Rede von
Dr.
Volker
Hauff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle gegen Schluß der Debatte einen doch recht eigentümlichen Widerspruch fest zwischen dem, was der letzte Redner der Opposition zur Technologiepolitik ausgeführt hat und dem, was vorhergehende Redner in verlesenen Erklärungen verkündet haben. Es war festzustellen, daß bei Kernforschung oder Datenverarbeitung nur eine Detailkritik geäußert wurde. Vielem von dem, was in grobschlächtiger Holzklotzkritik von Herrn Hubrig und auch von Herrn Probst vorgetragen wurde, hat Herr Lenzer den Boden entzogen.
Wir haben heute eine Debatte, die von der Opposition erzwungen wurde, und zwar gegen den Willen der Regierungskoalition, weil wir davon ausgingen, daß in wenigen Tagen, wie auch in den Antworten der Bundesregierung angekündigt, der Forschungsbericht IV vorliegt und daß es angemessen und richtig gewesen wäre, im Lichte der Tatsachen des Forschungsberichts IV zu diskutieren und jenen Nebel etwas hinwegzufegen, den Sie zu verbreiten hier versucht haben.
Aber offensichtlich scheuen Sie sich, angesichts der positiven Bilanz, die im Forschungsbericht vorgelegt werden wird, eine sehr viel konkretere und genauere Diskussion zu führen.
Lassen Sie mich zum Schluß dieser Debatte zurückkehren zum Anfang und zu den beiden Anfragen, die Anlaß dieser Debatte sind. Herr Kollege Lenzer, ich stimme mit Ihnen völlig überein: wir alle leiden etwas darunter, daß wir uns zu unverständlich ausdrücken. Wenn ich nun aber die beiden Anfragen nebeneinander stelle ich will mich zum Inhalt gar nicht äußern —, dann steht für mich eines fest: die Anfrage der CDU/CSU ist mit Sicherheit völlig unverständlich, selbst für die Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses. Das ist bedauerlich im gemeinsamen Interesse, das Sie hier zum Schluß angesprochen haben. Ihre Anfrage war im übrigen hauptsächlich eine Fleißarbeit; da wurden mit der Akribie eines Buchhalters Detailfragen aufgelistet; in keiner Hinsicht wurde irgendeine Art von Alternativ-Konzeption deutlich. Dementsprechend waren auch Ihre Beiträge zur Debatte, zumindest am Anfang.
Trotzdem hat diese Debatte meines Erachtens einen Sinn gehabt. Sie hat nämlich wesentliche und wichtige Punkte der Übereinstimmung aufgezeigt, und sie hat zweitens, was ich für noch viel wichtiger halte, gezeigt, daß es Bereiche gibt, zu denen die Opposition schweigt. Ich deute dieses Schweigen als Zustimmung zur Politik der Bundesregierung.
Ich möchte dies gern an sechs Punkten klarmachen: Erstens sind wir hier in weiten Bereichen einer Meinung, was die Ziele einer Technologiepolitik angeht.
Dies gilt für die Verbesserung der sozioökonomischen Lebensbedingungen. Dabei geht es nicht um Humanität oder so etwas. Da sollten wir schon ganz
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konkret werden, wenn wir über diese Dinge miteinander reden. Es geht auch darum, daß wir durch diese Politik technologische Schlüsselprojekte abdecken, die ein sehr hohes Risiko haben, aber von gesamtgesellschaftlichem Nutzen sind. Es geht darum, daß wir die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft steigern. Das bedeutet auch Sicherung chancengleicher Arbeitsplätze. Wir gehen im übrigen davon aus — möglicherweise in Übereinstimmung mit Ihnen —, daß in Zukunft die Erfüllung öffentlicher Aufgaben stärker im Vordergrund zu stehen hat. Selbstverständlich wird man dabei auch immer zu bedenken haben, inwiefern man diesen Bereich der Politik als Schrittmacher etwa auf dem Weg zur europäischen Einigung, aber auch auf dem Weg zur Entspannung in Europa nutzen kann und nutzen sollte.
Der zweite Bereich betrifft die Verfahren zur Konkretisierung der Ziele. Auch hier gibt es weite Bereiche der Übereinstimmung. Das bezieht sich zunächst auf das Beratungswesen, auf mehr Transparenz; auf ein Beratungswesen also, das so organisiert ist, daß es nicht den Status quo stabilisiert, sondern versucht, Neuerungen aufzugreifen, die draußen in der wissenschaftlichen Diskussion da sind. Das gilt aber auch dafür, daß wir mehr Öffentlichkeit bei den Planungen haben wollen, nicht nur bei der Vorbereitung unserer Gesetze wie des Hochschulrahmengesetzes. Wir befürworten ein Verfahren der Meinungsbildung, wie es bei den Leitlinien praktiziert wurde oder gar bei dem zweiten Datenverarbeitungsförderungsprogramm.
Lassen Sie mich hier ein kritisches Wort an Ihre Adresse, an die Adresse der CDU/CSU, sagen: Ich fand es sehr bedauerlich, daß die Opposition, obwohl sie eingeladen wurde, vom Anfang bis zum Ende an diesem transparenten Planungsprozeß zur Aufstellung des zweiten DV-Programms nicht teilgenommen hat. Es begann mit der Klausurtagung, wenn ich mich richtig erinnere, im Herbst 1969 in Rottach-Egern und hat dann in vielen halb- und ganztägigen Gesprächen während des Jahres 1970 seine Fortsetzung gefunden. An all diesen Gesprächen nahm kein Mitglied Ihrer Fraktion teil, obwohl Sie zu all diesen Veranstaltungen eingeladen waren. Ich finde es nicht richtig, daß Sie gleichzeitig eine mangelnde Bereitschaft der Regierung beklagen, Sie an ihren Überlegungen zu beteiligen. Hier gibt es ganz offensichtlich einen Widerspruch.
Wir stimmen auch darin überein, daß man Förderungsprogramme langfristig aufstellen sollte, daß sie mehrere Jahre umfassen sollten. Sie fordern nun zusätzlich neue Schwerpunkte, neue Prioritäten. Wenn Sie die Arbeiten, die die Bundesregierung zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat und die mittlerweile bis auf eines veröffentlich sind — die Arbeiten der Studiengruppe für Systemforschung, des Zentrums Berlin für Zukunftsforschung, der Prognos AG und von Battelle — in Ruhe einmal durchlesen und durcharbeiten, dann werden Sie feststellen, daß es gerade auf diesem Gebiet nicht damit getan ist, daß man irgendwelche Forderungen aufstellt, sondern daß dies ein unendlich schwieriges Gebiet ist, wo wir alle aufgerufen sind, neue
Vorschläge zu machen und Wege miteinander auszuprobieren, wie dies verbessert werden kann.
Aber die Übereinstimmung bezieht sich auch auf einen dritten Punkt: Wir sind bemüht, durch die Technologiepolitik eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zu erreichen. Das gilt selbstverständlich in allererster Linie für Europa, und dort für den Bereich der EWG. Sie kennen die Vorschläge, die die Bundesregierung dazu entwikkelt hat. Aber gleichzeitig müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß eine Technologiepolitik, die nicht auf einer sektoralen Wirtschaftspolitik aufbaut, im luftleeren Raum schwebt. Deswegen muß es unser Bestreben sein, hier in Europa auf diesen beiden Gebieten parallel vorzugehen. Wir jedenfalls sind daran interessiert, daß man zu supranationalen Einrichtungen kommt. Nur: Wenn man diese will, dann soll man auch ganz klipp und klar sagen, was dies bedeutet, eben eine Abkehr von jener Albernheit, die man mit dem Schlagwort vom „gerechten Rückfluß" umschreibt. Dies ist Bedingung dafür, daß wir in Europa weiter vorankommen.
Lassen Sie mich nun einen vierten Bereich der Übereinstimmung nennen. Wir alle fordern ein verbessertes Projektmanagement. Wir fordern stärkere Programmkontrollen. Wir fordern offensichtlich auch gemeinsame ausschreibungsähnliche Verfahren. Herr Hubrig hat heute in dieser Debatte ausgeführt, daß man den Mut haben sollte, erfolglose Projekte, sobald sie sich als erfolglos herausstellen, auch abzubrechen. Das klingt gut und hört sich fein an. Nur habe ich leider vermißt, von Ihnen Beispiele zu hören, wo Sie eigentlich welche Projekte abbrechen wollen. Nicht nur in dieser heutigen Debatte, sondern auch in den Ausschußberatungen haben Sie dazu geschwiegen. Wie steht es mit dem Airbus? Wie stand es eigentlich mit der Frage des Großrechners? Was ist dort zu fördern? Was ist dort aussichtsreich? Wie steht es mit der Frage der Weltraumforschung? Hier haben wir nie von Ihnen eine Ermunterung gehört, daß man auch einmal die Grundsatzfrage zu stellen hat. Als wir bei dem Statusbericht in Karlsruhe uns darum bemühten, die Dinge wirklich herauszupuhlen, weil wir von der Regierungskoalition der Meinung waren, daß hier mit gezinkten Zahlen gearbeitet wird, dann waren wir doch ziemlich allein. Aber wir freuen uns, wenn Sie hier Ihren Nachholbedarf auffüllen wollen.
Der fünfte Bereich ist die bessere und schnellere Verwertung der Forschungsergebnisse, d. h. der Versuch, die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, alle Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, jährlich Listen herauszugeben mit der Gesamtheit der verwertbaren Benutzungsrechte. Sie ist dabei, eine Datenbank zu erstellen, die diese Dinge für den Benutzer noch leichter abrufbar macht.
Alles dies halten wir für richtig und begrüßen es. Wir sind auch der Meinung, daß der von der Bundesregierung angestrebte Verbund von Grundlagenforschung und Industrieforschung richtig ist. Es gibt keinen Zweifel, daß die Mittel für die Hochschul-
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forschung durch diese Bundesregierung auch im Jahr 1972 kräftig aufgestockt werden.
Wir fordern allerdings, daß im Bereich der Industrieforschung — da bin ich sehr dankbar für die Ausführungen vom Kollegen Lenzer — keine Dauerförderung zustandekommen darf. Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe, denn im Jahr 1970 wurden immerhin 16 % der Gesamtinvestitionen für Forschung und Entwicklung im Bereich der Industrie durch den Bund finanziert. Das zeigt die eminente Gefahr, daß sich hier eben doch Dauerförderungen einschleichen. Wir müssen wissen, daß diese 16 % sich auf einige wenige Industriebereiche konzentrieren, die wir alle genau kennen.
Wir halten es auch für richtig, daß man bei den bestehenden Forschungszentren versucht, neue Aufgaben zu finden. Ich persönlich halte es beispielsweise für ausgesprochen zukunftsreich und erfolgversprechend, wenn man den Bereich der Datenverarbeitung bei den Kernforschungszentren im Rahmen der Förderung der Datenverarbeitung kräftig ausbaut. Das know how, das dort vorhanden ist, sollte man nutzen.
Der sechste und letzte Punkt betrifft den personellen Aspekt. Es werden heute auch das Ausbildungsproblem, das Nachwuchsproblem in der Datenverarbeitung erwähnt, das dringend gelöst werden muß. Deswegen werden wir in den nächsten vier Jahren im Bereich der Datenverarbeitung ungefähr sechsmal so viel Geld ausgeben, wie in den vergangenen Jahren, und zwar mit dem Schwerpunkt verbesserter Ausbildungsmöglichkeiten. Wir treten dafür ein, daß wir eine erhöhte Mobilität zwischen den einzelnen Forschungsinstituten, aber auch zwischen Forschungsstellen staatlicher und privater Art in Zukunft haben.
All dies darf jedoch nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Ihr Antrag Umdruck 254 tut dies, wenn er davon ausgeht, es komme nur darauf an, die Techniken des modernen Management in den staatlichen Forschungsbereichen einzusetzen. Ich mache kein Hehl daraus: Ich halte dies für ein mindestens zu kurz gedachtes Argument. Woran es wirklich fehlt, das sind die Leute, die diese Arbeit machen können, d. h. wir müssen durch eine gezielte Ausbildungspolitik die Führungskräfte in den Forschungsstellen auf ihre Aufgaben entsprechend vorbereiten; denn nicht jeder Wissenschaftler ist zwangsläufig auch ein guter Manager.
Lassen Sie mich nun zum Schluß aber noch auf jene Punkte zu sprechen kommen, die offensichtlich nicht so ganz unumstritten sind.
Wenn beispielsweise gefordert wird, daß wir in der Bundesrepublik bei der Verwertung der Forschungsergebnisse ausschließlich oder vornehmlich dem Wirtschaftswachstum dienen sollten, so lassen Sie mich entgegenhalten: Für mich und meine politischen Freunde ist Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck, sowenig wie Innovation für sich genommen eine Richtschnur ist. Ich möchte in diesem
Zusammenhang mit Genehmigung des Präsidenten einen Satz aus einer Schrift zitieren, die die DFG vor kurzem herausgegeben hat. Dort heißt es:
So wird beispielsweise angeführt, daß das Laissez-faire-Prinzip der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts durch ein Laissez-innover-Prinzip im 20. Jahrhundert ersetzt wurde. Beiden gemeinsam ist das Vertrauen in die Selbstregelung eines Systems, wobei sich das Laissez-faire-Prinzip bereits als ungeeignet erwiesen hat.
Ich meine, wir sollten daraus lernen. Die Innovation ist eben daran zu messen, welchen Beitrag sie zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben leistet. Hier geht es nicht nur um Wirtschaftswachstum.
Sie alle wissen, daß die OECD-Konferenz dazu klar Stellung genommen hat. In einem Papier dieser Wissenschaftskonferenz vom Oktober dieses Jahres heißt es: „Die Herausforderung an die Wissenschaftspolitik lautet, einen maximalen Beitrag zum sozialen Fortschritt zu sichern." Ich bin der Meinung, dies ist richtig.
Das Beispiel Japan mit dem 20-Jahres-Plan ist bereits angesprochen worden. Auch dort wird klar und deutlich gesagt, daß es darum geht, die Mängel im öffentlichen Investitionsbereich als eine Herausforderung an die Technologiepolitik zu begreifen. Mittlerweile, vor wenigen Wochen, ist in Japan die Studie „Technologische Strategien im Informationszeitalter" erschienen, die das noch verdeutlich und konkretisiert. Es handelt sich um einen internationalen Trend, dem wir uns nicht verschließen sollten.
Ich sehe hier einen gewissen Widerspruch zu dem, was Herr Hubrig in der Öffentlichkeit gesagt und heute in der Debatte wiederholt hat: daß die Verwertung von Forschungsergebnissen nur Aufgabe der Wirtschaft sein könne bzw. daß die Innovation nur eine Aufgabe für die Industrie sei.
Ich meine, das bedeutet nicht nur eine Absage an ein partnerschaftliches Verbundsystem zwischen Industrieforschung und dem, was man staatliche Forschung nennt, sondern dies bedeutet auch eine Verstümmelung der staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik zu einem willenlosen Anhängsel der großen Wirtschaftsunternehmen, die, wie Sie es fordern, Forschungsergebnisse unmittelbar verwerten können und die dabei nur einen einzigen Zweck im Auge haben: die Investitionskosten im Forschungs- und Entwicklungsbereich zu sozialisieren, um dadurch die privaten Gewinne zu erhöhen. Hier gibt es ganz offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit, die wir in aller Ruhe austragen sollten.
Wir Sozialdemokraten jedenfalls verstehen uns nicht als der verlängerte Arm der Industrie,
sondern wir versuchen in der Tat, dieses partnerschaftliche Verbundsystem zwischen Grundlagenforschung und Industrieforschung einzurichten; es
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also nicht nur verbal zu fordern, sondern auch konkret zu verwirklichen. Wir bejahen die Marktwirtschaft und wissen, daß jede staatliche Förderung ein Außerkraftsetzen marktwirtschaftlicher Regeln bedeutet. Im übrigen werden wir den Nutzen technologischer Großprojekte vornehmlich daran messen, ob sie einen Beitrag zur Lösung öffentlicher Aufgaben leisten.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Bundeskanzler Brandt aus seiner wichtigen Rede vor dem Deutschen Industrie- und Handelstag:
Ohne Reformen, ohne grundlegende Verbesserungen der Infrastruktur und damit ohne Steigerung des staatlichen Leistungsangebots für den Bürger ist wirtschaftliches Wachstum langfristig weder möglich noch sinnvoll.
Ich meine, daran sollten wir auch die Technologiepolitik messen.