Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten
Gänsen . Berichterstatter: Abgeordneter Menke
Das Haus ist damit einverstanden.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Bundesminister der Justiz hat unter dem 16. Oktober die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Deutsches Patentamt — Drucksache IV/2591 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/2648 verteilt.
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 17. Oktober 1964 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 5. Februar 1964 den 3. Bericht über die Auswirkungen der EWG-Marktorganisationen auf dem Agrargebiet für die Zeit von Juli 1963 bis Juni 1964 übersandt, der als Drucksache IV/2640 verteilt wird.
Der Präsident des Bundestages hat mit Schreiben vom 16. Oktober 1964 gemäß § 76 Abs. 2 GO den Anlageband zur Konzentrationsenquete — Drucksache zu IV/2320 — dem Wirtschaftsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Mittelstandsfragen — mitberatend — überwiesen.
Der Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat
am 9. Oktober 1964 zur
Verordnung Nr. 91/64/EWG des Rats vom 16. Juli 1964 über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse
am 20. Oktober 1964 zur
Verordnung Nr. 119/64/EWG des Rats vom 22. September 1964 über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse
und zur
Verordnung Nr. 120/64/EWG des Rats vom 22. September 1964 zur Verlängerung und Anpassung einiger Bestimmungen über die Erstattung bei der Erzeugung von Getreide- und Kartoffelstärke
mitgeteilt, daß der Außenhandelsausschuß die Verordnungen, die bereits vom Rat der EWG erlassen sind, zur Kenntnis genommen und keine Bedenken geäußert habe.
Der mitbeteiligte Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten habe gleichfalls keine Einwendungen gemacht.
Wir beginnen mit der
Fragestunde .
Ich rufe zunächst aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts die sich auf der Drucksache IV/ 2652 befindliche Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Erler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ankündigung des französischen Staatspräsidenten, Frankreich würde die EWG verlassen, falls bestimmte agrarpolitische Maßnahmen nicht getroffen würden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung sieht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als eine der wichtigsten politischen Leistungen der Nachkriegsepoche an. Durch die Errichtung des Gemeinsamen Marktes sind Produktion und Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft und der Austausch mit dritten Staaten außerordentlich gestiegen. Der Wohlstand alter Völker der Gemeinschaft und nicht zuletzt auch der Frankreichs hat sich merklich gehoben. Dieser Erfolg widerlegte die kommunistische These über den Ablauf der Entwicklungen in unserer freien Gesellschaftsordnung. Zugleich bildet die EWG den wichtigsten Ansatz für die von allen Europäern erstrebte politische Einigung des Kontinents.Der Prozeß der wirtschaftlichen Integration ist nicht ohne Rückschläge und Krisen vonstatten gegangen. Im Laufe der Zeit ist jeder der Mitgliedstaaten in eine Situation geraten, in der er wegen besonderer bei ihm vorliegender Verhältnisse um das Verständnis seiner Partner bitten mußte. Während der Vertragsverhandlungen und auch später galt dies in hohem Maße für Frankreich.Die bisher aufgetretenen Schwierigkeiten sind stets in einem Geiste gelöst worden, der zugleich das Wohl der Gesamtheit wie die Interessen ihrer Glieder beachtete. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß auch die in Zukunft noch zu lösenden Fragen in diesem Geiste behandelt werden.Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der gemeinsamen Agrarpolitik wohl bewußt und wird zu ihren Verpflichtungen aus dem Rom-Vertrag stehen, ebenso wie sie in der Vergangenheit diese Verpflichtungen erfüllt, ja sogar an einer beschleunigten Verwirklichung der gesteckten Ziele intensiv mitgewirkt hat. Es enspricht Sinn und Geist des Rom-Vertrages, den schwierigen Prozeß der Erarbeitung einer gemeinsamen Agrarpolitik so durchzuführen, daß hierbei auf die besonderen Gegebenheiten in der Landwirtschaft der einzelnen Länder
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7006 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Staatssekretär Dr. CarstensRücksicht genommen wird. Die Bundesregierung betrachtet die gegenwärtige Lage mit Ruhe, da sie der Überzeugung ist, daß es gelingen wird, das Ziel des Rom-Vertrages zu erreichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erler.
Herr Staatssekretär, halten Sie das einseitige Ausscheiden eines Vertragspartners aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Text des Vertrages überhaupt für möglich, und sind Sie der Meinung, daß die Drohung mit einem solchen Ausscheiden ein geeignetes Mittel zur Stärkung des Gemeinschaftsgeistes in der Gemeinschaft ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Text des Vertrages sieht das einseitige Ausscheiden eines Partners nicht vor. Ich habe soeben ausgeführt, Herr Abgeordneter — ich möchte das wiederholen —, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die auftretenden Probleme in einem Geist gelöst werden sollten, der sowohl die Ziele der Gesamtheit wie die Interessen der einzelnen Glieder berücksichtigt.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Eder.
Welche Schritte, Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die durch derartige einseitige Erklärungen heraufbeschworene Gefahr der Zerstörung des Gemeinschaftsgeistes abzuwenden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, wind die sachlichen Probleme, um die es sich handelt, in den dafür vorgesehenen Gremien erörtern, und sie vertraut darauf, daß es möglich sein wird, Lösungen zu finden.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welchen Einfluß hat die Eiklärung des französischen Staatspräsidenten auf die derzeitigen Europapläne der Bondesregierung ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird sich nicht davon abbringen lassen,diese Pläne, die sie entwickelt hat, weiterzuverfolgen.
Herr Mommer!
Herr Staatssekretär, haben Methoden unserer Unterhändler oder der Unterhändler anderer Mitglieder der Gemeinschaft bei den gegenwärtigen Verhandlungen in Brüssel etwa Anlaß dazu gegeben, daß die französische Regierung mit einer solchen ultimativen Forderung auftrumpfen konnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß wir uns und daß unsere Partner sich in dem Geiste, den ich Ihnen eben geschildert .halbe, bei den bisher geführten Verhandlungen verhalten haben.
Keine weiteren Fragen.
Wir gehen damit über zur Frage VI/1 der Drucksache 2621 — des Abgeordneten Ertl —.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Pressemeldungen, wonach auf Grund des deutsch-italienischen Wiedergutmachungsabkommens italienische Partisanen, die gegen die ehemalige deutsche Wehrmacht gekämpft haben, Zahlungen erhalten, in der deutschen Öffentlichkeit erhebliche Kritik und Unwillen ausgelöst haben, wie dies besonders durch die Stellungnahme des Bundes der Steuerzahler zum Ausdruck kommt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Der Bundesregierung sind die von Ihnen genannten Äußerungen bekannt. Sie beruhen jedoch auf unrichtigen Voraussetzungen. Bereits am 19. August dieses Jahres wurde im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung eine Richtigstellung veröffentlicht. Hierin wurde darauf hingewiesen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland nach dem Deutsch-Italienischen Wiedergutmachungsvertrag vom 2. Juni 1961 zur Za'h'lung von 40 Millionen DM an Italien verpflichtet hat zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens und der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen italienischen 'Staatsangehörigen, die durch diese Verfolgungsmaßnahmen Freiheitsschäden oder Gesundheitsschäden erlitten haben, sowie auch zugunsten der Hinterbliebenen der infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen ums Leben Gekommenen,
Die Art der Verwendung der Vertragssumme zugunsten dieses Personenkreises wurde der italienischen Regierung überlassen. Die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland haben dieser völkerrechtlichen Vereinbarung zugestimmt. Die italienische Regierung hat der Bundesregierung bestätigt, daß die Zahlung in Übereinstimmung mit dem Vertrag und dem Geiste, von dem er getragen wird, erfolgen wird.
Anspruchsberechtigt ,sind nur solche italienischen Staatsangehörigen, die in nationalsozialistische Konzentrationslager verbracht wurden, oder — soweit sie ums Leben gekommen sind — ihre Hinterbliebenen. Zur Zeit werden in Italien die eingegangenen Anträge von einer hierzu einberufenen Kommission geprüft. Zu einem großen Teil handelt es sich um Anträge jüdischer Verfolgter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die regierungsamtlichen Verlautbarungen der Ausführungsbestimmungen in Italien bekannt, und wie er-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7007
Ertlklären Sie es sich, daß nach den mir vorliegenden Informationen als Punkt 1 Kampf um die Befreiung Italiens, als Punkt 2 sogar Sabotageakte vermerkt sind, während erst in Punkt 7 rassisch Verfolgte aufgeführt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, mir liegt der Text der einschlägigen italienischen Verordnung vor. Darin heißt in Art. 1, daß Anspruch auf die Wiedergutmachung hat, wer ungeachtet der Umstände und des Aufenthaltsortes aus Gründen im Sinne des vorstehenden Absatzes in nationalsozialistische Konzentrationslager deportiert wurde. Im vorangehenden Absatz wird gesagt, daß die in Frage stehenden Beträge an italienische Staatsangehörige gezahlt werden sollen, die aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung deportiert waren. Das ist also die Rahmenbestimmung, innerhalb derer sich dann in der Tat die einzelnen von Ihnen soeben zitierten Tatbestände halten. Es beginnt mit dem Tatbestand der Handlung im Zusammenhang mit dem Befreiungskampf und endet mit der Verfolgung aus rassischen Gründen. Aber alle diese Tatbestände sind unter der Überschrift der eben von mir zitierten vorangehenden Absätze zu sehen.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Deutschen in Südtirol, die auch 20 Jahre faschistischer Diktatur erlebten und auch Opfer des schändlichen Hitler-Mussolini-
Abkommens wurden, zumindest dann auch für ihre kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Belange einer Hilfe bedürfen würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann nicht sehen, in welchem Zusammenhang diese Frage mit der ursprünglich von Ihnen gestellten Frage steht.
Wir gehen über zu der Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Riedel —:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Bundesregierung 40 Millionen DM zur Verteilung an die italienischen Partisanen gezahlt hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe den Inhalt Ihrer Frage im wesentlichen durch meine Antwort auf die vorher gestellte Frage beantwortet. Ich darf aber wiederholen: Ihre Frage ist mit Nein zu beantworten; denn es entspricht nicht den Tatsachen, daß die Bundesregierung 40 Millionen DM zur Verteilung an italienische Partisanen gezahlt hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riedel.
Herr Staatssekretär, wir haben eben aus Ihren Ausführungen die
Unterschiede zwischen der Auffassung der italienischen Regierung über die Rahmenbestimmung und dem tatsächlichen Verhalten der ausführenden Behörden zu diesem Komplex gehört. Sind Sie nicht der Auffassung, daß, wenn nicht sichergestellt werden kann, daß Leute nicht begünstigt werden, die zur Befreiung des Landes oder Vernichtung des Feindes gewirkt haben, solche Forderungen auch von, sprich ins Deutsche übersetzt, Partisanen aus anderen Nationen an uns gestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Vertrag und auch das italienische Gesetz bestimmen eindeutig, daß nur Personen entschädigt werden können, die aus Gründen der Rasse, der Religion oder der Weltanschauung verfolgt worden sind. Die Bundesregierung wird darauf achten, auch in ihren Gesprächen mit der italienischen Regierung, daß diese Vertragsbestimmungen eingehalten werden.
Frage VI/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die vom Herrn Bundeskanzler in seinem Telegramm an General de Gaulle ausgedrückte Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe in Südamerika in die Tat umzusetzen?
Ist Herr Kollege Althammer im Raum oder wird die Frage übernommen? — Nein, dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Dasselbe gilt für die Frage VI/4 — des Abgeordneten Dr. Althammer —:
Hat die Bundesregierung auf das französische Angebot, eine gemeinsame Linie gegenüber den osteuropäischen Ländern zu entwickeln, geantwortet?
Frage VI/5 — des Herrn Abgeordneten Bühler —:
Sind Verpflichtungen ausländischer diplomatischer Vertretungen, die diese oder deren Mitglieder usw. nicht erfüllt haben, bereits einmal von der Bundesregierung beglichen worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich Ihre drei Fragen mit Zustimmung des Herrn Präsidenten gemeinsam beantworten?
Bitte sehr! Ich rufe dann noch auf die Fragen VI/6 und VI/7 — des Herrn Abgeordneten Bühler —:
In wieviel Fällen ist Frage VI/5 zu bejahen?
Treffen die Angaben in der Zeitschrift „Kristall" Nr. 21 über zahlungsunwillige Diplomaten zu?
Ist Herr Abgeordneter Bühler im Raum? — Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu der ersten Frage möchte ich sagen, daß nach den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen die Bundesregierung in keinem Fall Verpflichtungen ausländischer diplomatischer Vertretungen übernommen hat. Damit erübrigt sich eine Antwort auf Ihre zweite Frage, Herr Abgeordneter.Zu Ihrer dritten Frage möchte ich folgendes sagen: Dem Auswärtigen Amt sind keine Klagen darüber zugegangen, daß ausländische Diplomaten die Bezahlung ihrer Schulden mit der Begründung abgelehnt hätten, Deutschland müsse ihre Freundschaft
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Staatssekretär Dr. Carstenshonorieren, oder daß Diplomaten die Aufforderung, ihre Rechnung zu begleichen, als Angriff auf ihren Diplomatenstatus ansehen oder daß sich bei Anrufen die Telefonvermittlung von fremden Missionen zuerst danach erkundigt, ob es sich um Rechnungen handelt. Da ausländische Diplomaten der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterliegen oder jedenfalls wegen eines Teiles ihrer Tätigkeit nicht unterliegen, bemüht sich das Auswärtige Amt, und zwar die Abteilung Protokoll des Auswärtigen Amtes, auf Antrag der deutschen Gläubiger, in allen Fällen, in denen Schwierigkeiten aufgetreten sind und in Zukunft auftreten werden, um eine Vermittlung. In zahlreichen Fällen hat dies zum Erfolg geführt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Bühler!
Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, zu prüfen, ob es zutrifft, daß — abgesehen von den meines Wissens in den letzten Jahren bereits aufgetretenen über 150 größeren und kleineren Fällen dieser Art — das Auswärtige Amt in folgenden drei Fällen Zahlungen geleistet hat: 1. an den Herrn Universitätsprofessor Dr. Paffen in Bonn für einen Verkehrsunfall, verursacht durch einen peruanischen Diplomaten, 2. an die Firma Kallenberg in Bonn für einen Verkehrsunfall, verursacht durch einen argentinischen Diplomaten, 3. für Telefonschulden der Jemenitischen Gesandtschaft, Vertretung in Bad Godesberg, eine Zahlung von 200 000 DM? Sind Sie bereit, diese Dinge zu prüfen, Herr Staatssekretär?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin selbstverständlich bereit, Herr Abgeordneter, diese Dinge zu prüfen. Ich glaube, auf den ersten Blick sagen zu können, daß die von Ihnen genannte Summe auf keinen Fall stimmen kann. Aber ich werde der Sache trotzdem nachgehen.
Es wird unser aller Interesse erregen, ob das stimmt oder nicht, Herr Staatssekretär. Ich hoffe, daß Ihre Abteilung Ihnen erschöpfende Auskünfte gibt.
Herr Kollege, das ist keine Frage.
— Bitte, Sie haben noch eine Frage.
Wenn es zutrifft, Herr Staatssekretär, daß Zahlungen geleistet worden sind, ganz gleich, in welcher Höhe, dann frage ich die Bundesregierung jetzt: Wieso war in diesem Fall eine Zahlung gesetzlich möglich, während man in dem Fall Kolbach — Korea, wo jetzt der Versteigerungstermin auf den 15: Dezember angesetzt worden ist, wie ich eben aus der Zeitung ersehen habe, einem Fall, mit dem sich der Bundestag zum viertenmal in acht Jahren beschäftigen darf, es als angeblich ungesetzlich bezeichnet hat, daß die Bundesregierung eintritt, obwohl in diesem Fall bei der Anmietung des Gebäudes durch die Koreaner einst ein Vertreter der Bundesregierung mitgewirkt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Bühler, nur damit kein Mißverständnis entsteht: Nach den von mir getroffenen Feststellungen auf Grund der mir zugänglich gewesenen Unterlagen hat die Bundesregierung in keinem Fall die Schulden ausländischer Diplomaten bezahlt. Ich kann Ihnen jetzt aus dem Gedächtnis nicht sagen, ob die von Ihnen genannten Fälle im einzelnen geprüft worden sind. Ich sagte daher zu, daß sie geprüft werden sollen.
In der Angelegenheit des Herrn Kolbach, auf die Sie soeben gekommen sind, hat, wie ich bei früheren Gelegenheiten hier habe ausführen dürfen, das Auswärtige Amt sich sehr um eine Vermittlung bemüht, und es setzt diese Bemühungen fort. Ich habe gehört, daß ein Vergleichsangebot seitens der koreanischen Botschaft gemacht worden ist, allerdings wohl ein Angebot, das in seiner Höhe Herrn Kolbach nicht befriedigt hat. Immerhin bitte ich Sie, daraus entnehmen zu wollen, daß sich das Auswärtige Amt gerade dieses Falles angenommen hat und um eine Lösung dieses Falles bemüht ist.
Herr Abgeordneter Jahn, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, im Falle Kolbach dann, wenn sich herausstellt, daß sie in anderen Fällen Schulden ausländischer Diplomaten übernommen hat, auch hier in eigener Verantwortung eine Erledigung des Falles durch Zahlung aus Mitteln des Bundes vorzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es würde allen Grundsätzen meines Amtes widersprechen, wenn ich auf eine hypothetische Frage, deren Beantwortung noch dazu nach meiner Ansicht nein lauten muß, die Antwort geben würde, die Sie von mir erwarten.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Jahn.
Ist das Auswärtige Amt bereit, Herr Staatssekretär, unabhängig von dieser Frage darauf hinzuwirken, daß rechtzeitig vor dem jetzt angesetzten Versteigerungstermin angesichts der langen Dauer der Bemühungen, die, wie Sie wissen, in Ihrer Intensität und Unterstützung durch das Auswärtige Amt unterschiedlich beurteilt wenden, nunmehr darauf hinzuwirken, daß vorher eine Regelung zustande kommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gebe Ihnen die Versicherung, Herr Abgeordneter, daß das Auswärtige Amt die Bemühungen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7009
Staatssekretär Dr. Carstensum eine Regelung jetzt verstärkt wiederaufnehmen wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heinemann.
Herr Staatssekretär, warum soll es rechtlich unmöglich sein, daß die Bundesrepublik die Forderung eines Bürgers übernimmt und gegen ein Land verrechnet auf Zahlungen, auf die dieses Land keinen Rechtsanspruch hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die nicht nur unter rechtlichen Gesichtspunkten gesehen werden kann,
sondern die auch unter dem Gesichtspunkt der Beziehungen zu dem betreffenden Land gesehen werden muß. Ich habe ja, glaube ich, in diesem Hohen Haus schon einmal dargelegt, daß es sich nach meiner Kenntnis der Dinge um sehr komplizierte zivilrechtliche Zusammenhänge handelt. Deswegen ist es nicht so einfach, hier einen bestimmten Standpunkt zu beziehen.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, erinnern Sie sich daran, daß zu den mancherlei Vorbehalten auch der Einwand gehört hat, es sei rechtlich unmöglich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erinnere mich daran nicht, Herr Abgeordneter.
Dann darf ich Ihnen das vorlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Könen.
Herr Staatssekretär, besteht eigentlich gar keine Möglichkeit, denjenigen Personen, die den Diplomatenstatus bei Verkehrsunfällen usw. und in geschäftlichen Dingen mißbrauchen und dadurch unangreifbar sind, in einer irgendwie geeigneten Form diesen Status zu entziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um auf die betreffenden Personen in dem Sinne einzuwirken, daß eine befriedigende Regelung dieser Fälle erfolgt, und ich versichere Ihnen, Herr Abgeordneter, daß das Auswärtige Amt von diesen Möglichkeiten Gebrauch macht.
Aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts rufe ich noch die Frage des Herrn Abgeordneten Biechele aus Drucksache IV/2635 auf:
Wann kann damit gerechnet werden, daß der am 15. Dezember 1962 paraphierte deutsch-schweizerische Vertrag über die Einbeziehung der Gemeinde Bitsingen in das schweizerische Zollgebiet dem Deutschen Bundestag zur parlamentarischen Behandlung vorgelegt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Zeitpunkt der Vorlage des deutsch-schweizerischen Vertrags über den Status der deutschen Exklave Büsingen hängt von der Unterzeichnung des deutsch-schweizerischen Vertrages über die Bereinigung der Grenze im Abschnitt Konstanz-Neuhausen am Rheinfall ab. Dieser letztgenannte Vertrag war bereits am 23. Februar 1957 paraphiert worden. Dabei war vereinbart worden, daß der Grenzbereinigungsvertrag zusammen mit dem damals noch auszuhandelnden Vertrag über Büsingen unterzeichnet und ratifiziert werden sollte, da zwischen den beiden Verträgen ein innerer Zusammenhang besteht. Einige beteiligte schweizerische Grenzgemeinden waren jedoch mit dem in dem Grenzbereinigungsvertrag vorgesehenen Grundstückstausch nicht einverstanden. Die schweizerische Regierung hat daher gebeten, die Verhandlungen über verschiedene in dem Grenzbereinigungsvertrag behandelte Fragen wieder zu eröffnen. Diese Verhandlungen werden nunmehr am 16. November dieses Jahres in Freiburg im Breisgau wiederaufgenommen werden. Es ist zu hoffen, daß es möglich sein wird, sie bald zu einem guten Ende zu führen, worauf dann beide Verträge unterzeichnet werden könnten. Nach der Unterzeichnung würden sie alsbald den deutschen gesetzgebenden Körperschaften zur parlamentarischen Behandlung vorgelegt werden.
Eine Zusatzfrage 'des Herrn Abgeordneten Biechele.
Hält die Bundesregierung die Verhandlungssituation, die, wie Sie eben geschildert haben, so ,gut ist, nicht für geeignet, um jetzt zu erwägen und darauf hinzuwirken, daß das Junktim aufgelöst wird, von dem Sie gesprochen haben, das Junktim zwischen dem am 22. Februar 1957 paraphierten deutsch-schweizerischen. Grenzvertrag und dem Staatsvertrag über Büsingen, damit die 'deutsche Exklave Büsingen endlich von den Bestimmungen des Vertrags Nutzen haben kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, da die bevorstehenden Verhandlungen in weniger als vier Wochen beginnen werden, scheint es der Bundesregierung richtig zu sein, diese Verhandlungen abzuwarten, bevor zu der von Ihnen gestellten Frage eine Entscheidung getroffen wird.
Eine weitere Frage.
Würde die Bundesregierung bereit sein, mein eben vorgetragenes Anliegen im Rahmen der Verhandlungen bzw. unter Umständen nach den Verhandlungen im Auge zu behalten?
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7010 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ganz sicher wird die Bundesregierung dazu bereit sein, Herr Abgeordneter.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe auf die Fragen VII/1, VII/2 und VII/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke —:
Ist der Bundesregierung bekannt, an wie viele Persönlichkeiten das Bundesverdienstkreuz in höherer Stufe für die Rettung von Menschenleben verliehen worden ist?
Ist der Bundesregierung bekannt, an wie viele Persönlichkeiten das Bundesverdienstkreuz in höherer Stufe für ihr Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat unter Gefahr für Leib oder Leben, insbesondere gegenüber den Machthabern in der sowjetisch besetzten Zone, verliehen worden ist?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Rettung von Menschenleben und das Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat unter Gefahr für Leib oder Leben in einer auf die Achtung der Menschenwürde gegründeten Demokratie zu den verdienstvollsten Taten gehören?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, daß ich die Antwort auf die drei Fragen zusammenfasse.
Herr Kollege Rutschke, es gibt naturgemäß über die Motive der Ordensverleihung keine statistischen Unterlagen. Das versteht sich von selbst. Deshalb kann ich Ihnen auch keine genauen Zahlenangaben für die Ordensverleihung aus Anlaß der Rettung von Menschenleben oder wegen eines Eintretens für den freiheitlichen Rechtsstaat unter Gefahr von Leib oder Leben geben. Die Bundesregierung teilt aber Ihre Auffassung, daß diese beiden Tatbestände, die Sie hier zusammenfassen, ganz besonders ordenswürdig erscheinen. Sie ist der Meinung, daß sowohl der Herr Bundespräsident wie auch, wie ich glaube annehmen zu können, die vorschlagsberechtigten Herren Ministerpräsidenten der Bundesländer dieselbe Ansicht vertreten.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, wenn Ihnen keine Unterlagen zur Verfügung stehen, darf ich Ihnen einige Beispiele nennen. Ist Ihnen bekannt, daß an diejenigen, die in Lengede unter Einsatz ihres eigenen Lebens Menschenleben gerettet haben, nur die niedrige Stufe des Bundesverdienstkreuzes verliehen wurde, während auf der anderen Seite in einem Fall einem Mann — aus Nordrhein-Westfalen, glaube ich —, der sich vielleicht mit viel Eloquenz nur der freien Marktwirtschaft hingegeben hat, aber mit der gleichen Intensität früher im Dritten Reich Unrechtshandlungen begangen hat, ein Halsorden angeboten worden ist? Nachher erst hat man die Panne gemerkt.
Ich glaube, wir sind uns einig darüber, daß die eloquente Hingabe für die freie Marktwirtschaft ebenfalls ein sehr verdienstvoller Vorgang ist. — Was Sie ansprechen, ist aber ein ernsthaftes Problem. Ich glaube, es so lösen zu können: Der Orden der Bundesrepublik und die Lebensrettungsmedaille stehen sich bei der Verleihung in Konkurrenz gegenüber. Ich darf auf ein geschichtliches Beispiel hinweisen: Bismarck hat sich auch einmal als Lebensretter betätigt und dafür eine Lebensrettungsmedaille bekommen. Er hat sie mit besonderem Stolz weit vor anderen Auszeichnungen getragen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, die Verleihung der Lebensrettungsmedaille schließt die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nicht aus. Sind Sie nicht der Meinung, daß die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für einen derartigen Einsatz eigenen Lebens höher zu bewerten ist als lediglich eine wirtschaftliche Betätigung?
Wenn ich Ihre Frage so verstehen darf, daß ich an den Bundespräsidenten solche Anregungen herantrage, sind wir einer Meinung.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Rutschke.
Herr Minister, ich habe mich darum bemüht festzustellen, wie viele Leute aus der Sowjetzone, die für ihr Eintreten für Freiheit und Recht in der Sowjetzone ins Zuchthaus gekommen sind, eine Ordensauszeichnung bekommen haben. Mir ist kein Fall bekanntgeworden, in dem die Verleihung eines Bundesverdienstkreuzes zu verzeichnen ist. Sind Sie bereit, auch hier Anregungen zu geben, daß den Menschen, die sich für Freiheit und Recht eingesetzt und das mit ihrer Freiheit bezahlt haben, das Bundesverdienstkreuz verliehen werden kann?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7011
Herr Abgeordneter Neumann zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in der Bevölkerung eine Formulierung umläuft, daß das Bundesverdienstkreuz nur noch am Sarge verliehen wird?
Ich lasse diese Frage nicht zu. Sie scheint mir nicht würdig zu sein.
Ich rufe auf die Frage VII/4 — des Abgeordneten Dorn —:Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß die Erhöhung der Gehälter für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst zum 1. Oktober 1964 dadurch weitgehend hinfällig gemacht wird, daß die Mieten für Bundeswohnungen bis zu 25 % erhöht werden?
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7012 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, die Frage des Abgeordneten Dorn, die Frage des Abgeordneten Anders und die beiden Fragen des Abgeordneten Peiter, die alle auf derselben Linie liegen, gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn die Herren Fragesteller einverstanden sind.
Einverstanden? — Dann rufe ich ebenfalls auf die Frage VII/5 — des Abgeordneten Anders — und die Fragen VII/17 und VII/18 — des Abgeordneten Peiter —:
Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß viele Beamte des einfachen und mittleren Dienstes die Fürsorgepflicht des Bundes als nicht erfüllt ansehen, weil der Bund die ab 1. Oktober 1964 und evtl. sogar früher durchgeführte Besoldungserhöhung in der Form wiederaufhebt, daß sie die Mieten in den Bundeswohnungen — nicht nur in den verbilligten — in der vorgesehenen Weise erhöht?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die in Aussicht genommene Erhöhung der Mieten für Bundeswehrangehörige in bundeseigenen und mit Bundesmitteln geförderten Wohnungen die zum 1. Oktober eingetretene Besoldungserhohung wieder aufzehrt?
Ist die Bundesregierung bereit, den Wohnungs- und Heizungszuschuß für Bundeswehrangehörige entsprechend der in Frage VII/17 erwähnten Mietsteigerung zu erhöhen?
Ich darf zunächst erklären, daß beim sozialen Wohnungsbau für die Bediensteten des Bundes in Bonn ein Maß von Leistungen des Bundes aufgewandt worden ist, wie das sonst in keinem einzigen Bereich der Fall ist. Es wurden Wohnungsbauzuschüsse bis zu 90 % und darüber gegeben. Deswegen sind auch die Mieten für diesen Personenkreis an einer unteren Grenze gehalten worden, wie das ebenfalls in keinem anderen Bereich der Fall war.
Sie kennen selber die von dem Hohen Hause hier beschlossenen Abbaugesetze und die sich daraus ergebenden Folgen. Es war festzustellen, daß z. B. die Sozialrentner, die in diesem Raum wohnen, und die Angehörigen der Landesverwaltungen, die in Bonn ihren Wohnsitz haben, längst schon im Rahmen der Abbaugesetze zu höheren Mieten herangezogen worden waren. Die Bundesregierung hat mit Rücksicht auf die Fürsorgeverpflichtung gegenüber ihren Angestellten und Beamten, die sie sehr ernst nimmt, sehr lange gezögert nachzuziehen. Aber aus Gründen der ausgleichenden Gerechtigkeit war es nicht möglich, den Zeitpunkt noch länger hinauszuziehen, weil sonst die Gegensätze und Unterschiede so groß geworden wären, daß es unerträglich erscheinen müßte. Im übrigen ist in keinem einzigen Fall festzustellen, daß die am 1. August in Kraft getretene 8%ige Lohnerhöhung aufgezehrt worden wäre, es müßte denn schon ein extremer theoretischer Fall sein. Alle anderen liegen aus den Gründen, die ich vorzutragen die Ehre hatte, weit darunter.
Herr Minister, an und für sich sollten die Fragen des Abgeordneten Peiter — VII/17 und VII/18 — vom Bundesverteidigungsminister beantwortet werden.
Zu der zweiten Frage des Herrn Abgeordneten Peiter will sich der Bundesverteidigungsminister noch auf diese Antwort beziehen.
Einverstanden.
Zunächst Herr Abgeordneter Dorn zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie der Meinung sind, daß diese Mieterhöhungen in vollem Umfang berechtigt sind?
Ich darf darauf hinweisen, daß das Bundesinnenministerium im Zusammenirken mit dem Bundeswohnungsbauministerium diese Richtlinien erlassen hat in Ausführung eines einstimmigen Beschlusses des Haushaltsausschusses dieses Hohen Hauses. Und was der Haushaltsausschuß einstimmig .beschließt, scheint mir sehr Rechtens zu sein.
Die weitere Frage, Herr Abgeordneter Dorn!
Herr Minister, ist Ihnen darüber hinaus bekannt, daß es im Raum Bonn eine ganze Reihe von Fällen gibt, in denen auf diesem Wege die Mieten um über 36 und 38 % angehoben worden sind, und was beabsichtigt die Bundesregierung in solchen Fallen zu tun?
Ich wäre dankbar, wenn ich Einzelunterlagen darüber haben könnte.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen bitte!
Herr Minister, ist Ihre Antwort über die Abstimmung mil dem Wohnungsbauministerium so zu verstehen, daß Sie, nachdem so zahlreiche Mieter in so großem Maße Mieterhöhungen ,auf sich nehmen mußten, der Meinung waren, daß man dann auch die kleinen und mittleren Beamten nicht verschonen sollte?
Keineswegs! Ich habe die Konsequenzen genau dargelegt und habe vorgetragen — ich darf es hier wiederholen —, daß der Bundesinnenminister ganz besonders lange nachgesehen hat und daß sich, vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus, dadurch eine Benachteiligung der anderen sozial und wirtschaftlich schlechtergestellten Angestellten ergab, für deren Wohnungen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt bereits eine Mietanhebung erfolgte.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7013
Herr Minister, sind Sie sich bewußt, daß die Erhöhung des Ortszuschlages bei zahlreichen Beamten des einfachen und mittleren Dienstes bis hinein in den gehobenen Dienst durch diese Mieterhöhungen zum 1. Oktober aufgezehrt worden ist und teilweise sogar mehr Miete gezahlt werden muß?
Es kann sein, daß es auf den Ortszuschlag bezogen so List. Aber gerade dieser Personenkreis hat durch das lange Nachsehen und durch die günstige Mietgestaltung in dem Bonner Bereich, eben durch die hohen Subventionen des Bundes, wirtschaftliche Vorteile bekommen, die anderen Kreisen versagt waren.
Herr Abgeordneter Gscheidle zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, haben Sie in Vorbereitung auf diese Fragestunde auch Kenntnis davon genommen, daß bei der Erörterung der gleichen Frage in einer Fragestunde des Bundestages Ihr Kollege, der Herr Wohnungsbauminister, geantwortet hat: Wir werden diese Erhöhung erst durchführen, wenn wir gleichzeitig ein System der Lastenbeihilfen und der Ausgleichsgewährung schaffen können, so daß die für die Beamten eintretenden Mieterhöhungen das erträgliche Maß nicht übersteigen?
Das ist kein Spezifikum, dieser Vorgang, sondern ist ein allgemeiner Vorgang, der den ganzen Bereich angeht.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Gscheidle!
Sind nach den erlassenen Richtlinien Mietsteigerungen über 25 % möglich?
Soweit ich unterrichtet bin, sind keine Mietsteigerungen über 25 % erfolgt.
Herr Abgeordneter Peiter zu einer Zusatzfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, wenn Sie auch der Ansicht sind, daß die Mieterhöhung die Besoldungserhöhung nicht aufzehrt, sind Sie aber nicht doch der Ansicht, daß diese Besoldungserhöhung weitgehend dadurch illusorisch gemacht ist, daß eine für die kleineren Einkommensempfänger doch immerhin gewaltige Erhöhung eingetreten ist?
Hier waren gesetzliche Konsequenzen zu vollziehen, die sehr spät vollzogen worden sind, und ich wiederhole noch einmal, daß hier wirtschaftliche Vorteile gewährt worden sind, die andere Personenkreise, welche nach ihrer wirtschaftlichen Lage vielleicht einen höheren Anspruch darauf gehabt hätten, nicht bekommen haben.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Peiter.
Herr Minister, sehen Sie einen Weg, dies wieder auszugleichen?
Vor wenigen Wochen ist eine 8 %ige Besoldungserhöhung in Kraft getreten. Das ist eine so markante Verbesserung, daß zunächst nichts veranlaßt ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Supf.
Herr Minister, eine Vorfrage: Fallen auch Wohnungen der Bundeswehrbediensteten unter Ihr Ressort?
Unter mein Ressort fallen überhaupt keine Wohnungen.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Supf!
Das Bundesverteidigungsministerium wird zu diesen Fragen des Abgeordneten Peiter noch Stellung nehmen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück!
Herr Minister, sind Sie, nachdem diese Mietgeschichte natürlich überall ziemlich viel Wirbel gemacht hat, vielleicht bereit, die Damen und Herren dieses Hohen Hauses einmal auf das Gemeinsame Ministerialblatt Nr. 20 vom 20. Juli 1964 hinzuweisen, wo die Richtlinien veröffentlicht worden sind, nach denen diese Mieten nun berechnet werden?
Ich würde mir nicht gestatten, die Damen und Herren des Hohen Hauses auf etwas hinzuweisen. Das ist in der Zwischenzeit ja von Ihnen schon geschehen.
Herr Abgeordneter Büttner zu einer Zusatzfrage!
Herr Bundesinnenminister, darf ich unter Hinweis auf die Fragestunde in der vergangenen Woche, in der Ihr Kollege Seebohm geantwortet hat, Sie bitten, mit Ihren Ministerkollegen einmal Rücksprache zu nehmen, weil hier doch sehr bedauerliche Beispiele von Mieterhöhungen gegeben worden sind, die unwidersprochen geblieben sind. Darf ich Sie also bitten, sich mit den anderen Ressortministern einmal in Verbindung zu setzen, nachdem sich für Bundesbedienstete die Mieterhöhungen so katastrophal ausgewirkt haben.
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7014 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Ja, ich beurteile den Fall so. Das, was ich soeben ausgeführt habe, wird sich im Protokoll niederschlagen. Zusammen mit dem Bundeskanzleramt werden wir Entsprechendes veranlassen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Büttner.
Darf ich also daraus entnehmen, daß die Sache im Fluß ist
und daß wir baldmöglichst eine Antwort auf diese Frage bekommen?
Ich rufe die Frage VII/6 — des Abgeordneten Dr. Schmidt — auf:
Wird nach Auffassung der Bundesregierung die Würde des Menschen angetastet , wenn in Schlagzeilen der Presse ein empfängnisverhütendes Mittel als „Antibaby-Pille" bezeichnet wird?
Bitte, Herr Minister!
Die Bundesregierung empfindet die Bezeichnung „Antibaby-Pille" als grob anstößig, und zwar grob anstößig vor allem wegen der Verbindung „Anti-" und „Baby", weil sich diese Dinge gegen den Menschenbegriff als solchen wenden. Die Bundesregierung ist aber nicht der Meinung, daß darin schon eine Verletzung des Art. 1 des Grundgesetzes zu erblicken ist. Sie vertraut aber darauf, daß alle Personen, die sich dieses sprachlichen Mißbrauchs schuldig machten, künftig etwas dezenter verfahren.
Sind Sie bereit, unter Umständen ein amtliches Organ wie das Bulletin dafür einzusetzen, daß die Tatsache in das öffentliche Bewußtsein gebracht wird, daß dieser untermenschliche, barbarische Sprachgebrauch den Menschen unmittelbar angreift?
Ich werde das Notwendige veranlassen.
Damit ist die Frage beantwortet.
Ich rufe die Frage VII/7 — des Abgeordneten Dr. Schmidt — auf:
Wie will die staatliche Gewalt ihrer Verpflichtung, die Würde des Menschen zu schützen , nachkommen, um die in der Bezeichnung „Antibaby-Pille" liegende Mißachtung der menschlichen Nachkommenschaft aus dem öffentlichen Sprachgebrauch fernzuhalten?
Es ist dieselbe Frage. Ich möchte mich auf meine Antwort zu Frage 6 beziehen.
Sie ist weiter gefaßt, nämlich wie die „staatliche Gewalt ihrer Verpflichtung, die Würde des Menschen zu schützen, nachkommen will.
Ich glaube, darauf habe ich schon geantwortet.
Dann rufe ich die Frage VII/8 — des Abgeordneten Jahn — auf:
Wann wird die Bundesregierung ihre Vorstellung über die Neuordnung des gesamten Besoldungsrechts vorlegen?
Die Bundesregierung hat eine neue Kommission eingesetzt, die bereits zum zweitenmal in diesen Tagen berät. Es handelt sich um eine Kommission aus Vertretern von Bund und Ländern, den in erster Linie zuständigen Ebenen.
Wir wären in allen Fragen des Besoldungsrechts einen erheblichen Schritt weiter, wenn sich Ihre Freunde nicht der von mir vorgeschlagenen Verfassungsänderung versagt hätten.
In dem Augenblick, in dem ein Ergebnis vorliegt — ich habe die Beratungen der Kommission selbst eröffnet, zur Eile gemahnt und um rasche Entscheidungen gebeten —, wird das übliche Verfahren eingeleitet werden. Die Beteiligten werden gehört, es wird auf Referentenebene verhandelt und dem Hohen Hause sobald wie möglich ein angemessener Vorschlag unterbreitet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn.
Wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang darauf bedacht sein, Herr Minister, daß die verfassungsrechtliche Stellung der Richter auch im Besoldungsrecht berücksichtigt wird und ihren Ausdruck findet?
Erhebliches ist beim Bundesverfassungsgericht bereits geschehen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Jahn.
Erhebliches ist in dieser Richtung bereits geschehen, Herr Kollege Jahn.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Jahn geht weiter. Sie geht über die Richter am Bundesverfassungsgericht hinaus.
Ich habe Sie richtig verstanden.
Ich habe eine zweite Frage. Das war keine Beantwortung meiner Frage, Herr Minister.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7015
Herr Kollege Jahn, wenn ich sagte, Erhebliches sei in der Richtung beim Bundesverfassungsgericht bereits geschehen, dann wollte ich damit gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß ich Ihrer Tendenz durchaus wohlwollend gegenüberstehe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Minister, hätten Sie nicht viel Zeit sparen können, wenn Sie unseren Vorschlag vom letzten Jahr auf Einsetzung einer solchen Kommission angenommen hätten?
Sie haben einen anderen Vorschlag gemacht. Dieser Vorschlag erschien mir besser.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Erinnern Sie sich, Herr Minister, mit welcher Begründung Sie unseren Vorschlag im Hinblick auf den Sachverständigenrat abgelehnt haben?
Ja, ich erinnere mich sehr genau, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, und zwar deswegen, weil die Bitte vorgetragen wurde, im Sachverständigenrat in der Frage des wirtschaftlichen Teils der Besoldung eine gutachtliche Äußerung abzugeben. Das hat der Sachverständigenrat bereits getan. Er wird die Frage im Rahmen der Aufgaben, die auf diesem Gebiet zur Entscheidung anstehen, auch beantworten.
Herr Abgeordneter Schäfer, zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, wer gehört denn dieser Kommission nun an?
Ihr gehören die Besoldungsreferenten von Bund und Ländern an.
Eine weitere Frage.
Also nicht Minister, sondern Besoldungsreferenten? — Danke schön, das genügt.
Die Besoldungsreferenten, ja. Ich weiß nicht, was Sie gegen Besoldungsreferenten haben, Herr Kollege.
Frage VII/9 — des Herrn Abgeordneten Cramer —:
Ist die Bundesregierung bereit, die aus der Zeit nach dem 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst nicht ausgezahlten Lohn- und
Gehaltsanteile noch nachträglich auszuzahlen, nachdem sie aus C dem Nachtragshaushalt des letzten Jahres rund 350 000 DM an noch lebende frühere afrikanische Bedienstete des Deutschen Reichs in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten Kamerun und Togo gezahlt hat?
Die Frage VII/9 darf ich folgendermaßen beantworten. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, die in der Zeit nach dem 8. Mai 1945 von öffentlich-rechtlichen Dienstherren nicht ausgezahlten Lohn- und Gehaltsanteile noch nachträglich auszuzahlen. Neben dem § 77 des Gesetzes zu Art. 131 sind in vielen anderen Gesetzen ähnliche Fristen von dem Hohen Hause eindeutig in dieser Richtung festgelegt, von den finanziellen Auswirkungen einmal ganz abgesehen, die in die Milliarden gingen. Ich glaube, daß unter keinem Gesichtspunkt ein Anlaß besteht, an diesem Rechtszustand etwas zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeorndeter Cramer.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Forderungen, von denen ich gesprochen habe, gar nichts mit dem 131 er-Gesetz zu tun haben, sondern daß es sich hier um Forderungen von Arbeitern und Angestellten handelt, die nicht unter das Gesetz fallen und die damals ihren letzten Lohn oder ihre letzten Löhne nicht bekommen haben?
Jetzt sind die Dinge 20 Jahre her, und wir haben eine wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen, die auch diesem Personenkreis in einer dauerhaften Art etwas gebracht hat, was wir uns nicht einmal vorstellen konnten. Ich glaube nicht, daß wir irgend jemandem, auch nicht einem überspitztem Gerechtigkeitsgefühl, dienen würden, wenn wir über 20 Jahre hinweg noch solche Ansprüche anerkennen wollten und damit das ganze Gebäude der Nachkriegsregelung gefährdeten.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, wenn Sie Forderungen, die vor 50 Jahren entstanden sind, jetzt regeln, wie wollen Sie es dann begründen, daß Sie die Forderungen von 1945 und 1946 nicht regeln?
Die beiden Dinge, die Sie ansprechen, lassen sich nicht vergleichen. Wenn für Togo und Kamerun Gnadenzahlungen und Ehrenzahlungen — nicht als Ansprüche, sondern ehrenhalber — geregelt worden sind, dann hat das ganz andere Motive, einen ganz anderen Sinn und eine andere Bedeutung. Das hat
mit diesem Sachverhalt nicht das geringste zu tun.
Frage VII/10 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:Hat sich die Bundesregierung mit den im Wirtschafts- und Sozialrat der UN diskutierten Plänen einer Kalenderreform beschäftigt?
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7016 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Die Bundesregierung hat sich mit dem Entwurf einer Weltkalenderreform, die im Jahre 1954 im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eingebracht worden war, sehr eingehend befaßt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hatte die Bundesregierung gebeten, ihre Auffassung zur Durchführbarkeit der Reformvorschläge mitzuteilen. Daraufhin hat die Bundesregierung unter Beteiligung sämtlicher Bundesressorts, der Länder, der Kirchen und der sonstigen Religionsgemeinschaften, der Spitzenverbände der Wirtschaft sowie der einschlägigen Organisationen eine Stellungnahme erarbeitet und am 12. April 1955 abgegeben. Diese Stellungnahme ist auch im Bulletin 1955 veröffentlicht worden.
Der Wirtschafts- und Sozialrat hat am 20. April 1956 die Reformvorschläge auf unbestimmte Zeit vertagt, weil sich die Mehrheit der Mitglieder gegen eine Änderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgesprochen hat. Auf Anfrage des Auswärtigen Amts hat der deutsche Beobachter bei den Vereinten Nationen im vergangenen Monat mitgeteilt, daß nach Auskunft des Sekretariats nicht beabsichtigt ist, das Thema in nächster Zukunft wieder aufzugreifen.
Frage VII/11 — des Herrn Abgeordneten Haase —:
Ist die Bundesregierung bereit, die Forderung auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes an alle Wehrpflichtigen, die von vielen Wehrpflichtigen erhoben wird und der sich der Bundesverteidigungsminister angeschlossen hat, nachzukommen und dem Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen?
Bei der Einbringung und der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs über die Gewährung von Weihnachtszuwendungen ist diese Frage bereits geprüft worden. In das Gesetz vom 16. April 1964 sind die Wehrpflichtigen nicht aufgenommen worden. Bei dieser Sachlage und im Hinblick auf die Kürze der seit dieser Entscheidung verstrichenen Zeit sehe ich keine Möglichkeit, das Hohe Haus mit einem neuen Antrag zu befassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Minister, wenn Ihnen bekannt ist, daß der Bundesverteidigungsminister für die wehrpflichtigen Soldaten gern eine Regelung über eine Weihnachtsgratifikation analog dem Beamten- und Angestelltenrecht des Bundes haben möchte, sind Sie dann unter Umständen bereit, Ihren Ministerkollegen im Kabinett zu unterstützen, wenn es darum geht, eine Weihnachtsgeldzahlung an wehrpflichtige Soldaten woanders, möglicherweise im Wehrsoldgesetz, zu regeln?
Ich werde nicht dagegen sein.
Keine weitere Frage.
Dann rufe ich die Frage VII/12 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — auf:
Betrachtet die Bundesregierung alle drei Strophen des Deutschlandliedes oder nur die dritte Strophe als deutsche Nationalhymne?
Herr Dr. Kohut, ich darf wegen Ihrer Frage auf den Briefwechsel des Herrn Bundespräsidenten mit dem Herrn Bundeskanzler verweisen, der im Bulletin vom 6. Mai 1952, Seite 537, veröffentlicht ist. Danach ist das Deutschlandlied als Nationalhymne anerkannt. Bei staatlichen Veranstaltungen soll nur die dritte Strophe gesungen werden. Das ist auch jetzt noch die Auffassung der Bundesregierung und die Rechtslage.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Darf ich fragen, ob nach dem von ihnen zitierten Briefwechsel ein Teil der deutschen Nationalhymne suspendiert ist, wir also eine Strophe singen dürfen, die anderen beiden aber nicht. Wissen Sie, daß unter studentischen Verbindungen ein Streit darüber entbrannt ist, was die deutsche Nationalhymne ist, und daß dieser Streit allmählich Formen annimmt, die dem damaligen Flaggenstreit zwischen schwarz-weiß-rot und schwarz-rot-gold entsprechen?
Halten Sie es daher nicht für richtig, zu sagen, welche deutsche Nationalhymne textlich überall und bei jeder Gelegenheit und uneingeschränkt gesungen werden darf?
Ich glaube, Ihre Zusatzfrage bereits in meiner Hauptantwort beantwortet zu haben.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Dr. Kohut.
Herr Minister, ich vermisse eine klare Entscheidung. Was Ist die deutsche Nationalhymne?
Es ist genau dargelegt worden. Der erwähnte Briefwechsel besagt, daß die drei Strophen die deutsche Nationalhymne darstellen und daß bei staatlichen Anlässen die dritte Strophe zu singen ist.
Ich rufe die Frage VII/13 — der Abgeordneten Frau Freyh — auf:
Wird sich bis zum Ablauf des Haushaltsjahres 1964 über die in den Bundeshaushaltsplan eingesetzten Mittel hinaus ein Mehrbedarf für die Studentenförderung nach dem Honnefer Modell ergeben?
Bitte, Herr Minister.
Der im Bundeshaushalt 1964, also im laufenden Haushalt, für die Studienförderung nach dem Honnefer Modell vorgesehene Ansatz von 33 Millionen DM wurde in der Zwischenzeit bereits durch eine überplanmäßige Ausgabe um 14 auf 47 Millionen DM erhöht. Dieser Betrag wird den Bedarf 1964 'decken.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7017
Eine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage VII/14 — der Abgeordneten Frau Freyh — auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Bewilligungsbedingungen der Studentenförderung nach dem Honnefer Modell für das Haushaltsjahr 1965 zu ändern?
Das Kuratorium des Deutschen Studentenwerks und der Verband deutscher Studentenschaften und auch viele andere Kreise haben vorgeschlagen, den Förderungsmeßbetrag von monatlich 250 auf 320 DM zu erhöhen. Es war stets mein Wunsch, die Studienförderung an den wissenschaftlichen Hochschulen so weit zu entwickeln, daß sie den ihr gestellten Aufgaben jederzeit gerecht wird. Deshalb bin ich bemüht, für eine angemessene Verbesserung die Zustimmung der beteiligten Stellen zu gewinnen, insbesondere der geldgebenden Instanzen, hier vor allem der Länder. Eine Anhebung des Förderungsmeßbetrages auf 320 DM würde Mehraufwendungen in Höhe von jährlich 34 Millionen DM bei Bund und Ländern erfordern. Die notwendigen Verhandlungen sind im Gange.
Zu einer Zusatzfrage, Frau Kollegin Freyh.
Herr Minister, die zusätzlichen Beträge, die Sie eben genannt haben, sind aber doch nicht im Haushaltsplan 1965 veranschlagt.
Für 1964 war weniger veranschlagt. Wir sind trotzdem auf die notwendige Summe gekommen. Lassen Sie uns diesen Weg auch 1965 gehen!
Zu einer weiteren Frage Frau Abgeordnete Freyh.
Wollen Sie also für 1965 wieder das Verfahren eines Nachtragshaushalts oder einer Nachbewilligung wählen, obwohl doch eigentlich zu Beginn des Haushaltsjahres schon feststeht oder jedenfalls in Verhandlungen geklärt werden könnte, ob ein solcher Mehrbedarf bei einer Änderung der Bewilligungsbedingungen notwendig ist?
Auf diese Frage gibt es im Finanzministerium eine einfache Antwort: Noch nicht haushaltsreif!
Ich rufe die Frage VII/15 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer — auf:
Ist es richtig, daß die Erteilung eines Einreisevisums in die Bundesrepublik an Staatsangehörige der osteuropäischen Staaten länger dauert als die Erteilung eines Einreisevisums an Deutsche, die in diese Länder einzureisen wünschen?
Herr Kollege Dr. Mommer, Sie haben eine allgemeine Frage aus einem Komplex gestellt, der allgemeinen Fragen gar nicht zugänglich ist, sondern sehr individuell zu behandeln ist.
Ich darf Ihnen zwei Beispiele aus jüngster Zeit nennen. Ich habe kürzlich ein Schreiben des Präsidenten der Rektorenkonferenz bekommen, in dem er sich dafür bedankt, daß wir die Einreisevisa für Osteinreisende zur Rektorenkonferenz schneller erteilt hätten, als die betreffenden Herren Ausreisevisa aus ihren Ländern bekommen hätten. Oder nehmen Sie den Fußballklub Tirana! Er ist trotz der Personalenge ebenfalls wegen der Visa in einer Art und Weise abgefertigt worden, daß wir selbst in einer uns nicht immer wohlgesinnten Presse eine ausnahmsweise Anerkennung bekommen haben.
Ab Vergleichsmaßstab kommt nicht die Zeit in Betracht, die die Ostblockstaaten für die Visa benötigen. Es gibt dort ganz perfekte Überwachungsverhältnisse, die wir nicht haben und wir uns nicht wünschen. Trotzdem dauert es oft monatelang. Wir sollten Vergleiche im westlichen Bereich anstellen. Im westlichen Bereich liegt die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei zwei bis drei und vier Wochen. Darunter liegen wir mit in der Masse der Fälle. Schlechter liegen wir ganz bestimmt nicht. Wir erfreuen uns trotz gelegentlicher Kritik an einigen Fällen, die nicht befriedigen, der Anerkennung einer ganz ordnungsgemäßen Abwicklung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, dann wären wir uns also einig, daß die Schnelligkeit, die Sie bei den Professoren und den Fußballern praktizieren, das Ideale auch für andere Fälle ist und daß die Anweisung an Ihre Mitarbeiter immer so lautet: Immer so schnell, wie es nur irgend geht?
Richtig! Aber es geht nicht in allen Fällen so schnell. Bei Professoren und Fußballern geht es leichter. Sie wissen genau, was ich meine. Ich bin aber Ihrer Meinung, und ich hoffe, daß das Hohe Haus mir durch entsprechende Personalvermehrung
die Möglichkeit gibt. — Natürlich! Wie soll es sonst gemacht werden ohne Personalvermehrung? Aber ich werde Ihre Unterstützung in dieser Frage haben, Herr Mommer.
Ich rufe auf die Frage VII/16 — des Herrn Abgeordneten Strohmayr —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fachverbände der Standesbeamten, daß es dringend notwendig sei, im Bundesinnenministerium eine genaue Zusammenfassung der Eheschließungsgesetze jener Staaten herauszugeben, die Gastarbeiter in die Bundesrepublik entsenden?
Bitte, Herr Minister.
Der Bundesregierung ist von einem derartigen Wunsch der Standesbeamten oder der Fachverbände der Stan-
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7018 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Bundesminister Höcherldesbeamten nicht das geringste bekannt. Weder der Bundesverband noch einer seiner Landesverbände ist mit einem solchen Vorschlag an uns herangetreten. Im übrigen, Herr Kollege Strohmayr, ist es keineswegs so, als ob es eine derartige Sammlung nicht gäbe. Ich darf sie kurz zitieren, vergleiche Bergmann, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. Dort ist alles, was Sie sich überhaupt nur wünschen, in einer recht komplizierten Form niedergelegt. Im übrigen haben wir neue Dienstanweisungen für die Standesbeamten und die Aufsichtsbehörden in Bearbeitung, um auch hier noch Material beizusteuern. Darüber hinaus hieße es, die Aufklärungspflicht des Standesbeamten zu weit treiben. 80 % der Standesbeamten sind nicht juristisch vorgebildet. Man soll hier nicht Versuche unternehmen, Fragen des internationalen Privatrechts und Eherechts den Standesbeamten beizubringen. Den meisten Juristen gelingt das kaum; so schwierig sind die Fragen. Man soll hier nicht Verantwortlichkeiten begründen, die nicht erfüllt werden können. Ich bin vielmehr der Meinung, das, was vorhanden ist, reicht aus. Im übrigen gibt es Beratungsmöglichkeiten amtlicher Art, von denen jeder Gebrauch machen kann. Vor allem das Bundesverwaltungsamt, auf das wiederholt verwiesen wird, und zwar das Amt für Auswanderung in Köln, gibt aus großer Erfahrung bei Eheschließungen vor allem in Ländern mit ganz anders gearteten Eherechtsverhältnissen bereitwilligst Auskunft.
Eine Zusatzfrage, I) Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Minister, wie kommt es dann, daß sich bei fast allen Eheschließungen immer wieder Streitigkeiten ergeben und immer wieder von Gerichten entschieden werden muß, in welcher Form nun die Sache geregelt werden kann? Ich würde doch bitten, daß die Standesbeamten nochmals darauf aufmerksam gemacht werden, daß bereits ein Kommentar vorliegt, damit diese Streitigkeiten ein für allemal bei den Standesbeamten und an den Standesämtern bereinigt werden können.
Das soll gern geschehen.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie erinnern sich an einen Briefwechsel mit Ihnen. Sind inzwischen mit all den Ländern, in denen es nur eine kirchliche Eheschließung gibt, Abkommen und Vereinbarungen getroffen, die die Rechtsstellung der Kinder, die hier geboren werden, sichern? Ist das für alle Länder schon erfolgt, oder ist in absehbarer Zeit damit zu rechnen?
Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich werde mich sofort darum bemühen.
Wir kommen zu Frage VII/19 — des Herrn Abgeordneten Strohmayr —:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt und für sozial tragbar, daß verheirateten Trennungsgeldempfängern im öffentlichen Dienst nur alle zwei Monate eine Familienheimfahrt erstattet wird?
Die Reisebeihilfen für Familienheimfahrten sind zuletzt am 1. Januar 1960 verbessert worden, und zwar ist die Frist von drei auf zwei Monate verkürzt worden. Nun hat das Innenministerium ein neues Reisekostengesetz zur Beratung vorgelegt; ich glaube, daß in wenigen Wochen darüber entschieden wird. Das scheint mir der geometrische Ort zu sein, um notwendige Verbesserungen, soweit sie finanziell tragbar sind, vorzunehmen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Minister, ich würde Sie bitten, mir darüber Auskunft zu geben, ob ein Trennungsgeldempfänger, der, was bekanntlich normal ist, jede Woche oder alle 14 Tage zu seiner Frau und seinen Kindern fährt, wenigstens eine Beihilfe bekommt.
Das kann man in allgemeiner Form nicht sagen. Soviel Beihilfen gibt .es gar nicht, als daß man sie in einer allgemeinen Form 'unterbringen könnte.
Aber, Herr Minister, es gibt doch Sonderfälle.
Herr Kollege Strohmayr, Sie müssen eine Frage stellen. An sich haben Sie schon zwei Fragen gestellt.
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß es Sonderfälle gibt? Wir haben doch beispielsweise Trennungsgedempfänger, die 5- bis 800 km fahren müssen. Wenn sie nicht jede Woche, so aber doch alle 14 Tage nach Hause fahren, haben sie das Fahrgeld aus eigener Tasche aufzubringen. Ist ,es Ihre Auffassung, daß diese Tatsache mit Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes in Übereinstimmung zu bringen ist, wonach die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern ist? Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß hier irgend etwas getan werden 'muß, wenn ein Vater nur alle zwei Monate Gelegenheit hat, nach Hause zu kommen?
Ich nehme an, daß Sie bei der Beratung des Reisekostenrechts das Geeignete veranlassen werden.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Damit ist die Fragestunde abgeschlossen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7019
Vizepräsident Dr. DehlerAußerhalb der Tagesordnung gebe ich zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung das Wort Herrn Abgeordneten Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Vorwurf des Herrn Bundesarbeitsministers in der gestrigen Sitzung, daß der Vorsitzende des Ausschusses für. Sozialpolitik den Auftrag des Plenums, den Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Ausschuß beraten zu lassen, nicht durchgeführt habe, erkläre ich folgendes.
Erstens. Die Tagesordnungen des Ausschusses für Sozialpolitik werden nicht vom Vorsitzenden, sondern vom Ausschuß festgesetzt.
Zweitens. Der Ausschuß hat unverzüglich nach der Ausschußüberweisung mit den Beratungen der Regierungsvorlage begonnen. Nachdem in elf Ausschußsitzungen keine Klärung der wichtigsten Probleme der Krankenversicherungsreform erreicht werden konnte, hielten meine politischen Freunde und ich es für sinnvoll, erst einmal andere dringende Vorlagen zu beraten; inzwischen sollten die Regierungsparteien ihre Vorstellungen zu den Grundfragen des Entwurfs klären. Da ein entsprechender Antrag der SPD am 1. Oktober 1963 abgelehnt wurde, sahen wir uns nicht mehr in der Lage, am weiteren ersten Durchgang der Regierungsvorlage im Ausschuß teilzunehmen. Unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden, des Herrn Kollegen Horn, wurden die Ausschußberatungen im ersten I Durchgang fortgesetzt und am 12. Dezember 1963 abgeschlossen.
Drittens. In der folgenden Sitzung am 16. Januar 1964 hat der Ausschuß für Sozialpolitik eingehend die weitere Gestaltung der Ausschußarbeit beraten. Die Mehrheit beschloß, mit der zweiten Lesung des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Ausschuß erst zu beginnen, wenn Änderungsanträge der Fraktionen vorliegen. Bis dahin sollten andere Vorlagen beraten werden. Das ist geschehen.
Viertens. Seit dem 16. Januar 1964 hat keine Fraktion mehr einen Antrag gestellt, die Ausschußberatung des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes wieder aufzunehmen; auch sind dem Ausschuß keine Änderungsanträge der Fraktionen zugegangen. Heute habe ich an den Ausschuß für Sozialpolitik ausdrücklich die Frage gerichtet, ob ein Antrag gestellt werde, die Beratungen des Regierungsentwurfs zur Neuregelung der Krankenversicherung fortzusetzen. Kein Mitglied des Ausschusses hat dies beantragt.
Vielmehr beschloß der Ausschuß einmütig, andere ihm überwiesene Gesetzesvorlagen zu behandeln.
Bei dieser Sachlage muß ich den Vorwurf des Bundesarbeitsministers, Aufträge des Bundestages nicht erfüllt zu haben, entschieden zurückweisen.
Ich rufe den zusätzlich auf die Tageordnung gesetzten Punkt auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen (Drucksachen IV/2578, IV/2654).
Es liegt der Schriftliche Bericht des Herrn Abgeordneten Menke vor. Es ist beantragt: der Bundestag wolle beschließen, der Verordnung zuzustimmen. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Spar-Prämiengesetzes, des Wohnungsbau-Prämiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksache IV/2400) ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/2617).
Sie, Frau Funcke, haben das Wort zur Ergänzung Ihres Berichtes.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nur sehr ungern hat der Finanzausschuß die Beratung des Steueränderungsgesetzes, Drucksache IV/2400, und der zu der gleichen Materie dem Bundestag bereits vorliegenden Gesetzentwürfe und Anträge unterteilt. Nur sehr ungern legt er dem Hohen Hause heute nur einen Teilbericht vor. Er hätte lieber die Vorlage in ihrer Gesamtheit beraten und dem Hause einen zusammenhängenden Bericht unterbreitet; aber er befand sich bei Beginn der Beratungen in einem Dilemma. Einerseits mußten nicht nur aus verwaltungstechnischen Gründen, sondern sollten auch im Interesse der Steuerpflichtigen der Steuertarif und die Freibeträge in der Lohnsteuer sowie wichtige Bestimmungen für die Disposition, soweit sie von der Einkommensteuer berührt sind, frühzeitig genug vor dem Inkrafttreten des Steuergesetzes festliegen. Die Steuerpflichtigen, die Finanzämter und nicht zuletzt die Arbeitgeber, die die Lohnsteuer für die Finanzämter einbehalten, müssen sich ja rechtzeitig auf die Änderungen einstellen können.Andererseits waren außer dem Regierungsentwurf zum Steueränderungsgesetz 1964 noch zahlreiche Gesetzentwürfe und Fraktions- oder Abgeordnetenanträge zu beraten, die zum Teil seit zwei Jahren dem Hause vorlagen und bis zur Beratung des Steueränderungsgesetzes zurückgestellt worden waren. Nicht zuletzt fühlte sich der Finanzausschuß auch verpflichtet, die zahlreichen Anregungen und Änderungsanträge aus der Öffentlichkeit, die ihm zugegangen waren, in die Beratung einzuschließen.In dieser Lage beschloß der Finanzausschuß, die gesamte Materie zu unterteilen und zunächst alle
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7020 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Frau Funcke
Bestimmungen zur Lohnsteuer und zum Einkommensteuertarif vorzuziehen, weil sie für das Lohnabzugsverfahren vom 1. Januar an und für die Einkommensteuervorauszahlung im ersten Vierteljahr 1965 rechtzeitig bekannt sein müssen. Außerdem sollten noch alle die Paragraphen in den ersten Teil einbezogen werden, die entweder wegen allgemeiner Übereinstimmung oder wegen leichter Klärung der Probleme verhältnismäßig schnell zu entscheiden waren oder wo aus volkswirtschaftlichen oder gesundheitspolitischen Gründen eine schnelle Verabschiedung geboten erschien.Dem Finanzausschuß und den mitbeteiligten Ausschüssen — es waren der Wirtschaftsausschuß, der Mittelstandsausschuß, der Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und der Haushaltsausschuß — stand insgesamt nur eine sehr kurze Zeitspanne zur Verfügung. Zu erreichen, daß trotzdem ein recht großer Teil der Vorschläge des Einkommensteuergesetzes im vorliegenden Bericht enthalten ist, war nur möglich, weil einmal der Finanzausschuß seine Beratungen bereits vor Abschluß der Parlamentsferien begann, weil alle Mitglieder des Ausschusses gemeinsam die Eilbedürftigkeit anerkannten, weil sich die mitbeteiligten Ausschüsse dem Zeitplan verständnisvoll anpaßten, weil der Vorsitzende ,des Ausschusses, Herr Dr. Schmidt, unablässig und hartnäckig mahnte und weil uns nicht zuletzt die Vertreter der Ministerien, besonders des Finanzministeriums, laufend mit viel Material versorgten und uns bei Änderungswünschen Zahlenangaben und Formulierungshilfen in oft sehr I kurzer Zeit zur Verfügung stellten. Allen, die uns bei der Arbeit halfen, sei an dieser Stelle herzlich Dank gesagt.
Zu den Änderungen gehört in erster Linie die Herabsetzung des Tarifes. Hier standen dem Regierungsentwurf verschiedene Vorschläge gegenüber. Ein Entwurf der Fraktion der SPD zielte darauf ab, den Grundfreibetrag von 1680 DM auf 1920 DM zu erhöhen, dafür aber den Prozentsatz bei der Proportionalzone auf 20 % zu belassen. Andere Überlegungen gingen dahin, den Tarifentwurf der Regierung mit dem Steuersatz von 19 % in der Proportionalzone zu bestätigen, jedoch entweder den Grundfreibetrag von 1680 DM auf 1800 DM oder den Arbeitnehmerfreibetrag von 120 DM auf 240 DM zu erhöhen. Außerdem lag noch ein abweichender Beschluß des Mittelstandsausschusses vor. Der Finanzausschuß beschloß, den Arbeitnehmerfreibetrag auf 240 DM gegenüber 120 DM der Regierungsvorlage zu erhöhen, im übrigen aber dem Tarifvorschlag der Regierung zu folgen.Eine zweite Frage, die bereits durch einen früheren Antrag der SPD angerührt war, betraf die Erhöhung der Sonderausgabenpauschale, die der Regierungsentwurf mit 300 DM vorgesehen hat. Der Ausschuß war sich einmütig darüber klar, daß auch diese Regelung nicht erheblich dazu beitragen würde, die besonders große Zahl von Anträgen bei den Finanzämtern auf Eintragung eines erhöhten Freibetrages in die Lohnsteuerkarte herabzusetzen, und hat sich daher eingehender mit der Frage beschäftigt, ob es nicht möglich ist, die gesamten Sozialversicherungsbeträge und entsprechende Beträge überhaupt steuerfrei zu stellen und dafür den Sonderausgabenpauschbetrag entsprechend zu senken. Mit dem Antrag des Ausschusses, den ich zum Schluß verlesen will, liegt ein Entschließungsantrag vor, die Regierung zu bitten, hier noch eingehendere Prüfungen für eine Regelung ab 1966 anzustellen, da eine Fixierung in der Kürze der Zeit nicht möglich war und auch eine Umstellung für die Wirtschaft in der 'kurzen zur Verfügung stehenden Zeit bis zum 1. Januar 1965 nicht zumutbar wäre.Ein der Erhöhung der Sonderausgabenpauschale verwandter Antrag wurde vom Ausschuß angenommen, nämlich die Höchstbeträge für die private Altersversorge, die bisher auf zusätzlich 500 DM pro Steuerpflichtigen und 1000 DM pro Ehepaar festgelegt waren, auf das Doppelte zu erhöhen, um der privaten Altersvorsorge in vorbesagtem Maße Möglichkeiten zu eröffnen.In der Frage des Ausbildungsfreibetrages stellte der Ausschuß fest, daß die an sich wünschenswerte Tendenz, nämlich die weiterführende Ausbildung der Kinder über das schulpflichtige Alter hinaus in weiterführenden Schulen oder in Fachschulen, Universitäten und Hochschulen zu erleichtern, durch die Gewährung eines Steuerfreibetrages von 720 DM nur einen bedingten Effekt hätte. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil der somit zu Begünstigenden würde daraus keinen Vorteil ziehen, weil er sowieso nicht in der Steuerzone liegt, und außerdem würde eine ungleichmäßige Begünstigung erreicht. Der Ausschuß hat daher diese Bestimmung des Regierungsentwurfes in der Erwartung gestrichen, daß über einen anderen gesetzlichen Weg eine Direktzahlung für den betroffenen Personenkreis erreicht wird.Weiterhin beschloß der Ausschuß außerhalb der Regierungsvorlage eine Erhöhung der Grenzen für die geringwertigen Wirtschaftsgüter von 600 auf 800 DM.lm Bereich des § 6 b, der eine Übertragung stiller Reserven auf bestimmte Wirtschaftsgüter vorsieht, eine Maßnahme, die von der Regierung zur Rationalisierung und zur Stadtsanierung im Sinne der Raumordnung vorgeschlagen wurde, hat der Ausschuß verschiedene Fragen behandelt. Zunächst war zu entscheiden, ob diese Bestimmung mit in den ersten Teil des Gesetzes hineingenommen werden sollte. Der Ausschuß hat die von dem Bundesrat vorgeschlagene rückwirkende Kraft um ein Jahr und die von der Bundesregierung vorgesehene Rückübertragung auf Anlagen des Vorjahres gestrichen, damit also die Rückwirkung aufgehoben. Andererseits glaubte er aber, daß zu einer rechtzeitigen Disposition bei größeren Transaktionen eine rechtzeitige Verabschiedung wichtig sei. Er hat daher diese Bestimmungen in den ersten Teil des Gesetzes eingeschlossen.Verbessert wurde der Entwurf einmal im Sinne der Steuerpflichtigen in der Landwirtschaft, dadurch, daß die Veräußerung von lebendem Vieh bei Betriebsumstellungen in die Begünstigung hereingenommen wurde, obwohl der Ausschuß ansonsten
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Frau Funcke
an der Bestimmung festgehalten hat, Mobilien beim Verkauf nur dann in die Begünstigung einzubeziehen, wenn ihre Lebensdauer normalerweise mindestens 25 Jahre beträgt.Weiterhin war im Ausschuß vorgeschlagen worden, die Bestimmung betreffend die Übertragung der stillen Reserven zeitlich zu begrenzen, um zunächst einmal eine Übersicht über die Auswirkungen zu bekommen. Die Mehrheit im Ausschuß war jedoch der Meinung, es könne ungünstige Folgen haben, wenn man einen Endtermin festsetze; denn vor Ablauf der Frist könnte es dann leicht zu Kurzschlußhandlungen oder verfrühten und nicht ganz ausgereiften Kauf- oder Verkaufsverträgen kommen.Ebenfalls hereingenommen in die Beratung des ersten Teils hat der Ausschuß die Ausweitung und Verbesserung der Sonderabschreibungen nach § 51. Das war möglich geworden, weil die Beratungen so zügig fortgeschritten waren, daß auch diese nicht immer ganz leichten Bestimmungen durchberaten werden konnten. Dabei hat uns der Gedanke geleitet, daß es sich hier — z. B. bei der Forschung oder der Abwässerbeseitigung, der Luftreinhaltung, der Lärmbekämpfung — um Fragen handelt, die volkswirtschaftlich oder gesundheitspolitisch wichtig sind und deren Regelung daher denjenigen, die dafür Anlagen zu erstellen haben, doch möglichst frühzeitig bekannt sein sollte. Die jetzt vorliegende Fassung dieses Paragraphen, die wiederum zusätzliche Wünsche im Bereich der Landwirtschaft dahingehend berücksichtigt, daß auch Zuschüsse zu Gemeinschaftsanlagen abschreibungsfähig gemacht werden, und die auch Verbesserungen im Wohnungsbau dadurch bringt, daß Kanalisationsanschlüsse in die Sonderabschreibungen für den Althausbesitz einbezogen werden, ist noch nicht zwingend die endgültige. Wir haben einzelne Anträge, die aus der Öffentlichkeit kamen, zurückstellen müssen, weil ihre Auswirkungen und ihre Fixierung nicht absolut klar waren; sie sollen aber trotz Verabschiedung des § 51 in der jetzigen Form nachträglich noch einmal überarbeitet und gegebenenfalls eingearbeitet werden.Und schließlich, um, wenn auch nicht erschöpfend, so doch wenigstens über einige Punkte zu berichten, darf ich bemerken, daß der vorliegende Gesetzentwurf auch . die Frage aufgegriffen hat, wie es mit der Steuerfreigrenze bei landwirtschaftlichen Erträgnissen ist, wenn die Arbeitnehmer die Landwirtschaft im Nebenberuf betreiben. Hier lag ein Antrag der SPD vor, der umgearbeitet nunmehr dazu geführt hat, daß man die Obergrenze des Einkommens, bis zu der ein Freibetrag von 1000 DM gewährt wird, auf das landwirtschaftliche Einkommen begrenzt. Es verbleibt unter diesen Voraussetzungen bei dem Betrag von 6000 DM.Meine Herren und Damen, ich möchte nicht alle Einzelheiten des Gesetzes vortragen; ich verweise auf den Schriftlichen Bericht. Doch möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß das, was in diesem ersten Teil beraten ist, einen großen Teil — materiell fast den vollen Umfang — des Steueränderungsgesetzentwurfs umfaßt. Die Bundesregierung hat für ihren Entwurf einen Steuerausfall von rund 2,7 Milliarden DM berechnet. Diese Ausfälle sind durch die Beschlüsse des Finanzausschusses in der vorliegenden Fassung um weitere 420 Millionen DM erhöht worden.Um den Gesamtumfang auch der künftigen Beratungen vor Augen zu führen, darf ich sagen, was noch vor uns liegt. Zu beraten sind einmal zusätzliche Wünsche und Anregungen zu den hier bereits geregelten Materien; zu nennen sind etwa Erweiterungen des § 51 im Bereich der Wasserwirtschaft. Dann stehen völlig neue Problemkreise aus dem Regierungsentwurf 'für die zweite Regelung zur Beratung an. Das sind einmal die Frage der Sparförderung, weiterhin Verbesserungen bei der Versteuerung von Veräußerungsgegewinnen gemäß den §§ 14 bis 16 des Einkommensteuergesetzes. Zu nennen sind ferner die allerdings nicht sehr umfängliche Materie der Aufhebung der Süßstoffsteuer sowie einige andere Dinge.Von den Anträgen und Gesetzentwürfen aus den Reihen dieses Hohen Hauses stehen noch folgende Probleme an: die Frage der Steuervergünstigung für Ausbildungskosten des Steuerpflichtigen selbst, weiter die Teilfreistellung von der Steuer bei Beamtenpensionen sowie die Freistellung von Zahlungen an Arbeitnehmer bei Stillegungen im Bergbau, die Frage der Steuerfreiheit für Überstundenlöhne wie auch die Frage eines generellen Steuerfreibetrags für Familien mit erschwerter Haushaltsführung, wozu dem Haus ebenfalls ein Antrag vorliegt, 'und noch manche Einzelfrage, die ich aus Zeitgründen jetzt im einzelnen nicht anführen kann.Der Finanzausschuß legt dem Haus mit dem Bericht folgenden Antrag vor:Der Bundestag wolle beschließen,1. den Gesetzentwurf — Drucksachen IV/2400, IV/721, IV/1568 und IV/2104 — in der anliegenden Fassung anzunehmen;2. folgendem Entschließungsantrag zuzustimmen:Die Bundesregierung wird ersucht,zu prüfen, ob vom Kalenderjahr 1966 an die Besteuerung der Arbeitnehmer dadurch vereinfacht werden kann, daß der Vorwegabzug der Sozialversicherungspflichtbeiträge durch die Arbeitgeber ohne Eintragung auf der Lohnsteuerkarte zugelassen wird;3. die eingegangenen Petitionen fürerledigt zu erklären.Ich bitte namens des Finanzausschusses, diesem Antrag .zuzustimmen.
Ich danke für die Berichterstattung.Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf Art. 1 Nr. 1 — Nr. 2. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
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7022 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. DehlerIch rufe auf Art. 1 Nr. 3. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 509*) vor. Es handelt sich um die Ziffer 1 dieses Umdrucks. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion stellt den Antrag auf eine Befristung der Bestimmungen des § 6 b, und zwar bis zum 31. Dezember 1969.In der Begründung des Gesetzentwurfs Drucksache IV/2400 wird auf Seite 46 folgendes ausgeführt:Die ökonomisch sinnvolle Anpassung der Wirtschaft an strukturelle Veränderungen produktionstechnischer, verteilungswirtschaftlicher und regionaler Art wird gegenwärtig dadurch erschwert, daß bei der Veräußerung von Anlagegütern wegen der zumeist niedrigen Buchwerte oftmals hohe Veräußerungsgewinne entstehen, die der Gewinnbesteuerung unterliegen.Das gilt vor allem bei der Veräußerung von Grund und Boden, bei der durch den starken Anstieg der Verkehrswerte die Unterschiede zu den Buchwerten besonders kraß in Erscheinung treten.Soweit der Wortlaut. In der weiteren Begründung wird darauf hingewiesen, daß die Maßnahmen besonders zur Rationalisierung und Modernisierung der Betriebe dienen sollen. Später wird dann gesagt, daß ökonomisch erwünschte Anpassungsprozesse im Wirtschaftsleben nicht durch steuerliche Bestimmungen behindert werden sollen.So weit, so gut. Wir erkennen auch an, daß es z. B. Wald, Grund und Boden und Gebäude gibt, bei deren Verkauf ein Wertzuwachs entsteht, der dann bis zur Hälfte weggesteuert werden muß. So unterbleibt zum großen Teil der Verkauf, und das Grundstück wird damit weder bebaut noch zu irgendeinem anderen Zweck verwendet.Die gleiche Überlegung gilt aber nicht, wenn man an die weitere Bestimmung, nämlich an die beweglichen Wirtschaftsgüter mit einer 25jährigen Nutzungsdauer denkt, vor allem nicht, wenn man gleichzeitig berücksichtigt, daß Wirtschaftsgüter mit 25jähriger Nutzungsdauer bei Klein- und mittleren Betrieben kaum vorhanden sind.Man muß hier also erst einmal feststellen, daß diese Bestimmung in erster Linie für Großbetriebe Gültigkeit hat. Wir haben im Ausschuß zwar nach neuen Formulierungen gesucht. Es wurde jedoch mit Mehrheit beschlossen, dies im zweiten Teil erneut zu diskutieren.Wir haben aber weitere Bedenken im Zusammenhang mit dem Abs. 5 des § 6, der die Anteile an Kapitalgesellschaften betrifft. Sicher hat der Wirtschaftsausschuß durch die von ihm vorgeschlagene Ergänzung versucht, wenigstens die Kriterien festzulegen, nach denen eine volkswirtschaftliche Prüfung erfolgen kann. Diese Bestimmung ist in das Gesetz übernommen worden. Es heißt hier, daß der Verkauf solcher Anteile volkswirtschaftlich beson-*)Siehe Anlage 2ders förderungswürdig und geeignet sein muß, entweder die Unternehmensstruktur eines Wirtschaftszweiges zu verbessern oder einer breiten Eigentumsstreuung zu dienen Das ist sicher eine wesentliche Einengung und Verbesserung. Trotzdem bleibt bestehen, daß das Wirtschaftsministerium uns. bei der Diskussion sehr deutlich gesagt hat, daß mit an fünf bis sechs Großbetriebe gedacht wird. Diese Maßnahme beschränkt sich also auch auf einige wenige.Durch all diese Darlegungen ist deutlich geworden, daß eine Fülle von Bedenken offenbleibt. Wir wollen mehr Klarheit und haben uns deshalb im Ausschuß dafür ausgesprochen, daß diese Probleme noch einmal im Zusammenhang mit dem zweiten Teil diskutiert werden. Wir hatten dazu um so mehr Veranlassung, als auch der Bundesrat Bedenken erhoben hat, daß nun durch den Bund eine solche Prüfung erfolgt. Bis heute ist zumindest nicht sicher, ob nicht noch wegen des § 6 b der Vermittlungsausschuß angerufen wird.Meine Damen und Herren, bei all diesen Gesichtspunkten werden Sie verstehen, daß wir zumindest die Frage aufwerfen, warum sie es eigentlich so eilig hatten, den § 6 b noch im ersten Teil zu verabschieden. Es sah teilweise so aus, als ob sich die Koalition Bereitfinden würde, ihn in den zweiten Teil zu verlegen. In letzter Minute ist es dann zu einer Mehrheitsentscheidung gekommen, und der § 6 b wurde noch im ersten Teil verabschiedet.Noch eine letzte Bemerkung bezüglich des § 6 b: Wir anerkennen, daß es durchaus vorkommen kann, daß der § 6 b auch in Zukunft noch einmal gewisse Bedeutung hat, und zwar im Zusammenhang mit unseren Raumordnungsgesetzen. Aber was hindert uns, dann dieses ganze Problem erneut zu überprüfen?Sie wissen mit mir, wie viele Steuerprivilegien heute in unseren Steuergesetzen enthalten sind und wie viele davon heute bestimmt nicht mehr als zeitgemäß angesprochen werden können. Wir wären froh, wir könnten einmal eine wirkliche Durchforstung vornehmen und viele dieser Privilegien abbauen. Heute will man nun ein völlig neues Privileg schaffen. Wir glauben, daß es nicht sinnvoll ist, dieses Privileg wieder unbefristet in das Gesetz hineinzunehmen, auch wenn Bedenken im Ausschuß kamen, daß in den fünf Jahren, für die es begrenzt würde, ein sehr starker Druck, der konjunkturpolitisch nicht wünschenswert sein könnte, erfolgen kann. Ich glaube, dieser Druck wird ohnehin erfolgen. Meine Damen und Herren, wenn Sie so großen Wert darauf legen, daß dieses Privileg im ersten Teil verabschiedet wird, dann wird schon dadurch deutlich, daß in den Interessentengruppen ein großer Drang besteht und man aus diesem Grunde Wert darauf legt, es bereits jetzt im ersten Teil des Steueränderungsgesetzes verabschiedet zu sehen.Wir meinen also, unter all diesen Gesichtspunkten sollten auch Sie, meinen Damen und Herren der CDU und FDP, sich überlegen, ob nicht eine Befristung für fünf Jahre bis zum 31. Dezember 1969
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Frau Beyer
in das Gesetz aufgenommen werden sollte, und damit wenigstens die Möglichkeit zu geben, vor diesem Zeitpunkt erneut zu dem ganzen Fragenkomplex Stellung nehmen zu können.Ich darf Sie bitten, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir möchten das Haus bitten, dem Antrag nicht stattzugeben. Schon die Berichterstatterin hat in ihren Ausführungen vorhin darauf hingewiesen, daß im Ausschuß sehr eingehend geprüft worden ist, ob dieser Fristverlängerung stattgegeben werden sollte. Der Ausschuß hat das abgelehnt, und zwar aus folgenden Gründen. Wenn auch jetzt noch nicht in vollem Umfang zu übersehen ist, wie die Auswirkungen dieser Gewinnermittlungsvorschriften sein werden, weil jede Frist zumindest vor ihrem Ablauf zu übereilten Beschlüssen anreizen kann, so sind wir doch der Meinung, daß man keine Frist setzen sollte, um Zeit zur Überlegung zu geben, wie man disponieren will usw. Denn jede Befristung behindert auch die Entschlußfreiheit des Gesetzgebers, indem sie die Aufhebung oder Änderung der Vorschrift vor Ablauf der Frist erschwert, weil jede vorzeitige Aufhebung oder Änderung den Vorwurf eines Verstoßes gegen Treu und Glauben hervorrufen würde. Die noch nicht zu übersehenden Auswirkungen sprechen daher unseres Erachtens gerade gegen eine Befristung.
Wir waren uns aber im Ausschuß völlig einig darüber, daß die Frage der Einbeziehung der nichtbuchführenden Betriebe genau geprüft werden soll, und der Ausschuß wird wohl auch zu der Auffassung kommen, daß die nichtbuchführenden Betriebe einbezogen werden sollen. Gerade wegen der Schwierigkeiten, die bei dieser Frage auftauchten, ergab sich die Notwendigkeit, dies im zweiten Teil der Beratungen noch einmal besonders zu prüfen.
Wir meinen, daß eine Befristung gerade hier, wo es sich um schwerwiegende Entscheidungen handelt, die einzelnen Betriebe vielleicht zu übereilten Entschlüssen verführen könnte oder sie sogar von solchen Entschlüssen abhalten könnte. Das liegt nicht im Sinne der Einführung dieser Gesetzesvorschrift. Wir betreten mit dieser Gesetzesvorschrift Neuland, und man braucht eben eine gewisse Zeit zur Überprüfung, ohne daß man aber eine Frist einzusetzen braucht.
Wir bitten daher, den Antrag abzulehnen. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir sind der Ansicht, daß in den § 6 b eine Frist bis zum 31. Dezember 1969 nicht eingefügt werden sollte. Einmal begegnet eine solche Frist betriebswirtschaftlichen Bedenken, weil naturgemäß durch Fristen dieser Art Unternehmen veranlaßt werden können, Investitionen durchzuführen, die durchaus nicht dem Sinn des § 6 b entsprechen, nämlich Maßnahmen der Rationalisierung, der Raumplanung, einer vernünftigen Standortpolitik in der gesamten gewerblichen Wirtschaft, der großen, der mittleren und der kleinen, zu fördern. Jeder, der auf diesem Gebiet tätig ist, weiß, wie sehr auch die mittleren und kleinen Unternehmen an einer solchen Vorschrift interessiert sind, die ja nicht so neuartig ist, sehr verehrte Frau Kollegin, wie Sie vielleicht vorausgesetzt haben. Ich darf nur kurz auf die Wurzeln dieser Vorschrift in der deutschen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs verweisen.Wichtiger ist der Hinweis darauf, daß es in allen EWG-Ländern mit Ausnahme Italiens gleichartige Vorschriften gibt, die im Interesse der Strukturordnung der Wirtschaft zum Teil wesentlich über das hinausgehen, was im § 6 b vorgesehen ist. In den EWG-Ländern sind ungünstige Erfahrungen mit den entsprechenden Vorschriften nicht gemacht worden. Darüber hinaus ist es aber von Interesse, festzustellen, daß z. B. England, Kanada und das in der vorigen Woche hier so viel beredete Schweden wesentlich weitergehende Bestimmungen getroffen haben, daß sie nämlich die Veräußerung von Anlagegütern grundsätzlich überhaupt steuerfrei lassen, wenn eine gewisse Mindestbesitzdauer im Betrieb gewährleistet ist, und zwar interessanterweise in England, Kanada und Schweden für Wertpapiere eine Mindestbesitzdauer von zwei bis fünf Jahren.Wenn Sie nun insbesondere zu den Fragen der langlebigen Wirtschaftsgüter, derjenigen, die über 25 Jahre dem Betrieb zu dienen bestimmt sind, Stellung genommen haben, so wird man dazu doch sagen müssen, daß diese lange Besitzdauer, die Absicht, das Anlagegut über zwei Jahrzehnte dem Unternehmen dienstbar sein zu lassen, nicht nur einen Mißbrauch in der von Ihnen gekennzeichneten Richtung grundsätzlich ausschließt, sondern daß es sich gerade hier sehr oft um Gebrauchsgegenstände, um Bearbeitungsgeräte — Silos und dergleichen mehr — handelt, die keineswegs im Dienste der Großwirtschaft stehen. Außerdem müssen wir aber selbstverständlich ein Interesse daran haben, gerade die Versorgungsgroßwirtschaft, an der Sie doch sehr interessiert sind, mit ihren langlebigen Anlagen im Sinne einer rationellen Struktur zu fördern.Darauf wollte ich in Ergänzung der Ausführungen des Kollegen Imle nur ganz kurz aufmerksam machen. Im übrigen teile ich den von ihm vertretenen Standpunkt, daß man in solche Bestimmungen von grundsätzlicher Bedeutung keine Fristen einsetzen sollte, weil sie nicht geeignet sind, der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz zu dienen, sondern lediglich Ungewißheiten hervorrufen, die unter Umständen für den kleinen und mittleren Betrieb unerträglich sein müssen. Selbstverständlich, verehrte Frau Kollegin Beyer, ist es unser aller Verpflichtung, insbesondere der Mitglieder des Finanzausschusses,
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Dr. Imledarüber zu wachen und die Frage zu prüfen, wie sich wichtige von uns beschlossene Vorschriften auswirken. Das ist eine Selbstverständlichkeit, und zu gegebener Zeit wird das Bundesfinanzministerium im eigensten Interesse auch von sich aus an den Finanzausschuß herantreten. Auch die Länderverwaltungen haben dieses Interesse. Dann werden wir diese Fragen prüfen müssen, ohne daß wir uns einer Selbstbindung unterwerfen. Ich glaube, daß die Auswirkungen dieser strukturpolitischen und rationalisierungspolitischen Maßnahmen sich durchaus auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft im großen und im kleinen erstrecken werden.Ich bitte Sie daher, von einer solchen Fristsetzung abzusehen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Bemerkungen machen, und zwar zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Imle und von Herrn Dr. Eckhardt.
Herr Dr. Eckhardt , Sie haben wieder ganz besonders auf die mittleren und kleinen Betriebe hingewiesen. Wir sollten doch hier nicht immer wieder versuchen, Stimmen zu fangen. Sie müssen doch mit mir darin übereinstimmen, daß die Kleinbetriebe nur ganz geringe Möglichkeiten der Anwendung haben.
— Nein, nein, bei allen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die in dieser Beziehung getroffen werden, wird immer wieder der kleine und mittlere Betrieb in den Vordergrund gestellt. In Wirklichkeit haben wir doch vom Ministerium eindeutige Hinweise darauf bekommen, daß eine Anzahl dieser neuen Steuervergünstigungen ausschließlich für die großen Betriebe in Frage kommt.
Nehmen wir doch einmal die kleinen und mittleren Betriebe in bezug auf ihr Anlagekapital. Diese können vielleicht einmal ein Haus oder Grundstück haben, das sie verkaufen wollen und können.
— Schön, das können sie aber auch in diesen fünf Jahren machen. Ich sage Ihnen ja, daß auch wir nach fünf Jahren unter Umständen überlegen werden, ob auf Grund des Strukturprogramms oder der Raumordnungsgesetze neue Betrachtungen notwendig sind. Aber die Großbetriebe können doch diese Maßnahme laufend anwenden und können damit manipulieren. Darauf kommt es schließlich an, daß wir hier nicht eine gewisse Begrenzung einführen.
Herr Dr. I m 1 e , Sie meinten nun, wir hätten dann keine Möglichkeit mehr, vor Ablauf der fünf Jahre etwas zu ändern. Sie widersprechen sich eigentlich in Ihren Ausführungen; denn Sie denken ja gar nicht daran, vorher etwas zu ändern, zumal ja das Ministerium uns bei der Beratung gesagt hat, daß man mindestens fünf Jahre brauche, um eine gewisse Ubersicht zu bekommen und entscheiden zu können, ob die Maßnahme weiter gültig bleiben soll, ob sie verbesserungsbedürftig ist oder ob man sie wieder beseitigen muß. Mit anderen Worten, hier liegt ein Widerspruch. Es hat sicher gar keinen Zweck mehr, darüber zu reden. Sie sind in der Koalition festgelegt und wollen diese Bestimmung verabschieden. Das hat sich ja auch in den letzten Stunden der Beratung gezeigt. Deswegen will ich dazu nichts weiter sagen.
Mir kam es nur auf diese Klarstellung an, und ich bitte Sie, nun zu entscheiden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Beyer, der entscheidende Gesichtspunkt ist folgender. Wenn wir diese Maßnahme befristen, begründen wir einen Besitzstand, den wir in einer Frist von fünf Jahren nicht mehr verändern können. Wir befinden uns — das gebe ich Ihnen zu — auf einem Experimentierfeld, das allerdings viel, viel größer ist, als Sie annehmen, wenn Sie von fünf bis sechs Betrieben sprechen.
— Fünf bis sechs Großbetriebe, haben Sie von dieser Stelle aus gesagt.
Wir behalten uns vor, bereits im nächsten oder übernächsten Jahr — wenn wir feststellen, daß hier spekulative Mißbräuche getrieben werden sollten — einzugreifen, sei es, um es zu ändern, sei es, um es möglicherweise abzuschaffen. Wir wollen aber in den nächsten fünf Jahren keinen Besitzstand zugunsten irgendeiner Stelle schaffen.
Frau Beyer, der Satz ging jetzt erst zu Ende. Ich konnte Ihnen das Wort nicht eher geben. Wenn Sie aber das Wort ergreifen wollen, bitte!
Herr Dr. Schmidt, ich wollte Ihnen eine Frage stellen; leider sind Sie vom Rednerpult weggegangen. Die Frage war: Wollen Sie wenigstens zugeben, daß das Wirtschaftsministerium im Zusammenhang mit den Anteilen für Kapitalgesellschaften — Abs. 5 — gesagt hat, daß hier nur an einige wenige Großbetriebe gedacht ist?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Frau Beyer, die Ministerien nahmen durchaus eine verschiedene Haltung ein. Herr Ministerialdirigent Thiel vom nordrhein-westfälischen Finanzministerium hat uns
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Dr. Schmidt
ausführlich dargelegt, wie groß die Zahl von Fällen ist, die hier möglicherweise in Zukunft angesprochen werden könnten.
Jetzt liegen wohl wirklich keine Wortmeldungen mehr vor? — Damit kommen wir zur Abstimmung. Es geht um die Ziffer 1 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 509. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über Nr. 3 des Entwurfs in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; Nr. 3 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf die Nrn. 4 bis 20, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wird zu einer dieser Nummern das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Beuster!
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— Nein, ich spreche hier vom Tarif.
— Gerade Sie, Herr Kollege Schmidt wissen, daß unabhängig vom Arbeitnehmerfreibetrag die beiden Konzeptionen, die sich hier gegenüberstehen, im Rahmen der für die Tarifverbesserung selbst gegebenen Möglichkeiten durchaus zu verwirklichen sind. Das wissen Sie doch ganz genau.Die Regierungsvorlage bietet einem Verheirateten mit 4000 DM Jahreseinkommen eine Verbesserung von 6 DM im Jahre, von 50 Pf im Monat an; das geht ja schon bei der Abrundung verloren. Sie bietet den Einkommen, insbesondere den Einkommen der Verheirateten, bis zu 5000 oder 6000 DM jährlich praktisch überhaupt nichts an. Sie bringt durch diesen Tarif keinen einzigen aus der Steuerpflicht heraus. Die Behandlung der Verheirateten und der Ledigen in dieser Konstruktion ist nun wirklich das Gegenteil einer vertretbaren Familienpolitik in diesem wichtigsten Teil der Besteuerung, in diesem außerdem vollständig überbesteuerten Bereich. Ich gebe Ihnen die Zahlen: 4000 DM Jahreseinkommen, Unverheirateter: 24 DM Entlastung im Jahre, Verheirateter: 6 DM Entlastung im Jahre. 6000 DM Jahreseinkommen, Unverheirateter: 44 DM weniger Steuern im Jahr, Verheirateter: 28 DM weniger Steuern im Jahr; 8000 DM Jahreseinkommen, Unverheirateter: 64 DM weniger Steuern im Jahr, Verheirateter: 48 DM weniger Steuern im Jahr. Ich gebe Ihnen noch eine Zahl für das Einkommen von 10 000 DM. Das ist allerdings etwas komplizierter, weil der Unverheiratete in diesem Falle bereits in der Progressionszone ist und der Verheiratete noch in der Proportionalzone. Für ein Einkommen von 10 000 DM werden nach dem Regierungsvorschlag dem Unverheirateten 207 DM weniger Steuern im Jahre angeboten, dem Verheirateten 66 DM. Meine Damen und Herren, halten Sie das für eine irgendwie vertretbare Entlastungspolitik in diesem Bereich? Halten Sie das irgendwie für vertretbar mit irgendeinem Grundsatz der Familienpolitik?Das Bundesfinanzministerium wußte und weiß ganz genau, daß die Erhöhung der Freibeträge ein ganz unverzichtbares, notwendiges Mittel in dieser Situation ist. Es hat deswegen ja auch in seinem ursprünglichen Entwurf eine, wenn auch geringere Erhöhung dieser Freibeträge vorgesehen. Dieser Entwurf ist im Ausschuß bekannt, ist aber unter dem Zeitdruck des Verfahrens, wie vieles andere, nicht weiter durchdiskutiert worden. Es ist weiter bekannt, daß Sie diese — das kann das Bundesfinanzministerium jederzeit beweisen — unbedingt notwendige Maßnahme, also die Erhöhung der Freibeträge, zum Kaufpreis dafür hingegeben haben, daß der Arbeitnehmerfreibetrag eingeführt worden ist. Damit haben Sie doch den Arbeitnehmerfreibetrag in Ihren Entwurf hineingekauft. Das ist doch der Zusammenhang. Aber trotzdem kann man nicht darauf verzichten, die Freibeträge zu erhöhen.Wir, meine Damen und Herren, schlagen vor, daß in der Proportionalzone jedem Ledigen 48 DM, jedem Verheirateten 96 DM Steuer im Jahr nachgelassen werden. Damit kommt eine Million Steuerpflichtiger — Zahlen des Bundesfinanzministeriums —, von denen jeder nicht mehr als 96 DM im Jahr zahlt, also lauter Steuerfälle, die zu bearbeiten sich einfach gar nicht lohnt, aus der Steuer heraus. Das hat man 1958 gewollt. Das schien man durchgeführt zu haben. Man war sehr, sehr stolz auf derartige Effekte. Das ist alles wieder rückgängig gemacht worden. Sie wissen ganz genau, Sie sollten es jedenfalls wissen, was die Steuerbeamten zu der Situation sagen, so wie sie besteht. Ich meine, das wäre dann denn doch der Mühe wert: Eine Million Steuerpflichtige aus der Verwaltung heraus, von denen jeder nicht mehr als 96 DM im Jahr zahlt und dafür von der Verwaltung bearbeitet werden muß.Wir sind uns vollständig bewußt, daß wir, wenn wir auf die Ermäßigung des Proportionalsteuersatzes auf 19 % verzichten, obwohl auf diese überbesteuerte Proportionalzone dann 1030 Millionen statt 820 Millionen DM, also 210 Millionen DM Steuermehrentlastung entfallen, wobei ein größerer Teil, aber durchaus nicht der größte, auf die kleinsten Einkommen, von denen ein Teil aus der Steuerpflicht herausfällt, entfällt, und obwohl, was uns sehr wichtig erscheint, dann ein unverhältnismäßig größerer Anteil dieser Entlastung den Verheirateten zugute kommt anstatt, wie bei dem System der Re-
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Seuffertgierung, den Unverheirateten — wir sind uns bewußt, daß wir trotzdem mit einer solchen Konzeption bestimmten Einkommen am oberen Ende der Proportionalzone und wegen der Tücken, wegen der Zwangsläufigkeit der Kurvenformeln auch darüber hinaus etwas weniger anbieten als die Regierungsvorlage. Das sind Einkommen von 6400 DM bis 10 000 DM bei den Ledigen und von 12 800 DM bis 20 000 DM bei den Verheirateten. Die werden natürlich auch entlastet, aber sie werden etwas weniger entlastet als nach der Regierungskonzeption. Zum Beispiel würden Ledige bei einem Einkommen von 8000 DM nach unserer Vorstellung 48 DM Entlastung bekommen statt 64 DM, also 16 DM weniger. Allerdings würde das Einkommen von 8000 DM eines Verheirateten nach unserer Vorstellung eine Entlastung von 96 DM im Jahr bekommen anstatt 48 DM nach der Regierungskonzeption. Das halten wir nämlich für richtiger und wichtiger, das halten wir für wesentlich sinnvoller. Wir sprechen diese Zwangsläufigkeit ganz offen aus, ohne danach zu schielen, ob das irgendwo wegen der Jagd auf Wählerstimmen mal unbequem sein könnte,
eben zum Beweis dafür, daß wir im Gegensatz zu der Behauptung des Herrn Bundeskanzlers unsere Aufgabe nicht darin sehen, für möglichst viele immer möglichst viel zu fordern, sondern daß wir im Gegensatz zur Bundesregierung nicht auf eine bequeme, sondern auf eine richtige Lösung Wert legen. Wir beanspruchen, wir erwarten und wir vertrauen darauf, daß wir für diese Haltung auch Verständnis finden werden. Das ist also der Unterschied, das sind also die Auswirkungen von dem, was Sie für die Proportionalzone beschließen wollen: das ist die Gegenlösung, die genauso möglich wäre. Nun, meine Damen und Herren, zu den Angleichungen in der Progressionszone; das ist die Ziffer 2 unseres Tarifvorschlags. Hier handelt es sich um die Abtragung des Mittelstandsbauchs. Wir akzeptieren den Tarif der Regierung. Wir akzeptieren damit auch, daß die Entlastungsbeträge in diesem Bereich in die Hunderte von Mark gehen, während in der Proportionalzone die Entlastungsbeträge nur in die Zehner gehen. Das ist zwangsläufig, weil es sich hier um die Berichtigung eines an sich falsch angelegten Tarifteils handelt. Wir haben das bereits mit unserem Antrag auf Drucksache 1568 akzeptiert, obwohl das in den Versammlungen angesichts der in der Proportionalzone tatsächlich bestehenden Überbesteuerung manchmal gar nicht so leicht zu erklären ist. Wir haben das akzeptiert, und wir akzeptieren in der Ziffer 2 unseres Vorschlags den Regierungstarif in dieser Zone mit der zwangsläufigen Maßgabe, daß von unserer Konzeption für die Proportionalzone aus ein anderer Übergang in den Progressionstarif gesucht werden muß, woraus sich eine andere Formel ergibt.Die Regierungskurve wird bei dieser Formel bei der Einkommensstufe von 30 000 DM in der Grundtabelle und 60 000 DM in der Splittingtabelle endgültig erreicht. Wir verschweigen auch hier nicht, daß diese Abweichungen im Übergang dazu führen, daß den Steuerpflichtigen dieses Bereichs die zugedachten Entlastungsbeträge, bei denen es sich ja immer um einige hundert Mark im Jahr handelt, teilweise um etwa 20 oder 30 DM herum — bis etwa 50 Mark, vielleicht sogar in einigen Fällen ein weniges darüber — gekürzt werden. Wir halten das für verantwortbar und für vertretbar. Wir halten es für vertretbar, daß Steuerpflichtigen, die bei dieser Tarifkorrektur einige hundert Mark an Steuerentlastung erhalten und erhalten sollen — das ist auch unsere Ansicht —, zugemutet wird, daß sie nun um kleinere Zehnerbeträge weniger Entlastung bekommen, wenn dadurch so wesentliche Verbesserungen in der überbesteuerten Proportionalzone, dem größten und wichtigsten Bereich unseres ganzen Tarifs, ermöglicht und diese geradezu widersinnigen, diese familienpolitisch untragbaren Ergebnisse ver- mieden werden.Im übrigen könnte man diese Auswirkungen, die zwangsläufig mit der Rolle des Spitzensteuersatzes im Tarif zusammenhängen — wobei die Lage dadurch verwirrt ist, daß in der Grundsteuertabelle für dasselbe Einkommen ein ganz anderer Spitzensteuersatz gilt als in der Splittingtabelle —, wenn man sie wirklich für entscheidend hält, auch abmildern. Man könnte die Proportionalzone ausdehnen, etwa durch Festsetzung auf 10 000 DM für Ledige und 20 000 DM für Verheiratete, was früher oder später ohnehin geschehen muß. Man bekäme dann einen Tarif, von dem ein Fachmann wirklich sagen könnte: das ist ein vernünftiger Tarif. Wir haben nur deshalb davon abgesehen, diesen Antrag jetzt zu stellen, weil das Bundesfinanzministerium uns einen weiteren Steuerausfall von 150 Millionen DM ausgerechnet hat und weil wir diesen weiteren Betrag den Ländern jetzt nicht mehr zumuten möchten. Man könnte sich auch durch Tarifformeln näherkommen, die die Regierungskurve nicht erst bei Stufe 30 000 der Grundtabelle, sondern, wenn nicht bei 10 000 DM, so doch bei 15 000 DM erreichen. Das müßte möglich sein. Solche Korrekturen — darüber bin ich mit dem Bundesfinanzministerium einig — würden irgendeine Summe zwischen 50 Millionen und 100 Millionen DM — wahrscheinlich aber kaum mehr als 50 Millionen DM — erfordern. Das wäre doch noch drin. Hier stecken also noch Verhandlungsmöglichkeiten, die bei dem bedauerlichen Verfahren, zu dem wir bei der Beratung dieses Gesetzes gezwungen gewesen sind, natürlich nicht ausgeschöpft worden sind.Nachdem ich die Auswirkungen der Regierungsvorlage und unserer Konzeption auf die Steuerpflichtigen dargestellt habe, noch ein Wort zu den Auswirkungen auf den Haushalt. Der Unterschied zwischen der einen und der anderen Konzeption ist — Zahlen des Bundesfinanzministeriums —, daß unsere Konzeption insgesamt 100 Millionen DM — geschätzt — mehr erfordern würde. Meine Damen und Herren, das ist drin. Da kann man sogar noch etwas für einige Korrekturen des Mittelstandsbauches drauflegen. Das ist wirklich im Rahmen. Wenn das Bundesfinanzministerium dem Finanzausschuß erklärt hat, daß der Mehrausfall, den die einstimmigen Ausschußbeschlüsse gegenüber der Regierungsvorlage erfordern, per Saldo — Streichung des Ausbildungsfreibetrages, Arbeitnehmerfreibetrag dazu — etwa 400 Millionen DM,
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7030 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Seuffertjedenfalls aus dem Betrag gedeckt werden kann, um den die Steuereinnahmen, so wie sie bei der Verabschiedung des Haushalts 1965 zu berechnen sein werden, höher sein werden als die jetzt im Entwurf angeführten Steuereinnahmen, die aus den Steuerschätzungen Anfang 1964 stammen — sie werden aus einsichtigen und zwingenden Gründen höher sein —, dann bleiben die 100 Millionen DM — zusammen für Bund und Länder — für Maßnahmen, die unbestreitbare Verbesserungen mit sich bringen, noch im Rahmen. Dazu brauche ich wohl nichts weiter zu sagen.Der Herr Bundeskanzler hat sich hier in der letzten Woche dahin zu äußern beliebt, daß der Opposition nichts anderes einfalle, als immer für alle noch etwas mehr zu fordern, und daß sie seit Jahr und Tag dem Staat und der Gesellschaft ihren Beitrag schuldig bleibe. Diese Anwürfe sind offensichtlich unrichtig und haltlos. Sie erinnern an die übelsten Zeiten hemmungsloser Parteipolitik.
Sie mußten für uns sehr verletzend wirken und sind dazu geeignet, das Tischtuch für politische Gespräche zu zerschneiden. Jedenfalls haben sie schon sehr tiefe Risse in dieses Tischtuch gebracht. Wir sind uns bewußt, daß das, was auch immer wir in diesem Bundestag und auch sonst vorbringen und darlegen werden, den Herrn Bundeskanzler nicht hindern wird, solche Anwürfe zu wiederholen. Aber wir können das Gegenteil beweisen, und der Herr Bundeskanzler wird es zu spüren bekommen.Wir bitten um Annahme unseres Antrags.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Artzinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, Herr Kollege Seuffert, ob Sie Ihre letzten Sätze noch aufrechterhielten, wenn wir jetzt über die Anträge der SPD Drucksachen IV/1567 ff. zu sprechen hätten. Der Finanzausschuß hat diese Anträge in den zweiten Teil verwiesen. Wir wollen sie deshalb nicht zum Thema dieser Debatte machen. Bei der Lesung des zweiten Teils wird aber auf Ihre Apostrophe zurückzukommen sein.
Ich gebe Ihnen zu, daß der Tarifvorschlag der SPD durchaus überlegt und diskutabel ist. Seien Sie versichert — ,Sie haben uns freundlicherweise ein gewisses Sachverständnis bescheinigt daß wir in unserer Fraktion Ihren Vorschlag sehr gründlich erwogen und bedacht haben. Aber, Herr Kollege Seuffert, es ist nun einmal so, daß auch bei einer Steuersenkung — ich habe übrigens festgestellt, daß eine Steuersenkung fast genauso schwierig ist wie eine Steuererhöhung —
eben nicht alle Wünsche gleichzeitig befriedigt werden können.
Zum Gewicht dieser Reform! Sie sagen, das sei nur eine Korrektur. Entschuldigen Sie, Herr Kollege, 3,2 Milliarden DM sind, um mit meiner Großmutter zu reden, „manchem sein ganzes Geld".
Es ist weiß Gott mehr .als eine Korrektur.
Wir haben uns entschlossen, den Arbeitnehmerfreibetrag auf 240 DM festzusetzen und die Sonderausgabenpauschale zu erhöhen. Natürlich haben Sie recht: Wenn Sie nur den Tarif vergleichen, dann sieht ,es in der Tat so aus, wie Sie sagen, nur mit dem Schönheitsfehler den Sie ja auch zugegeben haben, daß bei den Ledigeneinkommen zwischen 6500 und 9000 bis 10 000 DM Ihr Tarif ungünstiger ist. Das sollte uns auch nicht kümmern. Man muß aber, da wir 24 Millionen Lohnsteuerpflichtige haben, vernünftigerweise und billigerweise den Arbeitnehmerfreibetrag und die Erhöhung der Sonderausgaabenpauschale zu den Tarifveränderungen hinzunehmen, und dann sieht die Sache ganz anders aus.Ich bin Ihnen dankbar für das Wort, ,das Sie gesagt haben: in der Proportionalzone sei der Tarif bis 20 % eindeutig überhöht.
Dann erkennen Sie aber, bitte, auch an, daß man mindestens einen Anfang macht, indem man 5 % von dieser Steuer einmal ,abbaut. Das kostet immerhin 820 Millionen DM.Herr Seuffert, Sie haben nicht erwähnt, daß durch Ihren Tarifvorschlag das Verhältnis der Steuersenkungsmassen zwischen Proportional- und Progressionszone zuungusten der Progressionszone verändert wird. Sie haben zwar erklärt — das will ich gerne zugeben —, daß Ihr Tarif in den Progressionsstufen .etwas ungünstiger sei. Aber lassen Sie mich die Zahl nennen: 110 Millionen DM gehen zu Lasten des Volumens der Steuersenkung in der Progressionszone. Erlauben Sie mir, ,daran zu erinnern: dieses Gesetz ist ja unter dem Motto „Abflachung des Mittelltandsbogens" geboren worden.
Dann muß man aber auch in der Progressionszone etwas 'zur Steuersenkung tun.Wir sind ohnehin der Meinung — ich sage das mit einem leichten Seitenblick auf den Herrn Bundesfinanzminister —, daß nicht gerade sehr viel zum Abbau des Mittelstandsbogens geschehen ist. Ich habe mich gefreut, zu lesen, daß ein hoher Beamter des Ministeriums auf dem Steuerberatertag in Köln erklärt hat, diese Abflachung des Mittelstandsbogens könne erst ein Beginn sein. Dann aber haben Sie, bitte, Verständnis dafür, Herr Seuffert, daß wir den ohnehin schmalen Beginn von 600 Millionen DM für den gesamten Progressionsbereich nicht noch weiter einschränken lassen wollen.Ich bitte, den Antrag der Opposition abzulehnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die Zahlen klarzustellen, Herr Kollege Artzinger: Es ist richtig, daß unser System der Proportionalzone ungefähr 200 Millionen DM mehr bringt und sie vor allen Dingen besser verteilt. Mit der Erhöhung der Freibeträge ist aber, da sie sich ja auch in der Progessivzone auswirkt, ein wesentlicher Teil der Entlastung der Progessivzone vorweggenommen. Das Bundesfinanzministerium hat ausgerechnet: wenn man der Progessivzone mit Ausnahme der kleinen Kürzungen aus dem Übergang, die ich freimütig besprochen habe, dasselbe zukommen lassen will wie der Regierungsentwurf, dann kostet es insgesamt 100 Millionen DM mehr. Das sind die Zahlen. Das ist kein Schaden für die Progessivzone, jedenfalls kein wesentlicher Schaden.
Zum zweiten kann ich Ihnen nur sagen: Ich bin außerordentlich dankbar dafür, daß Sie gewisse Gegensätze hier so klar ausgesprochen haben. Was die Abflachung des Mittelstandsbogens anlangt, so sind auch wir dafür; das haben wir gesagt, und wir haben es ja schließlich zuerst beantragt. Aber daß das der Hauptgesichtspunkt bei den notwendigen Steuerkorrekturen wäre, wie Sie gesagt haben, und daß nicht der Abbau der Überbesteuerung in der Proportionalzone und der Überbesteuerung der Arbeitnehmereinkommen und die Entlastung der überforderten Verwaltung von nichtlohnenden Steuerfällen wichtiger wären — in dieser Frage, glaube ich, kommen wir nicht überein, Herr Kollege Dr. Artzinger. Ich bin recht dankbar dafür, daß Sie hier so klargemacht haben, was der eine und was der andere wichtig nimmt.
Herr Abgeordneter Dr. Artzinger!
Herr Kollege Seuffert, ich kann Sie nicht von einer gewissen Rabulistik freisprechen, wenn Sie mir hier nachsagen wollen, ich hätte Dinge gesagt, die ich tatsächlich nicht gesagt habe. Ich habe erklärt, wir sind unter dem Motto angetreten: Abflachung des Mittelstandsbogens. Ich glaube Sie werden mir das eine attestieren, daß die CDU/CSU-Fraktion und überhaupt die Koalitionsfraktionen im Finanzausschuß wacker daran mitgewirkt haben, das Gewicht der Steuersenkungen in den unteren Bereichen zur Geltung kommen zu lassen. Was gilt denn für die Proportionalzone? Das ist einmal die Steuersenkung von 820 Millionen DM, dazu 420 Millionen DM Erhöhung des Sonderausgabenbetrages, das sind 1240 Millionen DM. Dazu kommen noch einmal 820 Millionen DM für den Arbeitnehmerfreibetrag. Das heißt auf deutsch, innerhalb der kleinen Einkommen bis 8000 DM bzw. 16 000 DM wird eine Steuerermäßigung von über 2 Milliarden DM gegeben.
Unter diesen Umständen kann wirklich niemand
mehr sagen, daß es überzogen wäre, wenn wir dann
für die Abflachung des Mittelstandsbauches 600 Millionen DM in Anspruch nehmen.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich komme damit zur Abstimmung über Ziffer 2 des Änderungsantrages der Fraktion der SPD auf Umdruck 509. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme damit zur Abstimmung über Ziffer 21 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. -- Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Abstimmung über Art. 1 im ganzen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. 2. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer Art. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Art. 3 und damit zu den Ziffern 3 und 4 des Umdrucks 509. Wer begründet den Änderungsantrag? — Herr Abgeordneter Eppler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Frage der Verlängerung des Spar-Prämiengesetzes, ob unbefristet oder aber nur für ein Jahr, ist in diesem Hause leider nicht mehr ganz neu. Wir haben darüber vor zwei Jahren diskutiert und hatten darüber vor einem Jahr sogar eine namentliche Abstimmung.Ich könnte nun einfach das wiederholen, was der Kollege Seuffert, aber auch die Kollegin Frau Funcke und der Kollege Dr. Schmidt am 11. Dezember letzten Jahres zu diesem Thema hier gesagt haben, nämlich daß es nicht gut sei, ein Gesetz unbefristet zu verlängern, das wir alle miteinander für dringend reparaturbedürftig halten. Allerdings liegen heute einige Dinge anders als vor einem Jahr. Damals gab es nur einen präzisen Vorschlag für die Harmonisierung der Sparförderung, nämlich unseren Antrag vom März 1962, der heute also schon 2 1/2 Jahre alt ist.Inzwischen hat aber auch die Bundesregierung im Steueränderungsgesetz 1964 ihren eigenen Entwurf eingebracht, und wir sollen nun heute ein Gesetz unbefristet verlängern, für das sowohl von der Regierung als auch von der Opposition exakte Neuentwürfe bereits vorliegen. Einem uneingeweihten Betrachter könnte sich da die Frage aufdrängen, ob wir uns eigentlich in diesem Hause selbst noch ganz ernst nehmen.Für uns Sozialdemokraten bilden drei Themen eine Einheit: die Steuersenkung, die Steuererhöhung
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7032 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Dr. Eppler— bei einigen Großeinkommen und Großvermögen— und die Sparförderung.
— Einen Augenblick, Herr Barzel; ich wollte nur einen Zusammenhang herstellen; Sie werden gleich sehen, warum.Diese drei Themen bilden unter drei Aspekten für uns eine Einheit, nämlich unter dem Aspekt der steuerlichen Gerechtigkeit, über die ich hier nicht zu reden habe, aber auch unter den Aspekten der Vermögensbildung und der Konjunkturpolitik. Sie alle, meine Damen und Herren, wissen, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium vor dieser Steuersenkung gewarnt hat, daß er also dem Finanzminister nicht abnimmt, daß sich diese Senkung konjunkturneutral auswirken wird.
Er befürchtet — ich zitiere wörtlich —, daß diese Steuersenkung, die wir heute beschließen — gemeinsam beschließen, Herr Barzel —, „zu einer weiteren Verschärfung der konjunkturellen Spannung beiträgt". Ich hätte das ein bißchen anders gesagt; aber ich bin ja auch kein Professor.Dieses Haus hält Steuersenkungen trotzdem für nötig. Es ist dann aber auch verpflichtet, etwas zu tun, was konjunkturell in entgegengesetzter Richtung läuft, was also zur Beruhigung der Konjunkturbeitragen kann.In diesem Zusammenhang noch ein Wort über unsere Vorschläge zur Steuererhöhung. Sie haben sie abgelehnt — Sie werden sie wahrscheinlich auch in Zukunft ablehnen —, letztes Jahr mit der Bemerkung — verehrter Herr Kollege Artzinger, die stammt von Ihnen —, daß die Investitionen gedrosselt werden könnten. Sie haben also damals genau das befürchtet, was heute, in der Zeit des Investitionsbooms, viele Experten wünschen. Nachdem das so gekommen ist, argumentiert die CDU völlig umgekehrt, nämlich daß nicht die Steuererhöhung, sondern die Steuersenkung die Konjunktur dämpfe. Aber Argumente hin, Argumente her; Sie wollen nicht, und wir nehmen das zur Kenntnis.Anders steht es mit dem Zusammenhang zwischen Steuersenkung und Sparförderung bzw. Vermögensbildung.
— Wir haben im Augenblick keinen gestellt.
— Nein, nein, er ist nicht für erledigt erklärt. Wir haben z. B. jetzt einen im Ausschuß behandelt. Es handelt sich um die Frage der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer. Sie haben ihn abgelehnt.Im übrigen habe ich das nur in den Zusammenhang mit der Konjunkturpolitik gestellt und wollte damit sagen, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, während Sie diesen Zusammenhang — zwischen Erhöhung und Senkung der Steuern — nicht akzeptiert haben, den anderen Zusammenhang akzeptieren, nämlich den zwischen Sparförderung bzw. Vermögensbildung und Steuersenkung. Schon dadurch, daß Sie beides in einem Gesetz vorgelegt haben, haben Sie es akzeptiert, aber auch durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in diesem Hause vor einer Woche, der gesagt hat, daß das Steueränderungsgesetz 1964 mit der Entlastung der Steuerzahler einen weiteren Beitrag zur Bildung privater Ersparnisse leisten werde.Man kann natürlich wie unser verehrter Finanzminister der Meinung sein, daß die Bürger draußen im Lande das, was ihnen durch diese Steuersenkung zukommt, ohnehin sparen würden, daß sie also das Geld an vielen wohldekorierten Schaufenstern vorbei zur Sparkasse tragen. Man kann also wie der Herr Finanzminister der Meinung sein, daß die Bürger draußen in diesem Punkt ohnehin viel vernünftiger seien als ihre Obrigkeit, die ja jegliches Geld, das sie bekommt, sofort wieder ausgibt. Ich habe nicht die Absicht, dem Herrn Minister in diesem Punkt zu widersprechen. Ich möchte nur auf den ganz leisen Widerspruch hinweisen, in dem diese Behauptung zu manchen etwas moralinsauren Maßhaltepredigten steht, die derselbe Bürger von derselben Regierung ansonsten zu hören bekommt.
— Herr Barzel, wenn ich ganz bösartig wäre, dann würde ich jetzt an einige Reden in diesem Hause erinnern.
— Ich bin nicht der Erfinder dieses Wortes, o nein; dafür halte ich mich nicht. Herr Dresbach, so originell wie Sie bin ich noch lange nicht.
— Nun ja, ich glaube, dieses Wort hört man manchmal noch in einer protestantischen Predigt aus dem Jahre 1964 mit Bezug auf protestantische Predigten des Jahres 1910, wenn Sie es genau hören wollen; aber in diesem Bereich sind Sie ja nicht so zu Hause.Wenn es aber so ist, daß die Bürger dieses Staates durch eine erstaunlich hohe Sparrate zur Dämpfung der Konjunktur und damit zur Erhaltung der Preisstabilität beitragen, so sind wir in diesem Parlament deshalb nicht aus unserer Verpflichtung entlassen, sondern zusätzlich verpflichtet, uns etwas einfallen zu lassen, um diese Tugend, von der der Herr Bundeskanzler und auch der Herr Finanzminister reden, zu fördern, und zwar vor allem bei denen, die es am nötigsten haben.Deshalb geht es uns bei der Harmonisierung der Sparförderung nicht nur darum, zu verhindern, daß die Vergünstigungen des Gesetzes kumulativ von denen in Anspruch genommen werden, die im Grunde ohnhin schon sparen könnten, sondern es
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Dr. Epplergeht uns vor allem darum, denen zusätzlich zu helfen, denen das Sparen besonders schwerfällt, und das sind eben die Bezieher kleinerer Einkommen. Für eine solche Harmonisierung wäre jetzt, zusammen mit der Steuersenkung, der richtige Zeitpunkt, wie Sie das ursprünglich selbst gewollt haben. Es ist der richtige Zeitpunkt vor allem dann, wenn wir wirklich für alle das erreichen wollen, was der Herr Bundeskanzler hier gemeint hat, nämlich eine zusätzliche Vermögensbildung.Deshalb haben wir mit einiger Betroffenheit den Beschluß der Koalitionsfraktionen zur Kenntnis genommen, die Sparförderung noch einmal auszuklammern und im nächsten Jahr zu behandeln. Daß das nötig wurde, liegt einzig und allein daran, daß das Steueränderungsgesetz zu spät vorgelegt wurde.Aber auch nach diesem Beschluß gingen wir davon aus, daß das Thema Sparförderung noch in dieser Legislaturperiode im Anschluß an das vorliegende Gesetz angepackt würde. Jetzt, meine Damen und Herren, schlagen Sie vor, daß wir wiederum unbefristet verlängern, Sie zerreißen damit den letzten Zusammenhang zwischen Steuersenkung und Sparförderung. Dabei erwarten Sie sicher nicht, daß wir die Beteuerung ernst nehmen, die Änderung des Sparprämiengesetzes werde trotzdem noch in dieser Legislaturperiode erfolgen, Sie sagen mit Recht, daß eine solche Beratung Zeit braucht. Aber schließlich liegt unser Entwurf nun seit zweieinhalb Jahren vor, und auch die Regierung hat ihre präzisen Vorstellungen. Ich könnte mir denken, daß auch in dieser Frage, wie in anderen, nicht so sehr die Ausschußberatung Zeit verschlingt, sondern der Versuch der Koalitionsparteien, in sich und untereinander über eine Regierungsvorlage einig zu werden.Wir sehen deshalb keinen einleuchtenden Grund zu einer unbefristeten Verlängerung. Wir beantragen, das Gesetz noch einmal für ein Jahr zu verlängern, damit wir uns alle unter den heilsamen Zwang stellen, mit diesem Kapitel endlich einmal fertig zu werden. Wir möchten, daß damit der Zusammenhang zwischen Steuersenkung und Sparförderung, den Sie selbst hergestellt haben, meine Herren von der Koalition, nicht ganz verlorengeht. Wir möchten verhindern, daß von dem Bündel von Maßnahmen, mit dem wir Sozialdemokraten eine möglichst konjunkturneutrale Umleitung von Einkommensströmen und damit der Vermögensbildung erstreben, nichts anderes übrigbleibt als ein mehr oder minder großzügiges Steuergeschenk, wobei keiner von uns weiß, wieviel davon durch — möglicherweise vermeidbare — Preissteigerungen wieder weggenommen wird.Dieser unser Antrag entspricht übrigens auch einem Fraktionsbeschluß der Freien Demokraten, und wir sind natürlich gespannt darauf, nachher in der Abstimmung zu sehen, wie frei unsere Freien Demokraten eigentlich sind.Nun möchten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, das bestehende Gesetz aber doch nicht ganz unverändert verlängern, sondern Sie möchten in einem entscheidenden Punkt, der Ersterwerbsklausel, eine Änderung durchsetzen. Sie wollen das Wort „Ersterwerb" ersetzen durch das Wort „Erwerb", so daß also nicht nur der ,Ersterwerb von Wertpapieren, sondern der Erwerb schlechthin prämienbegünstigt wäre. Es liegt mir fern, hierüber eine Fachdebatte zu entfesseln. Sicher ist, daß mit der Begrenzung auf den Ersterwerb die Absicht verbunden war, den Kapitalmarkt zu erweitern. Wir könnten in den Ausschüssen darüber diskutieren, ob das heute noch angebracht ist; wir könnten darüber diskutieren, wer denn nun der Nutznießer einer solchen Regelung wäre. Wir könnten z. B. fragen,welchen Sinn es hat, daß man eine Volkswagenaktie alle fünf Jahre in eine andere umtauschen und dabei die Begünstigungen des Sparprämiengesetzes in Anspruch nehmen kann. Diese Fragen könnten alle im Zusammenhang mit dem Sparprämiengesetz erörtert werden. Was Sie aber vorhaben, ist, heute zu entscheiden, und zwar ohne jeden Zusammenhang mit einer Reform des Sparprämiengesetzes, in dem nach unserer Meinung viel wichtigere Probleme stecken als dieses.Sie wollen das im Grunde nur deshalb, damit die zukünftigen VEBA-Aktien nicht von der Begünstigung ausgeschlossen sind.
Das ist der Zweck Ihres Antrages,
der ein Mittel heiligen soll, bei dem auch manchem von Ihnen nicht wohl sein wird.
— Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nicht gesagt, daß der Zweck böse sei. Ich habe mich nur gegen das Mittel zu diesem Zweck gewandt, daß man nämlich einen Punkt herausgreift und alles andere wieder wegschiebt. Ich glaube, Herr Kollege Schmidt, das halten auch Sie im Grunde für nicht ganz einwandfrei.
— Das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur behauptet: wenn wir an die Harmonisierung der Sparförderung herankommen wollen, dann nur im ganzen und nicht 'dadurch, daß wir die ganze Geschichte vor uns herschieben und dann plötzlich, weil Sie für die VEBA etwas brauchen, einen Punkt vorzuziehen. Das ist das, was wir beanstanden.
Im übrigen 'befürchten wir, Herr Professor Burgbacher, daß in dem Moment, .wo Sie und Ihre Fraktion diese Korrektur bekommen haben, der Drang zu einer Gesamtharmonisierung weiter nachläßt und sich dann der nächste Bundestag wieder
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7034 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Dr. Epplermit dem Problem herumschlagen muß, das zu ordnen unsere Aufgabe gewesen wäre.
Deshalb bitten wir Sie, unsere beiden Änderungsanträge zu Art. 3 auf Umdruck 509 anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat einen auf eine bestimmte Sache bezogenen Antrag in größere volkswirtschaftliche und sozialpolitische Zusammenhänge gestellt, was sein gutes Recht ist. Ich möchte darauf nur kurz eingehen.
Zunächst ist festzustellen, daß die Steuersenkung, die wir jetzt beschlossen haben, vermutlich keine Konjunkturgefährdung bringen wird. Ich darf darauf hinweisen, daß die Sparquoten auch in diesem Jahr wieder um ungefähr 16 % gestiegen sind und daß wir doch den Mut haben sollten, unseren Mitbürgern zuzutrauen, daß sie an den auf Grund der Wirtschaftspolitischen Entwicklung so reich bestückten Schaufenstern allmählich doch vorbeigehen können und etwas mehr sparen als bisher. In dem Zusammenhang ist auch der Appell des Bundeskanzlers, der mit dem Wort „Maßhalten" hier positiv und negativ kritisiert wird, zu verstehen. Sie haben gemeint, das sei ein Widerspruch. Das ist gar kein Widerspruch: Wer spart, hält Maß, und deshalb sind Maßhalten und Sparen durchaus entsprechende Begriffe.
Was die Steuerbelastung der höheren Einkommen betrifft, so möchte ich nur folgendes sagen: Wir haben in der Progressionsstufe bei ständig steigenden Masseneinkommen ständig steigende Steuerbelastungen.
— Entschuldigen Sie, in der Proportionalzone — nein. In der Progressionszone haben wir ständig steigende Steuerbelastungen. Ein Mann, der jetzt beispielsweise 30 000 oder 40 000 DM verdient, zahlt einen höheren Steuersatz, als er für sein Einkommen vor zehn Jahren bei etwa 15 000 DM gezahlt hat, obwohl es derselbe Mann in derselben sozialen Struktur ist.
— Nein, das ist in der Proportionalzone nicht so. Den wesentlichen Unterschied zwischen Progression und Proportion kann ich nicht beseitigen.
— Richtig! Aber dann sind sie nicht mehr in der Proportionalzone, verehrter Herr Kollege Kurlbaum. Ich bedanke mich für Ihre Unterstützung. Es beweist nämlich, daß jeder, der in die Progressionszone hin-
einwächst, zu einer höheren Steuerbelastung kommt als vorher.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ist Ihnen nicht bekannt, daß das Bundesfinanzministerium Jahr für Jahr in seinen Finanzberichten eine Erhöhung der Durchschnittsbelastung der Lohneinkommen in der Proportionalzone feststellt?
Das hängt aber doch damit zusammen, daß das Einkommen — —
Ich weiß schon, womit das zusammenhängt. Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Es ist Ihnen also bekannt.
Herr Präsident, ist es einem Redner gestattet, vom Rednerpult aus auch einmal eine Frage an einen Abgeordneten zu stellen?
Das nicht. Aber Sie können nicht gehindert werden, Herr Abgeordneter, eine rhetorische Frage zu stellen, und kein Abgeordneter kann gehindert werden, heraufzugehen und darauf zu antworten.
Herr Seuffert, Ihr Sachverständnis auf diesen Gebieten ist größer als das meine. Wollen Sie bestreiten, daß bei gleichbleibender soziologischer Struktur durch die Progressionssätze des Einkommensteuerrechts die Steuerbelastung für die gleiche soziologische Position, die einer heute gegenüber vor zehn Jahren hat, gestiegen ist?
— Nein, das wäre nur dasselbe, wenn da keine Progressionszone wäre, sondern nur eine Proportionalzone. Ich glaube, wir müssen doch gelegentlich ein Hearing mit Mathematikern machen. Also ich bleibe bei dieser Auffassung.
Nun zu der eigentlichen Vorlage. Meine Freunde und ich waren — —. Herr Kollege Kurlbaum. Wollen Sie fragen? — Bitte!
Herr Abgeordneter Kurlbaum, bitte.
Herr Professor Burgbacher, sind Sie nicht doch bereit, zuzugeben, daß auch bei den Einkommensbeziehern, die mit ihren Einkommen nur in die Proportionalzone hineinreichen, im Durchschnitt ein wachsender Prozentsatz zustande kommt, da der Teil ihres Einkommens, mit dem sie in der Proportionalzone sind, gegenüber dem Teil wächst, mit dem sie unterhalb liegen, und dadurch also eine wachsende durchschnittliche Besteuerung auch der Einkommen, die nur in der Proportional-
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Kurlbaumzone sind, zustande kommt? Ist Ihnen das klar, und haben Sie das verstanden?
Dr. Burgbacher ;: Herr Kurlbaum, Sie sind ein scharmanter Mann — im allgemeinen.
Sie haben mit Ihrer Frage offene Türen eingerannt.
— Nicht „Na also". Ich bleibe dabei, daß eine Proportion die Steigerung der absoluten Steuerbeträge im Proportionsverhältnis bedeutet, während das Wesen der Progression die überproportionale Steigerung ist. Das können Sie in jedem mathematischen Lehrbuch nachlesen; ich werde Ihnen eines zum Geburtstag schenken.Nun zur eigentlichen Sache. Meine Freunde und ich haben immer erklärt, daß wir für eine Reform des Sparprämiengesetzes und des Bausparprämiengesetzes ansprechbar sind, die das Ziel hat, die Sparprozesse bei den sogenannten kleineren Einkommen noch aussichtsreicher zu machen. Diese Vorlage ist nicht gekommen.Im letzten Jahr waren große Teile von uns der Meinung, daß die nur einjährige Verlängerung falsch ist und daß man unbefristet verlängern müßte. Ich verstehe überhaupt nicht, wie der Gesetzgeber, dieses Hohe Haus, Sorgen vor sich selber hat. Er kann doch ein Gesetz jeden Tag ändern. Ist das Haus gegen sich selbst so mißtrauisch, daß es sich einen Termin setzen muß?
Ist das eine Haltung des Bundestages?
Ist das Hohe Haus — —
— Herr Kollege Seuffert, stellen Sie doch bitte Fragen.
Dieses Hohe Haus hat also mit Mehrheit aus den gleichen Erwägungen vor einem Jahr beschlossen, nur um-ein Jahr zu verlängern.
Die Mängel und Fähigkeiten dieses Hohen Hauses kennen wir alle.Viel wichtiger erscheint mir die Betrachtung der Dinge vom Sparer her. Alle, die es mit dieser Sparförderung ernst meinen, haben es nicht gern, wenn der Sparer zu jedem Jahresultimo damit rechnen muß, daß es aufhört oder sich ändert, und dann geschieht doch nichts.
Wir wollen die unbefristete Verlängerung,
um eine ruhige Abwicklung des Sparprozesses bei den Sparern zu gewährleisten.
Wir sind jeden Tag zur Reform bereit, wir sind aber diese Terminierung leid. Es ist doch überflüssig — in Bayern sagt man: wie ein Kropf —, ein Gesetz zu terminieren. Es liegt absolut in der Souveränität des Hauses, jeden Tag eine Änderung vorzunehmen.
Herr Abgeordneter Dr. Burgbacher, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Beyer?
Natürlich.
Herr Professor Burgbacher, ist Ihnen bekannt, daß die Sozialdemokratische Partei 1962 einen Änderungsantrag gestellt hat, der heute noch im Ausschuß liegt, und ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung damals gesagt hat, daß sie einen reifen Vorschlag sehr bald einbringen wird? Meinen Sie nicht, Herr Professor Burgbacher, daß Zeit genug gewesen wäre, bis Ende 1964 endlich einen solchen Vorschlag einzubringen?
Ich bin überzeugt, daß die Opposition eine ganze Reihe von Gesetzesvorlagen gemacht hat. Vielleicht wären auch mehrere davon beraten worden, wenn die Beratung anderer Vorlagen, die uns interessieren, etwas zügiger vor sich ginge und nicht ständig von der Opposition behindert würde.
Herr Abgeordneter Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eppler?
Verehrter Herr Professor Burgbacher, würden Sie jemandem, der zu Ihnen kommt und fragt, zum Vertrauen zu einem Gesetz raten, für das der neue Entwurf der Bundesregierung, also Ihrer Bundesregierung, bereits vorliegt?
Das ist gar keine Frage des Vertrauens. Da ich sicher bin, daß kein Gesetz mit rückwirkender Kraft kommt, berate ich jeden, der zu mir 'kommt, auf der Basis der bestehenden Rechtslage.
Also wir beantragen, diesen Antrag gegen die unbefristete Verlängerung abzulehnen.Ich komme nun zu dem zweiten Punkt. Wir beantragen, daß das Wort „Ersterwerb" in „Erwerb" umgewandelt wird. Das ist dann bei uns nach einiger Besorgnis darüber, ob man überhaupt etwas ändern soll — das gebe ich Ihnen zu —, zum Schluß so 'gekommen. Das hat einen Grund. Selbstverständlich wollen wir die VEBA-Aktien auch anlagefähig im Sinne des Sparprämiengesetzes machen, und ich kann mir kaum vorstellen, daß die Opposition da-
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7036 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Dr. Burgbachergegen sachlich etwas einzuwenden hat, nachdem sie ihre Eigentumsfreude in letzter Zeit auf verschiedenen Gelbbieten kundtut. Wir wollen aber alle Wertpapiere einschließen. Wir wollen nicht nur die VEBA-Aktien begünstigen.
Auch andere Papiere werden, wenn ,die Vorschriften in der vorliegenden Form verabschiedet werden, unter )das Sparprämiengesetz fallen. Es ist eine eigentumsföndernde Maßnahme. Es ist eine Förderung in dem Sinne, in dem mein Herr Vorredner gesprochen hat, der, wenn ich ihn richtig verstanden habe, alle Sparförderungen, alle Eigentumsförderungen dem Grunde nach begrüßt.Deshalb bitte ich Sie, den Antrag auf dem Umdruck 509 — die Ziffer 1 — abzulehnen, also unserem Antrag, das Wort „Ersterwerb" durch „Erwerb" zu ersetzen, zu entsprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Eppler, ich bin so frei, Ihnen zunächst hinsichtlich der Verlängerung des Sparprämiengesetzes zu antworten. Ich darf zunächst einmal sagen, daß für uns der Vorschlag der Bundesregierung für die Beratung des zweiten Teiles ein integrierender Bestandteil dieses Gesetzes ist. Nun könnten Sie natürlich sagen: Warum haben Sie dann nicht der Verlängerung der Frist um ein Jahr zugestimmt? Wir hatten zunächst durchaus diese Absicht. Ich darf Ihnen aber folgendes sagen. Nachdem das bekannt wurde, wurde gegen die Freien Demokraten draußen operiert, als ob sie damit das Gesetz auslaufen lassen wollten. Das hätte nicht den Tatsachen entsprochen. Damit dieses Odium von uns genommen wunde, haben wir uns entschlossen, der unbefristeten Verlängerung zuzustimmen.
— Herr Kollege Könen, ich weiß nicht, ob Sie es taten!
— Na, dann genügt es mir zunächst.
Nun ein zweites zur Ersterwerbsklausel! Die Beschränkung auf den Ersterwerb hatte ursprünglich allein kapitalmarktpolitische Zwecke; sie sollte dazu anreizen, dem Kapitalmarkt neue Mittel zuzuführen. Diese Zweckbestimmung ist aber nach unserer Auffassung heute in den Hintergrund getreten, nachdem mit der Sparförderung im wesentlichen eigentums-es ein besonders eigentums- und gesellschaftspolitisches Anliegen ist, den Anteil des privaten Publikums beim Wertpapiererwerb zu erhöhen. Wir möchten es eben nicht nur auf die Neuausgabe von Aktien beschränkt sehen, sondern sind der Meinung, daß auch die sonstigen Aktien, die schon früher im Verkehr waren, durchaus zu einer eigentumspolitischen Förderung verwendet werden können, wenn sie hier anerkannt werden. Wir werden daher beiden Anträgen leider nicht zustimmen können.
und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden. Damit erweist sich die Ersterwerbsklausel in der Praxis als eine einseitige Beeinträchtigung des Wertpapiersparens gegenüber dem Kontensparen. Das erscheint uns um so weniger vertretbar, als
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 509, zuerst zu Ziffer 3. Wer Ziffer 3, dem Streichungsantrag, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme damit zu dem Antrag unter Ziffer 4, § 8 neu zu fassen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; abgelehnt!
Damit komme ich zu Art. 3 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. 4, — 5, — 6, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Einige Enthaltungen links! Angenommen!
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur
dritten Lesung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile
dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden in der bevorstehenden Schlußabstimmung, wie ich annehmen darf, dem Steueränderungsgesetz mit großer Mehrheit zustimmen. Ich möchte diese Gelegenheit dazu benutzen, Ihnen allen für Ihre Mitarbeit bei diesem Gesetz zu danken. Mein besonderer Dank gilt jedoch dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages und seinem Vorsitzenden. Der Ausschuß hat seine Ferien vorzeitig beendet oder unterbrochen, um das Gesetz noch rechtzeitig in Arbeit nehmen zu können.Ihre Bemühungen, meine Damen und Herren, tragen dazu bei, daß die Steuerzahler pünktlich am 1. Januar 1965 in den Genuß der Entlastungen kommen werden, die ihnen nach Ihren Beschlüssen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7037
Bundesminister Dr. Dahlgrünzuteil werden. Diese Erwartung schließt die Überzeugung und die Hoffnung ein, daß auch der Bundesrat in aller Kürze dem Gesetz seine Zustimmung geben wird, obwohl durch die Beschlüsse dieses Hauses das Volumen der Steuersenkung noch einmal um rund 400 Millionen DM erhöht worden ist. Ich halte diese Ausdehnung gerade noch für tragbar. Angesichts der Entwicklung des Steueraufkommens in der letzten Zeit werden sich, glaube ich, für die Haushalte von Bund und Ländern keine zusätzlichen unüberwindlichen Schwierigkeiten ergeben.Ich glaube, daß mit dem Steueränderungsgesetz in der Fassung, wie Sie es jetzt verabschieden wollen, in der richtigen Weise maßgehalten wird, daß wir damit aber auch die Möglichkeiten zu Steuersenkungen, die im Augenblick gegeben sind, ausgeschöpft haben. Deshalb möchte ich hier ausdrücklich hervorheben, daß bei dem vorgesehenen Steueränderungsgesetz Teil zwei kaum noch Spielraum für weitere Senkungsmaßnahmen größeren Umfangs vorhanden ist.Meine Damen und Herren, ich betrachte dieses Gesetz als einen wichtigen Schritt in der Geschichte der deutschen Steuerpolitik. Seit sechs Jahren haben wir es erleben müssen, daß die Steuerbelastung in der Bundesrepublik ständig weiter angestiegen ist, so daß wir eine Spitzenstellung in der Welt auf diesem Gebiet erreicht haben. Diese Entwicklung ist eingetreten, obwohl wir die Steuersätze keineswegs erhöht haben; auch in den vergangenen Jahren sind sogar hier und da Erleichterungen gekommen. Diese Entwicklung ist ganz einfach die Folge der progressiven Gestaltung unserer direkten Steuern, die zu der bekannten Erscheinung der sogenannten „heimlichen Steuererhöhungen" geführt hat. Es geht aber bei diesem Gesetz nicht nur darum, wieder ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den steuerzahlenden Bürgern und dem Staat herzustellen, es geht auch um den Grundsatz der Gerechtigkeit. Ich freue mich sehr darüber, daß es jetzt gelingt, einen Mangel in der Verteilung der Steuerbelastung zu beseitigen. Der Mangel bestand darin, daß die mittelständischen Einkommen mit einer überscharfen Progression belegt waren. Das mußte den Leistungswillen und die Initiative der mittelständischen Schichten hemmen. Die Milderung der Progression gerade in diesem Bereich läßt die Erwartung zu, daß in diesen Schichten nun ein neuer Ansporn zu höheren Leistungen gegeben wird. Die erhöhte Leistungsfähigkeit wird dem Ganzen zugute kommen.Es ergibt sich zwar keine grundsätzliche Vereinfachung des Steuerrechts, wohl aber eine Erleichterung in der Praxis der Finanzämter, vor allem dadurch, daß über eine Million Steuerpflichtige, die zur Zeit noch belastet sind, ab 1. Januar 1965 von der Steuerzahlung befreit werden. Wir erwarten ferner, daß die Schlangen der Arbeitnehmer vor den Finanzämtern kleiner werden, weil 1,7 Millionen Lohnsteuerpflichtige keine Anträge mehr auf Eintragung von Freibeträgen auf die Lohnsteuerkarte zu stellen brauchen. Der Pauschbetrag für Sonderausgaben wurde heraufgesetzt. Ich hoffe sehr,daß es uns gelingt, gerade auf diesem Wege der Vereinfachung noch in dieser Legislaturperiode im Zusammenhang mit dem Teil zwei des Steueränderungsgesetzes weiter fortzuschreiten.Die Gesamtentlastung nach den heutigen Beschlüssen wird 3,2 Milliarden DM betragen. Sie wird sich allerdings in vollem Umfang erst für 1967 ergeben. Der Ausfall für 1965 dürfte aber immerhin doch schon bei 2,2 Milliarden DM liegen. Die Inanspruchnahme des Sozialprodukts durch den Staat wird sich auf diese Weise mindestens um 0,5 % verringern.Meine Damen und Herren, nach diesem Erfolg bei der Lohn- und Einkommensteuer darf ich Sie bitten, weiter an diesen Dingen zu arbeiten. Dem Hause liegt eine ganze Reihe weiterer wichtiger steuerpolitischer Gesetzentwürfe vor, deren Verabschiedung Meilensteine auf dem Weg unserer Finanzpolitik setzen würde. Wenn Sie an diese Aufgabe mit der gleichen Initiative und Entschlossenheit herangehen, dann werden wir sagen können, daß ganz entscheidende Fortschritte in der Steuerpolitik gemacht worden sind, daß unser Steuerrecht gerechter geworden ist und daß damit ein wesentlicher Beitrag geleistet worden ist, das Blühen unserer Wirtschaft zu fördern und den Bürgern zu wachsendem Wohlstand und Vermögen zu verhelfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich zur Dritten Lesung dieses wichtigen Gesetzes folgende Erklärung abgeben:Die erste Lesung der Regierungsvorlage des Steueränderungsgesetzes konnte im Hohen Hause erst in der letzten Woche vor der Sommerpause stattfinden. Wenn es bereits drei Wochen nach Ablauf der Sommerpause heute möglich ist, das Gesetz in wesentlichen Teilen hier in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden, so ist das der Bereitschaft aller zu verdanken, das Äußerste an zeitlicher und sachlicher Beanspruchung einzusetzen, um eine reibungslose verwaltungsmäßige Durchführung der Steuersenkung zum 1. Januar 1965 möglich zu machen.Ein verhältnismäßig kleiner Teil der Regierungsvorlage mußte für. ein zweites Steueränderungsgesetz zurückgestellt werden, mit dessen Beratung der Finanzausschuß heute morgen schon begonnen hat. Es soll nach dem Arbeitsprogramm des Ausschusses dem Plenum noch vor Ostern 1965 zur Verabschiedung vorgelegt werden. Der wichtigste Abschnitt — nämlich die Harmonisierung der Sparförderung — ist mit der Maßgabe für das zweite Steueränderungsgesetz zurückgestellt worden, daß das geltende Recht zunächst einmal weitergilt. Bis etwas Besseres gefunden worden ist, behält jeder die Vergünstigungen für seine Spartätigkeit, die er bisher hatte.
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7038 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Dr. Schmidt
Mit dem Steueränderungsgesetz 1964 setzen Bundesregierung und Regierungskoalition den Weg der Verringerung der Steuerlast fort. Die Bürger der Bundesrepublik haben als Folge unserer unseligen Vergangenheit die größte Steuerlast in der freien Welt zu tragen. Je mehr diese Folgen beseitigt werden und eine gerechte soziale Ordnung verwirklicht wird, um so dringender wird die Notwendigkeit, den Zugriff des Staates auf das Einkommen. des einzelnen Bürgers einzuschränken.Die großen bereits in Angriff genommenen und noch vor uns liegenden Gemeinschaftsaufgaben setzen der Forderung nach Steuersenkungen jedoch Grenzen. Mit 3,2 Milliarden DM ist zur Zeit die äußerste Grenze dessen erreicht, was ohne Schaden für das Gemeinwohl dem Staat an Steuermitteln entzogen werden kann.Eine gerechtere Verteilung der Steuerlast und eine Dämpfung des überproportionalen Wachstums der Steuern und der öffentlichen Ausgaben sind die übergeordneten Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs, den wir heute verabschieden wollen. Er befreit 1,1 Millionen Steuerpflichtige der unteren Einkommensstufen von der Lohnsteuer.Das Steueränderungsgesetz 1964 fußt auf vier Grundgedanken: 1. auf der nachhaltigen Entlastung der Arbeitnehmereinkommen, 2. auf der Begradigung des sogenannten Mittelstandsbogens, 3. auf der Erleichterung von Struktur- und Rationalisierungsmaßnahmen der Wirtschaft und 4. auf der Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Ausbildung und von Beiträgen zu Gemeinschaftsaufgaben.Vom gesamten Senkungsvolumen werden den Arbeitnehmern rund zwei Drittel, das sind über 2 Milliarden DM, zugute kommen. Erstmalig ist in das deutsche Steuerrecht ein Freibetrag für Arbeitnehmer eingefügt worden. Die Sonderausgabenpauschale ist um 300 Mark erhöht worden. Ihre Reform, die Reform der Sonderausgabenpauschale, wird uns im zweiten Steueränderungsgesetz weiter beschäftigen müssen. Nach dem vorliegenden Entwurf werden von 24,4 Millionen Lohnsteuerpflichtigen 6,4 Millionen keine Lohnsteuer mehr zu zahlen haben.Die Beseitigung der überdurchschnittlichen Belastung mittelständischer Einkommen durch die Begradigung des Mittelstandsbogens und die Erweiterung der Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter sowie die Möglichkeit der Übertragung stiller Reserven auf bestimmte Ersatzwirtschaftsgüter stellen nachhaltige Maßnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftslichen Leistungsfähigkeit und zur Verbesserung der Struktur der gewerblichen Wirtschaft dar. Das gilt in besonderem Maße auch für den mittelständischen Bereich.Diese Maßnahmen werden ergänzt durch einige Sonderabschreibungsmöglichkeiten zugunsten der Landwirtschaft, der Seeschiffahrt, des Altwohnungsbaus, der Lärmbekämpfung, der Abwasserbeseitigung und der Luftreinhaltung.Die Ausbildungshilfe ist ein völlig neues Element öffentlicher Aufgabenstellung geworden. Sie soll an die Stelle des im Regierungsentwurf vorgesehenen Ausbildungsfreibetrags treten und 40 DM monatlich für alle über 14 Jahre alten Nichteinzelkinder betragen, die weiterführende Schulen besuchen. Einzelkinder von alleinstehenden Müttern sollen in die Förderung miteinbezogen werden. Mit diesem Vorschlag, der anstelle der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung in einem soeben eingebrachten Initiativentwurf unterbreitet werden soll, beschreitet die Koalition einen neuen Weg, um einen kräftigen Anstoß zur Verbesserung des Bildungsstandes unseres Volkes zu geben.
Wir wollen mit dieser Maßnahme gleiche Bildungschancen für alle Kinder erreichen und den Begabten den Weg in jedem Falle zu den weiterführenden Schulen ebnen.Der materiell gesicherte und sich auf eine gute Ausbildung stützende unabhängige Staatsbürger ist das tragende Fundament einer leistungsfähigen Wirtschaft und einer stabilen demokratischen Ordnung.Aus diesem Geist heraus haben Bundesregierung und Regierungskoalition im Rahmen ihrer bewußten und erfolgreichen Politik der sozialen Marktwirtschaft einige mutige und bahnbrechende Neuerungen dem Hohen Hause zur Entscheidung vorgelegt, die für unsere Volkswirtschaft, für die Arbeitnehmer und für unsere Jugend von großer und grundsätzlicher Bedeutung sind.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat im Frühjahr 1962 einen Gesetzentwurf zur Harmonisierung der Sparförderung eingebracht und sich dabei von drei wichtigen Gesichtspunkten leiten lassen. Erstens Erreichung einer Harmonisierung der Vorschriften der verschiedenen Sparmöglichkeiten, zweitens Einführung höherer Prämiensätze für kleine Einkommen als besondere Anerkennung des Sparens in den Kreisen, in denen das Sparen nicht nur Konsumverzicht, sondern oftmals Opfer bedeutet, und drittens Herbeiführung einer breiten Eigentumsstreuung, was nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von katholischen und evangelischen Kreisen gefordert wird und nicht zuletzt im Sozialausschuß der CDU/CSU Unterstützung findet.Im Herbst 1963 wurden von uns Anträge zum Steueränderungsgesetz eingereicht. Die Änderungen sollten ab 1. Januar 1964 Gültigkeit haben. Damit sollte eine Verbesserung des Tarifs, vor allem zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen, erreicht werden.Wenn jetzt gesagt wird, daß allein durch den Arbeitnehmerfreibetrag etwa 1,1 Millionen Lohnsteuerzahler aus der Besteuerung herausfallen, so meine ich: die Gruppe, die mit der Erhöhung des Grundfreibetrages aus der Besteuerung herausfällt, müßte weitaus größer sein, denn der Arbeitnehmer-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7039
Frau Beyer
freibetrag kommt ja nur dem Arbeitnehmer zugute und nicht der Hausfrau. Mit anderen Worten.: hier ist uns mit einer Million eine völlig falsche Zahl genannt worden. Das müssen Sie mir wohl alle zugeben.Unserem Steueränderungsgesetzentwurf lag weiter eine Steuervereinfachung, vor allem infolge der Erhöhung der Sonderkostenpauschale., zugrunde. Diese Erhöhung der Sonderkostenpauschale ist von Ihnen übernommen worden.Weiter diente unser Antrag einer größeren Steuergerechtigkeit. Sie glauben, diesen Grundsatz auch jetzt herausstellen zu können. Ich werde dazu im einzelnen noch Stellung nehmen.Die Bundesregierung hat anläßlich der ersten Lesung der beiden Gesetze, sowohl im Jahre 1962 als auch im Jahre 1963, erklärt, sie werde für das Jahr 1964 ein einheitliches Gesetz rechtzeitig einbringen. Damit wurden dann unsere Anträge an die Ausschüsse verwiesen. Sie mögen sich jetzt selbst ein Urteil darüber bilden, was die Bundesregierung unter „frühzeitig" oder „rechtzeitig" versteht. Erst kurz vor den Sommerferien 1964, nachdem im Frühjahr dieses Jahres dem Bundesrat der Entwurf der Bundesregierung zugeleitet worden war, wurde der Entwurf dem Bundestag zugestellt. Die erste Lesung konnte am 25. Juni 1964, also in der vorletzten Woche vor den Sommerferien des Bundestages, stattfinden. Die ganze Arbeit hier im Parlament stand unter einem gewaltigen Zeitdruck, so daß keine Debatte mehr möglich war. Die Fraktionen I erklärten sich mit Erklärungen zu Protokoll einverstanden.Die sozialdemokratischen Mitglieder im Finanzausschuß haben sich dann weiter bereit erklärt, mit den Koalitionsmitgliedern eine Woche der Sommerferien zu opfern.
— Ich habe ja gesagt: mit der Koalition.
Hier noch von einer frühzeitigen Einbringung zu sprechen heißt doch praktisch, der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen. Während der Sommerferien wurde dann plötzlich von einem Vorschaltgesetz in der Öffentlichkeit gesprochen. Dem mußten wir Sozialdemokraten einfach widersprechen. Unsere Anträge lagen ein bis zwei Jahre zurück. Wenn Sie jetzt die letzten Erklärungen, die Herr Minister Schmücker unter dem 14. Oktober laut FAZ gegeben hat, sich einmal ansehen, dann müssen Sie feststellen, daß er jetzt noch erklärt hat, eine Verschiebung des Steueränderungsgesetzes sei — und nun hat er gar keine Einengung gemacht — politisch nicht länger vertretbar. Noch am 14. Oktober sagt also ein Minister des Kabinetts, daß das Steueränderungsgesetz politisch nicht mehr verschiebbar sei, mit anderen Worten: er unterstützt damit die Argumentation der Opposition.Meine Damen und Herren, ich möchte hier einmal ausdrücklich feststellen — und damit möchte ich mich auch dagegen wehren, daß Herr Professor Burgbacher hier gesagt hat: die Opposition verzögere die Beratung —, daß die sozialdemokratische Fraktion die Beratung nicht verzögert hat. Ich glaube, niemand hier im Hause und kein Mitglied des Finanzausschusses kann sich, wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, erlauben, zu sagen, daß wir verzögert hätten. Wir haben uns sofort bereit erklärt, alles zu tun und alles daranzusetzen, das Gesetz zügig zu beraten.Wir haben nun doch ein erstes Vorschaltgesetz. Der zweite Teil des Gesetzes, mit dessen Beratung heute begonnen worden ist — Herr Dr. Schmidt hat darauf hingewiesen —, soll spätestens im Februar nächsten Jahres abgeschlossen sein.Meine Damen und Herren, nicht abschließen wollen Sie damit das Sparprämiengesetz.
— Wenn Sie es abschließen wollten, dann könnten wir heute eine befristete Verlängerung beschließen. Mit einer befristeten Verlängerung — —
— Nein, wenn wir es befristet verlängern, weiß jeder, daß am 31. Dezember 1965 ein neues Gesetz in Kraft tritt. Herr Katzer, Sie sind gar nicht im Ausschuß gewesen. Im Ausschuß haben wiederholt Vertreter Ihrer Fraktion erklärt: Im Wahljahr wollen wir ein solches Gesetz nicht verabschieden. Das ist wiederholt gesagt worden.
— Herr Dr. Schmidt, es hat ja keinen Zweck. Ich glaube, es gibt genügend Kollegen und Kolleginnen hier in diesem Hause, die 'das bestätigen können. „Im Wahljahr ist es schwierig, solche Gesetze zu verabschieden", ist auch von Ihnen 'persönlich gesagt worden.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt !
Ist nicht ein Unterschied zwischen der Behauptung: Im Wahljahr ist es schwieriger, und der anderen Behauptung: Es wird wegen des Wahljahres nicht gemacht? Ich habe auf die Schwierigkeiten hingewiesen und habe gesagt, das Ziel müsse eine bessere Lösung sein. Aber die Frage ist, ob wir eine bessere Lösung bekommen können, und das ist und bleibt allerdings eine offene Frage.
Herr Dr. Schmidt, ich stelle erfreut fest, daß Sie jetzt sagen, Sie hätten nur von „schwieriger" gesprochen. Ich würde meinen, im Ausschuß ist es anders zum Ausdruck gekommen. Aber ich nehme gern entgegen, daß Sie sagen, Sie hätten nur von „schwieriger" gesprochen, und daß .Sie damit 'zum Ausdruck bringen wollen, daß im Jahre 1965 ein neues Sparprämiengesetz mit allen Vorschriften vom Bundestag verabschiedet wird.
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7040 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
— Sie müssen mir aber erlauben, das hier noch einmal eindeutig festzustellen, damit Sie nicht nachher noch in der Öffentlichkeit das Märchen verbreiten, dies sei von Ihnen ausgegangen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7041
Frau Beyer
1958 habe ich diesen Antrag schon das erste Mal begründet. Herr Meis, Sie haben sich vorhin noch einmal gegen die Argumentation gewandt, die ich wiederholt gebraucht habe, daß nämlich dieser Freibetrag ein Äquivalent für die Manipuliermöglichkeiten der Einkommensteuerpflichtigen sei. Herr Kollege Meis, ich habe niemals behauptet, daß eine solche Manipuliermöglichkeit der Einkommensteuerpflichtigen als unehrliche Maßnahme bezeichnet werden müsse.
— Nein, nein, das ist nur von Ihnen so ausgelegt worden. Ich habe von einer Manipuliermöglichkeit gesprochen, die völlig legal durch unser Gesetz gegeben ist. Diese Manipuliermöglichkeit ist auch von dem damaligen Finanzminister Schäffer — das können Sie im Protokoll nachlesen — niemals bestritten worden. Er hat nur seinerzeit erklärt, daß er für den Arbeitnehmerfreibetrag keine Mittel habe.Ich darf aber gleichzeitig feststellen, daß in derselben Sitzung mit dem Steueränderungsgesetz 1958 den Körperschaftsteuerpflichtigen durch Einfügung der 15 % Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne ein Steuergeschenk gemacht wurde. Dieses Geschenk hat damals genauso viel Geld gekostet — ich kann mich noch genau daran erinnern —, wie der Arbeitnehmerfreibetrag gekostet hätte. Wenn Sie sich die ganzen Maßnahmen heute ansehen, dann erkennen Sie selbst sehr genau, daß es sich um eine sehr fragwürdige Sache gehandelt hat. Das I Argument, daß damit höhere Ausschüttungen erreicht werden, hat sich nicht bestätigt. Das ist nur in einem sehr begrenzten Umfang eingetreten.Wir sind stolz darauf, daß nun der Arbeitnehmerfreibetrag erreicht ist; das darf ich hier in aller Eindeutigkeit feststellen.Was nun die Sonderausgabenpauschale anbetrifft, so habe ich bereits vorhin gesagt, daß damit unserem Antrag entsprochen ist. Er ist ebenfalls von ihnen übernommen worden. Wir haben auch sehr gern der Entschließung zugestimmt, die wir gemeinsam gefaßt haben; denn letzten Endes ist damit die Möglichkeit gegeben, das ganze Problem einmal in einer Form zu lösen, die auf Dauer gesehen, Steuerzahler und Finanzämter entlastet. Ich darf hier noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, daß nach einer Berechnung der Steuerbeamten der Betrag mindestens 1236 DM hätte sein müssen. Ein Betrag von 1236 DM hätte erst zu einer Entlastung von Anträgen um 50 % bei den Finanzämtern geführt.
Meine Damen und Herren, wir :freuen uns auch darüber, daß in der Frage des Ausbildungsfreibetrages unsere Argumentation von Ihnen übernommen wird. Wir haben wiederholt dargelegt, daß ein Freibetrag eine um so größere Wirkung hat, je höher dais Einkommen ist, und daß z. B. die Wirkung völlig entfällt, wenn keine Steuer gezahlt wird, wenn also das Einkommen zu niedrig ist. Wir hoffen nur, daß diese Einsicht allmählich auch in anderen Bereichen von Ihnen übernommen wird.Was nun die Steuervereinfachung ,anbetrifft — diese Aufgabe hat sich dieses Haus ja seit langem gestellt —, so können wir hier sicher nicht von einer Vereinfachung sprechen. Der Bund der Steuerbeamten hat uns in seiner Eingabe dargelegt, daß man allmählich von einem entdemokratisierten Steuerdicklicht sprechen müsse. Wir haben ja auch mit diesem Steueränderungsgesetz nichts dazu getan, das Steuerdickicht zu verringern. Der § 6 b, die neuen Begünstigungen, der § 51, das sind keine vereinfachenden Vorschriften, sondern letzten Endes auch wieder nur Maßnahmen, die das Ganze weiter erschweren.Die Steuerprogression wird durch die vielen Begünstigungen und Ausnahmen praktisch immer weiter durchlöchert. Wir haben zu ,dem § 6 b einen Antrag gestellt. Leider sind Sie unserem Antrag auf Befristung nicht gefolgt. Sie haben ihn abgelehnt, Sie haben 'die Mehrheit, und infolgedessen müssen Sie natürlich auch die Verantwortung dafür tragen. Ich möchte noch 'einmal sagen: Bis jetzt ist noch nicht entschieden, ob nicht gerade der § 6 b des Gesetzes — dass habe ich vorhin schon ausgeführt — den Bundesrat veranlaßt, noch den Vermittlungsausschuß anzurufen. Ich 'darf Ihnen noch einmal die Worte des Finanzministers Dr. Dahlgrün ins Gedächtnis zurückrufen, der gesagt hat, er hoffe schließlich, daß auch der Bundesrat zustimmen werde; mit anderen Worten, er ist selbst noch skeptisch, ab das in Wirklichkeit geschieht.
— Wir haben einen Antrag auf Befristung gestellt. Das hätte zum mindesten eine sehr große Abschwächung bedeutet. Uns lag an sich daran, es im zweiten Teil zu verabschieden.
— Nun, dann hätte man zumindest vorher noch einmal mit dem Bundesrat verhandeln können, um alle Fragen vorher abzuklären.Wir haben noch eine Anzahl Anträge von uns im Ausschuß liegen. Ich darf vor allen Dingen daran erinnern — und das ist vielleicht auch für den Bundesfinanzminister wichtig zu wissen —, daß wir auch Anträge gestellt haben, die Steuermehreinnahmen bringen. Ich denke an den Spitzensteuersatz, der noch für den zweiten Teil ansteht, ich denke an den gespaltenen Körperschaftsteuersatz — auch dieser Antrag liegt noch im Ausschuß —, und was die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer angeht, haben wir sofort angekündigt, daß unsere Anträge beim zweiten Teil noch einmal aufgenommen werden. Hier ist also unter Umständen ein gewisser Spielraum für die Maßnahmen, die wir als steuergerecht ansehen. Sie denken ja auch mit an eine Verbesserung der Regelung der Sonderausgabenpauschale.Wenn man mit diesem Gesetz eine wirklich steuergerechte Lösung gewollt hätte, dann wären noch andere Maßnahmen erforderlich gewesen. Ich möchte darauf hinweisen — und das ist vielleicht symptomatisch für die Behandlung dieses Gesetz-
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7042 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964
Frau Beyer
entwurfs überhaupt —, daß auch die Aufhebung der Süßstoffsteuer dem Zeitdruck zum Opfer gefallen ist, obwohl sie laut Regierungsvorlage ein erster Beitrag zur Harmonisierung der Verbrauchsteuersysteme in der EWG und ein Beitrag zur Steuervereinfachung sein soll.
— Herr Dr. Artzinger, ich wiederhole, das ist die Argumentation der Bundesregierung. Sie können das wörtlich nachlesen.Herr Dr. Dahlgrün hat in seiner Begründung unter anderem davon gesprochen, daß das Steueränderungsgesetz das überproportionale Wachstum des Steueraufkommens unterbinden solle. Meine Damen und Herren, dann wäre es aber sinnvoller gewesen, anstatt einer weiteren Begünstigung der wirtschaftlichen Unternehmen, vor allem der großen, eine stärkere Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen herbeizuführen. Dazu waren unsere Anträge angetan. Wir haben sie hier noch einmal gestellt. Sie haben aber den Tarifvorschlag abgelehnt, den der Kollege Seuffert begründet hat.Wir erkennen an, daß diese Vorlage in weiten Teilen ein Schritt auf dem Wege ist, den auch wir als Oppositionspartei gehen würden, trotz mancher Bedenken, die ich vorhin zu einem Teil habe anklingen lassen. Unser Bestreben wird immer sein, auf die Dauer gesehen, eine große Finanzreform zu erreichen und damit auch eine größere Steuergerechtigkeit. Wir werden infolgedessen dem Gesetz im ganzen zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist an dem Steueränderungsgesetz, das ich als Steuersenkungsgesetz 1965 bezeichnen möchte, Kritik geübt worden, weil die 3,2 Milliarden DM Mindereinnahmen bei Bund und Ländern die öffentliche Hand hinderten, wesentliche Aufgaben für das Allgemeinwohl durchzuführen. Diese Kritik schlägt meines Erachtens nicht durch, weil die Steuereinnahmen stärker als das Sozialprodukt gestiegen sind und damit eine Verschiebung der Vermögensbildung zum Nachteil des Bürgers stattgefunden hat.
Mit diesem Steueränderungsgesetz oder Steuersenkungsgesetz wird der Tarif 1958 wesentlich verändert und mit Bezug auf den zweiten Teil bereits ein bedeutsames Gesetzgebungswerk eingeleitet. Seit Jahren hat ein Kampf um die Senkung des Mittelstandsbogens stattgefunden, und wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß dieses Problem zu einem bestimmten Teil gelöst worden ist. Die FDP begrüßt daher diese Bestimmungen des Gesetzes besonders.Wie notwendig diese Senkung ist ergibt sich auch aus folgenden Überlegungen. Durch die progressiveGestaltung des Einkommensteuertarifs, die sich in der Proportionalzone und im ersten Drittel der Progressionszone durch die Freibeträge besonders auswirkt, stieg das Aufkommen an Einkommensteuer seit der letzten Tarifreform im Jahre 1958 im Verhältnis zur Entwicklung des Sozialprodukts überproportional. Das Aufkommen an Einkommen- und Lohnsteuer betrug im Jahre 1958 insgesamt 11,4 Milliarden DM. Es wird im Jahre 1965, wenn wir dieses Gesetz verabschiedet haben, fast das Dreifache betragen, nämlich 32,3 Milliarden DM.Von besonderer Bedeutung erscheint mir, daß 1965 24,4 Millionen Lohnsteuerpflichtige etwa 16,9 Milliarden DM Lohnsteuer und 3 Millionen veranlagte Steuerpflichtige etwa 15,4 Milliarden DM Einkommensteuer aufbringen werden. Dabei muß man noch besonders berücksichtigen, daß 6 Millionen Lohnempfänger und 600 000 Veranlagte überhaupt nicht mit Steuern belastet sein werden, weil ihr Einkommen unter der unteren Grenze liegt. Wir meinen, das ist ein beachtlicher Erfolg dieses Gesetzes.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß sich das Einkommen von etwa 90 % aller Lohnsteuerpflichtigen noch in der Proportionalzone befindet oder steuerfrei ist und nur etwa 10 % aller Lohnsteuerpflichtigen mit ihren Spitzeneinkommen in die Progressionszone hineinragen. Bei den veranlagten Einkommensempfängern ist das Verhältnis etwa 80 zu 20. Diese Einkommensstruktur dürfte eine der schlimmen Folgen der beiden verlorenen Weltkriege sein.Ich darf noch zwei Zahlen besonders hervorheben, um die nicht proportional zueinander verlaufene Entwicklung von Bruttosozialprodukt und Steueraufkommen herausstellen. Das Bruttosozialprodukt ist von 1958 bis 1964, also in der Zeit zwischen den beiden Tarifänderungen, um 70,2 % gestiegen. Dagegen ist das Steueraufkommen in der gleichen Zeit um 132,1 % nach oben geschnellt.Das Steueränderungsgesetz bewirkt auf der anderen Seite, daß die Steuerbelastungsquote, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, von 24,2 % im Jahre 1964 trotz weiterwachsender Einkommen auf 23,6 % im Jahre 1965 absinkt. Allerdings liegt die Bundesrepublik auch mit dieser Steuerbelastung von 23,6 % immer noch an der Spitze der großen Industriestaaten der westlichen Welt. Es folgen nach der Bundesrepublik Frankreich mit 23,1 %, die Vereinigten Staaten mit 22,8 %, Italien mit 20,8 % und die Schweiz mit sogar nur 1643/0.
— Das wird sich jetzt vielleicht unter der neuen Regierung ändern.
Es sollte daher auch in den nächsten Jahren weiter geprüft werden, inwieweit noch Verbesserungen des Tarifs angesichts der Haushaltslage vorgenommen werden können, und es wird meines Erachtens erforderlich werden, dann grundsätzlich umzudenken und den Grundfreibetrag der Einkommensteuer zu
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1964 7043
Dr. Imleerhöhen, der durch das Steueränderungsgesetz jetzt nicht erhöht wird. Insbesondere sollte der Progressionsverlauf, vornehmlich im ersten Drittel der Progressionszone, weiter auseinandergezogen werden, weil er in diesem Bereich im Vergleich zum weiteren Verlauf der Progression auch nach der Tarifsenkung verhältnismäßig steil bleibt.Die Spitzensteuersätze des neuen Tarifs erhöhen sich in der Zone von 8000 bis 25 000 DM, also in der Zunahme des Einkommens bei Ledigen um 17 000 DM, von 19 % auf 37,9 %, d. h. um s19 Punkte, im Bereich von 25 000 bis 110 000 DM von 37,9 % auf 51,9 %, also nur um 14 Punkte. Diese Bandbreite ist uns zu gering. Wir müssen feststellen, daß durch die vorgesehene Tarifsenkung das verhältnismäßig starke Steigen der Progression in den mittleren Einkommensbereichen, also insbesondere in dem ersten Drittel der Progressionszone, zwar erheblich gemildert, aber doch nicht endgültig beseitigt wird. Es erscheint uns deshalb wünschenswert, in den nächsten Jahren den Tarif in dieser Hinsicht zu verbessern.Diese Tarifverbesserung sollte auch den Vorzug vor Sondervergünstigungen haben, die nur das Einkommensteuerrecht komplizieren und zu einer ungleichmäßigen Besteuerung führen. Wir haben uns bereit gefunden, um das Gesetz möglichst bald ohne Schwierigkeiten zu Abschluß zu bringen — wir wissen, daß das aus Zeitgründen notwendig war —, auf die Erhöhung des Grundfreibetrags zu verzichten und statt dessen den Arbeitnehmerfreibetrag zu verdoppeln. Wir hätten eine Erhöhung des Grundfreibetrags vorgezogen, weil es eine gerechtere Beteiligung aller Erwerbstätigen an der Steuersenkung gewesen wäre, zumal auch daran die Ehefrauen teilgenommen hätten.Die Einhaltung der Haushaltsgrenze mit 63,9 Milliarden machte es erforderlich, den von der Regierung vorgesehenen Freibetrag von 720 DM für jedes Kind, das sich in der Ausbildung befindet, wieder herauszunehmen und die Lösung dieser Frage einer besonderen gesetzlichen Regelung vorzubehalten. Die FDP-Fraktion vertritt die Auffassung, daß dieses Problem daher nicht im Rahmen des Steuerrechts, im Tarif, geregelt werden sollte, weil sich dann je nach Einkommen und Kinderzahl Ungerechtigkeiten nicht vermeiden ließen. Es scheint uns aber notwendig zu sein, für Jugendliche, die sich nach dem 15. Lebensjahr einer weiteren schulischen Ausbildung auf Mittel- und Oberschulen, auf Fachschulen oder auch auf der Universität unterziehen, direkte Zahlungen an die Eltern vorzusehen. Wir sehen hierin einen wesentlichen Beitrag zur Bildungsförderung.Über die Anhebung der Sonderpauschale ist vorhin bei der zweiten Beratung eingehend gesprochen worden. Ich darf auch hier nochmals betonen, daß die Anhebung auf 936 DM nur erfolgt ist, weil ein Vorwegabzugsverfahren für die Sozialversicherungsbeiträge im zweiten Teil des Gesetzes eingeführt werden soll.Besonders begrüßen es meine Parteifreunde, daß die für die Selbständigen vorgesehene Anhebung der Bewertungsfreiheit für kurzlebige Wirtschaftsgüter von 600 auf 800 DM vorgenommen wird. Das ist seit langem ein Anliegen der FDP. Der diesem Gesetz gezogene finanzielle Rahmen gestattet es zur zur Zeit aber leider nicht, den absetzbaren Betrag zu erhöhen. Eine spätere weitere Korrektur nach oben wird von uns auf jeden Fall im Auge behalten werden.Daß die Verdoppelung des Freibetrages für die private Altersvorsorge für die Freien Demokraten ein besonderes Anliegen war, brauche ich nicht extra zu betonen. Ich kann mir auch weitere Ausführungen über den § 6 b ersparen. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß wir die nichtbuchführenden Betriebe auf jeden Fall im zweiten Teil des Gesetzes berücksichtigt sehen wollen.Einen besonderen Fortschritt in der Steuergesetzgebung sehen wir in den Ermächtigungsvorschriften des § 51 des Einkommensteuergesetzes, wonach Sonderabschreibungen zulässig sind für die Anschaffung und Herstellung von Wirtschaftsgütern, die der Forschung und Entwicklung dienen, für die Verhinderung oder Beseitigung von Abwässerschäden, für die Verhinderung der Verunreinigung der Luft, für Aufwendungen beim Einbau von Fahrstuhlanlagen, Heizungs- und Kanalisationsanlagen sowie für die Anschaffung von Schiffen vor dem 1. Januar 1971.Das Gesetz konnte jetzt nicht im vollen Umfang verabschiedet werden. Meine Fraktion erwartet aber, daß im zweiten Teil des Gesetzes folgende Punkte berücksichtigt werden: eine Regelung der Steuerfreiheit von Überstunden und Überstundenzuschlägen
sowie ein Ausbau der Spar- und Bausparförderung; ihr ist nach Auffassung der FDP der Vorzug vor anderen Vorhaben zu geben.
Nach unserer Meinung sollte diese Regelung ein integrierender Bestandteil des zweiten Teiles sein. Dabei sollte auch die Sparmöglichkeit der Unternehmer im eigenen Betrieb eine Regelung finden.Die Frage eines bereits in der Diskussion stehenden Freibetrages für Hausfrauen für erschwerte Haushaltsführung sollte ebenfalls bei der Beratung des zweiten Teiles des Steueränderungsgesetzes geprüft, hier aber auch nach allen Möglichkeiten und eventuellen Auswirkungen untersucht werden.Insgesamt erwartet die FDP von der Verabschiedung des zweiten Teiles die notwendige Ergänzung des heute zu verabschiedenden Gesetzes zur Abrundung eines gesamten Reformwerks. Es kann aber wohl heute schon mit Befriedigung festgestellt werden, daß der Bundestag mit diesem zu verabschiedenden Gesetz ein beachtliches Reformwerk begonnen hat. Wir werden. diesem Gesetz daher in der dritten Lesung unsere uneingeschränkte Zustimmung geben.
Meine Damen und Herren! Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Einzelanträge liegen nicht vor. Ich komme zur Schluß-
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Vizepräsident Dr. Jaegerabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit ich sehe, keine Gegenstimme. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum zweiten Antrag des Ausschusses, dem Entschließungsantrag auf Seite 8 der gleichen Drucksache. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Dann haben wir noch gemäß dem Antrag des 1 Ausschusses die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart, die heutige Sitzung zu beenden und die übrigen Punkte in der morgigen Sitzung zu behandeln, und zwar als erstes die Fragestunde, als zweites den heutigen Punkt 12 und dann die beiden anderen Punkte. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich berufe ,die nächste Sitzung auf morgen, den 23. Oktober 1964, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.