälle vermieden werden müsse, daß diese Mitarbeiter wegen des mit der Personalratstätigkeit zwangsläufig verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes schlechter beurteilt würden. Auch sei zu befürchten, daß unter solchen Umständen die Bereitschaft für eine derartige Tätigkeit sinken könne.Ein Vertreter der Bundesregierung, der zur Anhörung der Ausschußsitzung beiwohnte, räumte ein, daß bei der Beurteilung eine Benachteiligung des Petenten wegen seiner Personalratstätigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Die Eingabe wurde der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen mit dem Ziel, die Beurteilung unbeachtet zu lassen und sie aus den Personalakten zu entfernen. Wir sind sicher, daß solches auch geschehen wird.Um Bekämpfung des Rauschgifthandels einerseits und Schwierigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis andererseits ging es in einer weiteren Eingabe, die der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen worden ist. Der Polizei war ein Hinweis gegeben worden, daß bei einer bestimmten Stelle eine große Menge Haschisch lagere, das verbotswidrig eingeführt worden sei. Die rund 1 200 kg Haschisch wurden tatsächlich von der Polizei gefunden. Außerdem wurde Bargeld in Höhe von 65 000 DM sichergestellt.Der Informant, der bisher lediglich 2 000 DM Belohnung erhalten hatte, bat um eine angemessenere Belohnung. Es gibt zwar „Grundsätze und Richtwerte für die Bezahlung von V-Leuten in Rauschgiftsachen" von einer Unterkommission der Innenministerkonferenz. Danach hätten dem Hinweisgeber rund 40 000 DM zugestanden. Das Land Nordrhein- Westfalen einerseits und der Bund andererseits hielten sich aber bedauerlicherweise beide für unzuständig für eine weitere Belohnung.Der Petitionsausschuß ist der Auffassung, daß die Belohnung von 2 000 DM in einem krassen Mißverhältnis zu den beschlagnahmten Werten und demabgewendeten Schaden steht und auf keinen Fall ausreicht. Man kann nicht immer wieder von Rauschgiftbekämpfung reden und im konkreten Einzelfall die angemessene Belohnung für die Aufdeckung eines Rauschgiftdelikts am Kompetenzstreit der Behörden scheitern lassen.
Wir haben daher die Bundesregierung eindringlich gebeten, für eine ausreichende Belohnung zu sorgen, und ihr die Petition zur Berücksichtigung überwiesen.Inzwischen hat die Bundesregierung immerhin angeboten, dem Informanten 10 % des gefundenen Bargeldes auszuzahlen, wie es bei der Aufklärung von Abgabedelikten üblich ist, in diesem Fall also weitere 6 500 DM. Wir nehmen das befriedigt zur Kenntnis. Die Bundesregierung will darüber hinaus entsprechend unserer Aufforderung in der Innenministerkonferenz darauf hinwirken, daß die von mir bereits erwähnten Grundsätze in allen Bundesländern verbindlich gemacht werden.
Ein nicht geringer Teil der Petitionen bezieht sich auf unsere Gesetzgebung, enthält also Kritik oder Änderungsvorschläge und zeigt uns, daß sich manche Gesetze in der Praxis anders auswirken, als es vom Gesetzgeber gewollt ist. Einen solchen Wunsch zur Änderung eines Gesetzes haben wir kürzlich der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen mit der Bitte, möglichst rasch einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten und ihn bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit, also möglichst zu Beginn der 9. Wahlperiode, den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegen.Zugrunde liegt ein besonders trauriges Schicksal der Betroffenen. Der Petent und seine beiden jüngeren Geschwister verloren vor zwei Jahren ihre Eltern durch einen Flugzeugabsturz. Der etwa 20jährige Petent wurde anschließend zum Vormund seiner beiden jüngeren Geschwister, mit denen er zusammenlebt, bestellt. Er hat sich nun bei uns darüber beklagt, daß ihm als alleinstehendem Vollwaisen nach dem Bundeskindergeldgesetz kein Kindergeld zustehe, da Vollwaisen, die einen eigenen Haushalt führen, von der Kindergeldzahlung ausgeschlossen sind.Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit steht dem Anliegen positiv gegenüber. Es hat uns mitgeteilt, daß es ursprünglich beabsichtigt habe, die Einführung eines Kindergeldes für alleinstehende Vollwaisen noch in dieser Legislaturperiode vorzuschlagen. Man habe dieses Problem aber nicht mehr in den Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes 1981 einbauen können. Auch der Finanzausschuß sah sich während der Beratungen zum Steuerpaket nicht in der Lage, dieses Themanoch aufzugreifen.Da der Petitionsausschuß eine entsprechende gesetzliche Regelung für dringend erforderlich hält, hat er die Eingabe nunmehr der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen mit dem Ziel, daß
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18524 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Meininghausbaldmöglichst eine entsprechende Gesetzesinitiative eingebracht wird.In der Sammelübersicht 75 finden Sie insgesamt 79 Eingaben zum Thema Tierschutz. Die Einsender haben darin die Einstellung bzw. die Reduzierung der Tierversuche insbesondere durch Auswertung der im In- und Ausland erzielten Tierversuchsergebnisse gefordert.Der Bundestag hatte im Februar 1979 auf Grund einer Empfehlung des Petitionsausschusses bereits eine Reihe von Eingaben ähnlichen Inhalts der Bundesregierung als Material für die Beratung im Europarat überwiesen. Wir haben die neuerlichen Eingaben sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß derzeit eine Änderung des Tierschutzgesetzes mit dem Ziel, Tierversuche zu verbieten, nicht empfohlen werden kann. Wir sind andererseits der Auffassung, daß durch die weltweite Auswertung der von anderen Ländern bereits durchgeführten Tierversuche die Zahl der Tierversuche in der Bundesrepublik Deutschland erheblich eingeschränkt werden kann. Da die Bundesregierung bereits entsprechende Vorhaben in Angriff genommen hat, empfehlen wir, ihr die Eingaben als Material zu überweisen. Wir haben in der Begründung zugleich den Standpunkt vertreten, daß die Öffentlichkeit eingehender und umfangreicher sowohl über die Notwendigkeit von Tierversuchen als auch über die Bemühungen, diese Tierversuche einzuschränken, unterrichtet werden sollte.Ich bitte nunmehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, um Ihre Zustimmung zu den vorliegenden Sammelübersichten. — Ich danke Ihnen.
Anderweitig wird das Wort nicht gewünscht Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/4235, 8/4290, 8/4306 und 8/4307, die in den Sammelübersichten 73 bis 76 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP
Asylrecht
— Drucksachen 8/3753, 8/4278 —
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Erhard , Dr. Dregger, Dr. Stark (Nürtingen), Spranger, Dr. Laufs, Dr. George, Neuhaus, Biehle, Niegel, Dr. Wittmann (München), Dr. Jobst, Dr. Warnke, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU Asylverfahren und Unterbringung der Asylbewerber
— Drucksachen 8/4126, 8/4279 —
c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens
— Drucksache 8/4227 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksachen 8/4339, 8/4353 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Spranger Dr. Penner
Bühling
Dr. Wendig
d) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Spranger, Dr. Wittmann , Dr. Bötsch, Regenspurger, Broll, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Laufs, Volmer, Wimmer (Mönchengladbach) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens
— Drucksache 8/3402 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksachen 8/4339, 8/4353 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Spranger Dr. Penner
Bühling
Dr. Wendig
Im Ältestenrat ist verbundene Debatte vereinbart worden. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine schreckliche Barbarei, die es in diesem Ausmaß in früheren Jahrhunderten nicht gegeben hat, erschüttert seit einigen Jahrzehnten die Welt. In den 30er Jahren waren es vor allem rechtsfaschistische Regime; seit dem Ende des zweiten Weltkriegs sind es vorwiegend kommunistisch-sozialistische, also linksfaschistische, Regime, die Millionen Menschen ermorden und Abermillionen aus ihrer Heimat vertreiben. 1945 waren es die Ostdeutschen, die gegen jedes Völkerrecht und jede Humanität aus ihrer Heimat unterschiedslos nur deshalb vertrieben wurden, weil sie Deutsche waren. Dabei wurden 2,2 Millionen Menschen umgebracht; über 12 Millionen erreichten den Westen. Insgesamt waren es 14 Millionen Menschen, die von diesen Verbrechen betroffen wurden.Zur Zeit ist etwa die gleiche Zahl betroffen. 15 Millionen Menschen aus den Elends- und Krisengebieten der Dritten Welt suchen eine neue Heimat. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Herr Bargatzki, hat unsere Zeit als das Jahrhundert der Flüchtlinge bezeichnet, und zwar mit Recht. Viele dieser Menschen drängen in die westlichen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18525
Dr. DreggerIndustriestaaten. Wir müssen ihnen helfen, und es geschieht in dieser Hinsicht gewiß zu wenig.Hilfe ist jedoch nicht in der Weise möglich, daß wir diese Armen unterschiedslos in unser Land aufnehmen. Unser Land hat auf Grund des Landhungers der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg über 200 000 qkm seines Staatsgebiets verloren. In seinem verkleinerten Staatsgebiet hat es inzwischen über 15 Millionen deutsche Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler aufgenommen. Dazu kommen über vier Millionen Ausländer, die zur Zeit in unserer Mitte leben. Sie machen inzwischen 7 % der Gesamtbevölkerung aus. Unsere weitere Aufnahmefähigkeit ist nicht unbegrenzt. Wir müssen daher unterscheiden: Politisch Verfolgten — der Akzent liegt hier auf dem Wort „politisch" — wollen und müssen wir Asyl gewähren. Dieses großartige Grundrecht unserer freiheitlichen Demokratie darf nicht durch Mißbrauch in Verruf geraten und anschließend in Frage gestellt werden.
Den anderen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, zum Teil entsetzlich schlecht geht, müssen wir vor allem in ihrer Heimat, gegebenenfalls in ihrem Kulturkreis helfen, also in Asien und Afrika. In unserem so sehr verkleinerten und übervölkerten Land können wir nur so viele aufnehmen, wie wir hier tatsächlich verkraften können. Dies ist eine Frage des Arbeitsmarktes, eine Frage der Aufenthaltsdauer. — Bei einer Rotation können sehr viel mehr Menschen aufgenommen werden als bei einer Integration. — Dies ist auch eine Frage der Integrationsfähigkeit derer, die hier auf Dauer bleiben wollen und bleiben sollen und daher integriert werden müssen, wenn nicht schwere Schäden für sie selbst, ihre Kinder und auch für ihre Umgebung entstehen sollen. Daß das z. B. bei Muslims und Hindus schwieriger ist als bei Christen, haben unsere europäischen Nachbarstaaten feststellen müssen.. Die Molukker in den Niederlanden sind nicht zu integrieren. Die Integration der Inder in England ist zum großen Teil nicht gelungen. Es geht aber nicht nur um die Integrationsfähigkeit, die bei asiatischen und afrikanischen Völkern eine große Rolle spielt. Es geht auch um die zahlenmäßige Aufnahmefähigkeit hier und um die Folgen für die Regionen, die sich entvölkern. Dies spielt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft eine große Rolle. Auf dem Kongreß der europäischen Christdemokraten, der sich in der vergangenen Woche in Lissabon u. a. mit der Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft um Portugal, Spanien und Griechenland beschäftigt hat, habe ich vorgetragen, die volle Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft könne erst hergestellt werden, wenn die Lebensbedingungen der einzelnen Länder einander so genähert seien, daß vom Recht der Freizügigkeit nicht nur in einer Richtung Gebrauch gemacht werde. Es könne nicht der Sinn der Europäischen Gemeinschaft sein, die unterentwikkelten Regionen ausbluten zu lassen und in den hochentwickelten Regionen eine Menschenmassierung herbeizuführen, die nicht zu verkraften sei.
Ich bin mit dieser Ansicht auf keinen Widerspruch gestoßen, auch bei den Portugiesen nicht, die natürlich auch die Gefahr sehen, die sich aus einem Wegzug vieler aktiv Arbeitsfähiger für ihre Zukunft ergibt Entwicklung in der Heimat dieser Menschen setzt allerdings große Anstrengungen bei ihnen selbst, aber auch bei uns voraus. Die Europäische Gemeinschaft wird neue Prioritäten setzen müssen, wenn ihre Politik insgesamt finanzierbar sein soll. Das gilt erst recht, wenn es auch noch zum Anschluß der Türkei an die Europäische Gemeinschaft kommen sollte.Wie man aber auch immer den Zugang und den Zuzug von Ausländern in unser Land aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft oder von außerhalb regeln mag: Das Recht des politischen Asyls darf jedenfalls nicht zum Instrument der Ausländerpolitik verkümmern, meine Damen und Herren.
Wer politisch verfolgt ist, muß bei uns Aufnahme finden. Diese demokratische Errungenschaft darf nicht dadurch gefährdet werden, daß, wie es zur Zeit der Fall ist, sich über 90 % der Antragsteller zu Unrecht auf politisches Asyl berufen, mit dem Ergebnis, daß sie sich bis zu acht Jahren hier in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten können.Was uns besorgt macht, sind nicht nur die Reaktionen der Bevölkerung auf diesen Mißstand, sondern auch eine Nachricht des „Spiegel' vom 16. Juni 1980, der ja über ausgezeichnete Kontakte zur Bundesregierung verfügt.
Im „Spiegel" heißt es — ich zitiere wörtlich —:Nach der Wahl im Oktober, so kündigte der Kanzler im Kabinett an, könne auch das Grundgesetz zur Disposition stehen.
An Art. 16
— so Schmidt —müssen wir ran.Ich würde mich freuen, wenn der Kanzler das glaubhaft dementieren könnte. Bis heute fehlt jedenfalls dazu jedes Dementi.
Ich kündige an: Gegen eine Aushöhlung des Asylrechts für politisch Verfolgte werden wir Christdemokraten mit aller Entschiedenheit Front machen.
Was ist nun geschehen und was konnte geschehen, um die Scheinasylanten von den politisch Verfolgten zu trennen? In der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Asylverfahren heißt es — ich zitiere wörtlich —:Die Zahl der Asylbewerber steigt ständig. Die Steigerung in den ersten Monaten des Jahres 1980 ist besonders auffällig. Diese Entwicklung war weder vorhersehbar noch vorausberechenbar.
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18526 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Dr. DreggerMeine Damen und Herren, diese Antwort ist genauso absurd wie die gesamte Asylpolitik und Ausländerpolitik der Koalition.
Die Not der Menschen, die Barbarei der kommunistischen Regime in unserer Zeit kann auch der Bundesregierung nicht verborgen geblieben sein. Der Bundesregierung kann auch nicht unbekannt gewesen sein, daß die Bundesrepublik Deutschland den Asylbewerbern Rechte und Vergünstigungen einräumt, wie sie sie in keinem anderen Lande der Welt genießen. Lassen Sie mich diese besonderen Rechte und Vergünstigungen aufzählen.Die Bundesrepublik Deutschland räumt verfassungsrechtlich allen politisch Verfolgten der Welt ein unbegrenztes Asylrecht ein; das gibt es in keinem anderen Land der Welt Auch ausländische Asylbewerber genießen bei uns das Grundrecht des Rechtsschutzes durch Gerichte; das gibt es in keinem anderen Lande der Welt. Ausländischen Asylbewerbern wird bei uns im Prozeßverfahren ein dreistufiger Instanzenzug eingeräumt — von der Tatsachen- über die Berufungs- und Revisionsinstanz —, was verfassungsrechtlich nicht geboten, bei uns aber Rechtspraxis ist; das gibt es in keinem anderen Lande der Welt. Wenn über die Anerkennung als politisch Verfolgter in drei Instanzen negativ entschieden ist, beginnt ein Abschiebeverfahren, das ebenfalls wieder in drei Instanzen angefochten werden kann; das gibt es in keinem anderen Lande der Welt. In der Bundesrepublik Deutschland erhält jeder Ausländer Sozialhilfe, die höher ist als in jedem anderen Lande der Welt.Alle diese Rechte und Vergünstigungen machen die Bundesrepublik Deutschland zum „gelobten Land", nicht nur für politisch Verfolgte, sondern mehr noch für diejenigen, die es vorgeben zu sein. Meine Damen und Herren, je mehr sich das in der Welt herumspricht, um so mehr Menschen setzen sich in Marsch. Daraus machen Schlepperorganisationen ein Geschäft. Sie preisen das Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland und die Möglichkeiten seiner Umgehung an und bringen mit Charterflugzeugen und in anderer Weise Großtransporte in unser Land. Daß unter diesen Umständen die Zahl der Asylanten und vor allem der Scheinasylanten in die Höhe schnellt, kann für niemanden, der sich mit dieser Frage vertraut gemacht hat, überraschend sein. Nur die Bundesregierung erklärt — ich zitiere noch einmal —:Diese Entwicklung war weder vorhersehbar noch vorausberechenbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lampersbach?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Dregger, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß dieses Thema eine solche Bedeutung hat, daß mindestens der zuständige Minister im Hohen Hause anwesend sein sollte?
Ich darf das Hohe Haus davon in Kenntnis setzen, daß Herr Minister Baum erkrankt ist und das vorher mitgeteilt hatMeine Damen und Herren, wenn Regieren darin besteht, Entwicklungen vorauszusehen und ihnen rechtzeitig zu begegnen, dann haben die Bundesregierung und insbesondere der Bundesinnenminister auch in dieser Frage wieder einmal ihre Regierungsunfähigkeit unter Beweis gestellt
Nun zu den Zahlen. Seit 1973 ist ein ständiger Anstieg der Zahl der Asylbewerber festzustellen. 1973 waren es 5 289, 1976 11 100 — ich runde ab —, 1977 16 400, 1978 33 100, 1979 52 000 und im ersten Halbjahr 1980 über 70 000, so daß für das gesamte Jahr mit etwa 140 000 bis 150 000 zu rechnen ist Also ein steiler Anstieg.Anders als die Bundesregierung haben wir auf diese Entwicklung rechtzeitig hingewiesen. 1978 und 1979 haben wir Gesetzentwürfe zur Neuregelung des Asylverfahrens vorgelegt Unsere Warnungen und unsere Initiativen blieben jedoch in der Sache unbeachtet. Sie dienten der Koalition und den Vertretern der Bundesregierung in gehabter Manier lediglich dazu, uns zu verleumden und zu diffamieren.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit am Ende der Legislaturperiode einmal zum Ausdruck bringen, daß Ihr Umgang mit der demokratischen Opposition in dieser Wahlperiode häufig sehr undemokratisch gewesen ist
Statt die Probleme zu lösen, haben SPD und FDP der Offentlichkeit weisgemacht, die Entwicklung halte sich in Grenzen und könne ohne weiteres akzeptiert werden. Noch im Februar dieses Jahres hatte Herr Kollege Penner, der ja nachher sprechen wird, die Stirn, den Vorschlag Baden-Württembergs, entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung für Asylbewerber Sammellager einzurichten
— nein, Sie haben recht; das ist schon etwas Besonderes, nicht wahr, Herr Wehner —, mit der Behauptung zurückzuweisen, er sei rechtswidrig und man müsse ihm daher mit Nachdruck entgegentreten. Vielleicht kann Herr Penner im Verlauf der Debatte erläutern, wieso er denn nunmehr den Vorschlag der Koalition, die Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen, als weniger rechtswidrig ansieht
Im übrigen hat es sich hier ja wohl immer nur um ein Scheinproblem gehandelt. Wenn wir unsere deutschen Landsleute, die als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland kommen, in Sammelunterkünften unterbringen, dann verstehe ich nicht, warum wir nicht auch Ausländer in entsprechender Weise unterbringen können.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18527
Dr. DreggerHerr Penner wurde durch den Bundesinnenminister natürlich noch übertroffen. In der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 28. November 1979 erklärte er wörtlich — ich zitiere —:1979 ist der Zuwachs — der Asylbewerber —leicht abgeflacht. Er ist immer noch hoch, etwa auf dem Stand von 1978, wenn man die Vietnam-Flüchtlinge abzieht. Ein dramatischer Zuwachs hat 1979 nicht stattgefunden.Diese Aussage wurde zu einem Zeitpunkt gemacht, als die Asylbewerber den Ausländerämtern die Türen einrannten und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit der Registrierung der springflutartig steigenden Zahl der Anträge nicht mehr nachkam.Noch am 13. Februar 1980 hat Herr Baum in der „Stuttgarter Zeitung" die Vorschläge der Union zur Einschränkung der Arbeitserlaubnis und zum Wegfall des gerichtlichen Berufungsverfahrens als rechtspolitisch nicht tragbar bzw. ausländerfeindlich abgelehnt. Am 6. März 1980 hat er behauptet, die Parallelschaltung des Anerkennungs- mit dem Abschiebeverfahren sei nicht notwendig, weil es in der Bundesgesetzgebung geregelt sei. Vier Monate später, Anfang Juni 1980, war dann plötzlich alles anders.
Was bei uns rechtsstaatswidrig, ausländerfeindlich und überflüssig war, erhielt dadurch eine ganz andere Qualität, daß Herr Baum selbst entsprechende Vorschläge in seinem Sofortprogramm vorlegte,
nämlich eine zeitlich befristete Versagung der Arbeitserlaubnis, eine Einschränkung des Berufungsverfahrens und die gleichzeitige Durchführung von Anerkennungs- und Abschiebeverfahren. Wenn er auch nicht da ist — er wird es aber nachlesen —, so frage ich:
Wie solide ist eigentlich ein Bundesinnenminister, der seine Positionen in Grundsatzfragen so schnell wechselt?
Wie ernst nimmt Herr Baum eigentlich sein eigenes liberales Gewissen?
Nach außen sieht es eher wie eine opportunistische Gaukelei und eine Scharlatanerie aus, was hier vorgeführt worden ist.
Wie gering auch die Koalition die Seriösität ihresInnenministers einzuschätzen scheint, ergibt sichaus der Tatsache, daß ein sogenanntes Sofortprogramm zum Asylrecht vom Bundeskabinett mit der Note ungenügend versehen wurde und in den Papierkorb wanderte. Ist es nicht ein Gebot der Selbstachtung, nach einer solchen öffentlichen Niederlage die Ministerrunde zu verlassen, die diesen Innenminister so wenig beachtet und anerkennt?
Nun stehen wir vor dem Ende der Legislaturperiode, ohne daß etwas Entscheidendes geschehen wäre und ohne daß die Koalition etwas Durchgreifendes vorbereitet hätte. Unsere rechtzeitig vorgelegten Gesetzentwürfe hätten mit der Ruhe und der Sorgfalt beraten werden können, die der Bedeutung des Problems und der hohen Qualität der hier in Frage stehenden Rechtsgüter angemessen ist. Aber das unterblieb. Erst als spürbar wurde, daß die Bevölkerung nicht mehr gewillt ist, die Untätigkeit der Regierenden hinzunehmen,
reagierten Regierung und Koalition mit einem hastigen Gesetzentwurf.
Der Koalitionsentwurf ist in einigen Punkten rechtlich bedenklich und in Systematik und Formulierung unzulänglich. Der überlange Instanzenzug und das überlange Gerichtsverfahren werden nicht abgekürzt, obwohl es keinerlei Gründe gibt, diese langen Verfahren und diesen langen Instanzenzug beizubehalten. Dieses lange Verfahren und dieser lange Instanzenzug sind auch keine Wohltat für die Asylbewerber. Ich stimme dem Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Zeidler, zu, wenn er feststellt — ich zitiere —:Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland treibt mit dem Schicksal der Flüchtlinge Mißbrauch. Es geht nicht an, Menschen über Jahre hinweg in einer persönlichkeitszerstörenden Gammelatmosphäre und Ungewißheit über ihren weiteren Lebensweg schmoren zu lassen.
Der Koalitionsentwurf ändert daran wenig. Wir werden ihn daher ablehnen. Meine Kollegen Spranger und Benno Erhard werden das im Verlauf der Debatte noch im einzelnen begründen.Unser Gesetzentwurf ist verabschiedungsreif. Mit seinen beiden von uns selbst eingebrachten Ergänzungsanträgen zeigt er eine wirksame und rechtsstaatlich einwandfreie Lösung des Problems auf. Wir schlagen vor allem vor: Beim Anerkennungsverfahren soll die Berufungsinstanz wegfallen, das Anerkennungs- und das Abschiebeverfahren sollen gleichzeitig stattfinden, die Grenz- und Ausländerbehörden sollen ermächtigt werden, in Fällen offensichtlicher Aussichtslosigkeit und Rechtsmißbräuchlichkeit eine sofortige Zurückweisung auszusprechen. In diesem Fall soll den Asylbewerbern Rechtsschutz durch die Möglichkeit der Nachprüfung bei einem grenznahen Verwaltungsgericht eingeräumt werden. Den gewerbsmäßigen Schleppern, die die wirtschaftliche Notsituation der Asylbewer-
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18528 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Dr. Dreggerber ausnutzen, soll das Handwerk gelegt werden, indem ein eigener Straftatbestand für das Schlepperunwesen geschaffen wird.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert eine Lösung des anstehenden Problems noch vor der Sommerpause. Eine weitere Verzögerung wäre unverantwortlich, nicht nur gegenüber den Städten und Gemeinden, die mit den anstehenden Problemen nicht mehr fertig werden. Die von der SPD regierte Stadt Essen hat es abgelehnt, noch weitere Asylbewerber aufzunehmen, von Stuttgart, Frankfurt und anderen Großstädten ganz zu schweigen. Eine weitere Verzögerung wäre nicht nur gegenüber den Asylbewerbern selbst unverantwortlich, die einem ungewissen Schicksal ausgesetzt werden, nicht nur gegenüber der deutschen Bevölkerung, die für das chaotische Durcheinander kein Verständnis mehr hat; unverantwortlich wäre eine weitere Verzögerung vor allem gegenüber dem Grundrecht auf politisches Asyl, das auf diese Weise diskreditiert und dadurch auf Dauer gefährdet wird. Deshalb meine Bitte, meine Aufforderung, mein Aufruf — wie Sie es nehmen wollen — an die Koalition: Machen Sie Schluß mit dem Ausweichen der letzten Jahre! Stellen Sie sich der Aufgabe, die den Menschen auf den Nägeln brennt! Entscheiden Sie jetzt! Unser Gesetzentwurf bietet dafür die Grundlage.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dregger hat auf eine „Spiegel"-Meldung Bezug genommen, bei der der Kanzler beteiligt gewesen sein soll. Ich weiß nicht, woher der „Spiegel" seine Meldungen bezieht.
Ich weiß nur eins: daß der Bundeskanzler nicht alles, was über ihn fälschlich berichtet wird, auch dementieren kann; dann hätte er viel zu tun.
Herr Dregger, Sie haben weiter eine Bemerkung aufgegriffen, aus der hervorging, daß die kommunistischen Regime die Leute aus ihren Ländern trieben und da unsere Schwierigkeiten herrührten. Herr Kollge Dregger, man merkt, daß Sie wenig im Innenausschuß sind und daß Sie sich die Zahlen wenig angesehen haben. Die Hauptschwierigkeiten, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde, rühren daher, daß es die Leute in der Türkei nicht hält. Die jüngsten Zahlen weisen darauf hin, daßTürken zu 60 % das Asylantenkontingent von heute ausmachen,
und das Regime in der Türkei kann man derzeit nun wahrlich nicht als kommunistisch bezeichnen.
— Herr Kollege Wehner --
— Ja, das ist eine verräterische Formulierung.
Herr Kollege Dregger, Sie haben eine Bemerkung von mir aufgegriffen und haben in der Ihnen eigenen liebenswürdig erscheinenden Art gesagt, ich hätte die Stirn gehabt, Sammellager als rechtswidrig zu bezeichnen. Ich habe dazu folgendes zu sagen: Wenn Sie sich die Größenordnungen der Sammellager ansehen und wenn Sie bedenken, daß viele Hunderte, wahrscheinlich über tausend Menschen jahrelang in solchen Sammellagern leben müssen, dann, meine ich, ist meine Bewertung, dieses sei rechtswidrig, nicht zu hoch gegriffen.
— Herr Kollege Dregger, Ihnen ist ein Irrtum unterlaufen, und ich erlaube mir, in einem vierten Punkt darauf hinzuweisen.
Sie haben gesagt, wir hätten in unserem Gesetzentwurf eine Kombination von Anerkennungs- und Abschiebeverfahren aufgegriffen. Das ist falsch. Wir haben es für richtig gehalten, den ausländerrechtlichen und den asylrechtlichen Teil zu einem Verfahren zu bündeln. Das ist etwas anderes, als wenn man, wie Sie es für richtig halten, den anerkennungsrechtlichen Teil mit dem abschieberechtlichen Teil kombiniert.
Ich komme jetzt zu dem, was ich geschlossen vortragen möchte. Die Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen und der Opposition, die Gesetzesinitiativen von CDU und CSU --
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Dr. Penner— Herr Präsident, habe ich das Wort?
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie darum, Ihre Aufmerksamkeit dem Redner zuzuwenden und die Unterhaltungen, die Sie untereinander führen wollen, lieber außerhalb des Saales zu führen.
Dr. Penner (SPD): Ich bedanke mich sehr.
Die Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen und der Opposition und die Gesetzesinitiativen von CDU/CSU sowie SPD und FDP haben über allem Trennenden eines gemeinsam. Es ist sehr viel von „Asyl" die Rede, ohne daß es in der Sache ums Asyl, präziser: ums Asylrecht, geht, denn keiner will den verfassungsrechtlich garantierten Schutz vor politischer Verfolgung in Frage stellen. Auch die rigorosesten Überlegungen gehen nicht so weit, das Asylrecht überhaupt abzuschaffen.
Daß es Stimmen nicht nur aus der Politik — und zwar ernst zu nehmende — gibt, die die verfassungsmäßige Verankerung des Asylrechts für fragwürdig halten, ändert daran nichts. Auf die Frage, ob es gegenwärtig hilft, mit den derzeitigen Schwierigkeiten fertig zu werden, wird — von den prinzipiellen Bedenken gegen Verfassungsänderungen ganz zu schweigen — an anderer Stelle zurückzukommen sein.Trotzdem kann kein Zweifel daran bestehen, daß das freiheitliche Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland vor, ja in einer ernsten Bewährungsprobe steht. Jahr für Jahr steigt die Zahl der Ausländer — übrigens auch aus entlegeneren Gebieten der Erde —, die legal oder illegal in unser Land kommen, die sich auf den Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung berufen und die damit einen längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik erreichen, an. Sie haben durchweg triftige Gründe, zu uns zu kommen, die Eritreer ebenso wie die Menschen aus Bangladesch, die Türken ebenso wie die Pakistani und die Inder, um nur einige Volksgruppen zu nennen. Hunger und tägliche Sorge um die Erfüllung elementarster Lebensbedürfnisse treiben diese bedauernswerten Menschen aus ihren Ländern, aus ihrer Heimat, ja, aus ihrem Kulturkreis zu uns, wo sie sich wenigstens auf Zeit Erleichterung und Linderung der Not erhoffen.Allein in diesem Jahr kann mit insgesamt 150 000 Asylsuchenden gerechnet werden, nachdem es im Jahre 1973 erst knapp 5 600 waren und von 1953 bis Ende April 1980 alles in allem 230 000 Menschen in der Bundesrepublik politisches Asyl begehrt haben.Politische Verfolgung im Sinne unseres Asylrechts können die meisten nicht glaubhaft machen. Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen schließen jeden Zweifel daran aus. Sind wirtschaftliche und finanzielle Anziehungskraft der Bundesrepublik durchweg das Motiv, das eigene Land zu verlassen und zu uns zu kommen, so ist das Asylrecht das Vehikel für das gewünschte Ziel, einenlängeren Aufenthalt hier zu erreichen. Ohne den Ernst der Lage dieser Menschen zu übersehen und ihre bitteren Nöte geringzuachten, kann man wohl mit Recht festhalten, daß sie sich im wesentlichen deshalb auf das Asylrecht berufen, weil es mit seinen komplizierten Verfahrenswegen der erfolgversprechende Weg ist, hier einen längeren Aufenthalt zu erreichen.
Das Asylrecht ist meist der einzige Weg, um in unserem Land länger als drei Monate leben zu können. Ein restriktives Aufenthaltsrecht ist eine der Hauptursachen für den Asylmißbrauch; der ökonomische Anreiz sind freie Arbeitsplätze in ganzen Wirtschaftsbereichen.Ich bin der Meinung, daß auch jedes andere Recht — und sei es noch so fernliegend und der Sache nach . abwegig — beansprucht würde, wenn damit nur der zeitweilige Aufenthalt und ein, wenn auch nur befristetes Freisein von Sorge ums tägliche Brot und Not erreicht werden könnte. Der für diese Gruppen von Menschen immer wieder gehörte Begriff „Scheinasylant" — Herr Kollege Dregger, Sie haben ihn heute auch wieder verwandt — und „Wirtschaftsflüchtling" mag als Verwaltungschiffre seine Zwecke erfüllen — Einzelschicksale und -tragödien lassen ihn leicht zu Formeln des Zynismus und der Kälte gerinnen.Die Zahlen geben darüber Auskunft Deutlich seit dem Jahre 1977, in Ansätzen möglicherweise schon um die Jahreswende 1973/1974 haben sich die Zahlen der Asylantem in einem Umfang nach oben verändert, die eine Auseinandersetzung und Begegnung aller Beteiligten und Betroffenen herausfordern. Es hat wohl keiner Grund, auf den anderen pharisäerhaft oder beckmesserisch mit dem Finger zu zeigen. Aber es mußte und muß doch bedrücken, daß die zehn bis fünfzehn Millionen Flüchtlinge in der Welt in der Diskussion so gut wie nicht berücksichtigt worden sind und damit auch mitmenschliche, Grenzen überschreitende und Völker übergreifende Solidarität unangesprochen geblieben ist.
Es muß schon mehr als nachdenklich stimmen, daß die Situation anderer Länder, die mit riesigen Flüchtlingszahlen belastet sind und sich in schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen befinden, uns so gut wie keine Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit den Problemen auferlegt — von Beschämung bei der Formulierung und Anmeldung von Forderungen ganz zu schweigen. Manchmal, so habe ich den Eindruck, ist beim Hin und Her um „Scheinasylanten" und „Wirtschaftsflüchtlinge", um „Rechtsmißbrauch" und „Verfahrenszüge", um „Verfassung" und „Rechtstaat" ganz einfach vergessen worden, daß auch wir, die Deutschen, nach dem Zweiten Weltkrieg auf Hilfe anderer angewiesen waren — und das noch von denen, deren Land wir mit Krieg überzogen hatten. Ist es denn so vermessen, dabei an Dankesschuld zu denken, die sich auch an anderen als unseren damaligen Wohl-
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Dr. Pennertätern erfüllen kann, z. B. an denjenigen, die es jetzt aus bitterster Not zu uns zieht?Natürlich muß man sich dabei selbst in die Pflicht einbeziehen. Die Verantwortung muß von möglichst vielen Schultern getragen werden. Es geht auch nicht an, daß der eine die sittlichen Ansprüche nur formuliert und der andere sie zu erfüllen hat. So gesehen, ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß besonders die Gemeinden, aber auch die Bundesländer sich zu Wort melden und gehört werden wollen.Umgekehrt ist es ebenso unverständlich, wenn die gleichen Leute, die über die Flut der Asylbewerber klagen, aus aktuellem Anlaß dann die Grenzen für Flüchtlinge öffnen wollen, ihr humanitäres Engagement die Öffentlichkeit umgehend wissen lassen und dabei mit Fleiß übersehen, daß sie ungewollt oder kalkuliert dazu beitragen, das Weltflüchtlingsproblem in seiner bedrückenden Vielschichtigkeit zu verschleiern und damit wieder, zumindest vorübergehend, vergessen zu machen — bis zum .nächsten Mal.
Die Probleme der Asylbewerber sind nicht dadurch zu lösen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Grenzen öffnet oder den Aufenthalt von Ausländern hier noch leichter möglich machen würde.
Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland. Sie wird in den nächsten Jahren genug daran zu tun haben, die Arbeitnehmer und deren Familien aus den Staaten der Europäischen Gemeinschaft, für die ja Freizügigkeit verbrieft ist, zu integrieren, soweit sie das wünschen, und Familienzusammenführungen zu ermöglichen, auch wenn die Betroffenen sich nicht direkt auf Rechte der EG berufen können. Diese Schwierigkeiten werden nicht geringer, eher größer, sobald die EG durch Beitritt weiterer Staaten ergänzt werden sollte. Schließlich sind für nicht wenige Ausländer die Unterschiede in Kultur und Zivilisation oft unüberwindbare Sperren für ein Einleben hier. Nicht zu vermeiden sind häufig Spannungen sowohl mit einheimischen als auch mit den zum Teil aus verschiedenen Erdteilen stammenden Volksgruppen.All diese Faktoren würden zwangsläufig das soziale Klima in der Bundesrepublik Deutschland unerträglich belasten. Nein, dies ware keine Lösung.Es war deshalb einleuchtend und wohl auch richtig, daß die Bundesregierung — aber nicht nur sie — sich daran machte, dem Mißbrauch, den ein mehrjähriges Asylverfahren eröffnete, entgegenzutreten. Die Bemühungen galten und gelten dabei vorrangig der Straffung des Verfahrens und nicht etwa dem Asylrecht selbst — mit Recht, wie ich meine; denn die Voraussetzung, ein längeres Verbleiben hier durchzusetzen, war und ist ein weitgefächerter Instanzenzug, der erst abgeschlossen sein muß, ehe hier ein Ausländer abgeschoben werden darf.Der Bericht des Bundesministers des Innern vom April 1978 läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es kann nicht angehen, daß solche Verfahrensich jahrelang hinziehen und dies so bleibt. Der Beschleunigung und Straffung des Verfahrens in der Verwaltung und bei Gericht dienten die beiden Gesetzesnovellen aus dem Jahre 1978. Wir wollen gar nicht verschweigen, daß diese Rechtsänderungen der Opposition noch nicht weitgehend genug erschienen sind. Andererseits ist nicht bestreitbar, daß diese Verfahrensänderungen als sehr einschneidend empfunden werden müssen, der Wegfall der Widerspruchsmöglichkeit im Verwaltungsverfahren ebenso wie der Ausschluß der Berufung, also der zweiten gerichtlichen Tatsacheninstanz in offensichtlich unbegründeten Fällen.Sie haben auch das Verfahren gestrafft. Nach den jüngsten Zahlen gibt es in ca. 60 % der Fälle in Asylsachen nicht mehr die Berufung. Mittelfristig wird es sich auch auswirken, daß seit Januar 1980 statt des bis dahin allein zuständigen Verwaltungsgerichts Ansbach auch andere Verwaltungsgerichte Asylsachen bearbeiten dürfen.Wir wissen heute, daß diese gesetzlichen Instrumentarien aus dem Jahre 1978 für die derzeitigen Probleme nicht reichen. Ebenso gewiß ist aber auch, daß der Druck ohne die Türken — sie machen nach den jüngsten Zahlen über 60 % der Asylbewerber aus — nicht entfernt' so groß wäre, wie er ist. Aber gerade bei den Türken müssen wir außenpolitische Besonderheiten mit einbeziehen.Wir können bei einer Wertung nicht übersehen, daß das springflutartige Anwachsen der Zahl der Asylbewerber so nicht vorhersehbar gewesen ist. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen kennen die Probleme. Sie stellen sich den Fragen und machen Vorschläge zur Lösung.
Die Opposition hält sie für unzulänglich und lehnt sie auch aus anderen Gründen ab. Das ist ihr gutes Recht Aber so untauglich, wie es die Opposition sagt, sind die Überlegungen der Koalition wohl nicht. Der Bundesrat, in seiner Mehrheit eher der Opposition verbunden, hat sich da wesentlich zurückhaltender geäußert.Im übrigen glaube ich nicht, daß wir in allen Punkten unüberbrückbar unterschiedliche Standpunkte haben. Das haben die eingehenden, detaillierten Beratungen im Fachausschuß bewiesen.Allerdings — das möchte ich in aller Klarheit sagen — lehnen wir Gesetze, die Regelungsbedürftiges und rechtliche Freizonen zusammenwalzen können, ab. Daß eine Neigung zu solcher Art von Gesetzesmacherei bei der Opposition besteht, wird sie seit ihren zahllosen Antiterror-Initiativen gar nicht bestreiten können.
Die Initiativen der Bundesregierung — dazu ist sicher auch der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zu rechnen, der an entsprechende Überlegungen der Bundesregierung anknüpft — beschränken sich nicht auf Änderungen des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsverfahrens. Wir halten das für
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Dr. Pennerrichtig. Die begleitenden Maßnahmen sind für die Lösung der Probleme wichtig, sehr wichtig sogar. Gleichzeitig wissen wir, daß im Rahmen dieses Sofortprogramms nicht alles geregelt werden kann. Deshalb gehen wir davon aus, daß an dieser komplizierten Materie weitergearbeitet werden muß.Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß auch die Außenpolitik einen Beitrag zur Lösung der Schwierigkeiten leistet. Die Visumspflicht für Personen aus Ländern, die den Hauptteil von Zuwanderern ausmachen, ist mehr als ein bloßes Signal. Umgehungsmöglichkeiten gibt es, ja. Wo gibt es das nicht? Aber die Entscheidung halten ;wir für richtig. Für genauso wichtig halten wir Aufklärungsaktionen im Ausland, damit den sogenannten Schleppern erschwert wird, Menschen durch Trug und Lug in unser Land zu schleusen.Von den Maßnahmen, die dem sozialen Sektor im weitesten Sinne zugerechnet werden müssen, ist die befristete Versagung der Arbeitserlaubnis die am weitesten gehende. Damit soll ein wesentlicher materieller Anreiz unmöglich gemacht werden. Das Abgleiten in den Schwarzen Markt soll dadurch verhindert werden, daß der illegal beschäftigende Arbeitgeber nunmehr — anders als früher — grundsätzlich die Kosten der Abschiebung für den illegal Beschäftigten zu tragen haben wird. Sicher wird die befristete Beschäftigungssperre zusätzliche Belastungen der Sozialhilfe mit sich bringen. Mittelfristig ist jedoch eine Kostenentlastung zu erwarten, zumal im Kontext mit den anderen Maßnahmen.Wir halten es weiter für richtig, daß die Sozialhilfe künftig weitgehend in der Form der Sachleistung gewährt werden soll und damit von Bargeldleistungen abgesehen wird. Dies kann aber nur wirksam werden, wenn der betroffene Personenkreis in größeren Quoten an einem Ort untergebracht ist. Über die Vorschrift des § 4 unseres Gesetzentwurfs wird dies klargestellt.Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist auf den 31. Dezember 1983 befristet. Es ist also ein Zeitgesetz.
Ohne neuen gesetzgeberischen Akt träte das Gesetz zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Damit wird deutlich gemacht, daß neue Regelungen im Zusammenhang mit möglichen weiteren Entscheidungen auf der Grundlage der Arbeiten der Bund-LänderGruppe nötig werden können. Umgekehrt könnten manche Neuerungen entbehrlich werden, wenn die aktuellen Schwierigkeiten des Asylrechts behoben sind.Der Entwurf sieht im einzelnen folgende Anderungen vor: Die Anerkennungsausschüsse — bisher mit 3 Personen besetzt — entfallen. Ihre Aufgaben werden von einzelnen Bediensteten wahrgenommen. An die Stelle der Ausschußentscheidung tritt also die Einzelentscheidung.
— Kommt jetzt. — Diese Tätigkeit wird von Beamten des höheren oder gehobenen Dienstes oder Angestellten mit vergleichbarem Status wahrgenommen.
Mutmaßungen der Opposition, Herr Kollege Spranger, nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen seien auch Angehörige anderer dienstleistender Berufsgruppen berufen — in einer Erklärung bei Ihnen war von „Putzfrauen und Pförtnern" die Rede —,
sind ebenso abwegig wie töricht. Die Arbeit der Anerkennungsbehörde bleibt weisungsfrei. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung zum Schutz gegen sachfremde Einflüsse. Zur Unterstützung der Bediensteten werden Justitiariate eingerichtet, bei denen sich die Entscheidungsträger Rat einholen können.
— Herr Kollege Stark, Sie werden sicherlich nicht um Rat gefragt werden. —
Der Antragsteller wird gesetzlich zu verstärkter Mitwirkung in seinem Verfahren verpflichtet. Das Bundesamt kann dem Antragsteller künftig eine Frist setzen, innerhalb derer er bestimmte Erklärungen beibringen muß. Läßt er die Frist fruchtlos verstreichen, ohne daß er dies entschuldigen kann, darf das Bundesamt auf Grund des bis dahin feststehenden Tatsachenstoffs entscheiden. Der Antragsteller wird mit seinem Vorbringen nur für das Verwaltungsverfahren ausgeschlossen. Das Gericht kann ihn allerdings erneut und auch für das Gerichtsverfahren ausschließen.
Diese Regelung ist notwendig. Wesentliche Verzögerungen der Asylverfahren gehen darauf zurück, daß die Antragsteller nicht bereit sind, in der gebotenen Weise mitzuwirken.Die Pflicht des Gerichts allerdings, von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären, bleibt weiter bestehen. Künftig werden der asyl- und aufenthaltsrechtliche Teil des gerichtlichen Verfahrens verbunden. Bisher konnte der Antragsteller sein Ziel zunächst asylrechtlich, dann aufenthaltsrechtlich mit all den möglichen Rechtszügen nacheinander verfolgen. Die künftige Parallelisierung beider Verfahren kann nach unserer Einschätzung zum Straffen und Kürzen beitragen, und zwar ohne daß die rechtsstaatliche Qualität darunter zu leiden hätte.
Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zu Vorstellungen der Opposition:Die Opposition möchte im Asylverfahren die Berufung ausschließen, und zwar generell. Wir haben dagegen prinzipiell Bedenken. Für die offensichtlich
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Dr. Pennerunbegründeten Fälle ist die Berufung schon nach geltendem Recht versperrt. Wir halten dies für eine angemessene Antwort auf Fälle des Mißbrauchs. Alle anderen Fallgruppen sind eben nicht auf der Hand liegend entscheidungsreif und sollten deshalb auch für die zweite Tatsacheninstanz zugänglich sein. Daß das geltende Recht mit seiner Verengung der Berufungsmöglichkeit greift, zeigen die Zahlen. Ich weise nochmals darauf hin, daß in jüngster Zeit bis zu 60 % der Fälle als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden sind und nicht mehr mit der Berufung angefochten werden können.Wir leugnen eine zusätzliche Beschleunigung nicht, wenn die Berufung generell ausgeschlossen wird, müssen jedoch darauf hinweisen, daß auch nach den Vorstellungen der Opposition das Bundesverwaltungsgericht mit offensichtlich unbegründeten Fällen befaßt werden kann.In der Sache haben wir große Bedenken, die Berufung bei einem verfassungsmäßig garantierten Recht, wie es das Asylrecht ist, generell abzuschneiden.Die Opposition möchte stärker als bisher die Grenzbehörden in die Verantwortung bei Asylverfahren einbeziehen. Wir halten das von der Interessenlage der Opposition her für begreiflich, möchten aber davon absehen, den Grenzbeamten mit Entscheidungskompetenzen zu belasten, denen er nicht gewachsen sein könnte. Wir halten es für besser und richtiger, wenn es in den Grundzügen bei der bisherigen Regelung bleibtDie Opposition fordert unverdrossen — so auch heute — Sammellager des Bundes für Asylbewerber, und nur vordergründig geht es dabei um die Frage, die zwischen Bund und Ländern strittig ist, ob der Bund nur eine sogenannte Bestimmungskompetenz habe, die im Benehmen mit den Ländern herzustellen wäre, oder ob er auch für die Errichtung zuständig wäre. In einem Fall wäre wohl der Bund, sonst wären die Länder kostenpflichtig.Wir halten die bestehenden Möglichkeiten, die Gemeinschaftsunterkünfte für Ausländer erlauben, für ausreichend.
— Bundessammellager bewerten wir skeptisch. Bei den anzunehmenden Größenordnungen solcher Lager, Herr Kollege Lenz — tausend und mehr Personen sollen in solchen Lagern untergebracht werden —, dürften schwere soziale Konflikte, zumal zwischen Personen verschiedener ethnischer Herkunft, vorprogrammiert sein, ganz abgesehen davon, daß solche Anlagen kurzfristig kaum durchsetzbar wären. Gerade die Länder kennen die Schwierigkeiten hierbei sehr genau und hautnah. Wir halten die gemeinsame Unterbringung in überschaubaren Einheiten für angemessener.Die Opposition möchte das Schlepperwesen besser bekämpfen als bisher und schlägt die Schaffung eines neuen Straftatbestandes vor. Wir halten diesen Vorschlag für untauglich. Die Schlepper machensich durchweg heute schon nach anderen, mit höherer Strafe bedrohten Tatbeständen strafbar.
— Herr Kollege Spranger, die Einsicht dafür ist Ihnen offensichtlich versperrt. — Die eigentlichen Probleme liegen in Beweisschwierigkeiten. Das kann auch der Vorschlag der Opposition nicht beheben. Ganz im Gegenteil, die Beweisschwierigkeiten dürften eher vergrößert werden.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen.Erstens. Die Sozialdemokraten halten an dem grundgesetzlich abgesicherten Asylrecht fest
Die momentanen Schwierigkeiten haben verschiedene Gründe. Einer der Gründe ist das reich gegliederte und daher langwierige Verfahren. Soweit es das rein gerichtliche Verfahren angeht, dürften die Möglichkeiten zur Straffung weitestgehend erschöpft sein. Der Schaffung von immer mehr Kammern sind Grenzen gesetzt, auch deswegen, weil es so viele sachkundige Richter überhaupt nicht gibt In Übereinstimmung mit dem Hohen Flüchtlingskommissar kann das Institut der sofortigen Vollziehung in geeigneten Fällen nicht aus der Diskussion bleiben.Zweitens. Das deutsche Asylrecht hält jedem internationalen Vergleich stand. In keinem Land der Erde ist das Asylrecht als subjektiv öffentliches Recht als Anspruch ausgeformt. Die Möglichkeiten der Überprüfung von Entscheidungen zuständiger Behörden gibt es nirgendwo sonst Das gilt auch für die begleitenden Sozialmaßnahmen.Drittens. Eine zügigere Abwicklung der Asylverfahren liegt nicht nur im innerstaatlichen Interesse. Auch wenn man die brennenden Alltagssorgen der Betroffenen richtig würdigt, können lange Verfahren und eine sich daran anschließende Abschiebung inhuman sein.Viertens. Die Asylantenprobleme sind ohne die Hilfe der Sozial-, der Außen- und der Entwicklungspolitik nicht lösbar. Die Entwicklungspolitik kann und muß dazu beitragen, daß der Hunger die Menschen nicht aus ihren Heimatländern treibtFünftens. Wir wissen, daß die Arbeit an den Asylproblemen nicht zu Ende ist Das Ergebnis der BundLänder-Arbeitsgruppe bietet brauchbare Grundlagen für weitere mögliche Entscheidungen. Auch für die Prüfung anderer Vorschläge sind wir offen.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dreg-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18533
Dr. Wendigger hat seine Ausführungen mit der Aufforderung geschlossen: Entscheiden Sie!
— Ich weiß, er ist anderweitig verpflichtet; das will ich ihm nicht vorwerfen. — Er sagte also: Entscheiden Sie! Ich sage, meine Damen und Herren: Natürlich entscheiden wir.
Wir, die Koalitionsfraktionen, entscheiden auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfs, und zwar heute. Wenn wir Ihre Vorschläge in einzelnen Positionen aus verschiedenen Gründen entweder als nicht tragbar oder vielleicht sogar als rechtspolitisch nicht ganz unseren Vorstellungen entsprechend ansehen — ich werde dazu noch im einzelnen etwas sagen —, dann hat das, wie ich gleich zu Eingang sagen möchte, mit Verleumdung und Diffamierung, wie es Herr Kollege Dregger vorhin gesagt hat, nichts zu tun. Ich habe in der vorigen Woche schon einmal aus einem anderen Anlaß gesagt, daß so etwas in diesem Hause kein angebrachter Debattenstil ist. Das darf ich ruhig auch einmal am Ende einer Legislaturperiode sagen. Selbst draußen sollte man mit solchen Formulierungen sehr vorsichtig sein.Ich erinnere mich genau, daß Herr Dregger schon das Wort „rechtswidrig" als eine Diffamierung ansah. Auf Grund der sachlichen Diskussion in den Ausschüssen und auch im Plenum sollte jedoch niemand von uns — ich sage bewußt: niemand von uns — zu der Konsequenz gelangen, eine solche Argumentation, die sich, davon gehe ich aus, für jeden aus einer inneren Rechtsüberzeugung herleitet, als Verleumdung oder Diffamierung zu bezeichnen.Soviel zur Einleitung.Es ist gewiß keine Kleinigkeit, auch für uns Liberale nicht, wenn sich der Deutsche Bundestag in der letzten Sitzungswoche einer Legislaturperiode mit einem weiteren Gesetz zur Änderung des Asylverfahrens befaßt, um so mehr, als dies ein Gesetz sein soll, das das Anerkennungsverfahren beschleunigt, also abkürzt. Beide Entwürfe — der Entwurf der Koalition ebenso wie der Entwurf der Opposition — verfolgen ja schließlich, wenn auch auf verschiedenen Wegen, dieses Ziel.Die Besonderheit dieser Debatte ist — lassen Sie mich dies eingangs sagen — aber nicht nur im Zeitpunkt begründet. Sie leitet sich aus zwei hervorragenden Ausgangspunkten her, die, dies sei vorab gesagt, bei niemandem hier im Haus oder im Land im Zweifel stehen. Das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte verweist nun einmal auf die Tatsache, die ja niemand bestreitet, daß hier ein Bereich angesprochen ist, der besonders empfindlich ist und eine besonders sorgfältige Handhabung erfordert.Zum andern hat die Zahl der Asylbewerber, die heute in der Tat überwiegend nicht aus politischen Flüchtlingen bestehen, gerade in den letzten Monaten große Dimensionen angenommen und die Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden zunehmend vor, ich möchte sagen, unlösbare Probleme gestellt. Diese Tatsache zwingt zum Handeln. Wir allewissen, daß nach den Zahlen der ersten fünf Monate des laufenden Jahres für 1980 mit mehr als 120 000 Bewerbern gerechnet werden muß. Das ist das etwa Vierfache dessen, was uns als Diskussionsstoff vorlag, als wir über die vorige Novelle zur Beschleunigung des Asylverfahrens berieten und beschlossen.Diese beiden Ausgangspunkte führen zu zwei politischen, aber auch tatsächlichen Überlegungen. Erstens. Ich will ganz klar und deutlich herausstellen: Asyl für politisch verfolgte Nichtdeutsche ist eine Norm unserer Verfassung, die in unserer jüngsten politischen Geschichte begründet ist und aus politischen, ethischen und moralischen Gründen für jedermann außer Diskussion stehen sollte und hier ja auch steht. Das bedeutet aber in logischer Konsequenz, daß das Asylverfahren auch in seiner notwendigen Verkürzung die tragenden Elemente eines einwandfrei rechtsstaatlichen Verfahrens nicht verlieren darf. Die Fraktion der FDP steht voll in ihrer liberalen rechtsstaatlichen Tradition, wenn sie auch bei den heutigen Überlegungen, die auf eine Verkürzung des Verfahrens zielen, diesen Gesichtspunkt mit an den Anfang stellt.Es gilt aber auch: Eine Flut im Ergebnis nicht begründeter Asylbewerbungen führt bei der heutigen zu langen Verfahrensdauer nicht nur zu unlösbaren Problemen für Bund, Länder und Gemeinden. Sie kann — auch diese Frage war angesprochen — zudem die gefährliche Folge haben, daß der Bürger nur noch diese allen sichtbaren unerwünschten Begleiterscheinungen wahrnimmt und daß hierdurch das Bewußtsein für die Notwendigkeit und die moralische Qualität eines Asylrechts für politisch Verfolgte verschüttet wird.Deshalb sage ich: Gerade wer das Asylrecht für politisch Verfolgte in seiner Substanz nicht gefährden will, muß dafür Sorge tragen, daß die Asylverfahren nicht durch Elemente, die mit dem politischen Asyl wirklich nichts zu tun haben, in Mißkredit gebracht werden.Zweitens. Wir alle beklagen — ich will hier keine näheren Ausführungen dazu machen —, daß die politische Verfolgung in unserer Welt an vielen Orten immer mehr zunimmt. Es ist nicht nur die Verfolgung im kommunistischen Bereich. Ich möchte auch das einmal sagen, um nicht zu einseitig zu sein.Ich will auch nicht das große Problem aufgreifen und näher erläutern, das im Grunde genommen der Kern der ganzen Frage ist, nämlich das Problem unserer Ausländerpolitik. Auch für uns ist die Bundesrepublik Deutschland kein Einwandererland. Die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft hat ihre Grenze, die bereits bei dem, was heute in unserem Land ist, sicher erreicht, wenn nicht überfordert ist. Deswegen ist mit gutem Recht der Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte eingeführt worden. Das ist ja der materielle Einstieg, daß man aus Ländern, in denen sicher große wirtschaftliche Not herrscht, den Anwerbestopp umgeht, um über den Weg des Asylrechts doch in die Bundesrepublik zu gelangen und hier Arbeit zu finden.
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Dr. WendigDeshalb sage ich: Die Probleme, die sich aus dem unverzichtbar notwendigen Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte ergeben, aber auch die Tatsache, daß — das muß man hier offen sagen — der Arbeitsmarkt dennoch ständig Asylbewerber aufnimmt, sind durch die Verkürzung des Asylverfahrens allein nicht zu lösen, vielleicht nur zu einem kleinen Teil.Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung eine Reihe von flankierenden Maßnahmen beschlossen oder vorgesehen hat. Ich nenne jetzt der Kürze halber nur zwei: die Versagung der Arbeitserlaubnis für ein Jahr und die Einführung einer Visumpflicht auch gegenüber der Türkei, woher, wie wir wissen, zur Zeit die mit Abstand größte Zahl der Asylbewerber kommt Beide Maßnahmen wie auch andere Projekte der Exekutive in diesem Bereich sind zum Teil gewiß nicht ohne große Risiken. Ich will in meinen Ausführungen hierauf nicht näher eingehen. Die flankierenden Maßnahmen sind aber nur sinnvoll und damit auch rechtlich wie politisch vertretbar, wenn es zugleich gelingt, durch eine Abkürzung der Verfahrensdauer zu erreichen, daß über den Asylantrag etwa bei Ablauf der Versagungsfrist für die Aufnahme von Arbeit rechtskräftig entschieden ist. Dies, meine Damen und Herren, muß jedenfalls das Ziel sein.Die flankierenden Maßnahmen und der Gesetzentwurf der Koalition zur Beschleunigung des Asylverfahrens bilden somit, wie ich meine, eine politische wie auch tatsächliche Einheit in den Zielvorstellungen. Diese Tatsache muß im Ergebnis auch der Öffentlichkeit in den betroffenen Ländern bewußt werden, aus denen die Masse der unechten Asylbewerber kommt, damit man dort weiß, daß sich ein unberechtigter Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland schlicht nicht lohnt.
Schon aus diesem Grunde halten wir es für gerechtfertigt, daß die Geltungsdauer des Gesetzes in § 1 des Entwurfs auf den 31. Dezember 1983 beschränkt wird.Die Opposition macht uns nun immer wieder zwei Vorwürfe: zu spät und zu wenig. Beide Vorwürfe weise ich entschieden zurück. Was heißt eigentlich „zu spät"? Wir haben erst im Jahre 1978, sicherlich auf der Grundlage anderer Zahlen, das Asylverfahren in drei entscheidenden Punkten beschleunigt: Ausschluß des Widerspruchsverfahrens in Zirndorf, Ausschluß der Berufung in bestimmten Fällen, der im Grunde genommen gerade die Fälle betrifft, in denen mehr oder weniger mißbräuchlich Asyl beantragt wird, und schließlich die Dezentralisation der verwaltungsrechtlichen Verfahren von Ansbach auf insgesamt 16 Verwaltungsgerichte in allen Bundesländern. Diese letzte Regelung ist sogar erst am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten, d. h., die beschleunigenden Wirkungen dieser Dezentralisation können bis heute noch nicht voll wirksam geworden sein, wobei ich hier einmal die Frage der personellen Ausstattung der Verwaltungsgerichte außer Betracht lasse. Ich stimme aber Herrn Kollegen Penner völlig zu, daß es hier einfach personelle Grenzen imVolumen derjenigen gibt, die für solche Aufgaben verfügbar sind.Im übrigen — ich wiederhole dies — hat die Einschränkung der Berufung nach bisherigem Recht schon dazu geführt, daß in 60 % der Fälle eine Berulung nicht mehr möglich ist. Einen völligen Ausschluß der Berufung — und das ist einer der kardinalen Vorschläge der Opposition — halten wir indessen mit dem rechtsstaatlichen Anspruch an das Asylverfahren nicht für vereinbar, wenn es auch in anderen Rechtsbereichen — das ist nicht zu bestreiten; Sie werden darauf nachher ja noch zu sprechen kommen — Fälle gibt, in denen ein solcher Berufungsausschluß vorgesehen ist Ich erinnere daran, daß es sich hier um eine Rechtsmaterie handelt, die inhaltlich auf eine Norm unserer Verfassung zurückgeht Dies zwingt uns zu einem sehr sorgfältigen Umgang mit den Möglichkeiten, die dem Asylbewerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eröffnet sein müssen. Ich bekenne offen, daß wir mit der 1978 beschlossenen Einschränkung der Berufungsmöglichkeiten bereits sehr weit gegangen sind. Eine wesentliche Verkürzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hängt im übrigen, wie ich meine, sicher nicht davon ab, daß in den noch verbleibenden 40 % der Fälle — es werden vielleicht weniger werden — die Berufung gänzlich ausgeschlossen ist, wie die Opposition es vorschlägt.Da ich nun gerade beim Entwurf der Opposition bin, soll an dieser Stelle auch der zweite wichtige Beschleunigungsvorschlag genannt werden: Schlüssigkeitsprüfung und Prüfung der Rechtsmißbräuchlichkeit von Asylanträgen durch Grenz- und Ausländerbehörden. Dies kann eine sehr gefährliche Sache sein, da ja die Gefahr nicht ganz auszuschließen ist, daß man gegen eine Fehlentscheidung möglicherweise dann doch nur von draußen angehen kann, obwohl Sie das so nicht vorsehen. Es gibt aber Beispiele dafür. Die Opposition verweist in der Begründung ihres Gesetzentwurfes — ich habe dies schon bei der ersten Lesung gesagt — selbst darauf, daß die zuständigen Beamten — die Grenzbeamten — einer entsprechenden Schulung bedürfen. Damit wird auch deutlich, welche sprachlichen und auch anderen Probleme hier bestehen. Sind Sie nicht selbst der Meinung, daß der Grenzbeamte selbst mit einer solchen Befugnis in unzumutbarer Weise belastet wird?Auch die Vorschläge, die die Opposition während der Beratung im Innenausschuß zusätzlich eingebracht hat, bringen nach unserer Auffassung nichts; sie sind auch nicht ganz unbedenklich, wenn wir sie jetzt beschließen. Dies gilt vor allem für den Vorschlag, durch einen neuen Straftatbestand im Ausländergesetz das sogenannte Schlepperunwesen, von dem ja schon die Rede war, unter Strafe zu stellen. Niemand verkennt hier die tatsächliche Situation, auch wir nicht. Allerdings sind wir der Auffassung, daß schon die vorhandenen Strafvorschriften jedenfalls in einem weiten Umfange ausreichen. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sollte man sich aber davor hüten, ohne eine gründliche Beratung — vor allem im Rechtsausschuß, der
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Dr. Wendigmit dieser Frage gar nicht befaßt war — kurzerhand eine zusätzliche Strafvorschrift zu schaffen. Ich warne hier wirklich Unvorsichtige. Wir von der FDP halten dies nicht für verantwortbar.Zu dem Vorwurf, unser Entwurf komme zu spät, bleibt schließlich noch zu bemerken, daß die Bundesregierung bereits vor einigen Monaten die Visumpflicht gegenüber Pakistan, Afghanistan und Sri Lanka eingeführt hat. Die Auswirkung dieser Maßnahme blieb abzuwarten. Die Regierung war gut beraten, nicht sofort mit verschärften Maßnahmen im Asylrecht zu reagieren. Allerdings: Die Entwicklung der letzten Monate hat nun gezeigt, daß wohl auch im Recht des Asylverfahrens selbst bestimmte Änderungen unerläßlich sind.
Der Entwurf der Koalitionsfraktionen greift diese Forderung auf und regelt eine Beschleunigung des Asylverfahrens zur rechten Zeit sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten.Im Verwaltungsverfahren soll statt der Entscheidung des Anerkennungsausschusses ein in der Sache unabhängiger Einzelbeamter entscheiden. Wir erwarten, daß hierdurch eine größere Zahl von Asylverfahren bereits in der Verwaltungsebene schneller zum Abschluß gelangt. Mit dem Grenzbeamten des Oppositionsentwurfs kann diese Konstruktion in keiner Weise verglichen werden, weil der Asylbewerber hier im Lande bleibt, ihm dabei der Schutz des Verwaltungsgerichtsverfahrens voll zugute kommt und die Beratung des entsprechenden Beamten an anderer Stelle, an naher Stelle, möglich und vollziehbar ist
Beamte mit Befähigung zum Richteramt sind zu einer Einzelentscheidung sicherlich nicht unbedingt notwendig. Ohne aber nun irgendeiner Berufsgruppe im öffentlichen Dienst zu nahe treten zu wollen, habe ich es schlicht für geschmacklos gehalten, wenn Vertreter der Opposition in Presseerklärungen glaubten bemerken zu müssen, die Koalition wolle nun die Entscheidung — Herr Penner sprach davon — durch „Pförtner oder Putzfrauen" herbeiführen. In der Sache selbst ist eine besondere Qualifikation des Entscheidenden sicher erforderlich.
Hier gehen wir davon aus, daß Beamte des gehobenen Dienstes oder vergleichbare Angestellte in der Regel für diese Tätigkeit hinreichend qualifiziert sind. Wir waren uns, Herr Kollege Spranger, darin einig, daß dies im Gesetz schlecht zu lösen ist und daß dies in den Bericht der Berichterstatter aufgenommen werden sollte, was auch geschehen ist.
Wir halten auch — entgegen der Auffassung der Opposition — die uneingeschränkte Weisungsfreiheit des im Einzelfall Entscheidenden für notwendig. Ich verkenne nicht, daß dies nicht nur im Hinblick auf die parlamentarische Verantwortlichkeit des Ministers eine seltene Ausnahme bleiben muß. Sie ist aber notwendig, und sie ist in der Beschränkung auf diese Materie sowohl politisch als auch rechtlich vertretbar.Entscheidend für eine Beschleunigung des Asylverfahrens ist die Mitwirkung des Antragstellers, die im einzelnen in § 3 vorgeschrieben ist. Für wichtig halten wir vor allem die Tatsache, daß der Antragsteller bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Fristen unter bestimmten, sehr konkret gefaßten Voraussetzungen mit seinem Vorbringen für dieses Verfahren ausgeschlossen werden kann. Nicht zuletzt beruht die lange Dauer des Asylverfahrens — das wissen wir doch alle — sehr oft auf einer Verzögerungstaktik der Asylbewerber und mancher ihrer Rechtsvertreter. Dies mag im Einzelfall hart sein, jedoch ist zu berücksichtigen, daß die drei AusschlieBungsgründe in § 3 Abs. 3 nebeneinander, d. h. kumulativ verwirklicht sein müssen. Im praktischen Ergebnis wird von der Ausschließungswirkung daher nur derjenige betroffen sein, der das Verfahren absichtlich mit einer bestimmten Zielrichtung in die Länge ziehtDie Vorschriften in den §§ 5 und 6 sind im Zusammenhang zu sehen. Sie haben das Ziel, daß über Anerkennungsverfahren und Abschiebeverfahreyn im Ergebnis in einem verwaltungsgerichtlichen Prozeß entschieden werden kann. Wer weiß, daß heute in der Aneinanderreihung beider Verfahren, die oft jeweils bis zur Revisionsinstanz durchgeführt werden, eine der entscheidendsten Ursachen für die überlange Dauer der Asylverfahren liegt, wird in dieser Bestimmung zwangsläufig einen entscheidenden Beschleunigungseffekt erblicken müssen. Dieser Effekt geht mit keinem Punkt und keinem Komma zu Lasten der Rechtmäßigkeit des Verfahrens.Die Beratungen im Innenausschuß haben schließlich noch einen weiteren wichtigen Beschleunigungseffekt erbracht Zwar bedarf es nach meiner persönlichen Überzeugung keiner besonderen Vorschrift, die ausdrücklich zuläßt, daß der Asylbewerber im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht den Tatsachenstoff ungeachtet einer Präklusion aus § 3 Abs. 3 im Vorverfahren uneingeschränkt vortragen kann. Wir halten es deshalb aber auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht für angängig und sinnvoll — etwa im Sinne eines Antrags der Opposition —, Anträge und Beweismittel des Klägers vor dem Verwaltungsgericht auszuschließen, die im Verwaltungsverfahren zu Recht zurückgewiesen worden sind. Wohl aber muß das Verwaltungsgericht selbst wie die Verwaltungsbehörde Fristen setzen und bei Nichtbeachten ein verspätetes Vorbringen zurückweisen können. Auch bleibt der Kläger mit einem solchen Vorbringen im weiteren Verfahren ausgeschlossen. Das ist der Sinn des neuen Abs. 4, den wir während der Beratung im Innenausschuß dem § 6 angefügt haben.Besonders an dieser Stelle wird oft der Vorwurf erhoben, der Entwurf sei nicht gründlich genug vorbereitet Nun, die sehr eingehenden Diskussionen
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18536 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Dr. Wendigim Innenausschuß, von allen Seiten mit sehr sachlichen und sachkundigen Beiträgen geführt, sollten eigentlich das Gegenteil beweisen. Die Beratungen der vergangenen Woche im Innenausschuß haben, wie ich meine, gezeigt, wie gründlich und exakt die Koalition, aber natürlich auch die Opposition die entsprechenden Rechtsvorschriften formuliert und in der Rechtsanwendung abgesichert haben. Irgendwelche Vorwürfe, die gerade in diese Richtung gehen, liegen deshalb nach meiner Überzeugung neben der Sache.Die Fraktion der FDP ist der Überzeugung, daß der Entwurf der Koalition zur Beschleunigung des Asylverfahrens in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht eine nach den gegenwärtigen Möglichkeiten abgewogene und vorhersehbar wirksame Lösung darstellt Sie ist jedenfalls in den Teilbereichen, die das Verwaltungsverfahren und das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten betreffen, ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Wenn ich auch an dieser Stelle wieder von Teilbereichen spreche, so deshalb, weil ich erneut daran erinnern muß, daß die Lösung der. für alle sehr schwierigen Fragen nur in einem Zusammenwirken aller Elemente — das heißt der gesetzlichen Maßnahmen des Parlaments hinsichtlich des Verfahrensrechts wie der flankierenden Maßnahmen der Exekutive — gelingen kann. Wir alle, Legislative wie Bundesregierung, Länder und Gemeinden, bleiben aufgerufen, in der vor uns liegenden Zeit sehr genau und sehr sorgfältig zu prüfen, wie die Entwicklung weiter verläuft und ob — und gegebenfalls welche — neue Überlegungen anzustellen sind.In die gleiche Richtung laufen letztlich auch die Arbeiten der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz der Länder und des Bundesministers des Innern, die ebenfalls noch nicht abgeschlossen sind. Die Antworten der Bundesregierung auf die Anfragen von Koalition und Opposition zum Asylverfahren bieten im übrigen gerade für diese Arbeit eine hervorragende Grundlage.Jeder, der behauptet — das möchte ich zum Abschluß sagen —, er habe ein sofort wirksames Rezept, das zugleich allen rechtsstaatlichen, verfassungspolitischen und sozialpolitischen Forderungen Rechnung trägt, würde nicht ganz redlich argumentieren. Die Koalition zeigt einen praktikablen Weg auf, der, wie ich meine, von allen Beteiligten beschritten werden kann.Dies ist kein Thema, das sich für einen vordergründigen Parteienstreit eignet.
Deshalb hoffen und erwarten wir auch, daß der Bundesrat dem Entwurf seine Zustimmung nicht versagen wird, selbst wenn in einigen Ländern noch andere Vorstellungen über Lösungsmöglichkeiten bestehen.Die Situation ist schwierig. Das Parlament ist zum Handeln aufgefordert. Das rechtfertigt es aber nicht, übereilt weitere gesetzliche Vorschriften zu beschließen, die nicht ausgereift sind, oder Maßnahmen zu treffen, deren Notwendigkeit oder Wirksamkeit nicht absolut sicher festzumachen ist. Der Deutsche Bundestag trägt bei allen notwendigen Schritten in diesen Bereichen eine hohe Verantwortung vor der Verfassung ebenso wie vor dem Bürger, dessen Interessen er wahrzunehmen hat. Wir, die Freien Demokraten, meinen aber, daß sich die Erfüllung beider Forderungen nicht gegenseitig ausschließt. Wir bitten deshalb um die Zustimmung zu dem Entwurf, den Ihnen die Koalitionsfraktionen zu diesem Komplex vorgelegt haben.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn auf eine Äußerung eingehen, die Herr Kollege Dregger gemacht hat und von der ich glaube, daß etwas dazu gesagt werden sollte. Herr Dregger hat sinngemäß gesagt: Wenn es im Bereich der Aussiedler und Zuwanderer Lager für Deutsche gibt, dann sind doch wohl auch Lager für Ausländer zumutbar.Was sind die Fakten? Es gibt Auffanglager für Aussiedler und Zuwanderer, z. B. Friedland oder Nürnberg. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt in Friedland drei bis fünf Tage und in Nürnberg anderthalb bis drei Tage. In dem einen oder anderen Land gibt es Landesdurchgangswohnheime, nämlich dort, wo die Menschen nicht unmittelbar in Wohnungen untergebracht werden können. So beträgt z. B. in Unna-Massen die Aufenthaltsdauer durchschnittlich sechs Wochen;
aber es ist ein Durchgangswohnheim. Das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, worüber wir hier unter dem Stichwort Sammellager reden. Hier geht es um eine langdauernde, sich in großen Zahlen vollziehende Unterbringung in einem Lager. Das sind zwei ganz verschiedene Schuhe. — So weit die Fakten.Jetzt frage ich mich, was es eigentlich einer solchen Debatte dient, wenn Formulierungen gebraucht werden, die alle Tatsachen verschweigen und nur dazu geeignet sind, alle Emotionen anzusprechen.
Das ist doch das Ziel einer solchen Formulierung, die Gefühle der Deutschen gegen Ausländer unter Verschweigung von Tatsachen anzusprechen.
Deswegen meine ich, solche Beiträge sollten aus dieser Debatte weg.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18537
Parl. Staatssekretär von Schoeler— Herr Jentsch, mir ist sehr daran gelegen, daß wir diese Debatte sachlich und ruhig führen.
Nur kann ich solche Wortmeldungen im Deutschen Parlament nicht einfach .unwidersprochen lassen, weil sie dazu geeignet sind, draußen Gefühle hervorzurufen — und es vielleicht auch sollen —, die nicht mit den Tatsachen in Einklang stehen.Eine zweite Bemerkung zu dem, was Herr Dregger gesagt hat. Er hat gesagt, das Sofortprogramm, das der Bundesinnenminister der Bundesregierung und dann die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag vorgelegt habe, sei im Papierkorb gelandet.
— Herr Kollege Klein, das Stichwort „Papierkorb" fiel.
Er hat „Papierkorb" gesagt, und ich gehe davon aus, daß er dies auch gemeint hat.
Es ist ein merkwürdiges Parlamentarismusverständnis, wenn der Deutsche Bundestag als Papierkorb bezeichnet wird; denn heute beraten wir über dieses Sofortprogramm, das von der Bundesregierung beschlossen worden ist.
Damit haben sich auch die Ministerpräsidenten auseinandergesetzt.Auch an diesem Beispiel versuchen Sie wieder, unter Verschweigung von Fakten die Strategie der maßlosen Angriffe gegen den Bundesinnenminister fortzusetzen, und das muß ich zurückweisen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist es nicht auch ein Faktum, daß der Bundesminister des Innern dem Bundeskabinett Vorschläge unterbreitet hat, die nicht in den Gesetzentwurf Eingang gefunden haben, der jetzt dem Hohen Hause vorliegt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Klein, Sie formulieren jetzt wieder anders als Herr Dregger, und deswegen lohnt es sich auch, sich sachlich damit auseinanderzusetzen. Es ist in der Tat so, daß es im Kabinett in einem Punkt Diskussionen gegeben hat, wie es auch überall nachzulesen war.Herr Kollege Klein, ich möchte etwas anderes aufgreifen. Kollege Dregger hat in dieser Debatte ein für mich neues Wort eingeführt — ich fand das sehr interessant —, er hat nämlich vom „grenznahen Verwaltungsgericht" gesprochen. Das hieß vor wenigen Wochen noch „Grenzrichter". Ich kritisiere gar nicht, daß Sie nachdenken; aber ich kritisiere, daß Sie den Eindruck erwecken, Sie hätten die Patentrezepte, während Sie die Diskussion in ihren eigenen Reihen pausenlos fortsetzen, was zu immer wieder veränderten Ergebnissen führt. Denn es muß doch wohl ein verändertes Ergebnis sein, wenn Sie jetzt „grenznahes Verwaltungsgericht" sagen, wo Sie vor vier Wochen noch „Grenzrichter" gesagt haben. Oder ist es nur Etikettenschwindel? Das will ich Ihnen nicht unterstellen. Wenn Sie nachdenken und sich Ihr Standpunkt in der Diskussion fortentwikkelt, dann erwecken Sie doch nicht den Eindruck, als ob Sie Patentrezepte hätten, als ob irgend jemand Patentrezepte hätte und als ob es nur die Böswilligkeit der Bundesregierung oder die Böswilligkeit der Koalitionsfraktionen sei,
daß wir dieses Problem haben. Das stimmt doch einfach nicht, und Sie wissen es auch.
Meine Damen und Herren, unbestreitbar ist, daß das Asylrecht vor einer seiner härtesten Bewährungsproben steht. Der Anstieg der Zahl der Asylbewerber vor allem aus der Türkei — nicht aus kommunistisch regierten Ländern; Herr Kollege Penner hat darauf hingewiesen — hat Bund, Länder und Gemeinden vor ernsthafte und schwerwiegende Probleme gestellt. Bundesminister Baum hat in der Asyldebatte im März dieses Jahres festgestellt, daß wir über den Beitrag, den der Bundestag mit der Beschleunigungsnovelle von 1978 geleistet hat, hinaus nach Wegen suchen müssen, wie wir unsere humanitären und verfassungsrechtlichen Pflichten mit unseren tatsächlichen Möglichkeiten in Einklang bringen. Das administrative Sofortprogramm und der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf liegen auf dieser Linie.Die jetzige Situation gibt vor allem deswegen Anlaß zur Sorge, weil sie Gegenstand heftiger Emotionen ist, die das Verhältnis zu unseren ausländischen Mitbürgern langfristig belasten können. Zum Teil ist diese Emotionalisierung dadurch entstanden, daß einzelne Gemeinden in ganz besonderer Weise belastet worden sind. Dort haben dann Bürger aufbegehrt, die durchaus diese humanitären und rechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik anerkennen, die aber eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb der Bundesrepublik verlangen.Ich möchte ausdrücklich hervorheben: Die Bundesregierung anerkennt die außerordentlichen Anstrengungen der Gemeinden, die in den vergange-
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18538 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Parl. Staatssekretär von Schoelernen Monaten überdurchschnittlich viele Asylbewerber aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, das Asylthema droht heute als reines Negativthema gesehen zu werden. Asylanten und Flüchtlinge werden nur noch als aufgedrängte Belastung und unerwünschte, auf unsere Kosten lebende Fremde empfunden. Dabei gerät dann die politische Aufgabe in den Hintergrund, unseren Mitbürgern die globale Dimension dieses Problems und die humanitäre Solidarität und die Verpflichtung zum internationalen Lastenausgleich verständlich zu machen. Die Asylproblematik darf nicht den Blick für die Dimension des Weltflüchtlingsproblems verstellen. 14 Millionen Flüchtlinge in der ganzen Welt sind eine gewaltige Zahl. Vor diesem globalen Maßstab müssen wir unsere eigenen Probleme sehen und einordnen. Unsere geschichtliche Bevorzugung und zugleich unser praktisches politisches Problem ist, daß wir von den großen Krisenherden der Weltpolitik derzeit weit entfernt sind. Die politische Stabilität unseres Landes und die materielle Sicherung unserer Bürger machen es für breite Bevölkerungsschichten schwer, sich in die existenzielle Not ausländischer Flüchtlinge hineinzuversetzen. Die Politik quer durch alle Parteien hat zuallererst die Aufgabe, bei unseren Bürgern um Verständnis für die betroffenen Flüchtlinge und Asylanten zu werben. Die stabilen und wohlhabenden Länder haben eine besondere Verantwortung. Gerade die Bundesrepublik Deutschland muß sich dieser Verantwortung bewußt sein. Wir haben derzeit noch keinen Anlaß, unsere Belastung als einzigartig einzustufen. England und Frankreich z. B. haben allein 1978 jeweils 145 000 Personen aus ihren Kolonialgebieten aufgenommen. Viele andere Staaten sind zur Zeit überschwemmt von Flüchtlingsströmen aus ihren Nachbarländern, in denen Verfolgung, Unterdrückung und Brutalität herrschen.Bei allen Maßnahmen zur Lösung des Asylproblems müssen wir den Gesamtzusammenhang im Auge behalten, der gar nichts mit unserer verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Asylrechts zu tun hat, sondern mit unseren selbstverständlichen Solidaritätspflichten als Mitglied einer Völkergemeinschaft, in der die Menschenrechte Vorrang vor den Grenzen der Souveränität haben.Allerdings kann mit dem im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrecht auf Asyl das Weltflüchtlingsproblem nicht gelöst werden. Die verfassungsrechtliche Garantie reicht nicht über den gesamten Erdball, sondern nur so weit, wie der Geltungsbereich des Grundgesetzes reicht Eine Verpflichtung der Bundesrepublik, alle politischen Flüchtlinge in der Welt aufzunehmen, wäre nicht einlösbar. Außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes gilt aber die humanitäre Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland als eines Mitglieds der Staatengemeinschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen.Die aktuellen Probleme des Asylrechts haben nichts mit der Zahl der wirklich politisch Verfolgten zu tun. Die Probleme resultieren nur aus der stark anwachsenden Zahl derer, . die zu uns kommen und sich im Ergebnis zu Unrecht auf das Asylrecht berufen. Ich wehre mich aber gegen die Abqualifizerung abgewiesener Asylanten als „Wirtschaftsasylanten" oder „Scheinasylanten". Selbst wenn eine politische Verfolgung nicht gegeben ist, kommen die meisten doch nicht etwa aus Abenteuerlust oder weil sie hier auf ein bequemes Leben unter Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln auf Kosten des deutschen Steuerzahlers hoffen. Sie kommen vielmehr überwiegend deswegen, weil sie in ihrer Heimat keine Existenzgrundlage finden und in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten wollen und auch ganz überwiegend tatsächlich arbeiten.Zur derzeitigen Situation hinsichtlich der Zahlen der Asylbewerber kann ich mich auf wenige Angaben beschränken, weil die Ihnen vorliegenden Antworten der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen einen eingehenden Überblick über die rechtlichen und die' tatsächlichen Entwicklungen der Asylproblematik geben. Bei der Verabschiedung der Beschleunigungsgesetze im Jahre 1978 sind Bundestag und Bundesregierung von einem Zustrom an Asylbewerbern in der Größenordnung von 20 000 bis 30 000 pro Jahr ausgegangen. Tatsächlich hat sich der Zugang an Asylbewerbern bis weit in das Jahr 1979 hinein in dieser Größenordnung bewegt. Im ersten Halbjahr 1979 lag die Zahl der Asylanträge bei 11 000 und war damit genauso hoch wie im ersten Halbjahr 1978. Der Anstieg des Zustroms der Asylbewerber, der die Zahlen für 1979 auf 50 000 und für 1980 — bis Mai — auf 60 000 emporschnellen ließ, setzte erst in den letzten Monaten des Jahres 1979 ein.
Dieser plötzliche Anstieg der Zahl der Asylbewerber, der in erster Linie auf eine sprunghafte Zunahme der Zahl der Asylbewerber aus der Türkei zurückzuführen ist, war nicht voraussehbar. Der Anteil der Türken schwankt zwischen 60 und 70 %. Noch nicht einmal 1 % der Türken werden als Asylbewerber anerkannt. Der hohe Prozentsatz der türkischen Asylbewerber signalisiert uns aber auch, daß es sich in erster Linie um ein Arbeitsmarktproblem der Bundesrepublik Deutschland handeltDer Bund hat der Entwicklung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre nicht untätig zugesehen. Der Bundestag hat 1978 die Beschleunigungsnovelle erlassen. Sie enthält den Wegfall des Widerspruchsverfahrens, den Berufungsausschluß bei einstimmiger Entscheidung des Verwaltungsgerichts und die Dezentralisierung des Verwaltungsgerichtsverfahrens. Leider ist die letzte Maßnahme erst zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten, so daß entsprechende Auswirkungen noch nicht voll greifen. Hier sind jetzt die Länder aufgefordert, durch den Ausbau der Verwaltungsgerichte die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich die Dezentralisierung auswirken kann und die Beschleunigung des Verwaltungsgerichtsverfahrens nicht zu weiteren Engpässen führt Der Bundesminister der Justiz hat vor wenigen Tagen erneut die Justizminister der Länder aufgefordert, hierfür Sorge zu tragen.Durch den starken Ausbau des Bundesamtes in Zirndorf haben wir erreicht, daß im vergangenen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18539
Parl. Staatssekretär von SchoelerMonat bei einem Zugang von ca. 10 000 Asylbewerbern etwa die gleiche Zahl von Bescheiden ergehen konnte. Durch Rechtsverordnung vom 26. März 1980 wurde die Sichtvermerkpflicht für die Länder Sri Lanka, Afghanistan und Äthiopien wieder eingeführt. Das Bundeskabinett hat vor einer Woche auch die Visumpflicht gegenüber der Türkei beschlossen und dabei die außerordentlichen außenpolitischen Schwierigkeiten, die diese Maßnahme mit sich bringt, im Interesse eines weiteren Beitrages des Bundes zur Eindämmung des Asylantenstroms aus der Türkei in Kauf genommen. Diese Maßnahme tritt in drei Monaten in Kraft, wenn die völkerrechtlichen Fristen im Hinblick auf das Sichtvermerksabkommen mit der Türkei verstrichen sind.Heute wird das Bundeskabinett auch die Länder Indien und Bangladesch in die Visumspflicht einbeziehen.Die Sichtvermerkpflicht soll den Zustrom kanalisieren. Sie bedeutet nicht, daß sich die Bundesrepublik ihren humanitären Verpflichtungen entziehen will. Das Auswärtige Amt hat durch Runderlaß an die deutschen Auslandsvertretungen dafür Sorge getragen, daß die Erteilung des Visums und damit die Entscheidung über die Aufnahme eines Flüchtlings nach humanitären Kriterien getroffen wird und nicht im Belieben von Fluggesellschaften liegt.Der Visumzwang ist eine schmerzhafte Maßnahme gegenüber denjenigen, denen der Weg in die Bundesrepublik Deutschland dadurch erschwert oder häufig ganz unmöglich gemacht wird, obwohl sie politisch verfolgt sind. Der Visumzwang bedeutet das Eingeständnis, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht unbegrenzt alle politisch Verfolgten in der Welt aufnehmen kann und sie die Beschränkung des Asylgrundrechts auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes geltend machen muß, weil eine unbegrenzte Verpflichtung nicht einlösbar wäre und deshalb auch keine wirkliche Hilfe für die Verfolgten in der ganzen Welt bedeuten könnte.Hierüber besteht Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern. Bund und Länder müssen auch in Zukunft nach weiteren Lösungsmöglichkeiten suchen. Der Bundesminister des Innern hat deshalb im Februar dieses Jahres ebenso wie einige Länder beantragt, das Asylproblem auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz zu setzen, und die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe begrüßt. Die Beratungen in der Arbeitsgruppe, deren Geschäftsführung dem Bundesinnenministerium oblag, haben drei wesentliche Ergebnisse gebracht. Erstens — ich sage das bewußt an erster Stelle —: Niemand, der in dieser Bund-Länder-Gruppe vertreten war, hat ein Patentrezept für die Lösung der Asylproblematik. Zweitens: Es sind von Bund und Ländern in die Arbeitsgruppe eine Reihe von Lösungsvorschlägen eingebracht worden, die von solcher Tragweite sind und in einem solchen Maße voneinander abweichen, daß kurzfristig ein Konsens nicht möglich ist. Drittens: Eine ausgereifte Gesamtlösung ist auch gesetzestechnisch in der Zeit bis zum Ende dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich.Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ihre Vorschläge den Regierungschefs von Bund und Ländern zur Sitzung am 27. Juni 1980 vorgelegt. Sie ist allerdings zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Reihe von gesetzlichen und administrativen Maßnahmen sofort durchgeführt werden kann und soll. Alle übrigen Vorschläge sollen in einer zweiten Phase umfassend geprüft und danach verwirklicht werden.Unabhängig vom Ergebnis der Bund-LänderArbeitsgruppe ist die Bundesregierung der Auffassung, daß in dieser Legislaturperiode noch ein Paket mit legislativen und administrativen Maßnahmen verwirklicht werden soll. Die gesetzgeberischen Maßnahmen sollen der Verfahrensbeschleunigung dienen. Die flankierenden Maßnahmen umfassen u. a. folgendes: 1. Vermehrter dezentraler und ortsnaher Einsatz der Entscheidungsbeamten des Bundesamtes in Zimdorf, 2. die Versagung der Arbeitserlaubnis für zwölf Monate, 3. die Versagung des Kindergeldes während des Asylverfahrens, 4. die Gewährung von Sozialhilfe möglichst durch Sachleistungen, 5. die verstärkte Bekämpfung des Schlepperunwesens in den Herkunftsländern und im Inland, 6. die Einführung der Sichtvermerkpflicht für die genannten Länder.Kern des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und der FDP ist der Ausschluß der doppelten Inanspruchnahme des Rechtswegs durch die Verbindung von asylanerkennenden und aufenthaltsbeendenden Verfahren. In der Asyldebatte im März hatte Bundesminister Baum bereits darauf hingewiesen, daß ein Asylbewerber nicht zweimal den ganzen Rechtsweg . beschreiten dürfe, einmal nach dem Asylanerkennungsverfahren und zum anderen nach dem Verfahren zur Beendigung des Aufenthalts. Er hat damals an die Länder appelliert, die zweimalige volle Inanspruchnahme des Rechtsweges durch die grundsätzliche Abschiebung eines Ausländers nach unanfechtbarem Abschluß des Anerkennungsverfahrenszu verhindern. Durch die jetzige Verbindung der beiden Verfahren wird die doppelte Inanspruchnahme des Rechtswegs nunmehr verbindlich ausgeschlossen. Beide Bescheide werden in Zukunft gemeinsam zugestellt. Sie können dann nur zusammen gerichtlich angefochten werden. Die Folge ist, daß der Betroffene nur einmal den Rechtsweg beschreiten kann. Die Folge ist aber auch, daß keine Verkürzung seines Rechtsschutzes eintritt.Die in § 2 des Entwurfs vorgesehenen Entscheidungen von Einzelbeamten anstelle der bisherigen Anerkennungsausschüsse geht — ich bitte auch die Kollegen der Opposition, das in dieser Debatte zu beachten — auf einen Vorschlag zurück, den die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen in der von den Regierungschefs eingesetzten Arbeitsgruppe gemacht haben.
Die Bundesregierung konnte sich der Argumentation nicht verschließen, daß alle Möglichkeiten genutzt werden mußten, um eine Beschleunigung der seit Ende 1979 sprunghaft angestiegenen Zahl der Asylverfahren zu erreichen. Dem dient als eine Maßnahme unter anderen auch die Entscheidung durch einen Einzelbeamten, die für sich allein schon
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18540 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Parl. Staatssekretär von Schoelerdeshalb nicht als Allheilmittel der Verfahrensbeschleunigung angesehen werden kann, weil bereits jetzt in Zirndorf in 80 von 100 Fällen die Beamten pragmatisch so verfahren, wie der Gesetzentwurf es vorsieht.
Insoweit wird niemand bestreiten können, daß hier die Gesetzeslage an die Wirklichkeit angepaßt wird. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie halte ich eine solche Lösung für vertretbar.
Anders ist es in den übrigen Fällen, in denen zwei Beisitzer gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Anerkennungsausschusses um die Entscheidung ringen. Hier wird die Arbeitskapazität zumindest der Beisitzer in Anspruch genommen, die nicht Berichterstatter im anstehenden Fall sind. Hier setzt auch die eigentliche Problematik ein. Weil es um ein Menschenschicksal gehen kann, müssen wir die Beratungsmöglichkeit als solche durch organisatorische Maßnahmen erhalten. Der für die Entscheidung verantwortliche Beamte wird sich künftig an spezialisierte Rechts- und Länderexperten halten können, die ihm notwendige Entscheidungshilfen leisten.
Wer hier einwendet, damit bleibe die Zahl der in die konkrete Fallbearbeitung eingeschalteten Beamten letztlich gleich, der übersieht, daß nicht mehr mehrere Beisitzer in gleicher Sache tätig sind. Bisher gab es 19 Anerkennungsausschüsse mit je drei Mitgliedern. Künftig wird es einzeln entscheidende Beamte geben, die sich bei insgesamt 19 Rechts- und Länderexperten Rat holen können.Selbstverständlich, meine Damen und Herren, wird es damit nicht von heute auf morgen dazu kommen, daß eine wesentlich größere Zahl von Verfahren im gleichen Zeitraum abgewickelt werden kann. Dazu müssen sich die neuen Organisationsformen noch einspielen. Dazu muß berücksichtigt werden, daß nicht alle für die Anerkennung zuständigen Beamten über die gleiche Erfahrung verfügen.
Außerdem müssen die jetzt anhängigen Verfahren zum Teil noch nach altem Recht abgewickelt werden.Wir werden deshalb stufenweise vorgehen müssen. Ich bin aber davon überzeugt, daß die Vorteile der neuen Regelung die Nachteile, die hier geltend gemacht werden, überwiegen und daß sich diese Vorteile auch bald erweisen werden.Bundesminister Baum hat sich selbst vor einer Woche in Zirndorf davon überzeugt, mit welchem Engagement sich die Beamten ihrer Aufgabe im Asylverfahren stellen. Ich möchte deshalb ausdrücklich betonen, daß die Bundesregierung die Beamten des gehobenen Dienstes auf Grund der bisherigen Leistungen für befähigt hält, die verantwortungsvollen Einzelentscheidungen zu treffen.
Die Beamten können sich des Schutzes ihres Dienstherrn sicher sein, der ihre schwierige Aufgabe anerkennt.
— Ja, mit denen ist auch gesprochen worden. Herr Kollege Broll, ich kann Ihnen gern die genauen Daten sagen. Ich habe sie nicht hier, habe sie aber auf meinem Platz liegen. Ich kann Ihnen die genauen Zeiten bezüglich des Abstimmungsprozesses sagen.
Lassen Sie doch diese Nebenkriegsschauplätze aus der Debatte heraus, die uns überhaupt nicht weiterbringen!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung mißt diesem Gesetzesvorhaben erhebliche Bedeutung bei. Sie hat schon bei der Verabschiedung ihres Sofortprogramms am 11. Juni 1980 darauf hingewiesen, daß schnell wirksame Ergebnisse nur erzielt werden können, wenn gesetzgeberische und administrative Maßnahmen ineinandergreifen und sich ergänzen. Die Bundesregierung hat dabei ihre Absicht bekräftigt, eine durchgreifende Novellierung des gesamten Asylrechts für die nächste Legislaturperiode ins Auge zu fassen, aber auch die Notwendigkeit betont, noch in dieser Legislaturperiode gesetzgeberische Maßnahmen zur Beschleunigung des Asylverfahrens zu treffen. Hierüber haben auch die Regierungschefs von Bund und Ländern in der vergangenen Woche beraten. Sie haben — das war jedenfalls unser Eindruck — den Konsens bestätigt, den wir in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe erzielt haben, auch dort, wo es abweichende Meinungen, weitergehende Vorschläge gab.Die Bundesregierung würde es bedauern, wenn der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP, der bewußt auf Konsensfähigkeit angelegt ist, dadurch zum Scheitern gebracht würde, daß an Gegenvorschlägen festgehalten wird, die zumindest in dieser Legislaturperiode nicht konsensfähig sind.
Damit würde die Wirksamkeit der zum Teil bereits getroffenen Maßnahmen wieder in Frage gestellt.Wir bekennen uns auch weiterhin zu der von der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz übernommenen Verpflichtung, politisch Verfolgten Schutz und Zuflucht zu gewähren. Wir sind der Auffassung, daß dem zunehmenden Mißbrauch des Asylrechts durch Maßnahmen entgegengewirkt
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18541
Parl. Staatssekretär von Schoelerwerden muß, die sich im Rahmen des derzeit geltenden Verfassungsrechts halten.
Die Grenzen, die dabei eingehalten werden müssen, sind von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Grundsatzurteil 1975 abgesteckt worden. Danach hat das Grundrecht auf Asyl einen klar umrissenen und unverzichtbaren Kerngehalt: Er verbürgt demjenigen, der Schutz vor poli.. tischer Verfolgung sucht, daß er an der Grenze der Bundesrepublik Deutschland nicht zurückgewiesen und nicht in einen möglichen Verfolgerstaat abgeschoben wird. Darüber hinaus fordert die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 unserer Verfassung, daß jede Grundrechtsgewährleistung durch ausreichenden Gerichtsschutz gesichert wird. Ausländer haben danach ebenso wie Deutsche einen Anspruch darauf, daß behördliche Entscheidungen gerichtlich überprüft werden.Das- Asyl-Grundrecht ist ein Kernstück unseres Grundgesetzes und unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Es verlangt Opfer und wird die Opferbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger auch in Zukunft beanspruchen. Das Asyl-Grundrecht stellt uns vor große Probleme, Probleme, um deren Bewältigung wir auch in Zukunft werden ringen müssen. Der jetzige Gesetzentwurf und das Maßnahmenbündel der Bundesregierung sind nur ein Beitrag in diesem Ringen um die Wahrung der Garantie, die unsere Verfassung gerade denjenigen gibt, die am meisten des Schutzes bedürfen und die sich an der Wahlurne nicht wehren können. Wieweit das von der Bundesregierung beschlossene und mit den Ministerpräsidenten beratene Maßnahmenbündel' — zusammen mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen — greift, wissen wir nicht exakt. Niemand kann hier eine sichere Prognose geben. Fest steht, daß keine Maßnahme für sich allein durchgreifende Wirkungen erzielen kann und wird. Fest steht auch, daß es keine Maßnahme gibt, die nicht auch negative Wirkungen nach sich zieht.Meine Damen und Herren, es wird auch in Zukunft Krisen um das Asylrecht geben. In diesen Krisen wird sich diese unsere Einstellung zum Grundrecht immer wieder neu bewähren müssen.Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und FDP zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Staatsminister Tandler.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die bisherigen Ausführungen zu diesem Thema mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
Ich verkenne nicht, daß es eine ganze Reihe von Äußerungen gegeben hat — auch von seiten der Sprecher von SPD und FDP, auch aus dem Munde vonHerrn von Schoeler —, die mit meiner Betrachtung dieses Problems durchaus in Einklang stehen.
Nur eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann man nicht widerspruchslos hinnehmen, nämlich die Behauptung, daß die Entwicklung nicht vorhersehbar gewesen sei. Das stimmt einfach nicht!
Herr Dregger hatte bereits die Zahlen genannt. Im Jahre 1973 waren es noch rund 5 000, im Jahre 1977 17 000, in 1978 33 000, in 1979 52 000. Wer auf Grund dieser Zahlenentwicklung nicht vorhersehen konnte, daß es in 1980 wiederum mehr sein würden, der, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die Fähigkeit verloren, politische Entwicklungen überhaupt noch zur Kenntnis zu nehmen.
Meine Damen und Herren, hier im Bundestag — ich möchte es einmal ganz offen sagen — läßt sich ja trefflich debattieren.
— Herr Kollege Wehner, ich kann mir vorstellen, daß es für Sie immer unangenehm ist, wenn Mitglieder des Bundesrates hier sprechen.
— Sie regen mich schon seit langem nicht mehr auf, Herr Wehner.
Hier im Bundestag läßt sich trefflich darüber debattieren. Von seiten des Bundes, Herr Wehner, kann man leicht kluge Ausführungen machen. Das Problem der Unterbringung hat der Bund doch nicht. Er hat es dort, wo er es hätte, auf die Länder und auf die Gemeinden abgewälzt. Das ist doch die Situation.
Die Konsequenz aus der Entwicklung ist doch, daß heute eigentlich die Innenminister aller Länder, und zwar unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, hier stehen müßten, um dem untätigen Bundesinnenminister und der Bundesregierung einmal anständig die Leviten zu lesen, meine Damen und Herren.
Ich sage Ihnen noch eines: Daß sich diese Zahlen so entwickelt haben, ist doch nicht allein darauf zurückzuführen, daß sich die Not der Welt in den letz-
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18542 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Staatsminister Tandler
ten sieben Jahren so dramatisch entwickelt hätte. Die Not in den Ländern, aus denen diese Menschen kommen, war im Jahre 1973 und zuvor leider schon genauso groß. Nur, es hat sich mittlerweile herumgesprochen, wie einfach es ist und wie leicht es ist, allein mit dem Wort „Asyl" für einige Jahre in Deutschland gut unterzukommen. Das, meine Damen und Herren, ist das Problem, das Sie nicht sehen. Das ist das Problem, das endlich einmal gelöst werden müßte.
Wenn ich die Äußerungen, die in diesem Zusammenhang hier gefallen sind, noch einmal analysiere,
dann, Herr Penner, komme ich zu dem Ergebnis, daß ich weder von Ihnen noch von Herrn Wendig noch vom Vertreter der Bundesregierung, Herrn von Schoeler, ein einziges Wort darüber gehört habe, ob die im „Spiegel" wiedergegebenen Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers der Wahrheit entsprechen oder nicht. Was Sie denken, Herr Penner, ist in diesem Zusammenhang nicht so interessant, als zu wissen, ob das der Herr Schmidt gesagt hat oder nicht.
Herr Wehner, wenn Sie so empört darüber sind, daß der Bayerische Staatsminister des Innern
das Recht für sich in Anspruch nimmt, hier zu sprechen, sage ich Ihnen: Es gibt nicht nur die so oft vom Herrn Bundeskanzler reklamierte Bundestreue der Länder, sondern es gibt auch eine Treue des Bundes gegenüber den Ländern. Die hat er gerade in diesem Zusammenhang auf das sträflichste verletzt.
Ich glaube, gerade wir aus Bayern haben ein besonderes Recht, auf diese Dinge hinzuweisen.
— Herr Wehner, mich wundert eigentlich, daß Sie sich hier nicht zum Sprecher auch jener SPD-Politiker machen, die es genauso wie wir bedauern, daß wir im Bereich von Zinndorf und Nürnberg seit Jahren diese Problematik für den gesamten Bund zu ertragen gehabt haben.
Wir haben darüber hinaus bis zum 31. Dezember des vergangenen Jahres auch im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, beim Verwaltungsgericht Ansbach, die Folgen der Tatenlosigkeit der Bundesregierung zu ertragen gehabt.
Meine Damen und Herren, für uns ist es relativ uninteressant, feststellen zu müssen, daß der Bund hier versagt hat, wenn man sieht, wie auf der anderen Seite die Folgen sind. Es sind im Ruhrgebiet doch keine CDU/CSU-Oberbürgermeister gewesen, die sich weigern, die Asylanten in Zukunft überhaupt noch unterzubringen. Das sind doch Ihre Parteifreunde, Herr Wehner. Warum nehmen Sie denn dazu nicht Stellung?
Sie haben das Problem nicht erkannt. Anschließend haben Sie es verharmlost. Und letztlich bieten Sie eine Lösung, die keine ist.
Nun kommt ein besonderer Höhepunkt bei der Verteilung von Sprüchen auf der einen Seite und von Belastungen auf der anderen. Herr von Schoeler, Sie haben selber darauf hingewiesen, daß der Bundesjustizminister — ein sehr kluger Mann, auch nach Ihrer Meinung, Herr Wehner — ein Fernschreiben an die Justiz- bzw. Innenminister der Länder gerichtet hat. Er nimmt in diesem Fernschreiben Bezug auf die Klagen des Bundes der Verwaltungsrichter und sagt, die Länder sollten alles daransetzen, der sprunghaft angestiegenen Zahl der Asylbewerber dadurch zu entsprechen und der Belastung dadurch gerecht zu werden, daß sie die Verwaltungsgerichte personell entsprechend ausstatten.
Meine Damen und Herren, ich habe einmal überprüfen lassen, was es bundesweit bedeuten würde, wenn wir, was ja alle wünschen, in einem Zeitraum von etwa einem Jahr die Gesamtzahl der Klagen bewältigen sollten.
— Ja, auf diese Art. Das, was bisher da ist, muß ja auf diese Art bewältigt werden. Wir haben derzeit — insofern hat die Dezentralisierung zweifelsohne eine Verbesserung gebracht; wenn wir sie nicht hätten, wäre die Lage noch schlimmer, das müssen wir zugeben — im gesamten Bundesgebiet 53 Kammern. Wir haben sie auf 17 Verwaltungsgerichte verteilt. Von den 53 Kammern befinden sich 17 allein in Ansbach. In Ansbach brauchen wir deswegen besonders viele Kammern, weil wir zum 31. Dezember 1979 über 20 000 Restanten hatten, bei denen wir, wie Herr von Schoeler gesagt hat, noch nach altem Recht verfahren müssen. Wir müßten, wenn wir diese Fälle innerhalb von zwölf Monaten erledigen wollten, die Zahl der Kammern bei den Verwaltungsgerichten von 53 auf rund 450 erhöhen.
Meine Damen und Herren, 400 zusätzliche Kammern bedeuten 400 Vorsitzende und 800 Beisitzer,also insgesamt 1 200 Richter. Außerdem ergibt sich
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Staatsminister Tandler
ein Bedarf an nichtrichterlichem Personal von 1 500 Kräften.
Geschätzte Personalkosten in einem Jahr: 160 Millionen DM.
Was man in dem Zusammenhang dann noch von dem Fernschreiben des Herrn Bundesjustizministers zu halten hat, überlasse ich der Beurteilung der Öffentlichkeit.
Meine Damen und Herren, uns kann man alles vorwerfen, bloß eines nicht:
daß wir in diesem Zusammenhang nicht kompromißbereit gewesen wären. Wir haben sowohl in der Innenministerkonferenz als auch bei den Gesprächen der Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler immer erklärt, daß wir bereit sind, jede Lösung mitzutragen, die einen richtigen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Jede Verbesserung ist uns die Mitarbeit wert.
— Das werden wir auch tun. Ich werde Ihnen auch sagen, warum wir zustimmen.
— Ja.Wenn man sich die bisherigen Erfahrungen vor Augen führt, ist es unstreitig, daß wir zunächst alles daran setzen müssen, um zu einem schnelleren Verfahren zu kommen. Auch hier geht die Bewertung gar nicht so weit auseinander. Auch ich habe immer die Meinung vertreten, daß eine schnelle Bearbeitung dieser Anträge und eine schnelle Verbescheidung durch die Verwaltungsgerichte nicht nur im Interesse der Länder und nicht nur im Interesse der Kommunen, sondern auch und gerade im Interesse der Betroffenen sind.
Aber man kann das ja nicht alles allein bei den Verwaltungsgerichten lösen.Man muß sich da eine Frage stellen. Herr von Schoeler, Sie weisen darauf hin — und das ist richtig —, daß Bayern, Baden-Württemberg und Hessen damit einverstanden gewesen sind. Wenn Sie einem Beamten des gehobenen Dienstes beim Bundesamt in Zirndorf die Fähigkeit zubilligen, die Anträge zu überprüfen, zu beurteilen und zu verbescheiden, warum kann es dann nicht einer mit der gleichen Qualifikation, der an der Grenze tätig ist? Diese Frage möchte ich mal stellen.
Wenn Sie sagen, daß die Leute, die derzeit an der Grenze tätig sind, es nicht könnten, dann versetze man eben die Leute von Zirndorf an die Grenze. Jedenfalls geht es darum, so schnell wie möglich voranzugehen.Ich sage Ihnen das nächste: Was ist denn am Grenzrichter so Schlechtes dran? Herrn Dregger hat heute darauf hingewiesen, daß nicht nur die Frage des Grenzrichters zur Diskussion steht, sondern auch die Frage eines grenznahen Verwaltungsgerichts. Nun, Sie sollen auch darin sehen, daß wir zu allen Möglichkeiten bereit sind, wenn sie konsensusfähig sind.
Ich bin der Meinung, daß auch das eine der Möglichkeiten wäre. Ich brauche den Katalog, der bereits vorgetragen worden ist, nicht zu wiederholen. Ich bin hier in völliger Übereinstimmung mit Herrn Dregger: Wir brauchen ein schnelleres Verfahren. Wenn es sich herumspricht, daß es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr, wie gegenwärtig, zwei, drei, fünf, ja neun Jahre dauert, sondern daß die Bearbeitung dieser Anträge wesentlich schneller vor sich geht, dann wird ein großer Teil solcher ausfallen, die bisher nur deshalb kommen, weil sie sagen: Fünf, sechs, sieben Jahre ist auch eine Zeit, wo sich der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rentiert.
Zum zweiten Punkt. Die Inkonsequenz in Ihrem Gesetzentwurf kommt auch hier zum Tragen. Der Aufenthalt während des Anerkennungsverfahrens darf finanziell nicht attraktiv sein.
Hier verkenne ich nicht, daß die Versagung der Arbeitserlaubnis für die ersten zwölf Monate ein Schritt in die richtige Richtung ist. Nur, was heißt: für zwölf Monate? Sie sagen — und das entspricht den Tatsachen —, daß ein großer Teil derer, die zu uns kommen, aus der Türkei kommt. Ein großer Teil derer, die aus der Türkei kommen, hat sehr gute Bekannte, Verwandte, Freunde hier in der Bundesrepublik Deutschland. Die zwölf Monate zu überbrükken ist angesichts der Länge des Gesamtverfahrens doch kein Problem. Und: Es ist doch völlig unmöglich, zu kontrollieren, ob während dieser Zeit eine Arbeitsaufnahme stattfindet, wenn nicht einigermaßen eine Kontrolle stattfindet.Ich bin hier in bester Gesellschaft, nämlich des Deutschen Städtetags, der dieser Tage den Fraktionen im Deutschen Bundestag einen Brief zugehen ließ, in dem er darauf hinweist, daß die Versagung der Arbeitserlaubnis und der Sozialhilfe durch Barleistungen — statt dessen Sachleistungen — nur dann sinnvoll ist, wenn die Asylbewerber in Sammelunterkünften, in Sammellagern untergebracht werden. Nur dann ist das überhaupt durchführbar.
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18544 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Staatsminister Tandler
— Doch, ich habe Ihr Gesetz gelesen. Eben weil ich es gelesen habe, bin ich der Meinung: Es taugt leider nichts.
Wenn hier auf der Regierungsbank die Vertreter einer von der CDU/CSU geführten Bundesregierung säßen
und wir in einer Legislaturperiode zu diesem Problem zwei Gesetzentwürfe vorlegen müßten und damit zugestehen müßten, daß wir uns bei der Einschätzung des Problems total getäuscht haben, dann möchte ich Ihre Kommentare, Herr Wehner, und die Ihrer Fraktionskollegen in diesem Deutschen Bundestag nicht erleben!
— Herr Wehner, wenn Sie glauben, mir Verhaltensmaßregeln geben zu können, so muß ich sagen: Es gibt Menschen, die am besten damit tun, bei sich selber anzufangen.
Meine Damen und Herren, ich stelle hier trotz und gerade wegen aller Verdächtigungen, die mir persönlich wie auch der CDU/CSU in den lezten Monaten immer entgegengehalten worden sind, fest: Innerhalb der CDU/CSU gibt es niemanden, der das Asylrecht einschränken will.
— Orientieren Sie sich bitte einmal. Dann können Sie über diese Dinge reden. Ohne Informationen soll man solche Äußerungen nicht von sich geben.Wir wissen aber, daß dieses Recht nur dann aufrechterhaltbar ist, wenn die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland es mit trägt. Dazu gehört als grundlegende Voraussetzung, daß wir mit dem Problem der Scheinasylanten fertig werden.
Auch diesbezüglich sind ja die Erkenntnisse gar nicht so unterschiedlich. Herr von Schoeler, ich bin auch der Meinung, daß sich das Problem der Not auf dieser Erde nicht auf deutschem Boden lösen läßt. Das geht halt einfach nicht. Ich sage Ihnen eines: Das große Problem, das wir in den Ländern und in den Kommunen haben, ist doch das der Integration jener Ausländer, die seit Jahren und auf unseren Wunsch, auf Grund unserer Bedürfnisse und der Bedürfnisse unserer Wirtschaft bei uns sind. Die Integration dieser Ausländer ist unsere Aufgabe. Diese Aufgabe darf nicht dadurch in Frage gestellt, nicht dadurch erschwert werden, daß Tausende und Abertausende, ja, Hunderttausende von Scheinasylantennach wie vor völlig unkontrolliert in das Land hineindrängen.
Es dürfte ja nicht unbekannt sein, daß ich mit Herrn Bundesinnenminister Baum in der Innenministerkonferenz so manche kontroverse Diskussion geführt habe. Ich bin aber durchaus der Meinung, daß sein Vorschlag der Zulassungsberufung ein guter war. Ich bedauere, daß dieser Vorschlag herausgestrichen worden ist. In diesem Zusammenhang — lassen Sie mich diese abschließende Bemerkung noch machen — vermag ich nicht darauf zu verzichten, zu fragen, wo eigentlich die Führungskraft des Herrn Bundeskanzlers auch in diesem Bereich geblieben ist.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit, bei jeder großen internationalen Konferenz werden den großen Staatsmännern dieser Welt
die entsprechenden Tips gegeben, wie man die jeweiligen Probleme lösen kann. Hier hätte der Bundeskanzler von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen können. Hier hätte er dafür sorgen können, daß es zu einem Gesetzentwurf kommt, der wirksam ist. Hier haben aber leider alle Beteiligten, die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP, der Bundesinnenminister und auch der Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung versagt. Den Schaden haben die Länder und die Gemeinden zu tragen.
Das Wort hat der Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Schnoor.
Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von der Koalition wird zum einen vorgeschlagen, ein zeitlich befristetes Gesetz zu verabschieden; von der CDU/CSU-Fraktion wird zum anderen vorgeschlagen, das Ausländergesetz selbst zu ändern. Niemandem hier dürfen wir, so glaube ich, die Ernsthaftigkeit des Bemühens absprechen, mit diesem für uns alle schwierigen Problem fertig zu werden. Dies ist ein großes Problem für unsere Gemeinden und für alle Länder. Insofern gebe ich deshalb Herrn Tandler recht: In der Frage, daß wir hier zu einer Lösung des Problems kommen müssen, sind sich alle Länder einig. Es gibt darüber ja auch volle Einigkeit in der Innenministerkonferenz.Wir sind uns aber auch darüber einig, meine Damen und Herren — das ist mehrfach gesagt worden —, daß es keine Patentrezepte gibt. Genau des-
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Landesminister Dr. Schnoor halb sollte man doch zunächst einmal die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die erst vor 14 Tagen auf den Tisch gelegt worden sind, ausreichend prüfen, bevor man daran geht, das Ausländergesetz selbst zu ändern. Ich kann hier nur dringend zur Behutsamkeit raten, denn wir sollten gerade das Ausländergesetz, das ja doch in einem sehr engen Zusammenhang mit Art. 16 steht, nicht so wie ein Reißverschlußgesetz betrachten.Herr Tandler, Sie haben vorhin gesagt, das Anwachsen des Zustromes der Asylsuchenden sei im Grunde vorhersehbar gewesen. Die Bundesregierung habe nichts getan, um Lander und Gemeinden vor diesem Problem zu bewahren. Ich weiß nicht, ob das wirklich vorhersehbar war.
Wenn man sich einmal die Zahlen ansieht und gleichzeitig — —
— Herr Kollege, wenn Sie sich die Zahlen ansehen und gleichzeitig nachprüfen, aus welchen Ländern die Asylbewerber kommen, dann werden Sie feststellen, daß der Zustrom der Asylbewerber auch immer etwas mit Brandherden in der Welt zu tun hat, die sich immer ändern. Die Zahl der pakistanischen Flüchtlinge ist eindeutig zurückgegangen; die Zahl der Bewerber aus der Türkei hat zugenommen. Dies hat auch etwas mit politischen Problemen in anderen Ländern zu tun, die nicht immer von der Bundesregierung vorhergesehen werden können
und die ja im Grunde auch nicht, Herr Tandler, von den jeweiligen Bundesländern vorhergesehen worden sind.
— Herr Kollege, daß beispielsweise die Zahl der Bewerber aus der Türkei so sprunghaft gestiegen ist, war 1978 nicht bekannt, als jedoch hier — —
— Nein, meine Herren, das war nicht vorher bekannt. Aber Sie können ja einmal die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen, auch Ihre eigenen Großen Anfragen,
einmal nachlesen.
— Richtig.
Meine Damen, meine Herren! Bitte, lassen Sie doch den Herrn Minister reden. Der nächste Redner kann ihm ja entgegnen, aber das ist doch keine Art. Ich bitte wirklich um mehr Ruhe, damit der Redner verständlich ist.Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Im übrigen darf man nicht vergessen, daß das Ausländerrecht im Jahre 1978 novelliert worden ist — Herr Tandler, ich verkenne nicht, daß sich die bayerische Landesregierung sowohl in der Ministerpräsidentenkonferenz als auch in der Innenministerkonferenz ständig des Problems der Zunahme der Zahl der Asylbewerber angenommen hat;
aber eine Initiative im Bundesrat haben Sie nicht ergriffen. Das heißt: Wenn Sie die Bundesregierung der Untätigkeit zeihen, müßten Sie sich eigentlich auch selber der Untätigkeit zeihen, denn Sie haben im Bundesrat bisher keinen Antrag in der Sache vorgebracht.
— Nein, aber der Bundesrat ist doch auch ein Legislativorgan.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege, wir halten ja die bisherigen Initiativen auch für ausreichend. Ich halte das ja für ausreichend, was hier von der SPD/ FDP-Koalition vorgelegt worden ist.
— Ich werde Ihnen das gleich sagen.Es ist vorhin gesagt worden, die Stadt Essen weigere sich, weitere Asylbewerber aufzunehmen.
— Herr Katzor hat diesbezüglich eine Erklärung abgegeben; es gibt aber keinen Ratsbeschluß. Herr Katzor hat im Grunde das wiederholt, was eigentlich in allen Städten Auffassung der Räte und der Verwaltungen ist, nämlich hier auch alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit die Städte nicht überbelastet werden. Erstens: Die Stadt Essen erhält keine zusätzlichen Zuweisungen aus UnnaMassen, und zwar deshalb nicht, weil die Quote der aufzunehmenden Asylbewerber in Essen ausgeschöpft ist. Zweitens: Die Stadt Essen lehnt keinen Asylbewerber ab, der sich in Essen meldet und in Essen auch eine Wohnung nachweisen kann. Das darf man bitte auch nicht vergessen.Zum Problem der Grenzrichter und der Sammellager. Herr Tandler, ich glaube, den Zwischenruf des Abgeordneten Penner haben Sie insofern mißverstanden, als Herr Penner darauf hingewiesen hat, daß in diesem Gesetzentwurf über Sammellager nichts zu lesen ist; denn die Frage der Sammellager ist nicht Gegenstand der Novelle, die vorgelegt wor-
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18546 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Landesminister Dr. Schnoor
den ist, sondern sie gehört zu den ergänzenden und flankierenden Maßnahmen.Ich weiß nicht ganz, was Sie sich davon versprechen, wenn man in der Nähe der Grenze Lager einrichtet Tun Sie das deshalb, damit die Ausländer gar nicht erst in das Innere des Bundesgebietes kommen, oder nehmen Sie an, daß wir es hier mit gemeindefreien Räumen zu tun haben? Sammellager an der Grenze liegen doch auch in Gemeinden. Das Problem bei den Sammellagern ist doch, daß sich jede Gemeinde weigert, ein Sammellager einzurichten, weil sie befürchtet
— ein Grenzlager befindet sich auch immer in einer Gemeinde; es gibt in der Bundesrepublik Gott sei Dank keine gemeindefreien Räume —, weil sie die Sorge hat, daß diejenigen, die sich zunächst in einem solchen Lager aufhalten, auch hier bleiben.Im übrigen darf man nicht vergessen, daß solche Lager wirklich zu sozialen Konfliktherden werden können, wenn in ihnen zu viele Menschen zusammengefaßt werden. Ich verkenne dabei nicht, daß wir das Problem der Naturalleistung im Rahmen der Sozialhilfe wohl nur lösen können, wenn die Betreffenden in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind. Wir gehen aber davon aus, daß es sich dabei allenfalls um kleinere und nicht um größere Einrichtungen handeln kann, weil man sonst befürchten muß, daß wir unangemessen große Konflikte verursachen werden.Ganz entscheidend kommt es mir aber darauf an, daß wir uns gerade wegen der Schwierigkeiten, mit denen wir es bei der Änderung des Ausländerrechts zu tun haben, jetzt nicht darauf versteifen, bereits das Ausländergesetz zu ändern. Vielmehr sollte man sich auf ein Zeitgesetz beschränken.Vergessen wir nicht, daß erste gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung der großen Zahl der Ausländer bereits im Jahre 1978 getroffen worden sind. Wir haben bisher überhaupt keine Erfahrungen sammeln können, ob diese Regelungen schon greifen. Wir sind ja durch das sprunghafte Ansteigen der Ausländerzahlen daran gehindert worden, überhaupt Erfahrungen mit dem neuen Recht zu sammeln.Deswegen ist doch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe gebildet worden: um neue Maßnahmen gemeinsam zu erörtern und zu beschließen. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß man sich in der BundLänder-Arbeitsgruppe nicht verständigen konnte. Das hat doch nicht nur etwas mit dem politischen Standort der einzelnen zu tun, sondern mit der Komplexität des Themas. Das muß man doch in Rechnung stellen.
In bezug auf die bisherigen Maßnahmen ist wichtig, daß wir in den Fällen, in denen ein Verwaltungsgericht die Klage einstimmig als unbegründet abgewiesen hat, das Berufungsverfahren ausgeschlossen haben. Warten wir doch zunächst die Erfahrungen einmal ab.Es ist nicht zu verkennen, daß durch die weiteren Maßnahmen, die im Verwaltungsbereich vorgenommen werden — ich komme gleich noch darauf zu sprechen —, auch Probleme vom Bereich der Verwaltung auf den der Justiz verlagert werden. Ich gebe Ihnen recht, Herr Tandler: Das führt zu einer zusätzlichen Belastung der Justiz. Aber auch hier sollten wir zunächst die Erfahrungen abwarten.Wir in Nordrhein-Westfalen haben mit der Dezentralisierung im Asylverfahren Ernst gemacht, nämlich im Hinblick auf die Verwaltungsgerichte. Wir haben inzwischen bei den für Asylverfahren zuständigen Verwaltungsgerichten in Köln, Düsseldorf, Arnsberg und Minden 18 neue Kammern mit 64 neuen Richterstellen eingerichtet. Ich glaube, daß wir den Problemen mit dieser Maßnahme, die im Oktober diesen Jahres abgeschlossen sein wird, gerecht werden können. Ich glaube nicht, daß bei uns noch zusätzliche Richterstellen eingerichtet werden müssen.
— Ich hoffe nicht.
Sie sollten wenigstens das eine respektieren: Gerade in einem Bereich, wo es um ein Gesetz geht, das das Grundrecht des Art. 16 des Grundgesetzes auslegt, ergänzt und durchführbar macht, sollte man nicht mit Hektik und Voreiligkeit an neue Maßnahmen herangehen, sondern lieber gründlich abwägen. Wir sollten, nachdem vor 14 Tagen erst der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf den Tisch gelegt worden ist, in diesen letzten Wochen, die einem Legislativorgan noch zur Verfügung stehen, keine Schlüsse ziehen, hinsichtlich deren Auswirkungen sich die Experten nicht einig sind.
Die Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens ist mit Sicherheit rechtlich vertretbar. Wie man der Drucksache 8/4278 entnehmen kann — das ist die Antwort auf die Große Anfrage der SPD/FDP —, sind in den Jahren von 1970 bis 1979 in 550 Fällen Entscheidungen des Bundesamtes von den Gerichten aufgehoben worden. Im gleichen Zeitraum sind rund 18 000 Entscheidungen durch die Gerichte bestätigt worden. Ich glaube, wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält, kann man es verantworten, bereits jetzt in einem Zeitgesetz Regelungen zu treffen, die eine Straffung des Verfahrens zur Folge haben.Demgegénüber halte ich die Vorschläge in dem CDU/CSU-Gesetzentwurf für wenig hilfreich. Ich komme zunächst zum Wegfall der Berufung. Man kann durchaus darüber sprechen, Herr Tandler, ob es richtig gewesen wäre, die Zulassungsberufung vorzusehen. Nur sollte man, wenn eine solche Frage so umstritten ist und man nur noch wenige Wochen Zeit hat, um ein solches Problem zu regeln,QL
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18547
Landesminister Dr. Schnoor diese Regelungen nicht vorwegnehmen, sondern man sollte das gründlich prüfen.
— Was Sie vorgelegt haben, scheint mir nicht hilfreich zu sein; denn wenn die Berufung nicht möglich ist, werden Sie das Bundesverwaltungsgericht restlos verstopfen. Sie müssen berücksichtigen, daß wir zehn Oberverwaltungsgerichte und ein Bundesverwaltungsgericht haben. Wenn die Berufung immer ausgeschlossen wird, werden Sie in allen Fällen eine Revisionszulassungsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht bekommen, und das Bundesverwaltungsgericht wird hoffnungslos verstopft werden. Ich spreche Ihnen nicht die Ernsthaftigkeit des Bemühens ab, nach einer Lösung zu suchen; aber man sollte solche Dinge sorgfältiger prüfen und die Auswirkungen bedenken, bevor man etwas gesetzlich regelt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bötsch?
Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Bitte schön.
Herr Minister, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß unsere Fraktion bereits im Jahre 1978 bei den Beratungen des Gesetzentwurfs zur Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Vorschläge gemacht hatte, die aber von Ihren Parteifreunden abgelehnt wurden und die schon damals eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens bewirkt hätten?Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Ich nehme das gern zur Kenntnis; das war mir im einzelnen nicht bekannt, Herr Kollege. Aber diese Fragen können in der nächsten Legislaturperiode gern erneut aufgegriffen und geprüft werden.
Bedenken Sie bitte auch, daß Sie in Ihrem § 38 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfes vorgesehen haben, daß der Asylantrag als nicht gestellt abgelehnt wird und der Betreffende abgeschoben wird, wenn der Asylbewerber nicht persönlich erscheint. Über diese Frage muß man sicher ernsthaft nachdenken. Haben Sie aber eigentlich einmal bedacht, ob sich unter den so Abgelehnten nicht auch ernsthafte Asylbewerber befinden können? Haben Sie bedacht — gerade weil Sie das an der Grenze machen wollen —, daß die Betreffenden nicht belehrt werden und ihnen nicht die Rechte eingeräumt werden, die in dem Gesetzentwurf der SPD vorgesehen sind? Ich meine, daß dieses hier sehr voreilig geregelt wird.Sie müssen auch bedenken, daß jede kasuistische Regelung, wie Sie sie hier vorsehen, letztlich dazu führt, daß man dem Einzelfall nicht gerecht wird. Es ist viel besser, es auch im Ausländerrecht bei den Generalklauseln zu belassen — obwohl sie auchgerade von meinen eigenen Freunden häufig sehr kritisch gesehen werden —, da sie ein flexibleres Handeln ermöglichen, als wenn Sie jetzt durch Schnellschüsse Einzelregelungen nur deshalb festsetzen, weil Augenblicksereignisse eine Einzelregelung erforderlich erscheinen lassen, während Sie in Wirklichkeit nach einigen Monaten mit einer Generalklausel viel besser zu Rande kämen.Die befristeten Sofortmaßnahmen, die von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe leider nicht einstimmig, sondern mit Mehrheit vorgeschlagen worden sind, halte ich für ausreichend und angemessen. Was im Gesetzentwurf der Koalition steht, müßte deshalb zunächst einmal reichen, um mit den Problemen fertig zu werden.Die Verbindung von Asylverfahren und aufenthaltsbeendendem Verfahren beseitigt die unerträgliche Doppelgleisigkeit und führt zu einer Straffung des Verfahrensablaufs. Die Entscheidung im Anerkennungsverfahren durch Einzelbeamte statt bisher durch den Dreierausschuß trägt ebenfalls zur Beschleunigung im Anerkennungsverfahren bei. Ich begrüße es sehr, daß hier weiter die Beamten des gehobenen Dienstes tätig sind und nicht gefordert wird, daß die Betreffenden die Befähigung zum Richteramt haben müssen, weil man hier dann nicht eingearbeitete Fachleute gehabt hätte, sondern Beamte, die sich erst noch hätten einarbeiten müssen.Die Mitwirkungspflicht des Antragstellers nach § 3 ist ebenfalls eine Hilfe im Sinne eines zügigeren Verfahrensablaufs, wobei aber — und das ist doch wichtig — der Antragsteller über die negativen Folgen belehrt werden muß und so nicht durch unerwartete Maßnahmen überrascht werden kann, wie dies im CDU-Entwurf vorgesehen ist.Meine Damen und Herren, nicht verkennen wollen wir bei alledem die großen Schwierigkeiten, die für unsere Gemeinden bestehen. Nur, man muß dann eben auch — das sage ich als Vertreter einer Landesregierung — etwas für seine Gemeinden tun. Das Land Nordrhein-Westfalen erstattet seinen Gemeinden die Sozialhilfe, die in diesen Fällen anfällt. Ich glaube, das tut kein anderes Bundesland. Ich meine, Herr Tandler, auch Bayern sollte sich daran ein Beispiel nehmen.
— Herr Tandler, wir haben eine klare Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, und wir legen Wert darauf, daß diese beachtet wird. Ich habe häufig genug Vertreter der Bundesregierung kritisiert, weil diese die Kompetenzverteilung nicht beachtet haben. Wir müssen die Kompetenzverteilung aber auch gegen uns gelten lassen, wenn sie uns schmerzt.
Die Lasten der Sozialhilfe werden in diesen Fällen freiwillig vom Land Nordrhein-Westfalen übernommen.
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18548 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Landesminister Dr. Schnoor
Im übrigen möchte ich daran erinnern: Das Land Nordrhein-Westfalen ist wohl das kommunalfreundlichste Bundesland.
Wir haben im Finanzausgleich eine Quote von 28,5 %. Das Land Bayern hat eine Quote von 11,1 %. Wenn wir in den vergangenen Wahlkämpfen immer gescholten wurden, das Land sei zu stark verschuldet, dann bedenken Sie bitte auch, wie stark das Land Nordrhein-Westfalen seinen Gemeinden hilft Der Finanzminister hat ausgerechnet, daß die Schulden des Landes um 20 Milliarden DM geringer wären, wenn wir nur eine Quote hätten, wie sie das Land Bayern den Gemeinden gewährt.
Das Wort hat der Abgeordnete Spranger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär von Schoeler hat im Verlauf seiner Rede von der angeblichen Emotionalisierung und der Entwicklung einer Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande gesprochen. Herr von Schoeler, wenn Sie diese Behauptungen aufstellen, dann sollten Sie aber auch die Frage stellen, was, wenn dem so wäre, eigentlich die Ursachen für diese Entwicklung sind, wer diese Entwicklung zu verantworten hatDa stellt sich dann die zweite Frage, warum Sie denn angesichts dessen erst so kurz vor Toresschluß mit einem Gesetzentwurf herauskommen, nachdem Sie jahrelang die notwendigen und richtigen Vorschläge der CDU/CSU vom Tisch gefegt haben
und nachdem Sie jahrelang erklärt haben, daß die gesetzlichen Regelungen ausreichend seien, daß es keine Probleme gebe, wie auch der nordrhein-westfälische Innenminister heute zum Ausdruck gebracht hat
Wir sollten seitens unserer Fraktion dem nordrhein-westfälischen Innenminister schnell unsere lange zurückliegenden Gesetzentwürfe zum Bereich des Asylrechtes vorlegen, die er noch nicht kennt, wie er eben bestätigt hat
Man kann diese Entwürfe ja sicherlich unterschiedlich diskutieren, aber um eine sachgerechte Diskussion führen zu können, sollte man sie auf jeden Fall gelesen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben doch den Gesetzentwurf, den Sie jetzt eingebracht haben, nicht deswegen kurz vor Toresschluß vorgelegt, weil Sie einer Ausländerfeindlichkeit entgegenwirken wollten, sondern deshalb, weil derDruck einer durch eine Flut von Asylbewerbern ungeheuer belasteten Bevölkerung für Sie vor dem 5. Oktober so übermäßig stark geworden war, daß Sie aus politischen Gründen gezwungen waren, endlich etwas zu tun oder zumindest diesen Eindruck zu erwecken.
Meine Damen und Herren, eine eventuelle Ausländerfeindlichkeit wäre vermieden worden, wenn man seitens der Koalitionsparteien rechtzeitig versucht hätte, dieses Problem in den Griff zu bekommen, und wenn man nicht jahrelang durch Untätigkeit die Voraussetzungen für diese Schwemme von Scheinasylanten geschaffen hätte.Herr von Schoeler hat sich aber auch in Widerspruch zu gewissen beachtlichen Bemerkungen der Koalitionssprecher Dr. Penner und Dr. Wendig gesetzt Herr Penner hat sehr zu Recht eingeräumt, daß das komplizierte Verfahren und der weitgefächerte Instanzenzug den Weg dafür bereitet hätten, daß so viele hier längeren Aufenthalt nehmen konnten. Herr Penner hat auch zum Ausdruck gebracht, daß diese Entwicklung seit 1973/74 erkennbar war— das ist ganz unsere Auffassung, die auch im Widerspruch zu den Ausführungen des Innenministers von Nordrhein-Westfalen steht —, und er hat auch die richtige Konsequenz gezogen, daß die gesetzlichen Regelungen von 1978 nicht mehr ausreichen. Das sind beachtliche Erkenntnisse; nur hat die CDU/CSU diese Auffassungen seit langer Zeit gehabt.
— Wir hatten seit langer Zeit Vorschläge gemacht; auch 1978, Herr Konrad, hatten wir weitergehende Vorschläge vorgelegt, und wir haben das, was dann 1979 von Ihnen verabschiedet wurde, als nicht ausreichend, um die kommende Entwicklung zu bewältigen, angesehen.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem, was Herr Dr. Wendig zum Ausdruck brachte, indem er davon sprach, dieses Thema eigne sich nicht zum Parteienstreit Ich halte das für einen durchsichtigen Versuch, sämtliche Vorschläge der CDU/CSU zu diesem Thema und die Kritik an der Untätigkeit der Bundesregierung auf diese Weise als unseriös abzuqualifizieren. Ich glaube, gerade dieses Thema hat bewiesen, daß wir ohne die Initiativen der CDU/CSU und ohne das Bewußtsein der Bevölkerung, daß ihre Probleme im Asylantenbereich bei der Opposition wesentlich besser als bei der Bundesregierung aufgehoben sind, auch heute noch keine Initiative der Bundesregierung oder der Koalition erlebt hätten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18549
— Herr Dr. Linde, Sie waren ja bei der Debatte im Deutschen Bundestag im Frühjahr dieses Jahres leider nicht anwesend und haben daher auch nicht dazu gesprochen.
Zum damaligen Zeitpunkt stellten sowohl der Bundesinnenminister als auch die Koalitionssprecher unsere Vorschläge klar und eindeutig als überflüssig hin.
— Ich kann Ihnen nur sagen, Sie sollten sich nicht auf dem Wissensstand bewegen, auf dem sich auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen noch bewegt, indem er nämlich unsere Vorschläge nicht kennt
Noch im März dieses Jahres also haben die Vertreter der Regierung und die Sprecher der Koalition unsere Vorschläge abgelehnt Sie haben die Beschlüsse des Jahres 1979 völlig überbewertet und auch wieder den untauglichen Versuch unternommen, den Ländern letztendlich die Schuld an den Problemen in die Schuhe zu schieben.
Ich kann nur sagen: wer die Beratungen und das Verhalten der Bundesregierung in den vergangenen Wochen bis zum heutigen Zeitpunkt verfolgt hat, wie hier Vorschläge unterbreitet und wieder zurückgenommen wurden, Dementis und Gegendementis zwischen Bundesinnenminister Baum und Justizminister Vogel die Offentlichkeit bewegten und den Eindruck erweckten, hier sei eine handlungsfähige Bundesregierung, der kann nur feststellen: Wie hier verfahren wurde, entspricht weder der Bedeutung der Gesetzesmaterie noch der notwendigen Verantwortung des Gesetzgebers gegenüber der Bevölkerung.
— Darauf komme ich auch noch zu sprechen, Herr Kollege Dr. Miltner. — Ich meine, es entspricht auch nicht den rechtsstaatlichen und den humanitären Verpflichtungen gegenüber den Asylbewerbern.Wir haben es ja im Innenausschuß erlebt, wie verfahren wurde. Da hat man einen Entwurf vorgelegt, der im Rechtsausschuß zu Änderungsanträgen auch der Koalitionsparteien führte, die dann im Innenausschuß abgelehnt wurden.Wir haben eine interessante Debatte zu § 3 Ihres Entwurfes gehabt, wo selbst der Vorsitzende, der in dieser Phase sehr geduldige Vorsitzende nach eineinhalbstündiger Diskussion die Unmöglichkeit dieser Vorschrift feststellen und erklären mußte, daß man heute nicht abschließen könne, weil noch manches zu klären sei. Dann haben sich anschließend die sogenannten Experten von SPD, FDP und Bundesregierung zusammengesetzt, um abzuklären, was sie eigentlich vorschlagen wollten oder vorschlagen sollten oder vorschlagen mußten bzw. was sie tatsächlich vorgeschlagen haben und besser doch nicht vorgeschlagen hätten.
Es ist eine Situation, man kann nur sagen: rechtstechnisch unzulänglich, undurchdacht und mangelhaft, ein Gesetz, das mit der heißen Nadel genäht wurde.
— Ich habe ja noch ein bißchen Redezeit Die werden Sie mir ja nicht entziehen, Herr Dr. Linde.
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18550 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Lassen Sie mich zu einer Bestimmung kommen, die eine Materie regeln soll, die von Ihrer Seite immer sehr zur Polemik gegen die CDU/CSU verwendet wurde; ich meine das Thema Sammellager. Sie haben uns jahrelang der Inhumanität bezichtigt, daß wir Sammellager einrichten wollten. Abgesehen davon, daß dies durch §§ 39 und 40 des Ausländergesetzes längst geregelt ist, schlagen Sie in Ihrem § 4 in Verbindung mit § 5 genau dasselbe vor, allerdings schön umschrieben mit gewissen Formeln vom „bestimmten Ort". Daß die Einrichtung von Sammellagern auch von Ihnen geplant ist, ist nun ganz klar erkennbar. Ich bitte herzlich darum, zukünftig nicht mehr in dieser Form gegen uns zu polemisieren.
Die Bedenken zu § 5 und zu § 6 haben wir im Ausschuß ebenfalls vorgetragen. Ich möchte das hier im einzelnen nicht wiederholen.Fazit: Wir müssen feststellen, daß dieser so kurz vor dem Ende der Legislaturperiode vorgelegte Gesetzentwurf von SPD und FDP zu hastig formuliert, unausgereift, widersprüchlich und rechtsstaatlich bedenklich ist. Er wirft eine Reihe verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Probleme auf, ohne daß der gewünschte und von uns allen erhoffte Beschleunigungseffekt im Bereich des Asylverfahrens gegeben ist. Er bietet Umgehungsmöglichkeiten. Den Ausländerbehörden und vor allen Dingen den Gerichten brächte er enorme zusätzliche Belastungen. Deswegen werden wir auch heute den Gesetzentwurf ablehnen.Statt dieses untauglichen Entwurfs — Herr Linde, wenn Sie das Lesen einstellen würden, könnten Sie das unmittelbar mit verfolgen — stellen wir unseren Entwurf vor, den wir, wie schon gesagt, in seiner Grundsubstanz bereits 1978 vorgelegt hatten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wernitz?
Bitte sehr.
Herr Kollege Spranger, es würde mich interessieren, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß im Gegensatz zu Ihrer Ankündigung für die CDU/CSU-Fraktion, den Entwurf der Koalition hier abzulehnen, der Innenminister des Freistaats Bayern erklärt hat, daß er für die Zustimmung plädiert. Ist Ihnen dieser Widerspruch aufgefallen?
Ich bin nicht dazu da, hier die Meinung des Bundesrates zu vertreten, sondern
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Sprangerich habe die Meinung unserer Fraktion zu vertreten.
Diese Meinung ist heute die gleiche wie die in der letzten Woche im Innenausschuß. Das habe ich Ihnen erst heute noch bei der Fahrt im Fahrstuhl, als wir uns auf dem Weg zur Sitzung befanden, zugesichert.
— Wir werden ja sehen, wie der Widerspruch, von dem Sie sprechen, aussiehtMeine Damen und Herren, kurz zusammengefaßt die Wiederholung unserer Vorschläge: Ausländer haben nach unserer Auffassung den Antrag auf Asyl bei der Grenzbehörde und, falls sie eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, bei den zuständigen Ausländerbehörden persönlich zu stellen und zu begründen. Durch eine gesetzliche Regelung soll klargestellt werden, in welchen Fällen ein Asylantrag offensichtlich aussichtslos und deshalb unbeachtlich ist Das soll durch ein Verwaltungsgericht jeweils überprüft werden.
Die immer wieder vorgetragene Behauptung, mit der Übertragung des begrenzten Prüfungs- und Entscheidungsrechts auf Grenzbehörden würden wir uns am Grundgesetz vorbeimogeln, ist eine diffamierende Unterstellung, und zwar entweder aus Böswilligkeit oder Unkenntnis. Denn in den Nummern 3 und 6 der entsprechenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift ist das schon längst vorgesehen. Wir wollen das nunmehr auch in einem Gesetz einwandfrei und eindeutig rechtsstaatlich verankert wissen. Wenn Sie unseren Antrag zu dieser Frage ablehnen, verhindern Sie eine rechtsstaatlich einwandfreiere Regelung, als sie zur Zeit vorhanden ist.
Das ist auch keine unzumutbare Belastung für die Grenzbeamten, von der Herr Dr. Penner und Herr Wendig gesprochen haben. Angesichts dessen, was Sie heute mit Ihrer Regeleung in § 2 „Bediensteten" beim Bundesamt für das Ausländerwesen in Zirndorf zumuten, sind auch die Grenzbeamten in der Lage, das zu tun, was Sie den Beamten in Zirndorf zukünftig abverlangen wollen.
Wir schlagen erneut die Abschaffung der Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor. Daß das zu einer wesentlichen Abkürzung des Verfahrens führt, liegt auf der Hand. Wer dies aus rechtsstaatlichen Bedenken ablehnt oder diese immer wieder vorträgt, kann nicht allein aus Unkenntnis handeln, sondern unterstellt uns hier bewußt etwas Falsches. Denn wir haben wiederholt vorgetragen, daß das gleiche Verfahren nicht nur beim Wehrpflichtgesetzverfahren und beim Lastenausgleichsverfahren, sondern auch beimSchwurgerichtsverfahren vorhanden ist Ich stelle die Frage: Sind die Rechtsgüter, Herr Dr. Wendig, die im Schwurgerichtsverfahren geschützt werden sollen, weniger wert als die, die im Anerkennungsverfahren geschützt werden sollen?
Wir wollen eine Parallelschaltung des Asylanerkennungsverfahrens mit dem Abschiebeverfahren. Wir haben auch die Strafbestimmung gegen die Schlepper und Schlepperorganisationen eingebracht. Wir können uns mit unserer Meinung auch auf Aussagen stützen, die am vergangenen Montag im Bundesamt in Zirndorf gemacht worden sind. Dort wurde uns eindeutig gesagt, daß diese Bestimmung Abschreckungswirkung habe, daß ein Personenkreis betroffen werde, der auch in der Bundesrepublik Deutschland nun dieser Strafbestimmung unterworfen werde. Um dieses hohe kriminelle Unrecht zu ahnden, wollen wir einen eigenen Straftatbestand. Die Beratungen haben im übrigen ergeben, daß § 263 StGB diese Bestimmung von uns nicht abdeckt.Meine Damen und Herren, das alles zeigt, daß die Vorschläge der Union rechtsstaatlich einwandfreier und wesentlich unbedenklicher als die von der Koalition durchgepeitschten Vorschläge sind. Unsere Vorschläge verbessern die Position des Asylbewerbers. Darüber hinaus beschleunigen sie auch das Verfahren. Bei der heutigen Abstimmung können SPD und FDP den Beweis erbringen, ob sie zu ihren öffentlichen Bekundungen stehen, ein liberales, rechtsstaatliches Verfahren schaffen zu wollen. Wenn Sie ein wirklich liberales und rechtsstaatliches Verfahren wollen, dann müssen Sie den Vorschlägen der CDU/CSU zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meines Vorredners enthalten so viel Unrichtigkeiten, daß es unmöglich ist, das alles in zehn Minuten richtigzustellen. Aber einiges möchte ich doch herausgreifen.Auf der einen Seite gehen Sie, Herr Spranger — ebenso auch Herr Tandler —, bis 1973 zurück und werfen der Bundesregierung Untätigkeit schon seit 1973 vor; auf der anderen Seite sagen Sie aber selbst — das können Sie auch nicht bestreiten —, daß wir im Jahre 1978 eine Novelle verabschiedet haben, die dem damaligen Sachstand völlig angemessen war.
Denn die Novelle von 1978 beruhte auf der Zahl der Asylanten von 1977. Die letzten Zahlen, die uns damals vorlagen, betrafen die 16 000 Bewerber des Jahres 1977.
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Bühling- Bis 1983. Das wissen Sie doch, Herr Miltner. Deswegen machen wir doch ein Zeitgesetz.
— Da kommen noch eine ganze Menge Vorschläge. Wir erwarten auch, daß von Ihnen noch einige bessere als die Patentmittel kommen, die Sie uns bisher verkaufen wollen.Ich wollte nur sagen: Das, was wir im Jahre 1978 gemacht haben, war der Sachlage angemessen. Ich muß weiter darauf hinweisen, daß dieses Gesetz von 1978 in einem sehr wesentlichen Teil, der Dezentralisierung der Rechtsprechung auf die Länder, die Herr Minister Schnoor hier auch erwähnt und im einzelnen dargestellt hat, erst am 1. Januar 1980 in Kraft getreten ist. Das war nicht Schuld oder Veranlassung des Bundestages, sondern die Länder hatten gesagt, vorher sei dies nicht zu leisten.
Da das erst am 1. Januar 1980 in Kraft getreten ist, mußten wir etwas warten, bis wir Erfahrungen in diesem Zusammenhang gesammelt hatten.
Daraus erklärt sich auch, daß wir das erst jetzt beraten können.Das zweite. Sie bringen das Problem der Türken mit dem Wahljahr 1980 in Verbindung. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß der Exodus der Türken, die jetzt 70 % der Bewerber stellen, auf deutschen Verhältnissen, auf den bevorstehenden Wahlen beruht. Das beruht ausschließlich auf den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen der Türkei. Wenn Sie sagen, seit 1973 habe sich die Zahl der Bewerber immer erhöht — das hat auch Herr Tandler gesagt —, ist das eine Scheinwahrheit; denn in den Jahren 1973, 1974 und 1975 haben sich die Zahlen — ich kann Ihnen das jetzt nicht Jahr für Jahr auswendig herbeten — immer um wenige Tausend, erhöht. Ich sagte Ihnen schon: 1977 waren es 16 000. Der dramatische Anstieg ist erst in der letzten Zeit gekommen. Im Jahre 1979 waren es 51 000; ziehen Sie die Vietnamesen ab, waren es 45 000. In diesem Jahre werden es 140 000 bis 150 000 sein. Also jetzt erst, in diesem Jahr, in den letzten Monaten kommt der dramatische Anstieg. Auch deswegen können und müssen wir erst jetzt neue Maßnahmen ergreifen.
Nun sagen Sie -- Herr Broll, Sie waren im Ausschuß auch dabei —, wir hätten einen unvollkommenen Gesetzentwurf vorgelegt — so Herr Spranger — und dann noch alles Mögliche nachgeschoben. Dazu darf ich sagen, Herr Spranger: Gerade zu den Strafbestimmungen, auf die als Patentmittel Sie so gro-Ben Wert legen,
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Nun kommt noch die Strafbestimmung. Die Strafbestimmung ist auch ein sogenanntes Patentmittel. Sie bewirkt nämlich nur scheinbar etwas. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Strafbestimmungen, die in letzter Minute nachgeschoben worden sind — nach meiner Meinung kann man Strafbestimmungen nicht so schnell schaffen, vor allem nicht, wenn sie von einer solchen Kompliziertheit sind —, im Grunde genommen nur etwas besagen, was schon im Gesetz steht. In der Tat bin ich der Meinung, daß das meiste, was Sie unter Strafe stellen wollen, unter Betrug fällt.Es geht auch nicht darum, neue rechtliche Bestimmungen zu schaffen, sondern darum, im Tatsächlichen die Täter zu fassen und zu überführen. Sie wissen genau, daß es hier nicht viel anders ist als im Drogenbereich — wie ich sehe, stimmen Sie zu —: Die Hintermänner, die Schlepper und zum Teil auch einige Anwälte sind sehr schwer zu überführen. Im Grunde bedarf es keiner Bestimmung, sondern des Versuchs, die betreffende Organisation zu zerschlagen. Aber Sie wissen, wie schwierig das ist. Immerhin gibt es da Bestimmungen -genug. Jemand, der fälschlicherweise einen Asylgrund geltend macht, oder jemand, der einen armen Türken überredet, einen Asylantrag zu unterschreiben, den er nicht lesen kann, um damit von der Bundesrepublik direkt oder indirekt Geld zu kassieren, macht sich des Betruges schuldig; daran ist kein Zweifel. Im übrigen gibt es noch genügend andere Strafbestimmungen im Ausländergesetz.Ich glaube also, daß das, was von der Opposition gesagt wurde, keine Lösung ist und nicht nützlich sein kann. Nach meiner Meinung ist das, was wir tun, alles, was man vernünftigerweise in diesem Stadium des Verfahrens und bei diesem Stand der Problemerörterung noch tun kann. Alles andere, was die Opposition hier vorgetragen hat, hat entweder keinen sachlichen Einfluß auf den Ausgang des Verfahrens bzw. kann jetzt jedenfalls noch nicht beschlossen werden. Ich glaube, Sie wollen da zum Teil Patentmittel verkaufen, aus deren Verkauf Sie keinen Gewinn haben würden.Da wir ein Zeitgesetz machen, muß das ganze Problem im 9. Bundestag — leider Gottes, kann man sagen — wieder behandelt werden. Ich kann nur hoffen, daß dann von der Opposition etwas bessere Vorschläge kommen,
als sie bisher gemacht worden sind. Die neuen Vorschläge können dann eingearbeitet werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Erhard .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer wollte verkennen, daß in den Verwaltungsmaßnahmen, die die Bundesregierung angekündigt hat, auch Elemente zur Bekämpfung der Flut von Scheinasylanten enthalten sind, der begegnet werden soll und wohl auch begegnet werden kann. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß insoweit eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Vorschlägen, die wir bisher gemacht haben, und dem, was die Bundesregierung außerhalb der gesetzlichen Regelungen tun will, besteht.Zweitens möchte ich hervorheben, daß die Zusammenfassung der Verfahren, des Asylverfahrens und des Ausländerverfahrens, ein richtiger Weg ist. Ob er von Ihnen richtig gelöst worden ist, ist ein anderes Problem. Ich glaube, er ist nicht richtig gelöst.Drittens bin auch ich der Meinung, daß Vorschläge, die aus der SPD-Fraktion bzw. aus der Vorsitzendenkonferenz — wohl unter dem Vorsitz von Herrn Wehner — gekommen sind, in verschiedenen Punkten sicherlich eine Annäherung an unsere Positionen darstellen. Das heißt, das Problem wird jetzt vorsichtig angegangen; aber manches schiebt man vor sich her. Schließlich hat ja Herr Wehner — wohl im Anschluß an die Vorsitzendenkonferenz — dem Bundesinnenminister den massiven Vorwurf gemacht, er schiebe dieses Problem seitdem vor sich her, ebenso die Bundesinnenminister der Länder. So sagte Herr Wehner in der veröffentlichten Meinung. Ich glaube nicht, daß das eine Falschmeldung gewesen ist.
Sie bringen aber in den Gesetzesvorlagen — und nur über die haben wir heute zu beraten — leider Scheinlösungen, weil Sie sich selbst nicht einig sind: nicht innerhalb der SPD und nicht innerhalb der FDP und nicht innerhalb der Koalition.
Zunächst: Wieso Scheinlösungen? Schon jetzt wird bei den Ausschüssen in Zirndorf eine Quote von bis zu 9000 Fällen im Monat erledigt. Es entstehen daraus über 6000 Klagen bei den verschiedensten Gerichten. Bei den gerichtlichen Verfahren soll nach Ihren Vorschlägen nichts geändert werden. Es wird deshalb nichts geändert, weil Sie sich nicht einigen können. Obwohl es scheint, als werde etwas besser, wird es für die Gerichte noch schwieriger, weil nach der von Ihnen vorgeschlagenen Zusammenfassung ausländerrechtliche Probleme zugleich mit den Asylproblemen beim Verwaltungsgericht zu entscheiden sein werden. Das belastet die Kammern zusätzlich und bringt zweifellos regelmäßig die Berufung — wenn nicht im Asylrecht, so wenigstens im Ausländerrecht.
Zweitens. Nach meiner Ansicht besteht nur eine Scheinlösung, die nicht beschleunigt, sondern die Verwaltungsgerichte weiter belastet, weil Sie das Amt nach § 2 entlasten. Genau diese Entlastungsele-
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Erhard
mente kommen in jeder Klage zwangsläufig als zusätzliche Aufklärungspflichten zu den Verwaltungsgerichten. Dadurch werden die Verfahren dort noch länger dauern; bisher dauern sie ohnehin im Durchschnitt 43 Monate.
— Sie wollen, daß schneller gearbeitet wird. Gehen Sie mal zu den Gerichten hin!
Sie verkennen, daß durch das, was die Lösungen zusätzlich an Belastungen bringen, die Verwaltungsgerichte — die 16 zusätzlichen und natürlich Ansbach — auf Jahre hinaus überhaupt nicht mehr in der Lage sind, in den Streitigkeiten, die unsere Bürger mit der öffentlichen Hand haben und die nur vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden, zu Entscheidungen zu kommen. Gehen Sie zu den Verwaltungsgerichten, die mit diesen Fragen seit dem 1. Januar belastet sind. Die leben unter einer Flut von Eingängen, und zwar jede Kammer, aufgeteilt nach Gebieten, fast überall. Wir bekommen überhaupt keine Termine und Entscheidungen mehr. Ich bin vom Verwaltungsgericht in Wiesbaden dahin informiert worden: Zwei Jahre müßt ihr mit dem, was die Bürger an Problemen haben, nächstens warten, ehe wir die Bearbeitung überhaupt aufnehmen können. Das sind Nebenwirkungen, die Sie in Kauf nehmen. Das sind Scheinlösungen. Sie bringen im Asylverfahren dort, wo es lange liegt, keine Verbesserung, und Sie belasten die übrigen Bürger in unerträglicher Weise zusätzlich.Sie sind sich so uneins, daß man es eigentlich gar nicht übersehen kann. Da sagt der Kollege Pfarrer Hugo Brandt — Entschuldigung; er ist kein Pfarrer; er tut nur so —
noch am 6. März im SPD-Pressedienst als Stellungnahme zu den Vorschlägen der CDU wörtlich:Neue gesetzliche Regelungen als Antwort auf einen unbequemen temporären Zustand sind ein Zeichen der Hilfslosigkeit.
Herr Brandt, ich kann nur sagen: Was Sie uns hier vorgelegt haben — schnell und nicht richtig durchdacht —, ist ein typisches Zeichen von Hilflosigkeit. Sie haben in der Kritik an sich selbst meine volle Unterstützung.
Dann haben wir den Herrn Meinecke. Der Kollege Meinecke ist der Meinung — am 6. Mai 1980 —: Wenn der Asylantrag abgelehnt wird, soll nur noch vor einer Instanz geklagt werden können. — Nur vor einer Instanz! Das bedeutet eine Einschränkung der gerichtlichen Verfahren.Mir fällt weiter auf, daß Herr Minister Farthmann — sein Innenministerkollege ist ja vorhin hier aufgetreten — heute, am 2. Juli, in der Zeitung sagt, man solle sofort abschieben; man solle auch nicht sotun, als ob unser Staat ein Rechtsmittelstaat sein müsse.Was ist denn bei Ihnen nun die eigentliche Meinung?
Wenn der zuständige Sozialminister solche Äußerungen macht, sollten Sie das ernst nehmen und nicht so tun, als säßen bei uns die bösen Leute, die bloß das Asylrecht untergraben wollten. Die Verwirrung, die Sie jetzt zu stiften versuchen, indem Sie sagen, wir höhlten das Asylrecht aus, können wir mit aller Seelenruhe ertragen. Diejenigen, die im Grunde an das Asylrecht heranwollen, sitzen doch nicht auf unserer Seite, auf unseren Bänken. Schließlich sind die Äußerungen des Bundeskanzlers, die im „Spiegel" veröffentlicht worden sind, bisher nicht dementiert worden. Ich glaube sogar, daß der Bundeskanzler solche Äußerungen getan hat. Er hat laut „Spiegel" ausgeführt, nach der Wahl im Oktober müsse Art. 16 des Grundgesetzes zur Disposition gestellt werden. Wörtlich hieß es: An Art. 16 müssen wir ran.Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Professor Zeidler, ein hochqualifizierter Mann — Sie alle wissen doch, daß er der SPD angehört; warum sollen wir so etwas verschweigen müssen?; wir verschweigen ja auch nicht, daß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts der CDU ange-hört —,
hat immerhin, wie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 1. Juni berichtet wurde, wörtlich gesagt: „Ob sich der Grundgesetzartikel 16, der ziemlich einzig dastehend in der westlichen Welt ist, als ein einklagbares subjektives Recht noch ohne Gesetzesvorbehalt halten läßt ... " Das heißt, er macht den Vorschlag, dieses einklagbare subjektive Recht für einen Ausländer überhaupt durch Gesetz einzuschränken, indem man im Grundgesetz einen Gesetzesvorbehalt vorsieht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Penner?
Ja, selbstverständlich.
Bitte, Herr Penner.
Herr Kollege Erhard, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich im Namen meiner Fraktion heute ausdrücklich gesagt habe, daß
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Dr. Pennerder verfassungsrechtlich abgesicherte Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung für uns unantastbar ist, und wollen Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die eigentlichen Probleme, die man gemeinhin als Asylantenprobleme bezeichnet, nichts mit dem Kern des materiellen Rechts zu tun haben, sondern eher im Verfahrensrecht, das ja weit gefächert ist, ihre Ursache haben?
Daß die Probleme nicht nur etwas mit dem Verfahrensrecht, sondern auch ganz unzweifelhaft etwas mit der Situation auf unserem Arbeitsmarkt und mit der allgemeinen Ausländerpolitik zu tun haben, ist unverkennbar. Außerdem ist nach meiner Überzeugung auch unverkennbar, daß Sie eben gerade an die Verfahrensfragen nicht heranwollen. Gerade dort, so meine ich, ist aber ein wesentlicher Ansatzpunkt gegeben, um die Probleme zu lösen.
Wir haben unsere eigenen Vorschläge, wie Sie wissen, durchaus zeitgerecht vorgelegt. Sie aber versuchen, Verwirrung zu stiften, Verwirrung in dem Bilde, was denn nun wirklich lösbar bzw. nicht lösbar wäre. Sie schieben die Dinge zum Teil vom Bund weg auf Länder und Gemeinden. Wenn sich die Länder und Gemeinden das gefallen lassen, so ist das deren Sache. Wir weisen hier nur darauf hin. Zur Zeit wird in Frankfurt beispielsweise auf Grund dessen, daß im Asylverfahren Stehenden eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, nur für 30 % der Betroffenen Sozialhilfe gezahlt. Wenn die Maßnahmen zur Abschreckung greifen, wird die Gemeinde, wird die Stadt für 100 % dieser Personen Leistungen im Wege der Sozialhilfe aufbringen müssen. Heute werden, wie gesagt, 70 % vom Arbeitsmarkt aufgesogen. Dies ist eine der Wirklichkeiten, die wir uns vergegenwärtigen müssen.
— Ich bin der Meinung, daß man das Berufungsverfahren abschaffen sollte. Ich weiß überhaupt nicht, warum einem Heimatvertriebenen, der in Sachen Lastenausgleichsentschädigung klagt, nur eine Instanz und dann noch eine eingeschränkte Revision offenstehen sollen, ein Asylant diesbezüglich aber anders gestellt werden sollte. Unsere Vorschläge basieren genau auf den Vorschriften, die wir im Lastenausgleichsrecht haben. Warum Sie das nicht wollen, ist doch eigentlich nicht zu verstehen.
Es gibt noch andere Vorschläge. Es gibt auch den Vorschlag — das wissen Sie doch — vom Bundesinnenminister, die Zulassungsrevision einzuführen. Warum wird das hier so komisch diskutiert? Die Folge wäre doch, daß das Bundesverwaltungsgericht automatisch fast vollständig von Tausenden von Verfahren befreit würde.
In der Antwort auf die Große Anfrage sagt dann unsere hervorragende Bundesregierung, es seien nur
59 Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig; über die Zulassungsbeschwerden gebe es
keine statistischen Ermittlungen. Das ist unrichtig.
Würden Sie noch einmal eine Zwischenfrage von Herrn Penner gestatten?
Gleich, jetzt nicht. Ich möchte diesen Punkt erst einmal erledigen.Das Bundesverwaltungsgericht führt eine Statistik über die Verfahren. Allein bis zum 1. Januar dieses Jahres wurden dort über 1 700 Verfahren im Bereich des Asylrechts registriert. Warum die Bundesregierung solches zu erkennen nicht in der Lage war, obwohl das sogar in der Zeitung veröffentlicht wurde, vermag ich nicht zu verstehen.
Offenbar deshalb, weil man diese Zahlen nicht nennen will, denn was für ein oberes Bundesgericht wie das Bundesverwaltungsgericht eine solche Flut von Verfahren — bis jetzt sind wieder weit über 1000 Verfahren eingegangen — bedeutet, kann doch jeder erkennen, der in seinem Leben schon einmal mit der Einzelentscheidung zu tun gehabt hat. Ich glaube also, daß wir hier viel entschlossener und viel klarer handeln und nicht dauernd ausweichen sollten.Wie ist das mit dieser Ihrer komischen Einheit? Herr Vogel hat die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidungen des Amtes in Zirndorf vorgeschlagen. Sie antworten darauf: Es soll auf jeden Fall vorher eine vierwöchige Ausreisefrist bestehen. Sie übersehen, daß Sie dadurch in vielen Ausländerverfahren, die nicht unmittelbar etwas mit dem Asylrecht zu tun haben, Verzögerungen schaffen, wenn der Antragsteller einen Scheinantrag auf Asyl stellt. Sie belasten zusätzlich die Unterkunftsmöglichkeiten unserer Gemeinden. Sie bringen — das ist das Schlimme — die Ausländer damit insgesamt in einen Mißkredit in der Bevölkerung. Ich halte es für notwendig, daß wir als Gesetzgeber alles tun, um denen gegenüber, die hier zu Recht als Ausländer tätig sind, die hier die Arbeit machen, die viele Deutsche nicht leisten wollen, ein faires Klima in unserer Bevölkerung zu erhalten, weil wir sonst Stimmungen, Verärgerungen und Verengungen bei den in der Bundesrepublik lebenden Ausländern, die mit Recht hier sind, erzeugen, die wir .nicht in Kauf nehmen sollten.
Ich bin der Meinung, wir sollten Ihren Gesetzentwurf, was ja möglich gewesen wäre, vielleicht noch über den Bundesrat so weit von seinen Schlacken befreien, daß er halbwegs vernünftig ist. Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß es mehrere Vorschläge des Rechtsausschusses dieses Bundestages gibt, die einstimmig gefaßt, aber vom Innenausschuß als Makulatur abgelehnt worden sind. Wenn die Juristen von SPD und FDP in diesem Hause mit uns, mit den Juristen aus der Opposition, übereinstimmen, daß bestimmte Vorschriften rechtlich nicht haltbar sind und geändert werden sollten, dann muß wenigstens hier im Bundestag klar sein,
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Erhard
wie einig Sie sind, da sie einfach alle Vorschläge des Rechtsausschusses abgeschmettert haben. So sollte man Gesetze nicht machen. Man sollte hier jetzt auch nicht in kürzester Zeit mit aller Gewalt ein Gesetz durchpeitschen, mit dem Sie unserer Bevölkerung, unseren Gerichten und unseren Behörden Steine statt Brot geben. Wer Steine statt Brot gibt, wird merken, woran nachher unsere gesamte Gesellschaft und unser ganzer Staat krank werden. Sie tragen dafür aus Mangel an Entscheidungskraft und aus Mangel an Einigungsfähigkeit die Verantwortung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zuerst ab über den unter Tagesordnungspunkt 2 d genannten Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 8/3402. Der Ausschuß empfiehlt Ablehnung dieses Gesetzentwurfs. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP, Drucksache 8/4227. Ich rufe die §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. — Das Wort wird nicht mehr begehrt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der CDU/CSU ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Wir haben noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4339 unter Ziffer 3, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch? — Dann ist so beschlossen.
Ich darf noch einmal zur Information darauf hinweisen, daß in die schriftliche Vorlage eine fehlerhafte Seite aufgenommen worden ist. Es handelt sich um die Seite 7, die ausgewechselt werden muß. Diese Seite stammt aus einer anderen Drucksache. Sie werden die richtig ausgedruckte Drucksache nachher vorfinden.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die deutsche Humanitäre Hilfe im Ausland 1965 bis 1977
— Drucksachen 8/2155, 8/4236 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Meinecke Dr. Czaja
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Meinecke .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Wochen, in denen es etwas nervös und aufgeregt zugeht, sollte der Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland in den Jahren 1965 bis 1977 nicht unkommentiert vom Parlament zur Kenntnis genommen werden. Der Bericht ist im Unterausschuß und im Auswärtigen Ausschuß ein Jahr beraten und einstimmig akzeptiert worden.Dieser Bericht ist eine einzige Chronologie, die Bilanz des Elends dieser Welt in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren. Die Regierung hat sich lange genug, nämlich seit 1971, drängen lassen, den Bericht vorzulegen. Diese Bescheidenheit bedarf nicht der Kritik. Die Bescheidenheit ehrt die Regierung; denn ich bin der Auffassung, daß wohl kaum ein anderes Land über einen so umfassenden Bericht der Regierung verfügt und sich kaum ein anderes Parlament seit über zehn Jahren so intensiv mit den Katastrophen und Krisenherden in dieser Welt beschäftigt hat.Beginnen wir kühl mit Zahlen. Es stellt sich heraus, daß die finanziellen Aufwendungen aus dem Bundeshaushalt von 1965 bis 1979 die Summe von fast einer Dreiviertel Milliarde DM erreicht haben; daß Caritas und der Malteser Hilfsdienst in dieser Zeit etwa 260 Millionen DM aufbrachten und das Diakonische Werk mit einem Betrag von 118 Millionen DM und das Deutsche Rote Kreuz mit fast 100 Millionen DM zu Buche stehen.Insgesamt, so kann man sagen, hat unsere Gesellschaft, der Staat, die Hilfsdienste und die freiwilligen Organisationen in diesen Jahren aus Steuermitteln, Spenden und freiwilligen Beiträgen eine Summe von über 1 Milliarde DM aufgebracht. Darin sind die Gelder der großartigen „Stern"-Aktion aus den Zeiten der Dürrekatastrophe in der Sahel-Zone noch nicht enthalten.Die Definition der humanitären Hilfe ersehen Sie aus dem Bericht. Sie ist nicht politische Philosophie, sondern Anleitung zu solidarischem und praktischem Handeln. Mir ist es wichtig, zu betonen, daß es nicht darauf ankommt zu analysieren, wodurch ein Notstand in irgendeiner Nation oder einem Land auf der Erde entstanden ist. Es werden Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen genannt, und es wird oft auf die von Menschen verursachten schwierigen Lagen durch Bürgerkriege hingewiesen, die dann ihrerseits zu Flüchtlingsproblemen führen. Insofern knüpft diese Unterhaltung hier heute mittag an das morgendliche Thema an.
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Dr. Meinecke
Im Mittelpunkt steht immer der notleidende Mensch, und zwar unbeschadet des politisch-sozialen Systems, und dies ist die Prämisse für humanitäres Handeln. Die Hilfe zielt auf sofortige oder zumindest kurzfristige Beseitigung der Folgen einer akuten Notlage, mit der diese Nation selbst nicht fertig werden kann. Die Hilfe soll schnell wirksam werden und dazu beitragen, gefährdete Leben zu retten, sie soll unbeschadet der sozialen und politischen Ideologie des Staates vonstatten gehen, und sie soll im allgemeinen auf Wunsch der Regierung selbst in Gang gesetzt werden. Wir wollen und können uns nicht aufdrängen.Wenn Sie den Bericht studieren, werden Sie sehen, daß es sich in den Jahren 1965 bis 1974 im wesentlichen um bilaterale Hilfe gehandelt hat, durch die Lieferung von Hilfsgütern, den Einsatz von deutschen Fachleuten in Katastrophengebieten und durch finanzielle Unterstützung. Es gab auch damals schon multilaterale Hilfe durch die finanzielle Beteiligung an besonderen Hilfsmaßnahmen der internationalen. Organisationen. Im Laufe dieser Jahre hat sich das Schwergewicht allerdings ganz zweifellos zu den multilateralen Hilfsmaßnahmen verlagert. Dies ist ein Beweis dafür, daß Länder, die Nationen, die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, UNICEF, UNO-Flüchtlingskommissar, UNESCO, und die miteinander verbundenen internationalen karitativen Organisationen, wie das Internationale Rote Kreuz, ihre Aufgaben erkannt und wahrgenommen haben. Insbesondere die Leistungen der Mitarbeiter unseres Hohen Flüchtlingskommissars in Genf waren in den letzten ein bis zwei Jahren überdimensional und verdienen unsere hohe Anerkennung.
Mir scheint dabei die Rolle der Medien, insbesondere des Fernsehens, des Rundfunks und der Presse, nicht unwesentlich zu sein. Wir müssen vielleicht sogar dankbar dafür sein, daß wir fast täglich darauf aufmerksam gemacht werden, daß irgendwo auf diesem Erdball an irgendeinem Punkt eine derart katastrophale Situation entstanden ist, die uns nicht mehr erlaubt zuzusehen, sondern die uns gebietet, mit anzufassen, zu helfen, ganz gleich, auf welche Art und Weise und mit welcher Organisationsform. Es ist kaum noch übersehbar, wo überall auf dieser Welt solche Schwerpunkte entstehen. Der Bericht weist den Katalog der unzähligen Maßnahmen aus. Wir hüpfen in diesen Jahren gewissermaßen beratend von Kontinent zu Kontinent, von Land zu Land, von Subkontinent zu Subkontinent. Kaum ist eine Krise überwunden oder wenigstens gemildert, so entsteht bereits die nächste. Wer kann an der Richtigkeit der Äußerung von Heinrich Böll — es war Heinrich Böll, Herr Dregger, und nicht der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes — Zweifel haben, daß dieses 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Flüchtlinge ist?Die Offentlichkeit ist erregt über die Situation in einem Flüchtlingslager, sagen wir in Afrika. Vier Wochen später ist sie über die Lage in Pakistan erregt; die noch vor einem Jahr kaum erträgliche Lage der Flüchtlinge aus Indochina wird fast schon wie-der vergessen. Wir glauben schon, daß unsere Mitbürger fähig sein müssen, das gesammelte Maß an Elend wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Wir sehen oft, daß man sich auf ein Gebiet konzentriert, daß man versucht, dort zu helfen, und die anderen Krisenherde aus seinem Bewußtsein verdrängt.Der Bericht ermahnt uns, eine Ubersicht zu behalten. Eine Ubersicht bedeutet aber auch, über neue und zweckmäßigere Organisationsformen nachzudenken. Ich meine damit, daß eine internationale, insbesondere europäische, Zusammenarbeit verbessert werden sollte. Ich denke daran, daß bestimmte Nationen Europas aus ihrer Eigenart und aus dem technischen Stand ihrer Hilfsmittel heraus imstande sind, bestimmten Arten von Katastrophen besser zu begegnen, während das Schwergewicht anderer Länder wieder auf anderen Gebieten liegt. Hier sollte man vorher kooperieren, um dann im Notfall sofort handeln zu können.Unser Land war immer technisch gut in der Lage, nach Erdbebenkatastrophen Hilfe zu leisten. Aus der zeitlichen Abfolge der Maßnahmen von 1966 bis 1974 ersehen Sie, daß in den ersten Jahren, um die Jahre 1970/72, vorwiegend die Folgen von Überschwemmungskatastrophen, die Lage nach Erdbeben, die Lage nach Wirbelstürmen und insbesondere die Dürrekatastrophe in Nordafrika die vordringliche Rolle gespielt hat.In den letzten Jahren hat sich das Schwergewicht etwas verlagert, wobei ich nicht einmal davon überzeugt bin, daß die zahlenmäßige Bedeutung der Katastrophen zurückgegangen ist. Nein, ich glaube, daß das Bewußtsein und die Aufmerksamkeit der Menschen sich jetzt mehr auf die unzähligen Millionen richten, die als Flüchtlinge von einem Land zum anderen getrieben werden. Unsere Bevölkerung fragt sich irritiert und fassungslos, wie es unser moderner Erdball mit all seinen sozialen und technischen Fortschritten zulassen kann, daß zur Zeit fast 17 Millionen Menschen auf diesem Erdball wie in einer großen überdimensionalen Völkerwanderung herumziehen. Aber die Zahlen weisen es aus, und die Tätigkeit der Vereinten Nationen belegt es. Daher haben sich unsere Hilfsmaßnahmen im Schwergewicht fast ausschließlich auf dieses Gebiet gerichtet.Hier gibt es vielleicht eine bedauerliche, ja, im Grunde nicht akzeptable Erklärung: Mehr und mehr ist in das Bewußtsein der Bürger dieser Welt gedrungen, daß zahllose Staaten Rechtskonventionen wie z. B. die Genfer Konvention und Zusatzprotokolle unterschrieben und ratifiziert haben. Gleichwohl gibt es eine Zahl von Nationen, die, obwohl sie unterschrieben und ratifiziert haben, in ihrer innerstaatlichen Politik diese Menschenrechte selbst nicht einhalten und sie nicht allen ihren Bürgern zugute kommen lassen.Ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn man die einzelnen Nationen beim Namen nennt. Es hat wenig Sinn, anzuklagen und mit drohendem Zeigefinger auf irgendwelche besonderen Nationen oder. Systeme zu zeigen, schon deshalb, weil unser Land in seiner Geschichte nicht ganz schuldlos an der Er-
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Dr. Meinecke
zeugung solcher Flüchtlingsströme ist. Wir müssen aber versuchen, zu den Wurzeln zu gelangen, zu den Ursachen, die solche Ströme hervorrufen. Wir müssen den Regierenden der Staaten, die Konventionen und Deklarationen unterschrieben haben, sagen, daß Papier nicht nur Rohstoff ist. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm für ausländische Flüchtlinge, verabschiedet im August 1979, klar zu diesem Punkt Stellung genommen und gesagt, sie sei der Auffassung, daß es keinem Staat erlaubt sein dürfe, eine Politik zu führen, die die eigenen Bürger dazu treibt, daß sie in großer Zahl unter Aufgabe ihrer Heimat und unter Zurücklassung ihrer Habe unter Lebensgefahr ihr Heil in der Flucht suchen.Der Beschluß der Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Woche in Venedig geht in die gleiche Richtung. So scheint es an der Zeit zu sein, einmal anzuregen, daß in den Vereinten Nationen selbst über diese weltweiten Katastrophen ein offenes Wort gesprochen wird. Je offener das Wort, desto besser. Je mehr im einzelnen angeklagt und Scharzer Peter gespielt wird, desto schlechter. Der jährliche Bericht des Hohen Kommissars im September wäre ein guter Anlaß für die Demonstration der Vereinten Nationen, diese Flüchtlingsströme grundsätzlich einzudämmen und die Sorgen, die Not und den Tod vieler Menschen an den Pranger zu stellen.
Meine Damen und Herren, zum zweiten ist das Thema der Grenzen der humanitären Hilfe zu behandeln, natürlich auch der Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Die Regierung sagt zu Recht, daß es ihrer Natur nach nicht Sache der humanitären Hilfe im engeren Sinne sein kann, neben den Sofortmaßnahmen zur Linderung der Not auch gegen die eigentlichen Übel anzugehen, nämlich deren Ursachen. Naturereignisse, die in industrialisierten Ländern vielleicht kaum ernste Schäden anrichten, werden in vielen Ländern der Dritten Welt erst dadurch zu Katastrophen, daß es dort z. B. an zwei wesentlichen Voraussetzungen fehlt, an der sozialen Infrastruktur und an technischen Einrichtungen im Innern des Landes. Eines glaube ich jedoch: daß im politischen Vorfeld darauf hingewirkt werden kann, daß im naturwissenschaftlichen und soziologischen Bereich die Forschungsergebnisse und die Forschungsvorhaben zu einer besseren Vorherschau und Vorhersage und damit auch zur Vorbeugung und Prophylaxe mehr als bisher genutzt werden sollten.Ich erinnere an das fatale Erlebnis auf einer Konferenz der Interparlamentarischen Union, die es ablehnte, sich mit dem Forschungsprogramm der Universität der Vereinten Nationen in Tokio überhaupt zu befassen, obwohl mittlerweile die ganze Welt weiß, daß auf dem Gebiet der Erdbeben- und Erdkrustenforschung vielleicht zum Nutzen der in den betroffenen Regionen lebenden Menschen Dinge ans Licht gezogen werden könnten, die es ermöglichen würden, vorbeugend mehr als bisher zu tun und die Katastrophe zu lindern.Soweit es die Weltwasserwirtschaft betrifft, ist dieser Versuch von den Vereinten Nationen bereits gemacht worden. Auch hier läßt sich vorbeugend sehr viel mehr tun, so daß eine Katastrophe, wie sie uns wieder ins Haus steht, und zwar in den kommenden Wochen in Nordafrika, vielleicht vermieden oder zumindest gemildert werden könnte.Das dritte sind die Beziehungen zwischen der Entwicklungshilfe und der humanitären Hilfe. Humanitäre Hilfe kann sich naturgemäß nicht an den Erfordernissen der Entwicklungshilfe ausrichten. Wenn umgekehrt der Einsatz humanitärer Hilfe geholfen und gelindert hat, muß sich die Entwicklungshilfe auf Grund der neuen in dem Land bestehenden Situation an diese Maßnahmen anschließen. Es gibt hier aber flexible und fließende Übergänge. Dies ist auch im Unterausschuß monatelang beraten worden. Ich könnte mir schon vorstellen, daß ein Land, wenn es nicht unbeträchtliche Mittel für die Entwicklungshilfe erhält, diese Mittel vorübergehend umwidmen kann, denn Entwicklungshilfe kann nur Menschen zugute kommen, die nicht bereits vorher in Katastrophen ihr Leben verloren haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch über die Notlage sprechen, die in vielen europäischen Ländern, aber auch in den Vereinigten Staaten — das vergessen wir häufig —, in Australien und in Kanada dadurch entstanden ist, daß Tausende von Flüchtlingen aufgenommen werden müssen. Man muß versuchen, diesen neuen Mitbürgern eine Existenz zu schaffen, und dies wird eine erhebliche Belastung der Gesellschaft und ihrer Bürger mit sich bringen. Wir sind uns im klaren darüber, daß unsere Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge in den Aufnahmeländern wie auch bei uns selbst, gemessen an der akuten Not in aller Welt, nur ein verhältnismäßig bescheidener Beitrag sein können, um das Los einiger Tausend in besonders schweren Notlagen zu erleichtern. Wir sollten uns aber auch im klaren darüber sein, daß wir bei vielen Notlagen keine Wahl haben, keine andere Alternative, als zu helfen. Und so wird weiterhin ein Schiff in Südostasien die Menschen vor dem Ertrinken im Ozean retten, und wenn es ein deutsches Schiff ist, werden wir die Garantieerklärung, diese Menschen zu übernehmen, einhalten müssen. Dank an die „Cap Anamur"!Wir Sozialdemokraten sind darum schon der Meinung, daß versucht werden muß, die Zahl der sogenannten Kontingentflüchtlinge noch einmal zu erhöhen, und wir freuen uns darüber, daß der Herr Bundeskanzler das Gespräch hierüber mit den Ministerpräsidenten der Länder begonnen hat Meine Damen und Herren, ob wir ein Einwanderungsland oder kein Einwanderungsland sind, ist ein müßiger Streit um Worte, der die Lage nicht verändert Wir sind ein Zufluchtsland geworden, und dieser Anforderung müssen wir gerecht werden.Die Bundesregierung nennt im vorliegenden Bericht einige große Hilfsorganisationen beim Namen: den Deutschen Caritasverband, das Diakonische Werk, das Deutsche Rote Kreuz. Das sind drei der großen privaten Hilfsorganisationen. Wir wissen aber, daß sich auch viele kleinere Zusammen-Dr. Meinecke
Schlüsse von Menschen zu Organisationen, ja, auch Einzelpersonen immer wieder bemühen, an irgendeinem Punkt dieser Welt ihren Beitrag zu leisten. Wir glauben, daß auch diese kleineren Organisationen es verdienen, in einem fortzuschreibenden neuen Bericht in einigen Jahren beim Namen genannt zu werden. Natürlich haben die großen internationalen Gruppierungen eine bessere Ubersicht und wahrscheinlich auch eine bessere Administration; deshalb funktionieren sie auch besser. In Einzelfällen konnten wir uns jedoch davon überzeugen, daß bestimmte ziel- und projektgerichtete kleinere Gruppierungen es an Ort und Stelle manchmal leichter und weniger schwerfällig geschafft haben, zu helfen, weil sie unkonventioneller vorgegangen sind.Humanitäre Hilfe kann nicht Erfüllung im Konkurrenzkampf bedeuten. Hilfe für Flüchtlinge kann nicht das Betätigungsfeld von Selbstdarstellung und Ehrgeiz sein. Sie ist eine Aufgabe der internationalen Solidarität, und weil es um Menschen geht, zählt nur die Effizienz.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir — ich schaue schon immer ganz nervös auf die Uhr — noch eine kurze persönliche Bemerkung. Seit es diesen Unterausschuß gibt, habe ich in diesem Gremium mitarbeiten dürfen. Die ständige Konfrontation mit den Schicksalen der Ärmsten dieser Welt und eigene Erlebnisse in vielen Elendslagern dieses Erdballs haben mein Engagement nie erlahmen lassen. Die Beamten der Fachressorts hier und draußen leisten Dienst am Menschen, und wenn hier und da Pannen passieren und passieren werden, ist dies abzustellen; es bedarf keines Aufschreis. Wir alle wissen, daß oft an Ort und Stelle nicht sofort die richtigen Unterkünfte gebaut werden; und daß man mit Magermilchpulver aus EG-Töpfen keine neuen Brücken bauen kann, wird man auch langsam begreifen. Letztlich zählt das, was übrigbleibt, und das darf und kann man nicht bilanzieren. Darüber hat es bei uns auch nie Streit gegeben. Die Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen ist stets an der Sache orientiert gewesen, und hierfür habe auch ich mich zu bedanken.Die in diesem Bericht dargestellten, von uns täglich auch visuell erlebten Notsituationen in dieser Welt werden uns noch jahrelang — ich fürchte, ein Jahrzehnt lang — beschäftigen. Insbesondere die Not von Flüchtlingen, ihr Tod und ihr Ertrinken, das Erschlagen- und Erschossenwerden hören nicht auf. Die Zahl, jetzt schon auf 17 Millionen geschätzt, nimmt, fürchte ich, zu. Was können wir tun, was können wir alle noch mehr tun? Die Arbeit fortsetzen, ja, gewiß. Stellen wir uns täglich eine große kartographische Darstellung dieser Welt mit all den Strömen von Menschen in verschiedenen Farben und mit Pfeilen vor, so werden wir sehen: Kein Kontinent ist unbetroffen.Vielleicht ist es aber auch nützlich, wenn ich hier heute — so klein, wie ich nun eben bin — an alle Völker, die Flüchtlingsströme erzeugen, appelliere und mit dem Satz schließe: Ein Anfang wird gemacht sein, wenn es in jeder Debatte der VereintenNationen, in jeder Debatte der Interparlamentarischen Union, wenn es überall und in jedem Parlament der Welt am Schluß einer jeden Rede heißt: Ceterum censeo, haltet ein damit, Menschen zu vertreiben!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die humanitäre Hilfe ist kein Gebiet für parteipolitische Kontroversen, sondern, wenn es um das Parlament geht — das hat eben Herr Dr. Meinecke bewiesen —, mehr ein Gebiet gemeinsamen steten Mahnens und besorgten Drängens seitens der Vertreter der Fraktionen im zuständigen Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses angesichts der Unmasse von Flüchtlingselend.Alle, die mit Dr. Meinecke zusammenarbeiten durften, bedauern es sehr, daß er vorerst die parlamentarische Wirkebene verläßt, und hoffen, daß er die gemeinsame Arbeit anderweitig fortsetzen kann und daß er uns in der gemeinsamen Arbeit weiterhin erhalten bleibt.
Die Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1965 bis 1977 hat Dr. Meinecke dargelegt; ich berufe mich darauf. Die Nachrichten und die Meldungen über die grauenvolle Not der 13 Millionen und mehr Flüchtlinge in Asien und Afrika, darunter über 90 % Vertriebene aus kommunistischen Regimen, gehen heute schneller denn je um den Erdball. Das Gewissen der Einzelnen, das Gewissen der Völker, der Staaten und der Staatengemeinschaften sollte daher heute um so intensiver zum Handeln drängen. Die Not der verhungernden, der gejagten, der von Seuchen befallenen Menschen, die Hilfe für sie vor Ort sollte uns Tag und Nacht vor Augen stehen und uns Tag und Nacht beunruhigen.Den Regierungsbericht für 1965 bis 1977 lobten der Unterausschuß und der Auswärtige Ausschuß. Die Leistungen, die für die von Not und Katastrophen betroffenen Menschen von deutscher Seite erbracht wurden, haben zum guten Ruf der Deutschen beigetragen. Wir danken im Namen unserer Fraktion ebenfalls den karitativen Institutionen, insbesondere ihren Mitarbeitern, die idealistisch und unter Risiken und Entbehrungen ihren Dienst tun. Wir danken auch den vielen Spendern.
Aber die Beschlußempfehlung verweist auch darauf, daß die Eskalation von Flucht und Vertreibung neue, andere Hilfsformen der Staatengemeinschaft erfordert. Daraus ergibt sich der Appell an die Bundesregierung, bei allen internationalen Verhandlungen noch stärker darauf zu drängen, die für diese Hilfen notwendigen internationalen Strukturen zu entwickeln und zu verstärken.
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Dr. CzajaEin weites Gebiet ist das Bemühen, durch wirtschaftliches — ich möchte das besonders betonen —, durch wirtschaftliches und politisches Gewicht mit den Mitteln des internationalen Deliktrechts gegen die Ursachen der Vertreibung und Verfolgung anzugehen,
mit wirtschaftlichem und politischem Gewicht. Da aber der Unterausschuß „humanitäre Hilfe" sich mit den praktischen Sofortmaßnahmen zum Überleben befaßt, sei diese Problematik der Ursachen hier im übrigen ausgeklammertDagegen bleibt zu berichten, wie wir wiederholt mit größter Sorge darüber debattiert haben, daß elastische und koordinierte Strukturen der Staatengemeinschaft zur notwendigen Soforthilfe noch kaum in ausreichendem Maß vorhanden sind, daß die gemeinsame Vorhaltung technischer Hilfsorgane zur raschen Einrichtung von Lagern und Auffanglagern für Zehntausende und Hunderttausende Menschen, Vorrichtungen zur Wasserversorgung, zur Seuchenbekämpfung, zur ersten medizinischen Hilfe, zur Lebensmittelhilfe für kärgste Rationen, zur Vorbeugung gegen Hungerkatastrophen in Dürregebieten noch zu schwerfällig arbeiten oder ungenügend vorhanden sind. Einige Staaten und wir leisten auf nationalem Wege manches sehr rasch. Ebenso bemüht sich der Hohe Flüchtlingskommissar international, ebenso manche anderen Institutionen. Aber gerade der Hohe Flüchtlingskommissar muß bei fast jeder neuen Katastrophe monatelang erst einsammeln gehen, bevor er erfolgswirksam werden kann.Es fehlt in den internationalen Institutionen das in den betreffenden Gebieten erfahrene technische Personal. Oft sind auch manche internationalen Institutionen nicht voll miteinander koordiniert. Die Gemeinschaft freier Staaten müßte sich eigentlich möglichst bald ein einsetzbares technisches Hilfskorps in Zusammenarbeit mit den nationalen Hilfswerken und mit den vorbildlich arbeitenden karitativen Einrichtungen schaffen und einen jederzeit bei Beginn von großen Flucht- und Katastrophenereignissen einsetzbaren Hilfsfonds.Die karitativen Institutionen leisten Vorbildliches, aber sie können meist nur dort etwas tun, wo sie entsprechende Schwestergesellschaften haben.Bei der Flucht sterben oft Zehntausende in den ersten Wochen, bis bei Massenvertreibungen die Hilfe einsetzt. Oft haben Hunger-, Bürgerkriegs-und Katastrophengebiete eine völlig unzulängliche Entwicklungs- und Verbindungsstruktur. Auch dazu bedürften sie oft der Hilfe der StaatengemeinschaftEs ist sinnvoll — das möchte ich besonders betonen —, die in Asien und Afrika Vertriebenen oder Hungernden in angemessener Entfernung, aber in der gleichen Region unterzubringen.
Das hat auch die Asyldiskussion vorhin gezeigt. Das ist in jeder Beziehung sinnvoller als ein großzügiger Transport über mehrere Kontinente. In gemeinsamer Anstrengung sollten dafür unter Berücksichtigung der Gegensätze der Völker und Rassen geeignete Gebiete und Landstriche gefunden und durch Anstrengungen der freien Staatengemeinschaft entsprechend ausgestattet werden. Manchmal ist die Rückkehr einer großen Zahl geflohener Menschen bald möglich, manchmal werden aber neue Siedlungsgebiete entstehen müssen.Eine besondere Aufgabe der Staatengemeinschaft ist es, dafür gemeinsame Räume auszumachen, aber auch in diesen Gebieten und den sie beherrschenden Staaten ausreichend Struktur- und Ausgleichsmittel zukommen zu lassen.
Ein neues Aufgabengebiet auch der Entwicklungshilfe scheint sich hier zu öffnen, bei dem es vorerst gilt, zum Überleben zu helfen und für das Überleben Strukturen zu entwickeln.In der internationalen Staatengemeinschaft geht das nicht ohne Impulse. Unser Volk kennt die millionenfache Not der Vertreibung. Wir bitten unsere Regierung um eine reiche Entfaltung solcher Impulse und Anregungen, beispielsweise bei den zahlreichen Auslandsreisen und Konferenzen des Herrn Bundesaußenministers.
In Venedig gab es dafür ein erstes Bemühen. Aber neben Kommuniqués bedarf es noch der wirkkräftigen Organisierung internationaler Hilfen. Ein einzelner Flug des Innenministers nach Somalia erweckt zwar Aufmerksamkeit, aber ihm muß nun die koordinierte internationale und nicht nur deutsche Hilfe folgen.Auf der nationalen Ebene hat das kleine Referat beim Auswärtigen Amt Beachtliches geleistet Wiederholt kam im Ausschuß die Bitte an das Außenministerium und das Parlament zum Ausdruck, dieses Referat personell und finanziell so auszustatten, wie es der Masse des Elends entspricht Das Referat braucht mehr Mitarbeiter. Der Umfang der humanitären Not und Hilfe und — ich sage das auch im Vorlauf auf Madrid — des Ringens um Menschenrechte in aller Welt sowie um ihre stärkere Verwirklichung könnte eigentlich eine ganze Unterabteilung des Auswärtigen Amts befassen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium, insbesondere mit dem dem Innenministerium unterstellten Technischen Hilfswerk, ist noch unzureichend. Seit 1976 wurde das Technische Hilfswerk kaum eingesetzt. Zwei vorerst noch amtierende Minister der Freien Demokraten müßten sich eigentlich — wenigstens für die nächsten Monate — über bürokratische Eifersüchteleien der Häuser hinwegsetzen können.Hilfeleistungen von Gruppen, die sich spontan gebildet haben und von denen auch Herr Dr. Meinecke gesprochen hat, brauchen ein verantwortungsvolles, ein nüchternes, ein sauberes Management, eine saubere Leitung.
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Dr. CzajaWenn die humanitären Hilfsmittel im Auswärtigen Amt bereits im Juni ausgehen, sollte die Entwicklungshilfe finanziell einspringen. Das BMZ hat immer Projektmittel auch für verzögerte Projekte. Es sollte — wie in der Vergangenheit ab und zu geschehen — mit Genehmigung der Bundesregierung und des Haushaltsausschusses jetzt verstärkt Überbrückungshilfen für überplanmäßige Bedürfnisse zum Überleben einsetzen.
Meine Damen und Herren, der fundamentale Wandel in den Strukturen internationaler und zum Teil auch nationaler Hilfen, wie er in Ziffer 2 der Beschlußempfehlung angesprochen wird, dürfte — das zeigte sich bei den Beratungen des Unterausschusses — immer dringlicher werden. Diese Beratung hier im Plenum sollte alle damit Befaßten im Sinne der Beschlußempfehlung mahnen, sie sollte aber auch die Gewissen in unserer Gesellschaft und unserer Bürger zu eigener spontaner Hilfe wachrufen. — Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bevölkerung in der Bundesrepublik hört immer wieder von neuem von Katastrophen irgendwo in der Welt, seien es Erdbeben, Dürre, Überschwemmung, Stürme, Epidemien oder — das haben ja auch meine beiden Vorredner bereits erwähnt — die zunehmende und in letzter Zeit wieder verstärkt zunehmende Flüchtlingsnot. Wir hören dann von Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung und der einzelnen Hilfsorganisationen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen bereit sind, sich durch einen Spendenbeitrag daran persönlich zu beteiligen.
Es ist gut, in diesem Bericht die Leistungen der humanitären Hilfe einmal zusammengefaßt zu sehen. Man sollte an dieser Stelle vielleicht darauf hinweisen, daß dieser Bericht auf Initiative von Rolf Meinecke zustande gekommen ist. Es wäre schön, wenn wir diese Tradition fortsetzen würden. Denn es ist sicher gut, sich über die humanitäre Hilfe und ihre Bilanz von Zeit zu Zeit hier einmal zu unterhalten.
Wenn Sie diesen Bericht aufschlagen, werden Sie in ihm die nüchterne Zusammenfassung von Katastrophen finden. Hinter diesen Katastrophen verbergen sich unzählige Einzelschicksale, die man nur erahnen kann. Setzt man dagegen nun die von 1965 bis 1979, also in 15 Jahren, geleistete Hilfe — private und staatliche Hilfe zusammen — in Höhe von etwa 1,3 Milliarden DM— davon entfallen auf Hilfen aus dem Bundeshaushalt 674 Millionen DM —, dann kann dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Wir brauchen unser Licht zwar sicherlich nicht unter den Scheffel zu stellen, aber die Begrenztheit unserer Möglichkeiten darf hierbei nicht übersehen werden.
Humanitäre Hilfe ist Hilfe zum Überleben. Sie muß in den akuten Fällen sofort wirken d. h., sie muß
flexibel, unbürokratisch und entscheidungsfreudig geleistet werden. Humanitäre Hilfe kann nicht vorbeugend oder nachsorgend verstanden werden. Deshalb bedarf die humanitäre Hilfe dringend einer Ergänzung durch eine wirksame Entwicklungspolitik. Von Ihnen, Herr Czaja, ist nun der Vorschlag gemacht worden, man möge doch, wenn die Mittel für die humanitäre Hilfe nicht ausreichen, Mittel aus dem Entwicklungshilfefonds nehmen. Ich halte dies für den in der Tat schlechtesten Ansatz,
Herr Czaja, weil eine vernünftige Entwicklungspolitik — im übrigen gibt es Überschüsse ja auch in anderen Ressorts; warum kommen Sie gerade in diesem Bereich darauf? — in den Reihen der ärmsten Länder ein ganz erhebliches Stück Vorsorge dafür sein kann, daß humanitäre Hilfe überhaupt überflüssig wird. Insofern sollten wir diese Mittel, die für etwas Wichtiges vorgesehen sind, nicht zum Gegenstand eines Deckungsvorschlags machen.
— Ihre Entwicklungspolitiker sind im Augenblick nicht da, aber ich könnte mir vorstellen, daß sie etwas anderes gesagt hätten als Herr Czaja. Davon kann ich hoffentlich wohl ausgehen.
Sieht man sich einmal die Länder an, die besonders von Katastrophen erschüttert sind — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffacker?
Ja.
Frau Schuchardt, ist Ihnen bekannt, daß 1978 aus den Haushaltsmitteln des Entwicklungshilfeetats 600 Millionen DM nicht vergeben werden konnten?
Herr Hoffacker, das ist mir selbstverständlich klar. Wir haben deswegen auch gemeinsam darauf gedrungen, dafür zu sorgen, daß die Projekte so angelegt werden, daß die von uns als Parlament vorgesehenen Mittel tatsächlich auch abgerufen werden können. Aber Sie erinnern sich sicherlich andererseits an eine Diskussion, die wir gerade im Ausschuß geführt haben, wo es Ihre Fraktion war, die den Finanzminister zitiert und ihm vorgeworfen hat, wie unglaublich es sei, daß er zuwenig für die Entwicklungshilfe tue. Just in diesem Moment sagt ein anderer Redner von Ihnen: Ach, bei der Entwicklungshilfe haben wir ja ein bißchen übrig, das können wir möglicherweise hier hineintun. Ich finde, Sie sollten sich vielleicht hin und wieder ein bißchen besser miteinander abstimmen.
Ich bin ja mit Ihnen der Auffassung, daß wir für den Bereich der humanitären Hilfe sicherlich noch einiges tun müssen. Nur gegen diesen Deckungsvorschlag — weil er der einzige Deckungsvorschlag
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Frau Schuchardtwar, der hier gebracht worden ist — habe ich mich gewandt.
Ich halte es deshalb für gut, daß wir in der Entwicklungspolitik gerade für die ärmsten Länder, die ja meistens auch diejenigen sind, die besonders von Katastrophen geschüttelt werden, eine Priorität anerkannt haben.Lassen Sie mich zu einzelnen, mir wichtig erscheinenden Punkten noch etwas sagen.Unsere Hilfe muß auch im Vergleich zu solchen Ländern gesehen werden, die selbst zu den ärmsten zählen und selbst durch Belastungen von außen total überfordert sind, ja in ihrer eigenen Entwicklung durch solche Belastungen behindert oder gar erheblich zurückgeworfen werden. Ich will beispielsweise Somalia nennen, ein Land mit 4 Millionen Einwohnern und zur Zeit vermutlich, geschätzt, 1,5 Millionen Flüchtlingen. Was das für ein solches Land bedeutet! Es steht vor unlösbaren Problemen. Ich halte es deshalb für ungeheuer wichtig, daß der Innenminister hingefahren ist, um festzustellen, wie man da wirkungsvoll helfen kann. Das Land selber ist damit überfordert. Ich glaube, wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen mitbekommen, so daß man hier auch tatsächlich wirksam eingreifen kann.
— Vielen Dank, das war eine wertvolle Erinnerung. Das sollte man hier auch noch hinzufügen.
— Dies ist ein verheerendes Argument, Herr Hoffacker, weil es nämlich auch gegen alle Abgeordnetenreisen ins Ausland spricht.
— Sie können doch nicht sagen, wenn Minister ins Ausland reisen, ist es schlimm, und wenn Abgeordnete ins Ausland reisen, ist es gut. So einfach können wir es uns doch hier nicht machen. Entscheidend ist, daß durch solche Reisen in der Tat auch eine notwendige Öffentlichkeit hier in der Bundesrepublik hergestellt werden kann, um sozusagen ergänzend zu staatlichen Hilfsmaßnahmen noch private weiterhin zu mobilisieren. Wenn wir uns an das erinnern, was über die Finanzmittel vorgetragen worden ist, stellen wir fest, daß zu den Mitteln aus dem Bundeshaushalt noch einmal private Mittel in etwa gleicher Höhe hinzukommen. Ich finde, auf die sollten wir nicht verzichten, und die können gerade durch eine solche Bewußtseinsbildung mobilisiert werden.Wir wissen noch aus dem letzten Jahr, daß die ASEAN-Länder, Thailand, Malaisia und Indonesienz. B., nicht mehr bereit waren, Vietnamflüchtlinge von ihren Küsten aufzunehmen, sondern ins offene Meer zurückschickten, weil sie meinten, daß dies für sie die einzige noch offenstehende Möglichkeit war, die Weltöffentlichkeit auf diesen Ansturm von Flüchtlingen auf diese armen Länder aufmerksam zu machen. Ihnen ist es gelungen, und wir sollten deshalb unsererseits versuchen, es nie so weit kommen zu lassen, daß Länder meinen, sich auf diese Art und Weise wehren zu können und wehren zu müssen. Wir sollten über Somalia, das heute ja unsere Aufmerksamkeit so erweckt, nicht auf der anderen Seite — —
— Ich mache doch keinen Wahlkampf, Herr Hoffakker! Wie verstehen Sie denn Wahlkampf? Das meine ich in alle Richtungen. Ich weiß gar nicht, warum Sie so empfindlich reagieren. — Entscheidend ist vielmehr, daß man darüber hinaus versuchen muß, die ASEAN-Länder nach wie vor deutlich zu unterstützen. Wir sollten nicht vergessen, daß es nach wie vor große Ströme von Flüchtlingen aus Vietnam und Kambodscha gibt.Ich finde es sehr gut, daß in diesem Bericht auf Folgeerscheinungen von Hilfsmaßnahmen eingegangen worden ist, Hilfsmaßnahmen, die wir meist nach unserer Vorstellung gestalten, wie wir am besten helfen sollten. Ich möchte drei Beispiele herausgreifen.Wir haben bei einer Reise nach Thailand feststellen können, daß der Lebensstandard der Menschen, die in solchen Ländern leben, die von Flüchtlingsströmen überrannt werden, so niedrig ist, daß manchmal schon die ganz geringe Ausstattung der Flüchtlingslager immer noch einen besseren Lebensstandard gewährleistet — man wird dort wenigstens satt —, als ihn ein Teil der Bevölkerung eines solchen Landes hat. Was das für Auswirkungen auf die interne Entwicklung eines solchen Landes hat, muß man mit einbeziehen. Das ist übrigens ein weiteres Argument, Herr Czaja, die Ansätze für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe nicht gegenseitig deckungsfähig zu machen.
Vielmehr sollten die Entwicklungshilfemittel dort möglichst dazu eingesetzt werden, den Lebensstandard der Länder, die von dem Flüchtlingsstrom betroffen sind, zu verbessern.Ich möchte etwas zu den Preisentwicklungen sagen. Wenn in kleineren Regionen Flüchtlingslager entstehen und die Flüchtlinge z. B. auf dem nahegelegenen Markt ihre Nahrung erwerben, so stellen die Einheimischen in erschreckender Weise Preissteigerungen fest, die sich dann unmittelbar auf ihren eigenen Lebensstandard ungünstig auswirken.Das dritte Beispiel betrifft die Nahrungsmittelhilfe, von der ich weiß, daß es in Europa im Augenblick Auseinandersetzungen zwischen den Agrariern und den Entwicklungspolitikern darüber gibt, ob man eigentlich Nahrungsmittel einfach als Ent-
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Frau SchuchardtWicklungshilfe bereitstellen und auch noch als solche deklarieren sollte. Ich glaube, hier spreche ich für alle Entwicklungspolitiker — jedenfalls ist im Ausschuß darüber einhellig diskutiert worden —, wenn ich sage, daß Nahrungsmittelhilfe in Teilbereichen sicherlich sinnvoll ist, andererseits aber dadurch, daß man Nahrungsmittel irgendwohin schickt, ein Preisdumping entsteht. Dadurch ist es für die einheimischen Bauern praktisch nicht mehr möglich, ihre Ware zu angemessenen Preisen loszuwerden. Insofern finde ich es gut, daß in einem Bericht gerade auch ähnliche Punkte angesprochen worden sind. Das schafft uns selber ein bißchen Problembewußtsein, und man erkennt, was man in der Vergangenheit falsch gemacht hat und wo man etwas korrigieren muß.Meine Damen und Herren, die Hilfsbereitschaft vieler Menschen ist groß. Man erlebt immer wieder, daß in irgendwelchen aktuellen Notsituationen plötzlich Sachspenden zusammenkommen. Dabei entsteht aber das Problem, wenn man diese über viele tausend Kilometer in das Gebiet transportiert, wo damit geholfen werden soll, Transportkosten entstehen, die bei weitem den Preis übersteigen, für den man genau die Güter, die als Sachspenden zusammengekommen sind, in der Region, für die sie bestimmt sind, erwerben könnte.Es kommt deshalb darauf an, deutlich zu machen — das ist sicherlich auch Aufgabe der Politik —, daß wohlgemeinte, aber nicht durchdachte Hilfe auch die Hilfsbereitschaft der Bürger im großen und ganzen gefährden kann. Wir sollten aber doch darauf hinweisen, daß die privaten Spender auf Grund der Erfahrungen eigentlich beruhigt sein können. Die Mittel, die sie spenden, landen dort, wo sie landen sollen.In diesem Zusammenhang sollte man den Hilfsorganisationen für ihre Arbeit in dieser Weise ganz besonders danken,
den Hilfsorganisationen und ihren Helfern, die für den Spender im Grunde genommen gewährleisten können, daß das, was gespendet wurde, auch an den richtigen Ort kommt. Auch den Spendern sollten wir danken und sie bitten, in ihrer Spendentätigkeit nicht müde zu werden.Gestatten Sie mir noch einen Gedanken. Die Beobachtung der Versorgung von Flüchtlingslagern hat mich eigentlich sehr betrübt. Es ist so etwas ähnliches wie ein Kleinkrieg zwischen den großen etablierten Hilfsorganisationen und den kleinen, zum Teil sehr effizient arbeitenden Hilfsorganisationen entstanden. Ich muß ehrlich sagen: Ich halte die Arbeiten beider für unverzichtbar. Es ist unbestritten, daß die großen Hilfsorganisationen bei der humanitären Hilfe eine ganz wesentliche Arbeit leisten, auf die der Staat nicht verzichten kann, aber daß sich kleine Hilfsorganisationen sehr viel flexibler auf akute Notsituationen einstellen können. Ich appelliere besonders an das Deutsche Rote Kreuz und seinen Generalsekretär, der sich offenbar außerordentlich schwertut, die Leistungen solch kleiner Organisationen anzuerkennen, mehr Willen zur Flexibilität und zur Anerkennung der besonderen Leistungen solcher kleinen Organisationen zu zeigen. Wir als Abgeordnete haben den Dialog mit diesen Organisationen ja schon begonnen. Er sollte fortgesetzt werden.Wir sollten zum Schluß noch einmal deutlich machen, daß die humanitäre Hilfe, die wir geleistet haben, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und langfristig sicher ja auch nichts anderes sein kann. Wir wissen aber, daß die Anstrengungen in Anbetracht der Katastrophen weltweit weiterhin gesteigert werden müssen. Dazu bedarf es besonders des Engagements aller, auch des einzelnen. Ich bitte deshalb sehr herzlich, sich an diesen Hilfsorganisationen als Einzelperson zu beteiligen. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bitte gestatten Sie mir am Ende der Beratung des Berichts der Bundesregierung über die deutsche Humanitäre Hilfe im Ausland für die Bundesregierung vier kurze abschließende Bemerkungen.Meine erste Bemerkung ist ein Dank an den Unterausschuß Humanitäre Hilfe und seine engagierten Mitglieder. Stellvertretend für alle darf ich unseren Kollegen Rolf Meinecke erwähnen, der sich in diesem Bereich große Verdienste erworben hat.
Ich bedanke mich namens des Auswärtigen Amtes sehr herzlich auch dafür, daß in Ihrem Bericht und Ihrer Beschlußvorlage die Organisationen erwähnt wurden, die großen, aber vor allem die kleinen Organisationen, die — hier stimme ich mit allen Rednern überein — einen ungeheuren Einsatz zur Bekämpfung des Flüchtlingselends in aller Welt geleistet haben. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, daß Geld nur ein Teil der Hilfe ist und daß die persönliche menschliche Zuwendung gegenüber heimatlosen, ins Elend gestoßenen Menschen den Ausschlag gibt.Ich danke auch den Bürgern unseres Landes, die — auch das muß man hier noch einmal unterstreichen — nicht müde werden, jedem Aufruf Folge zu leisten, Spenden zu geben, finanzielle Opfer zu bringen. Ich glaube, das ist ein guter Gegenbeweis gegen die oft zuhörende Behauptung, die Menschen in unserem Land seien ausschließlich materialistisch und egoistisch eingestellt. Was hier an privaten und persönlichen Spenden erbracht wird, findet auch international hohe Anerkennung.Zweitens. Wenn wir heute eine Zwischenbilanz über unsere Leistungen im Bereich der Humanitären Hilfe ziehen, so tun wir dies gewiß nicht von ungefähr, sondern auch in Erinnerung an das Schicksal ungezählter eigener Bürger, die Vertreibung und Flüchtlingselend am eigenen Leib erlebt haben. Ich spüre immer wieder, daß es gerade diese Motivation
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherist, die unser Land befähigt, große eigene Leistungen zu erbringen. Auch dafür vielen Dank.Meine dritte Bemerkung bezieht sich auf die in der Kurzdebatte vorgebrachten Anregungen und Vorschläge, auch auf die kleinen kritischen Anmerkungen, die Sie, Herr Kollege Czaja, gemacht haben. Sie dürfen sicher sein, daß wir sie aufnehmen werden und daß wir uns ganz selbstverständlich in den internationalen Organisationen, über die ja ein großer und zunehmender Teil der Humanitären Hilfe abgewickelt wird, um die Verbesserung der Strukturen und vor allem um das raschere Tätigwerden dieser Organisationen bemühen werden. Eifersüchteleien und Rivalitäten zwischen Bundesministerien habe ich in dieser Frage nie erlebt, eher einen edlen Wettstreit — so kann man es auch nennen. Wir werden dem Parlament dann, wie vorgesehen, bis August 1982 berichten, welche Anregungen des Unterausschusses wir aufgenommen und welche Ergebnisse und Verbesserungen wir erreicht haben. Es ist ganz richtig, daß hier ein enger Zusammenhang zwischen humanitärer Hilfe einerseits und dem Einsatz der Entwicklungshilfeleistungen andererseits gegeben ist.Abschließend kann ich nur noch einmal das „Ceterum censeo" von Rolf Meinecke aufnehmen und es unterstreichen: Wenn wir alle wünschen, daß der Vertreibung und Verstoßung von unschuldigen Menschen endlich Einhalt geboten wird, so sollten wir hinzufügen, daß wir alle gemeinsam zusammenwirken wollen und müssen, daß auch die politischen Ursachen bekämpft und überwunden werden, die auf der Welt zur Vertreibung und zum Flüchtlingselend führen. Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4236 unter Buchstabe a, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/2155 zur Kenntnis zu nehmen. Ich stelle fest, daß der Deutsche Bundestag dies getan hat.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4236 ferner unter Buchstabe b die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Entschließung ist einstimmig angenommen.Ich habe noch eine amtliche Mitteilung zu machen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung der morgigen Sitzung um die Beratungspunkte ergänzt werden, die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung der 229. Sitzung am Donnerstag, dem 3. Juli 1980" aufgeführt sind.1. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 8/3019aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4250 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4222 —Berichterstatter: Abgeordneter Biermann
b) Zweite Beratung des von den Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 8/3020 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4250 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4222 —Berichterstatter: Abgeordneter Biermann
2. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Narjes, Grunenberg, Angermeyer, Dr. Corterier, Ewen, Dr. von Geldern, Kittelmann, Rapp , Dr. Wittmann (München) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus — Drucksache 8/2363 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/4359 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. von Geldern Dr. Jens
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPSportförderung in den Entwicklungsländern — Drucksache 8/4357 —4. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer 2 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Geländes an der Dachauer Straße in München an den Freistaat Bayern— Drucksachen 8/4212, 8/4351, 8/4358 —Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerDer Zusatzpunkt 1 soll nach Punkt 12 der Tagesordnung, die Zusatzpunkte 2 und 3 sollen nach Punkt 15 der Tagesordnung und der Zusatzpunkt 4 soll nach Punkt 26 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ich frage: Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es wird so verfahren.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 gegen Geiselnahme— Drucksachen 8/4133, 8/4280, 8/4334 —Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 8/4297 —Berichterstatter:Abgeordneter Graf Stauffenberg
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18565
Präsident StücklenInterfraktionell ist eine Aussprache mit Kurzbeiträgen vereinbart worden. Ich eröffne die Ausspräche. Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüße ich die Konvention gegen Geiselnahme ohne Einschränkungen. Zugleich möchte ich der Bundesregierung und insbesondere Herrn Bundesaußenminister Genscher für die Initiative in den Vereinten Nationen danken. Wir sehen immer wieder, wie wichtig es ist, daß wir in dieser großen weltweiten Organisation vertreten sind.
Die Konvention steht in einer Reihe mit den Bemühungen der Bundesregierung um die Eindämmung der Todesstrafe, um eine Konvention gegen die Folter, um das Verbot besonders grausam wirkender Waffen und um die europäische Terrorismuskonvention. Auch die Zusatzprotokolle vom Dezember 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949, die den Schutz für die Opfer bewaffneter Konflikte ausbauen, gehören in diesen Zusammenhang.
Allen diesen Abkommen ist, wie auch der vorliegende Gesetzentwurf hervorhebt, gemeinsam, daß nicht nach Motiven und Gründen einer Tat gefragt wird, sondern daß allein darauf abgestellt wird, ob sie besonders unmenschlich sind. Niemand — kein Staat und keine Organisation, weder im regulären Krieg noch im Befreiungskrieg — darf unmenschliche Repressalien ergreifen. Eine Geiselnahme ist nie gerechtfertigt; sie ist immer zu verurteilen.
Wir müssen da Gemeinsamkeiten suchen, meine Damen und Herren, wo Übereinstimmung möglich ist. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf ein besonders gutes Ergebnis. Wir müssen in den Vereinten Nationen immer die Wege beschreiten, die auch wirklich Erfolg bringen, weil ja natürlich noch sehr viele Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. So haben die VN die Geiselnahme von der verfahrenen Terrorismusdebatte, so darf man wohl sagen, abgetrennt und konnten sich dann über die besondere Verwerflichkeit dieses Gewaltakts der Geiselnahme verständigen. Wer eine universelle Regelung in der UNO finden will, der muß eben Zugeständnisse machen.
Außenminister Genscher sprach vor der 31. Generalversammlung vom „notwendigen Kampf gegen die neuen nichtstaatlichen Formen der Gewalt", die mit eingeschlossen sein sollten, wie das in dieser Vorlage der Fall ist.
Gegenwärtig sieht es so aus, als hätte die Spielart der Geiselnahme — sicherlich auch wegen dieser Konvention, der die Dritte Welt und die Ostblockstaaten zugestimmt haben — bis auf wenige aktuelle, allerdings besonders eklatante Fälle etwas nachgelassen. Wir stehen jetzt im Iran, aber auch in Libyen vor der Tatsache des Staatsterrorismus, der Geiselnahme von Staats wegen. Meine Damen und Herren, ich warte immer noch jeden Tag darauf, daß uns über Radio oder Fernsehen gerade aus dem Iran
bessere Nachrichten über die Freilassung und die Zurückführung der Geiseln in ihr Heimatland erreichen.
Die Konvention gegen Geiselnahme ist nicht unbedingt dem Buchstaben nach, aber doch dem Geiste nach auch für alle Geiselnahmen von Bedeutung. Es ist eine Art Gratwanderung, auf der wir uns auf diesem Felde befinden, weil natürlich über die verschiedenen Organisationen und Maßnahmen unterschiedliche Auffassungen bestehen. Aber wer Geiseln nimmt — das möchte ich ausdrücklich betonen —, stellt sich außerhalb der humanen und zivilisierten Menschheit.
Geiselnahme ist weder unter politischen noch unter religiösen oder ideologischen Gesichtspunkten vertretbar. Die Rettung der Menschenleben — so sagt auch die Konvention — hat natürlich bei all den Problemen und Situationen unbedingten Vorrang.
Dazu ist es manchmal nötig, die Vorgänge atmosphärisch zu entdramatisieren, ohne das Unrecht natürlich zu sanktionieren, um überhaupt ins Gespräch zu kommen. Der Rechtsbrecher darf jedoch nicht den Eindruck haben, noch belohnt zu werden. Sein Rezept darf nicht Beispiel machen für andere, indem das Verbrechen einfach so hingenommen wird.
Die Konvention gegen Geiselnahme geht diesen schwierigen Weg. Die Regierungen sind gut beraten, sich daran zu halten. Alles hängt davon ab, meine Damen und Herren — in diesem Hause stimmen wir sicher darin überein —, daß es uns gelingt, die Ansätze einer Weltmeinung, daß Regeln im Interesse der internationalen Beziehungen eingehalten werden müssen, unabhängig von Ideologie, Politik und religiöser Motivation, zu verstärken. Wir tun dies mit der Ratifikation des uns vorliegenden Gesetzentwurfs. Ich hoffe, daß ihm alle Kollegen die Zustimmung geben werden. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn es darum geht, der Regierung ein paar Blumen zu überreichen, möchte ich meiner sehr charmanten Vorrednerin nicht nachstehen und die sehr charmante Vertreterin der Regierung, die hier anwesend ist, bitten, diesen Blumengruß weiterzureichen; denn es handelt sich hier — und ich glaube, das ist in der Tat ganz beachtenswert — um die erste Konvention im Rahmen der Vereinten Nationen, die auf die Initiative der Bundesrepublik Deutschland zurückgeht.
Ich kann mich, was Inhalt, Bedeutung und Bewertung angeht, im wesentlichen — vielleicht ist das in diesem Hause eine Seltenheit — den Ausführungen
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Graf Stauffenbergmeiner verehrten Vorrednerin anschließen. Dennoch meine ich, wir sollten uns bei dieser Gelegenheit das Umfeld dieser Konvention ein wenig nachdenklich ansehen.Meine Damen und Herren, die Vorlage für eine entsprechende Konvention geht auf das Jahr 1976 zurück und stand ganz unter dem Eindruck der damaligen dramatischen und tragischen Erfahrungen, die uns alle bewegt haben. Hier zeigt sich, wie langsam und mühsam ein so großer Apparat wie die Vereinten Nationen arbeitet, bis er schließlich mit dem Abschluß einer solchen Konvention zu Stuhle kommt Nun liegt uns dieser Abschluß zur Ratifizierung vor. Wenn wir uns die Liste der Staaten ansehen, die inzwischen unterzeichnet haben, dann können wir hoffen, daß diese Konvention in absehbarer Zeit in Kraft tritt. Dennoch, fürchte ich, wird die Konvention — das sagte auch schon Frau Renger — unmittelbar rechtlich wenig ändern. Vielleicht ist sie viel wertvoller und wichtiger in ihrer psychologischen Wirkung als ein Markstein zur Prägung eines internationalen Bewußtseins der Gefährlichkeit und Verwerflichkeit der Geiselnahme schlechthin.
Letztlich aber wird diese Konvention nur dann wirklich das erfüllen, was wir von ihr erwarten, wenn sie von den Staaten, wenn sie von der Innenpolitik der Staaten getragen wird, die sie ratifiziert und unterzeichnet haben und sich zu ihr bekennen, und damit — so hoffen wir alle — zu einem allgemein akzeptierten und internationalen Rechtsverhalten führtDann müssen wir allerdings auch — ich bitte, mir das nicht übelzunehmen — bei uns selber kritisch die Frage stellen: Hat sich aus dem einmütigen Bewußtsein und der Betroffenheit des Jahres 1976, die uns alle uneingeschränkt zur Unterstützung eines solchen Vorhabens durch die Bundesregierung vor der UNO gebracht hatten, in unserem Land nicht ein bißchen etwas geändert? Ist heute, nach einigen Jahren einer gewissen Gewöhnung, und nach ein paar Jahren, in denen nichts so Dramatisches mehr passiert ist, nicht einiges von dem Bewußtsein um die ungeheure Gefährlichkeit des internationalen und des nationalen, des internen Terrorismus verlorengegangen? Muß es uns nicht bedenklich stimmen, daß wir, zumindest wenn ich vom Ausschuß ausgehe, diese internationale Konvention zwar einstimmig begrüßen, daß in der internen Gesetzgebung aber schon wieder versucht wird, aus diesem Haus heraus einige Vorbedingungen zur wirkungsvollen Bekämpfung des Terrorismus abzubauen? Ich meine, ja!Ich muß auch sagen, daß es in dieses Bild der Übereinstimmung zu dieser Konvention und zu dem Geist, der sie trägt, wenig paßt, wenn der für die innere Sicherheit zuständige Bundesinnenminister mit seinem Koautor gemeinsam das Buch „Der Minister und der Terrorist" vorstellt. Lassen Sie mich auch das hier kritisch anmerken.
Die Konvention hat zwar natürlich die lückenlose Verfolgung und lückenlose Bestrafung von Geiselnehmern zur Absicht und bringt darüber hinausauch Vorschriften oder Regeln, um Geiselnahmen schon in der Vorbereitungsphase zu verhindern. Aber wenn wir uns den Vertrag genau ansehen, sehen wir, daß es trotzdem für den, der nicht mitmachen will, für den Staat, der sich drücken will, um es einmal ganz deutlich zu sagen, auch eine Reihe von Lücken oder von Formulierungen gibt, auf die er sich dann zurückziehen kann. Das heißt, es ist nicht eine lückenlos zwingende Regelung, die nun gewährleistet, daß im Bereich des Themas dieser Konvention nichts mehr passiert. Aber ich glaube, wir müssen damit leben, und alle staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland — und insofern wir, die Bundesrepublik Deutschland — müssen im Konzert der Staaten in der Welt, der Völkergemeinschaft mit dazu beitragen, daß der Geist dieser Konvention, geprägt aus schmerzhaften Erfahrungen, zu einem tragenden Geist des Völkerrechts wird.Ein Bereich — lassen Sie mich auch das in diesem Zusammenhang erwähnen — ist natürlich nicht geregelt; er kann wohl auch nicht geregelt sein. Es ist jener Bereich, in dem Organe, die im Namen eines Staates handeln, oder Behörden einer Staatsmacht selber Geiseln nehmen. Eine solche Geiselnahme ist aus naheliegenden Gründen wohl kaum von dieser Konvention betroffen. Wenn wir alle gemeinsam der Auffassung sind, es müsse mehr getan und im internationalen Bewußtsein fester verankert werden, daß Geiselnahme verwerflich ist, dann hoffe ich, daß das eines Tages auch dazu führt, daß es die ganze Welt als ebenso verwerflich und unakzeptierbar ansieht, daß beispielsweise Machthaber in kommunistischen oder anderen Diktaturen ganze Völker oder Volksteile zu Geiseln nehmen. Dies ist eine Hoffnung für die spätere Zukunft, die ich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen möchte. — Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen meines Vorredners Graf Stauffenberg zum Terrorismus im Zusammenhang mit der heute hier zu verabschiedenden internationalen Vereinbarung veranlassen mich zu einer kleinen Replik. Graf Stauffenberg, nachdem Sie freundlicherweise Ihrer — das möchte ich gern unterstreichen — charmanten Vorrednerin Frau Renger Beifall zollten und vortrugen, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages geschlossen die Initiative des Bundesaußenministers begrüßen und heute auch zustimmen werden, kam, was nicht anders zu erwarten war, eine Attacke auf den nicht anwesenden Bundesinnenminister, die ich für meine Fraktion, für die FDP-Fraktion, deshalb zurückweisen möchte, weil ich der Auffassung bin, daß man sich ein Buch, bevor man es kritisiert, erst einmal gründlich ansehen sollte und es vielleicht einmal lesen sollte, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, daß zu dem, was Sie wirksame Bekämpfung des Terrorismus nennen, nicht nur Strafgesetze, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Motiven der Terroristen und möglicherweise auch mit den geisti-
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Schäfer
gen Wurzeln des Terrorismus gehören. Ich glaube, dazu hat der Bundesinnenminister einen vorzüglichen Beitrag geleistet, indem er sich mit einem ehemaligen und für Erkenntnisse durchaus offenen Terroristen sehr kritisch unterhalten hat. Ich bin der Auffassung, wir sollten hier wirklich nicht schon die Tatsache verwerfen, daß sich ein Minister mit einem früheren Terroristen über dessen Motive unterhält und damit auch einen Beitrag für die deutsche Jugend leistet, die sich sehr schwertut, zu begreifen, wie gewisse Maßnahmen gegen den Terrorismus haarscharf an den Rand des verfassungsmäßig noch Erträglichen geraten sind. Ich meine, hier ist der Beitrag des Bundesinnenministers zu loben.
Meine Damen und Herren, vor vier Jahren, wie bereits ausgeführt wurde, im September 1976, hat Herr Bundesaußenminister Genscher vor der 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen
die hier heute zu verabschiedende Initiative, Herr Schwarz, vorgetragen. Sie haben Herrn Genscher — das freut uns als FDP natürlich besonders — heute das Kompliment gemacht, daß mit diesem ersten Antrag der Bundesrepublik in New York — —
— Wenn Sie mal wieder an der Macht sind, werden Sie vermutlich dauernd Initiativen ergreifen. Das wäre denkbar. Bisher haben wir aber noch nicht allzuviel an Anregungen bekommen. Wir sind dafür immer dankbar, Herr Schwarz.Dieser Vorstoß des Bundesaußenministers in New York ist international sehr beachtet worden. Wir können inzwischen davon ausgehen, daß immerhin 22 Staaten der Welt bereits ratifiziert haben und daß weitere Staaten dabei sind zu ratifizieren. Ich halte das für ein sehr gutes Ergebnis unserer Bemühungen. Ich will mich im einzelnen nicht mehr über die Gründe auslassen. Das haben sowohl Graf Stauffenberg als auch Frau Renger bereits getan.Es ist sicher nicht zu erwarten, daß diese Konvention Geiselnahmen verhindert, leider nicht, aber wir haben immerhin feststellen können, daß auch der Ostblock, etwa die Sowjetunion, diesen Entwurf mitträgt und immerhin auch Länder wie Libyen und der Irak mitgearbeitet haben. Man wird natürlich alle diese Länder an der Frage messen müssen, wie sie sich tatsächlich verhalten. Ich glaube aber, es ist bei den Vereinten Nationen unstrittig, daß mit diesem Schritt der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Vorstoß unternommen worden ist, um dem erschreckenden internationalen Terrorismus wirksam vorzubeugen.Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir dem Bundesaußenminister, dem Auswärtigen Amt für die Bemühungen um die Durchsetzung dieser Konvention und ihre Ratifizierung herzlich danken. Ich darf im Namen meiner Fraktion darum bitten, daß Sie diesem Gesetz als einem wirksamen Instrumentgegen das schreckliche Phänomen der Geiselnahme zustimmen. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch für die abschließende Behandlung dieses Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen gegen Geiselnahme möchte ich den Dank der Bundesregierung übermitteln, daß es gelungen ist, die Beratungen im Deutschen Bundestag in so außerordentlich kurzer Zeit zu einem erfreulich einstimmigen Abschluß zu bringen. Die Blumen an meinen Minister werde ich gerne weitergeben. Ich möchte aber einen Teil dieser Blumen gerne an die Mitglieder der Delegation des Auswärtigen Amtes weiterreichen, die die teilweise sehr schwierigen Verhandlungen in den Vereinten Nationen und in dem eingesetzten Sonderausschuß geleitet und zu einem erfreulichen Abschluß gebracht haben.Meine Damen und Herren, die auch heute wieder gefundene Übereinstimmung darüber, daß die Bekämpfung des Terrorismus, wie er sich entwickelt, wie er entartet ist, eine internationale Zusammenarbeit erfordert, das war ja die Ausgangslage der Initiative des Bundesaußenministers im Jahre 1976. Der Herausforderung von Terroristengruppen mit weltweiten Verbindungen muß die internationale Staatengemeinschaft nach Überzeugung der Bundesregierung entgegentreten. Daher haben wir seit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen diese als ein besonders geeignetes Forum für die Bekämpfung des Terrorismus auf weltweiter Ebene anerkannt. Auf der 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 28. September 1976 hat Bundesaußenminister Genscher deshalb diese Initiative eingebracht. Wir sind sehr befriedigt, daß dieses Projekt in den Vereinten Nationen zum Erfolg geführt hat. Es ist ein Erfolg, meine Damen und Herren, der die Zuversicht der Bundesregierung, einen solchen Vorstoß bei den Vereinten Nationen zu unternehmen, auch gegenüber anfänglicher sehr häufig geäußerter Skepsis — auch hier in diesem Hause — rechtfertigt; denn am 17. Dezember 1979 hat die 34. Generalversammlung im Konsenswege dem Abkommen ihre Zustimmung gegeben.Der Text dieses Übereinkommens, das weitgehend dem ursprünglichen deutschen Entwurf gefolgt ist, ist das Ergebnis von über dreijährigen intensiven und zum Teil äußerst schwierigen Verhandlungen im Rechtsausschuß der Vereinten Nationen und in dem bereits zitierten Sonderausschuß. Unsere Initiative stellte den Versuch dar, einen abgrenzbaren Komplex — das wollte ich Graf Stauffenberg noch einmal sagen — aus der Gesamtproblematik der Bekämpfung des Terrorismus herauszugreifen und zum Gegenstand eines weltweiten Übereinkommens zu machen. Unsere Motive waren einerseits humanitärer Art; andererseits glaubten wir aber auch, daß angesichts der von Geiselnahmen ausgehenden Bedrohung der internationalen Ordnung und der internationalen Sicherheit der Zeit-
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherpunkt zur Schaffung eines internationalen Instruments zur Verhinderung und Bekämpfung dieses besonders schlimmen und scheußlichen Verbrechens gekommen ist.Bei dem neuen Übereinkommen handelt es sich, Herr Kollege Graf Stauffenberg, um eine strafrechtliche Verbotskonvention nach dem Vorbild der Übereinkommen über Luftsicherheit von Den Haag und Montreal aus den Jahren 1970 und 1971 sowie der New Yorker Luftsicherheitskonvention von 1973. Die Konvention beruht auf der ausnahmslosen Geltung des Prinzips, daß jeder Geiselnehmer ohne Rücksicht auf sein Motiv und auf die der Geiselnahme zugrunde liegende politische und soziale Situation entweder ausgeliefert oder in dem Land, in dem er angetroffen wird, strafrechtlich verfolgt werden muß.Herr Kollege Stauffenberg, ich möchte ausdrücklich eine kleine Korrektur an Ihren Ausführungen anbringen. Auch Geiselnahme durch Staaten oder Staatsorgane wird von dieser Konvention erfaßt; aber ausliefern oder strafrechtlich verfolgen kann man ja nicht Staaten, sondern nur Individuen, diese allerdings unabhängig davon, ob sie in staatlichem Namen oder persönlich gehandelt haben. Es ist sehr wichtig, dies hier noch einmal klarzustellen.Nun klangen hier Zweifel an — —
Frau Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich diesen Satz eben noch zu Ende führen: Es klangen Zweifel hinsichtlich der Möglichkeiten oder der Griffigkeit dieser Konvention an, und dazu möchte ich nachher noch ein paar Ausführungen machen.
Bitte schön, Graf Stauffenberg.
Frau Staatsminister, damit hier kein Mißverständnis entsteht: Könnten Sie meine Ausführungen netterweise so verstehen, daß ich bedauert habe, daß die Geiselnahme durch Staaten bzw. Diktaturen, die ganze Völker oder Volksgruppen wie Geiseln halten, leider tatsächlich nicht verhindert werden kann und durch diese Konvention nicht verfolgt werden kann, selbst wenn natürlich auch nach dieser Konvention eine solche Geiselnahme oder Geiselhaltung als rechtswidrig angesehen werden muß?
Herr Kollege, das ist doch gar nicht Gegenstand der Geiselnahme-Konvention,
sondern hier handelt es sich um genau umschriebene Geiselnahmeakte, und da sind Staaten oder
Teile von Staaten durchaus mit eingeschlossen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß die Aufstellung von völkerrechtlichen Geboten und Verboten oder auch ihre internationale Vereinbarung für sich al-
lein nicht genügt, um sie in der Praxis durchzusetzen. Geiselnahmen sind auch seit dem Abschluß der Konvention im Dezember 1979 bedauerlicherweise vorgekommen, und die Geiselnahme der Angehörigen der amerikanischen Botschaft in Teheran im November 1979 ist derzeit der schwerwiegendste Fall, der nach wie vor einer Lösung, auf die wir alle hoffen, harrt.
Frau Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Ja, gerne.
Frau Staatsminister, können Sie dem Hause mitteilen, ob der Iran die von uns gerade besprochene Konvention mit unterzeichnet hat?
Herr Kollege, ich kann mitteilen, daß das bis zur Stunde noch nicht der Fall ist.
Ich darf fortfahren. Ich wollte noch einmal auf die Durchsetzungsmöglichkeit zu sprechen kommen. Denn die Bundesregierung bewertet das Resultat ihrer ersten Initiative zum Abschluß dieser Konvention durchaus als einen politischen Erfolg, der weit über den rein rechtlichen Inhalt der Konvention hinausreicht. Das wollte ich noch einmal unterstreichen.
Im Rückblick auf die 34. Generalversammlung bezeichnete die „New York Times" in ihrer Ausgabe vom 21. Dezember 1979 die Annahme dieser Konvention als das einzige positive Ergebnis der letzten Generalversammlung. Diese Beurteilung wird von nicht wenigen Kennern und Beobachtern der Vereinten Nationen geteilt. Selbst wenn Sie bedauert haben, daß die Beratungen so lange gedauert haben, Graf Stauffenberg — für die Prozedur in den Vereinten Nationen war es eine unverhältnismäßig kurze Zeit bis zur Beschlußfassung.
Auch die beim Weltwirtschaftsgipfel in Venedig versammelten Staats- und Regierungschefs haben sich in einer gemeinsamen Erklärung ausdrücklich mit dem Übereinkommen gegen Geiselnahme befaßt, es positiv gewürdigt und alle Staaten zur Unterzeichnung bzw. zum Beitritt aufgefordert Inzwischen haben 22 Staaten die Konvention unterzeichnet, so daß in absehbarer Zeit mit der zum Inkrafttreten erforderlichen Zahl von 22 Ratifikationsurkunden gerechnet werden kann.
Abschließend: Es bleibt nun zu hoffen, daß das Übereinkommen von möglichst vielen Staaten zusätzlich ratifiziert wird und daß es in der Folge zu einem wirksamen Instrument der internationalen Bekämpfung und Verhütung eines ganz besonders verabscheuungswürdigen und friedensgefährdenden Verbrechens werden wird. — Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18569
Präsident StücklenWir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung erfolgt zusammen mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Dieses Gesetz ist einstimmig vom Bundestag verabschiedet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht über Maßnahmen zur Rheumabekämpfung— Drucksachen 8/3625, 8/3693, 8/4298 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. NeumeisterInterfraktionell ist Kurzdebatte vereinbart. Wünscht die Berichterstatterin das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu den parlamentarischen Initiativen aus den Jahren 1974 und 1976, die nahezu ungehört und reaktionslos im Stapel der unerledigten Anträge und Anfragen der 7. Legislaturperiode erstickten, hat der Antrag zur Rheumabekämpfung, den eine interfraktionelle Gruppe von Abgeordneten am 21. Februar 1978 einbrachte, erfreulicherweise zu verschiedenen Aktivitäten der Bundesregierung geführt. Er brachte außerdem — das bewerte ich fast noch höher — die unterschiedlichsten Gruppen von Ärzten und Verbänden, die oft unkoordiniert als Einzelkämpfer den Problemen, die diese Erkrankungen uns bereiten, gegenüberstanden, zur Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes an einen Tisch. Völlig unnötige Animositäten wurden fast abgebaut und der Wille zur Zusammenarbeit gestärkt.Erstmalig wurde zur Bekämpfung einer Krankheit Anfang 1979 im Deutschen Bundestag ein Unterausschuß gebildet — nur für eine Krankheit —, der sich aus Vertretern aller drei Fraktionen aus den beiden Ausschüssen für Jugend, Familie und Gesundheit und für Arbeit und Sozialordnung zusammensetzte. Dieser Unterausschuß hat in etwa 15 Monaten gemeinsam mit einer interministeriellen Arbeitsgruppe aus vier Ministerien, zeitweise unterstützt von einer Gruppe von 12 Rheumaexperten, diskutiert und Vorschläge für eine Verbesserung der Versorgung Rheumakranker erarbeitet.Zum 30. Januar 1980 legte die Bundesregierung ihren durch den interfraktionellen Antrag geforderten Bericht über Maßnahmen zur Rheumabekämpfung von, dessen Ausführlichkeit durchaus als Erfolg gewertet werden muß. Während der Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit bei der Beratung des Antrags lediglich als mitberatend eingestuft wurde — die Zuständigkeit sprachman dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu —, wurde dem Gesundheitsministerium die Erstellung des Berichts und damit einer ausgesprochenen Negativbilanz überlassen: Mangel einer aussagefähigen Statistik auf Grund des Fehlens einer einheitlichen Klassifikation der Diagnosen; unbefriedigende Versorgung der an anzündlichem Rheuma Leidenden;
mangelnde Nutzung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten infolge einer zu geringen Zahl von Ärzten, die das verfügbare Instrumentarium beherrschen; ungenügende Berücksichtigung der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sowohl bei der Ausbildung der Ärzte als auch bei der Ausbildung der nichtärztlichen Heilberufe; mangelnde Möglichkeiten physikalischer Behandlung, vor allen Dingen im ländlichen Bereich; völlig unzureichende Bettenkapazität für die Behandlung entzündlicher Rheumaerkrankungen, woraus Wartezeiten von durchschnittlich drei bis vier Monaten resultieren;
noch viel zu geringe Mitgliederzahl der für die soziale Betreuung zuständigen Deutschen RheumaLiga; nicht ausreichende Vertretung der Rheumatologie im Bereich von Forschung und Lehre an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland.Die schonungslose Offenlegung der Schwachstellen im Bereich der Versorgung Rheumakranker ist anzuerkennen. So bleibt die Hoffnung, daß die ebenfalls aufgezeigten Vorschläge zu einer Verbesserung der Situation im Laufe der nächsten Jahre realisiert werden können.Wegen der Kürze der Zeit, die mir heute zur Verfügung steht, kann ich nur einige Schwerpunkte der dringend erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises ansprechen. Meine Kollegen aus SPD und FDP werden durch ihre Ausführungen das Bild der derzeitigen Situation und der Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, vervollkommnen.Die Tatsache, daß der Satz „Gesundheitliche Aufklärung kann immer nur so gut sein, wie es die wissenschaftlichen Erkenntnisse zulassen" bereits wortgleich in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von 1974, also vor fünf Jahren, enthalten ist, dokumentiert die seit Jahren unverändert bestehende Hilflosigkeit aller Verantwortlichen in bezug auf Information und Früherkennung der rheumatischen Erkrankungen.
Nun kennt man bei den schwerwiegenden entzündlichen rheumatischen Erkrankungen zur Zeit noch keine Risikofaktoren, die man ausschalten kann; hier hilft nur die Früherkennung. Diese aber ist nur möglich mit Hilfe einer Verbesserung des ärzlichen Fachwissens vor allem in bezug auf Kausalität und Differenzierung der rheumatischen Krankheitsformen. Nur wenn die Pathogenese der schweren rheumatischen Erkrankungen bekannt ist, wird sich die Möglichkeit einer kausalen Therapie erge-
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18570 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Frau Dr. Neumeisterben — geradezu eine Herausforderung an die Forschung, sowohl an die klinische Forschung als auch ebenso an die morphologische Grundlagenforschung.Grundlagenforschung ist langfristig die Voraussetzung für Erfolg in der angewandten Forschung, vorausgesetzt, man läßt ihr ein hohes Maß an Freiheit für die Wissenschaft und genügend Freiraum für den Wissenschaftler.Es ist bedauerlich, daß die durch das Forschungsprogramm der Bundesregierung angekündigte verstärkte Forschungstätigkeit im Bereich der Rheumatologie noch nicht in dem gewünschten und notwendigen Ausmaß angelaufen ist. Ein Abbau bürokratischer Hemmnisse wäre sicherlich sehr hilfreich und würde sicherlich für viele Wissenschaftler motivierend wirken.Bei den degenerativen rheumatischen Erkrankungen sehen die Dinge wesentlich anders aus. Bei ihnen läßt sich auch prophylaktisch etwas tun, wenn man bereit ist, z. B aus Untersuchungen nach dem Jugendarbeitschutzgesetz zu lernen. Hiernach sind Frühformen degenerativer Veränderungen und Haltungsanomalien auch bei Jugendlichen bereits sehr häufig zu finden. Mit 33 % nehmen solche Präarthrosen die erste Position bei den Befunden in der Altersgruppe der Achtzehnjährigen ein. Insbesondere Haltungsanomalien bei Jugendlichen sollten verstärkt darauf untersucht werden, ob es sich um Risikofaktoren späterer degenerativer Erkrankungen handelt.Zur Epidemiologie der Haltungsschäden bei Jugendlichen sind in jüngster Zeit ebenfalls Zahlen für Schüler und Lehrlinge aus einer Schweizer Studie veröffentlicht. Dabei ergaben sich 14 % behandlungsbedürftige und weitere 13 % kontrollbedürftige Befunde.Bedenklich stimmt allerdings, wenn im Zusammenhang mit diesen Zahlen mitgeteilt wird, daß jeder zehnte Schüler vom Schulturnen befreit werden mußte. In der Bundesrepublik Deutschland ist das gleiche zu beobachten. Dies kann nur bedeuten, daß der Sportunterricht wichtige Möglichkeiten außer acht läßt. Richtig betriebener Schulsport könnte den Haltungsanomalien geradezu entgegenwirken.Die erheblich höhere Zahl von Frühberentungen durch rheumatische Erkrankungen bei Arbeitern gegenüber anderen Berufstätigen ist erschreckend. Hier wird die Notwendigkeit deutlich, daß sich rheumatologisches Denken auch auf den Bereich der Arbeitsmedizin erstrecken muß und daß Betriebsärzte und Arbeitshygieniker nicht ohne Mitarbeit eines erfahrenen Rheumatologen den angesprochenen Fragen und Problemen gerecht werden können.In diesem Zusammenhang erlauben Sie bitte einen kleinen Hinweis auf das Gestühl dieses Hohen Hauses, auf unsere Sitze. Da die Sitzungen einen großen Teil der Tages- und Nachtarbeit eines Abgeordneten in Bonn ausmachen, sollten die Sitze wenigstens nach neuesten Erkenntnissen der Orthopädie und Arbeitsmedizin gestaltet sein,
um so vorbeugend gegen rheumatisch-degenerative Erkrankungen von Abgeordneten zu wirken. Aber nicht weniger wichtig sind die Stühle und Sitzmöglichkeiten unserer Mitarbeiter, die ebenfalls noch keineswegs gesundheitsfördernd gestaltet sind. Ich meine, wir sollten nicht immer nur Gesetze und Verordnungen für andere erlassen. Vielmehr dürfte die Durchführung dieser Gesetze und Verordnungen auch an den Türen des Bundestages nicht haltmachen.
Frau Abgeordnete, darf ich nur einen Augenblick unterbrechen. — Jetzt ist mir endlich auch völlig klargeworden, warum die Abgeordneten diesen Plenarsaal so sehr meiden. Das muß in der nächsten Legislaturperiode unter allen Umständen abgestellt werden — die schlechte Sitzgelegenheit meine ich.
Herr Präsident, ich hoffe, ich habe einen guten Tip für eine bessere Präsenz gegeben.
Einen ganz ausgezeichneten.
Ein wichtiger Bestand der Prävention aber ist die Mobilisierung des Eigenengagements der Rheumakranken. Verstärkte Prävention im frühen Beschwerdebereich hängt in großem Maße von genügender Motivation ab. Diese Motivation im rheumatischen Bereich muß allerdings organisiert werden, da sich überaus viele Betroffene durch eine extreme Passivität auszeichnen.Nicht zuletzt trägt die mangelnde Motivation zu positiver Auseinandersetzung mit Rheuma dazu bei, daß die Frühinvalidität in der Bundesrepublik einige Jahre früher eingesetzt hat als etwa in den Niederlanden, wo es nämlich ein ausgebautes ambulantes Betreuungssystem gibt.Das A und O der Betreuung Rheumakranker ist eben das wohnortnahe Angebot von Hilfen. Unter dem Gesichtspunkt einer wohnortnahen, kontinuierlichen und kostensparenden Therapie kommt neben einem besseren Angebot stationärer Versorgung vorrangig der ambulanten Behandlung besondere Bedeutung zu.Die Sicherstellung der Versorgung liegt auf jeden Fall beim niedergelassenen Arzt, beim Hausarzt. Dem Arzt aber muß die Möglichkeit einer informativen Zusammenarbeit mit fachkundigen Rheumatologen gegeben werden. Voraussetzung dafür aber sind eine verstärkte Berücksichtigung der Rheumatologie bei der Aus- und Fortbildung des Arztes sowie die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Weiterbildungsstellen zur Erlangung der Teilgebietsbezeichnung „Rheumatologie".Doch soll die Behandlung auch die Möglichkeit einer regelmäßigen physikalischen Therapie am Wohnort einschließen, bei der die Fachkunde der
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Frau Dr. NeumeisterBetreuer wie auch die Finanzierung gesichert sind.Auf keinen Fall aber dürfen psycho-soziale und rehabilitative Maßnahmen vernachlässigt werden. Teamarbeit zwischen dem somatisch orientierten ärztlichen und pflegerischen Personal und medizinisch-psychologisch und sozialmedizinisch geschulten Therapeuten wie Psychologen, Psychiatern, Sozialfürsorgern, Beschäftigungstherapeuten, Berufsberatern und Beratern der Arbeitsgemeinschaft der Rheuma-Ligen wäre optimal.Meine Damen und Herren, als Vorsitzende des Unterausschusses Rheumabekämpfung möchte ich mich — zwar etwas schnell sprechend — am Ende dieser Legislaturperiode bedanken bei meinen Kollegen aller drei Fraktionen für die gute Zusammenarbeit,
bei dem Ausschußsekretariat für die organisatorische Unterstützung sowie für das gemeinsame Bemühen um eine Besserung der Situation der Rheumakranken, das uns mit dem interministeriellen Arbeitskreis und den Rheumaexperten verband und das als Beweis gewertet werden kann, daß wir die wirksame Rheumabekämpfung als menschliche Aufgabe ersten Ranges und als eine Herausforderung an die Gesundheitspolitik betrachten.Es bleibt zu hoffen, daß diese erfreuliche Zusammenarbeit in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt wird. Denn noch haben wir die uns gestellten Aufgaben nicht erfüllt. — Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lepsius.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Mit dem Rheumatismus ist es eigentlich wie mit der wahren Liebe: Man glaubt an Rheuma erst dann, wenn man von Rheuma befallen ist.In der Tat ist ja Rheumakrankheit eine sehr weit verbreitete Erkrankung, eine derjenigen Erkrankungen, die man durchaus auch mit dem Begriff Volkskrankheit umschreiben kann, wenn man sich einmal die Zahl der Betroffenen anschaut. Obwohl es sich also um ein Leiden handelt, das in weiten Kreisen unserer Bevölkerung anzutreffen ist und das neben vielem menschlichem Leid auch erhebliche volkswirtschaftliche Verluste verursacht, sind die Ursachen dieser Krankheit eigentlich von der Medizin noch weitgehend nicht erforscht. Dies hat naturgemäß zur Folge, daß es eine medizinisch durchgreifende und heilende Rheumatherapie bis heute nicht gibt. Körperliche Beeinträchtigungen und Körperschäden, die durch eine rheumatische Krankheit verursacht werden, können — erst einmal eingetreten — nur in Ausnahmefällen wirklich geheilt werden. Meist nimmt die Krankheit einen chronischen Verlauf, in dessen Folge es allenfalls gelingen kann, ein weiteres Fortschreiten zu verhindern. Als einzige Möglichkeit bleibt meist eine lindernde, stilt-zende Therapie, die dem Patienten die ärgsten Beschwerden nimmt. Dies ist also ungeschminkt die Ausgangsposition, mit der wir als Politiker es zu tun haben, wenn wir uns, wie in den vergangenen Jahren, mit der Frage der Rheumabekämpfung zu befassen haben.Ich möchte der Bundesregierung auch danken, daß sie hier diesen umfassenden ersten Bericht vorgelegt hat. Ich glaube — Frau Dr. Neumeister hat das bereits unterstrichen —, dies ist ja doch ein gewisses Datum, das die Politiker dann auch in den weiteren, künftigen Legislaturperioden, hoffentlich positiver, beschäftigen wird.Allerdings gibt uns Politikern dieser Bericht auch die Erkenntnis, daß es sich jeweils nur um Maßnahmenbündel handeln kann, um in den unterschiedlichen Bereichen der Probleme wirklich Herr zu werden. Es heißt gleichzeitig auch, daß sich Maßnahmen zur Rheumabekämpfung nicht ausschließlich auf den medizinischen Bereich erstrecken sollten, sondern daß sie auch den sozialen Bereich mit einschließen müssen. Die Entschließung macht das sehr deutlich. Wir in der SPD-Bundestagsfraktion glauben ja, daß auch gesellschaftliche Folgewirkungen der Rheumakrankheiten hier mit einbezogen werden müssen. Auch dies kommt in der Entschließung zum Ausdruck. Wir meinen, daß die gesundheitliche Beeinträchtigung vor allem auch soziale Veränderungen und Beeinträchtigungen der persönlichen Rollen, die einzelne Menschen in der Gesellschaft wahrnehmen, mit sich bringt.Wir haben durchaus den Eindruck, daß in der Vergangenheit Rheumabekämpfung viel zu leicht und an erster Stelle einseitig als medizinisch-ärztliches Problem gesehen worden ist. Die Gespräche mit den Betroffenen selber haben uns gezeigt, daß es aber auch vor allen Dingen die psychosozialen Auswirkungen sind, die die Menschen hierbei belasten. Damit will ich nun nicht sagen, daß der Verbesserung des medizinischen Behandlungsspielraums nicht ein ganz großes Gewicht zukommt. Ganz im Gegenteil! Aber ich möchte doch auch klarmachen, daß es vor allen Dingen die medizinische Grundlagenforschung sein muß, die auf dem Gebiet der Rheumatologie erst Pionierarbeit zu leisten hat. Das macht die Entschließung ja auch sehr deutlich. Sie läßt auch erkennen, wie wir Politiker uns das vorstellen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, daß der Gesetzgeber hier nur Anregungen geben kann.Bezüglich der hier angesprochenen Negativbilanz im Rheumabericht der Bundesregierung möchte ich noch einmal unterstreichen: Der eigentliche Anstoß muß von der Medizin selber kommen, von nirgendwo anders.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf ein ganz merkwürdiges Phänomen hinweisen. Immer kompliziertere und differenziertere Krankheitsbilder werden heute erforscht und können durch den Einsatz einer technisierten Hochleistungsmedizin auch bekämpft werden. Das ist sicherlich begrüßenswert. Aber es ist doch einseitig, wenn dies nicht von einer Erforschung so scheinbar alltäglicher Volkskrankheiten wie des Rheumatis-
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Frau Dr. Lepsiusmus begleitet wird. Die Qualität unserer medizinischen Versorgung mißt sich eben nicht nur an dem schmalen Sektor der Hochleistungsmedizin, sondern auch an der Breitenmedizin.Ich erlaube mir die etwas provokante Frage, wer eigentlich die medizinische Wissenschaft in der Vergangenheit daran gehindert hat, auch diese Gebiete besser zu erforschen. Ich meine, es mußte nicht erst so lange dauern, bis der Deutsche Ärztetag nach zweimaligen Versuchen die Teilgebietsbezeichnung „Rheumatologie" für Ärzte eingeführt hat. Aber dies ist vielleicht schon ein Ergebnis der Arbeit hier im Parlament. Es ist eben nicht erst seit gestern bekannt, daß auf diesem Teilgebiet fachlicher Berufsnachwuchs rar ist. Es nutzt nichts, bei jeder vermeintlichen Gelegenheit nach staatlichen Aktivitäten zu rufen, wenn eigene Versäumnisse vorliegen und noch der Aufarbeitung bedürfen.Nun gibt es gerade auch im medizinisch-ärztlichen Bereich Gruppen, die jede staatliche Aktivität grundsätzlich für schlecht halten. Wenn es so wäre, müßte es auch für diesen Bereich gelten. Dann kann man nicht mit dem Vorwurf staatlicher Inaktivität eigene Versäumnisse zudecken; dies sollte man auch nicht tun.Nun noch ein Wort zur sozialen Dimension der Rheumaerkrankungen. Meiner Fraktion liegt besonders die Frage der Schaffung von Arbeitsplätzen am Herzen, die den Rheumakranken und ihren besonderen Erfordernissen gerecht werden. Dies ist auch in bezug auf das Parlament angesprochen worden. Herr Bundestagspräsident, ich denke jedoch nicht, daß Sie das Problem des leeren Parlaments etwa mit Rheumabetten beseitigen werden; jedenfalls möchte ich diese Anregung des Unterausschusses hier so nicht verstanden haben.Es bedarf allerdings nicht großer finanzieller Mittel, um den herkömmlichen Arbeitsplatz so umzugestalten, daß er auch für den Rheumakranken zu einem vollwertigen Arbeitsplatz wird. In vielen Fällen bedarf es dazu lediglich etwas größerer Phantasie. Es könnte auch gelingen, bereits schwer Geschädigte und durch Rheuma Behinderte durch eine gezielte Umgestaltung des Arbeitsplatzes voll oder doch zumindest als Teilzeitarbeitskraft wieder in den Arbeitsprozeß zurückzuführen.Hier sollten in Zukunft stärkere Anstrengungen unternommen werden. Das würde vielen betroffenen Bürgern helfen. Es würde auch das Selbstbewußtsein der betroffenen Bürger stärken. Es würde ihnen helfen, besser über die Folgen ihrer körperlichen Beeinträchtigung hinwegzukommen.Dies alles hat natürlich auch eine ökonomische Seite. Es ist ökonomisch sicher günstiger, die Arbeitskraft dieser Bürger unserer Volkswirtschaft zu erhalten. Auch wenn dies nicht im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen sollte, haben wir es mitzuberücksichtigen.Meine Fraktion appelliert an die verschiedenen Träger der Sozialversicherung, die vorhandenen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Institutionenegoismus ist hier am falschen Platz; wir können ihn nicht gebrauchen. Wir setzen darauf, daß die Versicherungsträger und die Krankenkassen die gesetzlichen Grundlagen des Reha-Angleichungsgesetzes voll ausschöpfen und hier auch die modernen Behandlungsmethoden, etwa Gruppentherapie und Bereitstellung ambulanter Hilfen, abdecken.Im Namen meiner Fraktion bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Entschließungsantrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im März 1975 mußte die Bundesregierung, in einer Kleinen Anfrage u. a. auf die Erfahrungen anderer Länder in Sachen Rheuma angesprochen, Fehlanzeige erstatten: Ihr seien „zur Zeit keine aktuellen Materialien aus dem internationalen Bereich bekannt". Zu Recht forderte das Parlament deshalb die Regierung seinerzeit auf, u. a. die Erfahrungen anderer Staaten auszuwerten und für die Praxis in der Bundesrepublik nutzbar zu machen. Sie hat dies dann in dem erbetenen Bericht über Maßnahmen zur Rheumabekämpfung von Beginn 1980 getan. Ich spreche speziell über diese internationalen Aspekte des Problems.In jener Entschließung des Bundestages haben wir die Einbeziehung ausländischer Erfahrungen nicht nur deshalb gefordert, weil Medizin heutzutage allgemein internationalen Austausch pflegt. Wir haben es auch aus dem betrüblichen Grund getan, daß der Stand der medizinischen Versorgung von Rheumapatienten in der Bundesrepublik, gemessen am westlichen internationalen Standard, immer noch beklagenswert genannt werden muß. Seit Jahren weist ein so bekannter Rheumatologe wie Prof. Mathies — dem wir für unsere Arbeit im Ausschuß viel verdanken — auf die Mängel und Rückstände hin: Vorherrschen der periodischen und zudem oft ungeeigneten stationären Behandlung statt dauernder, vorwiegend ambulanter physiotherapeutischer Behandlungen und Übungen, Versuche nachträglicher Rehabilitation statt rechtzeitiger Frühbehandlung und Verhütung von Dauerschäden.Ein wissenschaftlicher Lagebericht aus dem Jahr 1978 spricht gar von einem „Notstand" unserer rheumatologischen Versorgungssituation. Der theoretische und praktische Rückstand bei der Rheumabekämpfung in der Bundesrepublik wird nicht zu Unrecht zusammen mit den bekannten Defiziten auf den Gebieten der Krebsbekämpfung und der psychiatrischen Versorgung vorgebracht. Ich weiß nicht, ob man heute noch mit dem von meinem Kollegen Immer vor zwei Jahren gebrauchten Wort Mark Twains sagen muß, „Deutschland mit seinen feuchten Steinhäusern sei die Heimat des Rheumatismus"; die Heimat der Rheumatologie jedenfalls ist es nichtVor allem deshalb war und ist es für uns notwendig, über die Grenze zu blicken und vom Ausland zu lernen. Wir haben umfangreiche Informationen über den Stand. der Rheumaforschung und -behandlung etwa in den Vereinigten Staaten eingeholt und
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Spitzmüllernicht zuletzt durch eine Reise in die Schweiz versucht, die Erfahrungen anderer Länder kennenzulernen. Ich konnte außerdem mit anderen Vertretern des Bundestages eine Studienfahrt nach Amsterdam machen.Bei dieser Reise nach Holland, die schon 1978 stattfand, besuchten wir das Rheumazentrum von Dr. Steiner und sprachen mit niederländischen Parlamentariern und Rheumafachleuten. Ich fand es eindrucksvoll, was der — übrigens deutsche — Arzt Steiner über sein seit Jahren bestens funktionierendes Modell der Rheumabehandlung ebenso einfach wie einleuchtend demonstrierte: Es gibt fast nur ambulante Diagnostik und Therapie; nur ganz ausnahmsweise wird ein Patient in die Klinik aufgenommen. Der Betreffende kommt morgens in eines der sechs oder sieben Zentren im Raum Amsterdam; spätestens nachmittags kehrt er nach Hause zurück. Wichtigste Abteilung im Hause ist die Ergotherapie; hier werden die verschiedensten Methoden der physikalischen Therapie angewandt: Bäder, Massagen, Bestrahlungen, Gymnastik und vieles andere.Dr. Steiner und seine Mitarbeiter sind zu Recht stolz darauf, daß sie viele Patienten auf diese Weise ambulant behandeln können, die sonst — leider auch bei uns — stationär in einer Kurklinik oder einem Krankenhaus versorgt werden.Die ambulante Behandlung ist nicht nur billiger — dies allein schon würde sie rechtfertigen —, sie ist auch menschlicher, denn der Patient kann grundsätzlich zu Hause wohnen bleiben. Die Behandlung ist aber darüber hinaus auch besser, weil sie - im Gegensatz zu zeitlich begrenzten Klinikaufenthalten — kontinuierlich durchgeführt werden kann. Rheumapatienten sind Dauerpatienten, Rheumabehandlung muß daher auch Dauerbehandlung sein. Schon deshalb spricht alles für eine weitgehend ambulante Therapie am Wohnort. Dies war der beherrschende Eindruck in den Niederlanden.Doch nun zur Schweiz, in der die Rheumamedizin nicht von ungefähr einen vorzüglichen Ruf genießt; dies hebt zu Recht auch der Bericht der Bundesregierung hervor. Der Eindruck von dem dortigen Rheumaversorgungssystem ist für den deutschen Besucher wohl noch stärker als der in den Niederlanden. Das dortige Bundesgesetz von 1962 hat durch seine Mittelzuwendungen weitgehend die erfreuliche Versorgungslage in der Schweiz ermöglicht: Jede medizinische Fakultät verfügt dort über eine modern ausgestattete Rheumaklinik und einen entsprechenden Lehrstuhl; Rheumaabteilungen gibt es darüber hinaus an zahlreichen regionalen Krankenhäusern. An all diesen Kliniken ist auch ambulante Behandlung möglich. Bei der Ärzteausbildung — das ist sehr wichtig — ist Rheumatologie Pflichtfach. Eine sechsjährige Weiterbildung führt zum Facharzt für Rheumatologie. Die Zahl dieser Ärzte wird in der Schweiz übrigens als ausreichend bezeichnet. Wichtig ist, daß auch die Hausärzte durch die erwähnte Ausbildung im Pflichtfach und eine entsprechende Fortbildung in der Lage sind, Diagnosen zu erstellen und Erkrankungen in der Regel selbst zu behandeln. Nicht ganz so gut steht es um die Ausbildung der Physio- und Ergotherapeuten sowie der Masseure. Schließlich garantiert die gut dotierte Schweizer Rheuma-Liga mit kantonalen Ligen eine intensive Aufklärung der Öffentlichkeit und große Spendebereitschaft in der Bevölkerung; im einzelnen ist das alles recht eindrucksvoll.Insgesamt zeigt uns die Schweiz, daß es für eine optimale Rheumaversorgung nicht nur auf gute Spezialkliniken oder -zentren ankommt, sondern auch auf dezentrale Rheumaabteilungen draußen im Lande und auf ein ausreichendes Netz gut ausgebildeter niedergelassener Ärzte.Welche Lehren, meine sehr verehrten Damen und Herren, können und müssen wir aus diesen positiven Beispielen ziehen? Der Bericht der Bundesregierung bemerkt sowohl beim holländischen wie auch beim Schweizer Beispiel, die Möglichkeiten für entsprechende Maßnahmen seien auch bei uns gegeben, nur falle deren Verwirklichung in die Zuständigkeit der Länder und Gemeinden. In der Tat sind der Ausbau der medizinischen Universitätskliniken, die Einrichtung von Lehrstühlen, die Krankenhausbedarfsplanung und die Facharztweiterbildung Aufgaben der Länder. Der Bund hat allerdings seinerseits eine Reihe von Kompetenzen. Mir kommt daher die schlichte Verweisung der Bundesregierung auf die Zuständigkeiten der Länder fast so wie eine bequeme Freizeichnung von eigener Handlungsverantwortung vor.
— Das ist nicht so, aber man kann es so verstehen.In dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag fordern wir die Bundesregierung deshalb zu mehrfachen Aktivitäten auf: bezüglich Forschung und Modellförderung, Arbeitsplatzuntersuchungen, einer Klassifikation der Rheumakrankheiten, des Rechts der nichtärztlichen Heilberufe, der Rehabilitationsvorschriften und des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Schließlich soll die Regierung ihren Bericht nicht nur bis Ende 1983 bzw. 1986 fortschreiben und über die Ergebnisse berichten. Kurzum: Wir sehen den Bund in Sachen „Rheuma" erheblich in der Verantwortung und nehmen die Bundesregierung mit der Verabschiedung der Beschlußempfehlung entsprechend in die Pflicht.Zum Schluß möchte ich die Frage aufwerfen, ob die Bundesregierung angesichts ihrer nicht unerheblichen Kompetenzen, aber auch wegen ihrer bundesstaatlichen Verantwortung zur Koordinierung vorhandener und zur Initiierung notwendiger Aktivitäten nicht mehr tun sollte, als nur ihren Bericht fortzuschreiben. Bereits der von ihr erstattete Bericht, für den ich mich im Namen unserer Fraktion ausdrücklich bedanken möchte, bietet sich meines Erachtens dazu an, zu einer Art Rheumaplan oder -aktionsprogranun ausgebaut zu werden. Ich denke dabei etwa an das Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation von 1970, das für die Behindertenpolitik — über eine Bestandsaufnahme der Maßnahmen in Bund, Ländern und Gemeinden hinaus — Impulse für die Zukunft gegeben hat. Nach unseren Eindrücken von den ausländischen Vorbildern halte ich solche Impulse zur Bekämp-
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Spitzmüllerfung der Volksseuche Rheuma in der Bundesrepublik für notwendig.Ich glaube, daß in den Dank, den wir Mitarbeitern des Unterausschusses, Beamten in den Ministerien, engagierten Streitern in den verschiedensten Vereinigungen für eine bessere Versorgung der Rheumakranken auszusprechen haben, auch jene Persönlichkeit eingeschlossen werden muß, welche mit großem persönlichen Engagement Frau Dr. Neumeister, Herrn Immer, mich und andere Abgeordnete schon 1975 so massiv ansprach, ja, im übertragenen Sinne sogar ansprang, um auf die Nöte der Rheumakranken hinzuweisen, so daß wir schneller und emsiger als sonst üblich bereit waren, Initiativen zu ergreifen, nämlich jene Journalistin, die, kaum 1,55 m Größe überragend, von Beginn an kämpferisch für das Unternehmen „Maßnahmen zur Rheumabekämpfung" tätig war. Ich denke an Frau Tina Schneider.Meine Damen und Herren, an Rheuma stirbt man nicht, aber unter Umständen leidet ein Patient ein Leben lang. Diese Leiden zu lindern durch mehr ambulante Betreuung oder durch frühzeitigeres Erkennen gar nicht aufkommen zu lassen ist eine Aufgabe der Zukunft. Die Beschlußempfehlung, die hier vorgelegt wird, hilft dabei, die Weichen richtig zu stellen.Wir stimmen der Beschlußempfehlung zu und danken noch einmal allen, die mitgearbeitet haben, daß diese Beschlußempfehlung und der Bericht der Bundesregierung zustande kommen konnten.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte auch ich der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister als Berichterstatterin und Vorsitzenden des Unterausschusses „Rheumabekämpfung' und auch allen Mitgliedern des Ausschusses dafür danken, daß sie dafür gesorgt haben, daß alle auf dem Gebiet der Rheumabekämpfung anstehenden Probleme ausführlich und objektiv diskutiert werden konnten, um dann die Folgerungen abzuleiten, die sich in dem Bericht niedergeschlagen haben.Dieser Bericht wird hoffentlich dazu beitragen, die bestehende Situation zu verdeutlichen, denn die Anzahl der Rheumakranken in unserem Land hat einen Umfang erreicht, der uns dazu zwingt, von einer Volkskrankheit zu sprechen, wie das ja hier auch schon geschehen ist. Mindestens 5% aller Bürger sind von rheumatischen Erkrankungen der unterschiedlichsten Art betroffen, etwa ein Viertel von ihnen an besonders schweren Formen.Die ökonomischen Folgen durch den hohen Bestand an Rheumaerkrankungen sind beachtlich. Gemessen am menschlichen Leid aber sind sie gering. Vorzeitiger Verlust der Berufsfähigkeit, Verlust der Handlungs- und Bewegungsfreiheit schränken die rheumaerkrankten Menschen erheblich ein.Ich freue mich daher darüber, daß nach den wichtigen gesetzgeberischen Maßnahmen wie dem Chemikaliengesetz und dem Betäubungsmittelgesetz und neben den Anstrengungen zur Krebsbekämplung und zur Reform der Versorgung psychisch Kranker nun auch dieser Problembereich durch die zu erwartenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages vorangebracht werden kann. Damit haben wir auf gesundheitspolitischem Gebiet in der nun zu Ende gehenden 8. Legislaturperiode insgesamt doch Beachtliches zustande gebracht.In den Debattenbeiträgen, die wir hier gehört haben, sind bereits alle Bereiche, die in dem Bericht der Bundesregierung als verbesserungswürdig herausgestellt wurden, angesprochen worden. Ich kann darauf verweisen und auf eine ausdrückliche Darlegung meinerseits verzichten.Hinweisen möchte ich angesichts der noch unbefriedigenden Situation der Rheumabekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland erstens auf die personelle Situation, ohne deren Verbesserung weder eine angemessene Versorgung, insbesondere am Wohnort, möglich ist noch eine Verstärkung &r Rheuma-Forschung, zweitens auf den Ausbau der Dienste und Einrichtungen zur Versorgung Rheumakranker, und drittens auf die Notwendigkeit weiterführender Forschung schlechthin.Die unbefriedigende personelle Situation liegt vornehmlich darin begründet, daß es an einer hinreichenden Zahl von auf dem Gebiet der Rheumabehandlung ausgebildeten Personen fehlt. Das gilt natürlich besonders für Ärzte, aber es gilt auch für Krankengymnasten sowie Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten.Der Deutsche Ärztetag hat vor kurzem — auch das ist bereits erwähnt worden — der Einführung einer Teilgebietsbezeichnung „Rheumatologie" für die Internisten und Orthopäden zugestimmt, sicherlich nicht völlig unabhängig von dem Bericht der Bundesregierung über die darin begründeten Forderungen. Zwei Anläufe dazu in den Jahren 1976 und 1978 waren zuvor gescheitert. Damit ist ein Anfang gemacht worden, und es steht zu erwarten, daß dieser Beschluß von den Landesärztekammern umgesetzt wird und die Bundesländer die erforderlichen Weiterbildungsstellen schaffen werden.Von erheblicher Bedeutung für die Verbesserung der gegenwärtigen Situation ist ein Angebot geeigneter wohnortnaher Behandlungsmöglichkeiten. Diese müßten zumindest für bestimmte Bereiche, etwa der physikalischen Behandlung, auch für die ambulante Betreuung zur Verfügung stehen, damit flächendeckend die medizinische Vollversorgung Rheumakranker, die ja häufig in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sichergestellt werden kann. Eine möglichst schnelle Besserung des bestehenden Zustandes liegt im unmittelbaren Interesse der Rheumakranken unseres Landes. Sie kann aber nur durch die mit Recht geforderte gleichzeitige Verstärkung der klinischen Forschung auf dem Gebiet der Rheumabehandlung zur Verbesserung der Diagnostik und der Therapie erfolgen.Wichtig ist auch die wissenschaftliche Abklärung negativer Einflußfaktoren, die mit den Arbeitsplät-
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Parl. Staatssekretär Zanderzen und den Arbeitsbedingungen verbunden sind und rheumatische Erkrankungen begünstigen. Dieser komplexe Bereich wissenschaftlicher Forschung bildet im Programm der Bundesregierung „Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit" einen SchwerpunktDie als vordringlich angeführten Aktivitäten zeigen, daß hier nicht allein die Bundesregierung gefordert ist, deren begrenzte Zuständigkeit nur in Teilbereichen Hilfen zur Lösung anbieten kann. Eine durchgreifende Änderung, um die wir uns ja insgesamt bemühen wollen, ist deshalb nur zu erwarten, wenn es gelingt, eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, den wissenschaftlichen Institutionen, den Sozialleistungsträgern und auch der Ärzteschaft sicherzustellen. Deshalb begrüße ich ganz besonders die vom Arbeits- und Sozialausschuß vorgelegten Beschlußempfehlungen, die nach meiner Einschätzung dazu führen können, daß schon bald sichtbare Verbesserungen zum Nutzen unserer rheumakranken Mitbürger erreicht werden können.Jetzt muß nach dem Stand der vorliegenden Erkenntnisse unter Ausschöpfung der verfügbaren Ressourcen schnell gehandelt werden. Die Bundesregierung sieht sich durch die vorliegende Beschlußempfehlung dabei bestärkt
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4298 unter Ziffer 1, den Bericht der Bundesregierung auf den Drucksachen 8/3625 und 8/3693 zur Kenntnis zu nehmen. — Ich darf feststellen, daß dies geschehen ist
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/4298 unter den Ziffern 2 bis 11 die Annahme von Entschließungen. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP
Verbesserung der Hebammenausbildung
— Drucksache 8/4313 —
Als nächster Punkt — Zusatzpunkt 3 — soll ein Gesetzentwurf zu dieser Materie aufgerufen werden. Ich habe aber gehört, daß sich die Fraktionen geeinigt haben, über diese beiden Punkte eine verbundene Debatte zu führen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Sie wollen das Wort zur Aussprache haben. Ich bin aber über die Reihenfolge anders informiert. Hier wollte Herr Abgeordneter Hasinger als erster das Wort haben.
— Deshalb frage ich ja: Wollen Sie begründen oder in der Aussprache über beide Punkte sprechen? Wenn Sie begründen wollen, sind Sie selbstverständlich ohne weiteres der erste Redner. Wenn es sich aber um eine allgemeine Aussprache handelt, ist mir die Rednerfolge anders gemeldet
— Es gibt keine Streitfrage, wenn wir es so machen. Herr Abgeordneter Jaunich, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 17. Januar 1979 dem Parlament den Entwurf eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege und im Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers vorgelegt Über diesen Entwurf haben wir am 16. Februar 1979 in diesem Hause eine erste Aussprache geführtDer Versuch der Bundesregierung, diese beiden Berufe in einem Gesetz zu regeln, ist nach wie vor als richtig anzusehen. Nachdem für uns erkennbar war, daß wir in dieser Legislaturperiode den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht mehr zur Verabschiedung bringen können — ich muß hier an die Fülle der Beratungsgegenstände erinnern, die im zuständigen Bundestagsausschuß Jugend, Familie und Gesundheit zur Beratung anstanden —, nachdem also erkennbar war, daß wir dies nicht in das Bundesgesetzblatt in dieser Legislaturperiode bekommen werden, haben wir daraus die nötige Konsequenz gezogen und zunächst intern — von jeder Fraktion ein Sprecher — in einer Gruppe den ursprünglicher CDU/CSU-Antrag zur Regelung des Hebammenrechtes über einige Wochen hinweg beraten und daran eine ganze Menge Veränderungen angebracht — übrigens einvernehmlich miteinander.Der Gesetzentwurf der Unionsfraktion, der dem Hause heute auf Drucksache 8/4356 neu präsentiert wird, trägt diesem Erkenntnisstand überhaupt nicht Rechnung, sondern er ist nichts weiter als ein Kopieren des ursprünglichen Gesetzentwurfs. Dies ist bedauerlich. Daß es auf der Basis unserer informellen Gespräche nicht zu einer Gesetzgebung hat kommen können,
ist ebenfalls bedauerlich. Ich mag hier auch nicht verhehlen, daß es daran gelegen hat, daß es bei der FDP-Fraktion lange Zeit grundsätzliche Vorbehalte gegen eine Aufteilung in zwei eigenständige Gesetzentwürfe gegeben hat Als vor zirka drei Wochen bei der FDP-Fraktion signalisiert wurde, daß man auch auf der Grundlage dieses Papiers zu einer Verabschiedung kommen könnte, war das natürlich für eine sorgfältige Beratung innerhalb der Fraktionsgremien nicht mehr zeitgerecht Wir können und wollen uns nicht erlauben, was Sie sich, meine Damen und Herren von der Union, erlauben, nämlich dem Plenum etwas vorzulegen, was man
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Jaunichnicht verabschieden kann. Das werden Sie wohl nicht bestreiten können.
Der Entwurf, den Sie hier vorlegen, entbehrt überhaupt der EG-rechtlichen Bestimmungen, die hinein müssen. Das hatten wir für unser Papier alles erarbeitet, aber hier fehlt es.In § 16 Ihres Gesetzentwurfes steht: „Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft" Will man diesem Parlament allen Ernstes zumuten, so etwas in erster, zweiter und dritter Lesung zu beraten?Meine Damen und Herren von der Opposition, dies ist nichts weiter als der Versuch, dieses Plenum des Deutschen Bundestages in den letzten drei Tagen seiner Wirksamkeit zu einer reinen Wahlkampfplattform zu denatuieren. Dem werden wir nicht folgen.Wir haben die einzige Konsequenz aus der Situation gezogen, die denkbar ist, als erkennbar wurde, daß wir den Gesetzentwurf nicht mehr schlußendlich beraten können, nämlich den Antrag einzubringen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, auf Grund der vorgegebenen Rechtsnormen, basierend auf dem alten Hebammengesetz, die Ausbildungsdauer — dies ist das vordringlichste Problem, das zur Lösung ansteht — von zwei auf drei Jahre zu verlängern.In diesem Sinne werden wir diesen Antrag annehmen und müssen Ihren Schauantrag in Form eines Gesetzentwurfes, der hier eingebracht worden ist, ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hasinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben, versucht zu bemänteln, daß es den beiden Fraktionen in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, die längst überfällige gesetzgeberische Reform des Hebammenrechtes zu verwirklichen.
Meine Fraktion hat am 10. November 1978 in diesem Haus den Entwurf eines neuen Hebammengesetzes eingebracht Der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat über diesen Gesetzentwurf gemeinsam mit dem soeben erwähnten Regierungsentwurf eines kombinierten Krankenpflege- und Hebammengesetzes ein Sachverständigenhearing durchgeführt Daraufhin haben interfraktionelle Gespräche stattgefunden, die gezeigt haben, daß der kombinierte Regierungsentwurf in diesem Haus keine tragfähige Grundlage besitzt Ich kann deshalb auch Ihrer Auffassung, Herr Kollege Jaunich, nicht zustimmen, wenn Sie sagen, daß nach wie vor ein gemeinsames Gesetz richtig wäre. Ich glaube, Sie gehen da hinter einen Erkenntnisstand zurück, den Sie inzwischen bereits erreicht hatten.Die Fortsetzung der interfraktionellen Gespräche hat sich dann allein auf das Hebammengesetz konzentriert. Wir haben am 21. März und am 23. April dieses Jahres interfraktionell intensiv über ein neues Hebammengesetz gesprochen. Diese Gespräche sind erfolgreich gewesen. Ein kompletter Gesetzentwurf, ausformuliert auf Punkt und Komma, war das Ergebnis.Bei diesen Gesprächen haben sowohl meine Fraktion wie auch die Fraktion der SPD erhebliche Kompromißbereitschaft gezeigt Auf unserer Seite ging es beispielsweise darum, daß wir der Auffassung sind, daß das Berufsbildungsgesetz wegen der Besonderheiten der Hebammenausbildung hier nicht zur Anwendung kommen sollte, während die SPD dieses Gesetz in weiten Teilen auf die Hebammen-und auch auf die Krankenpflegeausbildung anwenden möchte. Wir haben den Kompromiß gefunden, daß wir wegen der Vordringlichkeit eines solchen Hebammengesetzes die Frage der Anwendung des Berufsbildungsgesetzes ausklammern wollten. Hinsichtlich dieses Punktes wäre es beim bestehenden Rechtszustand geblieben, denn auch das geltende Hebammengesetz aus dem Jahre 1938 sagt naturgemäß nichts über die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes.Auch in anderen Punkten, beispielsweise bei der Vorbildung oder den vorbehaltenen Tätigkeiten waren wir als CDU/CSU im Interesse der Verabschiedung eines Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode zu Kompromissen bereit. Ich möchte hier anerkennen, daß umgekehrt auch der Vertreter der SPD-Fraktion bereit gewesen ist, Kompromisse zu schließen. Insbesondere war er bereit, ein eigenes Hebammengesetz zu verabschieden und vom Zusammenspannen der beiden Berufe abzugehen.Die FDP hat in diesen Beratungen keine sachlich nützlichen Vorschläge gemacht, aber den einzelnen Ergebnissen auch nicht widersprochen. Um so bedauerlicher ist es gewesen, daß der Vertreter der FDP, Herr Kollege Eimer, nach Abschluß dieser interfraktionellen Gespräche mitgeteilt hat, daß seine Fraktion dieses Ergebnis nicht tragen könne.Der Grund ist eine Art Vereinheitlichungsideologie, die hinsichtlich der nichtärztlichen Heilberufe bei den Freien Demokraten herrscht Schon in der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs sprach der Sprecher der FDP von einer „kurios anmutenden Vielfalt von Spezialberufen". Er reihte die Hebammen unter Achatschleifer, Fischwerker, Walzendreher und Wachszieher ein. Die FDP war es auch, die uns im Sachverständigenhearing jenen Sachverständigen präsentiert hat, der die Meinung vertritt, daß der Hebammenberuf in Zukunft überhaupt entbehrlich sei und man mit einer fachlich weitergebildeten Krankenschwester auskommen könne. Ich möchte — meine Damen und Herren von der SPD, ich appelliere auch an Sie, hier zuzustimmen — sagen, daß wir den Hebammenberuf auch in Zukunft brauchen, daß sich im Gegenteil das Aufgabengebiet der Hebammen noch weiter ausweiten muß.
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Angesichts dieses Gangs der Beratungen, den ich hier relativ ausführlich geschildert habe, ist es, glaube ich, zutreffend, Herrn Kollegen Eimer den Titel zu verleihen: Killer des Hebammengesetzes.
Meine Damen und Herren, wir haben den Gesetzentwurf, den wir schon im Jahre 1978 eingebracht haben, heute erneut eingebracht, um zu dokumentieren, daß es uns mit der Verabschiedung eines Gesetzes ernst ist.
— Ich möchte an Sie appellieren, Bedenken, die Sie hier geltend gemacht haben, Herr Kollege Jaunich, zu überwinden und einer gesetzlichen Regelung dieser Frage zuzustimmen. Ein bloßer Antrag, der die Verlängerung der Hebammenausbildung durch eine Verordnung vorsieht, scheint mir nicht verabschiedungsreif zu sein. Zwar sind wir uns im Ziel, der Verlängerung der Ausbildung der Hebammen von zwei auf drei Jahre, absolut einig — das sieht auch unser eigener Gesetzentwurf aus dem Jahre 1978 vor —, es ist aber fraglich, ob der Weg einer Verordnung beschritten werden kann. Ich habe einmal im alten Hebammengesetz aus dem Jahre 1938 nachgelesen. Die dortige Vorschrift — es ist § 25 — erwähnt die Dauer der Ausbildung nicht. Nach allgemeiner Meinung sind die Konkretisierungsvorschriften des Art. 80 des Grundgesetzes, Herr Kollege Jaunich, für Rechtsverordnungen auch bei vorkonstitutionellen Ermächtigungen maßgebend. So erscheint es uns nicht sicher, ob der von Ihnen vorgeschlagene Weg wirklich gangbar ist.Deswegen bedauern wir, Ihren Vorschlag heute ablehnen zu müssen, obwohl wir in der Sache einer Meinung sind,
und möchten an Sie appellieren, heute das längst überfällige Hebammengesetz zu verabschieden.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede meines Kollegen Hasinger webt an mehreren Legenden, denen ich hier entgegentreten muß.
Weder will die FDP den Beruf der Hebamme abschaffen, noch liegt das Scheitern des Hebammengesetzes an uns, noch ist uns eine Regelung über Rechtsverordnung verwehrt. — Herr Kollege, auch der Titel, den Sie mir gegeben haben, entspricht, glaube ich, nicht dem Stil dieses Hauses, vor allem dann nicht, wenn Sie versuchen, ihn ins Deutsche zu übersetzen, und er entspricht wohl auch nicht der Zusammenarbeit, die bisher im Ausschuß und auch im Plenum zwischen uns geherrscht hat.
Auf eines möchte ich noch eingehen, nämlich auf Ihre Bemerkung, eine Rechtsverordnung sei nicht möglich. Ich habe hier eine Rechtsverordnung zu diesem Thema vom 25. März 1963.
Ich meine, wenn so etwas im Jahre 1963 möglich gewesen ist, muß es auch heute möglich sein.
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18578 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
In allen strittigen Punkten — auch bei denen, die Sie, Herr Kollege Hasinger, sonst immer abgelehnt haben — muß man aber feststellen, daß das Berufsbildungsgesetz voll gültig ist.Die Hebammenausbildung ist für uns eine Ausbildung besonderer Art, ist also nicht ohne weiteres mit den übrigen Berufsausbildungen vergleichbar.
Wir waren uns in der ersten Lesung einig, und die Vertreter aller Fraktionen haben sich darüber ausgelassen, daß hier besondere Lösungen gefunden werden müssen. Das war aber genau der Punkt, an dem eine Einigung, ein Kompromiß, den wir ja anstrebten, nicht mehr möglich war. Also wurde diese Frage ausgeklammert und nicht mehr erwähnt. Das hätte aber das Gegenteil dessen bedeutet, was alle Fraktionen hier in der ersten Lesung gesagt haben, das Gegenteil von dem, was wir sachlich wollten, das Gegenteil von dem, was auch die betroffenen Hebammen wünschten. Eine Ausklammerung ist sicher ein bequemer Weg, aber sicher auch keine gute Lösung.
Mein Gespräch mit Vertretern der Hebammen am Dienstag, dem 10. Juni 1980, zeigte, daß die Hebammen bereit waren, diese Nachteile trotzdem hinzunehmen. Das war für meine Fraktion der Anlaß, unsere Bedenken zurückzustellen. Am gleichen Tag haben der Arbeitskreis III unserer Fraktion und die Gesamtfraktion einer derartigen Regelung zugestimmt. Für uns hätte die Zeit zur Verabschiedung noch gereicht. Wir hatten noch drei Ausschußsitzungen und vier Plenarwochen vor uns. Die Frage, ob diese Zeit ausreiche, war allerdings innerhalb der Fraktionen recht umstritten.Damit bleibt für den wichtigsten Teil und den, der am dringlichsten einer Regelung bedarf, nämlich der Verlängerung der Ausbildung, nur noch der Weg über die Rechtsverordnung offen. Diese Regelung über Rechtsverordnung bringt die gleiche Verlängerung von zwei auf drei Jahren in einer Zeitspanne, die nicht länger ist als die, die für eine Regelung über ein Gesetz erforderlich ist. Die Vorarbeiten sind weitgehend abgeschlossen. Es steht einer Rechtsverordnung nichts mehr im Wege.Sie wollen ein Gesetz durchpeitschen,
das wieder einmal auf die alten Maximalforderungen zurückgeht und keine Chancen hat, angenommen zu werden. Ich meine, Sie können unserem Antrag ohne weiteres zustimmen. Der Antrag hat mehr Gewicht, wenn er einstimmig verabschiedet wird.
Sie stimmen nicht für uns, sondern Sie stimmen für die Hebammen ab. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß eine Verlängerung der Ausbildung der Hebamme auf drei Jahre geboten ist. Dies ist vor allen Dingen deshalb erforderlich, weil sich die Aufgaben und das Berufsbild und damit auch die Anforderungen an das Wissen und die praktischen Fähigkeiten wegen der starken Entwicklung der perinatalen Medizin grundlegend geändert haben. Außerdem würde damit eine im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft notwendige Anpassung vollzogen.Der Gesetzentwurf der CDU/CSU enthält zwar auch die Verlängerung der Ausbildungszeit. Der Entwurf ist aber insgesamt auf keinen Fall so ausgereift, daß man zur Verabschiedung raten könnte. Ich möchte dies nur an wenigen Beispielen belegen.Der Entwurf berücksichtigt nicht die inzwischen eingetretene Entwicklung im bildungspolitischen Bereich. Dies gilt z. B. für die Eingangsvoraussetzungen, bei denen wir uns vor kurzem bei der Verabschiedung des Logopädengesetzes erneut auf eine Regelung für Personen mit Berufserfahrung geeinigt haben.Auch rechtliche Bedenken, wie sie für die Fortbildungsverpflichtung bestehen, sind bisher nicht ausreichend geprüft worden.Besonders bedauerlich ist auch die Tatsache, daß der Gesetzentwurf der Opposition in keiner Weise auf die inzwischen zur Anpassung der Regelungen der Europäischen Gemeinschaft notwendigen Vorschriften eingeht. Es ist unverständlich, wenn im Gesetzentwurf der Nachweis von Sprachkenntnissen für Personen aus den EG-Mitgliedstaaten noch gefordert wird, obwohl die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, solche Hindernisse bis 1983 zu beseitigen.Im Gesetzentwurf werden vorbehaltene Tätigkeiten in einem Umfang vorgesehen, der zu den größten praktischen Schwierigkeiten führen muß, weil es nicht möglich ist, eine ausreichende Zahl von Hebammen auszubilden, mit denen diese Aufgaben erfüllt werden könnten.
— Daher sind da sechs Pünktchen.Der Ausschluß der Anwendung des Berufsbildungsgesetzes bei der Hebammenausbildung kann nur als ein Rückschritt angesehen werden. Dem betroffenen Personenkreis würde damit ein Bärendienst erwiesen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980 18579
Parl. Staatssekretär ZanderIch kann schon aus diesen wenigen Gründen die Annahme dieses Gesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion nicht empfehlen. Alle Beteiligten wissen übrigens — das ist auch dargelegt worden —, daß wir über viele Monate hinweg im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit den ernsthaften Versuch unternommen haben, eine allseits akzeptable Regelung zu finden. Dieser Versuch ist gescheitert. Ich will hier nicht untersuchen, aus welchen Gründen eine Einigung nicht zustande kam. Einen derartig unausgereiften Entwurf nun plötzlich im Plenum zu präsentieren, ist ein Verfahren, das man wohl nur auf die Hektik der letzten Wochen der zu Ende gehenden Legislaturperiode zurückführen kann — um mich vorsichtig und zurückhaltend auszudrücken.Der entscheidende Punkt ist — das möchte ich noch einmal hervorheben —, daß wir zu einer Verlängerung der Ausbildungszeit kommen. Die Entschließung, in der die Bundesregierung zur Nutzung ihrer Rechtsverordnungsermächtigung aufgefordert wird, zeigt meines Erachtens den richtigen Weg. Für die Bundesregierung kann ich erklären, daß wir dieser Aufforderung sobald wie möglich nachkommen wollen und dabei auch mit der Unterstützung der Opposition und des Bundesrates rechnen.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/ 4313 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit. Dieser Antrag ist damit angenommen.Ich rufe Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:Erste, zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hasinger, Dr. Hammans, Frau Schleicher, Burger, Dr. Becker , Frau Dr. Neumeister, Frau Karwatzki, Dr. Meyer zu Bentrup und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Hebammengesetzes— Drucksache 8/4356 —Es war interfraktionell vereinbart worden, daß Begründung und Aussprache in der bereits abgelaufenen Runde zusammengefaßt werden sollen. — Das Wort wird weiter nicht mehr gewünscht.Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe §§ 1 bis 16, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Zweite war die Mehrheit Damit sind in zweiter Beratung alle Teile des Gesetzentwurfs abgelehnt Damit unterbleibt nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung und Abstimmung.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 150 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1978 über die Arbeitsverwaltung: Rolle, Aufgaben, Aufbau— Drucksache 8/4136 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4289 —Berichterstatter: Abgeordneter Lutz
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der SchluBabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 8/3138 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/4324 —Berichterstatter:Abgeordnete Heyenn Dr. Wittmann
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art 1 bis 8, Einleitung und Überschrift auf. Diese Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
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18580 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1980
Präsident StücklenIch rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Budapester Vertrag vom 28. April 1977 über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren— Drucksache 8/3480 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/4326 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Schöfberger Dr. Wittmann
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Zur allgemeinen Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur SchluBabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird wieder mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.