Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst ein paar Bemerkungen zu meinem Vorredner machen. Herr Minister Leussink hat sinngemäß gesagt, Kontinuität sei für ihn gleichbedeutend mit Fortschritt und Neuheiten bedeuteten für ihn nicht absolut Fortschritt. Wir würden ihm in dieser seiner Meinung vollkommen zustimmen, wenn wir nicht hinter dieser verbal schön klingenden Äußerung nichts anderes zu sehen hätten als Untätigkeit. Er redet von langfristigen Projekten für Umwelttechnologien und medizinische Technologien. Ich frage: Wo sind die Ansätze dazu? Alles, was Sie gesagt haben, ist nichts anderes als Absichtserklärung.
Der Herr Minister versteigt sich sogar dazu, daß er seine Aktivitäten in den letzten beiden Jahren und die Aktivitäten der Bundesregierung mit dem vergleicht, was Japan seit 1952 in ungeheurer Akribie, von der man diesem Ministerium nur ein bißchen wünschen möchte, vorantreibt.
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Dr. Probst
Sehr gefreut haben wir uns, nicht nur ich, sondern auch meine politischen Freunde, über die Ausführungen vom Herrn Kollegen Grüner, die wir fast deckungsgleich übernehmen möchten. Ich habe nur die Befürchtung, daß der Anfang seiner Ausführungen im Sinne von Professor Lohmar möglicherweise zu technokratisch gewesen ist.
Denn er hat einige Dinge real angesprochen. Immerhin — Herr Raffert, ich hoffe, Sie werden uns da unterstützen : wenn Herr Grüner einen Antrag stellen sollte, daß ein besonderer Schwerpunkt auf dem sozial-humanen Gebiet gebildet werden soll oder nur definiert werden soll, dann werden wir diesen Antrag unterstützen; denn das deckt sich mit dem, was auch wir möchten.
Sehr wenig möchte ich zu den Ausführungen von Professor Lohmar sagen. Ich möchte das, was er hier dargelegt hat, eine sehr distanzierte, nahezu der Welt entrückte, schöngeistige Technologiepolitik nennen. Wenn er frühere Vorstellungen über Technologiepolitik „naive technokratische Betrachtungsweise" nennt, so möchte ich seine Ausführungen nicht minder naive soziologische Betrachtungsweise nennen.
Er sprach noch von der Kooperation der Mittleren und Kleinen, daß hier Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Wo sind die Schwerpunkte? Sie hatten zwei Jahre Zeit.
Sie haben auch das Problem der Leitlinien als einen ganz neuen Durchbruch gefeiert.
Wenn Sie Verbindung zu den Leuten haben, die Ihre Leitlinien angehen, dann werden Sie mir beipflichten, daß kaum etwas bei dem großen Stab der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Forschungsinstituten so heftig kritisiert wird und so viel Enttäuschungen hervorgerufen hat wie Ihre Leitlinien.
Die Leute haben sich etwas versprochen, und Sie haben ihnen nichts gebracht. Im Gegenteil, Sie haben an den Instituten damit allenfalls Verwirrung geschaffen.
Herr Professor Lohmar, Technologiepolitik kann schöngeistig gesehen werden, aber sie muß natürlich auch in harten Realitäten diskutiert werden.
Die Antwort der Bundesregierung — wenn Sie sie genau lesen, werden Sie mir beipflichten — auf unsere Anfrage ist unerhört mager ausgefallen. Fast möchte man sie als Zumutung empfinden, weil sie das Parlament so behandelt, als würde dieses Gremium die Probleme der Wissenschafts- und Forschungsförderung im Grunde nichts angehen. Es gibt nur Absichtserklärungen und Beteuerungen, nirgends neue Ansätze. Wer die Aktivitäten in den
letzten zwei Jahren näher verfolgt hat, Herr Raffert, gewinnt den Eindruck, daß die Technologiepolitik nur als Nebengebiet der Bildungspolitik betrieben wird, sozusagen von der linken Hand, und das ein wenig auch im doppelten Sinne.
— Das erkennen Sie völlig richtig. So wie Sie betroffen sind, so war es auch gemeint. Es ist nicht verwunderlich. Denn seit 1969, seit Bestehen dieser Bundesregierung, hat es eine Schwerpunktverlagerung im zuständigen Ministerium von der Forschungs- und Innovationsförderung hin zur Bildungsförderung gegeben.
Das wurde besonders dadurch sichtbar, daß der größte Teil der Aktivitäten sowohl im Ministerium als auch im zuständigen Bundestagsausschuß sich mit bildungspolitischen Fragen befaßte. Es wurden wunderschöne Pläne entwickelt, großen bunten Luftballonen gleich, manchmal mit rosa Luft gefüllt.
Bei Durchrechnung dieses herrlichen Denkmodells traten allerdings ungeheure Kosten zutage, die zu tragen bei uns im Lande niemand in der Lage ist. Es gibt deshalb bis heute keinen Finanzierungsplan. Der Tag der Wahrheit ist nahe, wo die Bundesregierung, insbesondere auch das BMBW, bekennen muß, daß die herrlichen Versprechungen nicht verwirklicht werden können,
ja daß der Bürger selbst für kleine Teilansätze stark zur Kasse gebeten werden muß.
Die Konfusion im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ist derzeit groß und treibt die tollsten Blüten, wie die eben von Minister Leussink noch einmal dementierte Erwägung einer Sonderbesteuerung der Akademiker zeigt.
Ich frage mich, warum denn die Bundesregierung einen Forschungsauftrag finanziert, wenn sie nicht eine konkrete Absicht damit verbindet, tatsächlich so etwas unternehmen zu wollen.
Man könnte in gleicher Weise ein Konversationslexikon entlang mit Forschungsaufträgen versehen und finanzieren, wenn nicht eine politische Absicht in einer entsprechenden Richtung vorhanden wäre.
Ich meine nur, die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den großen Forschungsinstituten werden sich sehr freuen, wenn sie nunmehr von der Bundesregierung, von der sie teilweise so viel, ja viel zuviel, erwartet hatten, für ihre Anstrengung in einer akademischen Ausbildung zur Kasse gebeten werden sollen.
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Dr. Probst
Ausdruck der Konfusion, die auch zu personeller
Zerstrittenheit der Führungsmannschaft im BMBW führt, ist das spektakuläre Ausscheiden der Frau Kollegin Hildegard Hamm-Brücher.
— Nur langsam, nur langsam, Herr Kollege Raffert.
— O Herr Kollege Moersch, Sie wissen, daß wir sie seinerzeit schon sehr gern bei uns gesehen hätten vor etwa einem halben Jahr. Damals
sagte der Herr Minister in einer Rede in diesem Hause, daß er sie für völlig unentbehrlich hält. Nun sieht er sie von dannen ziehen.
Man fragt sich, wie das kommt. Ist die Beurteilung der Staatssekretärin plötzlich so viel schlechter geworden? Das doch sicher nicht.
Die Politik der Regierung muß wohl so unbefriedigend sein — so unbefriedigend, so konfus, ja aussichtslos —, daß es Frau Hamm-Brücher, der man ja einen gewissen Ehrgeiz nicht absprechen kann, geraten schien, rechtzeitig von dannen zu eilen.
Diesen ganzen Hintergrund muß man sehen,
wenn man das Treibenlassen der Forschungs- und Technologiepolitik der heutigen Bundesregierung begreifen will. Seit Stoltenberg ist praktisch nichts Neues geschehen.
Alte Programme wurden weitergeführt oder auslaufen gelassen. Dabei wird des modernen Image wegen von gesellschaftspolitischer Relevanz gesprochen, wobei es der Phantasie des anderen überlassen bleibt, was man darunter verstehen mag.
Bei aller Verständigungsschwierigkeit in der öffentlichen Diskussion zum Thema Technologiepolitik — Verständigungsschwierigkeiten deshalb, weil sie einen sehr hohen Sach- und Fachverstand erfordert — ist man sich darin einig, daß es ohne genügende wissenschaftlich-technologische Entwicklung nicht möglich ist, an der Spitze der Industrienationen zu bleiben.
Deutschland ist ein typisches Veredelungsland, das mehr von der Veredelungskraft seiner Wirtschaft lebt als jedes andere. Kein Land ist deshalb stärker darauf angewiesen, mit an der Spitze zu bleiben — bei aller gesellschaftlicher Bezogenheit —, als wir.
Hier gilt es, die Dimensionen für die künftige Entwicklung richtig zu sehen und echte Schwerpunkte zu setzen.
Wir können es uns nicht leisten, die Politik von Wissenschaft, Technologie und Innovationsförderung treiben zu lassen — auch nicht einmal für ein Jahr.
Deutsche Technologiepolitik ist heute untrennbar mit der europäischen Technologiepolitik verbunden. Viele Dinge lassen sich national nicht lösen, weil sie zu aufwendig und teuer sind und nur in Gemeinschaftsarbeit bewältigt werden können.
So viel zur allgemeinen politischen Situation.
Namens der CDU/CSU-Fraktion werde ich nun zu einzelnen konkreten Themen Stellung nehmen,
nämlich erstens zu Fragen der Luft- und Raumfahrt, die Sie sich kaum zu erwähnen trauen, nicht zuletzt deshalb, weil Sie hier offenbar keinerlei Perspektiven aufzuzeigen haben, wie es weitergehen soll,
zweitens zur Frage neuer Verkehrstechnologien und drittens zu Umwelttechnologien.
Die Bundesregierung spricht in ihrer Antwort von bemerkenswerten Erfolgen der bisherigen Weltraumprogramme, insbesondere auf dem Gebiet der Weltraumforschung.
Bei aller Würdigung dieses ungewöhnlichen Kompliments gegenüber früheren Bundesregierungen der CDU/CSU vermissen wir aber eine präzise Aussage über die gegenwärtigen Probleme und die zwischenzeitlich von der Bundesregierung während ihrer Amtszeit definierten Programme und getroffenen Entscheidungen. Seit 1969 ist ein Basisprogramm für Luft- und Raumfahrt angekündigt. Bis heute läßt es auf sich warten. Das ist ein hartes, realistisches Faktum, das mit schöngeistiger Betrachtung gar nichts zu tun hat. Sicher kann man über den Umfang der Luft- und Raumfahrtförderung unterschiedlicher Meinung sein. Man kann jedoch nicht umhin, sich auf ein langfristiges Programm festzulegen. Das ist hier notwendiger als auf irgendeinem anderen Gebiet, weil es sich um sehr komplizierte Organismen der Zusammenarbeit handelt. Die Situation ist jetzt so, daß eine Reihe von Projekten ausläuft. Nachfolgeprogramme müssen heute in Sicht sein, wenn die Teams, die vorhanden sind, bestehenbleiben sollen. Die vorhandenen Mitarbeiterstäbe drohen zu zerfallen, wenn sie keine neuen Aufgaben erkennen können. Sie werden sicher irgendwo in die Industrie abwandern, wo solche Kräfte als Experten begehrt sind. Es ist nicht zweckmäßig, bei neuen Projekten wieder neue Teams zu suchen, die erst wieder ihre Erfahrungen von neuem sammeln müssen. Ein derartiges Verfahren kommt so teuer, daß wir es uns nicht leisten können. Befürchtungen in dieser Richtung gibt es bei wissenschaftlichen Instituten und Einrichtungen bis hin zur GfW
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und DFVLR und auch bei der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Im wesentlichen geht es in der Folge um zwei Teilbereiche: erstens um wissenschaftliche Programme, die weniger problematisch erscheinen, und zweitens um die Frage der Verfügbarkeit eines Trägersystems für Nutzsatelliten in Europa. Es ist weitgehend unbestritten, daß Europa, wenn es ein ernst zu nehmender Partner bleiben will, bei der wirtschaftlichen Bedeutung von Anwendungssatelliten über Träger von genügender Größe verfügen muß, um Nutzsatelliten in den Weltraum zu schießen.
Die billigste Möglichkeit, Herr Raffert — darin stimmen wir sicher überein —, sie verfügbar zu machen, wäre, diese Trägersysteme in den USA zu kaufen oder sie bei uns in Lizenz zu bauen. Da dies trotz des Briefes von Staatssekretär Johnson, der wohl noch keine ausreichenden Garantien enthält, bis heute aus mancherlei Gründen nicht möglich ist, wird man in Europa gezwungen sein, an einem eigenen Trägersystem zu arbeiten. Auch wenn es Rückschläge und Mißerfolge geben wird, wird man dies tun müssen. Ob es später über die Beteiligung am Post-Apollo-Programm möglich sein wird, die Verfügungsgewalt über Trägerraketen für Anwendungssatelliten zu erhalten, ist bisher noch offen. Sie finden in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" eine interessante Analyse von Rudolf Metzler zu diesem Thema.
— Sie sollten diesen Bericht lesen, Herr Raffert; er wird Ihre technologischen Kenntnisse auf diesem Gebiet ungemein bereichern können.
Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, daß sich die europäische Beteiligungsmöglichkeit aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt aus militärischen, mehr und mehr auf technologisch weniger interessante Details konzentriert. Metzler kommt in der „Süddeutschen Zeitung" zu dem Ergebnis:
Ein solcher europäischer Beitrag wäre allzu bescheiden und im Hinblick auf das Gesamtprogramm zu simpel, als daß er die dafür benötigten Raumfahrtgelder rechtfertigen könnte. Sie wären für die eigene Entwicklung der EuropaIII-Rakete weitaus vielversprechender ausgegeben.
Ich bin nicht der Meinung, daß wir unter allen Umständen ein eigenes Trägersystem auf der Basis der Europa-III-Rakete entwickeln müssen. Es kommt darauf an, ob es für uns die Verfügungsmöglichkeit von seiten der Amerikaner geben wird. Andernfalls werden wir gezwungen sein, selbst zu versuchen, an ein Trägersystem heranzukommen.
Gerade wegen der Mißerfolge der Europa-II-Rakete und wegen der Kompliziertheit der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere auch mit den USA, fordert die CDU/CSU die Einrichtung einer europäischen Raumfahrtbehörde, die die bisherigen europäischen Aktivitäten zusammenfaßt. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie der Herr Minister an dieser Stelle von einer unerhörten technologischen Romantik sprechen kann. Fast erinnern seine Ausführungen an das fatale Zitat von Bundeskanzler Willy Brandt, daß Europa die Aufgabe für spätere Generationen sei.
Die Raumfahrtbehörde muß so angelegt sein, daß sie auch tatsächlich in der Lage ist, das von uns geforderte langfristige Programm auf fünf Jahre im Detail, auf zehn Jahre im großen und für mehr als zehn Jahre im Konzept zu übernehmen. Das bedeutet, daß eine derartige „Europäische NASA", wie sie wohl richtig genannt wurde, auch die Befugnis zur Ausschreibung, Vergabe und Kontrolle der Projekte, die im Rahmen genehmigter Programme durchgeführt werden, haben muß. Das heißt auch, daß eine solche Behörde die Koordination zwischen den europäischen und nationalen Programmen und die Rolle des Sprechers Europas in Raumfahrtfragen übernehmen muß.
Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, unseren Antrag Umdruck 251 *) offen und mit Nachdruck zu unterstützen.
Einen weiteren Schwerpunkt sieht die CDU/CSU-Fraktion in einer möglichst raschen Nutzbarmachung neuer Verkehrstechnologien. Für den Ausbau des Verkehrssystems werden in Zukunft noch sehr hohe Mittel angelegt werden. Um Fehlinvestitionen zu vermeiden, müssen die heute bereits sichtbaren neuen Verkehrstechnologien berücksichtigt werden. Es läßt sich schon abschätzen, daß ein Hochleistungsschnellbahnsystem große Bedeutung haben wird.
Die Bundesrepublik — so stellt es sich jedenfalls dar — hat in der Entwicklung der Magnetschwebetechnik, die sich wohl durchzusetzen beginnt, ein Jahr Vorsprung. — Herr Kollege Hauff, ich möchte Ihnen empfehlen, sich einmal dieses Projekt ernst zu Gemüte zu führen; Sie werden sicher auf dem Gebiet einiges dazulernen können.
Hier ist ein echter Schwerpunkt, weil wir die Chance haben, auf einem Gebiet echt führend zu sein.
— Die Bundesregierung findet die Weiterführung dieses Projektes offenbar nicht so komisch; denn sie hat das Geld auf Grund eines Antrags, den wir im Sommer dieses Jahres gestellt haben, schon eingeplant.
Die in Diskussion stehende Großversuchsstrecke muß ohne Verzögerung in Angriff genommen werden. Die Magnetschwebetechnik scheint
*) Siehe Anlage 11
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deshalb besonders interessant, weil sie umweltsauber ist und mit wenig Verschleiß bei wenig Energieaufwand eine sehr hohe Leistungsfähigkeit verspricht. Mit einer Geschwindigkeit von 500 Stundenkilometern wird sie die Siedlungs- und Wirtschaftszentren verbinden. Es ist selbstverständlich, daß sie im Falle ihrer Verwirklichung großen Einfluß auf den Autoverkehr, den Flugverkehr und den herkömmlichen Schienenverkehr haben wird. Insbesondere dürfte der Flugnahverkehr entscheidend beeinflußt werden. Die Bundesregierung sollte deshalb neben der technologischen Förderung ihre Ankündigung vom 27. Februar 1971 wahrmachen, eine Verkehrsstudie über das Zusammenwirken der einzelnen Verkehrssysteme etwa in einem Generalverkehrsplan vorzulegen. Nach Ankündigung in der Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache VI/ 1927 sollte das ja noch in diesem Jahr geschehen. Leider warten wir bisher vergebens.
Neben dem überregionalen Verkehr kommt der Bewältigung des Verkehrs in Ballungsräumen und Städten große Bedeutung zu. Sicher kann man davon ausgehen, daß es eine autogerechte Stadt nicht geben kann, daß es wahrscheinlich auch keine U-Bahnoder S-Bahn-gerechte Stadt gibt. Wenn die Städte dem Verkehr gewachsen sein sollen, ist es notwendig, zusätzliche Verkehrssysteme, die auf neuen technologischen Grundlagen stehen, anzubieten. Hierzu gibt es eine Reihe von Vorschlägen auf dem Reißbrett. Leider ist seit einem Jahr keinerlei Aktivität auf diesem Gebiet sichtbar. Es erscheint unerläßlich, daß die Bundesregierung unverzüglich Modellversuche in Großstädten oder Vorstädten durchführen läßt.
Die Bundesregierung wendet jährlich eine halbe Milliarde DM für die Förderung des innerstädtischen Nahverkehrs auf. Bei dieser Summe müßte es möglich sein, wenige Millionen für einen Modellversuch verfügbar zu machen, der Fehlinvestitionen vermeiden hilft. Die Verbesserung des innerstädtischen Verkehrs auf der Grundlage neuer Verkehrstechnologien ist im Hinblick auf Abgase und Lärm ein Umweltproblem ersten Ranges.
Einen wichtigen Schwerpunkt hätte die Bundesregierung, speziell das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, in der Frage der Bewältigung der Umweltprobleme zu sehen. Fast alles im Lande spricht von Umweltschutz; dabei wird zu wenig differenziert. Seitens der Bundesregierung wird das Thema zu sehr im Kompetenzbereich diskutiert. Das ist unnötig, denn fast jedes Ministerium könnte eine wichtige Aufgabe hierin erfüllen. Das BMBW hat sich natürlich nicht um Landschaftsschutz zu kümmern. Es müßte der Frage der Umwelttechnologien im weitesten Sinne nachgehen. Ein echter Schwerpunkt ist hier nicht sichtbar. Zwar ist begrüßenswert, daß sich das frühere Institut für Strahlenforschung in Neuherberg neuerdings auch mit Umweltfragen befaßt. Die Aktivität ist naturgemäß stärker auf die medizinische Seite hin ausgerichtet und kann im wesentlichen die Frage der Belastbarkeit des Organismus durch Fremdstoffe und schädliche Einflüsse umfassen. Die Frage der Umwelttechnologien liegt bis heute weitgehend brach
1 oder ist wenigstens nicht koordiniert. Dabei sind oft einfache Probleme nicht geklärt, z. B. im Bereich der Meßtechniken.
Ich fasse der Zeit wegen summarisch zusammen. Wir brauchen einfache, rasch durchführbare, billige und dabei genügend genaue Meßmethoden zur Erfassung von Schadstoffen und schädigenden Einflüssen. Wir brauchen eine Anlaufstelle für die Förderung umweltfreundlicher Technologien im prophylaktischen Sinne, und wir brauchen die Zusammenfassung und Entwicklung umwelttherapeutischer Technologien, um der Aufgabe der vielfach diskutierten Verbesserung der „quality of life" gerecht zu werden. Wir fordern deshalb die Regierung auf, unverzüglich eine Zentralstelle für Umwelttechnologien und Meßtechniken einzurichten, die sich mit der Bewältigung der angedeuteten Probleme befaßt.
Noch ein Schlußgedanke: Technologieförderung und Bildungsförderung stellen nach unserer Meinung keine Alternative dar. Wir betrachten vielmehr Forschung und Entwicklung als Voraussetzung für einen langfristigen Erfolg im Wirtschaftswachstum. Dabei ist Wirtschaftswachstum im Sinne von dem, was Herr Grüner ausgeführt hat, für uns selbstverständlich verbunden mit Verbesserung von Infrastruktur auf allen sich zeigenden und notwendigen Gebieten. Insofern ist die Technologieförderung auch eine wichtige materielle Voraussetzung für die Vorhaben auf dem Gebiete der Bildungspolitik. Lassen Sie uns deshalb in der Forschungs- und Technologiepolitik, einem Gebiet, das sich für Politisierung nicht unbedingt anbietet, neue gemeinsame Anstrengungen unternehmen!