Protokoll:
6159

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 159

  • date_rangeDatum: 15. Dezember 1971

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 159. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Kunz in den Bundestag 9129 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 9129 A Wahl des Abg. Dr. Miltner als Mitglied des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses . . . . 9129 B Amtliche Mitteilungen 9129 C Erklärungen der Bundesregierung Franke, Bundesminister . . . . . 9130 A Scheel, Bundesminister . . . . 9131 C Stücklen (CDU/CSU) 9134 C Wienand (SPD) . . . . . . . 9136 C Dr. Achenbach (FDP) 9138 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksache VI/557); Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache VI/2903) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Jaeger (CDU/CSU) . 9141 A, 9154 C, 9156 A, 9158 A Dr. Arndt (Hamburg) (SPD) 9146 C, 9155 D, 9158 A, 9160D, 9162B Kleinert (FDP) . 9152 C, 9157 C, 9162 C Vogel (CDU/CSU) . . . 9155 A, 9163 A Dichgans (CDU/CSU) . . . . . . 9156 D Jahn, Bundesminister . . . . . . 9158 C Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 9160 A Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 9161 B Memmel (CDU/CSU) 9161 D Dorn (FDP) 9163 B Dr. Schmid, Vizepräsident . . . 9163 C Fragestunde (Drucksache VI/2938) Frage des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Fortführung der bereinigten Sammlung des Bundesrechts in Loseblattform Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9164 A, B, C Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 9164 B Frage des Abg. Dr. Krall (FDP) : Reservierung von Abteilen in IC-Zügen für leitende Beamte der Bundesbahnhauptverwaltung Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9164 D, 9165 A Krall (FDP) 9165 A II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Fragen des Abg. Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Beschleunigte Fertigstellung eines großräumigen Fernverkehrsumgehungsnetzes für die Stadt Bonn Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 9165 B, C, 9166 B, C, D Freiherr Ostman von der Leye (SPD) 9166 A, B Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 9166 C Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 9166 D Frage des Abg. Josten (CDU/CSU) : Auslegen von Tages- und Wochenzeitungen in Speisewagen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9167 A, B, C, D Josten (CDU/CSU) 9167 A, B Ollesch (FDP) 9167 C Dr. Geßner (SPD) . . . . . . 9167 C Fragen des Abg. Ollesch (FDP) : Beibehaltung der bisherigen Beschilderung des Ortsendes Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9167 D, 9168 A, B, C, D, 9169 A, B, C, D, 9170 A, B Ollesch (FDP) . . . 9168 A, B, 9170 A, B Lemmrich (CDU/CSU) 9168 C Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 9168 D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 9168 D Dr. Früh (CDU/CSU) 9169 B Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) 9169 C Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . 9169 C Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 9169 D Frage des Abg. Graaff (FDP) : Vorgehen der Bundesregierung bei der Einführung der neuen StraßenverkehrsOrdnung Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9170 C Frage des Abg. Graaff (FDP) : Kosten der Anbringung der neuen Ortsausgangstafeln Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 9170 D Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 9170 D Frage des Abg. Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Weitere Zulassung der bisherigen Ortsende-Schilder Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9171 A, B Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 9171 A, B Fragen des Abg. Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) : Gründe für die Einführung der neuen Ortsende-Schilder — Kosten dieser Maßnahme Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9171 C, D, 9172 A, B Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) 9171 C, D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 9171 D Frage des Abg. Dr. Geßner (SPD) : Ausgabe einer Gedenkmarke anläßlich der 175. Wiederkehr des Geburtstages Heinrich Heines Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9172 B, C, D, 9173 A Dr. Geßner (SPD) 9172 C Lemmrich (CDU/CSU) 9172 D Hansen (SPD) . . . . . . . . 9172 D Fragen des Abg. Dr. Arnold (CDU/CSU) : Erneute Verteuerung des Post- und Telefondienstes im Jahre 1972 Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 9173 A, B, C, D, 9174 A Dr. Arnold (CDU/CSU) 9173 B, C, D, 9174 A Frage des Abg. Becker (Nienberge) (SPD) : Anpassung der Gehälter der Bundesbeamten an die der Beamten in Ländern und Gemeinden — Kosten für den Bund Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 9174 A, C Brück (Köln) (CDU/CSU) 9174 C Frage des Abg. Becker (Nienberge) (SPD) : Aufwendungen für die Vereinheitlichung der Gehälter der Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 9174 C Fragen des Abg. Gnädinger (SPD) : Zwischenstaatliche Besprechungen über ein technisches Projekt zur Bodenseeregulierung — Schweizer Alternativvorschläge Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9174 D, 9175 A, B Gnädinger (SPD) 9175 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 III Frage des Abg. Heyen (SPD) : Kontakt von Dienststellen des Berliner Senats mit dem Amt für Wasserwirtschaft der DDR Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9175 C, D, 9176 A Heyen (SPD) . . . . . . . . . 9175 D Frage des Abg. Dr. Fuchs (CDU/CSU): Wiedereinstellung von ausgeschiedenen Beamtinnen, insbesondere Lehrkräften Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 9176 A, C Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . 9176 B Fragen des Abg. Dr. Hauff (SPD) : Grenze zwischen gesundheitsgefährlichem und nur lästigem Lärm Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9176 C, D, 9177 A, B, C, D Dr. Hauff (SPD) . . 9176 D, 9177 A, C, D Schmidt (Braunschweig) (SPD) . . 9177 A Hansen (SPD) 9177 B Frage des Abg. Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) : Maßnahmen zur Sicherung der Pressefreiheit — Pressekontrolle durch Schaffung von Presseausschüssen Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . 9177 D, 9178 A, B, C, D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 9178 A, C Raffert (SPD) 9178 A Dr. Arnold (CDU/CSU) 9178 D Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes (Drucksache VI/2684) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (Drucksache M/2928) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Warnke (CDU/CSU) 9179 A Dr. Apel (SPD) . . . . . . . 9179 C Schmitt (Lockweiler) (CDU/CSU) . 9179 D Haar (Stuttgart) (SPD) 9181 A Ollesch (FDP) . . . . . 9193 B, 9187 A Lemmrich (CDU/CSU) 9185 C Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik (Drucksachen VI/2364, M/2789) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Technologiepolitik (Drucksachen VI/2369, M/2789) und mit Antrag betr. Europäische Technologiekonferenz (Abg. Frau Dr. Walz, Dr. Martin, Dr. Hubrig, Dr. Probst, Lenzer und Fraktion der CDU/CSU) Dr. Hubrig (CDU/CSU) . 9188 A, 9221 A Dr. Lohmar (SPD) 9195 C Grüner (FDP) . . . . . . . . 9198 B Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 9201 D Dr. Probst (CDU/CSU) 9205 D Flämig (SPD) 9209 D Jung (FDP) . . . . . . . . . 9212 C Lenzer (CDU/CSU) . . . . . . 9214 D Dr. Hauff (SPD) . . . . . . . 9218 C Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9222 A Frau Dr. Walz (CDU/CSU) . . . 9223 D Nächste Sitzung 9225 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 9227 A Anlage 2 Änderungsantrag Umdruck 248 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksachen VI/557, VI/2903) 9227 C Anlage 3 Eventualantrag Umdruck 249 zum Änderungsantrag Umdruck 248 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksachen VI/557, M/2903) 9228 A Anlage 4 Änderungsantrag Umdruck 256 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksachen M/557, M/2903) 9228 B Anlage 5 Änderungsantrag Umdruck 257 zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnun- IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 gen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte (Drucksachen VI/557, VI/2903) 9228 C Anlage 6 Änderungsantrag Umdruck 255 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes (Drucksachen VI/2684, VI/2928) 9228 D Anlagen 7 bis 11 Anträge Umdrucke 250 bis 254 zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik (Drucksachen VI/2364, VI/2789) 9229 A Anlage 12 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Seefeld (SPD) betr. Anteil der unter Drogeneinfluß an Verkehrsunfällen beteiligten Kraftfahrer und Erstellung eines einwandfreien Drogentests 9231 A Anlage 13 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Picard (CDU/CSU) betr. Entscheidung des Bundesverkehrsministers über die ausschließliche Verwendung von Verbundglas für Windschutzscheiben von Personenkraftwagen . . . 9231 B Anlage 14 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Peters (Norden) (SPD) betr. Angleichung der den Postbeamten gezahlten Wechseldienstzulage an die den Angestellten gewährte Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten . . . . 9231 D Anlage 15 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) betr. Teilnahme von Mitgliedern der SED und anderer kommunistischer Parteien des sowjetischen Machtbereichs an Veranstaltungen in der Bundesrepublik 9232 A Anlage 16 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen der Abg. Frau Schlei (SPD) betr. Diskriminierung deutscher Umsiedler aus Polen durch deutsche Behörden . . . . 9232 B Anlage 17 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) betr. Konsequenzen der Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur hessischen Richterbesoldung 9232 C Anlage 18 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Evers (CDU/CSU) betr. Anwendung des Verursacherprinzips auf alle für Umweltbelastungen verantwortlichen Institutionen 9232 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9129 159. Sitzung Bonn, den 15. Dezember 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 156. Sitzung, Seite 9034 D, Zeile 10, statt „Jenser" : „Lenzer" Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9227 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach * 17. 12. Adams * 17. 12. Dr. Aigner * 17. 12. Alber * 17. 12. Amrehn 17. 12. Dr. Arndt (Berlin) * 17. 12. Dr. Artzinger * 17. 12. Bartsch 18. 12. Dr. Barzel 16. 12. Bauer (Würzburg) ** 17. 12. Dr. Beermann 15.1.1972 Behrendt * 17. 12. Berlin 17. 12. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 17. 12. Blank 18. 12. Blumenfeld** 18. 12. Borm ** 17. 12. Dr. Burgbacher * 17. 12. Dasch 18. 12. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 18. 12. Dr. Dittrich * 17. 12. Dr. Enders ** 17. 12. Faller 18. 12. Fellermaier * 17. 12. Dr. Fischer 17. 12. Flämig * 17. 12. Dr. Furler * 17. 12. Gerlach (Emsland) 17. 12. Gewandt 17. 12. Dr. Giulini 17. 12. Freiherr von und zu Guttenberg 18. 12. Dr. Hauser (Sasbach) 17. 12. Dr. Hellige 17. 12. Frau Herklotz ** 15. 12. Frau Jacobi (Marl) 18. 12. Dr. Jahn (Braunschweig) * 17. 12. Kahn-Ackermann ** 18. 12. Katzer 15. 12. Frau Klee** 18. 12. Klinker * 17. 12. Dr. Koch * 17. 12. Dr. Kreile 15. 12. Kriedemann* 17. 12. Lange * 17. 12. Lautenschlager * 17. 12. Lenze (Attendorn) ** 15. 12. Dr. Dr. h. c. Löhr * 17. 12. Looft 17. 12. Lücker (München) ' 17. 12. Meister ' 17. 12. Memmel* 17. 12. Müller (Aachen-Land) * 17. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Ageordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Orth * 17. 12. Ott 17. 12. Pöhler ** 18. 12. Dr. Reischl * 17. 12. Riedel (Frankfurt) * 17. 12. Dr. Schachtschabel 19. 12. Schoettle 17. 12. Schulhoff 15. 12. Schwabe * 17. 12. Dr. Schwörer * 17. 12. Seefeld * 17. 12. Sieglerschmidt *' 15. 12. Springorum * 17. 12. Dr. Starke (Franken) * 17. 12. Wehner 18. 12. Werner * 17. 12. Wolfram * 17. 12. Baron von Wrangel 17. 12. Anlage 2 Umdruck 248 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Lenz (Bergstraße), Vogel und der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte - Drucksachen VI/557, VI2903 — Der Bundestag wolle beschließen: 1. In Artikel I Nr. 2 erhält § 19 a Abs. 1 folgende Fassung: ,§ 19 a Amtsbezeichnung (1) Amtsbezeichnung der Richter auf Lebenszeit und der Richter auf Zeit sind „Landesrichter, Oberrichter, Bundesrichter, Kammervorsitzender, Senatspräsident, Vizepräsident und Präsident". 2. In Artikel II Nr. 4 erhält § 21 a folgende Fassung: „§ 21 a (1) Bei jedem Gericht wird ein Präsidium gebildet. (2) Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten als Vorsitzenden und 1. bei Gerichten mit weniger als acht Richterplanstellen dem Vorsitzenden und allen wählbaren Richtern, 2. bei Gerichten mit mehr als sieben Richterplanstellen und weniger als neun Vorsitzendenplanstellen aus den Vorsitzenden und gewählten beisitzenden Richtern in gleicher Zahl, 3. bei Gerichten mit mehr als acht Vorsitzendenplanstellen aus dem ständigen Vertreter des 9228 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Präsidenten, den acht dem Dienstalter, bei gleichem Dienstalter dem Lebensalter nach ältesten Vorsitzenden und acht gewählten beisitzenden Richtern. Jedes Jahr scheidet in durchgehender Reihenfolge der entsprechend Satz i letztberufene Vorsitzende aus. An seine Stelle tritt jeweils der nach dem Dienstbzw. Lebensalter nächstberufene Vorsitzende. (3) Das Präsidium entscheidet nach Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag." 3. In Artikel II Nr. 4 erhält § 21 b folgende Fassung: „(1) Wahlberechtigt und wählbar sind die Richter auf Lebenszeit, denen bei dem Gericht ein Richteramt übertragen ist. Nicht wahlberechtigt und nicht wählbar sind Richter, die an ein anderes Gericht oder an eine Verwaltungsbehörde für mehr als drei Monate abgeordnet sind." 4. In Artikel XIII § 5 Abs. 1 wird das Datum geändert in „1. Januar 1973". Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Jaeger Dr. Lenz (Bergstraße) Vogel Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 3 Umdruck 249 Eventualantrag der Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Lenz (Bergstraße), Vogel und der Fraktion der CDU/CSU zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Lenz (Bergstraße), Vogel und der Fraktion der CDU/CSU — Umdruck 248 — zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte — Drucksachen VI/557, VI/2903 —. Für den Fall der Ablehnung der Nummer 1 des Antrags auf Umdruck 248 1. In Artikel I wird Nummer 4 (§ 45 a) getrichen. 2. In Artikel I Nr. 6 werden dem § 120 a folgende Worte angefügt: „und der Obersten Bundesgerichte." Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Jaeger Dr. Lenz (Bergstraße) Vogel Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 256 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Arndt (Hamburg) und Kleinert zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte —Drucksachen VI/557, VI/2903 — Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel X (Änderung des Patentgesetzes) Nr. 2 wird § 36 e wie folgt neu gefaßt: „§ 36 e Für das Patentgericht gelten die Vorschriften des Zweiten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes nach folgender Maßgabe entsprechend: 1. In den Fällen, in denen auf Grund des Wahlergebnisses weniger als zwei rechtskundige Richter dem Präsidium angehören würden, werden die beiden rechtskundigen Richter, die von den rechtskundigen Richtern die meisten Stimmen erhalten haben, Mitglieder des Präsidiums. 2. Über die Wahlanfechtung (§ 21 b Abs. 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes) entscheidet ein Senat des Bundespatentgerichts in der Besetzung mit drei rechtskundigen Richtern. 3. Den ständigen Vertreter des Präsidenten ernennt der Bundesminister der Justiz." Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Jaeger Dr. Arndt (Hamburg) Kleinert Anlage 5 Umdruck 257 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte — Drucksachen VI/557, VI/2903 —. Der Bundestag wolle beschließen: 1. In Artikel I wird die Regierungsvorlage wiederhergestellt. 2. In Artikel II Nr. 4 § 21 a wird die Regierungsvorlage wiederhergestellt. 3. In Artikel XIII § 5 Abs. 1 wird das Datum geändert in „1. Januar 1973". Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Jaeger Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 6 Umdruck 255 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — Drucksachen VI/2684, VI/2928 —. Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 Nr. 16 werden in § 50 d Abs. 1 Nr. 1 die Worte „und in den Fällen, in denen der Antragsteller seinen Sitz im Zonenrandgebiet hat" angefügt. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9229 Anlage 7 Umdruck 253 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Informationsbericht über die Vergabe von Forschungsaufträgen im Bereich Neue Technologien des BMBW vorzulegen. Hierin sollen vor allem auch u. a. folgende Fragen berücksichtigt werden: a) Ist eine Chancengleichheit zwischen Erfindern, Unternehmern und Unternehmensgruppen bei der Bewerbung um staatlich geförderte Forschungsprojekte gegeben? b) Ist es angebracht, die starre Finanzierungsregel der Subventionen durch ein dem jeweiligen Forschungsprojekt angepaßtes differenziertes Finanzierungsinstrument in Form von Subventionen, Darlehen, Zinszuschüssen und Bürgschaften zu ersetzen? Begründung: Seit mehreren Jahren werden im BMBW im Sachbereich Neue Technologien neuartige naturwissenschaftlich-technische Verfahren gefördert. Im Rahmen einer rationalen Gestaltung der Forschungspolitik ist es erforderlich, die bisherige Vergabepraxis zu überprüfen und Folgerungen für die Aktivitäten des Staates im Bereich der angewandten Forschung zu ziehen. Durch eine derartige Überprüfung sollte es ermöglicht werden, eine Fehlleitung von Steuergeldern zu vermeiden und die sachliche und finanzielle Kontrolle der geförderten Forschungsprojekte zu erleichtern. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 8 Umdruck 250 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, eine Erfassungs- und Koordinationsstelle des Bundes für Forschungsprojekte einzurichten. Diese Stelle hat folgende Aufgaben: a) Die vom Bund geförderten Forschungsvorhaben werden nach Sachgebiet, Auftraggeber, aufgewendeten Mitteln, Empfänger und voraussichtlicher Zeitdauer erfaßt b) Die Mitglieder des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft sowie des Haushaltsausschusses werden halbjährlich über den neuesten Stand in geschlossener Sitzung unterrichtet c) Die Gutachten der Ministerien werden nach Auftraggeber, Sachgebiet, Kosten und Verfasser er- faßt. Eine halbjährliche Zusammenstellung ist jeweils den Abgeordneten des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zuzusenden. Begründung: Im BMBW sowie im BMWF werden zwar einige Übersichten über die vom Bund vergebenen Forschungsaufträge angefertigt, doch eine längerfristige und systematische Kontrolle nach den angeführten Kriterien findet nicht statt. Es ist für eine noch zu intensivierende Erfolgskontrolle im Bereich der Forschung notwendig, daß die Projekte des Bundes im Bereich der Forschung nach Sachgebiet, Auftraggeber, aufgewendeten Mitteln und Empfänger systematisch erfaßt werden. Bei der Vergabe von Gutachten muß im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung eine bessere Übersicht geschaffen werden, die eine sachliche und auch finanzielle Kontrolle ermöglicht. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 9 Umdruck 254 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Antrage der Fraktion der CDU/CSU, betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Erfolgskontrolle im Bereich der Forschung, insbesondere der angewandten Forschung, zu verstärken. Insbesondere soll überprüft werden, ob Methoden der Industrie im Bereich des Forschungsmanagements im staatlichen Sektor verwendet werden können. Dem Bundestag ist innerhalb von zwei Jahren ein Bericht zu diesem Thema vorzulegen. Begründung: Der zunehmende Aufwand für staatlich geförderte Forschungsprojekte macht es erforderlich, geeignete Methoden für die sachliche und finanzielle Kontrolle der Forschungsprojekte zu entwickeln. Die Erfolgskontrolle umschließt zum einen Methoden der wirksamsten Kooperation zwischen Staat, Wissenschaft und Industrie sowie auch das Problem der sachlichen Überprüfung einzelner Forschungsprojekte. Es muß durch diese Erfolgskontrolle ermöglicht werden, daß Forschungsprojekte frühzeitig eingestellt werden, sofern der beabsichtigte Erfolg nicht erzielt werden kann. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 10 Umdruck 252 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789 . 9230 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Sachverständigenkommission aus Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung zur Überprüfung der vorn Bund überwiegend geförderten folgenden Großforschungszentren einzusetzen: -- Gesellschaft für Kernforschung (GfK) in Karlsruhe - Gesellschaft für Kernforschungs- und Versuchsanlagen (GfK-V) in Karlsruhe - — Kernforschungsanlagen (KfA) in Jülich — Deutsches Elektronen-Synchroton (DESY) in Hamburg — Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS) in Hamburg — Institut für Plasmaphysik (IPP) in München - Hahn-Meitner-Institut (HMI) in Berlin - Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Birlinghoven - Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt Die Sachverständigenkommission hat folgende Aufgabenbereiche: a) Ein mittel- und längerfristiges Sach- und Finanzprogramm für die angeführten Forschungszentren zu entwickeln b) Vorschläge für eine engere Kooperation zwischen anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, öffentlichen Auftraggebern, Industrie und Forschungszentren vorzulegen. c) Insbesondere Möglichkeiten einer Kooperation und Koordination der Forschungsbemühungen im Bereich der EWG zu prüfen. Die Bundesregierung legt innerhalb von einem Jahr den Bericht der Sachverständigenkommission dein Bundestag vor. Begründung: Das Auslaufen einer Reihe von Programmen in den Kernforschungszentren macht es erforderlich, neue Aufgabenbereiche anstelle der bisherigen hinzuzufügen. In der BRD wie auch in der EWG und den USA ist festgestellt worden, daß die bisherigen Aufgaben der Großforschungszentren längerfristig nicht mehr für eine sinnvolle Beschäftigung des Personals ausreichen. In Großbritannien und in den USA ist schon eine erhebliche Umstrukturierung der Kernforschungszentren erfolgt. Darüber hinaus muß eine Koordination zwischen den verschiedenen vom Bund geförderten naturwissenschaftlich-technischen Forschungszentren gefunden werden. Um die zur Verfügung stehenden Mittel des Bundes im Bereich der Forschung in den kommenden Jahren wirkungsvoll einzusetzen, ist eine längerfristige sachliche und finanzielle Planung für die Forschungszentren unabdingbar. Die beantragte Sachverständigenkommission soll durch ihre Vorschläge helfen, die notwendigen Entscheidungen zu fällen. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 11 Umdruck 251 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Verhandlungen mit ihren europäischen Partnern zur Koordinierung der europäischen Aktivitäten im Bereich der Raumfahrt die Einrichtung einer Europäischen Raumfahrtbehörde in die Wege zu leiten. Zum Aufgabenbereich dieser Raumfahrtbehörde zählen u. a.: — Die bestehenden Raumfahrtorganisationen ELDO, ESRO, CEPT in den Verantwortungsbereich der neuen Behörde zu übernehmen — Die Koordination zwischen europäischen und nationalen Programmen -- Die Rolle des Sprechers Europas in Raumfahrtfragen -- Auf Wunsch und gegen entsprechende Entschädigung die Verwaltung der nationalen Programme durchzuführen. Zum Begriff ,Verwaltung' gehören hier: — Planung bis zu fünf Jahren im Detail — Planung für bis zu zehn Jahren im Großen — Planung für mehr als zehn Jahre im Konzept — Die Ausschreibung, Vergabe und Kontrolle der Projekte im Rahmen der genehmigten Programme. Die finanzielle Grundlage der Europäischen Raumfahrtbehörde soll einerseits durch alle europäischen Staaten mit einem Grundbeitrag gebildet werden, andererseits durch die Beiträge der Staaten, die an den einzelnen Projekten interessiert sind. Über den zukünftigen Aufbau einer derartigen Europäischen Raumfahrtbehörde werden Projektstudien von der Bundesregierung ausgeschrieben und das Ergebnis innerhalb eines halben Jahres der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Innerhalb eines Jahres ist dem Parlament ein Bericht über die Aktivitäten der Bundesregierung in bezug auf die Gründung einer Europäischen Raumfahrtbehörde vorzulegen. Begründung: Die multilaterale Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten im Bereich der Raumfahrt wird z. Z. im wesentlichen durch die Raumfahrtorganisationen ELDO, ESRO und CEPT organisiert. Daneben 1 gibt es eine Reihe bilateraler Projekte europäischer Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9231 Staaten und auch eine Kooperation mit den USA. Verschiedene Fehlschläge im Bereich der europäischen Raketenentwicklung haben die mangelnde Organisation der europäischen Raumfahrtbemühungen herausgestellt. Es geht darum, für die europäischen Nationen ein langfristiges Raumfahrtkonzept zu entwickeln und auch wirksam durchzuführen. Vor allem der Bereich der Anwendungssatelliten sowie das Problem der Trägerraketen können nur im europäischen Rahmen bewältigt werden. Es ist hierzu notwendig, daß die nationalen Aktivitäten stärker koordiniert und die europäischen Organisationen auf diesem Gebiet zusammengefaßt werden. Eine Europäische Raumfahrtbehörde erscheint die geeignete Organisationsform, die europäischen Bemühungen im Bereich der Raumfahrt zu konzentrieren. Bonn, den 14. Dezember 1971 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 12 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 15. Dezember 1971 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Seefeld (SPD) (Drucksache VI/2938 Frage A 3) : Ist der Bundesregierung bekannt, welchen Anteil Kraftfahrer, die unter Drogeneinfluß standen, an der Zahl der an Verkehrsunfällen Beteiligten haben, und gibt es bereits ein Verfahren zur Herstellung eines einwandfreien Drogentests, ähnlich denn Blutalkoholtest? Der Bundesregierung ist dieser Anteil nicht bekannt, da die für eine statistische Erfassung notwendigen polizeilichen Untersuchungen im Einzelfall wegen Fehlens eines geeigneten Nachweisverfahrens zu keinem brauchbaren Ergebnis führen. Der Bundesregierung ist auch kein Verfahren bekannt, das eine dem Blutalkoholnachweis ähnliche routinemäßige und die Konzentration im Körper wiedergebende Erfassung von Drogen und Rauschgiften ermöglicht. An diesem Zustand wird sich wegen der Vielfalt der in Betracht kommenden Stoffe --es gibt allein rd. 80 Stoffe, die in der Wirkung dem Heroin ähnlich sind — und wegen der Unkenntnis des Verhältnisses von Konzentration und Wirkung eines Stoffes in absehbarer Zeit nichts ändern. Anlage 13 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 15. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Picard (CDU/CSU) (Drucksache VI/2938 Fragen A 4 und 5) : Welche Gründe haben den Bundesminister für Verkehr bisher davon abgehalten, für Windschutzscheiben an Personenkraftwagen Verbundglas vorzuschreiben, das als Sicherheitsglas dem gegenwärtig besonders in Wagen der unteren und der Mittelklasse verwendeten Einscheibenhartglas weit überlegen ist? Wann ist damit zu rechnen, daß der Bundesminister für Verkehr eine verbindliche Entscheidung zugunsten des Verbund- glases trifft, nachdem sich die Expertenkommission der EWG eindeutig und generell für Verbundglasscheiben ausgesprochen hat und nur die Vertreter des Bundesverkehrsministeriums sich diesem Votum noch nicht angeschlossen haben? Der Bundesminister für Verkehr hat wiederholt die Eigenschaften der Windschutzscheiben aus Verbundglas und der Windschutzscheiben aus Einscheiben-Sicherheitsglas sorgfältig geprüft. Beide Windschutzscheibenbauarten sind noch mit Mängeln behaftet, die nicht isoliert voneinander bewertet oder einfach gegeneinander aufgewogen werden können. Für die Abschätzung des Unfallrisikos sowohl hinsichtlich der Unfallhäufigkeit als auch der Schwere der Unfallfolgen sind neben den Merkmalen der Glassorten auch die Einbaubedingungen in den Kraftfahrzeugen in die Erwägungen mit einbezogen worden. Beim gegenwärtigen Stand der Technik und bei den zur Verfügung stehenden Ergebnissen der Unfallursachenforschung sowie den Erkenntnissen aus Unfallfolgen kann nicht gesagt werden, eine der beiden bekannten Windschutzscheibenbauarten sei der anderen weit überlegen. Für ein Verbot von Windschutzscheiben aus Einscheiben-Sicherheitsglas gibt es z. Z. keine ausreichenden Gründe. Die technische Studiengruppe „Sicherheitsglas" bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat einen Richtlinienentwurf für Scheiben aus Sicherheitsglas in Kraftfahrzeugen vorbereitet. Dieser enthält Vorschriften für Windschutzscheiben aus vorgespanntem Glas ebenso wie solche für Windschutzscheiben aus Verbundglas. Es trifft also nicht zu, daß diese Gruppe sich „eindeutig und generell für Verbundglasscheiben ausgesprochen hat". Auch in Brüssel sind bisher noch keine ausreichenden Gründe für ein Verbot des Einscheiben-Sicherheitsglases für Windschutzscheiben bekanntgeworden. Der Bundesminister für Verkehr ist bemüht, die vorhandenen Vorschriften weiter zu entwickeln. Dies geschieht auch im internationalen Rahmen insbesondere im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen zum Schutz der Fahrzeuginsassen. Anlage 14 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 15. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Peters (Norden) (SPD) (Drucksache VI/2938 Fragen A 20 und 21) : Welche zusätzlichen finanziellen Mittel wären bei einer Angleichung der den Beamten im Postdienst gezahlten Wechseldienstzulage an die nach Tarifvertrag Nr. 287, Anlage 4, den Angestellten im Postdienst für „Dienst zu ungünstigen Zeiten" geleisteten höheren Zulage aufzubringen? Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung der Beamten im Postdienst, für gleichen Dienst von Angestellten und Beamten auch eine gleiche Vergütung bzw. Zulage zu leisten? Durch eine Angleichung würden bei der gegenwärtigen Höhe der Zulagen Mehrausgaben von etwa 27 Millionen DM jährlich entstehen. Die nach Art und Höhe unterschiedlichen Zulagen für Beamte und Angestellte bei der Deutschen Bundespost sind durch die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen begründet, die für die Zahlung maßgebend sind. Für die Beamten gelten die besoldungsrechtlichen Vorschriften, für die der Gesetzgeber zuständig ist. Für die Angestellten werden die Zulagen zwischen den Tarifpartnern vereinbart. Da die besoldungsrechtlichen Vorschriften einheitlich für alle Beamten gelten, wird derzeit keine I Möglichkeit gesehen, die Zulagen für die Beamten der Deutschen Bundespost an die Zulagen im Tarifbereich anzugleichen. 9232 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Anlage 15 Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 10. Dezember 1971 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) (Drucksache VI/2890 Frage A 26) : In welchem Ausmaß und wo haben in letzter Zeit Mitglieder der SED und anderer kommunistischer Parteien des sowjetischen Machtbereichs an politischen und anderen Veranstaltungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland teilgenommen? Von den bekanntgeworden Teilnehmern an Veranstaltungen kommunistischer oder kommunistisch beeinflußter Gruppen und Organisationen in der Zeit vom September bis November 1971 kamen aus dem sowjetischen Machtbereich insgesamt 12 aus der DDR, 13 aus der Sowjetunion, 9 aus der CSSR, jeweils 6 aus Ungarn und Polen, jeweils 3 aus Rumänien und Bulgarien. Die meisten Teilnehmer gaben sich als Angehörige der kommunistischen Parteien ihrer Heimatländer zu erkennen. Bei den übrigen kann eine solche Mitgliedschaft schon wegen ihrer offiziellen Funktion angenommen werden. Außerdem waren bei dem DKP-Parteitag in Düsseldorf noch 45 Journalisten aus Ostblockländern anwesend. Zu erwähnen sind schließlich auch noch einige kleine Delegationen von Jugendverbänden aus der Sowjetunion sowie aus Bulgarien und Polen, die am sogenannten Solidaritätskongreß der Jugend am 11. September 1971 in Bremen teilnahmen. Anlage 16 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 15. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Frau Schlei (SPD) (Drucksache VI/2938 Fragen A 42 und 43) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß deutsche Umsiedler aus Polen von deutschen Behörden wie Ausländer behandelt werden und daß sie sich dadurch in starkem Maße diskriminiert fühlen? Welche Sofortmaßnahmen kann die Bundesregierung einleiten, um für diesen Personenkreis sozial und politisch vertretbare Regelungen möglich zu machen? Der Bundesregierung sind keine Fälle diskriminierender Behandlung von Umsiedlern bekannt. Im übrigen möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Ausländer nicht schlechter behandelt werden als Deutsche, nur weil sie Ausländer sind. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß es Sofortmaßnahmen zur gesellschaftlichen, sozialen, beruflichen und schulischen Eingliederung der Aussiedler nicht bedarf. Die zur Zeit bestehenden Eingliederungsmaßnahmen reichen aus. Ob sie gegebenenfalls ausgeweitet oder intensiviert werden müssen, berät die Bundesregierung mit den Ländern und den in der Eingliederung von Aussiedlern tätigen Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, der Bundesanstalt für Arbeit und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder. Eine Entscheidung ergeht, sobald sich die Notwendigkeit hierzu ergibt. Im übrigen verweise ich auf die Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen der Fraktionen der SPD, FDP und der CDU/CSU, die von der Bundesregierung mit den Drucksachen VI/1859, VI/2013 und VI/2381 beantwortet worden sind. Anlage 17 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vorn 15. Dezember 1971 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) (Drucksache VI/2938 Frage A 44) : Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur hessischen Richterbesoldung vom 15. November 1971? Die Bundesregierung prüft, welche Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen sind. Die Beratungen zwischen den zuständigen Bundesressorts und mit den Ländern sind aufgenommen worden. Die Bundesregierung strebt eine baldige Klärung an und wird eine gesetzliche Regelung vorbereiten, die der besonderen Stellung der Richter gerecht wird. Anlage 18 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 15. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Evers (CDU/CSU) (Drucksache VI/2938 Fragen A 45 und 46) : Teilt die Bundesregierung meine Ansicht, daß das sogenannte Verursacherprinzip im Rahmen des Umweltschutzes auf alle Institutionen angewendet werden muß, die für Umweltbeeinträchtigungen verantwortlich sind, also auch auf den Bund als Verursacher von umweltbeeinträchtigendem Lärm durch den Betrieb der Deutschen Bundesbahn und als Baulastträger für Bundesstraßen, die nicht mit den heute technisch möglichen schallschluckenden Einrichtungen versehen sind? Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß ihre Antwort auf meine diesbezüglichen Fragen diesem von der Bundesregierung selbst postulierten Verursacherprinzip entspricht, oder teilt sie meine Auffassung, daß diese Antworten das Bestreben erkennen lassen, für die Bundesregierung als Verursacher von umweltschädigendem Lärm eine Ausnahmestellung zu beanspruchen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Verursacherprinzip im Rahmen des Umweltschutzes grundsätzlich auf alle Institutionen anzuwenden ist, die für Umweltbelastungen verantwortlich sind. Das gilt auch für den Bund, soweit dieser als Verursacher von umweltbeeinträchtigendem Lärm anzusehen ist. Das Problem ist jedoch — auch im Hinblick auf die Verkehrswege außerordentlich vielschichtig. Die Bundesregierung bildet zur Zeit entsprechend ihrem Vorschlag im Umweltprogramm eine Arbeitsgruppe, deren Aufgabe es sein wird, Verfahren und Empfehlungen zu erarbeiten, wie das Verursacherprinzip, auch unter Einbeziehung der Frage der Unzumutbarkeit am zweckmäßigsten durchgesetzt werden kann. Die Bundesregierung ist nicht der Ansicht, daß diese Antwort im Widerspruch zu den bisherigen Antworten auf Ihre Fragen zum Problem des Verkehrslärms steht (Anlage 21 zum Protokoll über die 142. Sitzung, Seite 8195, und in der Anlage 47 zum Protokoll über die 146. Sitzung des Deutschen Bundestages, Seite 8429).
Gesamtes Protokol
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einiges bekanntzugeben.
Erstens. Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Benda ist mit Wirkung vom 13. Dezember 1971 der Abgeordnete Kunz in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.

(Beifall.)

Zweitens. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat gemäß § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen betreffend Zustimmungen zur Leistung von über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben übersandt:
Betr.: Bundeshaushalt 1971, Kap. 12 02 Tit. 697 03
— Abwrackhilfen für Küstenmotorschiffe bis zu 300 BRT —;
hier: Einwilligung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe
— Drucksache VI/2910
Betr.: Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 686 30 (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Entwicklungsfonds der EWG)

— Drucksache VI/2942 —
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen diese Vorlagen dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Drittens. Ihnen liegt eine Vorlage vor, die keiner Beschlußfassung bedarf und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden soll:
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den vom Gemischten Parlamentarischen Ausschuß EWG—Türkei am 18. September 1971 in Brüssel angenommenen Empfehlungen
Drucksache VI/2909 --
zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Auswärtiger Ausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Viertens. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 9. Dezember 1971 für den ausgeschiedenen Abgeordneten Benda den Abgeordneten Dr. Miltner als Mitglied des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Miltner als Mitglied des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses bestimmt.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 9. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Dr. Jaeger, Dr. Dollinger, Höcherl, Wagner (Günzburg), Dr. Wittmann (München) und Genossen betr. Personal diplomatischer Missionen, Handelsvertretungen usw. von Staaten des Warschauer Paktes sowie der „DDR" in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin — Drucksache VI/2785 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2939 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 13. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Evers, Stücklen, Volmer, Koster, Frau Griesinger, Dr. Jenninger und Genossen betr. besoldungsmäßige Einstufung der Ingenieure im Bundesdienst — Drucksache VI/2786 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2944 verteilt.
Der VermIttlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 13. Dezember 1971 das vom Deutschen Bundestag in seiner 150. Sitzung ein 10. November 1971 beschlossene Betriebsverfassungsgesetz bestätigt. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2941 verteilt.
Der Präsident hat am 14. Dezember 1971 gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz der Geschäftsordnung den Antrag des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen betr. zusätzliche Ausgaben für den Ausbau und Neubau von Hochschulen und von Einrichtungen der wissenschaftlichen Forschung und Ausbildung außerhalb der Hochschulen im Haushaltsjahr 1971; hier: Einwilligung des Deutschen Bundestages zur Aufhebung der Sperren — Drucksache VI/2946 — dem Haushaltsausschuß überwiesen.
Meine Damen und Herren, bevor wir mit dem Aufruf des Punktes 2 in die Tagesordnung eintreten, gebe ich folgendes bekannt:
Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 13. Dezember 1971 mitgeteilt, daß sie beabsichtigt, heute morgen zwei Erklärungen abzugeben. Herr Bundesminister Franke wird eine Erklärung zum Abschluß der Berlin-Abkommen abgeben, Herr Außenminister Scheel eine Erklärung zu den letzten Beschlüssen der NATO- und der EWG-Gremien sowie zum Abschluß des Offset-Abkommens mit den Vereinigten Staaten.
Ich erteile nunmehr das Wort zur Abgabe einer Erklärung dem Bundesminister für innerdeutsche , Beziehungen, Herrn Franke.
9130 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615900100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zwischen der Bundesregierung bzw. dem Berliner Senat und der Regierung der DDR erzielten Vereinbarungen sind aus mehreren Gründen von großer Bedeutung. Diese Bedeutung geht über den unmittelbar angestrebten praktischen Zweck, nämlich eine Regelung der Lebensfragen der Westberliner, hinaus. Sie erstreckt sich auf das allgemeine Ost-West-Verhältnis in Europa ebenso wie auf das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland.
Wieviel hier noch zu regeln ist, ist uns allen erneut durch einen Zwischenfall nachdrücklich vor Augen geführt worden, der sich in den frühen Abendstunden des gestrigen Tages in der Nähe von Brochthausen bei Duderstadt ereignete. Dort geriet eine Familie von drei Personen bei dem Versuch, die Grenzsperranlagen der DDR zu überwinden, in ein Minenfeld. Dabei wurden Mann und Frau schwer verletzt.
Die Bundesregierung bedauert diesen schweren Zwischenfall zutiefst. Die Tatsache, daß Vorfälle dieser Art noch immer Teile der deutschen Wirklichkeit sind, unterstreicht die dringende Notwendigkeit von Regelungen, wie sie diese Regierung zur Beseitigung der Ursachen immer wiederkehrenden menschlichen Leidens anstrebt.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Doch lassen Sie mich zunächst einiges zum Inhalt der Abmachungen feststellen, die in der vergangenen Woche paraphiert wurden. Die Vier Mächte haben sich festgelegt, und die Deutsche Demokratische Republik hat es bestätigt:
Erstens. Der Verkehr von und na West-Berlin wird in seinem Ablauf erleichtert wer n, ohne Behinderungen sein und in der schnellsten und günstigsten Weise vonstatten gehen. Die umständlichen Abfertigungsverfahren, die lästigen Kontrollen bei Ein- und Ausreise, die Unwägbarkeiten auf der Strecke wird es nach dem vereinbarten Recht des Abkommens nicht mehr geben. Wie das heute in Europa üblich ist, werden Fahrer und Begleiter bei der Prüfung der Identitätspapiere im Fahrzeug bleiben. Das persönliche Gepäck, d. h. alles, was nicht als Handelsware mitgeführt wird, unterliegt keiner Kontrolle, es sei denn in besonderen Verdachtsfällen, die im Abkommen genau umschrieben und festgelegt sind.
Auch das Visum, das keinem verweigert werden kann, der nicht zu den klar definierten Ausnahmen gehört, wird am Wagen und ohne Schreibarbeiten erteilt, ohne Prozeduren also, die das Prinzip des bevorrechtigten und beschleunigten Verkehrs in Frage stellen. Die Gebühren sind pauschaliert. Sie werden von der Bundesregierung und nicht vom einzelnen getragen.

(Abg. Wohlrabe: Reichlich teuer!)

Zweitens. Der Güterverkehr, der für die Versorgung und die wirtschaftliche Existenz Berlins von entscheidender Bedeutung ist, wird von den be-
lastenden Praktiken beim Kontrollverfahren an der Grenze befreit, von Praktiken, die für die Wirtschaft Berlins und ihre Partner in der Welt Unwägbarkeiten und Risiken mit sich brachten. Die Masse der Transporte wird ohne Zugriffsmöglichkeiten und ohne Kontrolle der Ladung durch die DDR-Behörden verplombt abgewickelt, und zwar so, daß den Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung getragen ist. Dieses Verfahren gibt Sicherheit und bedeutet doch keine Verzögerung, da die Plomben in der Regel an den Abgangsorten und auch dort nicht nur von den Zollstellen angelegt werden. Bei der Fahrt durch die DDR sind keine Kontrollen und Stichproben zu gewärtigen.
Auch bei dem Güterverkehr in offenen Transportmitteln, die nicht verplombt werden können, gibt es an den Grenzübergangsstellen keine Beschau der Ladung und keine Hinderlichkeiten, wenn nicht Verdachtsgründe vorliegen, die im Abkommen selbst beschrieben sind.
Drittens. Die bürokratischen Formalitäten beim Transportverkehr sind auf das reduziert und auf das zugeschnitten, wessen ein Verkehr ohne Komplikationen bedarf.
Viertens. Niemand, der dieses Verfahren als verläßlichen Faktor des praktischen Lebens der Stadt und als einen politischen Beitrag zur Verhinderung von Krisen um Berlin ansieht, kann sich der Einsicht entziehen, daß der Mißbrauch geregelt werden mußte. Und es bedurfte sicherer Regelungen, die den Mißbrauch der Mißbrauchsregelungen ausschließen. Wer von und nach Berlin reist und die hier im Abkommen festgelegten Vorschriften beachtet, hat weder mit Durchsuchung noch mit Zurückweisung oder gar Festnahme zu rechnen.
Was unter Mißbrauch zu verstehen ist, wurde von der allgemeinen Rahmenvereinbarung im Prinzip umschrieben und wird nun im Abkommen der deutschen Seiten näher bestimmt. Wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten, von der DDR festgelegten Personenkategorie, wegen seiner politischen Tätigkeit in der Bundesrepublik und Berlin (West) oder — bis auf eine klar begrenzte Ausnahme — wegen früher begangener, nach dem Recht der DDR strafbarer Handlungen kann niemand von der Benutzung der Transitwege ausgeschlossen, durchsucht oder festgenommen werden.
Die genannte Ausnahme betrifft nicht den großen Kreis von Personen, die früher in der DDR gelebt, diese ohne Erlaubnis verlassen und nach dem Recht der DDR keine Straftaten gegen das Leben, keine vorsätzlichen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit des Menschen und keine schweren Straftaten gegen Eigentum und Vermögen begangen haben. Dem ehemaligen Bewohner der DDR, dem solche Straftaten nicht zur Last gelegt werden, erwachsen für die Benutzung der Transitwege keine Nachteile. Gegenüber Personen, die Straftaten der genannten Art nach dem Gesetz der DDR begangen haben, behält sich die DDR das Recht der Zurückweisung von der Benutzung der Transitwege vor. Ich betone: die Bundesregierung hat sich hierbei
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9131
Bundesminister Franke
nicht auf eine Regelung eingelassen, die irgend
jemand einem Zugriff der DDR-Behörden aussetzte.
Das Viermächte-Abkommen samt den jetzt vorliegenden Abkommen zu ihrer Durchführung und Ergänzung wird den bisherigen Zustand der Ungewißheit, des Mangels an berufbarem Recht und der einseitigen Reglementierung auf den Zugangswegen beenden. Die gesamte Regelung entstammt dem Wunsch und dem Bestreben aller beteiligten Seiten, im Zentrum Europas eine Entspannung der Lage herbeizuführen. Die Regelung wird das Vertrauen in die Zukunft Berlins stärken und damit zur Sicherung seiner Lebensfähigkeit beitragen. Das gilt, wenn auch in spezieller Weise, ebenso für die Ergänzungsvereinbarungen zum Viermächte-Abkommen zwischen dem Berliner Senat und der Regierung der DDR.
Das Gefühl des Eingeschlossenseins und der Abschließung des Gegenübers bei unmittelbarer Tuchfühlung war in den letzten zehn Jahren eine zusätzliche Belastung für die Bewohner West-Berlins. Die Verwandten und Freunde in unmittelbarer Nähe, in ein und derselben Stadt zu wissen und dennoch nicht zu ihnen gelangen zu dürfen, das war eine harte und permanente Herausforderung an das seelische Gleichgewicht, der die Berliner mit bewundernswerter Selbstdisziplin standgehalten haben. Die jetzt vereinbarte Besuchsregelung wird die durchaus begreiflichen und lang angestauten Wünsche weitgehend befriedigen.
Meine Damen und Herren! Das Abkommen über den Transitverkehr ist das erste umfassende Regierungsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten. Es ist kein Zufall, daß die Grundlage und der Rahmen der Vereinbarung durch die Vier Mächte geschaffen worden sind. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß das erste umfassende Abkommen zwischen den beiden Staaten der Entschärfung des langjährigen Berliner Krisenherdes dient. Der allgemeine Wille zur Entspannung mußte hier ansetzen. Er hat es getan und hat damit auch das erste Regierungsabkommen zwischen den beiden Staaten ermöglicht.
Wenn ich sage „ermöglicht", so bedeutet das nicht, das Ergebnis habe sich mehr oder minder von selbst eingestellt. Das ist nicht wahr. Es hat beiden Seiten große Anstrengungen und Mühe abverlangt. Zu überwinden waren, neben rein sachlichen Schwierigkeiten, starke Barrieren des Mißtrauens. In dem Maße, wie sich das Abkommen in der Praxis bewährt, wird es zum Abbau des Mißtrauens zwischen den beiden Staaten in Deutschland beitragen. Das Abkommen sucht einen Ausgleich herzustellen zwischen den Bedürfnissen und Wünschen beider Seiten. Dieser methodische Ansatz verdient festgehalten zu werden. Es sind praktische Regelungen möglich unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsauffassungen beider Seiten. Beiden Seiten ist der Zwang zur Bescheidung auferlegt. Ohne den Verzicht auf den Triumph, den eigenen Standpunkt dem Verhandlungspartner aufgezwungen zu haben, bleibt selbst das Mögliche unmöglich.
Der erzielte Kompromiß ist ein tragfähiges Ergebnis — trotz des vorhandenen Mißtrauens, trotz großer Widerstände und trotz aller Unterschiedlichkeit der Interessen- und Ausgangslage zwischen den Verhandlungspartnern. Hier liegt das Risiko, aber auch die große Chance für die praktische Verwirklichung der Ubereinkunft. Wenn sie sich bewährt, wird sie die entkrampfende Wirkung dieses ersten Schrittes weiter fördern. Dazu werden alle Beteiligten, die Regierungen wie die Reisenden, die Transporteure wie die Kontrollorgane, beitragen müssen.
Für sich genommen ist das Abkommen darüber hinaus ein Zeichen der Ermutigung und der Hoffnung. Die Aussichten für praktische Verbesserungen in Deutschland sind jetzt realer. Ein allgemeiner Verkehrsvertrag wird uns auf diesem Weg weiter voranbringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615900200
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Außenminister, Herr Scheel.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0615900300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die vergangene Woche hat eine ganze Anzahl von Ergebnissen politischer Verhandlungen und Besprechungen gebracht, die es wert sind, daß die Bundesregierung diesem Hohen Hause darüber berichtet. Meine Damen und Herren, es ist das Ihnen bekannte Bild: vor dem Weihnachtsfest arbeiten die internationalen Gremien mit Hochdruck, um lang vorbereitete Projekte zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.
Der 11. und 12. Dezember haben uns in der Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einen weiteren Schritt vorwärts gebracht. Nach einer fast 24stündigen Sitzung konnte mit drei der beitrittsbereiten Länder, nämlich mit Großbritannien, Irland und Dänemark, das letzte der offenen Probleme, die Fischereifrage, einvernehmlich geregelt werden.
Worum ging es eigentlich bei diesen Verhandlungen der letzten Wochen? Nachdem die vier Beitrittskandidaten, die alle große Fischereinationen sind, die Fischmarktordnung der EWG praktisch angenommen hatten, suchten sie alle für möglichst lange Zeit einen Schutz der küstennahen Fischerei. Es konnte jetzt eine Regelung gefunden werden, die man als fairen Kompromiß bezeichnen kann.
Das Prinzip der Übergangsregelung wurde anerkannt, aber die Übergangszeiten wurden sehr langfristig bemessen, und besondere Problemgebiete an den Küsten der beitrittswilligen Länder wurden besonders berücksichtigt. Das Verhandlungsergebnis ist nur durch Zugeständnisse beider Seiten erreicht worden. Es läßt erkennen, daß die Gemeinschaft sich bewußt war, daß man den vitalen Interessen der Beitrittswilligen Rechnung tragen mußte, daß aber die beitretenden Länder ihrerseits die Grundregeln der Gemeinschaft anerkannt haben.
Nun, ich sagte schon, daß es nur drei Länder sind, mit denen diese letzte schwierige Frage endgültig vereinbart werden konnte. Erwartungsgemäß hat Norwegen dieser Lösung nicht zugestimmt. Norwegen drängt wegen seiner besonderen Gegebenhei-
9132 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Bundesminister Scheel
ten darauf, für bestimmte Gebiete eine dauernde Ausnahmeregelung zu bekommen. Es ist allerdings bereit, diese Regelung einer Revisionsmöglichkeit zu unterwerfen.
Die Schwierigkeit liegt nun darin, daß insbesondere die drei anderen beitrittsbereiten Länder sich weigern, einer weitergehenden Regelung für Norwegen zuzustimmen, ohne diese dann für sich selbst in Anspruch nehmen zu können. Die Gemeinschaft wäre unter Umständen bereit gewesen, Norwegen noch einen Schritt entgegenzukommen, aber nur wenn dieser Schritt auf den Sonderfall Norwegen hätte beschränkt bleiben können.
Bei dieser Situation bestand keine andere Möglichkeit, als die gefundene Einigung mit Großbritannien, Irland und Dänemark zunächst einmal festzuhalten. Wir werden also die Regelung des norwegischen Problems in weiteren Verhandlungen finden müssen. Es wird nicht einfach sein, in den kommenden Wochen in Verhandlungen mit den Norwegern eine Formel zu finden, die einerseits den als berechtigt anerkannten Erfordernissen Norwegens entspricht, andererseits aber auch mindestens die stillschweigende Billigung der anderen drei beitrittsbereiten Länder findet und das mit ihnen gefundene Verhandlungsergebnis nicht wieder in Frage stellt.
Ob das bis Mitte Januar möglich sein wird, ist im Moment noch nicht zu übersehen. Mitte Januar nämlich sollte nach der Meinung der Beteiligten der Beitrittsvertrag unterzeichnet werden. Wir werden uns darum bemühen, eine Lösung zu finden, die eine gleichzeitige Unterzeichnung des Beitrittsvertrags mit allen vier Beitrittskandidaten ermöglicht. Sollten die Verhandlungen mit Norwegen jedoch zu schwierig sein, müßte man gegebenenfalls in Kauf nehmen, den Beitrittsvertrag mit Norwegen zu einem späteren Zeitpunkt gesondert zu unterzeichnen. Die Bundesregierung wird unverzüglich nach der Unterzeichnung das Ratifikationsverfahren einleiten, nicht nur um sicherzustellen, daß der Beitritt am 1. Januar 1973 in Kraft treten kann, sondern auch um den Partnern in der Gemeinschaft zu zeigen, welche Bedeutung wir diesem Vertragswerk beimessen.
In der außenpolitischen Debatte über die Deutschland-, Ost- und Europapolitik hier im Hause am 17. Juni dieses Jahres, wenige Wochen vor Beginn der Beitrittsverhandlungen, habe ich erklärt:
Diese Bundesregierung hat in der europäischen Einigung von Anfang an eine vordringliche Aufgabe gesehen und keinen Zweifel daran gelassen, daß der Fortschritt auf diesem Wege zugleich eine Voraussetzung für eine aktive Politik gegenüber unseren östlichen Nachbarn ist.
Diese Sätze sind heute noch gültig. Am Ende dieses Jahres kann man sagen, daß die Beitrittsverhandlungen ein auf der Gipfelkonferenz in Den Haag aufgestelltes Ziel in greifbare Nähe gerückt haben, nämlich der Gemeinschaft zu Dimensionen zu verhelfen, die mehr und mehr den Erfordernissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechen.
Nun ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich diese Europäische Gemeinschaft nach dem politischen Willen ihrer Mitglieder entwickeln kann. Es ist damit die Basis geschaffen, die für eine auf lange Fristen angelegte Politik des Abbaus der Konfrontationen und der schrittweisen Zusammenarbeit in ganz Europa notwendig ist. Wir sind uns der großen Verantwortung bewußt, die gerade die Bundesrepublik Deutschland hierbei zu übernehmen hat, und ich darf wohl feststellen, daß wir gemäß unserer Verantwortung gehandelt und entschieden haben.
Sie werden sich daran erinnern, meine Kollegen, daß ich während der letzten Konferenz der Außenminister der zehn Staaten in Rom eindringlich darauf hingewiesen habe, welche Gefährdung die internationalen Währungsschwierigkeiten für die Kohäsion im westlichen Bündnis bedeuten können. Wir müssen alles daran setzen, gemeinsam eine Lösung zu finden, um zu verhindern, daß von den Währungsfragen und den zunehmenden Schwierigkeiten auf dem Gebiete des Welthandels desintegrierende Elemente ausgehen. Die Chance, in naher Zukunft die Entspannungspolitik in Europa erfolgreich fortzusetzen und zu mehr Kooperation zwischen West-und Osteuropa zu kommen, kann nur genutzt werden, wenn in unseren westlichen Bündnissen ein zunehmendes Maß an Integration erreicht werden kann.
Die Außenminister haben sich daher auf der Ministerratssitzung auch mit der Frage befaßt, wie man die nächste Tagung des Zehnerklubs in Washington, die am 17. und 18. Dezember stattfinden soll, durch entsprechende Entscheidungen erleichtern kann. Die Zehnerklubtagung in Rom hat gezeigt, daß die Vereinigten Staaten den handelspolitischen Problemen im Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft eine besondere Rolle bei den Verhandlungen über ein weltweites Realinement zumessen. Nachdem die Finanzminister der EWG in Rom haben erkennen lassen, daß die Gemeinschaft zur Aufnahme von Handelsverhandlungen bereit sein würde, haben die Vereinigten Staaten in der letzten Woche durch ihren Bevollmächtigten, Herrn Eberle, teilweise sehr weitgehende Forderungen angemeldet. Nun meine ich, daß es müßig ist, einen Streit über die Berechtigung von amerikanischen Forderungen zu beginnen, bevor ein Gespräch zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Staaten überhaupt in Gang gekommen ist. Die Bundesregierung hat daher folgerichtig in der Ministerratssitzung darauf gedrängt, daß der Kommission möglichst bald ein Verhandlungsmandat für Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten erteilt wird, damit endlich einmal das Gespräch aufgenommen werden kann. Die Bundesregierung hatte schon in der Sitzung in Rom den Vorschlag gemacht, bald einen institutionalisierten Dialog mit Nordamerika zu beginnen. Sie wissen, meine verehrten Kollegen, daß die Interessen der EWG-Mitgliedstaaten in dieser Frage unterschiedlich sind, und wir haben uns mit dieser unterschiedlichen Interessenlage abzufinden. Es ist aber erfreulicherweise gelungen, im Ministerrat eine Entscheidung zu treffen, die eine baldige Er-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9133
Bundesminister Scheel
öffnung von Gesprächen vorsieht. Wünschenswert wäre es, wenn der Rat der Ständigen Vertreter, der mit der Ausarbeitung eines Mandats für die Kommission beauftragt wurde, seine Arbeiten so schnell beenden könnte, daß die Kommission schon vor dem 17./18. Dezember ihre Verhandlungsbereitschaft mitteilen könnte. Es sieht so aus, als ob die erfolgreich verlaufene Besprechung auf den Azoren auf den Lauf der Dinge einen günstigen Einfluß haben würde.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten war auch das Thema der anderen Konferenz in Brüssel, von der ich Ihnen berichten möchte, der Ministerratstagung der Atlantischen Allianz. Das Ergebnis dieser Beratung ist für alle Beteiligten befriedigend gewesen. Es unterstreicht die Lebenskraft des Bündnisses, und esmacht wiederum besonders deutlich, daß die NATO nicht nur durch eine hohe Verteidigungsbereitschaft unsere militärische Sicherheit garantiert, sondern daß ihre aktiven Beiträge zur Entspannungspolitik zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Vier Themen standen im Vordergrund der Konferenz: 1. die Stärkung der gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft, 2. Deutschland- und Berlin-Fragen, 3. der Zeitpunkt des Eintritts in die multilaterale Vorbereitung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, 4. MBFR, also die gegenseitige ausgewogene Reduzierung von Streitkräften und Rüstung. Die Verteidigungsminister der Europa-Gruppe, deren Vorsitzender Kollege Helmut Schmidt ist, haben sich erfolgreich bemüht, das europäische Verstärkungsprogramm jetzt auch voll zu finanzieren. Außerdem ist es von erheblicher Bedeutung, daß die Verteidigungsminister zum erstenmal im sogenannten Europa-Package — das ist einer der NATO-Slang-Ausdrücke — alle die Maßnahmen zusammengefaßt und sichtbar gemacht haben, die von den europäischen NATO-Mitgliedern zur Stärkung der Verteidigungskraft im Jahre 1971 getroffen worden und für das Jahr 1972 vorgesehen sind.
Es ist nämlich überraschend, wie wenig die amerikanische Öffentlichkeit bisher von den Anstrengungen des europäischen Partners in der NATO weiß, und es ist richtig, daß man die Bemühungen der amerikanischen Regierung, ihre Truppenpräsenz in Europa auf dem jetzigen Stand zu halten, dadurch unterstützt, daß man der amerikanischen Öffentlichkeit endlich einmal die eigenen Anstrengungen Europas sichtbarer vor Augen führt. Für uns alle ist es beruhigend gewesen, daß die Minister Rogers und Laird noch eimal den festen Willen der amerikanischen Regierung bekräftigt haben, die amerikanischen Truppen in Europa nicht einseitig zu vermindern.
Dazu mag auch der erfolgreiche Abschluß des deutsch-amerikanischen Devisenausgleichs-Abkommens beigetragen haben, das wir — zum erstenmal übrigens in einer zeitlichen Verbindung mit einer NATO-Ministerratssitzung — in Brüssel parahieren konnten. Das neue Abkommen sieht deutsche Leistungen in Höhe von 6,650 Milliarden DM für einen Zeitraum von zwei Jahren vor. Dabei ist unser Beitrag zu dem eben genannten europäischen Programm zur Verstärkung der Verteidigung berücksichtigt. Die vereinbarte Summe besteht im wesentlichen in Bereitstellungen für militärische Beschaffungen und in der Vereinbarung über eine Kreditaktion der Deutschen Bundesbank. Ein neues Element der Vereinbarung ist ein Programm zur Modernisierung von Kasernen und anderen Einrichtungen, die von den amerikanischen Streitkräften in Deutschland benutzt werden. Die Bundesregierung begrüßt den Abschluß des Abkommens. Wir sind der Meinung, daß dieses deutschamerikanische Abkommen und die besonderen europäischen Anstrengungen im Bündnis es den Vereinigten Staaten erleichtern, ihre eigenen Verpflichtungen innerhalb der NATO in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
In den gesonderten Besprechungen der Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik ist zu den Deutschland und Berlin betreffenden Fragen die bewährte Zusammenarbeit zwischen diesen Vieren bekräftigt worden. Es ist hervorzuheben, daß unsere Verbündeten das Konzept der Bundesregierung unterstützen, zwischen den Staaten in Deutschland einen Modus vivendi zu suchen, um danach unter Berücksichtigung der besonderen Lage in Deutschland die Mitgliedschaft der Bundesrepublik und der DDR in der UNO anzustreben.
In engem Zusammenhang mit der Berlin- und Deutschlandfrage ist auch der Stand der Vorbereitungen für eine Sicherheitskonferenz erörtert worden. Die Vereinigten Staaten haben in Brüssel zum erstenmal ihre bisher gezeigte Reserve einer solchen Konferenz gegenüber aufgegeben und ihr uneingeschränktes positives Interesse an einer Konferenz über Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erkennen lassen. Wir haben uns sehr eingehend im Rahmen der fünfzehn Außenminister darüber unterhalten, wann die multilaterale Vorbereitung einer solchen Konferenz beginnen kann. Das Schlußkommuniqué geht von der Lissabonner Formel aus, daß eine multilaterale Vorbereitung nach einem erfolgreichen Abschluß der Berlinverhandlungen eingeleitet werden könne, und nach der Meinung der großen Mehrheit der Minister bedeutet erfolgreicher Abschluß die Unterzeichnung des Schlußprotokolls der Berlinregelung. Die Minister haben bedauert, daß durch die Absicht der Sowjetunion, das Schlußprotokoll gleichzeitig mit der Ratifizierung des deutschsowjetischen Vertrages zu unterzeichnen, ein Element der Verzögerung in die Vorbereitung einer europäischen Konferenz hineingetragen wurde. Wir sind gemeinsam daran interessiert, daß die internen Vorbereitungen in der NATO sowie die bilateralen Kontakte mit anderen interessierten Partnern verstärkt werden, damit nach erfolgreichem Abschluß der Berlinverhandlungen die multilaterale Vorbereitung so bald wie möglich in Gang gesetzt werden kann.
Es ist bekannt, daß die finnische Regierung in den letzten Monaten sich viel Mühe gegeben hat, den Gedanken einer europäischen Konferenz zu fördern. Die NATO-Minister haben diese finnische Initiative ausdrücklich begrüßt und sind überein-
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Bundesminister Scheel
gekommen, den Kontakt mit der finnischen Regierung über diese Fragen weiter aufrechtzuerhalten. Wir haben uns in Brüssel auch mit den vier Themenkreisen befaßt, die auf einer solchen Konferenz behandelt werden könnten.
Natürlich würde eine Konferenz über Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihren Namen nicht verdienen, wenn man auf ihr nicht über militärische Sicherheits- und Abrüstungsfragen beraten würde, d. h. daß Fragen der beiderseitigen ausgewogenen Verminderung von Truppen und Rüstung in Europa Gegenstand der Beratungen sein müssen. Allerdings ist es durchaus denkbar, dieses Thema auch schon in Angriff zu nehmen, bevor eine europäische Konferenz in Gang gesetzt werden kann. Man sollte dabei aber beachten, daß Probleme der Teilabrüstung nicht isoliert gesehen werden können als rein technisch-militärische Fragen. Sie müssen in einen größeren politischen Zusammenhang gestellt werden. MBFR muß also parallel mit Fortschritten in der Entspannungspolitik in Europa gesehen werden. Die Minister haben den Auftrag erteilt, die Vorarbeiten weiterzuführen, die für die Eröffnung von Gesprächen über MBFR nötig sind.
Wir haben ebenfalls den Sondierungsauftrag für Herrn Brosio erneuert und dabei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß Herr Brosio bald seine Gespräche in Moskau beginnen kann. Ich darf allgemein bemerken, daß — unabhängig vom Fortgang dieser speziellen Sondierung und einer bald beginnenden multilateralen Vorbereitung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit — alle derartigen Bemühungen um einen Abbau der Spannungen nur behutsam vorgenommen werden können. Sie sind Teil eines langfristigen Prozesses, in dem jeder Schritt sorgfältig auf den anderen abgestimmt sein muß und in dem die Ergebnisse jeden Schrittes sorgfältig kontrolliert werden müssen, bevor der nächste getan wird.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier nur in gedrängter Form diesen Überblick geben können. Darf ich noch einmal in Kürze die wesentlichen Ergebnisse zusammenfassen:
Erstens. Die Alternative Allianz ist gefestigt, die europäische Zusammenarbeit und damit der europäische Teil der Allianz sind gestärkt worden.
Zweitens. Die Gemeinschaft der Sechs hat die entscheidende Etappe zur Erweiterung erreicht.
Drittens. In den wichtigen militärischen und politischen Fragen hat sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Atlantischen Allianz und in der Europäischen Gemeinschaft auch dort bewährt, wo es im Einzelfall schwierig war, verschiedene Interessen aufeinander abzustimmen.
Meine Damen und Herren, dies betrachten wir als einen wichtigen Beitrag zu einer fortschrittlichen und friedlichen Entwicklung in Europa selbst, aber auch als einen Beitrag zur weltpolitischen Stabilität. Wir sind uns voll bewußt, daß wir erst am Anfang eines langen und schwierigen Prozesses der Normalisierung in Europa stehen, aber die Basis, die wir für diese Aufgabe brauchen, ist gefestigt.
Wir können deshalb mit Zuversicht an die großen Aufgaben herangehen, die der Bundesrepublik Deutschland in den 70er Jahren gestellt sind.
Wir tun das in dem Bewußtsein — und gerade das haben die Konferenzen, über die ich berichtet habe, bestätigt , daß die Außenpolitik der Bundesrepublik von unseren Bündnispartner nachdrücklich unterstützt wird, weil sie sich in Ziel und Methode harmonisch in eine europäische Politik eingliedert, die mit dem Partner jenseits des Atlantiks im Sinne der Erhaltung des Weltfriedens auf das sorgfältigste abgestimmt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615900400
Ich danke dem Herrn Bundesminister für die Abgabe der Erklärung. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen. Für ihn hat die Fraktion der CDU/CSU eine Redezeit von 20 Minuten beantragt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0615900500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU nimmt heute nicht zu dem von den Vier Mächten ausgehandelten Rahmenabkommen über Berlin Stellung, sondern zu dem, was man die innerdeutsche Ausfüllung dieses Rahmenabkommens genannt hat. Aus dem Rahmenabkommen ergeben sich nach unserer Auffassung politische Folgen, die wir für bedenklich halten. Doch darüber wird in der Debatte über die Ratifizierung der Ostverträge zu sprechen sein.
Herr Minister Franke, Sie haben soeben im Zusammenhang mit den innerdeutschen Berliner Vereinbarungen von Ermutigung und Hoffnung gesprochen. Ich wünschte, ich könnte für meine Fraktion diese Gefühle und Erwartungen teilen. Ich kann dies nicht ohne gewichtige Vorbehalte tun.
Bundesregierung und Berliner Senat haben sich zu Lasten des Verhandlungsergebnisses dem Zeitdruck gebeugt, den die östliche Seite von Anfang an ausgeübt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dies zeigt sich vor allem bei drei Punkten.
Erstens. Die Bestimmungen über den Mißbrauch der Transitwege sind mehr als bedenklich. Die „DDR"-Organe können jeden Reisenden ohne Angabe konkreter Gründe mit der unbewiesenen Behauptung zurückweisen, es bestehe eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den hinreichenden Verdacht eines beabsichtigten Mißbrauchs der Transitwege. Dies öffnet der Willkür Tür und Tor und kann, wenn es der kommunistischen Führung zweckmäßig erscheint, das gesamte Abkommen in sein Gegenteil verkehren. Im Rahmenabkommen ist vom freien Verkehr ziviler Personen die Rede. Hier zeigt sich besonders drastisch, daß wir es nicht mit einer Ausfüllung, sondern mit einer Aushöhlung des Rahmenabkommens zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zweitens. Auch die Vereinbarungen zwischen dem Senat von Berlin und der „DDR"-Regierung entsprechen nicht den Forderungen, die im Rahmenabkommen gestellt worden sind. Die auf 30 Tage im
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Stücklen
Jahr eingeschränkte Besuchsregelung, das Verbot für Westberliner — von Ausnahmefällen abgesehen —, mit ihrem eigenen Auto in den Ostteil der Stadt zu fahren, und die umständliche Regelung für Ein- und Ausreisegenehmigungen sind alles andere als befriedigend.
Drittens. Im Text des Rahmenabkommens steht nichts von einem Visumzwang im innerdeutschen Verkehr. Die Bundesregierung hat sich auch hier den Forderungen Ost-Berlins gebeugt. Der innerdeutsche Visumzwang ist um so grotesker, als zur gleichen Zeit die Regierung in Ost-Berlin mit Genugtuung darauf hinwies, daß sie den Visumzwang im Reiseverkehr mit Polen und der Tschechoslowakei aufgegeben habe.

(Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Regierende Bürgermeister Schütz klagte vor wenigen Tagen über die ungenaue Aussage des alliierten Textes, in dem nicht von der Gleichstellung der Berliner, sondern nur von der vergleichbaren Stellung im Verhältnis zu anderen Bewerbern die Rede sei. Aber dies konnte doch nicht hindern, auf einer besseren Regelung zu bestehen, als sie erreicht worden ist.
Im übrigen berührt es merkwürdig, daß Bundesregierung und Senat aus Gründen der Rechtfertigung auf Mängel des Vier-Mächte-Abkommens verweisen, das doch seinerzeit von Bundesregierung und Senat fast euphorisch gepriesen worden ist.

(Sehr wahr! und Beifall bei der CDU CSU.)

Hinter den innerdeutschen und Berliner Vereinbarungen stehen so ernste Fragezeichen, daß eigentlich erst die Praxis das endgültige Urteil sprechen könnte. Aber gerade diese Probe aufs Exempel ist uns verwehrt. Das sowjetische Junktim, welches das Inkrafttreten der Berliner Vereinbarungen von der Ratifikation des Moskauer Vertrages abhängig macht, verhindert die praktische Bewährung zur rechten Zeit, nämlich vor der Ratifikation. Im Grunde wird damit die Berlin-Regelung wie eine Katze im Sack angeboten. Bundesregierung und Senat hätten daher um so mehr Veranlassung gehabt, für gründliche, zähe, notfalls auch sehr lange Verhandlungen sich Zeit zu lassen. Statt dessen haben sie die schwierigen Berlin-Themen, für die die Vier Mächte sich immerhin eineinhalb Jahre Zeit genommen haben, in knapp drei Monaten durchgepeitscht. Wer sich aber in Verhandlungen mit östlichen Partnern unter Zeitdruck setzen läßt oder selber setzt, ist von vornherein im Nachteil.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen im Verhandlungsergebnis durchaus eine Reihe von Regelungen, die geeignet erscheinen, den bisherigen Zustand, insbesondere den Verkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin, zu erleichtern. Dies gilt vor allem für den Warenverkehr, weniger allerdings für den Personenverkehr. Wir müssen aber auch feststellen, daß dafür ein hoher, ein sehr hoher Preis bezahlt worden ist. Dafür nenne ich insbesondere, daß die Bundesregierung dem Souveränitätsanspruch der „DDR" weitgehend entgegengekommen ist und daß
Teile des Vier-Mächte-Abkommens einer einseitigen Auslegung durch die „DDR" überantwortet wurden. Die politische Präsenz in Berlin ist vermindert. Die Besuchstage für die Westberliner sind begrenzt. Die Übergangsstellen für 2,5 Millionen Berliner aus dem Westen sind ungenügend, der Vizumzwang ist vertraglich festgelegt, die Schikanen sind je nach Bedarf möglich und an der Mauer wird immer noch geschossen, wie das Ereignis von gestern gezeigt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn man Leistung und Gegenleistung gegenüberstellt, kann man nur feststellen: ein ungemein hoher Preis für ein geringes Maß an weniger Unrecht.
Meine Damen und Herren, während sich die Bundesregierung bei den innerdeutschen und Berliner Verhandlungen selbst unter Zeitdruck setzte oder setzen ließ, hat das im Gegensatz dazu die NATO vermieden, als sie sich in Brüssel entschied, erst nach der Unterzeichnung des Berliner Schlußprotokolls mit den Vorbereitungen für eine europäische Sicherheitskonferenz zu beginnen. Hier kommen nicht nur Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber alten sowjetischen Vorstellungen von einer europäischen Sicherheitskonferenz zum Ausdruck, sondern hier wird darüber hinaus noch etwas anderes deutlich. Als Erwiderung auf das sowjetische Gegenjunktim — Sie haben diesen Ausdruck nicht gebraucht, Herr Außenminister, Sie haben ihn aber gemeint — hat die NATO klargestellt, daß sie den von Bundestag und Bundesrat zu fällenden Entscheidungen über die Ostverträge nicht vorgreifen will. Die CDU/CSU schließt sich voll der im Brüsseler NATO-Kommuniqué vertretenen Auffassung an, daß eine europäische Sicherheitskonferenz „nicht dem Zweck dienen darf, die seit dem Kriege bestehende Teilung Europas zu verewigen, sondern vielmehr zur Versöhnung und Zusammenarbeit zwischen den teilnehmenden Staaten beitragen sollte".

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir begrüßen die Aussage des NATO-Kommuniqués, daß man sich auf dieser Konferenz „konkret mit den Ursachen der Spannung in Europa" befassen will. Eine Überwindung dieser Spannung wird aber nur möglich sein, wenn es „Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Ideen" gibt — so steht es wörtlich in Punkt 13 des Kommuniqués. Wir sind glücklich, daß die NATO mit diesen Prinzipien die Politik bekräftigt hat, die die CDU/CSU seit eh und je hier in diesem Hause und überall vertreten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das westliche Bündnis ist nach wie vor die Grundlage unserer Sicherheit; Verträge allein geben uns keine Sicherheit. Für den Zusammenhalt der NATO ist ein gutes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten Voraussetzung. Wir begrüßen daher, daß es in der Frage des Offset-Abkommens zu einer Einigung gekommen ist, wenn wir auch eine endgültige Wertung erst nach gründlicher Prüfung der einzelnen Abmachungen vornehmen können.
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Stücklen
Mit besonderer Aufmerksamkeit haben wir zur Kenntnis genommen, daß die NATO Gefahren für das Bündnis heraufkommen sieht, wenn in der Handels- und Währungspolitik die anhaltenden Schwierigkeiten — so heißt es wörtlich — nicht beseitigt werden. Mit dieser Feststellung hat die NATO ein Signal gesetzt, das nicht zuletzt für Bonn bestimmt war. Der währungspolitische Alleingang der Bundesregierung vom Mai dieses Jahres bildete den Auftakt für die anhaltenden Schwierigkeiten in der Währungspolitik, von denen das Kommuniqué spricht.
Daß die europäischen Verteidigungsminister sich darauf geeinigt haben, die noch fehlenden Mittel für die Verstärkung der europäischen Komponente innerhalb der atlantischen Verteidigung aufzubringen, ist erfreulich. Dies stärkt die Position Nixons, der sich wiederholt für ein Verbleiben der amerikanischen Truppen in Europa ausgesprochen hat. Diese Entscheidung sollte aber zugleich Ansporn und Verpflichtung für die Europäer sein, in Zukunft auch auf dem Gebiet der Verteidigung noch enger zusammenzuarbeiten. Das freie Europa muß mehr und mehr mit einer Stimme sprechen. Es ist geradezu absurd, daß Europa in der EWG den Amerikanern wohl als geschlossener Handelsblock gegenübersteht, während die EWG-Staaten gegenüber Moskau bilaterale Politik betreiben. Die Bundesregierung sollte in Brüssel darauf hinwirken, daß es im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu einer partnerschaftlichen Regelung aller Streitfragen, vor allem auf handelspolitischem Gebiet, kommt. Zum anderen sollte sich die Bundesregierung bei den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft dafür einsetzen, daß die EWG auch gegenüber der Sowjetunion als einheitliches Ganzes auftritt. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die multilaterale Vorbereitung der Europäischen Sicherheitskonferenz. Auf dieser Konferenz muß die Gemeinschaft präsent sein, weil es auch um Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gehen wird. Es geht jedoch nicht an, daß man sich damit begnügt, die EWG-Kommission nur als eine Art Gutachter im Vorzimmer zu lassen.
Meine Damen und Herren, zur politischen Einigung des freien Europa gibt es keine Alternative, wenn die europäischen Völker nicht ihr Recht auf Selbstbestimmung einbüßen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sosehr wir es begrüßen, daß in der Frage der Erweiterung der Gemeinschaft Fortschritte erzielt worden sind, so sorgenvoll müssen wir auf der anderen Seite registrieren, daß das politische Endziel, das sich die EWG-Staaten mit den Römischen Verträgen gesetzt haben, nicht von allen Beitrittskandidaten akzeptiert wird. Wir haben es als schockierend empfunden, daß der dänische Ministerpräsident Krag zum Abschluß seines Besuches in Bonn eine politische Union in Westeuropa als eine Utopie bezeichnete.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Er sagte: „Wir sehen in der EWG in erster Linie
ein Forum für wirtschaftliche Beschlüsse." Herr
Krag verkündete weiter vor der Presse: „Wir haben absolut nichts dagegen, daß sich die Mitglieder der EWG wechselseitig über außenpolitische Fragen orientieren; aber sicherheits- und verteidigungspolitische Beschlüsse gehören nicht in diesen Rahmen." — Meine Damen und Herren, wir halten diese Äußerungen für außerordentlich bedenklich. Sie ähneln auf fatale Weise einem Satz, in dem die politische Einigung des freien Europas als eine Aufgabe kommender Generationen bezeichnet wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine Erweiterung der EWG darf nicht zur Verwässerung ihres politischen Endzieles führen. Darum muß jede Erweiterung der Gemeinschaft Hand in Hand gehen mit einer Verstärkung der Integrationsbemühungen auf politischem Gebiet. Davon ist bisher leider zu wenig zu sehen.
Die Vereinigten Staaten von Europa müssen Wirklichkeit werden. An ihnen entscheidet sich das Schicksal des freien Europa. Die Vereinigten Staaten von Europa werden aber nur dann kommen, wenn wir alle es wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615900600
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.

Karl Wienand (SPD):
Rede ID: ID0615900700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, daß die Bundesregierung ihre Ostpolitik auf dem soliden Fundament ihrer Westpolitik betreibt. Die Berichte der beiden Regierungsvertreter haben dies auch dem Hohen Hause heute sehr eindeutig vor Augen geführt.
Für die Festigung und Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat die Einigung über die Grundsätze einer gemeinsamen Fischereipolitik in Brüssel vom 12. Dezember 1971 den Weg für die Unterzeichnung der Beitrittsverträge Großbritanniens, Dänemarks und Irlands zu Beginn des nächsten Jahres frei gemacht. Wir hoffen, daß auch die noch laufenden Verhandlungen zwischen Norwegen und der EWG bald zu einem für beide Seiten befriedigenden Abschluß kommen.
Für die Festigung unserer Beziehungen zu den USA und die Stärkung der NATO hat das am 11. Dezember 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA abgeschlossene Devisenausgleichsabkommen über 6,65 Milliarden DM für die Dauer von zwei Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet.
Die Tagung der Außen- und der Verteidigungsminister der NATO vom 9. und 10. Dezember in Brüssel hat gezeigt, daß die Politik der Bundesregierung von unseren Bündnispartnern mitgetragen wird. Mit Befriedigung nahmen die Minister das VierMächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 zur Kenntnis. Sie sehen darin eine bedeutsame und ermutigende Entwicklung für praktische Verbesserungen in und um Berlin und für eine europäische Sicherheitskonferenz.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9137
Wienand
Ausgehend von diesem Viermächte-Abkommen hat die Bundesregierung dann nicht unter Zeitdruck, verehrter Herr Kollege Stücklen, im Einvernehmen mit den drei westlichen Vertragspartnern ihre Verhandlungen geführt. In diesen Kontext fügt sich die Paraphierung der Verhandlungsergebnisse zur Ausfüllung des Berlin-Abkommens ein. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält das vorliegende Verhandlungsergebnis für das zur Zeit Erreichbare. Forderungen, die über dieses Verhandlungsergebnis hinausgehen, entspringen einem Wunschdenken, das sich über die tatsächlichen Gegebenheiten und Machtverhältnisse hinwegsetzt und die Ausgangspositionen, die zu Beginn der Berlin-Verhandlungen vorhanden waren, unberücksichtigt läßt.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß wir im Frühsommer dieses Jahres hier im Rahmen einer außenpolitischen und Sicherheitsdebatte von der CDU/CSU, besser gesagt von ihren Rednern, ebenfalls eine Negativliste dargelegt bekommen haben, die dann sehr schnell durch die Ereignisse und die tatsächlichen Gegebenheiten als überholt angesehen werden konnte. Wir konnten heute feststellen, daß zumindest der Sprecher der Opposition nicht mehr in Zweifel gezogen hat, was noch im Frühsommer dieses Jahres in Zweifel gestellt wurde, nämlich, daß die Politik der Bundesregierung nicht voll von der NATO und den westlichen Vertragspartnern mitgetragen würde und daß die Politik nicht von seiten der EWG akzeptiert werden würde. Wir haben heute durch den Bericht des Herrn Außenministers gehört, daß die Regierung recht behalten hat, daß Fortschritte erzielt worden sind und daß damit zumindest dieser von der Opposition vorgetragene Teil des Negativkatalogs vom Frühsommer dieses Jahres als überholt angesehen werden muß. Das wird nicht richtiger, wenn man dies heute erneut versucht.
Der Vorsitzende meiner Fraktion hat aus Anlaß der Debatte über die Regierungserklärung am 29. Oktober 1969 hier gesagt, daß das zentrale Problem der deutschen Frage Berlin ist. Damit steht und fällt, so erklärte Herbert Wehner, ob wir den Anspruch auf eine vertragliche Regelung der Nachkriegsprobleme, soweit sie nicht schon geregelt sind, aufgeben können, wollen und dürfen. Er hat weiter erklärt:
Berlin ist die Schlüsselstellung und wird es noch lange sein. Wie viele Jahrzehnte das alles noch dauern wird — es geht dabei immer um die schließliche Überleitung von nach dem Ende der militärischen Feindhandlungen für erforderlich gehaltenen, dann aber umstritten gewordenen und auch gebliebenen und manchmal sogar allseitig erloschenen Übergangsregelungen in eine endgültige vertragliche Regelung.
Meine Damen und Herren! Was haben wir heute erreicht? Erstens: Gesicherte Wege von und nach Berlin. Zweitens: Die Anerkennung der gewachsenen Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik. Drittens: Die Ausübung der Außenvertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik. Viertens: Eine Regelung über den Besucherverkehr für Westberliner nach Ost-Berlin und in die DDR. Fünftens:
Einen Gebietsaustausch in und am Stadtrand von Berlin. Das ist keine Aushöhlung des ViermächteAbkommens, sondern das ist die auch von unseren westlichen Vertragspartnern als befriedigend angesehene Ausfüllung dieses Dreimächte-Abkommens.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Man sollte hier nicht in einer Art, die zumindest draußen nicht verstanden werden kann, Dinge herunterspielen, die in kürzester Zeit die Westberliner, die eine leidvolle Geschichte hinter sich gebracht haben, tagtäglich werden erleben und Ihnen gegenüber widerlegen können. Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Bemühungen der Vier Mächte, den Spannungsherd in Berlin durch eine Viermächtevereinbarung zu beseitigen und zu einer die Interessen aller Seiten berücksichtigenden Regelung zu kommen. Diesen Schritt, meine Damen und Herren, hat Präsident Nixon als einen bedeutenden Beitrag zur Verringerung der Spannungen in der Welt bezeichnet. Diese unsere Politik wurde durch eine vorbehaltlose Unterstützung der NATO gedeckt, da das Berlin-Abkommen praktischen Verbesserungen dient, während es den ViermächteStatus Berlins und die Rechte und Pflichten Frankreichs, Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion hinsichtlich Berlins und Deutschlands als Ganzes aufrechterhält.
An dieser Stelle möchten wir für die tatkräftige Unterstützung, die die NATO dieser Politik gegeben hat, ausdrücklich danken. Die NATO hat weiter immer wieder eindringlich betont, daß ohne eine befriedigende Berlin-Regelung keine Konferenz über die Sicherheit und die Zusammenarbeit in Europa möglich ist. Dies ist eine realistische Beurteilung; denn was sollte eine KSE für einen Sinn haben, wenn es den vier für Berlin verantwortlichen Mächten nicht gelungen wäre, das Berlin-Problem zu regeln!
Es muß aber festgehalten werden — und hier befinden wir uns ebenfalls in völliger Übereinstimmung mit den drei Westmächten —, daß dieses Berlin-Abkommen ohne den Vertrag zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik nicht möglich gewesen wäre. Die Bundesregierung hat der Sowjetunion gegenüber immer wieder betont, welche Bedeutung sie einem befriedigenden Berlin-Abkommen zumißt. Sie hat beides in einem inneren Sachzusammenhang gesehen.
Die Opposition hat durch ihren Fraktionsvorsitzenden, Herrn Dr. Barzel, am 1. November 1970 ihre Vorstellungen über eine befriedigende Berlin-Regelung — in der Verlautbarung der CDU heißt es „Lösung" — dargestellt. Hierzu gehörte nach Meinung der Fraktion:
1. daß die Verantwortlichkeiten und die Rechte der Vier Mächte erhalten bleiben. — Dies ist der Fall.
2. Auf dieser Basis können deutsche Stellen mit der Durchführung technischer Funktionen beauftragt werden. — So ist es geschehen.
3. Es ginge weit über die realen Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland hinaus, selbst die
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Wienand
Verantwortung für den freien Zugang von und nach Berlin zu übernehmen. — Das Abkommen vom 3. September stellt dies auch so fest.
4. Eine Regelung, die den Berlinern Vertrauen gibt und dadurch Berlin lebensfähig hält. — Das Abkommen vom 3. September ist so, und die jetzt ausgehandelten Verträge zwischen der BRD und der DDR entsprechen dem.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Es gibt nur noch „BRD" !)

5. Die Zugänge unter alliierter Verantwortung störfrei und schikanefrei zu machen. — Dies ist erreicht worden.
6. Die Zusammengehörigkeit des freien Berlins mit dem freien Deutschland, garantiert entsprechend den vorhandenen gewachsenen politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Bindungen. — Dies ist so bestätigt worden.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Jawohl!)

7. Die Vertretung West-Berlins nach außen durch den Bund und die Anwesenheit des Bundes in West-Berlin. — Hier hat sich nichts geändert. — Das ist bestätigt worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts geändert?)

8. Die Beseitigung der Diskriminierung der Westberliner im innerstädtischen und internationalen Verkehr. — Diese wird mit dem Inkrafttreten des Abkommens beseitigt sein.

(Abg. Stücklen: Das stimmt doch nicht!)

Ich darf also feststellen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Punkte, die Ihr Fraktionsvorsitzender in der Erklärung vom 1. November 1970, als noch keiner absehen konnte, wie die Viermächteverhandlungen ausgehen würden, für eine befriedigende Berlin-Lösung — ich sage „Regelung" ; denn eine Lösung wird erst später kommen — aufgestellt hat, voll erfüllt worden sind.

(Abg. Becker [Pirmasens]: Stimmt ja gar nicht!)

Es ist deshalb etwas betrüblich, heute die Ausführungen des Sprechers der Opposition zu hören.
Ich möchte an dieser Stelle den Kollegen Majonica zu der Richtigkeit seiner Prophezeiung vom Juli 1971 beglückwünschen. Er führte in dem Artikel „Berlin und die Ostpolitik", erschienen im Informationsdienst des Katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen u. a. folgendes aus:
Die Abstimmung über den Vertrag entscheidet also gleichzeitig über die Berlin-Regelung. Daher meine Prophezeiung, daß sie im Mittelpunkt der Debatten stehen wird. Das Nein zum Vertrag ist leichter zu begründen, wenn man auch die gefundenen Berlin-Regelungen für ungenügend oder gar schädlich ansieht, wobei man dann eben den Gegensatz auch zum Westen in Kauf nehmen müßte, eine Position, die großes Geschick und vor allem gute Nerven voraussetzt, um eine Durststrecke der Isolierung in West und Ost durchzustehen.
Herr Stücklen ist dieser Prophezeiung heute gerecht geworden. Um nämlich weiter zu gehen, um im Frühjahr das Kernstück, die Verträge von Moskau und Warschau, zu treffen, hat man heute etwas attackiert, was nicht attackierbar ist, wenn man die Realitäten sieht und wenn man weiß, wovon ausgegangen werden muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das ist doch lächerlich!)

Damals führte der Vorsitzende der Oppositionsfraktion noch aus, daß die Bundesregierung im Wort stehe, die Ratifikation des deutsch-sowjetischen Vertrages erst nach einer „befriedigenden Berlin-Lösung" — so sagte er — einzuleiten. Wir meinen, daß nach den Ausführungen des Herrn Außenministers von vorhin auch diese seine letzte Forderung erfüllt worden ist.
Die Bundesregierung hat die Ratifizierung der Verträge eingeleitet. Die Opposition muß sich in den nächsten Wochen und Monaten darüber klar werden, welchen Weg sie im Interesse Deutschlands und Europas zu gehen bereit ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir immer!)

Sie sollte parteipolitische Motive, wie sie der CSU-Vorsitzende in seinem Artikel „Ich sage nein" zur Richtschnur oppositionellen politischen Handelns vorgeschlagen hat, aus der Veranwortung dem Ganzen gegenüber zurückstellen.
Zusammenfassend möchte ich für meine Fraktion noch einmal feststellen: Der vorgegebene Rahmen des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 läßt eine grundsätzliche Lösung des Berlin-Problems nicht zu; diese kann nur Bestandteil einer künftigen europäischen Friedensregelung sein. Wer jedoch deshalb die jetzt erzielten Vereinbarungen zurückweist, behindert die Sicherheit der Zukunft der Berliner. Die erzielten Vereinbarungen zur Ausfüllung des Viermächte-Abkommens sind ein erster wichtiger Schritt auf dem Wege zur Normalisierung des innerdeutschen Verhältnisses. Darauf aufbauend werden weitere Abmachungen und Regelungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR folgen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615900800
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Achenbach.

Dr. Ernst Achenbach (FDP):
Rede ID: ID0615900900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst im Namen meiner politischen Freunde den Ministern Franke und Scheel für die Erklärungen danken, die sie heute morgen vor diesem Hohen Hause abgegeben haben. Wir stimmen mit den politischen Würdigungen in diesen beiden Erklärungen überein.
Ich habe nicht die Absicht, den Inhalt der Ergänzungen zu dem Berlin-Abkommen hier noch einmal im einzelnen vorzutragen; die Drucksachen sind Ihnen zugegangen, und Herr Minister Franke hat den Inhalt ja nochmals dargestellt. Ich möchte nur
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Dr. Achenbach
von hier aus doch den beiden Delegationen, sowohl der unseren wie auch der anderen Seite, dafür Dank sagen, daß sie zum ersten Male zu einem Abkommen gekommen sind, das unzweifelhaft jene Epoche beendet, in der man überhaupt nicht miteinander sprach.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und ich sage ganz offen: ebenso sehr, wie ich die Erklärung von Staatssekretär Bahr unterstreiche, daß es eben eine bedeutende Tatsache ist, daß es zum ersten Male gelungen ist, zu einer Einigung über ein Abkommen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu gelangen, gefällt mir auch die Erklärung von Herrn Kohl, wenn er sagt, daß es möglich war, zwischen der DDR und der BRD ein Abkommen zu paraphieren, das der Entspannung dient, ist ein Beweis dafür, was erreicht werden kann, wenn entsprechende Verständigungsbereitschaft an den Tag gelegt wird.
Herr Kollege Stücklen, Sie wissen, daß ich Sie persönlich außerordentlich schätze.

(Abg. Stücklen: Das beruht auf Gegenseitigkeit!)

— Vielen Dank! — Aber wenn Sie hier erklären, daß das, was diese beiden Staatssekretäre ausgehandelt haben, eine Aushöhlung des ViermächteAbkommens sei, so vermag ich Ihnen beim besten Willen nicht zu folgen.

(Abg. Stücklen: Visum!)

Sie haben das behauptet, aber Sie haben es nicht bewiesen.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

Ich glaube, auch die Opposition und wir alle wären ganz gut beraten, wenn wir in unseren sachlichen Auseinandersetzungen auf solche Mittel verzichteten. Nichts ist ja leichter, als jemandem vorzuwerfen, er arbeite zu schnell oder er arbeite hektisch. Es kommt doch auf das Ergebnis an, Herr Stücklen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Lücke [Bensberg] : So ist es! Das Ergebnis ist das Entscheidende, Herr Achenbach!)

— So ist es. Manchmal kann man ein gutes Ergebnis schnell, manchmal kann man es nur langsam erreichen. Für die schlechten Ergebnisse gilt das gleiche. Diese Geschichten sollten wir vielleicht doch lassen.

(Abg. Stücklen: Man soll mit Ausdauer und Beharrlichkeit ein besseres Ergebnis erreichen, nicht mit Hektik!)

— Sie haben mir das Stichwort gegeben. Ich war immer für Ausdauer, ich war immer für Beharrlichkeit.

(Abg. Stücklen: Und für bessere Abkommen!)

Den Wunsch, auch innerhalb Deutschlands miteinander sprechen zu können, haben wir seit Jahren gehabt, und den haben wir nun verwirklicht. Die Opposition behauptet, wenn sie verhandelt hätte, hätte sie ein bißchen mehr herausgeholt. Das stimmt
zwar nicht, es ist aber durchaus legitim, wenn sie es sagt.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das versteht sich doch von selbst! — Abg. Stücklen: Das ist auch eine Behauptung, die nicht bewiesen ist!)

— Sehen Sie, Herr Kollege Stücklen, ich habe hier häufiger gesagt, daß in diesem Hohen Hause der Konsensus viel größer ist, als es nach den Diskussionen hier den Anschein hat. Und ich habe mich gefreut, daß Sie sich sehr überzeugend für das Kommuniqué der NATO-Minister ausgesprochen haben. Da unterstreiche ich jedes Wort, was Sie gesagt haben. Sie haben nur vergessen hinzuzufügen, daß unser Außenminister Scheel ganz wesentlich an diesem Kommuniqué mitgearbeitet hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das sagt die Bundesregierung selbst schon oft genug!)

— Wir haben sowieso manches, was wir heute gesagt haben, schon häufig vorher gesagt. Das ist klar.
Was Sie z. B. über unser gutes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und über dessen Notwendigkeit sagen, bestreitet doch kein Mensch. In diesem Zusammenhang muß ich sogar sagen, ich war eigentlich sehr von der Formulierung angetan, die der Herr Bundeskanzler in seiner Rede in Oslo gefunden hat:
Europa und Amerika sind nicht zu trennen. Sie brauchen einander als selbstbewußte, gleichberechtigte Partner. Unsere Freundschaft wird den Vereinigten Staaten um so mehr gehören, je schwerer dieses große Land an seinen Bürden trägt.
Nun, ich finde das richtig. Sie auch? Sie haben unterstrichen, daß es nützlich war, daß wir dieses Abkommen in bezug auf unsere Leistungen hinsichtlich der amerikanischen Truppen in Brüssel paraphiert haben.
Ich habe auch den Eindruck, daß wir auf dem Wege zu einer Lösung der Währungsfragen sind. Wenn Sie noch ein paar Tage warten, Herr Stücklen, werden wir das wahrscheinlich sehen.

(Abg. Stücklen: Wenn Sie den Schiller noch hinkriegen!)

Wenn Sie immer von einem deutschen Alleingang in den Währungsfragen sprechen, so möchte ich auch das ein ganz klein bißchen in Zweifel ziehen. Zunächst einmal war das gar kein Alleingang.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Na, na!)

— Ich sage das ohne jede Kritik, auch nach anderen Seiten hin. Aber wenn fünf Leute etwas wollen und ein sechster nicht will und wenn von den fünfen einer etwas macht und ihm da noch welche folgen, dann kann man nicht von einem Alleingang sprechen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Entscheidende ist, daß sowohl die Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers mit Herrn Pompidou,
wie die Bemühungen des Außenministers und jetzt
9140 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Achenbach
offensichtlich doch auch die Besprechungen zwischen Herrn Nixon und Herrn Pompidou zu vernünftigen Ergebnissen geführt haben.
Ich darf jedenfalls meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß das NATO-Bündnis jetzt bei seiner Tagung in Brüssel seine Kraft bewiesen hat.
Dann darf ich noch einmal auf etwas zurückkommen, über das wir uns in diesem Hohen Hause doch auch alle einig sind. Wir sind doch alle dafür gewesen, daß Großbritannien in die EWG hineinkommt, und das haben wir nun erreicht.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

— Da sind wir uns also auch wieder einig. Selbst die Fische haben in bezug auf England die europäische Einigung nicht beeinträchtigen können.

(Heiterkeit.)

Bei unseren norwegischen Freunden spielen die Fische eine noch größere Rolle als sonstwo. In manchen Gebieten wächst dort nichts außer Fischen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und die noch im Wasser! — Heiterkeit.)

Ich begrüße sehr die Bereitschaft der Bundesregierung, hier unseren norwegischen Freunden noch ein bißchen weiter entgegenzukommen. Ich nehme nicht an, daß die Engländer, die Dänen und die Iren negativ reagieren, wenn wir hier noch ein bißchen dazutun. Ich hoffe also, daß sie nicht sagen: Wenn du, dann ich auch. Ich glaube, daß sich hier eine Lösung findet. Insofern habe ich eingewisses Zutrauen zu der Geschicklichkeit meines Freundes Walter Scheel. Er wird es schon hinbekommen, vor allen Dingen dann, wenn er noch von der Opposition unterstützt wird.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Tamblé: Mit bayerischem Bier wäre es schwieriger gewesen als mit den Fischen!)

— Das will ich gar nicht mal sagen. Man kann sich bei bayerischem Bier über Fische sehr gut verständigen.

(Heiterkeit. — Abg. Stücklen: Am Aschermittwoch!)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung nunmehr das Ratifizierungsverfahren für die Verträge von Moskau und Warschau eingeleitet hat. Auch da hätte ich an die Opposition eine herzliche Bitte. Wir hören hier wieder das alte Argument: Zeitdruck, Zeitnot. Wissen Sie, es kommt auf eine Woche nicht an. Wir werden Ihnen keinen Vorwand liefern, daß Sie sagen können, Sie hätten nicht Gelegenheit gehabt, das genau zu studieren.

(Abg. Stücklen: Wir werden Sie beim Wort nehmen! — Zuruf des Abg. Dr. Freiherr von Weizsäcker.)

— Ganz abgesehen davon, Herr von Weizsäcker, kennen Sie die Texte seit langem. Ich möchte sagen:
Sie kennen sie, möchte ich sagen, genauso gut, wie ich sie kenne.

(Zuruf des Abg. Dr. Freiherr von Weizsäcker.)

Wir werden das in aller Ruhe und sehr gründlich im außenpolitischen Ausschuß beraten.
Ich bin auch gar nicht sicher, ob wir nicht letzten Endes doch noch eine Brücke finden, die es ermöglicht, daß dieses Hohe Haus mit breiter Mehrheit diese Politik bejaht.

(Abg. Dr. Wagner [Trier]: Die hättet ihr früher bauen müssen! Daran hätte man von Anfang an denken müssen!)

— Herr Wagner, wollen wir heute dieses Thema nicht vertiefen, dazu wird später noch Gelegenheit sein.

(Abg. Dr. Freiherr von Weizsäcker: Das haben Sie doch früher auch anders beurteilt!)

Aber eins: Da stehen doch so gewisse Vereinfachungen — ich habe das nie gemacht — im Raum: Die einen sagten und sagen: kalte Krieger, die anderen sagten und sagen: Verzichtspolitiker. Es wäre nützlich, wenn wir das heute beerdigen würden, damit wir gemeinsam sachlich genau prüfen können, was im Interesse unseres Landes liegt. Wir Freien Demokraten haben immer gesagt, daß sich die Außenpolitik für Polemiken nicht eignet, sondern daß man sich hier bemühen muß, gemeinsam das Richtige zu finden.
Deshalb habe ich Wert darauf gelegt, zu sagen, daß trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die es hier und da geben mag, doch in der großen Linie der Consensus vorhanden ist. Wir sind doch alle für Europa. Wir wollen die Vereinigten Staaten von Europa. Wir wollen und unterstützen deshalb alle praktischen Schritte, die in diese Richtung gehen. Wir wollen die Entspannung mit dem Osten. Wir wollen dies gemeinsam mit unseren westlichen Verbündeten. Und die westlichen Verbündeten — das können Sie doch nicht bestreiten — unterstützen uns. Und man kann ja nicht zehnmal wiederholen, daß die Voraussetzung für unsere konstruktive Politik des Friedens nach Osten 'der enge Zusammenhalt des westlichen Bündnisses ist. Ich meine, das wissen wir doch nun alle, und über diese Fragen sind wir uns einig. Daher sollten wir uns nun bald an die sachliche Arbeit machen und versuchen, gemeinsam das Richtige zu finden.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615901000
Meine Damen und Herren, zur Aussprache über die beiden Regierungserklärungen liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Amts-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9141
Präsident von Hassel
bezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte
— Drucksache VI/557
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (5. Ausschuß)

— Drucksache VI/2903 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Jaeger
Abgeordneter Dr. Arndt (Hamburg)


(Erste Beratung 42. Sitzung)

Ich danke den Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht. Ich frage die Herren Berichterstatter, ob sie ihren Bericht zu ergänzen wünschen. — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die zweite Beratung, darin die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr, Jaeger. Für ihn hat die Fraktion der CDU/CSU eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615901100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer schwierig, nach einer außenpolitischen Debatte, selbst wenn sie relativ kurz war, die Aufmerksamkeit dieses Hauses für einen anderen Punkt zu erregen, vielleicht besonders für einen Punkt der Justizpolitik, der vielleicht nicht so eingängig und volkstümlich ist wie eine Reihe anderer Probleme, die wir in diesem Hause behandeln. Aber ich bin der Auffassung — das ist einer der wenigen Punkte bei diesem Gesetzentwurf, wo ich mit den Herren der Koalition einig bin —, daß es sich hier um einen ausgesprochen bedeutsamen Entwurf handelt, um ein Gesetz, das das Gesicht der deutschen Justiz in der Zukunft nachhaltig bestimmen wird, weniger wegen der Änderung der Amtsbezeichnungen als deshalb, weil an der Struktur der Gerichte etwas Bedeutsames geändert wird.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich zuerst, nicht wegen der größeren Wichtigkeit, sondern wegen der Reihenfolge des Gesetzentwurfs, den uns die Bundesregierung vorgelegt hat, mit der Frage der Amtsbezeichnungen befasse, so soll bei diesem Thema, das natürlich mehr als ein Rand- denn als ein Zentralthema erscheint, nicht geleugnet werden, daß mehr als 30 Amtsbezeichnungen in der Justiz vielleicht des Guten zuviel sind. Die Hauptbegründung aber, die für die Reform angeführt ist, heißt, daß die heutigen Titel der deutschen Justiz weitgehend dem Beamtenrecht entlehnt seien. Nun, darüber kann man streiten. Sicherlich mögen einzelne Titel nicht besonders sinnvoll oder zutreffend sein. Ein Amtsgerichtsrat hat natürlich als „Rat" wenig Sinn, wenn er als Einzelrichter tätig ist. Aber Sie können nicht bestreiten, daß die Bezeichnung „Landgerichtsrat", da der Landrichter ja im Kollegium tätig ist, in der Regel wesentlich sinnvoller ist als die Bezeichnung „Baurat" oder „Studienrat" in der Verwaltung; denn die beiden letzteren handeln ja für sich allein und geben nicht ihren Rat in einem Kollegium ab. Außerdem mag es interessant sein, daß vor rund einem halben Jahrhundert die Titel mit dem „Rat" in der Justiz mit der Begründung
eingeführt worden sind, man müsse das Ansehen der Richter der unteren Instanzen stärken und gegenüber dem der Verwaltung gleichwertig machen. Das ist sozusagen das umgekehrte Argument, mit dem nunmehr die Abschaffung gefordert wird. Jetzt glaubt man das Ansehen der Richter zu stärken, indem man den Ratstitel abschafft. Ich glaube, daß beides nicht der Fall ist.
Die weitere Kritik betrifft den Titel eines Landgerichtsdirektors, weil der Vorsitzende einer Ziviloder Strafkammer naturgemäß nicht zu dirigieren, sondern zu präsidieren hat.
Aber, meine Damen und Herren, seit wann fangen wir eigentlich an, Titel auf ihren Sinn zu untersuchen? Ein Minister — es sitzt leider nur einer im Saal, darum bekommt das Wort „ein" einen besonderen Sinn — heißt wörtlich ein Diener; aber das ist doch nur in einem sublimierten Sinn der Fall, nicht in jenem Sinn, in dem Sie sonst von Diener sprechen, wenn Sie etwa an einen Haushalt denken.

(Abg. Vogel: Minister als Diener gibt es ja nicht mehr!)

Staatssekretär heißt wörtlich Staatsschreiber. Trotzdem hat von den Herren Staatssekretären keiner eine Prüfung in Stenographie und Maschineschreiben machen müssen. Der englische Europaminister führt den Titel eines Kanzlers von Lancaster. Wenn wir erst in England anfingen, nach dem Sinn der Titel zu fragen, würde es noch fragwürdiger werden. Ich werde natürlich gern meinen Freund Rippon einmal danach fragen, ob er sich in seiner europäischen Aktivität durch die Beschränkung auf Lancaster am Ende beschränkt gefühlt hat oder ob er falsche Herrschaftsansprüche anmeldet, die irgendeiner weit zurückliegenden Vergangenheit angehören.
Mir kommt es immer heiter und fast sinnlos vor, über den Sinn von Titeln zu diskutieren. Wenn man das aber mit jener deutschen Gründlichkeit macht, die ja nun einmal in unserem Lande üblich ist, dann sollte man sich doch wenigstens über eines klar sein — aber man ist es leider nicht —: eine Titelreform gehört nicht an den Anfang der Justizreform, sondern an ihr Ende.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Erst wenn ich weiß, wie die deutsche Justiz aufgebaut sein wird — drei- oder vierstufig und in wie vielen Zweigen —, erst wenn ich weiß, wie das Gerichtsverfassungsgesetz der Zukunft aussehen wird, hat es einen Sinn, als letztes auch noch die Amtsbezeichnungen zu ändern.
So vertreten wir in der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union die Meinung, die vom Bayerischen Richterverein bis zum Präsidenten des Bundesgerichtshofs beim Hearing des Rechtsausschusses vertreten worden ist: daß dieser Punkt bis zum Ende der Justizreform zurückgestellt werden sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb stelle ich namens der Fraktion der CDU/ CSU hiermit den Antrag, den Art. 1, der die Amtsbezeichnungen betrifft, an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen und das Gesetz ohne die Verände-
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Dr. Jaeger
rung der Amtsbezeichnungen jetzt zu beschließen, andererseits damit die Amtsbezeichnungen an das Ende der Justizreform zu setzen. Dieser unser Geschäftsordnungsantrag geht dem Sachantrag vor, der sich dann erledigen würde, wenn dieser Antrag angenommen wird.
Warum ich dieser Reform der Amtsbezeichnungen so skeptisch gegenüberstehe, hat auch noch einen anderen Grund. Da diese Bundesregierung, als eine solche der inneren Reformen angekündigt, mangels Geldes — vor allem infolge des Geldwertschwundes, den sie selbst verschuldet hat — nicht in der Lage ist, diese Reformen durchzuführen, pflegt sie am liebsten die Reformen zu machen, die nichts kosten, und das gilt für die meisten Reformen auf dem Gebiet der Justiz, die entweder überhaupt nichts oder allenfalls den Ländern etwas kosten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und den Bürgern!)

Von diesen billigen Reformen, die man auf dem Gebiet der Justizpolitik mit Eile betreibt, ist die billigste die Reform der Titel. Denn es handelt sich um Äußerlichkeiten, auch um eine Augenwischerei darüber, daß eine wirkliche Justizreform bis zur Stunde nicht einmal in diesem Hause eingereicht ist. Billig aber ist diese Reform auch deshalb, weil ihr das fundamentum in re, das Fundament in der Sache, fehlt, wenn sie ohne eine Besoldungsreform vorgelegt wird. Was die Richter nötiger brauchen als eine Änderung der Titel, ist eine angemessene Bezahlung; die Besoldungsreform selbst wäre es, die als Folge eine Neubewertung und Neuformulierung der Titel möglich und vielleicht nötig machen würde. Ohne diese Besoldungsreform erscheint sie mir wirklich als eine Augenauswischerei.
Billig aber ist diese Reform auch deshalb, weil sie ziemlich primitiv, zumindest radikal und schematisch ist, indem sie vom Präsidenten des Bundesgerichtshofs bis zum Assessor den Titel „Richter" einheitlich festlegt, obwohl doch zwischen beiden ein recht erheblicher Unterschied, nicht nur der Jahre, besteht.
Was aber die Angelegenheit ganz, ich möchte sagen, volksfremd macht, das ist der Umstand, daß man sogar die schönen altdeutschen Bezeichnungen „Schöffe" und „Geschworener", die seit vielen Jahrhunderten in das Bewußtsein unseres Volkes eingegangen sind — die Ausübung richterlicher Tätigkeit ist für die Laien eine besondere Ehre —, abschaffen und durch die blasse Formulierung „Ehrenamtlicher Richter" ersetzen will.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich frage mich bei dieser Reform — wie bei anderen Reformen —, liegt denn eine Verbesserung der Justiz darin, wenn ich den Schöffen- und den Geschworenen- oder wenn ich den Präsidententitel abschaffe? Liegt vielleicht eine Beschleunigung des Verfahrens darin, die wir alle im Zivil- und noch mehr im Strafverfahren wünschen? Nichts davon! Es muß sich hier um etwas anderes handeln. Es handelt sich nach meiner Überzeugung um eine gesellschaftspolitische Maßnahme!

(Beifall bei der SPD. — Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

— Der Beifall aus den Kreisen der Sozialdemokratischen Partei bestärkt mich und sollte die Herren von der Freien Demokratischen Partei nachdenklich machen; aber es sind ja, glaube ich, nur zwei davon im Saale, so daß die anderen es leider nicht vernommen haben.
Meine Damen und Herren, es geht hier um eine Ideologisierung der Justizpolitik, die ich mit dem Begriff des Egalitätswahns umreißen möchte.

(Zustimmung bei der CDU.)

Man betreibt — wie der Beifall von der Linken soeben gezeigt hat — Gleichmacherei, die in ein sozialistisches Konzept paßt, von der ich mir aber nicht vorstellen kann, daß sie in ein liberales Konzept paßt, jedenfalls nicht in ein christilch-demokratisches Konzept. Wir haben hier ideologische Mißverständnisse der Justiz, die für diese höchst gefährlich werden können.
Meine Damen und Herren, bei der Einvernahme von Sachverständigen, die der Rechtsausschuß des Bundestages vorgenommen hat, hat auch der Präsident des Bundesgerichtshofes, Herr Dr. Fischer, gesprochen — ein Mann, der schließlich von einem sozialdemokratischen Justizminister dem Kabinett der Großen Koalition zur Ernennung vorgeschlagen wurde, also nicht im Verdacht steht, ein Mann der anderen — unserer — Seite zu sein. Herr Dr. Fischer hat seine Bedenken gegen diese Amtsbezeichnungen so stark formuliert, daß er gesagt hat, nach seiner Überzeugung handle es sich bei diesem Gesetzentwurf um ein Trojanisches Pferd, durch das man gesellschaftspolitische Ideen, die nicht zur Justiz passen, in diese hineinführen wolle.

(Zustimmung bei der CDU.)

Das Wort eines der höchsten deutschen Richter, des Präsidenten des traditionsreichsten deutschen obersten Gerichtes, sollte, glaube ich, hier beachtet werden.
Was mag noch alles dahinterstecken, meine Damen und Herren, was vielleicht in der amtlichen Begründung der Regierung keinen Ausdruck findet, um so weniger als die Koalition ja auf den verschiedensten Gebieten über die Regierungsvorlage weit hinausgegangen ist, sowohl bei den Titeln als auch bei der Präsidialverfassung? Nun, es steckt vielleicht dahinter, was Herr Wassermann einmal gesagt hat, ein Mann, der in den letzten Jahren die vielleicht schnellste Karriere in der deutschen Justiz gemacht hat; denn in vier Jahren eilte er vom Kammergerichtsrat — das ist also ein Oberlandesgerichtsrat — über den Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz zum Landgerichtspräsidenten in Hessen und nunmehr gegen den Willen der Richterschaft zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Niedersachsen, also sozusagen ein Schoßkind der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Landesjustizminister! Herr Wassermann hat erklärt, die Justiz sei eine antiautoritäre Instanz. Meine Damen und Herren, das scheint mir doch ein grobes Mißverständnis zu sein; das könnte doch nur dann gelten, wenn Sie die Verwaltung, die Exekutive, allein als Autorität ansähen. Aber das paßt doch nicht in das Selbstverständnis
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9143
Dr. Jaeger
eines demokratischen Staates, in dem schon der Bundestag und die Landtage sich mit Recht eine höhere Autorität zumessen, als sie der Verwaltung gegeben ist, und wo die Justiz als dritte Gewalt eben den dritten, nicht unwesentlichen Anteil an der Staatsgewalt und Staatsautorität hat.
Wenn ein Zivilrichter den Streit zweier Parteien schlichtet, was tut er anderes, als mit der Autorität des Staates im Privatrecht Recht zu setzen? Wenn der Strafrichter einen Angeklagten auf Jahre oder auf Lebenszeit ins Gefängnis schickt — meine Damen und Herren, das ist vielleicht der stärkste Ausdruck, den die Staatsautorität finden kann. Selbst wenn ein Verwaltungsgericht die Verfügung eines Landrates oder Oberbürgermeisters aufhebt, setzt es doch nur an die Stelle der Autorität der Verwaltung die höhere Stelle der Autorität der Justiz. Wenn ich gar an das Bundesverfassungsgericht denke, das ganze Gesetze aufheben kann, ja vielleicht das letzte Wort in so wichtigen Dingen wie der Frage der Ostverträge so oder so einmal sprechen wird — meine Damen und Herren, das ist doch nur mit der Teilhabe an der Autorität des Staates möglich!
Häufiger als diese Formulierung des Herrn Wassermann hören Sie im Lande die, der Beruf des Richters vertrage sich nicht mit einem hierarchischen Aufbau — der stehe nur der Verwaltung zu —; hierarchisch sei an der Justiz nichts. Meine Damen und Herren, auch hier handelt es sich um ein grobes Mißverständnis. In der Justiz sind die Gerichtsstufen klar übereinandergesetzt. Durch Berufung und Revision können Sie bei der höheren Instanz erreichen, daß das Urteil der unteren Instanz kassiert wird. Stärker kann doch der Gesichtspunkt eines hierarchischen Aufbaus nicht verwirklicht werden. Auch ein Regierungspräsident kann nicht mehr tun als die Verfügung eines Landrates aufzuheben, wie es hier ein Gericht gegenüber dem Urteil einer unteren Instanz tut. Ich glaube also, der Gerichtszug ist ausgesprochen hierarchisch und muß es sogar sein. Der hierarchische Aufbau der Justiz ist eine wesensnotwendige Ergänzung zur Unabhängigkeit der Richter. Wenn wir diesen Aufbau nicht haben, wenn die oberen Gerichte nicht für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sorgen können, indem sie die Urteile der unteren Instanzen aufheben oder wenigstens modifizieren, ist es mit der Einheit der Rechtsprechung vorbei. Dann haben wir das Rechtsprechungschaos; dann ist der Grundsatz der Rechtssicherheit, der neben dem Grundsatz der Gerechtigkeit der wichtigste Grundsatz der Justiz ist, nicht mehr gewährleistet.
Es ist aber auch im Falle der Richter so, daß nicht alle Ämter gleich sind, wie es in einem wirklichkeitsfremden Schlagwort heißt. Die Ämter sind vor allem nicht gleichartig. Der Vorsitzende hat in der Kammer und im Senat zwar mit seiner Stimme nur genausoviel Gewicht wie ein Beisitzer, aber es ist doch nicht das gleiche, ob jemand den Vorsitz führt oder nur dabeisitzt und einige Fragen stellt, bei der Urteilsfindung dann aber gleichberechtigt mitwirkt. Wenn Sie Berichte über die großen Prozesse vor großen Srafkammern und Schwurgerichten lesen, wird deutlich, wie die Persönlichkeit des Vor-
sitzenden die Verhandlungen in gutem und manchmal auch in weniger gutem Sinne prägt. Nicht zu Unrecht findet die Verhandlungsführung des Vorsitzenden eine besondere Beachtung in der Presse. Gerade daraus können Sie ersehen, was auch bei kleineren Prozessen vor kleineren Gremien gilt, nämlich daß das Amt des Vorsitzenden eben ein anderes Amt als das des Beisitzers ist.
Es ist schließlich auch ein Unterschied zwischen einem Richter der höheren Instanz und einem Richter der niederen Instanz zu machen. Sicher entscheidet der Bundesrichter genauso wie der Amtsrichter über das Schicksal von Menschen, aber seine Entscheidung ist schon wegen eines gewissen Präzedenzcharakters, vor allem aber auch deshalb, weil er in letzter Instanz entscheidet, bedeutsamer und hat eine größere Lebens- und Berufserfahrung und öfters auch eine höhere Qualifikation in der Begabung zur Voraussetzung. Meine Damen und Herren, deshalb sind die richterlichen Ämter nicht gleichartig und allenfalls bedingt gleichwertig. Die richterliche Aufgabe erfordert Differenzierung sowohl in Fachrichtung als auch in Verhandlungsführung und Instanzenzug. Die Qualifikation eines Richters aus Begabung, Studium, Lebens- und Berufserfahrung wirkt sich auch in der Ausübung seines Richteramtes aus. Deshalb, so meinen wir, muß auch in den Titeln zumindest zum Ausdruck kommen, daß es die zwei Hauptunterschiede zwischen Vorsitzenden und Beisitzern und zwischen den Gerichtsstufen gibt. In beiden Fällen sind die Funktionen unterschiedlich; das sollte sichtbar gemacht werden.
Die Funktion des Richters soll im Titel verdeutlicht werden. Meine Damen und Herren, selbst der Deutsche Richterbund, der an sich einmal ,den Anstoß zu einer gewissen maßvollen Reform gegeben hat, hat in seinem jüngsten Schreiben vom 22. November an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses dargelegt, daß er sich gegen ,die Einebnung der Richtertitel ausspricht, wie sie die Koalition im Ausschuß über den Willen der Regierung hinaus beschlossen hat. Der Grund ist sicherlich nicht nur ein standespolitischer, sondern vor allem ein rechtspolitischer. Die Unklarheit des Titels bewirkt, daß in der Justiz das Gegenteil dessen eintritt, was diese Regierung immer gefordert hat, nämlich eine Transparenz, eine Durchschaubarkeit unseres Staats-und Gesellschaftswesens. Wenn ich aber nicht mehr weiß, ob der Richter ordnungsgemäß zum Vorsitzenden bestellt ist und welcher Instanz er eigentlich angehört, ist diese Durchschaubarkeit nicht da. Diese Durchschaubarkeit ist aber notwendig, weil die Begründung einer Revision davon abhängen kann. Es ist doch recht künstlich, wenn nach der Abschaffung der Richtertitel eigens eine Bestimmung in das Richtergesetz hineingeschrieben werden muß, daß im Geschäftsverteilungsplan die Kenntlichmachung der eigentlichen Bedeutung des Amtes eines Richters festgehalten werden muß, so daß man sich erst durch Nachsehen auf der Geschäftsstelle des Landgerichts oder Oberlandesgerichts davon überzeugen kann, ob das Gericht eigentlich ordnungsgemäß besetzt ist. Meine Damen und Herren, das ist für den Rechtsanwalt schon
9144 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Jaeger
recht umständlich. Für den einfachen Mann aus dem Volke aber, der das gar nicht weiß und sich vielleicht gar nicht auf die Geschäftsstelle traut, macht es die Kontrolle über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts praktisch unmöglich.
Ganz besonders unverständlich ist es aber, daß die Koalition so weit geht, daß sie sogar den Titel eines Präsidenten abschaffen und verfügen will, daß in Zukunft der Präsident eines Gerichtes nur als Richter anzusprechen ist und daß er, wenn er als Präsident handelt, als „Richter als Präsident" zu unterschreiben hat. Das ist eine ganz umständliche Formulierung. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs eines deutschen Landes — ein Mitglied Ihrer Partei, Herr Dr. Arndt! — hat mit Ihnen und mit mir darüber gesprochen, daß er überhaupt keinen Fall wüßte, wo er in dieser Weise zu unterschreiben hätte, daß er als Präsident eben den Präsidententitel führen oder ihn eben nicht führen kann, und daß er der Meinung ist, man sollte diese Bestimmung ändern. — Herr Dr. Arndt!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615901200
Ich muß erst einmal fragen, Herr Kollege Dr. Jaeger. Sie erteilen bereits das Wort.

(Heiterkeit.)

Der Präsident erteilt das Wort. — Bitte schön, Herr
Dr. Arndt!

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615901300
Herr Kollege Jaeger, würden Sie das Haus freundlicherweise auch davon unterrichten, daß dieser von Ihnen zitierte Präsident des Verfassungsgerichts von Nordrhein-Westfalen aus dieser Überlegung die Bitte abgeleitet hat, den „Präsidenten" überhaupt zu streichen?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615901400
Das hat er mir gegenüber nicht getan.
Meine Damen und Herren, in der Abschaffung des Präsidententitels kommt nur am allersinnfälligsten zum Ausdruck, was in der Abschaffung aller Titel zum Ausdruck kommt, nämlich eine Nivellierung des Richteramtes und des Richterstandes. Wenn Sie alle Richter mit „Herr Richter" anreden, müßten Sie in Zukunft alle Lehrer vom Volksschullehrer bis zum Universitätsprofessor mit „Herr Lehrer" und alle Verwaltungsbeamten mit „Herr Beamter" anreden.

(Heiterkeit.)

Das erstere hätte vielleicht noch einen gewissen
Sinn; das letztere erregt mit Recht Ihre Heiterkeit.
Deshalb stellen wir zur Sache den Antrag, den Sie auf Umdruck 248 *) Ziffer 1 finden. Wir kürzen die Richtertitel von 30 auf 7 und damit kurz und prägnant auf das, was es an Amtsbezeichnungen notwendigerweise geben muß. Sie geben den Anhaltspunkt für die Stellung des Richters in der Rechtspflege. Das ist das Minimum; mehr braucht es nicht, aber dies braucht es nach unserer Überzeugung.
*) Siehe Anlage 2
Die falschen Prinzipien vorgefaßter ideologischer Meinungen führen aber nicht nur auf dem Gebiet der Amtsbezeichnungen, sondern auch auf dem viel wichtigeren Gebiet der Präsidialverfassung zu falschen Schlußfolgerungen. Was ich an Allgemeinem und Prinzipiellem gesagt habe, kann ich auch zur Grundlage dieser Ausführungen machen. Wir stehen hier vor einer höchst unglücklichen Regelung. Das Präsidium eines Gerichts ist eine bedeutende Sache; denn es ist ein Organ der Rechtspflege, das von der Justizverwaltung, also vom Landesjustizministerium oder vom Bundesjustizministerium, unabhängig ist. Es hat die Besetzung der Spruchkörper, die Bestellung der Ermittlungs- und Untersuchungsrichter, die Vertretung im Krankheits- und Urlaubsfall und die Verteilung der Geschäfte zu regeln. Nachdem Sie das Direktorium und Senatorium abschaffen, hat das Präsidium auch noch die Verteilung der vorsitzenden Richter auf die einzelnen Kammern und Senate zu verhandeln. Ich halte auch das für falsch, aber wir haben uns entschlossen, nur in zentralen Punkten Änderungsanträge zu stellen, nachdem unsere Einzeländerungsanträge im Ausschuß auch zu diesem Punkt abgelehnt worden sind.
Das Präsidium ist also noch bedeutender als vorher. Die Änderungen sind sehr einschneidend. Aber auch sie gehören an das Ende der Justizreform!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615901500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Brück (Köln)? — Bitte!

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0615901600
Herr Dr. Jaeger, da ich mich in früheren Jahren sehr oft aus den verschiedensten Gesichtspunkten mit Vertretern des Richterbundes unterhalten habe, möchte ich Sie fragen: Wie hat sich der Richterbund als die Vertretung der Richter z. B. zu der Frage der Beibehaltung der echten Amtsbezeichnung verhalten? Haben die Mitglieder des Richterbundes der jetzigen Vorlage in dieser Form ihr Votum gegeben oder wünschten sie doch wenigstens — so haben sie es mir gegenüber immer gesagt —, daß zum Ausdruck gebracht wird: Richter beim — —

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615901700
Die Fragen müssen kurz gefaßt sein.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0615901800
Das ist etwas kompliziert, Herr Präsident.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615901900
Herr Kollege, die Meinungen unter den Richtern sind geteilt. Am schärfsten dagegen ist der bayerische Richterverein, der weitgehend die alten Titel beibehalten will. Andere Richter, wie z. B. die Hamburger, sind vielleicht am ehesten für diese Änderung. Aber der Richterbund selbst hat jedenfalls, gerade in seiner jüngsten Stellungnahme, festgestellt, daß er den Vorschlag der Regierung vielleicht noch akzeptieren wird, nicht aber den der Koalition. Das ist ausdrücklich festgestellt worden. Ich habe es vorhin schon zitiert.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9145
Dr. Jaeger
Zurück zur Präsidialverfassung! Auch sie gehört an das Ende der Justizreform, weil erst nach Festsetzung der Organisation der Justiz sinnvoll über die Reform ihrer Selbstverwaltung entschieden werden kann. Senatspräsident Dr. Fürst vom Bundesverwaltungsgericht hat bei der Einvernahme der Sachverständigen gesagt, es sei doch sinnlos, den Dachstuhl aufzusetzen, bevor man das letzte Stockwerk gebaut hat.

(Abg. Vogel: So baut diese Koalition nun einmal!)

Das ist auch die Meinung der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.
Bei der Präsidialverfassung ist die einzige Änderung, die wir, obwohl sie nicht dringlich ist, doch bejahen, daß nun auch die Amtsgerichte eigene Präsidien haben. Auch die Regelung für die kleinen Amtsgerichte durch den Hinzutritt des Präsidenten des zuständigen Landgerichts erscheint uns sinnvoll.
Meine Damen und Herren, unrichtig erscheint uns aber die Zusammensetzung der Präsidien. Sie sollen Sachentscheidungen im Bereich der gerichtlichen Organisation treffen, haben also Anteil an der Rechtsprechung und ihrer Vorbereitung. Sie sind keine Richtervertretung wie Richter- und Präsidialräte, die etwa Forderungen an die Justizverwaltung anzumelden haben und von denen man sagen kann, daß sie deswegen vielleicht am besten durch allgemeine Wahlen als Repräsentanz der Richterschaft bestimmt werden. Es handelt sich vielmehr um Funktionen der Gerichtsbarkeit selbst, die nicht als Forderungen gegen Dritte, sondern als Verfügungen im internen Bereich mit Wirkung an alle Rechtsschutzsuchenden gelten. Die sicherste Gewähr für sachgerechte Entscheidungen dieser Art bilden aber doch ganz sicher diejenigen Richter, die die höchsten Ämter haben, also am qualifiziertesten sind, und die die meiste Lebens- und Berufserfahrung haben. Sachkunde, Erfahrung, Menschen- und Personalkenntnis in dem entsprechenden Gerichtskörper sind entscheidend, wenn man im Präsidium die Verteilung der Geschäfte und erst recht die Verteilung des Vorsitzes regeln will.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, deshalb ist die bisherige Regelung, daß der größte Teil der Mitglieder der Präsidien geborene Richter aus dem Kreis der Vorsitzenden sind, sinnvoll; denn für den Fortgang der Arbeit in den Spruchkörpern sind in erster Linie die Vorsitzenden verantwortlich, sie können sich also auch am sachkundigsten und besten um den Ausgleich der Arbeit innerhalb der Spruchkörper bemühen. Der Gedanke, daß möglichst alle oder jedenfalls doch sehr viele Kollegien im Präsidium vertreten sind, ist an sich richtig. Ich glaube, daß dies und die Tatsache, daß die Vorsitzenden, also die erfahrensten Richter, das entscheidende Wort sprechen, auch die größte Wahrscheinlichkeit dafür geben, daß in einem Gericht nicht ein übermäßiger Einfluß des Präsidenten als einziger Persönlichkeit entsteht. In diesem Sinn ist die Verkleinerung des Präsidiums bedenklich, wenn sie auf Kosten der Zahl der vorsitzenden Richter geht. Zweifellos ist
auf diese Weise in den Präsidien eine geringere
Sach- und Personenkenntnis vorhanden, zumal wenn
in Zukunft auch die Assessoren wahlberechtigt sind.
Die Zusammensetzung nur durch Wahl, wie sie die Koalition vorschlägt, kann dazu führen, daß im Präsidium am Ende kein einziger Vorsitzender Richter ist. So etwas wäre bei großen Landgerichten durchaus denkbar, aber sicherlich sinnlos. Da wäre der Vorschlag der Regierung, daß wenigstens die Hälfte der Präsidialmitglieder aus gewählten Vorsitzenden bestehen muß, noch um einen Grad besser. Wir haben aber überhaupt dagegen Bedenken. Wir trauen dem Schlagwort „Demokratisierung" nicht, das jedenfalls auf dem Gebiet der Justiz gefährlich ist, weil es hier nur einen Sinn haben kann, nämlich die Politisierung der Justiz, die wir ablehnen und für eine Gefahr für unseren Staat halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man soll doch aus der Demokratisierung nicht eine fixe Idee machen, wie man es einst aus dem Führerprinzip gemacht hat. Man soll nichts übertreiben; denn nicht nur eine schlechte Sache wird durch Übertreibung noch schlechter — ich meine das Führerprinzip —, sondern auch eine gute Sache wird durch Übertreibung schlechter, wie Sie auf den verschiedensten Bereichen des Lebens feststellen können.

(Zuruf von der SPD: Ist das Führerprinzip schlecht oder ist es — — ?)

— Ich habe genau gesagt: Eine schlechte Sache wird durch Übertreibung noch schlechter, aber leider wird eine gute Sache durch Übertreibung nicht besser, sondern sie wird auch schlechter. Das werden Sie in den verschiedensten Bereichen des Lebens feststellen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Da das Präsidium ein leitendes Organ der Rechtspflege ist, ist es auch nach der Struktur der Justiz zu bilden. Das ist das Prinzip, das in der Ernennung der Richter seinen Ausdruck findet. Der Anteil erfahrener Vorsitzender ist unverzichtbar. Ich glaube nicht, daß man durch die Wahl bessere Richter bekommt. Das halte ich für eine lebensfremde Erwartung, zumal viele Wähler gar keine wirklich eindringende Personalkenntnis des Gerichtes haben, wenn man eine Anwesenheit von drei Monaten bereits als Berechtigung zum Wählen annimmt. Deshalb stellen wir den Antrag —das ist unsere Nr. 2 —, daß die Hälfte der Richter von Amts wegen, als geborene Richter teilnehmen. Das sind die vorsitzenden Richter, die aber im Laufe der Jahre wechseln — einer tritt an die Stelle des anderen —, so daß alle vorsitzenden Richter im Laufe der Zeit Anteil haben und kein Privileg des einzelnen gegeben ist. Die andere Hälfte soll aus den Reihen der Beisitzer frei gewählt werden. Das ist bereits ein großes Entgegenkommen gegenüber der jetzigen Lösung, aber wahrscheinlich das beste, was im Augenblick erreichbar ist.
Der Regierungsentwurf hatte schon die Vizepräsidenten vom Präsidium ausgeschlossen, obwohl der Vertreter des Präsidenten eine besondere Bedeutung
9146 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Jaeger
hat, nicht nur, weil er vermutlich der zweitbeste Richter des Gerichtes ist, sondern auch deswegen, weil er den ersten, den Präsidenten, alle Augenblicke — man weiß nie, wann der Fall eintritt —zu vertreten hat. Wir finden es deshalb schon falsch, daß man den Titel des Vizepräsidenten sogar bei den Obersten Bundesgerichten abschafft, obwohl die Verwaltungs- und Repräsentationsaufgaben ihn erforderlich machen und es die Justiz nur schlechter gegenüber der Verwaltung stellt, wenn man diesen Titel abschafft. Noch bedenklicher ist es, wenn man ihn kein Stimmrecht in diesem Gremium gibt, wenn ihn auch die Koalition nun wenigstens an den Beratungen teilnehmen läßt, so daß er in Zukunft informiert sein wird, wenn er seinen Präsidenten vertreten muß. Wir sind der Meinung, ihm gebühre das volle Stimmrecht.
Aber die Koalition hat, wie gesagt, nunmehr die vorsitzenden Richter als geborene Richter ausgeschlossen. Unser Antrag — die Hälfte geborene, vorsitzende Richter und die Hälfte gewählte Richter — soll einen, wie ich glaube, noch tragbaren Kompromiß zwischen den beiden Auffassungen erzielen.
Meine Damen und Herren, wir haben auch noch einen Antrag gestellt, der dahin geht, daß die Wahlberechtigung so gestaltet wird, daß nur Richter, die das Gericht und die Justiz einigermaßen kennen, abstimmen dürfen. Wir stellen auch diesen Antrag gegen den Willen der Koalition, die jedem, auch dem Assessor, der erst drei Monate am Gericht ist, also noch gar keine echten Personalkenntnisse haben kann, das Wahlrecht gibt.
Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, noch folgendes ausführen. Als wir am Ende der Beratungen im Rechtsausschuß standen, habe ich gesagt: Ich habe bei diesem Gesetz den Eindruck, daß es so etwas wie eine stille Revolution der deutschen Justiz bewirken soll. Daraufhin hat Herr Kollege Dr. Arndt, wie es sich für einen gewandten Parlamentarier gehört, gesagt, das sei doch etwas übertrieben, und er hat mich beschwichtigt. Aber ein anderer, ein junger Kollege der Sozialdemokratischen Partei, hat dazwischengerufen: „Warum eigentlich nicht?" zur Frage: Handelt es sich um eine Revolution? erscheint mir ebenso klar wie der Beifall der SPD zu meiner Feststellung, daß man hier Gesellschaftspolitik in der Justiz betreiben will. Mir erscheint es bedenklich, wenn man gegen den Willen der Richterschaft und gegen den Willen unseres Volkes, das eine nicht politisierte, eine sachbezogene und qualifizierte Justiz will, hier die Dinge überstürzt in revolutionärer Weise lenkt. Aber Sie können über diese Frage entscheiden.
Wenn Sie dieses Gesetz schon, sei es, was ich hoffen möchte, in der Form, die wir mit unseren Änderungsanträgen vorschlagen, sei es gar in der Form, die die Koalition im Rechtsausschuß dem Gesetzentwurf gegeben hat, verabschieden wollen, dann sollten Sie der deutschen Justiz wenigstens Zeit geben, sich in Ruhe auf diese grundsätzliche Umstellung vorzubereiten, und zu revolutionären Zielsetzungen nicht auch noch ein revolutionäres Tempo setzen. Wir schlagen deshalb vor, daß der Gesetzentwurf am 1. Januar 1973, also in einem
Jahr, in Kraft tritt, so daß man wirklich Zeit hat, in Ruhe diese Dinge wissenschaftlich und praktisch zu verarbeiten. Wir bitten Sie um Zustimmung zu diesem Antrag.
Wenn Sie unsere Anträge annehmen, können wir trotz schwerer Bedenken in manchen Einzelfragen diesem Gesetz noch unsere Zustimmung geben. Wenn Sie sie ablehnen, zumindest wenn Sie sie alle ablehnen, wie es leider so häufig ist in diesem Hohen Hause, seit die Mini-Koalition regiert, die ihre knappe Mehrheit durch doppelte Entschlossenheit gegenüber der Opposition auszugleichen gedenkt, meine Damen und Herren, dann werden wir unsere Zustimmung sicherlich nicht geben können. Wir stellen die Evolution gegen die Revolution,

(Lachen bei der SPD)

und wir warnen Sie vor einem Trojanischen Pferd innerhalb der Justiz.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615902000
Wir fahren in der allgemeinen Aussprache zur zweiten Lesung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt (Hamburg). Für ihn hat die Fraktion der SPD eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615902100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich zunächst eine Ehrenpflicht, von dieser Stelle aus und bei diesem Anlaß demjenigen Berichterstatter meiner Fraktion, der heute hier nicht sprechen kann, nämlich dem Kollegen Dr. Beermann, recht herzlich für die Arbeit zu danken, die er durch Monate hindurch an dieses Gesetz verwandt hat. Sie wissen alle, Herr Kollege Dr. Beermann liegt zur Zeit nach einem schweren' Verkehrsunfall, den er erlitten hat, im Krankenhaus. Ich glaube, im Namen des ganzen Hauses sprechen zu dürfen, wenn ich ihm auch von dieser Stelle und bei diesem Anlaß die herzlichsten Wünsche für eine baldige Genesung übermittle.

(Beifall.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz, das wir Sozialdemokraten begrüßen, hat drei Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt ist der der Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter. Wir wollen die Richter herausheben aus der Hierarchie der Beamtenbezeichnungen und wollen ihnen allen die höchste Auszeichnung, die ein Staat in der rechtsprechenden Gewalt zu vergeben in der Lage ist, nämlich den Titel eines Richters, verleihen, der ihre Funktion in dieser Verfassungsordnung kennzeichnet. Wir wollen daher diesen Titel auch nicht diminuieren, indem wir ihn mit Zusätzen wie „vorsitzender" Richter oder so versehen, ganz abgesehen davon, daß nicht alle Richter, die einen Vorsitz führen, vorsitzende Richter im Sinne eines Titels wären und umgekehrt nicht alle vorsitzenden Richter einen Vorsitz führen würden. Schließlich wollen wir nicht, wie es hier mein Herr Vorredner gesagt hat, den Titel des Präsidenten abschaffen, sondern ihn darauf reduzieren, was er ist, nämlich eine Funk-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9147
Dr. Arndt (Hamburg)

tionsbezeichnung, die Bezeichnung desjenigen Richters, der das Präsidium einer Gerichts führt.
Der zweite Schwerpunkt des Gesetzes, das hier heute zur Debatte steht, ist begründet in der Präsidialverfassung. Bei allen Gerichten soll es in Zukunft Präsidien geben. Alle Richter mit Ausnahme derjenigen, die sich nur sehr kurz oder zur Ausbildung dort aufhalten, sollen wählen und gewählt werden können. Es wird also nach unserer Meinung und Absicht kein Quorum für bestimmte Richterkategorien geben, etwa für Richter, die einen Vorsitz führen, oder für andere. Schließlich werden nach unseren Vorschlägen die Befugnisse dieses Präsidiums in der demokratischen Selbstverwaltung der Gerichte ausgedehnt.
Schließlich, last not least, ist es der dritte Schwerpunkt des Gesetzes, daß wir zum erstenmal einen weiten Bereich der Gerichtsverfassung einheitlich für alle Gerichtszweige regeln, das heißt für die Arbeitsgerichte, die Sozialgerichte, die Finanzgerichte, die Verwaltungsgerichte und die ordentlichen Gerichte. Schon seit langem ist in diesem Lande der Ruf laut geworden, daß die sehr unterschiedlichen Gerichtsverfassungen zur Undurchschaubarkeit unserer Gerichtsordnung beitragen. Dieses Gesetz macht einen ersten bedeutenden Schritt dadurch, daß nunmehr im Gerichtsverfassungsgesetz große Teile der Gerichtsverfassung für alle Gerichtszweige in diesem Lande einheitlich gestaltet werden.
Meine Damen und Herren, nach dieser kurzen Inhaltsübersicht darf ich Ihnen die Gründe dafür dar) legen, daß wir Ihnen diesen Gesetzentwurf so vorlegen, wie Sie ihn in der Drucksache auf Ihrem Tisch finden. Ich bin versucht, als Motiv unseres Handelns, als das Ziel dieses Gesetzes den königlichen Richter zu nennen, jenen, der so frei und unabhängig zu entscheiden weiß, wie es die Sage vom Müller von Sanssouci berichtet. In Parenthese, meine Damen und Herren: Können Sie sich vorstellen, daß jener Müller zu Friedrich II. gesagt hätte: „Majestät, in Berlin gibt es Oberlandesgerichtsräte!" oder: „Majestät, in Berlin gibt es Kammergerichtsräte!"? Nein, er hat es so gesagt, wie die Menschen in diesem Lande mit dem sehr gesunden Instinkt empfinden: In Berlin gibt es Richter, Menschen, die richten! Doch wer an dieser Stelle etwa an das Hauptwerk jenes vor wenigen Wochen so tragisch beim Flugzeugunglück umgekommenen österreichischen Rechtsphilosophen Rene Marcic denkt, nämlich an das Werk „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat" — —

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615902200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Thadden?

Franz-Lorenz von Thadden (CDU):
Rede ID: ID0615902300
Herr Kollege Arndt, darf ich Sie dahin gehend berichtigen, daß der König gesagt hat: „Es gibt ein Kammergericht"? Er hat nicht gesagt: „Es gibt Richter." Er hat also ausdrücklich auf ein bestimmtes Gericht Bezug genommen. Es tut mir leid, Ihnen eine historische Belehrung erteilt zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615902400
Herr Kollege von Thadden, Sie haben sicherlich nicht gemeint, daß der König dies gesagt hat, sondern der Müller. Aber da es sich ohnedies um eine Sage handelt, wird es schwierig sein, diesen Streit zwischen uns zu entscheiden. Ich überlasse das getrost den Historikern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615902500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0615902600
Herr Kollege Arndt, können wir denn unterstellen, daß Sie die Sage so umgeschrieben haben, daß sie heute zur Begründung Ihrer Ausführungen paßt?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615902700
Herr Kollege Vogel, ich muß Sie enttäuschen. Ihre Unterstellung trifft nicht zu.
Meine Damen und Herren, ich darf meinen Faden wieder aufnehmen. Ich sprach eben von jenem österreichischen Rechtsdenker Rene Marcic und seinem Hauptwerk „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat". Wer nämlich denkt, daß die Vorlage, wie sie Ihnen heute hier vorliegt, den Weg zum Richterstaat beschreiten soll, wie Marcic sagt, findet nicht den Weg, den wir Sozialdemokraten mit dieser Vorlage gehen wollen. Nichts liegt uns ferner, als hier einen Staat der Richter begründen oder auch nur fördern zu wollen. Wir sind uns nämlich der Relativität gerade dessen bewußt, was es heißt, zu Gericht zu sitzen, was es heißt, Recht zu sprechen. Wir kennen Beispiele aus unserer Zeit in Hülle und Fülle, die die Relativität jener menschlichen Betätigung, die da Richten heißt, nur unterstreichen.
Ich darf hier — nur um ganz wenige Stichworte zu nennen — etwa an die Fälle Rohrbach oder Hetzel erinnern oder aber auch an den Fall jenes bayerischen Zollbeamten, den unser kürzlich hier ausgeschiedener Kollege Hirsch nach vielen Jahren wieder hat in die Bahnen der Gerechtigkeit lenken können, des Zollbeamten, dem der Mord eines Menschen, wie das Gericht damals meinte, nachgewiesen zu sein schien und der der Täter doch nicht war. Alle diese Fälle beweisen die Relativität der menschlichen Tätigkeit des Richtens.
Ich will mir dennoch nicht anmaßen, an dieser Stelle auch nur den Versuch zu machen, die geschichtlichen Wurzeln des Richteramts aufzuspüren oder aber auch der Spur der Richter in der Literatur nachzugehen, obgleich uns durch die Fülle der abendländischen Literatur genügend Beispiele gegeben sind, die die ganze Schwierigkeit dieser menschlichen Aufgabe nachzeichnen. Ob es sich etwa handelt um das mythische Bild des Areopag des Aischylos in seinen Eumeniden, wo er den Fall des Muttermörders Orest vor dem Gericht Athens berichtet und die Göttin Athene kommt und sagt, dieser Fall sei zu schwer, um von Menschen gerichtet zu werden. Ein Muttermörder, wohlgemerkt! Sie selbst als Göttin setzt im Scherbengericht ihren Stein für den Freispruch, für das „non liquet", weil sie meint, hier sei das Maß des Menschen, ja das Maß der Göttin überschritten.
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Dr. Arndt (Hamburg)

Ich will in diesem Zusammenhang auch gar nicht an jene Dinge erinnern, vor denen z. B. in diesen Tagen das Schwurgericht in Coburg steht, jene beschämenden Ereignisse, die sich um den Prozeß des Menschen Wittmann ranken, der beschuldigt wird, so böse Morde begangen zu haben. Ich will hier vielmehr an die von Plato so klug gedichtete Verteidigungsrede des Sokrates erinnern. Eine einzige Warnung vor dem Irrtum und der Irrtumsmöglichkeit des Gerichts! Ich erinnere, um den Reigen der Geschichte und der Literatur in diesem Zusammenhang zu vollenden, aber auch an Shakespeares Richterkritik in „Maß für Maß".
An dieser Stelle will ich auch gar nicht an die Relativität des Richtens erinnern, die viele ältere Kollegen in ihrem Leben noch erlebt haben, nämlich jene Handhabung der rechtsprechenden Gewalt, die zu dem bösen Wort in diesem Lande führte, das aber — leider Gottes muß man es hier sagen — nicht der Berechtigung entbehrte: daß es Zeiten in diesem Lande gegeben hat, wo ein Schuß von rechts mit einem Monat und ein Schuß von links mit einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wurde.

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. Schmid.)

Dies alles, meine Damen und Herren, zeigt, daß wir uns, wenn wir hier über Richteramt und Richten sprechen, der Relativität dieses Vorgangs bewußt bleiben müssen. Wir Sozialdemokraten wissen sehr wohl um die Unzulänglichkeit des Menschen, die ihn auch als Richter nicht verläßt, wissen auch — wenn Sie es marxistisch oder wie auch immer formulieren wollen — um die Eingebundenheit des Richters in die Geschichte, in der er lebt, um seine Eingebundenheit auch in die Klassengesellschaft, in der er sich befindet.
Wenn wir dennoch auch in der Bezeichnung deutlich machen, daß der Richter nicht in eine Hierarchie eingebunden sein darf, daß er nicht „Rat" wie der Beamte sein kann, will er das leisten, was der demokratische Staat von ihm erwarten muß, dann darum, weil uns klar ist: der Richter muß Partner sein, Partner der beiden anderen Gewalten in diesem Staat, Partner aller an der Bildung des Staatswillens Beteiligten; er muß ein wichtiges Gewicht im System der checks and balances unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung sein. Sein Beitrag zum Integrationsprozeß, der aus der amorphen Ansammlung von Menschen erst einen Staat schafft, ist es, in Bindung an Gesetz und Gewissen das Recht zu individualisieren und zu konkretisieren.
Dies soll er tun in dem Raum, dem ihm hierzu in Partnerschaft die gesetzgebenden Organe durch die Formulierung ihrer Gesetze überlassen — am deutlichsten sichtbar etwa durch die Formeln von „Treu und Glauben", „Angemessenheit", der „guten Sitten" und all jener unbestimmten Rechtsbegriffe, die wir als die Teilhaber an der gesetzgebenden Gewalt in diesem Staate hier eigens so in Partnerschaft gegenüber denjenigen formulieren, die in diesem Lande die rechtsprechende Gewalt tragen. Wir als Mitglieder des wichtigsten Gesetzgebungsorgans der Bundesrepublik teilen uns hier mit dem Richter nach dem alles beherrschenden Grundprinzip der
Demokratie — Partnerschaft aller mit allen um der Partnerschaft willen — in die Aufgabe der gemeinschaftsbildenden und gemeinschaftserhaltenden Rechtsschöpfung.
Das Recht — im Sinne von Rechtsordnung — können wir beide nur gemeinsam verwirklichen. Damit das aber geleistet werden kann, hat unsere Verfassung, das Grundgesetz, in Art. 92 das Richteramt ganz besonders ausgestaltet. Der Richter ist nämlich der einzige Funktionsträger des Staates, der nicht nur in sich allein jeweils die ganze Staatsgewalt gebündelt repräsentiert — daher verkündet er auch seine Urteile „im Namen des Volkes" ; es gibt keinen anderen staatlichen Hoheitsakt, der mit dieser Überschrift versehen wäre, und das hat diesen tieferen Grund —, sondern dessen Entscheidung allein auch der Rechtskraft fähig ist. Das heißt, ihr allein eignet es, daß sie endgültig und von keiner Instanz mehr abänderbar ist.
Die Entscheidungen des Deutschen Bundestages — überhaupt die der gesetzgebenden Organe — können im Streit vor dem Verfassungsgericht unter Umständen nicht bestehen; das Verfassungsgericht ist dann berufen, sie aufzuheben. Auch alle anderen Verfassungsorgane, die wir kennen, haben jene Vorläufigkeit in ihren Entscheidungen: ihre Akte sind nicht der Rechtskraft fähig. Dies ist das Kennzeichen des Richtens und des Richters; es ist die Vollmacht, Rechtskraft, d. h. letzte Unabänderlichkeit zu schaffen.
Daher haben diejenigen, meine Damen und Herren, die — sowohl draußen als auch hier im Hause, wie eben z. B. vor wenigen Minuten mein Vorredner — so tun, als ginge es hier nur um Titel, um Anreden, also um reine Formfragen, das Gewicht des Problems und der heute anstehenden Entscheidung überhaupt nicht verstanden.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Vogel: Es gibt Dumme und Kluge, Herr Arndt!)

— Ich will Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Vogel, nicht kommentieren. Hier geht es um das Verständnis des Richters und des Richtens in diesem Staat und nicht um Formfragen. Das gilt auch für alle diejenigen, die sagen, man solle erst einmal die Justizreform machen, ehe man diese hier heute anstehende Reform verwirklicht.
Meine Damen und Herren, ich bin in einem Lande gewählt, in dem das, was hier heute Gesetz werden soll, durch 300 Jahre geltendes Recht war, bis Adolf Hitler und die Nationalsozialisten 1935 bei der sogenannten Verreichlichung der Justiz diese Richtertitel, die wir heute wieder beseitigen wollen, der von je her demokratisch gewachsenen Hamburger Justiz aufgezwungen haben. Es gab in der Freien und Hansestadt Hamburg neben dem Senator kein höheres Amt als das des Richters. Auch der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts war durch Jahrhunderte hindurch stolz, eben Richter zu sein, weil diese Funktion für ihn nicht steigerungsfähig erschien.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle ist auch noch auf etwas hinzuweisen: denn es sind
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9149
Dr. Arndt (Hamburg)

hier — wie ich meine, nicht richtig — Stimmen aus unserer Richterschaft zitiert worden. Der Deutsche Richterbund hat vor Jahren eine Umfrage unter seinen Mitgliedern veranstaltet, die eine überwältigende Mehrheit dafür erbracht hat, daß der Titel Richter der entscheidende sein soll. Sicherlich, auch der Richterbund umfaßt eben nicht nur Richter der Eingangsstufe, sondern auch Richter, die Präsidenten und Senatspräsidenten sind oder ähnliche Am-ter haben. Die melden in einem Verbande natürlich auch ihre Minderheitsrechte an, und der Vorstand ist dann gehalten, bei Äußerungen nach außen auf diese Minderheit Rücksicht zu nehmen. Wenn Sie sich aber die Masse der deutschen Richter ansehen und sie befragen, dann zeigt sich, daß das, was vorhin über die Meinung der deutschen Richterschaft gesagt worden ist, einfach objektiv nicht richtig ist.
Darüber hinaus kann ich Ihnen von dieser Stelle sagen, daß mich gerade in den letzten Wochen und Monaten noch zahlreiche Zuschriften von Richtern und Richtergruppen einschließlich Mitgliedern der obersten Bundesgerichte erreicht haben, die das, was wir hier heute vorhaben, als eine demokratische Reform des Richterstandes begrüßen, weil wir eben herausstellen, daß der Begriff des Richters um seiner verfassungsmäßigen Funktion willen nicht steigerungsfähig ist.

(Abg. Brück [Köln] : Herr Dr. Arndt, wie lange liegt denn die Umfrage zurück?)

— Die Umfrage, von der ich zunächst sprach, liegt meiner Erinnerung nach — ich habe die Unterlagen nicht hier — etwa drei Jahre zurück. Sie hat sich aber in der Zwischenzeit, wie dieses Echo aus der Richterschaft zeigt, zunehmend zugunsten der hier vertretenen Meinung verändert, wie ich Ihnen ebenfalls versichern darf.

(Abg. Brück [Köln] : Darf ich eine Frage stellen?)

— Bitte schön, Herr Kollege Brück, wenn es der Herr Präsident gestattet.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0615902800
Herr Dr. Arndt, darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Namen Landgerichtspräsident Drees, Senatspräsident Löns, Oberstaatsanwalt Engwitz, Landgerichtsrat Dr. Lisken, Amtsgerichtsdirektor Pulch bekannt sind? Diese Herren haben mir gesagt — das ist noch keine drei Jahre her —, daß die Sache doch etwas anders ist, als Sie sie hier vorgetragen haben.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615902900
Herr Kollege Brück, die Herren sind mir sehr wohl bekannt, und ich habe viele persönlichen Gespräche mit ihnen geführt. Aber just auf diese trifft das zu, was ich ohne Namensnennung vor wenigen Minuten gesagt habe. Ich kann und will um des Richterbundes willen hier nicht mehr sagen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615903000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Herrn Kollegen Kleinert?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615903100
Bitte schön!

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615903200
Herr Kollege Arndt, wären Sie bereit, Herrn Kollgen Brück darauf hinzuweisen, daß ich gern bereit bin, ihm meine ausführliche Korrespondenz mit Herrn Pulch in dieser Angelegenheit zur Einsicht zu geben, damit er sich davon überzeugen kann, daß Herr Pulch das Gegenteil von dem vertritt, was Herr Brück vermutet?

(Zuruf ides Abg. Brück [Köln].)


Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615903300
Herr Kollege Kleinert, ich darf Ihnen recht herzlich danken und darf Ihnen, Herr Kollege Brück, dieses übermitteln, worum der Herr Kollege Kleinert mich eben gebeten hat.
Meine Damen und Herren, mit Recht stellt unsere Verfassung unseren — bitte! — königlichen Richter in den Mittelpunkt. Ihm ist die rechtsprechende Gewalt anvertraut. Nicht die Organisation und der Aufbau der Gerichte, nicht die Prozeßordnung stehen im Vordergrund: Justizreform heißt in erster Linie, wenn wir idem Grundgesetz folgen, Reform der Stellung des Richters in diesem Lande, und das ist heute unser Geschäft, meine Damen und Herren. Es gehört damit zu Recht in die erste Etappe der Justizreform.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615903400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615903500
Bitte schön, Herr Kollege von Thadden!

Franz-Lorenz von Thadden (CDU):
Rede ID: ID0615903600
Herr Kollege Arndt, wenn Sie mit Recht den königlichen Richter so hoch schätzen, meinen Sie nicht, daß wir dann verstärkt auf die Kollegen auch Ihrer Fraktion im Innenausschuß einwirken sollten, damit diese königliche Stellung des Richters nicht nur moralisch hervorgehoben wird, sondern damit der Richter auch im Vergleich etwa zu dem ehrenwerten Beruf eines Volksschullehrers auch besoldungsmäßig bestehen kann?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615903700
Herr Kollege von Thadden, ich glaube, wir täten der deutschen Richterschaft unrecht, wenn wir annähmen, daß der Richter seine Stellung in diesem Lande nur und sogar vorrangig nach seiner besoldungsmäßigen Eingruppierung bewertete. Andererseits, Herr Kollege von Thadden, ist niemand in diesem Hause im Zweifel über meine persönliche Grundhaltung oder über die Grundhaltung meiner Fraktion. Sie können das in der Regierungserklärung nachlesen, Sie können es in zahlreichen Äußerungen nachlesen, die für die sozialdemokratische Fraktion hier abgegeben worden sind. Ich durfte vor Monaten an dieser Stelle Ihre Fraktion darauf hinweisen, daß die Regierungserklärung verbindlich ist, daß aber die Legislaturperiode noch nicht zu Ende ist und daß wir Sozialdemokraten gewillt sind, jeden Punkt der Regierungserklärung, auch diesen Punkt, bis zum Jahre 1973 zu verwirklichen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Vogel: Auch jeden Strichpunkt und jedes Komma?)

9150 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Arndt (Hamburg)

— Herr Kollege Vogel, Sie sollten nicht unter Ihr eigenes Niveau heruntergehen.
Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt, daß es heute unser Geschäft sei, diese Justizreform damit fortzuführen, daß wir in ihr in erster Linie eine Reform der Stellung des Richters sehen. Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß wir schon bedeutende Etappen dieser Justizreform hinter uns gebracht haben. Manchmal wird das in diesem Haus und in diesem Lande übersehen. Ich darf nur in Stichworten daran erinnern, daß wir wesentliche Teile der Strafrechtsreform in dieser Legislaturperiode bereits verabschiedet haben, etwa so wichtige Bereiche wie das Demonstrations- und Staatsschutzrecht, daß wir das Strafregistergesetz mit seinen Resozialisierungswirkungen, nach dem jahrzehntelang gerufen worden ist, verabschiedet haben, daß wir das Bundesverfassungsgericht mit der vierten Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz auf eine neue Basis gestellt haben, daß wir mit dem Gesetz über die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen endlich den Freispruch zweiter Klasse abgeschafft haben und daß wir einen großen Bereich der Justizreform bereits im Gesetzblatt stehen haben. Deswegen kann es nicht angehen, daß gesagt wird, dies geschehe heute am Anfang der Justizreform. Wir sind mitten darin.
Meine Damen und Herren, wir regeln mit diesem Gesetz nicht Titel und Anreden. Wir demonstrieren, daß der Richter nicht der Rat eines Monarchen, einer Obrigkeit ist, sondern eigenständiger Träger der rechtsprechenden Gewalt und insoweit gleichberechtigter Partner der Organe, die die anderen Gewalten in diesem Staate tragen. Er ist nicht Regierungsrat in einer besonderen Laufbahn.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darum sind auch prinzipiell, was in dieser Sache hier im Lande eigentlich nie umstritten war, von der Bedeutung her für die Rechtsfindung alle Richterämter gleichwertig. Keines Richters Stimme hat auch in Kollegien mehr Gewicht. Es gibt lediglich Funktionsunterschiede. Um das zu unterstreichen, hat der Rechtsausschuß für alle Richter einheitlich die höchste denkbare und nach unserer Meinung nicht steigerungsfähige Amtsbezeichnung „Richter" gewählt.
Herr Kollege Dr. Jaeger, die Mitgliedschaft in einem Gericht einer unterschiedlichen Instanz ist nicht in erster Linie eine Frage der Qualifikation, sondern eine Frage der besonderen Hinwendung auf die betreffende Funktion.

(Abg. Vogel: Das wollen wir ja in den Bezeichnungen zum Ausdruck bringen!)

Es ist dem Wert nach keine unterschiedliche Angelegenheit, ob etwa der Amtsrichter allein mit sich darüber zu befinden hat, ob ein Mensch — um die bisherige Terminologie noch zu benutzen — drei Jahre Zuchthaus erhält oder ob ein Richter im Kollegium — —

(Abg. Dr. Jaeger: Ein Amtsrichter hat nie Zuchthaus verhängen können, nur Gefängnis!)

— Drei Jahre Freiheitsstrafe ist der, wie man so schön sagt, Strafbann des Amtsrichters. Es ist der gleiche Wert vor der Gesellschaft, wie ihn etwa die Tätigkeit des Revisionsrichters hat, der über eine schwierige Rechtsfrage im Kollegium mit vier anderen Mitgliedern beim Bundesgerichtshof entscheidet. Ich will mir hier nicht anmaßen, zu wägen

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— einen kleinen Augenblick, Herr Kollege Erhard —, ich will mir hier nicht anmaßen, zu wägen, welche für den Bürger die einschneidenste und welche für die Justiz die wichtigere Tätigkeit ist. Es sind unterschiedliche Begabungen, aber vom Wert her möchte ich keinen Unterschied machen.

(Abg. Memmel: Welches die schwierigste ist!)

— Das wage ich hier nicht zu entscheiden, Herr Kollege Memmel. Sie waren zwar Richter im Amtsgericht,

(Abg. Memmel: Nur!)

— eben! — aber ich weiß nicht, ob Sie hier das Wort dafür ergreifen wollten, um zu sagen, daß Ihre Tätigkeit dem Wert nach eine geringerwertige Tätigkeit im Amtsgericht etwa gegenüber der Tätigkeit eines Revisionsrichters im Kollegium wäre. Ich glaube, das wollen Sie hier nicht in Anspruch nehmen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615903800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0615903900
Herr Kollege Arndt, glauben Sie nicht, daß es in der Justiz außer der Rechtsprechung auch noch eine ganze Menge anderer Funktionen gibt, die durch Richter wahrgenommen werden müssen und wahrgenommen werden, z. B. beim Landgericht Aufsicht über die Notare, z. B. in der Verwaltung allgemein, Behördenchef für den ganzen Betrieb usw.? Meinen Sie, das wäre alles gleich?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615904000
Herr Kollege Erhard, Sie werden sicher am Zusammenhang meiner Ausführungen erkannt haben, daß ich hier vom „Richten" spreche und daß nicht-richterliche Tätigkeit, die in der Verwaltung des Gerichts einschließlich der Beschaffung des Mobiliars oder der Ausübung der Dienstaufsicht besteht, nicht Gegenstand meiner Untersuchungen war

(Zustimmung bei der SPD)

und daß dieses für mich auch nicht der Maßstab sein kann, nach dem ich die Richterämter bewerte. Ich spreche vom „Richten", von der verfassungsmäßigen Tätigkeit des Richters und nicht davon, daß, weil man nebenbei auch einen Saal braucht, Licht bezahlen muß usw., notwendigerweise auch im Gericht noch Menschen vorhanden sein müssen, die diese Funktionen wahrnehmen. Dies macht aber nicht das Richteramt aus.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU/ CSU.)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9151
Dr. Arndt (Hamburg)

Um das Resümee dessen zu ziehen, was ich gesagt habe: wir fällen hier eine materielle Entscheidung über das Richteramt vor der Verfassung und keine Entscheidung über ein Form-, Titel- oder Anredeproblem. Wenn das aber so ist, dann ist es logisch, daß der so mündig gesehene demokratische Richter sein Selbstverwaltungsorgan, das Präsidium, auch selbst wählen kann und daß er in dieses Präsidium wählbar sein muß.
Ich kann daher insbesondere den Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners Dr. Jaeger nicht folgen, wenn er hier auch mit dem Antrag seiner Fraktion ein Quorum für Vorsitzende fordert. Ich freue mich zwar, daß nach den Ausschußberatungen Herr Kollege Dr. Jaeger hier, wie man im modernen Jargon wohl sagt, mit etwas gebremsten Schaum gesprochen hat. Ich erinnere mich noch lebhaft an einige Beispiele, die er uns in diesem Zusammenhang im Ausschuß unterbreitet hat. Herr Kollege Dr. Jaeger fragte uns dort, was passieren werde, wenn wir das demokratische Wahlrecht für alle Richter für ihr Präsidium einführten, sowohl das aktive wie das passive. Er sagte: Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren, dann wird etwa ein Atheist zum Vorsitzenden des Senats des Oberverwaltungsgerichts berufen, der über Staatskirchenrecht entscheidet; oder das andere Beispiel war: dann wird ein Libertinist zum Vorsitzenden der Scheidungskammer des Landgerichts bestimmt. Ganz abgesehen davon: wieso ist es eigentlich erwiesen — und das wird doch mit diesen Beispielen unterstellt —, daß ein Atheist für den Senat eines Oberverwaltungsgerichts oder Verwaltungsgerichtshofes nicht qualifiziert sei, wenn er über Staatskirchenrecht entscheidet? Ich glaube, hier wird doch in grundlegender Weise die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit verkannt, und es werden in die Rechtsprechung Elemente hineingebracht, die wir nicht hineinbringen lassen wollen. Ich meine auch: die persönliche Einstellung des Richters zur Ehe, sei sie nun christlich oder nicht christlich geprägt, kann weder negativ noch positiv seine Qualifikation als Vorsitzender einer Scheidungskammer begründen. Ich sehe hier in höchstem Maße gefährliche Tendenzen, die vielleicht nicht jedem klar sind,

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

der über diese Beispiele spricht. Aber, meine Damen und Herren, hier scheint es doch erforderlich, vor ihnen zu warnen.

(Abg. Vogel: Wehe, wenn der Zeigefinger kommt, Herr Arndt!)

Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615904100
Herr Kollege Dr. Arndt, da ich glaube, daß die Erinnerung Ihnen einen Streich spielt, möchte ich doch bitten, mir nachher — Sie können es während der Rede nicht — die Stelle des Protokolls zu zeigen, wo das steht; denn weder das Wort Atheist noch das Wort Libertinist ist im Ausschuß über meine Lippen gekommen.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615904200
Ich bin natürlich dazu gern bereit. Aber, Herr Kollege Jaeger, ich
glaube, Sie werden doch auch vor dem Forum dieses Hauses und in Anwesenheit der Kollegen aus dem Rechtsausschuß — selbst wenn Sie sich über Worte mit mir nicht streiten wollen, obwohl ich darauf bestehen würde — nicht bestreiten, daß Sie dem Sinne nach diese beiden Beispiele gebracht haben, ohne daß wir uns auf Worte festlegen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615904300
Eine weitere Zwischenfrage.

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0615904400
Herr Kollege Dr. Arndt, wären Sie so freundlich, uns mitzuteilen, ob bei der jetzigen Rechtslage — ohne jede Änderung — die Vorsitzenden von Gerichten von der Verwaltung oder von den Richtern selbst — nämlich von dem nur aus Richtern gebildeten Präsidium — bestimmt werden?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615904500
Dieses kann doch nur heißen, daß die Befürchtungen des Herrn Kollegen Dr. Jaeger vielleicht jetzt schon begründet wären. — Bitte schön!

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0615904600
Herr Kollege Arndt, würden Sie mir darin zustimmen, daß ich den Beratungen im Rechtsausschuß auch aufmerksam gefolgt bin, und würden Sie mir zugeben, daß Sie unter Umständen doch einem Irrtum unterliegen können, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich nicht erinnern kann, daß der Herr Kollege Jaeger in den Ausschußberatungen die Vokabeln gebraucht hat, die Sie zitiert haben?

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615904700
Meine Damen und Herren, es gibt ja unterschiedlich gute Gedächtnisse; das spielt nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch in anderen Verfahren manchmal eine Rolle. Aber, meine Damen und Herren, es ist dennoch, wie ich meine, sehr aufschlußreich, daß Sie mit mir nur über die Vokabeln und nicht über die Sache streiten. Um die ging es mir hier.

(Zustimmung bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang doch noch auf folgendes aufmerksam machen. Wenn wir tatsächlich dieses Quorum für Vorsitzende mit der Begründung einführen wollen, die der Kollege Dr. Jaeger uns hier unterbreitet hat, müssen wir doch bedenken, daß ein Amtsrichter — um noch einmal auf den Strafbann des Amtsrichters zurückzukommen — zwar nach unseren Gesetzen das Recht hat, einem Bürger dieses Landes für drei Jahre die Freiheit zu nehmen, indem er ihn zu Freiheitsstrafe verurteilt; aber sein eigenes Präsidium soll er nicht wählen dürfen, weil ihm dazu eben die Lebenserfahrung und all das, was Herr Kollege Dr. Jaeger vorhin gesagt hat, fehlen. Meine Damen und Herren, hier dürften die Proportionen doch wohl verkannt sein.

(Zustimmung bei der SPD.)

Im übrigen hat Herr Kollege Jaeger übersehen, daß es auch bei anderen Gerichten — bei den sogenannten höheren Gerichten, um in seiner Denkweise
9152 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Arndt (Hamburg)

zu bleiben — Richter — z. B. wie die ebenfalls dieser Disqualifizierung unterliegenden Richter der Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofes — gibt, die nicht diese volle Würdigkeit haben, ihr eigenes Präsidium zu wählen, wenngleich sie aber die volle Gewalt der Rechtsprechung ausüben dürfen.
Der einschlägige Antrag der Opposition bringt naturgemäß auch eine Disqualifizierung dieser hohen Richter mit sich. Darüber sollten Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, ebenfalls klar sein. Alle Erfahrungen mit unserer Justiz sprechen daher gegen die von Herrn Kollegen Jaeger angenommene fehlende Reife.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch an die Ausführungen erinnern, die der Deutsche Richterbund und die Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr für die bei ihnen organisierten Richter und Staatsanwälte in dem zweitägigen Hearing gemacht haben. Insbesondere haben diese Herren darauf hingewiesen, daß die Sorge, es könnten Präsidien entstehen, in denen etwa nur junge „revolutionäre" Landrichter und Amtsrichter, aber nicht Vorsitzende Mitglied seien, unbegründet ist. Die Richterräte der deutschen Gerichte werden ja schon seit Jahren nach dem gleichen Prinzip gewählt, nach dem wir jetzt auch die Präsidien wählen lassen wollen. Wenn Sie über das Land hinblicken, stellen Sie fest, daß es nirgends Richterräte gibt, in denen die Vorsitzenden nur anteilmäßig repräsentiert sind. Der allgemeine Zustand ist, daß die Vorsitzenden in den Richterräten erheblich überrepräsentiert sind. Wenn im Falle der Richterräte, die ja weitgehend die Interessenvertretung der Richter darstellen, ein solches Wahlergebnis die Folge ist, um wieviel weniger wird dann die hier von Herrn Jaeger beschworene Gefahr revolutionärer Tendenzen bei den Präsidien, die die Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichtes vorzunehmen haben, eintreten!
Bei einem Gericht, bei dem sich tatsächlich eine solche Wahl des Präsidiums einmal ereignen sollte, ist in der Tat etwas faul. Dann liegen die Dinge im argen. Wenn die Situation zu einer Konfrontation in dem Sinne führt, daß ein Präsidium gewählt wird, in dem Vorsitzende von Spruchkörpern nicht mehr vertreten sind, liegt mehr als nur das Wahlsystem im argen. Dann liegen die Fehler an der Wurzel.
Meine Damen und Herren, ich will mich auf diese Ausführungen beschränken. Ich möchte Ihnen ans Herz legen, dem Gesetzentwurf in der Fassung zuzustimmen, die der Rechtsausschuß Ihnen vorschlägt. In dieser Fassung werden die Grundgedanken, die ich Ihnen eben hier vorzutragen die Ehre hatte, in der Sprache des formalen Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Die Formeln des Gesetzentwurfs enthalten das, was ich Ihnen an grundlegenden Überlegungen zum Wesen und zur Bedeutung des Richterstandes in diesem Lande darlegen durfte. Aus diesem Grunde habe ich auch darauf verzichtet, auf Einzelregelungen einzugehen oder gar Teile der Ausschußberatungen zu wiederholen. Ich sah es als meine Aufgabe an, für meine Fraktion, für die sozialdemokratischen Mitglieder dieses Hohen Hauses, hier darzulegen, welche Grundüberzeugungen
dazu führten, anzunehmen, daß es sich hier um eine verfassungsmäßige Grundentscheidung über das Richteramt und nicht um einen Streit um Titel handelt. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615904800
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615904900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kann wirklich nicht die Auffassung teilen, die hier mit der bekannten tragischen Begabung von dem Kollegen Jaeger vorgetragen worden ist, hier solle die Axt an die Wurzel unserer Justiz gelegt werden, hier solle ein trojanisches Pferd eingeschleust werden, und hier solle durch öde Gleichmacherei die so bewährte Funktion unserer Justiz unterminiert werden. Dieser Auffassung kann ich mich wirklich nicht anschließen. Ich bin der Meinung, wir sollten das alles erheblich entspannter und in einigen Punkten auch realistischer betrachten. Hier ist sehr viel Zutreffendes über die besondere Qualität des Richteramtes und unserer Richter gesagt worden. Ich unterstreiche das, möchte es jetzt aber nicht wiederholen.
Es gibt hier doch ganz offensichtlich praktische Bezüge. Das Verhältnis von Persönlichkeit und Titel ist ja nicht erst seit gestern im Gespräch. Wir haben doch im Blick auf weite Gebiete die Feststellung zu treffen, daß auf die früher so außerordentlich beliebten Amtsbezeichnungen — die zum Teil gar keine Titel gewesen sind — von deren Trägern immer mehr freiwillig verzichtet wird, weil sie es nämlich als eine Einschränkung ihrer Persönlichkeit ansehen, durch einen solchen Titel mehr als durch sich selbst wirken zu sollen. Wir möchten gerade im Bereich der Justiz sicherstellen, daß die von allen Vorrednern angezogene Bedeutung der Persönlichkeit tatsächlich richtig zum Ausdruck kommt und nicht etwa in einer oft völlig unzutreffenden Weise durch den geführten Titel beschränkt und relativiert wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darum geht es uns. Wenn also schon im Bereich der allgemeinen Verwaltung in diesem oder jenem Ministerium eines Bundeslandes oder auch für die gesamte öffentliche Verwaltung einzelner Bundesländer — die Hanseaten haben da eine lange Tradition, auf die schon hingewiesen worden ist — völlig darauf verzichtet worden ist, so ist es um so mehr an der Zeit, im Bereich der Rechtsprechung, die durch die Verfassung doch eindeutig als von der allgemeinen Verwaltung abgehobene besondere Verfassungsaufgabe dargestellt wird, mit den der öffentlichen Verwaltung weitgehend entlehnten Amtsbezeichnungen in diesem Jahre 1971 endlich Schluß zu machen.
Das Nord-Süd-Gefälle ist für viele sehr plastisch. Ich kann deshalb ein etwas stärkeres emotionales Engagement von Herrn Kollegen Jaeger in gewisser Weise verstehen. Ich weiß noch ganz genau, wie wir
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9153
Kleinert
als Norddeutsche zum Studium nach Erlangen und nach München gekommen sind. Wir konnten es einfach nicht fassen, was die Seiten mit den Todesanzeigen in den Tageszeitungen als Fundgrube für Titel und Bezeichnungen hergaben, die dort oft mehrere Zeilen, auch bei verhältnismäßig untergeordneten Funktionen, in Anspruch nahmen. Das war für uns als Norddeutsche einfach unfaßbar. Ich finde es durchaus liebenswert und habe es auch damals als liebenswert empfunden, sehe aber bei solchen regionalen Unterschieden um so weniger Anlaß, die ganze Sache jetzt zu grundsätzlich aufzufassen, und ich sehe auch eine Milderung Ihrer so stark betonten grundsätzlichen Auffassungen in diesem landsmannschaftlichen Gefälle und liebenswerten Besonderheiten. — Bitte, Herr Kollege Vogel.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das steigt an, Herr Kleinert!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615905000
Eine Zwischenfrage.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0615905100
Herr Kollege Kleinert, würden Sie so nett sein, einmal die Fundgrube des hessischen Ministerialblattes aufzutun — in Hessen steht ja Fortschrittlichkeit an erster Stelle und gibt man auch vor, in der Frage der Richteramtsbezeichnung ein ganzes Stück vorn zu sein — und nachzusehen, was sich dort inzwischen an herrlichen Titeln bei Stellenausschreibungen wiederfindet?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615905200
Herr Kollege Vogel, ich will dieser Anregung gern folgen, weil so etwas nett und lustig zu lesen ist, gleich wo man es findet. Ich bin allerdings nicht bereit, hier irgendwelche Prädikate darüber zu erteilen, welches Bundesland vielleicht besonders fortschrittlich wäre. Das würde den Rahmen unserer Erörterung wahrscheinlich sprengen.

(Abg. Vogel: Ich habe auch nur von der Einbildung gesprochen!)

Meine Damen und Herren, haben Sie sich schon einmal überlegt, wie oft den Richtern, über die wir hier reden, Zeugen gegenüberstehen, die, nach ihrem Beruf befragt, auch heute noch ganz schlicht und mit einem deutlich spürbaren Anflug von Stolz antworten: Kaufmann. Da ist nicht vom Kaufmann als Geschäftsführer einer kleineren oder größeren GmbH oder gar als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft die Rede, sondern ausschließlich vom Kaufmann. Von dieser selbstverständlichen Auffassung in den zivileren Bereichen unseres Landes kann man auch gewisse Rückschlüsse auf das wünschenswerte Verständnis der Richter für ihre Amtsbezeichnungen ziehen.
Herr Kollege Jaeger hat dargelegt, daß die Fülle der jetzt noch bestehenden Richteramtsbezeichnungen keineswegs zur Transparenz, sondern vielmehr dazu beitrage, unseren Gerichtsaufbau undurchsichtig zu machen. Das bietet sich aber bei den heutigen Titulaturen nicht an; da muß man den Gerichtsaufbau wohl immer erst erforschen. Herr Kollege Jaeger, Sie haben dann ein etwas wesentliches
Argument gebracht, und dafür möchte ich Ihnen danken. Sie haben nämlich ganz deutlich auf die Hierarchie hingewiesen, die Ihrer Meinung nach für die Funktion der Justiz wichtig, wenn nicht sogar entscheidend sei. Sie haben einen Vergleich geprägt, der mir direkt wehgetan hat. Sie haben nämlich gesagt: Das Landgericht hebt den Amtsrichter oder das Oberlandesgericht hebt das Landgericht so auf wie der Regierungspräsident die Verfügung eines Landrats. Hier liegt doch ein ganz erheblicher Unterschied. Ich weigere mich entschieden, das mitzudenken, geschweige mitzuvollziehen, was Sie da beiläufig gesagt haben. Das ist ja gerade der Grund, weshalb wir hier zu anderen Ergebnissen kommen müssen, daß das nämlich überhaupt nicht vergleichbar ist. Das Obergericht kann nicht aufheben, weil es in der Hierarchie übergeordnet ist, sondern es kann aufheben, weil die Prozeßordnung vorsieht, daß über den gleichen Sachverhalt noch einmal entschieden wird, wobei die Prozeßordnung nicht einmal vorsehen kann, daß das etwa abändernde oder aufhebende Urteil qualitativ besser ist. Ich glaube, Gegenbeispiele ließen sich mit einiger Mühe finden.

(Abg. Vogel: Das gilt auch für die Entscheidung des Regierungspräsidenten! — Weitere Zurufe.)

Das Obergericht tut das gleiche wie das zuerst entscheidende Gericht, es versucht nämlich, nach bestem Wissen aller seiner Mitglieder in kollegialer Zusammenarbeit Recht anzuwenden.

(Abg. Vogel: Er ist doch sonst nicht so ein Theoretiker! — Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Das soll auch die Verwaltung tun!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615905300
Eine Zwischenfrage.

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0615905400
Herr Kollege Kleinert, Sie nehmen doch — wenn ich mir die Frage erlauben darf — zu der Frage Stellung, ob die Justiz eine antiautoritäre Einrichtung ist. Das war das Problem, das Herr Kollege Jaeger angesprochen hatte. Sind Sie nicht mit mir, nach dem, was Sie eben gesagt haben, der Auffassung, daß in einem demokratischen Staat Autorität in jedem Fall auf dem Gesetz beruht?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615905500
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, Herr Lenz. Ich habe aber zu diesem Problem nicht Stellung genommen, weil sich dieses Problem für mich als Liberalen überhaupt nicht stellt. Wir sind bemüht, eine möglichst vernünftige Ordnung zu machen, zu der natürlich auch auf den verschiedensten Lebensbereichen Autorität gehört; wir sind deshalb keine Bilderstürmer. Darum komme ich gar nicht dazu, über dieses Thema zu reflektieren. Ich meinte nur, zu dem Stellung nehmen zu sollen, was Herr Kollege Jaeger gesagt hatte, indem er nämlich in einem ganz glatten Durchgang Dinge im Bereich der Verwaltung und der Justiz gleichgesetzt hat, die so keineswegs gleichgesetzt werden können.
9154 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Kleinert
Einige Hinweise sind hier schon zu einem anderen Bezug gekommen. Ich finde es nicht unehrenhaft, auch darauf kurz einzugehen, nämlich auf die Frage, wie sich das Gefüge — vielleicht am Rande auch ein wenig die Bezeichnung des Richters, besonders wenn sich dadurch sein Status wesensmäßig, wengistens etwas, verändern sollte — zu den Fragen der angemessenen Besoldung verhält. Ich muß sagen — es ist hier am Rande eine ganz interessante Bemerkung —, hier hat sich eine etwas ironische Entwicklung vollzogen, auch wenn man gewisse Stellungnahmen aus den betroffenen Kreisen vor drei Jahren und aus jüngerer Zeit vergleicht. Ich glaube, man hat zunächst doch in gewissem Umfang mit dem Problem der Amtsbezeichnung auch ein weiteres Signal im Hinblick auf die seit langem geforderte eigenständige Richterbesoldung setzen wollen. Auf diesem Gebiet ist dieses Hohe Haus inzwischen ein wenig vorausgeeilt. Bei dem einen oder anderen mögen jetzt retardierende Auffassungen zur Titelfrage darauf beruhen, daß in dem anderen Bereich durch die Regelung hinsichtlich der Durchstufung schon vieles gebessert worden ist, was ursprünglich wohl erst als Folge gesehen war. Das kann man hier ruhig einmal feststellen. Wir sind im übrigen nach wie vor der Auffassung, daß nicht nur in dem heute zu regelnden Bereich der Richteramtsbezeichnungen, sondern auch in dem Bereich der Richterbesoldung die eigenständige verfassungsrechtliche Stellung der Justiz berücksichtigt werden und die R-Besoldung möglichst bald in einer konsequenten Form eingeführt werden muß.
Aus allem, was ich in einigen Punkten anzudeuten versucht habe und was hier bereits zu der Stellung des Richters, zu seiner Unabhängigkeit, zu dem Vorrang seiner persönlichen Werte ausgeführt worden ist, ergibt sich konsequent das, was im zweiten Teil dieses Gesetzes zur Präsidialverfassung gesagt ist. Wer hier A sagt, muß auch B sagen und muß die Wahl der Präsidien tatsächlich so durchführen, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Ich bin ganz sicher, daß die besonderen Qualitäten, die von Herrn Kollegen Jaeger insbesondere den Vorsitzenden der verschiedenen Kollegien zugeschrieben worden sind, dazu führen werden, daß sie im Verhältnis zur Gesamtzahl der Richter auch in überproportionalem Maße in diese Gremien gewählt werden. Aber nur, wenn auf diese Weise eine Übervertretung dieser Herren eintritt, entspricht das unserem demokratischen Verständnis und unserer Auffassung vom Wert der Persönlichkeit und von der Art, wie Persönlichkeit sich durchsetzen sollte. Der Krücke von Institutionen, der Krücke eines Quorums bedarf es für die echte Persönlichkeit in diesem Zusammenhang nicht.
Dehalb meinen wir auch, den Änderungsanträgen, die Sie hier eingebracht haben, nicht zustimmen zu können, wenn man von der sehr vernünftigen und sachlich wünschenswerten Regelung hinsichtlich der Verhältnisse beim Patentgericht absieht, die Sie angeregt haben und der wir uns gern schon mit dem Antrag angeschlossen haben. Das muß aber, wenn man hier konsequent sein will, die einzige Änderung
bleiben, die an dem jetzt vorgelegten Text vorgenommen wird.
In diesem Sinne werden wir der Vorlage zustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615905600
Das Wort hat der Abgeordnete Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615905700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, gegen die Abmachung zu verstoßen, daß hier nur ein Redner als Hauptredner sprechen soll. Ich muß nur, weil ich in der Frageform schlecht etwas dementieren kann, hier festhalten: Herr Kollege Dr. Arndt, Ihre Erinnerung hat Sie getäuscht. Den schönen Satz vom Atheisten und vom Libertinisten, den Sie formuliert haben, habe ich nach der Prüfung meines Gedächtnisses und des meiner hier anwesenden Freunde aus dem Rechtsausschuß, insbesondere des immer anwesenden Herrn Vorsitzenden nicht nur in dieser so prägnanten Form, sondern überhaupt im Ausschuß nicht getan.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615905800
Wird noch das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die allgemeine Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ehe wir die Einzelabstimmung vornehmen, stimmen wir über den Geschäftsordnungsantrag ab, Art. 1 an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —

(Abg. Vogel: Das erste war klar die Mehrheit! — Abg. Dr. Jaeger: Die Mehrheit ist hier!)

Kein Einverständnis im Präsidium. Müssen wir durch Hammelsprung abstimmen?

(Abg. Stücklen: Aufstehen! „Trimm dich gesund!")

— Wer der Überweisung zustimmen will, erhebe sich von seinem Sitz — Gegenprobe! — Das Präsidium ist sich nicht einig. Wir müssen durch Hammelsprung abstimmen.

(Abg. Stücklen: Soll ich meine Brille zur Verfügung stellen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Abgestimmt haben insgesamt 397 Mitglieder des Hauses. Mit Ja haben 191 Abgeordnete, mit Nein 206 Abgeordnete gestimmt; enthalten hat sich kein Mitglied des Hauses. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Ich rufe Art. I auf. Hierzu liegt mit Umdruck 248 Ziffer 1 ein Änderungsantrag vor. Wer begründet den Antrag?

(Abg. Vogel: Ist bereits begründet!)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9155
Vizepräsident Dr. Schmid
— Der Antrag ist schon begründet worden. Eine Erwiderung wird nicht gegeben. Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag auf Umdruck 248 Ziffer 1 ist mit derselben Mehrheit, die bei der Auszählung festgestellt worden ist, abgelehnt.
Wir kommen zu dem Eventualantrag auf Umdruck 249. Zur Begründung Herr Vogel!

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0615905900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Umdruck 249 liegt Ihnen ein Eventualantrag vor, der sich auf die Nrn. 4 und 6 des Art. I der Beschlüsse des Ausschusses bezieht. Es handelt sich um zwei Fragen.
In der Nr. 4 des Art. I ist eine Vorschrift enthalten, die vorsieht, daß die ehrenamtlichen Richter in den verschiedensten Zweigen der Gerichtsbarkeit künftig nur noch die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter" führen. Meine Damen und Herren, was wir mit dieser von der Ausschußmehrheit beschlossenen Fassung erleben, ist nichts anderes als die Perfektionierung der Einplanierung, die mit den Richtertiteln insgesamt vorgenommen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für eine solche Einplanierung auch im Bereich der ehrenamtlichen Richter gibt es nun wahrhaft kein einziges Sachargument.
Wir dürfen an eines erinnern. Eines der Anliegen, die wir alle gemeinsam in diesem Hause haben, ist, daß wir die Rechtsprechung der Bevölkerung so nahe wie möglich bringen. Wir beklagen die Rechtsfremdheit unserer Bevölkerung auch gegenüber den Gerichten. Wenn etwas der Bevölkerung eine plastische Vorstellung von der Justiz, von der Rechtsprechung gibt, wenn es etwas gibt, was volkstümlich die Funktion eines Richters bezeichnet, dann, meine Damen und Herren, sind es Bezeichnungen wie die eines Schöffen oder die eines Geschworenen an einem Gericht.

(Abg. Dr. Jaeger: Sehr richtig!)

Das ist etwas, was für jeden Menschen in unserem Lande eine plastische Vorstellung über die Funktion eines Richters hervorruft. Oder für diejenigen, die betroffen sind, die Bezeichnung eines Handelsrichters in einer Kammer für Handelssachen.
Ich darf einige andere Zweige der Gerichtsbarkeit erwähnen. Hier darf ich vielleicht insbesondere die Kolleginnen und Kollegen aufzumerken bitten, die sich mit Fragen der Sozialpolitik beschäftigen. Meine Damen und Herren, das bedeutet, daß es in der Arbeitsgerichtsbarkeit künftig die Bezeichnung „Arbeitsrichter" oder „Landesarbeitsrichter" nicht mehr gibt, weil diese Richter, die aus ihren Funktionen in etwa dem Arbeitnehmerbereich delegiert worden sind, um Richterfunktionen wahrzunehmen, künftig die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter" führen, oder daß die Richter in der Sozialgerichtsbarkeit künftig die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter" und nicht mehr die Bezeichnung „Sozialrichter" führen.
Meine Damen und Herren, man hat den Eindruck, daß mit diesem Beschluß im Ausschuß unseren Kollegen der Koalition der Reformgaul durchgegangen i st.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Man mag hier wenigstens die Genugtuung haben, daß die reine Lehre verwirklicht worden ist. Das Ergebnis wird sein, daß unsere Gerichte, die Rechtsprechungskörper, der Bevölkerung eher fremder werden als daß sie ihr näher werden. Das ist etwas, was wir beklagen. Die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter" für alle ehrenamtlichen Richter klingt doch apparatistisch, sie klingt nach Funktionär. Genau das möchten wir in unserer Rechtsprechung nicht haben.
Darf ich Ihnen einiges weniges zu Ziffer 2 unseres Eventualantrages sagen. Es ist vorgesehen, daß von den Vorschriften über die Richteramtsbezeichnung ausgenommen sind die Richter am Bundesverfassungsgericht. Begründet ist das damit, daß das Bundesverfassungsgericht ein Verfassungsorgan besonderer Art sei. Auch diese Begründung ist eine formalistische Begründung. Was von der Sache her für das Bundesverfassungsgericht zutrifft, trifft von der Sache her auch für die anderen Obersten Bundesgerichte in unserem Lande zu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir beantragen deshalb, daß auch für die Obersten Bundesgerichte die Einplanierung der Richteramtstitel nicht vorgenommen wird und die Obersten Bundesgerichte in diese Ausnahmebestimmung aufgenommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615906000
Das Wort hat der Abgeordnete Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615906100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrage der Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in diesem Hause bitte ich, den Eventualantrag auf Umdruck 249 abzulehnen, und zwar sowohl die Nr. 1 als auch die Nr. 2.
Einige wenige Worte zur Begründung. Es ist ein besonderes Anliegen der Koalition, die Gleichberechtigung der Richterbank herauszustreichen. Wir möchten auch in der äußeren Bezeichnung deutlich machen, daß alle Menschen, die auf der Richterbank sitzen, seien sie nun Berufsrichter oder ehrenamtliche Richter, das gleiche Richteramt ausüben und gleichberechtigt an der Rechtsprechung mitwirken und daß es nicht Richter besserer und minderer Qualität gibt. Wir treten dafür ein, ,daß dieses äußerlich deutlich wird, etwa dadurch, daß die Richter alle die gleiche Amtstracht tragen, auch die ehrenamtlichen Richter, aber auch in den Bezeichnungen. Es gibt nur eine Richterbank, und alle Mitglieder dieser Richterbank sind gleichberechtigt, gleichgültig, ob sie diese Funktion ehrenamtlich oder beruflich ausüben.
Im übrigen meinen wir, daß die Gleichstellung des Bundesverfassungsgerichts und der Obersten
9156 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Arndt (Hamburg)

Bundesgerichte nicht der Verfassungsvorstellung von der Funktion dieser Gerichte entspricht. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht nur ein Gericht, sondern zugleich auch eines der fünf obersten Verfassungsorgane, was für die übrigen fünf Obersten Bundesgerichte nicht zutrifft. Diese unterschiedliche Handhabung muß auch im einfachen Gesetz zum Ausdruck kommen, und deswegen bitten wir namens der beiden Fraktionen, den Eventualantrag auf Umdruck 249 mit beiden Nummern abzulehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615906200
Das Wort hat der Abgeordnete Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615906300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Arndt, ich halte es einfach für lebensfremd, anzunehmen, der Ersatz der alten Worte „Schöffe" und „Geschworener" durch den blassen Ausdruck „ehrenamtlicher Richter", genauso die Abschaffung des Titels „Handelsrichter", „Arbeitsrichter", „Sozialrichter" würde bedeuten, daß nunmehr der ehrenamtliche Richter bessergestellt sei oder dadurch erst dem Berufsrichter gleichgestellt sei. Ich glaube, gerade das Gegenteil ist der Fall. Die Wort „Schöffe" und „Geschworener" haben eine so alte Tradition, daß sich das Volk gerade dadurch angesprochen fühlt und es als besondere Ehre betrachtet, in ein so altes und angesehenes Amt berufen zu werden, das in unseren Gerichten bereits eine demokratische Tradition hatte, als wir noch ein Obrigkeitsstaat waren, und deshalb eigentlich besonders schätzenswert ist.
Der eigentliche Zweck meiner Wortmeldung war aber, daß ich noch ein kurzes Wort zu Ziffer 2 des Antrages sagen wollte. Meine Damen und Herren, dieses Hohe Haus hat vor etwa vier Jahren in einer Verfassungsänderung den oberen Bundesgerichten den Rang von Obersten Bundesgerichten gegeben. Es hat damit auch bekundet, daß diese Gerichte nicht nur eine besondere Qualität haben, sondern die ganze deutsche Justiz repräsentieren. Deshalb sollte man ,diesen Gerichten, auch was ihren Titel betrifft, einen Rang geben, der dem des Bundesverfassungsgerichts vergleichbar ist, auf daß nicht der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eine Art Aschenbrödel im Vergleich zu seinem sicherlich noch bedeutenderen Bruder, dem Bundesverfassungsgericht, ist. Deshalb sollten diese Gerichte auch die Titel „Präsident" und „Vizepräsident" behalten, die ich schon für die Repräsentation der Justiz für notwendig halte. Vor allem aber sollte man den schönen und einfachen Titel „Bundesrichter" beibehalten, der klar, knapp, funktionsgerecht, sprachlich gut, allgemein verständlich, anspruchslos und volkstümlich ist und der nicht dem Beamtentum entlehnt ist. Die Schweizer Eidgenossenschaft, eine ältere Demokratie als die Bundesrepublik Deutschland, hat diesen Titel von jeher und denkt gar nicht daran, ihn abzuschaffen, weil er undemokratisch sei.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich auf die Seite der Gerichte, die als Bundesgerichte insonderheit unsere, des Bundestags Gerichte sind, und ge-
ben Sie ihnen weiterhin auch äußerlich das Ansehen, das sie sich im übrigen längst erworben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615906400
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich frage die Antragsteller, ob sie einverstanden sind, daß ich über 1 und 2 gemeinsam abstimmen lasse.

(Abg. Dr. Jaeger: Nein, getrennt!)

— Dann stimmen wir über den Antrag Umdruck 249 *) Ziffer 1 zunächst ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 249 Ziffer 2! Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch hier war die Mehrheit für Ablehnung.
Nunmehr stimmen wir über Art. I in der Fassung der Ausschußvorlage ab. Wer Art. I in der Fassung der Ausschußvorlage annehmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; Art. I ist angenommen.
Art. II! Hierzu liegen Anträge auf Umdruck 248 unter Ziffer 2 und Ziffer 3 vor. Werden die Anträge begründet?

(Abg. Dr. Jaeger: Ist bereits begründet! — Abg. Dichgans: Ich bitte ums Wort!)

— Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0615906500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich darf zunächst feststellen, wieviel ruhiger die Gesprächsatmosphäre dieses Hauses war, als wir noch weniger waren, die Clubatmosphäre, von der Churchill gesprochen hat. Das zeigt die Fragwürdigkeit der Bestrebungen, die Präsenz gewaltsam zu verbessern.

(Zustimmung bei der FDP.)

Ich habe mich hier zu Wort gemeldet, um einige Zweifel daran auszudrücken, ob das, was hier unter dem Gesichtspunkt „Demokratisierung der Präsidien" vorgeschlagen wird, wirklich richtig ist. Werden die Entscheidungen der Präsidien dadurch verbessert, daß wir nun eine größere Anzahl gewählter Richter in den Präsidien bekommen sollen? „Besser", was heißt das eigentlich? Wird die Summe von Zufriedenheit und Unzufriedenheit auf diese Weise einen größeren positiven Wert bekommen? Ich glaube das nicht. Wer wird denn gewählt werden, und wer stellt sich zur Wahl? Wer von Natur zurückhaltend ist, wem es nicht liegt, um Stimmen zu werben, wer ein unabhängiger und selbstbewußter Richter ist, der wird sich von vornherein gar nicht zur Wahl stellen, um sich dem Risiko einer Nichtwahl nicht auszusetzen. In den Präsidien wird also eine ganz bestimmte Gruppe von Richtern entscheiden: diejenigen Richter, die sich um Ämter bewerben, die eine äußere Laufbahn —
*) Siehe Anlage 3
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9157
Dichgans
nachdem sie nun keine Titel mehr erhalten — im Bereich der Präsidien suchen.
Das führt auch in die Problematik des Wahlkampfes bei den Gerichten. Es wird Listen geben, progressive Listen, konservative Listen; ich kann nur hoffen, Herr Kollege Arndt: keine Listen von Atheisten und Klerikalen, aber selbst das wäre ja nicht auszuschließen. Bei großen Gerichten — wir haben beim Landgericht Düsseldorf 140 Richter — sind die Listen einfach notwendig, um die Richter zu informieren, wen sie wählen können. Halten Sie das für gut? Glauben Sie, daß die Diskussion, die Wahlkämpfe, die Siegesfreude, die Enttäuschungen die kollegiale Atmosphäre an den Gerichten verbessern werden? Ich glaube das nicht.
Nachdem Sie, Herr Kollege Arndt, hier so interessante Mitteilungen aus der griechischen Literatur vorgetragen haben, finde ich den Mut, auch etwas aus der griechischen Geschichte zu zitieren. Ich möchte Sie an die Verfassung des Kleisthenes erinnern, die meines Wissens im Jahre 507 in Athen eingeführt wurde. Dort hat man die leitenden Stellen im Großen Rat kurzerhand durch Los besetzt. Das hat, wie ich nachgelesen habe, in Athen einige Jahrzehnte ganz gut funktioniert, und zwar deshalb, weil die Athener damals eine homogene Bevölkerung waren. Exakt das gilt ja wohl auch für die Richter. Wer die Befähigung zum Richteramt besitzt, müßte auch in der Lage sein, in einem Präsidium mitzuwirken. Deshalb glaube ich, daß ein Präsidium, in dem die Mitglieder nicht gewählt, sondern ausgelost würden, eine sehr viel bessere Repräsentation als die jetzige ergäbe. Wir hätten dann keine Listen. Wenn wir vorsähen, daß jemand, der einmal durch Los in ein Präsidium gekommen ist, zehn Jahre lang nicht mehr ausgelost werden kann, würde von der Sache her über eine gewisse Zeit jede Gruppe in diesem Präsidium erscheinen, zum Beispiel die Gruppe der Richterinnen, die nach dem gegenwärtigen System nur eine sehr geringe Chance hat, überhaupt gewählt zu werden — wir wissen das von unseren Parteistrukturen , aber auch die Richter, die sich zurückhalten: die Richter, die auf Nebenposten des Gerichtes tätig sind.
Ich habe das im Rechtsausschuß vorgetragen, hatte auch einige Kollegen, die dafür gestimmt haben, aber bei der Regierungsmehrheit sah ich deutlich, daß dieser Vorschlag doch etwas zuviel Demokratie sein würde. Sie waren, Herr Kollege Dr. Arndt —um Ihr Wort aufzugreifen —, mehr für die gebremste Demokratie. Ich registriere das als Faktum; ich will dem Hohen Hause also keinen Änderungsantrag vorlegen. Ich bin nicht in der Lage, den Bestimmungen zuzustimmen, die eine Wahl von Mitgliedern des Präsidiums vorsehen. Ich kann nur hoffen, daß die Idee, auf andere Weise zu Präsidien ohne Wahlkämpfe zu kommen, zu einem zukünftigen Zeitpunkt erneut aufgegriffen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615906600
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Kleinert!

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615906700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dichgans, ich möchte das Haus nicht aufhalten, aber da Sie sich so viel Mühe mit der Sache gemacht haben und ich auch zu denen gehört habe, die im Ausschuß über diese Lösung schwieriger Konflikte — noch dazu mit einem so bedeutenden historischen Anspruch — zunächst begeistert waren, habe ich also zugestimmt.
Ich habe mir inzwischen die Sache noch einmal überlegt. Ich möchte Ihnen hier nur eines zu bedenken geben, was mich besonders nachdenklich gestimmt hat. In einer ganz anderen Beratung, nämlich über Bildungsfragen, kam mir — wie das in solchen Dingen oft zu gehen pflegt — auf einmal das gleiche entgegen: Da will man nämlich allen Ernstes — einige wollen das — als Qualifikation für den Eingang in die Universität das Los entscheiden lassen. Bei diesem Zusammentreffen habe ich Ihren Vorschlag auf einmal in einem anderen Licht gesehen, nämlich in dem, daß wir hier zwar einige positive Dinge erreichen könnten, aber das tun, was Sie sicher selbst auf vielen Gebieten nicht tun wollen, nämlich präzise gegen den Geist der Leistungsgesellschaft verstoßen. Ich bin der Meinung, damit können wir nicht anfangen. Darum bitte ich Sie nicht nur um Entschuldigung, sondern auch um Verständnis dafür, daß ich mich heute Ihrem Vorschlag nicht mehr wie damals anzuschließen bereit bin.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615906800
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann stimmen wir ab über den Änderungsantrag auf Umdruck 248 Ziffer 2. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 3 des Änderungsantrages auf. Keine Wortmeldungen? — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir über Art. II im ganzen ab. Wer Art. II in der Ausschußfassung annehmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; Art. II ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. III auf. Keine Wortmeldungen? — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; Art. III ist in der Ausschußfassung angenommen.
Wir stimmen über die Art. IV, V, VI, VII, VIII und IX ab, wenn keine Wortmeldung erfolgt. —Änderungsanträge sind nicht angekündigt. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Artikel sind angenommen.
Ich rufe Art. X auf. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 256 *) vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Arndt das Wort.
*) Siehe Anlage 4
9158 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615906900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Jaeger folgen auch die Koalitionsfraktionen. Auch wir halten es für sinnvoll, daß in Art. X Nr. 2 der § 36 e des Patentgesetzes neu gefaßt wird, weil sonst nach der Systematik des Gesetzes über eine solche Wahlanfechtung eventuell vom Oberlandesgericht München, also von einem ganz anderen Gerichtszweig, entschieden werden müßte. Wir danken Herrn Kollegen Dr. Jaeger für seine Anregung und halten es für sinnvoll, daß in Art. X Nr. 2 der § 36 e des Patentgesetzes neu gefaßt wird. Wir bitten um Zustimmung zu dem Änderungsantrag Umdruck 256. Dies ist allerdings der einzige Änderungsantrag, dem wir unsere Zustimmung geben können.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615907000
Herr Abgeordneter Jaeger!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615907100
Meine Damen und Herren! Ich danke Herrn Dr. Arndt und Herrn Kleinert, daß sie sich zu dieser sachlich wichtigen, aber nicht grundsätzlichen Berichtigung des Gesetzes entschlossen haben. Ich möchte nur bemerken, daß meine Freunde und ich, was das Bundespatentgericht betrifft, noch eine Reihe weiterer Vorschläge gehabt hätten, die insbesondere darauf abstellen, daß dieses Gericht durch die besonders hohe Zahl der abgeordneten Richter bei Technikern und Juristen noch einige andere Bestimmungen braucht, z. B. die Beschränkung des Wahlrechtes nur auf die auf Lebenszeit ernannten Richter und die Verkürzung der Amtsperiode des Präsidiums von vier Jahren auf ein Jahr. Wir haben in dieser Hinsicht die Zustimmung der anderen beiden Fraktionen nicht gefunden. Wir hätten ja zu vielen Punkten Änderungsanträge stellen können. Wir haben uns aber entschlossen, nur die zentralen Stellen des Gesetzes mit Änderungsanträgen zu bedenken. Wir wissen ja sowieso, wie die Abstimmungen ausgehen würden. Auch unsere bisherigen Anträge sind alle miteinander abgelehnt worden. Diesem einen Antrag, auf den wir uns geeinigt haben, werden Sie nun zustimmen. Das ist nur eine kleine Schwalbe, die leider keinen Sommer des Entgegenkommens zwischen Regierung und Opposition macht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615907200
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 256 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen dann über Art. X in der so geänderten Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe die Art. XI und XII auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wer diesen beiden Artikeln zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Angenommen!
Ich rufe Art. XIII auf. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 248 Ziffer 4 vor. Dieser Antrag ist schon begründet. Es handelt sich darum, statt des Datums „1. April 1972" das Datum „1. Januar 1973" einzufügen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Art. XIII als Ganzem zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!
Wir kommen zu Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen!
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615907300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Änderung der Amtsbezeichnung der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte trägt dem Strukturwandel Rechnung, den die dritte Gewalt durch das Grundgesetz erfahren hat. Bis zum Erlaß des Grundsetzes war der Richter Beamter und in die Beamtenhierarchie eingegliedert. Hiermit hat das Grundgesetz gebrochen. Es kennt den richterlichen Beamten nicht mehr. Richter und Beamte haben strukturell wesensverschiedene öffentliche Aufgaben. Ihre Stellung ist durch eine jeweils eigene Ordnung ihrer Rechtsverhältnisse zu regeln. Im Gegensatz zum Beamtenrecht, das am Laufbahngedanken orientiert ist, ist das Richterrecht gekennzeichnet durch die grundsätzliche Gleichwertigkeit der rechtsprechenden Tätigkeit. Diesen Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht jüngst wieder in seiner Entscheidung zur hessischen Richterbesoldung betont hat, gilt es auch im Bereich der Präsidialverfassung und der Amtsbezeichnungen zu verwirklichen.
Die gegenwärtige Regelung der Präsidialverfassung ist in den letzten Jahren wiederholt kritisch erörtert worden. Bereits 1968 hat die Kommission für Gerichtsverfassungsrecht und Rechtspflegerrecht Vorschläge zur Änderung der Bestimmungen über die Präsidialverfassung unterbreitet. Diese Vorschläge sind zusammen mit den Landesjustizverwaltungen und den Verbänden fortentwickelt worden. Nach der Beschlußfassung der Bundesregierung haben sich bei den Beratungen in den parlamentarischen Gremien weitere Aspekte ergeben, die zu wesentlichen Änderungen des Entwurfs geführt haben.
Die vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beschlossenen Änderungen führen die Leitgedanken des Regierungsentwurfs folgerichtig fort. Der Schwerpunkt des Entwurfs und der Änderungen liegt in der Stärkung der Selbstverwaltung der Gerichte und damit gleichzeitig der Unabhängigkeit der Richter. Das Präsidium ist das zentrale Organ der Selbstverwaltung der Gerichte. Ihm obliegt die wichtige Aufgabe, die Geschäfte zu verteilen, die Besetzung der Spruchkörper zu bestimmen und die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9159
Bundesminister Jahn
Vertretung zu regeln. Es legt damit innerhalb des einzelnen Gerichts den gesetzlichen Richter fest, der jedem Rechtsuchenden durch das Grundgesetz garantiert ist. Abweichend vom geltenden Recht wird künftig jedes Gericht selbst über die Verteilung der von ihm wahrzunehmenden Geschäfte befinden. Präsidien wird es also insbesondere auch bei allen Amtsgerichten geben. Das ist ein wesentlicher Fortschritt.
Einen weiteren Fortschritt sehe ich darin, daß alle Richter, und zwar auch die Richter auf Probe, wahlberechtigt sind und damit Einfluß auf die Zusammensetzung des Präsidiums nehmen können. Ganz entscheidend ist aber, daß das Präsidium künftig nicht mehr überwiegend aus geborenen Mitgliedern bestehen soll, sondern daß alle Mitglieder des Präsidiums mit Ausnahme seines Vorsitzenden gewählt werden. Der Regierungsentwurf sah hier vor, daß die Hälfte der gewählten Mitglieder des Präsidiums bei den Gerichten vom Landgericht aufwärts vorsitzende Richter sein müssen. Die Mehrheit des Rechtsausschusses ist dem nicht gefolgt. Sie hat vorgeschlagen, daß diese Einschränkung entfällt und es der freien Entscheidung des einzelnen Richters überlassen bleibt, wen er als Mitglied des Präsidiums wählen will. Ich begrüße diese Änderung, die dem Gedanken der Selbstverwaltung der Gerichte in vollem Umfang Rechnung trägt.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene Einschränkung der Auswahlmöglichkeit sollte durch ihre ausdrückliche gesetzliche Regelung sicherstellen, daß besonders sachkundige und erfahrene Richter in angemessener Zahl bei der Arbeit des Präsidiums mitwirken. Ich bin mittlerweile jedoch davon überzeugt, daß es einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung nicht bedarf, sondern daß die Richter nur solche Kollegen in das Präsidium wählen werden, die für diese Aufgabe auch besonders geeignet sind. Zu dieser Überzeugung bin ich durch die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gesammelten Erfahrungen und Beobachtungen gelangt. Die Wahlen zu den Richtervertretungen, beispielsweise zu den Richterräten, haben auch überall dort zu einer wohlabgewogenen Zusammensetzung der betreffenden Gremien geführt, wo die Wahlmöglichkeit durch das Gesetz in keiner Weise eingeschränkt ist.
Besonders begrüße ich die weitgehende Vereinheitlichung — auch dies ist ein großer Fortschritt — der Bestimmungen über die Präsidialverfassung für alle Zweige der Gerichtsbarkeit. In ihr sehe ich einen wesentlichen Schritt zu einem einheitlichen Gerichtsverfassungsrecht. Damit wird zugleich ein Betrag zu den Bemühungen um eine bessere Überschaubarkeit unserer Justiz geleistet.
Die Neuordnung der Amtsbezeichnungen der Richter hat zum Ziel, die an den hierarchischen Aufbau der Verwaltungsbehörden angelehnten Amtsbezeichnungen durch Bezeichnungen zu ersetzen, die die Tätigkeit des Richters besser als bisher kennzeichnen und seiner besonderen Stellung, die er durch das Grundgesetz erhalten hat, entsprechen.
Im Verlaufe der Beratungen ist gegen die beabsichtigte Änderung der Amtsbezeichnungen für Rich-
ter wiederholt eingewandt worden, daß diese Regelung nicht am Anfang, sondern am Ende der Justizreform stehen müsse. Diese Kritik geht von einem zu engen Begriff der Justizreform aus. Ich verstehe unter Justizreform eine umfassende Verbesserung der Rechtspflege. Eine solche Reform kann sich nicht in der Neugliederung der ordentlichen Gerichtsbarkeit erschöpfen.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das hat damit gar nichts zu tun!)

Sie muß insbesondere auch eine Neuregelung der Stellung der in der Rechtspflege tätigen Organe einschließen, und mit diesem Teil der Justizreform ist bereits vor geraumer Zeit begonnen worden. Ich nenne hier nur das Deutsche Richtergesetz, das Rechtspflegergesetz sowie die in der letzten und in dieser Wahlperiode dazu ergangenen Änderungen.
Die Neuordnung der Amtsbezeichnung, die sich auf Richter in allen Zweigen der Gerichtsbarkeit bezieht, steht mit der geplanten Einführung eines dreigliedrigen Gerichtsaufbaus in der ordentlichen Gerichtsbarkeit nur in einem sehr äußerlichen Zusammenhang. Sie wird vielmehr, wie ich bereits hervorgehoben habe, durch die besondere Stellung gefordert, die der rechtsprechenden Gewalt und ihren Trägern zukommt. Bereits bei den Beratungen zum Deutschen Richtergesetz in den Jahren 1960 und 1961 hielt der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages deshalb eine Änderung der Amtsbezeichnung für wünschenswert. Lediglich wegen praktischer Schwierigkeiten, die sich aus dem Ablauf der damaligen Wahlperiode ergaben, wurde die Frage damals zurückgestellt. Heute, mehr als 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, erscheint mir die Anpassung der Amtsbezeichnung an die gewandelte Rechtsstellung des Richters überfällig.
Der Regierungsentwurf wollte an die Stelle der bisherigen mehr als 30 Amtsbezeichnungen künftig nur noch die Bezeichnungen: Richter, vorsitzender Richter und Präsident mit einem das Gericht kennzeichnenden Zusatz setzen. Auch hier ist der Rechtsausschuß in seiner Mehrheit einen Schritt weitergegangen, indem er die einheitliche Amtsbezeichnung „Richter" für alle Berufsrichter vorschlägt. Damit wird die grundsätzliche Gleichwertigkeit der rechtsprechenden Tätigkeit auch in der Amtsbezeichnung der Richter noch deutlicher zum Ausdruck gebracht.
Außerdem werden nunmehr die Bezeichnungen der ehrenamtlichen Richter neu geregelt. Künftig soll es nicht mehr die Bezeichnungen: Schöffe, Geschworener, Handelsrichter sowie die vielen unterschiedlichen Bezeichnungen in den anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit, sondern nur noch die alleinige Bezeichnung „Ehrenamtlicher Richter" geben. Dies ist eine konsequente Fortführung des Gedankens, welcher der Vereinheitlichung der Amtsbezeichnung der Berufsrichter zugrunde liegt.
Die Bundesregierung hatte den Entwurf mit dem Ziel eingebracht, Autorität und Selbstverantwortung des Richters zu stärken, einen weiteren Schritt bei der Unterscheidung von Richtern und Beamten zu tun und insgesamt das Gerichtsverfassungsrecht und das Richterrecht zu vereinheitlichen und zu verbes-
9160 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Bundesminister Jahn
sern. Die Fassung, die der Entwurf durch die sehr sorgfältigen Beratungen im Rechtsausschuß und im Plenum dieses Hauses erhalten hat, verwirklicht dieses Ziel in einigen Punkten noch deutlicher und noch strenger. Dafür danke ich Ihnen, insbesondere den Herren Berichterstattern, dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Rechtsausschusses. Ich bitte das Hohe Haus, dem Entwurf nun auch in der dritten Lesung seine Zustimmung zu geben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615907400
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache zur dritten Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Einzelberatung. Auf Umdruck 257 *) liegen drei Änderungsanträge vor. Zunächst Ziffer 1:
In Art. I wird die Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Zur Begründung, bitte!

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0615907500
Herr Präsident, ich möchte die drei Anträge zusammen begründen; abstimmen kann man ja getrennt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615907600
Einverstanden.

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0615907700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind der Auffassung, daß die Regierungsvorlage nicht weiterentwickelt, sondern durch die Mehrheit im Rechtsausschuß zu einer Fehlentwicklung umgebogen
worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Bundesjustizminister meinte soeben, es sei eine Fortentwicklung. Dem vermag ich in keiner Weise zu folgen. Es ist nichts anderes als der Versuch, die eigene Vorlage hier noch in etwa zu rechtfertigen. Wir halten die Regierungsvorlage nicht für das Optimum. Aber wir sind der Meinung, daß die Regierungsvorlage immer noch wesentlich besser ist als das Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß, das die schwache Mehrheit dort beschlossen hat.
Wir beantragen deshalb unter Ziffer 1 als erstes, in Art. I die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Das bezieht sich auf die Titel der Richter.

(Abg. Vogel: So gut sind wir zur Regierung!)

Auch unter Ziffer 2 beantragen wir die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Hier handelt es sich um die Zusammensetzung der Präsidien. Diesen Antrag stellen wir mit um so größerer innerer Sicherheit, als uns der Herr Kollege Arndt heute Dinge gesagt hat, die, so meine ich, höchst bedenklich erscheinen. Die dritte Gewalt und der Richter sind nicht Partner der Regierung oder der gesetzgebenden Gewalt im Staat. Der Richter ist etwas gänzlich anderes und nicht Partner. Wenn das Wahlverfahren, das hier Gesetz werden soll, Wirklichkeit wird, dann bedeutet das mit Sicherheit eine Zunahme der Politisierung der Justiz überhaupt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) *) Siehe Anlage 5

In welcher Richtung, wissen wir alle heute noch nicht. Aber eine Politisierung wird es auf jeden Fall bringen,

(Abg. Vogel: Sehr richtig!)

und nach meiner Überzeugung eine gefährliche Politisierung, die nämlich das Vertrauen in den gesetzlich zuständigen Richter untergräbt. Wir sehen hier von der ganzen Begründung, die von seiten der Sozialdemokraten gegeben worden ist, eigentlich nur das Problem der inneren Ordnung des Gerichtes, als ob das völlig losgelöst von der Funktion der Gerichte betrachtet werden könnte, vor allen Dingen von dem, was die Rechtsprechung an Stabilität, an Zuverlässigkeit und an Gleichmäßigkeit einfach braucht, wenn sie im Volk Vertrauen haben soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir meinen deshalb, die Regierungsvorlage, die nicht hervorragend ist, sollte wiederhergestellt werden.
Nun zum dritten Punkt. Das Gesetz soll zum 1. Januar des vor uns stehenden Jahres, d. h. in zwei Wochen, in Kraft treten.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße]: Einfach absurd!)

Der Bundesrat kann dem Gesetz überhaupt nicht mehr zustimmen, so daß das Gesetzgebungsverfahren vor dem 31. Dezember dieses Jahres nicht abgeschlossen sein kann. Es wird aber in diesem Gesetz geregelt, wie die Präsidien zusammengesetzt sein sollen und wie sie zu entscheiden haben. Ich halte es für völlig unmöglich, eine solche Inkraftsetzung vorzunehmen. Denn die Präsidien beschäftigen sich nicht nur mit sich, sondern sie bestimmen nach au-Ben den gesetzlichen Richter für den Bürger. Wenn wir jetzt eine Regelung schaffen, die sämtliche Beschlüsse über die Verteilung der Geschäfte auf den konkreten Richter am einzelnen Gericht aufhebt, weil nämlich vom 1. Januar an ein anderes Recht gilt als im Augenblick, die Geschäftsverteilung aber bis zum 31. Dezember vorgenommen sein muß — und sie für das kommende Jahr vorgenommen ist —, dann werden wir hier eine Unsicherheit in die gesamte Rechtsprechung hineintragen, nicht nur bei den Strafsachen, auch bei den Zivilsachen, bei allen Sachen der Amtsgerichte. Ich halte das für unerträglich, weil kein Mensch mehr weiß, ob der Richter, der dann am 1. Januar zu entscheiden hat, der gesetzliche Richter ist.
Deswegen bitte ich Sie sehr dringend, wenn Sie schon unserem Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage in den unter Ziffer 1 und Ziffer 2 unseres Antrages genannten Punkten nicht folgen können, wenigstens die Inkraftsetzung so zu regeln, daß unsere Bevölkerung und alle Rechtsuchenden für das Jahr 1972 wissen, wer gesetzlicher Richter ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615907800
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615907900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9161
Dr. Arndt (Hamburg)

) möchte nicht die Begründungen, die wir schon in der zweiten Lesung für die Ablehnung der im Inhalt gleichen Anträge der Opposition gegeben haben, wiederholen. Namens der beiden Koalitionsfraktionen beantrage ich, den Antrag Umdruck 257 in allen drei Punkten abzulehnen.

(Abg. von Thadden: Das ist aber nicht einfallsreich! Im Ausschuß haben Sie mehr Phantasie! — Abg. Vogel: Die Koalition steht gegen die Regierung!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615908000
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann stimmen wir ab. Ich lasse über die drei Ziffern des Antrags getrennt abstimmen.
Ziffer 1:
In Artikel I wird die Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Für die Regierung! — Wo bleibt der Bundesjustizminister?)

Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ab-
gelehnt.

(Abg. von Thadden: Regierung in der Minderheit!)

Ziffer 2:
In Artikel II Nr. 4 § 21 a wird die Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? Mit Mehrheit abgelehnt.
Ziffer 3:
In Artikel XIII § 5 Abs. 1 wird das Datum geändert in „1. Januar 1973".
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Mit genügender Mehrheit abgelehnt!
Zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Lenz das Wort.

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0615908100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem unsere Änderungsanträge abgelehnt worden sind und nachdem auch die Wiederherstellung der Regierungsvorlage soeben mit den Stimmen der Regierungsfraktionen abgelehnt worden ist, darf ich namens der Fraktion der CDU/CSU die nachfolgende Erklärung abgeben.
Erstens. Wir bedauern es, daß nicht die Verbesserung der Rechtspflege, sondern ,die Amtsbezeichnungen und die Präsidialverfassung am Beginn der Justizreform gestanden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Wir halten diesen Weg im Ansatz für falsch.

Zweitens. Wir bedauern, daß im vorliegenden Gesetz weder die Auffassung der beteiligten Kreise
noch das Ergebnis der öffentlichen Anhörung noch die Auffassung der parlamentarischen Opposition, ja nicht einmal die Vorschläge der eigenen Regierung hinreichend zum Tragen gekommen sind.

(Abg. Stücklen: Eine saubere Koalition!)

Ich möchte hier insbesondere hinzufügen, daß dieses Gesetz auch nicht etwa einem ausdrücklichen oder implizierten Auftrag des Grundgesetzes entspricht.

(Abg. Vogel: Sehr richtig!)

Was dazu gesagt worden ist, ist reine Erfindung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unter den gegebenen Umständen ist dieses Gesetz ein Akt gesetzgeberischer Willkür einer kleinen Mehrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Drittens. Wir stellen fest, daß in diesem Gesetz Egalisierung betrieben wird ohne Rücksicht auf die Funktionen der Gerichte und der Richter. Wir stellen fest, daß die Richter nach wie vor unterschiedliche Funktionen haben, daß die Gerichte unterschiedliche Funktionen haben und daß hier nur ein einheitlicher Titel auf verschiedene Sachverhalte geklebt wird. Wir stellen auch fest, daß in diesem Gesetz eine angemessene Vertretung der vorsitzenden Richter in den Präsidien nicht gewährleistet ist. Das ganze Gesetz ist nach unserer Auffassung der Ausdruck eines Denkens, das sich weder an dem modernen Gedanken der Funktionsgerechtigkeit orientiert, an dem sich unsere Anträge orientiert haben, noch an den historisch gewachsenen Tatsachen und daher im wahren Sinne des Wortes geschichtslos ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier wird versucht, in einem bestimmten Fall alles über einen Leisten zu schlagen ohne Rücksicht auf den Inhalt. Ich könnte auch sagen, um ein Beispiel aus der antiken Mythologie zu gebrauchen, wie das heute schon getan worden ist: Hier wird Großes und Kleines in das Bett des Prokrustes gezwängt, und was nicht hineinpaßt, wird langgezogen oder abgeschlagen.
Wir stellen viertens fest, daß die Koalitionsparteien dem Herrn Bundesminister der Justiz aus der Leine gelaufen sind. Der Weg der Justizreform ist noch unbestimmter als jene „drei Stufen ins Ungewisse", die ein bekannter Fachjournalist schon vor einem Jahr festzustellen glaubte. Wir halten dieses Gesetz für einen Schritt auf einem falschen Wege, dem wir nicht zu folgen bereit sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615908200
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Memmel.

Linus Memmel (CSU):
Rede ID: ID0615908300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe der dritten Beratung nicht nach § 85 der Geschäftsordnung widersprochen, weil mir gesagt worden ist, daß da interfraktionelle Vereinbarungen vorliegen, obwohl es mein
9162 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Memmel
gutes Recht gewesen wäre. Ich will auch nicht der Verwaltung zusätzliche Arbeit machen, indem ich mich auf § 88 der Geschäftsordnung berufe, nämlich darauf, daß das, was in der zweiten Beratung geändert worden ist, gedruckt vor mir liegen muß, bevor ich darüber abstimme. Aber ich bitte mir gütigst zu gestatten, daß ich als einer, der lange Zeit Vorsitzender eines Schöffengerichts war, eine Erklärung zur Abstimmung abgebe. Es sind in diesem Hause, wenn ich mich umgucke, nur ganz wenige, die einmal Richter oder Richter an einem Schöffengericht waren.
Ich hätte über die Abschaffung des Wortes „Geschworener" mit mir reden lassen; denn die Geschworenen, die wir jetzt haben, sind keine Geschworenen im alten Sinne mehr, wie etwa nach der Lex Emminger und wie noch nach dem Krieg in Bayern am Geschworenengericht — mit 12 Geschworenen, die in jedem Einzelfall von Staatsanwait und Verteidigern abgelehnt werden konnten—, und es sind auch nicht mehr die Geschworenen, die allein über die Schuldfrage entscheiden. Unsere Geschworenen, die wir jetzt haben, sind Schöffen. Wenn wir darüber hätten befinden wollen, dann hätte ich mit mir reden lassen.
Aber nun will man auch noch das Wort „Schöffe" abschaffen und dafür die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter" setzen. Auf das gute alte deutsche Wort „Schöffe" — das ist der Mann, der „Recht schöpft" — waren die Leute übrigens sehr stolz. Ich weiß nicht, ob man sie gefragt hat, ob die das überhaupt wollen, ob die Schöffen damit einverstanden sind. Das hätte man, wenn man ganz demokratisch vorgeht, eigentlich auch tun sollen; man hätte nicht nur den Richterbund fragen sollen. Aber daß man das Wort abschafft, das geht mir nicht in den Kopf.
Mir scheint überhaupt, Herr Bundesjustizminister, daß diese Reform eine der Reformen ist, ,die kein Geld kosten solche machen Sie ja besonders gern —, und daß es eine Reform ist, die meiner Ansicht nach weder brandeilig noch notwendig war, sondern die, wie ausgeführt worden ist, wirklich ganz an den Schluß gehört hätte.
Ich begründe damit meine ablehnende Haltung zu diesem „Reform"-Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615908400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0615908500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Deutschen Bundestag darf ich Ihnen folgende kurze Erklärung abgeben.
Meine Damen und Herren, wir können in diesem Hause unterschiedlicher Meinung über alle Dinge sein. Wir verlassen aber die Basis der Gemeinsamkeit der Demokraten, wenn die Minderheit in diesem Hause nicht bereit ist, hinzunehmen, daß die Mehrheit berufen ist, die Gesetze zu verabschieden. Wenn die Beschlüsse der Mehrheit des Hauses von
dieser Stelle aus als ein Akt der Willkür einer kleinen Minderheit bezeichnet werden, dann wird die gemeinsame Basis der Demokraten in diesem Hause verlassen. Dagegen müssen wir Demokraten uns wehren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615908600
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0615908700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich schließe mich diesem Protest für die Freien Demokraten an. Es geht wirklich nicht an, daß hier von Willkür gesprochen wird. Wir sind schon des öfteren anderer Meinung gewesen, aber es ist niemand auf die Idee gekommen, derartige Worte in den Mund zu nehmen.
Das vorliegende Gesetz bietet für die sich jetzt hier immer weiter steigernden Anwürfe wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt. Man kann sagen: Hier ist in einigen Punkten etwas puristisch vorgegangen worden. Das kann man alles sagen. Aber alle anderen Vorwürfe sind doch völlig überzogen aufgebauscht. Auch ich hänge an dem Wort „Schöffe". Ich hänge z. B. aus einer Fülle von Gründen besonders an dem Begriff des ,,Handelsrichters"; dort ist sehr viel für unsere Rechtsprechung getan worden.
Aber es wird mir doch keiner allen Ernstes einreden wollen, daß die Tatsache, daß man nun alle diejenigen gleich ehrenvoll und ehrenhaft mit „Richter" und „ehrenamtlicher Richter" anredet, die vorher unterschiedliche Bezeichnungen gehabt haben, dazu führen wird, daß sich die Betreffenden in Zukunft anders oder schlechter fühlen oder gar schlechter richten, als sie es bisher getan haben. Die Beibehaltung der alten Bezeichnungen dagegen könnte nach der jetzt angefangenen Änderung bei dem einen oder anderen tatsächlich auch den Gedanken an eine Diskriminierung hervorrufen. Das ist verhindert worden. So etwas kann man abwägen. Wir haben es abgewogen und nicht im Traum daran gedacht, hier gesetzgeberische Willkür zu üben.
Wir hoffen — und ich glaube sogar daran —, daß wir von dem Bock, auf den wir uns hier jetzt gegenseitig aufgebockt haben, im Interesse unserer weiteren sachlichen Arbeit möglichst bald wieder herunterkommen. Dieses Gesetz gefährdet diese sachliche Arbeit nicht nur nicht, sondern es ist ganz im Gegenteil eine durchaus gute Sache, einer von mehreren Bausteinen zu den Justizreformen insgesamt. Wann man die einzelnen Bausteine herzustellen, bereitzustellen in der Lage ist, das ist wirklich keine weltanschauliche Frage, sondern eine Frage des praktischen Ganges der Gesetzgebung. Wir haben uns heute einen solchen Stein zu diesem Gebäude der Reformen verschafft. Darüber jetzt in der Form wie vorhin zu streiten ist der Sache einfach nicht angemessen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9163

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615908800
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0615908900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf einiges zu dem Protest, der hier vorgebracht worden ist, und zu dem, was Kollege Lenz ausgeführt hat, sagen. Ich möchte das, was Kollege Lenz gesagt hat, nachdrücklich unterstreichen.

(Zuruf von der SPD: Auch das Wort „Willkür" ? Weitere Zurufe von der SPD.)

Das, was hier geschieht, meine Damen und Herren,
ist willkürlicher Gebrauch einer knappen Mehrheit.

(Unruhe bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Pfui! — Unverschämtheit!)

Wir werden Ihre Mehrheitsentscheidungen hier hinzunehmen haben.

(Anhaltende Unruhe bei den Regierungsparteien.)

Das, was ich bedaure, meine Damen und Herren, ist, daß man selbst über solche Fragen, wie sie hier heute behandelt worden sind,

(Abg. Rösing: Fraktionszwang! — Zuruf von der CDU/CSU: Eine Tragödie!)

nicht einmal mehr ein vernünftiges Gespräch miteinander führen kann! Das ist die Sache, urn die es geht, und das ist das, was wir in der Entwicklung in dieser Legislaturperiode zu bedauern haben.
Uns hatte ein Regierungsentwurf vorgelegen. Dieser Regierungsentwurf war einer, an dem wir manches auszusetzen hatten, aber ein Entwurf, bei dem wir uns hätten treffen können, weil wir der Auffassung sind, daß dort der Reformeifer noch durch Vernunft gebremst war. Das, was jetzt geschehen ist, ist etwas, was dem Justizminister aus der Kontrolle geraten ist. Ich sage es hier sehr deutlich, deutlicher, als der Kollege Lenz es gesagt hat:

(Beifall hei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Hat der Minister das Parlament zu kontrollieren?)

Das ist etwas, wo nicht mehr das Gespräch miteinander möglich war, sondern wo Sie Ihre Auffassungen von Reformvorstellungen, die Sie uns hier in allen möglichen Bereichen unterbreiten, ohne Rücksicht auf Verluste durchbringen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

Und ich kann nur bedauern, Herr Kollege Kleinert, daß Sie und Ihre Fraktion die Hand dazu gereicht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615909000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615909100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumentation der Kollegen von der Opposition ist schon insofern völlig unglaubwürdig, als man sie an den eigenen Entscheidungen der CDU/CSU in der Vergangenheit messen muß.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD.)

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, CSU-Fraktion, haben, als es darum ging, die Kindergeldregelung einzuführen, in einer entscheidenden Frage nicht nur im Parlament mit einer Stimme Mehrheit eine Entscheidung getroffen die wir als Demokraten in einer demokratischen Abstimmung hingenommen haben, obwohl sie uns politisch nicht gefallen hat —, sondern haben dazu auch noch an dieser Stelle durch Ihren Sprecher erklären lassen, daß Sie sich auch durch den besseren Sachverstand der anderen Seite, den Sie sogar bescheinigt haben, nicht von Ihrer politischen Meinung abbringen lassen würden.
Ich meine, daß der, der das in den vergangenen Jahren in diesem Hause praktiziert hat, heute überhaupt kein Recht hat, sich in dieser Frage so zu engagieren. Demokratische Mehrheitsentscheidungen muß man hinnehmen, auch wenn sie gegen die politische Konzeption der eigenen Fraktion gefallen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. von Thadden: Wir nehmen sie ja hin!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615909200
Meine Damen und Herren! Die Abstimmung, die hier durchgeführt worden ist, ist auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung unseres Hauses vorgenommen worden. Sie ist daher richtig erfolgt. Von Willkür zu sprechen, wenn richtig verfahren worden ist, halte ich für unzulässig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir kommen zur Abstimmung. Die Vorlage, wie sie in der zweiten Beratung geschaffen worden ist, ist nicht verändert worden. Wir können daher sofort zur Schlußabstimmung schreiten. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen.
Abschließend stelle ich von Teil B — Antrag des Ausschuses auf Drucksache VI/2903 die Nr. 2 zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.

(V o r sitz : Vizepräsident Frau Funcke.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615909300
Meine Damen und Herren, wir kommen zur
Fragestunde
Drucksache VI/2938 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bayerl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; das ist auch vom Fragesteller so beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
9164 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Vizepräsident Frau Funcke

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0615909400

Hält es die Bundesregierung nicht für zweckmäßig, die bereinigte Sammlung des Bundesrechts in Loseblattform entsprechend der in der Schweiz geübten Praxis fortzuführen, um dadurch wesentliche Erleichterungen in der Rechtsanwendung für alle Beteiligten zu ermöglichen?
Bitte schön!

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615909500
Herr Kollege Wittmann, auch nach neuerlicher Prüfung sprechen überwiegende Gründe für die Beibehaltung des Systems der Losebandsammlung. Diese wird durch den Fundstellennachweis auf dem neuesten Stand gehalten und gewährleistet vor allem eine leichte Handhabung. Das Einordnen der Umtauschblätter bei einer Loseblattsammlung ist bekanntlich gerade bei einer so großen Sammlung mit einem außerordentlichen Arbeitsaufwand für die Benutzer verbunden. In der Schweiz, auf die Sie, sehr geehrter Herr Kollege, in diesem Zusammenhang hinweisen, dürften die Voraussetzungen in mancher Beziehung anders liegen. Private Gesetzessammlungen nach Art des Schönfelder oder Sartorius sind dort unbekannt. Vor allem aus diesem Grunde dürfte in der Schweiz ein Bedürfnis für eine amtliche Loseblattsammlung bejaht worden sein. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß im Zuge der Datenverarbeitung und der Speicherung des gesamten Rechtsbestandes sich möglicherweise eine andere Publikationsform anbieten wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615909600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0615909700
Herr Staatssekretär, haben Sie in der Vergangenheit nicht auch festgestellt, daß die privaten Loseblattsammlungen, die von Gesetzen manchmal Überschriften enthalten, die nicht dem publizierten Text der Gesetze und Verordnungen entsprechen, und daß dadurch unter Umständen Irrtümer entstehen können, daß ferner Anmerkungen zu einzelnen Gesetzesbestimmungen gemacht werden, die nicht der Originalausgabe im Bundesgesetzblatt entsprechen, wodurch der Rechtsuchende unter Umständen irregeführt werden kann?

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615909800
Da haben Sie schon sehr recht, Herr Kollege. Ich meine aber, wenn wir das Bundesrecht in einer Loseblattsammlung herausgäben, würde ein Austausch von 2000 bis 3000 Blättern im Jahr erforderlich. Ich hätte angesichts der Unübersichtlichkeit und der Unkorrektheiten, die da und dort passieren, noch mehr Sorge.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615909900
Eine zweite Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege!

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0615910000
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht auch, daß es für den Rechtsuchenden — man kann sich sicherlich eine von Amts wegen herausgegebene Loseblattsammlung auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt bestellen — im allgemeinen billiger wäre, da eine solche Sammlung billiger herzustellen wäre, als es bei Verlagen der Fall ist, die vor allem mit Ergänzungslieferungen ein nicht unerhebliches Geschäft machen, zumal wenn Gesetze laufend in kurzer Folge geändert werden, wie es gerade in den letzten beiden Jahren der Fall gewesen ist?

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615910100
Herr Kollege, das ist für mich keine Frage des Glaubens. Wir haben den Sachverhalt sehr genau überprüft und festgestellt, daß es unzweckmäßig und unrentabel ist, die Bundesgesetzgebung in einer Loseblattsammlung herauszugeben. Ich hoffe mit Ihnen, daß wir im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Datenspeicherung eines Tages zu einem praktikableren Verfahren als dem Loseblattsystem kommen werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615910200
Keine Zusatzfrage. Damit ist der Geschäftsbereich beendet. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner zur Verfügung.
Frage 3 soll auf Bitten des Fragestellers Schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Picard auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Frage 5. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Krall auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß es sich mit einem fortschrittlichen Demokratieverständnis in unserem Land vereinbaren läßt, wenn sich leitende Beamte der Bundesbahnhauptverwaltung in IC-Zügen für sich allein ganze Abteile reservieren lassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615910300
Herr Kollege, wie mir die Deutsche Bundesbahn mitgeteilt hat, ist ihr kein Fall bekannt, daß einzeln reisende leitende Beamte ihrer Hauptverwaltung für sich allein ein ganzes Abteil reservieren ließen. Es ist jedoch sowohl für mehrere gemeinsam aus dienstlichem Anlaß reisende Beamte der Deutschen Bundesbahn als auch für leitende Herren aus der Industrie, der Wirtschaft usw. nicht ungewöhnlich, gemeinsam Plätze in einem Abteil auf dem üblichen Wege reservieren zu lassen, um während der Reise dienstliche oder geschäftliche Vorbesprechungen führen zu können. Dieser Wunsch, die Reisezeiten bei Bedarf so ausnutzen zu können, wird von der Deutschen Bundesbahn im übrigen auch noch dadurch unterstützt, daß in einer
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9165
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Reihe von Zügen ein Schreibabteil und Fernsprechmöglichkeiten angeboten werden.
Die Deutsche Bundesbahn reserviert für Dienstreisen ihrer leitenden Beamten normalerweise nur dann ein Abteil, wenn mindestens vier Herren zusammen reisen. Auch in diesem Fall stehen die freien Plätze bei Bedarf selbstverständlich dem allgemeinen Verkehr zur Verfügung.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615910400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Krall.

Lothar Krall (FDP):
Rede ID: ID0615910500
Herr Staatssekretär, durch mein Begleitschreiben ist Ihnen doch bekannt, daß es sich um einen Fall gehandelt hat, wo ein leitender Beamter ein Abteil für sich allein in Anspruch genommen hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer Antwort auf meine Frage eingingen und nicht auf Erkenntnisse, die Sie über schriftliche oder mündliche Befragung der Bundesbahn bekommen haben.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615910600
Herr Kollege, in der Kürze der Zeit war es nur möglich, diese Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, mit der Bundesbahn abzuklären. Ich bin gern bereit, die Angaben, die Sie in Ihrem Begleitschreiben gemacht haben, noch näher nachzuprüfen. Ich bitte nur um Verständnis dafür, daß es sich hier vielleicht um ein Mißverständnis handeln kann. Ich bin gerne bereit, Ihnen weiter schriftlich darüber Auskunft zu geben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615910700
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye auf:
Wann ist mit der Fertigstellung eines großräumigen Fernverkehrsumgehungsnetzes für die Stadt Bonn zu rechnen, insbesondere der Teilstücke der linksrheinischen Autobahn zwischen Bliesheim und dem Frechener Kreuz, zwischen Gelsdorf und dem Ahrtal mit vierspuriger Anbindung an die B 9, zwischen dem Ahrtal und Koblenz mit Anbindung an die Autobahn Koblenz—Trier, ferner des Herseler Kreuzes mit vierspuriger Anbindung an die EB 56 und die EB 257 als Nord-West-Umgehung und des rechtsrheinischen Fernverkehrsnetzes mit den notwendigen Ost-West-Querspangen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615910800
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen mit Zustimmung des Fragestellers gemeinsam beantworten könnte.

(Abg. Freiherr Ostman von der Leye: Ich bin gerne bereit!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615910900
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, geeignete Baumaßnahmen in diesem Bereids bis zur vollen Funktionstähigkeit zu beschleunigen, damit das dichtbebaute Siedlungsgebiet in der klimatisch schlecht durchlüfteten Rheintallage der Stadt Bonn vom Fernverkehr schneller entlastet werden kann?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615911000
Für den weiträumigen Nord-SüdVerkehr im Großraum Bonn steht in absehbarer Zeit die linksrheinische Bundesautobahn A 14 zur Verfügung. Die Teilstrecke von Frechen bis zur Gabel Blessem ist Ende 1972 verkehrsbereit, die Anschlußstrecke bis Miel (B 56 alt) ist bereits fertiggestellt. Der Abschnitt Miel—Karweiler einschließlich der zweibahnigen Verbindungsspanne Karweiler—Bad Neuenahr mit Anschluß an die B 266 wird 1973 verkehrsbereit sein. Für die Verlegung der B 266 von Bad Neuenahr bis Sinzig (B 9) kann ein Fertigstellungstermin noch nicht angegeben werden. Die Fertigstellung der linksrheinischen Autobahn zwischen Karweiler und dem Anschluß an die BAB Koblenz–Trier ist 1975 vorgesehen. Der vierspurige Ausbau der B 9 Sinzig–Koblenz ist teilweise fertiggestellt bzw. im Bau. Über den Fertigstellungstermin der Gesamtstrecke kann noch nichts gesagt werden.
Für den engeren Stadtbereich Bonn steht zur Umleitung des Durchgangsverkehrs die BAB A 72 Köln–Bonn und die bis zum Südausgang des Kottenforstes fertiggestellte B 257 neu zur Verfügung. Die Weiterführung bis zur linksrheinischen Autobahn bei Gelsdorf soll bis zum Ende des ersten Fünfjahresplans abgeschlossen sein.
Zur Umfahrung der bestehenden Teilortsumgehung Bonn plant das Land Nordrhein-Westfalen eine vierspurige Verbindung zwischen Hersel (B 9) und Witterschlick (B 56 neu), die nach Auskunft des Landes erst nach 1980 verwirklicht werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die B 56 neu zwischen Witterschlick und der B 257 neu bei Röttgen fertiggestellt sein.
Zur Bedienung des Fernverkehrs steht auf der rechten Rheinseite die BAB A 15 Köln–Frankfurt zur Verfügung, die durchgehend sechs Fahrspuren haben wird. Als zweite Nord-Süd-Verbindung ist die Rheintalstraße B 8 neu/B 42 neu geplant. Die zwischen Köln-Deutz und Beuel noch bestehende Lücke Porz/Lind–Bahnhof Menden wird 1972 geschlossen. Südlich Beuel wird die Südspanne Bonn (Konrad-Adenauer-Brücke) 1975 erreicht. Der Abschnitt bis Königswinter wird günstigstenfalls Mitte des zweiten Fünfjahresplanes verfügbar. Zwischen Honnef und Sinzig wird die B 42 im Endzustand vierspurig ausgebaut.
Als Ost-West-Querspangen zwischen den genannten Nord-Süd-Fernstraßen stehen zur Verfügung die Südumgehung Köln (A 15), die Nordspanne Bonn und die Rheinbrücke Koblenz im Zuge der A 74. Im Bau befindet sich die Südspanne Bonn, die zwischen der B 42 und der B 9 (alt) Ende 1972 verkehrsbereit sein wird. Die Weiterführung der Südspange rechtsrheinisch bis zur B 42 neu erfolgt bis 1975. Die östliche Fortsetzung der Südspange über die B 42 neu hinaus bis zum Anschluß an die BAB A 15 (Köln–Frankfurt) wird erst Ende der 70er Jahre gebaut. Die Schließung der Lücke zwischen der A 14 und der Südbrücke Bonn wird nicht vor 1980 erfolgen können. Ferner ist der Bau einer neuen Rheinbrücke im Raum Sinzig-Remagen als Verlängerung
9166 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
der B 266 aus dem Ahrtal bis zum Anschluß an die BAB A 15 Köln–Frankfurt/Main geplant. Die Maßnahme ist im Bedarfsplan in der zweiten Dringlichkeit eingestuft.
Die Dispositionen zur Fertigstellung des großräumigen Fernverkehrsnetzes sind im Hinbilck auf eine frühzeitige Entlastung des Bonner Raumes getroffen worden. Eine weitere Beschleunigung der anstehenden Baumaßnahmen erscheint aus heutiger Sicht nicht erreichbar.
Frau Präsidentin, ich bedaure sehr, daß die Antwort den Rahmen der Richtlinien für die Fragestunde etwas sprengt. Aber das kommt auch von der Kompliziertheit der Fragestellung und der damit verbundenen Sachprobleme.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615911100
Sie kommen damit meiner Bemerkung zuvor; ich kann das nur feststellen. Das betrifft sowohl den Anfrager wie den Beantworter. Wir wollen versuchen, ein bißchen kürzer zu sein.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615911200
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst einmal sehr herzlich für die ausführliche Beantwortung. Darf ich Sie aber fragen, ob Sie mir noch mitteilen können — nachdem Sie es heute nicht sagen können , wann denn nun in dem Gebiet von Rheinland-Pfalz mit der Anbindung der B 9 von Sinzig bis zum Ahrtal zu rechnen ist.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615911300
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, daß ich da erst noch Rückfragen bei der Auftragsverwaltung halten muß. Alle die Dinge, die ich hier genannt habe, hängen von bestimmten Planungen ab, die ihrerseits nur vollendet werden können, wenn auch der Grunderwerb und die Auseinandersetzung mit den Eigentümern zügig vorangehen. Die B 42, die hier genannt worden ist, ist ein klassisches Beispiel dafür, wie sehr Interessengemeinschaften vernünftigen Fernstraßenbau verzögern können.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615911400
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Staatssekretär! Nachdem Sie festgestellt haben, daß für das Herseler Kreuz und die Umgehung bis Witterschlick das Land Nordrhein-Westfalen zuständig ist, möchte ich fragen: wäre es Ihnen möglich, durch Besprechungen eventuell noch zu erreichen, daß dieser Abschnitt frühzeitiger fertiggestellt oder angefangen wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615911500
Herr Kollege, die Zuständigkeit der Länder ist generell beim Bundesfernstraßenbau im Rahmen der Auftragsverwaltung, die das Grundgesetz vorsieht, gegeben. Hier handelt es sich, soweit mir bekannt ist, auch um Probleme, die nicht an der Planungskapazität der Verwaltung, sondern in der Auseinandersetzung beim Grunderwerb und bei der Planfeststellung liegen. ich bitte um Verständnis dafür, daß auch ein Brief des Bundesverkehrsministers diese Dinge nicht grundlegend ändern kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615911600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0615911700
Herr Staatssekretär, wenn es offenbar der Kern dieser komplizierten Frage ist: wann wird es zu einer fühlbaren Entlastung des Durchgangsverkehrs in der Stadt Bonn, insbesondere auch in Bad Godesberg, vor allem von den Fernlastern kommen? Wie wäre dann Ihre knappe und präzise Antwort darauf?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615911800
Herr Kollege, das wird schon im nächsten und übernächsten Jahr teilweise der Fall sein durch die Inbetriebnahme von Teilstrecken, die ich in der langen, ersten Antwort genannt habe. Das läßt sich durch eine Auffächerung des Fernverkehrs, insbesondere in der B 9, erreichen. Es gibt aber auch widersprechende Gutachterurteile, die bezweifeln, daß die Fernlaster sofort diese Teilstrecken annehmen werden. Ich möchte aber heute die Fragestunde nicht damit verlängern, diese zu zitieren. Aber die Südbrücke — hier in allernächster Nähe des Bundeshauses — wird ja auch 1972 fertig. Von daher gibt es auch schon in bestimmten Bereichen des Bonner Raums eine gewisse Entlastung.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615911900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615912000
Herr Staatssekretär, würden Sie in Ihrem Hause auch darauf hinwirken, daß in Verbindung mit dem Bau dieser Straßen auch der Bau der Rheinbrücke im Raum Sinzig/ Remagen nicht nur mit eingeplant, sondern wegen der Dringlichkeit im Zeitplan vorgezogen wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615912100
Herr Kollege, wie Sie sicher wissen, gibt es im Fernstraßenbau bestimmte Dringlichkeitsreihenfolgen. Ich habe vorher gesagt, daß ja der erste Fünfjahresplan, der Ausbauplan, beschlossen ist; der ist Gesetz. Die erste Korrektur durch das Hohe Haus kann nach dem verabschiedeten Gesetz 1975 nun erfolgen. Dann kann man Maßnahmen der zweiten Dringlichkeit mit in die Haushaltsplanung aufnehmen. Daß es vorher im Vergleich zu anderen Maßnahmen notwendig wäre, diese Brücke zu bauen, wurde nicht nur von uns, sondern auch von den betroffenen Landesregierungen bestritten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615912200
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 9 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9167
Vizepräsident Frau Funcke
Ist die Bundesregierung bereit, dafür einzutreten, daß in den Speisewagen der Intercity-, Fern- und Schnellzüge Tages- bzw. Wochenzeitungen für die Fahrgäste ausgelegt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615912300
Herr Kollege, die Ausgestaltung der Dienste in den Reisezügen liegt in der Hand der Deutschen Bundesbahn. Sie hat mir auf Anfrage mitgeteilt: vor kurzem wurde eine Marktstudie mit dem Thema „Verbesserung der Annehmlichkeiten des Reisens" in Auftrag gegeben, und darin wird auch die Frage behandelt werden, ob künftig in den Fernzügen der Deutschen Bundesbahn Reiselektüre ausgelegt werden soll. Von dem Ergebnis der Marktforschung hängt es ab, welche Entscheidung die Bundesbahn trifft.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615912400
Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615912500
Herr Staatssekretär, bei der immerhin erfreulichen Nachricht darf ich fragen: wäre es nicht auch zweckmäßig — das sollte von Ihrem Hause aus mit angeregt werden —, daß in den Speisewagen der Fernzüge sich ein Rundfunkgerät befände, damit die Reisenden wenigstens die Nachrichten hören könnten?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615912600
Herr Kollege, das ist eine sehr zweischneidige Anregung; denn es gibt eine Menge Reisende, die sich durch Musik, Nachrichten oder andere Rundfunksendungen gestört fühlen könnten. Ich möchte das doch der Unternehmensplanung überlassen, ob man wie in bestimmten Fernzügen schon üblich — so etwas teilweise zuläßt. In anderen Ländern gibt es vergleichbare Dinge. Ich halte es aber für nicht nötig oder nicht erstrebenswert, eine Musikberieselung für die Reisenden anzuregen.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615912700
Eine zweite Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615912800
Herr Staatssekretär, ich habe nicht von Musikberieselung, sondern lediglich von Nachrichten gesprochen. Habe ich Sie aber recht verstanden, daß Sie meine Meinung teilen, in der heutigen Zeit der schnellen und ausführlichen Informationsmöglichkeiten sollten in den Speisewagen der Fernzüge künftig Tageszeitungen ausliegen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615912900
Herr Kollege, ich habe gesagt, die Bundesbahn erwäge das. Vorbild dieses Service sind vielleicht die Fluggesellschaften, die das an Bord ihrer Maschinen praktizieren. Ob man das schematisch auch auf die Bahn übertragen kann und welche Kostenfolgen das z. B. für die Bahn bzw. für die
Reisenden hätte — so etwas muß ja im Fahrpreis
weitergegeben werden —, möchte ich dahingestellt
sein lassen. Ich sehe keinen Anlaß, daß der Verkehrsminister als Aufsichtsbehörde der Bundesbahn hier eingreifen müßte.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615913000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615913100
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Gäste des Speisewagens dort essen und nicht lesen sollten? Sie würden sonst über Gebühr den Platz in Anspruch nehmen, den andere Reisende einnehmen wollen.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615913200
Das ist zweifellos ein berechtigter Einwand, Herr Kollege, weil die Kapazität des Speisewagens im Verhältnis zur Gesamtkapazität eines Zuges immer nur begrenzt ist. Aber ich habe ja angedeutet, daß hier durchaus noch für das Unternehmen eine Menge Möglichkeiten bestehen, den Service schöpferisch weiterzuentwickeln, ohne in die Konflikte zu kommen, die Sie soeben genannt haben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615913300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.

Dr. Manfred Achim Geßner (SPD):
Rede ID: ID0615913400
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß es sehr ungesund sein soll, beim Essen zu lesen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615913500
Herr Kollege, es kommt auf die Nachrichten an, die man liest.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Geßner: Dem würde ich auch zustimmen!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615913600
Keine weitere Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Ollesch auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die OrtsendeSchilder, die nach Inkrafttreten der neuen StVO anstelle der Hinweisschilder auf die nächste Ortschaft angebracht werden sollen, der Information der Autofahrer eher hinderlich als dienlich sind?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615913700
Herr Kollege, die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Die Ortsausgangstafel, die mit der neuen Straßenverkehrsordnung eingeführt wurde, beruht auf internationalen Vereinbarungen. In Anbetracht des bei uns außerordentlich starken internationalen Kraftfahrzeugverkehrs sind nicht nur einheitliche Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr, sondern auch einheitliche Verkehrszeichen in Europa so wichtig, daß der zugegeben geringere Informationswert der neuen Ortsausgangstafel hingenommen werden muß. Darin ist sich die Bundesregierung mit den Bundesländern einig. Auch alle Interessenverbände einschließlich der Automobilclubs haben bei den Beratungen der neuen Straßenverkehrsordnung insoweit Bedenken nicht
9168 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
geltend gemacht. Wo notwendig, muß durch Wegweiser auf die nächste Ortschaft hingewiesen werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615913800
Eine Zusatzfrage!

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615913900
Herr Staatssekretär, könnte die Stellungnahme der Bundesregierung, die meine Bedenken nicht teilt, dadurch herbeigeführt worden sein, daß die Mitglieder der Bundesregierung nicht selbst Wagen steuern, sondern gefahren werden und von daher nicht in die Schwierigkeiten kommen, in die der Kraftfahrer demnächst kommen wird, wenn er nicht mehr feststellen kann, in welchen Ort er auf der Straße, auf der er sich befindet, kommt.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615914000
Nein, Herr Kollege, ich glaube nicht, daß Sie diesen Vorwurf in diesem Zusammenhang erheben können; denn ich habe ja darauf hingewiesen, daß es eine sehr lange Diskussion mit den Sachverständigen auch der Bundesländer gegeben hat und daß die Automobilverbände ebenfalls eingeschaltet waren. Sie wissen ja genauso wie wir alle, daß dieses „Ortsende-Schild" — wenn ich es einmal so formulieren darf — für den Kraftfahrer eine gewisse rechtliche Bedeutung dahin gehend hat, daß er nun weiß, daß er die geschlossene Ortschaft verläßt und andere Regeln im Straßenverkehr als innerhalb der Ortschaft nun von ihm beachtet werden müssen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615914100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615914200
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß zwar eine Internationalisierung der Regeln anzustreben ist, daß aber durch eine neue Straßenverkehrsordnung dem Kraftfahrer die Orientierung erleichtert und nicht erschwert werden sollte?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615914300
Natürlich, Herr Kollege. Deshalb habe ich ja auch angedeutet, daß überall dort, wo es notwendig ist, in Form eines Wegweisers selbstverständlich ein Hinweis auf die nächste Ortschaft mit entsprechender Kilometerangabe erfolgen kann. Die rechtliche Bedeutung dieses Ortsende-Schildes wird dadurch aber nicht gegenstandslos.
Dem vorhin in meiner ersten Antwort angeführten Argument möchte ich noch folgendes hinzufügen. Wir haben es, wie Sie wissen, im Jahre mit 88,8 Millionen Lkws und Pkws im grenzüberschreitenden Verkehr zu tun. Wir sind ein europäische Durchgangsland. Man hat ja nicht deshalb zehn Jahre lang über diese Frage diskutiert, weil wir uns so langsam bewegt hätten. Wir haben vielmehr bewußt eine internationale Regelung angesteuert, die es unseren Bürgern im Ausland leichter macht, sich in die dortigen Verkehrsvorschriften einzufinden, und die
es umgekehrt den durchreisenden Ausländern leichter macht, mit den deutschen Vorschriften zurechtzukommen. Das war der Hintergrund dieses Weltkongresses in Wien. Ich muß offen sagen, daß wir über das Maß an Gemeinsamkeit sehr froh sind, das dort erreicht wurde, und daß wir berechtigten Anlaß zu der Annahme haben, daß all die beschlossenen Regelungen von den Partnerstaaten des Abkommens innerhalb der nächsten Monate in die Gesetzgebung übernommen werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615914400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615914500
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Autofahrer auf Grund der jetzigen Regelung endlich weiß, wann er die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h als beendet betrachten kann, und daß der Autofahrer auf Grund dieser Regelung nun nicht mehr so oft von der Polizei gestoppt und eventuell auch bestraft wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615914600
Ich stimme Ihnen zu. Diese Regelung — das war auch der Hintergrund dieser Expertendiskussion — schafft nach unserer Auffassung mehr rechtliche Klarheit als bisher.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615914700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0615914800
Herr Staatssekretär, da ich die Auffassung des Fragestellers teile und Sie sich auf die Automobilklubs berufen, möchte ich Sie fragen: Wären Sie bereit, gegebenenfalls eine Repräsentativumfrage bei den Autofahrern eines Bezirks durchzuführen, um einmal die Meinung derjenigen, die es mit dieser neuen Regelung in der Praxis zu tun haben, zu erkunden?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615914900
Herr Kollege, es ist sicher sehr problematisch, den Straßenverkehr betreffende Maßnahmen — das wird deutlich, wenn Sie einmal das ganze Straßenverkehrsrecht betrachten — auf Repräsentativuntersuchungen zu stützen. Hier handelt es sich ja nicht um eine Frage, die den Automobilklubs bisher unbekannt war. Es hat vielmehr vor der internationalen Vereinbarung enge Konsultationen mit den Automobilklubs über diese Frage gegeben. Wenn die Klubs ihre Mitglieder nicht rechtzeitig unterrichten, kann die Bundesregierung nichts dafür.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615915000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0615915100
Herr Staatssekretär, wäre die für die Autofahrer sehr erwünschte rechtliche Klärung, ob er das Ortsgebiet verlassen hat, nicht dadurch einfacher zu erreichen,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9169
Dr. Schulze-Vorberg
daß man den roten Querbalken auf die vorhandenen Schilder aufpinselt?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615915200
Herr Kollege, es geht nicht nur um den roten Querbalken. Auf dem Schild steht ja auch noch eine Angabe: Ortsende von ... usw. Insofern müßte man ja das ganze bisherige Schild überstreichen. Wie gesagt, das ist eine Praxis, mit der es die Länder, je nach Einzelfall, halten können, wie sie wollen. Niemand hat etwas dagegen, so zu verfahren, wenn die vorhandenen Schilder rein graphisch den Anforderungen entsprechen bzw. in den Abmessungen der neuen Verordnung entsprechen sollten.
Das Entscheidende aber ist: Dies ist eine nicht nur für den europäischen Bereich, sondern weltweit vereinbarte Formel. Ich bin immer davon ausgegangen, daß das Hohe Haus will, daß möglichst viele unserer Gesetze auch im europäischen Rahmen angewendet werden. Das ist der Sinn der ganzen europäischen Einigung. Wenn wir hier im konkreten Fall nun einmal von den bisher beschrittenen Pfaden abweichen müssen, so ist das nicht weiter schlimm. Wir müssen uns auch in anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens daran gewöhnen, daß in Europa Verschiedenes aufgegeben wird, was wir im nationalen Bereich über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte für angemessen gehalten haben. Ohne Kompromisse ist weder Europa zu gestalten noch ein einheitliches Straßenverkehrsrecht für diesen Kontinent zustande zu bringen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615915300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.

Dr. Isidor Früh (CDU):
Rede ID: ID0615915400
Herr Staatssekretär, halten Sie es auch im Sinne Europas für entscheidend wichtig, daß z. B. Straßenschilder, auf denen Fahrräder oder — im Falle von Eisenbahnübergängen — Lokomotiven dargestellt sind, nur deshalb ausgewechselt werden, damit auf den neuen Schildern das Fahrrad eine Leuchte und die Lokomotive eine andere Rauchfahne hat?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615915500
Herr Kollege, ich kann den Sinn Ihrer Frage in diesem Zusammenhang nicht verstehen. Ich gehe davon aus, daß Schilder oder Bezeichnungen immer dann ausgewechselt werden, wenn sie unleserlich oder schwer leserlich geworden sind. Das ist aus Gründen der Verkehrssicherheit dringend nötig. Es ist allgemein bekannt, daß solche Schilder durch Witterungseinflüsse innerhalb weniger Jahre erneuerungsbedürftig sind, und bei dieser Gelegenheit muß man dann die neue Formel möglichst schnell aufbringen, damit die Rechtssicherheit hergestellt wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615915600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0615915700
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Übereinkommen, auf Grund dessen diese Maßnahmen ergriffen werden, noch nicht ratifiziert ist?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615915800
Noch nicht von allen Staaten. Aber ich habe vorhin etwas über die erkennbare Tendenz gesagt. Es wäre ungut, wenn wir durch Vorprellen in dieser Frage andere dazu ermunterten, wieder von dem abzuweichen, was in Wien vereinbart wurde.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615915900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0615916000
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß auch früher der Verkehrsteilnehmer gewußt hat, daß der Ort zu Ende ist und daß er wieder mit angemessener Geschwindigkeit fahren darf?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615916100
Herr Kollege, gerade die Fragestellung Ihrer Herren Kollegen hat aufgehellt, daß das nicht immer der Fall war. Hier geht es aber nicht um das, was wir bisher in unserer nationalen Gesetzgebung bzw. Verordnungsgebung gemacht haben. Vielmehr geht es darum, daß im Europa von morgen jemand vom Nordkap bis nach Sizilien oder auch von Rußland bis an die Atlantikküste muß fahren können, ohne daß er immer an der Grenze neues Straßenverkehrsrecht zu lernen hat. Das ist der entscheidende Punkt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615916200
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Riedl.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0615916300
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß eine ganze Reihe von Ländern des sogenannten Wiener Abkommens beabsichtigen, im Hinblick auf eigene nationale Regelungen Ausnahmen zu machen, und darüber zum Teil auch schon entschieden haben?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615916400
Die Nachrichten darüber sind sehr widersprüchlich. Ich bin gern bereit, Ihnen in einem Brief darzulegen, in welchem Punkt das eine oder andere Land nach unseren derzeitigen Erkenntnissen abweichen will. Dabei geht es aber nicht um Vorschriften wie die hier in der Fragestunde erwähnten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615916500
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Ollesch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, gemeinsam mit den europäschen Ländern noch einmal zu prüfen, ob die bisherige Beschilderung aus verkehrstechnischen Gründen beibehalten werden kann?
9170 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615916600
Verkehrstechnische Gründe dürften kaum gegen die neue Ortsausgangstafel sprechen. Sie kennzeichnet deutlich das Ende der geschlossenen Ortschaft und informiert cien Kraftfahrer darüber, daß jetzt die außerhalb geschlossener Ortschaften geltenden Verkehrsvorschriften zu beachten sind.
Erneute Verhandlungen mit den anderen europäischen Staaten, die ja auch alle die in meiner Antwort zu Ihrer ersten Frage erwähnten Übereinkommen unterzeichnet haben oder in Kürze unterzeichnen werden, dürften deshalb kaum erfolgversprechend sein.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615916700
Eine Zusatzfrage.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615916800
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die bisherigen Schilder eine Doppelfunktion hatten, indem sie sowohl das Ortsende als auch die Entfernung zum nächsten Ort anzeigten? Waren von daher die alten Schilder nicht verkehrstechnisch besser und in ihrer Wirkung für den Kraftfahrer weitaus günstiger als die jetzigen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615916900
Herr Kollege, ich gebe gern zu, daß diese Ihre Meinung in unserem Lande weit verbreitet ist. Nur handelt es sich hier um einen Kompromiß auf einer internationalen Konferenz, der für andere weit höhere Angleichungsopfer an das gemeinsame Recht gebracht hat. Ich habe schon ausgeführt, daß wir in den Beratungen diesen Kompromiß hingenommen haben, weil wir dort, wo es notwendig ist, immer noch den Wegweiser bzw. die Entfernungsangabe zur nächsten Ortschaft plazieren können. Im Interesse des gemeinsamen Verständnisses des europäischen Straßenverkehrsrechts haben wir dieses Schild mit beschlossen und wollen wir es auch einführen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615917000
Eine zweite Zusatzfrage.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615917100
Herr Staatssekretär, gibt es eine einzige spezifisch deutsche Vorschrift, die in die internationalen Übereinkommen Eingang gefunden hat, bisher in anderen Ländern nicht gültig war und nunmehr nach dem Übereinkommen dort Gültigkeit erlangen wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615917200
Herr Kollege, nach meiner Auffassung gibt es die. Ich will Ihnen das gern schriftlich beantworten. Sie werden mir zugeben, daß hier nicht der Ort und die Zeit ist, nun die ganze neue StVO zu besprechen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615917300
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Graaff auf:
Ist die Bundesregierung nicht auch der Auffassung, daß ein überstürztes Vorgehen von seiten der Bundesrepublik Deutschland unnötig ist, da das Wiener Übereinkommen über cien Straßenverkehr und die Verkehrszeichen und die europäischen Zusatzvereinbarungen zu diesem Übereinkommen noch nicht ratifiziert sind?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615917400
Herr Kollege, die Bundesregierung ist mit der Einführung der neuen Straßenverkehrsordnung am 1. März 1971 nicht überstürzt vorgegangen. An dieser Verordnung ist über ein Jahrzehnt gearbeitet worden. Wegen der damals bevorstehenden internationalen Vereinheitlichung der Verkehrsvorschriften und -zeichen haben wir bis zum Herbst 1970 mit der Herausgabe der neuen Straßenverkehrsordnung gewartet. Ihre Einführung noch länger zu verzögern wäre sachlich nicht zu vertreten gewesen und wäre von der Öffentlichkeit auch nicht verstanden worden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615917500
Keine Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Graaff auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit dem Auswechseln der Schilder zumindest so lange zu warten, bis die Gebietsreform in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen ist, damit nicht zusätzliche Kosten entstehen auf Grund der Umbenennung von Ortschaften und dem damit verbundenen nochmaligen Austausch der Schilder?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615917600
Herr Kollege, die Länder haben bisher über irgendwelche Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf die Ortsausgangstafeln wegen der Gebietsreform ergeben könnten, nicht berichtet. Sollten insoweit Schwierigkeiten auftreten, wird man gemeinsam mit den Ländern überlegen müssen, ob eine Verlängerung der Übergangsfristen in Betracht kommt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615917700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0615917800
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns sagen, ob eine Übersicht besteht, welche Kosten insgesamt auf die Gemeinden, die Länder und den Bund allein durch diese Maßnahme entstehen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615917900
Durch die Schilder, die hier in Rede stehen, oder durch die StVO insgesamt?

(Abg. Freiherr von Fircks: Durch die Schilder!)

Das möchte ich in einer Antwort auf eine Frage des Kollegen Dr. Stark (Nürtingen) dazu noch beantworten. Aber, wenn Sie einverstanden sind, Frau Präsidentin, könnte ich das hier vorziehen.

(Abg. Freiherr von Fircks: Entschuldigung!)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9171

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615918000
Ich glaube, der Fragesteller ist bereit, die Frage zurückzustellen.

(Abg. Freiherr von Fircks: Ja!)

Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung den Vorschlag des ADAC zu verwirklichen, die bisherigen Ortsende-Schilder, die das nächste Ziel und die Entfernung in Kilometer angaben, auch künftig zuzulassen und auf die in der neuen Straßenverkehrsordnung vorgesehenen Schilder, auf denen nur noch der durchgestrichene Name des gerade verlassenen Ortes erscheint, zu verzichten?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615918100
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt im Interesse der internationalen Vereinheitlichung der Verkehrszeichen nicht, auf die neuen Ortsausgangstafeln zu verzichten. Wo notwendig — das habe ich vorhin schon ausgeführt kann durch Wegweiser auf die nächste Ortschaft hingewiesen werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615918200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0615918300
Herr Staatssekretär, nachdem doch hier offensichtlich ein ganz breites Anliegen vorgetragen wird, das quer durch alle Fraktionen vertreten wird, darf ich fragen, ob die Bundesregierung nicht wenigstens bereit ist, die Frage zu prüfen, ob man — wie es hier heute schon angeklungen ist — die bisherigen Ortsende-Schilder ganz einfach mit einem roten Querstreifen übermalt? Warum wollen Sie sich nicht die Mühe machen, dies zu prüfen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615918400
Ich habe vorhin angedeutet, daß das auch rechtliche Fragen aufwirft, die ich erst außerhalb der Fragestunde noch klären muß, weil ich zur Zeit nicht alle Texte dieses Abkommens mit den entsprechenden Verwaltungsvorschriften hier verfügbar habe. Ich werde gern darauf zurückkommen und Ihnen mitteilen, ob es Gründe gibt, die dem entgegenstehen, oder ob man hier eine Ad-hoc-Regelung treffen kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615918500
Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0615918600
Kann ich also davon ausgehen, daß Sie diesen Vorschlag in Ihrem Hause ernsthaft prüfen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615918700
Ich lasse ihn prüfen, aber nur unter der Einschränkung, daß damit keine neuen Rechtsprobleme aus dem Abkommen auftreten, sondern daß es lediglich um die Nutzung vorhandener Schilderfläche geht.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615918800
Keine Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Stark (Nürtingen) auf :
Aus welchen Gründen wurden die bisherigen Ortsende-Schilder durch neue Schilder ersetzt?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615918900
Herr Kollege, das geschah aus Gründen der internationalen Vereinheitlichung der Verkehrszeichen. Diese Vereinheitlichung ist für uns wegen des außerordentlich starken grenzüberschreitenden Verkehrs besonders wichtig. Im übrigen verweise ich auf das, was ich vorher schon auf die Fragen Ihrer Kollegen hier ausgeführt habe.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615919000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0615919100
Herr Staatssekretär, würden Sie, wenn Ihre Prüfungen, ob rechtlich noch eine Änderung möglich ist, abgeschlossen sind, dann, wenn sich die rechtliche Möglichkeit ergibt, auf eine Änderung dieses Übereinkommens in dieser Frage hinwirken?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615919200
Nein. Ich habe nur gesagt, wenn das Abkommen was ich im Moment nicht prüfen kann — diese Möglichkeit des Überpinselns zuläßt, wäre das möglich. Auf die Frage Ihres Kollegen habe ich eben ausdrücklich gesagt, daß ich keine neuen Rechtsprobleme aufwerfen will; denn wenn man sich international einmal weltweit geeinigt hat, muß man auch das durchführen, was man gemeinsam beschlossen hat, sonst hätte man sich die Konferenz sparen können.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615919300
Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0615919400
Herr Staatssekretär, habe ich dann vorhin falsch gehört, daß andere Länder auf eine Änderung dieses Übereinkommens in bestimmten Fragen hinwirken?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615919500
Das hat ein Kollege behauptet. Ich habe Nachrichten, die anders lauten. Ich habe ausgeführt, daß ich bereit bin, das im schriftlichen Verfahren zu klären. Dazu benötige ich aber die genauen Angaben des Herrn Kollegen, um nachprüfen zu können, auf welche Angaben er sich dort stützt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615919600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0615919700
Herr Staatssekretär, würden Sie die Prüfung, die Sie eben freundlicherweise zugesagt haben, vor allen Dingen dahin erstrecken, ob nicht das eigentliche Verkehrszeichen in dem roten Querstrich besteht, die anderen Angaben aber als Information zu betrachten sind, wobei durchaus die Frage ist, ob die Information des Verkehrsteilnehmers, es sind noch 6 km bis
9172 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Schulze-Vorberg
zum nächsten Ort, wichtiger ist, als zu wissen, ich bin am Ende eines anderen, des durchfahrenen Ortes?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615919800
Herr Kollege, wesentliches Merkmal dieser internationalen Regelung ist, daß der Kraftfahrer aus einem anderen Land nicht unbedingt die Sprache des Gastlandes kennen muß, sondern durch Symbolvorschriften

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Ja, der rote Strich!)

entsprechend gewiesen wird. Das ist der Punkt, den ich gern noch einmal prüfen will, auch an Hand der Verhandlungsprotokolle von Wien. Aber ich bin nicht bereit, das Abkommen selbst durch eine solche Prüfung in Frage zu stellen. Dann fangen wir nämlich genau cia an, wo die Spezialisten seinerzeit begonnen haben, und es war ein mühevoller Weg, dieses Abkommen so zustande zu bringen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615919900
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Stark auf:
Trifft es ZU , daß die Beseitigung der alten und die Anbringung der neuen Ortsende-Schilder ca. 100 Millionen DM kostet?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615920000
Herr Kollege, diese Angabe trifft nicht zu. Die Kosten für die Umstellung betragen nicht 100 Millionen DM, wie der ADAC behauptet hat, sondern sie dürften etwa zwischen 2,5 und 5 Millionen DM liegen. Ich bin gern bereit, Ihnen den entsprechenden Schriftwechsel unseres Hauses mit dem ADAC zur Verfügung zu stellen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615920100
Keine Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Bauer (Würzburg) auf. — Hier ist schriftliche Beantwortung erbeten, ebenfalls für die Frage 18. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß von seiten der DDR das kommende Heine-Jahr mit weltweitem Aufwand gefeiert werden wird, und ist sie bereit, Heinrich Heine anläßlich der 175. Wiederkehr seines Geburtstages durch die Herausgabe einer Gedenkmarke erneut zu würdigen, zumal in der Vergangenheit Persönlichkeiten schon mehrfach durch Herausgabe von Sondermarken geehrt worden sind?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615920200
Herr Kollege, die Deutsche Bundespost wird zum 175. Geburtstag Heinrich Heines am 13. Dezember 1972 eine Gedenkbriefmarke herausgeben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615920300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Manfred Achim Geßner (SPD):
Rede ID: ID0615920400
Herr Staatssekretär, sosehr ich mich freue, daß Ihr Haus nunmehr eine Marke herausgeben wird, möchte ich Sie dennoch fragen, ob es nicht vielleicht möglich wäre, eine Serie herauszugeben.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615920500
Herr Kollege, das ist eine sehr schwierige Frage. Es widerspricht der Tradition der Bundespost, zu einem einmaligen Ereignis oder für eine Persönlichkeit eine ganze Serie herauszugeben. Das wirft auch eine Reihe technischer Schwierigkeiten auf. Ich glaube aber, daß mit der Herausgabe dieser Sonderbriefmarke das Andenken an Heinrich Heine entsprechend gewürdigt wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615920600
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Manfred Achim Geßner (SPD):
Rede ID: ID0615920700
Herr Staatssekretär, in Düsseldorf hat ein bekannter Graphiker einen Entwurf geliefert. Ist es möglich, diesen Entwurf mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615920800
Herr Kollege, die Vorbereitung von Briefmarken ist ein schwieriges Kapitel. Da wirkt ein Kunstbeirat mit, in dem auch Abgeordnete des Hohen Hauses tätig sind. Ich möchte also nur sagen, daß alle künstlerischen Einfälle zu diesem Thema eine gleiche Chance bekommen.

(Abg. Dr. Geßner: Ich habe deswegen auch nur von Überlegungen gesprochen!)

— Ja, aber es könnte mißverstanden werden als Festlegung auf einen bestimmten künstlerischen Entwurf. Das muß ich im Interesse der Unabhängigkeit des eben genannten Gremiums, das den Bundespostminister berät, doch außerhalb der Diskussion lassen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615920900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615921000
Herr Staatssekretär, wird die Herausgabe der Heine-Briefmarke eine Fortsetzung der Tradition Ihres Hauses bedeuten, das vor einiger Zeit schon einmal eine Heine-Briefmarke herausgab?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615921100
Ich glaube, Herr Kollege, daß der 175. Geburtstag die Herausgabe einer Gedenkbriefmarke rechtfertigt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615921200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0615921300
Herr Staatssekretär, mit Bezug auf die letzte Zusatzfrage des Kollegen Geßner
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9173
Hansen
möchte ich Sie ergänzend noch fragen, ob Sie bestätigen können, daß der Kunstbeirat die Entwürfe, die von der entsprechenden Düsseldorfer Aktion eingereicht worden sind, für philatelistisch gut befunden hat.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615921400
Herr Kollege, das ist mir im Moment nicht bekannt. Ich bin gern bereit, Ihnen das schriftlich nachzureichen. Normalerweise beschäftige ich mich nicht persönlich mit den Auseinandersetzungen über diese Fragen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615921500
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Peters (Norden) auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 21. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Trifft es zu, daß der Post- und Telefondienst im kommenden Jahr erneut teurer wird?
Bitte schön!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615921600
Frau Präsidentin, ich bitte um Ihre Zustimmung, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Dr. Arnold gemeinsam beantworten zu können, wenn der Kollege damit einverstanden ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615921700
Dann rufe ich auch die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Treffen insbesondere Meldungen zu, wonach beabsichtigt ist, das Porto für den normalen Inlandsbrief von 30 auf 40 Pfennig, das Porto für Inlandspostkarten von 25 auf 30 Pfennig, das Porto für Drucksachen von 12 auf 18 Pfennig zu erhöhen sowie die Telefongebühren je Einheit auf 24 Pfennig, Ortsgespräche auf 40 Pfennig und die Telefongrundgebühr von monatlich 18 auf 25 DM anzuheben?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615921800
Danke schön. — Herr Kollege, gegenwärtig wird überlegt, auf welche Weise die für 1972 bei der Deutschen Bundespost zu erwartende Haushaltslücke geschlossen werden kann. In diese Überlegungen ist auch die Möglichkeit weiterer Gebührenerhöhungen einbezogen. Über Höhe und Struktur eventueller Gebührenmaßnahmen kann ich derzeit noch keine konkreten Angaben machen. Diese Fragen sind bisher weder innerhalb der Bundesregierung abgestimmt noch dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost als Vorlage zugeleitet worden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615921900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0615922000
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die in meiner Anfrage wiedergegebenen Erhöhungen., die sehr drastische Erhöhungen sein würden, nach Ihren Vorstellungen nicht in Frage kommen müssen, oder sind diese Zahlen, die ich angegeben habe, mit in die Überlegungen eingebettet?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615922100
Herr Kollege, es ist außerordentlich schwierig für mich, darauf eine konkrete Antwort zu geben, ohne den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost hiermit zu präjudizieren. Alle in der Öffentlichkeit bisher angestellten Überlegungen sind spekulativ. Ich bitte um Verständnis, daß die Sitzung dieses Gremiums, die in der nächsten Woche stattfinden wird, nicht durch eine Erörterung in der Fragestunde belastet werden sollte. Sicherlich ist die Lage der Deutschen Bundespost so, daß durchaus fühlbare Gebührenerhöhungen da und dort notwendig sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615922200
Zusatzfrage.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0615922300
Herr Staatssekretär, da wir erst vor kurzer Zeit Erhöhungen in diesem Bereich hatten, darf ich Sie fragen, wie es zu erklären ist, daß dann, wenn Erhöhungen auch nach Auffassung der Bundesregierung vorgenommen werden müssen, dies nicht auf Grund einer gründlichen Vorausplanung in ein und demselben Akt geschieht. Warum wird das so stückchenweise vorbereitet?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615922400
Herr Kollege, weil die Ertragslage der Deutschen Bundespost von Einflüssen abhängig ist, auf die nicht nur die Bundesregierung Einfluß hat!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615922500
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0615922600
Herr Staatssekretär, nachdem diese Zahlen gemeldet worden sind und doch eine gewisse Unsicherheit bei vielen Kunden von Telefon und Post darüber vorhanden ist, mit welchen Erhöhungen man zu rechnen hat, darf ich Sie fragen: Von welchem Zeitpunkt im Jahre 1972 an müßte man sich darauf einstellen, daß die Gebührenerhöhung stattfinden wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615922700
Herr Kollege, die Unklarheit wird bald durch entsprechende Beschlüsse des vorhin genannten Gremiums beseitigt werden können. Das weitere Problem ist die Frage der technischen Einführung dieser Gebühren. Sie ist sehr differenziert und würde dann im Jahre 1972, aber nicht zu Beginn des Jahres, liegen können.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615922800
Letzte Zusatzfrage.
9174 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0615922900
Dann ist es also so, Herr Staatssekretär, daß ein konkreter Termin auch nicht angegeben werden kann.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0615923000
Bisher ist kein konkreter Termin vorgeschlagen worden. Das ist in die Gesamtüberlegungen bei der Diskussion der Mitglieder des Postverwaltungsrates einzubeziehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615923100
Keine Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dorn.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Becker (Nienberge) auf:
Welche Maßnahmen waren im Zuge der Vereinheitlichung der Beamtenbesoldung in Bund und Ländern erforderlich, uni die Gehälter der Bundesbeamten an die Gehälter der Beamten in Ländern und Gemeinden anzupassen, und welche Kosten sind hierdurch für den Bund entstanden?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615923200
Herr Kollege Becker, in den vergangenen Jahren hatte sich die Besoldung zwischen Bund und Ländern vor allem dadurch auseinander entwickelt, daß von Land zu Land unterschiedliche besondere Zulagen eingeführt und die Obergrenzen für Beförderungsämter verbessert worden sind. Bei dieser Entwicklung spielte auch eine Rolle, daß in einer Reihe von Ländern Verbesserungen auf dem Gebiete der Lehrer- und der Richterbesoldung vorgenommen wurden.
Um eine gemeinsame Ausgangsbasis für die weitere Vereinheitlichung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern zu schaffen, mußten daher im 1. Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz für den Bundesbereich insbesondere folgende Maßnahmen getroffen werden:
a) Einführung von Zulagen für Techniker und Programmierer sowie nach Maßgabe eines Stufenplanes auch für Rechtspfleger, für Steuer- und Zollbeamte und für sonstige Dienste. b) Verbesserung der Obergrenzen für Beförderungsämter ab 1. Juli 1971. c) Verbesserungen für die Lehrer- und Richterbesoldung mit entsprechender Überleitung der Versorgungsempfänger, insbesondere der 131er.
Dem Bund sind durch die vorgenannten Anpassungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Folgerungen im Tarifbereich erhebliche Kosten entstanden. Nach den bei der Beratung des Gesetzentwurfes angestellten Berechnungen handelt es sich für 1971 unter Einschluß der Mehrkosten bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost um 421 Millionen DM; davon entfallen auf den Bundeshaushalt 172 Millionen DM. Der Stufenplan zur Zulagenharmonisierung erfordert im Jahre 1972 zusätzliche Kosten von 593 Millionen DM, davon im Bundeshaushalt allein 252 Millionen DM.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615923300
Eine Zusatzfrage, bitte schön!

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0615923400
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, nachdem Sie diese Angaben hier gemacht haben: Sind diese Angaben denn nicht der sogenannten Besoldungskommission, einer Untergruppe des Innenausschusses, gemacht worden, der der Herr Fragesteller angehört hat, und zwar vor der Beratung?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615923500
Ich weiß nicht, Herr Kollege Brück, ob die Zahlen damals schon in allen Fällen ganz genau übersehbar waren. Deswegen kann ich die Frage so genau nicht beantworten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615923600
Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Becker (Nienberge) auf:
Welche Aufwendungen sind weiterhin erforderlich, um das mit dem 1. Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz angestrebte Ziel der Vereinheitlichung der Gehälter der Beamten — vor allen Dingen der mittleren und unteren Einkommensschichten — in Bund, Ländern und Gemeinden zu erreichen?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615923700
Hierzu darf ich auf den Katalog der Maßnahmen hinweisen, die das Hohe Haus in seiner Entschließung vom 3. März 1971 zur Fortführung der Vereinheitlichung der Beamtenbesoldung für notwendig gehalten hat. Die Aufwendungen für die dort genannten Maßnahmen konnten bisher nur grob geschätzt werden. Sie werden für den Bereich des Bundes ohne die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Bundespost auf jährlich 260 Millionen DM veranschlagt. Inwieweit bei diesen Maßnahmen, etwa bei der Einbeziehung der allgemeinen Zulagen in eine neue Grundgehaltstabelle, besondere Verbesserungen für die mittleren und die unteren Einkommenschichten eintreten werden, läßt sich zur Zeit noch nicht genau übersehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615923800
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 40 des Abgeordneten Gnädinger auf:
Trifft es zu, daß in Luzern (Schweiz) zwischenstaatliche Besprechungen über ein technisches Projekt mit Kostenvoranschlag zur Bodenseeregulierung geführt worden sind, und welches Ergebnis hatten diese Besprechungen?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615923900
Herr Kollege Gnädinger, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr beantworte ich die Frage wie folgt.
Am 24.i25. November dieses Jahres fand in Luzern ein informatives Gespräch zwischen Vertretern technischer Behörden der Bodensee-Anrainerstaaten statt. Deutscherseits waren Baden-Württemberg und der Freistaat Bayern sowie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes beteiligt. Zur Besprechung lag ein Tätigkeitsbericht des zur Prüfung eines technischen Projekts für die Bodensee-Regulierung eingesetzten Internationalen Technischen Ausschusses vor. Ebenso wurden das von der Schweizer
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9175
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Seite ausgearbeitete technische Projekt und der erste Entwurf eines Betriebsplans oder, wie die Experten sagen, eines Reglements für die Bodensee-Regulierung vorgetragen. Für dieses Projekt in seiner derzeitigen Fassung wurde auch eine Kostenschätzung vorgelegt, die auf der Preisbasis Oktober 1971 den Betrag von 83 Millionen Schweizer Franken veranschlagt.
Die technischen Vorlagen wurden zur Kenntnis genommen. Die Diskussion hierüber war nicht abschließend. Vielmehr wurde der Internationale Technische Ausschuß mit der Untersuchung weiterer technischer Fragen beauftragt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615924000
Zusatzfrage!

Fritz-Joachim Gnädinger (SPD):
Rede ID: ID0615924100
Herr Staatssekretär, können Sie etwas darüber sagen, ob in den Verhandlungen auch besprochen wurde, daß der Bau eines solchen Regulierwerks die Fließgeschwindigkeit des Bodensees verringern würde und damit die Gefahr der Verschmutzung erhöht würde?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615924200
Diese Frage kann ich Ihnen hier so konkret nicht beantworten, Herr Kollege. Ich bin gern bereit, Ihnen eine Antwort schriftlich nachzureichen. Aber im Augenblick liegen mir hier die Verhandlungsprotokolle nicht vor.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615924300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Gnädinger auf:
Sind bei den Besprechungen von Schweizer Seite Alternativvorschläge zu einem Regulierwerk gemacht worden und bejahendenfalls welchen Inhalts waren diese Vorschläge?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615924400
Es trifft zu, daß die Teilnehmer der Besprechung in Luzern von Schweizer Seite über Alternativvorschläge für eine Bodensee-Regulierung orientiert wurden, die aus Kreisen des Natur- und Heimatschutzes, wie man in der Schweiz sagt, hervorgegangen sind. Es handelt sich um den von privater Seite verfolgten Gedanken, ohne Regulierwehr herkömmlicher Art auszukommen. Diese Vorschläge bedürfen zunächst der Prüfung durch die zuständigen Schweizer Behörden. Vor Abschluß dieser Prüfung kann ich dazu nähere Auskunft nicht geben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615924500
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 42 und 43 der Abgeordneten Frau Schlei werden schriftlich beantwortet, da die Fragestellerin nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 44 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus wird auf Bitte der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Dr. Evers werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Heyen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Dienststellen des Berliner Senats wegen des Umstandes, daß 80 % der Westberliner Abwässer in der DDR geklärt werden müssen, seit vielen Jahren Kontakt mit dem Amt für Wasserwirtschaft der DDR haben und daß 1967 bei Abschluß einer Vereinbarung über Abwässergebühren den DDR-Dienststellen ein Katalog weiterer Themen vorgelegt wurde?
Bitte schön, zur Beantwortung!

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615924600
Herr Kollege Heyen, der Bundesregierung ist bekannt, daß seit vielen Jahren zwischen Dienststellen des Berliner Senats und Ämtern der Wasserwirtschaftsverwaltung der DDR technische Einzelfragen behandelt wurden. Ebenso ist bekannt, daß seit 1967 Kontakte mit dein Amt für Wasserwirtschaft beim Ministerrat der DDR wegen der Zahlung von Abwassergebühren stattgefunden haben und es im Jahre 1968 nicht 1967, wie in der Frage unterstellt wird — zum Abschluß einer Vereinbarung hierüber kam. Im Anschluß daran ist von den Dienststellen des Berliner Senats dem Amt für Wasserwirtschaft ein Fragenkatalog vorgelegt und um Fortsetzung der Besprechung über diese Fragen gebeten worden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615924700
Zusatzfrage!

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0615924800
Herr Staatssekretär, können Sie mir einige Schwerpunkte aus diesem Themenkatalog nennen? Und ist Ihnen bekannt, ob bei den Verhandlungen und Gesprächen mit Behörden der DDR schon einige Fragen behandelt werden konnten?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615924900
In dem vorgelegten Katalog handelt es sich im wesentlichen um Fragen, die die Räumung, die Ausbaggerung und den Ausbau von Gewässern sowie die Entlastung der Gewässer von Rieselfeldabwässern betreffen. Außerdem wurden schon früher Fragen der Umstellung von Abwasserreinigungsanlagen auf biologische Reinigung und der gegenseitigen Benachrichtigung bei Ölunfällen zur Beratung vorgeschlagen. Gespräche mit dem Amt für Wasserwirtschaft kamen damals nicht zustande; jedoch wurde in einer Besprechung mit dem Minister für Verkehrswesen im November 1971 den Dienststellen des Berliner Senats migeteilt, das Amt für Wasserwirtschaft habe selbst Interesse an weiteren Besprechungen, sei jedoch noch damit befaßt, Unterlagen hierfür zu sammeln. Ich nehme an, daß die Gespräche darüber beginnen können, sobald diese Unterlagen vorliegen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615925000
Die zweite Zusatzfrage.

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0615925100
Herr Staatssekretär, da das Gebiet Berlin ja nur ein Teilaspekt des Ganzen bildet,
9176 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Heyen
frage ich Sie, in welcher Form die Koordinierung dieser Fragen des Umweltschutzes zwischen dem Senat und der Bundesregierung stattfindet.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615925200
Es ist völlig klar, daß es nicht nur um diesen Teilaspekt geht, sondern um die Gesamtproblematik, und hier findet in Verhandlungen ein ständiger Erfahrungsaustausch zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung statt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615925300
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um Beamtinnen, insbesondere Lehrkräften der verschiedenen Schulgattungen, die wegen der Pflege und der Erziehung von Kindern aus dem Dienst geschieden sind, bevor durch gesetzliche Regelung eine längerfristige Unterbrechung des Dienstes und die Wiederverwendung ohne Verlust der Versorgungsansprüche ermöglicht wurde, durch Verbesserung der Bedingungen den Entschluß, wieder in Dienst zu treten, zu erleichtern, und ist die Bundesregierung bereit, entsprechende gesetzgeberische Schritte zu unternehmen, um eine Gleichstellung der früher ausgeschiedenen Beamtinnen zu erreichen?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615925400
Herr Kollege Dr. Fuchs, Beamtinnen, die v o r dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung über die Teilzeitbeschäftigung und langfristige Beurlaubung von Beamtinnen und Richterinnen vom 2. April 1969 wegen der Betreuung eines Kindes aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden sind, können, sofern sie die beamtenrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllen und die Personalsituation dies gestattet, jederzeit wieder in ihrem früheren Amt in das Beamtenverhältnis berufen werden.
Auf Grund einer Entschließung des Deutschen Bundestages vom 12. Februar 1969 habe ich darüber hinaus die obersten Bundesbehörden in einem Rundschreiben gebeten, Beamtinnen, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Inkrafttreten der Neuregelung wegen Betreuung eines Kindes aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden sind, bevorzugt wieder in das Beamtenverhältnis zu berufen, wenn ein entsprechender Wiedereinstellungsantrag bis zum 31. Dezember 1969 gestellt worden ist.
Der Entschluß, erneut in das Beamtenverhältnis berufen zu werden, mag allerdings bei verheirateten Beamtinnen, die seinerzeit auf eigenen Antrag ausgeschieden sind und eine Abfindung beantragt hatten, in der Tat dadurch beeinträchtigt sein, daß durch die Abfindung alle Versorgungsansprüche abgegolten sind und die frühere Dienstzeit also nicht mehr als ruhegehaltfähige Dienstzeit mitberücksichtigt werden kann. Der Bundesregierung ist dieses Problem bekannt. Sie sieht jedoch in Übereinstimmung mit den Ländern keine Möglichkeit, hier eine Änderung herbeizuführen. Entsprechende gesetzgeberische Schritte werden daher zur Zeit nicht erwogen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615925500
Eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0615925600
Herr Staatssekretär, obwohl Ihre Antwort gerade im letzten Punkt einen negativen Aspekt hat, möchte ich Sie noch fragen,

(laß den früher ausgeschiedenen Beamtinnen ermöglicht wird, eventuell die Abfindungssumme zurückzuerstatten und dadurch früher erworbene Pensionsrechte wiederzubekommen, eine Möglichkeit besteht, Personallücken viel leichter zu schließen. Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß es dadurch unbedingt gelingen würde, die Personallücke leichter zu schließen, denn die Zahl der Beamtinnen, die vielleicht zu einem solchen Schritt bereit wären, wird nicht dazu ausreichen, die Lücke auszufüllen. Keine Zusatzfrage. — Ich rufe Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff auf: Läßt sich nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand eine klare Grenze nennen zwischen gesundheitsgefährlichem und nur lästigem Lärm? Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ist es nicht möglich, eine allgemeingültige, klare Grenze zwischen Geräuschen, die nur als lästig empfunden werden, und solchen, die eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität nach sich ziehen, zu definieren. Die Wirkungen von Geräuschen sind äußerst differenziert. Soweit sie überhaupt bereits erforscht sind, hängen sie von der physikalischen Qualität des Geräusches — Schalldruck, Frequenzspektrum, Impulshaltigkeit, Tonhaltigkeit und vielem anderen mehr —, von der allgemeinen und besonderen körperlich-seelischen Disposition des Betroffenen, der Einstellung zur Geräuschquelle und zahlreichen anderen Faktoren ab. Die von mir vor einem Jahr berufene Projektgruppe „Lärmbekämpfung" hat vorgeschlagen, in 26 einzelnen Forschungsthemen die Wirkungen von Geräuschen auf den Menschen grundlegend und systematisch zu erforschen. Die Bundesregierung wird dem Vorschlag im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten folgen und eine umfassende Lärmwirkungsforschung in die Wege leiten. Eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, wenn es nicht möglich ist, eine klare Grenze zwischen gesundheitsgefährlichem und lästigem Lärm zu ziehen, ist es dann wenigstens möglich, eine klare Grenze anzugeben, wo auf jeden Fall ein gesundheitsschädlicher Lärm beginnt? Herr Kollege, ich glaube, das kann man erst nach Vorliegen der Forschungsergebnisse endgültig eindeutig bejahen. Zweite Zusatzfrage. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9177 Herr Staatssekretär, halten Sie es für eine befriedigende Situation, daß wir angesichts dieser noch offenen Fragen im Bereich des Lärmschutzes bis zum Abschluß dieser Forschungsarbeiten keine festen Regeln vorgeben? Ich halte das nicht für eine befriedigende Lösung, aber die Problematik ist eben die, daß man, solange man keine festen Sätze hat, nach denen man sich richten kann und die sich nur aus der Forschung ergeben können, natürlich auch nicht endgültig entscheiden kann. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob es im Zusammenhang mit einer wirksamen Lärmbekämpfung bereits handliche bzw. leicht transportable Lärmmeßgeräte gibt, um ohne Schwierigkeiten störenden Lärm messen zu können? Herr Kollege Schmidt, ich glaube, darüber hat es verschiedentlich Veröffentlichungen in Fachzeitschriften gegeben. Ich bin gern bereit, Ihnen die Auskunft schriftlich nachzureichen. Ich kann Ihnen diese Frage aus dem Handgelenk nicht konkret genug beantworten. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen. Herr Staatssekretär, wenn Sie feststellen, daß man noch nicht genau festlegen kann, wann Lärm gesundheitsschädlich wird, von welchen Voraussetzungen gehen Sie dann aus, wenn Sie Schallpegel in Gesetzen festlegen, z. B. im Fluglärmgesetz? Herr Kollege Hansen, es gibt natürlich eine Reihe von Erfahrungssätzen, die man auch schon in der Vergangenheit angenommen hat. Das fängt schon beim Bauen an, wenn man versucht, schalldichte Räume und dergleichen mehr zu bauen. Die Frage ist, ob das alles ausreicht, um eine gesetzliche Fixierung vorzunehmen. Bei dieser Frage sind wir noch nicht ganz sicher, um sie jetzt schon endgültig bejahen zu können. Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff: Hält die Bundesregierung eine Lärmeinwirkung von 89 dezibel hei geöffnetem Fenster für gesundheitsgefährdend, sofern dieser Lärm durchschnittlich 450 mal pro Tag in einer Wohnung auftritt? Die Bundesregierung ist der Auffassung, Herr Kollege Dr. Hauff, daß ein Geräusch mit den in der Frage genannten Kenndaten jedenfalls eine erhebliche Belästigung darstellt. Es ist geeignet, das „völlige physische, psychische und soziale Wohlbefinden" und damit die „Gesundheit", wie sie die Weltgesundheitsorganisation definiert, zu beeinträchtigen. Darüber hinaus wird man nicht mit Sicherheit ausschließen können, daß eine derartige Beschallung auch die körperliche Integrität berührt. Eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, könnten Sie es entsprechend dem Verursacherprinzip unterstützen, daß in der Regel bei einer solchen Lärmemission der Verursacher aufgefordert wird, diesen Lärm einzudämmen? D Herr Kollege Hauff, ich glaube, es ist auch aus den Erklärungen, die der Herr Bundesinnenminister vor diesem Hause abgegeben hat, eindeutig erkennbar, daß das Verursacherprinzip auch für diesen Bereich angewandt werden soll. Die Bundesregierung bittet dieses Haus auch um entsprechende Unterstützung, die gesetzlichen Bestimmungen, die die Bundesregierung dem Hause zur Beratung zugeleitet hat, sobald wie möglich zuverabschieden. Zusatzfrage. Dr. Hauff: Bleibt die Bundesregierung bei dieser Auffassung, wenn es sich in diesem Falle um die Deutsche Bundesbahn als Lärmverursacher handelt? Herr Kollege Hauff, für die Bundesregierung kann es bei dieser Frage schon aus verfassungsrechtlichen Gründen keinerlei Unterschiede in der Beurteilung des Betroffenen geben. Keine Zusatzfragen. Die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich, die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg: Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung zur Sicherung der Pressefreiheit für vordringlich, und ist sie nicht auch der Meinung, daß z. B. durch die Schaffung von Presseausschüssen die Pressefreiheit durch Pressekontrolle ersetzt wird? Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, zum ersten Teil Ihrer Frage hat Ihnen die Bundesregierung auf frühere Fragen mehrfach geantwortet, zuletzt in der schriftlichen Antwort des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal vom 4. November 1971. Die ,dort erwähnten Maßnahmen ,der Bundesregierung, die der Erhaltung der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit dienen 9178 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 Parlamentarischer Staatssekretär Dorn sollen, werden von der Bundesregierung nach wie vor im Sinne Ihrer Frage für vordringlich gehalten. „Presseausschüsse" sind im Rahmen der erwähnten Maßnahmen nicht vorgesehen, so daß sich Ihre Frage in diesem Punkt erübrigt. Nur zur Klarstellung darf ich als der für das Presserecht Zuständige erklären, daß diese Bundesregierung nicht im entferntesten daran denkt, die Pressefreiheit, wie Sie es formuliert haben, durch „Pressekontrolle" zu ersetzen. Eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, dann darf ich erfreulicherweise Ihre Antwort so auslegen, daß die vom SPD-Parteitag beschlossenen Landespresseausschüsse von der Bundesregierung in der dort beschlossenen Form, in der dort beschlossenen Zusammensetzung und grundsätzlich abgelehnt werden? Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, Sie haben ja den Parteitag der SPD nicht nur in dieser Fragestellung sehr genau beobachtet, Sie haben sicher auch genauso beobachtet, daß die führenden Persönlichkeiten der Sozialdemokratischen Partei sich in dieser Frage eindeutig geäußert haben. Herr Staatssekretär, zitiere ich aus einem Referentenentwurf des Bundesministers des Innern korrekt, in dem es z. B. heißt: VI. Abschnitt Presseausschüsse § 36 — Es ist nicht sehr lang, Frau Präsidentin — In jedem Land ist ein Landespresseausschuß einzusetzen. Mehrere Länder können einen gemeinsamen Presseausschuß bestellen. § 38 Der Verleger oder der Eigentümer des Verlagsunternehmens ist verpflichtet, Auskunft zu geben, wenn der Landespresseausschuß ... bei begründetem Verdacht darum ersucht. § 41 Die Bundesregierung setzt einen Bundespresseausschuß ein, der — unter anderem — solche Angelegenheiten zu behandeln hat, die ihm von einem Landespresseausschuß mit Rücksicht auf ihre überregionale Bedeutung überwiesen worden sind. Und ist es richtig, daß dieser Entwurf im Jahre 1952 veröffentlich worden ist? Das ist ein Referentenentwurf, der 1952 im Bundesinnenministerium erarbeitet und veröffentlich worden ist. Das ist richtig. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg. Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß ein Referentenentwurf des Jahres 1952 — ein Referentenentwurf! —, der in der gesamten Amtszeit der von der CDU/CSU geführten Regierungen in keiner Weise realisiert worden ist, (Abg. Raffert: Aber öffentlich diskutiert und durch das Ministerium veröffentlicht!)

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615925700
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615925800
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615925900
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615926000
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0615926100
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615926200
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615926300
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0615926400
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615926500
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615926600
Walter Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0615926700
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615926800
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615926900
Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0615927000
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615927100
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615927200
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615927300
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615927400
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0615927500
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615927600
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615927700
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615927800
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615927900
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615928000
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615928100
Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0615928200
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615928300
Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0615928400
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615928500
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615928600
Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0615928700
nicht zu vergleichen ist mit dem offiziellen Beschluß eines Parteitages der diese Bundesregierung tragenden Partei?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615928800
Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, die Bundesregierung kann sich überhaupt nicht anmaßen wollen, Beschlüsse von Parteitagen, egal welcher Partei in der Bundesrepublik, in diese Vergleichsposition hineinzuziehen und zu bewerten. Die Parteien in unserem Staate sind in ihrer Beschlußfassung völlig frei, ob sie nun in der Koalition oder in der Opposition sind. Die Bundesregierung möchte das von sich aus auch nicht ändern.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615928900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0615929000
Herr Staatssekretär, können Sie bekanntgeben, wann wir nun mit dem angekündigten Presserechtsrahmengesetz in diesem Hause rechnen können?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0615929100
Herr Kollege Dr. Arnold, sehr bald.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615929200
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs — vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dorn — und am Ende der heutigen Fragestunde.
Wir unterbrechen die Sitzung um eine Stunde und treten um 15 Uhr wieder zusammen.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 14.03 Uhr bis 15.00 Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615929300
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
Drucksache VI/2684 —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9179
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (13. Ausschuß)

— Drucksache VI/2928 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch (Erste Beratung 146. Sitzung)

Der Herr Berichterstatter hat einen Schriftlichen Bericht erstattet. Eine mündliche Ergänzung wird nicht gewünscht. — Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich frage, ob das Wort in der zweiten Lesung gewünscht wird.

(Abg. Lemmrich: Begründung des Antrags!)

— Das betrifft Art. 1. Ich rufe also zunächst Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Umdruck 255 *) ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu Nr. 16 vor. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Warnke.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID0615929400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren! Den Antrag meiner Fraktion auf Umdruck 255 begründe ich wie folgt. Die auslaufende Straßengüterverkehrsteuer soll in ihrer verkehrsordnenden Funktion — —

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Im Präsidium ist eine Dame!)

— Herr Kollege Müller-Hermann, Sie bringen mich völlig aus dem Konzept. Ich bitte um Entschuldigung: Meine Damen und meine Herren!

(Heiterkeit.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615929500
Er hat ja keine Augen nach rückwärts.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID0615929600
Die auslaufende Straßengüterverkehrsteuer soll in ihrer verkehrsordnenden Funktion durch die Neuregelung des Güterkraftverkehrsgesetzes ersetzt werden. Dies macht die Übernahme der bestehenden Präferenz des Werkfernverkehrs im Zonenrandgebiet auch in die neue Lizenzierungsregelung notwendig, da die Gründe der seinerzeitigen Sonderregelung weiterbestehen. Die Wirtschaft im Zonenrandgebiet ist nämlich wegen ihrer Marktferne generell auf schnelle Lieferungsmöglichkeiten, wie sie der Werkfernverkehr bietet, angewiesen. Zum Unterschied von anderen verkehrsfernen Gebieten handelt es sich um einen Standortnachteil, der durch eine rein politische, von uns nicht hingenommene Entwicklung der Wirtschaft in den betroffenen Gebieten nachträglich zugefügt worden ist. Zum Ausgleich schlagen wir vor, daß dem Werkfernverkehr in den betroffenen Gebieten die Lizenz, genannt „Beförderungsbescheinigung", grundsätzlich zu erteilen ist. Haushaltsbelastungen entstehen durch unseren Vorschlag nicht. Ich bitte das Hohe Haus um Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

*) Siehe Anlage 6

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615929700
Das Wort hat der Abgeordnete Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0615929800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen möchte ich erklären, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Einmal ist dieser Gesetzentwurf darauf angelegt, das schutzwürdige Unternehmen Bundesbahn in eine kaufmännisch günstige Situation zu bringen. Da kann es dann auch keine regionalen Ausnahmen geben. Zum zweiten ist in der Tat im Zonenrand bei der Eisenbahn sowieso ein sehr dünnes und unterentwickeltes Netz vorhanden, so daß sie dort zu einem annehmbaren Angebot normalerweise gar nicht in der Lage sein wird. Aus diesem Grunde wird der Werkfernverkehr im Zonenrand in jedem Falle bei der Vergabe der Lizenz aus der Natur der Sache heraus bessergestellt werden. Wir bitten deshalb, diesen Antrag nicht anzunehmen, weil er die Systematik des Gesetzentwurfs durchbrechen würde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615929900
Wir kommen zur Abstimmung. Bitte, achten Sie darauf, daß der Knopf an der Außenseite Ihres Pultes gedrückt wird und daß die rote Lampe bis zum Schluß der Abstimmung leuchtet.

(Zurufe.)

— Nein, eine Nummer brauchen Sie nicht einzustellen. — Drücken Sie bitte den Knopf an der Seite.
— Meine Damen und Herren, der Antrag ist mit etwa einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß ein Irrtum unterlaufen ist; ich bitte doch, die Abstimmung zu wiederholen. Es geht nicht um die Abstimmung über die Ausschußvorlage, sondern um den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. — Meine Damen und Herren, es zeigt sich jetzt eindeutig: fast eine Zweidrittelmehrheit ist dagegen; damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, 4 und 5 sowie Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, den Ja-Knopf zu drücken; wer dem Entwurf nicht zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Nein- oder die Enthaltungstaste zu drücken. Meine Damen und Herren, das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Nein-Stimmen und einigen Enthaltungen in der zweiten Beratung angenommen worden.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wünscht der Abgeordnete Schmitt (Lockweiler).

Josef Schmitt (CDU):
Rede ID: ID0615930000
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Dame, meine Herren! In dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Zugang des Werkfernverkehrs zum Markt geregelt werden. In ihrem Verkehrsbericht 1970 sagt die Bundesregierung, daß es das Ziel ihrer verkehrspolitischen Vorstellungen ist, auch im Güterkraftverkehr eine an
9180 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Schmitt (Lockweiler)

den Prinzipien der Marktwirtschaft orientierte Ordnung des Zuganges zum Markt zu verwirklichen. Sie sagt weiter:
Die Maßnahmen sind in die Gesamtplanung der deutschen und europäischen Verkehrspolitik einzubeziehen und sowohl sachlich wie zeitlich auf die Situation bei anderen Verkehrsträgern und die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen abzustimmen.
Die CDU/CSU-Fraktion unterstreicht, daß es auch ihre Vorstellung ist, den Güterkraftverkehr und überhaupt unsere Verkehrspolitik an den Prinzipien der Marktwirtschaft zu orientieren. Allerdings müssen wir im gegenwärtigen Zeitpunkt bezweifeln, ob zeitlich und sachlich die Situation so ist, daß eine Liberalisierung in der Verkehrspolitik angezeigt sei. Hier fehlt uns die Erklärung der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf, ob sie die weitgehende Liberalisierung des Werkfernverkehrs unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß nach Ihrer Meinung nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, nach den Prinzipien der Marktwirtschaft zu verfahren. Wenn dem so ist, setzt sich die Bundesregierung in Widerspruch zu diesem Hohen Haus. Dieses Hohe Haus hat die Bundesregierung im Sommer dieses Jahres einstimmig aufgefordert, eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die eine Beschränkung des Zugangs des Werkfernverkehrs zum Markt beinhaltet. Es kann nun sein, daß es der Bundesregierung unmöglich war, dem Wunsch des Bundestages zu entsprechen und eine passende, befriedigende Formulierung zu finden. Es kann auch sein, daß die Bundesregierung die Auffassung vertritt, dies sei nicht erforderlich, weil der Zeitpunkt eingetreten und es auch sachlich richtig sei, hier nach den Prinzipien der Marktwirtschaft zu verfahren.
Meine Damen und Herren, der Zeitpunkt ist noch nicht da, weil es die Bundesregierung in der Vergangenheit versäumt hat, die sachlichen Voraussetzungen für eine Liberalisierung der Verkehrspolitik zu schaffen. Ich denke hier in erster Linie daran, daß bisher eine klare Definition dessen, was die Bundesregierung unter gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Bundesbahn versteht, nicht gegeben wurde. Eine Regelung der Wegekostenfrage ist bis heute ebenfalls nicht erfolgt. Die wiederholt angekündigte Verbesserung der Kapitalstruktur der Deutschen Bundesbahn — sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des Zeitpunkts dieser Verbesserung — steht ebenfalls noch aus.
Meine Damen und Herren, dieser Immobilismus der Bundesregierung bringt uns in die peinliche Situation, immer wieder mit Dirigismen arbeiten zu müssen. Die beiden Maßnahmen, die der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet, sind ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung war vorgesehen, daß der Werkfernverkehr lediglich registriert wird, daß nach einem Marktgespräch eine Genehmigung erteilt wird. Der Deutsche Bundestag hat in einer Entschließung im Sommer dieses Jahres gefordert, daß in dieser Regelung auch vorgesehen werden soll, daß die Behörde eine Ablehnungsmöglichkeit hat.
Es war also der Wille des Bundestages, so zu verfahren.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die praktische Regelung oder die Erfüllung des Wunsches des Bundestages außerordentlich schwierig ist. Im Verlauf der Beratungen im Verkehrsausschuß hat sich auch gezeigt, daß es in der Tat fast unmöglich ist, eine befriedigende Lösung zu finden, wie das ja bei Dirigismen meist der Fall ist. Wir hatten mit der Bundesregierung zunächst darüber gesprochen, ob man nicht eine andere Möglichkeit der Lenkung finden kann, etwa über eine Lizenzgebühr oder vergleichbare Maßnahmen. Dies wurde als unbrauchbar verworfen. Es lag weiter ein Vorschlag des Bundesverbandes des Fernverkehrs auf dem Tisch; dieser Vorschlag war mit der Deutschen Bundesbahn abgestimmt. Eine Reihe von Kollegen hatte schon im Ausschuß starke Bedenken dagegen. Diese Bedenken haben sich dann als so gewichtig erwiesen, daß dieser Vorschlag vom Tisch kam.
Am Mittwoch vergangener Woche haben die Koalitionsfraktionen nun ihrerseits einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, den wir in der Sitzung nicht mehr mit beraten konnten, weil es in der Kürze der Zeit nicht möglich war, sich einen Überblick über diese schwierige Materie zu verschaffen. Die Koalitionsfraktionen haben dann mit Mehrheit bei Stimmenthaltung der Kollegen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen, Ihnen diesen Gesetzentwurf heute zur zweiten und dritten Lesung vorzulegen.
Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSU-Fraktion bedauern, wie ich eben ausgeführt habe, das die Bundesregierung es bisher versäumt hat, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir auch in der Verkehrspolitik ohne Dirigismen auskommen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, diese Untätigkeit aufzugeben und endlich zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Der vorgesehenen Regelung werden wir nicht entgegentreten; wir sind aber auch nicht bereit, die vorgesehene Regelung, die in vielen Punkten fragwürdig ist, mitzutragen.
Die zweite Regelung, die mit diesem Gesetz getroffen werden soll, zeigt wiederum, wie schwierig es ist, mit Dirigismen umzugehen. Es handelt sich um das Kontingentierungssystem beim gewerblichen Güterfernverkehr. Bisher war die Konzession an das Fahrzeug gebunden. Jetzt soll eine Konzession gegeben werden, die auf den Inhaber bezogen ist. Der Sinn dieser Maßnahme war ursprünglich, das Angebot des gewerblichen Verkehrs elastischer zu gestalten, damit die Wünsche des Werkverkehrs besser erfüllt werden können. Eine solche Maßnahme wäre am 1. Januar 1972 sinnvoll. Nun muß sie aus Rücksichtnahme auf die Situation bei der Deutschen Bundesbahn zurückgestellt werden. Ein Jahr früher, also im Herbst 1970, haben wir aber den Transportraum beim gewerblichen Verkehr erheblich aufgestockt. Der Normalverbraucher in unserem Volk fragt sich natürlich: Was machen denn die dort für eine Politik? 1970 stocken sie das Kontingent auf; im Herbst 1971 erklären sie, es sei sinnvoll, das Angebot elastischer zu machen, und dann stellen sie diese Maßnahme auf den 1. Januar
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9181
Schmitt (Lockweiler)

1973 zurück, wo aber eben kein vernünftiges Argument im Zusammenhang mit der Ablösung der Straßengüterverkehrsteuer gegeben ist.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht sich außerstande, diesem Gesetz ihre Zustimmung zu geben. Wir werden uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615930100
Das Wort hat der Abgeordnete Haar.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID0615930200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme der CDU/ CSU vor der dritten Lesung dieses Gesetzes war sehr interessant. Ich möchte zu dem, was hier vorgetragen worden ist, nur zwei Vorbemerkungen machen.
Die im Ausschuß von den Kollegen der Opposition vorgetragene und begründete Lizenzgebühr brachte keine Möglichkeit — darüber bestand selbst bei der Opposition Einigkeit —, in der von uns erwarteten und als notwendig erachteten wirkungsvollen Weise zu einem Ergebnis zu kommen. Die Frage der Wegekostenregelung und der Kapitalstruktur der Deutschen Bundesbahn gehört hier nicht hinein. Ein Motiv ist schwer zu erkennen. In den Ausführungen des Sprechers der Opposition ist schon deutlich geworden, daß die CDU/CSU bei dieser Gesetzesvorlage weder zu einer klaren Willensbildung gelangt ist noch eine entsprechende Alternative vorlegen kann. Auch besteht in den Reihen der Verkehrspolitiker der Opposition keine Einigkeit über diese Vorlage.
Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung der Güterkraftverkehrsgesetzes ist nach monatelangen Beratungen eine Lösung zustande gekommen, die die Vorschläge des Bundesrates berücksichtigt und über den Regierungsentwurf hinausgeht. Das jetzt vorliegende neue Lizenzierungsmodell gibt der Bundesbahn als einzigem Verkehrsträger die Möglichkeit, annehmbare Beförderungsangebote zu unterbreiten, bei deren Vorliegen die Bundesanstalt für den Güterfernverkehr dem Werkfernverkehrsinteressenten die Lizenzerteilung verweigern kann. Das neue Lizenzierungsverfahren sieht vor, daß Werkfernverkehrsinteressenten einen Antrag auf Erteilung einer Beförderungsbescheinigung stellen müssen. Zwei Voraussetzungen geben die Möglichkeit, derartige Anträge abzulehnen: erstens wenn die beantragte Nutzlast in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Beförderungsleistungen steht, die der Antragsteller auszuführen beabsichtigt, und zweitens, wenn die Bundesbahn innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Bekanntgabe des Antrags ein annehmbares Beförderungsangebot vorlegt. Dabei ist maßgebend, daß ein derartiges Beförderungsangebot dann annehmbar ist, wenn es unter Berücksichtigung der Eigenarten des Unternehmens des Antragstellers den erforderlichen Beförderungsleistungen und den nach Gesetz oder Tarif hierfür zu berechnenden Entgelten entspricht. Vor einer Entscheidung über den Antrag kann die BAG zu einem Marktgespräch laden. Nach dem Wegfall des sogenannten Leber-
Pfennigs haben die Koalitionsfraktionen über die Regierungsvorlage hinaus eine Lösung gesucht, die verfassungsrechtlich nicht anfechtbar ist, die Bundesbahn in ein gewisses kaufmännisches Obligo bringt und gleichzeitig für andere Verkehrsträger die Möglichkeit schafft, sich in einen freien Wettbewerb mit dem Werkfernverkehr zu bewegen.
Die Bundesregierung hat im Verkehrsbericht 1970 zum Ausdruck gebracht, daß sie auch im Verkehr den Wettbewerb bejaht. Sie sieht es als eine ihrer verkehrspolitischen Hauptaufgaben an, im Güterverkehr eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung anzustreben, die mehr von den Kräften des Marktes gesteuert wird. Unter dieser Zielsetzung ist die von ihr vertretene Verkehrspolitik zu sehen und zu beurteilen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist bereit, die Bundesregierung in diesem Bemühen zu unterstützen.
Seit Jahren beruht die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik auf den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, d. h. eines sinnvollen Leistungswettbewerbs, der sich in den Preisen niederschlägt. Im Bereich der Verkehrswirtschaft sollte daher auch nicht auf einen gesunden Wettbewerb der Verkehrsträger untereinander verzichtet werden. Allerdings — darin waren sich alle Fraktionen bei den bisherigen Ausschußberatungen einig — darf es kein Wettbewerb um jeden Preis sein, und es darf auch nicht einen Wettbewerb geben, der das Verkehrswesen ohne jegliche Steuerung sich selbst und dem freien Spiel der so unterschiedlich starken und so verschieden ausgestatteten Kräfte überläßt.
Ein gesunder und dem Nutzen aller Verkehrsteilnehmer dienender Wettbewerb setzt jedoch vor allem auch gleiche Ausgangspositionen und -bedingungen voraus. Sind die Wettbewerbsbedingungen ungleich oder verzerrt, ist es die Verpflichtung der politischen Stellen, im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten diese soweit wie möglich einander anzugleichen. Dann kann auch dem Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten mehr Raum gegeben werden. Vor diesem Hintergrund sind die Liberalisierungsbestrebungen der Regierung zu sehen. Solange diese daher nicht durch plötzliche und gewaltsame Eingriffe in die Strukturen des Verkehrsmarktes, sondern mit Hilfe sorgfältig bedachter und ausgewogener Maßnahmen schrittweise entsprechend den Gegebenheiten des Marktes, sowohl sachlich als auch zeitlich auf die Situation bei den anderen Verkehrsträgern und die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen abgestimmt, verwirklicht werden, bestehen aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion keine Bedenken.
An diesen Erfordernissen ist auch die angestrebte Neuordnung des Straßengüterverkehrs zu orientieren, wie sie in der für den Werkfernverkehr vorgesehenen Lizenzierung und einer flexiblen Gestaltung des Kontingentierungssystems in der Form von Inhabergenehmigungen statt der bisher geltenden an das Fahrzeug gebundenen Konzession zum Ausdruck kommt. Die Koalitionsfraktionen haben derartige Schritte begrüßt, um einerseits eine kontinuierliche Entwicklung zu sichern und andererseits
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Haar (Stuttgart)

die jeweils gemachten Erfahrungen zu berücksichtigen. Die Besonderheiten im Verkehrswesen machen zwar Eingriffe in seine Marktordnung notwendig, sie dürfen jedoch für die Betroffenen keine Zwangsjacke sein, sondern sollten ihnen für ihr unternehmerisches Handeln genügend Spielraum lassen.
Zwei Bereiche des Straßengüterverkehrs werden neu geregelt, die für unser Verkehrswesen auch künftig von Bedeutung sind. Nach geltendem Recht erhält ein Unternehmer, der Güterfernverkehr betreibt, eine oder mehrere Konzessionen für ein bestimmtes Fahrzeug. Nur dieses darf er für seine Transporte einsetzen. Künftig erwächst dem Unternehmer mit der vorgesehenen Inhabergenehmigung die Möglichkeit, aus seinem vorhandenen Wagenpark das für einen bestimmten Transport am besten geeignete Fahrzeug auszuwählen und sich dem spezifischen Laderaumbedarf des Verladers anzupassen. Diese Regelung wird jedoch erst ab 1. Januar 1973 gültig.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist der Unsinn!)

Mit der nach der Verabschiedung noch bestehenden Jahresfrist hat die Deutsche Bundesbahn die Möglichkeit, sich hierauf in ihrer Unternehmenspolitik einzustellen.
Diese neue Regelung ist EWG-konform. Sie entspricht unter anderem dem Genehmigungsverfahren, das im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr im Bereich der Europäischen Gemeinschaften seit langem üblich ist.
Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt bei der Frage der Lizenzierung des Werkfernverkehrs. Es geht einmal darum, mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger anzugleichen, ruinöse Wettbewerbsverhältnisse zu vermeiden und eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung zu ermöglichen. Andererseits mußte im Werkfernverkehr die Gefahr einer Wettbewerbsbenachteiligung für das betreffende Unternehmen vermieden und eine verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung, um die wir wochenlang gerungen haben, gefunden werden.
Der Deutsche Bundestag hatte in seiner einstimmig angenommenen Entschließung vom 18. Juni 1971 die Bundesregierung ersucht, für den Werkfernverkehr ein Lizenzierungsverfahren mit der Möglichkeit der Ablehnung einer Lizenz einzuführen. Wenn jetzt zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieser Gesetzesnovelle die Opposition von Dirigismus spricht, dann widerspricht das der Form und dem Inhalt der bisherigen Gespräche auch im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der SPD.)

Der Erfolg der bisherigen Straßengüterverkehrsteuer ist unbestreitbar. Eine nicht vertretbare Ausdehnung des Werkfernverkehrs wurde — das läßt sich einwandfrei nachweisen — verhindert. Alle Fraktionen haben sich in der Vergangenheit bemüht, das Ziel einer angemessenen Einordnung des Werkfernverkehrs in den Verkehrsmarkt zu erreichen und seine unkontrollierbare Ausuferung zu verhindern. Sonst wären Sie auch bei anderen Modellen nicht mit uns gegangen. Wir werden so lange an Zulassungsbeschränkungen festhalten, die das öffentliche Interesse an Sicherheit im Straßenverkehr und die Gefahr ruinöser Wettbewerbsbedingungen dies erforderlich machen. Auf eine wirksame Angebotssteuerung im Straßengüterverkehr können wir auch künftig nicht verzichten. Es wäre deshalb ein Widerspruch, bei der jetzt beabsichtigten gesetzlichen Regelung den Werkverkehr als am Marktgeschehen wesentlich Beteiligten ausnehmen zu wollen.
Die sozialdemokratischen Verkehrspolitiker haben sich ausführlich mit den damit verbundenen Problemen beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, die Forderung des Entschließungsantrags des Deutschen Bundestages aufrechtzuerhalten und das im Regierungsentwurf vorgelegte System der Beförderungsbescheinigungen wirksamer zu gestalten.
Das vorgeschlagene Lizenzierungsverfahren ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Regelung der Berufswahl, sondern eine Regelung der Berufsausübung. Wegen seiner im Einzelfall empfindlichen Auswirkungen kann es allerdings verfassungsrechtlich nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls, sondern nur mit überwiegenden Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Solche Interessen, die den Vorrang vor der Berufsbehinderung der Unternehmer verdienen, liegen hier vor erstens zum Schutz der Eisenbahnen und zweitens auch zur Entlastung unserer Straßen. Unter diesen Gesichtspunkten hat bereits 1963 das Bundesverfassungsgericht die grundsätzliche Zulässigkeit eines Lizenzierungsverfahrens im Werkfernverkehr bejaht. Strittig war seinerzeit nur die Pratktikabilität eines solchen Verfahrens. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß sich die befürchteten Schwierigkeiten in der verwaltungstechnischen Anwendung der neuen Vorschriften überwinden lassen.
Diese Regelung verstößt auch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es sind keine weniger einschneidenden und gleich wirksamen Maßnahmen denkbar oder rechtlich möglich. Die Koalitionsfraktionen sind sich darüber einig, daß die nunmehr vorliegende Fassung eine angemessene Einordnung des Werkfernverkehrs in den Verkehrsmarkt bedeutet, die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern angleicht, EWG-konform und verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Die Regelung ist angemessen. Der Begriff des offensichtlichen Mißverhältnisses läßt dem Unternehmer noch ausreichend Spielraum. Die Lizenzvergabe kann nur verweigert werden, wenn die Eisenbahn ein annehmbares Angebot abgibt. Das Marktgespräch, das auf Antrag eines Beteiligten anberaumt werden muß, gibt dem Antragsteller auch ausreichend Gelegenheit, seinen Antrag und die Nichtannehmbarkeit des Angebotes darzulegen. Darüber hinaus kann dieses Marktgespräch auch vermittelnd wirken. Die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern werden mit dieser
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9183
Haar (Stuttgart)

Regelung verbessert. Anders wäre es gewesen, wenn wir z. B. als Grundlage der Ablehnungsbefugnis auch Angebote des gewerblichen Güterfernverkehrs miteinbezogen hätten.
Mit der vorliegenden Regelung kommen wir dem berechtigten Schutzinteresse der Deutschen Bundesbahn nach. Wir können nicht auf der einen Seite Einnahmeausfälle und Verluste der Deutschen Bundesbahn beklagen, sie auch noch der Bundesregierung vorwerfen, ihre Daseinsvorsorgeleistungen aber weiter steigern, wie das immer wieder geschieht, und ihr gleichzeitig die Grundlagen der Wirtschaftlichkeit entziehen. Dies hat uns auch bewogen, lediglich die Deutsche Bundesbahn und nichtbundeseigene Eisenbahnen zur Abgabe von Angeboten zu ermächtigen, die eine Lizenzverweigerung begründen können.
Dieses Hohe Haus hat vor wenigen Jahren gemeinsam akzeptiert, daß eine am Gemeinwohl ausgerichtete Neuordnung unseres Verkehrswesens oberstes Ziel der Verkehrspolitik ist. Es kommt jetzt darauf an, deutlich zu machen, daß unser Verkehrsraum nicht grenzenlos erweitert und unser Straßennetz nicht ohne Rücksicht auf Verluste durch mehr Lastverkehr abgenützt werden kann.
Deshalb bleibt für uns der Grundsatz bei allen Überlegungen: So viel Freiheit wie möglich und so viel Bindung wie nötig!
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf mit den von uns im Ausschuß vorgenommenen Änderungen zustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615930300
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615930400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im Verkehrsbericht 1970 ihre Absicht bekundet, auch im Güterkraftverkehr eine an den Prinzipien der Marktwirtschaft orientierte Ordnung des Zugangs zum Markt behutsam und unter Vermeidung gewaltsamer Eingriffe in die bestehenden Strukturen zu verwirklichen. Das war Absicht der Bundesregierung, und sie hat diese Absicht in dem Gesetzentwurf verwirklicht, den wir heute in dritter Lesung behandeln, in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes.

(Abg. Dr. Jobst: Das ist nicht der Entwurf der Regierung!)

— Aber Herr Kollege, das weiß ich! Lassen Sie mich doch erst mal meine Ausführungen beginnen!

(Zuruf von der CDU/CSU: Schützenhilfe!)

Dieser Gesetzentwurf kommt also der geäußerten Absicht in vollem Umfang nach. Er kommt weiterhin einem Auftrag des Deutschen Bundestages nach, der einstimmig der Bundesregierung erteilt wurde. Der Kollege Haar hat auf den Inhalt der Entschließung schon hingewiesen.
In dem Güterkraftverkehrsgesetz werden zwei Tatbestände angesprochen. Es wird das Kontingentierungsverfahren für den gewerblichen Güterfernverkehr geändert. Diese Änderung entsprach dem Willen des Hauses und sicherlich auch dem Willen der CDU/CSU-Fraktion. In den Ausschußberatungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf waren auch von der CDU/CSU keine entgegenstehenden Meinungen geäußert worden.
In seinem zweiten Teil regelt der Gesetzentwurf das Verfahren für den Werkfernverkehr. Er führt die Beförderungsbescheinigungen ein.
Eben hat Herr Kollege Schmitt (Lockweiler) der Regierung vorgehalten, sie habe ihre Meinung gewechselt, der Gesetzentwurf tue etwas anderes als im Verkehrsbericht beabsichtigt. Nein, Herr Kollege Schmitt (Lockweiler), ich kann einen Meinungswechsel nicht feststellen. Wenn Sie heute vortragen, daß Sie dem jetzt vorliegenden Entwurf nicht zustimmen können, dann habe ich dafür zwar volles Verständnis, aber Sie hätten doch der Regierungsvorlage im Ausschuß zustimmen oder hier die Wiederherstellung der Regierungsvorlage verlangen müssen; denn sie kommt bezüglich der Regelung im Werkfernverkehr haargenau Ihren Ansichten nach, die Sie am 18. Juni anläßlich der Diskussion über den Verkehrsbericht 1970 hier geäußert haben. In der Resolution allerdings gingen Sie aber mit uns etwas über Ihre Äußerung hinaus.
Ich darf zur Aufhellung des Sachverhalts mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihre Äußerung zitieren. Sie haben damals gesagt:
Wir glauben, daß es deshalb gut ist, einerseits der notwendigen Ausweitung des Werkfernverkehrs keine Barriere in den Weg zu legen, auf der anderen Seite aber der Regierung sozusagen als Ultima ratio die Möglichkeit in die Hand zu geben, die Ausdehnung zu steuern, wenn es zu einer nachhaltigen Störung des Verhältnisses der Verkehrsträger zueinander kommen sollte.
Das war Ihre Auffassung. Ich nehme an, sie entsprach der Auffassung Ihrer Fraktion. Diese Auffassung fand Aufnahme in § 50 f des Textes der Regierungsvorlage, in dem die Bundesregierung ermächtigt wird, einzugreifen, wenn die Störung eingetreten ist, von der Sie damals sprachen.
Ich stelle also fest, daß nicht die Bundesregierung ihre Meinung gewechselt hat, die sie im Verkehrsbericht 1970 geäußert hat und die jetzt im Gesetzentwurf niedergelegt wurde, sondern daß Sie Ihre Meinung gewechselt haben. Obschon die Bundesregierung Ihrer Auffassung nachgekommen ist, haben Sie keinen Versuch gemacht, der Regierungsvorlage zur Annahme zu verhelfen oder hier die Wiederherstellung der Regierungsvorlage zu verlangen, die wir — jetzt komme ich auf Ihren Einwand — in den Ausschußberatungen verändert haben und die nunmehr verändert mit dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Verkehr hier vorliegt und worüber wir jetzt sprechen.
Dabei darf ich für die Freien Demokraten feststellen, daß wir im Sinne unserer Entschließung vom Sommer dieses Jahres über die Regierungsvor-
9184 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Ollesch
lage hinausgegangen sind, weil wir der Auffassung waren, daß das vorgesehene Beförderungsbescheinigungsverfahren kaum geeignet sein könnte — obwohl es Ihren Auffassungen, die Sie damals äußerten, entsprach —, einer Ausdehnung des Werkfernverkehrs entgegenzuwirken. Wir wurden in der Auffassung, daß die Regierungsvorlage zu verändern sei, durch das Votum des Bundesrats bestärkt, der der Bundesregierung ja auch vorschlug, ein wirksameres Verfahren der Lizenzierung zu finden, weil eben eine Ausdehnung befürchtet wurde. Außerdem haben wir in voller Übereinstimmung mit dem Wirtschaftsausschuß dieses Hohen Hauses gehandelt, der ein ebensolches Ersuchen an den Verkehrsausschuß stellte, ein wirksameres Lizenzverfahren zu finden.
Wir haben lange darüber nachgedacht, ob es ein Verfahren gäbe, das wirksam sei und durch das Bundesverfassungsgericht nicht angefochten werden könne. Wir haben unseren ursprünglichen Plan — Genehmigungen zur Aufnahme des Werkfernverkehrs nur, wenn die übrigen Verkehre den Transport nicht übernehmen können — fallenlassen müssen, weil wir belehrt wurden, daß so starke Eingriffsmöglichkeiten verfassungswidrig sein könnten.
Das Verfahren, das nunmehr in diesem Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vorgeschlagen wurde, das die Zustimmung der Mehrheit des Ausschusses gefunden hat und heute hier zur Abstimmung steht, sieht für die Ablehnung der Lizenz zwei Möglichkeiten vor. Einmal sieht der Vorschlag der Bundesregierung einen generellen Stopp der Ausgabe von Lizenzen vor, wenn diese Störung, die Sie damals auch herangezogen haben, eingetreten ist. Aber das schien uns nicht genug zu sein, denn danach würde erst dann eingegriffen, wenn das Desaster schon eingetreten ist, und dem Aufkommen der Schwierigkeiten würde nicht vorgebeugt und entgegengetreten.
Die Koalitionsfraktionen, die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten, haben aus diesem Grunde vorgesehen, eine Lizenz für das beantragte Fahrzeug dann zu versagen, wenn die Nutzladefläche offensichtlich weit über das hinausgeht, was durch das zu befördernde Gut erfordert ist, wenn also eine falsche Relation gegeben ist.
Wir waren jedoch darüber hinaus der Meinung, daß eine Beförderungsbescheinigung auch dann nicht erteilt, die Lizenz also verweigert werden sollte, wenn die Bundesbahn in der Lage ist, den Transport zu übernehmen. Denn wir wünschen nicht, daß nach Auslaufen der Straßengüterverkehrsteuer der Werkfernverkehr infolge der finanziellen Entlastung, die für ihn eintritt, über Gebühr ansteigt und damit der Bundesbahn Transporte wegnimmt, für deren Steigerung wir vom Bunde her bis heute Erhebliches an finanziellen Zuschüssen — ich denke etwa an die Zuschüsse zur Förderung des Gleisanbaus — gegeben haben.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ist das nicht in erster Linie eine Frage des besseren Angebots durch Bahn und gewerblichen Verkehr?)

— Sicherlich! Die Auseinandersetzung — und damit das bessere Angebot — bleibt dabei ja erhalten, denn wir haben einige einschränkende Bestimmungen eingefügt. Wir glauben, daß dieses Verfahren auch für die Bundesbahn einen Anreiz schafft, sich kaufmännischer als bisher zu verhalten und sich etwas mehr auf dem Markt zu bewegen.
Die geäußerten Befürchtungen, daß in den strukturell schwachen Gebieten Nachteile für den Werkfernverkehr eintreten könnten, halte ich nicht für so schwerwiegend, denn in der Regel wird in den strukturschwachen Gebieten die Bundesbahn auch nicht in der Lage sein, den Verkehr zu den Bedingungen zu übernehmen, die für den Beantragenden annehmbar sind; und in der Regel wird also dem Antrag stattgegeben werden.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Dann hätte ja das Marktgespräch genügt!)

— Sicherlich, Herr Kollege Müller-Hermann, das hier ist keine Patentlösung, aber diese Lösung zwingt auch zu einem Gespräch — das wissen Sie; das ist auch vorgesehen —, und sie ist auch nicht für die Ewigkeit gedacht. Wir glauben aber, daß sie angesichts der verschiedenen Interessenlagen einen Versuch darstellen könnte, die schwierigen Probleme zu lösen. Narrensichere Lösungen hatte keine Seite dieses Hauses anzubieten, und uns allen war
I etwas unwohl bei dem Gedanken, hier eine Lösung finden zu müssen, die hieb- und stichfest sein würde. Es ist uns allen nicht gelungen, die absolute Lösung zu finden, und hier wurde keine willkürliche Mehrheitsentscheidung getroffen, sondern wurden alle Argumente sorgsam abgewogen, und wir haben in mehreren Sitzungen versucht, einen Weg zu finden.
Die Koalitionsfraktionen sind auch hier — dies klang heute morgen bei der Debatte über die Richterbezeichnungen schon an — über die Regierungsvorlage hinausgegangen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Arbeitet denn die Regierung so schlecht?)

Ich glaube, das kann keinen Tadel bedeuten, sondern

(Zuruf von der CDU/CSU: Anerkennung!)

zeigt, daß dieses Haus auch unter den gegebenen Verhältnissen und angesichts der Entwicklung, die unsere parlamentarische Demokratie in den letzten Jahren genommen hat — die sicherlich nicht die beste ist —, durchaus in der Lage ist, nach sachlichen Gesichtspunkten zu entscheiden und zu handeln, und auch durchaus bereit ist, nicht immer all das abzudecken, was die Regierung tut.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Manchmal könnte die Regierung doch auch klüger sein als die Mehrheit des Hohen Hauses! — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Wir machen es doch nicht so wie die CDU, Herr Müller-Hermann!)

— Sicherlich, Herr Kollege Müller-Hermann, das
haben wir in der Vergangenheit oft erlebt, daß sie
klüger war als wir. Es ist aber doch für die Abge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9185
Ollesch
ordneten, die sicherlich nie den Vorteil haben werden, dort oben zu sitzen, sehr trostreich, gelegentlich dokumentieren zu können, daß der Sachverstand auch hier unten im Hause durchaus zu Hause ist.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Gelegentlich!)

— Nein, das haben wir einige Male gezeigt, Herr Kollege Müller-Hermann, das werden wir auch, wenn es notwendig sein sollte, in der nächsten Zeit zeigen, solange wir im Bunde mit in der Verantwortung stehen.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten werden dem Gesetzentwurf, wie er nunmehr in der geänderten Fassung durch Beschlüsse des Verkehrsausschusses vorliegt, ihre Zustimmung geben. Sie wissen, daß wir sicherlich Sachwalter der Marktwirtschaft auch im Verkehr sind.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Herr Kollege Müller-Hermann, Sie können keinen Tatbestand aufzählen,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sie haben für Festpreise gekämpft bis zum letzten!)

der diese Aussage in Frage stellt.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Oh!)

— Nein, das können Sie nicht dokumentarisch nachweisen!

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Eine Zwischenfrage!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615930500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ollesch?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615930600
Bitte!

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0615930700
Herr Kollege Ollesch, würden Sie mir wenigstens in dem Punkt recht geben, daß Ihr sehr verehrter, persönlich sehr geschätzter Kollege Rademacher fast bis zum letzten für Festpreise im Verkehr im Namen Ihrer Fraktion gekämpft hat?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615930800
Herr Kollege Müller-Hermann, das kann ich nicht mehr so sagen. Es ist eine ganze Weile her, daß der Kollege Rademacher hier im Hause Verkehrspolitik machte.

(Abg. Dr. Wulff: Das merken wir! — Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Acht Jahre ist es her, und von daher bin ich nicht in der Lage, noch genau zu beurteilen, Herr Kollege Müller-Hermann, ob das so war. Sie können mir ja gelegentlich den Nachweis herüberschicken. Ich werde Gelegenheit nehmen, diesen Nachweis sehr nachhaltig zu studieren. Sie werden mir dann aber gestatten, Ihnen meinerseits im Gegenzug etwas nachzuweisen, wo auch Sie den Pfad der reinen Tugend verlassen haben. Dazu könnten wir aus der letzten Vergangenheit einiges aufzählen.
Meine Damen und Herren, wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, weil wir wissen, daß wir im Verkehr immer mit zwei Voraussetzungen arbeiten müssen, von denen her uns der Weg vorgegeben ist. Das ist einmal die Existenz des Monopolbetriebes Deutsche Bundesbahn und zum anderen die Existenz des Monopolbetriebes Deutsche Bundespost. Diese beiden Betriebe können wir bei unseren Betrachtungen nicht außer acht lassen. Von daher werden wir nur sehr behutsam an die weitere Liberalisierung unserer Verkehrsprobleme gehen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615930900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615931000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haar war der Meinung, in meiner Fraktion habe keine Willensbildung stattgefunden und sei keine Einigung erzielt worden. Ich muß ihm sagen, daß er sich täuscht. Wir haben augenscheinlich die Argumente der von der SPD und FDP geführten Bundesregierung etwas ernster genommen als die beiden Fraktionen der SPD und FDP. Wir haben jedenfalls im entsprechenden Ausschuß des Deutschen Bundestages alle Möglichkeiten, den Werkfernverkehr in eine Ordnung einzubauen, eingehend erörtert. Ich brauche darauf im einzelnen nicht einzugehen. Dies hat der Herr Kollege Ollesch in seinem Bericht dargelegt. Jedenfalls ist festzustellen, daß gegen eine Lösung der Versagung die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme sowohl gegenüber dem Bundesrat wie auch im Ausschuß für Verkehr bis zuallerletzt ihren Standpunkt aufrechterhalten hat, daß die nunmehr vorgesehene Versagung der Lizenz rechtlich keine einwandfreie Lösung darstellt. In der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Äußerungen des Bundesrates ist das in aller Deutlichkeit dargelegt worden. Es heißt dort:
Die Anforderungen, die dieses Verfahren — das Versagungsverfahren —
an die entscheidende Behörde stellt, wären unverhältnismäßig groß. Da die Entscheidungen der Behörde gerichtlich nachprüfbar wären, müßte mit einer Vielzahl von Verwaltungsprozessen mit höchst unsicherem Ausgang gerechnet werden.
Es heißt dann weiter:
Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß dieses Verfahren, sofern es wegen der vorgenannten Schwierigkeiten überhaupt durchführbar wäre, bei erheblich größerem Verwaltungsaufwand im Ergebnis nicht wirksamer sein würde als die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung.
Im Ausschuß wurde eingehend über diese Probleme gesprochen. Es stellte sich z. B. die Frage, was erforderliche Beförderungsleistung heißt, wie es jetzt in dem Vorschlag vorgesehen ist. hi dem Regierungspapier selbst wird die Frage gestellt, was erforderlich heißt. Ein, zwei oder drei Beförderungen in der Woche? Die Behörde müßte insoweit die Behauptungen des Antragstellers überprüfen.
9186 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Lemmrich
Es wird dann auch davon gesprochen, der Antragsteller könnte übertriebene Anforderungen stellen und damit das Verfahren unterlaufen. — Ich will hier nur einige Gesichtspunkte erwähnen, um sichtbar zu machen, wie schwierig die Dinge sind und welche Haltung diese Bundesregierung einnimmt. Herr Kollege Ollesch sagt, man habe den Gesetzentwurf über die Regierungsvorlage hinaus weiterentwickelt. Von Weiterentwickeln kann keine Rede sein, sondern er ist grundlegend, er ist in der Essenz verändert worden.
Aber die zweite Seite der Medaille ist doch die Tatsache, daß alle Fraktionen dieses Hauses in der Entschließung zum Verkehrsbericht die Bundesregierung ersucht haben, in das Lizenzierungsverfahren die Möglichkeit der Ablehnung aufzunehmen. Bei dem Vergleich dieser Entschließung mit der Haltung der Bundesregierung wird ein starker Dissens deutlich, den die Bundesregierung weder im Ausschuß noch in ihren schriftlichen Darlegungen aufgeklärt hat. Das ist die Situation, in der wir uns in dieser Frage in der Tat befinden.
Nun hat Herr Kollege Haar davon gesprochen, das sei ein wirkungsvolles Instrument. Das muß man leider bezweifeln. Es ist ja nicht von ungefähr, daß die Deutsche Bundesbahn und der Bundesverband Güterfernverkehr gemeinsam hinter diesem sogenannten BdF-Vorschlag gestanden haben. Warum ist das so? Gut, die Deutsche Bundesbahn kann jetzt Angebote machen, und wenn sie ausreichend sind, kann die Genehmigung versagt werden. Aber das Ergebnis wird doch sein, daß der Werkfernverkehr dem gewerblichen Güterfernverkehr besonders konkurrenzieren wird. Der gewerbliche Güterfernverkehr wird sich das, was er verlieren wird, bei der Bundesbahn wieder holen. Es wird einen Ringtausch geben, so daß hinter die Frage der Wirksamkeit nur große Fragezeichen gesetzt werden können.
Ich weiß, meine verehrten Kollegen, daß die Probleme nicht leicht zu lösen sind. Doch die Bundesregierung weiß seit 1968, daß die Werkfernverkehrsteuer ausläuft. Sie hat so lange Zeit gehabt, eine Vorlage zu unterbreiten, die das berücksichtigt. Ende Oktober haben wir dann die Gesetzesvorlage bekommen, die voller Schwierigkeiten, voller Probleme steckt. Dann ging es wie immer hopplahopp, uni noch vor dem 1. 1. 1972 zu einer Lösung zu kommen.
Im Gesetzentwurf ist folgende Tatsache im Grunde völlig offen. Die Bundesbahn kann Angebote machen. Die Deutsche Bundesbahn beschäftigt mehr als 2000 Lastzüge im Güterfernverkehr. Wie ist das mit diesen Lastzügen? Betrifft das Angebot der Bundesbahn nur ihren Schienenverkehr oder auch ihren Güterkraftverkehr? Wir verstehen das so, daß nur der Schienenverkehr gemeint sein kann; denn sonst wird die Bundesregierung wegen Ungleichbehandlung sofort vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stehen. Daran merken wir, wie wichtig die Rechtsfragen dieses Gesetzes sind, die unzureichend gelöst sind.
Der Kollege Ollesch sagte vorhin, der Bahn solle ein Anreiz gegeben werden, sich besser dem Markt
anzupassen. Darauf möchte ich nur erwidern, daß die Bahn mit ihrem jetzigen Kundendienstnetz und mit ihren Kundenberatern einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht hat, um sich der Marktsituation anzupassen. Viele Unternehmen wissen jetzt, daß die Bahn nicht wartet, bis ein Kunde kommt, sondern daß sie sich um Kunden bemüht, um ihre Kapazitäten auszulasten.
Bei der Inhaberkonzession ist immer die Rede davon, die Regierung betreibe eine Politik aus einem Guß. Das ist nicht der Fall. Die Inhaberkonzession soll Werkfernverkehrsleistungen auffangen. Sie wird aber erst im übernächsten Jahr in Kraft gesetzt werden, weil eine beträchtliche Kapazitätsausweitung damit verbunden ist, von der niemand genau weiß, wie groß sie ist. Man redet von 10 bis 25 N. Keiner kann etwas Genaues sagen. Aber da die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Kontingente im gewerblichen Güterfernverkehr um 5 % erhöht hat, müssen wir ernsthaft fragen, warum sie die Frage der Inhaberkonzession nicht auf 1970 vorziehen konnte und damit die jetzt entstehenden Probleme der Kapazität entspannt hätte. Diese Regierungspolitik ist nicht aus einem Guß.
Wir müssen sehen, wie dieser Dissens, den ich jetzt dargelegt habe, zwischen Regierungshaltung und den Forderungen, die der Bundestag an diese Regierung gestellt hat, und die schwierigen rechtlichen Probleme, die darin liegen — Herr Kollege Haar hat es selbst erwähnt —, wie diese verwaltungstechnischen, und ich füge hinzu: verwaltungsrechtlichen Schwierigkeiten mit diesem Gesetz gemeistert werden können. Wenn wir alle ehrlich sind, wissen wir, daß das schwierig ist und daß dieser vorliegende Entwurf in seiner jetzigen Fassung problematisch ist. Wir sind der Meinung, meine verehrten Kollegen, diejenigen, die so lange mit der Vorlage dieses Entwurfs gewartet haben, mögen alleine die volle Verantwortung für dieses unzureichende Gesetz übernehmen. — Bitte sehr, Herr Kollege Haar!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615931100
Sie gestatten die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haar. Bitte schön!

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID0615931200
Herr Kollege Lemmrich, können Sie mir klar antworten auf die Frage, ob die von Ihnen angestrebte Lösung, die Sie im Ausschuß selbst befürwortet haben, verfassungsrechtlich unbedenklich gewesen wäre?

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615931300
Herr Kollege Haar, ich
habe hier deutlich gemacht — Sie sind gerade erst
wieder hereingekommen —, daß der Dissens zwischen den Rechtsauffassungen, welche die Bundesregierung in den verschiedenen Papieren, die Sie genauso besitzen wie ich, dargelegt hat, und den Forderungen des Bundestages schwer lösbar ist und daß in. der Zeit, die zur Verfügung stand und die für eine so schwierige Materie nicht ausreichend war, die Lösungen nicht ausgearbeitet und fixiert
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9187
Lemmrich
werden konnten. Deswegen bleiben diese Bedenken bestehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615931400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615931500
Ich darf vielleicht jetzt zum Ende kommen.
Meine verehrten Damen und Herren, das macht deutlich: die nächste Novelle kommt gewiß, und zwar bald. Deswegen ist es unsere Meinung: Diese Regierungskoalition möge die alleinige Verantwortung für dieses Gesetz mit all den Schwierigkeiten und mit all der Problematik, die es enthält, alleine übernehmen. Meine Fraktion wird sich aus diesen Überlegungen der Stimme enthalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615931600
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615931700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein paar Worte. Ich bin immer etwas erstaunt und auch voll Hochachtung, Herr Kollege Lemmrich, wie es Ihnen trotz einiger Purzelbäume

(Abg. Haar [Stuttgart] : Sehr gut!)

immer wieder gelingt, scheinbare Gründe für Ihre ablehnende oder nicht zustimmende Haltung zu finden.
Es handelt sich hier doch um zwei einfache Tatbestände; sie sind auf allen Seiten bekannt. Auch Sie haben gefordert, daß sie geregelt werden und daß sie so geregelt werden, wie sie jetzt geregelt worden sind. Sie haben die Veränderung der Konzession im gewerblichen Güterfernverkehr von der Fahrzeugkonzession zur Inhaberkonzession gefordert.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Strittig ist der Zeitpunkt der Einführung. — Herr Kollege Lemmrich, dann hätten Sie doch hier beantragt „1. 1. 72" mit der Erklärung: „Uns paßt das alles sehr schön, nur der Zeitpunkt paßt uns nicht, ,1. 1. 73, wie Sie es wollen."

(Abg. Haar [Stuttgart]: Die wollen ja nicht!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615931800
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615931900
Herr Kollege Ollesch, ist Ihnen entgangen, daß ich den Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Zahl der Konzessionen im Jahr 1970 und dem jetzigen Entwurf hergestellt habe? Das ist doch die Problematik, um die es geht.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615932000
Herr Kollege Lemmrich, Sie kommen immer mit neuen Tatbeständen an, die Sie dann
hineinmogeln, um noch Gründe zu finden. Das ist der eine Tatbestand.

(Abg. Lemmrich: Wenn Ihnen das nicht gegenwärtig ist, tut es mir leid! Dann können wir nicht darüber diskutieren!)

Der zweite Tatbestand, Herr Kollege Lemmrich: Lizenzierung des Werkfernverkehrs. Das Problem ist seit langem bekannt. Es ist nur schwierig, es zu gestalten. Das wußten Sie auch. Sie haben mit uns — —

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Die Lizenzierung haben wir schon 1967 gefordert!)

— Weiß ich, weiß ich. — Sie haben mit uns im Sommer vorgeschlagen, die Bundesregierung aufzufordern, ein Lizenzverfahren mit der Möglichkeit der Ablehnung zu finden. Ich habe vorhin vorgelesen, was Kollege Schmitt (Lockweiler) am 18. Juni hier oben erzählt hat. Die Regierungsvorlage entsprach haargenau Ihren Wünschen. Sie hätten dann ja der Regierungsvorlage zustimmen können. Wir sind aus den Gründen, die ich eben geschildert habe, über die Regierungsvorlage hinausgegangen. Aber Sie erklären hier immer wieder, die Regierung habe da etwas verändert, sie habe ihre Meinung gewechselt, Sie seien unter Zeitdruck gesetzt worden. Der Zeitdruck spielt ja eine ungeheure Rolle in allen Ihren Argumenten, von der Außenpolitik angefangen bis zur Bildungspolitik.

(Zurufe von der CDU/CSU: Mit Recht! — Ja, ist es nicht so? — Abg. Dr. Jobst: Wollen Sie das bestreiten?)

Der Zeitdruck!

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sie haben ja Zeit genug gehabt!)

Sie haben bei diesen sehr einfachen, schon lange bekannten Tatbeständen ausreichend Zeit gehabt, Ihrerseits präzise Vorschläge zu machen. Das haben Sie unterlassen. Mehr habe ich hier nicht festzustellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0615932100
Wenn Zeit keine Rolle spielt, warum waren Sie denn bis jetzt z. B. noch nicht in der Lage, sich beim Postorganisationsgesetz mit Ihrem Koalitionspartner zu einigen?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0615932200
Ach, Herr Kollege Lemmrich, wieviel Zeit haben Sie denn in der Großen Koalition gebraucht, sich über strittige Probleme zwischen den Fraktionen zu einigen? Aber dies war doch gar nicht mehr streitig. Hier wurde haargenau das vorgelegt, was Sie im Grund genommen immer wieder gefordert haben, mit uns zusammen.

(Beifall bei der Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615932300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —
9188 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Bei einer Gegenstimme und zahlreichen Stimmenthaltungen ist das Gesetz in der dritten Beratung angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungs- und Technologiepolitik — Drucksachen VI/2364, VI/2789
b) Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Technologiepolitik
- Drucksachen VI/2369, VI/2789 —
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Dr. Martin, Dr. Hubrig, Dr. Probst, Lenzer und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Europäische Technologiekonferenz
— Drucksache VI/2389
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hubrig. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Hans Hubrig (CDU):
Rede ID: ID0615932400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß das Verhältnis dieses Hohen Hauses zur Technik und damit zur Technologie noch nicht ganz in Ordnung ist, hat der Präsident anläßlich der Abstimmung in der zweiten Lesung soeben feststellen können. Das wäre ein weiterer Grund, hier über Forschung und Technik zu reden. Aber unabhängig davon entspricht es den Erwartungen und Absichten meiner Fraktion, der CDU/CSU, daß wir heute in diesem Hause die Debatte über die Forschungs- und Technologiepolitik mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierung, führen.
Die Kommunikationsschwierigkeiten in dem für diesen Bereich zuständigen Ressort im Hinblick auf den Zeitpunkt unserer Debatte haben wir dabei nicht übersehen. Für die Regierung wäre es sicher einfacher gewesen, vor dem plakativen Hintergrund des Forschungsberichtes IV, dessen spätes Erscheinen in der Tat doch nicht auf Fremdeinwirkung der Opposition zurückzuführen ist, Selbstdarstellung zu betreiben, um das vergessen zu machen, was in der Antwort auf unsere Große Anfrage schwarz auf weiß vorliegt.
Bevor ich zur Sache komme, gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung. Wie wir hören, Herr Minister, treten Sie in wenigen Stunden Ihren wohlverdienten Urlaub an. Wir möchten es nicht versäumen, Ihnen im Sinne des Bonum commune eine gute Erholung zu wünschen.
Doch nun zu Ihrer Antwort. Schon ein erster Blick auf diese Antwort läßt erkennen, welche erstaunliche Behandlung dieser Anfrage durch Ihr Haus, Herr Minister, zuteil geworden ist sowohl formal als auch inhaltlich. Ausgerechnet das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft meint sich an parlamentarischen Regularien vorbeischleichen zu können, indem es in der bewußt umgekehrten Reihenfolge der Beantwortung der beiden Großen Anfragen eine Darstellung erzielt, die vielfach einem Nachschlagewerk unter dem Motto „Auflösung siehe Seite 10" ähnelt. Darüber hinaus ist die Unzahl von Ankündigungen, ja Gemeinplätzen, Leerformeln ohne Definitionswert auf detaillierte Anfragen der CDU/CSU die unübersehbare inhaltliche Schwäche der Regierungsantwort.
Bevor ich mich im einzelnen mit der Regierungsantwort auseinandersetze, lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen machen, die a) die Summe der Gründe zur Formulierung der Großen Anfrage der CDU/CSU noch einmal verdeutlichen und b) gleichermaßen versuchen, für uns den Stellenwert einer Forschungs- und Technologiepolitik im politischen Gesamtsystem zu begründen.
Die CDU/CSU geht davon aus, daß die Wechselwirkung von technisch-wissenschaftlichem Fortschritt, gesellschaftlichem Nutzen und langfristigem volkswirtschaftlichem Wachstum ein längerfristiges, finanziell abgesichertes und zukunftorientiertes Aktionsprogramm einer deutschen Bundesregierung verlangt. Diese notwendige Konzeption vermag die derzeitige Bundesregierung nicht anzubieten. Daß dies so ist, sind nicht Mutmaßungen dieser Opposition wie sich im weiteren Verlauf der Debatte herausstellen wird —, sondern das wird auch durch offizielle Publikationen der Bundesregierung erhärtet.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die vom Bundespresse- und -informationsamt veröffentlichte Zwischenbilanz der Bundesregierung, die in dekorativem Zuschnitt in vielen Wochenzeitschriften zu finden war. Selbst wenn man diese als Beurteilungsmaßstab für das nach zwei Jahren Regierungstätigkeit Erreichte hinstellt, so sind im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik weder Verbesserungen noch Begünstigungen erzielt worden —ja, dieser Sektor ist ausgespart und stellt eine Tabula rasa dar.
Völlig im Gegensatz dazu steht der hauseigene Pressedienst des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, der nach der wiederholten Initiative der CDU/CSU auf Einsetzung eines Unterausschusses „Technologie" im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages sichtlich bemüht ist, eine quantitative Verbesserung der Beiträge auf dem Technologiesektor zu erzielen ohne allerdings über punktuelle Aktionen hinaus ein Spiegelbild für das angeblich systematische, koordinierte Planen und Handeln in diesem Bereich zu liefern.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute der Forschung und Ausbildung Priorität in unserem politischen Zielkatalog zuweisen, dann nicht zuletzt, weil ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung und das Wirtschaftswachstum außer Frage stehen und beides in erheblichem Maße die Entwicklung des realen Sozialproduktes beeinflußt.
Die Höhe der Ausgaben für Forschung und Ausbildung vor allem im letzten Jahrzehnt hat Dimensionen erreicht, die uns Politiker immer stärker
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9189
Dr. Hubrig
1 herausfordern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um im Rahmen der jeweiligen unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen Forschung und Ausbildung mitzugestalten.
Neben der einen Aufgabe der Forschung, neues Wissen zu erschließen, das durch die Ausbildungssysteme vermittelt wird, ist die Forschung die Grundvoraussetzung für die Anwendung neuer Produkte und Produktionsverfahren und somit für das Wirtschaftswachstum. Der mit dem Wirtschaftswachstum verquickte Strukturwandel führt andererseits zu einer Vielzahl von Konflikten, die wiederum neue Problemstellungen für die Forschung implizieren. Der hiermit angesprochene Rückkoppelungsprozeß zwischen Forschung, Ausbildung, sozialer Effizienz und Wirtschaftswachstum muß in all seinen Auswirkungen überblickt werden, soll eine Forschungsförderungspolitik wirkungsvoll angelegt sein. Daß es sich hierbei um ein Optimierungsproblem schwierigsten Grades handelt, ist auch der Opposition dieses Hauses bekannt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zwei Säulen, um welche die Problematik kreist, herausgreifen: a) den rein ökonomischen Aspekt technischen Fortschritts und b) die gesellschaftlichen Auswirkungen des technischen Fortschritts.
Unter ökonomischem Aspekt gewinnt der technische Fortschritt eine immer stärkere Bedeutung für die Entwicklung des Wirtschaftswachstums der Zukunft, da sowohl die Erwerbsquote als auch die Investitionsquote nicht beliebig erhöht werden können. Einerseits schafft erst eine zunehmende Anzahl von Gütern und Dienstleistungen die Voraussetzungen zur Steigerung der Qualität unserer Gesellschaft; andererseits ist es grundverkehrt, eine Forschungspolitik zu konzipieren, die sich einzig an der Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts orientiert, aber die Qualität menschlichen Lebens außer acht läßt.
Betrachten wir die augenblickliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland, so stellen wir von der CDU/CSU fest, daß sich die Regierung schwertut, diese Problematik anwendungsorientiert zu lösen und dies, obwohl sie die forschungspolitische Infrastruktur 1969 in dem damaligen Ministerium für wissenschaftliche Forschung vorfand.
Meine Damen und Herren von der Regierung, bei einem kurzen historischen Rückblick wird es Ihnen doch nicht schwerfallen, nachzuvollziehen, daß mit der Gründung des Bundesministeriums für Atomfragen unter Leitung von Franz Josef Strauß im Oktober 1955 der entscheidende Anfang der Forschungsförderung auf Bundesebene gemacht wurde, also zu einem Zeitpunkt, als die innen- und außenpolitische Situation nicht dazu angetan war. Ich erinnere an die verfassungsmäßigen Bedenken, auf Bundesebene Maßnahmen zur Förderung der Forschung zu unternehmen, und ebenso an die skeptischen Stimmen, die sich fragten: Muß es unbedingt auf dem Sektor der Kernenergie sein?
Das frühzeitige Erkennen der Bedeutung der Kernenergie für Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sowie die hervorragende Zusammenarbeit
der vier Ebenen — dokumentiert durch die Deutsche Atomkommission — haben dazu geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland wie kaum ein anderer Industriestaat seine Kernenergie so sinnvoll und ökonomisch aufgebaut hat. Die 4. Genfer Atomkonferenz 1971 hat die Internationale Spitzenstellung unseres Landes im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie bewiesen.
Komplettieren wir diesen kurzen Rückblick: Nach der Weltraumforschung im Jahre 1962 wurde im Jahre 1967 als drittes wissenschaftlich-technisches Programm die Datenverarbeitung aufgenommen. 1968 trat die Förderung von Meeresforschung und Meerestechnik und der Bereich der neuen Technologien hinzu.
Aus dem Bundesministerium für Atomfragen war ein Ministerium für wissenschaftliche Forschung geworden, dem die allgemeine Wissenschaftsförderung oblag und das mit einer allgemeinen Planungs- und Koordinierungskompetenz für die gesamte Tätigkeit des Bundes in Wissenschaft und Forschung ausgestattet war. Vornehmlich unter dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Gerhard Stoltenberg sind die erwähnten Fachprogramme mit großer Energie vorangetrieben worden, gleichermaßen wurde der Bereich der allgemeinen Wissenschaftsförderung durch Maßnahmen definiert.
Darüber hinaus wurde bereits 1968 damit begonnen, die bestehenden Forschungsförderungsprogramme des Bundes durch ein detailliertes Förderungsprogramm für die Sektoren Verkehrstechnik, Umweltgestaltung, ausgewählte Gebiete der physikalischen Technologien, Energietechnik, Werkstofftechnik sowie für die biologische und medizinische Technik zu ergänzen, also im Bereich von Forschungsschwerpunkten, die sich schwerlich — selbst bei hoher Toieranzschwelle — von der jetzigen Regierung als „reaktiv" etikettieren lassen, zumal diese selbst dabei ist, ihre vermeintlichen Errungenschaften in diesem Feld anzusiedeln.
Die CDU/CSU hat in ihrer Regierungszeit den Willen zur aktiven Gestaltung der zukünftigen Forschungs- und Technologiepolitik stets mit Nachdruck unterstrichen. Die Ergebnisse dokumentieren dies. Sie hat dabei Maßnahmen und Zielvorstellungen aus dem Bewußtsein entwickelt, daß die Lebensfähigkeit unserer Nation weitgehend von den jeweiligen Anstrengungen im Bereich wissenschaftlicher Forschung abhängig ist.
Der ehemalige Bundesminister Gerhard Stoltenberg schreibt hierzu in seinem Buch „Staat und Wissenschaft" u. a. — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten—:
Wir brauchen eine leistungsfähige Forschung zur Sicherung unseres wirtschaftlichen Wachstums und der Modernisierung unseres politi- schen und sozialen Lebens.

(Abg. Raffert: Sehr gut!)

Wie wir im letzten Drittel unseres Jahrhunderts leben werden, hängt entscheidend davon ab, was wir heute für die Forschung tun; denn nur wirtschaftliches Wachstum gibt uns die Mit-
9190 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Hubrig
tel in die Hand, unsere soziale Verantwortung zu praktizieren, unsere gesellschaftspolitischen Ziele zu verwirklichen und unsere Lebensbedingungen zu verändern.

(Abg. Raffert: Was gestern versäumt wurde, sagt er nicht!)

Das hier Gesagte ist auch in Regierungserklärungen von CDU/CSU-Bundeskanzlern nachzulesen, zumindest was die Bedeutung und den Rang wissenschaftlicher Forschung für unsere Gesellschaft angeht. Auch in der Regierungserklärung des jetzigen Bundeskanzlers ist die Priorität für diesen politischen Teilbereich herausgestellt, ja vielmehr postuliert worden, wenn man diese Regierung an dem messen will, was sie bis jetzt verwirklicht hat.
Lassen Sie mich für die Opposition dieses Hauses feststellen, daß Ankündigung und Verwirklichung gerade in dem von uns diskutierten Feld bei allen CDU-Ministern in der Vergangenheit in einem weit günstigeren Verhältnis standen, als wir das von dieser Regierung sagen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es steht doch wohl außer Frage, daß mit den unter CDU/CSU-Verantwortung entwickelten und verwirklichten Programmen grundlegende Weichen unserer Techno-Zivilisation gestellt worden sind. Wenn heute diese Regierung den Versuch unternimmt, an diesen Forschungsförderungsprogrammen herumzumäkeln, und den Eindruck entstehen läßt, wir hätten unsere Forschungspolitik vornehmlich an sogenannten entfremdeten Technologien orientiert, so möchten wir ihr entgegenhalten, daß diese Programme in die damalige politische Landschaft paßten. Die Quoten der Fehler, die gemacht wurden, sind gering, da sich die Alternativen nicht so dimensioniert stellten, wie dies heute der Fall ist. Wir gestehen hier freimütig ein, daß die Forschungs- und Technologiepolitik in früheren Jahren darauf angelegt war, eine faktische Stärkung des technologischen und ökonomischen Potentials zu erzielen. Dies bedingte, daß die Forschungsschwerpunkte von der technologischen Lücke her motiviert waren und sich in Nachhol- und Zukunftsaufgaben im Vergleich zum internationalen Standard aufteilten.
Die Publikationen der OECD belegen die globale Steigerung der Forschungsaufgaben des Staates und der Wirtschaft westlicher Industrieländer unter der angedeuteten Perspektive. In den letzten Jahren ist jedoch festzustellen, daß die Ausgaben für die klassischen Großforschungsgebiete, wie sie sich in den westeuropäischen Ländern mit Kernforschung, Weltraumforschung und Verteidigungsforschung darstellen, kaum noch steigen und teilweise auch zurückgehen. Langsam vollzieht sich eine Umstrukturierung der Forschungsprogramme in den USA und in Westeuropa. So sind z. B. in den USA die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von fast 3,1 % des Bruttosozialprodukts 1964 auf 2,7 % 1971 zurückgegangen. In Frankreich ist der Rückgang noch stärker: von 2,4% des Bruttosozialprodukts im Jahre 1968 auf nur 1,8 % im Jahre 1970. Diese Entwicklung muß zwangsläufig dazu beitragen, die Diskussion über den optimalen Einsatz der begrenzten Staatsmittel zu verstärken.
Die CDU/CSU stellt sich dieser Diskussion, die gleichermaßen ökonomisch wie gesellschaftspolitisch motiviert ist. Von einer auf soziale Effizienz und Wirtschaftswachstum angelegten Forschungspolitik, wie Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sie wünschen, und von deren Machbarkeit konnten sie sich während unserer Regierungszeit überzeugen, sicher — das räumen wir gern ein — zu einer Zeit, zu der die Gewichtung unserer Ziele vorrangig auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit abgestimmt und die Verwirklichung der Nutzenprojekte über wirtschaftliches Wachstum gesellschaftlich relevant war. Auf diese „äußeren" Herausforderungen, wie ich sie ansprechen möchte und wie sie sich in den USA z. B. mit der Verfolgung des Manhattan-, Polaris- oder Apollo-Projektes zeigten, ist in der Bundesrepublik adäquat reagiert worden. Der berühmte Daumen zur Festlegung von Prioritäten reichte damals aus, weil sich die Alternativen nicht so sehr stellten. Heute jedoch stehen wir vor dem Problem, daß der Daumen nicht breit genug ist, um die Gesamtpalette moderner Wissenschaft im Hinblick auf brennende Zukunftaufgaben nicht nur unter nationalem Blickwinkel abzudecken. „Äußeren" Herausforderungen stehen „innere" Herausforderungen der Gesellschaft gegenüber.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aus einem Aufsatz des Karlsruher Physikers Häfele zitieren:
Diese internationale Wettbewerbsfähigkeit müßte aber gerade dann als Nebeneffekt gewährleistet sein, wenn Anstrengungen unternommen würden, auf „innere" Herausforderungen einer Gesellschaft aktiv zu antworten bzw. sie zunächst aufzusuchen.
Die CDU/CSU unterstreicht diese Auffassung, die von der Grundtendenz auf eine Humanisierung der Leistungsgesellschaft abzielt.
Um hier anzusetzen: Wir vermissen eine Konkretisierung dieser inneren Herausforderungen unserer Gesellschaft durch die jetzige Bundesregierung. Die bis jetzt vorgelegten Studien zur Prioritätenfindung reflektieren zwar diese Problematik, lassen aber Anwendungsorientierung vermissen.
Nun ist es nicht so, daß es bis jetzt noch keinem Staat gelungen ist, solche Art innerer Herausforderung aufzuspüren und zu operationalisieren. Ich möchte hier nur den einheitlich — integrativen gesamtterritorialen Entwicklungsplan, kurz: den 20Jahres-Plan, in Japan erwähnen. Dort ist der erfolgversprechende Versuch unternommen worden, erste Konsequenzen aus der postindustriellen Gesellschaft abzuleiten und mit Hilfe von zivil-technologischen Großprojekten auf direktem Weg die Qualität der Lebensbereiche zu erhöhen und über die Rückwirkung auch eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbssituation der japanischen Industrie zu erzielen. Selbst bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen in Japan und Deutschland ist in Japan eine überzeugende Antwort nicht nur auf das Warum, sondern
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9191
Dr. Hubrig
auch auf das Was und Wie zukunftsorientierter Forschungspolitik gegeben worden.
Die CDU/CSU vertritt in diesem Zusammenhang unter der Perspektive einer zukünftigen Forschungsförderung auf Bundesebene die Auffassung, daß die sachlichen Schwerpunkte der Förderung durch den Bund primär im Bereich der Grundlagen- und projektorientierten Forschung mit Betonung auf der zivil-technologischen Komponente liegen sollten, da erfahrungsgemäß hier die Privatiniative nicht ausreicht.
Angesprochen auf die Finanzierungsart der Forschungsförderung sind wir der Auffassung, daß die Grundlagenforschung auch in Zukunft vor allem durch staatliche Subventionen, ergänzt durch nichtöffentliche Mittel, finanziert werden sollen. Mit Blickrichtung auf die allgemeine Wissenschaftsförderung erachten wir es als nützlich, wenn diese im Zuge der Steuerreform durch steuerliche Anreize forciert werden würde. Nach unserer Meinung muß der Bund in Zukunft im Bereich der angewandten Forschung die direkte Forschungsförderung differenzierter gestalten. Dies bedeutet, daß die Mittelvergabe in Form von Subventionen, Darlehen, Bürgschaften, Zinszuschüssen und ähnlichem stärker dem jeweiligen Projekt angepaßt wird. Auf diese Weise könnte es gelingen, das Problem der Privatisierung der Gewinne bei Sozialisierung des Risikos einer Lösung näherzubringen.
Es besteht hierbei ein wichtiges Anliegen, nämlich die Laufzeit der Zuschüsse der Laufzeit des Forschungsprojektes anzupassen, um eine Kontinuität der Forschung sicherzustellen. Aus diesem Grund hat die CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 253 *) einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, einen Bericht über die Vergabe von Forschungsaufträgen im Bereich neuer Technologien und deren Finanzierungsart vorzulegen.
Dabei sind wir uns bewußt, daß im Bereich der steuerlichen Forschungsförderung die internationale Wettbewerbslage der deutschen Wirtschaft unbedingt berücksichtigt werden muß. Es geht nicht an, die steuerliche Forschungsförderung in Deutschland ohne Rücksicht auf die steuerliche Forschungsförderung in der EWG und anderen westlichen Industrienationen abzubauen, wie es die derzeitige Bundesregierung beabsichtigt.
Neben einer langfristigen Forschungsplanung, die mit dem Exkurs auf Japan und die ,inneren und äußeren Herausforderungen' angedeutet sein sollte, ist eine dauernde Kontrolle der vom Bund geförderten Forschungsprojekte für uns unabdingbar. Diese Kontrolle hat sich sowohl auf die sachliche Seite der Forschungsprogramme und -projekte als auch auf deren Durchführung zu erstrecken. Zur Klärung dieses Sachbereichs haben wir heute auf Umdruck 250 5*) sowie auf Umdruck 254 ***) zwei Anträge eingebracht. Wir bitten Sie, meine Damen und Herren, hierfür um Ihre Unterstützung.
*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 ***) Siehe Anlage 9
Aus der Anzahl positiver Ansätze zur Lösung dieser Problematik messen wir der regelmäßigen Wiederholung des gesamten Prioritätenfindungsprozesses und der dauernden Requalifikation von Ergebnissen in Form von Bewertungen ihrer Auswirkungen in Lebensbereichen große Bedeutung bei. Wir möchten insbesondere darauf hinweisen, daß eine stärkere Berücksichtigung der Erfahrungen der Industrie im Forschungsmanagement durchaus auch dieser Regierung von Nutzen sein könnte. Darüber hinaus müssen wir in Deutschland auch den Mut haben, ein Forschungsprojekt abzubrechen, wenn sich herausstellt, daß die noch aufzuwendenden Mittel in keinem Verhältnis zu dem erwarteten Ertrag stehen.
Wir müssen heute davon ausgehen, daß hohe Steigerungsraten für die staatliche Forschungsförderung sich nicht beliebig, lang aufrechterhalten lassen und daß nach einer Phase des globalen Wachstums der Forschungsausgaben nunmehr ein intensives Wachstum zu erwarten ist. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß frühzeitig technologisch interessante Märkte gefördert werden. Wir dürfen nicht in traditionellen Forschungsförderungsgebieten hängenbleiben und dadurch bei neuen Forschungsgebieten international nicht mehr konkurrenzfähig sein.
Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Meeresforschung und Meerestechnik, die vor allem in den USA, Frankreich, Japan und Rußland energisch vorangetrieben wird. Hier müssen wir mit Nachdruck darauf hinweisen, daß das unter Minister Dr. Stoltenberg verabschiedete Programm Meeresforschung von der jetzigen Bundesregierung wie ein Stiefkind behandelt und nur in Ansätzen verwirklicht wird. Vor allem im Bereich der Meerestechnik sind noch eine Vielzahl von Entwicklungen zu leisten, damit z. B. die Erschließung von Erzlagerstätten im Meer in großem Umfang durchgeführt werden kann. Hierzu ist in der Anfangsphase eine erhebliche staatliche Unterstützung notwendig, weil wegen der Langfristigkeit des Projekts die Privatinitiative nicht ausreicht.
Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, diese wenigen grundsätzlichen Gedanken zur Forschungspolitik dargelegt, weil ich glaube, daß dadurch eine Bewertung der Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Forschungs- und Technologiepolitik erleichtert wird. Auf verschiedene Detailprobleme werden meine Kollegen im Rahmen der Debatte noch eingehen. Doch möchte ich einige mir besonders wichtig erscheinende Punkte stärker herausstellen.
Die Bundesregierung behauptet in ihrer Antwort, daß sie die verständliche Sorge der Antragsteller, die Forschungs- und Entwicklungspolitik werde vernachlässigt, angesichts der Fakten und Leistungen für unbegründet hält. Das Gegenteil ist richtig.

(Abg. Raffert: Hört! Hört!)

Welche Fakten und Leistungen auf dem Gebiet der Forschungs- und Technologiepolitik die Bundesregierung hierbei zum Beweis zitieren will, ist mir unbegreiflich.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Abg. Raffert: Genau hingucken!)

9192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Hubrig
Betrachten wir die Politik der vergangenen zwei Jahre auf diesem Gebiet, so müssen wir feststellen, daß im großen und ganzen nur die bestehenden Forschungsprogramme weitergeführt wurden.

(Zuruf von der SPD: Datenverarbeitung!)

Neue Forschungsschwerpunkte, Erfolgskontrolle, Organisationsstrukturen auf Bundesebene, Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft wurden von der derzeitigen Bundesregierung durch Maßnahmen nicht gefördert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir finden zwar eine Vielzahl von Ankündigungen auf diesen Gebieten; auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU kommt dies zum Ausdruck. Doch von Fakten und Leistungen, die diese Bundesregierung für sich beansprucht, kann nicht gesprochen werden.

(Abg. Breidbach: Das ist die Schwäche der Regierung!)

Es werden von der Bundesregierung vielfach hohe. Steigerungsraten für Forschungsausgaben als ein Beweis dafür zitiert, daß Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung auch künftig an der Spitze der Reformen stehen.

(Abg. Raffert: Sehr gut!)

Nur ist es oft sehr schwierig, die einzelnen Ausgabetitel den einzelnen Sachbereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung zuzuordnen. So werden in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes für 1971 4,6 Milliarden DM und für 1972 6,1 Milliarden DM als Ausgaben für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung ausgewiesen. Für 1972 ergäbe sich hieraus eine Ausgabensteigerung in diesem Bereich von 32,6%. Nimmt man hingegen den Übersichtsplan über die Ausgaben des Bundes für Bildung, Wissenschaft und Forschung nach dem Bundeshaushaltsplan — Einzelplan 31 —, so werden für 1972 8,9 Milliarden DM gegenüber 7,4 Milliarden DM für 1971 ausgegeben. Hieraus ergäbe sich für 1972 eine Ausgabensteigerung von 20,6%. Untersucht man aber den Übersichtsplan im Bundeshaushalt auf alle Titel, die bei großzügigster Auslegung noch dem Bereich Forschung zuzuordnen sind, so kommt man zu einer Ausgabensteigerung von maximal 11 °/o.

(Abg. Breidbach: Weniger als die Preissteigerung! — Lachen bei der SPD.)

Die Steigerungsraten für die einzelnen Ausgabenkategorien schwanken je nachdem, welchen Bezugspunkt man bei der Untersuchung der einzelnen Titel hat.
Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle nicht auf einzelne Prozentsätze festlegen, weil dies zu einem Streit über die Definition des Begriffs „Forschung" führen kann. Untersuchen wir z. B. die vom Bund geförderten naturwissenschaftlich-technischen Forschungszentren, so ergibt sich auf Grund der Haushaltspläne für 1972 allein im Bereich der Personalkosten eine Steigerung um 18 °/o. Der gesamte Bereich der Forschung — das ist uns wohl bekannt, meine Damen und Herren — ist sehr personalintensiv, so daß sich Lohnkostensteigerungen sehr stark bei den Forschungsausgaben bemerkbar machen. Es geht deshalb nicht an, daß man aus Nominalerhöhungen der Forschungsausgaben folgert, daß real auch mehr für die Forschung getan worden ist. In Anbetracht der hohen Personalkostensteigerung der vergangenen Jahre und der relativ geringen Zuwachsraten der staatlichen Forschungsausgaben ist eher die Annahme berechtigt, daß real ein Rückgang der Forschungsanstrengungen zu verzeichnen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wissenschaftsfeindlichkeit!)

In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD und der FDP betont die Bundesregierung, daß — ich zitiere — „der Umfang der für die einzelnen Maßnahmen und Programme bereitgestellten Mittel allein keinen Aufschluß über deren Rangfolge gibt."

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Andererseits sagt sie in dieser Antwort an einer anderen Stelle, daß „die von der Bundesregierung vorgenommene Neuorientierung in ihrer Technologiepolitik sich daher vorerst vor allem in unterschiedlichen Zuwachsraten der für die einzelnen Bereiche vorgesehenen Mittel niederschlägt". Als Beispiel führt die Bundesregierung die Technologieförderung an. In welchem Ausmaß Zuwachsraten manipulierbar sind, zeigen insbesondere die Ausgaben der Bundesregierung zum Bereich der Technologieförderung, die auf Seite 2 auf die Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP gemacht werden. In der mittelfristigen Finanzplanung werden zwar für die Bereiche Weltraumforschung, elektronische Datenverarbeitung und neue Technologien Zahlen angegeben, doch der Bereich technologische Forschung und Entwicklung, der die neuen Technologien als Untergruppe umfaßt, wird speziell nicht erfaßt.
Hinzu kommt, daß 1972 durch eine Umgruppierung von Titeln der Bereich technologische Forschung und Entwicklung im Volumen automatisch erhöht wurde. Je nachdem, welches Basisjahr man zugrunde legt und welche Titel man zu dem Begriff technologische Forschung und Entwicklung hinzurechnet, erhält man unterschiedliche Zuwachsraten. In der Tendenz ist sicherlich eine sehr starke Ausweitung der Finanzen auf diesem Sektor zu verzeichnen. Doch ist es unbedingt erforderlich, daß in der Öffentlichkeit mit mehr Genauigkeit operiert und daß eine Nachprüfbarkeit der Angaben ermöglicht wird.
Die Organisation der Forschungspolitik, die die CDU/CSU in der Frage I. 1 angesprochen hat, wird von der Bundesregierung vor allem durch den Verweis auf Absichten und Ankündigungen beantwortet. Die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort auf die Frage der CDU/CSU zu, daß in den Jahren bis 1969 wichtige Zuständigkeiten für die Forschungspolitik innerhalb der Bundesregierung im damaligen Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung vereinigt worden seien. Deshalb hat die Umbenennung des Ministeriums in ein Ministerium für Bildung und Wissenschaft bei vielen ernst zu neh-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9193
Dr. Hubrig
menden Experten die Befürchtung laut werden lassen, daß dadurch auch der Forschung und Technologie nicht mehr der frühere Stellenwert zugebilligt werde;

(Widerspruch bei der SPD)

so werde in einer bedenklichen Weise der Tendenz der Vernachlässigung von Naturwissenschaft und Technik Vorschub geleistet.

(Erneuter Widerspruch bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Problem der Innovationsförderung wird z. B. im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft wie auch im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen ausgiebig behandelt. Eine derartige Doppelgleisigkeit ist nicht angebracht.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist auch das Problem der Ressortforschung, das dringend einer Lösung bedarf. Leider erwähnt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Frage der CDU/CSU nach der Organisation ihrer Forschungspolitik die Ressortforschung überhaupt nicht. Es ist notwendig, daß durch eine entsprechende Organisationsstruktur die Forschungs- und Technologiepolitik stärker betont wird. Für die Wissenschaft und die Wirtschaft sollte e i n verantwortlicher Partner auf Bundesebene für den Bereich von Forschung und Technologie zur Verfügung stehen.
Eine derartige Organisation hätte allerdings dann keine praktischen Erfolge, wenn sich auf seiten der Regierung und der sie tragenden Koalition eine ideologiebezogene Industriefeindlichkeit immer mehr breitmacht.

(Widerspruch bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU.)

Inwieweit die Umstrukturierung des Beratungswesens im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und der sich konstituierende beratende Ausschuß für Bildung und Wissenschaft dieser Notwendigkeit der Verbesserung der Forschungsorganisation Rechnung tragen werden, vermögen wir heute noch nicht zu beantworten. Obwohl die beratenden Institutionen der Exekutive in früheren Jahren nicht nur Sachverstand in den Entscheidungsprozeß mit eingebracht haben, wagen wir zu behaupten, daß die neuerliche Organisationsform unter dem Deckmantel des Wünschenswerten, der Durchsichtigkeit und Offenlegung von Entscheidungsabläufen Interessenkollisionen sowie die Vorwegnahme von Entscheidungen, die vom Minister anschließend nur noch bestätigt werden, nicht ausschließt.

(Zuruf von der SPD: Vorsichtig!)

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Frage nach den Zielvorstellungen bezüglich der Förderung der Technologie vier durchaus akzeptable Ziele herausgestellt. Entscheidend ist nun, was zur Verwirklichung dieser Ziele unternommen wird und wie die Programme untereinander abgestimmt werden. Neben einer dauernden Prüfung der bestehenden Forschungsprogramme sollte die Festlegung neuer Forschungsschwerpunkte vorrangig behandelt werden.
Die Frage der CDU/CSU nach der Zusammenarbeit der Großforschungszentren und der Industrie beantwortet die Bundesregierung mit dem bemerkenswerten Satz: „Die Zusammenarbeit mit der Industrie besteht bei diesen Zentren in erster Linie in Aufträgen zur Lieferung von hochqualifizierten Geräten und Anlagen."

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Dies ist eine Selbstverständlichkeit, da sich hier Käufer und Verkäufer von Gütern gegenüberstehen. Darin kann sich aber in keinem Fall die Zusammenarbeit der Großforschungszentren mit der Industrie erschöpfen. Das Kernproblem liegt darin, daß man sich überlegen muß, welche Aufgaben in diesem Wirtschaftssystem besser von der Industrie bewältigt werden und welche Aufgaben von staatlich geförderten Forschungszentren.
Die OECD, meine Damen und Herren, schreibt in ihrer Untersuchung zur technologischen Lücke, daß die Europäer einen Hang zur Förderung staatlicher Forschungszentren und Institute haben, während die USA vor allem die Form der Auftragsvergabe an die Industrie im Bereich der staatlichen Forschungsförderung präferieren. Nur zirka 16% der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Industrie werden in der Bundesrepublik Deutschland direkt vom Staat finanziert, während dies in den USA zu zirka 40 % der Fall ist. Diese unterschiedliche Form der Forschungsfinanzierung führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen, die sich international stark bemerkbar machen.
Die von der CDU/CSU angesprochene Zusammenarbeit der Großforschungszentren und der Industrie erstreckt sich zum einen auf die sachlichen Forschungsschwerpunkte, zum anderen auf die Aufgabenverteilung zwischen Forschungszentren und Industrie. Leider nimmt die Bundesregierung hierzu nicht ausführlich Stellung. Nach Auffassung der CDU/CSU muß in bezug auf die Großforschungszentren der inneren Struktur eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Teamarbeit gewinnt eine immer größere Bedeutung im wissenschaftlichen Bereich. Dies führt zu Konsequenzen für die Zusammenarbeit der Forscher untereinander. Die Strukturen an den staatlichen Forschungszentren müssen so gestaltet werden, daß dem qualifizierten Forscher auch ein Mitspracherecht bei der Durchführung der Forschungsprojekte gewährleistet wird. Keiner von uns kann ein Patentrezept zur Lösung dieser Probleme vorbringen. Doch müssen wir uns bemühen, eine der wissenschaftlichen Tätigkeit adäquate Organisationsform zu finden. Steinbuch bemerkt hierzu treffend:
Wir müssen unsere Position klären und öffentlich artikulieren, wir müssen den hemmenden Machtstrukturen reformerische Machtstrukturen entgegenstellen.
Das in diesem Zusammenhang wichtige Problem der Mobilität der Forscher an den Großforschungszentren wird von der Regierung durch den Hinweis auf anzufertigende Expertisen in die Zukunft verlagert. Gerade unter dem Aspekt der zukünftigen Aufgaben der Forschungszentren, der Kooperation
9194 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Hubrig
zwischen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft hätte die Bundesregierung diesem Problemkreis mehr Aufmerksamkeit widmen sollen.
Die CDU/CSU bittet Sie deshalb um Zustimmung zu ihrem Antrag Umdruck 252'). Durch diesen Antrag soll erreicht werden, daß ein längerfristiges Sach- und Finanzprogramm für die vom Bund geförderten naturwissenschaftlich-technischen Zentren von einer Sachverständigenkommission entwickelt wird.

(Abg. Raffert: Noch eine!)

Bei der Antwort der Bundesregierung auf die Frage der CDU/CSU nach der Innovationsförderung fällt auf, daß das Wort „Marktwirtschaft" oder „soziale Marktwirtschaft" überhaupt nicht auftaucht.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Nun ist es aber evident, daß die Innovationen in unserem Wirtschaftswachstum primär eine Aufgabe der Industrie sind. Man müßte sich deshalb Gedanken darüber machen, in welchem Ausmaß eine staatliche Innovationsförderung überhaupt möglich ist, ohne daß erhebliche Wettbewerbsverzerrungen auftauchen. Es fehlt bei der Bundesregierung ein Konzept über ihren Handlungsspielraum in diesem Bereich.
Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, daß die von der Bundesregierung angeführten Maßnahmen nur sehr allgemein und untereinander nicht abgestimmt sind. Wiederum soll ein neues Forschungsinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft gegründet werden, um sich einem Spezialproblem zu widmen. Man kann aber nur davor warnen, für spezielle Forschungsziele jeweils ein neues Institut zu gründen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Bevor man dies in einem Ausnahmefall tun kann, muß man überprüfen, ob nicht die bestehenden Institutionen in der Lage sind, die neuen Forschungsaufgaben zu übernehmen. Man sollte auch die Ausschreibung von Projekt- und Durchführbarkeitsstudien für spezielle Problembereiche ins Auge fassen, um spezielle Forschungsanliegen zu behandeln. Gründet man aber ein Forschungsinstitut mit spezieller Aufgabenstellung, so tritt nach einigen Jahren stets das Problem auf, welche Aufgaben in Zukunft von dem betreffenden Institut übernommen werden sollen. Daneben bindet man dadurch auch langfristige Forschungsmittel, die dann bei gezielten Aktionen im Bereich der Forschung fehlen.
In ihrer detaillierten Untersuchung über die technologische Lücke kam schon vor einigen Jahren die OECD zu der Überzeugung, daß der Rückstand Europas gegenüber den USA auf verschiedenen technologisch wichtigen Märkten nicht zu sehr auf mangelnde Forschungsanstrengungen zurückzuführen ist als vielmehr auf die schlechtere Anwendung der Forschungsergebnisse im Produktionsprozeß. Dabei ist es wichtig, zu wissen, daß es keine eindeutige Beziehung zwischen den Forschungsausgaben eines Landes und der Wachstumsrate seines
*) Siehe Anlage 10
realen Bruttosozialprodukts gibt. Ein Land wie Großbritannien hat relativ hohe Forschungsausgaben, doch unterdurchschnittliche Wachstumsraten des Sozialprodukts aufzuweisen. Aus diesem Grunde verlangt die CDU/CSU, daß unter dem Aspekt des Wirtschaftswachstums dem Innovationsprozeß stärkere Beachtung geschenkt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir Überlegungen über mögliche staatliche Innovationsförderung anstellen, sollten wir auch stets die Marktnähe derartiger Maßnahmen im Auge behalten. Rund 70 0/o aller Innovationen, die die OECD untersucht hatte, waren durch die Marktnotwendigkeiten — d. h. von der Nachfrageseite her — initiiert. Es ist deshalb genau zu prüfen, in welchen Bereichen eine staatliche Innovationsförderung angebracht ist und wie ein abgestuftes System direkter und indirekter Förderung marktkonform entwickelt werden kann. Dies bedeutet, daß eine staatliche Förderung in diesem marktnahen Bereich stets unter Berücksichtigung des Wettbewerbs zu erfolgen hat.
Für die CDU/CSU, meine Damen und Herren, ist es eine wesentliche Bedingung, daß bei staatlicher Forschungsförderung nicht nur Großunternehmen, sondern auch mittlere und kleine Unternehmen stärker berücksichtigt werden.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU.)

Es hat sich gerade auch in den USA gezeigt, daß die mittleren Unternehmen bedeutende Beiträge zum technischen Fortschritt geleistet haben.

(Erneute Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang ist eine verstärkte Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung in Deutschland durchaus angebracht. Die Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen hat auf diesem Sektor schon bemerkenswerte Pionierleistungen vollbracht und sollte bei den zukünftigen Förderungsprogrammen des Bundes stärker beachtet werden.
Vielleicht ist es nützlich, die Förderung der angewandten Forschung wie auch die Innovationsförderung aus dem Ministerium herauszunehmen und einer Institution zu übertragen, die dem Management der Industrie besser entspricht. Nur die Globalsteuerung sollte in diesem Falle bei dem Ministerium verbleiben. Die ganze Problematik der sachlichen und organisatorischen Gestaltung wird leider in der Antwort der Regierung nicht behandelt.
Lassen Sie mich noch einige grundsätzliche Probleme der europäischen Technologiepolitik ansprechen, auf die meine Kollegin Frau Dr. Walz im besonderen zurückkommen wird. Die CDU/CSU wollte durch ihre Frage nach dem Problem der Koordination von Forschung und Entwicklung innerhalb der EWG-Staaten der Bundesregierung die Gelegenheit geben, ihr Konzept auf diesem Gebiet darzulegen. Leider nimmt die Bundesregierung zur detaillierten Frage der CDU/CSU nur in sehr kurzer Form und konzeptionslos Stellung. Das Problem der wirkungs-
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Dr. Hubrig
vollen Koordination der nationalen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen, das doch z. B. vor allem im Bereich der Kernforschung, der Kerntechnik und der Weltraumforschung von erheblicher Bedeutung ist, wird nicht ausführlich behandelt. Gerade in den angeführten Bereichen entstehen für die einzelnen Staaten Kosten, die nur im europäischen Rahmen verringert werden können.
Trotz aller Schwierigkeiten in der europäischen Forschungspolitik müßte die Bundesregierung zumindest ein eigenes Konzept für die europäische Kooperation entwickeln und in Verhandlungen versuchen, dieses Konzept zu realisieren. Das so schwierige Problem „EURATOM" erwähnt die Bundesregierung in ihren Ausführungen überhaupt nicht. Gewiß sind die unterschiedlichen Industriestrukturen der EWG-Staaten eine Ursache für die Schwierigkeiten im Bereich der europäischen Technologiepolitik. Die EWG-Kommission hat zum Problem der Industriepolitik in der Gemeinschaft ausführliche Studien vorgelegt, zuletzt in einem Memorandum der Kommission an den Rat. In diesem Memorandum werden eine Vielzahl konkreter Vorschläge für die Industriepolitik der Gemeinschaft entwickelt. Die Bundesregierung läßt die Vorschläge der Kommission völlig außer Betracht.
Die unklaren und unvollständigen Ausführungen der Bundesregierung zu den Fragen der CDU/CSU zur europäischen Technologiepolitik sind symptomatisch für die Vernachlässigung der Westpolitik durch die derzeitige Bundesregierung. Gerade in Anbetracht der zukünftigen Gestaltung Europas und der Erweiterung der Gemeinschaft durch neue Mitgliedsländer gewinnt die Technologiepolitik der europäischen Staaten eine erhebliche Bedeutung. Hier müssen von der Bundesregierung neue Akzente gesetz werden. Die in letzter Zeit zu beobachtenden Kooperationsbestrebungen europäischer Firmen sind wenigstens ein erfreuliches Zeichen auf diesem Gebiet der europäischen Zusammenarbeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Der hohe Rang von Forschung und Technik ist, wie ich meine, in diesem Hause unumstritten. Für uns, die CDU/ CSU, bedeutet dies Kontinuität der Anstrengungen von Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im Bereich von Forschung und Technik, um gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen und zukünftige aufzuspüren.
Die augenblickliche Akzeptverschiebung der Forschungsschwerpunkte in der gesamten westlichen Welt versteht sich unserer Meinung nach als ein Appell an die Bundesregierung, uns aus ihrem Gewirr von Ansprüchen und Zielfragmenten eine abgestimmte Serie von Präferenzen vorzulegen, für welche die Ressourcen ermittelt und verfügbar gemacht werden. Die von der CDU/CSU heute im Deutschen Bundestag eingebrachten Anträge sind unserer Überzeugung nach für die Bundesregierung eine nützliche Hilfe zur organisatorischen Umsetzung der an dieser Stelle getroffenen inhaltlichen Aussagen. Sie sollen dazu beitragen, dem Bereich vor Forschung und Technik den politischen Schub zu verleihen, um über den. nationalen Rahmen hinaus zur Initiierung von multinationalen Aktionsprogrammen ein Ansporn zu sein.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß sich dieses Gebiet, das höchste Anforderungen an den Sachverstand stellt, für eine engere Kooperation zwischen den Fraktionen anbietet und keinen Raum für etwaige dogmatische Denkansätze läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0615932500
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Lohmar. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 25 Minuten angekündigt.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0615932600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst unserem Kollegen Hubrig sehr herzlich zu seiner Jungfernrede gratulieren,

(Beifall)

obwohl es natürlich schwerfällt, bei einem ausgewachsenen Mann wie Ihnen, Herr Kollege Hubrig, diesen alten parlamentarischen Begriff zu verwenden.
Bei der sachlichen Würdigung, die ja nun aber sofort danach von seiten des parlamentarischen Gesprächspartners einsetzen muß, ist mir eine alte menschliche Erfahrung eingefallen, daß nämlich der zeitliche Abstand zu einem Erlebnis die Erinnerung verklärt. Ich meine das in bezug auf die Anmerkungen, die Sie, Herr Hubrig, zur Ara Stoltenberg hier vorgetragen haben

(Abg. Frau Dr. Walz: Das ist erst zwei Jahre her, da ist noch nichts mit Verklärung! — Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und die den Kennern der damaligen Situation, jedenfalls auf meiner Seite des Hauses, allenfalls ein nachsichtiges Lächeln abverlangen können. Denn viele Dinge, die Sie heute kritisch angemerkt haben, hätten sich eigentlich schon damals sagen lassen. Die Situation, die Sie als wesentlichen Grund für die veränderte Betrachtung mancher Dinge angeführt haben, hat sich in den letzten drei Jahren eben nicht so fundamental verändert, als daß man damals manches nicht schon hätte anders und richtiger sehen können. Aber das war eben bei Herrn Stoltenberg nicht möglich.
Ich muß sagen, Herr Stoltenberg hat, was Ihre Rede angeht, einen würdigen Nachfolger gefunden. Sie hielt sich, wenn ich mir dieses zurückhaltende Urteil aus der Sicht einer der Regierungsfraktionen erlauben darf, im gleichen schlichten technokratischen Rahmen, den wir von Herrn Stoltenberg jahrelang gewöhnt gewesen sind.

(Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe von der CDU/CSU.)

Mit dem Wort technokratisch meine ich eine Haltung, die Effizienz fordert, ohne vorab die gesellschaftlichen Zielvorstellungen zu klären.

(Abg. Frau Dr. Walz: Herr Lohmar, meinen Sie in diesem Zusammenhang den alten oder den neuen Minister?)

9196 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Lohmar
— Ich hatte gerade die Parallele zwischen Herrn Stoltenberg und Herrn Hubrig gezogen. Was den jetzigen Bundesminister für Bildung und Wissenschaft angeht, so will ich dazu gleich etwas sagen.
Lassen Sie mich zu dem kommen, was die Regierung auf unsere beiden Großen Anfragen geantwortet hat. Die Koalitionsfraktionen hatten ja schon in der Formulierung ihrer Anfrage zum Ausdruck gebracht, daß es ihnen um eine für uns nicht neue, aber für die Regierung im zeitlichen Ablauf der letzten Jahre neuartige Bewertung technologischer Großprojekte ging und geht, nämlich um die Frage: Welchen gesellschaftlichen Nutzen haben eigentlich solche technologischen Großprojekte? Anders gefragt: In welchem Maße und auf welche Weise ist die Regierung mittlerweile von der naiven — ich wiederhole — technokratischen Betrachtungsweise abgekommen, die Industrie einerseits nur Geld verdienen und die Wissenschaft andererseits einfach vor sich hin forschen zu lassen,

(Abg. Dr. Martin: Wer hat denn das jemals vertreten?)

ohne auf den gesellschaftlichen Kontext dessen, was beide tun, zu achten und sie in einen kooperativen Verbund zu der gesamtgesellschaftlich orientierten Willensbildung auf der staatlichen Ebene zu bringen?
Unser Eindruck ist, daß die Antwort der Regierung von einem beträchtlichen Maß an Entschlußkraft zu einer solchen Neuorientierung bestimmt ist. Sie läßt sich von den gleichen Maßstäben leiten wie z. B. der Brooks-Report der OECD in seinen wesentlichen Maßstäben.
Der Überblick, den die Regierung auf beide Große Anfragen gegeben hat, geht von einer allmählich erkennbar werdenden neuen Rangfolge der technologischen Großprojekte aus, die man natürlich, Herr Hubrig, unterschiedlich bewerten kann. Aber daß sich eine solche neue Rangfolge abzeichnet, ist unverkennbar. Die Bundesregierung sagt selbst, daß die neuen Technologien und das, was sie darunter zusammenfaßt, neben der elektronischen Datenverarbeitung — hier wiederum nicht mehr mit dem Schwerpunkt einer produktionsorientierten Förderung, sondern mit den Schwerpunkten der Anwendung und Ausbildung die beiden Hauptakzente der Technologiepolitik sind, wogegen relativ und absolut die Aufwendungen für bisher dominierende Großprojekte zurückgetreten sind und wohl weiter zurücktreten sollen.
Man kann sich die Schlüssigkeit dieser Neuorientierung gut klarmachen, wenn man die technologischen Großprojekte einmal nicht nach dem Instrumentarium, sondern nach ihrer ökonomisch-gesellschaftlichen Zielrichtung unterscheidet. Die Antwort: Atom gleich Energiegewinnung und -sicherung fällt hier leicht. Bei der Datenverarbeitung liegt die Antwort gleichfalls nahe: Der Effekt der Datenverarbeitung liegt in einer Leistungssteigerung und Rationalisierung auf vielen Ebenen der Gesellschaft. Bei der Meeresforschung ist die Antwort klar: Sie ist wichtig für die Ernährung von Menschen und für manche andere unmittelbar greifbare Resultate. Bei der
Weltraumforschung zögert man schon bei der möglichen Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Umsetzbarkeit in gesellschaftlichen Nutzen, wenn man die Lage der Bundesrepublik und ihre Möglichkeiten, gemessen an denen der UdSSR und der USA, in Betracht zieht.
Die Regierung drückt ihre neuen Rangordnungen noch nicht in solchen gesellschaftlichen Zielbeschreibungen aus, sie bleibt bei den instrumentellen Beschreibungen. Aber dahinter ist erkennbar geworden, daß die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen der jeweiligen Großprojekte in den Vordergrund der Betrachtungen der Bundesregierung getreten ist. Wir finden, dies ist eine richtige Entwicklung, die damit sichtbar gemacht wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch selbstverständlich, Herr Kollege!)

Ich möchte ein anderes Stichwort aus der Antwort der Regierung aufgreifen, nämlich ihre These, daß wir einen stärkeren Verbund von Grundlagenforschung und industrieller Entwicklung brauchen, eine Forderung, die auch Sie, Herr Hubrig, in Ihrer Rede aufgestellt haben. Wir finden auch dies berechtigt und meinen, daß man diesen Verbund vor allem in den Bereichen kleiner und mittlerer Unternehmen schaffen muß, also da, wo man landläufig von Gemeinschaftsforschung spricht. Hier kooperative Hilfen im Bereich der Forschung und Entwicklung anzubieten ist eine Aufgabe, die über die des Ressorts von Herrn Leussink hinausreicht und zusammen mit anderen Bereichen der Bundesregierung gemeinsam in Angriff genommen werden muß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wann?)

Der Grundsatz der Regierung, daß jede staatliche Förderung nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein darf, gilt, meine ich, im technologischen Bereich noch mehr, als er sich im allgemeinen ohnehin von selber verstehen sollte. Wir haben unsere Erfahrungen mit staatlichen Förderungsmaßnahmen. Der Hinweis auf die Hilfe zur Selbsthilfe war eine in diesem Sektor seit langem notwendig gewordene Bemerkung der Bundesregierung.
Uns scheint es auch einleuchtend zu sein, daß die Regierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD-Fraktion so weit gegangen ist, zu sagen, daß sie das Problem eines möglichen Rückflusses von Gewinnen an den staatlichen Förderer ernsthaft untersuchen will, oder, um eine andere Formulierung der Bundesregierung aufzugreifen: daß sie nach neuen und gangbaren Wegen sucht, um eine größere Nutzanwendung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen im Bereich der Technologie für die Allgemeinheit sicherzustellen.
Die Grenzen einer technologischen Selbsthilfe der Industrie wie der Möglichkeiten, Resultate der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen oder einen Rückfluß von Gewinnen vorzusehen, liegen selbstverständlich in der Leistungsfähigkeit jeweils eigenständiger Unternehmen, die wir ja nicht zu Abhängigen des Staates machen wollen — sonst hätte der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe gar keinen Sinn —, sondern die wir in die Lage verset-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9197
Dr. Lohmar
zen wollen, sich am Markt selber zu behaupten. Dazu gehört nicht eine volle staatliche Abdeckung ökonomischer Risiken, die einzelne Unternehmen auf sich nehmen wollen und auf sich nehmen müssen, sondern eine vernünftige Teilung der Risiken und der Chancen im technologischen Bereich.
Ein weiteres Stichwort darf ich aus der Antwort der Regierung erwähnen. Die Regierung spricht sich aus — wie ich meine, zu Recht — für die Einbindung einer kritischen Öffentlichkeit in die Formulierung und in die Entscheidungsvorbereitung auch in der Forschungs- und Technologiepolitik. Von jungen Wissenschaftlern an den Forschungszentren in unserem Lande erfahren Sie, daß sie es über Jahre vermißt haben, als Partner angesprochen zu werden und in diese kritische Öffentlichkeit als Partner von Regierung und Parlament ernsthaft einbezogen zu werden. Was dies bei dem traditionell in unserem Lande gespannten Verhältnis von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften für historische Hintergründe hat, hat z. B. Herr Ganshorn auf dem Physikerkongreß in diesem Jahr noch einmal ausführlich dargelegt — bis hin zu seiner Forderung, wir müßten uns Mittel und Wege überlegen, gerade die im naturwissenschaftlich-technologischen Bereich tätigen Wissenschaftler stärker auch in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger anzusprechen und zu engagieren. Der Wille der Regierung, hier mehr kritische Öffentlichkeit zu schaffen, zeigt in die richtige Richtung. Allerdings wird das kaum ohne Konsequenzen gehen, nicht ohne einen neuen kooperativen Arbeitsstil an unseren Forschungsinstituten — nicht nur an den Universitäten, sondern auch außerhalb der Hochschulen, auch in der Industrie.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Hubrig hat in diesem Zusammenhang von der wünschenswerten Mitwirkung von Wissenschaftlern gesprochen und dazu gemeint, man könne kein Patentrezept vorlegen, in welcher Weise dies praktisch geschehen solle. Meine Fraktion ist der Meinung, daß die Regierung mit ihren vorgelegten und jetzt allmählich in die Praxis überführten Leitlinien für die Mitbestimmung der Wissenschaftler an Forschungsinstituten einen Anfang in dieser Richtung gemacht hat, der ausgebaut werden muß und der auch in der Industrie, soweit das nicht schon geschieht, eine jeweils angemessene Form der Anwendung finden sollte.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Meine politischen Freunde und ich neigen — vielleicht im Gegensatz zu Ihrer Fraktion, Herr Hubrig — wohl dazu, es hier nicht auf eine Mitwirkung beschränken zu wollen, sondern eine wirkliche Kooperation aller Wissenschaftler zu verlangen.
Hierher gehört auch die Frage des Managements. Die Bundesregierung spricht sie an. Dem, was dort zu lesen steht, ist vielleicht der Hinweis hinzuzufügen, daß wir für die Leitung großer Forschungszentren einen neuen Typ von Forschungsmanagern brauchen, weder einen solchen, der nur an einer autonom ausgerichteten, theoretisch fixierten Forschung der Hochschulen orientiert ist, noch einen solchen, dessen Denken sich in dem Rahmen der industriellen Produktion erschöpft. Vielmehr braucht man Manager, die beides einzuschätzen gelernt haben und in der Lage sind, den gesellschaftlichen Bezug, in dem die Arbeit von Großforschungszentren gesehen werden muß, in die Entscheidungen einzubeziehen.
Ich meine, daß die Regierung solche Entwicklungen durch ihr neues Beratungswesen besser fördern kann als durch das 1969 vorgefundene Beratungswesen des Wissenschaftsministeriums der sogenannten evangelisch-süddeutschen Mafia, wie wir sie im Jargon des Wissenschaftsausschusses gelegentlich genannt haben. Es geht um den Ersatz solcher Honoratiorengremien durch projektorientierte, zeitlich und sachlich an begrenzte Aufgaben gebundene Gruppen, denen man eine konkrete Zielvorgabe gibt und deren Tätigkeit man dann auch besser kontrollieren kann.
Es ist eine größere Beweglichkeit und eine präzisere Zielorientierung in die Beratungsstruktur des Ministeriums gekommen, was die Zusammenarbeit des Staates mit der Wissenschaft wie mit der Wirtschaft erleichtern kann. In diesem Zusammenhang sollte sich das BMBW noch stärker der Zusammenarbeit mit der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel zuwenden, die auf Anregung meiner Fraktion — Sie erinnern sich — vor einiger Zeit als Partner auf der Regierungsebene einbezogen worden ist.
Ein letztes Stichwort aus den Antworten der Regierung auf die Großen Anfragen: Ich meine die Leistungskontrolle. Beispielsweise die Anmerkungen des Bundesrechnungshofes zu wesentlichen Teilen der Technologiepolitik in den vergangenen Jahren vor 1969 — enthalten eine Reihe von Anregungen für eine bessere und effektivere Leistungskontrolle auch durch die Bundesregierung.
Was den Bundestag angeht, meine Damen und Herren, so muß ich aus einer nun schon mehrjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit mehreren Bundesministern auf diesem Gebiet sagen: Es hat bis jetzt keinen Bundesminister gegeben, der das Parlament bzw. den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft so rechtzeitig und so präzise an der Vorarbeit gerade im technologischen Bereich beteiligt hat, wie Herrn Leussink.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man kann dazu nicht nur den Datenverarbeitungsbereich anführen, sondern muß auch die Bereitschaft des Ministers hervorheben, uns in die Überlegungen zum Forschungsbericht IV, den wir ja bald eingehend miteinander besprechen werden, einzubeziehen, bevor die Drucklegung erfolgt — in anderen Fragen sogar schon, bevor das Kabinett im ganzen mit den Vorlagen des BMBW vertraut gemacht worden ist. Ich halte das, wenn man von der gleichen Informationschance von Parlament und Regierung ausgeht, für einen sehr guten und effizienten Stil, den wir uns lange gewünscht haben und der jetzt
9198 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Lohmar
in der Zusammenarbeit mit dem BMBW endlich erreicht worden ist.

(Abg. Frau Dr. Walz: Sie übertreffen sich selbst, Herr Lohmar! — Abg. Dr. Martin: Hofprediger!)

Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten unterscheiden sich in dem eigentlichen Ansatz ihrer Technologiepolitik von der großen Oppositionspartei dadurch, daß sie die gesellschaftliche Zielorientierung dessen, was wir im technologischen Bereich unternehmen, an den Anfang stellen und erst in diesem Kontext die Frage nach der Effektivität aufwerfen und beantworten.

(Abg. Dr. Martin: Herr Lohmar, ist das nicht zu simpel, was Sie da sagen!)

Für uns sind beide Ziele, die gesellschaftliche Nutzenerwägung und die technologische Effektivität, keine Gegensätze; wir vermögen das eine ohne das andere nicht zu tun.
Deswegen möchten wir die Regierung ermuntern, bei ihrem Versuch zu bleiben, die Technologiepolitik weder als einen technischen Selbstzweck noch als ein bloßes Hobby von Wissenschaftlern oder nur im Rahmen der Nützlichkeit für begrenzte wirtschaftliche Interessen zu sehen, sondern sie an dem Maßstab zu messen, der sich durch die Antwort der Regierung hindurchzieht: an den gesellschaftlich verwertbaren Resultaten dessen, was wir hier miteinander unternehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615932700
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615932800
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten möchte ich diese Aussprache hier ' im kleinen Kreis als eine Gelegenheit des Dialogs begrüßen — des Dialogs zwischen der Regierung und dem Parlament — und eine Gelegenheit, gemeinsam die Konsequenzen der forschungspolitischen und technologischen Entwicklung für unsere Gesellschaft zu erörtern.
Technologiepolitik als vorausschauende Wirtschaftspolitik darf heute im Bereich von Forschung und Entwicklung aus zwei Gründen nicht nur auf langfristigen, sondern sie muß in zunehmendem Maße auch auf mittel- und kurzfristigen Nutzungserwartungen der eingesetzten öffentlichen Mittel beruhen.
Erstens. In der modernen Technologiepolitik -dies tritt z. B. auf den Gebieten der Kernenergie und der Datenverarbeitung offen zutage -- übersteigen die Investitionsanforderungen das Refinanzierungsvermögen selbst großer Unternehmen.
Zweitens. Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht gibt es „erfolgsnegative" Investitionen, die aber notwendig sind, um z. B. Umweltschäden zu vermeiden.
Mittel- und kurzfristig muß Technologiepolitik den Unternehmen zur Mobilisierung folgender Gebiete dienen: nichtgenutzter Rationalisierungsbereiche, von Ressourcen für Forschung und Entwicklung, unterlassener Innovationen, nichtgenutzter Informationen über die Ergebnisse technischer Forschungen und Entwicklungen. Technologiepolitik dient so der unmittelbaren Steigerung des Angebots und der Wettbewerbsfähigkeit.
Das setzt allerdings nach unserer Auffassung eine Ergänzung der bisherigen Förderungsgrundsätze der öffentlichen Hand voraus. Diese Förderungsgrundsätze sind insofern von einem hohen Risiko gekennzeichnet, als der Erfolg der geförderten Entwicklung, wie die Regierung in ihrer Antwort dargestellt hat, nicht absehbar war und der wirtschaftliche Nutzen ebenfalls nicht konkret voraussehbar war, d. h. der Rückfluß der eingesetzten Mittel unsicher oder zumindest nur außerordentlich langfristig zu erwarten war.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Meine Ergänzungsvorschläge in Richtung auf die Förderung kurz- und mittelfristiger Technologiepolitik betreffen nicht die Fragen der langfristigen Technologiepolitik. Bei einer solchen Ergänzung dieser Förderungsgrundsätze würden sich die mit mittel- und kurzfristigen Nutzungserwartungen eingesetzten öffentlichen Mittel dem Charakter von Subventionen annähern. Das müßte in diesem Fall allerdings als unbedenklich angesehen werden, da diese Mittel nichts mit Erhaltungssubventionen zu tun hätten, sondern fur eine echte und langanhaltende Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität Verwendung fänden. Ich übersehe dabei nicht, daß sich auch hier der Zielkonflikt jeder Subvention stellt, da sie einerseits der Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dient, andererseits aber Wettbewerbsvorteile für einzelne Zuwendungsempfänger und damit Nachteile für deren Konkurrenten mit sich bringt.
Die von mir ins Auge gefaßte Änderung der Förderungsgrundsätze würde also im Bereich der kurz-und mittelfristigen Forschungsförderung zu einer relativ starken Verminderung des Risikos der Zuwendungsempfänger führen. Aus diesem Grunde müßte allerdings auch überlegt werden, ob dann nicht höhere Eigenbeteiligungen — auch weit über die 50 % hinaus — in Kauf genommen werden sollten, ja, geradezu angestrebt werden müßten, bis hin zu zinsbegünstigten Krediten etwa aus dem ERP-Vermögen.
Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung sollen nach Auffassung der FDP in Form von Berichten veröffentlicht werden, obwohl wir wissen, daß damit die Wettbewerbsvorteile der Empfänger_ nur unwesentlich vermindert werden, da praktisches know how auch durch noch so ausführliche Berichte nicht einfach übertragbar ist. Der Vorsprung, den der Betrieb erhält, der Entwicklungsergebnisse mit öffentlichen Mitteln erarbeitet hat, ist in der Regel nicht mehr einzuholen.
Aus diesem Zielkonflikt zwischen möglichst hohem volkswirtschaftlichem Nutzungseffekt der eingesetzten Mittel und möglichst weitgehender Reduzierung des entstehenden Wettbewerbsvorteils für
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Grüner
den Zuwendungsempfänger ergeben sich folgende Konsequenzen:
1. für das Parlament eine verstärkte Einschaltung in die Kontrolle der Vergabe und der Verwendung öffentlicher Mittel über die Bewilligung der Haushaltspläne hinaus, z. B. durch regelmäßige Anhörungen zu Großprojekten in parlamentarischen Ausschüssen,
2. für die Regierung neben einem geeigneten Beratungswesen — das ja von der Regierung in Angriff genommen worden ist und das, wie wir jedenfalls hoffen, zu Beratungsergebnissen führen wird, die die bisherigen Möglichkeiten übertreffen eine Personalpolitik der Ministerien, die der Wirtschaft gleichwertige Verhandlungspartner mit ausreichender Wirtschafts- und Forschungserfahrung gegenüberstellt. Das kann auf der höheren Ebene etwa auch durch das verstärkte Engagement sogenannter „Ein-Dollar-Leute" geschehen.
In diesem Zusammenhang scheint uns wichtig zu sein, daß das Ministerium für Bildung und Wissenschaft sich der Frage widmet, wie ein Wechsel zwischen Beamten der Ministerien, zwischen der Wirtschaft und zwischen den Forschungseinrichtungen ermöglicht werden kann — ein Problem, das nicht sosehr ein Anwendungsfall marktwirtschaftlicher Schwierigkeiten darstellt, sondern mehr ein Problem des Beamtenrechts ist. Wir glauben allerdings, daß dieser Wechsel notwendig ist, auch im Hinblick auf die notwendige Durchsichtigkeit, die notwendige Öffentlichkeit und die richtige Vermittlung durch die dazu befähigten Mitarbeiter der Ministerien.

(Abg. Raffert: Sehr gut!)

3. Für die Wirtschaft bedeutet es nach unserer Ansicht die Möglichkeit, die Chance und vielleicht auch die Notwendigkeit zur verstärkten Schaffung zentraler Anlaufstellen, z. B. betriebsneutraler, aber doch betriebsnaher Forschungsstätten bei den Verbänden, die den Ministerien gegenüber als Projektleitstellen auftreten könnten. Ich meine, daß die auch von der CDU/CSU geforderte stärkere Einschaltung kleinerer und mittlerer Betriebe hier eine größere Chance hätte, wenn wir zu anderen Organisationsformen der Wirtschaft in diesem Bereich kämen. Das wären also Projektleitstellen, die Zuwendungen empfangen und Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in Pilotbetrieben durchführen. Als Beispiel für eine solche Forschungsstelle möchte ich das Betriebsforschungsinstitut des Vereins deutscher Eisenhüttenleute nennen.
4. Für die Wissenschaft bedeutet das Teilnahme am Entscheidungsprozeß zur Einleitung mittel- und kurzfristiger Technologieprogramme, insbesondere durch Bereitstellung von Verfahren zur raschen Früherkennung ihrer Auswirkungen in gesellschaftspolitisch relevanten Bereichen, wie z. B. im Bereich der Sozialpolitik und des Umweltschutzes.
Im Bereich der langfristigen Technologiepolitik sind nach Auffassung meiner Fraktion neben den einzelnen Programmen vor allem ihre Verklammerung durch die Auswirkungen in den gesellschaftspolitisch wichtigen Bereichen zu sehen. Dabei
stellt sich etwa auf dem Gebiet des Umweltschutzes die Frage, inwieweit bei höherer Produktivität volkswirtschaftlich eine Verringerung des Verbrauchs an Roh- und Hilfsstoffen, insbesondere aber an Energie erreicht werden kann.
Die meisten der derzeit in der Entwicklung befindlichen Technologien, etwa künftige Verkehrssysteme, Datenverarbeitung, Herstellungsverfahren für neue Werkstoffe und dergleichen, sind mittelbar oder unmittelbar ungewöhnlich energieintensiv und dies in bezug auf veredelte Energie, nämlich Elektrizität. Allein daran knüpfen sich eine Reihe von Fragen — nicht Fragen, für die wir hier eine Antwort parat haben könnten oder von denen wir mit Recht eine fertige Antwort der Regierung erwarten könnten, sondern Fragen, die uns gemeinsam beschäftigen müssen im Sinne des Dialogs, den Herr Kollege Dr. Hubrig mit Recht für notwendig und für möglich gehalten hat.
Wird z. B. untersucht, wie sich die Einführung der Technologien auf die Steigerungsraten der Elektrizitätserzeugung auswirken wird? Hat man bereits überlegt, wie wir mit den gewaltigen Abwärmemengen aus der Elektrizitätserzeugung in den Jahren nach 1980 fertig werden? Haben wir parallel zur Entwicklung der Kernenergie genügend große Programme laufen, die die nutzbringende Verwertung der Abwärme von Kernkraftwerken untersuchen? Das sind einige Fragen, die sicher eine Antwort finden werden. Wir müssen aber darauf drängen, daß sie gestellt und daß die Lösungen politisch vorangetrieben werden.
Bei der Erarbeitung des Umweltprogramms der Bundesregierung hat der interdisziplinäre Charakter des Umweltschutzes seine gesellschaftspolitischen Zusammenhänge nahezu zwangsläufig aufgezeigt und damit die Ressorts auch zu einer Gemeinschaftsleistung gezwungen, die ich hier nur noch einmal anerkennend unterstreichen möchte.

(Beifall bei der SPD.)

Unsere einzelnen Technologieprogramme müssen ebenfalls in ein umfassendes Programm eingehen; eine Forderung, die durchaus im Sinne der Antwort der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen der Fraktionen liegt.

(Abg. Dr. Martin: Üb' immer Treu und Redlichkeit!)

— Herr Dr. Martin, leider verstehe ich diese geistreiche Zwischenbemerkung nicht.

(Abg. Dr. Martin: Immer stramm mit der Regierung marschieren: nur nicht abweichen!)

— Leider haben Sie nicht zugehört, als ich einige kritische Fragen gestellt habe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nach diesen Ausführungen noch einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, die in einer Debatte über Technologiepolitik nicht fehlen können. Ich meine, man sollte hier sehr klar und sehr offen auf die Kritik eingehen, die vor allem aus der Jugend und aus den betroffenen Wissenschaften nicht nur in der
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Grüner
Bundesrepublik, sondern in allen Industrieländern laut geworden ist, eine Kritik nämlich, die Symptome unserer technischen und wirtschaftlichen Entwicklung zum Anlaß nimmt, um an den Grundfesten unseres marktwirtschaftlichen Systems zu rütteln. Ich weiß, daß viele auch in diesem Hause diese Kritik lieber erst gar nicht hören wollen. Ich meine, wir müssen uns trotzdem mit dieser Kritik auseinandersetzen. Ich möchte einige Beispiele einer solchen Kritik hier vortragen.

(Abg. Frau Dr. Walz: Was dann mit dieser Kritik tun?)

— Ich werde versuchen, auch darauf eine Antwort zu geben.

(Abg. Raffert: Das wird Ihnen auch gelingen, Herr Grüner!)

— Ich hoffe mit Ihrer Unterstützung, Herr Raffert!
Ich möchte nun einige der kritischen Stellen zitieren, die mir z. B. auch bei meiner Auseinandersetzung mit den sogenannten unruhigen Studenten
— oder wie immer Sie sie bezeichnen wollen — immer wieder entgegentreten, und bei denen ich feststellen kann, daß diese Kritik von Studenten vorgetragen wird, die nach meiner Ansicht zwar eine falsche Auffassung haben, die aber in ihrem politischen Wollen außerordentlich ernst genommen werden müssen, und die ich nicht allein etwa den hoffnungslos Radikalen zurechnen möchte. Die wissenschaftliche und technologische Entwicklung in der Bundesrepublik und darüber hinaus in den kapitalistischen Staaten

(Abg. Dr. Schober: Den Begriff würde ich vermeiden!)

überhaupt sei rationaler Planung und öffentlicher Kontrolle weitgehend entzogen; sie werde in ihren wichtigsten Schwerpunkten allein vom Kapitalverwertungsinteresse weniger Großkonzerne bestimmt. Die Folgen seien gigantische Fehlleistungen menschlicher Energien, da viele Kenntnisse und Erfindungen ungenutzt blieben, die Vergeudung materieller Hilfsmittel durch doppel- und mehrgleisige Arbeit und fehlenden Koordination, die Vernachlässigung wichtiger Forschungsgebiete von sozialer und humaner Bedeutung sowie eine allgemeine Effizienzminderung der vorhandenen gesellschaftlichen Forschungseinrichtungen.
Die Kritiker behaupten, daß ein großer Teil der industriellen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung — der industriellen, betone ich — nur dazu dienten, sinnlose, aber absatzfördernde Produkte bzw. Produktvariationen herzustellen.

(Abg. Dr. Schober: Wer bestimmt, was sinnlos ist, Herr Grüner?)

Niemand wird bestreiten, daß das Fragen sind, die uns ernsthaft beschäftigen müssen. Niemand wird auch bestreiten, daß wir auf diese Fragen keine fertigen Antworten haben, und niemand wird daran vorbeisehen können, daß das mit ein Grund dafür ist, daß in dieser Jugend an unserem Gesellschaftssystem Zweifel laut werden und Kritik laut wird, einer Jugend, deren Weg in den Versuch totalitärer
Lösungen, deren Wunsch nach perfekten Rezepten nur allzu deutlich sichtbar wird, mit der wir uns im Sinne einer Antwort auf diese Fragen auseinandersetzen müssen, sicher auch immer mit dem Eingeständnis der Unvollkommenheit solcher Antworten, aber doch mit der Bereitschaft, diese Fragen sehr ernsthaft zu diskutieren.

(Beifall.)

Diese Kritik läuft also insgesamt darauf hinaus, daß unserem System als geradezu zwangsläufig unterstellt wird, daß sich das Ziel des wirtschaftlichen Wachstums als Selbstzweck entwickle. Eine Reihe von Publikationen, von denen ich nur einige mit Titel nennen will, haben auf eine mögliche Krise der Weltentwicklung hingewiesen, die zu einer Bedrohung der gesamten Menschheit werden kann: „Die große Transformation", „Mut zur Utopie", „Der Zukunftsschock", „Die Bevölkerungsbombe", „Das Selbstmordprogramm", „Vorsicht Fortschritt". Sie alle warnen davor, daß das System Erde wegen Überfüllung, Verschmutzung und Erschöpfung der Rohstoffquellen in einem bereits berechenbaren und absehbaren Zeitpunkt zusammenbrechen werde.
Meine Damen und Herren, ich habe betont, daß wir diese Kritik ernst nehmen. Ich hätte gern gesehen, daß in der Antwort der Regierung auf die beiden Großen Anfragen mehr von dieser Problematik zu spüren gewesen wäre.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich möchte das nicht als eine Kritik in dem Sinne verstanden wissen, daß ich nun etwa meine, die Regierung habe hier fertige Rezepte parat zu halten. Aber die Regierung hat meiner Ansicht nach eine Gelegenheit versäumt, uns in dieser Auseinandersetzung mit öffentlichem Nachdenken über diese Fragen zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vielleicht liegt das auch daran, daß wir nicht nachdrücklich genug gefragt haben,

(Abg. Dr. Martin: So ist es!)

so daß wir vielleicht sogar in einem Boot sitzen.
Wenn wir das tun, wenn wir also kritisch sind und diese Kritik ernst nehmen, müssen wir die Forderung akzeptieren, daß Technologiepolitik nicht allein daran orientiert sein darf, gesundes Wirtschaftswachstum langfristig zu sichern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mindestens müßte dieses gesunde Wirtschaftswachstum so definiert sein, daß klar wird, daß zu diesem gesunden Wirtschaftswachstum Infrastruktur in weitestem Sinne gehört.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Probst: Selbstverständlich! — Abg. Dr. Schober: Kein Streit!)

— Es wird sehr häufig anders verstanden. Ich glaube, daß es gut ist, diesem Mißverständnis entgegenzutreten.
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Grüner
Die Technologiepolitik muß also dem übergeordneten Ziel gerecht werden, die technische Revolution für den Menschen kontrollierbar und beherrschbar zu halten bzw. zu machen. Das heißt, wir dürfen nicht tatenlos zusehen, daß die rasante technologische Entwicklung den politischen und sozialen Verhaltensweisen der Menschen davonläuft.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Schon jetzt überfordert eine künstliche Umwelt — künstlich durch Technik den Menschen. Das heißt, es gibt immer weniger natürliche Umwelt, während doch klar ist, daß die biologischen Grundlagen der Artentfaltung des Menschen kaum veränderbar sind. Die Diskrepanz zwischen rationalem Verhalten, also der Kulturtechnik, und den Elementen der Irrationalität; Angst, Aggression und andere Antriebe zum Handeln, die uns auch in der Auseinandersetzung etwa mit radikalen Studenten deutlich sichtbar entgegentreten

(Abg. Dr. Martin: Und mit uns selber!)

— und mit uns selber; vielleicht nicht ganz so deutlich, etwas beherrschter —, wird immer größer und beschwört Konflikte herauf, die mit den vorhandenen politischen Normen und Ordnungen kaum mehr bewältigt werden können. Dies gilt für die sogenannten entwickelten Gesellschaften; wieviel mehr und um wieviel krasser für unterentwickelte Länder!
Daraus folgt für mich, daß es ganz wesentlich sein wird, der Technologiepolitik ein sozialwissenschaftliches Komplementärprogramm an die Seite zu stellen.

(Beifall.)

Damit können rechtzeitig Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie die Menschen auf neue Technologien, z. B. auf neue Verkehrssysteme, allgemeine Organtransplantationen oder etwa auf Wohneinheiten unter der Meeresoberfläche und vieles andere mehr, reagieren werden und wie sie und ob sie mit diesen neuen Technologien überhaupt fertig werden können. Die Contergan-Tragödie darf sich nicht im sozialtechnischen Bereich wiederholen.
In gehe in diesem Zusammenhang durchaus so weit, zu sagen, daß wir einen blinden Fortschritt — und das ist sicher allgemeine Meinung — nicht dulden können. Meine Antwort an die Kritiker unserer Gesellschaftsordnung ist die: Ich akzeptiere die Forderung, daß Technologiepolitik wie auch alle anderen Bereiche unserer Politik dem Ziel dienen muß, unser Leben freier und menschenwürdiger zu gestalten.
Damit wir das erreichen können, werden wir jedoch gerade das brauchen, was viele vorschnell bei Seite legen wollen, nämlich gesundes wirtschaftliches Wachstum. Der Zusammenhang ist für mich ganz einfach: Diese finanziellen Mittel müssen dasein, müssen erarbeitet sein, bevor wir sie ausgeben können, bevor wir sie auch ausgeben können für die gerade eben hier geforderten Komplementärprogramme. Wir müssen jedoch alle Maßnahmen treffen, die ich zumindest im Problem hier angesprochen habe, um eine Fehlentwicklung, wie sie in Teilbereichen möglicherweise schon festzustellen ist, zu vermeiden.
Erlauben Sie mir bitte, Frau Präsidentin, daß ich die Konferenz der Wissenschaftsminister der OECD-Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang zitiere:
Was die sozialen Zielsetzungen betrifft, die für die gesamte Bevölkerung von Bedeutung sind, z. B. Reinhaltung der Luft, besteht im privatwirtschaftlichen Sektor kein Interesse, das den Innovationsprozeß vorantreiben könnte. Der Profit, der bei so vielen anderen Unternehmungen die technologische Innovation und die steigende Effizienz motiviert und angeregt hat, zieht in diesem Bereich nicht automatisch und in angemessener Weise. Wenn die erforderlichen neuen Technologien hervorgebracht werden sollen, müssen die Regierungen Verfahren ersinnen, um entweder einen Ersatz für das Gewinnstreben zu schaffen oder es anzuregen.
Einige solcher Verfahren, Festlegungen von Normen, steuerliche Anreize und andere Reglementierungen, werden schon jetzt angewandt, sind jedoch wohl noch nicht ausreichend.
Ich konnte in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht all das sagen, was zum Thema zu sagen wäre. Es wird ja sehr bald Gelegenheit sein, in der Diskussion über den Forschungsbericht 4 auf diese und andere Fragen zurückzukommen. Die Freien Demokraten treten dafür ein, daß die Technologiepolitik ihren kurz-, mittel- und langfristigen Aufgaben gerecht wird. Alles, was wir tun, muß aber unter dem liberalen Postulat stehen, daß die im Grundgesetz verankerte Würde des Menschen nicht allein einen optimalen Lebensstandard, sondern auch die Verwirklichung und die Erhaltung immaterieller Grundrechte verlangt.

(Beifall.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615932900
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leussink.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615933000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, verehrter Herr Dr. Hubrig, zunächst Dank sagen für den historischen Exkurs, den Sie am Anfang gegeben haben. Ich darf hinzufügen: Ich war nicht so schrecklich entfernt von diesen Ereignissen; immerhin war ich schon in dem früheren Ministerium ein Beratungsmitglied.

(Abg. Breidbach: Bravo!)

Ich muß sagen: Ich habe manchmal so ein bißchen den Eindruck, als wenn der Neuigkeitswert irgendeiner Sache als positives Kriterium gewertet wird. Dieser Eindruck ist mir beim Anhören Ihrer Ausführungen gekommen. Ich darf dagegensetzen: der Neuigkeitswert ist für mich kein Kriterium, wenn es sich um die Kontinuität in der Technologie- und Forschungspolitik handelt. Es ist doch ganz klar, daß alle diese Dinge auf Jahrfünfte, auf Jahrzehnte angelegt sind und daß es ganz falsch wäre — selbst wenn man etwas grundlegend ändern will —, damit
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Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
anzufangen, daß man erst einmal einen großen Wirrwarr hineinbringt. Wir wissen ganz genau, was wir ändern wollen, und wir ändern das in der Kontinuität und an den Stellen, die sich aus der Entwicklung ergeben.
Dann hatten Sie, verehrter Herr Hubrig gesagt, unsere Antwort sei voll von Gemeinplätzen. Ich will hier keine Retourkutschen fahren. Aber Sie haben in Ihren fünf heute eingebrachten Anträgen eine ganze Menge neuer Gremien, Stellen usw. vorgesehen. Könnten wir uns nicht darauf einigen, eine weitere neutrale Kommission vorzuschlagen, die sachlich prüft, wie es mit den Gemeinplätzen in unseren jeweiligen Ausführungen steht?

(Heiterkeit.—Abg. Dr. Martin: Der Platitüdenausschuß! — Weitere Zurufe.)

Sie akzeptieren sogar; wunderbar!
Die Bundesregierung hat gesagt, die Technologiepolitik ist Teil der Gesamtpolitik, Das heißt, zum einen — das möchte ich an erster Stelle nennen — dient die Technologiepolitik wichtigen öffentlichen Aufgaben. Ich will hier nur ganz wenige Beispiele noch einmal anführen; aber gerade darin sehe ich die Gewichtsverlagerung in der Kontinuität und im Ausbau gegenüber cien früheren .Jahren: Die Kabinettsitzung begann heute im Postministerium. Dort wurde das Modell einer Magnetschwebebahn vorgeführt. Das ist mindestens ein neuer Schlenker in der Regierungspraxis, daß sich das gesamte Kabinett mit einer so wichtigen — wie ich zugeben will, nicht von uns erfundenen — Angelegenheit beschäftigt.

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Martin: „Echte Reformen"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich habe auch damit gespielt, wie Sie vielleicht auf Bildern in der Zeitung gesehen haben; das war sehr nett.
Ich will weiter nur das Gesundheitswesen anführen und die Umweltplanung, die technologischen Hilfen für Medizin und Gesundheitsfürsorge, die Systeme für Herz- und Kreislaufunterstützung, alles langfristige Projekte. Zumindest ist bei dem Umweltschutz oder der Umweltplanung doch der neuartige Aspekt eingetreten, daß wir uns nicht nur mit der Beseitigung der nun einmal unvermeidlichen Schäden beschäftigen, sondern unter dem Schlagwort „umweltfreundliche Technologie" viel mehr Geistesschmalz darauf verwenden, wie man Technologie von vornherein so entwickeln kann, daß man den Umweltschutz im alten Sinne nicht mehr braucht.
Dann haben Sie etwas über die Meeresforschung gesagt, Herr Dr. Hubrig, und bemerkt, wir behandelten sie sehr stiefmütterlich. Ich darf Ihnen nur ganz „technokratisch" einige Zahlen nennen — wir verstehen uns : 1969 6 Millionen DM, 1970 11 Millionen DM, 1971 26 Millionen DM, 1972 50 Millionen DM — die Zahlen für die nächsten Jahre zu nennen, will ich mir ersparen —, 1975 110 Millionen DM. Zwischen 1969 und 1972 besteht, wenn ich etwas untertreibe, ein Verhältnis von 1 : 8. Herr Hubrig, das
ist für mich ein völlig neues Gefühl der Stiefmütterlichkeit.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Hinsichtlich der Prozentrechnerei gebe ich Ihnen recht. Das ist immer verwirrend, und je nachdem, was man nimmt, kommt man selbstverständlich zu verschiedenen Zahlen. Lassen Sie mich für die gesamte technologische Forschung, d. h. also für die industrielle Innovation, die Meeresforschung, die Umweltforschung und die Bereiche der Biologie und der Medizin folgende Zahlen nennen: 1969 22 Millionen DM, 1970 75 Millionen DM, 1971 160 Millionen DM, 1972 290 Millionen DM — die nächsten beiden Zahlen will ich weglassen —; für 1975 sind von uns 870 Millionen DM vorgesehen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, jeder von uns bedauert die Kostenexplosion. Aber selbst wenn Sie in dieser Hinsicht 18 % an die Wand malen, kommen Sie bei dieser Steigerungsrate absolut nicht nach, und Sie können mit Ihren Bemerkungen diese Dinge nicht einfach vom Tisch wischen.
Der zweite Strang der Technologiepolitik: Sie dient der Förderung der technischen Innovation in der Wirtschaft, also der Produktion und auch der Produktivität. Auch hier wieder einige Beispiele: Schlüsseltechnologien, Kernenergie. Darüber ist schon einiges gesagt worden. Herr Dr. Hubrig, wenn Sie sich nur einmal den Organisationsplan unseres Ministeriums ansehen würden, werden Sie zumindest feststellen, daß der Bereich der Reaktorsicherheit, und zwar wirklich vom Oktober 1969 an, so groß geschrieben und so viel anders behandelt wird, daß Sie hier einfach nicht behaupten können, es sei nur ein mühsames Sichfortbewegen auf den bisherigen Linien.
Auch zur Datenverarbeitung darf ich zwei Zahlen nennen. In der Sechs-Jahres-Periode von 1966 bis 1971 wurden insgesamt 0,42 Milliarden DM aufgewandt. Für die Vier-Jahres-Periode von 1972 bis 1975 sind 2,2 Milliarden DM, d. h. das Fünffache, vorgesehen. Wenn das ein mühsames Weiterführen ist, dann bin ich gern bereit, solche mühsamen Geschäfte weiterhin zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu den zwei Strängen — Technologiepolitik im Sinne einer öffentlichen Aufgabe und Technologiepolitik zur zur Förderung der Innovation in der Industrie — nun folgendes sagen. Dies ist für mich kein Gegensatz, und dies darf es meines Erachtens auch für niemanden sein. Wir sollten beides auch nicht dauern in einen Gegensatz zueinander stellen. Herrn Kollegen Lohmar habe ich so verstanden, daß er das in diesem Sinne gemeint hat. Wer z. B. einen umfassenden Umweltschutz und eine Umweltvorsorge fordert — der ganze Bundestag tut das —, muß dieser meiner Feststellung zustimmen: Ohne gesunde Infrastruktur kein wirtschaftliches Wachstum, ohne Innovation in der Wirtschaft kein Fortschritt für die Lösung gesellschaftsrelevanter technischer Probleme. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns immer meistens
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Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
leise — unterschieben, wir betrachteten das alles ideologisch, so verkennen Sie doch unsere wahre Einstellung.
Sie haben gesagt — und Sie haben es freimütig gestanden, das waren Ihre Worte —, daß die früheren Programme der Bundesregierungen im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung der technologischen Lücke gestanden hätten. Das war sicher auch richtig. Aber zumindest die Gleichwertigkeit der beiden Stränge, die ich anzudeuten versucht habe, ist neu.
Sie haben dann als besonders zu lobendes Beispiel Japan genannt. Dieses Argument hat ja, wie Sie sich sicher erinnern werden, in früheren Jahren gerade zur Begründung der Kritik an den von Ihnen getragenen Regierungen gedient, und ich finde es sehr schön, daß Sie sich jetzt eben diese Kritik selbst zu eigen machen. Aber die Japaner, deren Mut in dieser Hinsicht tatsächlich nur bestaunt werden kann, fingen mit diesen Maßnahmen 1952 an. Wenn man berücksichtigt, daß wir nur ein Viertel der Zeit gehabt haben, wird man feststellen müssen, daß wir inzwischen ebenso mutige Dinge in Angriff genommen haben, wie es die Japaner — das muß zugegeben werden — getan haben.
Sehr richtig haben Sie hingegen gesagt: Ein Projekt muß auch sterben können. Sie haben mich da völlig auf Ihrer Seite. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich ansieht, welches — darf ich das so sagen? — Geschrei losgeht, wenn man nur über Umorganisationen diskutiert — und jeder, der hier sitzt, soll sich einmal an die eigene Nase fassen und ) sich fragen, ob er nicht schon entsprechende Briefe an die zuständigen Regierungsstellen geschrieben hat —, dann darf ich Ihnen nur sagen, wir sollten hier zusammenstehen und solche Absterbe-Ordnungen nicht nur propagieren, sondern auch gemeinsam durchführen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die dritte Bemerkung: Die Bundesregierung sieht die Technologiepolitik als wichtiges Element der internationalen Kooperation an. Wir haben dies in der Antwort auf Frage - 3 der Koalitionsfraktionen und auf Frage V/3 der CDU/CSU-Fraktion näher erläutert, so daß ich mich auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken kann. Wissenschaft, Forschung und Technologie können nicht die grundlegenden politischen Schwierigkeiten, die es in der Welt gibt, einfach wegräumen. Es ist reine Romantik, wenn man das annimmt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tut doch niemand!)

— Das hört man immer wieder! — Aber die genannten Bereiche können sehr wohl die politischen Grundlinien, wenn diese existieren, unterstreichen, mit Leben erfüllen und für den einzelnen unmittelbar fühlbar machen.
An der Haltung dieser Regierung hinsichtlich der Europäischen Gemeinschaft, hinsichtlich der atlantischen Zusammenarbeit und hinsichtlich einer weltweiten Offenheit zur Zusammenarbeit, wo immer sie möglich ist, gibt es überhaupt keinen Zweifel. Dar-
aus folgt, daß wir jede sich bietende Gelegenheit nutzen, die konkrete technologische Zusammenarbeit vorwärtszubringen. Wir gehen dabei — das wissen Sie ebenso wie ich — besonders im europäischen Rahmen oft so weit, daß wir unsererseits erhebliche und sehr empfindliche Opfer bringen.
Die internationale technologische Zusammenarbeit hat, wie gesagt, ihre besonderen politischen, organisatorischen und technischen Probleme; eben deshalb kommt es hier nicht nur zu Erfolgen, sondern — das muß klar gesagt und eingestanden werden — immer wieder auch zu Rückschlägen.
Wenn wir über Euratom nichts gesagt haben, so auch deswegen, weil sich hier der Stand der Dinge von Woche zu Woche ändert. Am 20. 12. sitzt man wieder zusammen, um aus diesem schwierigen Unternehmen noch etwas Vernünftiges zu machen. Die Überwindung der Schwierigkeiten liegt nicht allein in unserer Hand. Die Bundesregierung wird aber zäh daran festhalten, die Kooperationsmöglichkeiten zu verstärken.
Ein Fortschritt war sicher die vor einigen Wochen in Brüssel abgehaltene Konferenz der Forschungs- und Technologieminister aus 19 europäischen Staaten. Aber wenn wir von Fortschritt reden, dann sehen wir auch gleich den Maßstab, der hier anzulegen ist, denn es gibt hier überhaupt keine glanzvollen Ergebnisse. Trotzdem gibt es einen ersten Einstieg, und wir werden ihn nutzen. In diesem Sinne interpretieren wir die Empfehlung der WEU-Versammlung, auf einer Konferenz der Technologieminister die Prioritäten einer europäischen Technologiepolitik festzulegen. Wir sehen diese Empfehlung, auf die Sie, Frau Dr. Walz, in Ihrem Antrag abheben, in der Perspektive des bevorstehenden britischen Beitritts, nach dem alle WEU-Staaten der Europäischen Gemeinschaft angehören werden.
Lassen Sie mich zu einem vierten Punkt kommen. Technologiepolitik als Teil der Gesamtpolitik bleibt auf die Dauer unwirksam und kurzatmig, wenn sie nicht auf dem soliden Fundament der Bildungs- und allgemeinen Forschungspolitik steht. Das ist ebenfalls ein neuer Aspekt. Er wird viel stärker als früher betont. Das kann ich aus Erfahrung vieler Unterhaltungen mit dem Vertreter der früheren Regierung sagen. Bildung als Voraussetzung für die technische Weiterentwicklung, aber auch für die Bewältigung des Lebens in der technisch bestimmten Welt, muß in der Bedeutung und in der Wechselwirkung zu dem Problem, das wir hier behandeln, gesehen werden. Auch die Grundlagenforschung darf in einem solchen Exkurs nicht fehlen. Man kann nicht über Technologie reden, ohne die Bedeutung der Grundlagenforschung, die ihrerseits durchaus von der Technologie wieder angeregt wird, herauszustellen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine gerade in den letzten Tagen merkwürdig ausführlich diskutierte Frage eingehen. Ohne entsprechend qualifiziertes Personal in Wirtschaft und Forschung kann keine Wissenschafts- und Technologiepolitik überhaupt, jeden-
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Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
falls nicht erfolgreich, betrieben werden. Dieses Personal wird an unseren Hochschulen herangebildet. Der Steuerzahler läßt sich das viel kosten, wenn auch dabei dem einzelnen ebenfalls oft große Opfer abverlangt werden.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Warten Sie doch, das ist doch nur der Einstieg, um zu dem zu kommen, was Sie hören wollen. Mir liegt daran, hier noch einmal klarzustellen, daß eine besondere Besteuerung von Akademikern, die in den letzten Tagen durch die Presse geisterte, niemals von dieser Regierung auch nur erwogen worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Herr von Dohnanyi hat davon gesprochen!)

— Herr von Dohnanyi — lesen Sie es im Protokoll nach — hat dies in der Fragestunde am 9. Dezember ganz klar zum Ausdruck gebracht. Vielleicht hat er es für manche noch nicht klar genug gemacht. Deswegen stelle ich hier noch einmal fest: Derartige Pläne hat es in dieser Bundesregierung nicht gegeben, und ich kann hinzufügen, es wird sie auch nicht geben. Wenn aber renommierte Wissenschaftler — und dazu muß man ja wohl Professor Krelle und Professor von Weizsäcker zählen — ökonomische Fragen der Verteilung von Bildungslasten aufwerfen und in seriöser Form erforschen wollen, so ist das für mich auch eine Frage der Freiheit der Forschung und der Freiheit der Wissenschaft, über die so viel geredet wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von: der CDU/CSU: Also doch die Absicht!)

— Das ist auch eine merkwürdige Auslegung von Freiheit, wenn Sie das daraus lesen. Man darf, auch wenn man grundsätzlich anderer Auffassung ist — und das sind wir, das habe ich betont —, hier für die Forschung keine unnötigen Grenzen ziehen.

(Abg. Pfeifer: Es geht doch um die Finanzierung eines Forschungsauftrages! Das ist doch etwas anderes!)

Die Forschungspolitik der Bundesregierung ist durch die Konzeption der OECD-Minister auf ihrer Tagung vor wenigen Wochen bestätigt worden, jedenfalls in der Richtung. Herr Lohmar hat schon darauf hingewiesen, welches die neuartigen Forderungen der OECD-Forschungsminister sind. Ich will hier nur noch einmal eine Forderung wiederholen, nämlich die der Verstärkung von Forschung, Entwicklung und Innovation für soziale Erfordernisse — social needs — auf Gebieten wie der Qualität der menschlichen Umwelt, des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und der Entwicklung der Städte.
Ich möchte noch einen Satz aus diesem Konferenzbericht zitieren: Quantitative und vor allem qualitative Wachstumsfortschritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Dieses jetzt auch von den OECD-Forschungsministern anerkannte und formulierte Ziel, war von Anfang an die Richtschnur für die Technologiepolitik dieser Bundesregierung.
Lassen Sie mich jetzt noch einige wenige Worte zu den fünf Anträgen sagen, die die Opposition heute eingebracht hat und die ich auch erst seit wenigen Stunden kenne. Ich gehe der Reihe nach vor.
Umdruck 250: Hier wird eine Erfassungs- und Koordinationsstelle des Bundes für Forschungsprojekte gefordert. Diese ist bereits da, das ist das BMBW, das durch Kabinettsbeschluß die Aufgabe der Koordinierung seit jeher hatte. Auch mein Vorgänger hatte sie schon, und wenn der es nicht geschafft hat, könnte es unter Umständen daran liegen, daß das eine schwierige Materie ist.
Es wird ein Forschungskatalog gefordert, in dem Forschungsvorhaben nach Sachgebieten, Auftraggebern, aufgewendeten Mitteln, Empfängern und voraussichtlicher Zeitdauer erfaßt werden sollen. Meine Damen und Herren, das gibt es schon längst. Der Forschungskatalog befindet sich seit langem in .Vorbereitung. Er wird Ihnen im Frühjahr 1972 vorgelegt werden. Wir werden das sogar auf Datenverarbeitung umstellen. Wir haben inzwischen schon Probeläufe für die Ressorts anlaufen lassen.
Dann fordern Sie unter b) des Umdrucks, daß das den Mitgliedern des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft sowie des Haushaltsausschusses halbjährlich, auf den neuesten Stand gebracht, in geschlossener Sitzung unterbreitet wird. Wir wollen das sogar veröffentlichen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Die Gutachten der Ministerien sollen nach Auftraggeber, Sachgebiet, Kosten und Verfasser erfaßt werden. Das ist ein Erfordernis, das sich aus § 61 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung Teil I ergibt. Der Staatssekretär muß solche Dinge abzeichnen. Außerdem wollen wir das mit auf die Datenverarbeitungsanlage bringen. So viel zum Umdruck 250.
Zu Umdruck 251: Hier wird —, eine europäische NASA ist gar kein Ausdruck! — eine europäische Super-NASA gefordert. Zunächst habe ich eine Frage. Das ist ja wohl mit der glühenden Nadel gemacht worden.

(Abg. Dr. Hubrig: Nein!)

— Nicht? Dann wollen Sie in der Tat die bestehenden Raumfahrtorganisationen ELDO, ESRO mit CEPT — CEPT steht für Commission Européenne des Postes et Télécommunications — zusammenschließen? Herr Hubrig, Sie haben doch etwas ganz anderes gemeint. Sie haben nämlich CETS gemeint.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)

Sie haben Commission Européenne des Télécommunications par Satellite gemeint. Stimmt das?

(Abg. Dr. Hubrig: Das stimmt!)

— Sehr schön. Dann sind wir uns ja einig. Deswegen habe ich von glühender Nadel gesprochen. Ich wollte das nur verbessern.
Hinter dem Antrag steckt das romantische Idealbild des Europas von morgen, das wir ja alle bejahen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

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Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
Mein verehrter Vorgänger Stoltenberg hat sich jahrelang bemüht — ein sehr bescheidenes Programm —, die ELDO und ESRO wenigstens zu amalgamieren, zu fusionieren. Wir haben uns auch schon zwei Jahre lang angestrengt, aber es ist bisher nicht gelungen. Man kann das nicht so machen, wie es hier zum Teil formuliert wird. So ist das in Europa nicht möglich.
Ich möchte Sie an das erinnern, was Herr Dr. Achenbach heute früh sehr amikabel ausgeführt hat. Herr Achenbach hat nämlich Erfahrung. Wir haben auch Erfahrung, und wir wissen, wie schwierig so etwas ist. Dazu kann jedermann ja sagen. Aber jedermann, der auch nur ein bißchen davon versteht, weiß von vornherein, daß davon auch nicht 10 % durchsetzbar sind.
Zu Umdruck 252: Darin haben Sie alle Gesellschaften, die mehr oder weniger von uns abhängig sind, aufgeführt; merkwürdigerweise nicht die DFVLR, die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt. Ich nehme an, daß das auch ein Versehen ist, oder steckt dahinter Absicht?

(Abg. Dr. Martin: Was soll denn diese Beckmesserei? Nehmen Sie doch zu politischen Fragen Stellung! Das ist doch alles kleinkariert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich muß doch einmal die Qualität dieser Anträge prüfen. Sie fordern eine Kommission. Ich darf Ihnen sagen, daß bereits ein Ad-hoc-Ausschuß, der für die Diversifikation der Institutionen, in Karlsruhe, Jülich und der GKSS in Hamburg zuständig ist, zu arbeiten angefangen hat.
Dann fordern Sie, die Gesellschaft für Schwerionenforschung solle mit einbegriffen werden. Die fängt gerade erst an zu arbeiten. Die ist mitten im Aufbau. Was dort eine Sachverständigenkommission soll, die Aufgabenbereiche für ein mittel- und langfristiges Sach- und Finanzprogramm für die angeführten Forschungszentren entwickeln soll, ist mir ein Rätsel.
Wenn ich das einmal wörtlich nehme: Stellen Sie sich einmal vor, was für ein Supersachverständigengremium das sein muß, daß sich auch nur darauf einläßt, die Sach- und Finanzprogramme mittel- und langfristig für das Institut für Plasma-Forschung zu beschließen — wie hier steht —, d. h. also für das Institut, das sich mit der Energiequelle befaßt, die vielleicht um das Jahr 2000 überhaupt einmal in den Bereich der konkreten Möglichkeiten kommt. Ich halte das für eine Überforderung, um nicht mehr zu sagen.
Der Antrag Umdruck 253 behandelt die Chancengleichheit zwischen Erfindern, Unternehmern und Unternehmensgruppen bei der Bewerbung um staatlich geförderte Forschungsprojekte. Das ist sicher eine wichtige Angelegenheit. Ich darf auch hierzu sagen, daß wir längst auf dem Wege sind. Wir haben jetzt ausschreibungsähnliche öffentliche Einladungen mit Angabe der von uns gewünschten Termine z. B. für das sehr wichtige Gebiet der Datenverarbeitung in der Medizin, herausgegeben. Wir
machen also so etwas schon. Die Frage kann man also bejahen. Aber da kommt man leicht in die Nähe des berühmten Senders Eriwan: Man sagt im Prinzip ja.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Aber der Teufel steckt leider im Detail.
Sie sagen, wir hätten eine starre Finanzierungsregel bei den Subventionen. Meine Damen und Herren von der Opposition, die Bezeichnung Subvention für diese Dinge, habe ich bisher nie von Ihnen, sondern von ganz anderen Seiten gehört. Die Starrheit der Grenzen besteht darin, daß wir bisher einen Anteil zwischen 30 und 80 °/o haben. Darlehen geben wir längst. Bürgschaften übernehmen wir ebenfalls. Außerdem darf ich auf die Gutachten über die Vergabemodalitäten, die bei der Treuarbeit und woanders bestellt sind, hinweisen. Wir tun da also schon einiges.
Nach dem Antrag Umdruck 254 sollen — das finde ich sehr richtig — die Methoden der Industrie, die teilweise vorbildlich sind, wie ich gern zugeben will, auf den Bereich der Forschung übertragen werden. Auch das tun wir längst. Z. B. sind unsere Methoden, mit denen wir die Weltraumprogramme, die Satellitenprogramme, über die Gesellschaft für Weltraumforschung betreiben, oder die Managementmethoden, mit denen das Programm der Gasultrazentrifuge betrieben worden ist und betrieben wird, selbst von der Industrie zum großen Teil als vorbildlich anerkannt.
Dies nur als erste Reaktion auf Ihre Anträge. Sie haben mir freundlicherweise zugestanden, Herr Dr. Hubrig, daß ich mich jetzt sozusagen in den Urlaub begeben darf.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Martin: Mit Gott und gutem Winde!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615933100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Probst.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID0615933200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst ein paar Bemerkungen zu meinem Vorredner machen. Herr Minister Leussink hat sinngemäß gesagt, Kontinuität sei für ihn gleichbedeutend mit Fortschritt und Neuheiten bedeuteten für ihn nicht absolut Fortschritt. Wir würden ihm in dieser seiner Meinung vollkommen zustimmen, wenn wir nicht hinter dieser verbal schön klingenden Äußerung nichts anderes zu sehen hätten als Untätigkeit. Er redet von langfristigen Projekten für Umwelttechnologien und medizinische Technologien. Ich frage: Wo sind die Ansätze dazu? Alles, was Sie gesagt haben, ist nichts anderes als Absichtserklärung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Minister versteigt sich sogar dazu, daß er seine Aktivitäten in den letzten beiden Jahren und die Aktivitäten der Bundesregierung mit dem vergleicht, was Japan seit 1952 in ungeheurer Akribie, von der man diesem Ministerium nur ein bißchen wünschen möchte, vorantreibt.
9206 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Dr. Probst
Sehr gefreut haben wir uns, nicht nur ich, sondern auch meine politischen Freunde, über die Ausführungen vom Herrn Kollegen Grüner, die wir fast deckungsgleich übernehmen möchten. Ich habe nur die Befürchtung, daß der Anfang seiner Ausführungen im Sinne von Professor Lohmar möglicherweise zu technokratisch gewesen ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Raffert.)

Denn er hat einige Dinge real angesprochen. Immerhin — Herr Raffert, ich hoffe, Sie werden uns da unterstützen : wenn Herr Grüner einen Antrag stellen sollte, daß ein besonderer Schwerpunkt auf dem sozial-humanen Gebiet gebildet werden soll oder nur definiert werden soll, dann werden wir diesen Antrag unterstützen; denn das deckt sich mit dem, was auch wir möchten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sehr wenig möchte ich zu den Ausführungen von Professor Lohmar sagen. Ich möchte das, was er hier dargelegt hat, eine sehr distanzierte, nahezu der Welt entrückte, schöngeistige Technologiepolitik nennen. Wenn er frühere Vorstellungen über Technologiepolitik „naive technokratische Betrachtungsweise" nennt, so möchte ich seine Ausführungen nicht minder naive soziologische Betrachtungsweise nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er sprach noch von der Kooperation der Mittleren und Kleinen, daß hier Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Wo sind die Schwerpunkte? Sie hatten zwei Jahre Zeit.
Sie haben auch das Problem der Leitlinien als einen ganz neuen Durchbruch gefeiert.

(Zuruf von der SPD: Wo gibt es das denn sonst?)

Wenn Sie Verbindung zu den Leuten haben, die Ihre Leitlinien angehen, dann werden Sie mir beipflichten, daß kaum etwas bei dem großen Stab der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Forschungsinstituten so heftig kritisiert wird und so viel Enttäuschungen hervorgerufen hat wie Ihre Leitlinien.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Leute haben sich etwas versprochen, und Sie haben ihnen nichts gebracht. Im Gegenteil, Sie haben an den Instituten damit allenfalls Verwirrung geschaffen.
Herr Professor Lohmar, Technologiepolitik kann schöngeistig gesehen werden, aber sie muß natürlich auch in harten Realitäten diskutiert werden.

(Abg. Dr. Raffert: Sehr gut! — Weitere ironische Zurufe von der SPD.)

Die Antwort der Bundesregierung — wenn Sie sie genau lesen, werden Sie mir beipflichten — auf unsere Anfrage ist unerhört mager ausgefallen. Fast möchte man sie als Zumutung empfinden, weil sie das Parlament so behandelt, als würde dieses Gremium die Probleme der Wissenschafts- und Forschungsförderung im Grunde nichts angehen. Es gibt nur Absichtserklärungen und Beteuerungen, nirgends neue Ansätze. Wer die Aktivitäten in den
letzten zwei Jahren näher verfolgt hat, Herr Raffert, gewinnt den Eindruck, daß die Technologiepolitik nur als Nebengebiet der Bildungspolitik betrieben wird, sozusagen von der linken Hand, und das ein wenig auch im doppelten Sinne.

(Zurufe von der SPD.)

— Das erkennen Sie völlig richtig. So wie Sie betroffen sind, so war es auch gemeint. Es ist nicht verwunderlich. Denn seit 1969, seit Bestehen dieser Bundesregierung, hat es eine Schwerpunktverlagerung im zuständigen Ministerium von der Forschungs- und Innovationsförderung hin zur Bildungsförderung gegeben.

(Abg. Dr. Martin: Hildegard!)

Das wurde besonders dadurch sichtbar, daß der größte Teil der Aktivitäten sowohl im Ministerium als auch im zuständigen Bundestagsausschuß sich mit bildungspolitischen Fragen befaßte. Es wurden wunderschöne Pläne entwickelt, großen bunten Luftballonen gleich, manchmal mit rosa Luft gefüllt.

(Zurufe von der SPD und FDP.)

Bei Durchrechnung dieses herrlichen Denkmodells traten allerdings ungeheure Kosten zutage, die zu tragen bei uns im Lande niemand in der Lage ist. Es gibt deshalb bis heute keinen Finanzierungsplan. Der Tag der Wahrheit ist nahe, wo die Bundesregierung, insbesondere auch das BMBW, bekennen muß, daß die herrlichen Versprechungen nicht verwirklicht werden können,

(Abg. Raffert: Morgen gibt es 260 Millionen mehr!)

ja daß der Bürger selbst für kleine Teilansätze stark zur Kasse gebeten werden muß.

(Abg. Pfeifer: Und Frau Hamm-Brücher verläßt das sinkende Schiff!)

Die Konfusion im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ist derzeit groß und treibt die tollsten Blüten, wie die eben von Minister Leussink noch einmal dementierte Erwägung einer Sonderbesteuerung der Akademiker zeigt.

(Abg. Raffert: Da hat er selbst Angst gehabt!)

Ich frage mich, warum denn die Bundesregierung einen Forschungsauftrag finanziert, wenn sie nicht eine konkrete Absicht damit verbindet, tatsächlich so etwas unternehmen zu wollen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Grundlagenforschung!)

Man könnte in gleicher Weise ein Konversationslexikon entlang mit Forschungsaufträgen versehen und finanzieren, wenn nicht eine politische Absicht in einer entsprechenden Richtung vorhanden wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine nur, die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den großen Forschungsinstituten werden sich sehr freuen, wenn sie nunmehr von der Bundesregierung, von der sie teilweise so viel, ja viel zuviel, erwartet hatten, für ihre Anstrengung in einer akademischen Ausbildung zur Kasse gebeten werden sollen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9207
Dr. Probst
Ausdruck der Konfusion, die auch zu personeller
Zerstrittenheit der Führungsmannschaft im BMBW führt, ist das spektakuläre Ausscheiden der Frau Kollegin Hildegard Hamm-Brücher.

(Abg. Raffert: Wer keine Ziele hat, schießt auf Pappkameraden!)

— Nur langsam, nur langsam, Herr Kollege Raffert.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

— O Herr Kollege Moersch, Sie wissen, daß wir sie seinerzeit schon sehr gern bei uns gesehen hätten vor etwa einem halben Jahr. Damals
sagte der Herr Minister in einer Rede in diesem Hause, daß er sie für völlig unentbehrlich hält. Nun sieht er sie von dannen ziehen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Man fragt sich, wie das kommt. Ist die Beurteilung der Staatssekretärin plötzlich so viel schlechter geworden? Das doch sicher nicht.

(Abg. Schulte [Unna] : So was nennt man Bayern-Opfer! — Weitere Zurufe.)

Die Politik der Regierung muß wohl so unbefriedigend sein — so unbefriedigend, so konfus, ja aussichtslos —, daß es Frau Hamm-Brücher, der man ja einen gewissen Ehrgeiz nicht absprechen kann, geraten schien, rechtzeitig von dannen zu eilen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU.)

Diesen ganzen Hintergrund muß man sehen,

(Zuruf des Abg. Moersch — weitere Zurufe)

wenn man das Treibenlassen der Forschungs- und Technologiepolitik der heutigen Bundesregierung begreifen will. Seit Stoltenberg ist praktisch nichts Neues geschehen.

(Widerspruch bei der SPD. — Abg. Raffert: Und Sie sind seitdem in den Bundestag gekommen!)

Alte Programme wurden weitergeführt oder auslaufen gelassen. Dabei wird des modernen Image wegen von gesellschaftspolitischer Relevanz gesprochen, wobei es der Phantasie des anderen überlassen bleibt, was man darunter verstehen mag.
Bei aller Verständigungsschwierigkeit in der öffentlichen Diskussion zum Thema Technologiepolitik — Verständigungsschwierigkeiten deshalb, weil sie einen sehr hohen Sach- und Fachverstand erfordert — ist man sich darin einig, daß es ohne genügende wissenschaftlich-technologische Entwicklung nicht möglich ist, an der Spitze der Industrienationen zu bleiben.
Deutschland ist ein typisches Veredelungsland, das mehr von der Veredelungskraft seiner Wirtschaft lebt als jedes andere. Kein Land ist deshalb stärker darauf angewiesen, mit an der Spitze zu bleiben — bei aller gesellschaftlicher Bezogenheit —, als wir.

(Abg. Raffert: Drum!)

Hier gilt es, die Dimensionen für die künftige Entwicklung richtig zu sehen und echte Schwerpunkte zu setzen.

(Zuruf von der FDP.)

Wir können es uns nicht leisten, die Politik von Wissenschaft, Technologie und Innovationsförderung treiben zu lassen — auch nicht einmal für ein Jahr.
Deutsche Technologiepolitik ist heute untrennbar mit der europäischen Technologiepolitik verbunden. Viele Dinge lassen sich national nicht lösen, weil sie zu aufwendig und teuer sind und nur in Gemeinschaftsarbeit bewältigt werden können.
So viel zur allgemeinen politischen Situation.
Namens der CDU/CSU-Fraktion werde ich nun zu einzelnen konkreten Themen Stellung nehmen,

(Zurufe von SPD: Nein! — Im Ausschuß!)

nämlich erstens zu Fragen der Luft- und Raumfahrt, die Sie sich kaum zu erwähnen trauen, nicht zuletzt deshalb, weil Sie hier offenbar keinerlei Perspektiven aufzuzeigen haben, wie es weitergehen soll,

(Abg. Schule [Unna] : Ein Bayer auf dem Mond kommt jetzt!)

zweitens zur Frage neuer Verkehrstechnologien und drittens zu Umwelttechnologien.
Die Bundesregierung spricht in ihrer Antwort von bemerkenswerten Erfolgen der bisherigen Weltraumprogramme, insbesondere auf dem Gebiet der Weltraumforschung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Raketentechnik!)

Bei aller Würdigung dieses ungewöhnlichen Kompliments gegenüber früheren Bundesregierungen der CDU/CSU vermissen wir aber eine präzise Aussage über die gegenwärtigen Probleme und die zwischenzeitlich von der Bundesregierung während ihrer Amtszeit definierten Programme und getroffenen Entscheidungen. Seit 1969 ist ein Basisprogramm für Luft- und Raumfahrt angekündigt. Bis heute läßt es auf sich warten. Das ist ein hartes, realistisches Faktum, das mit schöngeistiger Betrachtung gar nichts zu tun hat. Sicher kann man über den Umfang der Luft- und Raumfahrtförderung unterschiedlicher Meinung sein. Man kann jedoch nicht umhin, sich auf ein langfristiges Programm festzulegen. Das ist hier notwendiger als auf irgendeinem anderen Gebiet, weil es sich um sehr komplizierte Organismen der Zusammenarbeit handelt. Die Situation ist jetzt so, daß eine Reihe von Projekten ausläuft. Nachfolgeprogramme müssen heute in Sicht sein, wenn die Teams, die vorhanden sind, bestehenbleiben sollen. Die vorhandenen Mitarbeiterstäbe drohen zu zerfallen, wenn sie keine neuen Aufgaben erkennen können. Sie werden sicher irgendwo in die Industrie abwandern, wo solche Kräfte als Experten begehrt sind. Es ist nicht zweckmäßig, bei neuen Projekten wieder neue Teams zu suchen, die erst wieder ihre Erfahrungen von neuem sammeln müssen. Ein derartiges Verfahren kommt so teuer, daß wir es uns nicht leisten können. Befürchtungen in dieser Richtung gibt es bei wissenschaftlichen Instituten und Einrichtungen bis hin zur GfW
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Dr. Probst
und DFVLR und auch bei der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Im wesentlichen geht es in der Folge um zwei Teilbereiche: erstens um wissenschaftliche Programme, die weniger problematisch erscheinen, und zweitens um die Frage der Verfügbarkeit eines Trägersystems für Nutzsatelliten in Europa. Es ist weitgehend unbestritten, daß Europa, wenn es ein ernst zu nehmender Partner bleiben will, bei der wirtschaftlichen Bedeutung von Anwendungssatelliten über Träger von genügender Größe verfügen muß, um Nutzsatelliten in den Weltraum zu schießen.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! — Abg. Moersch: Das üben wir doch schon!)

Die billigste Möglichkeit, Herr Raffert — darin stimmen wir sicher überein —, sie verfügbar zu machen, wäre, diese Trägersysteme in den USA zu kaufen oder sie bei uns in Lizenz zu bauen. Da dies trotz des Briefes von Staatssekretär Johnson, der wohl noch keine ausreichenden Garantien enthält, bis heute aus mancherlei Gründen nicht möglich ist, wird man in Europa gezwungen sein, an einem eigenen Trägersystem zu arbeiten. Auch wenn es Rückschläge und Mißerfolge geben wird, wird man dies tun müssen. Ob es später über die Beteiligung am Post-Apollo-Programm möglich sein wird, die Verfügungsgewalt über Trägerraketen für Anwendungssatelliten zu erhalten, ist bisher noch offen. Sie finden in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" eine interessante Analyse von Rudolf Metzler zu diesem Thema.

(Abg. Raffert: Ich empfehle Ihnen die Lektüre des „Streiflichtes" in der „Süddeutschen Zeitung" ! Sie finden es auf Seite 1 oben links! Ganz hervorragend!)

— Sie sollten diesen Bericht lesen, Herr Raffert; er wird Ihre technologischen Kenntnisse auf diesem Gebiet ungemein bereichern können.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Lesen Sie Seite 1!)

Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, daß sich die europäische Beteiligungsmöglichkeit aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt aus militärischen, mehr und mehr auf technologisch weniger interessante Details konzentriert. Metzler kommt in der „Süddeutschen Zeitung" zu dem Ergebnis:
Ein solcher europäischer Beitrag wäre allzu bescheiden und im Hinblick auf das Gesamtprogramm zu simpel, als daß er die dafür benötigten Raumfahrtgelder rechtfertigen könnte. Sie wären für die eigene Entwicklung der EuropaIII-Rakete weitaus vielversprechender ausgegeben.
Ich bin nicht der Meinung, daß wir unter allen Umständen ein eigenes Trägersystem auf der Basis der Europa-III-Rakete entwickeln müssen. Es kommt darauf an, ob es für uns die Verfügungsmöglichkeit von seiten der Amerikaner geben wird. Andernfalls werden wir gezwungen sein, selbst zu versuchen, an ein Trägersystem heranzukommen.
Gerade wegen der Mißerfolge der Europa-II-Rakete und wegen der Kompliziertheit der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere auch mit den USA, fordert die CDU/CSU die Einrichtung einer europäischen Raumfahrtbehörde, die die bisherigen europäischen Aktivitäten zusammenfaßt. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie der Herr Minister an dieser Stelle von einer unerhörten technologischen Romantik sprechen kann. Fast erinnern seine Ausführungen an das fatale Zitat von Bundeskanzler Willy Brandt, daß Europa die Aufgabe für spätere Generationen sei.

(Zurufe von der SPD.)

Die Raumfahrtbehörde muß so angelegt sein, daß sie auch tatsächlich in der Lage ist, das von uns geforderte langfristige Programm auf fünf Jahre im Detail, auf zehn Jahre im großen und für mehr als zehn Jahre im Konzept zu übernehmen. Das bedeutet, daß eine derartige „Europäische NASA", wie sie wohl richtig genannt wurde, auch die Befugnis zur Ausschreibung, Vergabe und Kontrolle der Projekte, die im Rahmen genehmigter Programme durchgeführt werden, haben muß. Das heißt auch, daß eine solche Behörde die Koordination zwischen den europäischen und nationalen Programmen und die Rolle des Sprechers Europas in Raumfahrtfragen übernehmen muß.
Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, unseren Antrag Umdruck 251 *) offen und mit Nachdruck zu unterstützen.
Einen weiteren Schwerpunkt sieht die CDU/CSU-Fraktion in einer möglichst raschen Nutzbarmachung neuer Verkehrstechnologien. Für den Ausbau des Verkehrssystems werden in Zukunft noch sehr hohe Mittel angelegt werden. Um Fehlinvestitionen zu vermeiden, müssen die heute bereits sichtbaren neuen Verkehrstechnologien berücksichtigt werden. Es läßt sich schon abschätzen, daß ein Hochleistungsschnellbahnsystem große Bedeutung haben wird.

(Zurufe von der SPD.)

Die Bundesrepublik — so stellt es sich jedenfalls dar — hat in der Entwicklung der Magnetschwebetechnik, die sich wohl durchzusetzen beginnt, ein Jahr Vorsprung. — Herr Kollege Hauff, ich möchte Ihnen empfehlen, sich einmal dieses Projekt ernst zu Gemüte zu führen; Sie werden sicher auf dem Gebiet einiges dazulernen können.
Hier ist ein echter Schwerpunkt, weil wir die Chance haben, auf einem Gebiet echt führend zu sein.

(Zurufe von der SPD.)

— Die Bundesregierung findet die Weiterführung dieses Projektes offenbar nicht so komisch; denn sie hat das Geld auf Grund eines Antrags, den wir im Sommer dieses Jahres gestellt haben, schon eingeplant.
Die in Diskussion stehende Großversuchsstrecke muß ohne Verzögerung in Angriff genommen werden. Die Magnetschwebetechnik scheint
*) Siehe Anlage 11
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deshalb besonders interessant, weil sie umweltsauber ist und mit wenig Verschleiß bei wenig Energieaufwand eine sehr hohe Leistungsfähigkeit verspricht. Mit einer Geschwindigkeit von 500 Stundenkilometern wird sie die Siedlungs- und Wirtschaftszentren verbinden. Es ist selbstverständlich, daß sie im Falle ihrer Verwirklichung großen Einfluß auf den Autoverkehr, den Flugverkehr und den herkömmlichen Schienenverkehr haben wird. Insbesondere dürfte der Flugnahverkehr entscheidend beeinflußt werden. Die Bundesregierung sollte deshalb neben der technologischen Förderung ihre Ankündigung vom 27. Februar 1971 wahrmachen, eine Verkehrsstudie über das Zusammenwirken der einzelnen Verkehrssysteme etwa in einem Generalverkehrsplan vorzulegen. Nach Ankündigung in der Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache VI/ 1927 sollte das ja noch in diesem Jahr geschehen. Leider warten wir bisher vergebens.
Neben dem überregionalen Verkehr kommt der Bewältigung des Verkehrs in Ballungsräumen und Städten große Bedeutung zu. Sicher kann man davon ausgehen, daß es eine autogerechte Stadt nicht geben kann, daß es wahrscheinlich auch keine U-Bahnoder S-Bahn-gerechte Stadt gibt. Wenn die Städte dem Verkehr gewachsen sein sollen, ist es notwendig, zusätzliche Verkehrssysteme, die auf neuen technologischen Grundlagen stehen, anzubieten. Hierzu gibt es eine Reihe von Vorschlägen auf dem Reißbrett. Leider ist seit einem Jahr keinerlei Aktivität auf diesem Gebiet sichtbar. Es erscheint unerläßlich, daß die Bundesregierung unverzüglich Modellversuche in Großstädten oder Vorstädten durchführen läßt.
Die Bundesregierung wendet jährlich eine halbe Milliarde DM für die Förderung des innerstädtischen Nahverkehrs auf. Bei dieser Summe müßte es möglich sein, wenige Millionen für einen Modellversuch verfügbar zu machen, der Fehlinvestitionen vermeiden hilft. Die Verbesserung des innerstädtischen Verkehrs auf der Grundlage neuer Verkehrstechnologien ist im Hinblick auf Abgase und Lärm ein Umweltproblem ersten Ranges.
Einen wichtigen Schwerpunkt hätte die Bundesregierung, speziell das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, in der Frage der Bewältigung der Umweltprobleme zu sehen. Fast alles im Lande spricht von Umweltschutz; dabei wird zu wenig differenziert. Seitens der Bundesregierung wird das Thema zu sehr im Kompetenzbereich diskutiert. Das ist unnötig, denn fast jedes Ministerium könnte eine wichtige Aufgabe hierin erfüllen. Das BMBW hat sich natürlich nicht um Landschaftsschutz zu kümmern. Es müßte der Frage der Umwelttechnologien im weitesten Sinne nachgehen. Ein echter Schwerpunkt ist hier nicht sichtbar. Zwar ist begrüßenswert, daß sich das frühere Institut für Strahlenforschung in Neuherberg neuerdings auch mit Umweltfragen befaßt. Die Aktivität ist naturgemäß stärker auf die medizinische Seite hin ausgerichtet und kann im wesentlichen die Frage der Belastbarkeit des Organismus durch Fremdstoffe und schädliche Einflüsse umfassen. Die Frage der Umwelttechnologien liegt bis heute weitgehend brach
1 oder ist wenigstens nicht koordiniert. Dabei sind oft einfache Probleme nicht geklärt, z. B. im Bereich der Meßtechniken.
Ich fasse der Zeit wegen summarisch zusammen. Wir brauchen einfache, rasch durchführbare, billige und dabei genügend genaue Meßmethoden zur Erfassung von Schadstoffen und schädigenden Einflüssen. Wir brauchen eine Anlaufstelle für die Förderung umweltfreundlicher Technologien im prophylaktischen Sinne, und wir brauchen die Zusammenfassung und Entwicklung umwelttherapeutischer Technologien, um der Aufgabe der vielfach diskutierten Verbesserung der „quality of life" gerecht zu werden. Wir fordern deshalb die Regierung auf, unverzüglich eine Zentralstelle für Umwelttechnologien und Meßtechniken einzurichten, die sich mit der Bewältigung der angedeuteten Probleme befaßt.
Noch ein Schlußgedanke: Technologieförderung und Bildungsförderung stellen nach unserer Meinung keine Alternative dar. Wir betrachten vielmehr Forschung und Entwicklung als Voraussetzung für einen langfristigen Erfolg im Wirtschaftswachstum. Dabei ist Wirtschaftswachstum im Sinne von dem, was Herr Grüner ausgeführt hat, für uns selbstverständlich verbunden mit Verbesserung von Infrastruktur auf allen sich zeigenden und notwendigen Gebieten. Insofern ist die Technologieförderung auch eine wichtige materielle Voraussetzung für die Vorhaben auf dem Gebiete der Bildungspolitik. Lassen Sie uns deshalb in der Forschungs- und Technologiepolitik, einem Gebiet, das sich für Politisierung nicht unbedingt anbietet, neue gemeinsame Anstrengungen unternehmen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615933300
Das Wort hat der Abgeordnete Flämig.

Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0615933400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Dies ist nicht die erste Technologiedebatte in diesem Hause, die ich erlebe. Aber wohl immer ist es so, daß die Präsenz in umgekehrtem Verhältnis zur Bedeutung dieser Sache steht.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Denn hier geht es nicht um technologisches Wortgeklingel und schon gar nicht um den Versuch, komplizierte technische Probleme etwa auf dem Wege der Mehrheitsentscheidungen zu lösen, sondern hier geht es, ganz einfach ausgedrückt, um ganz wesentliche Zweige unserer deutschen Volkswirtschaft, und hier geht es um Milliarden Steuergelder.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das Projekt „Schneller Brüter" ist ein Milliardenprojekt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Die CDU ist ja doppelt so stark wie Ihre Fraktion da! — Wo sind die Genossen?)

— Ich mache doch gar keine Vorwürfe. Ich stelle
hier nur fest, was ist, nämlich daß z. B. das Projekt
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Flämig
„Schneller Brüter" zwischen 1 und 2 Milliarden DM kosten wird.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun zur Technologiepolitik. Es ist etwas sonderbar, von der Opposition heute schon mehrfach zu hören: Das hat alles schon unser Herr Stoltenberg gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Nein. Mit demselben Recht könnte die FDP sagen: Das hat schon unser Herr Lenz gemacht. Das sind nämlich zum Teil Probleme und Projekte, die über Jahrzehnte hingehen. Das sind langfristige Projekte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Strauß hat damit angefangen! — Zuruf des Abg. Dr. Hubrig.)

Der Herr Minister hat vorhin auf die Kontinuität hingewiesen. Das ist das Entscheidende.
Meine Damen und Herren, hier ist eine Verschiebung von der Technologie zur Bildung konstatiert worden. Das stimmt gar nicht. Wir tun das eine, ohne das andere zu lassen. Wenn hier gesagt wird, es gebe keine neuen Prioritäten, dann schauen Sie sich doch bitte einmal die Haushalte an! Hätten Sie doch einmal zugehört, was Herr Minister Leussink vorhin an Beispielen genannt hat! Ich frage Sie: Wie anders sollen sich denn Prioritäten manifestieren als durch die steigenden Ansätze im Haushalt?
Ausdruck der Neurorientierung: Da kann man hier in der Kürze der Zeit nur Beispiele nennen: das neue Datenverarbeitungsprogramm; neue Schwerpunkte wurden gesetzt gegenüber dem ersten EDV-Programm von 1967; darüber hinaus neue Akzente gesetzt, beipielsweise elektronische Bauelemente als Schwerpunktprogramm. Die Studie über Werkstof f-technologie liegt vor. Aber ich halte es für falsch, heute abend diese Dinge zu vertiefen. Wir werden darüber ausführlicher reden können, wenn wir über den Forschungsbericht IV sprechen. Ich möchte mich deshalb auf zwei Themen beschränken, die mir gestellt sind. Das eine ist der Schwerpunkt Kernforschung und Kerntechnik und das andere die europäische bzw. internationale Zusammenarbeit.
Es ist festgestellt worden, für die Kerntechnik und Kernforschung stünde nur noch eine Steigerungsrate von 20 °/o zur Verfügung, und im Wachstum lägen diese Gebiete nicht mehr an der Spitze. Ich stelle fest: Die Kernforschung und Kerntechnik hat immer noch das größte Finanzvolumen in unserem Haushalt für Technologie, und wir können doch wohl feststellen, daß die Mittel sich gelohnt haben. Strom kann heute zu konkurrenzfähigen Preisen mit Kernenergie erzeugt werden, und der Anschluß an führende Länder ist erreicht. Das zehnjährige Handikap ist überwunden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber kein Verdienst der Bundesregierung!)

— Das ist kein Verdienst der Bundesregierung allein, das ist ein Verdienst der Wissenschaftler und Techniker und Wirtschaftler, aber auch der Politiker im Bund und in den Ländern.

(Beifall.)

Auf der 4. Genfer Atomkonferenz hat das internationale Echo doch bewiesen, daß unsere Bundesrepublik heute mit an der Spitze steht und daß die Nutzung der neuen Energiequelle auf gesunder technischer und solider wirtschaftlicher Basis steht, soweit es den Leichtwasserreaktor betrifft.
Weil hier immer nach Prioritäten gerufen wird: In der Antwort der Bundesregierung wird schon in einer Passage Bezug genommen auf das kommende 4. Atomprogramm. Dort gibt es eine Priorität Reaktorsicherheit, Strahlenschutz, Umweltschutz. Niemand will bestreiten oder verschweigen, daß Kernenergie radiologische Auswirkungen auf Luft und Wasser hat, thermische Auswirkungen, ferner Einwirkungen auf Luft und Wasser sowie akustische Auswirkungen. Nun könnte man sagen: Nun ja, Zug der Zeit, Konzession an ein modisches Volksempfinden! Nein, meine Damen und Herren: Diese Priorität von Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Umweltschutz zeigt, daß die Bundesregierung eine verantwortungsbewußte Einstellung gegenüber den unmittelbar und den mittelbar betroffenen Menschen hat.

(Abg. Dr. Schober: Herr Flämig, das war früher schon so! Das ist doch nicht neu!)

Wenn die Regierung sagt: Zuerst Sicherheit, safety first, dann ist das neu. Und ich möchte anfügen: Neu sind die verbesserten Arbeitsbedingungen der Reaktorsicherheitskommission!
Es sind Schwerpunkte gesetzt worden. Vielleicht würden Sie erwidern: Schwerpunkte wie Hochtemperatur- und schneller Natriumreaktor! Das sei auch nicht neu. Was sagen Sie aber dann zum wirtschaftlichen Verfahren der Urananreicherung? Ein Teil unseres Fachausschusses ist in den USA gewesen. Wir haben gesehen, daß der Hochtemperaturreaktor vor der Wirtschaftlichkeit steht. Ich möchte hierzu nicht mehr viel ausführen. Wir werden andere Gelegenheiten dazu haben.
Ich möchte aber noch einige Bemerkungen zum Natriumbrüter machen. Da sieht man in letzter Zeit so einige Zahlen durch die Presse geistern. Es ist die Frage — damit komme ich zum zweiten Thema meiner Ausführungen der Zusammenarbeit aufgetaucht: Warum wird nicht der Natriumbrüter, der SNR 300, zusammen mit anderen Ländern geschaffen, beispielsweise mit Großbritannien und Frankreich, die diesen gleichen Typ auch in Entwicklung haben?
Oder — eine andere Frage, die auch oft gestellt wird: Warum wird nicht gleich dieser Typ übersprungen und in der Bundesrepublik der 1000-Megawatt-schnelle-Brüter entwickelt?
Die Fachleute sagen uns aber: Es genüge nicht, das Know how einfach in Lizenz zu kaufen, um in der Lage zu sein, fristgerecht und was wichtig ist — zu konkurrenzfähigen Preisen neue Typen von Kernkraftwerken auf dem Weltmarkt anzubieten. Die Industrie müsse von der Pike auf eigene Erfahrungen sammeln können und würde zwangsläufig ins Hintertreffen geraten, wenn sie sich nur die Erfahrungen der anderen kaufen könne. Das bedeutet sicherlich nicht, daß man nicht alles tun müßte, um
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die europäische Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Schnellen Natriumbrüters der nächsten Stufe von vornherein auf europäischer Ebene anzustreben.
Einige Beispiele der europäischen Zusammenarbeit, die neu vor uns stehen! Wenn wir eines Tages zur Verwendung des Hochtemperaturreaktors kommen, wird ein völlig unabhängiger dritter Brennstoffkreislauf notwendig sein. Geschätzte Kosten zwischen 500 Millionen und einer Milliarde DM! Hier könnte eine Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft notwendig und nützlich sein. Metallurgieprobleme werden auftreten bei Gasturbinen und bei Brennelementen; auch hier wäre eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene empfehlenswert.
Nun wird man erwidern: Es gibt doch eine Zusammenarbeit! Wir haben doch die Gasultrazentrifuge! Sie wird geschaffen gemeinsam von Großbritannien, den Niederlanden und der Bundesrepublik! Auf diesem Gebiete fehlt noch ein echter Kostenvergleich zwischen den einzelnen technischen Möglichkeiten, die es für die Anreicherung von Uran gibt. Die Antwort darauf sollte uns auch die Europäische Gemeinschaft geben.
Doch wie steht es mit dieser europäischen Zusammenarbeit? Es wäre wohl ein bißchen untertrieben, wenn man sagte, sie stehe unter keinem guten Stern. Ich würde weitergehen und hinzufügen: sie ist in echter Gefahr!
Das macht uns Sorge. Diese Sache macht uns wirklich Sorge, denn das ist nicht nur eine technologische Angelegenheit — das sage ich in aller Deutlichkeit , das ist eine eminent wichtige politische Frage! Die Euratom ist ein Stück vereintes Europa. „Für die Bundesrepublik hat die internationale Technologiepolitik auch den Aspekt, Instrument und Element für andere Bereiche ihrer Politik zu bilden." Das ist ein Zitat aus der Antwort der Bundesregierung. Dem können wir als Regierungskoalition voll zustimmen. Ich glaube, dem kann sogar die Opposition zustimmen.

(Abg. Raffert: Das wäre ganz vernünftig!)

Meine Damen und Herren, noch ein paar kurze Bemerkungen zu dem, was sich in Ispra, in der Gemeinsamen Forschungsstelle, tut. Sie wissen, wie das damals angefangen hat. Am 25. März 1957 ist der Vertrag in Rom unterzeichnet worden. Aber eine Koordinierung der Reaktorbaurichtlinien hat es leider nie gegeben. Die Aktivitäten liefen in den europäischen Ländern parallel. In der Euratom hat sich Frankreich mit seinem Konzept zunächst durchgesetzt. Das ist dann später erst gescheitert. Rund 2000 Wissenschaftler und Techniker waren dem Ruf gefolgt. Sie hatten manches aufgegeben und wurden dafür Lebenszeitbeamte. Ob man das heute noch so machen würde, ist eine andere Frage.
Aber Mitte der sechziger Jahre ist dann in der Euratom deutlich geworden: Es gibt bei der Industrie kein Interesse für diesen Reaktortyp, den sogenannten Orgel-Typ. Dann war die große Frage: Was tun? Was soll mit diesen 2000 Wissenschaftlern
der Gemeinsamen Forschungsstelle geschehen? Der Rat hätte die Antwort zu geben gehabt. Er gab sie nicht.
In Den Haag, im Dezember 1969, kam es zunächst noch einmal zu einem Höhepunkt. Das war ein Auftrieb, das war ein Hoffnungsschimmer. Ich möchte sagen: dank der Initiative unserer Bundesregierung; denn sie hat damals die Vorschläge für neue Richtlinien eingebracht. Am 11. März 1970 hat sich der Expertenausschuß der vier Weisen unter Professor Casimir für ein Weiterbestehen der Gemeinsamen Forschungsstelle ausgesprochen.
Im November 1970 kam dann der Ratsbeschluß mit einer Reorganisation der Gemeinsamen Forschungsstelle, mit einer größeren Autonomie, industriellem Management, mit Elementen der Demokratisierung. All das ist beschlossen worden. Aber was nicht beschlossen wurde, war ein Mehrjahresforschungsprogramm.

(Abg. Frau Dr. Walz: Eben, gerade jetzt wieder nicht!)

Das Europäische Parlament lehnte wegen des Fehlens dieses europäischen Mehrjahres-Forschungsprogramms sowohl 1970 wie 1971 den Haushalt der Euratom ab.
Was sich in der Gemeinsamen Forschungsstelle zur Zeit tut oder besser: nicht tut, ist eine Zumutung für das Personal, das arbeiten will, aber nicht darf. Es ist aber auch eine Zumutung für den europäischen Steuerzahler.
Unsere Regierung hat auf ein Mehrjahres-Forschungsprogramm gedrängt. Was sich auf der Ratstagung am 6. Dezember dieses Jahres ereignete, war eine einzige Enttäuschung. Man war sich offenbar nur darüber einig, daß man sich nicht einig ist. Es wäre kein Fehler, wenn unsere Bundesregierung, die ja keine Schuld trifft, uns sagte, was sie auf der Ratstagung am 20. Dezember zu tun ge- denkt.
Hier ist von unserem Kollegen Dr. Probst der Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik angesprochen worden. Meine Damen und Herren von der Opposition, der Gedanke, ELDO und ESRO zusammenzuführen, ist übrigens nicht neu. Das war schon ein Antrag unserer Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode.

(Abg. Dr. Probst: Also doch eine Initiative! Wunderbar!)

Allerdings muß ich sagen, daß der Fehlstart der Europa-Il-Rakete am 5. November hierfür nicht gerade ein gutes Omen war.

(Abg. Seiters: Da waren Sie schon an der Regierung!)

In diesen Versuch sind viele Hoffnungen derjenigen investiert worden, die an einer maßgeblichen Rolle Europas auf dem Weltraumgebiet interessiert sind. Welche Konsequenzen — das möchte ich hier zur Debatte stellen — ergeben sich aus diesem Fehlstart?

(Abg. Dr. Schober: Das war eine Frage?)

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Flämig
— Das war eine Frage, ganz richtig. Wir werden sicherlich auch die Antwort darauf hören; denn wir können nicht für die Regierung erklären, was sie im ELDO-Rat tun wird. Das ist bei uns so, und das wird wohl bei Ihnen nicht anders sein.

(Abg. Raffert: Obwohl man das natürlich ahnen kann!)

— Wir ahnen das, ja.

(Heiterkeit. — Zuruf von der CDU/CSU: Ich hoffe, daß Sie Verbindungen dahin haben!)

Nun zum Schluß, meine Damen und Herren, noch ein paar kurze Bemerkungen.
Die Regierung hat in ihrer Antwort von bilateralen Abkommen, von einer breiteren europäischen Zusammenarbeit gesprochen. Wir begrüßen das. Denn dieses Denken in zwei Ebenen hat wirklich bisher gefehlt. Allerdings ist bilaterale Zusammenarbeit nicht als ein Ersatz für die Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft, sondern als eine Ergänzung über die Gemeinschaft hinaus — auch, meine Damen und Herren von der Opposition, nach Osten — zu werten. Wir sehen gerade in der Möglichkeit einer technologischen Zusammenarbeit einen positiven Aspekt der Ostpolitik unserer Regierung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach!)

Und das kann für beide Seiten und auch für den Frieden nur von Nutzen sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat es auch früher schon gegeben!)

In diesem Zusammenhang ist in dem Bericht der Bundesregierung die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa angesprochen worden. Die Regierung strebt im Rahmen der in Aussicht genommenen KSZE eine besondere Berücksichtigung des technologischen Bereichs an. Es wäre ganz interessant, wenn im Rahmen der Debatte dieses Thema vielleicht noch etwas vertieft werden könnte, wenn uns erklärt werden könnte, was mit dieser Zusammenarbeit in der KSZE gemeint ist.
Nun zum Antrag der CDU/CSU zur europäischen Technologiekonferenz: Der Antrag ist sicher gut gemeint. Es bestehen aber Zweifel, ob der CDU-Vorschlag, die WEU damit zu betrauen, wirklich den bestmöglichen Rahmen darstellt.

(Abg. Frau Dr. Walz: Ihre Kollegen haben mit unterschrieben!)

— Ja, ich stelle diesen Gedanken nur anheim. Auf der einen Seite haben wir die OECD, auf der anderen Seite haben wir die europäischen Gemeinschaften, die jetzt vor der Erweiterung durch die Aufnahme der vier Staaten stehen. Doch ich glaube, diese Probleme können wir im Fachausschuß vertiefen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Was ich hier in den wenigen Minuten, die mir gegeben waren, ansprechen konnte, war nur ein kleiner Ausschnitt aus den Problemen. Wir sind im Grunde dankbar für die schriftliche Antwort, die uns
die Regierung gegeben hat. Sie ist durchaus nicht so negativ zu sehen, wie die Opposition es hinstellt. Es sind ganz erhebliche Steigerungsraten auch für die neuen Technologien im Haushalt vorgesehen. Wir werden uns in der Haushaltsberatung und im Zusammenhang mit der Diskussion des Forschungsberichts IV damit zu beschäftigen haben.
Die Dinge sind im Fluß. Es gibt neue Erkenntnisse. Die neuesten Ergebnisse müssen eingearbeitet werden. Wir meinen, die Regierung ist auf dem richtigen Weg. Sie tut, was in ihrer Macht steht, um zu koordinieren, um zu helfen, wo es im öffentlichen Interesse angezeigt ist, neue Entwicklungen anzuregen und diese zu fördern. Warum? Um dem Menschen in seiner Umwelt bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Ich meine, dafür hat sie Anerkennung verdient.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Das walte Gott!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615933500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

(Abg. Dr. Gölter: Beschränken Sie sich auf den Schlußsatz!)


Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0615933600
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Rat des Kollegen Gölter, mich auf den Schlußsatz zu be- schränken, annehmen, will diesen Satz aber etwas modifizieren.

(Abg. Raffert: Aber lassen Sie sich ihn nicht von ihm vorschreiben!)

— Ich lasse ihn mir gewiß nicht von ihm vorschreiben!

(Abg. Dr. Gölter: Ich weiß ja, wie er aussieht!)

In der Tat, wenn ich mich in der Runde so umschaue, dann meine ich, wir sollten die Debatte nicht mehr allzu lange ausdehnen.
Der Kollege Hubrig hat zu Beginn seiner Ausführungen gemeint, er müsse das Interesse an der Technologie oder das Verhältnis des Parlaments zur Technologie an Hand der Panne darstellen, die hier im Laufe des Tages passiert ist, als die Abstimmung mit dem Computer durchgeführt werden sollte und das nicht ganz geklappt hat. — Aber, Herr Kollege Hubrig, ich meine nicht, daß dies so richtig ist. Ich glaube, daß es auch umgekehrt gefährlich sein kann, wenn man in eine Technologiegläubigkeit verfällt. Daher möchte ich, der ich mehr von den Naturwissenschaften herkomme, einiges von dem unterstreichen, was Herr Lohmar hier sagte und was ich als Liberaler in den Mittelpunkt stellen , möchte: All dies, was wir hier über Technologie und Forschung debattieren — und insbesondere deren Anwendungen —, soll dem Menschen nützen.
Wenn Sie sagten, daß Sie in der Antwort der Bundesregierung zu viele Allgemeinplätze gefunden haben, wenn es Ihnen so erschien, als habe die Antwort zu lange auf sich warten lassen, weil die
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Jung
Kompetenzverteilungs- und die Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung zu groß waren, dann müssen Sie auch sagen, wie Sie das verbessern wollen, ob Sie möglicherweise für den Bereich der industriellen Innovationen ein neues Ministerium haben oder neue Mittel einsetzen wollen.
Ich meine, bei alle dem, was hier gesagt wurde, gibt es eigentlich zwischen der Oppositions- und den Koalitionsfraktionen, im Grunde gar nicht so sehr viele Unterschiede.
Herr Kollege Probst hat in seiner blumenreichen Ansprache die Dinge so dargestellt, als ob die sehr schwierigen Probleme auf der supranationalen Ebene schneller erledigt werden könnten. Ich glaube, hier liegt die große Schwierigkeit, und ich möchte mich deswegen auch auf den Punkt beschränken, der sich aus der übernationalen Zusammenarbeit in unserer Technologiepolitik ergibt.
Herr Kollege Hubrig, Sie sprachen von der technologischen Lücke, vom technologischen Rückstand in Europa gegenüber den Vereinigten Staaten, gegenüber der Sowjetunion, und Sie haben auch Japan mit angeführt. In der Tat besteht in einzelnen Bereichen eine solche Lücke. Herr Probst hat hier insbesondere auf den Bereich der Weltraumerschließung und der Weltraumnutzung hingewiesen. Hier ist es anderen Staaten gelungen, schon auf dem Mond zu landen und zum Mars zu fliegen; hier besteht die Lücke. Sie besteht aber nicht auf anderen Gebieten, z. B. nicht auf dem Gebiete der ) friedlichen Nutzung der Kernenergie, das der Kollege Flämig eben ansprach. Da ist das Gap nicht so groß. In Sektoren der sozialen Forschung, so u. a. beim Umweltschutz, können wir vielleicht sogar von einem Vorsprung sprechen, zumindest in Bereichen, die in Japan — weil dieses Beispiel hier angesprochen wurde — sicher nicht positiv zu bewerten sind. Dieser Vorsprung rührt aber vielleicht auch daher, daß die negativen Technologiefolgen bei uns mit einer gewissen Verspätung eingetreten sind und wir sofort dank der Initiative dieser Bundesregierung und meines Parteifreunds Genscher mit einem entsprechenden Programm dagegen angetreten sind.
Meine Damen und Herren, die Probleme liegen im wesentlichen im Bereich der supranationalen Zusammenarbeit. Hier gibt es sehr viele Schwierigkeiten. Die Großforschung kann national nicht allein betrieben werden; sie würde dann keinen Erfolg haben. Deswegen müssen wir versuchen, die Dinge im europäischen Bereich zu koordinieren. Insofern begrüßen wir Ihren Antrag, der im übrigen gar nicht so neu ist, wie Herr Minister Leussink hier schon festgestellt hat.
Nach einer allgemeinen Definition, über die wir uns alle einig sind, gilt für uns im nationalen Wirtschaftsbereich das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Dabei handelt es sich nicht um einen idealtypischen Marktmechanismus. Den hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Bei uns auf nationaler Ebene gibt es bereits ein vielfältiges staatliches Einwirkungsinstrumentarium in der Wirtschafts- und Forschungsplanung. Im internationalen Bereich gibt es aber nur multilaterale und bilaterale staatliche und auch privatwirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Unternehmensverflechtungen haben ebenso wie die Tätigkeit der supranationalen Organisationen dazu geführt, daß rein nationale Maßnahmen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich nicht mehr möglich sind. Dies gilt besonders für die Forschungsplanung. Deshalb ist die Planung der Grundlagenforschung supranational zu koordinieren. Bei Großforschungsanlagen ist der nationale Wettbewerb zugunsten einer internationalen Orientierung aufzugeben. Ein Beispiel hierfür ist die erfolgreiche Arbeit von CERN auf dem Gebiet der Kernenergie. Mißerfolge auch das wurde heute schon gesagt — gab es im Bereich Euratom. Allerdings müssen wir auch das Positive feststellen, z. B. bei dem Kontrollsystem, das hier entwickelt wurde. Mißerfolge gab es auch im Bereich der Raumfahrt, ich denke an die ELDO-Krise, aber ich will auf die Dinge nicht näher eingehen. Sie sind schon angesprochen worden.
Wir meinen, daß vor allem die Entwicklung einer sozial orientierten Technologie zu fördern ist. Dabei geht es im Ansatz darum, das allgemeine Mißtrauen in der Öffentlichkeit auszuräumen, das sich auf Grund zahlreicher negativer Technologiefolgen —Umweltschäden, fehlerhafte Stadtentwicklung, erhöhte Rüstungskosten, die durch immer kompliziertere Waffensysteme entstanden sind — entwickelt hat.
Der Abbau des Mißtrauens also muß durch soziale Forschungsvorhaben geschehen. Hier meine ich speziell die Umweltforschung, die Entwicklung neuer Verkehrssysteme und andere Dinge, auf die Herr Probst bereits hingewiesen hat. Darüber hinaus sind aber auch Fragen der Sicherheitspolitik, der Friedensforschung und der Entwicklungshilfe einzubeziehen. All das sind Teile einer umfassenden Technologiepolitik.
Eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich konkreter wirtschaftlicher Vorteile der Projekte ist kurzfristig nicht durchführbar. Ein Beispiel dafür ist die mittelfristige Wettervorhersage, die wirtschaftliche Vorteile von 200 Millionen Rechnungseinheiten jährlich erbrächte. Die Kosten dafür würden demgegenüber jährlich nur etwa 10 bis 15 % betragen.
In der Umweltforschung ist eine gemeinsame Haltung zumindest im EWG-Bereich erforderlich, um hier nicht durch einseitige nationale Auflagen gegenüber der Wirtschaft wettbewerbsverzerrend zu wirken. Luftverschmutzung, Verschmutzung der Flüsse und Meere machen eben nicht vor nationalen Grenzen halt. Die Rechtsvorschriften, die erforderlich sind, um international eingreifen zu können, sind bei weitem nicht ausreichend, sie sind zum größten Teil auch nicht vorhanden.
Hinzu kommt, daß für die Firmen im europäischen Bereich, die sich mit diesen Problemen beschäftigen, insbesondere wiederum mit der Anwendung, zwischen den einzelnen Staaten gravierende Unterschiede bestehen, z. B. im Gesellschafts- und Patentrecht, in den Fragen der Konzentrationsbestimmungen und insbesondere auch bei der sehr unterschied-
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lichen und wettbewerbsverzerrenden Steuergesetzgebung. Hier gibt es in den einzelnen Ländern eine Reihe von abweichenden Bestimmungen. Wir alle, die wir in den supranationalen Gremien tätig sind, wissen, wie unendlich schwierig es ist, zu einem Konsensus zu kommen.
Neu zu entwickeln sind insbesondere saubere Fabrikationsverfahren, neue Energiequellen und eine internationale Umweltschutzkontrolle. Die bisher vorhandenen technisch-wirtschaftlichen Grundlagen für Überwachungssysteme reichen auf diesem Gebiete nicht aus.
Sie wissen, wie schwierig es z. B. war, ein Gesetz zu verabschieden, das in diesem Sinne von großer Bedeutung war, das Gesetz über den Bleigehalt in Benzin, und wie dies bei den Nachbarstaaten im europäischen Bereich aufgenommen wurde. Noch einmal möchte ich darauf hinweisen, daß die unterschiedliche Behandlung gerade im Bereich des Umweltschutzes und der Kontrolle dringend einer internationalen Regelung im europäischen Bereich bedarf.
Ich möchte auch kurz auf die Vorschläge des OECD-Berichts über die Entwicklungspolitik, auf den Brooks-Report, eingehen. Vordringlich ist die Entwicklung einheimischer Kapazitäten der Entwicklungsländer in Wirtschaft und Technologie, und zwar jeweils nach den besonderen sozioökonomischen Situationen dieser Länder. Einer der Kollegen
Herr Kollege Hubrig, wenn ich mich recht erinnere — hat das schon erwähnt. Nach unserer Meinung gibt es hier insbesondere für die mittelständische Wirtschaft und Industrie besondere Ansatzpunkte, tätig zu werden, was wir dann auch national entsprechend fördern müßten. Große Prestigeobjekte in solchen Entwicklungsländern, in die wir Hilfe geben wollen, tragen weniger zur Entwicklung der Infrastruktur bei als Maßnahmen, die der jeweiligen Situation angepaßt sind Lind sich an den unterschiedlichen Bedingungen in diesen Ländern orientieren. Forschungsprogramme zugunsten der Entwicklungsländer sollten Teil der Wissenschaftspolitik der Industrieländer werden.
Es genügt nicht, Programme aufzustellen und Forderungen anzumelden — dies für alle Bereiche —, wenn sie nicht auf der supranationalen Ebene koordiniert werden. Wir begrüßen deshalb alle Initiativen, die dazu führen, diese Koordination auf der übernationalen Ebene zu fördern. Die Konferenz der Forschungsminister der EWG-Länder und 13 weiterer Staaten am 22. und 23. November in Brüssel hat mit den dort beschlossenen Projekten einen Anfang gemacht, der natürlich nur Teile vorgesehen hat; sie können aber weiter ausgebaut werden. Besonders wichtig sind: die Informatik, das Fernmeldewesen, die neuen Verkehrsmittel, die Ozeanographie, die Meteorologie, die Metallurgie und der Umweltschutz.
Um ein unwirtschaftliches Nebeneinander nationaler Forschungen in gleichen Bereichen zu verhindern sowie einen technologischen Wissensaustausch zu ermöglichen, sollen nationale Forschungsergebnisse ständig an bereits bestehende internationale
Forschungsinstitutionen weitergeleitet werden. Hier möchte ich zu Ihrem Antrag sagen, daß ich ebenso wie Minister Leussink nichts von der Geheimniskrämerei halte, daß man nur einen Teil der Kollegen dieses Hauses unterrichtet; vielmehr sollte man Ihren Antrag dahin erweitern, daß eine allgemeine Information halbjährlich oder jährlich stattfindet. Ich möchte dies sogar auf die Technologie im Verteidigungsbereich ausdehnen. Man darf auch hier keine falsche Geheimniskrämerei treiben, um die Anwendung der Erkenntnisse zu ermöglichen und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu ma-machen.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Die Informationen müssen auch jederzeit abrufbar sein. Sie müssen zentral gesteuert sein. Hier könnte der Gedanke einer europäischen Datenbank endlich einmal verwirklicht werden. Wir sollten von deutscher Seite diesen Gedanken besonders fördern.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615933700
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0615933800
Im multilateralen Entscheidungsprozeß ist ein Mindestmaß an parlamentarischer Kontrolle zu gewährleisten. Wir wissen, wie schwierig das ist. Die Information ist immer Voraussetzung für die Teilnahme an Entscheidungsprozessen. Deshalb sollten Projektberichte, allgemeinverständlich für uns Politiker formuliert, uns und den Entscheidungsberechtigten zugeleitet werden. Ich stimme damit überein, daß eine europäische Clearingstelle zur Abstimmung der verschiedenen Vorhaben der wissenschaftlichen und technischen Forschung zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus nützlich sein könnte. Doch müssen wir darüber hinaus alle unsere Anstrengungen dafür einsetzen, daß endgültig und baldmöglichst ein europäischer Bundesstaat mit den politischen Zuständigkeiten verwirklicht wird, die diesen auch in die Lage versetzen, auf dem Gebiet der Technologiepolitik effektiv tätig zu werden. Nur dann können wir die Anstrengungen auf dem Technologiesektor zum Erfolge bringen.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615933900
Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0615934000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat prophylaktisch für mich 30 Minuten Redezeit beantragt. Ich möchte Sie aber dergestalt beruhigen, daß ich mich bemühen werde, nur 28 Minuten zu sprechen. Ich bitte Sie um Verständnis. Ich möchte in Abwandlung eines Werbespruches nach dem Motto verfahren: „Belohne Dich selbst, fasse Dich kürzer".
Gestatten Sie mir, für meine Fraktion einige Bemerkungen zu zwei sogenannten klassischen Fördergebieten, der Kernforschung und Kerntechnik und der elektronischen Datenverarbeitung, zu machen. Mit der Antwort der Regierung zu diesen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9215
Lenzer
beiden Bereichen sind wir hinsichtlich der Zielsetzung, auch zum Teil hinsichtlich der dort angesprochenen Wege und hinsichtlich der Maßnahmen durchaus einverstanden. Allerdings hätten wir uns zuweilen eine stärkere Konkretisierung gewünscht. Ich möchte das wiederholen, was mein Kollege Dr. Hubrig bereits gesagt hat: in manchen Fällen vermißte man eine spezifischere Aussage und eine genauere, über den Charakter der Ankündigung hinausgehende Erklärung.
Nun einige Punkte aus dem Bereich der Kernforschung und Kerntechnik. Am Anfang einige Bemerkungen zu dem Spannungsfeld, welches sich zwischen den beiden Polen Kernforschung/Kerntechnik einerseits und Umwelt andererseits befindet. Es kann uns in diesem Hause nicht einerlei sein, wenn in der letzten Zeit immer mehr selbsternannte „Umweltfachleute", verkannte Erfinder und neuerdings auch der eine oder andere Wissenschaftler sich der Massenmedien bedienen, um gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie Stellung zu nehmen, ohne zunächst einmal ihre Theorien in einem kritischen Gespräch, in kritischen Diskussionen unter Fachkollegen einer Überprüfung zu unterziehen. Ich möchte hier einen Fachmann zitieren, den österreichischen Physiker Professor Krümm, der auf der letzten Reaktortagung des Deutschen Atomforums hier in Bonn in der Beethovenhalle folgendes gesagt hat — er führte etwa sinngemäß aus —: Man möge, wenn man auf das Trauma der Atombombe angesprochen werde, bedenken, daß letztlich die friedliche Nutzung der Kernenergie mit der Bombe genausoviel oder genausowenig zu tun habe wie die Elektrizität mit dem Elektrischen Stuhl.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Als Konsequenz ergibt sich für die Betreiber von Reaktoranlagen, für die EVOs und nicht zuletzt auch für dieses Haus, die wir ja nicht unerhebliche Mittel bewilligen müssen, die Folgerung, daß die Öffentlichkeit ein Recht auf vollständige und auch allgemeinverständliche Information in all diesen Fragen hat. Es muß uns gelingen, allgemeinverständlich und doch wissenschaftlich exakt hierzu Aussagen zu treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß aus Zeitmangel etwas kursorisch über meine Notizen hinweglesen. Ich möchte aus der Fülle der Einwände nur einige wenige anführen: einmal die unkontrollierte Freisetzung von Radioaktivität bei Störungen und Unfällen, die eine Gefährdung darstelle — so wird gesagt —, zum anderen die gasförmigen und flüssigen Aktivitäten beim laufenden Betrieb. Es wird davon gesprochen, daß es keine Toleranzdosis gebe, sondern daß bereits die geringste Dosis schädlich sei; es wird das Problem der Abwärme mit der thermischen Belastung der Flüsse und einer möglichen Störung des biologischen Gleichgewichtes angesprochen; und es wird letztlich auch auf die radioaktiven Rückstände verwiesen, die eine gewisse Gefährdung darstellten.
Im übrigen — so heißt es dann; und dieser Einwand darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden — seien ohnehin die Spaltungsreaktoren
sehr bald überholt, weil wir uns der kontrollierten Kernfusion, der Kernverschmelzung, und der Nutzung dieses Typs der Reaktoren sowohl für die Energiewirtschaft als auch für den kommerziellen Bereich näherten.
Ich möchte auf alle diese Einwände antworten, indem ich nur einen Punkt herausgreife, nämlich das Problem der Umweltradioaktivität. Hierzu liegen uns ja Messungen vor, die bei einem Druckwasserreaktor eine Umgebungsbelastung von 0,05 Milli- röntgen pro Jahr ergeben haben. Das ist ein ganz geringer Wert, wenn man bedenkt, daß die Röntgendiagnose bei etwa 50 bis 60 Milliröntgen liegt. Dieser Wert, der durch die Messung erzielt wurde, wird bereits erreicht, wenn man seinen Wohnsitz um 20 Zentimeter höher legt. Oder anders herum formuliert — ein Beispiel, das, glaube ich, jedem einleuchtet —: Wenn jemand vier Wochen Urlaub in 2 000 Meter Höhe verbringt, bedeutet das eine Mehrbelastung von 8 Milliröntgen pro Jahr. Ich glaube, niemand wird sich deswegen besonders gefährdet fühlen oder gar auf einen Urlaub verzichten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)

Lassen Sie mich, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis aus dem Bericht des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit über die Umweltradioaktivität, der ja diesem Hohen Hause regelmäßig erstattet wird, zitieren. Dort heißt es:
Gemessen an der durch natürliche Strahlenquellen bedingten Bevölkerungsdosis ist die durch künstliche radioaktive Stoffe in der Umwelt bewirkte zusätzliche Dosis äußerst gering und noch immer vorwiegend auf radioaktive Spaltprodukte aus Kernwaffenversuchen zurückzuführen. Der Beitrag
— und das ist für uns besonders wichtig —
der Kerntechnik zur Bevölkerungsdosis über die von ihr an die Umwelt abgegebenen radioaktiven Stoffe liegt unterhalb von einem Milliröntgen pro Jahr und ist damit praktisch bedeutungslos.
Ich glaube, das mag zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.
Meine Fraktion begrüßt es darüber hinaus — davon ist ja bereits gesprochen worden —, daß die Bundesregierung mit 137 Millionen DM ein bis 1974 ausgelegtes Forschungsprogramm initiiert hat, das die besonderen Bedingungen für Kraftwerke mit großstadtnahen Standorten untersuchen soll. Die Standortfrage ist ja seit der Zurückstellung eines Genehmigungsantrages der BASF am 17. August 1970 und seit dem Standortwechsel des Schnellen Natriumgekühlten Prototypreaktors 300 von Weisweiler nach Kalkar ganz besonders heftig in der Öffentlichkeit diskutiert worden.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch ein Wort zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren. Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren muß sich jeweils dem neuesten Stand der Technik anpassen. Die Straffung des Entscheidungsprozesses ist ein weiteres Ziel für dieses Genehmigungsverfahren.
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Lenzer
Ich glaube, daß die Bemühungen des Deutschen Atomforums — das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen —, mit einem kerntechnischen Ausschuß ein festes Regelwerk zu schaffen, durchaus Anerkennung verdienen und sehr hilfreich sein können.
Die Formalisierung des Verfahrens sollte zu einer schnelleren Beurteilung führen, und es sollte die konventionellen und bereits erprobten Komponenten aus der neuen Sicherheitsanalyse herausnehmen, so daß nur das wirklich Neue geprüft wird.
Auch zu den möglichen Schwerpunkten eines Vierten Atomprogramms einige kurze Bemerkungen. Der Kollege Flämig hat bereits darauf hingewiesen, daß sich der Leichtwasserreaktor in den letzten Jahren kommerziell durchgesetzt hat. Das ist unbestritten. Wir sollten daraus allerdings nicht schließen, daß es auf diesem Gebiet keiner Anstrengungen mehr bedarf. Gerade in puncto Sicherheit und bei mancherlei Komponentenforschung können auch hier seitens eines Unterstützungsprogramms der Bundesregierung noch wertvolle Hilfestellungen geleistet werden.
Was die Förderung neuer Reaktorlinien angeht, so sind wir ebenfalls mit der Bundesregierung der Meinung, daß wir unser gesamtes wissenschaftliches und industrielles Potential auf den Hochtemperaturreaktor und auf den Schnellen Natriumgekühlten Reaktor konzentrieren sollten. Über die Notwendigkeit der Brüterentwicklung besteht, glaube ich, heute kein Zweifel mehr. Es fragt sich nur — und diese Frage müssen wir uns ja immer wieder vorlegen —, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden, ob es für uns nicht eine noch ökonomischere Möglichkeit gibt, zum Ziel zu kommen. Die Bundesregierung sollte jedenfalls den Bau des Prototyps energisch vorantreiben. Sie sollte versuchen, durch eigene Hilfestellung mit dazu beizutragen, daß der Abstand zum Ausland — in Frankreich und England sind ja schon seit einigen Jahren Prototypen im Bau — verringert werden kann.
Noch etwas anderes, was nur auf den ersten Blick vielleicht technisch klingt, in Wirklichkeit aber halb so schlimm ist: Nach der Entscheidung für die Natriumkühlung sollte sich die Bundesregierung überlegen, ob sie nicht alle finanziellen Möglichkeiten auf die Unterstützungsvariante, die gasgekühlte Back-up-Lösung konzentrieren sollte. Hier ergibt sich doch eine enge Verwandtschaft zum Hochtemperaturreaktor. Eine solche Entscheidung wäre eigentlich logisch.
Das SNR-300-Projekt möchte ich als ein Musterbeispiel internationaler Kooperation ansprechen. Man muß in diesem Zusammenhang aber, wie ich glaube, ganz deutlich sagen, daß eine internationale Kooperation nur bei technischer Gleichwertigkeit der Partner möglich ist und daß eine internationale Kooperation deswegen den Bau des Prototyp-Reaktors in Kalkar nicht überflüssig macht, sondern durch sie erst die Voraussetzungen geschaffen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Auf dem Gebiet der Hochtemperaturreaktorentwicklung, die bereits Ende der 50er Jahre in einigen Staaten einsetzte, sind auf der 4. internationalen Atomkonferenz neue Akzente gesetzt worden. Der Erfolg der Firma General Gulf Atomic in den USA — zwei Bestellungen liegen vor — hat gezeigt, daß dieser Reaktor — um es vorsichtig auszudrücken — durchaus vor einer gewissen kommerziellen Anerkennung stehen könnte. Die Bundesregierung — das möchte ich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich anregen — sollte hier in noch viel stärkerem Maße die Möglichkeiten nutzen, die die Heliumturbine im Direktkreislauf bietet. Sie sollte die entsprechenden Mittel für ein neues Initiativprogramm in dieser Richtung bewilligen. Im Haushalt ist ja bereits einiges an Mitteln ausgewiesen.
Noch eine kleine Anmerkung zur Fusionsforschung, die immer ein bißchen in den Bereich der Zukunftsmusik verwiesen wird

(Zuruf von der SPD: Das ist sie ja auch!)

— zweifellos mit einer gewissen Berechtigung —, aber trotzdem nicht vernachlässigt werden sollte, weil sie vielleicht einmal der einzige Ausweg aus dem Umweltdilemma sein wird. Wir sollten uns die Frage vorlegen, ob wir vielleicht durch einen verstärkten Einsatz von Mitteln hier zu einer Beschleunigung in der Entwicklung kommen können.
Ich möchte zu den Problemen des Brennstoffzyklus und der Urananreicherung — der Kollege Flämig hat ja schon über die Gasultrazentrifuge und ähnliche Dinge gesprochen — überhaupt nichts sagen. Vielleicht hätte die Bundesregierung in der Antwort auch noch ein Wort über die atomgetriebenen Schiffe verlieren sollen. Auf diesem Gebiet machen ja gerade die Japaner große Anstrengungen. Die Bundesregierung wird ihre Gründe gehabt haben, so wenig darüber zu sagen. Es muß bestimmt auch noch an anderer Stelle eine Möglichkeit geben, diese Dinge zu vertiefen. Das soll heute nicht geschehen.
Noch einige Bemerkungen zur elektronischen Datenverarbeitung. Ich will mich — ich führe wieder den Zeitdruck als Referenz an — darauf beschränken, aus all den genannten Zielen des zweiten Datenverarbeitungsprogramms nur eines herauszugreifen. Ich nehme bewußt den Vorwurf in Kauf, daß ich mich damit einer gewissen Unterlassungssünde schuldig mache. Der Schwerpunkt in diesem zweiten Datenverarbeitungsprogramm liegt ja bei der Ausbildung und bei der Unterstützung der Anwendung. Das ist unbestritten; deswegen gehe ich hier gleich zur Tagesordnung über. Ich glaube, auch darüber werden wir uns noch im Ausschuß zu unterhalten haben. Ich möchte aber beispielhaft ein Ziel herausgreifen. Es ist das Problem der Herstellung eines ausgewogenen Wettbewerbs.
Lassen Sie mich hier aber grundsätzlich noch einige Bemerkungen machen, die unmittelbar damit zusammenhängen. Die angestrebten Ziele werden, wie ich bereits sagte, auch von meiner Fraktion durchaus begrüßt, wenn man hier und da auch noch etwas genauer sein und zu abweichenden Folgerungen kommen könnte. Wir müssen uns fragen, ob die Maßnahmen, die angesprochen sind, ob die Wege, die aufgezeigt werden, zum Ziele führen. Über die Ziele besteht, wie gesagt, ein weitgehender Consensus.
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Lenzer
Wir müssen auf diesem Gebiet gezielte Aktivitäten finden, die nicht den Charakter von Subventionen haben. Vielleicht kann man kritisch vermerken, daß wir es noch nicht geschafft haben, ausreichende Möglichkeiten einer Erfolgskontrolle zu finden, die uns in die Lage versetzt, eine erfolgsabhängige Überwachung der laufenden Projekte durchzuführen.

(Beifall bei der SPD.)

— Vielen Dank. Ich bin für jegliche Unterstützung dankbar, ganz gleich von welcher Seite des Hauses sie kommt. Auf dieser Basis können wir weiterkommen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Raffert: Von Ihnen aus gesehen immer noch links, Herr Lenzer!)

— Gut. Was zu beweisen war, Herr Raffert.
Wir müssen also Überwachungsprozeduren finden, die zur erfolgsabhängigen Durchführung mit möglichen Alternativprozessen führen und die vor allem eine Institutionalisierung der Förderungsmaßnahmen verhindern. Die Förderungsmaßnahmen sollten Projektcharakter haben. Das hat auch das Diebold-Gutachten erwiesen. Vielleicht ist es besser — die Regierung sollte sich das einmal überlegen —, wenn man weniger Projekte fördert, aber darür mit einem stärkeren Mittelaufwand einsteigt. Ich verweise auf die Äußerung des Herrn Ministers. Die Kontinuität ist ja hier unter anderem sein Leidbild gewesen.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

— Aber Herr Moersch, ich sehe aus dieser Äußerung bei Ihnen ganz bedenkliche konservative Ansätze.

(Heiterkeit.)

In der Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung in der Bundesrepublik, die man vielleicht kurz charakterisieren sollte, ist es trotz einer erheblichen Zahl von installierten Rechnern — ich glaube, man spricht neuerdings von rund 9200 Einheiten — immer noch nicht zu einem Durchbruch gekommen, und zwar was die Art und den Charakter der Anwendung betrifft. Die elektronische Datenverarbeitung findet ihren hauptsächlichen Einsatz immer noch bei der Lösung technisch-wissenschaftlicher Probleme und bei kommerziellen Standardaufgaben, aber sie hat sich noch nicht als echte Entscheidungshilfe und als Mittel für Informations- und Führungssysteme durchgeboxt. Hier ist zweifellos noch einiges zu tun.
Ein Ziel des zweiten EDV-Programms ist der ausgewogene Wettbewerb. Ich möchte zu diesen Fragen mehr oder weniger in thesenhafter Form, im Telegrammstil Stellung nehmen. Man kann sagen, daß sich auf vielerlei Weise dokumentiert, daß die Gründerjahre der EDV vorbei sind. Nicht zuletzt dokumentiert sich das dadurch, daß sich viele Firmen der Meß- und Regeltechnik sowie Elektrokonzerne, nachdem Sie sich einmal auf dieses Gebiet gestürzt und dort große Chancen gesehen haben, jetzt wieder aus dieser Branche zurückziehen. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist das Ausscheiden der Radio Corporation of America aus diesem Geschäft. Bekanntlich hat sie ihre ganzen Aktivitäten im Computer-Geschäft aufgegeben und
ihre Kunden an die Sperry Rand, an die Univac verkauft. •Ich möchte fast behaupten, daß gewisse Überkapazitäten zeigen, daß dieser Konzentrationsprozeß mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen sein wird, und mir die ketzerische Frage erlauben — es soll beileibe keine Antwort sein, lediglich eine Frage —, ob wir es uns in der Bundesrepublik überhaupt leisten können, mehr als einen Hersteller zu haben. Das läßt sich in einem marktwirtschaftlichen System natürlich nicht erzwingen.

(Abg. Dr. Wichert: Mit oder ohne IBM?)

— Ersparen Sie mir darauf eine Antwort. Ich gebe sie Ihnen gern mal woanders. Ich wollte gerade dazu ausführen Herr Kollege Dr. Wichert, daß sich das in einem marktwirtschaftlichen System natürlich nicht mit dem Holzhammer erzwingen läßt, sondern daß die Bundesregierung hier einen anderen Beitrag leisten kann, indem sie nämlich ganz gezielt Entwicklungen fördert — das war, wenn ich mich recht entsinne, auch bei der Flugzeugindustrie der Fall —, die einer Konzentration nicht im Wege stehen.

(Abg. Moersch: Von dem Erfolg müssen wir dabei reden!)

— Das klingt immer gut. Ich habe das schon oft gelesen.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

— Na ja, nun schön.

(Abg. Moersch: Schön ist das nicht! — Heiterkeit.)

— Herr Kollege Moersch, Sie scheinen da eine ganz besondere Auffassung zu haben; die können Sie mir gern einmal in einem Privatissimum erläutern. Ich bin nämlich immer für das Schöne, auch in diesem Fall.

(Abg. Dr. Probst: Es gibt Schöneres als das!) — Davon bin ich überzeugt.

Nun, wenn die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auch die Frage der Kompatibilität so stark herausstellt, kann sie auch hier einen Beitrag leisten, indem sie wenigstens bei den öffentlichen Beschaffungen durch entsprechende Auflagen die Austauschbarkeit des Gerätes, der Hardware also, durchsetzt.
Lassen Sie mich auch noch eine kritische Bemerkung zu der Großcomputerplanung machen. Ich verweise dabei auf meine eigenen mündlichen Fragen hier in der Fragestunde. Ich möchte auch hier etwas Wasser in den Wein der Antwort der Bundesregierung gießen, indem ich mir erlaube, gewisse Zweifel an der Feststellung anzumelden, daß man nicht
I auch mit mittleren und kleineren Rechnern Systemwissen und Know how erwerben könnte. Es wird hier, glaube ich, zumindest — es liegt der Verdacht nahe, könnte man sagen eine scheinbare Unabhängigkeit demonstriert, die doch dadurch widerlegt wird, daß unsere Industrie in diesen Branchen doch immer noch weitgehend von amerikanischen Bausteinen abhängig ist. Hier sollten wir uns aber auch noch über Einzelheiten unterhalten.
Es wird in der Antwort auch die Frage der Computerperipherie etwas vernachlässigt, wobei das
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Lenzer
besonders bedeutsam ist, da die Peripherie doch einen sehr hohen Prozentsatz des Anlagenwertes ausmacht; man spricht von 60 bis 70%. Auch hier müßte man sich überlegen, ob die Bundesregierung in ihrem zweiten EDV-Programm nicht stärker in die Förderungsaktivitäten einsteigen kann. Vielleicht wäre das sogar langfristig ein besserer Weg, um eine ausgewogene Wettbewerbslage zu erreichen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich möchte die These aufstellen, daß eine unabhängige Computerindustrie nur dann bestehen kann, wenn sie auch die Halbleitertechnik und die Peripheriegerätetechnik beherrscht.
Nur noch eine kurze Bemerkung zur Software; das gehört unbedingt dazu. Die deutschen Computerhersteller werden natürlich auf die Dauer nur Erfolg haben, wenn sie zu der Hardware auch die entsprechenden Betriebssysteme und die entsprechenden benutzerfreundlichen Programmsysteme oder Programmpakete liefern. Die Bundesregierung unterstützt ja auch im Bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen gerade die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung in der gewerblichen Wirtschaft. Sie sollte sich aber hier vielleicht zu einer etwas realistischeren Bewilligungsmethode durchringen, die auch der Wettbewerbssituation der Firmen gerecht wird, die nun einreichen.
Zur Ausbildung und Anwendung — ich sagte es bereits — möchte ich nichts weiter ausführen.
Ich möchte meine Ausführungen damit beschließen, daß ich mich bereits auf die kritischen und konstruktiven Auseinandersetzungen im Ausschuß freue, vielleicht auch in einer Neuauflage bei Vorlage des Forschungsberichtes IV seitens der Bundesregierung.
Ich möchte abschließen, indem ich zu der Kernforschung und Kerntechnik bzw. zur EDV sage, daß die Bundesregierung doch in vielen Fällen noch über die Ankündigungen hätte hinauskommen sollen, womit ich durchaus nicht sagen will, daß das, was angekündigt worden ist, falsch ist, im Gegenteil. Aber es muß jetzt darauf ankommen, in diese Generalklausel noch sozusagen etwas Fleisch — wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten — auf die Rippen zu geben, die Dinge zu konkretisieren und sich über die Maßnahmen, mit denen sich diese Ziele erreichen lassen, weiter zu unterhalten. Meine Fraktion das möchte ich hier erklären und damit meine Ausführungen beschließen -- ist auch hier zu konstruktiver und kritischer Mitarbeit bereit.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615934100
Herr Abgeordneter Lenzer, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Jungfernrede.

(Beifall.)

Ich habe den Eindruck, daß Sie das Herzklopfen, das in früheren Zeiten mit dem jungfräulichen Zustand verbunden war, bereits überwunden haben.

(Heiterkeit. — Zuruf von der CDU/CSU: Gute Leute zittern nicht!)

Das Wort hat der Abgeordnete Hauff.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0615934200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle gegen Schluß der Debatte einen doch recht eigentümlichen Widerspruch fest zwischen dem, was der letzte Redner der Opposition zur Technologiepolitik ausgeführt hat und dem, was vorhergehende Redner in verlesenen Erklärungen verkündet haben. Es war festzustellen, daß bei Kernforschung oder Datenverarbeitung nur eine Detailkritik geäußert wurde. Vielem von dem, was in grobschlächtiger Holzklotzkritik von Herrn Hubrig und auch von Herrn Probst vorgetragen wurde, hat Herr Lenzer den Boden entzogen.
Wir haben heute eine Debatte, die von der Opposition erzwungen wurde, und zwar gegen den Willen der Regierungskoalition, weil wir davon ausgingen, daß in wenigen Tagen, wie auch in den Antworten der Bundesregierung angekündigt, der Forschungsbericht IV vorliegt und daß es angemessen und richtig gewesen wäre, im Lichte der Tatsachen des Forschungsberichts IV zu diskutieren und jenen Nebel etwas hinwegzufegen, den Sie zu verbreiten hier versucht haben.

(Beifall bei der SPD.)

Aber offensichtlich scheuen Sie sich, angesichts der positiven Bilanz, die im Forschungsbericht vorgelegt werden wird, eine sehr viel konkretere und genauere Diskussion zu führen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich zum Schluß dieser Debatte zurückkehren zum Anfang und zu den beiden Anfragen, die Anlaß dieser Debatte sind. Herr Kollege Lenzer, ich stimme mit Ihnen völlig überein: wir alle leiden etwas darunter, daß wir uns zu unverständlich ausdrücken. Wenn ich nun aber die beiden Anfragen nebeneinander stelle ich will mich zum Inhalt gar nicht äußern —, dann steht für mich eines fest: die Anfrage der CDU/CSU ist mit Sicherheit völlig unverständlich, selbst für die Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses. Das ist bedauerlich im gemeinsamen Interesse, das Sie hier zum Schluß angesprochen haben. Ihre Anfrage war im übrigen hauptsächlich eine Fleißarbeit; da wurden mit der Akribie eines Buchhalters Detailfragen aufgelistet; in keiner Hinsicht wurde irgendeine Art von Alternativ-Konzeption deutlich. Dementsprechend waren auch Ihre Beiträge zur Debatte, zumindest am Anfang.
Trotzdem hat diese Debatte meines Erachtens einen Sinn gehabt. Sie hat nämlich wesentliche und wichtige Punkte der Übereinstimmung aufgezeigt, und sie hat zweitens, was ich für noch viel wichtiger halte, gezeigt, daß es Bereiche gibt, zu denen die Opposition schweigt. Ich deute dieses Schweigen als Zustimmung zur Politik der Bundesregierung.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich möchte dies gern an sechs Punkten klarmachen: Erstens sind wir hier in weiten Bereichen einer Meinung, was die Ziele einer Technologiepolitik angeht.
Dies gilt für die Verbesserung der sozioökonomischen Lebensbedingungen. Dabei geht es nicht um Humanität oder so etwas. Da sollten wir schon ganz
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9219
Dr. Hauff
konkret werden, wenn wir über diese Dinge miteinander reden. Es geht auch darum, daß wir durch diese Politik technologische Schlüsselprojekte abdecken, die ein sehr hohes Risiko haben, aber von gesamtgesellschaftlichem Nutzen sind. Es geht darum, daß wir die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft steigern. Das bedeutet auch Sicherung chancengleicher Arbeitsplätze. Wir gehen im übrigen davon aus — möglicherweise in Übereinstimmung mit Ihnen —, daß in Zukunft die Erfüllung öffentlicher Aufgaben stärker im Vordergrund zu stehen hat. Selbstverständlich wird man dabei auch immer zu bedenken haben, inwiefern man diesen Bereich der Politik als Schrittmacher etwa auf dem Weg zur europäischen Einigung, aber auch auf dem Weg zur Entspannung in Europa nutzen kann und nutzen sollte.
Der zweite Bereich betrifft die Verfahren zur Konkretisierung der Ziele. Auch hier gibt es weite Bereiche der Übereinstimmung. Das bezieht sich zunächst auf das Beratungswesen, auf mehr Transparenz; auf ein Beratungswesen also, das so organisiert ist, daß es nicht den Status quo stabilisiert, sondern versucht, Neuerungen aufzugreifen, die draußen in der wissenschaftlichen Diskussion da sind. Das gilt aber auch dafür, daß wir mehr Öffentlichkeit bei den Planungen haben wollen, nicht nur bei der Vorbereitung unserer Gesetze wie des Hochschulrahmengesetzes. Wir befürworten ein Verfahren der Meinungsbildung, wie es bei den Leitlinien praktiziert wurde oder gar bei dem zweiten Datenverarbeitungsförderungsprogramm.
Lassen Sie mich hier ein kritisches Wort an Ihre Adresse, an die Adresse der CDU/CSU, sagen: Ich fand es sehr bedauerlich, daß die Opposition, obwohl sie eingeladen wurde, vom Anfang bis zum Ende an diesem transparenten Planungsprozeß zur Aufstellung des zweiten DV-Programms nicht teilgenommen hat. Es begann mit der Klausurtagung, wenn ich mich richtig erinnere, im Herbst 1969 in Rottach-Egern und hat dann in vielen halb- und ganztägigen Gesprächen während des Jahres 1970 seine Fortsetzung gefunden. An all diesen Gesprächen nahm kein Mitglied Ihrer Fraktion teil, obwohl Sie zu all diesen Veranstaltungen eingeladen waren. Ich finde es nicht richtig, daß Sie gleichzeitig eine mangelnde Bereitschaft der Regierung beklagen, Sie an ihren Überlegungen zu beteiligen. Hier gibt es ganz offensichtlich einen Widerspruch.
Wir stimmen auch darin überein, daß man Förderungsprogramme langfristig aufstellen sollte, daß sie mehrere Jahre umfassen sollten. Sie fordern nun zusätzlich neue Schwerpunkte, neue Prioritäten. Wenn Sie die Arbeiten, die die Bundesregierung zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat und die mittlerweile bis auf eines veröffentlich sind — die Arbeiten der Studiengruppe für Systemforschung, des Zentrums Berlin für Zukunftsforschung, der Prognos AG und von Battelle — in Ruhe einmal durchlesen und durcharbeiten, dann werden Sie feststellen, daß es gerade auf diesem Gebiet nicht damit getan ist, daß man irgendwelche Forderungen aufstellt, sondern daß dies ein unendlich schwieriges Gebiet ist, wo wir alle aufgerufen sind, neue
Vorschläge zu machen und Wege miteinander auszuprobieren, wie dies verbessert werden kann.
Aber die Übereinstimmung bezieht sich auch auf einen dritten Punkt: Wir sind bemüht, durch die Technologiepolitik eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zu erreichen. Das gilt selbstverständlich in allererster Linie für Europa, und dort für den Bereich der EWG. Sie kennen die Vorschläge, die die Bundesregierung dazu entwikkelt hat. Aber gleichzeitig müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß eine Technologiepolitik, die nicht auf einer sektoralen Wirtschaftspolitik aufbaut, im luftleeren Raum schwebt. Deswegen muß es unser Bestreben sein, hier in Europa auf diesen beiden Gebieten parallel vorzugehen. Wir jedenfalls sind daran interessiert, daß man zu supranationalen Einrichtungen kommt. Nur: Wenn man diese will, dann soll man auch ganz klipp und klar sagen, was dies bedeutet, eben eine Abkehr von jener Albernheit, die man mit dem Schlagwort vom „gerechten Rückfluß" umschreibt. Dies ist Bedingung dafür, daß wir in Europa weiter vorankommen.
Lassen Sie mich nun einen vierten Bereich der Übereinstimmung nennen. Wir alle fordern ein verbessertes Projektmanagement. Wir fordern stärkere Programmkontrollen. Wir fordern offensichtlich auch gemeinsame ausschreibungsähnliche Verfahren. Herr Hubrig hat heute in dieser Debatte ausgeführt, daß man den Mut haben sollte, erfolglose Projekte, sobald sie sich als erfolglos herausstellen, auch abzubrechen. Das klingt gut und hört sich fein an. Nur habe ich leider vermißt, von Ihnen Beispiele zu hören, wo Sie eigentlich welche Projekte abbrechen wollen. Nicht nur in dieser heutigen Debatte, sondern auch in den Ausschußberatungen haben Sie dazu geschwiegen. Wie steht es mit dem Airbus? Wie stand es eigentlich mit der Frage des Großrechners? Was ist dort zu fördern? Was ist dort aussichtsreich? Wie steht es mit der Frage der Weltraumforschung? Hier haben wir nie von Ihnen eine Ermunterung gehört, daß man auch einmal die Grundsatzfrage zu stellen hat. Als wir bei dem Statusbericht in Karlsruhe uns darum bemühten, die Dinge wirklich herauszupuhlen, weil wir von der Regierungskoalition der Meinung waren, daß hier mit gezinkten Zahlen gearbeitet wird, dann waren wir doch ziemlich allein. Aber wir freuen uns, wenn Sie hier Ihren Nachholbedarf auffüllen wollen.
Der fünfte Bereich ist die bessere und schnellere Verwertung der Forschungsergebnisse, d. h. der Versuch, die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, alle Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, jährlich Listen herauszugeben mit der Gesamtheit der verwertbaren Benutzungsrechte. Sie ist dabei, eine Datenbank zu erstellen, die diese Dinge für den Benutzer noch leichter abrufbar macht.
Alles dies halten wir für richtig und begrüßen es. Wir sind auch der Meinung, daß der von der Bundesregierung angestrebte Verbund von Grundlagenforschung und Industrieforschung richtig ist. Es gibt keinen Zweifel, daß die Mittel für die Hochschul-
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Dr. Hauff
forschung durch diese Bundesregierung auch im Jahr 1972 kräftig aufgestockt werden.
Wir fordern allerdings, daß im Bereich der Industrieforschung — da bin ich sehr dankbar für die Ausführungen vom Kollegen Lenzer — keine Dauerförderung zustandekommen darf. Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe, denn im Jahr 1970 wurden immerhin 16 % der Gesamtinvestitionen für Forschung und Entwicklung im Bereich der Industrie durch den Bund finanziert. Das zeigt die eminente Gefahr, daß sich hier eben doch Dauerförderungen einschleichen. Wir müssen wissen, daß diese 16 % sich auf einige wenige Industriebereiche konzentrieren, die wir alle genau kennen.

(Abg. Lenzer: Der Prozentsatz muß nicht gegen die Projekte sprechen!)

Wir halten es auch für richtig, daß man bei den bestehenden Forschungszentren versucht, neue Aufgaben zu finden. Ich persönlich halte es beispielsweise für ausgesprochen zukunftsreich und erfolgversprechend, wenn man den Bereich der Datenverarbeitung bei den Kernforschungszentren im Rahmen der Förderung der Datenverarbeitung kräftig ausbaut. Das know how, das dort vorhanden ist, sollte man nutzen.
Der sechste und letzte Punkt betrifft den personellen Aspekt. Es werden heute auch das Ausbildungsproblem, das Nachwuchsproblem in der Datenverarbeitung erwähnt, das dringend gelöst werden muß. Deswegen werden wir in den nächsten vier Jahren im Bereich der Datenverarbeitung ungefähr sechsmal so viel Geld ausgeben, wie in den vergangenen Jahren, und zwar mit dem Schwerpunkt verbesserter Ausbildungsmöglichkeiten. Wir treten dafür ein, daß wir eine erhöhte Mobilität zwischen den einzelnen Forschungsinstituten, aber auch zwischen Forschungsstellen staatlicher und privater Art in Zukunft haben.
All dies darf jedoch nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Ihr Antrag Umdruck 254 tut dies, wenn er davon ausgeht, es komme nur darauf an, die Techniken des modernen Management in den staatlichen Forschungsbereichen einzusetzen. Ich mache kein Hehl daraus: Ich halte dies für ein mindestens zu kurz gedachtes Argument. Woran es wirklich fehlt, das sind die Leute, die diese Arbeit machen können, d. h. wir müssen durch eine gezielte Ausbildungspolitik die Führungskräfte in den Forschungsstellen auf ihre Aufgaben entsprechend vorbereiten; denn nicht jeder Wissenschaftler ist zwangsläufig auch ein guter Manager.
Lassen Sie mich nun zum Schluß aber noch auf jene Punkte zu sprechen kommen, die offensichtlich nicht so ganz unumstritten sind.
Wenn beispielsweise gefordert wird, daß wir in der Bundesrepublik bei der Verwertung der Forschungsergebnisse ausschließlich oder vornehmlich dem Wirtschaftswachstum dienen sollten, so lassen Sie mich entgegenhalten: Für mich und meine politischen Freunde ist Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck, sowenig wie Innovation für sich genommen eine Richtschnur ist. Ich möchte in diesem
Zusammenhang mit Genehmigung des Präsidenten einen Satz aus einer Schrift zitieren, die die DFG vor kurzem herausgegeben hat. Dort heißt es:
So wird beispielsweise angeführt, daß das Laissez-faire-Prinzip der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts durch ein Laissez-innover-Prinzip im 20. Jahrhundert ersetzt wurde. Beiden gemeinsam ist das Vertrauen in die Selbstregelung eines Systems, wobei sich das Laissez-faire-Prinzip bereits als ungeeignet erwiesen hat.
Ich meine, wir sollten daraus lernen. Die Innovation ist eben daran zu messen, welchen Beitrag sie zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben leistet. Hier geht es nicht nur um Wirtschaftswachstum.

(Abg. Dr. Schober: Darüber gibt es doch keinen Streit! — Abg. Lenzer: Das haben wir deutlich gesagt!)

Sie alle wissen, daß die OECD-Konferenz dazu klar Stellung genommen hat. In einem Papier dieser Wissenschaftskonferenz vom Oktober dieses Jahres heißt es: „Die Herausforderung an die Wissenschaftspolitik lautet, einen maximalen Beitrag zum sozialen Fortschritt zu sichern." Ich bin der Meinung, dies ist richtig.
Das Beispiel Japan mit dem 20-Jahres-Plan ist bereits angesprochen worden. Auch dort wird klar und deutlich gesagt, daß es darum geht, die Mängel im öffentlichen Investitionsbereich als eine Herausforderung an die Technologiepolitik zu begreifen. Mittlerweile, vor wenigen Wochen, ist in Japan die Studie „Technologische Strategien im Informationszeitalter" erschienen, die das noch verdeutlich und konkretisiert. Es handelt sich um einen internationalen Trend, dem wir uns nicht verschließen sollten.
Ich sehe hier einen gewissen Widerspruch zu dem, was Herr Hubrig in der Öffentlichkeit gesagt und heute in der Debatte wiederholt hat: daß die Verwertung von Forschungsergebnissen nur Aufgabe der Wirtschaft sein könne bzw. daß die Innovation nur eine Aufgabe für die Industrie sei.

(Zuruf des Abg. Dr. Hubrig.)

Ich meine, das bedeutet nicht nur eine Absage an ein partnerschaftliches Verbundsystem zwischen Industrieforschung und dem, was man staatliche Forschung nennt, sondern dies bedeutet auch eine Verstümmelung der staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik zu einem willenlosen Anhängsel der großen Wirtschaftsunternehmen, die, wie Sie es fordern, Forschungsergebnisse unmittelbar verwerten können und die dabei nur einen einzigen Zweck im Auge haben: die Investitionskosten im Forschungs- und Entwicklungsbereich zu sozialisieren, um dadurch die privaten Gewinne zu erhöhen. Hier gibt es ganz offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit, die wir in aller Ruhe austragen sollten.
Wir Sozialdemokraten jedenfalls verstehen uns nicht als der verlängerte Arm der Industrie,

(Zurufe von der CDU/CSU)

sondern wir versuchen in der Tat, dieses partnerschaftliche Verbundsystem zwischen Grundlagenforschung und Industrieforschung einzurichten; es
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9221
Dr. Hauff
also nicht nur verbal zu fordern, sondern auch konkret zu verwirklichen. Wir bejahen die Marktwirtschaft und wissen, daß jede staatliche Förderung ein Außerkraftsetzen marktwirtschaftlicher Regeln bedeutet. Im übrigen werden wir den Nutzen technologischer Großprojekte vornehmlich daran messen, ob sie einen Beitrag zur Lösung öffentlicher Aufgaben leisten.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Bundeskanzler Brandt aus seiner wichtigen Rede vor dem Deutschen Industrie- und Handelstag:
Ohne Reformen, ohne grundlegende Verbesserungen der Infrastruktur und damit ohne Steigerung des staatlichen Leistungsangebots für den Bürger ist wirtschaftliches Wachstum langfristig weder möglich noch sinnvoll.
Ich meine, daran sollten wir auch die Technologiepolitik messen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615934300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hubrig.

Dr. Hans Hubrig (CDU):
Rede ID: ID0615934400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich noch einmal auf unsere Anträge zurückkomme, möchte ich — leider in Abwesenheit des Herrn Ministers — feststellen, daß das, was er hier gesagt hat, doch einigermaßen dekuvrierend war; es war eine Art von Beckmesserei, bis hin zum Vermerken von Druckfehlern. In keinem einzigen Fall hat der Minister die politischen Intentionen unserer Anträge gewürdigt. Mit den Feststellungen „das machen wir längst" oder „das kommt demnächst" fiel er in den Stil zurück, den wir an dieser Antwort gerade kritisiert haben.
Zum Beispiel hat der Minister hier zum Antrag unserer Kommission für die Großforschungszentren festgestellt, man könne doch nicht die neuen Zentren mit den alten, man könne nicht Jülich mit Karlsruhe zusammenbringen. Es ist aber doch gerade unter Vorschlag, durch eine Untersuchung der zukünftigen Aufgaben dieser Institute Doppelgleisigkeit zu vermeiden und dort, wo es dringend notwendig ist, zu einer Kooperation auf der Basis der geringen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, zu kommen, und zwar bis hin zu den neuen Instituten. Dies soll unser Antrag bewirken.
Was die vielen Ankündigungen angeht, die hier gemacht worden sind, so muß ich sagen, die Opposition ist sicherlich kein Hellseher-Institut, das weiß, was gerade jetzt angelaufen ist und was demnächst anlaufen wird, und das jetzt schon wissen soll, was im Jahre des Heils 1972/73 veröffentlicht werden wird.
Ein Wort noch zu unserem Antrag auf Einrichtung einer europäischen Raumfahrtbehörde, einer „europäischen NASA" : Hier ist nun etwas ganz Kurioses passiert. Unser Antrag deckt sich inhaltlich mit der Forderung des Herrn Staatssekretärs von Dohnanyi auf Einrichtung einer solchen Behörde; Herr von Dohnanyi hat diese Institution nach dem Fehlschuß
der „Europa II" gefordert. — Meine Frage: Liegt hier eine Kommunikationsschwierigkeit vor, oder gibt es grundsätzliche Differenzen, oder hat der Minister diese bestimmte Meinung hier nur wieder vertreten, um unseren Antrag zu disqualifizieren?
Gestatten Sie mir, Herr Lohmar, auch ein Wort zu Ihnen. Ich werde Ihnen meine Rede mit persönlicher Widmung als Sonderdruck zur Verfügung stellen,

(Heiterkeit)

damit Sie nicht mehr behaupten können, bei uns sei die gesellschaftspolitische Relevanz Thema Nr. 2. Unsere Auffassung geht — so glauben wir heute in allen unseren Ausführungen sichtbar gemacht zu haben — gerade dahin, diese Relevanz zu betonen, und auch — dies zu Herrn Dr. Hauff — dahin, daß wirtschaftliches Wachstum kein Selbstzweck ist. Herr Hauff, um hierbei gleich auf ein Mißverständnis einzugehen: ich habe niemals behauptet, daß die Innovation ausschließlich dem Bereich der Industrie angehört. Ganz im Gegenteil, ich habe gefordert, zu prüfen — —

(Abg. Dr. Hauff: Ich habe es aufgeschrieben!)

— Entschuldigung; das werden Sie dann auch noch kontrollieren können. Ich möchte das hier nur noch einmal korrigieren, denn gerade das, worauf Sie anspielten, war nicht unser Bemühen.
Wir waren sehr dankbar dafür, daß diese Debatte heute geführt wurde. Es ist auch nicht so, daß die Koalitionsfraktionen die Debatte heute etwa nicht gewollt hätten. Ich habe eingesehen, daß es — auch zeitliche — Schwierigkeiten gegeben hat; aber ich bin froh, daß wir heute über dieses Gebiet gesprochen haben. Denn in anderen Parlamenten speziell auch in Westeuropa wird oft über ein einziges Thema — etwa über die Gaszentrifuge, die wir in diesem Hohen Hause auch beschlossen haben — einen ganzen Tag lang diskutiert.

(Zuruf von der CDU/CSU: 600 Millionen!)

Und wenn wir hier einmal mehr über Technologie diskutieren wollen, wird ein Lamento angestimmt, und es wird gesagt, das scheine doch nicht so wichtig zu sein.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

— Doch, es ist geschehen. Herr Moersch! Ich will nicht sagen, wer das gesagt hat; das spielt keine Rolle. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß wir diesen Problemen die ihnen gebührende Beachtung schenken müssen. Es geht hier immerhin um Summen von Hunderten von Millionen.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt im Namen unserer Fraktion, der Fraktion der CDU/ CSU, den Antrag stellen, unsere Anträge an den zuständigen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615934500
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft.
9222 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615934600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ein paar Richtigstellungen vornehmen. Herr Kollege Hubrig, dem Minister ging es hinsichtlich Ihres Antrages für eine Sachverständigenkommission im Bereich der Großforschungsgesetze um folgendes: Er meinte — Sie können das im Protokoll nachlesen —, daß es nicht möglich sein wird, in einer Sachverständigenkommission so unterschiedliche Fragen wie z. B. ein langfristiges Sach- und Finanzprogramm für die Plasmaphysik und für die Datenverarbeitung zu behandeln. Der Punkt war also einfach die Zusammenfassung in einer Kommission.
Der zweite Punkt war Ihr Antrag bezüglich einer europäischen Raumfahrtbehörde. Hier besteht zwischen dem Minister und mir keinerlei Kommunikations- oder Meinungsverschiedenheit. Nur hat der Minister darauf hingewiesen, daß diese Aufforderung, die Sie hier aussprechen, eine Aufforderung ist, von der der Minister und das Ministerium seit langem selbst ausgehen. Wir haben das versucht. Die Probleme, die hier bestehen, sind nicht Probleme innerhalb der Bundesregierung oder zwischen Bundesregierung und Parlament, sondern in erster Linie Probleme in der europäischen Arbeit mit allen Mühsalen, die wir auch heute wieder von verschiedenen Seiten erläutert bekommen haben.
Eine Reihe weiterer Punkte zur Richtigstellung. Wenn der Kollege Probst meinte, die Verhältnisse von Bildung und Wissenschaft hätten sich verschoben, so ist zum Haushalt zu sagen, Herr Kollege Probst: wenn Sie auf der einen Seite Bildung einschließlich Hochschulbau nehmen und auf der anderen Seite Wissenschafts- und Technologieförderung, dann waren es im Jahre 1969 für den Bereich Bildung 35%; es sind 35% im Jahre 1971, und es wandelt sich im Laufe der jetzt vor uns liegenden mittelfristigen Finanzplanung zu etwa 39 % zugunsten der Bildung. Dies sind Fakten. Es liegt also in keiner Weise eine Verschiebung vor.

(Abg. Moersch: Und Hochschulbau!)

— Richtig! — Ich gebe Ihnen zu, daß die öffentliche Debatte der letzten beiden Jahre bildungslastig war. Das ist aber keine Sache, die diese Regierung zu vertreten hat, sondern das sind eben die Folgen -- ich sage das hier ganz offen — der Versäumnisse der Vergangenheit, die jetzt auf uns zukommen und die wir mit der Bildungsreform zu bewältigen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Probst: Die Sie sehr bald lösen werden, Herr von Dohnanyi! — Zuruf des Abg. Moersch.)

Dann haben Sie gesagt, Herr Kollege Probst, wir hätten nur Ankündigungen gemacht und nur Absichten geäußert. Man kann natürlich in einer schriftlichen Antwort nicht alles aufzählen, was geschieht. Sie wissen selbst, wie kompliziert unser Haushalt ist und wie kompliziert die Programme. Wenn man anfinge — ich will Ihnen das hier ersparen, aber ich schickte Ihnen das gerne noch ein-
mal zu —, die Einzelprojekte, die in den verschiedenen Bereichen von uns angepackt wurden, nicht nur im Bereich des Umweltschutzes, sondern in einer ganzen Reihe von anderen Bereichen der neuen Technologien aufzuzählen, würden Sie mir zugeben, daß es einfach nicht wahr ist, einfach nicht richtig ist, zu sagen, hier seien nur Ankündigungen.

(Abg. Probst: Wo sind sie denn, wie heißen sie denn?)

— Es tut mir leid, meine Damen und Herren, dann muß ich Sie eben doch einen Augenblick damit aufhalten. Das beginnt im Bereich „Technologien", z. B. mit einem Programm für die Langzeitwirkung von Bioziden, das umfaßt das Problem der Reaktorsicherheit und damit die 137 Millionen DM des Programms, die bereits erwähnt wurden, also Standortprobleme und die verschiedenen anderen Aspekte der Reaktorsicherheit, die wir kennen.

(Abg. Dr. Probst: Absichten!)

— Nein, dieses Programm läuft, Herr Kollege Probst.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Probst.)

— Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen: das Programm läuft; das ist keine Absichtserklärung!
Dann die Programme zur Abgasentgiftung.

(Abg. Dr. Probst: Absichten!)

— Es sind keine Absichten, Herr Kollege Probst! Man kann doch nicht einfach sagen, es seien Absichten, wenn die Programme laufen. Sie haben mich doch gebeten, sie hier aufzuzählen.
Die Programme zur Abgasentwicklung: Als verschiedene Punkte, die hier zu erwähnen wären, sind Studien über bleifreie Kraftstoffe, Brennstoffaufbereitungsverfahren, Entwicklung von Nachverbrennungskatalysatoren usw. zu nennen. Die Programme der Untersuchungen über Umweltprobleme im Bereich von Chemie, Stahlindustrie, Energiewirtschaft, Steine, Erden und Verkehr sind so weit durchgeführt worden, daß sie in das Umweltprogramm eingehen konnten. Keine Absichten, sondern erfolgt!
Im Bericht der Medizin nenne ich die Übernahme der Gesellschaft für molekular-biologische Forschung Stöckheim. Ein Programm für die Prothesenentwicklung läuft ebenfalls. Die Entwicklung eines „künstlichen" Herz-Kreislauf-Systems läuft ebenfalls. Es ist also einfach nicht richtig, nur deswegen, weil wir nicht alle Einzelheiten aufgezählt haben, zu sagen, die Dinge seien nur Absichtserklärungen.
Ein weiterer Punkt, der vielleicht kurz ergänzt werden müßte, betrifft alle Fragen, Herr Kollege Probst, die mit Europa III bzw. Post-Apollo zu tun haben. Ich halte es für mindestens problematisch, wenn man Erklärungen, die von der amerikanischen Regierung gegeben worden sind, so ohne weiteres als keine ausreichenden Garantien bezeichnet. Wir sind dabei, Verhandlungen in dieser Richtung zu führen, und es ist nicht hilfreich, wenn in diesem Hause Äußerungen dieser Art fallen. Unsere Verhandlungsposition in dieser Frage ist dadurch auf jeden Fall nicht besser geworden.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9223
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
Ein weiterer Punkt, der allerdings eine Absichtserklärung enthält: Hier wurde von der Notwendigkeit eines Programms für die Förderung der Sozialwissenschaften gesprochen. Sie wissen, daß die Bundesregierung im Bereich der Sozialwissenschaften eine Menge tut.

(Abg. Dr. Lohmar: Eine Menge?)

— Es gibt eine Vielzahl von einzelnen Forschungsvorhaben, Herr Kollege Lohmar, die in den verschiedenen Ressorts laufen. Man ist erstaunt, wieviel das in der Tat ist, wenn man es zusammenfaßt.
Aber ich gebe zu, es fehlt an einem kohärenten Programm. Das ist für die Förderung der Sozialwissenschaften auch eine sehr schwierige Aufgabe. Ich habe in diesem Zusammenhang ein langes Gespräch mit der DFG geführt. Ich hoffe, daß wir im Laufe des Frühjahrs in der Lage sein werden, ein Umrißprogramm für die Sozialwissenschaften vorzulegen.

(Abg. Dr. Lohmar: Ist das der richtige Partner?)

— Herr Kollege Lohmar, an dem Gespräch war nicht nur die DFG als Organisation, sondern eine Vielzahl einzelner Wissenschaftler vertreten. Ich hoffe, daß wir in der Lage sein werden, ein Programm in Umrissen vorzulegen. Das ist, wie gesagt, wegen der ungeheuren Breite der Aufgabenstellung der Sozialwissenschaften eine besonders schwierige Aufgabe.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615934700
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615934800
Ja.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0615934900
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit zuzugeben, daß die sozialwissenschaftliche Erforschung von Forschungs- und Technologiepolitik auf sehr schwachen Beinen steht und vieles, was heute im Brustton der Überzeugung gesagt wurde, wirklich einmal einer wissenschaftlichen Uberprüfung bedürfte?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615935000
Herr Kollege Sperling, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Die Frage der Entwicklung des technischen Fortschritts und seiner Folgen befindet sich wissenschaftlich gesehen wohl erst in einem Anfangsstadium. Alles, was mit Forschungspolitik zu tun hat, hängt aber auch mit dieser Fragenstellung zusammen. Insofern würde ich Ihnen zugeben, daß auf dem sozialwissenschaftlichen Gebiet natürlich noch eine Menge unbeantworteter Fragen offenstehen. Aber wie gesagt, wir versuchen — und das ist in der Tat eine Ankündigung —, diese Lücke zu schließen.

(Abg. Dr. Schober: Können Sie sagen, wann diese Umrisse ungefähr zu sehen sein werden?)

— Ich sagte, im Frühjahr. Ich kann das nur wiederholen. Ich habe vorhin gesagt, ich hoffe, wir werden im Frühjahr in der Lage sein, ein solches Programm in Umrissen mit den entsprechenden Kollegen und in den entsprechenden Gremien zu diskutieren.
Ein letzter Punkt. Herr Kollege Lenzer, ich muß neidvoll sagen, ich fand Ihre Ausführungen zum EDV-Programm sehr präzise und gut. Die Opposition hat uns mit dem geholfen, was Sie hier gesagt haben. Nur: Kompatibilität ist ein Punkt, den wir selber in unserem Datenprogramm als eine wesentliche Voraussetzung der Beschaffungspraxis der öffentlichen Hand sehen. Wir haben das in das Programm aufgenommen. Insofern kann ich Sie beruhigen. Diese Sache läuft.
Was die Peripherie angeht, von der Sie gesprochen haben, muß man zwei Dinge sehen. Auf die Dauer wird es nicht möglich sein, in der Datenverarbeitung im Bereich der Peripherie die Position zu halten, wenn man sie nicht auch bei ,den zentralen Recheneinheiten hält, d. h. wir müssen auf dem Rechenmarkt eine Position haben, um die Position auf dem Markt der Peripherie halten zu können. Andererseits ist die sogenannte Peripherie hinsichtlich derjenigen Hersteller, die in der Bundesrepublik angesiedelt sind, in einer besseren Marktposition, als das bei Rechnern der Fall ist. Dies führt uns im Augenblick noch dazu, Anwendung, Ausbildung und bestimmte Rechnertypen stärker im Vordergrund der Förderung zu sehen als die Peripherie selbst.
Was in dieser Debatte allgemein kritisch angemerkt worden ist, berührt dort, wo es mit der Frage der allgemeinen Rahmenentwicklung unserer technologischen Förderung zu tun hat, Probleme, die die Bundesregierung selber zentral beschäftigen. Herr Kollege Lohmar, Ihre Fragen, die Frage des Kollegen Grüner, wie man in einer sich technisierenden Welt die Humanität bewahren und doch die Technik fördern kann, d. h. wie die technische Entwicklung in eine auch für die menschliche Entwicklung produktive Richtung gesteuert werden kann, das ist es, was der Bundesregierung als zentraler Maßstab dient. Wenn man sich über diesen Maßstab einigt, wird man noch nicht notwendigerweise in allen Schlußfolgerungen einer Meinung sein. Aber so kann man für die soziale und demokratische Entwicklung in unserem Lande durch Technologiepolitik einen wichtigen Beitrag leisten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615935100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.

Dr. Hanna Walz (CDU):
Rede ID: ID0615935200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich auf meinen Antrag eingehe, möchte ich noch etwas zu den Worten von Herrn Staatssekretär von Dohnanyi sagen. Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß mein Kollege Probst bezüglich Europa III nicht sehr hilfreich gewesen sei. Sie wissen doch selber, in wie schwierigen Verhandlungen wir mit Amerika stehen. Sie wissen selber um die Auslegung des Art. 14 von INTELSAT, und Sie wissen, daß zwi-
9224 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971
Frau Dr. Walz
schen State Department und NASA gewisse Unterschiede bestehen. Aus diesen Gründen wird man ja wohl in gewisser Weise das Angebot sehr begrüßen, aber in einigen anderen Punkten in Zweifel ziehen können und wollen. Aus dem Grunde möchte ich das, was Sie gegen Herrn Kollegen Probst gesagt haben, zurückweisen. Es stimmt einfach nicht, und die Bundesregierung verhält sich auch anders.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen den Antrag begründen, den mir die Vollversammlung der Westeuropäischen Union auferlegt hat.

(Abg. Dr. Lohmar: Er spricht für sich selbst!)

— Nein, er spricht leider nicht für sich selbst; denn wir haben einen Ministerrat, der auf diesen Antrag, eine europäische Technologieministerkonferenz einzuberufen, außerordentlich vage und unbefriedigend geantwortet hat, so daß sich die WEU-Versammlung genötigt sah, jetzt im Dezember diesen Antrag zu wiederholen und noch einmal einstimmig zu beschließen. Denn wir Westeuropäer können zur Zeit überhaupt nur feststellen, daß wir weit davon entfernt sind, auch nur die Chancen der nun bald erweiterten Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet einer europäischen Technologiepolitik so zu nutzen, daß von ihr als einem Instrument der Europapolitik gesprochen werden könnte, selbst wenn sich jetzt bei ESRO und ELDO eine Einigung abzeichnet.
Obwohl man heute weiß — es wurde hier auch gesagt —, daß die Technologiepolitik „dritter Faktor" ist und deshalb die politische Zukunft unseres Kontinents entscheidend bestimmt, ist es uns bisher nicht gelungen, gemeinsame Zielsetzungen und Programme zu entwickeln, nicht einmal in den Spitzenbereichen, zu denen die Raumfahrt zählt. Wenn der Ministerrat in seiner Antwort an die WEU auf die Konferenz der 19 Forschungsminister der Staaten, die Mitglieder der COST-Gruppe sind, als Ersatz verweist, so beweist er damit nur, daß er technologische Kooperation mit Technologiepolitik verwechselt. Die technologischen und finanziellen Voraussetzungen dieser 19 Staaten sind viel zu verschieden, als daß man mit ihnen eine Politik der Prioritäten als Instrument der Außenpolitik entwickeln könnte.
Auch in der Antwort auf unsere beiden Großen Anfragen enthüllt sich eine europapolitische Konzeptionslosigkeit, indem wahllos fast jede internationale Aktivität als Schwerpunkt hervorgehoben wird. Wir müssen uns die Konsequenzen einer solchen Konzeptionslosigkeit völlig klarmachen: Wenn Europa nicht die Kraft entwickelt, die Zersplitterung seiner begrenzten Kräfte durch nationale und sektorale Programme zu überwinden und eine gemeinsame europäische Konzeption der Technologiepolitik zu entwickeln, werden wir auch hinter Japan und China zurückfallen und aufhören, unser wirtschaftliches, politisches und gesellschaftliches Leben selbst zu bestimmen. Statt Partnerschaft zu fördern, tragen wir zu unserer eigenen Abhängigkeit bei, da der technologische Fortschritt anderer uns und vielen anderen in der Welt dann künftig die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Entwicklunvorschreiben wird.
In Europa sind bisher sektorale Lösungen für eine Technologiepolitik angestrebt worden: Atom-und Weltraum. Es konnte deshalb auch gar nicht ausbleiben, daß man auf den verschiedenen Sektoren sich mit verschiedenen Zielsetzungen der nationalen Politiken konfrontiert sah und deshalb jeweils pro Sektor, häufig nur pro Vorhaben entschied, ob es nützlich oder weniger nützlich war, zusammenzuarbeiten. So waren beispielsweise auf dem Weltraumsektor ganz verschiedene Zielsetzungen entscheidend für die Zusammenarbeit in der ersten Stunde. Ein ähnlicher Nachweis ließe sich für Euratom führen, nämlich der, daß auch hier die nationalen Interessen durchaus im Vordergrund standen, wobei die Nichteinigung über ein mehrjähriges Forschungsprogramm die ganze Trostlosigkeit der Lage dort enthüllt.
Bei so unterschiedlichen Zielsetzungen bleibt es nicht aus, daß bei Fortschreiten der Arbeit -Differenzen auftreten. Hinzu kommt natürlich, daß solche Sektoren jeweils ihr Eigenleben entfalten, ohne untereinander durch eine aufgabenbezogene europäische Technologiepolitik integriert zu werden. Dabei liegt es auf der Hand, daß bei der Begrenztheit des Personals und der Finanzmittel, die wir zur Verfügung haben, Prioritäten gesetzt, Doppelarbeit vermieden und die besten und zugleich kostensparenden Lösungen gemeinsam gefunden werden müssen. Es handelt sich ja immer um Beträge von Hunderten von Millionen. Wir müssen leider zur Zeit feststellen, daß wir es gerade jetzt mit einer allgemeinen Ermüdungserscheinung und Konzeptionslosigkeit bei der Zusammenarbeit in Europa zu tun haben, wie es etwa auch die Äußerungen von Minister Krag deutlich dargelegt haben. Wie diese Ermüdungserscheinungen auch die Richtlinien der Politik bestimmen, geht aus den Äußerungen des Bundeskanzlers im ARD-Programm vom 29. Oktober 1971 hervor, der dort resignierend festgestellt hat:
Wir haben im Kreise der Sechs gesehen, daß sich die ursprüngliche Konzeption des Supranationalen, also des Überstaatlichen, nicht oder nur sehr bedingt hat verwirklichen lassen.
Diese Anerkennung der Realitäten, also der Verzicht auf Integration —

(Abg. Dr. Lohmar: Das können Sie doch daraus nicht schließen, Frau Walz!)

— Doch, das würde ich daraus schließen. Selbst die „Frankfurter Rundschau", Herr Lohmar, hat neulich zu dieser Rede geschrieben, es wäre viel von Integrität und Souveränität die Rede gewesen, aber nicht mehr von Integration, die rückte an die zweite Stelle. Die „Frankfurter Rundschau" ist ja sicherlich nicht gerade eine Zeitung von uns.
Diese Anerkennung der Realitäten halte ich für eine politische Kapitulation vor einer europäischen Zukunftsgestaltung, die für eine europäische Technologiepolitik überaus gefährlich, wenn nicht sogar tödlich ist. Denn dann wird die internationale Zusammenarbeit hauptsächlich als Zulieferer für nationale Ziele betrachtet, und es wird gar nicht unterschieden zwischen Technologiepolitik und tech-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1971 9225
Frau Dr. Walz
nologischer Zusammenarbeit. Im Hinblick auf eine Neuordnung Europas sind solche Auffassungen geradezu verhängnisvoll. Es scheint mir daher besonders wichtig, mit den EG-Partnern einschließlich Englands eine politische Anstrengung mit dem Ziel zu unternehmen, 1. die Technologiepolitik außenpolitisch in die europäische Integrationspolitik einzuordnen, 2. die sektorale Betrachtungsweise der technologischen Zusammenarbeit, aufgespalten in Weltraum-, Atom-, Meeresforschung usw., zugunsten einer aufgabenbezogenen europäischen umfassenden Technologiepolitik zu überwinden und schließlich 3. sich auf sachliche Zielsetzungen und gemeinsame Durchführung zu einigen.
Ich möchte noch einmal betonen: was für Wirtschafts-, Agrar- und Verkehrspolitik allgemein anerkannt wurde, ist für die Technologiepolitik noch nicht Allgemeingut geworden. Technologiepolitik betrifft die Zielsetzungen und allgemeinen Maßnahmen für eine widerspruchsfreie Zusammenarbeit. Technologiepolitik mit technologischer Zusammenarbeit à la Gasultrazentrifuge oder Airbus zu verwechseln, zeigt ein fundamentales politisches Mißverständnis, wie es sich immer wieder in den Beschwörungsformeln technischer Zusammenarbeit in Regierungsverlautbarungen enthüllt. Ein politischer Ansatz könnte darin liegen, Verfahren für die gegenseitige Annäherung und die Definition von Sachzielen zu entwickeln. Die Bundesregierung ist zwar auf diesem Gebiet initiativ geworden, hat aber ihre Initiativen dann nicht weiter verfolgt.
Eine neue politische Gefahr für diese künftige europäische Technologiepolitik liegt in der zu erwartenden Konferenz über Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa, KSE. Wenn die technologische Zusammenarbeit auch hier wieder ohne Rücksicht auf ihre Rolle im Rahmen der europäischen Integrationspolitik einbezogen werden soll, dann werden in der Folge europäische Gemeinschaftsbemühungen noch sehr viel störanfälliger werden, als sie es heute schon sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Deshalb erscheint es mir dringend erforderlich, daß wir — die Sechs und Großbritannien uns auf gemeinsame Ziele, Verfahren und die Organisation der europäischen Technologiepolitik einigen.
Wir sind in der WEU sieben; ich weiß genau, warum ich zunächst einmal auf eine kleinere Zahl gehe, wobei die anderen Beitrittskandidaten sich später durchaus beteiligen könnten. Aber wir müssen mit diesen eine gemeinsame Haltung für die KSE zu Fragen der technologischen Zusammenarbeit einnehmen. Auch aus diesem Grunde scheint mir eine
Technologieministerkonferenz der EWG und Großbritanniens dringend erforderlich zu sein. Der Ministerrat sollte seine Antwort an die Versammlung deswegen überprüfen, und die WEU-Parlamente sollten jeweils ihre Minister auffordern, diese Antwort zu überprüfen.
Was auf dem Raumfahrtsektor sich schon als so unendlich schwierig erweist, nämlich gemeinsame Ziele zu entwickeln, sollte bei neuen gemeinsamen Aufgaben vermieden werden. Wo diese liegen? In der Verbesserung der menschlichen Umwelt, in der Erhaltung der Leistungsfähigkeit unserer Industrien, in einem Beitrag zur Sicherung von Welternährug und Weltgesundheit. Hierfür müssen rechtzeitig die Prioritäten gesetzt und die nötigen Mechanismen geschaffen werden.
Zur Wirtschafts- und Währungsunion, meine Herren, gehört die Union der Technologiepolitik als Voraussetzung der politischen Union. Lassen Sie uns aus vergangenen Fehlern lernen und unsere Anstrengungen auf der Grundlage von Prioritäten vereinigen. Nur dann nämlich werden die Mittel ausreichen und die Chancen verbessert, eine eigenständige europäische Politik zu betreiben, ohne von anderen abhängig zu werden.
Wir bitten Sie deshalb, unseren Antrag an den Ausschuß zu überweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615935300
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Es geht zu- • nächst einmal um den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Dr. Martin, Dr. Hubrig, Dr. Probst, Lenzer und der Fraktion der CDU/CSU betreffend Europäische Technologiekonferenz, Drucksache VI/2389. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft vor. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Es handelt sich sodann um die Umdrucke der Fraktion der CDU/CSU auf Nrn. 250, 251, 252, 253 und 254. Auch hier ist die Überweisung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft beantragt. Ich höre ebenfalls keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende einer langen und reichhaltigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Dezember, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.