Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich dem Herrn Kollegen Dr. Kopf zum 65. Geburtstag.
Es liegt Ihnenn eine Liste betreffend Überweisung von Vorlagen, die keiner Beschlußfassung bedürfen, an die zuständigen Ausschüsse gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung vor:1. Vorlage des Sprechers der deutschen Delegation in der Beratenden Versammlung des EuroparatesBetr.: Bericht über die Tagung der Beratenden Versammlungdes Europarates vom 2. bis 6. Mai 1966— Drucksache V/664 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß2. Vorlage des Präsidenten des Europäischen Parlaments Betr.: Entschließung betreffend die Schaffung eines Europäischen Jugendwerks-- Drucksache V/666 —zuständig: Ausschuß für Familien- und Jugendfragen , Auswärtiger Ausschuß3. Vorlage des Bundesministers des Innern und des Bundesministers für Arbeit und SozialordnungBetr.: Versorgung der Angehörigen des ehemaligen reichseigenen Deutschen Nachrichtenbüros
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 1. Juli 1965— Drucksache V/668 —zuständig : Innenausschuß— Gegen die Überweisung erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 3. Juni 1966 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1966
Drittes Gesetz zur Änderung des EignungsübungsgesetzesFünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.Zum Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Familie und Jugend hat am 1. Juni 1966 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Klee und Genossen betr. Ausbildung von Fachkräften für die internationale Jugendarbeit — Drucksache V/638 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/671 verteilt.Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat am 7. Juni 1966 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Korspeter, Rehs, Bartsch, Kaftka, Hirsch, Lemper und der Fraktion der SPD betr. Gesetz betreffend Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus der SBZ — Drucksache V./646 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/677 verteilt.Der Bundesminister für Familie und Jugend hat am 8. Juni 1966 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Pitz-Savelsberg, Frau Schroeder , Russe (Bochum), Winkelheide, häussler und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Ausbildungsförderung — Drucksache V/641 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V!682 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft hat am 13. Juni 1966 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel , Rawe, Berger, Dr. Ritz und Genossen betr. private Altersheime — Drucksache V/642 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/684 verteilt.Der Bundesminister für Gesundheitswesen hat am 3. Juni 1966 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 22. Mai 1962 über die Entwicklung der Umweltradioaktivität im Jahre 1965 berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache V.678 verteilt.Der Präsident des Bundesversicherungsamtes hat am 27. Mai 1966 die Abrechnung über die Rentenzahlungen und Beitragserstattungen in der Rentenversicherung der Angestellten für das Kalenderjahr 1965 zur Kenntnis übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichneteNeununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966
— Drucksache V/1667 —dem Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966
— Drucksache V/659 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 30. Juni 1966Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -— Drucksache V/665 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 30. Juni 1966Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966
— Drucksache V/674 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 30. Juni 1956.Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein und beginnen mit der1. Fragestunde— Drucksache /681 —Ich rufe zunächst die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Bevor ich aber Ihnen, Herr Staatssekretär,
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2230 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Präsident D. Dr. Gerstenmaierdas Wort zur Beantwortung gebe, möchte ich den Herrn Bundesjustizminister bitten, die damit zusammenhängende Frage zu beantworten; denn erst nach seiner Antwort wird die Frage, die Ihnen gestellt ist, verständlich. Ich rufe also die Frage V//3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Becher — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf:Welche Maßnahmen wurden getroffen, um die Feststellung undgerichtliche Ahndung von Verbrechen einzuleiten, die an deutschen Soldaten, Kriegsgefangenen und an deutschen Zivilpersonen während und nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere bei den Vertreibungsaktionen, begangen wurden?Bitte, Herr Bundesjustizminister!
Herr Kollege, in Anbetracht der Bedeutung der Sache wird die Antwort etwas länger werden.
Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß vor deutschen Gerichten bereits eine Reihe von Verfahren anhängig war, in denen an Deutschen begangene Verbrechen abgeurteilt wurden. Mit der Frage, in welchem Umfang außer den NS-Verbrechen auch die Verbrechen an Deutschen aufgeklärt werden sollten, deren Täter dem Zugriff der deutschen Justiz entzogen sind, haben sich die hierfür zuständigen Justizminister der Länder schon anläßlich der Errichtung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg im Jahre 1958 befaßt. Damals hatte das Bayerische Staatsministerium der Justiz vorgeschlagen, die Zentrale Stelle auch mit der Aufklärung dieser Verbrechen zu beauftragen. Der Antrag wurde jedoch aus der Erwägung abgelehnt, daß die beiden Tatkomplexe zu verschieden seien. Im Jahre 1964 wurde die Verfolgung der Vertreibungsverbrechen erneut in einer Besprechung der Justizminister behandelt. Dabei bestand Einigkeit darüber, daß Verfahren wegen solcher Taten nicht ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung eingestellt werden sollten, der Täter lebe im Ausland und sei daher dem Zugriff der deutschen Justiz entzogen; es solle vielmehr in jedem Einzelfall geprüft werden, welche Ermittlungen möglich und notwendig seien.
Mit Rundschreiben vom 10. Juni 1965 an die Landesjustizverwaltungen hat mein Vorgänger Dr. Weber darauf hingewiesen, daß zwar ein Großteil dieser Verbrechen heute aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht mehr verfolgt werden kann, daß aber der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und das Gerechtigkeitsgefühl die Durchführung der noch möglichen Ermittlungen und die Sicherung des vorhandenenn Beweismaterials gebieten. Mit dem Anliegen dieses Schreibens beschäftigte sich die 33. Justizministerkonferenz am 29. Oktober 1965 in meiner Gegenwart in Bremen und faßte einstimmig folgende Entschließung:
Die Justizminister und -senatoren sind der Auffassung, daß Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem letzten Krieg, namentlich bei der Vertreibung, an Deutschen begangen worden sind, mit Nachdruck zu verfolgen sind, soweit die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierzu bestehen. Dabei sollen zusammengehörende Tatkomplexe möglichst von derselben Staatsanwaltschaft bearbeitet werden.
Hier darf ich allerdings bemerken, daß heute wegen des Eintritts der Verjährung nur noch Mordtaten verfolgbar sind — parallel den NS-Verbrechen —; außerdem können echte Widerstandshandlungen wegen der Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit durch den Überleitungsvertrag nicht verfolgt werden. Nur in den heute noch verfolgbaren Fällen kommt ein Tätigwerden der Justiz in Betracht.
Wegen der Frage, welche Staatsanwaltschaften mit der Bearbeitung der einzelnen Komplexe beauftragt werden sollen, habe ich mich mit Schreiben vom 7. Januar 1966 an die Landesjustizverwaltungen gewandt. Die Erörterungen hierüber konnten in der Justizministerbesprechung am 21. April 1966 in Bonn noch nicht abgeschlossen werden. Die Frage soll nunmehr im Herbst in der Justizministerkonferenz in Kiel endgültig geklärt werden. Schon jetzt hat mir der Bayerische Staatsminister der Justiz, Dr. Ehard, in einem persönlichen Schreiben mitgeteilt, falls es zu der von mir angeregten Verteilung der Tatkomplexe komme, werde sich Bayern mit der Übertragung der Untersuchung und Entscheidung hinsichtlich der an Sudetendeutschen begangenen Verbrechen auf ein bayerisches Gericht einverstanden erklären.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist die Bundesregierung nicht auch der Überzeugung, daß in vielen Fällen eklatant begangener Massenverbrechen allein schon das Ansuchen um Rechtsbeihilfe in ausländischen Staaten geeignet wäre, das verletzte Rechtsgefühl vieler Hunderttausender von Angehörigen der Opfer zu beschwichtigen und ihnen den Glauben an die Unteilbarkeit des Rechts zurückzugeben?
Ich darf bemerken, daß die Staaten, die hier in Frage kommen, wohl alle — oder in der Hauptsache — kommunistische Staaten sind und daß die Möglichkeiten, dort etwas zu erreichen, demgemäß minimal sein dürften.
Noch eine Zusatzfrage zu der Antwort des Herrn Bundesjustizministers? — Bitte sehr!
Herr Minister, ist die Bundesregierung in der Lage, darüber Auskunft zu geben, ob die zur Zeit in Prag befindliche Kommission der Ludwigsburger Zentrale bei den tschechoslowakischen Justizbehörden auch Erkundigungen nach den Urhebern der Verbrechen anstellt, die durch die Ermordung von etwa 240 000 Sudetendeutschen begangen worden sind?
Die Zentrale Ludwigsburg, die ihre Kommission dorthin entsandt hat, untersteht nicht dem Bundesministerium der Justiz, sondern den Landesjustizverwaltun-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2231
Bundesminister Dr. Jaegergen. Aber ich glaube sagen zu können: da die Zentrale Ludwigsburg nach ihrer Zweckbestimmung, die ich eben umrissen habe, nur für die Aufklärung von NS-Verbrechen bestimmt ist, während für die anderen Verbrechen eine Zentrale in Salzgitter errichtet worden ist, kann ich nicht annehmen, daß die Kommission von Ludwigsburg solche Aufträge hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die tschechoslowakische Regierung hinsichtlich jener Personen, die sich nach 1945 an Verbrechen gegen die deutsche Bevölkerung oder gegen deutsche Kriegsgefangene beteiligt haben, bereits 1946 eine Generalamnestie erlassen hat?
Diese Tatsache habe ich selbst — damals noch nicht als Minister, sondern als Abgeordneter am 25. März vorigen Jahres in der Verjährungsdebatte hier im Deutschen Bundestag erwähnt; sie ist also bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann kommen wir zur Frage des Abgeordneten Dr. Becher aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um für die Öffentlichkeit des In- und Auslandes das volle Ausmaß der Verbrechen, die an deutschen Soldaten, Kriegsgefangenen und an deutschen Zivilpersonen während und nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere bei den Vertreibungsaktionen begangen wurden, zu dokumentieren?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundespresse- und Informationsamts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung betrachtet es als ihre Aufgabe, die deutsche Bevölkerung über alle wichtigen, das deutsche Schicksal betreffenden Fragen zu unterrichten und der Öffentlichkeit des Auslandes ein wahrheitsgetreues Bild von der deutschen Wirklichkeit zu vermitteln. Zu dem Hintergrund dieser Wirklichkeit gehört auch das schmerzliche Kapitel der während und nach dem zweiten Weltkrieg an Deutschen begangenen Verbrechen, insbesondere im Zusammenhang mit den Vertreibungsaktionen.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß in gewissen Staaten ein Interesse daran besteht, diese Vorgänge zu verschweigen oder umzudeuten. Sie hat es daher schon vor einer Reihe von Jahren als ihre Pflicht angesehen, solchen Tendenzen und Darstellungen durch eine zuverlässige Dokumentation und deren Verbreitung im In- und Ausland entgegenzutreten.
Im Auftrag der Bundesregierung hat eine wissenschaftliche Kommission den Gesamtvorgang der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa untersucht. Ihre Forschungsergebnisse sind in einer achtbändigen Dokumentation mit drei Beiheften veröffentlicht, die auch Angaben über Verbrechen enthalten. Sie ist im Buchhandel erhältlich sowie im In- und Ausland weit verbreitet worden. Gestrafft liegen diese Forschungsresultate ferner auch in einer vierbändigen englischen Ausgabe vor. Sie wird kostenlos an Interessenten abgegeben. Ungefähr die Hälfte der Auflage wurde im Ausland an Parlaments-, Staats-, Universitäts- und andere Bibliotheken sowie wissenschaftliche Institute, die Kirchen, die Botschaften befreundeter Länder, ausländische Behörden und Einzelpersönlichkeiten verteilt. Das Interesse an dieser Reihe hält, wie ie die Nachfrage zeigt, bis heute unverändert an.
Die Bundesregierung wird auch weiterhin bemüht sein, die Wahrheit über diese Vorgänge in angemessener und wirksamer Form zu verbreiten. Sie wird sich dabei von der Maxime leiten lassen, die der Bundeskanzler vor den Vertriebenenverbänden verkündet hat, nämlich daß es nicht unsere Absicht ist, alte Wunden aufzureißen und aufzurechnen. Daß dies auch nicht dem erklärten Willen unserer Landsleute aus den Vertreibungsgebieten entspricht, beweist die Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950, in der es heißt:
Wir Heimatvertriebene verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bzw. Ihr Amt in der Lage, an der Verwirklichung eines Vorschlages — vielleicht sogar federführend — mitzuwirken, den der Herr Staatsminister für Justiz des Landes Baden-Württemberg, Haußmann, gemacht hat und der darauf hinausläuft, daß die Ministerpräsidenten gemeinsam an dieser Dokumentation — parallel zu den Ergebnissen der rechtlichen Arbeit — teilnehmen und diesbezügliche Aufträge geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn sich die Ministerpräsidentenkonferenz diesen Vorschlag des Landes Baden-Württemberg zu eigen macht, ist die Bundesregierung selbstverständlich zu einer Zusammenarbeit und zu einer Prüfung bereit.
Zur Frage der Federführung innerhalb der Bundesregierung darf ich mir noch eine Äußerung vorbehalten.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Dr. Marx aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen:Was ist der Bundesregierung über die Behandlung, welche Wehrdienstverweigerer in der sowjetisch besetzten Zone erfahren, bekannt?Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
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2232 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Herr Präsident! Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland gibt es in der sowjetischen Besatzungszone kein gesetzlich anerkanntes Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Eine solche Möglichkeit sieht weder die Verfassung der Zone noch das Wehrpflichtgesetz vom 24. Januar 1962 vor. § 25 des Wehrpflichtgesetzes vom 24. Januar 1962 legt lediglich fest, daß der Nationale Verteidigungsrat der SBZ bestimmt — jetzt zitiere ich aus diesem Gesetz —, „welcher Dienst in den anderen bewaffneten Organen als Ersatz für den aktiven Wehrdienst oder Reservedienst anerkannt wird". Einen Ersatzdienst außerhalb der Streitkräfte läßt das SED-Regime demnach nicht zu.
Durch Anordnung des Nationalen Verteidigungsrats der SBZ vom 7. September 1964 wurde die Aufstellung von Baueinheiten befohlen. Nach § 4 dieser Anordnung müssen in diesen Formationen solche Wehrpflichtige Ersatzdienste leisten, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen. Die Angehörigen dieser Baueinheiten tragen den Dienstgrad und die Dienstbezeichnung Bausoldat. Ihre Dienstzeit beträgt entsprechend den sowjetzonalen Bestimmungen über den Grundwehrdienst 18 Monate. Sie können nicht befördert werden. Die Bausoldaten sind Baupioniere, die in erster Linie für den militärischen Dienst vorgesehen sind. Dies ergibt sich auch aus dem Text des Gelöbnisses, das der Bausoldat an Stelle eines sonst üblichen Fahneneides abzulegen hat.
Die Bausoldaten unterstehen den gesetzlichen und militärischen Bestimmungen, die den Grundwehrdienst und den Reservistendienst in der sogenannten Nationalen Volksarmee regeln. Damit gilt auch für die Wehrdienstverweigerung das Militärstrafgesetz der SBZ vom 24. Januar 1962. Eine Freistellung von der Mitwirkung an militärischen Aufgaben im weiteren Sinne ist damit nicht gegeben.
Ein Vergleich der geschilderten Bestimmungen, Herr Abgeordneter, mit den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen über den Wehrersatzdienst kann deshalb nicht gezogen werden. Werden Bausoldaten, die auch die Mitwirkung an militärischen Aufgaben ohne Waffen ablehnen oder sich weigern, das Gelöbnis abzulegen, von sowjetzonalen Gerichten verurteilt, was häufiger vorkommt, so verlängert sich ihre Dienstzeit jeweils um die Dauer der Strafverbüßung.
Diese Behandlung der Wehrdienstverweigerer in der SBZ steht im Widerspruch zu der Propaganda, mit der die Ostberliner Organe die Wehrdienstverweigerer in der Bundesrepublik Deutschland über Rundfunk, Fernsehen und Flugblätter ermuntern und unterstützen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß es in Uckermünde bei Stettin ein Straflager gibt, in dem sogenannte Bausoldaten, die sich geweigert haben, am Bau militärischer Anlagen, z. B. Schießplätzen, mitzuarbeiten, einer militärischen Ausbildung unterworfen werden mit einem im Vergleich zur Ausbildung der NVA verstärkten Politunterricht?
Das ist bekannt. Es gibt mehrere solcher Strafkompanien mit besonderen Erziehungsmaßnahmen, wie sie das kommunistische Regime gegenüber allen Gegnern für erforderlich hält.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, ist es richtig, daß die Verurteilten aus dem eben genannten Straflager durch den Druck der Öffentlichkeit, z. B. durch die öffentliche Abhaltung von Bittgottesdiensten und durch die Proteste der Internationale der Kriegsdienstverweigerer, aus diesem Lager entlassen und zu ihren früheren Einheiten zurückversetzt worden sind?
Die Bundesregierung hat sich in vielen Fällen um die Milderung des Loses politischer Häftlinge bemüht, wie Sie wissen, auch mit Erfolg. Ich glaube, daß es nicht gut ist, Einzelheiten unserer Bemühungen und die entsprechenden Erfolge hier öffentlich zu diskutieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heinemann.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Evangelischen Kirche in Deutschland, daß eine vorbildliche Handhabung des Art. 4 des Grundgesetzes in der Bundesrepublik geeignet wäre, die Bemühungen der Kirche im anderen Teil Deutschlands um eine bessere Behandlung von Wehrdienstverweigerern zu fördern?
Herr Kollege Heinemann, diese Frage kann bejaht werden. Jedes gute Beispiel und jedes strikte Beachten unserer Bestimmungen kann auf die andere Seite in irgendeiner Weise nur positiv beeinflussend wirken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klepsch.
Herr Bundesminister, ist es richtig, daß in das genannte Straflager neben Wehrdienstverweigerern auch kriminell gewordene Soldaten der Nationalen Volksarmee eingewiesen werden und damit der diffamierende Eindruck erweckt werden soll, es handle sich bei der ersten Kategorie um schädliche Rechtsverletzer?
Herr Abgeordneter Klepsch, es liegt leider
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2233
Bundesminister Dr. Mendeim Wesen totalitärer Systeme, politische Häftlinge und Kriminelle zusammenzusperren, um damit diskriminierend zu wirken und das Los der politischen Idealisten noch stärker zu erschweren. Das war früher in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus so wie heute. Hierin unterscheidet sich der Kommunismus in nichts von seinen diktatorischen Vorgängern in Deutschland.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Klepsch.
Herr Minister, sind der Bundesregierung Proteste von Wehrdienstverweigererorganisationen in der Bundesrepublik gegen die Behandlung verurteilter Bausoldaten bekanntgeworden?
Bis zur Stunde ist mir kein Fall eines solchen Protestes zur Kenntnis gekommen.
Keine Zusatzfragen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Fragen entsprechend einer Vereinbarung im Ältestenrat jetzt auf.
Zunächst rufe ich die Frage VI/1 des Abgeordneten Folger auf:
Hält es die ,Bundesregierung für gerechtfertigt, daß Verluste aus Vollblutzuchtbetrieben, die nicht landwirtschaftliche Hauptoder Nebenbetriebe oder Gewerbebetriebe sind, nach dem Einkommensteuergesetz unter gewissen Voraussetzungen bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft abgezogen werden können, wohingegen positive Ergebnisse, sofern der Charakter der Liebhaberei hei diesen Betrieben noch zu bejahen ist, bei der Ermittlung des Einkommens unberücksichtigt bleiben?
Herr Staatssekretär zur Beantwortung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der in § 82 c der Einkommensteuer-Durchführungsverordnunng getroffenen Regelung, die ihrerseits wieder auf eine Ermächtigungsvorschrift des § 51 des Einkommensteuergesetzes zurückgeht, können Steuerpflichtige, die Vollblutzucht als Liebhaberei betreiben, die nicht durch Einnahmen gedeckten Ausgaben aus der Vollblutzucht unter bestimmten Voraussetzungen bis zur Höhe von 5000 DM je Vollblutpferd als Verluste aus Land- und Forstwirtschaft absetzen.
Die Ermächtigungsvorschrift ist gegen die stärksten Bedenken meines Hauses vom Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen und trotz Anrufung des Vermittlungsausschusses seitens des Bundesrats in das Steueränderungsgesetz 1961 in der von mir erwähnten Fassung aufgenommen worden. Die Regelung ist völlig systemwidrig; denn es werden Ausgaben im Zusammenhang mit den Einkünften, die nicht der Besteuerung unterliegen, zum Abzug zugelassen.
Aus diesem Grunde hat auch die zur Vereinfachung des Einkommensteuerrechts eingesetzte Kommission vorgeschlagen, sie wieder zu streichen. Sobald der Bericht dieser Kommission für eine Gesetzesvorlage zur Auswertung kommt, wird die Frage der Streichung nochmals eingehend geprüft werden müssen. Mit den dazu erforderlichen Arbeiten ist bereits begonnen worden.
Ich rufe die Frage VI/2 des Abgeordneten Ott auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die am 1. Juli 1963 gegründete Mineralölgroflhandel EVG GmbH, Nürnberg, welche am 5. April 1965 in Konkurs ging, odds einer Mitteilung des Polizeipräsidiums Nürnberg Mineralölsteuerschulden aus dem Verkauf unversteuerten Treibstoffs in Höhe von rund 2,9 Millionen DM hinterläßt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Ott wegen ihres sachlichen Zusamenhanges zusammen beantworten?
Sind Sie einverstanden? — Dann rufe ich auch die Fragen VI/3 und 4 des Abgeordneten Ott auf:
Welche Gründe haben vorgelegen, daß in dem in Frage VI/2 erwähnten Fall innerhalb so kurzer Zeit so hohe Steuerschulden anwachsen konnten?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, daß Mineralölsteuerschulden nicht solche Größenordnungen wie die in Frage VI/2 erwähnten erreichen. vor allem, wenn es sich um neu auftauchende und unbekannte Firmen handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der in der Anfrage dargestellte Sachverhalt ist der Bundesregierung bekannt. Daß in diesem Fall Steuerschulden in dieser Höhe anwachsen konnten, ist eine unvermeidbare Folge aus dem Mineralölsteuergesetz. In einem Steuerlager entsteht die Steuerschuld, wenn Mineralöl zum Verbrauch aus dem Lager entnommen wird. Zur Zahlung werden aber die Schulden für die Entnahme in einem Kalendermonat erst am 25. des zweiten folgenden Monats fällig, also z. B. für alle Auslieferungen im Januar erst am 25. März. Inzwischen sind aber schon wieder die Steuerschulden für die Auslieferungen im Februar und für die Zeit vom 1. his 25. März entstanden, die ihrerseits erst wieder am 25. April bzw. 25. Mai fällig werden.Somit schuldet jeder Steuerschuldner unmittelbar vor jedem Zahlungstermin unvermeidlich die Steuer für die Auslieferung in nahezu drei vollen Monaten, wobei die Schuld für etwa zwei Monate, wie ich schon sagte, noch nicht fällig ist. Die Höhe der Schulden hängt nur von dem Umsatz ab, auf den die Bundesregierung keinen Einfluß nehmen kann. Die rund 2,9 Millionen DM im vorliegenden Fall für die Auslieferungen in drei Monaten entsprechen einem monatlichen Umsatz von je etwa 1250 t Vergaser- und Dieselkraftstoff. Das ist für einen Großhandel nicht auffallend viel. Es gibt Steuerschuldner, die monatlich 50 bis 60 Millionen DM Mineralölsteuer zahlen und demnach unmittelbar vor jedem Zahlungstermin zirka 150 Millionen DM und mehr schulden.Um die Höhe der Schulden zu verringern, müßte durch Gesetzesänderung die Zahlungsfrist abgekürzt werden. Dabei könnte aber im Interesse der Wettbewerbsgleichheit nicht zwischen bestehenden und bekannten Firmen einerseits und neugegründeten und noch unbekannten Firmen andererseits unter-
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2234 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Staatssekretär Grundschieden werden. Die Regelung müßte vielmehr für alle Steuerschuldner gleichmäßig gelten.Dabei darf man aber nicht übersehen, daß die Verkürzung der Zahlungsfrist z. B. um einen Monat die offenen Steuerschulden nur um etwa ein Drittel verringern, die Mineralölwirtschaft aber zusätzlich mit einem vollen Monatsbetrag der Steuer früher belasten würde. Das Abziehen flüssiger Mittel in dieser Höhe wäre sicherlich ein sehr schwerer Eingriff. Steuerausfälle wie im vorliegenden Fall könnten nach meinem Dafürhalten eine solche Verschlechterung der Rechtslage wohl kaum rechtfertigen, solange sie eben Ausnahmen bleiben. Sollten sie sich allerdings häufen, so werden neue Überlegungen notwendig werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß es gegen die steuerliche Gleichmäßigkeit verstößt, wenn auf der einen Seite bei der Umsatzsteuer verhältnismäßig kleine Beträge monatlich abzuführen sind und wenn auf der anderen Seite wie in diesem Falle Millionenbeträge praktisch erst drei Monate später zu zahlen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage möchte ich ohne Einschränkung verneinen. Es sind sehr wohl
3) ausgewogene Gründe gewesen, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, hier eine Zahlungsfrist in der erwähnten Dauer zu gewähren. Der Betrieb sollte in die Lage versetzt werden, die Steuern erst dann bezahlen zu müssen, wenn er die Ware umgesetzt hat, so daß er nicht vorzufinanzieren braucht. Das ist seinerzeit für den Gesetzgeber der maßgebende Gesichtspunkt gewesen, bei der Mineralölsteuer eine andere Regelung zu treffen als bei der Umsatzsteuer. Gleiches soll gleich behandelt, Ungleiches aber ungleich behandelt werden.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, weshalb sind Sie der Meinung, daß erst dann, wenn in der Zukunft neue Verluste aufgetreten sind, Maßnahmen überlegt werden sollen, die diese Verluste verhindern, und weshalb ziehen Sie die Konsequenz nicht bereits aus diesem Fall?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe gesagt, daß es sich hier um einen absoluten Ausnahmefall handelt, der uns noch keine Veranlassung geben kann, die generell für richtig befundene Regelung jetzt schon zu ändern. Sollte sich aber erweisen, daß sich solche Fälle häufen, dann würde man in der Tat überlegen müssen, ob die Frist nicht etwas abgekürzt werden sollte. Aber allzuviel an Verkürzung wird dabei auch nicht herauskommen können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Staatssekretär, würden Sie so freundlich sein, Herrn Kollegen Ott noch einmal zu wiederholen, daß es nicht Aufgabe der Verbrauchbesteuerung sein kann, den Steuerzahler für den Steuerträger eintreten zu lassen, sondern daß es in der Regel so sein muß, wie Ihr Herr Minister es vor einigen Wochen hier bestätigt hat, daß der Steuerträger an den Steuerzahler gezahlt haben soll, bevor der Steuerzahler an das Hauptzollamt weiterzahlt.
Herr Kollege Krammig, das ist eine ganz unechte Frage. Aber immerhin, wir haben jetzt Ihren Standpunkt gehört, und Herr Kollege Ott hat ihn auch gehört. Der Herr Staatssekretär ist der Aufgabe enthoben, zu wiederholen, was er gesagt hat.
Ich rufe die Frage VI/5 des Herrn Abgeordneten Junghans auf:
Aus welchem Grunde wird die seit Jahrzehnten bestehende Grenze von 24 000 DM für Einkommensteuerpflichtige noch aufrechterhalten?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die Fragen VI/5 und VI/6 des Herrn Abgeordneten Junghans zusammenfassend beantworten?
Einverstanden, Herr Kollege Junghans? Bitte sehr! Ich rufe also auch die Frage VI/6 auf:
Ist dem Bundesfinanzminister bekannt, deß durch eine Heraufsetzung der in Frage VI/5 genannten Grenze bei den jetzt Einkommensteuerpflichtigen, bei den Arbeitgebern und auch bei den Finanzämtern ein großer Verwaltungsaufwand und Unkosten gespart werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Vorschrift des § 46 Abs. i des Einkommensteuergesetzes, wonach ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von mehr als 24 000 DM stets zur Einkommensteuer veranlagt wird, dient heute insbesondere der Steuernachprüfung und der Steueraufsicht. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß Arbeitnehmer, deren Einkommen etwa einen Betrag von 24 000 DM übersteigt, vielfach nach andere, nicht in Arbeitslohn bestehende Einkünfte, nämlich die sogenannten Nebeneinkünfte, haben. Daran hat sich auch durch die allgemeine Einkommensentwicklung nichts Grundsätzliches geändert. Eine Heraufsetzung der 24 000-DM-Grenze hätte wegen des Zusammenhangs der Absätze 1 und 2 des § 46 übrigens ferner zur Folge, daß nicht nur bei Arbeitnehmern bis zu einem Einkommen von 24 000 DM, sondern auch bei Arbeitnehmern mit einem Einkommen zwischen 24 000 DM und der neu festzusetzenden Grenze die Nebeneinkünfte von nicht mehr als 800 DM, die bei dieser Einkommensgruppe nach der derzeitigen Regelung stets in vollem Umfang besteuert werden, nicht mehr der Einkommensteuer unterworfen würden.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2235
Staatssekretär GrundDie dadurch eintretende Steuerbegünstigung wäre so erheblich, daß sie sich unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung nicht mehr rechtfertigen ließe. Das gilt um so mehr, als andere Steuerpflichtige, z. B. selbständig Tätige, ihre Nebenneinkünfte stets voll versteuern müssen. Eine mögliche Einsparung von Verwaltungskosten, die sich durch eine Heraufsetzung der Grenze in § 46 Abs. 1 erzielen ließe, würde weitestgehend durch die Steuerausfälle wieder ausgeglichen werden, die sich durch den Wegfall der Besteuerung der Nebeneinkünfte bis zu 800 DM ergäben.Ich werde aber bei einer gelegentlichen Änderung des Einkommensteuerrechts prüfen lassen, ob nicht eine mäßige Erhöhung der Veranlagungsgrenze, dann allerdings wohl nur unter gleichzeitiger Einschränkung der Steuerfreiheit von Nebeneinkünften, ermöglicht werden kann.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die heutige Zahl der Einkommensteuerpflichtigen bekannt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Zahl der insgesamt Einkommensteuerpflichtigen?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin zwar nicht berechtigt, Gegenfragen zu stellen. Aber ich muß wissen, ob Sie diejenigen meinen, die veranlagt werden.
Die Veranlagten, ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meinen Sie diejenigen, die schon immer zur Einkommensteuer veranlagt werden, oder diejenigen, die noch zusätzlich infolge der Einkommensentwicklung hinzugekommen sind?
Das wird zwar eine Diskussion, aber was meinen Sie, Herr Kollege Junghans?
Ich möchte -gern die Zahl derjenigen wissen, die in den letzten Jahren auf Grund der Einkommenserhöhung in der Wirtschaft zusätzlich in die Einkommensteuerpflicht hineingewachsen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dazu habe ich die Zahlen nicht parat. Ich bin gern bereit, die Antwort auf Grund der letzten Statistik schriftlich zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß viele Lohn- und Gehaltsempfänger die Einkommensteuererklärung trotz der vorhergehenden Geltendmachung von Freibeträgen bei der Lohnsteuer jedes Jahr abgeben müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich die Frage noch einmal hören; ich habe ihren Kern nicht verstanden.
Ich habe gefragt, ob hier nicht eine Doppelarbeit vorliegt, da nämlich viele Lohn- und Gehaltsempfänger, obwohl sie vorher ihre Freibeträge schon geltend gemacht haben, dies nochmals in der Einkommensteuererklärung tun müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage ist leicht zu beantworten. Das ist eine sehr große Zahl, weil sich die Summen der Werbungskosten, der Sonderausgaben und der außergewöhnlichen Belastungen im Laufe des Jahres verändern und infolgedessen dann noch einmal eine Veranlagung erfolgt, weil der Steuerbürger selbstverständlich nicht darauf verzichtet, diese Ausgaben nachher bei der Veranlagung geltend zu machen. Es gibt übrigens auch Steuerbürger, die von vornherein auf die Eintragung eines Freibetrages auf der Steuerkarte verzichten, weil sie ohnehin veranlagt werden und von sich aus diese Ausgaben erst im Veranlagungsverfahren berücksichtigt wissen wollen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen auch bekannt, daß sich bei der überwiegenden Mehrzahl der nach § 46 in die Einkommensteuerpflicht hineinwachsenden Lohn- und Gehaltsempfänger die effektiven Steuerbeträge nicht verändern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darüber habe ich keine Statistik. Ich hatte Ihnen aber gesagt, daß die Erfahrung im Gegensatz zu Ihrer Auffassung lehrt, daß gerade diejenigen Steuerpflichtigen, die mehr als 24 000 DM verdienen, in der Regel Nebeneinkünfte haben, die sie dann voll versteuern müssen.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist diese Auffassung bezüglich der Nebeneinkünfte nicht mindestens 30 Jahre alt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, auch das ist nicht richtig, Herr Abgeordneter. Ich habe bereits ausgeführt, daß diese Erfahrung auch heute noch gilt — trotz veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse.
Metadaten/Kopzeile:
2236 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Dazu eine Zusatzfrage.
Ich möchte nur eine Zusatzfrage stellen, Herr Staatssekretär. Wann etwa ist mit einem Änderungsgesetz oder mit einer Vorlage der Bundesregierung zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zu rechnen? Können Sie einen Termin nennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich bin nicht in der Lage, einen Termin zu nennen. Ich kann aber sagen: sicherlich nicht vor 1967.
Weitere Zusatzfragen zu diesem Punkt? — Dann rufe ich die Frage VI/7 des Herrn Abgeordneten Junghans auf:
Ist der Bundesfinanzminister bereit zu prüfen, inwieweit die Einkommensteuerveranlagung bei Ehegatten, die beide zusammen über 16 000 DM verdienen, aus Vereinfachungsgründen über den Lohnsteuer-Jahresausgleich abgewickelt werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Lohnsteuerjahresausgleich stellt im Ergebnis nichts anderes dar als eine auf Arbeitseinkünfte beschränkte Veranlagung. Da die beiden Verfahren in der technischen Durchführung im wesentlichen gleich sind, kann sich eine nennenswerte Vereinfachung durch die Einbeziehung von Veranlagungsfällen in das Ausgleichsverfahren nicht ergeben. Außerdem müßte der bisherige Grundsatz aufgegeben werden, daß der Lohnsteuerjahresausgleich vom Finanzamt nur auf Antrag vorgenommen wird und — was für den Steuerbürger noch viel wichtiger ist — nicht zu Steuernachforderungen führen darf. Ein etwaiger Verzicht auf Steuernachforderungen in den von Ihnen angesprochenen Fällen wäre aber aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht vertretbar und auch wohl verfassungsrechtlich bedenklich.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß eine Umgestaltung des Verfahrens nur im Wege einer Änderung des Einkommensteuergesetzes möglich wäre. Da hierdurch aber eine irgendwie ins Gewicht fallende Vereinfachung weder für die Arbeitnehmer noch für die Finanzämter erreicht würde, sollte eine solche Rechtsänderung nicht in Erwägung gezogen werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß der in Betracht kommende Personenkreis, nämlich Ehepaare, die zusammen mehr als 16 000 DM verdienen, in der Lage ist, nach der Verwaltungskosten einsparenden Selbstberechnung der Steuer die Erklärung einigermaßen richtig auszufüllen, und daß diesem Personenkreis nicht noch zusätzliche Unkosten in der Größenordnung von 100 und mehr D-Mark im Jahr durch eine erstsprechende Steuerberatung entstünden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, den Fall der Selbstberechnung haben wir in unserem Einkommensteuerrecht noch gar nicht. Nur in einem Land — und zwar in Niedersachsen, wie Ihnen sicher bekannt ist — ist ein Versuch gemacht worden, die Selbstberechnung durchzuführen. Wir wollen die Erfahrungen ausnutzen, die an sich positiv ausgefallen sind.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was ist komplizierter: das Ausfüllen einer solchen Einkommensteuererklärung mit der entsprechenden Selbstberechnung oder der Jahreslohnsteuerausgleich für den betroffenen Personenkreis?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird im wesentlichen von dem Intelligenzgrad des Steuerbürgers abhängen. Grundsätzlich sehe ich keine allzu großen Unterschiede zwischen den Formularen für den Lohnsteuerjahresausgleich und denen für die Einkommensteuerveranlagung; denn der Arbeitnehmer braucht ja in der Einkommensteuererklärung nur die Spalten auszufüllen, die ihn betreffen, und das sind wiederum nur die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Alles andere kann er streichen.
Darf ich dem Herrn Staatssekretär — —
Das ist keine Zusatzfrage. Wir sehen es alle, Herr Kollege Junghans.
Keine Zusatzfrage dazu. —
Ich rufe die Frage VI/8 des Herrn Abgeordneten Wienand auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auch wehrpflichtige Soldaten den Garnisongemeinden Aufwendungen verursachen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich auch die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Wienand gemeinsam beantworten?
Ja!
Dann rufe ich auch die Fragen VI/9 und VI/10 des Herrn Abgeordneten Wienand auf:Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit den betroffenen Gemeinden, Erhebungen durchzuführen, aus denen ersehen werden kann, wie hoch die in Frage VI/8 erwähnten Aufwendungen in etwa pro Kopf des wehrpflichtigen Soldaten veranschlagt werden müssen?Ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Änderungen der gesetzlichen Vorschriften herbeizuführen, damit die wehrpflichtigen Soldaten den Status eines echten Einwohners der Garnisongemeinden erhalten?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2237
Staatssekretär Grund
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Ja. Den Aufwendungen der Garnisonsgemeinden stehen jedoch auch Vorteile gegenüber, die bei Feststellung der Belastung nach den allgemeinen Grundsätzen des Vorteilsausgleichs mit zu berücksichtigen wären.
Zu den Fragen 2 und 3 möchte ich folgendes bemerken:
Die etwaige Anerkennung von wehrpflichtigen Soldaten der Bundeswehr als Einwohner der Garnisonsgemeinden hat nur für den landesrechtlich geregelten kommunalen Finanzausgleich finanzielle Bedeutung. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit die kasernierten wehrpflichtigen Soldaten der Bundeswehr bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen der Länder an die Gemeinden zu berücksichtigen sind, obliegt allein dem Landesgesetzgeber. Die Bundesregierung ist jedoch jederzeit bereit, bei etwaigen Erhebungen über die kommunalen Belastungen durch wehrpflichtige Soldaten mittels Auskünften oder in sonst geeigneter Weise mitzuwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wienand.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Länder diese Festsetzungen weitgehend so praktizieren, daß sie immer wieder von Jahr zu Jahr die festgestellten Zahlen der Vorjahre nehmen und daß deshalb diese Gemeinden weitgehend keine Berücksichtigung finden, weil ja gerade in den letzten Jahren infolge der dort stationierten Streitkräfte ein enormer Einwohnerzuwachs in die Gemeinden gekommen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist die Praxis der Länder nicht bekannt. Man wird aber wohl immer einen Vorjahreszeitraum aus Gründen der Praktikabilität zugrunde legen müssen.
Zweite Zusatzfrage.
Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, Herr Staatssekretär, daß nicht der Vorjahresansatz, sondern teilweise vier bis fünf Jahre festgefroren sind und deshalb die großen Diskrepanzen auftreten. Sind Sie bereit, Ihre guten Dienste bei den Ländern dahin gehend anzubieten, daß das beseitigt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gerne bereit, in dieser Richtung zu wirken; denn ich würde es für falsch halten, einen Zustand, der vier bis fünf Jahre zurückliegt, festfrieren zu lassen.
Keine Zusatzfrage.
Frage VI/11 des Herrn Abgeordneten Eschmann:
Wann wird die Bundesregierung die Initiativvorlage des Bundesrates über Ausgleichsbeträge für Betriebe des Bundes und der Länder sowie für gleichgestellte Betriebe dem Bundestag vorlegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Ausgleichsbeträge für Betriebe des Bundes und der Länder sowie für gleichgestellte Betriebe ist am 8. Juni 1966 vom Bundeskabinett beraten worden. Der Gesetzentwurf des Bundesrates wird dem Bundestag nunmehr zugeleitet werden. Es sind zuvor nur noch einige Formulierungsänderungen der Stellungnahme zu erledigen.
Keine Zusatzfrage.
Frage VI/12 des Herrn Abgeordneten Eschmann:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Garnisongemeinden für eine weitere Reduzierung der derzeitigen Prozentgrenze in § 26 des Grundsteuergesetzes einzutreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Antwort auf eine mündliche Anfrage im Januar dieses Jahres, die denselben Gegenstand wie die vorliegende Anfrage betraf, habe ich darauf hingewiesen, daß der Hundertsatz in § 26 des Grundsteuergesetzes erst im vorigen Jahr, nämlich durch das Gesetz zur Änderung des Grundsteuergesetzes vom 24. März 1965, zugunsten der Gemeinden von 25 v. H. auf 10 v. H. herabgesetzt worden ist. Die Bundesregierung ist nach wie vor der Ansicht, daß sich seit dieser Zeit die Verhältnisse nicht so geändert haben, daß Anlaß bestünde, die Vorschrift schon jetzt erneut zu ändern.
Im Anschluß an die Neubewertung des Grundbesitzes auf Grund des Bewertungsänderungsgesetzes von 1965 wird wahrscheinlich noch von diesem Bundestag eine Neuordnung der Grundsteuer beraten werden müssen. Neben der Regelung der steuerlichen Auswirkung der Neubewertung wird dabei auch das im wesentlichen seit 1936 unveränderte Grundsteuerrecht stärker als bisher den derzeitigen Verhältnissen anzupassen sein. Hierbei wird auch die Vorschrift des § 26 des Grundsteuergesetzes nochmals überprüft werden müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wienand.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß am 26. 4. 1966 Vertreter der kommunalen Spitzenverbände mit Vertretern des Verteidigungsministeriums in Garnisonsorten über dieses Problem gesprochen haben und daß dort den Vertretern des Verteidigungsministeriums schlüssig nachgewiesen worden ist, daß sehr wohl hier die Forderung berechtigt ist, den § 26 des Grundsteuergesetzes entsprechend zu ändern, und daß die Vertreter des Verteidigungsministeriums dies eingesehen und zugesagt haben?
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2238 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, mir ist diese Tatsache nicht bekannt, aber ich will ihr gern nachgehen und mich mit dem Bundesverteidigungsministerium in Verbindung setzen, um zu hören, welche Gründe dafür vorgetragen worden sind, ein erst kürzlich beschlossenes Gesetz schon wieder zu ändern.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage VI/13 des Herrn Abgeordneten Krammig:
Da das NATO-Truppenstatut die Kostenverteilung zwischen Truppenentsendestaat und -aufnahmestaat abschließend regelt und keinen Devisenausgleich kennt, frage ich die Bundesregierung, auf welcher Rechtsgrundlage nationaler und / oder internationaler Art die Devisenhilfe für die in der Bundesrepublik stationierten amerikanischen und englischen Truppen beruht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit dem Vereinigten Königreich ist die erste Vereinbarung über einen Devisenausgleich im Zusammenhang mit der Stationierung britischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland auf eine Empfehlung des NATO-Rates hin am 3. Oktober 1958 getroffen worden. Grundlage dieser Empfehlung war die sogenannte Unterstützungsklausel des Art. 3 des NATO-Vertrages. In der Folgezeit ist diese erste Vereinbarung durch Anschlußahkommen abgelöst worden. Das jetzt geltende Abkommen erfaßt die Zeit vom 1. April 1964 bis zum 31. März 1967.
Im Gegensatz hierzu ist die Regelung des Devisenausgleichs mit den Vereinigten Staaten bis heute nicht zum Gegenstand von Erörterungen in der NATO geworden. Vielmehr ist bereits am 8. Oktober 1956 das sogenannte Werterstattungshilfeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten geschlossen worden. Dieses Abkommen ist am 24. Oktober 1960 neu gefaßt worden. Es wurde am 24. Oktober 1961 durch das sogenannte Gilpatric-Abkommen abgelöst. Diese Vereinbarung ist mehrfach — zuletzt für die Zeit vom 1. Juni 1965 bis 30. Juni 1967 — verlängert worden.
Das sind die Rechtsgrundlagen, nach denen Sie, Herr Abgeordneter, gefragt haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie recht verstanden habe, beruhen die Zahlungen an England auf § 3 des NATO-Vertrages. Mit anderen Worten, es handelt sich um vertragsgemäße Zahlungen. Bei den USA aber entfällt diese vertragsgemäße Zahlung. Meine Frage geht dahin: Werden die geleisteten Beträge im Rahmen der Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik berücksichtigt oder nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, zur Beantwortung müßte ich wohl weiter ausholen. Denn es geht nicht darum — insoweit möchte ich einem viel verbreiteten Irrtum entgegentreten —, daß wir die
Kosten der Stationierung ersetzen, etwa aus Bundeshaushaltsmitteln, sondern es geht bei den Devisenhilfeabkommen ausschließlich darum, den Nachteil auszugleichen, den die Entsender der Stationierungsstreitkräfte dadurch erleiden, daß sie hier ihrerseits Devisen aufwenden müssen. Diesen Ausgleich der Devisen, der also nichts mit dem Ersatz von Stationierungskosten zu tun hat, haben wir im Verhältnis zu Großbritannien in Anwendung der Unterstützungsklausel zugebilligt, im Verhältnis zu den USA auf Grund einer freien Vereinbarung. Diese Bemühungen um den Devisenausgleich sind im Rahmen unserer Verteidigungsanstrengungen sicherlich mitzuberücksichtigen.
Ich rufe die Frage VI/14 des Abgeordneten Krammig auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Übereinstimmung der Praktiken um die Devisenhilfe mit den für die EWG und das GATT geltenden Regeln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach Ansicht der Bundesregierung
steht die Beschaffung militärischer oder anderer
Güter zur Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Devisenausgleichsfonds nicht im Widerspruch zu den einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrages oder des GATT. Soweit militärische oder andere Güter in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich mit öffentlichen Mitteln für die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand und zu marktgerechten Preisen beschafft werden, tritt eine nach dem EWG-Vertrag unzulässige Wettbewerbsverzerrung ohnedies nicht ein. Auch soweit zur Erfüllung von Verpflichtungen im Rahmen des Abkommens mit dem Vereinigten Königreich öffentliche Mittel zur Förderung der Vergabe von Aufträgen privater Unternehmen eingesetzt worden sind, liegt nach sorgfältiger Prüfung der Bundesregierung keine den Wettbewerb verfälschende Begünstigung vor. Da im Rahmen der Förderungsmaßnahmen keine Abgabenzollvergünstigungen eingeräumt werden, bleiben auch die Vorschriften des GATT durch den Devisenausgleich unberührt.
Ich rufe die Frage VI/15 des Abgeordneten Krammig auf:
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß es richtiger wäre, für die als Devisenhilfe gewährten Beträge im wesentlichen Konsumgüter in den USA und in Großbritannien einzukaufen, um damit die Nachfrage der Stationierungsstreitkräfte nach Konsumgütern in der Bundesrepublik zu befriedigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die hier stationierten Streitkräfte beschaffen sich im Interesse der Reduzierung ihres Devisenaufwands die von ihnen benötigten Konsumgüter aus ihren Heimatländern, soweit das nur irgend möglich ist. Die Devisenbelastung, die dennoch entsteht, beruht im wesentlichen auf der Imanspruchnahme von Dienstleistungen sowie von Zahlungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Liegenschaften im Gebiet der Bundesrepublik. Von der Natur der Sache her kann hierfür kein Ausgleich durch Käufe von Konsumgütern in den Heimatländern der Entsendestaaten geschaffen werden.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2239
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage VI/16 des Abgeordneten Fritsch auf:
Trifft es zu, daß die Funktionsfähigkeit der Zollverwaltung, insbesondere des Zollgrenzdienstes, durch immer größer werdende Personallücken gefährdet ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundeszollverwaltung leidet — wie alle öffentlichen Verwaltungen — schon seit Jahren unter Personalmangel. Mit dem Wachstum der Wirtschaft, insbesondere des Außenhandels sind ihre Aufgaben von Jahr zu Jahr gestiegen. Aus verschiedenen Gründen war es jedoch nicht möglich, den Personalbestand zu erhöhen und den erforderlichen Nachwuchs zu gewinnen.
Es sind deshalb zunächst einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen ergriffen worden. Seit 1959 wurden mehr als 170 Zolldienststellen aufgehoben. Weitere Aufhebungen werden folgen, soweit das mit Rücksicht auf die Belange der Wirtschaft vertretbar ist. Obwohl der Verkehr über die Grenzen um ein Vielfaches angestiegen ist, konnte die Zollverwaltung ihr Planstellenvolumen in den letzten sechs Jahren um rund 2000 Stellen vermindern. Gewisse Arbeits- und Personaleinsparungen isind ferner zu erwarten, wenn im Laufe des Jahres 1968 der freie Industrie- und Agrarmarkt innerhalb der EWG erreicht ist.
Rationalisierungsmaßnahmen allein genügen jedoch nicht. Wegen der ungleichmäßigen Altersschichtung in der Bundeszollverwaltung treten in den nächsten Jahren unverhältnismäßig starke Jahrgänge vor allem des mittleren Innendienstes in den Ruhestand. Nach der augenblicklichen Lage ist kaum zu erwarten, daß diese Abgänge durch Nachwuchskräfte voll ersetzt werden können.
Trotz dieser ernsten Situation ist aber weder die Funktionsfähigkeit der gesamten Bundeszellverwaltung noch die des Zollgrenzdienstes ernsthaft gefährdet. An den Grenzen stehen zur Zeit 6300 Beamte. Mit diesen Bediensteten können gegenwärtig die anfallenden Aufgaben — allerdings nur unter stärkster Ausnutzung aller Rationalisierungsmöglichkeiten — noch wahrgenommen werden.
Die empfindlichsten Personallücken der Bundeszollverwaltung liegen übrigens nicht im Zollgrenzdienst, sondern im mittleren Innendienst, wo zur Zeit, gemessen am Arbeitsanfall, rund 600 Kräfte, das sind 4 vom Hundert, fehlen. In den nächsten fünf Jahren werden jedoch wegen der erwähnten Altersabgänge darüber hinaus rund 6000 Beamte des mittleren Innendienstes zu ersetzen sein. Bei gleichbleibender schlechter Nachwuchslage kann hiervon nur etwa die Hälfte ersetzt werden. Die schon erwähnte Entspannung durch die EWG-Entwicklung wird diesen Ausfall nur zum Teil, in keinem Fall etwa ganz, ausgleichen können. Insoweit ist die Entwicklung der nächsten Jahre sicherlich bedrohlich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in einer Verlautbarung Ihres Hauses an die Oberfinanzdirektionen steht zu lesen, daß die Personallücken im mittleren Zollinnendienst bei einigen Oberfinanzdirektionen jetzt schon einen besorgniserregenden Umfang angenommen haben. Es heißt weiterhin, daß demnächst ins Auge gefaßt werden muß, im Zusammenhang mit dem Zollgrenzdienstgesetz künftig auch Anwärter für den mittleren Zollinnendienst einzustellen. Ferner heißt es, mindestens für 1966 und 1967 werde die Funktionsfähigkeit der Verwaltung nur dadurch zu erhalten sein, daß — und das sei besonders zu betonen — das Personal notfalls auch ohne Berücksichtigung persönlicher Wünsche entsprechend den dienstlichen Bedürfnissen verteilt wird. Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß diese Entwicklung vorauszusehen gewesen wäre und daß sicher über eine bessere Besoldung z. B. der Dienstanfänger rechtzeitig Abhilfe zu schaffen gewesen wäre, ohne daß diese nunmehr eine gewisse Beunruhigung bei den Zollbeamten auslösende Verlautbarung hätte herausgegeben werden müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie meinen sicherlich den Erlaß, der im Mai dieses Jahres ergangen ist und der sich mit der Grenzablösung und mit dem überbezirklichen Personalausgleich befaßt. Die Personallücken in den einzelnen Oberfinanzbezirken sind nämlich ganz unterschiedlich groß. Deshalb ist ein überbezirklicher, von Oberfinanzdirektion zu Oberfinanzdirektion reichender Personalausgleich unerläßlich. Bisher wurde versucht, diesen Ausgleich durch Stellenausschreibungen zu behoben; ich sage ausdrücklich: versucht. Dieser Versuch ist mißlungen. Weil die Versetzungsbereitschaft der Beamten immer mehr zurückgeht, sah sich die Zollverwaltung nunmehr genötigt, künftig einzelne Beamte notfalls auch gegen ihren Willen zu versetzen. Bei jeder Versetzung wird selbstverständlich weitgehend auf die persönlichen -Verhältnisse. des einzelnen Beamten Rücksicht genommen werden. Wenn dieser überbezirkliche Personalausgleich so durchgeführt wird, wie es sich das Bundesfinanzministerium vorstellt, dann kann von einer drohenden Funktionsunfähigkeit im Augenblick nicht die Rede sein.
Sie hatten, Herr Abgeordneter, weiter gefragt, ob diese Entwicklung nicht vorauszusehen war. Wir hatten gehofft, die Schwierigkeiten, wie ich schon erwähnte, durch Stellenausschreibungen, also auf
der Grundlage der freiwilligen Meldung, beheben zu können. Das hat sich leider als Irrtum erwiesen. Infolgedessen müssen wir möglicherweise zu zwangsweisen Versetzungen übergehen.
Darüber hinaus, Herr Abgeordneter, ist das Bundesfinanzministerium bestrebt, durch das von Ihnen erwähnte Gesetz den Zollgrenzdienst attraktiver zu gestalten und damit den Nachwuchsmangel zu mildern.
Eine zweite Zusatzfrage.
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2240 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Herr Staatssekretär, wären Sie — soweit nicht schon geschehen — bereit, mit den Gewerkschaften, insbesondere mit der OTV, diese nun auftretenden Härten zu besprechen und zu versuchen, mit ihnen die daraus resultierenden Probleme zu lösen, und sind Sie zweitens nicht der Meinung, daß es sinnvoll und daß es anzustreben wäre, die Einheit der Zollverwaltung dadurch zu erhalten, daß künftig zwischen dem Zollgrenzdienst und dem Zollinnendienst — zwei sich ergänzenden Funktionen — nicht unterschieden wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soviel ich weiß; haben mit den Gewerkschaften noch keine Verhandlungen stattgefunden. Ich habe aber dieses Problem des überbezirklichen Ausgleichs im Hauptpersonalrat erst vor ganz kurzer Zeit besprochen; bekanntlich sind im Hauptpersonalrat alle Gewerkschaften vertreten. Dort haben wir nach einem Weg gesucht, wie wir Härten vermeiden können. Die Besprechungen werden fortgesetzt.
Die andere Frage, die Sie damit verbunden haben, wie Innendienst und Zollgrenzdienst in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen sind, wird zur Zeit geprüft. Ich glaube, daß wir auch da eine Lösung finden werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Krammig.
Ist es nicht so, Herr Staatssekretär, daß die Zollverwaltung seit fast zwölf Jahren mit unverändertem Personalbestand arbeitet und trotz des mehrfach gestiegenen grenzüberschreitenden Verkehrs bisher noch mit allen Problemen fertig geworden ist, und ist daraus nicht die Hoffnung abzuleiten, daß sie das auch in Zukunft zu leisten imstande ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Frage hatte ich bereits in meiner Antwort an den Abgeordneten Fritsch mitbeantwortet. Ich hatte ausgeführt, daß wir sogar 2000 Stellen eingespart haben und zur Zeit die Situation noch beherrschen und daß uns außerdem ein weiterer Umstand zu Hilfe kommt, nämlich die Entlastung durch die EWG, wenn die Binnenzollgrenzen ab 1. Juli 1968 fallen; infolgedessen ist in der Tat die Zuversicht berechtigt, daß wir auch die künftigen Schwierigkeiten bewältigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lautenschlager.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für richtig, daß die Zollbeamten nun wieder wie im September 1963 auf ein dem Parlament noch nicht bekanntes Zollgrenzdienstgesetz hingewiesen und dadurch erneut erheblich beunruhigt werden, weil sie nicht wissen, ob eine Grenzablösung im bisherigen Sinne überhaupt noch durchgeführt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin überzeugt, daß der Zollbeamtenbund längst die Bemühungen in meinem Hause kennt und daß diese auch mit ihm längst besprochen worden sind.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lautenschlager.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß daran gedacht ist, den Zollgrenzdienst laufbahnmäßig vom Zollinnendienst zu trennen und die Nachwuchskräfte für den Zollinnendienst direkt einzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Erörterungen dieses Problems sind noch nicht abgeschlossen. Ich kann die Frage hier noch nicht so beantworten, daß Sie daraus einen Nutzen hätten.
Ich kehre zurück zu dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts und rufe die Frage III/1 des Abgeordneten Raffert auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten des Chefs der deutschen Delegation bei den Filmfestspielen in Cannes, Herrn von Tieschowitz, der bei der Vorführung des offiziellen deutschen Festspielfilms aufsprang und ausrief: „Ich bin der Chef der deutschen Delegation, ich verlasse ostentativ die Vorführung. Man kann sich ja nicht alles bieten lassen!"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Raffert zusammen zu beantworten.
Bitte sehr! Ich rufe dann auch die Fragen III/2 und III/3 des Abgeordneten Raffert auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der in Frage III/1 erwähnte Film mit dem Bundesdrehbuchpreis ausgezeichnet worden war, ehe er in Cannes gezeigt wurde und daß ihm die Filmbewertungsstelle der Länder das Prädikat „Besonders wertvoll" verliehen hatte?
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß sich künftig von ihr bestellte Delegationschefs die für Festspiele bestimmten Filme vorher ansehen und sich darüber informieren, wie diese Filme in der Bundesrepublik bewertet worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu der ersten Frage des Herrn Abgeordneten Raffert möchte ich zunächst die in der Formulierung der Frage enthaltene Darstellung in zwei Punkten berichtigen. Bei dem Film „Der junge Törless" handelt es sich nicht um den „offiziellen deutschen Festspielfilm", sondern um einen zweiten, zusätzlich von der französischen Festspielleitung eingeladenen deutsch-französischen Spielfilm. Der von der Bundesregierung genannte Festspielbeitrag war der Film „Es". — Die Äußerung „Man kann sich nicht alles bieten lassen" wird dem deutschen Delegierten zu Unrecht zugeschrieben; sie ist nicht gefallen.Zum Inhalt Ihrer Frage selbst, Herr Abgeordneter, möchte ich erklären, daß die Bundesregierung das Verhalten ihres Delegierten nicht billigt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2241
Staatssekretär Dr. CarstensIhre zweite Frage darf ich wie folgt beantworten. Die Verleihung einer Drehbuchprämie von 200 000 DM an den Film „Der junge Törless" ist der Bundesregierung bekannt gewesen. Sie wurde durch den zuständigen Ausschuß des Bundesministeriums des Innern unter Mitwirkung des Auswärtigen Amts beschlossen. Auch die Zuerkennung des Prädikats „besonders wertvoll" durch die Filmbewertungsstelle Wiesbaden war der Bundesregierung bekannt. Hierüber ist ist auch der deutsche Delegierte unterrichtet worden.Ihre dritte Frage, Herr Abgeordneter, darf ich wie folgt beantworten. Die Bundesregierung sieht den Vorfall als ein einmaliges Ereignis an, das zu Maßnahmen grundsätzlicher Art keinen Anlaß gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Staatssekretär, darf ich zunächst zu der dritten Frage eine Zusatzfrage stellen. Ist es richtig, daß dies ein einmaliger Vorfall war, oder ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits im Jahre 1956 auf Veranlassung des gleichen Herrn von Tieschowitz, der damals in dem gleichen Amt war, in Cannes die Aufführung des französischen Films „Nacht und Nebel" verhindert worden ist, woraufhin auch der damalige deutsche Festspielbeitrag in Cannes „Himmel ohne Sterne" nicht zur Aufführung gelangte, und daß daraufhin bei den Berliner Filmfestspielen auf Veranlassung von Senator Tiburtius der französische Film mit großem Erfolg aufgeführt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Den ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, möchte ich dahin beantworten, daß der Bundesregierung dieser Vorgang bekannt ist. Herr von Tieschowitz hat seinerzeit im Auftrag der Bundesregierung gehandelt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage zu meiner ersten Frage. Wenn es richtig ist, was Sie erklärt haben, nämlich, daß Herr von Tieschowitz nicht gesagt hat, man könne sich nicht alles bieten lassen, so möchte ich fragen: was haben Sie dann unternommen, um diese Dinge in den Organen, in denen das mitgeteilt worden ist, zu korrigieren? Es handelt sich nicht nur um den „Spiegel", sondern auch um das Fachblatt der deutschen Filmwirtschaft „Filmecho/ Filmwoche".
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß durch meine heutige Erklärung die notwendige Korrektur eintreten wird.
Ich habe noch eine Zusatzfrage.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geht Herr von Tieschowitz in absehbarer Zeit aus Altersgründen in Pension und ist die Frage der Nachfolge schon geregelt, oder wird in diesem Fall ähnlich gehandelt wie bei der Nachfolge des Leiters der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, die auch noch nicht geregelt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Zusatzfrage enthielt drei Fragen. Ich will versuchen, sie alle zu beantworten.
Das Lebensalter von Herrn Tieschowitz ist mir nicht bekannt. Sobald Herr Tieschowitz aus Altersgründen aus seinem Amt ausscheidet, wird ein Nachfolger bestellt werden.
Die Frage der Bestellung des Nachfolgers des letzten Leiters der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt ist in der Erwägung.
Eine Entscheidung ist in Kürze zu erwarten.
Ich rufe die Frage III/4 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:
Aus welchem Grund erfolgte keine Ausschreibung für den vom Auswärtigen Amt zur Produktion an den Bayerischen Rundfunk vergebenen Sprachfilm ,,Guten Tag", der dem Vernehmen nach pro Minute über 7400 DM Produktionskosten erfordert hat?
Sie wird von Herrn Abgeordneten Felder übernommen. Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann wie folgt beantworten.
§ 46 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung, der die Ausschreibung für Aufträge der öffentlichen Hand regelt, enthält ein Soll-Vorschrift. Ausschreibungen brauchen nicht vorgenommen zu werden, wenn, wie es in der Reichshaushaltsordnung heißt, die „Natur des Geschäfts" oder besondere Umstände eine Abweichung rechtfertigen.
Bei dem Fernseh-Sprachkurs des Auswärtigen Amts handelt es sich nicht um einen „Unterrichtsfilm" im engeren Sinne. Dieser Sprachkurs war von vornherein darauf angelegt, im Ausland für die deutsche Sprache Interesse zu wecken. Das geschah durch ein besonderes dramaturgisches Konzept. Der Kurs enthält in 26 Folgen 26 in sich abgeschlossene Geschichten, Situationen und menschlich interessante, humorvolle oder den Zuschauer besonders ansprechende Szenen.
Ich führe das an, um darzutun, daß es sich bei diesem Projekt um eine wesentlich künstlerische Leistung handelt, ungeachtet ihrer pädagogischen Zielsetzung. Künstlerische Leistungen dieses Umfangs und dieser Art fallen nicht unter die Ausschreibungspflicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
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2242 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, Bali demgegenüber im zuständigen Ausschuß des Bundestages die Meinung vertreten worden ist, daß es sich eben doch um einen Fall handele, der, auch wenn man ihn unter künstlerischem Aspekt sehe, normalerweise zu den Ausschreibungen gehöre, weil die Kosten außergewöhnlich hoch gewesen seien?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter; aber ich könnte dieser Auffassung nicht beipflichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, was ist Ihnen über das Auslandsecho bekannt? Das ist für das Haus vielleicht noch wichtiger als die Kostenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den Feststellungen, die wir treffen konnten, besteht im Ausland ein großes Interesse an diesem Film, der offenbar hervorragend gelungen ist.
Ich rufe die Frage III/5 des Herrn Abgeordneten Dr. SchulzeVorberg auf:
wurde — nach den Erkenntnissen der Bundesregierung — die Unterschrift westeuropäischer Staaten unter einen Vertrag gegen die Ausbreitung von Kernwaffen die Entwicklung eines Abwehrsystems gegen Atomraketen für Europa erschweren oder sogar verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Teilnahme westeuropäischer Staaten an einem Vertrag gegen die Ausbreitung von Kernwaffen würde die Entwicklung und Aufstellung eines mit konventioneller Munition ausgerüsteten antiballistischen Abwehrsystems für Europa nicht erschweren.
Ein mit nuklearen Sprengköpfen ausgerüstetes antiballistisches Abwehrsystem könnte in Zukunft in den durch einen Nichtverbreitungsvertrag gebundenen europäischen Nichtnuklearstaaten unter denselben Bedingungen entwickelt und aufgestellt werden, unter denen ein solcher Vertrag eine gemeinsame Nuklearstreitmacht zuläßt.
Der amerikanische Entwurf zu einem Nichtverbreitungsvertrag wendet sich bekanntlich dagegen, daß Nichtnuklearstaaten nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen erwerben, was seitens der Bundesregierung ohnehin nicht beabsichtigt ist. Dieser Entwurf läßt hingegen Gemeinschaftslösungen zwischen Kernwaffenstaaten und Staaten, die keine Kernwaffen besitzen, zu.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, halten Sie es für denkbar, daß Antiraketen
auf konventioneller Basis Abwehrwaffen gegen anfliegende Atomraketen sein könnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht beurteilen, Herr Abgeordneter.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unter dem Gesichtspunkt der Überlegungen, die Sie gerade vorgetragen haben, frage ich: wie beurteilt die Bundesregierung den Zusammenschluß europäischer Atomstaaten — der beiden, die wir in Westeuropa haben — zu einer atomaren Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, gerade auch unter dem Gesichtspunkt, daß damit der Atomzersplitterung entgegengewirkt würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat sich immer dafür eingesetzt, daß eine solche Möglichkeit durch Verträge anderer Art, etwa durch einen Nichtverbreitungsvertrag, nicht verbaut wird.
Ich rufe nun die Frage 11I/6 des Herrn Abgeordneten Prinz von Bayern auf:Warum hat die Bundesregierung nicht durch eine entsprechende Vertretung bei den Feierlichkeiten anläßlich des 50. Jahrestages der Schlacht von Verdun in Verdun dazu beigetragen, die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern?Sie wird schriftlich beantwortet'). — Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Fragestunde für heute.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit— Drucksache V/690 —Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache der ersten Lesung. — Keine Wortmeldungen.Vorgesehen ist die Überweisung dieser Vorlage an den Rechtsausschuß. Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Punkt 3 der Tagesordnung, zunächst 3 a) :a) Große Anfrage der Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm, Dr. Starke , Dr. Effertz und Genossen betr. EWG-Politik — Drucksache V/556 —Nach einer Aussprache im Altestenrat ist vorgesehen, zunächst den Punkt 3 a) zu behandeln, d. h. die Große Anfrage begründen und beantworten zus) Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2243
Präsident D. Dr. Gerstenmaierlassen, dann den auf der Tagesordnung als :i c) aufgeführten Punkt aufzurufen — die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Auswirkung der EWG-Agrarfinanzierung auf den Bundeshaushalt —, diesen Antrag begründen zu lassen und dann bei dem Antrag 3 b) ebenso zu verfahren, sodann — wenn das alles erfolgt ist — eine Aussprache über alle diese Punkte zu führen. Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses. — Es wird so verfahren.Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Herr Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Antragsteller, der Fraktion der Freien Demokraten, darf ich unsere Große Anfrage Drucksache V/556 betreffend EWG-Politik begründen.Wir diskutieren wiederum einmal die EWG-Politik. Den Antragstellern wurde in den letzten Wochen manch kritische Frage gestellt: „Warum jetzt eine Anfrage; ist es notwendig zu debattieren?" Dazu eine sehr klare Antwort. Wir sind der Meinung, daß es angesichts der Tatsache, daß in Brüssel immer noch ohne eine parlamentarische Kontrolle verhandelt wird, Aufgabe dieses Hohen Hauses ist, immer und immer wieder laufend informiert zu werden und laufend Stellung zu nehmen. Wir betrachten das als eine parlamentarische Pflicht und natürlich auch als ein parlamentarisches Recht.Ich möchte dem Herrn Bundesminister Höcherl meinen Dank dafür aussprechen, daß er vor der Presse erklärt hat — wir freuen uns darüber —,wie sehr er diese Anfragebegrüßt und wie sehr er glaubt, daß diese Anfrage die Position der Verhandlungskommission in Brüssel stärkt. Ein Verhandeln in Brüssel ohne Legitimation des Parlaments scheint kein korrektes Verhalten zu sein. Insofern, glaube ich, ist es in Ordnung, daß vor wichtigen Entscheidungen dieses Parlament gehört wird und auch informiert wird. Da wir nun wieder einmal in einer Phase stehen, wo wir fast pausenlos, zumindest jede Woche, neue Verhandlungen, neue Situationen erleben, darf es nicht so sein, daß wir unsere Informationen über die laufenden Verhandlungen ausschließlich über Informationsdienste zu beziehen gezwungen sind. Wir haben ein Recht darauf und werden auf diesem Recht bestehen. Das hat nichts mit Kritik und nichts mit Opposition zu tun, auch nichts mit Opposition innerhalb der Koalition, sondern das hat lediglich etwas mit der normalen Wahrnehmung unserer demokratischen Rechte und unserer parlamentarischen Pflichten zu tun.Im übrigen verweisen wir auf eine gesetzliche Verpflichtung. Im Ratifizierungsgesetz vom 25. März 1957 ist klar verankert, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, vor allen wesentlichen Entscheidungen das Parlament zu konsultieren und zu informieren. Von diesem Recht haben wir in der Vergangenheit Gebrauch gemacht und werden wir auch in der Zukunft Gebrauch machen, weil wir glauben, daß nur so eine Harmonie zwischen Legislative und Exekutive zustande kommt. Das ist — ich betone es noch einmal — besonders notwendig,solange es kein echtes europäsches Parlament gibt, solange es lur die Beschlüsse in Brüssel keine echte parlamentarische Kontrolle gibt.
Lassen Sie mich das vorweg sagen; das ist der eine grundsätzliche Punkt.Ich möchte auch gleich Dank sagen. Wir wissen, wie hart das Ringen in Brüssel ist. Wir erleben das — ich seit Ende 1961 — immer wieder, und wir kennen nun viele kritische Phasen. Manches bereitet Sorge; manche Hektik macht Sorge, und beinahe schaut es wieder so aus, als wenn man in Brüssel bewußt wieder auf ein Marathon hinsteuern würde. Wir warnen vor einem neuen Marathon. Es waren keine allzu guten Beschlüsse, die dort gefaßt worden sind. Ich werde darauf im Laufe meines Referats in meiner Begründung noch eingehen.Wir sind der Auffassung, daß man die Dinge systematisch und ruhig weiter verfolgen sollte. Zumindest im jetzigen Augenblick besteht nicht unbedingt die Notwendigkeit zu einer Übereilung. Jedenfalls danken wir all jenen, die dort verhandeln. Wir haben mit Freude davon Kenntnis genommen, daß unser Herr Bundeswirtschaftsminister mit äußerster Härte verhandelt. Wir sind glücklich über das Ergebnis, das der Herr Bundesfinanzminister bei der Frage der Agrarfinanzierung —31 0/0! — erzielt hat, und wir danken dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister und unterstützen ihn, wenn er hartnäckig die berechtigte Position der deutschen Landwirtschaft in Brüssel verteidigt. Wir werden ihn immer und mit allen Kräften unterstützen, weil er in diesem Fall eine gerechte Sache vertritt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch noch einige andere einleitende Bemerkungen machen. Die politische Situation hat sich geändert. Haben wir in den letzten Jahren doch bei den EWG-Debatten immer unter der großen Hoffnung gestanden und in der Hoffnung diskutiert, daß alles, was nun hier geschieht, mit dem großen Ziel einer europäischen Verständigung, ja sogar einer politischen Einigung geschieht. Ich habe in den letzten Tagen das Protokoll der Ratifizierungsdebatte vom Jahre 1957 durchgelesen. Ich sehe vor mir Herrn Kollegen Furler, in dessen Rede diese Hoffnung geradezu leidenschaftlich zum Ausdruck gekommen ist. Es handelt sich dabei sicherlich um ein hohes Ziel, und dieses hohe Ziel besteht auch heute noch. Aber was nützen hohe Ziele, wenn sich die Tatsachen anders entwickelt haben! Die Zeit der Integration auf dem politischen Sektor ist vorbei. Das ist nicht unsere Schuld, und wir haben es auch nicht zu verantworten. Es ist aber eine Realität, daß wir von einer politischen Integration, wie man sie früher angestrebt hat, weit entfernt sind. Die These von der „wirtschaftlichen Vereinigung zur politischen Union" ist damit in sich zusammengefallen. Das ist eine ganz neue Situation.Gleichzeitig gibt es aber auch neue Hoffnungen. Die heutigen Tageszeitungen berichten, daß Großbritannien daran interessiert sei, zur EWG zu stoßen. Allerdings sagt der zuständige Minister
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2244 Deutscher Bundestag -- 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Ertlsofort: „Wir kommen nur, wenn unsere Interessen berücksichtigt werden." Ja, es scheint mir so, daß man in allen Ländern dieser Welt und natürlich auch in Europa dann, wenn es darum geht, gemein- same Positionen wahrzunehmen und gemeinsame Aufgaben zu übernehmen, immer von der Voraussetzung ausgeht, daß die eigenen Interessen dabei in einem. Höchstmaß zum Tragen kommen. Ich meine, wir müßten nach einer siebenjährigen Periode des weitgehenden Nachgebens, auch der Vorleistungen, endlich in eine Phase der gleichen Rechte und der gleichen Pflichten eintreten. Das ist eine Frage, die sehr entscheidend ist, weil sich heute eine ganz andere politische Konstellation ergibt. Wir müssen heute anders über die Zusammenarbeit in Europa denken; denn nicht nur die EWG hat das Klassenziel bis jetzt nicht erreicht, und sie scheint es auch nicht zu erreichen. Wir haben eine NATO-Krise und vieles andere mehr. Ich habe bereits betont, daß auch eine parlamentarische Kontrolle der EWG nicht kommen wird, zum mindesten nicht in der nächsten Zeit. Hier gibt es keine Fortschritte.Ich kann mich noch an die Debatte hier im Hohen Hause erinnern, bei der es um die Fusion der europäischen Gemeinschaften ging. Ich war seinerzeit der einzige, der dagegen stimmte. An diesem Platz, an dem ich gerade stehe, hielt Herr Kollege Wehner eine leidenschaftliche Rede und sagte: Ja, wenn es so ist, daß wir immer nur Vorleistungen und immer nur Opfer bringen sollen, während die anderen immer nur Vorteile kassieren, dann muß man sich wirklich überlegen, ob man diese Politik fortsetzen kann. Ich habe das noch sehr gut in Erinnerung und hatte eigentlich im Sinn, Herrn Wehner beim Wort zu nehmen und ihn zu fragen: Herr Wehner, wann werden Sie denn revisionieren, wann werden Sie eine andere Vorstellung übernehmen?Ich habe mich dann darauf beschränkt, nur dagegen zu stimmen. Sie sehen, daß es sehr problematisch und noch offen ist, ob es zu einer Fusion kommt. Es ist so, daß man immer wieder nur zusammenfassend sagen kann: Die Integration im umfassenden Sinne ist im Augenblick und in nächster Zukunft nicht möglich. Die Integration ist noch nicht einmal wirtschaftlich vollends möglich, und wir haben noch weite, weite Wege vor uns. Ich werde darauf noch zurückkommen.Die parlamentarische Kontrolle wird keine Realität, und dennoch sollte die Agrarfinanzierung beschlossen werden. 6,4 Milliarden sollen dann aus unserer Kontrolle sein, zu einem wesentlichen Teil deutsches Geld. Das deutsche Parlament soll dann darüber nicht mehr bestimmen können. Ein Parlament in Brüssel, welches das dann kontrolliert, soll es aber nicht geben. Das scheint mir vom Verfassungsrechtlichen und vom Demokratischen her sehr problematisch zu sein. Wir wissen nicht, wie sich die Ausgaben entwickeln werden. Vielleicht wird dieser Etat eines Tages 10 Milliarden DM ausmachen, und wir haben dann noch keine parlamentarische Kontrolle darüber. Ich meine, diese Situation bedarf einer sehr kritischen Prüfung. Vor allem müßten gleichrangige Gewichte geschaffen werden. Es darf nicht so sein, daß man nur einen Sektor vorwärtstreibt und die anderen Sektoren ständig vernachlässigt.Ein weiterer Punkt, der uns, bevor wir zu diesen Fragen ja sagen können, bewegt, ist die allgemeine Haushalts- und Konjunkturlage. Ich hatte gestern das Vergnügen, einen maßgeblichen Bankier zu hören und festzustellen, wie er die Situation auf dem Devisensektor sieht. Es war deprimierend, zu hören, daß wir auf Grund der sich ständig negativer gestaltenden Handelsbilanz und der ohnedies schon negativen Zahlungsbilanz damit rechnen müssen, daß unsere Devisen immer knapper werden und unser Devisenvorrat immer geringer wird. Er meinte, daß unser Devisenvorrat dann, wenn das vielleicht zwei oder drei Jahre so weitergehe, erschöpft sein werde. Er sagte mit Recht, daß hier Änderungen Platz greifen müßten.Ich hatte in den letzten zwei Wochen auch zweimal Gelegenheit, unseren hochverehrten Herrn Bundeskanzler zu hören. Auch er führte beredte Klage über den Devisenabflull, der auf ausländische Arbeitskräfte, auf Urlauber, auf die Wiedergutmachung usw. zurückzuführen ist. Aber er hatte vergessen, daß jetzt die EWG-Zahlungen, der europäische Entwicklungsfonds und nicht zuletzt die Verpflichtungen zu Stationierungskosten kommen. Der Herr Bundeskanzler bezifferte das auf 7 Milliarden DM. Zählt man alles zusammen, so werden es vielleicht 10 bis 12 Milliarden DM. Man kann hier wirklich nur fragen: Wer soll das bezahlen? Wie soll sich das in der Zukunft erfolgreich gestalten lassen? Das ist doch eine große Sorge, die uns heute bewegen muß. Auf Grund dieser Haushalts- und Konjunkturlage müssen wir unser Verhalten in den europäischen Fragen festlegen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß die finanziellen Belastungen selbstverständlich doppelt und dreifach gewogen werden, bevor man sich hier in ein Engagement einläßt. Das waren nur einige Vorbemerkungen.Ich denke zurück an die Debatten, die wir in den letzten Jahren geführt haben — an das Jahr 1962, als die ersten Marktordnungen eingeführt wurden. Damals befanden wir uns in dem großen Hoffen nicht nur auf Europa, sondern auch darauf, daß sich alles gleichrangiger, gleichmäßiger entwickelt, daß die Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden und alle Bereiche der Wirtschaft harmonisiert werden.Wie war es, als wir die große Debatte zur Getreidepreissenkung hatten? „Europa braucht einen neuen Frühling", hieß es. Es war ein magisches Wort. Ich war erschrocken von diesem Wort. Ich sagte: Wir sind im Winter; hoffentlich erfriert dieser Frühling nicht schon im Winter. Es ist eine bittere Wahrheit. Es soll kein Triumpf sein, daß der Skeptiker mehr recht behalten hat als der Optimist. Es ist ein Faktum, daß dieser Frühling nicht stattgefunden hat, daß eben nur die bittere Realität übriggeblieben ist, sich zusammenzuraufen. Man hat immer mehr das Gefühl, es geht primär eben darum, daß die Bundesrepublik zunächst auf die Agrarüberschüsse verschiedener Partnerländer Rücksicht nimmt. Daß sich dabei gewisse Hoffnun-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2245
Ertlgen auf dem übrigen Wirtschaftsektor abzeichnen, ist selbstverständlich.Lassen Sie mich das zusammenfassen. Wir meinen, die jetzt laufenden Verhandlungen, die ja zum Abschluß kommen sollen — wir hoffen, nicht überstürzt und nicht unbedacht, sondern sehr wohl überlegt , können nur dann glücklich sein und erfolgreich wirken, wenn das Nehmen und Geben zu gleiTeilen auf alle Schultern verteilt wird. Dabei ist überhaupt zu fragen: Ist das bisherige Konzept, ist das bisherige System insgesamt richtig gewesen? Oder wäre es nicht einmal an der Zeit, sich Gedanken zu machen: Was war erfolgreich, was war richtig. und was ist ails der Entwicklung heraus heute nicht mehr richtig? Ich meine, hier gäbe es sehr vieles zu sagen und vielleicht sehr vieles zu überlegen.Wir haben gelesen und wissen, daß die Bundesregierung einen Staatssekretärausschuß eingesetzt hat. Uns würde interessieren, einmal zu erfahren, zu welchen Überlegungen der Staatssekretärausschuß gekommen ist, wie es mit der Bilanz ausschaut. Wo sind die Vorteile, wo sind die Nachteile? Wie ist die Relation zwischen Vorteilen und Nachteilen.Ich habe eingangs betont: Wir freuen uns, daß die Bundesregierung mit Vorbehalten den jetzigen Beschlüssen zugestimmt hat. Dabei scheint es mir — damit möchte ich gleich noch den Herrn Bundeslandwirtschaftsminister fragen — gewisse Differenzen in der Meinung zu geben. Wir haben in einer beachtlichen Agrarzeitschrift, wo das Interview des französischen Außenministers veröffentlicht ist, gelesen, daß er sagte, die Agrarfinanzierung sei endgültig beschlossen. Weiter sagte er so ungefähr: die Vorbehalte der Deutschen seien nicht von gleichem Gewicht. Das ist die entscheidende Frage: Ist man in der Agrarfinanzierung einig geworden, oder sind die Vorbehalte bezüglich der Marktordnung gleichgewichtig? Das ist eine Frage, die uns sehr interessiert. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung und der Bundesernährungsminister so eisern an dem Junktim zwischen Finanzierung und Marktordnungen festhalten, weil wir der Meinung sind, nur dadurch kann eine Gleichgewichtigkeit erzielt werden.Damit zur Frage der Harmonisierung, einer Frage, die wir bewußt angeschnitten haben. Die Kleine Anfrage der Kollegen der CDU/CSU hat beispielsweise wieder ergeben, daß die Deutsche Bundesbahn nicht in der Lage ist, Frachten zu senken, und daß sie gezwungen war, die Frachten zu erhöhen, weil die Kosten gestiegen sind. Man muß sich überall fragen: Wer alles darf in der deutschen Volkswirtschaft nach dem Kostenprinzip arbeiten? Offensichtlich alle, nur nicht die deutsche Landwirtschaft. Eine merkwürdige Behandlung!
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Verzeihen Sie, wenn ich Sie einen Moment unterbreche.
Herr Abgeordneter Illerhaus, Zwischenfragen sind bei der Begründung nicht zulässig, sondern erst, wenn die Aussprache eröffnet ist.
— Ich kann trotzdem nicht über die Geschäftsordnung hinweggehen.
Aber ich habe 'mir auch noch aus einem anderen Grunde erlaubt, zu unterbrechen. Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Hause begrüßen den Herrn Senator Lecanuet, der uns die Ehre seines Besuchs in Bonn gibt.
Bitte, fahren Sie fort!
Wir fragen deshalb, wie es mit der gesamten Harmonisierung, mit der Frachtenharmonisierung, mit der Kostenharmonisierung, mit der Beihilfenharmonisierung ausschaut. Erst jetzt konnte man wieder lesen, daß die französische Regierung nicht willens ist, in Kürze ihr Beihilfensystem zu ändern, woraus sich erhebliche Unterschiede in den Aufwendungen ergeben. Das ist ein Frage, die sehr wesentlich ist. Wir können doch nicht isoliert eine Agrarpreisharmonisierung durchführen, wenn man nicht zum selben Zeitpunkt auch die übrigen Bereiche der Wirtschaft harmonisiert; denn dann entsteht von vornherein ein neues Kostengefälle. Daher kommt der gesamten Harmonisierung — z. B. der Frachten, des sozialen Bereichs, der Steuern und alles dessen, was mit den Kosten zusammenhängt — eine enorme Bedeutung zu. Die Kleine Anfrage der FDP-Kollegen über die Kosten in der Bauwirtschaft hat doch sehr deutlich ergeben, welchen Nachteil beispielsweise allein auf dem Investitionssektor landwirtschaftliches Bauen die deutsche Landwirtschaft in Kauf nehmen muß. Daher unsere Frage: Wie wird es mit der Harmonisierung im Bereich der Dienstleistungen und der gewerblichen Güter? Wir fragen weiterhin, wann eine Harmonisierung der Wettbewerbsregeln möglich ist, so daß in toto eine wettbewerbsgleiche Wirtschaft besteht.Wir sind auch der Meinung, daß den Ausgleichszahlungen für die Einkommenseinbußen wesentliche Bedeutung zukommt, und deshalb haben wir dazu Fragen gestellt. Die deutsche Landwirtschaft hat gesetzliche Zusagen durch das Landwirtschaftsgesetz, sie hat mündliche Zusagen bezüglich des Einkommensausgleichs. Übrigens mußten diese auf Grund der Haushaltslage bereits reduziert werden; daher mein einleitender Hinweis auf die Haushaltslage. Sie hat aber auch Zusagen im Rahmen des EWG-Anpassungsgesetzes. Wir haben große Sorge, daß neue Einkommenseinbußen überhaupt nicht ausgeglichen werden können. Daher ergibt sich von selbst unser Standpunkt, daß diese Einkommenseinbußen verhindert werden müssen.Wir glauben auch, daß die Entwicklung dem Vertragstext entsprechen muß. Wenn man in Art. 40 nachsieht, stellt man fest, daß man dort einmal ganz andere Regeln vorgesehen hat, gemeinsame Wettbewerbsregeln, bindende Koordinierung, und erst in der dritten Phase europäische Marktordnungen. Und in Art. 44 wurde sehr klar festgelegt, daß man von Mindestpreisen ausgeht.Ich komme zurück auf den Bericht des Kollegen Lücker. Zwei Dinge waren in seinem Bericht schwergewichtig: die Übergangszeit von 12 bis 14 .lehren
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2246 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Ertlsowie die Mindestpreise und die Berücksichtigung der Kosten. Wir meinen, von diesem Problem ist man weit abgekommen.Doch nun zu den Marktordnungen. Wir fragen, ob es absolut dabei bleibt, daß das Junktim: Agrarfinanzierung und befriedigende Lösung der Marktordnungsfrage aufrechterhalten wird und ob die Bundesregierung von diesem Prinzip nicht abgeht. Wir fragen nach der Revisionsklausel. Wir haben mit Freude festgestellt, daß die Revisionsklausel bei den neuen Marktordnungen durchgesetzt werden soll. Ich frage mich: Wenn man sie schon bei den neuen Marktordnungen durchsetzt, warum soll sie dann nicht bei den alten, bestehenden Marktordnungen angewendet werden? Wir fragen konkret: Was wird aus der Revisionsklausel bei Getreide? Wir stehen doch heute hier nicht mehr allein. Hier stehen holländische und belgische Forderungen zur Diskussion. Ich bin überhaupt der Meinung, daß ein zeitliches Hinausschieben eine viel harmonischere Lösung der Frage bringt. Es wäre uns viel erspart geblieben, wenn man nicht alles so hektisch schnell betrieben hätte.Weiterhin: Wie wird es mit der Relation zwischen Futtergetreide und Weizen? Werden wir 90 : 100 erreichen? Eine wichtige Frage. Wir müssen viel Futtergetreide importieren und haben eine Überproduktion an Füllgetreide. Heben wir doch den Futtergetreidepreis an! Dann können sich die Franzosen auf Futtergetreide umstellen, und für uns hat sich ein Problem von selbst gelöst. Eine sehr wichtige Frage, wie es uns scheint.Dann die entscheidende Frage: wie wird es mit dem Milchpreis, was wird aus dem Milchpreis werden? Es ist ein Richtpreis. Hier gibt es sehr weitgehende Interpretationen. Die einen sagen, er braucht nicht erreicht zu werden; er muß im europäischen Durchschnitt erreicht werden. Wir fragen: welcher Richtpreis soll erreicht werden? Das ist eine Lebensfrage für unsere bäuerlichen Betriebe. Denn die wesentlichen Einnahmen einer Vielzahl unserer bäuerlichen Betriebe kommen aus der Rinderhaltung, und hier hat der Michpreis eine Schlüsselfunktion. Es gibt Untersuchungen, beispielsweise von der Milchwirtschaftlichen Vereinigung Allgäu, nach denen die derzeitigen Kosten bei etwa 40 Pf liegen. Das bestreitet niemand. Wir haben mit Freuden davon Kenntnis genommen, daß der Herr Bundesernährungsminister 39 Pf als Richtpreis gefordert hat. Wir fragen: bleibt es bei dieser Forderung, wird sie durchgesetzt, und wird der Erzeuger diesen Preis bekommen? Das wird die entscheidende Frage sein; denn darüber gibt es sehr viele Spekulationen. Viele sagen, es wird sich bei 35 Pf einspielen. Es würde sich eine viel schlimmere Situation wie beim Getreidepreis entwickeln, wenn wir diesen Milchpreis nicht erzielen könnten. Das würde ein tödlicher Schlag für die deutsche Landwirtschaft, insbesondere für die von allen Parteien bejahten bäuerlichen Familienbetriebe sein.In diesem Zusammenhang die Frage: Werden wir die Absatz- und Einzugsgebiete behalten können? Wie wird sich das Stützungssystem auswirken? Wie wird es werden mit der Bezahlung nach Fettprozenten? Ich komme aus einem Gebiet des Höhenfleckviehs, wo man ein halbes Jahrhundert lang nach Fettprozenten gezüchtet hat. Würde es so sein, daß bei 4 % nicht mehr höher ausgezahlt würde, dann wären die gesamten bisherigen Züchtungserfolge in Frage gestellt. Das ist eine Problematik von großem Gewicht. Hier geht es vor allem auch um die Betriebe, die in schwierigen Produktionsgebieten, z. B. in den Höhenlagen, liegen.Die Zuckerrübenfrage ist natürlich sehr entscheidend. Wir haben den Zuckerrübenpreis im letzten Jahr erhöht. Wir fragen deshalb: nach welchen Systemen wird der Zuckerrübenpreis gestaltet werden, welche Höhe wird er bekommen? Damals war man in diesem Hohen Hause einstimmig der Auffassung, daß der Zuckerrübenpreis wegen der gestiegenen Kosten erhöht werden muß. Nun hört man, er muß gesenkt werden.Die regionalen Produktionsziele! Ich will mich hier kurz fassen. Herr Kollege Sander wird während der Debatte dazu noch einiges sagen.Dann eine sehr schwerwiegende Frage, die Steuerung über den Preis. Herr Kollege Starke hat bereits in einer der letzten Debatten auf dieses wichtige Problem hingewiesen. Im „Landwirtschaftlichen Wochenblatt" von Bayern ist ein hervorragender Artikel zu diesem Thema erschienen. Wir sind der Meinung, daß in diesem Artikel wichtige Gedanken geäußert wurden. Ich glaube, es geht nicht auf die Dauer nur über den Preis, es geht vor allen Dingen nicht in der Form, daß man innerhalb der EWG über den Preis geht, dann aber Kontingente für Drittländer festsetzt und nochmals weitere Kontingente für die Welthandelsnationen im Rahmen des GATT. Das würde einen einseitigen Druck auf den deutschen Markt mit dem bewußten Ziel bedeuten, die deutsche Landwirtschaft aus dem eigenen Markt hinauszudrängen. Das aber kann man mit gutem Gewissen einfach nicht verantworten. Auch diese Frage muß also mit aller Eindeutigkeit geklärt werden, denn das ist eine Frage des Systems.Ich möchte aus dem genannten Artikel zitieren, und das möchte ich all denen sagen, die immer wieder von der Auffassung ausgehen, Preissenkungen werden letzten Endes von sich aus eine Produktionsschrumpfung einleiten. Das ist eine falsche These. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise 1927/28, 1932/33 ist trotz ständig sinkender Agrarerzeugerpreise die Produktion um 25 % gestiegen. Es ist deshalb viel besser, einen gerechten Preis zu schaffen. Der wirkt viel weniger anreizend als eine bewußte Preissenkungstendenz mit der Hoffnung, damit einen Schrumpfungsprozeß einzuleiten.
Mit der Verlagerung der Handelsströme befaßt sich unsere letzte Frage. Diese Verlagerung ist in der Tat schon im Gange. Wir sehen das, daher die Beschwerde. Der Herr Bundeskanzler mußte sich vom Herrn dänischen Ministerpräsidenten massive Kritik gefallen lassen. Hier muß eine globale Lösung gefunden werden, auch eine Lösung der Gerechtigkeit. Ich nehme an, daß in der Debatte zu
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Ertl1 dieser Frage mein Kollege Starke noch einiges sagen wird.Ich möchte meine Begründung zusammenfassen. Wir sind der Auffassung, daß die Beschlüsse, die nun zu fassen sind, sowohl vom Haushaltsvolumen her, von den Belastungen, die auf den Haushalt zukommen, von der Konjunkturlage wie auch vom politischen Ziel her einer sehr ernsten Prüfung zu unterziehen sind. Wir sind der Auffassung und haben durchaus Verständnis, daß wir einen lebendigen und funktionierenden Export brauchen. Aber dieser Export kann nicht durch einseitige Opferung der deutschen Landwirtschaft erkauft werden. Auch das muß ich in aller Deutlichkeit sagen. Hier müssen gleichgewichtige Wege gefunden werden.Wir sind auch der Auffassung, daß es sinnvoll ist, nachdem so vieles von uns in gutem Willen und in guter Absicht vorgeleistet worden ist, daß jetzt nur auf der Basis der Gleichgewichtigkeit der Partnerschaft Beschlüsse gefaßt werden. Damit meine ich und darf zum Schluß kommen —, wir bejahen im Prinzip die Zusammenarbeit in Europa. Wir sind der Meinung, daß diese Zusammenarbeit zwischen allen Völkern gefunden werden muß, daß von dieser Zusammenarbeit sogar eine Hoffnung ausgehen muß in der Form, daß sie hineinwirkt in den Bereich der Völker Osteuropas. Wir glauben aber, daß sie nur erfolgreich sein kann, wenn 'sie getragen wird von den Prinzipien des gleichen Rechts und der gleichen Pflichten in der Gemeinschaft.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin außerordentlich dankbar, daß ich die Gelegenheit habe, über die pflichtgemäße Unterrichtung hinaus, die laufend geschieht, und außer den vielen mündlichen Erörterungen in den Ausschüssen auch hier noch vor dem Plenum die Situation vortragen zu können, die sich in den europäischen Verhandlungen zur Zeit ergeben hat. Ich glaube, man wird mir hier bestätigen, daß in laufenden Kontaktgesprächen mit allen Kräften, mit allen Fraktionen dieses Hauses ebenfalls ein intensiver Gedankenaustausch stattfindet.Im Namen der Bundesregierung darf ich die Große Anfrage wie folgt beantworten. Aber gestatten Sie mir zunächst einmal eine Vorbemerkung. Die Große Anfrage wurde bereits am 27. April 1966 vorgelegt. Die Bundesregierung kann erst heute die Antwort darauf erteilen. Die Gründe sind ganz einfach folgende, wie es gestern der Präsident des Agrarministerrates gesagt hat: Es finden fast wöchentlich zwei bis drei Tage dauernde Verhandlungen im Agrarministerrat statt, und das geht seit Monaten so. Das wird auch noch im Juni diesesJahres der Fall sein, so daß einfach zeitliche Hindernisse entstanden sind, für die niemand eine schuldmäßige Verantwortung trägt.Eine ganze Reihe von Fragen ist bereits durch Entscheidungen überholt oder durch Vorentscheidungen geklärt. Die Bundesregierung bittet insoweit um Nachsicht.Ich darf nun in die Einzelbeantwortung eintreten und die Frage 1 wie folgt beantworten.Die deutsche Delegation hat auf der Ratstagung vom 4./5. und 9./10./11. Mai 1966 in Brüssel eine endgültige Zustimmung zu der vorläufigen Übereinkunft über die Neuregelung der Agrarfinanzierung davon abhängig gemacht, daß ein allgemeines Einvernehmen über die gemeinsamen Marktorganisationen für Fette und Zucker, über die ergänzenden Vorschriften zur gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse sowie über die gemeinsamen Preise für Milch und Milcherzeugnisse, Rindfleisch, Reis, Zucker, Olivenöl und Ölsaaten erzielt wird.Die hierfür notwendigen Beschlüsse sind gemäß dem Luxemburger Übereinkommen einstimmig zu fassen. Soweit die deutschen Vorbehalte zur formellen Verabschiedung der Agrarfinanzierung sich auf das Mandat für die Kennedy-Runde und die Regelung der Osthandelskredite beziehen, gehe ich später darauf ein. Es ist mir möglich, auch die Ergebnisse von gestern schon beizutragen, die uns schon wieder etwas vorangebracht haben.Für Getreide erfolgte die Preisfestsetzung als Teil eines umfassenden Beschlusses des Ministerrates bereits am 15. Dezember 1964. Getreide konnte daher nicht Gegenstand des soeben erwähnten Vorbehaltes sein.Die deutsche Delegation konnte nach einer langen Vorarbeit durchsetzen, daß die Erstattungen für die Ausfuhr von Marktordnungswaren in Drittländer vom 1. Juli 1967 an gemeinschaftlich nach dem Bruttoprinzip finanziert werden, d. h. daß auch die deutschen Ausfuhrerstattungen aus dem Agrarfonds voll rückvergütet werden.Ferner wurde in der Frage der Subventionierung von Agrarexporten der übrigen Mitgliedstaaten in die sowjetisch besetzte Zone den deutschen Wünschen sehr weitgehend entsprochen.Um die Frage nach der Finanzlast zu beantworten, muß etwas weiter ausgeholt werden. Nach der im Jahre 1962 verabschiedeten EWG-Verordnung Nr. 25 besteht der Agrarfonds aus der Abteilung „Garantie" und der Abteilung „Ausrichtung". Aus der Abteilung „Garantie" sind nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 25 zur Realisierung der gemeinsamen Agrarpolitik und der einheitlichen Preise die Interventionskosten, Ausfuhrerstattungen und Preisstützungsmaßnahmen unbegrenzt zu finanzieren. Für die Abteilung „Ausrichtung" war bisher vorgesehen, daß die ihr zur Verfügung zu stellenden Mittel ein Drittel der Gesamtsumme der Garantieausgaben betragen sollen. Obgleich die Abteilung „Ausrichtung" dadurch einer gewissen Begrenzung unterlag, wäre sie doch mit dem zunehmenden Vo-
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Bundesminister HöcherlI lumen der Abteilung „Garantie" ständig gewachsen.In den jetzigen Verhandlungen ist es der deutschen Delegation gelungen, die Koppelung der Abteilung „Ausrichtung" mit den Garantieausgaben aufzuheben und die Ausgaben dieser Abteilung auf einen festen jährlichen Höchstbetrag von 1,14 Milliarden DM zu begrenzen. Anders als bei der Abteilung „Ausrichtung" ist eine Begrenzung der Abteilung „Garantie" nicht vorgesehen. Die unbeschränkte Übernahme der Lasten aus der gemeinsamen Agrarpolitik durch den Fonds war eine der Kernforderungen unserer Partner bei den Verhandlungen im Jahre 1961/62. Es ist heute nicht möglich, den damals gefundenen Kompromiß in Frage zu stellen.Was die Finanzlast anlangt, so wird sich nach Schätzungen der EWG-Kommission — die Minimalschätzungen sind — im Jahre 1967 ein Gesamtvolumen des EWG-Agrarfonds in beiden Abteilungen von etwa 6,3 Milliarden ergeben. Hierzu wird Deutschland bei einem Beitrag von etwa 31 % knapp 2 Milliarden DM zu leisten haben. Um die Belastung des Bundeshaushalts richtig zu beurteilen, müssen dem deutschen Beitrag diejenigen Beträge gegenübergestellt werden, um die der Bundeshaushalt eine Entlastung erfährt. Diese Entlastung beträgt nach dem gegenwärtigen Stand etwa 1 Milliarde DM. Auf Grund der Schätzungen der Kommission kann daher davon ausgegangen werden, daß sich die Belastung des Bundeshaushalts für die Agrarfinanzierung in tragbaren Grenzen halten wird. Dies setzt jedoch voraus, daß die agrarpolitischen Beschlüsse des Rates sich nicht allzuweit von den Schätzungen der Kommission entfernen.Bei den Brüsseler Verhandlungen war eines der Hauptanliegen der Bundesregierung, eine Synchronisierung zwischen der Herstellung des freien innergemeinschaftlichen Warenverkehrs für gewerbliche Waren und für landwirtschaftliche Güter herzustellen. Es ist der Bundesregierung in sehr schwierigen Verhandlungen gelungen, dieses Ziel zu erreichen. Auf dem landwirtschaftlichen Gebiet erfolgt die Einführung des freien Warenverkehrs, der Natur der Sache nach, sektorenweise in der Zeit vom 1. November 1966 bis zum 1. Juli 1968. Dabei wird auf den Beginn der Wirtschaftsjahre der einzelnen Erzeugnisse Rücksicht genommen. Lediglich bei Wein soll der freie Warenverkehr später, in jedem Falle jedoch am 31. Oktober 1969, verwirklicht werden.Der freie Warenverkehr für gewerbliche Erzeugnisse wird durch eine Senkung der innergemeinschaftlichen Zollsätze um 5 % ab 1. Juli 1967 und durch ihre vollständige Beseitigung am 1. Juli 1968 verwirklicht. Von diesem Zeitpunkt an wird gegenüber dritten Ländern der gemeinsame Zolltarif angewandt. Damit sind für den Beginn des freien Warenverkehrs verbindliche Termine festgesetzt.In dem Zeitplan sind mit dem Ziel einer Angleichung der Wettbewerbsregeln Kriterien für eine gemeinsame Beihilfepolitik in der Landwirtschaft vorgesehen. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, daß Fragen wie die vollständige Herstellung des freien Dienstleistungsverkehrs, die Angleichung der Verkehrstarife und eine gemeinsame Kartellpolitik zu ihrer Lösung längere Zeit geduldiger Arbeit in Anspruch nehmen werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Erörterungen in Brüssel kann die Lösung dieser Fragen nicht zur Voraussetzung für die deutsche Zustimmung zur Agrarfinanzierung und den damit zusammenhängenden Problemen gemacht werden.Der Rat hat jedoch am 11. Mai 1966 auf deutsches Drängen andere Maßnahmen zur gleichgewichtigen Entwicklung der Gemeinschaft vorgesehen. Die Notwendigkeit rascher Fortschritte bei der Steuerharmonisierung mit dem Ziel der Beseitigung der Steuergrenzen ist anerkannt. Mit Vorrang sollen die Umsatzsteuern harmonisiert werden. In der Handelspolitik sind baldige Entscheidungen über Vorschläge der Kommission in Aussicht genommen. Über die gemeinsame Haltung in der Ausfuhrkreditpolitik gegenüber Staatshandelsländern wird bereits verhandelt. Dasselbe gilt für die Ausfuhrkreditpolitik gegenüber der sowjetisch besetzten Zone.Zur Kennedy-Runde ist vorgesehen, daß der Rat das Verhandlungsmandat der Kommission derart ergänzen wird, daß diese konstruktiv zu einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen beitragen kann. Welchen Ausgang und Erfolg die Verhandlungen der Kennedy-Runde jedoch haben werden, wird nicht allein von der EWG, die ja nur einen Partner darstellt, sondern von der Haltung aller GATT-Partner abhängen.Die Bundesregierung sieht die anstehenden großen Probleme — Agrarfinanzierung, Herstellung der Zollunion, Vollendung des Gemeinsamen Agrarmarktes durch Verabschiedung der noch ausstehenden wesentlichen Agrarmarktordnungen und Festlegung der Preise, rechtzeitige und umfassende Ergänzung des Mandats für die Kennedy-Runde, angemessene Regelung der Osthandelskredite — als ein Zusammenhängendes und Ganzes an. Sie hat daher die formelle Verabschiedung der Agrarfinanzierung davon abhängig gemacht, daß auch für die anderen Fragen befriedigende Lösungen gefunden werden.Ich darf hier einflechten, daß es in den Verhandlungen von gestern und vorgestern gelungen ist, das Mandat der Kennedy-Runde erheblich zu erweitern, und zwar sowohl im gewerblichen Sektor als auch im Agrarsektor mit einer Selbstversorgungsgrenze von 90 %, die allen berechtigten Interessen der Landwirtschaften der Gemeinschaft gerecht wird.Es steht noch aus eine finanzielle Frage, die in den nächsten Tagen ebenfalls über den Sonderausschuß oder über den Ausschuß der Ständigen Vertreter einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden kann.Die Frage 2 darf ich wie folgt beantworten. Für die künftige Haltung der Bundesregierung in den Brüsseler Verhandlungen gilt ebenso wie bisher die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 10. November 1965, wonach die Bundesregierung die Interessen der deutschen Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und bei inter-
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Bundesminister Höcherlnationalen Verhandlungen stets verteidigen und besorgt bleiben wird und daß bei dem Anpassungsprozeß der Landwirtschaft Härten, soweit nur immer möglich, vermieden werden.Zur Frage 3. Über die zu erwartende Belastung des Bundeshaushalts durch den EWG-Agrarfonds habe ich bereits berichtet und dazu Stellung bezogen. Diese Anforderungen an den Haushalt sowie diejenigen, die sich aus der Verpflichtung des Bundes gegenüber der deutschen Landwirtschaft zum Ausgleich von Einkommensminderungen durch die Preisfestsetzung für Getreide auf Grund des EWG-Anpassungsgesetzes ergeben, werden im Rahmen der allgemeinen Finanzplanung des Bundes berücksichtigt. Sie wird zur Zeit von einer Kabinettskommission zur Erstellung einer mittelfristigen Haushaltsgestaltung vorbereitet.Zur Frage 4. Die Bundesregierung unterrichtet Bundestag und Bundesrat entsprechend Art. 2 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft über die Entwicklung im Rat. Die hier in Frage stehenden Vorschläge der Kommission sind dem Bundestag zugeleitet worden. Damit ist dem Parlament die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Die weiteren Methoden zur Unterrichtung zusätzlicher Art habe ich bereits vorgetragen. Sie reichen über die Ausschußunterrichtung bis zu der intensiven Kontaktpflege mit allen Fraktionen dieses Hauses und bis hin zu den Aussprachen im Plenum.Die Fragen 5 und 6 bitte ich in der Beantwortung zusammenfassen zu dürfen. Bei dem Beschluß über das gemeinsame Getreidepreisniveau ist der Rat übereingekommen, vor dem 1. Juli 1966 auf der Grundlage eines Berichtes der Kommission, der auch die Kosten und Preise behandelt, die festgesetzten Grundrichtpreise für Getreide zu überprüfen, um sie auf Vorschlag der Kommission erforderlichenfalls der inzwischen eingetretenen Entwicklung anzupassen. Die deutsche Delegation hat in der Sitzung des Rates am 27. Mai 1966 die Vorlage dieses Berichtes erneut gefordert. Die Kommission hat zugesagt, den Bericht termingerecht vorzulegen. Dabei wird auch die Preisrelation zwischen Weizen- und Futtergetreide zu überprüfen sein. Es ist bekannt, daß die Bundesregierung für ein engeres Preisverhältnis zwischen diesen Getreidearten eingetreten ist, als es in dem Ratsbeschluß vom 15. Dezember 1964 tatsächlich festgelegt wurde.Auf die Probleme im Zusammenhang mit den GATT-Verhandlungen bin ich bereits in meiner Antwort zu Frage 1 eingegangen. An dieser Stelle möchte ich lediglich bemerken, daß durch die Festsetzung eines internationalen Referenzpreises für Getreide im Rahmen des Weltgetreideabkommens im GATT das innergemeinschaftliche Getreidepreisniveau unmittelbar nicht berührt wird.Hinsichtlich der Festsetzung gemeinsamer Preise für weitere Erzeugnisse ist die Bundesregierung zusammen mit den Regierungen anderer Mitgliedstaaten der Auffassung, daß die Aufnahme einer Revisionsklausel für die Zeit zwischen Beschlußfassung und erstmaliger Anwendung der Preisezweckmäßig und notwendig ist. Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß die gemeinsamen Preise jährlich neu festgesetzt werden sollen, so daß der Rat eine ständige Möglichkeit zur Überprüfung hat.Ich darf hier einschalten, daß ich diese Art von Revisionsmöglichkeiten für eine stärkere halte als eine Revisionsklausel an und für sich.Die Frage der Beibehaltung der Einzugs- und Absatzgebiete für Milch stellt sich erst bei der gemeinsamen Regelung des Trinkmilchmarktes. Vorschläge der Kommission liegen noch nicht vor. Die Bundesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß auch bei einem in der EWG geänderten System die Einzugs- und Absatzgebiete in der Bundesrepublik für Milch aus Umstellungsgründen für eine angemessene Frist beibehalten werden müssen.Im engen Zusammenhang mit den Regelungen bei Milch steht die Festsetzung des Rinderorientierungspreises. Der steigende Bedarf an Rindfleisch dürfte es ermöglichen, einerseits die traditionellen Lieferungen aus Drittländern aufrechtzuerhalten, andererseits durch entsprechende Festsetzung des Rinderorientierungspreises der einheimischen Produktion einen angemessenen Anteil an dem wachsenden Bedarf zu ermöglichen.Bei den Verhandlungen über den gemeinsamen Zuckerrübenpreis tritt die Bundesregierung für einen Zuckerrübenmindestpreis ein, der den berechtigten Interessen der Rübenanbauer Rechnung trägt, sowie für eine Steuerung des Anbaues von Zuckerrüben im Sinne regionaler Produktionsziele. Die italienische Regierung vertritt ähnliche Auffassungen. Die Kommission hat in ihren Vorschlägen zur Regelung des Zuckermarktes eine gewisse Annäherung an die deutschen und italienischen Vorstellungen vollzogen.Die Gesamtregelung des EWG-Agrarmarktes muß unter den im Vertrag genannten Zielsetzungen der gemeinsamen Agrarpolitik betrachtet werden. Der Vertrag nennt als Ziele die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft, die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die Stabilisierung der Märkte, die Sicherstellung der Versorgung und die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen. Um dies zu erreichen, sollen nach dem Vertrag unter anderem gemeinsame Marktorganisationen geschaffen werden. Die bisher beschlossenen Marktorganisationen — mit Ausnahme von Obst und Gemüse — sehen eine Regelung über gemeinsame Preise und mit ihrer Anwendung einen freien innergemeinschaftlichen Warenverkehr, Abschöpfungen bei der Einfuhr, Erstattungen bei der Ausfuhr und teilweise Interventionen auf dem Binnenmarkt vor. Bei den Vorschlägen zu den neuen Marktorganisationen sind die gleichen Maßnahmen zur Marktregelung vorgesehen. Lediglich bei Zucker soll nach den Vorstellungen der Kommission für einen bestimmten Zeitraum auf die Produktionsmenge Einfluß genommen werden. Der deutschen Bundesregierung reicht dieser Vorschlag nicht aus.Um zu verhindern, daß sich bei diesem System infolge von Produktionsüberschüssen Schwierig-
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2250 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Bundesminister Höcherlkeiten ergeben, prüft die Bundesregierung, wie es durch Einführung anderer geeigneter Steuerungsfaktoren ergänzt werden kann.Zur letzten Frage: Die Auswirkungen der EWG-Marktorganisationen werden dem Bundestag alljährlich von der Bundesregierung in einem Bericht dargelegt, der eingehend die Entwicklung der Handelsströme behandelt.Die deutschen Einfuhren an Marktordnungswaren aus Nicht-EWG-Staaten sind seit Einführung der gemeinsamen Marktorganisationen insgesamt geringfügig angewachsen, wobei jedoch erhebliche Veränderungen der Einfuhrstruktur eingetreten sind, die für einige Lieferländer zu beträchtlichen Schwierigkeiten geführt haben.Die Bundesregierung ist bei ihren Verhandlungen in Brüssel bemüht, eine Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dahin gehend zu erreichen, daß neben den agrarpolitischen Zielsetzungen des Artikels 39 des EWG-Vertrages auch der in Artikel 110 des EWG-Vertrages festgelegten handelspolitischen Zielsetzung einer harmonischen Entwicklung des Welthandels gebührend Rechnung getragen wird. Auch aus diesem Grunde setzt sich Deutschland nachdrücklich für ein Gelingen der Kennedy-Runde ein.Ich darf im Anschluß an die Begründung des Herrn Kollegen Ertl vielleicht noch einen Gedanken anführen. Herr Kollege Ertl hat den Anfang des europäischen Integrationsprozesses und die heutige Situation verglichen und die beiden Positionen gegenübergestellt Ich glaube, hier sagen zu dürfen, daß die Bundesregierung unabhängig von den Schicksalen, die diesen Einigungsprozeß bisher betroffen haben, auf dem Standpunkt steht, daß alle diese ökonomischen Entschlüsse und alle diese schwierigen Einzelfragen unter einem großen Thema stehen. Sie stehen unter dem Thema, Europa gemeinschaftlich zu gestalten, und zwar einmal im Rahmen der Sechs, also der kerneuropäischen Einigung, die dem deutsch-französischen Vertrag entspricht, und darüber hinaus ausgreifend auf das ganze freie Europa. Das ist das große Thema, dem auch diese Aufgabe in erster Linie unterzuordnen ist, und ich halte es, was mein Beteiligung betrifft, für eine Ehre, an einer solchen Arbeit beteiligt zu sein.
Die Beantwortung der Großen Frage ist erfolgt. Ich rufe den Punkt 3 c) auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Auswirkung der EWG-Agrarfinanzierung auf den Bundeshaushalt
— Drucksache V/687 —
Zur Begründung dieses Antrages hat das Wort die Frau Abgeordnete Dr. Elsner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zum Antrag der SPD Drucksache V/687, der sich mit den Auswirkungen der EWG-Agrarfinanzierung auf den Bundeshaushalt befaßt. Diese Frage klingt im FDP-Antrag nur sehr versteckt an, und ihre bündige Beantwortung ist dort nicht gefordert. Das wollen wir mit unserem Antrag erreichen.Wer die Brüsseler Agrarbeschlüsse endgültig beurteilen will, und zwar sowohl die Beschlüsse über die Agrarpreise wie über die Agrarfinanzierung, der muß ihre Auswirkungen auf den Bundeshaushalt kennen. Die Frage, ob die Preise den Erzeuger befriedigen, ist gewiß von Wichtigkeit; aber sie kann schließlich nicht völlig an der anderen Frage vorbeigehen, welche Agrarpolitik wir uns von der gesamten Finanzlage her leisten können.Was uns die Agrarpolitik in der EWG kosten wird, hat man bisher nur andeutungsweise erfahren können. Im Bulletin erschien vor einigen Monaten einmal eine Stellungnahme aus dem Finanzministerium zur EWG-Agrarfinanzierung. Der Herr Finanzminister hat in seiner Etatrede einige Zahlen über die künftige Belastung genannt — sehr pauschal für den, der die Auswirkungen genauer beurteilen möchte. Die Bundesregierung schließlich hat im März auf eine Kleine Anfrage schriftlich geantwortet, aber auch da über die kommenden Belastungen nichts ausgesagt, und auch der Herr Landwirtschaftsminister hat uns soeben neben einzelnen Zahlen, die er nannte, keine Aufklärung über die Gesamtbelastung gegeben. Den umfassendsten Überblick hat noch dankenswerterweise das Institut für Finanzen und Steuern geliefert, einen Überblick allerdings, der durch die neuen Beschlüsse überholt sein dürfte. Für Sie in diesem Hause wird es wenig Trost sein, zu hören, daß auch für die Mitglieder des Europäischen Parlaments die Auswirkungen der EWG-Agrarbeschlüsse auf die Haushalte völlig undurchsichtig geworden sind.Damit stehen wir in der Gefahr, dieses wichtige Kriterium in die Beurteilung der Beschlüsse nicht einzubeziehen. Wir stehen in der Gefahr — lassen Sie mich das ruhig so sagen —, daß die Agrarpreise nur noch vom Standpunkt der Produzenten her beurteilt werden. Ihre Wirkung auf die Verbraucher hat bei den Entscheidungen sowieso nie eine große Rolle gespielt.Wir haben auch im Wirtschaftsausschuß dieses Hauses kürzlich den Vertreter des Ministeriums nach der Höhe der Haushaltsbelastung durch die Agrarbeschlüsse gefragt. Die Antwort war abermals: das könne man erst feststellen, wenn man sich in Brüssel endgültig über die Preise geeinigt haben werde. Ja, meine Damen und Herren, wenn alle Preise erst festliegen und endgültig beschlossen sind, dann wird es ziemlich sinnlos geworden sein, daß wir uns hier noch Gedanken über die Haushaltsbelastung machen. Dann bleibt nur übrig, die Kosten zu schlucken; denn dann unterliegen wir der Automatik des Ausgleichs- und Garantiefonds, die eben fordert, daß Überschüsse aus dem Markt genommen oder der Export subventioniert wird, sei es auf Kasten der Haushalte der Mitgliedstaaten, wie zur Zeit noch, sei es über die Abtretung der Abschöpfungen und Zolleinnahmen, wie wahrscheinlich einmal in der Zukunft.
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Frau Dr. ElsnerIch unterstelle unserer Regierung gar nicht, daß sie in Unkenntnis dieser Belastungen gehandelt hat. Wir haben oft genug gehört, wie fieberhaft in den Verhandlungspausen in Brüssel gerechnet worden ist. Aber nicht nur die Regierung sollte die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt kennen. Wenn es das vornehmste Recht des Parlaments noch immer ist, Einfluß auf den Haushalt zu nehmen, so sollten wir jetzt, wo einige Fragen noch zur Verhandlung anstehen, erfahren, welche Konsequenzen sich aus der Agrarmarktpolitik, die die Regierung vertritt und die wir mit ihr vertreten wollen, für die Haushalte der kommenden Jahre ergeben. Und dies um so mehr, als die Agrarpolitik, die wir heute in der EWG betreiben, nicht mehr genau die Agrarpolitik ist, an die bei der Ratifizierung der Römischen Verträge gedacht worden ist, sondern eine Politik, die viel teurer wird. Damals wollte man möglichst keine Überschüsse; heute nimmt man Überschüsse im Interesse der Erhaltung des Preisniveaus in Kauf.Ich sage das ohne Kritik. Wir alle in diesem Hause haben uns dazu verstanden, uns die Agrarpolitik etwas kosten zu lassen. Aber wir hier im Bundestag müssen das Ausmaß des Risikos kennen. Wir können die Katze nicht im Sack kaufen.Vielleicht muß man in diesem Zusammenhang daran erinnern: alle EWG-Beschlüsse, so sehr sie in die Zukunft wirken, sind der zukünftigen Einflußnahme durch den Bundestag entzogen. Je größer der feste Ausgabenblock in unserem Haushalt aber wird, um so geringer wird die Möglichkeit, über den Haushalt und die Ausgabensteuerung noch auf die Konjunktur und auf das allgemeine Preisniveau einzuwirken. Das muß auch die Landwirtschaft interessieren; denn gerade sie gerät ja durch ein Steigen des Kostenniveaus bei festen Marktpreisen zuallererst unter Druck.Nun ein Wort zu dem Beamten, der meinte, man müsse erst alle Faktoren kennen, ehe man rechnen könne. Wir erwarten nicht eine Vorausschau, die auf Heller und Pfennig genau die Kosten für die künftigen Haushalte errechnet. Es ist beinahe banal, das zu sagen, aber man muß es wohl tun: Solche Vorausberechnungen, die hier nötig sind, liegen im Bereich der Wirtschaftspolitik. Sie werden überall gemacht. Wir erwarten eine Schätzung, die bestimmte Hypothesen setzt, die verschiedene Annahmen der Produktionsentwicklung zugrunde legt, auch verschiedene Annahmen der Verbrauchsentwicklung, auch die Auswirkung verschieden hoher Preise für die einzelnen Produkte. Denn das ist doch wohl unbestritten: die Höhe der vereinbarten Agrarpreise wird Einfluß auf die Höhe der Produktion haben, wenn nicht bei uns — wie man soeben von der FDP hören konnte —, so ganz sicherlich in Frankreich, und wird damit Einfluß haben auf den möglichen Überschuß in der EWG, demzufolge auch auf die schließliche Höhe der Haushaltsbelastung. Solche Alternativrechnungen wären überall dort angebracht, wo in die Vorausschau hinein noch eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren wirken. Das Ergebnis würde in jedem Fall den Spielraum der Haushaltsbelastungen aufzeigen, in dem wir uns mit unseren Entscheidungen bewegen. Wir wären dann als Abgeordnete dieses Hauses besser in der Lage zu beurteilen, wo das Interesse des landwirtschaftlichen Produzenten seine Grenze finden muß.Ich habe mir versagt, in diesem Zusammenhang an das Interesse des Verbrauchers zu erinnern, aber es reizt mich, die reichlich salomonische Stellungnahme des Bundesrates zu den neuen Agrarpreisen der Kommission zu erwähnen, die etwa darauf hinausläuft: keine negativen Auswirkungen für den Produzenten, aber auch keine negativen Auswirkungen für den Verbraucher, — also keine Veränderungen.Daß aber die EWG Veränderungen bringen wird, das haben wir von Anfang an gewußt. Es bleibt auch einer übrig, der dafür einstehen muß, wenn alle Veränderungen scheinbar abgefangen werden, nämlich der Steuerzahler. Darum möchten, nein, müssen wir wissen, wie die Haushaltsbelastung durch die EWG-Agrar-Finanzierung in den kommenden Jahren aussehen wird, was an Subventionen wegfällt — vielleicht —, aber auch was an Zoll- und Ausgleichssteuereinnahmen verlorengeht, z. B. wegen des Wegfalles des Binnenzolls, und was per Saldo zu tragen bleibt. Wir meinen, daß eine solche Kenntnis nicht nur zur Objektivierung des Agrargesprächs beitragen wird. Sie ist auch unerläßlich für dieses Haus, wenn es die Agrarbeschlüsse überhaupt beurteilen soll. In diesem Sinne bitte ich das Hohe Haus um Annahme unseres Antrages.
Ich rufe Punkt 3 b) auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. künftiges Verhältnis der EWG zur EFTA — Drucksache V/686 —
Das Wort zur Begründung hat die Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht kein Zweifel, daß seit dem Schock, den wir alle 1963 durch den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit England erfahren haben, es lange nicht mehr so viel Äußerungen — sowohl der zuständigen Staatsmänner als auch der Öffentlichkeit — zu dem Wunsch, von uns aus gesehen: zu der Notwendigkeit gegeben hat, für England, die skandinavischen Staaten, überhaupt die beitrittswilligen Staaten, neue Chancen zu eröffnen, Mitglied der EWG zu werden. Es besteht aber auch kein Zweifel, daß diese Fragen nicht von der Politik zu trennen sind, die die EWG heute macht, und den Konsequenzen, die sich daraus für den größeren Markt — sei es der von 7, sei es der von 13 — ergeben.Aus diesem Grunde legen wir heute bei dieser Debatte diesen Antrag vor. Wenn man heute in den Zeitungen liest, daß eine Einigung über das Mandat, das die Kommission für die Kennedy-Runde bekommen hat, in Brüssel erreicht werden konnte,
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2252 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Frau Strobeldann macht man sich Hoffnungen — ich hoffe, es sind berechtigte Hoffnungen —, daß die Gemeinschaft doch wieder ihre Fähigkeiten zurückgewinnt, über ihren eigenen Zaun hinauszuschauen. Ich glaube, es wäre dazu allerhöchste Zeit.Sicher sind die inneren Schwierigkeiten noch nicht alle überwunden, — wenn auch die Beschlüsse vom 11. Mai, die letzten Brüsseler Beschlüsse, ein gewisses Gefühl der Erleichterung bei vielen hervorgerufen haben. Ich muß sagen: Skepsis ist nach wie vor am Platze, insbesondere wenn man an die Rolle des Parlaments denkt; das kann ich hier nur andeuten, denn es hat nicht direkt mit unserem Antrag zu tun. Nun mehren sich aber die Zeichen, daß eine ganze Anzahl Länder, nicht allein England, nicht mehr länger warten wollen, vielleicht auch nicht mehr länger warten können — auf Grund ihrer wirtschaftlichen Situation —, um die Beitrittsmöglichkeiten zur EWG neu zu überdenken. Z. B. können wir aus den Kommentaren über die letzte EFTA-Ministerratstagung in Bergen immerhin schließen, daß einige Regierungen geradezu gedrängt sind, Wege zu finden, die sie aus ihrer unerwünschten handelspolitischen Lage herausführen, die teilweise eine Folge der Existenz und der Politik des Gemeinsamen Marktes ist. Die EWG hat bisher auf solche Verlautbarungen aus EFTA-Kreisen leider keine offizielle Reaktion gezeigt. Ich muß sagen, wir bedauern das außerordentlich. Wir sehen ein, daß sie mit sich selbst sehr beschäftigt ist; wir wissen alle, aus welchen Gründen. Aber sie darf doch nicht lange Zeit den Eindruck erwecken, als3) ob sie sich selbst genügte. Und dieser Eindruck muß entstehen, wenn wiederholte Veröffentlichungen, Presseerklärungen usw. aus EFTA-Kreisen, daß man den Dialog mit der EWG möchte, unbeantwortet bleiben.Die EFTA hat Ende 1965 und vor kurzem wieder in Bergen den Wunsch geäußert, die innereuropäischen Zolldiskriminierungen durch multilaterale Verhandlungen möglichst zu überwinden. Dabei ist — wie wir alle 'wissen — der volle Diskriminierungseffekt noch gar nicht eingetreten. Der kommt erst, wenn die Binnenzölle sowohl in der EWG als auch in der EFTA restlos beseitigt sind. Im Zusammenhang mit der Agrarpolitik ist es sogar so, daß die Präferenzen, die der Gemeinsame Markt einräumt, noch verhältnismäßig gering sind, daß sie aber mit einem Sprung am 1. Juli 1967 hergestellt werden, so daß wir damit rechnen müssen, daß der Diskriminierungseffekt mit seinen handelspolitischen Wirkungen dann noch viel größer sein wird. Auch eine erfolgreiche ,,Kennedy-Runde" ist nach unserer Auffassung kein Ersatz für eine europäische Wirtschaftszone, die die Sechs und die Sieben gemeinsam umfaßt. Wir sollten uns nicht mit der Hoffnung trösten, daß ja die „Kennedy-Runde" erfolgreich beendet werden kann. Unser Auftrag, darüber hinaus mit der EFTA bzw. einzelnen EFTA-Staaten zu einer noch engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu kommen, wird dadurch keinesfalls abgelöst.Wenn man das Problem in seiner ganzen Tragweite sehen will, muß man sich immer wieder dieZahlen vergegenwärtigen, die sich durch die beiden Präferenzzonen auf dem handelspolitischen Gebiet ergeben. Ich will Sie nicht mit diesen Zahlen langweilen; zwei muß ich aber doch nennen. Der Außenhandel der EWG-Länder untereinander — sowohl Einfuhren wie Ausfuhren — hat sich von 1958 bis 1965 um 202 % erhöht. Der Außenhandel der EWG mit Drittländern hat sich in der gleichen Zeit nur um 74 % erhöht. Das ist der große Unterschied, und wenn erst einmal der gemeinsame Agrarmarkt voll hergestellt sein wird, werden diese Zahlen noch unterschiedlicher sein.Sicher werden die Beziehungen zwischen den Staaten, also die außenpolitischen Beziehungen, auch auf anderen Gebieten darunter leiden, wenn noch weniger Absatzmöglichkeiten für unsere bisherigen oder früheren Handelspartner auf unseren Märkten bestehen. Wir — und mit „wir" meine ich nicht einmal nur uns Sozialdemokraten, sondern alle drei Fraktionen dieses Hauses und die Bundesregierung —, wir Deutschen also haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir wünschen, daß alle beitrittswilligen europäischen Staaten der EWG auch beitreten können. Insbesondere wünschen wir so rasch wie möglich den Beitritt Dänemarks und Englands. Nachdem der Herr dänische Ministerpräsident Krag im Juni 1965 in Bonn gewesen war, gab es z. B. im „Wiesbadener Kurier" eine Veröffentlichung, in der es wörtlich hieß — ich darf das mit Erlaubnis. des Herrn Präsidenten zitieren —:Wie Bundespressechef von Hase mitteilte, ist der Kanzler nicht nur bereit, sich bei den übrigen EWG-Partnern für intensivere Beziehungen der Sechsergemeinschaft zur EFTA einzusetzen, sondern er will auch die Möglichkeit prüfen, zwischen den Institutionen der beiden Organisationen Kontakte herzustellen. Dabei ist offenbar vor allem an gemeinsame Ministerratssitzungen gedacht.Wenn das zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem dänischen Ministerpräsidenten so besprochen bzw. diese Meldung auch in Dänemark verbreitet worden ist, dann müssen, glaube ich, nicht nur wir uns, sondern auch die Dänen sich fragen: Wann und wo ist dieses Versprechen eingelöst worden?Ob man nun die Kommuniqués über Gespräche zwischen dem Herrn Bundeskanzler, den Außenministern oder auch Ministerpräsidenten verschiedener skandinavischer Regierungen bei Besuchen in ' Bonn oder bei Besuchen unserer Minister in Skandinavien liest: Immer heißt es, daß man sich einig sei, daß die Spaltung in zwei Wirtschaftsblöcke überwunden werden muß.Ich hatte mich sehr gefreut, als ich im Juni 1965 in einer Verlautbarung der „Welt" vom 15. Juni lesen konnte, daß Herr Bundeswirtschaftsminister Schmücker im EWG-Ministerrat im Auftrage der Bundesregierung eine Erklärung über die Beziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der EFTA abgab und namens der Bundesregierung engere Beziehungen zwischen EWG und EFTA forderte. In dieser Presseverlautbarung heißt es u. a.:
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2253
Frau StrobelUm eine gemeinsame Auffassung des EWG-Ministerrats in dieser Frage herbeizuführen, werde die deutsche Delegation für die nächste Sitzung des Rates einen entsprechenden Text vorbereiten.Dann habe ich allerdings darüber nichts mehr gehört und nichts mehr gelesen. Deshalb meine Frage an die Regierung: Gibt es diesen Text? Wann ist er dem Ministerrat vorgelegt worden und wie war die Reaktion darauf? Oder ist er im Zuge der krisenhaften Entwicklung des letzten Jahres untergegangen? Das wäre unter Umständen verständlich. Aber dann müßte mindestens jetzt das vor einem Jahr gegebene Versprechen eingelöst werden. Was ist also aus dieser Aktion geworden?Aus EFTA-Kreisen hören wir immer wieder, daß es keinerlei Reaktion der EWG auf die verschiedenen Erklärungen gegeben habe. Deshalb wollen wir die Bundesregierung durch diesen Antrag, den Sie hoffentlich alle unterstützen werden, veranlassen, jetzt eine solche Aktion einzuleiten.Eine schriftliche Anfrage, die ein holländischer Kollege der EWG-Kommission gestellt hat, ob und wie man auf die Kommuniqués der EFTA reagiert habe, ist so ausweichend beantwortet worden, daß man annehmen muß, daß es darüber in den Institutionen der EWG keine Besprechungen gegeben hat.Der zweite Punkt unseres Antrags befaßt sich in erster Linie mit den Beitrittsfragen. In diesem Hause hat am 25. Mai nach der Rückkehr des Herrn Bundeskanzlers aus England eine außenpolitische Debatte stattgefunden, bei der Herr Erler für die sozialdemokratische Fraktion gefordert hat, daß von der Bundesrepublik Deutschland jetzt der Anstoß kommen müsse, den laufenden Absichtserklärungen der verschiedenen Staatsmänner und Regierungsvertreter jetzt Taten folgen zu lassen. Über den Beitrittswillen Englands und Dänemarks gibt es, glaube ich, keinen Zweifel. Premierminister Wilson hat eindeutig für den Beitritt Großbritanniens in die EWG plädiert. Er hat sogar eindeutig gesagt: im Rahmen des Römischen Vertrages. Sie alle, meine Damen und Herren, bekommen die „Englische Rundschau". Ich möchte Ihnen empfehlen, einmal in der „Englischen Rundschau" die Rede des stellvertretenden Premierministers von England und Wirtschaftsministers, des Herrn Brown, nachzulesen, die er auf der Internationalen Sozialistenkonferenz in Stockholm gehalten hat. Dort ist sie nämlich abgedruckt. Für diejenigen, die das noch nicht lesen konnten, erlaube ich mir, nur ein paar Sätze zu zitieren, da das, was ich eben gesagt habe, bestätigen. Herr Brown hat dort u. a. gesagt:Für sie— also Großbritannien —lautet die Frage also nicht, ob, sondern wann und unter welchen Bedingungen wir der EWG beitreten wollen.Er hat weiter gesagt:Wir wünschen eine erweiterte EWG Wir wollen ihr als Mitglied angehören, und wir wollendie Basis finden, auf der dies möglich wäre. Die Labour-Regierung ist in dem tiefen Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber Europa und der Welt entschlossen, ihren vollen Beitrag zur Verwirklichung der europäischen Einheit zu leisten, die für beide so entscheidend wichtig ist.Ich finde, deutlicher kann man es nicht sagen und sollte man es auch nicht sagen müssen; denn es ist klar, daß dann, wenn der stellvertretende Premierminister Großbritanniens eine solche Rede hält, auch die Regierung dahintersteht.Weil das so ist, schlagen wir mit unserem Antrag vor, daß man einmal unter den sechs Regierungen — d. h. im Ministerrat — versucht, zu klären, ob Einstimmigkeit dafür besteht, daß man jetzt England zum Beitritt auffordern kann, gleichzeitig aber auch durch die EWG-Kommission zu klären — das ist die Ziffer 2 b —, unter welchen Voraussetzungen das möglich wäre. Das muß, glaube ich, schon aus dem Grunde geschehen, weil man keinesfalls eine Situation heraufbeschwören darf, in der wieder Verhandlungen eingeleitet werden, ohne daß sie zum Ziele führen.Daß die öffentliche Debatte über den Beitritt Englands in jüngster Zeit wieder so intensiv geworden ist, ist nicht zuletzt auch durch eine Erklärung ausgelöst worden, die der Staatssekretär im französischen Außenministerium, Herr de Broglie, in einer Ministerratssitzung der Westeuropäischen Union in Paris abgegeben hat. Laut der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 18. März hat er gesagt — es ist immerhin der Staatssekretär im französischen Außenministerium, der so etwas auch nicht ohne Einverständnis seiner Regierung sagen kann —, „was aber die Frage der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehe, so bleibe ein starkes Europa mit britischer Beteiligung das Ziel der französischen Politik. De Broglie erweckte den Eindruck, daß seine Regierung die früheren Bedenken gegen den britischen Beitritt zur EWG nicht mehr voll aufrechterhält".Über diese Erklärung haben sich nicht nur die dort anwesenden Minister der anderen Staaten hoffentlich sehr gefreut, sondern es ist auch so, daß die Reaktion in der Öffentlichkeit allgemein dahin ging: Es könnte einen neuen Ansatz geben. Wenn es so ist, meine Damen und Herren, dann dürfen wir diesen neuen Ansatz nicht verspielen, sondern wir müssen jetzt dafür sorgen, daß darüber nicht nur geredet wird, sondern daß den Reden Taten folgen.Wenn nichts geschieht außer Erklärungen, dann bleiben das alles nur leere Worte, um nicht zu sagen: leeres Gerede. Wir müssen so handeln, wie wir sprechen.Da stellt sich die Frage: Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir in der EWG, wenn wir davon ausgehen müssen, daß wir nicht erwarten können, daß England, Dänemark und die anderen beitrittswilligen Staaten ein neues Beitrittsersuchen stellen? Darüber sind wir uns, glaube ich, weitgehend einig: Die Initiative muß diesmal von der Gemeinschaft ausgehen.
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2254 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Frau StrobelDeshalb fordern wir unter Ziffer 2 a unseres Antrages die Regierung auf, das dafür Notwendige zu tun. Da wir uns keinen Illusionen hingeben, daß das kurzfristig möglich sei, bitten wir unter Ziffer 3, die Bundesregierung zu ersuchen, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden.Meine Damen und Herren, wir sind dazu nach unserer Meinung geradezu verpflichtet, wenn wir uns noch an den EWG-Vertrag halten wollen. Denn in der Präambel des EWG-Vertrages steht im ersten Satz:In dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen . . .Im letzten Satz heißt es:Entschlossen, durch diesen Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen —in Erfüllung dieser Präambel meinen wir, es wäre an der Zeit, daß die deutsche Bundesregierung im Ministerrat der EWG dafür sorgt, daß eine solche Aufforderung an diese Staaten ergeht. Immer wieder sagen wir, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft müsse eine offene Gemeinschaft sein, sie müsse sich ihrer internationalen Verpflichtungen bewußt werden. Wir sagen auch, wie notwendig es ist, daß Europa ein gleichberechtigter und gleichwertiger Partner Amerikas wird. Das kann aber eben nicht nur das Europa der Sechs sein, das muß mindestens die EWG- und EFTA-Staaten umfassen. Da Partnerschaft das Ziel unserer Politik ist, müssen wir alles tun, um dieses Ziel auch zu erreichen.Gestatten Sie mir in dem Zusammenhang — gerade auch nach der heutigen agrarpolitischen Debatte —, darauf aufmerksam zu machen, daß die Zeit in diesem Fall nicht für, sondern gegen unser Anliegen arbeitet. Beispiel: Agrarfinanzierung. Wenn die Agrarfinanzierung in einer erweiterten EWG so bleiben sollte, wie sie jetzt vom Ministerrat beschlossen worden ist, würde z. B. der englische Beitrag nach Berechnungen, die man jetzt auf Grund des Einfuhrvolumens Großbritanniens anstellen kann, prozentual wesentlich über all den anderen Beiträgen der heutigen sechs Mitgliedstaaten liegen. Ich will keine Zahlen nennen, weil diese Zahlen sehr schwer zu errechnen sind. Es steht aber fest, daß der Beitrag auf alle Fälle zwischen 35 und 40 % liegen würde. Ich nenne dieses Beispiel nur deshalb, weil man sehen muß — Premierminister Wilson hat ja gesagt, die Agrarpolitik sei eine der schwierigsten Hürden, die bei dem Beitritt zu nehmen sei; darüber sind wir uns sicherlich auch klar —, daß es um so schwieriger sein wird, den Beitritt der anderen Staaten unter den Bedingungen zu erreichen, die wir bereits beschlossen haben, je mehr Fakten in der Sechsergemeinschaft geschaffen werden.
Aus diesem Grunde ist es so notwendig, daß man, wenn jetzt der Stillstand innerhalb der EWG überwunden ist, an diese Dinge herangeht.Wenn es stimmt, was Herr Marjolin gelegentlich der Debatte über die Brüsseler Beschlüsse in Straßburg gesagt hat — er hat damals nämlich gesagt, nach diesen Brüsseler Beschlüssen sei jetzt der Weg frei — —
Ich darf wiederholen. Herr Marjolin hat bei der Beratung des Straßburger Parlaments über die letzten Brüsseler Beschlüsse am 12. Mai gesagt, jetzt sei der Weg frei für Schritte zur Wirtschaftsunion in der EWG. Wenn das so ist, ist die Verhandlungsaufnahme mit England um so dringender.Wir haben immer die Sechsergemeinschaft als einen Ansatzpunkt für eine größere europäische Gemeinschaft verstanden. Wenn der Sinn der Gemeinschaft, wie er in der Präambel steht, erfüllt werden soll, dann muß diese Sechsergemeinschaft jetzt eben nicht nur Solidarität unter sich üben, sondern sie muß diese Solidarität auf die anderen Staaten ausdehnen. Wenn Westeuropa seine Spaltung in zwei Wirtschaftsblöcke beendet, wird es auch sehr viel leichter sein, die Beziehungen zu den osteuropäischen Völkern gemeinsam zu verbessern. Es gibt viele politische Gründe, die uns in diese Richtung drängen.
Daß in Großbritannien und in Dänemark trotz dieser damaligen Unterbrechung der Wille zum Beitritt heute mehr denn je vorhanden ist, verlangt von uns geradezu eine Aktion, die diesen Willen in diesen Ländern stärkt. Aber auch um des gemeinsamen Marktes willen ist diese Aktion notwendig; denn, meine Damen und Herren, ob zu Recht oder zu Unrecht — ich will das jetzt hier gar nicht prüfen —, die Gemeinschaft wird von draußen als ein Block gesehen, der anderen Staaten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung Grenzen setzt. In den Monaten nach dem Januar 1963 hatten wir alle uns vorgenommen, in der Gemeinschaft keine Maßnahmen zu ergreifen, die den Abstand zwischen EWG und EFTA vergrößern und die es den EFTA-Staaten schwerer machen, zu uns zu kommen.Nun, die Durchführung eines solchen guten Vorhabens ist nicht möglich gewesen, es sei denn, wir hätten die EWG zum Stillstand bringen wollen, was wiederum ihre Anziehungskraft wesentlich geschmälert hätte. Wir befinden uns hier eigentlich in einem Zwiespalt, und ich finde, dieser Zwiespalt ist nur dadurch zu lösen, daß wir möglichst bald zum Beitritt dieser Staaten kommen.Nun meine ich, es stünde gerade der Bundesrepublik Deutschland besonders gut an, wenn sie eine Übereinstimmung der sechs Regierungen herzustellen versuchte, für diesen Beitritt jetzt eine Initiative aus der EWG zu entfalten. Frage: gibt es Chancen für eine solche Übereinstimmung? Ich bin
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Frau Strobelder Meinung, es scheint mindestens so. Ich erinnere an die Äußerungen des französischen Staatssekretärs in der WEU. Aber um jedes Mißverständnis zu vermeiden, sollten wir betonen, daß wir uns zusammen mit unseren französischen Partnern darum bemühen sollten und daß wir keine Rückgriffe machen sollten auf frühere Vorgänge. Ich glaube, dann wäre der Start in eine solche Politik leichter.Es gibt noch einen Grund für die Notwendigkeit einer solchen Aktion. Gewiß, wir mußten heute in der Zeitung lesen, daß man bezüglich der Fusion der Exekutiven in Brüssel nicht weitergekommen ist. Aber in etwa besteht ja eine gewisse Hoffnung, daß man sich in der Juli-Sitzung in dieser Beziehung einigt. Auf alle Fälle würden dann in absehbarer Zeit die Verhandlungen über die Fusion der Verträge folgen. Ich muß Ihnen sagen: ich kann mir nicht vorstellen, daß es nützlich wäre, die Verhandlungen über die Fusion der Verträge und den künftigen Inhalt der Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nur unter den Sechsen zu führen und die anderen, von denen wir wünschen, daß sie dazukommen, draußen vor der Tür stehen zu lassen, so daß sie zum Schluß wieder das akzeptieren sollen, was wir miteinander ausgehandelt haben. Deshalb sollten wir diese Aktion innerhalb der EWG vor den Verhandlungen über die Zusammenlegung der Verträge starten. Wir fordern durch unseren Antrag dazu auf.Manche Entwicklung in der EWG sieht so aus, als würde die nächste Zukunft nur Fortschritte auf der materiell-technischen Ebene möglich machen. ) Damit können wir uns alle nicht abfinden. Europa hat politische Interessen und politische Pflichten in der Welt, und wir meinen — ich hoffe, daß wir darüber auch alle einig sind, daß Europa auf die Dauer seinen eigenen Interessen und seinen Verpflichtungen in der Welt eben nur gerecht werden kann, wenn es aus allen westeuropäischen Staaten besteht , daß man damit den Anfang machen muß. Deshalb bitten wir Sie, diesen Antrag anzunehmen. Und wir bitten die Regierung, dann möglichst bald die Konsequenzen aus diesem Antrag zu ziehen und in den Gemeinschaften dafür zu sorgen, daß die betreffenden Staaten zum Beitritt aufgefordert werden.
Wir treten in die Aussprache ein. — Das Wort hat der Abgeordnete Struve;
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der offiziellen Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Bundesminister Höcherl einige Bemerkungen vorangestellt und zum Ausdruck gebracht, daß er mit seinen Mitarbeitern jede Gelegenheit genutzt hat, das Hohe Haus und vor allen Dingen auch den zuständigen Ausschuß zu informieren. Ich bestätige Ihnen das sehr gern, Herr Bundesminister, und darf Ihnen im Namen meiner Fraktion — sowohl Ihnen persönlich als auch Ihren Mitarbeitern — dafür herzlich danken.
Wir haben in guter. Erinnerung, daß Sie auch während der Berliner Tagungswoche für einige Stunden mit einem Flugzeug nach Berlin kamen, um die einzelnen Fraktionen zu informieren, weil eine Ausschußsitzung in der Kürze nicht möglich war. Wir sind mit Ihnen einer Auffassung, daß gerade das ein geeigneter Weg ist bei dieser komplizierten Konstruktion, die durch Kommissionsvorschläge einerseits und Ministerratsentscheidungen andererseits gegeben ist, unbekümmert um den Gang, den die Geschäftsordnung dieses Hohen Hauses vorschreibt, um auch von seiten des Parlaments, von seiten der Abgeordneten nicht nur informiert zu sein, sondern gegebenenfalls vielleicht auch den einen oder anderen Rat anbringen zu können.Nun sind uns soeben zwei Anträge von seiten zweier Kolleginnen der SPD-Fraktion begründet worden. Beide Anträge tragen das gestrige Datum vom 14. Juni, und beide Sprecherinnen haben gebeten, wir möchten diese Anträge annehmen. Nun, ich glaube, wer die Begründung aufmerksam verfolgte, der wird ohne weiteres einsehen, daß es so schnell nicht geht. Ich darf deshalb namens der Koalitionsfraktionen beantragen, daß die Drucksache V/686 dem Wirtschaftsausschuß — federführend — und dem Ernährungsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird. Zu Drucksache V/687 darf ich namens der Koalitionsfraktionen beantragen, daß dieser Antrag dem Haushaltsausschuß — federführend und dem Ernährungsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird.Im Namen der CDU/CSU-Fraktion begrüße ich es, daß die deutsche Delegation in Brüssel erreicht hat, daß bei der vom Ministerrat verabschiedeten vorläufigen Übereinkunft über die Neuregelung der Agrarfinanzierung eine auch für die Bundesrepublik vertretbare Einigung erzielt wurde. Das gilt einmal für die von der Bundesrepublik aufzubringenden Beiträge an den EWG-Agrarfonds. Nach dem Ziel und dem Inhalt der Römischen Verträge sind die jetzt vereinbarten finanziellen Aufwendungen eine notwendige Voraussetzung für die gemeinsame Agrarpolitik. Das gilt insbesondere für die Lasten, die aus der Abteilung Garantie des EWG-Agrarfonds zu finanzieren sind, nämlich die Interventionskosten, die Ausfuhrerstattungen und die Preisstützungsmaßnahmen. Die gemeinsame Agrarpolitik würde gerade für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft schwerwiegende Nachteile zur Folge haben, wenn eine Übernahme dieser Lasten durch den Fonds nicht möglich wäre, weil die zur Verfügung stehenden Mittel von vornherein begrenzt wären.Das gilt nicht zuletzt bei der Finanzierung der Erstattung für die Ausfuhr von Marktordnungswaren in Drittländer. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß diese Ausfuhrrückerstattungen vom 1. Juli 1967 an gemeinschaftlich nach dem Bruttoprinzip finanziert werden. Durch die intensiven Bemühungen der deutschen Verhandlungsdelegation ist endlich erreicht worden, daß auch die deutschen Ausfuhrerstattungen aus dem Agrarfonds von diesem Zeitpunkt an voll rückvergütet werden. Dieses Problem erhält für die. deutsche Land-, aber vor allem auch für die deutsche Ernährungswirtschaft eine zunehmende Bedeutung.
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2256 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
StruveUnsere Land- und Ernährungswirtschaft wird spätestens im Jahre 1968 voll in den Gemeinsamen Markt integriert sein. Wir werden dann in verschiedenen Bereichen Agrarüberschußland sein. Damit ist eine dauerhafte Lösung der Agrarprobleme in der Bundesrepublik nur möglich, wenn wir neben dem organischen Ausbau unserer Warenströme innerhalb des Gemeinsamen Marktes auch in zunehmendem Maße die vorhandenen Chancen eines Agrarexports in Drittländer nutzen und stetig ausbauen können.
Die deutsche Verhandlungsdelegation konnte andererseits erfreulicherweise durchsetzen, daß die automatische Koppelung der Ausgaben für die Abteilung Ausrichtung mit den Ausgaben der Abteilung Garantie aufgehoben wird. Die Ausgaben der Abteilung Ausrichtung für strukturelle Maßnahmen werden bekanntlich auf einen jährlichen Höchstbetrag von 1,14 Milliarden DM begrenzt.Wir möchten die Bundesregierung jedoch auffordern, in noch stärkerem Maße dafür einzutreten, daß auch die Bundesrepublik im Rahmen der strukturellen Förderungsmaßnahmen der Abteilung Ausrichtung des EWG-Agrarfonds in angemessenem Umfange berücksichtigt wird. Es gibt auch in unserem Lande eine Reihe von regionalen Entwicklungsgebieten, deren Förderung durch den EWG-Agrarfonds gleichermaßen gerechtfertigt ist wie etwa die Entwicklungsgebiete in Italien und Frankreich. Ich darf als Beispiel hier auf die von der Natur benachteiligten Gebiete verweisen. Besonders hervorheben möchte ich das Zonenrandgebiet, für dessen wirtschaftliche Gesamtentwicklung wir alle eine große politische Verantwortung tragen.
Wir haben mit Genugtuung festgestellt, daß die Bundesregierung die formelle Verabschiedung der in Aussicht genommenen Agrarfinanzierung davon abhängig gemacht hat, daß auch für die noch ausstehenden Entscheidungen, insbesondere bei der Herstellung der Zollunion und der Vollendung des gemeinsamen Agrarmarktes, befriedigende Lösungen gefunden werden. Dies gilt nicht nur für die gleichzeitige Verwirklichung eines freien innergemeinschaftlichen Warenverkehrs für gewerbliche Waren und landwirtschaftliche Güter, sondern gleichermaßen für die Verabschiedung der noch ausstehenden Agrarmarktordnungen und Agrarpreisangleichungen.Im Mittelpunkt stehen für die deutsche Landwirtschaft dabei die Entscheidungen über die gemeinsame Milchpreispolitik. Wir sind Ihnen, Herr Bundesminister Höcherl, dankbar dafür, daß Sie neben der klaren Forderung eines Milcherzeugerrichtpreises von 39 Pf für die Milch mit 3,7 % Fett ab Hof Ihre besonderen Bemühungen bei den Verhandlungen im Ministerrat darauf gerichtet haben, die Realisierung dieses Richtpreises zur Erörterung zu stellen. Ein angemessener Milcherzeugerpreis ist eine wesentliche Grundlage für die Rentabilität der überwiegenden Zahl unserer bäuerlichen Familienbetriebe im ganzen Bundesgebiet. Wir erwarten, daß die Bundesregierung deshalb keiner Regelung zustimmt, die zu einer Einkommenssenkung auf dem Milchsektor für die deutsche Landwirtschaft führt. Das gilt sowohl für die Verwertung unserer Milchprodukte wie Butter, Käse und Dauermilchwaren, das gilt in gleichem Maße aber auch für eine befriedigende Regelung des Trinkmilchmarktes.Das System der Einzugs- und Absatzgebiete in der Bundesrepublik beinhaltet sowohl für den Verbraucher als auch für den Erzeuger erhebliche Vorteile. Das gilt gleichermaßen für die Einhaltung fortschrittlicher Qualitäts- und Hygienevorschriften wie für die Stabilität des Trinkmilchpreises. Die zu diesem Zweck mit beträchtlichen eigenen, aber auch öffentlichen Mitteln durchgeführten Investitionen im Zuge der Rationalisierung der Meiereistruktur würden ernsthaft in Frage gestellt, wenn in dem bisherigen System der Einzugs- und Absatzgebiete eine grundlegende Änderung einträte. Die Bundesregierun sollte deshalb bemüht sein, auch bei einem in der EWG geänderten System der Trinkmilchmärkte in der Bundesrepublik die Einzugs- und Absatzgebiete beizubehalten. Gegebenenfalls wäre eine lange Übergangszeit auszuhandeln. Nur auf diese Weise kann eine organische Umstellung ohne ernsthafte Störung unserer Trinkmilchversorgung ermöglicht werden. Es muß sichergestellt werden, daß der in Aussicht genommene Milcherzeugerrichtpreis nicht nur im Durchschnitt der EWG, sondern im Durchschnitt jedes einzelnen Partnerlandes erwirtschaftet wird. Darüber hinaus muß gewährleistet sein, daß innerhalb unserer Bundesrepublik dieser Richtpreis in allen Erzeugungsgebieten im Jahresdurchschnitt erreicht wird. Anderenfalls würde gerade für die besonders benachteiligten Wirtschaftsräume in den marktfernen Gebieten, auch vor allem entlang der Zonengrenze, eine nicht zu vertretende zusätzliche Benachteiligung entstehen.Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt nachdrücklich die in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Kommission vertretene Auffassung des Herrn Bundesministers Höcherl über die künftige Rindfleischpolitik. Die Schaffung eines wirksamen Anreizes zur Anpassung der eigenen Rindfleischproduktion an den steigenden Rindfleischverbrauch ist eines der geeignetsten Mittel, um die enge Wechselwirkung zwischen Rindfleisch und Milchproduktion im Interesse der Verhinderung von Milchüberschüssen in der Gemeinschaft zum Tragen zu bringen.Die Vorstellungen der Kommission über einen angemessenen Rinderorientierungspreis sollten deshalb von der Bundesregierung nachhaltiger unterstützt werden. In diesem Jahr ist der Rinderorientierungspreis bekanntlich noch in nationaler Zuständigkeit festgesetzt worden. Ohne das Problem der Höhe ues derzeitigen Orientierungspreises näher zu erörtern, möchte ich vor allem die Bundesregierung auffordern, während der Weideabtriebszeiten die bewährten Stabilisierungsmaßnahmen über die Vorratsstellen fortzusetzen, zumal hier die Verwertung des qualitativ hochwertigsten Rindfleisches zur Frage steht.Ernste Sorgen bereiten uns die Verhandlungen über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2257
Struveund die Verhandlungen über den gemeinsamen Zuckerpreis. Die von der Kommission insoweit vorgelegten Vorschläge sind für die deutsche Landwirtschaft unannehmbar. Die Bundesregierung darf nur einer Regelung zustimmen, die den rentablen Anbau von Zuckerrüben auch in Zukunft in allen Teilen der Bundesrepublik ermöglicht. Die deutsche Landwirtschaft ist vor allem aus Gründen der Bodenfruchtbarkeit auf diesen Betriebszweig auch in Zukunft angewiesen. Auf eine Steuerung des Anbaues von Zuckerrüben im Sinne regionaler Produktionsziele kann deshalb nicht verzichtet werden. Nur über diesen Weg läßt sich auch ein angemessener Zuckerrübenmindestpreis, der die Interessen der deutschen Landwirtschaft berücksichtigt, durchsetzen.Eine besondere Bedeutung haben gerade für die große Zahl unserer bäuerlichen Familienbetriebe in West- und Südwestdeutschland die Marktordnungen für Obst und Gemüse sowie die noch ausstehenden Sonderregelungen für die Sonderkulturen. Die CDU/ CSU-Fraktion hält die hier noch ausstehenden Entscheidungen für gleich beachtlich. Das gilt vor allem für eine befriedigende Regelung der Einfuhr aus Drittländern und die Eröffnung von Interventionsmöglichkeiten in bestimmten Ausnahmesituationen.Eine entscheidende Bedeutung für die Eingliederung der deutschen Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt und für die Vermeidung von Härten bei diesem Anpassungsprozeß hat nach wie vor die am 15. Dezember 1964 beschlossene Getreidepreisharmonisierung. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Initiative der deutschen Delegation, von der Kommission die Vorlage des in Aussicht gestellten Berichts über die Preis-Kosten-Entwicklung zu fordern. Dieser Bericht wird darüber entscheiden, ob die festgesetzten Grundrichtpreise für Getreide vor ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 1967 geändert werden müssen. Dabei wird vor allem das Verhältnis zwischen Weizen- und Futtergetreidepreisen einer kritischen Überprüfung bedürfen. Der Futtergetreidepreis sollte im Verhältnis 90 : 100 an den Weizenpreis angehoben werden. Eine solche Preisrelation würde zu einem verstärkten Anbau von Futtergetreide zu Lasten des Anbaues von Weichweizen führen. Diese Produktionsumstellung käme in jeder Weise den wirtschaftlichen Gegebenheiten im gemeinsamen Agrarmarkt entgegen. Es würden die großen Überschüsse an Weichweizen vor allem in Frankreich abgebaut werden können. Das würde eine wesentliche Verminderung der Kosten des EWG-Agrarfonds zur Finanzierung der Ausfuhrrückerstattung für Weizenüberschüsse zur Folge haben.Ich darf den von mir an dieser Stelle schon einmal vertretenen Standpunkt unterstreichen, daß der Bedarf an Futtergetreide in der Gemeinschaft durch den zunehmenden Verbrauch von getreideabhängigen Veredelungsprodukten ständig wächst. Auch bei einer Ausdehnung der Futtergetreideproduktion innerhalb der Gemeinschaft würden deshalb die traditionellen Einfuhrströme aus Überseeländern nicht ernsthaft beeinträchtigt werden.Wir sind aber auch der Ansicht, daß auf der Grundlage des zu erwartenden Berichts der Kommission die festgesetzten Grundrichtpreise für Getreide generell überprüft und den veränderten Preis-Kosten-Verhältnissen angepaßt werden sollten. Dies wird um so mehr gerechtfertigt sein, falls infolge der noch ausstehenden Ausführungsbestimmungen für die Durchführung der gemeinsamen Getreidepreise die Preisharmonisierung erst zum 1. Juli 1968 in Kraft gesetzt werden kann. Eine Verschiebung des Inkrafttretens der Harmonisierung der Getreidepreise auf den 1. Juli 1968 ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil nach den getroffenen Vereinbarungen des Ministerrates über den gemeinsamen Agrarmarkt die Preisharmonisierung für andere wichtige landwirtschaftliche Produkte erst im Laufe des Jahres 1968 erfolgen wird. Nicht zuletzt aus diesem Grunde sollte man den Getreidepreis als den Eckpreis für die Landwirtschaft nicht vorzeitig harmonisieren.Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, daß die deutschen Getreidepreise seit über fünfzehn Jahren trotz der ständig gestiegenen Löhne und Kosten unverändert geblieben sind. Das gleiche gilt im Durchschnitt der Jahre für die Schweine-, Eier- und Geflügelpreise. Wenn wir uns heute über die Preisstabilität so ernsthafte Sorgen machen, so haben wir hier einen Wirtschaftszweig vor uns, der gezwungen war, ausschließlich durch Rationalisierung die Kostenerhöhungen aufzufangen. Um so weniger ist es vertretbar, eine Senkung der Getreidepreise und damit verbunden eine Senkung der Schweine-, Eier- und Geflügelpreise für den deutschen Erzeuger vor Vollendung des freien innergemeinschaftlichen Warenverkehrs für gewerbliche Waren in Kraft zu setzen.Die erörterten Vorschläge in Zusammenhang mit der Getreidepreisangleichung würden nicht nur die schwierigen Umstellungen und die damit verbundenen Einkommensminderungen in der deutschen Landwirtschaft abmildern; sie würden vor allem zu einer beträchtlichen Entlastung des Bundeshaushalts führen und damit der angespannten Haushaltssituation in hervorragender Weise Rechnung tragen.
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, die Aufnahme einer Revisionsklausel auch bei den Preisharmonisierungsbeschlüssen für andere Marktordnungswaren anzustreben. Es trifft zwar zu, daß die ,gemeinsamen Preise jährlich neu festgesetzt werden sollen und somit für den Ministerrat eine ständige Möglichkeit zur Überprüfung besteht. Die Aufnahme von Revisionsklauseln ist jedoch, wie Herr Bundesminister Höcherl soeben wieder vorgetragen hat, notwendig, um eine Anpassung der gemeinsamen Agrarpreise an die veränderten Kostenverhältnisse für die Zeit zwischen Beschlußfassung und erstmaliger Anwendung der Preise zu ermöglichen. Solche Revisionsklauseln sind vor allem auch deshalb geboten, weil möglicherweise die Vereinbarungen im Rahmen der Kennedy-Runde die Agrarpreise für einen mehrjährigen — nach unserer Ansicht höchstens zweijährigen — Zeitraum konsolidieren.Meine Damen und Herren, die beschleunigte Verwirklichung des gemeinsamen Agrarmarktes stellt
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2258 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Struvedie deutsche Landwirtschaft vor zusätzliche Anpassungsschwierigkeiten. Die von dem Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1965 abgegebene Zusicherung, daß der deutschen Landwirtschaft keine weiteren Einkommensminderungen durch diesen Anpassungsprozeß zugemutet werden sollen, bedingt deshalb eine konsequente Fortsetzung der finanziellen Hilfen des Bundes und der Länder zur Bewältigung der umfangreichen Investitionen, ohne die der Anpassungsprozeß nicht durchgeführt wreden kann. Es dürfen daher keine weiteren Kürzungen dieser Umstellungshilfen vorgenommen werden. Das gilt in gleichem Maße für die im Haushalt bereitgestellten Hilfen für die benötigten zinsverbilligten Kapitalmarktmittel. Wir sind uns dessen bewußt, daß diese Notwendigkeiten angesichts der angespannten Haushaltssituation und der bekannten Schwierigkeiten auf dem Kapitalmarkt sicherlich auf den ersten Blick mancher Kritik ausgesetzt sind. Es handelt sich hierbei jedoch um einen strukturellen Wandel in unserer Landwirtschaft, aber auch in der Ernährungswirtschaft in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß, der durch die beschleunigte Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes immer noch mehr verschärft wird.Ich muß daran erinnern, daß die deutsche Landwirtschaft in den letzten Jahren nachweislich alljährlich über 100 000 Arbeitskräfte freigesetzt hat. Das war nur möglich durch umfangreiche Investitionen zur Verbesserung der Agrar- und der Betriebsstruktur. Diese Investitionen betrugen in den letzten Jahren nach amtlichen Statistiken im Agrarstrukturbereich etwa 4 Milliarden DM jährlich und im Betriebsstrukturbereich für Wirtschaftsgebäude und Inventar ebenfalls 4 Milliarden DM jährlich. Dieser Umstellungsprozeß wird auf Grund der Brüsseler Beschlüsse über die beschleunigte Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes noch in verstärktem Maße fortgesetzt werden müssen, wenn die deutsche Landwirtschaft wirklich voll wettbewerbsfähig sein soll.Die Umstellungsbeihilfen des Bundes müssen deshalb zwangsläufig in den kommenden Jahren in vollem Umfang weiter fließen, und die zinsverbilligten Kapitalmarktmittel müssen im notwendigen Ausmaß zur Verfügung stehen. Auch bei der angespannten Kapitalmarktsituation sind die Zinsverbilligungsmaßnahmen für die Landwirtschaft in den nächsten Haushaltsjahren mit eine Existenzfrage. Wir müssen hier für die Kapitalbedürfnisse der Landwirtschaft eine Ausnahmesituation anerkennen. Das ist die notwendige Konsequenz aus den politisch bedingten Verpflichtungen, die die Bundesregierung im Ministerrat eingegangen ist.Ich darf ergänzend darauf hinweisen, daß die Bundesregierung durch Minister Höcherl heute erneut erklärt hat, die Fragen der vollständigen Herstellung des freien Dienstleistungsverkehrs, der Angleichung der Verkehrstarife und der gemeinsamen Kartellpolitik würden zu ihrer Lösung eine längere Zeit geduldiger Arbeit in Anspruch nehmen. Auch die in Angriff genommene Steuerharmonisierung steht bekanntlich erst am Anfang undkann frühestens bis zum Jahre 1969 auf Teilgebieten verwirklicht werden. Diese Situation belastet den Anpassungsprozeß unserer Land- und Ernährungswirtschaft zusätzlich. Unsere Bauern werden vor die Notwendigkeit gestellt, ihre Produkte zu teilweise niedrigeren Preisen abzusetzen, ohne auf der anderen Seite durch die Harmonisierung der aufgezeigten Wettbewerbsfaktoren eine Entlastung auf der Kostenseite zu erfahren. Um so notwendiger wird es sein, diese offensichtliche Benachteiligung entsprechend den Bestimmungen des EWG-Anpassungsgesetzes auszugleichen.Die CDU/CSU-Fraktion bekennt sich — dasmöchte ich abschließend noch einmal betonen — nachdrücklich zu den Römischen Verträgen. Sie sieht deshalb auch in einer beschleunigten Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes auf dem Industrie- und Agrarsektor ein geeignetes Mittel, um die europäische Integration im Interesse aller Völker Europas wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiet schnellstmöglich zu verwirklichen. Ohne Zweifel wird damit auch eine der entscheidenden Voraussetzungen für eine politische Union Europas geschaffen.Dieses uneingeschränkte Bekenntnis zu Europa beinhaltet aber zugleich die Verpflichtung, unserer deutschen Land- und Ernährungswirtschaft die notwendigen Hilfen nicht vorzuenthalten, bedingt durch die beschleunigte Anpassung. Ich darf noch einmal wiederholen, daß unsere Landwirtschaft sich in einem enormen nie dagewesenen Strukturwandel befindet, den sie nur erfolgreich durchstehen kann, wenn die Bundesregierung unter Anerkennung dieser politisch bedingten Ausnahmesituation ihre Hilfen verstärkt fortsetzt. Unsere politische Verantwortung für das Gelingen der Einigung Europas zwingt uns, für die Lösung dieses Problems vorrangig die gleichen Anstrengungen zu unternehmen, wie sie etwa im Bereiche der Verteidigung und der Förderung der Wissenschaft notwendig sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Großen Anfrage der 31 Abgeordneten der FDP liegt ein sehr umfangreicher Text zugrunde, und daß es nur Abgeordnete der FDP waren, die diese Große Anfrage unterzeichnet haben, läßt in der Tat ein doppeltes Spiel vermuten. Der Kollege Ertl hat uns bereits die Kostprobe dafür gegeben. Er begründete nämlich im Namen der Fraktion und nicht der 31 Abgeordneten.
Beim genauen Durchlesen verrät diese Große Anfrage im Grunde genommen eine erschreckende Unwissenheit
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2259
Dr. Schmidt
hinsichtlich der Entscheidungen und Verhandlungen in Brüssel,
Ich muß wohl unterstellen, meine Herren von der FDP, daß Sie als Mitglieder einer Regierungspartei, an der Spitze der Fraktionsvorsitzende, bis ins letzte über die Vorgänge in Brüssel unterrichtet sind. Daher liegt die Annahme nahe, daß Sie eine Anfrage gestartet haben, die für einen ganz anderen Zweck gedacht ist, nämlich für die kommenden Landtagswahlen in der Bundesrepublik die entsprechende Plattform zu finden.
Wenn ich mir die Anfrage ansehe, stelle ich fest: da ist sehr viel darin. Wir waren ja schon früher von Ihnen einen sehr starken Tobak gewöhnt. Aber diese Große Anfrage — das lassen Sie mich doch einmal ganz offen sagen — ist so ein gewisser Höhepunkt in Ihrer Rolle der Opposition in der Koalition.
Die Ziffer 1 und die Ziffer 5 in Einklang zu bringen, das überlassen Sie, glaube ich, selber dem lieben Gott und den Göttern, Da ist doch Widerspruch auf Widerspruch vorhanden. Da ist doch vom Dirigismus schlimmster Sorte bis zum liberalen Konzept die Rede, und das alles in einer liberalen Partei, wie man neulich gerade in Nürnberg wieder vernommen hat.
Sie haben uns in der Vergangenheit schon einiges in dieser Richtung geboten, aber unter dem Druck des Fallbeil s wird das anscheinend immer noch schlimmer.
Die Antwort der Bundesregierung war relativ kurz und bündig. Was darin steht — was zu hören war —, ist im Grunde genommen den Informierten längst bekannt. Aber bei dieser Art der Fragestellung war es auch leicht, Herr Minister, so zu verfahren.
Die Antwort der Bundesregierung ist in vieler Hinsicht sehr aufschlußreich. Das stellt man fest, wenn man sie genau liest — ich hatte dankenswerterweise Gelegenheit, sie vorher zu lesen —, denn aus ihr geht hervor, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, den Vorstellungen der Koalitionsparteien zu folgen, die noch vor wenigen Wochen in Entschließungen zum Grünen Plan zum Ausdruck gebracht worden sind. Die Bundesregierung ist erst recht nicht bereit, den Anregungen Ihrer Freunde, meine Damen und Herren, zu folgen, die uns gerade Herr Ertl in so bewegten Worten vorgetragen hat.
Herr Ertl hat sehr weit ausgeholt, von der Weltpolitik über die EWG bis zu den Fragen unserereigenen Heimat, und er hat so kräftig geblasen wieder — wie heißt der Kerl da draußen? — „Moby Dick".
Er hat so vieles zum besten gegeben, was an sich an ihm völlig fremd ist.
Aber ich verstehe seine Situation, die des Herrn Kollegen Ertl, völlig: die bayerischen Landtagswahlen werfen ihre Schatten voraus.
Herr Ertl hat die Entscheidungen des Jahres 1962— und später — beklagt. Er hat die Verkürzung der Übergangszeit im Agrarbereich beklagt, den Finanzierungsbeschluß vom 11. Mai dieses Jahres und ebenso die allerneueste Entwicklung in Brüssel. Mit einem Wort: den Antragstellern paßt die Richtung nicht — nicht mehr, müßte man besser sagen; denn in diesem Zusammenhang, meine Herren von der FDP, wäre doch einmal die Frage angebracht, ob Herrn Ertl als Begründer der Großen Anfrage etwa völlig entgangen ist, daß es sich bei all dem, was er kritisierte, um die Politik einer Bundesregierung handelt, an der seine eigene Partei nicht nur am Rande beteiligt ist.
Hat er denn ganz vergessen, daß auch er und seine Freunde das Grundkonzept vom 14. Januar 1962 in der berühmten Resolution von Ende Januar 1962 gebilligt haben? Was später folgte, meine Damen und Herren von der FDP
— Herr Ertl, ich bin erst am Anfang; Sie könnennachher noch mehr fragen —, das war doch nur dieautomatische Konsequenz dieser ersten Beschlüsse.Sie haben die finanziellen Belastungen teilweise beklagt.
Wenn Sie sich darüber aufregen, muß ich Sie daran erinnern, daß diese auch auf den Beschluß vom 14. Januar 1962 — Verordnung Nr. 25 — zurückgehen. Der damalige Finanzminister hat das gutgeheißen; er hat das völlig gebilligt. Und wer war das? — Das war Herr Dr. Starke, kein anderer! Er tut heute so, als habe er nicht von Anfang an gewußt, daß die EWG-Agrarpolitik ein sehr teuerer Spaß werden. könnte.
— Er wird ja noch darauf antworten. — Entschuldigen Sie, Herr Minister, muß ich jetzt aufhören oder wie ist das?
Wenn Sie sich über vier Bänke hinweg unterhalten, kann ich ja aufhören. —Schon um die Wende des Jahres 1961/62 waren sich doch die Fachleute darüber im klaren, daß alljährlich einige Milliarden über die EWG-Agrar-
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Dr. Schmidt
fonds abgewickelt werden würden. Das ist für uns, die wir in der Sache drinstehen, gar nichts Neues. Aber so etwas einfach zu ignorieren, zeugt von einem nicht gerade hochentwickelten Erinnerungsvermögen.
Ich darf Sie an ein Weiteres erinnern. 1961, am Beginn jener Periode und der Amtszeit der Bundesregierung, schleusten die Freien Demokraten einen Staatssekretär in das Bundesernährungsministerium, der sehr maßgeblich an dem Getreidepreisbeschluß von 1964 beteiligt war. Ich will dieses Verhalten nicht kritisieren, keineswegs! Denn als Beamter der Bundesregierung konnte Herr Hüttebräuker nichts anderes tun als den Kurs des Kabinetts zu verteidigen, also die Politik, von der sich die Herrn von Kühlmann-Stumm, Dr. Starke, Dr. Effertz und Genossen heute auf einmal distanzieren wollen.Die Beschlüsse zur Agrarfinanzierung sind das Ergebnis der Luxemburger Konferenz vom 28./29. Januar dieses Jahres. Dabei hat der Ministerrat ein Arbeitsprogramm festgelegt, in dem unter Punkt h) gesagt wird, daß über die Agrarfinanzierung vorrangig entschieden werden solle. Es heißt dort weiter —ich zitiere wörtlich, wenn Sie gestatten, Herr Präsident —:Der Ministerrat der EWG tritt so bald wie möglich zusammen, um zunächst die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik zu regeln. Parallel hierzu sollen auch die Beratungen über die anderen Probleme, vor allem über die GATT-Verhandlungen und die Angleichung der nationalen Zolltarife gegenüber Drittländern, wiederaufgenommen werden.Dieser Text ist wohl ganz eindeutig; die Agrarfinanzierung wird „geregelt" und über das andere wird „beraten". An diesen Luxemburger Beschlüssen können Sie ermessen, wie groß der Spielraum ist, der jetzt der Bundesregierung, der auch die FDP und ebenso die Antragsteller angehören, noch verbleibt. Mit anderen Worten: Wir haben also seit Luxemburg, seit Ende Januar, eine neue Situation, die auch mich, meine Damen und Herren von der Koalition, veranlaßt hat, manche früheren Vorstellungen über den Verhandlungsspielraum in Brüssel über Bord zu werfen. Aber das muß man zur Kenntnis nehmen.Im Lichte dieser Luxemburger Vereinbarungen muß also auch die Antwort der Bundesregierung beurteilt werden. Die überaus vorsichtigen Formulierungen hören sich allerdings etwas anders an als z. B. die Rede des Herrn Bundesministers Höcherl in Tuntenhausen oder die Ausführungen, die manche Koalitionsredner in den ländlichen Gebieten in Nordrhein-Westfalen in diesen Tagen und Wochen von sich geben. Das Rad der Geschichte, meine Damen und Herren von der Koalition, läßt sich einfach nicht zurückdrehen. Das, was seit dem ersten Agrar-Marathon im Jahre 1961/62 geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurückdrehen, und das, was seit dieser Zeit von der Regierung versäumt worden ist, wird sich weder in Brüssel noch hier imLande ohne weiteres nachholen lassen. Leider ist nur allzuviel versäumt worden.
— Das kommt ja noch alles! Aus diesem Grunde kann die SPD-Fraktion weder die Agrarpolitik der Bundesregierung im allgemeinen noch die vorliegende Antwort billigen und anerkennen. Es geht uns dabei weniger um den Beschluß vom 11. Mai dieses Jahres als vielmehr um die Beschlüsse, die zum Nachteil unserer Landwirtschaft bisher nicht gefaßt worden sind. Dieser Haltung der Bundesregierung lag und liegt das defensive Konzept zugrunde.Diesen Kurs will nun die FDP offenbar fortsetzen, wobei sich die CDU bereits auf diesen neuen Kurs eingestellt. hat. Sie fordert die Bundesregierung nicht etwa auf, das Bestmögliche aus dem Ergebnis zu machen und für einen echten Agrarmarkt zu sorgen, sondern sie will auf eine knappe Formel gebracht — daß in Brüssel weiter „gemauert" wird.Natürlich sind das alles nur vorgeschobene Gründe, wie ich schon sagte. In Wirklichkeit geht es darum, daß sich hier eine Regierungspartei für die nächsten Wahlkämpfe ein Alibi verschafft. Nur deshalb versucht sie hier, eine Schau abzuziehen. Weshalb die CDU Sie gewähren läßt, kann man sich zwar an den fünf Fingern abzählen, aber interessant bleibt es trotzdem. Die Erklärungen des Herrn Struve können auch eine Antwort darauf sein.Anstatt die Bundesregierung aufzufordern, die bereits gefaßten Beschlüsse wieder rückgängig zu machen, hätte es der FDP besser angestanden, sich mit den Kernfragen der EWG-Agrarpolitik, nämlich mit den Wettbewerbsunterschieden, zu befassen. Hier liegt zur Zeit das eigentliche Problem, das die Bundesregierung leider vernachlässigt hat.Um ein Beispiel herauszugreifen: den Getreidepreis! Zur Zeit haben wir nicht nur sechs verschiedene Preise in der Gemeinschaft, sondern auch noch sechs verschiedene Marktordnungen, weil die Vorschriften der Verordnung Nr. 19 in jedem Vaterland anders ausgelegt werden. Bleibt es dabei, dann wird man nicht erwarten können, daß der gemeinsame Richtpreis auch zu einem gemeinsamen Erzeugerpreis führt. Je nach der Art der Intervention kann der Preis auf oder über dem Niveau des Richtpreises oder auf dem Niveau des Interventionspreises oder darunter liegen. Die möglichen Abweichungen sind noch größer als der Betrag, um den der deutsche Preis gesenkt werden muß.Die Bundesregierung kennt natürlich diese Unterschiede in der Interpretation. Anstatt nun aber darauf zu bestehen, daß eine neue Getreidemarktordnung verabschiedet wird, bei der derartige Interpretationen nicht mehr möglich sind, hat sie sich am 11. Mai damit begnügt, den Termin des gemeinsamen Getreidepreises nochmals im Ministerrat zu bestätigen.Gleiche Wettbewerbsbedingungen lautet die erste Forderung, die wir im Interesse unserer Land-
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Dr. Schmidt
wirtschaft zu stellen haben. Unsere Bauern sind nicht weniger fleißig als die Bauern in den anderen EWG-Ländern. Sie sind nicht schlechter ausgebildet, und ihre Höfe sind auch nicht schlechter ausgestattet. Sie haben außerdem den Vorteil einer verhältnismäßig günstigen Lage zu den großen Verbrauchszentren. Wenn sie sich dennoch im Augenblick im großen Umfang Sorgen machen, dann deshalb, weil sie befürchten müssen, daß sie den verfälschten Wettbewerbsbedingungen unterliegen. Nun, das kann und muß man verstehen. Diese Befürchtungen sind begründet. Denn die Bundesregierung — ich wiederhole es — hat der Frage der Wettbewerbsunterschiede so gut wie keine Aufmerksamkeit gewidmet.Der den Freien Demokraten doch sehr nahestehende Herr Staatssekretär Hüttebräuker hat es sogar fertiggebracht, die Wettbewerbsverzerrungen in der EWG als mehr oder minder dummes Gerede darzustellen. Die größten Wettbewerbsverzerrungen, so sagte er einmal in einem Vortrag, seien die gute Ausbildung der holländischen Bauern und die Anspruchslosigkeit der französischen Landwirte. Erstens stimmt das nicht, Herr Staatssekretär, und zweitens ist es doch ein wenig naiv.Einer der entscheidendsten Wettbewerbsfaktoren ist die Entfernung zwischen dem Standort der Produktion und dem Markt. Gerade im Agrarbereich, wo die Bodenproduktion und ein bestimmter Teil der tierischen Produktion an verschiedene Standorte gebunden sind, ist die Höhe der Frachten von ganz entscheidender Bedeutung. Ich möchte annehmen, daß das auch der Bundesregierung bekannt sein wird.Mein Kollege Dr. Apel hat anläßlich der Haushaltsdebatte beim Verkehrsetat auf diese wichtige Problematik in aller Deutlichkeit hingewiesen. Aber ich frage: Was hat die Bundesregierung unternommen, um in diesem Bereich für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen?Der Bundesverkehrsminister hat in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage neulich erklärt, es seien keine Unterlagen vorhanden, und Untersuchungen über die Agrarfrachten auch nur für einige Güter würden mehrere Wochen erfordern. Was soll das heißen? Ist das Problem etwa erst seit gestern bekannt? Hat die Bundesregierung nicht schon seit 1962 Zeit gehabt, sich darum zu kümmern, Initiativen zu ergreifen, statt es auf sich zukommen zu lassen? Denn jetzt drängt es ja außerordentlich.Ein weiteres Beispiel: In Brüssel wird zur Zeit über die Frage der Erzeugergemeinschaften diskutiert. Aus der Geschichte des Marktstrukturgesetzes weiß ich, welche Auffassung die Bundesregierung dazu vertritt. Sie will anscheinend den atomisierten Markt, und sie hat einen Horror vor Organisationsformen, wie sie im Ausland bestehen oder zur Zeit aufgebaut werden.Auf diesen weltanschaulichen Streit, der damit verbunden ist, möchte ich hier nicht näher eingehen. Aber ich halte es für sehr bedenklich, ein Verfahren zu praktizieren, das die Bundesregierung in Brüssel einschlagen will. Sie hat nämlich verlangt, man sollte es jedem einzelnen EWG-Mitglied überlassen, in welcher Form und mit welchen Mitteln es den Markt organisieren will. Herr Höcherl hat sogar erklärt, er sei Föderalist und halte nichts von Gleichmacherei.In diesem Punkt, Herr Bundesminister, bin ich ganz anderer Meinung. Wir werden deshalb in Kürze auf unseren Entwurf eines Marktstrukturgesetzes zurückkommen, um damit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß rechtzeitig auf die EWG-Regelung umgeschaltet werden kann.Wie das im einzelnen auch immer aussehen mag, was man im Ministerrat darüber beschließt, — es muß absolut sichergestellt werden, daß die Erzeuger in allen Partnerländern die gleichen rechtlichen Möglichkeiten erhalten, sich zu organisieren — darauf lege ich entscheidenden Wert —, und daß ihnen unter gleichen Voraussetzungen auch die gleiche Förderung gewährt wird.Es wäre doch völlig absurd und ein Ding aus dem Tollhaus, wenn wir etwa über den Agrarfonds mit unseren Mitteln in den Partnerländern Einrichtungen förderten, die letzten Endes bewirken, daß unsere Erzeuger vom eigenen Markt verdrängt werden, obwohl sie mindestens die gleichen Qualitäten anzubieten haben. Die Konzentration der Nachfrage 'bedingt eine Konzentration des Angebots. Was nützen ihnen denn bessere Qualitäten, wenn sie nur sporadisch und sehr zersplittert auf den Markt gelangen? Zusammenarbeit ist eben das Gebot der Stunde.Wie lange soll man eigentlich das in diesem Hause noch sagen müssen? Die letzte Reise des Ernährungsausschusses von Hamburg nach Hannover hat doch allen vor Augen geführt, was bei uns in der Bundesrepublik vorrangig zu bewerkstelligen und zu behandeln ist. Alle diese Themen, von denen ich gerade sprach, sind in der Großen Anfrage der Freien Demokraten und damit auch in der Antwort der Bundesregierung nicht enthalten.Im Zusammenhang mit den Wettbewerbsfragen hat der Minister nur von den Kriterien für eine gemeinsame Beihilfenpolitik in der Landwirtschaft gesprochen. Es ist eine bittere Wahrheit, daß die Bundesregierung für diese Kriterien bisher nicht sehr viel übrig gehabt hat. Die holländische Delegation — das ist mir bekannt — hat sich sehr darum bemüht; aber leider hat sie bei der deutschen Delegation nicht die entsprechende und ausreichende Unterstützung gefunden. Vielleicht glaubt die Bundesregierung, es könne auch für sie vorteilhaft sein, in den Beihilfen noch einen gewissen Spielraum zu behalten. Diese Spekulationen sind völlig falsch; denn erstens reicht unser Haushalt weder hin noch her, und wir könnten höchstens ein bißchen kleckern, während die anderen auf diesem Gebiet außerordentlich klotzen dürften.Vorgestern sind mir einige Informationen über neue Subventionspläne der Franzosen zuteil geworden, die von sehr großem Gewicht sind. Ich frage nur, ob die Bundesregierung das alles so hinnimmt oder was sie dabei zu tun gedenkt. Aber alles, was da passiert, muß die Bundesregierung doch aufhor-
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Dr. Schmidt
chen lassen. Ich kann sie jetzt — und das habe ich an dieser Stelle schon immer getan nur beschwören, die Frage der Beihilfenpolitik in Brüssel mit allem Freimut und mit aller Offenheit zu behandeln und dabei an die Zukunft zu denken.Anstatt auf die neuralgischen Punkte einzugehen, wird in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage herausgestrichen, was man in Brüssel alles erreicht hat. Ich habe Verständnis dafür, und ich will auch anerkennen, daß man in die letzten Verhandlungen mit gewissen Vorstellungen und Wünschen hineingegangen ist, wenn sie in den meisten Fällen auch nicht in Erfüllung gegangen sind. Die glückliche Stunde des Herrn Schmücker blieb diesmal aus. Im Gegenteil, er soll nach übereinstimmender Meinung sehr verärgert gewesen sein.In der Rede des Herrn Höcherl wird z. B. behauptet, man habe mit viel Mühe und Not durchgesetzt, daß die Erstattungen nach dem Bruttoprinzip von 1967 an finanziert werden. So bedeutend waren diese Anstrengungen auch nicht. Tatsache ist nämlich, daß das Nettoprinzip einfach nicht fortgesetzt werden konnte, weil es nicht zu kontrollieren war und ist. Das Bruttoprinzip ist doch nichts weiter als die logische Konsequenz des Wegfalls der innnergemeinschaftlichen Abschöpfungen.Bemerkenswert war für mich auch, daß sich die Bundesregierung zugute hält, einen Beschluß über die Subventionierung von Agrarexporten der übrigen Partnerstaaten in die SBZ erreicht zu haben. Jeder, der sich mit der Sache etwas hat, weiß nur zu genau, daß es sich darum handelt, ein sehr peinliches Versäumnis zurechtzubiegen, das der deutschen Delegation 1962 bei der Zustimmung zur Verordnung 25 passiert ist. Dieser Fehler von damals kostet uns jetzt einige Millionen DM, die wir besser in die eigene Landwirtschaft gesteckt hätten. Herr Minister, mit dieser unechten Feder am Hut kann man natürlich nicht den entsprechenden Eindruck machen.
Herr Bundesminister, Sie haben eingangs Ihrer Beantwortung auch von den Vorbehalten gesprochen. Schön und gut. Aber Sie dürften sich doch mit mir darüber im klaren sein, daß diese Vorbehalte im Realen gesehen gegenstandslos sind, denn im Lichte der europäischen Politik ist die Bundesregierung gar nicht in der Lage, den in den Vorschlägen der Kommission zum Ausdruck gekommenen Kompromiß in Frage zu stellen. in übrigen sind Sie ja in Ihrer Antwort sehr vorsichtig gewesen und mancher Frage auch mit Eleganz ausgewichen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf einen anderen Fakt zurückkommen. Es dürfte die Frage erlaubt sein — Herr Kollege Ertl hat die Frage auch schon gestellt —, was eigentlich aus dem Staatssekretär-Gutachten über die finanziellen und handelspolitischen Konsequenzen der EWG-Agrarpolitik geworden ist. Es scheint, daß der Auftrag des Bundeskanzlers von Ende März keine überwältigende Aktivität bei den Staatssekretären ausgelöst hat. Nach den Presseveröffentlichungen sollte geprüft werden — ich zitiere —,welche Maßnahmen im Rahmen der EWG erforderlich erscheinen, um für unsere heimische Landwirtschaft annehmbare Produktionserlöse zu erhalten, zugleich aber die Agrarproduktion in der Gemeinschaft in vertretbaren Grenzen zu halten und den traditionellen Agrarhandel mit dritten Ländern nicht zu beeinflussen.Das war der Auftrag, wunderbar formuliert, sehr schön. Woher kann das kommen — doch sicher nur aus dem Hause des Herrn Bundeskanzlers; denn das kann kein anderer besser.Aus der Tatsache, daß das Papier ursprünglich als Grundlage für die gegenwärtigen Entscheidungen der Bundesregierung im Ministerrat gedacht war, aber immer noch nicht vorliegt, darf man wohl folgern, daß sich die Bundesregierung eben doch nicht im klaren ist, welche Maßnahmen erforderlich erscheinen, daß sie also in Brüssel in der Sache ohne besondere Vorstellungen verhandelt. Damit draußen nicht auffällt, daß dem so ist, werden in den Reden fleißig Beruhigungspillen verteilt.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf zwei weitere Fragen eingehen, nämlich auf den Milchpreis, der insbesondere schon von Herrn Struve angesprochen wurde, und auf die sogenannten Produktionsziele, die in der Anfrage der FDP erwähnt sind.Herr Bundesminister Höcherl ist in den vergangenen Wochen und Tagen nicht müde geworden, auf Pressekonferenzen und auf Bauernversammlungen mit Stolz zu verkünden, er habe in Brüssel für Milch einen Richtpreis von 39 Pfennig verlangt. Des Beifalls der Landwirtschaft konnte er dabei gewiß sein. Es gibt auch Leute, Herr Minister, die es von Brüssel her ganz anders wissen wollen. Ich möchte daher den Minister fragen, ob er die Forderung nach einem Milchpreis von 39 Pfennig eigentlich ernst gemeint hat. Wenn dem so ist, dann kann er in diesem Hause auch sicherlich mitteilen, welche Preise für Butter, Käse und Magermilch sich daraus ergeben und welche finanziellen Konsequenzen ein Richtpreis von 39 Pfennig hat. Ich meine jetzt nicht die Berechnungen der EWG-Kommission, die ja immer niedrig angesetzt sind — das haben Sie auch selber festgestellt , sondern die Berechnungen Ihres Hauses. Es würde mich weiter ineressieren, Herr Bundesminister, ob Sie die Butter- und Käsepreise auf Grund eines Erzeugerrichtpreises von 39 Pfennig überhaupt für realisierbar halten, anders gesprochen: ob diese Preise aus dem Markt überhaupt erlöst werden können. Noch einmal lassen Sie mich diese Frage stellen: Sind diese 39 Pfennig von Ihnen wirklich ernst gemeint? Kann man das überhaupt annehmen?Ich glaube, für die Beantwortung dieser Frage dürfte sich auch die Koalition interessieren, die ja in einer Entschließung ebenfalls diese 39 Pfennige verlangt hat. Der Minister hat die Koalition aber nicht davon abgehalten, eine solche Forderung zu erheben, obwohl er genau weiß, daß bei dem von der EWG vorgeschlagenen System aus den Stützungsprodukten Butter und Magermilch und aus dem Markt nur 36 bis maximal 37 Pfennig herauszuholen
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Dr. Schmidt
sind. Dieses System hat die Bundesregierung bereits grundsätzlich anerkannt, und darin liegen doch anscheinend Widersprüche. Damit aber niemand draußen Verdacht schöpft, wird die alte Milchpolitik fortgesetzt.Erst in diesen Tagen hat die Bundesregierung in Brüssel das „Butterkarussell" wieder in Schwung gebracht. Das kostet natürlich eine schöne Kleinigkeit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Dr. Schmidt, halten Sie einen Preis von 39 Pfennig für realisierbar?
Ganz klar nein!
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Ja.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie uns dann sagen, welchen Milchpreis Sie für die deutsche Landwirtschaft für zuträglich halten?
Ich halte ihn auf der Höhe von 38 Pfennig je Liter für realisierbar. Das entspräche auch dem europäischen Kompromiß, und nur ein solcher Kompromiß ist zu erreichen.Nun, Herr Minister, das „Butterkarussell" kostet natürlich eine Menge Geld. Es drängt sich doch die Frage auf, wie lange dieser grobe Unfug noch weitergehen soll. Was gedenkt eigentlich die Bundesregierung zu tun, um mit den Butterbergen endlich einmal Schluß zu machen? Wir erwarten von Ihnen, daß uns in Kürze konkrete Vorschläge über die deutsche Milchpolitik vorgelegt werden. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß wir nicht bereit sind, im kommenden Haushalt auch nur einen Pfennig für die Einfuhr- und Vorratsstelle zu bewilligen, wenn uns nicht konkret gesagt wird, wie die Lagerhaltung für Butter auf den normalen Saisonausgleich und auf die sonstigen eingegangenen Verpflichtungen beschränkt werden kann.Seit Jahren ist eine Änderung der Milchpolitik unumgänglich. Seit Jahren rede ich hier in diesemHause — letztmalig bei der Debatte über den grünen Plan — über diese Frage. Ich gebe dabei konkrete Hinweise. Aber die Bundesregierung rührt sich nicht entsprechend. Herr Bundesminister, Sie haben mich freundlicherweise über erste Überlegungen in Ihrem Haus unterrichten lassen. Mancher Vorschlag Ihres Hauses ließ sich gut anhören. Ichhabe Ihren Herren meinen Standpunkt dargelegt, wie ich ihn gerade auch hier vorgetragen habe. Aber werden Sie sich stark fühlen, die Hürden zu nehmen, die viele Ihrer Freunde, insbesondere aus dem süddeutschen Raum, dabei aufrichten werden?Die Bundesregierung hat sich mit der Zustimmung zur Milchmarktordnung 1964 verpflichtet, die Milchprämie abzubauen. Auch das gehört doch zum Konzept einer neuen Milchpolitik. Nach dem, was man in den letzten Tagen gehört hat, besteht diese Politik darin, die frei werdende Milchprämie buchstäblich zu verbuttern.Und nun zu dem anderen Thema. Die FDP hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Sie spricht von den Produktionszielen, die man bei allen Marktordnungswaren setzen müßte. Komischerweise hat der Herr Außenminister Schröder in Brüssel dazu eine offizielle Erklärung im gleichen Sinne abgegeben, von der man wohl annehmen muß, daß sie vorher im Kabinett besprochen worden ist. Vielleicht kann uns der Herr Minister Höcherl einmal sagen, bei welchen Produkten der Herr Minister Schröder Produktionsziele gesetzt wissen möchte und wie eine solche Mengenregelung in der Praxis aussehen würde.Das Prinzip der Mengensteuerung, meine Damen und Herren von der FDP, läßt sich meines Erachtens nur bei solchen Produkten anwenden, bei denen es auch kontrolliert werden kann, wie z. B. bei Zucker, weil hier zwischen dem Rohstoff und dem Fertigprodukt ein sehr komplizierter Fabrikationsprozeß zwischengeschaltet ist. Kein Landwirt kann die Rübenernten auf seinem Hof in Kristallzucker verwandeln. Wenn Sie aber auf den Gedanken kämen, dieses Rezept auf die Butter zu übertragen, dann würden Sie bald einen eklatanten Reinfall erleben. In diesem Fall, meine Damen und Herren, wäre es ratsam, sich rechtzeitig mit Aktien einer Fabrik einzudecken, die kleine Butterapparate herstellt; denn die würden dann bei einem solchen Konzept bald auf jedem Hof zu finden sein.Um noch einmal auf den Kern der Sache zurückzukommen: eine Universallösung, meine Herren von der FDP, wie sie Ihnen vorschwebt, gibt es einfach nicht.
Solche Pläne führen genau zum Gegenteil dessen, was man eigentlich erreichen will. Sie führen nämlich zu dem sogenannten Quantumssystem, wie es in einigen Ländern zum Nachteil der Bauern vorexerziert worden ist. Dieses System besteht darin, daß man die Preisgarantie auf eine bestimmte Menge beschränkt und die Ausgaben für die Verwertung der darüber hinausgehenden Menge auf alle Erzeuger umlegt. Eine solche Methode, meine Herren von der FDP, ist schon deshalb falsch, weil man der Landwirtschaft mit einem relativ hohen Grundpreis einen Produktionsanreiz gibt, um sie dann dafür wieder zu bestrafen, daß sie dieser indirekten Aufforderung zur Mehrproduktion gefolgt ist. Es bleibt also im Grunde als Konsequenz meiner Ausführungen nur übrig, daß man bei jedem einzelnen Produkt sich Gedanken über eine mög-
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I liche Anpassung der Erzeugung an die Nachfrage macht.
— Keineswegs! Sie beantragen in Ihrer Großen Anfrage die Schaffung von Produktionszielen bei allen Marktordnungswaren.
— Sie fragen, und dahinter steckt doch Ihre Forderung. Das wissen Sie auch selber, oder Ihre Große Anfrage ist in diesem Punkt unehrlich.
Ich möchte Sie dringend davor warnen, in dieser Stunde Ihre ganze Argumentation allein auf die Preisentscheidung in Brüssel abzustimmen. Das ist bereits gelaufen. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Daran werden Sie und wird die Bundesregierung nichts ändern. Das klang doch aus den Ausführungen des Herrn Ministers zwischendurch eindeutig heraus. Nicht in der nominellen Höhe der künftigen Richt- und Orientierungspreise steckt das Problem, sondern in den Methoden der Sicherung dieser Preise, also der Preisstabilität.Die Marktpreise können sich sehr weit von diesen Richt- und Orientierungspreisen entfernen. Sie sind je nach dem Land, nach der Struktur des Handels und je nach der nationalen Gesetzgebung von den Erzeugererlösen mehr oder weniger weit entfernt. Die Erzeugererlöse — auch das darf nicht übersehen werden — sind nur ein Faktor der Ertragsaufwandsrechnung des Betriebes. Auch die Kosten, Herr Bundesminister, spielen eine außerordentlich wichtige Rolle. Auch hier hat es die Bundesregierung in der Hand, die Lage der Landwirtschaft im Verhältnis zu den Konkurrenten in der EWG im Guten zu beeinflussen.In der Großen Anfrage der FDP ist unter anderem verlangt worden, man solle die EWG-Agrarpreise der Kostenentwicklung anpassen. Ich bin der Meinung, daß es zu allererst notwendig wäre, zu Hause und in der eigenen Zuständigkeit für stabile Preise und Kosten zu sorgen. Ich darf hier in aller Eindringlichkeit an die Ausführungen meines Kollegen Schiller in der Haushaltsdebatte erinnern. In dieser notwendigen Stabilisierung der Preise ist auch die Landwirtschaft einbegriffen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Ertl möchte eine Frage stellen.
Bitte!
Sind Sie vielleicht nach Ihrem Kollegen Schiller in der Lage, uns zu beantworten, wie beispielsweise auf dem Bausektor bei der derzeitigen Situation auf dem Lohnsektor die Kosten gesenkt werden sollen?
Sehen Sie, das ist eben Ihr Fehler, Herr Kollege Ertl. Bei der großartigen Rede des Kollegen Schiller waren Sie nämlich nicht anwesend. Lesen Sie das einmal eindrücklich nach. Es würde jetzt viel zu weit führen. Vielleicht kann Herr Kollege Schiller Ihnen nachher darauf eine Antwort geben.
— Jedenfalls haben Sie wieder einmal wie so oft gefehlt. Sonst könnte das nicht kommen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch an den Bericht über die Betriebsmittelpreise erinnern, der auf Grund der Initiative meiner Fraktion in der vorigen Legislaturperiode vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt worden ist. Mit diesem Bericht hat es leider sein Bewenden gehabt. Die Bundesregierung hat aus diesem Bericht leider keine Konsequenzen gezogen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt ganz kurz zusammenfassen. Die entscheidende Frage bei der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes ist der Wettbewerb. Auf gleiche Wettbewerbsbedingungen hat die deutsche Landwirtschaft ebenso Anspruch wie die Landwirtschaft in den anderen Partnerländern. Was für die Bauern eines Landes gilt, muß auch für alle anderen gelten, selbst für die Italiener, Herr Bundesminister. Der gemeinsame Agrarmarkt ist nicht identisch mit dem deutschen Markt; er darf nicht zu einem Markt werden, an dem die Bauern des Landes die besten Erfolge erzielen, deren Regierung über die meiste Phantasie und über die wenigsten Skrupel verfügt. Die Wettbewerbsgleichheit gehört deshalb jetzt und in den nächsten Jahren zu den wichtigsten Forderungen, die von deutscher Seite aus in Brüssel mit allem Nachdruck angemeldet und vertreten werden müssen. Herr Minister, wir werden Sie daran immer erinnern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vorangegangenen Debatte hat Herr Kollege Struve gesprochen. Er hat sich, wie ich feststellen möchte, recht positiv zu den Fragen geäußert, die wir in der Großen Anfrage gestellt haben. Es wäre uns natürlich noch lieber gewesen, er hätte sich der Großen Anfrage angeschlossen.Ich möchte jetzt nur an einem Punkt kurz haltmachen. Herr Kollege Struve hat davon gesprochen, daß so, wie die Bedingungen lägen — u. a. hat ja dann auch der Kollege Schmidt von den Wettbewerbsbedingungen gesprochen —, es besser wäre, die Getreidepreisharmonisierung nicht schon 1967 vorzunehmen, zumal der gewerbliche Markt
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Dr. Starkeerst 1968 komme. An dieser Stelle möchte ich Herrn Kollegen Struve, der leider nicht da ist
— aber er ist jetzt nicht da —
— Sie werden es ihm sagen —, darauf hinweisen, daß er und seine Partei, wir zusammen, die Mehrheit in diesem Hause haben. Damit könnte diesem Verlangen durchaus genügt werden. Uns würde das sehr freuen, zumal wir das immer gefordert haben.
Der Herr Kollege Struve hat sehr ausführlich über die Möglichkeiten der Subventionierung des deutschen Agrarexportes gesprochen. Auch ich sage im Gegensatz zu dem Kollegen Schmidt , daß die Anwendung des Bruttoprinzips ein Erfolg war. Ob das mehr oderweniger leicht war oder nicht, es ist jedenfalls im Rahmen des Ganzen ein relativer Erfolg. Die Schwierigkeiten, die gesamtpolitisch daraus für uns auf die Dauer entstehen können, wenn wir auf den Auslandsmärkten mit subventionierten Agrarerzeugnissen auftreten, darf man hier nicht übersehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber so wie die Dinge nun einmal liegen, im Rahmen der in Brüssel auch von Deutschland mit eingeschlagenen Politik gehört das dazu. Wir werden uns in den kommenden Jahren darüber noch wiederholt unterhalten, und zwar wahrscheinlich nicht sehr erfreut.Herr Kollege Schmidt , wir haben schon manchmal nacheinander gesprochen, und Sie hatten mir liebenswürdigerweise schon angekündigt, daß Sie mit uns ein Hühnchen zu rupfen hätten. Wir haben eine ganze Reihe gemeinsamer Besorgnisse; das weiß ich seit einigen Jahren. Aber ich muß sagen, in die Unkosten staatspolitischer Reden, in denen Sie den Liberalismus in wenigen Minuten töten, würde ich mich doch im Rahmen einer solchen Debatte nicht stürzen. Unsere Fragen in der Großen Anfrage sind nämlich gar nicht so schlecht. Sie haben zwar am Anfang einmal gesagt, sie seien so leicht und unsinnig, daß es dem Ernährungsminister leicht gewesen sei, sie zu beantworten; später haben Sie dann aber mehrfach gesagt, er habe sich davor gedrückt, sie zu beantworten. Das spricht doch für die Fragen — und für den Ernährungsminister, der das so gut kann.
In einem Punkte haben Sie aber nicht recht, nämlich mit der Behauptung, daß wir jetzt plötzlich eine andere Meinung verträten. Sie wissen es viel zu gut, als daß ich es Ihnen noch sagen müßte: in den Protokollen des Bundestages insbesondere, aber natürlich auch an anderer Stelle, können Sie lange Seiten finden, in denen wir genau das gesagt haben, was wir jetzt gesagt haben. Also da ist kein Zweifel zwischen uns.Wir haben die ganze agrarpolitische Richtung in der EWG nie für richtig gehalten.
Nie für richtig gehalten! Wer das bestreiten wollte,der war eben, wie Sie immer sich so schön ausdrücken, nicht dabei oder hat gefehlt oder so etwas.Nun komme ich zu der Verordnung 25. Sie wissen selber, daß die Verordnung 25, die Finanzierungsverordnung, ein Kernstück des Ganzen ist, und ich möchte Ihnen, wenn Sie genau aufpassen, sagen, wie és sich verhalten hat. Ich habe diese Verordnung leidenschaftlich bekämpft, weil ich wußte, daß sie das Kernstück ist. Sie hat auch nicht meine Stimme erhalten. Aber wie Sie genau wissen, ist in der Verordnung ein Artikel enthalten mit einem Absatz 2 — ich glaube, es ist Artikel 7, ich weiß es jetzt nicht genau —, der zwingend vorschreibt, daß über die ganze Frage der Agrarfinanzierung bis zum Juli 1965 im Ministerrat noch einmal einstimmig entschieden werden mußte. Das war das, was ich tun konnte. Daß daraus etwas gemacht wird — das ist der Sinn dieser Großen Anfrage. Herr Kollege Schmidt , hier haben Sie uns und mir Unrecht getan.
Ohne diese von Ihnen nur geschmähte Verordnung — sie hat ihre Tücken, das wissen Sie — mit diesem Artikel wäre es jetzt überhaupt gar nicht mehr möglich, über die Dinge zu sprechen, wir stünden gar nicht mehr vor der Frage, wie in der Schlußabstimmung abgestimmt werden soll, denn es würde gar nicht mehr zu einer erneuten Abstimmung kommen.Sie haben uns natürlich — ich darf jetzt einmal den Spieß umkehren — nicht gesagt, was Sie eigentlich in der Agrarpolitik wollen, außer an einigen Stellen. Sie haben sich außerordentlich geschickt bewegt zwischen dem, was die Regierung vertritt, und Ihrer Kritik und haben nur an einer einzigen Stelle etwas Positives gesagt, nämlich dort, wo Sie gefragt wurden, welchen Milchpreis Sie haben wollen.
Ich hätte Sie, wenn ich Agrarpolitiker im engeren Sinne wäre, noch nach einigen anderen Preisen gefragt; aber warum soll ich Sie, da ich das nicht bin, in Ungelegenheiten bringen!Für mich gibt es einen sehr maßgebenden Aufsatz eines Herrn, den Sie wie ich gut kennen, aus Ihrer Partei, des Herrn Kriedemann. Der hat in den Gewerkschaftlichen Monatsheften ganz konkrete Vorschläge gemacht, wie man diese Probleme lösen könne. Dieser Lösung stimme ich nicht zu,
denn sie wäre ein Bauernsterben in Massen. — Ich kann Ihnen die Nummer im Augenblick nicht sagen, ich gebe sie Ihnen aber gern. Ich habe den Artikel nicht hier; ich wußte ja nicht, daß Sie sprechen wollten. — Dieser Aufsatz hat mich sogar erschreckt. Es ist, gebe ich zu, etwa zwei Jahre alt, aber immerhin, ich habe noch nichts anderes an positiven Lösungen gefunden. Dieser Aufsatz allerdings ermöglicht es, die Agrarpolitik der EWG für richtig zu halten: nämlich erst die Entscheidungen in ein internationales Gremium zu legen und dann dort mit den von Herrn Kriedemann gegebenen Gründen die Preise so lange herunterzudrücken, bis die
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2266 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Dr. Starke
Produktion das richtige Ausmaß hat, mit der dann natürlich nur noch vorhandenen geringen Anzahl selbständiger Bauern.
Herr Abgeordneter Fellermaier möchte eine Frage stellen.
Bitte!
Herr Kollege Dr. Starke, darf ich Sie fragen: Sind Ihnen die Beschlüsse der Sozialdemokratischen Partei auf ihren Parteitagen nicht bekannt, daß Sie eine Diskussionsäußerung eines einzelnen Abgeordneten hier plötzlich höher bewerten als die tatsächlichen Beschlüsse?
Diese Frage ist natürlich von Ihrem Standpunkt aus berechtigt. Aber da ich noch nicht so Vollständiges als Antwort auf meine Fragen an die SPD gefunden habe, müssen Sie mir gestatten, daß ich das zitiere.
— Ich habe sie sehr wohl gelesen, und ich habe mir gedacht, vor dem Parteitag in Dortmund hätte Herr Schmidt einiges von dem, was er heute hier gesagt hat, nicht gesagt. Nachher sagt es sich leichter. Wir stimmen aber mit Ihnen in der Frage der Wettbewerbsvoraussetzungen überein. Wir haben allerdings nicht den Eindruck, daß wir in den Jahren — und es sind ja Jahre —, in denen wir uns um diese Dinge bemüht haben, von der SPD nachhaltig unterstützt worden sind.Sie haben dann auch — das möchte ich hier hervorheben — Äußerungen von Herrn Staatssekretär Hüttebräuker zitiert, die ich nicht kenne. Sie sind sich aber doch mit mir darüber klar, daß Herr Hüttebräuker, wenn er als Staatssekretär spricht, keine FDP-Äußerungen von sich gibt, sondern dann als Amtsperson spricht.
— Nicht richtig, das habe ich nicht behauptet. Ich bin gar nicht mal sicher, ob ich das sagen würde; aber ich habe es nicht gesagt.Und nun kommt die größte Schwierigkeit, Herr Schmidt . •
— Vielleicht können wir dann noch einmal abstimmen, was wir genau gesagt haben.
— Wieso? Sie haben es doch ganz genau verstanden, Sie freuen sich doch so. — Herr Schmidt , bezüglich der Produktionsziele sind wir mit Ihnen eigentlich einig; denn genau das, was Sie am Schluß formuliert haben, meinen wir. Ich gebe Ihnen zu, Ihre Formulierung wäre noch besser gewesen: Man muß bei jedem Produkt untersuchen, was man tun kann. Das haben wir gemacht. Wenn wir dafür als pars pro toto das Wort „Produktionsziele" gesetzt haben, sollte das nichts anderes heißen. Dort,wo Produktionsziele möglich sind, Produktionsziele— sonst in einer anderen Form! Denn das ist eine der Möglichkeiten, die man hat, um nicht nur über den Preis zu steuern. Ich komme darauf in meinen Ausführungen noch einmal kurz zurück.Nun kommt aber das Entscheidende, und an dem Punkt, wo Sie sich nun auf das Glatteis von Herrn Professor Schiller begeben haben, möchte ich Ihnen nur ganz kurz sagen: Auch Herr Professor Schiller hat uns natürlich nicht gesagt, wie er bei der heutigen Kostenlage die Preise, z. B. die Betriebsmittelpreise der Landwirtschaft, so halten will, wie Sie sie haben möchten. Aber Sie sind ja auf einem anderen Sektor in der SPD tätig; Sie sind für die Landwirtschaft da, und andere sind eben für die Kosten in der Wirtschaft da, die unter anderem auch durch die Löhne entstehen. Das ist nun einmal so, und das wissen Sie doch genau.Wir können unmöglich die Einkommen der Landwirtschaft etwa in Richtung der italienischen Landwirtschaft anpassen und nivellieren. Das wollen wir doch auch nicht. Es gibt in der EWG einen nordwesteuropäischen Raum, und dieser hat ein bestimmtes Niveau, von dem wir nicht herunterkönnen, im allgemeinen nicht und auch nicht bei den Bauern. Darüber hat mein Freund Margulies, der ja ein sehr tüchtiger Mann in Sachen Europa ist und der gut Bescheid weiß, schon vor mehreren Jahren gesprochen.
— Das wissen Sie doch, Frau Kollegin Strobel, — sogar nicht verschiedener Meinung, sondern absolut unterschiedlicher Meinung, was die Qualität der Betroffenen anlangt! Das ist doch kein Geheimnis.
— Weil Herr Kollege Margulies über diese Frage gesprochen hat. Er hat immer schon eine ganze Menge kluger Sachen gesagt. Daß das nicht jedem auffällt und daß einer dann sagt, er kenne ihn nicht, das ist nicht unsere Schuld.
Um es noch einmal zu sagen: Im Namen der Freien Demokraten erkläre ich Ihnen, daß Herr Margulies ein ausgezeichneter Mann ist. Wir haben es so ausgedrückt, daß seine Ernennung im deutschen Interesse gut, ja besser gewesen wäre.
Aber so schwer ist das eben in der Politik.
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Dr. Starke
— Seien Sie froh, daß Sie das nicht sind! — Zurück zur Sache! Wir können eben nicht die Kosten anpassen, Herr Schmidt . Es geht nicht an, in einer expansiven Wirtschaft mit steigenden Löhnen und Preisen zu sagen, die Regierung soll für die Landwirtschaft niedrige Kosten schaffen, damit die Preise so niedrig sein können, wie sie es sollten. Das können Sie eben nur über Subventionen; das wissen Sie genau. Bei einem Wirtschaftszweig, der nicht voll mechanisierbar ist — und dazu gehört die Landwirtschaft —, müssen Sie bei unseren zur Zeit steigenden Kosten entweder die Preise steigen lassen, oder Sie müssen Subventionen zahlen, oder Sie müssen das Bauernsterben veranstalten, das wir nicht wollen.
— Ich habe das auch nicht gesagt. Ich habe gesagt, was wir nicht wollen, und deshalb stellen wir z. B. die Große Anfrage. Aber Herr Schmidt hat nicht gesagt, wie er es auf seinem Wege verhindert. Denn entschuldigen Sie einmal, ist es etwas anderes, wenn er sagt: Schaffen Sie billige Betriebsmittel für die Landwirtschaft! Wie denn? Wie wollten Sie denn das machen, wenn Sie in der Regierung wären? Doch nur über Subventionen.
— Sie wissen doch genau, daß es nicht anders geht. Ich bitte Sie. Ich spreche dabei nicht von einem halben Pfennig, sondern ich meine wirklich im Prinzip „verbilligt". Das geht doch nicht; aber das wissen Sie alle selbst.Nun möchte ich relativ kurz sagen, daß der Sinn unserer Großen Anfrage ein anderer war, als ihn der verehrte Kollege Schmidt uns unterstellt hat. Unsere Große Anfrage stammt vom 27. April. Sie sollte eine Rückenstärkung für die Bundesregierung und für die in schwierigen Verhandlungen in Brüssel stehenden deutschen Unterhändler gegenüber unangemessenen Forderungen von Partnerstaaten sein, die mit dem so häufig beschworenen Gemeinschaftsgeist nicht zu vereinbaren sind. Gerade angesichts einer so häufig an den Tag gelegten Nachgiebigkeit schien uns ein offenes Wort zur rechten Zeit am Platze zu sein.Für alle die in den Verhandlungen der letzten Monate erzielten Verbesserungen gebührt allen Unterhändlern Dank. Ich habe das schon einmal bei der Haushaltsdebatte zum Ausdruck gebracht. Dank gebührt insbesondere aber auch dem Bundesfinanzminister, der in diesen Monaten selbst in Brüssel war und mit Erfolg eine Reihe von Erleichterungen durchsetzen konnte.
Sie müssen sich nur mit mir darüber klar sein, meine Freunde, daß es sich bei all diesen Erfolgen eben nur um relative Erfolge handeln kann, weil die Straße, auf der wir dort gehen, im Prinzip und im ganzen nicht mehr verlassen werden konnte. Trotzdem bin ich der Meinung, daß die Einführung des Bruttoprinzips von heute aus gesehen — so töricht es war, sich jemals auf ein anderes einzulassen —ein Erfolg ist.Unsere Große Anfrage ist getragen von der unterdessen Allgemeingut gewordenen Erkenntnis, daß sich aus dem wirtschaftlichen Zusammenschluß in der EWG nicht automatisch eine politische Einigung Europas ergibt und daß gerade Staatspräsident de Gaulle sich, wie wir immer wieder erfahren haben, seine politischen Ansichten nicht durch wirtschaftliche Zugeständnisse abkaufen läßt. Da haben wir immer erneut bittere Erfahrungen sammeln müssen.Unter diesen Umständen erscheint den Freien Demokraten eine Erhöhung der finanziellen deutschen Auslandsverpflichtungen um eine Nettozahlung von jährlich mindestens 1 Milliarde DM — nach anderen Schätzungen sind es mehr — als verlorener Zuschuß an den EWG-Agrarfonds auf unbestimmt lange Zeit und ohne Gewißheit, daß sich die Summe nicht durch spätere Beschlüsse noch erhöht, als eine ungerechte und zu schwere Belastung, insbesondere wenn man die durchschnittlichen finanziellen Verhältnisse und ökonomischen Möglichkeiten unserer Partnerstaaten berücksichtigt. Die Versicherung der Bundesregierung, daß diese Mittel in der Finanzplanung des Bundes vorgesehen seien, ändert an der bekannten Finanzlage des Bundes nichts; vielmehr reißt dann das Loch in der Finanzdecke an anderer Stelle auf.Sehr nachdrücklich vertreten die Freien Demokraten mit der Bundesregierung den Standpunkt, daß die EWG eine Wirtschaftsgemeinschaft unter Freien und Gleichen sein sollte, die eine gleichgewichtige und gleichzeitige Entwicklung auf allen Gebieten nehmen muß, um den Bedürfnissen aller Mitgliedstaaten möglichst vollständig gerecht zu werden. Wir haben daher die Vorziehung der Agrarfragen in diesem großen Umfang nie gebilligt. Wir halten sie für falsch.
In der Situation, in der wir nun aber kurz vor der Verabschiedung der Agrarfinanzierung stehen, sollten die großen Opfer Deutschlands auf agrar- und finanzpolitischem Gebiet, die eingestandenermaßen nicht mehr um eines politischen Zieles willen erbracht werden, dazu benutzt werden, eine solche gleichgewichtige Entwicklung in der EWG voranzutreiben.Nach Auffassung der Freien Demokraten sollte also nach wie vor eine gerechtere Lastenverteilung angestrebt werden,
und zwar durch alle Möglichkeiten, wie sie auch der Kollege Schmidt andeutete. Vor allem sollte einer späteren Erhöhung der Last vorgebeugt werden. Auf keinen Fall darf der Agrarfinanzierung endgültig und auf die Dauer zugestimmt werden, bevor nicht die bereits von meinem Kollegen Ertl angeführten deutschen Forderungen auf dem Agrargebiet erfüllt sind,
und auch nicht, bevor wir uns über die Fragen inder Montangemeinschaft unterhalten haben, die hier
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in der Haushaltsdebatte angeschnitten worden sind: über die Lasten, die sich aus einer europäischen Energiepolitik, die eine gemeinsame wäre, ergäben, die Lasten nämlich, die sich in der neueren Zeit aus dem deutschen Kohlenbergbau ergeben.Fernerhin geht es, wie Sie wissen, um die Steuerharmonisierung. Und wir wünschten auch, daß vor der Verabschiedung eine Erörterung im Ministerrat darüber stattfände, ob ab 1970 wirklich die handelspolitischen Vorschriften des Vertrages angewendet werden. Gewisse Äußerungen, die wir gehört haben, daß diese handelspolitischen Bestimmungen mit der Souveränität eines Staates nicht zu vereinbaren seien, haben uns bedenklich werden lassen.Der nächste Punkt sind die von mir bereits in der Haushaltsdebatte geforderten bindenden Abmachungen über die in der Kennedy-Runde zu verfolgenden Ziele. Und dann kommen die festen Vereinbarungen über den Osthandel und die Ostkredite und über den Handel mit der Sowjetzone und die Kredite an sie. Ich bin nicht in der Lage, weil ich den Wortlaut nicht kenne, zu beurteilen, ob hier schon befriedigende Regelungen erreicht sind.Wir begrüßen den von der Frau Kollegin Strobel begründeten Antrag der SPD. Bezüglich der Überweisung an die Ausschüsse schließe ich mich dem Antrag des Herrn Kollegen Struve an.Vor allem aber möchten wir Grundsatzbeschlüsse über das Verhältnis mit den Drittländern und überB) die Beseitigung der wirtschaftlichen Spaltung des freien Europas haben. Auch hier darf ich darauf verweisen, daß die Freien Demokraten das vom ersten Tage an gefordert haben. Solche Grundsatzbeschlüsse müßten im Inhalt mit den seinerzeitigen Entschließungen der Unterzeichnerstaaten der Römischen Verträge übereinstimmen, mit den Entschließungen der Bundesregierung, des Bundesrates und des Bundestages. Ich erinnere mich dabei noch des Satzes, daß die EWG nur ein erster Schritt bei der wirtschaftlichen Einigung Europas sein dürfe.Nun komme ich zu dem vorletzten Punkt. Wir haben uns nunmehr auf das Gebiet einer starken Finanzbeanspruchung begeben. Es besteht jetzt die Gefahr, daß versucht wird — in diese Richtung zielt der SPD-Antrag Drucksache V/687 —, durch einen Druck auf die Preise die Finanzlast zu vermindern.
Das ist nicht möglich. Das mußte man sich vorher überlegen. Daher unser erneutes Petitum, man möge eine gerechtere Lastenverteilung anstreben. Wir werden uns gegen jeden Versuch zur Wehr setzen, die Belastungen über die Preise herabzudrücken. Eine Steuerung über den Preis ist auf den EWG-Agrarmärkten nun einmal nur möglich, wenn man es durchweg zu Lasten der deutschen Landwirtschaft täte.
Das würde bedeuten, daß wir in einer allgemeinexpansiven Welt dem Bauern allein seinen Preisversagten. Wir lehnen dieses gesellschaftspolitische Experiment ab.
Jetzt haben wir mit der Übernahme der Finanzlasten den Mund gespitzt, jetzt muß bei den Preisengepfiffen werden. Wir haben davor genug gewarnt.Was den Abschluß in Brüssel anlangt, so möchte ich jetzt einen der wichtigsten Punkte erwähnen. Wir befinden uns mit der Auffassung, daß die EWG-Agrarmärkte nicht nur mit dem Preis gesteuert werden können, nicht allein. Wie ich weiß, befinden wir uns dabei in Übereinstimmung mit Teilen der Koalition und der Bundesregierung. Uns ist auch bekannt, daß die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt hat, die sich mit dieser Frage befassen soll. Sehr verehrter Herr Bundesminister Höcherl, ich bin mir eigentlich nicht darüber im klaren, wie die Bundesregierung einen Abschluß in Brüssel tätigen will, bevor das Ergebnis der Untersuchungen dieser Kommission vorliegt und uns bekannt ist. Man kann doch unmöglich in einer unter Umständen ganz falschen Richtung Beschlüsse fassen, die noch dazu uns ganz einseitig belasten.Lassen Sie mich sagen, daß ich mich bezüglich des Antrags 687 der SPD gleichfalls dem Antrag des Herrn Kollegen Struve auf Ausschußüberweisung anschließe.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zuletzt noch auf einen Punkt, den wir auch schon mehrfach besprochen haben. Wir müssen uns einmal vor Augen halten — das ist vom Kollegen Ertl heute schon gesagt worden —, daß wir uns jetzt in einer Situation befinden, wo in Brüssel ein aus sechs Personen bestehender Ministerrat unter dem Schutz der Geheimhaltung Beschlüsse über Milliardenbeträge faßt, ohne daß ein Europäisches Parlament oder die nationalen Parlamente dabei verantwortlich mitwirken. Ich möchte hier in diesem Hohen Hause einmal sagen: wenn hier nicht eine europäische oder nationale Lösung gefunden wird, blockiert sich allein aus diesem Grunde die ganze weitere Entwicklung der EWG, insbesondere zur Wirtschaftsunion. Stellen Sie sich doch einmal mit mir vor, daß wir etwa eines Tages erfahren, daß ein Ministerrat von sechs Personen ein umfassendes Gesetzgebungswerk wie die Umsatzsteuerreform beschlossen hat und hinterher sechs nationale Parlamente zu ihrem Erstaunen wahrnehmen, was dort alles beschlossen worden ist. Das ist auf die Dauer nicht möglich.Die Freien Demokraten haben vor einiger Zeit einmal einen Antrag gestellt, der dann auch im Auswärtigen Ausschuß behandelt worden ist und den ich dem Inhalt nach wiederholen möchte: Zur Abwendung dieser Gefahr müssen wir eine europäische oder eine nationale Lösung finden; denn es ist ganz undenkbar, daß wir auf die Dauer in dieser Form die mindestens in fünf Partnerstaaten geltenden Grundsätze unserer demokratischen Staatsordnung aushöhlen.
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Dr. Starke
Der EWG-Vertrag enthielt eine Bestimmung, die praktisch auf eine Lösung dieser Frage angelegt war. Das war das Wahlgesetz für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Daraus sollten sich — so hatten es sich die Verfasser gedacht — dann die weiteren Erörterungen entwickeln. Entscheidend für mich ist aber in diesem Augenblick, daß diese Entwicklung — sofern sie so weitergeht Schranken aufbaut, die den weiteren Fortschritt in der EWG verhindern, weil sie langsam, aber sicher unübersteigbar werden. Für unsere Debatte hier ist wichtig, daß solche Erörterungen grundsätzlicher Art im Ministerrat geführt werden sollten, bevor man außerordentlich hohe internationale Verpflichtungen übernimmt, die gerade uns in Deutschland ganz besonders belasten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese heutige Europadebatte ist außerordentlich interessant, wenn man drei oder vier Stunden hier zuhört. Von dem Europaskeptizismus, den zweifellos der Kollege Ertl hier heute an den Tag gelegt hat, bis hin zu den etwas kühnen Erwartungen meiner Frau Kollegin Strobel bezüglich des Anschlusses der EFTA ist weiß Gott eine große Spanne gewesen, und so in der Mitte schwamm da auch noch der Moby Dick hinein bei der Rede unseres Kollegen Ertl.
— Ein Großwildjäger, Herr Kollege Dr. Schmidt? Ja, der schwamm aber richtig. Sie haben hier ein unvergeßliches Denkmal für unseren Kollegen Ertl gesetzt, Herr Kollege Dr. Schmidt.Nein, Spaß beiseite, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Ertl, lassen Sie mich sagen: ich bin der Meinung, daß wir heute eine Debatte ,geführt haben, die weder Veranlassung gibt, etwa zu sagen: Wir, dieses deutsche Parlament, seien in irgendeiner Form in diesen europäischen Fragen zu skeptisch, noch Veranlassung, zu sagen, daß das, was Frau Strobel versucht hat, schon wieder mit einem Sprung weiter nach vorwärts zu treiben, uns etwa nicht ,gut ansteht. Es wäre verheerend, wenn wir Parlamentarier, wir hier in diesem Deutschen Bundestag, uns nicht immer wieder bei jeder Gelegenheit gemeinsam darum bemühen wollten, vorwärtszudenken, vorwärtszudenken auch dann, wenn die Schwierigkeiten noch so groß sind; denn wenn wir es nicht tun, tun es heute über unsere Köpfe hinweg die Völker, dann tut es unsere Jugend, die ganz anders denkt. Fahren Sie nach Frankreich, nach Italien, nach Holland und Belgien! Dort ist nach wie vor Begeisterung für Europa da. Wenn wir hier im Alltagshandwerk, Frau Kollegin Strobel und Kollege Ertl, manchmal verzweifeln und glauben, nicht mehr vorwärtskommen zu können, dann —
— Ich sage, Sie sind zu optimistisch, und hier ist man zu skeptisch! Und der CDU/CSU steht es wieder einmal ,gut an, die Mitte zu wahren.
— Lieber Kollege Fellermaier, der Realismus bezüglich des Anschlusses der EFTA mit all den Schwierigkeiten — seien Sie mir nicht böse —, das ist eine kühne Vision!
— Ich bin dafür, Frau Kollegin Strobel, ich halte es aber beim derzeitigen Stande der Dinge im Augenblick für einen sehr, sehr optimistischen Ausblick!
— Gut, Herr Kollege Schäfer, ich habe ja gesagt, wie weit die Spannbreite in diesem Parlament ist! Was ich haben möchte, ist ja lediglich, klarzumachen, daß ich sowohl die skeptischen Äußerungen des Kollegen Ertl als auch die optimistischen der Frau Kollegin Strobel zusammenfassen möchte als eine Dokumentation unseres gemeinsamen Willens dieses Deutschen Bundestags zu Europa und zur europäischen Einigung! Wenn wir uns in dieser Frage am Ende schließlich näherkommen, dann wäre das, glaube ich, eine gute Feststellung.Ich möchte aber ein paar sachliche Bemerkungen zu den Ausführungen des Ministers machen, die er in Beantwortung der Anfragen der FDP gemacht hat. Herr Kollege Dr. Schmidt, Sie haben hier auf eine Zwischenfrage des Kollegen Ertl — ich glaube, der Kollege Ertl war es — zur Frage des Milchrichtpreises ganz klipp und klar erklärt, Sie wollten einen Preis von 38 Pf. Habe ich Sie falsch verstanden?
— Sie sind realistisch, Sie wollen einen Preis von38 Pf.
— Aber Sie sind eigentlich gefragt worden, was Sie wollten. Daraufhin war die Antwort: 38 Pf. Ich glaube, so wird es das Protokoll wiedergeben. Herr Kollege Schmidt, ich muß Ihnen sagen, daß ich diese Äußerung im derzeitigen Stadium der Verhandlungen im Interesse der deutschen Milcherzeuger außerordentlich bedaure, weil dieser Minister, der als Verantwortlicher auf der Regierungsbank sitzt, im Augenblick noch mitten in Verhandlungen steht, von denen wir noch nicht wissen, wo und an welcher Stelle sie zu Ende gehen. Deshalb, Herr Kollege Schmidt, der ich Sie für einen Freund auch dieses Teiles unserer Bevölkerung, nämlich der deutschen Landwirtschaft, halte, bedauere ich sehr, daß Sie in diesem Augenblick eine derartige Äußerung getan haben. Denn, Herr Kollege Schmidt, wenn Sie sagen: Was ist realistisch an einer solchen Preisforderung? so teile ich mit Ihnen auch die Sorge, ob die derzeitige Konstruktion, die in Brüssel vorgesehen ist, richtig ist, daß man 38 oder 39
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Bauer
oder 37 Pf sagt und glaubt, daß man das alles allein über den Markt wird erreichen können.Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß es richtig gewesen wäre und nach wie vor richtig ist, mindestens für eine große Reihe von Jahren das Instrument unserer bisherigen Milchpolitik, nämlich, die Gewährung entsprechender Förderungsbeiträge, wie wir sie hatten und wie wir sie noch haben, auch im Gemeinsamen Markt noch eine Zeitlang fortzusetzen. Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus, meine Damen und Herren? Ist das Illusion? Kostet das zuviel Geld? Sind die Finanzminister etwa nicht bereit oder in der Lage, das Geld herzugeben?Ich habe mir kürzlich Zahlen angeschaut. Danach ist es zur Zeit so, daß die Finanzminister der sechs EWG-Staaten allein für die Förderung des Milcherzeugerpreises im Augenblick nach dem Stand für 1965 2,35 Milliarden DM in den sechs Ländern ausgeben. Umgerechnet auf die molkereimäßige Verwertung dieser Milch sind das zur Zeit 5,2 Pf. Wenn ich also davon ausgehen würde, daß wir in Zukunft etwa noch 2 oder 3 Pf an kommunitären Beihilfen und Beiträgen für eine gewisse Übergangszeit hätten, dann, Herr Kollege Schmidt, bin ich allerdings realistisch genug, zu sagen: Das übrige läßt sich sicherlich über den Markt erzielen. Aber ich halte es mit Ihnen, wenn Sie der Meinung sind, daß 38 Pf etwa nicht erreichbar sind und daß es ein Richtpreis ist, der sich weit weg von den tatsächlichen Milcherzeugerpreisen bewegen wird.Wenn wir das aber wissen und wenn Sie das mit uns gemeinsam glauben, dann sollten wir eigentlich konstruktive Vorschläge machen, wie wir den tatsächlichen Auszahlungspreis möglichst in die Nähe des vorgesehenen Milchrichtpreises bringen. Mir geht es darum, dafür zu sorgen, daß durch diese Umstellung auf diesem Produktionsgebiet unsere Landwirtschaft nicht wieder neue Einbußen erleidet.Denn, auch das darf hier noch gesagt werden: sosehr ich es bedauere, daß wir bei dem Getreidepreis Einbußen haben hinnehmen müssen, so möchte ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß das noch verhältnismäßig harmlos und leichter erträglich war, wenn ich das mit dem gesamten Sektor der Veredelungsprodukte, insbesondere der Milch, vergleiche.Ich muß Ihnen hier folgendes sagen: Heute wurde ein bißchen verächtlich von der bisherigen Milchpolitik gesprochen. Lieber Dr. Schmidt, auch das hätten Sie nicht tun sollen. Ich bin der Meinung: Wir haben eine ausgezeichnete Milchpolitik betrieben. Wir haben eine hervorragende Milchwirtschaft!
Ich bin der Meinung, wir haben bei uns ausgezeichnete Produkte. Alle übrigen fünf EWG-Länder beneiden uns um unsere Ordnung.
— Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt, sprechen Sie doch mit den Leuten, egal, ob auf der Erzeuger-, auf der Verarbeitungs- oder auf der Handelsstufe; fragen Sie sie doch einmal, ob sie sich wünschen würden, das ganze deutsche System, wie es bisher beiuns bestand, möglichst komplett und unverändert anzunehmen! Die meisten wären dafür. Leider Gottes — ich sage: Gott sei's geklagt — haben sich hier im Laufe der Brüsseler Verhandlungen — —
— Ja, was ist Milchmarktordnung? Und was ist Milchpolitik? Wo sind hier für Sie die Grenzen? Lieber Herr Kollege Schmidt, für mich ist das ein einziger Begriff.Ich sage noch einmal, mit den Gemeinschaftssubventionen, die wir gemeinsam nochmals erörtern sollten, würden wir das gleiche erreichen wie in der Vergangenheit bei uns in der Bundesrepublik. Denn ich behaupte nach wie vor, wir haben kein anderes so geeignetes Instrument gehabt, die öffentlichen Mittel dorthin zu bringen, wo sie im Interesse einer sinnvollen Förderung unserer Landwirtschaft wirklich am meisten angebracht sind, als gerade den Weg, die erzeugte Milch im Preis zu fördern. Wenn wir davon aber überzeugt sind, dann wäre das, glaube ich, auch im künftigen Gemeinsamen Markt richtig.Im übrigen — meine Damen und Herren, ich betone es noch einmal — teile ich die Sorgen um diesen künftigen deutschen Milchpreis dann, wenn man wirklich glaubt, sofort und mit dem Inkrafttreten, wie es jetzt vorgesehen ist, den gesamten Milchpreis über den Markt erwirtschaften und erlösen zu können. Ich bin der Meinung, wenn man von den bisherigen 2,35 Milliarden DM auch in Zukunft 1 bis 1,5 Milliarden DM, die die Finanzminister de facto bereits ausgeben, für die Gemeinschaftssubventionen verwenden würde, dann wäre dieser festzusetzende Milchrichtpreis etwas realistischer, und wahrscheinlich steckte in seiner Verwirklichung gegenüber dem tatsächlichen Auszahlungspreis etwas mehr drin, als es sonst leider Gottes der Fall sein wird.Sie wissen ja — ich darf es ganz kurz sagen —: 1 Pf kommunitärer Subvention pro Kilo Milch würde rund 500 Millionen DM kosten. Wenn wir also 2,5 oder, wenn Sie so wollen, 3 Pf auf diesem Gebiete für diese erste Zeit weiter gewähren, um einmal abwarten zu können, was der Markt wirklich hergibt, dann wären das zwischen 1,25 und 1,5 Milliarden DM. Dann bliebe für die übrigen Aufgaben zur Pflege des Milchmarktes nach den bisher schon vorhandenen Ausgaben immerhin noch ein Betrag von rund drei Viertel bis eine Milliarde DM.Lieber Herr Kollege Schmidt, was ich gar nicht gern gehört habe — ich sage es gleich noch einmal —, war, daß Sie sagten, die SPD könne weder unsere bisherige Agrarpolitik noch die Antwort, die heute der Landwirtschaftsminister gegeben hat, in irgendeiner Form decken. Herr Kollege Schmidt, ich glaube, über die Antwort, die dieser Minister heute gegeben hat, sollten wir uns zu gegebener Zeit noch einmal unterhalten. Ich würde sehr gern wissen, wo Sie eigentlich die kritischen Ansatzpunkte für die Antwort dieses Ministers gefunden haben. Ich hätte gern im Detail gewußt, wo hier einzugreifen
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Bauer
ist. Es wird immer gesagt: Wir können das nicht mit decken und nicht mit tragen. Aber dann sollten Sie uns einmal konstruktiv sagen, wo in dieser Antwort eigentlich die Fehler liegen, wo Sie mit. der Antwort nicht einverstanden sind, wo hier angeblich Schwierigkeiten sind, wo die Antwort ungenügend ist, wo Sie und wie Sie etwas besser machen können.
Da bleiben Sie uns leider Gottes immer die Antwort schuldig.Im Zusammenhang mit unserer Butterpolitik haben Sie von Butterkarussell und von grobem Unfug gesprochen.
Lieber Kollege Schmidt, dann empfehle ich Ihnen, sich doch einmal ein bißchen in den anderen Ländern umzusehen, insbesondere in solchen Ländern, die seit zwanzig und dreißig Jahren sozialistisch geführt sind. Wissen Sie, daß das Butterkarussell und der grobe Unfug, von dem Sie sprachen, zu einem ständigen Bestandteil der Agrarpolitik der dortigen sozialistischen Parteien gehören? Wissen Sie das eigentlich? Und hier im Deutschen Bundestag sprechen Sie von grobem Unfug!
Da hat irgend jemand dazwischengerufen, es sei nicht wahr. Sie können hinterher hier heraufgehen und den Gegenbeweis antreten.
„Demagogie" ist kein schönes Wort. Es bedeutet, daß jemand falsche Dinge behauptet, um das Volk verführen zu wollen. Das wollen Sie, glaube ich, dem Herrn Kollegen Bauer nicht unterstellen.
Ich danke vielmals, Herr Präsident, für den freundlichen Schutz, den Sie mir hier gewähren wollen.Lieber Herr Kollege Schmidt, ich teile mit Ihnen die Meinung, daß es besser und schöner gewesen wäre, wenn wir mit einer geringeren Interventionsmenge zurechtkämen. Ich bin mit Ihnen bereit, daran zu arbeiten, wenn uns Gutes in dieser Richtung einfällt, wie wir diese Interventionsmenge künftig vermindern können.
Ob mich etwas befriedigt oder ob es etwas Besseres gibt, ist leider Gottes ein großer Unterschied. Mit Kritik allein ist es nicht getan, solange man sich hier hinstellt und sagt, es ist alles falsch, was wir machen, ohne gleichzeitig einen eigenen und besseren Weg zu zeigen. Nur darum geht es mir. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir uns mit dem Kollegen Schmidt und mit einer ganzen Reihe von Kollegen in diesem Hause in der nächsten Zeit über einen hoffentlich — wie ich meine — besseren Weg unterhalten können. Wir werden uns morgen schon im Ernährungsausschuß darüber zu unter-halten haben, wenn es um die Frage der weiteren Butterverbilligung geht. Da stehen diese Fragen an. Ich bin neugierig, Herr Kollege Fellermaier, was ich dann von Ihnen zu hören bekomme hinsichtlich besserer Butterpolitik und was Sie statt des Butterkarussells anzubieten haben. Da bin ich wirklich sehr neugierig.Lassen Sie mich diesen kurzen Beitrag folgendermaßen zusammenfassen. Ich bin der Meinung, daß dieser Landwirtschaftsminister da droben rechts von mir angesichts dessen, was bisher ausgehandelt worden ist, unsere Anerkennung finden sollte. Ich kann mich erinnern, daß die Frage des Brutto-NettoPrinzips von links bis rechts stets eine große Rolle gespielt hat. Jetzt ist es erreicht, und jetzt plötzlich sagt man: Na ja, das war eigentlich selbstverständlich, da gab es doch nie Schwierigkeiten, das weiß der CSU-Minister genau. Jetzt ist nichts mehr. Herr Kollege Schmidt, Sie müssen ja Ihr Soll an Kritik erfüllen, und wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, sagen Sie auch mal so etwas. Aber ich erlaube mir, hier zu sagen, daß das ein ausgesprochener Erfolg dieses Landwirtschaftsministers und dieser deutschen Delegation ist. Ich bin sehr froh darüber, daß wir hier einen Schritt weitergekommen sind.Ich teile eine andere Sorge mit Ihnen, und hier spreche ich auch die Regierungsbank an. Das ist die Frage der Harmonisierung der Kosten oder —
wie Sie es genannt haben — die Frage der ungleichen Wettbewerbsbedingungen.
— Bitte?
— In welcher Beziehung, lieber Herr Fellermaier?
Jetzt haben Sie mich noch einmal gereizt, jetzt muß ich noch ein Wort sagen. Sie fragen, was diese Regierung getan hat — ich weiß nicht, wer gerade davon sprach —, und sagen, wir müßten dafür sorgen, daß hier endlich eine Harmonisierung der Kosten eintritt.Dann ist das Wort „Italien" gefallen. Ja, meine Damen und Herren, wenn es so einfach wäre, daß wir die Kosten etwa harmonisieren könnten nach einem mathematischen Mittel hin, oder wenn wir es so einfach machten, wie ich es auch schon einmal gehört habe, nämlich die Kosten einfach jeweils nach dem höchsten Stand irgendwo in einem Lande ausrichteten, wie es sich manche Leute z. B. bei den Löhnen vorstellen! Eines ist doch sicher: Die Landwirtschaft ist im Augenblick die einzige Gruppe, die bei dem bisherigen europäischen Zusammenschluß ganz effektiv Nachteile hat in Kauf nehmen müssen. Sagen Sie mir doch, ob es irgendwo einen ähnlichen Annäherungs- oder Harmonisierungsprozeß gegeben hat mit dem Ziel, irgendwo eine Mitte zu finden und die, die darüber liegen, dann herunterzuführen und die, die darunterliegen, auf diese Mitte
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Bauer
zuzuführen. Meine Damen und Herren, dieser Prozeß bei der Landwirtschaft ist einmalig.
Ich bin neugierig, ob es jemanden unter uns gibt,der hier heraufkommt und behauptet, es sei anders.
— Natürlich, der Verbraucher hat Opfer bringen müssen, Herr Saxowski. Ich habe aber nur von der Einnahmenseite gesprochen, und ich meine, der Lohn des Bauern sind seine Preise, genauso wie Lohn und Gehalt beim Unselbständigen auch entscheidend sind für sein Einkommen. Diese beiden Dinge wollte ich miteinander vergleichen.Ich muß Ihnen hier sagen, es ist leider Gottes so, daß man bei der Landwirtschaft in sehr vielen Hirnen immer von dem arithmetischen Mittel, von einem mathematischen Mittel spricht. Es denkt niemand daran, zu sagen: Der Milcherzeugerpreis beträgt zur Zeit in Italien 42 Pf; deshalb setzen wir ihn auch in den übrigen Ländern auf 42 Pf. Oder: Der Zuckerrübenpreis ist in Belgien und Deutschland am höchsten, deshalb holen wir in den übrigen Ländern auch diesen Preis heraus. Nein, meine Damen und Herren von der SPD, ich würde das auch für unmöglich halten.Stellen Sie sich vor, morgen ginge jemand von uns hin und sagte: Der europäische Durchschnittsmaurerlohn liegt irgendwo bei 5 Mark; alles, was darüber liegt, muß herunter, und alles, was darunter liegt, muß auf die Mitte angehoben werden. Sie würden uns glatt auslachen, wenn wir eine solche Forderung stellten.Darum ist es besonders schmerzlich, daß man diesem Berufsstand, von ,dem wir in der Bundesrepublik wissen, daß er auch nach dem letzten Grünen Bericht im graben Durchschnitt immer noch um 20 % hinter dem übrigen Einkommen herhinkt, immer wieder derartige Wege zumutet, daß er sich auf irgendeine Mitte hin zu bewegen hat, daß er scheinbar im Wege steht, wenn es auf Europa zugeht. Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, diese deutsche Landwirtschaft und die Landwirtschaft ,der übrigen fünf EWG-Länder haben bisher die größten Zugeständnisse und Opfer gebracht und werden sie auch in der Zukunft bringen, denn ,die deutschen Bauern und auch die anderen Bauern stehen nicht im Wege. Nur müssen wir ihnen dabei helfen, nur dürfen wir sie nicht bei jeder Gelegenheit angreifen und ,sagen: „Butterkarussell", die Milchpolitik taugt nichts, ihr seid rückständig in der Erzeugung und alles das, was man zu hören bekommt.
Meine Damen und Herren, helfen muß man ihnen, ermuntern muß man sie. Wir müssen klarmachen — wie es heute schon von Herrn Struve gesagt worden ist, und ich glaube, auch Herr Kollege Schmidt hat es angesprochen —, daß unsere Bauern sich in Ausbildungsstand und Tüchtigkeit durchaus sehen lassen können. Dann laßt uns aber auch gemeinsameine Politik machen, durch die der Preis auch als Lohn für den Bauern in der Zukunft in der Mitte dieser europäischen Agrarpolitik steht!
Das Wort hat der Abgeordnete Sander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Verlauf der Debatte hat doch gezeigt, wie notwendig es war, daß wir Freien Demokraten diese Große Anfrage eingebracht halben. Ich freue mich, daß gerade Herr Kollege Bauer sich so intensiv an dieser Aussprache beteiligt hat. Wir halben hier Worte gehört von Optimisten und Skeptikern usw. Ich werde mich bemühen, ,die Probleme in aller Kürze als Realist mit einem sehr gesunden Schuß Optimismus anzusprechen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute diese Debatte aus großer Sorge haben wollen, weil wir ja wissen, daß die im Dezember 1964 erfolgte Zusage zur Getreidepreissenkung leider nicht zum Durchbruch auf dem Wege zu Europa geworden ist. Herr Professor Furler ist heute schon einmal angesprochen worden. Ich glaube, wir alle können mit Recht sagen, daß wir doch bitter enttäuscht sind.Meine Damen und Herren, wir wissen auch, daß, nachdem die Zusage zur Getreidepreissenkung erfolgt war, man ja auch sehr schnell von seiten des französischen Landwirtschaftsministers, Herrn Pisani, und auch von seiten des Herrn Vizepräsidenten Mansholt eine Durchlöcherung der vorhandenen Marktordnungen für Milch und insbesondere für Zucker hat erreichen wollen. Wir wissen ganz genau, daß Herr Mansholt am 6. Mai in München erklärt hat: Wir müssen hier sehr schnell eine Regelung treffen, spätestens bis zum 17. September muß das Problem der Zucker- und Milchmarktordnung erledigt sein. Er hat sogar wörtlich gesagt: Ich kann es leider nicht schneller machen, weil ja Wahlen in einem benachbarten Land — und damit hat er Deutschland gemeint — anstehen.Nun, meine Damen und Herren, inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Wir haben uns die Worte sehr gut gemerkt. Wir haben die Kommissionsvorschläge zur Kenntnis genommen. Wir haben uns im vorigen Jahr im Ernährungsausschuß und im Wirtschaftsausschuß gründlich mit den Vorschlägen der EWG-Kommission beschäftigt. Herr Kollege Bewerunge, den ich hier sehe, hat den Schriftlichen Bericht dazu abgegeben. Wir haben dann in einer ausführlichen Debatte auch unsere Vorstellungen zu einer Zuckermarktordnung geäußert.Wir von der FDP haben in der vorigen Legislaturperiode den Umdruck 633 eingebracht, und ich betone noch einmal, wie notwendig es war, daß wir es getan haben. Wir stehen heute noch dazu und sehen deren Notwendigkeit ein. Nun, meine Damen und Herren, es war heute sehr interessant, Herr Kollege Bauer. Ich will Sie nicht angreifen, im
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2273
SanderGegenteil, ich lächele. Es ist dasselbe geschehen wie etwa vor einem Jahr. Da hat auch der Herr Kollege Dr. Schmidt, der inzwischen wohl das Feld hier geräumt hat, nachdem er seine Wahlrede gehalten hat — —
— Ach, er ist ja doch da. Das ist nett, ich freue mich, wenn ich ihn sehe. Er ist ja aus meinem Nachbarkreis und ich kenne ihn sehr gut. Nun nehme ich ihm das nicht ganz so übel wie Sie, Herr Kollege Bauer. Kritik gehört nun einmal zur Demokratie. Wir haben ja gesehen, er hat etwas Schwung hineingebracht. Ich glaube, wir dürfen diese Ausführungen nicht so ernst nehmen. Ich habe vor einem Jahr ja auch gesagt: Er will letzten Endes wahrscheinlich auch das beste. Daß er es nicht sehr leicht hat in seiner Partei, das ist völlig klar. Auch dafür haben wir volles Verständnis.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich mich nach der langen Debatte kurz fassen kann. Ich habe es auch nicht mehr nötig, mich heute sehr lange über die Bedeutung der Erhaltung und die Wichtigkeit des deutschen Zuckerrübenanbaus auszulassen. Es wäre vielleicht einmal sehr gut gewesen, wenn in diesem Hohen Hause — nachdem wir die Energiedebatte gehabt haben, nachdem wir uns über die besonderen Sorgen von Kohle und Stahl, des Erzbergbaus, der Textilwirtschaft und vieler anderer notleidender Industriezweige oder solcher Zweige, die noch in Zukunft in eine sehr, sehr schwierige Lage geraten könnten, unterhalten haben — auch die Bedeutung dieser Urindustrie, der Landwirtschaft, in einem noch etwas größeren Rahmen ausgesprochen worden wäre. Nun, meine Damen und Herren, was nicht ist, kann noch sein. Wir können das nachholen.Wir alle wissen trotzdem — und hier möchte ich ganz besonders keinen Angriff gegen unsere Bundesregierung richten —, daß unsere augenblickliche Finanz- und auch unsere Devisen- und Exportlage nicht die allerbeste ist. Das ist nicht Schuld allein dieser Bundesregierung, sondern ich erkläre hier ganz offen, daß der Herr Bundeskanzler sehr oft auf diese Gefahr hingewiesen hat. Er hat gesagt: Es wird Zeit und Stunde kommen, wo sich das für unser ganzes deutsches Volk einmal schlecht auswirken wird. Das soll kein Lob für den Herrn Bundeskanzler sein. Ich wollte es nur einmal in den Raum stellen. Ich will es nicht überspitzen, Herr Struve. Sie werden das verstehen.Meine Damen und Herren, ich möchte mich nun auf das Problem der Zuckerwirtschaft beschränken. Sie wissen, daß gerade der deutsche Zuckerrübenanbau nicht, wie sehr oft hier betont wurde, in Großbetrieben durchgeführt wird, sondern — —
— Nein, Sie nicht, Herr Minister; Sie haben das nie gesagt, sondern in diesem Hohen Hause und auch im Ausschuß ist gesagt worden, das sei in der Hauptsache eine Angelegenheit der Großbetriebe. Das ist ein sehr, sehr großer Irrtum. Im Gegenteil, sowohl in meiner Heimat wie auch in ihrer Heimat, Herr Minister, wird ja der Zuckerrübenanbauhauptsächlich in kleinen und mittelbäuerlichen Betrieben durchgeführt. Das ist mit der Grund, warum wir uns so sehr für die Erhaltung unseres deutschen Zuckerrübenanbaus aussprechen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Ihnen bekannt sein, daß wir heute in Deutschland noch etwa 67 Zuckerfabriken haben. Es wird Ihnen weiter bekannt sein, daß ein großer Teil, über 50 %, davon in Niedersachsen liegen. Sie liegen zum größten Teil im Zonengrenzlandgebiet. Und das ist auch mit ein Grund, warum gerade in dieser Gegend nun diese Frage des deutschen Zuckerrübenanbaues und der deutschen Zuckerrübenpreise sehr, sehr sorgfältig verfolgt wird. Nun, meine Damen und Herren, werden Sie auch verstehen, daß diese Menschen, die Rüben anbauen, bekanntlich auch Getreide anbauen. Sollte hier auch nur das geringste Nachgeben bei unseren bisherigen deutschen Zukkerrübenmindestpreisen stattfinden, Herr Minister Höcherl, dann weiß ich nicht, wie diese an und für sich guten Gegenden in Zukunft mit dieser doppelten Gefahr fertig werden sollen.Sie wissen, daß wir im vorigen Jahr noch einmal daran geglaubt haben, vielleicht, wenn es die Verhandlungslage in Brüssel erfordern würde, mit einer Ausgleichszahlung anzutreten. Das war der Grund, hier zu erklären, daß das im Augenblick ja bei unserer augenblicklichen Kassenlage überhaupt nicht mehr möglich ist.Nun, meine Damen und Herren, vielleicht etwas, was Sie interessiert. Lassen Sie mich mal einige Worte darüber sagen, wie der deutsche Zuckerrübenpreis entstanden ist. Das ist kein gegriffener Preis, das ist kein willkürlicher Preis, sondern dieser Preis ist entstanden auf Grund einer Erstellung einer Zuckerenquete durch das Bundeswirtschaftsministerium. Man hat dann im Jahre 1957 den deutschen Zuckerrübenerzeugermindestpreis mit 15,5 % Zucker an der Schneidemaschine auf 6,75 DM je Doppelzentner festgesetzt. Meine Damen und Herren, merken Sie sich bitte das Jahr 1957. Nach fünf Jahren, 1962, meuterten endlich die deutschen Rübenbauern und sagten, es ist unmöglich, mit diesem Preis weiter auszukommen. Sie alle wissen, was inzwischen gewesen ist. Sie kennen die Lohn- und Gehaltserhöhungen. Sie kennen die Kostensteigerungen in allen Wirtschaftszweigen. Der deutsche Zuckerrübenanbau ist ja nicht nur allein interessant für die Landwirte, sondern er ist z. B. in meiner Heimat, wo 37 Zuckerfabriken in bäuerlicher Hand sind, natürlich auch besonders wichtig im Hinblick auf die Kostensteigerungen für den Kauf von Maschinen usw. Die meisten deutschen Zuckerfabriken sind ja in Wirklichkeit — Herr Minister, ich hoffe, Ihnen das nicht sagen zu brauchen — die Vorläufer einer idealen Erzeugergemeinschaft. Diese bäuerlichen Erzeugergemeinschaften haben vor 100 Jahren etwa begonnen, die Bewirtschaftung der Zuckerrüben und auch deren Verarbeitung in ihre Hand zu nehmen. Das ist in Schleswig-Holstein der Fall. Das ist in Westfalen teilweise und in Hessen dasselbe.Auf Grund einer Fortschreibung, allerdings auf privater Grundlage, nicht durch das Bundeswirt-
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2274 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Sanderschaftsministerium, ist dann diese sogenannte Zukkerenquete weitergeführt worden. Man kam schon im Jahre 1962 zu wesentlich höheren Gestehungskosten für Zuckerrüben. Sie wissen, daß dann auch endlich nach zähen zweijährigen Verhandlungen der Erzeugermindestpreis auf 7,25 DM je Doppelzentner Zuckerrüben — ich betone immer wieder, nicht bei 16, Herr Minister, sondern bei 15,5 % an der Schneidemaschine — festgesetzt worden ist.Meine Damen und Herren! Es ist Ihnen ja bekannt, daß wiederum seit 1964 weitere Lohn-, Gehalts- und Kostensteigerungen stattfanden, und auf Grund der bis jetzt gestiegenen Kosten wäre heute ein Zuckerrübenmindestpreis auf Grund exakter Unterlagen in Höhe von etwa 8 DM je Doppelzentner Zuckerrüben gerechtfertigt. Das war mit ein Grund, daß wir in unsere Große Anfrage auch das Problem „Zuckerrübenanbau" aufgenommen haben. Wir sind nämlich der Meinung, daß wir uns hier vor endgültiger Preisfestsetzung auf EWG-Ebene beeilen müssen.Meine Damen und Herren, Frankreich ist nun einmal stärker an der Landwirtschaft interessiert als an der Industrie. Bei uns ist es scheinbar umgekehrt, obwohl beide Wirtschaftszweige eng miteinander verflochten sind und in der Zukunft mehr und mehr voneinander abhängig sein werden. Wichtig ist aber für uns nicht zuletzt, daß der Industriemarkt ebenso schnell vereinheitlicht wird, wie dies für die Landwirtschaft vorgesehen ist. Hier schloß man, was den Termin der Vereinheitlichung betrifft, einen Kompromiß, der zwischen dem von Frankreich geforderten 1. Juli 1969 und dem deutschen Termin des 1. Juli 1967 liegt, und zwar auf dem 1. Juli 1968. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Geheimnis!Ich möchte auch, daß wir das beste Verhältnis, das allerbeste Verhältnis zu Frankreich haben. Aber ich habe nun einmal schon in der Schule gelernt, daß Partnerschaft mit pars zusammenhängt, und wir wollen als gleichberechtigte Partner ein Teil dieses Europas sein. Natürlich wissen wir, daß Frankreich ein großes Interesse daran hat, daß die französischen Industrielöhne sehr niedrig bleiben, und daß damit im Augenblick auch noch die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise niedrig sind. Ich bedaure es außerordentlich, daß wir nicht erreicht haben, daß der Industrie- und der Agrarmarkt gleichzeitig in Funktion getreten sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei der fortgeschrittenen Zeit noch ganz kurz Bilanz ziehen und, darauf fußend, zu den Forderungen von uns Freien Demokraten kommen. Ich glaube, wir dürfen feststellen, daß unsere bundesdeutsche Finanzlage im Augenblick nicht die beste ist. Wir wollen weiter feststellen, daß auch die Devisenlage uns zum Nachdenken verpflichtet. Wir wollen weiter feststellen, daß der Kreditmarkt für Investitionen, für teilweise dringend notwendige Investitionen wenig hergibt und uns teilweise sehr teuer zu stehen kommt. Deswegen sollten wir nach unserer Meinung alles tun, um zu bewirken, daß die derzeitigen und künftigen Finanzschwierigkeiten uns nicht noch zusätzlich belasten. Meine Damen und Herren, ich bin sogar ehrlich und sage Ihnen — —
— Ich bin sogar ehrlich, um hier Ihnen etwas zu sagen: Auch ich bin der Meinung, daß wir bei den EWG-Verhandlungen vielleicht etwas gutgläubig gewesen sind, nicht ganz so gutgläubig wie die SPD; die war uns natürlich immer viele, viele Kilometer voraus. Aber auch wir glaubten, wenn wir die Zusage zur Getreidepreissenkung geben würden — und da befanden wir uns in guter Partnerschaft mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes —, dann wäre das für uns ein Vorteil. Meine Damen und Herren, daß das ein Fehler gewesen ist, daß es sich nicht gut ausgewirkt hat, ist eine Tatsache.Nun meine ich, man sollte den Mut haben, dem deutschen Volk einmal ganz offen zu sagen, was auf Grund der damaligen Zusage bei der Getreidepreissenkung die Agrarfinanzierung kostet. Man sollte auch ruhig die Gesamtkosten angeben, d. h. die Summe, die die Erstattung für die zugesagte Getreidepreissenkung bis 1970 ausmacht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß das bei der Aufgeschlossenheit unseres Volkes nicht sehr gut ankommen würde. In meinem Wahlkreis stelle ich immer wieder fest, daß man bestens ankommt, wenn man den Leuten die Wahrheit sagt, auch wenn solche Dinge teilweise unpopulär sind.Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft und hier speziell die Zuckerrübenerzeuger sahen den Verhandlungen in Brüssel deshalb mit sehr großer Sorge entgegen, weil wir — und das möge man uns nun auch verzeihen — erkannt haben, daß wir hier und dort nicht nur gewonnen haben. Ich möchte mich hier sehr vorsichtig und auch sehr fein ausdrücken.
Wir wissen, daß die neuen Vorschläge der EWG-Kommission bei der Verwertung der Zuckerrübenüberschüsse bereits im nächsten Jahr eine weitere Belastung der deutschen Steuerzahler in einer Höhe von etwa 200 Millionen DM mit sich bringen würden, wenn wir das, was die Kommission sich vorstellt, unsererseits akzeptierten — siehe Quantumsregelung usw.Wir bitten deshalb unsere Bundesregierung, sich nach wie vor für die Einführung von regionalen Produktionszielen einzusetzen — das haben wir inzwischen dankenswerterweise von Ihnen, Herr Minister, vernommen — und zweitens unter allen Umständen den jetzigen deutschen Zuckerrübenmindestpreis — bei 15,5 % Zucker an der Schneidemaschine — durchzusetzen. Ich habe Ihnen gesagt, es liegen ganz korrekte Unterlagen vor, daß die Kosten inzwischen auf 8 DM je Doppelzentner gestiegen sind.Meine Damen und Herren, Sie müssen auch wissen, daß die — ich glaube, ich darf es als deutscher Parlamentarier ruhig einmal aussprechen — meines Erachtens unseriösen Vorschläge der Kommission einen Einnahmeausfall für die deutsche Landwirt-
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Sanderschaft — das kommt zu den 200 Millionen DM hinzu — von weiteren 85 Millionen DM bedeuten. Außerdem wären selbstverständlich Steuerausfälle für den Bundeshaushalt zu erwarten.Ich möchte auch an dieser Stelle sagen, daß die deutsche Landwirtschaft und nicht zuletzt unsere jungen Bauern nicht mehr bereit sind, in Zukunft infolge vielleicht verkehrter Beschlüsse bei den Marktordnungen noch als Almosenempfänger im deutschen Volk zu gelten, daß sie auch nicht mehr bereit sind, sich als teilweise von einer Großstadtpresse sagen zu lassen, die das, sage ich ganz offen, vielleicht nicht aus Schlechtigkeit sagt, aber wider besseres Wissen.Abg. Dr. Schäfer: Welche Töne von einemvon der Regierungspartei!)Ich weiß nicht, ob Sie verheiratet sind. Ich bin es. Ich bin mit meiner Frau nicht immer einer Meinung. Das wäre auch durchaus nicht gut für eine Ehe. Ich glaube auch, unsere Bundesregierung ist dankbar für das, was wir hier heute gesagt haben; es soll nur dazu beitragen, ihr zu helfen.
Das hat also nichts mit der Koalition zu tun.
Meine Damen und Herren, ich sagte Ihnen, daß wir nicht bereit sind, durch einen Preisverlust infolge ungeschickten Verhandelns bei den Marktordordnungen wieder Subventionen als Ersatz hinzunehmen. Wir sind aber auch nicht bereit, noch weitere Einkommensminderungen der Landwirtschaft hinzunehmen. Ich meine das ganz wörtlich. Wir haben seit langen Jahren eine dauernde Lohn-, Gehalts- und Kostensteigerung. Darüber wollen wir uns freuen und dankbar sein. Aber, meine Damen und Herren, was würden diese Kreise sagen, wenn wir ihnen zumuteten, statt eines Zuckerrübenpreises von 8 DM einen Preis von 6,40 oder 6,60 DM hinzunehmen! Ich glaube, dann würden die sagen: „Ja, Kinder, ihr seid wohl verrückt geworden! Das, was wir nun endlich einmal erreicht haben, werden wir mit Zähnen und Klauen verteidigen."
— Dem ist so, Herr Kollege Coring; das ist nicht abzuleugnen. Ich sage das freundlich und nicht schlecht gemeint, Herr Conring. Aber dem ist nun so, und das sollten wir auch einmal in diesem Raume sagen.Ich habe eines vergessen; das möchte ich noch den Verbrauchern im guten Sinne sagen. Die Berechnung des Zuckerrübenpreises basiert nicht auf der 40- bzw. 42-Stunden-Woche, sondern nach wie vor auf der 60-Stunden-Woche und mehr. Herr Kollege Schäfer, Sie wissen genau, wie in Ihrer Heimat und überhaupt im größten Teil Deutschlands in der Landwirtschaft heute noch leider von Mann und Frau, Altenteilern und Kindern hart gearbeitet werden muß. Wir müssen deshalb von der Bundesregierung erwarten, daß sie sich auch der Revisionsklausel annimmt, daß sie versucht, sie auf Grund der jetzigen Schwierigkeiten zu erreichen. Wir alle wissen — auch das geben wir zu — um den leichten Geldwertschwund. Das istkeine deutsche Erfindung, das ist in vielen Ländern der Erde so.Nun ist hier das Wort von der Harmonisierung gefallen. Das habe ich nicht zusätzlich hereingebracht, Herr Kollege Schmidt. Auch der Bundesregierung müßte bekannt sein, daß wir in Europa von einer allgemeinen Harmonisierung der Löhne, der Steuern, der Frachten, der Baukosten, der Futtermittelpreise usw. noch sehr weit entfernt sind. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen drei Beispiele gebe. Bei uns liegt die steuerliche Belastung je ha zwischen 35 und 40 DM, in Frankreich bei 7 bis 10 DM. Die Baukosten betragen in Frankreich etwa die Hälfte unserer Baukosten. Für die Reparaturkosten — einen sehr großen Posten in unseren landwirtschaftlichen Betrieben — gilt dasselbe. Sie wissen schließlich auch, daß die Landarbeiterlöhne bei uns um rund 40 % höher liegen als in Frankreich.Ich sagte Ihnen bereits, wir wollen keine Subventionen, wir wollen keine Ausgleichszahlungen; aber wir sind der Meinung — und das, Herr Minister, soll eine Unterstützung unserer Regierung sein —, daß die jetzigen Verhandlungen über die noch ausstehenden Marktordnungen unserer Bundesregierung die Möglichkeit geben sollen, hart zu handeln. Es sind Verhandlungen, die über Sein oder Nichtsein der deutschen Landwirtschaft entscheiden. Ich möchte das hier sehr ernst sagen. So weit wir zurückdenken können, sind solche schwerwiegenden Entscheidungen noch nie notwendig gewesen. Daher gehöre ich auch zu denen, die Ihnen dankbar sind. Ich bin auch dafür dankbar, Herr Staatssekretär Hüttebräuker, daß Sie sich bei den Vorostergesprächen 1965 in Brüssel, wo auf Grund eines Artikels im „Spiegel" große Gefahr bestand, daß der Zuckerrübenanbau in Gebiete jenseits des Rheins abwandern könnte, sich sehr energisch für dieses Problem eingesetzt haben und die Entwicklung von dort an eine andere Richtung genommen hat.Ich möchte daher mit der Aufforderung und der Bitte schließen: Herr Minister — ich möchte es jetzt auf die Ministerebene heben , halten Sie fest an unserer bewährten deutschen Zuckermarktordnung. Ich habe Ihnen vorhin zu sagen versucht, daß diese der Vorläufer der heute von uns so dringend gewünschten Erzeugergemeinschaften gewesen ist. Wir sind deshalb der Meinung, daß wir dann auch in Zukunft eine gesicherte Versorgung für unsere Verbraucher und einen gerechten, d. h. nach Kosten berechneten Erzeugermindestpreis haben werden. Damit erreichen wir in Deutschland und, wenn es richtig gemacht wird, in Europa keine Überproduktion, keine zusätzliche finanzielle Belastung für den Bundeshaushalt, keinen Steuerausfall für die Bundesregierung, und last not least erreichen wir damit die dringend notwendige Erhaltung des deutschen Zuckerrübenanbaus.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
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2276 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf nach der sehr umfangreichen Debatte in aller Kürze und Eile einige Fragen beantworten und einige Stellungnahmen abgeben.Ich beginne mit dem Antrag der SPD-Fraktion in der Drucksache V/687, der von Frau Kollegin Dr. Elsner so charmant begründet worden ist. Eine Reihe von diesen Fragen kann sofort 'beantwortet werden.Natürlich hat sich die deutsche Delegation in Brüssel bei ihrer vorläufigen und unter Vorbehalt abgegebenen Zustimmung zur Agrarfinanzierung auf Vorausschätzungen bezogen, und zwar nicht nur auf Vorausschätzungen, die vom Institut für Finanzen und Steuern erstellt worden sind, sondern auch auf Vorausschätzungen der Kommission. Ich darf darauf hinweisen, daß das Bundesfinanzministerium schon vor mehr als einem Jahr im Bulletin der Bundesregierung eine sehr interessante und fundierte Darstellung veröffentlicht hat, die ich sehr zur Lektüre empfehle. Aber natürlich ist die Bundesregierung auch bereit, die Berechnungsunterlagen, die Methoden und die Ergebnisse im Ausschuß noch im einzelnen vorzutragen. Diese Dinge eignen sich ja nicht für eine breite öffentliche Diskussion. Insofern bin ich dafür, den Antrag an die beiden zuständigen Ausschüsse zu verweisen.Im übrigen darf ich zu der Frage der Agrarfinanzierung generell bemerken: wenn es ein Partnerland, wenn es eine Delegation gibt, die bei jeder Gelegenheit auf finanzielle Einschränkung und Sparsamkeit drängt, dann ist das die deutsche Delegation. Sie hat das früher getan, und sie tut es heute. Das ergibt sich praktisch z. B. aus dem Beschluß über die Bruttofinanzierung.Ich habe keinen Anlaß, dem etwas hinzuzufügen, was der Herr Kollege Bauergesagt hat. Ich halbe auch keinen Anlaß, hier Nostrifizierungen zu versuchen. Dieses Drängen auf Sparsamkeit war unsere Pflicht und war unsere Aufgabe.Es ist auch richtig, Herr Kollege Schmidt, daß es bei der Beibehaltung der Nettofinanzierung Schwierigkeitengegeben hätte, weil die Kontrollmöglichkeiten unzureichend ,gewesen wären. Das war zweifellos eines unserer wichtigsten Argumente, um die Bruttofinanzierung durchzusetzen.Ferner ist es uns unter sehr schwierigen Umständen gelungen, in der Abteilung „Ausrichtung" einen Plafonds zu schaffen und diese Abteilung von der automatischen Abhängigkeit vom Garantiefonds zu trennen. Wir haben hier mit einer oberen Grenze von 1,14 Milliarden DM einen sichtbaren Beweis für unsere verantwortliche Einstellung in der finanziellen Beschränkung erbracht. Im Ausschuß wird Gelegenheit sein, diese Dinge noch im einzelnen vorzutragen.Ich darf hier ferner auf die Ausführungen verweisen, die der Herr Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte ausführlich über die Schätzungen auf Grund der Unterlagen der Kommission und dereigenen Unterlagen vorgetragen hat. Daraus ergibt sich eine Mehrbelastung für den Bundeshaushalt in Höhe von 958 Millionen DM, soweit sich das bisher übersehen läßt. Ihnen ist sicher klar, daß entscheidende Tatbestände erst noch geregelt werden müssen: die Höhe der Preise, ferner Marktordnungen in Bereichen, die uns besonders interessieren, aber auch in Bereichen, die vor allem Italien und andere Länder interessieren. Von ,der Regelung in diesen Bereichen wird einiges im Hinblick auf unsere finanziele Verantwortung abhängen.Lassen Sie mich nun noch kurz zu dem von Frau Strobel begründeten Antrag Drucksache V/686 Stellung nehmen. Frau Kollegin Strobel hat einen beschwörenden Appell an die Bundesregierung, aber auch an dieses Hohe Haus gerichtet, alle Anregungen, die von der EFTA-Seite kommen, aufzunehmen und sie auf der Seite der EWG zu Gegenangeboten und praktischen Folgerungen zu verdichten. Ich glaube, daß es einer solchen Aufforderung nicht bedarf. Dieses Haus in all seinen Teilen und auch die Bundesregierung haben sich ständig auf dieser Linie bewegt.Ich darf dazu einige Fakten vortragen, um zu zeigen, wie die Verhältnisse wirklich sind. In der deutschen Europa-Initiative vom Oktober 1964 wurde der Intensivierung der Beziehungen zwischen EWG und EFTA ein wesentlicher Platz eingeräumt. Die Bundesregierung hat ebenfalls die auf den Tagungen des EFTA-Ministerrates in Wien und Kopenhagen im Mai und Oktober 1965 sowie die in Bergen im Mai 1966 zutage getretene Tendenz der EFTA begrüßt. Sie hat das auch öffentlich getan. Sie hat darauf gedrängt, daß die Zusammenarbeit zwischen EWG und EFTA und der Brückenschlag zwischen diesen beiden Blöcken zustande kämen. Auf deutschen Vorschlag nahm der Ministerrat zu Fünft im November 1965 von der EFTA-Initiative mit Interesse Kenntnis und gab der Hoffnung Ausdruck, möglichst bald in der Lage zu sein, hierauf zu antworten. Nach Wiederaufnahme der Arbeiten in der Gemeinschaft zu Sechst mußten naturgemäß einige dringende interne Angelegenheiten und Fragen geregelt werden, bevor dieses Thema wieder in den Mittelpunkt der Beratungen gerückt werden konnte. Auf deutsche Initiative hat sich die EWG-Kommission kürzlich bereiterklärt, dem ständigen Vertreter der EFTA in Brüssel einen Antwortentwurf auf die EFTA-Initiative zu erteilen.Nun zu Ziffer 2 Ihres Antrages. Nach Meinung der Bundesregierung wächst in Großbritannien sichtlich die Bereitschaft zum EWG-Beitritt. Das gilt für die Regierung wie für die Opposition. Eine politische Entscheidung der britischen Regierung steht jedoch noch aus. Eigentlich müßte ich die Zitate der Rede des englischen stellvertretenden Premierministers in Stockholm, die Sie gebracht haben, noch ergänzen. Es gab dort nämlich einige nicht unbedeutende Vorbehalte auf landwirtschaftlichem Sektor. Eine befriedigende Regelung der landwirtschaftlichen Fragen wurde zur Voraussetzung für ernsthafte Verhandlungen gemacht.Ich darf in diesem Zusammenhang ferner ausführen, daß ich bei dem Besuch des englischen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2277
Bundesminister HöcherlStaatssekretärs im Landwirtschaftsministerium Gelegenheit genommen habe, praktische Verhandlungen anzuknüpfen und Gespräche zu führen. Wir haben konkret die Frage geprüft, ob es denn nicht möglich wäre, diese beiden äußerlich so unterschiedlichen Systeme der Agrarfinanzierung auf einen Nenner zu bringen. Wir müssen hier Mittel und Wege finden, um die erforderlichen technischen Vorbereitungen zu treffen. Ich bin nämlich nicht der Meinung, daß technische Dinge so unbedeutend wären, sondern ich glaube, daß sie gerade in schwierigen Verhandlungssituationen das einzige Mittel sind, voranzukommen und den politischen Entscheidungen eine Basis zu geben. Nur so kommen praktische Ergebnisse zustande!
Ob es sich empfiehlt, Offerten auszutauschen usw., das weiß ich nicht. Ich glaube nicht, daß so subtile Vorgänge einer öffentlichen Diskussion in vollem Umfang zugänglich sind. Wir sollten aus diesem zweifellos gut gemeinten Antrag die Aufforderung entnehmen, mit dem erforderlichen Wohlwollen, das uns immer schon beseelt hat, an diese Dinge heranzugehen.Nun zu der Frage der Einzelverhandlungen. Die Verhandlungen der EWG-Kommission mit Osterreich — kräftig unterstützt von der deutschen Seite — mit dem Ziel, ein Abkommen besonderer Art abzuschließen, das Zollpräferenzen beinhaltet, haben bisher gute Fortschritte gemacht. Die Kommission hat zwei Berichte über ihre Verhandlungen vorgelegt, die zur Zeit geprüft werden. Der Rat wird sich spätestens im September mit dieser Frage befassen. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, daß man es in EFTA-Kreisen gar nicht schätzt, wenn Verhandlungen mit einzelnen Mitgliedern aufgenommen werden. Wir würden ein gemeinsames Vorgehen der EFTA sehr gerne sehen, denn wir haben ja auch einen Comment und eine Satzung, die ein gemeinsames Vorgehen vorschreibt. Behutsamkeit und guter Wille sind nach Meinung der Bundesregierung die einzigen Instrumente, die uns hier voranbringen.Nun darf ich noch ganz kurz zu einzelnen Fragen und Bemerkungen Stellung nehmen. Zunächst zu den Bemerkugnen, die Sie, Herr Kollege Struve, vorgetragen haben: Sie haben mit Recht die Frage der Trinkmilch in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt. Wir haben eine Trinkmilchmarktordnung, die außerordentlich befriedigt und die von allen Seiten eigentlich — so kann man sagen — nur Anerkennung gefunden hat. Die Trinkmilch-frage steht in Brüssel z. Z. noch nicht an. Wenn die Trinkmilchmarktordnung auf europäische Basis zur Debatte steht, werden wir uns mit unseren Erfahrungen an der Diskussion zu beteiligen wissen.Vielleicht darf ich hier einen Gedanken anmerken, der uns weiterhelfen könnte. Wir sollten gerade in der Frage der Trinkmilchmarktordnung einen Gesichtspunkt besonders herausstellen. Sie wissen, daß wir immer Klage darüber führen, daß der Trinkmilchverbrauch nicht befriedigt. Wir sollten Anstrengungen zur Steigerung des Verbrauchs unternehmen; nicht nur werbemäßige Anstrengungen — das reicht nicht aus —, sondern vor allem Anstrengungen, die gewissen Veränderungen der Geschmacksrichtung Rechnung tragen; gerade in Geschmacksfragen sind die Menschen bekanntlich unversöhnlich und eigenwillig.Was nun den Getreidepreis betrifft, so gestatten Sie mir hier ein offenes Wort. Man kann ruhig darüber streiten, ob es richtig war, damals diesen Beschluß zu fassen. Aber eines halte ich auf jeden Fall für falsch. Meinem Kollegen Schmücker sind in diesem Zusammenhang oft Vorwürfe gemacht worden, vor allem auch wegen einer Bemerkung, die er — ich möchte einmal sagen — vielleicht aus dem Klima der Verhandlungen heraus gemacht hat. Hierzu erkläre ich in aller Offenheit folgendes. Wer in bester europäischer Absicht einen solchen Beschluß im Vertrauen darauf faßt, daß das Versprochene von allen gehalten wird, der verdient keine Vorwürfe. Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit gesagt haben.Ich weiß nicht, ob Rückschläge immer so verwerflich sind, ob sie nicht auch andere, positive Wirkungen haben. Ich habe durchaus den Eindruck, daß die achtmonatige Abwesenheit Frankreichs, die uns zweifellos im zeitlichen Vollzug der europäischen Einigung zurückgeworfen hat, andererseits auch sehr positive Gefühle in Frankreich hat entstehen lassen. Das zeigen die letzten Verhandlungen. Ich denke daran, welchen Widerstand Frankreich der Kennedy-Runde entgegengebracht hat. Gestern und vorgestern war es möglich, zu einer erfolgreichen Vereinbarung in dieser Frage zu kommen, die unsere Verbraucher und unsere gewerbliche Wirtschaft in entscheidender Weise tangiert.Die Rückwirkungen auf die Landwirtschaft sind bekannt. Die Dinge haben zwar eine Unterbrechung erlitten, aber diese Unterbrechung hat auch positive Auswirkungen gehabt. Ich bin im übrigen der Meinung, wir sollten uns von keiner Unterbrechung, von keinem Rückschlag in einem solchen Integrationsprozeß irgendwie enttäuschen lassen. Wenn ich bloß an die Wiedervereinigung denke — und hier darf ich an eine politische Vorstellung meines Freundes Strauß erinnern, der mit guten Gründen immer erklärt hat, der Weg zur Wiedervereinigung führe über Europa —, wenn wir diese Dinge so ernst nehmen, wie sie genommen werden müssen, und wenn wir hier einen Beitrag leisten können, dann darf es keine Enttäuschung, keinen Rückschlag geben, der groß genug wäre, um uns davon abzuhalten, die Anstrengungen zu verdoppeln und zu vervielfachen.
Es ist richtig, meine Damen und Herren, wenn der Kollege Struve ausführt, daß der Haushalt nicht schon im nächsten Jahr — und da werden die Haushaltsberatungen besonders schwierig sein — die Belastung der Ausgleichszahlungen hätte, wenn der Getreidepreisbeschluß am 1. Juli 1968 in Kraft träte. Hierzu sage ich Ihnen aber ganz offen: Wir haben dem Getreidepreisbeschluß zugestimmt, und ich möchte auch weiter so verhandeln, daß Unterschriften gewahrt werden. Ich glaube, das muß unser
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2278 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Bundesminister HöcherlGrundsatz sein. Wenn es eine Änderung des Getreidepreisbeschlusses gibt, dann nur im Rahmen der Revisionsklausel; das ist für mich der geometrische Ort, in dem solche Änderungen entschieden werden. Diese Klausel ist nicht gerade prächtig ausgefallen, das muß gesagt werden. Wir werden zum 1. Juli dieses Jahres einen Bericht bekommen auf Grund dieser Revisionsklausel, wir werden ihn studieren, und wir werden Ihnen diesen Bericht zuleiten. Dann werden wir sehen, ob und in welchem Umfang eine Revision des Preisbeschlusses vom Dezember 1964 möglich ist.
Wir werden den Bericht der Kommission, den ersten auf Grund der Revisionsklausel, sorgfältig untersuchen. Dabei wird sich auch ergeben, ob diese Art von Revisionsklausel die Erwartung erfüllt, die wir in eine solche Institution legen.Herr Kollege Struve, mit der Frage der Zinsverbilligung haben Sie ein sehr ernstes Thema angesprochen, das in der Presse eine Behandlung erfahren hat, die ungerecht war. Meine Damen und Herren, Agrarstrukturpolitik, um das gleich hier zu sagen, ist ohne Beteiligung des Kapitalmarktes gar nicht möglich.
Die Verfassung des Kapitalmarktes ist bekannt; dabei geht es nicht nur mit die Betriebsstruktur, sondern es geht um die Struktur im kulturtechnischen Sinne. Dieses Aufgabengebiet geht weit über berufsständische Fragen hinaus und reicht hinein in die Fragen der Raumordnung. Der Kapitalmarkt weist nicht nur eine sehr hohe Zinsbelastung aus; er befindet sich auch in einer Verfassung starker Verknappung. Allein daraus ergibt sich schon, daß viele berechtigte Projekte nicht durchgeführt werden können; somit liegt eine Überbeanspruchung des Kapitalmarkts durch die Zinsverbilligungsmittel kaum im Bereich des Wahrscheinlichen. Es ist unmöglich, Fragen der Landeskultur, der Betriebsstruktur und der Agrarstruktur bei einem Zinssatz von 8 bis 10 °/o lösen zu wollen; das weiß jeder. Es ist ein Leichtes, hier alles über einen Leisten zu schlagen. Ich bin der Meinung, daß der Beschluß des Bundestages richtig war; die Zinsverbilligungsmittel sind ein unerläßlicher Bestandteil der Finanzierung im Agrarbereich aus Gründen, die jeder Grüne Bericht ausweist. Das ist aber nicht nur eine deutsche Erkenntnis, sondern eine internationale Erkenntnis, die ihre Ursachen in der Geschwindigkeit des Kapitalumschlages hat. Das sind Dinge, die ich hier gar nicht weiter darstellen muß.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Kollege Dr. Schmidt hat mit dem kaustischen Humor, den ich so sehr an ihm schätze, die Große Anfrage behandelt und es sich nicht entgehen lassen, ein Koalitionsbild zu zeichnen. Ich habe keinen Anlaß, darauf zurückzukommen, nachdem der Kollege Dr. Starke das alles einwandfrei widerlegt hat. Das ist eine Auseinandersetzung, die sich zwischen den Fraktionen vollzieht.Nun haben Sie aber, Herr Kollege Schmidt, im Rahmen Ihrer weiteren Ausführungen einige Bemerkungen gemacht, die eine gewisse Beachtung verdienen. Sie haben es z. B. für richtig gehalten, auf die Mitwirkung meines Staatssekretärs Hüttebräuker bei den Brüsseler Verhandlungen im Rahmen der Getreidepreisregelung usw. hinzuweisen. Ich will Ihnen folgendes sagen: Ich halte nicht viel davon, daß man den Versuch unternimmt, jetzt einen Graben zwischen dem Minister und seinem Staatssekretär auszuheben, nachdem der Versuch, einen Graben zwischen der FDP und der CDU zu ziehen, fehlgeschlagen ist.
Davon halte ich gar nicht viel.
— Gut, wenn es nicht beabsichtigt war, dann danke ich Ihnen sehr für diese Mitteilung.
— Er sagt, er hätte es nicht so gemeint, Herr Kollege Schäfer!
— Dann habe ich die Sache mißverstanden, aber die Klärung war doch recht gut, finde ich. Ein Mißverständnis führt oft zu einer gesunden Klärung.Nun haben Sie, Herr Kollege Schmidt, die Luxemburger Beschlüsse auf die Hörner genommen und den Wortlaut verlesen, daß die Agrarfinanzierung sofort „geregelt" werden muß und daß alle die anderen Fragen aus dem gewerblichen und aus dem agrarischen Sektor „beraten" und nicht entschieden werden. Nun möchte ich hier den wohl entscheidenden Vorgang bei den letzten Beratungen herausstellen. Der liegt nämlich in der Auswertung dieser Luxemburger Beschlüsse. Sie haben richtig zitiert: das eine wurde zur Entscheidung und das andere zur Beratung gestellt. Aber Sie haben eines vergessen, und das muß ich jetzt nachholen! Die deutsche Delegation hat es nämlich im Zusammenwirken der vier EWG-Ressorts doch zuwege gebracht, daß. eine Gleichzeitigkeit und eine Gleichgewichtigkeit zwischen der Agrarfinanzierung und zwischen den anderen Fragen über die Luxemburger Beschlüsse hinaus erzielt werden konnte. Das halte ich nämlich für das Entscheidende und nicht das Bruttoprinzip. Aber es wäre ganz nett gewesen, Herr Kollege Schmidt, wenn Sie das vorgetragen hätten. Weil Sie das nicht getan haben, haben Sie nun mich gezwungen, Sie zu ergänzen, was ich ungern tue.Sie haben „Tuntenhausen", einen berühmten Ort für agrarpolitische Reden, zitiert.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2279
Bundesminister Höcherl— Nun, haben Sie etwas dagegen? Das schätzen Sie doch so sehr!
— Na, sehen Sie!
Ich will Ihnen etwas sagen. Das bringt der Beruf mit sich, bei Ihnen und bei mir; ich bin Abgeordneter wie Sie. Es bringt auch das Amt mit sich, daß man sich einmal in Hessen, einmal in Bayern, einmal in Baden-Württemberg usw. trifft und sich unterhält. Das ist ganz und gar nicht so einfach, und das sind sehr schwierige Missionen. Da macht man seine Erfahrungen, Herr Kollege Schmidt. In Tuntenhausen war ich ganz besonders vorsichtig, weil ich weiß, daß sich, wenn das Wort Tuntenhausen fällt, der SPD-Pressedienst sofort darauf stürzt, weil hier vielleicht plastische Formulierungen fallen könnten. Deshalb war ich sehr zurückhaltend. Ich bitte sehr zu entschuldigen, daß ich Sie etwas enttäuscht habe.Nun haben Sie von den Versäumnissen der Regierung gesprochen. Das gehört eigentlich zu Ihrem Repertoire. Es kann ja überhaupt keine andere Erklärung der Opposition geben als die, daß sich die Regierung Versäumnisse hat zuschulden kommen lassen, daß sie abtreten muß. Nachdem aber das Volk diese Dinge gar nicht so sehr bestätigt, wie Sie sich das wünschen, bleibt Ihnen nur übrig, von Versäumnissen zu reden. Es wäre aber gut gewesen, wenn Sie das etwas spezialisiert und konkretisiert hätten. Das haben Sie wiederum nicht getan. Sie haben aber einen Punkt angesprochen, der entscheidend ist.Herr Kollege Dr. Schmidt, ich habe Sie in einem ganz schweren Verdacht. Sie haben ja immer zwei Hochzeiten, eine Verbraucherhochzeit und eine Landwirtshochzeit.
Sie machen die landwirtschaftliche Hochzeit., und die andere ist die Verbraucherhochzeit.
Es ist so furchtbar schwer, auf beiden zu tanzen. Ich bin der Meinung, man muß diese beiden Pole in einem Kompromiß zusammenbringen, so wie wir das heute bei der AGV auch getan haben.Herr Kollege Schmidt, Sie haben einen Faktor von größtem Gewicht herausgestellt, nämlich die Wettbewerbsgleichheit und die Wettbewerbsregeln. Sie sagen, wir hätten uns auf diesem Gebiete irgendwelche Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Ich muß das bestreiten. Warum? Sie wissen, daß in dem Zeitplan, der noch bis zum 1. Juli abgewickelt werden soll, auch in einem Marathon beraten werden soll. Marathon ist unbequem und bedeutet Nachtverhandlungen. Es kommt jedoch auf das Ergebnis an und nicht darauf, ob es in einem Marathon oder sonst verhandelt wurde. Aber in diesem Zeitplan steht — auf holländischen Antrag, mit deutscher Unterstützung — die Verpflichtung, gemeinsame Wettbewerbsregeln im Agrarsektor herzustellen.Nun, was gehört alles zu diesen Wettbewerbsregeln? Dazu gehört einmal die Beihilfe, und dazu gehören viele, viele andere Dinge. Jetzt entsteht eine bedeutsame Gefahr. Man kann nämlich folgendes tun, Herr Kollege Sander. Man kann sagen: Ich bin von früh bis spät für die Europäische Gemeinschaft, ich bin von früh bis spät für den Zusammenschluß dieser Länder; aber ich stelle Bedingungen und baue eine dauernde Hürde auf, die niemand überspringen kann, indem ich eine Perfektion verlange, die niemand zu erfüllen in der Lage ist.Sehen Sie, wir gehen den umgekehrten Weg. Für mich ist das eine sehr schwierige Angelegenheit, weil man der Landwirtschaft Opfer zugemutet hat und weil sie immer wieder in Gefahr ist, Opfer bringen zu müssen. Diese Gefahr kann niemand bestreiten. Wir versuchen, dabei das äußerste herauszuholen.Aber wenn ich sage: zunächst muß die Steuerharmonisierung, dann muß die Tarifharmonisierung usw. geregelt sein, müssen all diese Dinge vorher geregelt sein, weil sie natürlich den Wettbewerb berühren und weil es um die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen geht, — wenn ich die absolute Perfektion an den Anfang stelle, werde ich niemals das Werk zustande bringen.Ich bin folgender Meinung: Wir sollten einmal den Versuch machen, diese gemeinsamen Preise und Marktordnungen in den wichtigsten Sektoren zustande zu bringen und dann diese Gemeinschaft einmal auf den Marsch schicken, Wenn dann etwas falsch war und sich herausstellen sollte, daß sich etwas nicht bewährt, dann werden wir bestimmt noch die Kraft besitzen, diese Dinge in Ordnung zu bringen, genauso wie wir das in unserem eigenen internen Bereich auf dem Novellierungswege fortgesetzt machen. Das ist für mich ehrliche europäische Einstellung, und das andere steht in dem Verdacht, daß durch die Anforderung von Perfektion praktisch etwas verhindert werden soll, was uns am Herzen liegt und was wir durchführen wollen. Ich will diese Absicht hier nicht unterstellen, aber der Verdacht besteht. Sie haben sich ja auch über alle möglichen Soupçons geäußert.Nun zu der Frage der Erzeugergemeinschaften. Sie haben angekündigt, Sie wollen das Marktstrukturgesetz wieder auf den Tisch bringen. Ich habe gar nichts gegen das Marktstrukturgesetz. Sie wissen ganz genau, daß sich sehr viele Kreise —Genossenschaften, Bauernverband, Deutscher Industrie- und Handelstag darauf geeinigt haben. Aber es ist die Frage, ob das überhaupt in einem Gesetz geregelt werden muß, ob man nicht einen viel einfacheren Weg finden kann und ob es nicht neue Erkenntnisse gibt. Aber zu glauben, daß in der Europäischen Gemeinschaft jede Erzeugergemeinschaft, der ja die verschiedensten Aufgaben zugeordnet sind, dem gleichen Recht und den gleichen Vorschriften und Satzungsbestimmungen unterliegen muß, das erscheint mir als ein übertriebener Perfektionismus. Es genügt ein grober Rahmen.Für die Erzeugemeinschaften haben wir uns gerade in der EWG im Rahmen der Obst-und-GemüseMarktordnung mit Nachdruck eingesetzt, weil wir
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2280 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Bundesminister Höcherldie holländischen und die eigenen Erfahrungen verwertet haben und damit zum Ausdruck bringen wollten, daß dieser sehr schwierige Markt „Obst und Gemüse", der nicht stapelfähige Waren erfaßt, mit ganz besonderen Marktspezialitäten, die fast einer stündlichen Änderung unterliegen, in der Form von Erzeugergemeinschaften in Ordnung gebracht werden sollte, Das ist eine Möglichkeit, die wir sehen.Das war unser Vorschlag. Deswegen war es nicht richtig, wenn Sie meinen, wir hielten nichts von Erzeugergemeinschaften. Wir unterstützen sie doch auch in unserem Bereich durch Richtlinien usw.Aber eines muß ich in aller Offenheit sagen. Es gibt einen großen Streit über Erzeugergemeinschaften und über den Weg, den sie gehen dürfen. Entscheidend ist, daß wir hier eine Wettbewerbsgleichheit erhalten. Sie wissen ganz genau — davon bin ich zutiefst überzeugt —, daß es für den Landwirt außerordentlich interessant ist, in der Konkurrenz zwischen dem privaten Landhandel und allen anderen Einrichtungen zu stehen. Aus dieser Wettbewerbssituation kann er Honig saugen, wenn er das versteht.Deswegen gibt es viele Möglichkeiten, das Angebot zusammenzufassen, um einer gebündelten Nachfrage begegnen zu können. Aber hier müssen wir sehr vorsichtig sein, damit uns nicht der Vorwurf gemacht wird, daß wir mit öffentlichen Geldern eine Wettbewerbsungleichheit hervorrufen. Das bedarf gründlichst der Überlegung, die nur im Ausschuß unter Anhörung von Sachverständigen und Verwertung von Erfahrungen, die woanders und bei uns bereits vorliegen, möglich ist.Sie haben von französischen Subventionsplänen gehört. Auch das würde mich sehr interessieren. Ich bin überzeugt, daß ich bei der guten Zusammenarbeit Ihre Geheimnisse erfahren werde, damit ich mich politisch darauf einstellen kann.
— Danke sehr.Was das Staatssekretärgutachten betrifft, so haben Sie erklärt, bei den Staatssekretären habe sich nicht der notwendige Eifer eingestellt. Wir haben hier noch zwei Vertreter: sehen Sie, die Hälfte dieses Gremiums der EWG-Staatssekretäre sitzt noch hier auf der Regierungsbank.Ich darf Ihnen folgendes sagen, um Ihre Neugierde zu befriedigen. Das Gutachten liegt vor
— das Gutachten liegt vor —, aber Sie werden mir gestatten, daß ich es zunächst in meinem Hause lese und meine eigene Meinung zum Ausdruck bringe. Wenn das geschehen ist, werde ich es Ihnen unverzüglich überantworten, damit Sie sich mit Ihrer Kritik darauf stürzen können.
Jetzt kommt die große Frage: Milch! Herr Dr. Schmidt, ich weiß, Sie wollten mich nicht in Versuchung führen, hier taktische Vorteile oder taktische Überlegungen preiszugeben, weil wir noch in den Verhandlungen stehen. Darauf nehmen Sie ebenso wie auch alle Diskussionsteilnehmer bestimmt Rücksicht. Sie wollen von mir absolut wissen, ob der Milchpreisvorschlag von 39 Pf, den ich geerbt habe, den ich aber auch vertrete, ernst gemeint war und ob er auf dem Wege, den die Kommission vorschlägt, zu verwirklichen ist. Das sind die beiden Fragen. Ich darf Ihnen dazu folgendes sagen. Vielleicht kommen wir überhaupt auf eine neue Preisbildung; es sind Vorschläge gemacht worden, den Molkereiabgabepreis zum Mittelpunkt zu machen. Ich habe mir die Dinge überlegt, und ich muß sagen, daß sie mir gar nicht so uneben erscheinen. Es gibt in der Form der Kostensituation interessante Dinge.
— Ja. Das war das eine.Zweitens. Daß die Berechnung der Kommission — nach deren System nur 36 bis 37 Pf ergeben würde, trifft nicht zu, und zwar deswegen, weil es nach den Berechnungen der Kommission 37,8 Pf sind. Ich könnte mir aber vorstellen, daß wir bei unseren günstigeren, über dem EWG-Durchschnitt liegenden Verarbeitungsspannen noch eine Marge haben, die eine Verwertung von mehr als 38 Pf ermöglicht, d. h. unter Zugrundelegung des Kommissionsvorschlags.Aber eine ernste Bemerkung muß hier noch angebracht werden. Wir haben uns keineswegs damit einverstanden erklärt, dem System, das die Kommission vorschlägt, zu folgen — unter gar keinen Umständen —, und zwar deswegen nicht, weil ich das System nach einigen Richtungen hin für anfechtbar halte und weil es mit der Subventionierung der zurückgelieferten Magermilch doch wieder eine Produktionstendenz begünsigt, die man sich genau überlegen muß. Wir haben andere Vorschläge gemacht, die in die Richtung gehen, die hier vorgetragen worden ist, und die davon ausgehen, daß man vielleicht eine Mischform suchen muß.Das Butterkarussell! Meine Damen und Herren, Sie haben erklärt — und das habe ich fast tollkühn gefunden —, daß Sie der Kommission keinen einzigen Pfennig mehr zur Verfügung stellen wollen, wenn nicht von der Bundesregierung wegen des sogenannten Butterkarussells befriedigende Vorschläge gemacht werden. Zunächst einmal, Herr Kollege Schmidt, ist es Ihnen als Praktiker genauso be-kant wie mir, daß sich in unserer Milchpolitik, die ja auf den Familienbetrieb abgestellt worden war, ein Erfolg herausgestellt hat, der vielleicht etwas zu groß ist. Es ist wohl von der Seite der FDP gesagt worden und von Ihnen grundsätzlich auch —, daß Sie mit der Agrarpolitik nicht zufrieden sind. Ich muß sagen, daß das, was wir für die Familienbetriebe in der Milchpolitik erreicht haben, eine unglaubliche Leistung ist.Es gibt auch andere Überlegungen. Ich weiß nicht, ob wir angesichts der heutigen Hungersituation in der Welt ohne weiteres von Überproduktion reden können; denn ich glaube, daß es hier noch
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2281
Bundesminister Höcherlmoralische Überlegungen gibt, die unserer Diskussion angefügt werden müssen. Vielleicht müssen wir noch mehr Geld als bisher einsetzen, um den Hunger, der in der Welt noch herrscht, aus den Überleistungen unserer Landwirtschaft zu bekämpfen. Das erscheint mir auf jeden Fall ein moralischerer Ausgangspunkt als einfach die Produktion zu stoppen. Das ist meine grundsätzliche Einstellung dazu. Ich glaube, daß wir das Problem nicht immer in so billiger Form, wie es gelegentlich in der Öffentlichkeit zu hören ist, abtun können.Wir haben als Problem zu verzeichnen, daß die auf den Familienbetrieb abgestellte Milchpolitik ein Ergebnis erzielt hat, das unsere Erwartungen weit übertroffen hat. Das ist der Ausgangspunkt, der zunächst gar nicht so schlecht ist. Besonders hohe Kosten sind in diesem Zusammenhang erst in diesem Jahr zum erstenmal entstanden. Ich würde auch bei Ihrer Bemerkung, daß Sie keinen Pfennig bereitstellen wollen, etwa an den saisonalen Ausgleich und an solche Notwendigkeiten denken.Zweitens, meine Damen und Herren, müssen wir doch in der Frage dieser Milchpolitik noch folgende Überlegungen anstellen. Gehen Sie einmal in die verschiedenen Regionen unseres Vaterlandes! Dann werden Sie etwas Interessantes finden. Sie werden einen Steuerungsvorgang finden, der sich von den Lohnkosten ableitet, denn heute ist eine Milchviehhaltung mit Lohnkosten fast nicht mehr durchzuführen. In meiner Heimat sehe ich, daß 1 Betriebe, die sich in einer solchen Struktur befinden, durch Hofversteigerungen, also durch einen öffentlichen Viehverkauf, ihre Milchkühe abstoßen müssen, weil sie die Melkerlöhne nicht mehr aufbringen können. Sie beobachten im kleinbäuerlichen Betrieb im Zuerwerbs- und Nebenerwerbssektor ebenfalls — ohne Anstoß von uns, aus eigenem Entschluß — den Vorgang, daß die Menschen die Großviehhaltung aufgeben und sich auf andere Tierhaltungen und auf andere Betriebsformen beschränken. Aus diesem Prozeß, der von beiden Seiten her angeheizt wird, ist zu erwarten, daß sich eine Beruhigung in der Milchproduktion einstellt.Wir haben uns auch das eine oder andere einfallen lassen, und morgen wird in meinem Hause eine interne Konferenz über die Frage stattfinden, wie wir uns eine zusätzliche Besserung denken können. Sie werden darüber informiert, weil ich nicht der Meinung bin, daß es in dieser Frage nur eine Regierungs- oder eine Koalitionspolitik geben kann. Entscheidungen dieser Art, die so weit hinausreichen in Hunderttausende von Betrieben, müssen von einer breiten Öffentlichkeit getragen sein. Das werden wir Ihnen mitteilen, und ich hoffe auf die Liebenswürdigkeit, daß Sie nicht wie das letzte Mal den Etat des Landwirtschaftsministeriums ganz ablehnen, sondern dann wenigstens diesen Anteil bewilligen.Sie haben noch die Frage gestellt, wie das mit den Produktionszielen ist, von denen der Kollege Schröder in einem allgemeinen Rat ganz allgemein gesprochen hat. Ich glaube, den Kollegen Schröder richtig zu deuten, wenn ich erkläre, daß hier vorallem die finanzielle Verantwortung, die Gesamtverantwortung und die deutsche Beteiligungsmöglichkeit angesprochen wurden, und zwar am Beispiel des Zuckers. Das war die Bedeutung dieser Erklärung, die durchaus die Auffassung ,der gesamten Delegation wiedergibt.Ich hätte jetzt Anlaß, in sehr umfangreichen Ausführungen noch auf die Rede von Herrn Kollegen Starke einzugehen. Ich darf folgendes sagen, Herr Kollege Starke. Ich war etwas überrascht von Ihrer Mitteilung, daß Sie in der Zeit, in der Sie Finanzminister waren, das und jenes abgelehnt hätten. Unsere Regierungsform besteht darin, daß man im Kabinett abstimmt. Das ist ein Vorgang, der dem Beratungsgeheimnis unterliegt. Und entweder fügt man sich der Mehrheit, oder man bemüht sich umeine andere Position. Einen anderen Weg kann es nicht geben. Ich würde hier niemals öffentlich sagen: ich habe das und ich habe jenes in der Zeit meiner Zugehörigkeit zum Kabinett nicht gebilligt. Ich glaube, so können wir nicht verfahren.Ich bin auch eigenartig davon berührt — das sage ich ebenfalls ganz offen —, daß hier von seiten der FDP erklärt wird, sie habe unsere Landwirtschaftspolitik insgesamt mißbilligt. Nun, ich muß sagen: wir haben sie gemeinsam gemacht. Meistens ist sie sogar vom ganzen Haus gemacht worden — das ist mir in Erinnerung —, weil es hier eine sehr geschlossene Front gibt. Wenn es um die Abstimmung geht, klappt alles viel besser als bei der Diskussion. Bei der Abstimmung ist man meistens sehr viel vorsichtiger, Herr Kollege Schmidt. Wir wissen auch warum.
— Herr Schäfer, wollen Sie mich versuchen? Ich lasse mich nicht versuchen.
Meine Damen und Herren, ich meine, wir haben diese Politik in weiten Bereichen gemeinsam ,getragen, und ich verstehe eigentlich nicht, warum man sich absentiert. Man kann sagen: das eine war falsch, oder: das eine -ist gelungen, das andere ist nicht gelungen. Aber ich glaube nicht, daß ein solches global ablehnendes Urteil berechtigt ist. Selbst diejenigen, für die wir dieses Politik gemacht haben, die deutschen Landwirte, sagen bei einem ehrlichen Gespräch: Jawohl, das sind Erfolge, das sind politische Ergebnisse. Das wollte ich als einziges sagen.Herr Kollege Sander, Sie haben hier sehr leidenschaftlich die Probleme der Zuckermarktordnung dargestellt. Seien Sie überzeugt: das ist auch für uns genauso ein Anliegen, das wir sehr nachdrücklich vertreten.
— Ich weiß schon, aber Sie sitzen mir so nahe.
Das ist also auch unser Anliegen. Das ist eine biologische Notwendigkeit in der Fruchtfolge; das sindDinge, für die es noch viele andere gute Begrün-
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2282 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Bundesminister Höcherldungen gibt. Sie wissen ganz genau, daß es uns gerade hier bei einer anfangs sehr ablehnenden Einstellung der Kommission gelungen ist, Deutschland und Italien in eine gemeinsame Front zu bringen, und daß diese Front bis heute gehalten hat, ein Ergebnis, das ich für vorteilhaft halte. Niemand von uns kann sagen, wie die Dinge letzten Endes gestaltet werden. Sie dürfen davon ausgehen, daß wir mit dem Nachdruck, der uns zur Verfügung steht, für nationale Produktionsziele, für einen angemessenen Preis, der den Zuckerrübenanbau rechtfertigt, den wir auch bei uns für durchführbar halten, eintreten. Das ist das, was ich global sagen kann. Ich kann das nicht in Zahlen und Einzelheiten ausdrücken. Dazu ist es nicht die Zeit. Wir können Ihnen nicht mehr versichern, meine Damen und Herren, als daß wir uns bemühen, Ihre Aufträge und Ihre Beschlüsse mit bestem Willen und bester Absicht auszuführen. Das ist es, was uns zur Verfügung steht, und das sollte auch mit aller Deutlichkeit hier gesagt werden.Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, daß Sie für diese unsere Arbeit in der EWG immer soviel Verständnis aufgebracht haben und daß Sie durch geschickte Maßnahmen in dem Spiel zwischen Parlament und Regierung unsere Haltung unterstützt haben. So fasse ich auch die heutige Diskussion auf. Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur ein paar ganz kurze Bemerkungen. Die erste gilt meinem verehrten Kollegen Bauer . Das war, Herr Kollege Bauer, wirklich der Stil einer Wahlversammlung, und das ist ganz unter Ihrem Niveau, wie Sie heute hier auf diese meine Bemerkungen geantwortet haben.
Um Legendenbildungen vorzubeugen: Natürlich könnte ich mir wünschen, daß unsere deutschen Erzeuger einen Preis von 39 Pf und noch mehr je Liter Milch bekämen. Natürlich, und für Zuckerrüben einen Preis, der sogar noch höher liegen könnte, als er bei uns liegt. Aber in Anbetracht der Situation in der Gemeinschaft, bei den Kompromissen, die dort einfach zwangsläufig notwendig sind, glaube ich, ist es realistisch, sich auf einen Preis von 38 Pf einzustellen und auch, was die Zuckerrüben angeht, Herr Kollege Sander, ein bißchen nach unten zu gehen.
Um nun das Thema abzuschließen — wir werden uns ja in 14 Tagen in dieser Frage wieder sprechen —, noch eine Bemerkung zum Herrn Minister. Herr Minister, ich gebe zu, Sie haben es nicht sehr einfach. Ich habe volles Verständnis für Ihre Lage und ich weiß, ich tanze auf zwei Hochzeiten. Aber Sie auch; Sie sind ein Bundesminister für Ernährung u n d Landwirtschaft und nicht nur für die Landwirtschaft. Das, was Sie heute hier vollführt haben,
war auch ein Tanzen auf zwei Hochzeiten. Insoweit also sind wir uns sehr nahe.
Was die Wettbewerbsregeln angeht, so, glaube ich, sind Sie mir den Beweis für Ihre Bemerkungen schuldig. Aber ich hoffe, wir haben die Gelegenheit, daß wir im Ausschuß noch einmal darüber reden.
Zur Milchwirtschaft gebe ich zu: Es ist ein sehr schwieriges Problem. Aber wenn wir nicht in einer sehr schwierigen Situation stünden, würde sich doch Ihr Haus keine Überlegungen über gewisse Änderungen machen. Und, Herr Kollege Bauer , ganz Deutschland spricht von einer Änderung unserer Milchpolitik. Daß Sie in der Frage der Erzeugergemeinschaften jetzt einen groben Rahmen zugestehen, ist ein Fortschritt. Ich gratuliere.
Und nun eine letzte Bemerkung zu Herrn Staatssekretär Hüttebräuker. Herr Staatssekretär, Sie können versichert sein, daß ich Sie als einen realistischen Politiker außerordentlich geschätzt habe und auch noch schätze. Die Ovation, die Herr Sander Ihnen darbrachte, ist wohl die Folge des schlechten Gewissens, das die FDP gegenüber ihrem Staatssekretär empfindet, nachdem kürzlich bekannt wurde, daß Sie, Herr Staatssekretär, aus dem Verkehr gezogen werden sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich noch einmal das Rednerpult betreten muß. Sehr verehrter Herr Bundesminister, wir kennen uns lange. Sie haben die Bemerkung gemacht, daß das, was ich gesagt habe, merkwürdig gewesen sei. Ich möchte nicht über Stilfragen sprechen. Gestatten Sie mir aber, Ihnen zu sagen, daß ich vom ersten Tage an gegen diese Finanzverordnung war und heute noch bin. Ich habe das damals wie heute öffentlich bekanntgegeben.Was den Stil betrifft, überlasse ich es Ihnen, bei sich zu prüfen, ob Sie nicht gelegentlich abweichende Meinungen von der Regierung, in der Sie als Mitglied sind, geäußert haben. Ich bin bereit, Ihnen die Beweise zu liefern. Ich habe Ihnen daraus keinen Vorwurf gemacht. Ich halte das für die Pflicht und das Recht eines Kabinettsmitglieds, gelegentlich zu sagen, daß es in einer bestimmten, ihn zutiefst bewegenden Frage anderer Meinung ist. Ich würde nicht glauben, daß wir uns dabei gegenseitig sagen sollen, daß das merkwürdig sei. Daß ich so gedacht habe, darüber liegen schriftliche Beweise vor bei dem früheren und dem heutigen Bundeskanzler.Nun ein Zweites! Daß wir in der EWG-Agrarpolitik eine andere Konzeption haben als die CDU/ CSU, ist Ihnen bekannt. Das weiß der Herr Bundeskanzler seit der Zeit, bevor er Bundeskanzler wurde. Es ist uns mitgeteilt worden, daß es zu spät sei.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2283
Dr. Starke
Unterdessen ist eine Kommission, von der ich gerade gehört habe, daß ihr Ergebnis vorliegt, eingesetzt worden, um diese Frage zu prüfen. Sie bezieht sich nämlich auf das, was wir vor nunmehr drei Jahren bereits vertreten haben, und wir bedauern nur, daß sie so spät geprüft worden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt. 3 b, Drucksache V/686. Es besteht ein interfraktionelles Einverständnis darüber, daß der Antrag auf Drucksache V/686 an den Auswärtigen Ausschuß als federführenden Ausschuß, an den Wirtschaftsausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung überwiesen werden soll. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? Keine Gegenstimme. Wer enthält sich? — Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf zur Abstimmung über der, Punkt 3 c, Drucksache V/687. Hier geht die interfraktionelle Vereinbarung dahin: Überweisung an den Haushaltsausschuß. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen.
Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen! Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf, und zwar zunächst Punkt 4 a:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Schmidt und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
— Drucksache V/114 —
Es ist vereinbart, daß der Antrag heute begründet wird, daß aber keine Debatte stattfindet.
Ich lasse mich von den Herren Geschäftsführern belehren. Sie haben sich offenbar inzwischen eine andere Meinung gebildet. Ich wäre dankbar, wenn der Sitzungsvorstand rechtzeitig von den Veränderungen unterrichtet würde.
Ich rufe also nunmehr zur Begründung des Punktes 4 a auf, Drucksache V/114. Daran wird sich dann die Debatte anschließen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ich habe die Ehre, Ihnen den Antrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend Änderung des § 78 Satz 2 der Geschäftsordnung und des § 96 der Geschäftsordnung zu begründen.Meine Damen und Herren, der Antrag trägt das Datum des 10. Dezember 1965. Es hat also etwas länger als ein halbes Jahr gedauert, bis er hier auf die Tagesordnung kam, um Gelegenheit zu geben, über eine der wichtigsten Fragen der Organisation dieses Hauses zu sprechen. In der letzten Sitzung vor der Osterpause war zwischen den Fraktionen vereinbart worden, daß den verschiedenen Anträgen zur Änderung der Geschäftsordnung in der nächsten Sitzung nach der Osterpause Vorrang gegeben werden solle. Es war intern vereinbart, Vorrang solle in diesem Falle bedeuten, daß nach der Vorlage über den Redneraustausch diese Sache zu einer Stunde auf die Tagesordnung komme, in der man noch mit der Aufmerksamkeit des Hauses rechnen könne.Ich bedaure zutiefst, meine Damen und Herren, daß einer so wichtigen Frage wie unserer Selbstdarstellung in diesem Parlament, wie der Frage nach der Begründung einer seriösen und soliden Haushalterschaft in diesem Hause so wenig Bedeutung beigemessen wird, wie das insbesondere in der gegenwärtigen Besetzung des Hauses zum Ausdruck kommt.
Meine Damen und Herren, wir verdienen die härteste Kritik der öffentlichen Meinung, wenn wir mit unserer eigenen Darstellung in diesem Hause so umgehen, wie das hier geschieht.Dieser Antrag, den ich hier zu begründen habe, ist die Frucht bitterer Erfahrungen in diesem Hause durch Jahre hindurch, und zwar durch Jahre hindurch mit der Struktur insbeondere des Abs. 3 des § 96 der Geschäftsordnung. Dieser Abs. 3 des § 96 der Geschäftsordnung wurde im Jahre 1953 in diesem Hause geändert, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hatte, daß die vorangegangene Fassung dieses Abs. 3 rechtsungültig sei. Da war nämlich vom Initianten eines Antrags in diesem Hause gefordert, daß mit der Initiative zugleich eine Deckungsvorlage verbunden sei. Das hat das Bundesverfassungsgericht ich glaube, damals mit Recht — als grundgesetzwidrig bezeichnet.Aber die dann hier in diesem Hause geschaffene Fassung ist eine höchst unvollkommene gewesen. Ich habe mir von Kennern des Verfahrens im Haushaltsausschuß sagen lassen, daß diese Bestimmung in ihrem Kern nur ein einziges Mal wirklich angewandt worden sei, und zwar deshalb, weil der Abs. 3, so wie er hier stehe, überhaupt nicht praktikabel sei.Wie wenig praktikabel er gewesen ist und wie fragwürdig insbesondere die Möglichkeiten waren, dem Haushaltsausschuß das notwendige Gewicht zu geben, haushälterische Überlegungen zum Zuge zu bringen, meine Damen und Herren, dafür ist der beste Beweis das, was wir in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres bis zum Ende der Legislaturperiode hier erlebt haben mit den bitteren Folgen, die uns dann das Haushaltssicherungsgesetz aufgenötigt hat, um einiges von dem wieder in Ordnung zu bringen, was in der ersten Hälfte des Jahres hier nicht so gelaufen ist, daß man von einer Haus-
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Dr. Schmidt
halterschaft in einem ernst zu nehmenden Sinne reden könnte.Meine Damen und Herren, der § 96 in der Fassung, wie ich ihn im Namen der CDU/CSU vorlege, will im Grunde folgendes. Er will, daß die Überlegungen über die finanziellen Auswirkungen parallel zu allen fachlichen Überlegungen und Wünschen einhergehen. Deshalb ist zunächst einmal daran gedacht, in den § 78 Satz 2, der von der ersten Lesung handelt, noch einige Worte einzufügen. Bisher heißt es bei der ersten Lesung:Es werden nur die Grundsätze der Vorlagen besprochen.Nun soll dieser Satz dahin ergänzt werden:Es werden nur die Grundsätze der Vorlagenund die finanziellen Auswirkungen besprochen.Es soll also schon in der ersten Lesung Pflichtaufgabe dieses Hauses sein, die finanziellen Auswirkungen von Gesetzesvorlagen und Anträgen zu besprechen.In § 96 Abs. 1 wird der Begriff der „Finanzvorlagen" erweitert. Bisher waren Finanzvorlagen alle Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates sowie Gesetzentwürfe und selbständige Anträge von Abgeordneten, die dazu bestimmt oder in erheblichem Umfange geeignet sind, auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken. Nach unserem Antrag sollen auch die Entschließungsanträge und Anträge zu Großen Anfragen einbezogen werden, weil erfahrungsgemäß in solchen Anträgen versteckt immer auch Anforderungen an den künftigen Haushalt stehen. Wir haben bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1966, wenn ich mich recht erinnere, 22 Entschließungsanträge gehabt. Wenn man sie sorgfältig durchsieht, stellt man fest, daß darin alle möglichen Versuche enthalten sind, schon die Haushaltspolitik der nächsten Jahre in einem bestimmten Sinne der Ausgabenpolitik zu beeinflussen. Deshalb gehören auch sie meines Erachtens unter den Begriff „Finanzvorlagen", und sie sollten ebenso ernst genommen werden wie andere Finanzvorlagen, damit wir nicht leichtfertig Wege bahnen oder vorbereiten, die dann zu Dispositionen im nächsten oder übernächsten Haushaltsplan zwingen.Das gleiche gilt für abschließende Anträge zu Großen Anfragen. Auch da ist die Versuchung groß, versteckt finanzielle Anforderungen ins Spiel zu bringen.Es wird dann ein neuer Abs. 2 eingefügt, der fordert, daß, wer eine Finanzvorlage einbringt, im Zusammenhang damit schriftlich auch seine Vorstellungen über die finanziellen Auswirkungen auf den laufenden Haushalt und auf künftige Haushalte darlegt. Das ist auf Kritik in der Öffentlichkeit gestoßen. Auch die Presse hat sich gerade damit befaßt und gemeint, dazu sei der Initiant gar nicht in der Lage. Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es gehört schlechthin zu verständiger und verantwortlicher Haushalterschaft, daß derjenige, der es unternimmt, einen Turm zu bauen, auch die Kosten bedenkt, die mit dem Turmbau verbunden sind. Das mag sehr subjektiv sein. Aber wie dem auch immer sei, ob das, was er an Vorstellungen entwickelt, objektiv richtig, ob es der Sache nach zutreffend ist oder ob es im Subjektiven hängenbleibt, das alles kann für die Entscheidung über die Finanzvorlage von großer Bedeutung sein. Wenn er sich Mühe gibt, ist es ihm durchaus möglich, etwa die Hilfe der Ministerien in Anspruch zu nehmen und zu erforschen, welche Vorstellungen in den zuständigen Referaten der Ministerien bestehen. Die kann er sich zu eigen machen, die kann er vortragen, er kann Abweichungen davon produzieren. Jedenfalls soll er genötigt sein, sich überhaupt einmal Vorstellungen über finanzielle Auswirkungen zu machen, so wie wir uns bereits in der ersten Lesung nicht nur über Grundsätze unterhalten sollen, sondern uns auch über die finanziellen Auswirkungen Rechenschaft geben sollen. Ist der Betreffende dazu nicht in der Lage oder fühlt er sich außerstande, fehlt in seiner Initiative eine Darlegung über die Vorstellungen, die er sich hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen gemacht hat, dann läßt — nach dem Entwurf — der Präsident bei Anträgen, die einen Gesetzentwurf enthalten, durch den Haushaltsausschuß die finanziellen Auswirkungen feststellen, damit der Bundestag jedenfalls mit einem Material in die erste Beratung geht, das es sowohl dem Fachausschuß als auch dem Haushaltsausschuß ermöglicht, in paralleler Verhandlung und in ständigem Kontakt miteinander sich Vorstellungen über die möglichen finanziellen Auswirkungen zu verschaffen.Das ist dann in Abs. 4 näher geregelt. Der neue Abs. 3 entspricht im wesentlichen dem bisherigen Abs. 2; deshalb gehe ich hier nicht näher auf ihn ein. Der frühere Abs. 3 wird jetzt durch einen Abs. 4 ersetzt, in dem nun die Frage geregelt wird, was geschieht, wenn die finanziellen Auswirkungen einer Finanzinitiative nicht schon im Haushaltsplan berücksichtigt sind. Denn nur dieser Fall interessiert. Soweit es eingeplant ist, braucht der Haushaltsausschuß nicht tätig zu werden, dann kann der Fachausschuß in dem Rahmen, in dem der Haushaltsplan es vorsieht, seine Beschlüsse fassen. Sind aber die finanziellen Auswirkungen einer Finanzvorlage nicht im Haushaltsplan berücksichtigt, dann stellt der federführende Fachausschuß vor Beginn der Einzelberatung fest, „ob der Haushaltsausschuß die Vorlage mit der Haushaltswirtschaft des Bundes, der von ihm abhängigen Unternehmungen und Einrichtungen und der unmittelbar betroffenen Länder und Gemeinden für vereinbar hält".Was ist hier geändert? Erstens ist von Anfang an eine parallele Behandlung zwischen Haushaltsausschuß und Fachausschuß festgelegt: der Haushaltsausschuß über die finanziellen Auswirkungen, der Fachausschuß über die fachlichen Ziele des Antrages. Es ist jetzt aber nicht mehr so, wie es der bisherige § 96 Abs. 3 vorsah, daß sich der Haushaltsausschuß nur darüber zu äußern hatte, ob es im gegenwärtig laufenden Haushaltsplan untergebracht werden konnte. Diesem Erfordernis konnte man sofort dadurch aus dem Wege gehen, daß man den Antrag einfach erst vom kommenden Haushaltsjahr an wirksam werden ließ; damit war die angeblich so schwere Hürde des § 96 Abs. 3 bereits genommen. Denn der § 96 Abs. 3 verlangte eben die Vereinbar-
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Dr. Schmidt
keit mit dem Haushaltsplan - das konnte nur der gegenwärtig laufende Haushaltsplan sein — und mit der Haushaltslage, und da wurde in einer Interpretation des Präsidiums angenommen, daß sich auch das nur auf das gegenwärtig laufende Haushaltsjahr beziehen könne. Das wird nun wesentlich erweitert, indem gesagt ist, die Vorlage muß mit der Haushaltswirtschaft des Bundes in einem weiteren Sinne, damit also auch mit der ja in Zukunft zu praktizierenden mittelfristigen Planung vereinbar sein, sie muß weiter auch mit der Haushaltswirtschaft der vom Bunde abhängigen Unternehmungen und Einrichtungen vereinbar sein — denken Sie an die Bundesbahn und die Bundespost, Institutionen des Bundes, die ihre selbständige Haushaltsgestaltung haben , und sie muß schließlich mit der Haushaltswirtschaft der unmittelbar betroffenen Länder und Gemeinden vereinbar sein. Denken Sie etwa daran, daß wir auf der Bundesebene das Recht haben, über die Gestaltung des Grundsteuergesetzes oder des Gewerbesteuergesetzes zu befinden, und wir es in dieser Beziehung relativ leicht haben, während tatsächlich die Einnahmeseiten der Länderhaushalte und der Gemeindehaushalte erheblich berührt werden.Daran schließt nun ein bestimmtes Verfahren an, das wiederum parallel läuft. Es vermeidet, daß der Haushaltsausschuß zu einem Superausschuß wird; aber es sorgt dafür, daß der Haushaltsausschuß die Vorlage parallel begleitet, daß er also nicht in einem gewissen Sinne politisch präjudiziert werden kann, so daß er am Ende des Verfahrens praktisch mit seinen Einwendungen nicht mehr zum Zuge kommt. Es muß parallel versucht werden, die Vereinbarkeit der Vorstellungen des Haushaltsausschusses über die finanziellen Auswirkungen mit den fachlichen Überlegungen zu sichern. Für den Fall, daß diese beiden Ausschüsse sich nicht verständigen können, also ein offener Dissens vorhanden ist, soll die Möglichkeit bestehen, daß jeder der beiden Ausschüsse beschließen kann, die Beratung für höchstens drei Wochen auszusetzen, um der Bundesregierung Gelegenheit zu geben, ihre Auffassung durch einen Kabinettsbeschluß zum Ausdruck zu bringen. Sie sehen, wie hier der Versuch gemacht wird, die nahezu unmögliche und nahezu unzumutbare Entscheidung der Bundesregierung nach Art. 113 des Grundgesetzes so in die Geschäftsordnung des Bundestages hineinzubringen -die Bundesregierung kann selbstverständlich nicht durch die Geschäftsordnung des Bundestages verpflichtet werden —, daß die Bundesregierung in einem relativ frühen Verfahren die Chance bekommt, den beiden beratenden Ausschüssen, nun nicht durch den jeweils fachlich interessierten Minister, sondern als Kabinett, eine echte politische und finanzpolitische Entscheidung zugehen zu lassen. Das scheint mir wesentlich zu sein.Ich will jetzt nicht in die ganze Problematik des Art. 113 einsteigen. Ich persönlich bin der Auffassung, daß es sehr schwer sein wird, in diesem Hause eine Verständigung darüber herbeizuführen, wie der Art. 113 des Grundgesetzes verbessert und reformiert werden könnte. Hier ist aber für die Bundesregierung eine Chance, in einem relativ frühen Zeitpunkt einzugreifen und sich auch an einer Vermittlung zwischen den parallel laufenden Vorstellungen des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses zu beteiligen. Kommt dann trotz der Aufforderung an die Bundesregierung keine Einigung zustande, so soll in der zweiten Lesung mit einer allgemeinen Aussprache über die gegensätzlichen Standpunkte im Haushaltsausschuß und im Fachausschuß begonnen werden, und wenn dann keine Verständigung herbeigeführt werden kann, ist die Möglichkeit ,gegeben, mit gegenseitigem Vortrag sowohl des Haushaltsausschusses als auch des Fachausschusses am Ende zu einer namentlichen Abstimmung über die beiden Standpunkte zu gelangen. Es wird also nicht etwa dem Haushaltsausschuß ein Übergewicht gegeben, sondern es wird nur dafür gesorgt, daß gegenüber jeder möglichen fachlichen oder politischen Präjudizierung der Haushaltsausschuß im Gleichgewicht der Entscheidungen mit dem Fachausschuß bleibt.Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit möchte ich auf weitere Ausführungen verzichten. Ich wäre Ihnen für die Überweisung des Antrags an den Geschäftsordnungsausschuß dankbar.
Dem Sitzungsvorstand ist die Anregung zugegangen, die Punkte 4 b und 4 c gleichzeitig aufzurufen, weil alle drei Tagesordnungspunkte in einem inneren Zusammenhang stehen. Ich möchte der Anregung folgen. Die Debatte könnte dann über alle drei Punkte gemeinsam geführt werden. — Ich rufe also auf:
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dichgans, Ruf, Dr. Pohle und Genossen betr. Änderung des § 85 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
Drucksache V/69 —
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dichgans, Dr. Conring, Ruf, Dr. Pohle und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichshaushaltsordnung
— Drucksache V/68 —
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dichgans.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich bin es gewöhnt, hier nur zu später Nachtstunde zu Wort zu kommen, zu einer Zeit, da ,das Haus
mit den allerbesten Gründen keine Neigung mehr hat, mich anzuhören.
Wenn ich mich hier im Saale umsehe, habe ich das Gefühl, als ob bei einigen die Anwesenheit ein Akt des Mitleids und der persönlichen Freudlichkeit mir gegenüber wäre.
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2286 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
DichgansLassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen: Verlassen Sie unbesorgt den Saal. Ich möchte diese Bitte ausdrücklich auch auf Herrn Minister Dahlgrün ausdehnen. Es ist einfach nicht zumutbar, daß Sie jetzt zu dieser Zeit noch hier sein sollen. Ich habe den Eindruck, daß es sachlich meinem Anliegen eher nützt, wenn Sie alle weggehen, weil dadurch doch die Dringlichkeit der Reform sehr deutlich unterstrichen würde
Außerdem habe ich immer schon den geheimen Wunsch gehabt, hier vor völlig leerem Hause zu sprechen.
— Es ist völlig ernst gemeint, Herr Kollege Dr. Schäfer.Doch nun zur Sache.Der Antrag, den ich hier zu begründen habe, steht nicht im Gegensatz zu dem Antrag Dr. Schmidt, sondern ist eine Ergänzung. Die Antragsteller fürchten nämlich, daß die Verstärkung der Stellung des Haushaltsausschusses, die wir durchaus begrüßen, nicht ausreicht, um das zu verhindern, was Herr Dr. Schmidt in seinen einleitenden Ausführungen, denen ich voll zustimme, mit Recht kritisiert hat.Legen wir uns einmal die Frage vor: wie haben sich die Dinge, die uns hinterher Kopfschmerzen gemacht haben, eigentlich abgespielt? Waren es homerische Schlachten zwischen einer sparsamen Bundesregierung und einem ausgabewütigen Bundestag, bei denen die Bundesregierung tapfer, aber erfolglos gegen Ausgaben gefochten hat? Ich habe in den fünf Jahren, die ich diesem Hause anzugehören die Ehre habe, solche Schlachten nicht erlebt.
Das gleiche gilt auch für den Haushaltsausschuß. Wir sind dem Haushaltsausschuß für seine Tätigkeit, die sehr nützlich ist, sehr dankbar. Aber ich habe Fälle in Erinnerung, in denen Mitglieder des Haushaltsausschusses im Anfang erklärt hatten, sie würden unter keinen Umständen dieser oder jener Vorlage zustimmen, aber nach einigen Tagen, wenn auch knurrend, mit einem sibyllinischen Beschluß zurückkamen, etwa mit dem Wortlaut: „eine Dekkung wird sich finden lassen". Herr Troßmann hat eine bemerkenswerte Sammlung von Beschlüssen dieser Art. Auch der Haushaltsausschuß unterliegt also offensichtlich politischen Emotionen. Wenn wir die Dinge bei Licht besehen, so waren die kritischen Fälle, diejenigen mit den neunstelligen Bewilligungen — es stellt sich immer wieder heraus, daß die großen Bewilligungen sehr viel einfacher durchzuziehen sind als die kleinen —,
nicht selten einstimmig, vielleicht gelegentlich gegen die Stimme eines einzelnen Abgeordneten, mit Zustimmung von Bundesregierung, Haushaltsausschuß und Plenum verabschiedet worden.Daraus ziehen die Unterzeichner dieses Antrages den Schluß, daß es nicht ausreicht, die Stellung des Haushaltsausschusses zu verstärken, sondern daß wir mehr tun müssen. Unsere Vorstellung ist: wir sollten uns als Plenum selbst mehr um diese Dinge kümmern. Wir können keine Hilfe von außen erwarten. Der Kollege Blank hat einmal, als von solchen Vorschlägen die Rede war, gesagt, der Versuch, hier äußere Mittel einzusetzen, um auf diese Weise das Plenum an der Bewilligung allzu großer Ausgaben zu hindern, komme ihm vor wie das Gebet des kleinen Jungen: „Lieber Gott, binde mir doch das Händchen fest, damit ich nicht immer an die Zuckerdose gehe."
— Das freut mich, ich bin Ihnen für Ihre Zustimmung sehr dankbar. — Wir Väter und Großväter wissen, daß das Problem des An-die-ZuckerdoseGehens nicht mit dem Festbinden von Händen gelöst werden kann, sondern jedermann muß lernen, nicht an die Zuckerdose zu gehen.
— Ich halte nicht einmal das für notwendig, Herr Schoettle. Zuweilen hat man den Eindruck, man hält uns für eine Bande von verantwortungslosen Verschwendern, die nichts im Sinne haben als Geld zum Fenster hinauszuwerfen.
Aber davon ist doch keine Rede. Wenn wir wirklich ernsthaft angesprochen werden, sind wir doch bereit, die Konsequenzen zu ziehen, und zwar auch sehr unangenehme Konsequenzen. Wir haben das beim Haushaltssicherungsgesetz bewiesen. In dem Augenblick, in dem uns die Fakten klar präsentiert werden, sind wir durchaus bereit, uns finanziell vernünftig zu verhalten.Die Schwierigkeit liegt nicht darin, daß das Plenum nicht hören will, sondern die Schwierigkeit liegt in der Atomisierung der Behandlung unserer Anliegen, in dem sonderbaren Schichtbetrieb, mit dem wir hier die Gesetzgebungsarbeit erledigen. Wir haben das in den Juni-Wochen vorigen Jahres erlebt, und wir erleben es ja auch heute abend wieder. Die Besetzung wechselt von Tagesordnungspunkt zu Tagungsordnungspunkt völlig. Die Landwirte führen fünf Stunden lang eine faszinierende Debatte und verlassen dann vollzählig den Saal mit Ausnahme der Herren, die hier noch. ihre Reden zu korrigieren haben.
Es sind also plötzlich ganz andere Abgeordnete da.Meine Damen und Herren, der Vorschlag, den ich Ihnen hier zu begründen habe, geht nun dahin, das Parlament zu zwingen, alle Anliegen als Einheit nebeneinander zu sehen. Das ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Wir sind aufgerufen, nebeneinander über Mutterschutz und über Starfighter zu reden, Dinge, die miteinander nicht vergleichbar sind, die wir aber beide unter dem gemeinsamen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2287
DichgansGesichtspunkt des Geldes sehen müssen. Unsere Vorstellung geht nun dahin, daß wir grundsätzlich über Finanzvorlagen — von Bagatellfällen abgesehen; ich will jetzt bei der vorgerückten Stunde die Einzelheiten nicht mehr vortragen — immer nur im Rahmen eines Haushalts debattieren sollten, d. h. im Rahmen einer Vorlage, die alle Anliegen nebeneinander darstellt. Der Vorschlag sieht daher folgendes vor. Wenn die Vorlage eines Gesetzes in der zweiten Lesung eine bestimmte Belastung — eine Belastung von 10 Millionen DM — überschreitet, dann tritt zunächst eine Abkühlungsperiode ein, eine Abkühlungsperiode für das Plenum, eine Abkühlungsperiode auch für die Bundesregierung. Die Bundesregierung soll dann einen Nachtragshaushalt vorlegen. Wir können sie nicht zwingen, das zu tun; wenn sie es binnen eines Monats nicht tut, gehen die Verhandlungen hier weiter. Die Bundesregierung soll aber die Gelegenheit haben, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Sie kann natürlich nicht gezwungen werden, in diesen Nachtragshaushalt die Beträge aufzunehmen, die das betreffende Gesetz vorsieht. Der Nachtragshaushalt gibt aber dem Plenum die Gelegenheit, das Finanzproblem als Ganzes zu behandeln und notfalls Umschichtungen vorzunehmen, um die notwendigen Geldmittel für das spezielle Anliegen zur Verfügung zu stellen.Die Frage der Verfassungsmäßigkeit hat Herr Dr. Schmidt eben schon angeschnitten. Ich glaube, daß unser Antrag verfassungsmäßig ist, weil er das Initiativrecht nicht einschränkt.Die Einzelheiten will ich hier nicht vortragen. Über die Barriere gegen die Möglichkeit, sich den Folgen zu entziehen, indem man einfach die Ausgaben in das nächste Jahr verlagert, wird Herr Kollege Ruf etwas sagen.Ich könnte mir denken — und damit lassen Sie mich schließen —, daß die vorgeschlagene Regelung auch erwünschte Nebenfolgen hat. Wenn wir nämlich über Geld nur in dem Augenblick beschließen, in dem wir einen Haushalt vor uns liegen haben, dann wird uns noch deutlicher als bisher, daß die Manövriermasse, über die wir echt verfügen, immer kleiner wird. Ich könnte mir denken, daß wir, um uns selbst etwas mehr Freiheit zu schaffen, vorsichtiger mit der Gesetzgebung werden, also Ausgaben nicht immer gleich dauerwirksam für viele Jahre zu beschließen, sondern von Jahr zu Jahr, wie das z. B. die Engländer tun. Auf diese Weise schaffen wir hier im Plenum die Möglichkeit, alljährlich echte politische Entscheidungen zu treffen.Um das vorzubereiten, möchte ich noch einmal auf meinen Vorschlag zurückkommen, eine Tafel aufzuhängen, die die finanzwirksamen Vorlagen darstellt. Ich möchte den Vorstand dieses Hohen Hauses bitten, sich mit diesem Antrag zu befassen, der schon seit langem vorliegt.Die Anträge, die jetzt hier zur Debatte stehen, sind zu einem Tagesordnungspunkt vereinigt. Sie sind also als Teilstücke einer großen Reform angesehen worden.Ihr Ausschuß, Herr Kollege Dr. Schäfer, ist aufgerufen, und ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie sich der Gesamtheit der Probleme der Geschäftsordnung annehmen würden. Ich bin überzeugt, daß die Mischung von Nüchternheit und Aktivität, die den schwäbischen Volksstamm auszeichnet, zu guten Erfolgen führen wird.
Ich nehme an, Herr Abgeordneter Dichgans, daß Sie damit auch 4 c begründet haben. ist das richtig? - - Damit ist die Begründung abgeschlossen.
— Herr Ruf wird 4 c noch einmal besonders begründen. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache V/68, den zu begründen ich die Ehre habe, ist etwa gleichzeitig mit den von den Herren Kollegen Dr. Schmidt und Dichgans begründeten Anträgen eingebracht worden. Er trägt das Datum des 1. Dezember 1965.Er ist, wie die beiden anderen Anträge auch, seinerzeit unter dem Eindruck der Ausgabenflut des Jahres 1965 entstanden. Er soll, wie die beiden anderen Anträge, der Selbstbeschränkung des Parlaments und einer sinnvollen Ordnung unserer Ausgabenpolitik dienen. Wir Antragsteller sind uns allerdings darüber im klaren, daß heute die Notwendigkeit einer mittelfristigen Finanzvorausschau nicht mehr umstritten ist und daß wir mit unserem Antrag Gott sei Dank heute nach diesen vielen Monaten weitgehend offene Türen einrennen. Deswegen kann ich mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken.
— Ein bißchen Geduld, Herr Winkelheide!
Der Antrag will die Bundesregierung verpflichten, zusammen mit jedem Haushaltsplan und jedem Nachtragshaushalt eine Vorschau für die folgenden drei Jahre vorzulegen. Daraus soll sich — nach dem Wortlaut des Antrags — vor allem ergeben, welche Belastungen in diesen Jahren aus den bisher beschlossenen Gesetzen zu erwarten sind. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, können sich vielleicht entsinnen, daß das Hohe Haus anläßlich der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1963 bereits eine Entschließung gefaßt hat, in der es hieß:Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag im Rahmen des Finanzberichts 1964 einen Überblick über die voraussichtliche Entwicklung des Bundeshaushalts, vor allem auch der Ausgabenverpflichtungen für den Dreijahreszeitraum 1964 bis 1966, vorzulegen.Im Finanzbericht 1964 waren die Seiten 107 bis 115 frei geblieben und hierfür reserviert. Aber im Finanzbericht 1965 hat die Bundesregierung dankenswerterweise erstmalig einen Überblick über die finanziellen Auswirkungen, über die finanziellen
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2288 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Ruf) Möglichkeiten und über die Ausgabeverpflichtungen des Bundes in den Jahren 1965 bis 1967 vorgelegt. Der Finanzbericht 1966, also der von diesem Jahre, enthält demgegenüber eine schon wesentlich verbesserte mittelfristige Finanzvorausschau, in der Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushalts in den Jahren 1966 bis 1970 enthalten sind, also für einen fünfjährigen Zeitraum. Mit der Wahl eines solchen Zeitraumes sind wir Antragsteller selbstverständlich einverstanden.Die Bundesregierung folgt mit diesen fünf Jahren offensichtlich den Vorstellungen, die im EWG-Ausschuß für mittelfristige Wirtschaftspolitik über den zeitlichen Rahmen mittelfristiger Vorausschauen entwickelt worden sind.Den Antragstellern kommt es nun in erster Linie darauf an, daß die Regierung durch Gesetz, nämlich durch die Änderung der Reichshaushaltsordnung, verpflichtet wird, dem Bundestag und damit auch der Öffentlichkeit eine Finanzvorausschau mit jedem Haushaltsplan vorzulegen. Es soll also nicht im Ermessen der Bundesregierung liegen, ob sie eine solche Vorausschau erarbeiten und veröffentlichen will oder nicht.Die Antragsteller legen vor allem Wert darauf, daß die finanziellen Auswirkungen der vom Bundestag beschlossenen Gesetze, aber auch der von der Bundesregierung auf Grund von Verträgen oder internationalen Bindungen eingegangenen Verpflichtungen sichtbar und überschaubar gemacht werden. An einem solchen Überblick geben wir das ruhig zu, meine Damen und Herren — hat es in der Vergangenheit dem Parlament gefehlt.In Zukunft soll nun jedermann klargemacht werden, daß es wenig nützt — Herr Kollege Dr. Schmidt hat schon darauf hingewiesen —, etwa den Termin des Inkrafttretens eines Ausgabenbeschlusses so zu manipulieren, daß die Ausgaben mit der Haushaltslage, nämlich der Haushaltslage des laufenden Haushaltsjahres, vereinbar sind. Künftig, meine Damen und Herren, soll deutlich gemacht werden, daß man nicht mehr nach dem Motto verfahren kann: Es wird schon gut gehen, eine Deckung wird sich schon finden lassen, oder — um es mit den Worten des zweiten Jahresgutachtens des Sachverständigenrats zu sagen — „daß inflationsbedingte Mehreinnahmen in der Zukunft die Finanzierungslücken des Bundeshaushalts schon schließen werden". So geht es in Zukunft nicht mehr.Die mittelfristige Finanzvorausschau soll das Parlament in die Lage versetzen, einen größeren Zeitraum zu überblicken und alle finanziellen Anforderungen an den Bundeshaushalt sowie die zur Verfügung stehenden Deckungsmittel in ihrem Zusammenhang zu sehen. Nur so wird es möglich sein, Schwerpunkte in der allgemeinen Haushalts- und Finanzpolitik zu setzen. Nur wer einen Überblick hat, kann entscheiden, wo bei weniger wichtigen Dingen Einsparungen gemacht werden sollen, um vordringliche und besonders wichtige Vorhaben zu finanzieren.Das Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, das Sie alle in den Händen haben, weist eindringlich darauf hin, daß eine rationelle Haushaltspolitik neben dem klassischen Haushaltsgrundsatz der jährlichen Veranschlagung von Einnahmen und Ausgaben eine längerfristige Betrachtung unbedingt erfordert, da Ausgabebeschlüsse des Parlaments in steigendem Maße weitreichende bindende Auswirkungen auf künftige Haushalte haben.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aus diesem Gutachten die Ziffer 479 zitieren — mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —; denn ich glaube, besser kann man die Notwendigkeit einer mittelfristigen Finanzvorausschau nicht begründen, als es an dieser Stelle des Finanzreformgutachtens geschehen ist. Dort heißt es wörtlich:Die Staatsfinanzwirtschaft muß sich ... durch eine Finanzplanung auf längere Sicht mit klaren Vorstellungen über die Rangordnung der großen öffentlichen Aufgaben anpassen. Sie allein kann den Erfordernissen der Zukunftsvorsorge gegenüber den Gegenwartswünschen in der Tagespolitik ausreichend Geltung verschaffen. Die heutige Haushaltspolitik leidet unter dem Mangel, daß die Würdigung der Vorhaben von finanzieller Bedeutung sich in der Regel beschränkt auf den jeweils zur Erörterung stehenden Einzelfall ... und dessen Auswirkung auf den laufenden, allenfalls noch den nächsten Haushalt . ... Das gilt selbst für Vorhaben, die auf der Grundlage eines von der Regierung vorgelegten Mehrjahresprogrammes beschlossen werden . Auch hier werden die haushaltsmäßigen Entscheidungen durchweg isoliert getroffen und die einzelnen Programme unabhängig voneinander verabschiedet. ... So werden vielfach von Fall zu Fall, oft beeinflußt durch Gruppeninteressen, Haushaltsentscheidungen getroffen, die keine Rücksicht auf den Zusammenhang aller haushaltswirtschaftlichen Vorgänge nehmen. Diese Bewilligungspraxis wird dadurch erleichtert, daß weder das Parlament noch die Regierung eine hinreichend klare Vorstellung darüber hat, ob und wie sich die aus den Beschlüssen folgenden Dauerverpflichtungen in die Haushaltswirtschaft künftiger Jahre einordnen.Auf die Fragen einer Finanzplanung, meine sehr verehrten Damen und Herren, die auf der Vorausschau aufzubauen wäre, brauche ich heute abend nicht mehr näher einzugehen. Lassen Sie mich lediglich darauf hinweisen, daß wir bereits bei einer ganzen Reihe von Ressorts mehrjährige Programme haben. Ich erinnere an den Straßenbau, an die Wasserbauvorhaben, die Förderung von Wissenschaft und Forschung, an größere Beschaffungsprogramme bei der Bundeswehr usw. Wir begrüßen diese Programme, bedauern aber, daß eine Zusammenfassung und eine Zusammenschau dieser Programme bisher nicht gegeben war. Wir hoffen, daß die Finanzvorausschau diesen Mangel beseitigt.Ich will mich kurz fassen und deswegen einiges von dem, was ich sagen wollte, lieber für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren. Wir werden ja
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Rufbei der zweiten und der dritten Beratung oder vielleicht bei der Beratung der angekündigten Novelle zur Reichshaushaltsordnung, Herr Bundesfinanzminister, einiges mehr zu sagen haben.Der Herr Bundesfinanzminister hat in diesen Tagen mit Recht gesagt, daß eine Finanzvorausschau kein Allheilmittel ist, daß sie allein noch nicht über die jetzige Finanzmisere hinweghilft. Die Vorausschau ist in der Tat lediglich ein Orientierungsmittel. Sie kann zum Denken in sachlichen und zeitlichen Zusammenhängen erziehen. Aber entscheidend wird es darauf ankommen, daß wir alle, die Bundesregierung und der Bundestag, endlich die nötigen Konsequenzen ziehen und daß wir alle miteinander den Mut haben, auch zu den notwendigen Entscheidungen zu stehen.Die Regierung ihrerseits wird vorsichtiger sein müssen, wenn sie in Zukunft Zusagen macht oder Gesetzentwürfe mit erheblichen Mehrausgaben ankündigt, wenn die Vorausschau ergibt — und das ist leider Gottes der Fall —, daß in den nächsten Jahren Deckungslücken in Milliardenbeträgen vorhanden sein werden. Aber auch das Parlament wird aus der Vorausschau ernste Folgerungen zu ziehen haben; denn eine Vorausschau erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn wir sorgfältig abwägen und das, was wir einmal als vordringlich erkannt haben, auch entsprechend behandeln. Wer entscheidet, was vordringlich ist, was Vorrang haben soll, muß auch den Mut haben zu sagen, was anschließend drankommt und was weniger wichtig ist. Die Zeit des Alles-auf-Einmal und des bloßen Fortwurstelns ist endgültig vorbei. Dies bedeutet aber, daß wir den Mut haben müssen, gegenüber gewissen Forderungen — selbst wenn sie noch so laut und von noch so starken Verbänden vorgebracht werden — nein zu sagen. Natürlich wird es dabei zu erheblichen Auseinandersetzungen unter uns kommen — in den eigenen Fraktionen, auch mit den Organisationen und Verbänden —; das ist ganz selbstverständlich. Darauf müssen wir uns gefaßt machen. Scheuen wir diese Auseinandersetzungen nicht! Orientieren wir uns an dem, was man das allgemeine Wohl nennt. Das allgemeine Wohl zu hüten ist unsere Aufgabe, und eine vorausschauende Haushaltspolitik kann uns dazu eine gewisse Hilfe bieten.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf zu den drei Anträgen, die eben begründet worden sind, einige kurze —schon in Anbetracht der Zeit — Ausführungen machen. Es ist verständlich, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie sich Ende letzten Jahres Gedanken gemacht haben. Sie sprachen das ja auch ganz offen aus, daß die Vorlage des Haushaltssicherungsgesetzes, die Verabschiedung einer ganzen Gruppe von Gesetzen jetzt vor einem Jahr für Sie Anlaß war, Überlegungen anzustellen, solches für die Zukunft zu verhüten. Die Frage ist, ob das,was Sie hier vorschlagen, ein geeignetes Mittel ist; denn man muß sich zunächst darüber klar sein, was denn eigentlich letztes Jahr geschehen war. Letztes Jahr waren Regierungsvorlagen eingebracht worden. Diese Regierungsvorlagen wurden in den Ausschüssen abgeändert — in den Ausschüssen, meine Damen und Herren, abgeändert —, gingen durch die Fraktionen und sind von diesem Hause verabschiedet worden.Nun muß ich einiges zum Art. 113 des Grundgesetzes sagen. Art. 113 sagt:Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.Über diesen Art. 113 ist in der Zwischenzeit einiges geschrieben worden. Ich darf Ihnenn sagen, wie ich diesen Art. 113 auffasse. Die Mehrheit dieses Hauses, die die Regierung trägt, ist die entscheidende Kraft, die Gesetze beschließt; ohne und gegen sie kann kein Gesetz beschlossen werden.
Diese Mehrheit des Bundestages ist politisch die gleiche Mehrheit, die in der Regierung zum Ausdruck kommt, die CDU/CSU und die FDP in der Regierungsrepräsentanz. Der Art. 113 sagt als einzige Verfassungsvorschrift, daß die Regierung so viel Führungspflicht hat — Führungspflicht! —, daß ihr die Verfassung sogar das Recht gibt, gegen die eigene sie tragende Mehrheit ein Gesetz zu verhindern, wenn es solche Auswirkungen hat. Das heißt, daß der zuständige Minister und spätestens der Bundeskanzler in die eigene Fraktion gehen muß, und wenn er sich dort nicht durchsetzen kann, sich hier zu Wort melden und in aller Öffentlichkeit sagen muß: Das sind die Auswirkungen, Hoher Bundestag, und ihr könnt es beschließen oder nicht, ich halte es für falsch. Beschließt ihr es, dann werde ich ihm nicht zustimmen.Die tragende Fraktion muß dann letztlich darüber entscheiden, ob sie sich dieser Führungsfunktion beugt oder ob sie dann so weit die Konsequenzen zieht, daß sie sagt: Dann suche ich mir einen anderen Bundeskarzler. Die letzte Entscheidung — meine Damen und Herren, daran kommen Sie nicht vorbei — liegt bei der Mehrheit dieses Hauses, die den Kanzler trägt.
Die Mehrheit dieses Hauses hat im Laufe des letzten Jahres diese Pflicht verletzt. Ich denke nur an den Wirtschaftstag der CDU, Ziffer 99 — Sie kennen das wahrscheinlich besser als ich —, wo deutlich gesagt war: Art. 113 muß angewandt werden, oder es gibt Steuererhöhungen. Meine Damen und Herren, Sie sind dann wahrscheinlich alle mit sehr schlechtem Gewissen in den 5. Deutschen Bundestag gegangen.
— Ja, Herr Kollege Wehner, mit schlechtem Gewissen, weil Sie nämlich wußten, jetzt müssen sie einenWechsel einlösen, den sie gegeben haben, oder man
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2290 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Dr. Schäfermuß öffentlich bekennen, daß man Wechselreiterei begehen will. Ich habe Verständnis — ich freue mich, daß man hier in dieser Offenheit darüber spre-chan kann —, daß man jetzt nach einer Regelung sucht, solches für die Zukunft zu verhindern.Meine Damen und Herren, politische Führungsaufgaben und politisches Versagen der Führung können Sie mit solchen Bestimmungen nicht ersetzen. Machen Sie sich da nur keine falschen Vorstellungen! Und wenn der Kanzler und wenn die Regierung im letzten Jahr nicht in der Lage waren, beim Erlaß von einigen Dutzend von Gesetzen diese Führungsaufgabe wahrzunehmen, dann ziehen Sie damit keine Korsettstangen ein. Das ist — wir haben es einmal im kleineren Kreise besprochen —, wie denn auch ein Abgeordneter der CDU sagen mußte, letztlich eine Personenfrage.Nun zu Ihren einzelnen Entwürfen. Ich darf beim letzten anfangen. Herr Kollege Ruf, Sie haben eine Begründung gegeben, ,die gar nicht konform ist mit dem Entwurf, den Sie vorgelegt halben.
— Das haben Sie nicht gemerkt? Dann darf ich es Ihnen erklären. Ihre Begründung ist ,die Begründung, die die SPD seit Jahren gibt.
— Augenblick! Seit Jahren verlangt die SPD eine mittelfristige Finanzvorschau. Eine Finanzvorschau ist nicht schon dadurch ,gegeben — lesen Sie, was Sie hier in § 3 a verlangen —, daß eine Aufstellung gemacht wird, wie sich bereits beschlossene Gesetze auswirken. Eine Finanzvorschau ist auch nicht das, was jetzt
-- Sie sagen „dankenswerterweise", ich sage „endlich" in Erkennung der Verpflichtung — im Finanzbericht steht. Das ist noch lange keine Finanzvorschau. Eine Finanzvorschau muß Bund, Länder, Gemeinden und die freie Wirtschaft in ihrem Kapitalbedarf, in ihrer Entwicklung mit einschließen und muß dann — wir sind gleich einig, Herr Ruf — den Mut .haben oder uns die Basis dafür geben
— Augenblick —, daß wir auch in der Lage sind, Rangordnungen zu entscheiden. Das ist ein erster, ganz kleiner Ansatz.
Ihre Begründung geht erfreulicherweise in die Richtung, wie wir glauben, daß man es machen muß. Ich sage „erfreulicherweise", und ich sehe daraus, daß wir wahrscheinlich hier, wenn das die Meinung der Mehrheit der Unterzeichner oder Ihrer ganzen Fraktion ist, vielleicht miteinander einen Schritt vorankommen.
— Eine Finanzvorschau?
— Sie haben immer von der Finanzvorschau gesprochen, Herr Ruf. Ich freue mich, daß wir einig sind. Stimmen Sie mir aber auch darin zu, daß in Ihrem Entwurf nur ein kleines Teilstück geregelt ist.
— Richtig. Nachdem wir es erkannt halben und nachdem nun erfreulicherweise der Herr Bundeskanzler von diesem Platz aus sagte, daß auch er diese Notwendigkeit erkannt hat, meine ich, wir sollten uns von vornherein vornehmen, Herr Ruf, bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs diese Frage gleich im ganzen anzugehen und hier eine vernünftige Regelung zu finden. Lassen Sie mich nur soviel zu diesem ersten Antrag sagen.Nun zu dem zweiten Antrag auf Drucksache 114, Herr Kollege Schmidt . Zunächst zu § 78— erste Beratung —. „Es werden nur die Grundsätze der Vorlagen", da wollen Sie eingefügt haben: „und die finanziellen Auswirkungen". Ich meine, das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
-- Für mich und für unsere Fraktion war es immer selbstverständlich. Wir haben oft genug in der ersten Lesung über finanzielle Auswirkungen gesprochen. Finanzielle Auswirkungen, Herr Kollege Schmidt , sind doch Grundsatzfragen und Grundlagen einer Gesetzesvorlage; über die muß man doch sprechen. Deshalb halte ich es beinahe für überflüssig, eine solche Erklärung dazu zu geben.Die Vorlage selbst ist nun von einigem Interesse. Sie wird Anlaß geben darüber sind wir uns wohl einig —, daß auf Grund der nicht befriedigenden Erfahrung — da bin ich mit Ihnen völlig einig, nachdem ich sechs Jahre lang intensiv im Haushaltsausschuß mitgearbeitet habe — andere Wege suchen muß. Aber ich habe den Eindruck: wenn Sie den Haushaltsausschuß nennen, überfordern Sie ihn und meinen im Endergebnis die Bundesregierung. Herr Kollege Schmidt , überschätzen Sie doch bitte nicht die Eigeninitiative und die Eigenentschlußfähigkeit eines Ausschusses, z. B. des Finanzausschusses, dem Sie vorsitzen! Ich weiß nicht, ob Ihr Ausschuß ohne Vorlagen ,der Regierung in der Lage ist, Auswirkungen von Steuervorlagen selber zu berechnen und darüber zu beschließen . Sie sind dazu nicht in der Lage. Genausowenig ist der Haushaltsausschuß in der Lage, das, was Sie ihm hier als Aufgabe zuweisen, selbst durchzuführen. Dazu ist er gar nicht da. Da muß der Haushaltsausschuß vielmehr eine Vorlage der Regierung verlangen. Damit machen Sie die Sache indirekt abhängig, indem man dann sagen wird: Der Haushaltsausschuß kann ja gar nicht, und zwar deshalb nicht, weil die Regierung nicht kann; und dann wollen wir es doch im Plenum behandeln. Das ist eine Augenauswischerei. Dann machen wir uns etwas vor. Wenn Sie nachher verlangen, daß der Ausschuß die Auswirkungen der Vorlage auf Bund, Länder und Gemeinden darstellen soll, Herr Kollege Schmidt (Wuppertal), muß ich erwidern: das
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2291
Dr. Schäferkann der Haushaltsausschuß nicht aus eigener Entscheidung. Wenn Sie sagen, er soll es feststellen, dann hätte er sich damit bei weitem übernommen. Hier geht es um eine ganz entscheidende Frage des Parlaments.Sehen Sie, wenn wir uns Aufgaben zumuten, die die Erarbeitung von Materialien, von ganzen, großen Denkschriften, Unterlagen usw. in sich schließen, dann nehmen wir Aufgaben auf uns, die gar nicht unsere Sache, sondern die der Exekutive sind, Aufgaben, bei denen die Exekutive willens und in der Lage ist, uns entscheidungsreif die Dinge zu präsentieren. Denn unsere Sache ist es, die Entscheidung zu treffen und die Ministerialbürokratie, die uns gern und sauber zuarbeitet, so mit Aufträgen zu versehen, daß sie diese Vorlagen alternativ entscheidungsreif machen kann. So machen Sie es in Ihrem Ausschuß, so machen wir es richtig in jedem Ausschuß. So nur kann auch ein Haushaltsausschuß arbeiten.Sie aber erwecken hier den Eindruck, als wenn der Haushaltsausschuß einen ganzen Apparat, ein ganzes Büro, ein ganzes statistisches und finanzwissenschaftliches Institut zu Hilfe hätte und von sich aus dem Haus sozusagen nun die Dinge entwickeln könnte. Das ist ein Irrtum, und das ist ein eventuell gefährlicher Irrtum.Ich darf es noch einmal sagen, dieses Haus hier hat politische Entscheidungen zu treffen und hat nicht Sachvorlagen zu erarbeiten. Dazu ist die Ministerialbürokratie da. Sache des Parlaments ist es, ihr die richtigen Aufträge zu geben und die Vorlagen dann richtig zu beurteilen. Wenn wir so einsteigen würden, wie Sie, Herr Kollege Schmidt , sagen, dann würden wir in diesen Bingen zu ertrinken anfangen und würden sehr schnell in eine Situation kommen, daß wir glauben, uns freizuschwimmen, eigene Verantwortung zu tragen, würden aber, wenn wir nämlich anfingen, selbst Bürokratie zu spielen, im Endergebnis in eine viel stärkere Abhängigkeit von der Bürokratie geraten, und zwar, weil der Apparat dafür nicht ausreicht.Nun schlagen Sie hier ein Verfahren vor, das, wenn man es theoretisch bedenkt, durchaus funktionieren könnte. Das funktioniert aber nicht. Denn der Haushaltsausschuß ist heute schon mit Normalvorlagen so belastet — lassen Sie mich das ehrlich sagen —, daß keines der Mitglieder in der Lage ist, alle Vorlagen zu studieren. Keines der Mitglieder ist in der Lage, alle Vorlagen — das sind manchmal an einem Tag 150, 200 oder 300 Seiten — zu studieren, manchmal nicht einmal zu lesen. Bei einer solchen Belastung eines Ausschusses, der bekanntlich auch die höchste Zahl von Sitzungen hat, können Sie nicht so weitgehende Doppelparallelschaltungen des Fachausschusses und des Haushaltsausschusses machen.Dabei kommt noch etwas anderes hinzu. § 96 sagt nicht, daß der Haushaltsausschuß mitberaten muß. Mitberatend ist mehr oder weniger. Es kann verschieden sein. Normalerweise ist der mitberatende Ausschuß vorher tätig, und dann gibt er dem federführenden Ausschuß sein Votum. Beim Haushaltsausschuß muß es aus der Sache heraus gerade umgekehrt sein. Der Fachausschuß muß zuerst sagen, was er will, wie die Regelung aussehen soll, und dann muß die Vorlage an den Haushaltsausschuß gehen. Dazwischen steht die Ministerialbürokratie, die dem Fachausschuß schon vorgerechnet hat und es jetzt noch einmal nachrechnet, wenn der Ausschuß das und das beschließt. Dann müssen wir bei der Vorlage an den mitberatenden oder nach § 96 beteiligten Haushaltsausschuß auf die und die Auswirkungen hinweisen. Der Haushaltsausschuß kann also erst hinterher dazu Stellung nehmen und diese Vorlage machen. Durch diese Doppelspurigkeit des Hin und Her ist er bei weitem überfordert. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses können nicht in allen Sätteln gerecht sein und dann noch praktisch ein Superausschuß werden, wobei immer ohnedies die Gefahr besteht, daß in etwa solches eintreten könnte.Ich darf zum dritten Antrag noch ein paar Bemerkungen machen. Es ist auch das verständlich, Herr Kollege Dichgans, daß man die dritte Beratung sozusagen nochmals stoppen will; aber lesen Sie mal Ihren Antrag selbst, dann werden Sie einige Ungereimtheiten finden; denn mit der Geschäftsordnung des Bundestages kann man nur Fragen des Bundestages regeln. Man kann mit der Geschäftsordnung des Bundestages keine Verpflichtungen eines anderen Verfassungsorgan schaffen. Man kann also keine Verpflichtung der Bundesregierung schaffen. Hier schaffen Sie eine Verpflichtung der Bundesregierung, oder, wenn Sie das nicht wollen, machen Sie die Weiterbehandlung hier im Hause davon abhängig, daß ein anderes Verfassungsorgan eine Tätigkeit ausübt. Das ist nicht richtig. Sie sagen dann, damit es nicht ganz inkonsequent ist: Damit soll aber nicht die endgültige Behandlung ganz in die Hand der Bundesregierung gegeben werden, und wenn die nichts tun, wollen wir trotzdem weitermachen. Ich verstehe Sie, Sie wollen Torschlußentscheidungen oder Sie wollen überstürzte Entscheidungen noch einmal anhalten; ein Weg, über den man sprechen kann.Sie sprachen von Nachtragshaushalten. In Ihrem Antrag steht von Nachtragshaushalten nichts. Das ist erst im anderen Gesetzentwurf.Ich meine, meine Damen und Herren, daß ich schon mit diesen wenigen Bemerkungen deutlich gemacht habe, daß wir uns im Geschäftsordnungsausschuß sehr intensiv mit dieser großen Problematik, die eigentlich hier nur angedeutet werden kann, von allen Seiten sehr ernsthaft zu beschäftigen haben; denn eine richtige, verantwortungsbewußte Finanzpolitik auf lange Sicht zu machen, ist zweifelslos der Kernpunkt der Politik. Aber ich darf es noch einmal an die Mehrheit hier im Hause sagen: mangelnden Führungswillen kann man damit nicht ersetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke von der FDP.
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2292 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu so später Stunde nicht auf Einzelheiten eingehen. Ich möchte nur sagen, daß durch diese Anträge eine Fülle von Fragen aufgeworfen worden sind.
Wir stimmen der Ausschußüberweisung zu. Wir haben die Frage bei uns in einem kleineren Gremium und auch schon in der Fraktion sehr sorgfältig behandelt; im Zusammenhang auch mit den Gedanken, die hier zu Art. 113 und seiner Ergänzung oder zu seinen Durchführungsverordnungen erwähnt worden sind.
Sie, Herr Kollege Schäfer, haben sehr kluge Worte gesagt. Ich weiß nicht, ob alles ganz auf die Bundesregierung und ihr Verhalten abgeschoben werden kann. Ich möchte dem natürlich auch eine Reihe von Vorgängen bei der Opposition im vergangenen Jahr gegenüberstellen. Aber ich möchte Ihnen eines gern zugeben: Natürlich muß die Regierung kämpfen. Darin stimmen wir überein.
Ich möchte noch ein anderes sagen, weil ich ja, wenn auch nur kurze, so doch eigene Erfahrungen habe. Ich bestreite, daß das Parlament so schlecht ist. Ich persönlich erinnere mich deutlich, daß ich meinen ersten Haushaltsplan in einer sehr schwierigen Lage dem Parlament vorgelegt habe mit den Einführungssätzen: Ich habe mich in der Regierung nicht ganz durchsetzen können; nun helfen Sie mir! Und das Parlament hat mir geholfen. Es hat damals mehr als eine Milliarde gestrichen.
Die Anträge, die hier gestellt worden sind, müssen wir in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig behandeln. Sie sind nämlich draußen zu einer ausufernden Propaganda gegen das Parlament verwendet worden. Nun haben die Antragsteller, die hier Begründungen gegeben haben, von sich selbst schon gesagt, das hätten sie selbst gar nicht gemeint. Das weiß ich alles. Aber draußen ist das in der Tat der Fall gewesen.
Nun ein Letztes im Zusammenhang mit meinen eigenen Beobachtungen. Die parlamentarischen Rechte müssen natürlich gewahrt bleiben. Sonst geben wir uns selbst auf. Meine sehr verehrten Kollegen in diesem Hause, dann würden wir uns selbst das Urteil sprechen.
Ich möchte nur noch eine ganz kleine Anmerkung machen — ich höre eben, daß der Finanzminister nach mir sprechen will —, ohne daß ich ihn dabei auffordere, dazu Stellung zu nehmen. Vielleicht sollte er das gar nicht; Finanzminister sollten über so etwas, wenn sie noch im Amt sind, nicht öffentlich sprechen. Ich habe das Gefühl, man könnte sehr wohl einmal prüfen, ob — ich meine jetzt nicht die ganze Zeit seit 1949, aber die letzten Jahre — der Druck aus dem Parlament auf den Finanzminister manchmal wirklich stärker war als aus verschiedenen Ressorts. Überlegen wir uns das auch einmal! Manchmal erscheint ja auch Ressortdruck über Abgeordnete. Auch das ist etwas, was wir bedenken sollten. Da gibt es also eine Fülle von ganz praktischen Erfahrungen, die bei uns vorliegen.
Noch etwas anderes möchte ich erwähnen. Im Herbst beraten wir große neue Gesetze. Sie werden
wahrscheinlich — ich hoffe das — im Juni vorgelegt
werden: Konjunkturrahmengesetz, Haushaltsrecht und dergleichen. Dort wird in der Tat unser Parlament als Ganzes und mit seinen einzelnen Abgeordneten Gelegenheit haben, zu beweisen, wie es über diese Dinge denkt. Wir werden sehr schwerwiegende Entschlüsse zu fassen haben. Wir müssen uns auch mit den Ländern zusammenraufen. Wir werden unseren Mann stehen müssen gegenüber dem Bundesrat. Es wird sich dabei auch um Verfassungsänderungen handeln. Das wird vielleicht sogar die Beratung dieser Anträge etwas überdecken und überschatten. Das ist vielleicht kein Schaden.
Zum Schluß möchte ich Ihnen das sagen, was ich immer gesagt habe: Auf den Willen dieses Parlaments im ganzen und auf den Willen des einzelnen Abgeordneten kommt es an, auf diesen Willen und auf den politischen Mut, den wir alle haben müssen, wenn wir einmal im Parlament nein sagen. Wenn wir uns so in die Beratung hineinbegeben, werden wir auch einen guten Fortgang haben. Wir werden sehen, was sich von diesen Anträgen wirklich in die Praxis so umsetzen läßt, daß es zweckentsprechend ist und einem guten Wollen dient.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fürchten Sie nicht, daß ich lange Ausführungen mache! Aber einige Behauptungen und Bemerkungen von Herrn Kollegen Dr. Schäfer kann ich unter gar keinen Umständen unwidersprochen im Raum stehen lassen.Vorweg ein Wort zu Herrn Kollegen Dr. Starke, der sehr richtig herausgestellt hat, daß es Ressortdruck und daß es Druck über die Fraktionen des Parlaments gibt. Das wäre noch nicht so schlimm. Der schlimmste Druck ist Parlaments- oder Fraktionsdruck mit Ressortdruck auf die gleiche Leitung geschaltet. Das ist dann allerdings eine sehr böse Sache.Herr Kollege Dr. Schäfer, Sie haben hier wieder einmal, wie schon des öfteren Sie selbst und Kollegen von Ihnen aus der Opposition, den Versuch unternommen, die Opposition als den Unschuldsengel und die Bundesregierung als die unfähige, willenlose Gruppe innerhalb der raubgierigen Regierungsfraktionen hinzustellen. Das gelingt Ihnen nicht, Herr Dr. Schäfer. Ich muß Ihnen noch einmal, wie schon, ich glaube, im vorigen Bundestag, von dieser Stelle sagen: Ich empfinde es irgendwie als unfair, wenn die Dinge in der Öffentlichkeit immer so dargestellt werden, daß sie allein für die Opposition günstig aussehen, und wenn Sie nicht erwähnen, daß die Bundesregierung — was ich hiernoch einmal betonen möchte — lange vor derWahl — dieses Wort haben Sie allerdings heute abend nicht benutzt —, Wochen, viele Wochen vor der Wahl im Bulletin auf meine Veranlassung zwei Erklärungen veröffentlicht hat, in denen zwar nicht
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2293
Bundesminister Dr. Dahlgründas Wort „Haushaltssicherungsgesetz" erwähnt worden ist — denn das gab es noch nicht —, in denen aber ganz klar und eindeutig gesagt worden ist: Wir können Art. 113 nicht anwenden, aber der nächste deutsche Bundestag wird auch bestehende Gesetze ändern müssen, wenn wir den Haushalt 1966 auf eine geordnete Basis stellen wollen. Das habe ich vor der Wahl in aller Öffentlichkeit erklärt. Ich muß hier — das dürfen Sie mir nichtübelnehmen — persönlich etwas beklagen: es hateigentlich niemand auch in der Öffentlichkeit, in der Presse so recht davon Kenntnis genommen, es ist im Wahlkampf untergegangen. Das böse Erwachen kam erst, als ich dann in Verfolg dieser vorherigen Erklärungen das Haushaltssicherungsgesetz vorlegte, das mir, Herr Kollege Schäfer, auch nicht geschmeckt hat, das aber notwendig war.Es ist nicht so, Herr Dr. Schäfer, daß eine schwache Bundesregierung den Art. 113 nicht angewendet hätte. Ich habe Ihnen schon bei anderen Gelegenheiten gesagt und sage es jetzt noch einmal: Wenn die Möglichkeit bestanden hätte, die Teile der Gesetze, die über die Regierungsvorlagen hinausgingen, durch Anwendung des Art. 113 zu vernichten, dann hätten wir das getan. Nach der Verfassungsrechtsauslegung blieb uns aber damals nichts übrig, als das ganze Gesetz zu vernichten; und das ging nicht. Das ging deshalb nicht, weil das Parlament alle diese Gesetze in den letzten Wochen seiner Tätigkeit beschlossen hatte und keine Möglichkeit bestand, nach Anwendung des Art. 113 und Vernichtung des ganzen Gesetzes am anderen Morgen die Regierungsvorlage neu im Bundesrat einzubringen. Das war nicht möglich, weil die Legislaturperiode zu Ende war.Ich darf Ihnen sagen — ich glaube, ich darf das tun —, daß ich am nächsten Mittwoch im Kabinett eine Änderung des Art. 113 vorschlagen werde, -die diesem Anliegen Rechnung trägt, d. h. die der Bundesregierung die Möglichkeit gibt, durch Anwendung des Art. 113 auch Teile eines Gesetzes zu vernichten.Meine Damen und Herren, darüber muß unter Verfassungsjuristen sehr ernsthaft gesprochen werden. Denn der Art. 113 ist eine eigentlich recht bedenkliche Eingriffsmöglichkeit der Exekutive in die Rechte der Legislative; und wenn ich das dann noch auf Teile bringe, so daß eine Bundesregierung gewissermaßen in der Lage ist, sich auszusuchen, was sie nicht will, dann hat das in verfassungsrechtlicher Hinsicht schon seine Nucken. Darüber muß also sehr ernsthaft und sehr nachdrücklich gesprochen werden.Ich wollte noch eines sagen. Es gab für uns am Ende der vorigen Legislaturperiode keine Möglichkeit, den in den Ausschüssen — Sie haben es selber gesagt, Herr Dr. Schäfer — herausgekommenen weitgehenden Verbesserungen einer Fülle von Gesetzen entgegenzutreten. Ich habe aber angekündigt, daß die Bundesregierung, also die nächste Bundesregierung wir in den Regierungsfraktionen waren überzeugt, daß sie das Mandat von der Bevölkerung im September 1965 erhalten würde —dann hart und scharf eingreifen würde. Sie hat es getan.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Dr. Dahlgrün, ich bin sehr dankbar dafür, daß Sie diese Ausführungen hier gemacht haben. Sie bestätigen damit einmal mehr, daß die Regierung die Verhandlungen in diesem Hause nicht verfolgt hat. Sie bestätigen einmal mehr zu Protokoll, daß Sie sich erst nach der Beschlußfassung in dritter Lesung hier im Hause überhaupt Gedanken gemacht haben, was Sie machen wollten. Und Sie stehen heute noch zu den beiden Erklärungen im Bulletin, in denen Sie gesagt haben, verfassungsrechtlich gibt es nur entweder — oder. Darin haben Sie recht, so ist es verfassungsrechtlich. Aber damit bestätigen Sie, daß alle Mitglieder des Bundeskabinetts jeweils in ihrem Ressort ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß wahrgenommen haben.
Jedes Mitglied der Bundesregierung hätte in die entsprechenden Ausschüsse gehen müssen, hätte in den Haushaltsausschuß gehen müssen, als dort der § 96 behandelt wurde, und es wäre Ihre Verpflichtung und nachher die Verpflichtung des Kanzlers gewesen, in zweiter Lesung vor dieses Haus zu treten und zu sagen: Wenn ihr die Regelung überhaupt wollt, dann macht sie vernünftig und stellt einen Änderungsantrag, oder ich muß von Art. 113 Gebrauch machen. Sie wußten doch — und Sie bestätigen soeben wieder, daß Sie es wußten —, daß Sie es tun müßten. Was ist denn das für eine Politik!
Ich bin wirklich erstaunt und erschüttert darüber, daß ein Finanzminister den Mut hat, vor dieses Haus hinzutreten und sich selber heute noch ein solches unverantwortliches Verhalten zu bescheinigen und es gutheißen zu wollen.
Das ist doch unverantwortlich, wenn man sich selber darauf berufen kannn: ich habe ja gesagt, es geht gar nicht. Dazu ist der Art 113 da. Art. 113 heißt nicht, wenn man einigermaßen politische Führungsverantwortung hat, abzuwarten, bis etwas beschlossen ist, und dann nein zu sagen, sondern Art. 113 heißt, daß man mit so starker Stützung durch die Verfassung hier im Parlament, hier in der eigenen Fraktion auftreten und bis zur letzten Kraftprobe durchsetzen kann, daß man eine solche Politik nicht machen kann.Es ist erfreulich, daß Mitglieder der CDU-Fraktion offensichtlich die gleiche Erkenntnis gewonnen haben. Das ist doch der Anlaß dafür, daß wir uns heute mit diesen Anträgen beschäftigen müssen. Aber wenn Sie das heute noch verteidigen oder sogar vor dieses Haus hintreten und sich darüber
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Dr. Schäferverwundern, daß man Ihnen da einiges sagt, — Herr Minister Dahlgrün, dann müßte man sich eigentlich noch gründlicher mit dem beschäftigen, was sich gerade vor einem Jahr da abgespielt hat. Auf jeden Fall hat z. B. in einer öffentlichen Sitzung des Wahlprüfungsausschusses — weil es eine öffentliche Sitzung war, kann ich es hier wiederholen — ein die Wahl Anfechtender gesagt: Wahlversprechungen nimmt man ja nicht so ernst, aber wenn sie in Form von Gesetzen erfolgen, dann wenigstens sollte man sie ernst nehmen dürfen; und hochangesehene Publizisten sprachen davon, wie staatsgefährdend und staatspolitisch unverantwortlich ein solches Verhalten ist. Und Sie rühmen sich jetzt noch, daß Sie gleichzeitig gesagt haben, man könne die Gesetze nicht aufrechterhalten, daß Sie sie also in dem Bewußtsein passieren ließen, daß man sie nachher wiederaufheben würde. Herr Finanzminister, das verdient Tadel.
Als nächste Wortmeldung habe ich jetzt die von Herrn Dr. Miessner. Dann folgt Herr Minister Dr. Dahlgrün, und dann käme noch einmal Herr Dr. Starke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Art. 113 ist vielleicht noch gar nicht richtig praktisch erprobt. Wir haben ihn nun schon seit über 16 Jahren, und es ist schon viel mit ihm gedroht worden; aber vielleicht erst seit einigen wenigen Jahren ist die Haushaltslage so, daß damit Ernst gemacht werden konnte und wohl auch mußte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Miessner, erinnern Sie sich nicht, daß bei der Verabschiedung einer Besoldungswelle, die einen höheren Prozentsatz vorsah als die Regierungsvorlage, am Schluß der Novelle — so wie bei Dutzenden anderen Gesetzen — der Passus aufgenommen wurde: Die Bundesregierung hat die nach Art. 113 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung erteilt. Lassen Sie sich einmal vorlegen, wie viele Dutzend Gesetze der letzten 16 Jahre diesen Vermerk tragen.
Ja, Herr Kollege, das ist mir in Erinnerung. Darauf wollte ich ja gerade hinweisen. Ich nehme an, daß Sie nicht ahnen, welche Gedankengänge ich hier noch vortragen wollte. Ich wollte gerade sagen: von den 17 Jahren, die jetzt hinter uns liegen, waren wahrscheinlich die ersten 14 Jahre haushaltsmäßig noch nicht so prekär, daß die Regierung von diesem für sie zweifellos sehr unpopulären Instrument Gebrauch machen wollte. Sie hat dann eben den leichteren Weg gewählt und die Zustimmung gegeben. Ich wollte damit sagen: aus der Tatsache, daß Artikel 113 des Grundgesetzes bisher noch nie angewandt worden ist, kann man
nicht unbedingt schon folgern, daß der Regierung mit dem Artikel 113 ein absolut stumpfes Schwert in die Hand gegeben worden ist.
— Das meine ich. Um es ganz klar zum Ausdruck zu bringen: ich persönlich bin gegen die drei hier eingebrachten Anträge, weil ich meine, man sollte erst einmal die Regierung in der Praxis der nächsten Jahre zwingen, sich etwas näher mit dem Artikel 113 zu befassen, bevor man etwas im Grundgesetz ändert.
Ich habe mich aber aus einem anderen Grunde zu Wort gemeldet. Ich bin meine Frage an den Bundesfinanzminister vorhin nicht mehr losgeworden. Herr Bundesfinanzminister, auch mich hat es allerdings sehr überrascht, um nicht zu sagen: befremdet, daß Sie hier mit einer solchen Prägnanz gesagt haben, Sie hätten im August vorigen Jahres genau gewußt, daß man eine Reihe von Gesetzen, die wir beschlossen hätten, nicht werde ausführen können. Sie sagten ferner, daß Sie im Bulletin darauf hingewiesen haben, und beklagten sich soeben, daß das nicht beachtet worden ist.
Ich möchte Sie fragen — da Sie jetzt nach mir sprechen werden, bitte ich Sie, das noch zu beantworten —: Haben Sie diese Erkenntnis, die Sie vorhin mit solcher Emphase vorgetragen haben, auch schon im Juni vorigen Jahres gehabt, als wir diese Gesetze hier verabschiedeten?
Zweitens: Wenn Sie diese Erkenntnis gehabt haben, warum haben Sie sie dann nicht hier im Juni 1965 vor dem Parlament ausgesprochen?
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Ich glaube, Herr Kollege Dr. Miessner, Herr Dr. Schäfer wird Ihnen für die Unterstützung sehr dankbar sein,
und an der Dokumentation, die ich herstelle, um das festzustellen, was sich im Mai, Juni und Juli 1965 hier
abgespielt hat, sollen Sie, Herr Kollege Miessner und Herr Dr. Schäfer, noch Ihre Freude haben.
Ich bewundere Ihre Stirn und Ihren Mut, Herr Dr. Schäfer, hier so zu reden, obwohl Ihre Fraktion immer zugestimmt hat.
Darüber hinaus, verehrter Herr Dr. Schäfer, wares Ihre Fraktion — auch das werde ich noch einmalfür die Öffentlichkeit zusammenstellen —, die recht
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966 2295
Bundesminister Dr. Dahlgrünfleißig mitgemischt hat, um die Ausgaben in die Höhe zu treiben. Mehr brauche ich wohl heute abend nicht zu sagen.
—Ach, Herr Wehner, ich möchte nur nachtragen, daß das letzte meine Bulletin-Erklärung vom 14. Juli 1965 war.
— Ich rate Ihnen nur eins, verehrter Herr Kollege Dr. Schäfer: betreiben Sie einmal ein bißchen Aktenstudium! Lesen Sie einmal das, was ich im Finanzausschuß, im Haushaltsausschuß
und hier ,gesagt habe. Wer hat denn, Herr Dr. Schäfer, von dieser Stelle aus immer wieder gesagt: Ich kann keine Mark ausgeben, die ich nicht vorher aus Ihrer Tasche genommen habe? Das war kein Oppositionsredner. Ich habe das so oft getan, daß ich mich schließlich selber nicht mehr hören konnte. Ich habe gesagt: jede Mark, die über das hinaus ausgegeben wird, was wir haben, ist unverantwortlich. Ich werde Ihnen das zusammenstellen, damit Sie nicht so lange zu suchen brauchen; Sie haben sehr viel anderes zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es sehr kurz machen.
— Gut, zwei oder drei Sätze; ich habe es nicht aufgeschrieben, ich weiß nicht, wie es mir gelingt.
Sie haben sich sehr in Hitze geredet, haben auch manches übersteigert. Insbesondere sagten Sie: „Wahlversprechen in Gesetzesform". Gewiß, ich habe sehr darunter gelitten. Aber sehen Sie einmal, meine sehr verehrten Kollegen in diesem Hause, in einer so späten Stunde, wo wir in einem so kleinen Kreis sind: hat die SPD sich denn nun wirklich gegen dieses Wahlversprechen gewandt?
Sie hat die Gesetze mitgemacht. Natürlich, als Opposition ist es ihr Recht.
Ich möchte Ihnen sagen: so schlimm es ist, wenn man Gesetze nachträglich wieder aufhebt, — aber es gibt den Begriff der tätigen Reue, und diese tätige Reue ist hier im Haushaltssicherungsgesetz angewandt worden.
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2296 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1966
— Herr Schmidt, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das bestätigen.
Nun, meine Damen und Herren, ich wollte das nur noch einmal auf das zurückführen, um das es sich hier handelt. Das hat sich letztes Jahr abgespielt, und da sind wir nun alle engagiert, einen Weg zu finden, Überlegungen anzustellen, um solche Dinge für die Zukunft auf ein Mindestmaß zurückzuführen.
Wir sind nunmehr am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag unter Punkt 4 a der Tagesordnung, Drucksache V/114. Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — vor. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen nun ab über den Antrag unter 4 b, Drucksache V/69 . Es wird die Überweisung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — vorgeschlagen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Es ist so beschlossen.
Zu Punkt 4 c, Drucksache V/68, empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung —mitberatend. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir sind damit am Ende der heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, den 16. Juni 1966, 9 Uhr, und schließe die Sitzung.