Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung.Meine Damen und Herren, zunächst habe ich folgende Glückwünsche auszusprechen: Dem Herrn Kollegen Ehren zu seinem 70. Geburtstag, den er am 17. Oktober gefeiert hat,
und dem verehrten Kollegen, Herrn Vizepräsident Schoettle, der am 18. Oktober 65 Jahre alt geworden ist.
) Der Abgeordnete Kurtz ist am 12. Oktober 1964 als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Ruland in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.An Stelle des aus dem Wahlprüfungsausschuß ausgeschiedenen Abgeordneten Mischnick schlägt die Fraktion der FDP vor, als stellvertretendes Mitglied den Abgeordneten Dürr zu wählen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; damit ist der Abgeordnete Dürr gewählt.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. Oktober 1964 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt:Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 14/64/EWG des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Durchführungsgesetz EWG Rindfleisch)Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 13/64/EWG des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Durchführungsgesetz EWG Milch und Milcherzeugnisse).Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. Mai 1964 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 8. April 1959 eine Ubersicht über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen nach dem Stand vom 1. April 1964 übersandt, die als Drucksache IV/2612 verteilt wird.Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 16. Oktober 1964 mitgeteilt, daß gegen die nachstehenden Vorlagen keine Bedenken erhoben werden:Verordnung Nr. 88/64/EWG des Rats vom 16. Juli 1964 über die Festsetzung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsbeträge für geschlachtete Hühner und Truthühner in dem Fall des Art. 3 Abs. der Verordnung Nr. 22 des RatsVerordnung Nr. 90/64/EWG des Rats vom 16. Juli 1964 über die Festsetzung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsbeträge für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende ErzeugnisseVerordnung Nr. 115/64/EWG des Rats vom 30. Juli 1964 über die Ausnahmeregelungen für Reis mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie den überseeischen Ländern und GebietenVerordnung Nr. 110/64/EWG des Rats über die Kriterien für die Festsetzung der Pauschbeträge für bestimmte MilchprodukteVerordnung Nr. 75/64/EWG des Rats hinsichtlich der Erstattung bei der Erzeugung für Getreide- und Kartoffelstärke.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rats über die bei der Berechnung der Abschöpfungsbeträge für Bruteier und lebendes Hausgeflügel mit einem Gewicht von höchstens 185 Gramm zugrunde zu legende Futtergetreidemenge — Drucksache IV/2609 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 23. Oktober 1964Verordnung des Rats zur Änderung des für die Bundesrepublik Deutschland festgesetzten Referenzpreises für das Leiterzeugnis der Gruppe „Laktose und Laktosesirup" — Drucksache IV/2613 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 23. Oktober 1964.Zu den in der Fragestunde der 136. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Oktober 1964 gestellten Fragen des Abgeordneten Ertl Nrn. 1/4 und I/5 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Carstens vom 13. Oktober 1964 eingegangen. Sie lautet:Die Fragen betreffend die Behandlung deutscher Urlauber durch italienische Polizeikräfte in Südtirol beantworte ich wie folgt:Zu 1.: Am frühen Morgen des 4. September wurde in Südtirol eine Polizeiaktion durchgeführt, die im Zusammenhang mit der Tötung eines italienischen Polizeibeamten in der Nacht vom 3. zum 4. September stand. Bedauerlicherweise wurden auch deutsche Ferienreisende von den polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen betroffen. In einigen Fällen kam es sogar zu vorläufigen Festnahmen.Zu 2.: Nachdem das Generalkonsulat in Mailand von den polizeilichen Maßnahmen erfahren hatte, setzte es sich sofort für die betroffenen Deutschen ein. Noch am 4. September hat der Generalkonsul ein dringendes Telegramm an die örtlich zuständige italienische Behörde gerichtet. In einem Antworttelegramm hat diese ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß auch deutsche Urlaubsreisende betroffen wurden. Gleichzeitig hat das Generalkonsulat fernmündlich einen Bozener Rechtsanwalt gebeten, sich der verhafteten Deutschen anzunehmen. Diese waren mit einer Ausnahme bereits schon wieder freigelassen worden; die Freilassung des letzten deutschen Staatsangehörigen konnte nach etwa einer Woche erwirkt werden.Dem Generalkonsul, der auch persönlich an Ort und Stelle Vorstellungen bei den zuständigen italienischen Behörden erhoben hat, wurde sowohl von dem Vize-Regierungskommissar als auch von dem Quästor in Bozen das Bedauern über das Vorgehen der Polizei gegen „willkommene deutsche Gäste" ausgedrückt.Darüber hinaus hat auf Weisung des Auswärtigen Amtes auch unsere Botschaft in Rom Vorstellungen bei dem italienischen Außenministerium erhoben. Dieses hat im Namen der italienischen Regierung sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß deutsche Touristen von der Aktion betroffen worden und Übergriffe vorgekommen seien. Italien sei lebhaft daran interessiert, daß der Touristenverkehr in Südtirol ungestört 'verlaufe. Das italienische Innenministerium habe entsprechende Maßnahmen veranlaßt, um sicherzustellen, daß die Polizeikräfte auf deutsche Ferienreisende die größtmögliche Rücksicht nehmen.
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6914 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. DehlerWir kommen dann zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:Fragestunde .Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf, und zwar zuerst die Frage XIII/1 — der Abgeordneten Frau Rudoll —:Wann errichtet die Deutsche Bundespost im Ortsteil Essen-Werden den schon vor Jahren zugesagten Umsetzer, damit die Bewohner des Stadtteiles Werden das Zweite Fernsehen empfangen können?Bitte sehr, Herr Minister.
Die Vorermittlungen für den Aufbau einer Fernsehfrequenz-Umsetzeranlage zur Versorgung von Essen-Werden mit dem Zweiten Fernsehprogramm sind abgeschlossen. Die Vorbereitungen für den Aufbau werden noch in diesem Jahre begonnen, so daß mit der Inbetriebnahme der Anlage im Jahre 1965 gerechnet werden kann.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage XIII/2 — des Abgeordneten Schmidt — auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß seitens der Deutschen Bundespost für die Verlegung oder Ummeldung bzw. den Neuanschluß eines Fernsprechanschlusses eine Pauschale von 90 DM ohne Offenlegung der tatsächlichen Anschlußkosten berechnet wird?
Bitte, Herr Minister.
Eine praktisch Bleichlautende Anfrage ist bereits für die mündliche Fragestunde des Deutschen Bundestages am 15. und 16. April dieses Jahres von der Frau Kollegin Flitz gestellt worden. Meine ausführliche schriftliche Antwort ist im Protokoll der 124. Sitzung vom 29. April 1964 — Anlage 18 — festgehalten.
Zusammengefaßt darf ich die Frage nochmals wie folgt beantworten. Die Gebühr für die Herstellung eines Fernsprechhauptanschlusses beträgt pauschal 90 DM. Diese Gebühr wird auch berechnet, wenn ein vorhandener Hauptanschluß verlegt wird und die Verlegung es erforderlich macht, die Anschlußleitung im Ortsleitungsnetz umzuschalten. Der Gebührensatz von 90 DM ist in den Fernsprechgebührenvorschriften rechtsverbindlich festgelegt. Die Pauschalgebühr ist aus Gründen der Rationalisierung des Verwaltungsdienstes eingeführt worden.
Der Pauschalsatz von 90 DM ist kein willkürlicher Betrag, sondern stellt einen Erfahrungswert über die durchschnittliche Höhe der tatsächlichen Einrichtungskosten dar. Die Gebühr deckt den Aufwand, der für die Herrichtung des Anschlusses beim Teilnehmer, die Schaltung der Anschlußleitung im Ortsleitungsnetz und die Herrichtung aller Betriebsunterlagen in den verschiedenen Dienststellen der beteiligten Fernmeldeämter zu leisten ist.
Eine Zusatzfrage? -- Bitte!
Herr Minister, ist es richtig, daß nach dieser Pauschalverordnung zwar Mehrkosten, die an Arbeitszeit und Material mehr als 90 DM ausmachen, hinzuberechnet werden, aber weniger Kosten — beispielsweise bei einer fünfminütigen Anschlußzeit — einfach mit 90 DM pauschaliert werden?
Die Berechnung der 90-DM-Pauschale ist in dieser Fernsprechordnung genau festgelegt, ebenso das, was als Normalanschluß zu werten ist. Wenn darüber hinaus noch zusätzliche Leistungen erbracht werden müssen — was nur in Einzelfällen der Fall ist —, erfolgen Sonderberechnungen. Die Durchschnittspauschale deckt zu etwa 90 % die Anschlußkosten.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, besteht nicht eine Gefahr der Ausnutzung des Monopols der Bundespost durch diese Regelung, weil hierbei der einzelne ohne Offenlegung der Kosten machtlos ausgeliefert ist?
Von einem Mißbrauch des Monopols kann überhaupt nicht die Rede sein; denn die Pauschalierung vereinfacht in einer ganz entscheidenden Form die Installierung und die Verrechnung. Wenn Sie sich einmal der Mühe unterzögen, nachzuprüfen, wie das Verrechnungsystem vor dieser Pauschalierung war, so würden Sie mir recht geben, daß das eine generelle Vereinfachung ist. Sie wissen ganz genau, in welcher Situation wir überall in Deutschland in der Wirtschaft und auch in den öffentlichen Betrieben in bezug auf den Arbeitsmarkt stehen und daß das durchaus gerechtfertigt ist. Im übrigen sind das die Durchschnittskosten, die entstehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gscheidle.
Herr Minister, können Sie sagen, ob es von dieser 90-DM-Pauschale Ausnahmen gibt?
Ich weiß nicht, Herr Kollege Gscheidle, was Sie meinen. Können Sie mich konkret darauf ansprechen?
Gibt es nicht in besonderen Fällen, beispielsweise bei der Ummeldung eines Hauptanschlusses, Ausnahmen von dieser 90-DM-
Regelung derart, daß dieser Betrag nicht zu erbringen ist?
Solche Ausnahmen sind mir nicht bekannt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6915
Dann die Frage XIII/3 — des Herrn Abgeordneten Wagner —:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Überprüfung der Deutschen Bundespost durch eine Sachverständigenkommission auch die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der jetzigen regionalen Einteilung der Oberpostdirektionsbezirke prüfen zu lassen?
Herr Präsident, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich die folgenden drei Fragen gemeinsam beantworte.
Dann rufe ich gleichzeitig auf die Fragen XIII/4 — des Herrn Abgeordneten Wagner —:
Ist der Herr Bundespostminister bereit, falls die in Frage XIII/3 erwähnte Prüfung die Notwendigkeit einer Änderung der Oberpostdirektionsbezirke aufweist, die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen?
und XIII/5 — ebenfàlls des Herrn Abgeordneten Wagner —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, der Sachverständigenkommission anläßlich der in Frage XIII/3 empfohlenen Prüfung der regionalen Einteilung der Oberpostdirektionsbezirke auch die Ergebnisse des sogenannten Wiesemeyer-Gutachtens mitzuteilen?
Die Bundesregierung ist bereit, von der Sachverständigenkommission auch die Wirtschaftlichkeit und die Zweckmäßigkeit der jetzigen Einteilung der Oberpostdirektionsbezirke prüfen zu lassen. Eine von mir eingesetzte Kommission unter Leitung des Präsidenten Dr. Wiesemeyer hat bereits die Abgrenzung aller Oberpostdirektionsbezirke untersucht, Vorschläge hierzu unterbreitet und diese später durch detaillierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen ergänzt. Falls die Prüfung durch die Sachverständigenkommission die Notwendigkeit einer Änderung der Oberpostdirektionsbezirke ergibt, bin ich gern bereit, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, soweit ich finanziell dazu in der Lage bin. Ich darf darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Wagner, daß die Errichtung von neuen Oberpostdirektionsbezirken natürlich einen großen Investitionsaufwand erfordert. Man muß damit rechnen, daß 65 Millionen DM erforderlich sind, um das Gutachten des Präsidenten Wiesemeyer in die Praxis umzusetzen. Unter den augenblicklichen Verhältnissen würde es sehr schwer sein, diese Maßnahme ohne weiteres durchzuführen.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, können Sie etwas darüber sagen, wann voraussichtlich mit dem Bericht der Sachverständigenkommission zu rechnen ist?
Ich bin nicht kompetent, hierauf eine Antwort zu geben. Das kommt ganz darauf an, wie die Studie ausfallen soll, ob sie nur bestimmte Sektoren oder die Gesamtsituation der Bundespost einschließlich der innerbetrieblichen Verhältnisse und der Organisationsfragen durchleuchten soll; dementsprechend würde das Gutachten länger dauern.
Ich glaube kaum, daß vor Mitte des nächsten Jahres mit einem derartigen Gutachten gerechnet werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister, hatten Sie die Frage der Einteilung in Oberpostdirektionen nicht schon vor drei Jahren prüfen lassen?
Doch. Ich hatte in meiner Antwort klargelegt, daß Präsident Wiesemeyer mit einer Sonderkommission die Neueinteilung der Oberpostdirektionsbezirke bereits überprüft hat und jetzt im Laufe der letzten Monate auch noch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung dazu erstellt hat. Denn es kommt entscheidend mit darauf an, welcher wirtschaftliche Nutzen dabei entsteht.
Es geht nicht nur darum, irgendeine organisatorische Maßnahme durchzuführen. Es kommt auch sehr darauf an, Herr Abgeordneter Schäfer, daß die Post die Mittel hat, um die bei Neuerrichtungen von Oberpostdirektionsbezirken notwendigen Investitionen durchzuführen.
Eine weitere Frage!
Heißt das, Herr Minister, daß die vorläufigen Entscheidungen, die Sie vor zwei Jahren getroffen haben, damit nochmals in Frage gestellt sind?
Was meinen Sie mit „vorläufigen Entscheidungen", Herr Abgeordneter Schäfer?
Darf ich darauf antworten? — Vor drei Jahren lagen die Gutachten und die Überlegungen vor, die Bereiche der Oberpostdirektionen anders abzugrenzen. Dann wurde bekannt, daß man in Ihrem Hause von solchen Änderungen Abstand nehmen wolle. Deshalb nun meine Frage, ob man diesen Punkt damit wieder aufgreift.
Ja, natürlich, diese Frage liegt eigentlich permanent auf dem Tisch. Es ergaben sich aber außerordentlich große Schwierigkeiten. Einmal lag der Vorschlag des Präsidenten Wiesemeyer und seiner Kommission vor, daß die Oberpostdirektionen ohne Rücksicht auf die Ländergrenzen neu gestaltet werden sollen. Sie wissen — Sie kommen aus dem Raum Baden-Württemberg —, wie schwierig es ist, das Einverständnis des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zu erhalten, einen Teil von Baden-Württemberg eventuell einer bayerischen Oberpostdirektion zuzuschlagen.
Umgekehrt glaube ich auch, daß es mindestens ebenso schwierig sein wird, einen Teil Bayerns — neh-
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6916 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Stücklenmen wir den Aschaffenburger Raum — einer hessischen Oberpostdirektion zuzuschlagen. Diese Schwierigkeiten haben mit dazu beigetragen, daß diese Frage noch nicht geregelt werden konnte.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister, werden Sie das Gutachten veröffentlichen, wenn es vorliegt?
Nein, das Gutachten wird nicht veröffentlicht.
Wird es dem Bundestag zugeleitet?
Auch nicht.
Warum nicht?
Weil ich keine Veranlassung habe, dem Bundestag das Gutachten zuzuleiten. Wenn der Bundestag einen solchen Beschluß faßt, dann geschieht das selbstverständlich. Ich kann Ihnen aber nicht alles zuleiten, was interessant ist; sonst würden Sie im Papier ersticken.
Aber dem Postverwaltungsrat?
Selbstverständlich, wenn der Verwaltungsrat es anfordert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, wären Sie bereit, das Gutachten Wiesemeyer dem Gutachterausschuß auch ohne Anforderung vorzulegen?
Herr Kollege Cramer, ich glaube, Sie sind von meinem Geiste inspiriert; ich habe das bereits getan.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sie, wenn das Umgliederungsprogramm nicht sofort durchgeführt werden kann, das nicht wenigstens in Etappen machen, damit irgendwo ein Anfang gemacht wird?
Der Effekt ist nur dann wirklich gegeben, wenn das Gesamtgutachten verwirklicht wird. Es ist weder dem Betriebsablauf noch der Wirtschaftlichkeit der deutschen Bundespost gedient, wenn wir Oberpostdirektionen neu errichten; dagegen hat auch niemand etwas einzuwenden. Wenn aber Oberpostdirektionen, die zu klein sind, um wirtschaftlich arbeiten zu können, aufgelöst werden sollen, dann wird dagegen Sturm gelaufen werden. Diese Maßnahmen kann man deshalb meiner Meinung nach nur global durchführen.
Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Minister, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß dem Bundestag auch auf Aufforderung dieses Gutachtens nicht vorgelegt werden kann?
Sie haben mich völlig mißverstanden. Ich habe gesagt: wenn der Bundestag beschließt, daß ihm dieses Gutachten zugeleitet werden soll, bin ich dazu selbstverständlich bereit. Ich halte es aber nicht für opportun, dies aus eigener Initiative zu tun; denn es handelt sich um eine Organisationsfrage, die in die Zuständigkeit des Ressorts und nicht der Legislative gehört.
Herr Abgeordneter Gscheidle.
Herr Minister, ist es richtig, wenn ich aus Ihrer Antwort an meinen Kollegen Cramer entnehme, daß trotz Ihrer früheren Sympathien für die Errichtung einer Oberpostdirektion in Augsburg die Errichtung einer solchen Oberpostdirektion in dieser Stadt nur im Zusammenhang mit einer Neugliederung des gesamten Bundesgebietes möglich ist?
Ja. Meine Sympathien für Augsburg sind ungeschmälert.
Wir kommen zur Frage XIII/6 — der Abgeordneten Frau Döring —:
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß durch die Frequenzänderung im UHF-Bereich des Fernsehsenders Stuttgart-Frauenkopf, die Ende 1961 erfolgt ist, in vielen Teilen des Großraums Stuttgart kein störungsfreier Empfang des 2. Programms möglich ist?
Bitte, Herr Minister.
Die europäische Rundfunkkonferenz Stockholm 1961, auf der ein neuer europäischer Frequenzplan für den Ultrahochfrequenzbereich aufgestellte wurde, führte zur Frequenzänderung mehrerer Fernsehsender, die von der Deutschen Bundespost für die Ausstrahlung des zweiten Fernsehprogramms zu diesem Zeitpunkt bestimmt waren. Unter anderem war hiervon auch der Fernsehsender Stuttgart-Frauenkopf betroffen, Es wurde sofort erkannt,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6917
Bundesminister Stücklendaß der Empfang des neuen Fernsehkanals durch alte Fernsehgeräte, die auf den Empfang des ersten Programms eingestellt werden und nicht den Störstrahlungsvorschriften der Deutschen Bundespost vom Oktober 1958 entsprechen, gestört werden kann. Dieser Störungseffekt, der mit größer werdender Fernsehteilnehmerdichte immer wieder auftritt und besonders in Gebieten anzutreffen ist, die am Rande des Versorgungsgebietes des Fernsehsenders Stuttgart-Frauenkopf liegen oder — z. B. in abgeschatteten Tallagen — als unversorgt bezeichnet werden müssen, wird durch Fernsehgeräte, die vom Fernmeldetechnischen Zentralamt typengeprüft sind und eine FTZ-Prüfnummer tragen, nicht verursacht. Die Störungen sind also nicht die Folgen der Frequenzänderung, sondern beruhen auf der Verwendung von störstrahlenden Fernsehgeräten.Die Deutsche Bundespost hat sich bereits vor der Inbetriebnahme des Sendernetzes für das erste Fernseh-Programm im Jahre 1953 bemüht, die Frage der gegenseitigen Beeinflussung von UKW-Ton-Rundfunkempfängern und Fernseh-Rundfunkempfängern und danach der Fernsehgeräte untereinander zu regeln. Erst im Oktober 1958 konnte nach langen Verhandlungen mit der Empfängerindustrie eine Regelung zur Verhinderung der gegenseitigen Störung Fernsehgerät — Fernsehgerät veröffentlicht werden, die am 1. Oktober 1958 in Kraft trat. Inzwischen hatte die Bevölkerung mehr als zwei Millionen Fernsehgeräte im Bundesgebiet in Betrieb genommen, die — soweit solche im Raum Stuttgart 3) betrieben werden — die beklagten Störungen verursachen können.Herr Präsident! Darf ich auch gleich die Fragen 7 und 8 beantworten, weil sie damit zusammenhängen?
Ja. Dann rufe ich die Fragen XIII/7 und XIII/8 -- der Abgeordneten Frau Döhring — auf:
Was hat die Deutsche Bundespost getan, um den Mängeln in der Fernsehversorgung im UHF-Bereich wirksam entgegenzutreten, nachdem die Landesfachgruppe Radio- und Fernsehtechnik sich wiederholt beschwerdeführend an die Oberpostdirektion Stuttgart und das Bundespostministerium gewendet hat?
Trifft es zu, daß der Störungsmeßdienst der Deutschen Bundespost im Raum Stuttgart oft erst vier Monate nach Eingang der Entstörungsmeldung tätig wird?
Die Frequenzänderung des Fernsehsenders Stuttgart mußte auf Grund der nach internationalem Plan festgelegten Verteilung der Sendefrequenzen vorgenommen werden. Die dadurch besonders an den Randgebieten des Versorgungsbereiches 'des Senders sich ergebenden Versorgungsschwierigkeiten werden durch die Errichtung von Sendern kleiner Leistung behoben werden. Bis jetzt sind im Raum Stuttgart zusätzlich zwei Fernseh-Umsetzer in Betrieb, vier Fernseh-Umsetzer im Aufbau und weitere fünf Fernseh-Umsetzer in der Planung.
Das Prinzipielle dieses Sachverhalts ist der Landesfachgruppe Radio- und Fernsehtechnik wiederholt und zuletzt anläßlich einer Besprechung in der Oberpostdirektion Stuttgart am 17. Januar 1964 mitgeteilt worden.
Zu Frage 3. Die Wartezeiten der Beschwerdeführer vom Tage der Funkstörungs-Meldung bis zur ersten Beratung an Ort und Stelle betrug im Raum Stuttgart nicht vier Monate, sondern zwei bis zweieinhalb Monate. Längere Wartezeiten waren in Ausnahmefällen aber möglich, wenn z. B. die Beschwerdeführer von den Beamten des Funkstörungs-
Meßdienstes in ihrer Wohnung nicht angetroffen wurden. Zur Zeit beträgt die Wartezeit durchschnittlich einen Monat. Um eine schnellere Bearbeitung ist die Oberpostdirektion Stuttgart bemüht.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Minister! Ist Ihnen bekannt, daß selbst in einer Entfernung von 4 bis allerhöchstens 6 km vom Frauenkopfumsetzer das zweite Fernsehprogramm von Moiré-Bildern überzogen ist, obwohl sämtliche Fernsehapparate den Vermerk tragen, daß sie ordnungsgemäß gebaut sind?
Dann liegt die Störung an etwas anderem. Es gibt in der Technik eine ganze Reihe von Möglichkeiten, daß Störungen auftreten. Das kann auch an der Empfangsantenne liegen; das kann an den topographischen Verhältnissen liegen. Sie wissen ja, daß diese kurzen Wellen sehr störrisch sind und sich nicht ohne weiteres — wie die Langwelle — den Bodenunebenheiten angleichen.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, hätten Sie diese Antwort auch gegeben, wenn ich vorher darauf hingewiesen hätte, daß das zweite Fernsehprogramm vor der Änderung des Wellenplans von den beiden Apparaten in dem Haus ganz ausgezeichnet zu empfangen war? Es ist nämlich mein eigener Apparat.
Frau Kollegin, ich möchte aus vielerlei Gründen gar nicht widersprechen. Ich möchte nur folgendes betonen. Wenn eine Frequenzänderung eingetreten ist und ein Fernsehapparat mit oder ohne FTZ-Prüfnummer bisher nicht gestört hat, so könnte es sein, daß dieser Apparat, der bisher so brav war, jetzt im neuen Frequenzbereich stört. Diese Dinge muß man untersuchen. Ich kann unmöglich die ausgefallensten Möglichkeiten für eine Störung im Fernsehapparat erschöpfend im Bundestag behandeln.
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6918 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Ich rufe dann auf die Frage XIII/9.
— Wir haben noch andere Sorgen als die Post.
Ich rufe auf die Frage XIII/9 — des Herrn Abgeordneten Biechele —:
Wie weit sind die Planungen für den Bau eines Fernsehsenders auf dem Bodanrück gediehen, der für weite Gebiete am Bodensee den Empfang des 2. Fernsehprogramms ermöglichen soll?
Bitte, Herr Bundespostminister.
Die Planung für die Fernsehversorgung mit dem zweiten Fernsehprogramm auf dem Bodanrück kann erst abgeschlossen werden, wenn der im Aufbau befindliche Fernsehsender Grünten in Betrieb genommen ist und der geplante 150 m hohe Antennenträger des Fernsehsenders Ravensburg — Höchsten — fertiggestellt ist.
Mit der Inbetriebnahme des Fernsehsenders Grünten kann noch im Laufe dieses Jahres gerechnet werden. Voraussichtlich wird fast die Hälfte des Bodenseegebietes von diesem Sender mit dem zweiten Fernsehprogramm versorgt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biechele.
Können Sie, Herr Minister, den Zeitpunkt der möglichen Fertigstellung des geplanten Fernsehsenders auf dem Bodanrück etwas näher bezeichnen?
Der Aufbau des 150 m hohen Antennenträgers für den Fernsehsender Ravensburg ist für 1965 vorgesehen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Biechele.
Da mir bekannt ist, Herr Minister, daß Sie wissen, daß wir am Bodensee in verschiedenen Bereichen im Schatten der Entwicklung stehen, darf ich annehmen, daß Sie dieses Projekt mit allen Ihren Möglichkeiten fördern?
Selbstverständlich werde ich mir Mühe geben, den Aufbau des zweiten Fernsehprogramms auch im Bodenseegebiet soweit wie möglich zu beschleunigen. Wenn Sie aber davon sprechen, Herr Kollege Biechele, daß Sie im Schatten der Entwicklung des Fernsehens liegen, dann muß ich Ihnen widersprechen. Sie zahlen zwar die Gebühr von 7 DM an die Deutsche Bundespost, die wir mit den Rundfunkanstalten verrechnen. Sie haben aber noch nebenbei die Sender des Schweizer Programms und des österreichischen Programms und zum Teil sogar noch das Programm aus dem französischen Gebiet. Sie im Bodenseegebiet sind also geradezu bevorzugte Fernsehteilnehmer.
Herr Abgeordneter Brück, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich in diesem Zusammenhang eine grundsätzliche Frage stellen: Wären Sie bereit, einmal generell überprüfen zu lassen, was zu tun ist, damit es möglich ist, das zweite Fernsehprogramm im gesamten Bundesgebiet zu sehen? Oder sind die Kosten, die hierfür aufgewandt werden müssen, im Augenblick zu hoch?
Es hat mehrere Gründe, warum der Ausbau des zweiten Fernsehprogramms noch nicht abgeschlossen ist. Einmal sind die Planungs- und Fertigungskapazitäten der Industrie begrenzt, zum anderen müssen erst die Muttersender erstellt werden. Sobald die Muttersender Testsendungen ausstrahlen können, kann man Messungen vornehmen und die entsprechenden Umsetzer, deren Zahl beim zweiten und dritten Fernsehprogramm sehr groß sein wird, aufstellen. Dazu braucht man Zeit und viel Geld.
Bitte, Herr Abgeordneter Ertl, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, gibt es für den Ausbau des Empfangs des zweiten Fernsehprogramms eine Rangfolge in Ihrem Haus, oder wird die Entwicklung durch Zufall vorangebracht?
Nein, die Planung wird nicht durch ein Würfelspiel erstellt, sondern nach den Gesichtspunkten der Fernsehdichte, der Wirtschaftlichkeit und der Zusammenhänge. Sie können die Planung gern bei uns. einsehen, Herr Kollege Ertl.
Ich darf die Bitte an das Haus richten, nicht diese technischen Dinge zu forcieren. Wir haben über hundert Fragen. Wir wollen uns nicht bei den einzelnen Dingen zu sehr aufhalten. — Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Ertl.
Frage XIII/10 — des Herrn Abgeordneten Strohmayr —:
Trifft es zu, daß nach den Bestimmungen der neuen Postzeitungsgebührenordnung Zweimonatszeitschriften für Vertrieb und Zustellung an die Deutsche Bundespost Gebühren für zwölf Ausgaben zahlen müssen, obwohl nur sechs Ausgaben versandt werden?
Bitte, Herr Bundespostminister.
Nach § 6 Absatz 3 und 4 der Postzeitungsgehührenordnung wird die Vertriebsgebühr für eine alle zwei Monate erscheinende Zeitung in
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6919
Bundesminister Stücklender Höhe wie für eine einmal im Monat erscheinende Zeitung berechnet.Diese gebührenmäßige Gleichstellung ist durch das Gebührensystem bedingt, das durch die am 1. Januar 1964 in Kraft getretene Postzeitungsgebührenordnung neu eingeführt wurde. Im Hinblick auf die elektronische Datenverarbeitung, die aus Gründen der Rationalisierung des defizitären Postzeitungsdienstes angestrebt wird, konnte nicht für jede mögliche Erscheinungsweise ein besonderer Gebührensatz festgesetzt werden. Die Datenverarbeitung setzt vielmehr eine Beschränkung auf zehn Gebührenstufen voraus.Da für die alle zwei Monate einmal erscheinenden Zeitungen im Rahmen der zehn möglichen Gebührenstufen eine eigene Gebührenstufe nicht eingerichtet werden konnte, mußten diese Zeitungen entweder der Gebührenstufe „monatlich einmal" oder „vierteljährlich einmal" zugeordnet werden. Für die Entscheidung, die alle zwei Monate einmal erscheinenden Zeitungen den monatlich einmal erscheinenden Zeitungen gleichzustellen, war die Überlegung maßgebend, daß die Kostenunterdeckung in diesem Falle geringer ist. Diese Entscheidung war um so mehr gerechtfertigt, als der Verleger die Möglichkeit hat, die Erscheinungsweise „alle zwei Monate einmal" in „vierteljährlich einmal" umzuwandeln und zusätzlich zwei Sondernummern herauszugeben. Von dieser Möglichkeit haben auch viele der betroffenen Verleger Gebrauch gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise die „Juristische Praxis" in ihrer Existenz bedroht ist und deshalb gegen die Bundespost gemeinsam mit anderen Verlegern eine verwaltungsgerichtliche Klage eingereicht hat?
Wenn eine verwaltungsgerichtliche Klage läuft, möchte ich in dieses Verfahren überhaupt nicht eingreifen und das Ergebnis dieses Verwaltungsstreits abwarten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen auch bekannt, daß ein Verwaltungsgericht bereits vor einigen Jahren eine ebenfalls unsinnige Bestimmung der Postzeitungsgebührenordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärte, und zwar ebenfalls auf Grund einer Klage der „Juristischen Praxis"?
Das ist durchaus möglich. Auch die Post ist nicht unfehlbar, und wenn eine Verordnung erlassen wird, der andere Bestimmungen entgegenstehen, und ein Verwaltungsgericht entscheidet, daß sie aufgehoben werden muß, wird sich die Deutsche Bundespost selbstverständlich fügen.
Ich rufe auf die weitere Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf Drucksache IV/2635 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Ist es richtig, daß die Einnahmen der Deutschen Bundespost aus dem Telefonverkehr im September um 13 Millionen DM unter den Einnahmen vom Juli 1964 lagen?
Die Frage wird aufgenommen von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer. Bitte, Herr Minister.
Die Einnahmen an Fernsprechgebühren betrugen im Juli 1964 348 Millionen DM, im August 1964 321 Millionen DM, im September 1964 334 Millionen DM. Die Einnahmen im September 1964 waren somit um 13 Millionen DM geringer als im Juli 1964. Diese Mindereinnahme beträgt 3,8 °/o. Dazu ist festzustellen, daß in den entsprechenden Monaten der Vorjahre stets Mindereinnahmen zu verzeichnen waren. Der Vergleich zwischen Juli und September in den Jahren 1962 und 1963 brachte einen Unterschied zugunsten des Juli 1962 von 8,3 % und 1963 sogar von 12,4 %. Hinzu kommt, daß die Einnahmen in den Monaten August, September und Oktober des Jahres 1964 durch betrieblich-organisatorische Sondermaßnahmen im Zusammenhang mit der Gebührenänderung beeinflußt worden sind. Es handelt sich hierbei insbesondere um die zwei Sonderablesungen der Gebührenzähler. Dadurch wird die Vergleichbarkeit der Einnahmen für die genannten Monate entscheidend beeinträchtigt.
Daß ein echter Vergleich noch nicht möglich ist, können Sie daraus ersehen, daß im September 1964 bereits 48 Millionen DM oder 15,2 % mehr in Rechnung gestellt wurden als im Juli 1964.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Bundesminister, hebt nicht der zweite Teil Ihrer Antwort die Zuverlässigkeit des ersten Teiles auf?
Ich sehe darin keine Aufhebung des ersten Teils. Die absoluten Einnahmen, Herr Kollege Schäfer, haben wir selbstverständlich; sie sind in unserer Buchhaltung festgehalten. Diese kann ich miteinander vergleichen. Sie sagen aber gar nichts darüber aus, wie sich die Gebühreneinheiten zusammensetzen und wie sie sich entwickelt haben.
Eine weitere Frage, bitte!
Treffen Zeitungsmeldungen von heute morgen zu, daß Sie wieder eine Änderung der Telefongebühren beabsichtigen? '
Die Zeitungsmeldungen sind — soweit ich sie übersehen konnte — richtig.
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6920 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer.
Welche Einnahmen hatten Sie nach der Erhöhung vom 1. August für September erwartet?
Herr Kollege Cramer, ich habe nicht die ganzen Statistiken hier; das ist gänzlich ausgeschlossen. Ich würde sagen, sie hätten um mindestens 20 Millionen Mark höher sein müssen. Das ist eine gegriffene Zahl, die ich Ihnen gern exakt gebe, weil sie bei uns im Haushalt 1964 als voraussichtliche Soll-Einnahme festgelegt ist.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Cramer.
Ist die teilweise Rückgängigmachung der Erhöhung vom 1. August, die heute morgen in den Zeitungen angekündigt wurde, auf den Rückgang der Einnahmen auf dem Fernmeldesektor zurückzuführen?
Ich möchte sagen, daß dies mit eine Rolle gespielt hat. Entscheidend aber war, daß es durch die Übersicht über die Haushaltslage 1964 und 1965 — ich meine da auch die Steueränderungsgesetze — dem Finanzminister möglich war, der Deutschen Bundespost eine finanzielle Entlastung zuzubilligen. Ich stand immer auf dem Standpunkt, Herr Kollege Cramer, daß, wenn der Finanzminister in der Lage ist, der Deutschen Bundespost eine finanzielle Entlastung zuzubilligen, das auch bei der Gebührenbemessung berücksichtigt werden soll.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Frehsee.
Hätte es nicht, Herr Bundesminister, zur ordnungsgemäßen Führung eines Ministeriums gehört, sich eine solche Ubersicht wie die, von der Sie gesprochen haben, schon rechtzeitig vorher, d. h. im Frühjahr dieses Jahres, zu machen?
Herr Kollege, wir haben diese Übersicht. Aber Sie können von mir unmöglich verlangen, daß ich alle meine Statistiken hier habe.
Warum dann, Herr Minister, die Gebührenerhöhung und keine Gebührensenkung?
Was meinen Sie jetzt?
Herr Abgeordneter Dröscher.
Spielt bei der jetzt gewonnenen Erkenntnis des Herrn Bundeskanzlers, der von Ihnen verlangt hat, die Gebühren zu senken, die unmittelbar bevorstehende Wahl eine Rolle?
Ich glaube, nein. Sie können den Herrn Bundeskanzler selber fragen.
Ich danke Ihnen. —
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen. Ich rufe auf die Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Martin —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten der Deutschen UNESCO-Kommission, Herrn Professor Eckert, wonach viele Bewohner der Zonenrandgebiete gegenüber. der Bevölkerung des übrigen Bundesgebietes dadurch stark benachteiligt seien, daß die Möglichkeiten auf den verschiedensten Gebieten der Bildung geringer seien als im Bundesdurchschnitt und fast allen Bewohnern dieser Gebiete der Zugang zu Kultur- und Ausbildungsstätten erschwert sei?
Herr Präsident, ich darf die beiden Fragen des Herrn Kollegen Dr. Martin gemeinsam beantworten.
Ich rufe also auch die Frage I/2 auf:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, in die Förderung des Zonenrandgebietes die Vermehrung der Bildungsmöglichkeiten einzubeziehen bzw. darüber mit den zuständigen Ländern zu verhandeln?
Die Ausführungen des Präsidenten der deutschen UNESCO-Kommission, des Herrn Professor Eckert, waren der Bundesregierung bisher nicht bekannt. Es ist richtig, daß man von einer Benachteiligung derjenigen Bewohner des Zonenrandgebiets sprechen kann, die in der Nähe der Demarkationslinie wohnen. In vielen Fällen können sie die früher nahe gelegenen Bildungs- und Kultureinrichtungen jetzt nicht besuchen, da sie durch Stacheldraht und Minenfelder davon abgeschnitten sind. Die Verhältnisse sind jedoch verschieden. Sie liegen anders in den beiden Großstädten Lübeck und Braunschweig als beispielsweise in den Landkreisen Eschwege oder Kronach. Die Bundesregierung hat seit 1951 in enger Zusammenarbeit mit den betreffenden Ländern den Schwierigkeiten im Kultur- und Bildungswesen im Zonenrandgebiet dadurch Rechnung getragen, daß sie in dieser Zeit insgesamt rund 80 Millionen DM an Zuschüssen gezahlt hat, und zwar für den Bau von Volks-, Mittel- und auch von höheren Schulen im Zonenrandgebiet. Darüber hinaus sind auch Mittel für Projekte bereitgestellt worden, die der beruflichen Aus- und Fortbildung der Bevölkerung des Zonenrandgebiets dienen. Für die Einrichtung von 222 allgemeinbildenden Schulen wurden beispielsweise im Jahre 1963 rund 640 000 Mark ausgegeben; 1964 waren es 660 000 DM. Für Zwecke der Erwachsenenbildung wurden 1963 820 000 DM und 1964 870 000 DM an Bundeszuschüssen gezahlt. Die weiteren Förderungsmaßnahmen beziehen sich auf
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Bundesminister Dr. Mendeden Bau von Kindergärten, Einrichtungen im Büchereiwesen, Unterstützung des Theater- und Musikwesens und den Bau bzw. die Einrichtung von Veranstaltungs- und Tagungsstätten im Zonenrandgebiet. Hierfür beliefen sich die Bundeszuschüsse 1963 und 1964 zusammen auf 31/2 Millionen DM. Man muß bedenken, daß zu diesen Aufwendungen, die der Bund leistet, natürlich noch erhebliche Leistungen aus den Zonenrandländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern hinzutreten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Martin!
Herr Minister, gibt es in dem Programm, das jetzt im Schoße der Bundesregierung neu erarbeitet wird, noch zusätzliche
Überlegungen zu dem, was Sie jetzt gesagt haben?
Herr Kollege Martin, die Bundesregierung hat die Zonenrandhilfe für das nächste Jahr insgesamt um 50 Millionen DM angehoben, so daß zu den bisher 142 Millionen DM ungekürzter Mittel je Jahr noch weitere 50 Millionen DM für das Jahr 1965 hinzutreten. Der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat einstimmig die Anhebung auch der kulturellen Förderungsmittel des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen vorgeschlagen. Ich hoffe sehr, daß der Haushaltsausschuß dieser einstimmigen Empfehlung folgen wird.
Herr Abgeordneter Moersch, eine Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß auch in der Vergangenheit schon etwas mehr hätte getan werden können, und glauben Sie, daß diese zukünftige Erhöhung ausreichen wird?
Ich glaube, Herr Kollege Moersch, für das Zonenrandgebiet kann nicht genug getan werden. Ohne Zweifel sollten die dafür bisher bereitgestellten Mittel wesentlich erhöht werden. Ich hoffe sehr auf die Hilfe dieses Hauses, insbesondere bei den Haushaltsentscheidungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Junghans!
Herr Minister, sind Sie auch der Meinung, daß hierbei, insbesondere bei dem Besuch zentraler Bildungseinrichtungen, die schlechten Verkehrsverbindungen, die von Bundesbahn und Bundespost zu verantworten sind, eine Rolle spielen?
Bei den Bereisungen des Zonenrandgebiets durch den Herrn Bundespräsidenten, durch verschiedene Kollegen des Kabinetts und durch die Gesamtdeutschen Ausschüsse von Bundestag und Bundesrat sind viele Klagen über mangelnde Verkehrshilfen lautgeworden. Hier muß in der Tat mehr getan werden! Insbesondere sollten Stillegungen von Verkehrslinien der Bundesbahn aus Rentabilitätsgründen nicht mehr erfolgen,
weil man Zonenrandfragen nicht aus Rentabilitätsgesichtspunkten beurteilen sollte, sondern aus staatspolitischer Einsicht.
Eine weitere Frage!
Herr Minister, es war meine Frage, ob Sie der Meinung sind, daß der Zugang zu den Bildungseinrichtungen mit durch die schlechten Verkehrsverbindungen beeinflußt wird.
Es gibt viele Dinge, die Erschwernisse für die Bevölkerung im Zonenrandgebiet bringen. Dazu gehören auch selbstverständlich die gekappten und inzwischen noch nicht überall neu strukturierten Verkehrsverbindungen.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer!
Herr Minister, gibt Ihnen der dem Hause nun vorliegende Entwurf des Haushaltsplans die Möglichkeit, die Probleme, die Sie eben angeschnitten haben, einer befriedigenden Lösung zuzuführen?
Herr Kollege- Schäfer, gemessen an den Wünschen, die aus den vier Zonenrandländern vorliegen, wird kaum eine befriedigende Lösung möglich sein. Dann wäre schon eine wesentliche Ausweitung des Gesamtetats notwendig.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer?
Meine Frage ist ganz konkret, Herr Minister: Entspricht der Haushaltsentwurf, wie er heute hier dem Hause vorliegt, der jetzigen Absicht des Ministers für gesamtdeutsche Fragen?
Nein, der Minister für gesamtdeutsche Fragen hätte weitergehende Wünsche. Er muß sich aber selbstverständlich der Limitierung des Haushalts durch das Gesamtkabinett unterwerfen.
Herr Abgeordneter Frede zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, wenn es nunmehr zu einer verstärkten Förderung kommen sollte, was ja von allen Seiten dringend gewünscht wird,
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6922 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. Fredewürden Sie dann auch eine verstärkte Förderungkultureller Einrichtungen, insbesondere von Orchestern und Theatern, in das Programm einbeziehen?
Eine solche Förderung der Kultureinrichtungen ist bereits seit Jahren üblich. Auch hier würden bei stärkeren Mitteln stärkere Förderungsmaßnahmen möglich sein.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß ein Mangel an Ausbildungs- und Bildungsstätten und an Möglichkeiten kultureller Art auch im Bayerischen Wald als östlichem Grenzland besteht?
Das bayerisch-tschechische, oder besser: das deutsch-tschechische Grenzgebiet ist selbstverständlich ebenso hilfsbedürftig wie das Zonenrandgebiet und ist auch in die Betreuungsrahmen einbezogen. Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß nach dem Grundgesetz primär die Länder für kulturelle Maßnahmen zuständig sind und daß der Bund lediglich gewisse Zusatzhilfen erbringen kann.
Frau Abgeordnete Dr. Kiep-Altenloh!
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung in Erwägungen eingetreten, gerade im Zusammenhang mit dem Ausbau der Kultureinrichtungen auch eine einheitliche Verkehrsplanung nach politischen Gesichtspunkten im Zonengrenzgebiet auszuarbeiten?
Frau Kollegin Kiep-Altenloh, ich bin nicht in der Lage, mich jetzt in die verkehrspolitischen Vorstellungen des Herrn Kollegen Dr. Seebohm hineinzudenken. Ich bin aber überzeugt, daß zum Gesamtprogramm der stärkeren Zonenrandbetreuung selbstverständlich, vielleicht sogar primär, eine verbesserte Verkehrspolitik gehören sollte.
Eine weitere Frage, Frau Dr. Kiep-Altenloh!
Herr Bundesminister, werden Sie als Gesamtdeutscher Minister diese Frage, die mir für die Erschließung des Zonenrandgebietes und für die politische Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung zu sein scheint, immer wieder ansprechen?
Ich teile vollinhaltlich diese Auffassung.
Herr Abgeordneter Dr. Martin zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß es notwendig ist, gerade weil es sich um kulturelle Dinge handelt, mit den Ländern beispielsweise über die Frage der Schulwegfreiheit ausdrücklich zu verhandeln? Das Problem ist doch ebenso wichtig wie die Verbesserung des Straßennetzes!
Mit den Ländern besteht ein ständiger Kontakt, soweit es unser Haus betrifft, in der Frage der Kultur- und Bildungseinrichtungen. Soweit der Verkehrsminister selber in Fragen der Bundesbahn und der Schiffahrt mit den Ländern in Verbindung steht, mag er selbst auf diese Frage Antwort geben.
Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Minister, denken Sie an bestimmte Schwerpunkte im Rahmen der kulturellen Förderung im Zonenrandgebiet?
Das kann man feststellen. Ich sagte schon auf die erste der beiden Fragen des Kollegen Dr. Martin, daß man nicht schematisch das ganze Zonenrandgebiet gleich behandeln kann. Es gibt Räume, die Förderungen nicht nötig haben, wie beispielsweise die Gebiete Salzgitter, Wolfsburg, Braunschweig und Lübeck. Diese Räume sind in einer günstigeren Lage als beispielsweise die Landkreise Eschwege, Bad Hersfeld, Witzenhausen in Hessen oder Kronach und andere Gebiete in Bayern. Schon daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer differenzierten Hilfe und einer Schwerpunktbildung.
Herr Abgeordneter Dr. Supf zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, denken Sie bei den Förderungsmaßnahmen auch an die Bundeswehr in den Randgebieten, speziell in bezug auf die kulturelle Förderung?
Die kulturelle Förderung, insbesondere die Erstellung von Tagungsräumen, Kulturhallen und Stadthallen, soll natürlich allen Bewohnern zugute kommen, also auch den peripher gelegenen Garnisonen der Bundeswehr.
Herr Abgeordneter Bühler zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie bereit, den Ländern zu empfehlen, den Schülern höherer Schulen und der Berufs- und Fachschulen in diesen besonderen Gebieten des Zonenrandes freie Fahrt auf öffentlichen Verkehrsmitteln zu gewähren?
Ich kann diese Empfehlung aufnehmen und
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6923
Bundesminister Dr. Mendean den Herrn Bundesverkehrsminister weitergeben, der mit den Ländern, soweit es sich um kommunale Institutionen handelt, Verbindung aufnehmen müßte, sowie an den Herrn Bundesfinanzminister, der möglicherweise die entsprechenden Ausgleichszahlungen zu erstatten hat. Hier bereits eine definitive Antwort zu geben, würde zu früh sein.
Herr Minister, darf ich fragen, ob nicht die Kultusminister der Länder dafür zuständig wären?
Es kann durchaus eine gute Zusammenarbeit beider, des Bundes wie der Länder, hier angestrebt werden. Primär sollten natürlich die Länder und zum Teil die Kommunen diese eventuellen Leistungen erbringen.
Frau Abgeordnete Eilers!
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß alle Anregungen auf Fahrgeldfreiheit und Schulgeldfreiheit nichts nützen, wenn die entsprechenden Verkehrsverhältnisse nicht ausgebaut sind, damit den jungen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, ohne Internatsunterbringung, die erhebliche Kosten verursacht, von den Schul- und Bildungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen?
Es gibt viele Fragen bei der Förderung des Zonenrandgebietes, die sich wechselseitig bedingen und ergänzen. Das trifft auch für diese verkehrspolitischen Fragen und die Frage der Bildungseinrichtungen zu.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu der Frage aus 'dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, der Frage des Herrn Abgeordneten Jahn:
Hält die Bundesregierung die Anwendung des § 556 a BGB nach dem Urteil des Amtsgerichts Herford vom 10. April 1964 — 10 C 167/64 — für zutreffend und ausreichend, wonach einer schwangeren Mieterin Schutz aufgrund des § 556 a BGB nur für eine Zeitdauer bis sechs Wochen nach der Geburt gewährt werden soll?
Ich bitte um Verständnis dafür, Herr Kollege Jahn, wenn ich ein einzelnes Urteil eines Amtsgerichts hier nicht kritisieren möchte. Aber ich darf doch auf drei Tatsachen hinweisen, die sich aus dem mir vorliegenden Akt ergeben.
Erstens: Die Niederkunft der Beklagten war Mitte September zu erwarten. Das Mietverhältnis wurde bis zum 31. Oktober, also tatsächllich nur um sechs Wochen von der Niederkunft ab, verlängert. Das Urteil aber erging bereits am 10. April, so daß die Frist immerhin über sechs Monate war.
Zweitens: Die beklagte Mieterin selber hat in dem letzten Schriftsatz vor dem Urteil beantragt: „Dem Kläger wird aufgegeben, das Mietverhältnis mit der
Beklagten bis zum 31. 10. 1964 fortzusetzen." Das
Urteil entsprach also diesem Antrag der Beklagten.
Drittens: Berufung gegen dieses Urteil ist — wahrscheinlich deshalb — nicht eingelegt worden. Im übrigen ist mir nicht bekannt, wie die Sache dann weitergegangen ist. Nach diesem Verlauf müßte man fast annehmen, daß die Beklagte mit dem Urteil, das ihrem Antrag entsprach, zufrieden war und fristgerecht ausgezogen ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Minister, dennoch hätte ich gern Ihre Meinung darüber gewußt, ob Sie diese Anwendung des Gesetzes für richtig halten.
Die Anwendung des Gesetzes in dem- Sinne, daß dem Antrag einer Prozeßpartei entsprochen wird, dem die andere Partei auch nicht widerspricht, halte ich auf jeden Fall für richtig.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Jahn!
Sind Sie nicht der Meinung, Herr Minister, daß hier eine Verwechslung zwischen Mieterschutz und Mutterschutz vorgelegen hat?
Die gesamte Räumungsfrist, die gesamte Verlängerung des Mietverhältnisses erstreckte sich ja, wie ich sagte, auf sechs Monate, und diese Frage hat mit dem Mutterschutz nichts zu tun.
Herr Abgeordneter Schäfer zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, ist die Antwort, die Sie gegeben haben, im Einvernehmen mit dem Bundeswohnungsbauminister abgegeben?
Ich habe den Herrn Bundeswohnungsbauminister, da es sich um eine rein bürgerlich-rechtliche Frage handelt, hier nicht konsultiert.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schäfer!
Es würde uns aber interessieren, ob der Bundeswohnungsbauminister, der ja hier durch seinen Staatssekretär vertreten ist, ein solches Ergebnis als in Einklang mit der von ihm verfolgten Politik stehend bezeichnen würde.
An sich haben Sie nur eine Frage an den Bundesjustizminister gestellt.
6924 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 21. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich weiß nicht, ob Herr Staatssekretär Dr. Ernst in der Lage ist, jetzt aus dem Handgelenk zu antworten.
Herr Professor Dr. Ernst, wollen Sie eine Antwort geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß nach der prozessualen Lage, die der Herrn Bundesjustizminister dargestellt hat, das Gericht kaum eine Möglichkeit hatte, anders zu entscheiden.
Ich danke dem Herrn Minister und dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.
Ich rufe die Frage IV/1 — des Abgeordneten Fritsch — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Bundesbaugesetz die private Bautätigkeit, insbesondere auf dem Gebiete des sozialen Wohnungsbaues, in Niederbayern unerträglich einschränkt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um die Erlaubnis, diese und die nächste Frage zusammen zu beantworten, da sie in einem untrennbaren sachlichen Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich zugleich die Frage IV/2 — des Abgeordnenten Fritsch — auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, über die bisherigen, den Ländern gegebenen Empfehlungen hinaus den einschränkenden Wirkungen des Bundesbaugesetzes zu begegnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach Ansicht der Bundesregierung hat das Bundesbaugesetz die private Bautätigkeit, insbesondere den sozialen Wohnungsbau, nicht eingeschränkt. Dies gilt für alle Länder der Bundesrepublik. Im Land Bayern haben die für den Bau genehmigten Wohnungen in den ersten acht Monaten dieses Jahres gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres sogar um 14 % zugenommen.
Eine Rückfrage bei der zuständigen obersten Baubehörde in München hat ergeben, daß auch in Niederbayern keine Einschränkung des sozialen Wohnungsbaues und der übrigen privaten Bautätigkeit durch das Bundesbaugesetz festgestellt werden konnte.
Wir haben, was das Bauen in den Außengebieten anbelangt, den Ländern durch einen Erlaß vom 28. März des vorigen Jahres einige Anregungen gegeben, denen die Länder auch Rechnung getragen haben. Im übrigen stehen wir mit den Ländern wegen einer sachgerechten Ausführung des Bundesbaugesetzes in einem ständigen Kontakt. Ich möchte hier aber ausdrücklich feststellen, daß die Länder stets aus eigener Initiative bemüht gewesen sind, das Bundesbaugesetz sachgerecht auszuführen. Zu weiteren Schritten, wie sie in der zweiten Frage angesprochen sind, sieht die Bundesregierung daher im Augenblick keine Notwendigkeit.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für möglich, daß viele Baugesuche zahlenmäßig bei der obersten Baubehörde — z. B. in Bayern — gar nicht erscheinen, weil sie über die unteren Verwaltungsbehörden nicht erfaßt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist natürlich möglich. Es war aber der Sinn des Bundesbaugesetzes in der Bestimmung über das Bauen in Außenbereichen, daß hier eine wirksamere Ordnung erreicht werden sollte, als sie bis dahin bestand.
Zu einer weiteren Frage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß sich vom Inhalt des Gesetzes her mindestens für anders strukturierte Gebiete nachträgliche Auswirkungen ergeben, wenn wir uns ganz einfach die Tatsache vor Augen halten, daß das Bundesbaugesetz für die Großstadt München genauso gilt wie für ein Dorf im Bayerischen Wald, welches unter ganz anderen und schwierigen Voraussetzungen nicht in der Lage ist, die vom Gesetz geforderten Möglichkeiten überhaupt zu erfassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Bundesbaugesetz war ja von dem Hohen Hause von vornherein zur Anwendung auch auf dem flachen Lande gedacht. Die Vorschriften sind so elastisch gehalten, daß sie nicht nur auf die Großstädte zugeschnitten sind. Im übrigen haben die Regierungen, auch die bayerische Regierung, gerade für das Bauen in Außenbereichen nach und nach einige sehr wesentliche Erleichterungen .zugelassen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. die Zusicherung des Herrn bayerischen Innenministers, die Ausführungsbestimmungen zu § 35 des Bundesbaugesetzes großzügig zu handhaben, bisher keinerlei Auswirkungen gezeigt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu kann ich keine Erklärung abgeben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6925
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie im Nachgang zu dem, was bisher den Ländern in dieser Frage zugegangen ist, noch einmal darum bitten, daß tatsächlich eine großzügige Auslegung und Anwendung der Ausnahmebestimmungen erfolgt, um den vielen Bewerbern, die bereits im Vorfeld des Versuches zu bauen auf der Strecke liegen, doch noch das Bauen mindestens in den Notstandsgebieten zu ermöglichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will die Ministerkonferenz, die Ende dieses Monats stattfinden wird, gern dazu benutzen, noch einmal auf unsere Gesichtspunkte für die Auslegung der Vorschriften über das Bauen in Außenbezirken hinzuweisen.
Herr Abgeordneter Unertl drängt. Wollen wir ihm die Möglichkeit zu einer Frage bieten!
Und zwar deshalb, Herr Präsident, weil ich hinten nicht zum Zuge kam.
Ich bedaure das sehr.
Die Hinterbänkler haben es immer schwer.
Herr Staatssekretär, ist es nicht erwägenswert, einmal Untersuchungen darüber anzustellen, wie sich das Bundesbaugesetz und das Wasserwirtschaftsgesetz in den Ballungsräumen und in den ländlichen Gebieten auswirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wollen wir gern versuchen.
Eine zweite Frage des Abgeordneten Unertl.
Es ist doch, Herr Staatssekretär, ohne Zweifel festzustellen, daß durch die beiden Gesetze gerade die ländlichen Gemeinden in der Finanzkraft überfordert sind und die Großstädte und die Ballungsräume es leichter haben, die Auflagen, die das Bundesbaugesetz und das Wasserwirtschaftsgesetz machen, zu erfüllen.
Das ist an sich keine Frage, Herr Unertl, aber eine zutreffende Feststellung.
Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das Bundesbaugesetz zu einem wirksameren Baustopp geführt hat als das seinerzeit beschlossene Baustoppgesetz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, der Ansicht bin ich nicht. Es war die Absicht des Gesetzes, in der Bebauung von Außengebieten eine gewisse Ordnung herbeizuführen, um die Zersiedlung der Landschaft zu verhindern. Dies sollte man nicht als einen Baustopp bezeichnen.
Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es eine bessere Ordnung ist, wenn sich heute bei den Regierungen die Baupläne stapeln und dort vorwiegend nach bürokratischen Gesichtspunkten erledigt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß man bei der schwierigen Überprüfung von Bebauungsplänen durch die Behörden generell von einer bürokratischen Handhabung sprechen kann. Daß personell nicht überall die Voraussetzungen gegeben sind, ist uns bekannt. Wir bemühen uns, in der Ausbildung des Nachwuchses in dieser Fachrichtung einiges zu tun, soweit es uns in der Bundeszuständigkeit möglich ist.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Unmut der Bevölkerung über das Bundesbaugesetz deshalb so groß ist, weil einzelne Bauvorhaben, sei es von Arbeitern, Angestellten oder Beamten, außerordentlich langwierig behandelt und sehr oft abgelehnt werden, während Bauvorhaben von mächtigen, einflußreichen Gesellschaften gerade wegen dieser jetzigen Handhabung relativ schnell zur Erledigung kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe keinen Anlaß anzunehmen, daß das, was Sie eben sagten, die regelmäßige Erledigung solcher Anträge sein sollte.
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, wenn ich sage, daß die von den Bezirksregierungen meistens erteilte Auflage, auch für kleine Gemeinden Flächennutzungspläne und Bebauungspläne aufzustellen, a) technisch in der kurzen Zeit kaum durchführbar, b) außerordentlich kostspielig und c) deshalb ein ausgesprochenes Bauhindernis ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das kann höchstens eine Über-
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6926 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Staatssekretär Dr. Ernstgangsschwierigkeit sein. Im Prinzip halte ich das Erfordernis, daß man, ehe man Bauten zuläßt, Flächennutzungs- und Bebauungspläne macht, für richtig, und ich möchte ausdrücklich sagen, daß unsere Nachbarländer uns auf diesem Gebiet weit voraus sind und damit im allgemeinen eine sehr viel bessere Ordnung der Bebauung erreicht haben, als es uns bisher möglich war.
Eine zweite Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, gibt es eine Möglichkeit, gegen die Haltung solcher Regierungsbezirke vorzugehen, die die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, daß kleinere Gemeinden nur Bebauungspläne aufstellen, was ja sehr viel leichter ist, angesichts einer offenbar vorhandenen Anweisung des dortigen Ministeriums nicht zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, vielleicht darf ich bitten, daß Sie uns konkret den Fall bezeichnen, den Sie meinen. Ich bin dann gern bereit, mit der zuständigen Landesregierung zu sprechen.
Herr Abgeordneter Unertl, hatten Sie noch eine Frage?
Herr Präsident, das zweite war nur eine Feststellung. — Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, einmal unerkannt, also nicht als Staatssekretär, bei einer Bezirksregierung als Bauwilliger vorzusprechen, um sich sagen zu lassen: „Dafür, daß Ihr Antrag nicht genehmigt ist, bedanken Sie sich bei denen, die das Bundesbaugesetz gemacht haben"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme an, Herr Abgeordneter, daß das eine rhetorische Frage war.
Herr Abgeordneter Stecker, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß einzelne Regierungen, auch z. B. in Niedersachsen, den Sammelbegriff „nach raumordnerischen Gesichtspunkten" so auslegen, daß in den kleinen Gemeinden überhaupt nicht mehr gebaut werden darf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das der Fall sein sollte, würde ich das für eine nicht sachgerechte Handhabung halten.
Würden Sie die von Ihnen angekündigte Besprechung mit den Länderministern dazu benutzen, auch auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Ich darf aber noch einmal sagen: wir sind immer der Meinung gewesen, daß Ordnung der Bebauung nicht heißt, das Bauen zu verbieten, sondern nur heißt, ein geordnetes Bauen durchzusetzen.
Herr Abgeordneter Dr. Kohut zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie nicht die schwerwiegenden und sicher nicht aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen meines Kollegen Ertl sachgemäß auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie uns konkrete Unterlagen für den Fall geben, werde ich das selbstverständlich tun.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zu der Frage des Herrn Abgeordneten Fritsch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in absehbarer Zeit den Entwurf einer 4. Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz vorzulegen, der den berechtigten Forderungen der Heimkehrer, insbesondere auf den Gebieten des Beginns und der Höhe der Entschädigung für erlittene Gewahrsamszeiten, Gewährung des Wehrsoldes während der Gefangenschaft und Anrechnung der Haftdauer als Versichertenzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht?
Bitte, Herr Minister.
Das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wurde erst vor zwei Monaten durch eine 3. Novelle geändert und ergänzt. Die Verbesserungen sind am 1. September, also zu Beginn des vorigen Monats, in Kraft getreten. Die Bundesregierung hält es nicht für möglich und hat auch nicht die Absicht, in dieser Legislaturperiode den Entwurf einer 4. Novelle vorzulegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, darf ich daraus entnehmen, daß Sie tatsächlich den Aufwand von 200 Millionen DM im Rahmen der 3. Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, der noch dazu in den Fragen der Entschädigungsleistungen auf vier Jahre verteilt werden soll, für ausreichend halten, um den berechtigten Ansprüchen der Heimkehrer zu genügen, und zum zweiten, um in Fragen der Verteidigung unserer Freiheit die Glaubwürdigkeit beizubehalten, wenn und insoweit dadurch feststeht, daß wir den Mitmenschen, die ihre Freiheit über Jahre verloren haben, nicht den gerechten Ausgleich geben?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6927
Zu eins kann ich antworten, daß darin in keiner Weise eine Meinung von mir zum Ausdruck gekommen ist, daß ich das für ausreichend hielte.
Damit entfällt die zweite Frage.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, ist etwas über das Schicksal eines Entwurfs für ein Wehrsoldgesetz bekannt, den der Verband der Heimkehrer vor nunmehr vier Jahren überreicht hat und zu dem der damalige Herr Bundeskanzler erklärt hat, er werde ihn prüfen? Der Verband der Heimkehrer hat bisher keine Antwort darauf bekommen, wie sich die Bundesregierung zur Frage der Gewährung des Wehrsoldes stellen wird.
Der Vorgang ist mir nicht bekannt.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Damit ist die heutige Fragestunde beendet.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Drucksache IV/ 2605).
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von der Bundesregierung eingebrachte Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs wurde vom Bundesrat in seinen Sitzungen vom 12. und 13. Juli 1962 im ersten Durchgang behandelt. Der Bundesrat hat damals entsprechend den Empfehlungen der beratenden Ausschüsse einige Änderungen vorgeschlagen und im übrigen festgestellt, daß das Gesetz seiner Zustimmung bedarf.Der Deutsche Bundestag hatte den Entwurf in seiner 131. Sitzung am 12. Juni 1964 in der Fassung der Bundestagsdrucksache IV/2431 angenommen.Im zweiten Durchgang hat der Bundesrat in seiner 271. Sitzung am 26. Juni 1964 die Anrufung des Vermittlungsausschusses beschlossen. Der Vermittlungsausschuß hat sich mit der Sache in seiner Sitzung vom 14. Oktober dieses Jahres befaßt und den Ihnen nunmehr vorliegenden Vermittlungsvorschlag gemacht, über den zu berichten ich die Ehre habe.Ziel und Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf das Anschwellen der Verkehrsverstöße ein wirksames materielles Recht zu schaffen und gleichzeitig die Voraussetzung zu seiner einfachen und schnellen Durchsetzung herbeizuführen.Die wichtigsten Änderungen im Strafgesetzbuch sind erstens die Einführung des Fahrverbots, zweitens der Ausbau der strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis, drittens die Verschärfung der Bestimmungen über Verkehrsgefährdung, insbesondere das vom Bundestag eingefügte Vergehen des Fahrens in verkehrsuntüchtigem Zustand ohne konkrete Verkehrsgefährdung; das war früher eine Übertretung.Die wichtigsten vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen der Strafprozeßordnung betreffen die Auflockerung der Vorschriften über die Beweisaufnahme und die Einschränkung der Revision in Bagatellsachen.Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß in insgesamt fünf Punkten angerufen. Der Vermittlungsausschuß ist dem Vermittlungsbegehren in zwei Punkten gefolgt und hat sich in drei Punkten dem Vermittlungsbegehren versagt. Zu den einzelnen Punkten berichte ich jetzt wie folgt.Erstens. In § 42 m Abs. 2 des Strafgesetzbuches verlangt der Bundesrat, die Aufführung der Trunkenheit im Verkehr als Grund -für die Entziehung der Fahrerlaubnis als Ziffer 2 einzufügen. Diesem Vermittlungsbegehren ist der Vermittlungsausschuß gefolgt einschließlich der hierdurch notwendig werdenden weiteren redaktionellen Änderungen.Zweitens. Die Verlängerung der Verjährungsfrist für die Strafverfolgung von Übertretungen von 3 auf 6 Monate fand im Vermittlungsausschuß keine Mehrheit. Die überwiegende Auffassung im Vermittlungsausschuß ging dahin, daß — nachdem die Trunkenheit am Steuer nicht mehr Übertretung, sondern Vergehen ist — kein Bedürfnis der Strafverfolgungspraxis an einer Verlängerung der Verjährungsfristen bestehe.Drittens. Ebenso hatte das Vermittlungsbegehren keinen Erfolg, soweit es sich auf die Neugestaltung der Beweisaufnahme und die Beschränkung der Revision in Bagatellsachen bezieht. Hier war die überwiegende Meinung, daß es nicht angebracht sei, in einem strafrechtlichen Nebengesetz so einschneidende Änderungen des gesamten Strafverfahrenrechts herbeizuführen.Viertens. Das Vermittlungsbegehren in Richtung auf die Änderung der Vorschriften über den Erlaß des Strafbefehls, der §§ 408 und 409 der Strafprozeßordnung, drang im Vermittlungsausschuß durch. Es handelt sich dabei um notwendige Folgen aus der Änderung des § 407 der Strafprozeßordnung, worin die Regierungsvorlage entgegen der geltenden Fassung, die lediglich die Aufnahme der Strafe in den Strafbefehl vorsah und die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung im Strafbefehl ausschloß, im Sinne des Entwurfs geändert wurde.Fünftens. Schließlich umfaßte das Vermittlungsbegehren ein Verbot der Rückwirkung für die Revisionsbeschränkung in Bagatellsachen für solche Urteile, die vor Inkrafttreten des Gesetzes erlassen worden sind. Wegen des Zuammenhangs dieses Punktes mit dem vom Vermittlungsausschuß nicht aufgenommenen Vermittlungsbegehren in der Hauptsache — zu Punkt 3 — konnte das Vermitt-
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6928 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Jahnlungsbegehren auch insoweit keinen Erfolg haben. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den jetzt vom Vermittlungsausschuß vorgelegten Anträgen Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Abgabe von Erklärungen wird nicht gewünscht. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, über die vorgeschlagenen Änderungen gemeinsam abzustimmen. Ich stelle den Antrag des Vermittlungsausschusses zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung; im übrigen einstimmige Annahme des Vorschlags des Vermittlungsausschusses.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung von Wertgrenzen und Kostenvorschriften in der Zivilgerichtsbarkeit (Drucksache IV/2606).
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoogen als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 24. Juni dieses Jahres beschlossen, die Wertgrenze für die Zuständigkeit von Amtsgerichten in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten von 1000 auf 1500 DM zu erhöhen. Hiergegen hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, es bei der durch den Bundestag festgesetzten Wertgrenze zu belassen. Das hat zur Folge, daß sich das Hohe Haus mit dieser Frage nicht mehr zu beschäftigen braucht, wohl aber mit der Frage der Inkraftsetzung. Durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist eine Verzögerung entstanden. Das Gesetz kann nicht mehr zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft gesetzt werden. Der Vermittlungsausschuß schlägt Ihnen vor, es zum 1. Januar 1965 in Kraft zu setzen. Infolgedessen bitte ich Sie namens des Vermittlungsausschusses, dem Antrag auf Drucksache IV/2606 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Erklärungen werden nicht abgegeben. Wir stimmen ab über den Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache IV/2606. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5:
a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965 (Drucksache IV/2500) ;
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr
1965 (Drucksache IV/2622).
Wir setzen zunächst die Aussprache über das Haushaltsgesetz fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers hat in einer ausgezeichneten Weise eine Gesamtübersicht über das Zahlenwerk des Haushaltsplans und über die sich in ihm spiegelnden Leistungen der Bundesregierung gegeben. Namens meiner Freunde möchte ich dafür dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern ausdrücklich unseren Dank sagen.
Die erhebliche Steigerung der Ausgaben für wichtige Bereiche der Bundesaufgaben während dieser Legislaturperiode spricht eine deutliche Sprache für die Interessierten, für die Öffentlichkeit, auch für diejenigen, die sich immer darin gefallen, den Haushaltsplan des Bundes als ein „Buch mit sieben Siegeln" zu bezeichnen. Nun, das angeblich versiegelte Buch ist aufgeschlagen und durch die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers ausführlich kommentiert worden. Jeder, der sich die Zeit nimmt, diese kommentierte Ausgabe zu lesen, kann sich ein eigenes Urteil über die einzelnen Ausgabenbereiche, ihre Größenordnung und ihre Entwicklung bilden. Über die gesamten öffentlichen Haushalte — Bund, Länder und Gemeinden — kann man sich im Finanzbericht 1965 orientieren.Wir sind erfreut darüber, daß aus der wachsenden Wirtschaftskraft der Bundesrepublik, welche ebensosehr der Tüchtigkeit des ganzen deutschen Volkes wie auch der Politik der Bundesregierung zu verdanken ist, die Aufwendungen für die Wohlfahrt, die Sicherheit und die Freiheit unseres Volkes haben erweitert werden können.Es ist für 1965 erstmalig gelungen, den Haushaltsplan noch vor den Sommerferien dem Bundesrat zuzuleiten, so daß er jetzt Mitte Oktober dem Bundestag vorliegt und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden kann. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung erfüllt, den Haushaltsplan, wenn auch nicht vor Beginn des neuen Rechnungsjahres, so doch sehr bald nach diesem Beginn verabschieden zu können.Dieser Zeitgewinn ist bedeutend; er ist es insonderheit deshalb, weil er sich nach der Änderung der Etatperiode abspielt, die sich heute mit dem Kalenderjahr deckt. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß es bei der alten Etatperiode, die vom 1. April bis zum 31. März lief, in der Nachkriegszeit leider nicht möglich gewesen ist, einen Haushaltsplan rechtzeitig, das heißt vor Beginn des neuen Etatjahres, zu verabschieden. In allen Jahren ist es so gewesen, daß der Haushaltsplan erst im Laufe des neuen Etatjahres — frühestens zwei Monate nach dessen Beginn — verabschiedet werden konnte. Angesichts dieser Erfahrungen scheint es uns notwendig zu sein, Vorschläge zu machen, wie ein noch früheres Einbringen des Etats mit dem Ziele herbeizuführen
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Dr. Conringist, ihn vor Beginn des Etatjahres zu verabschieden. Ob dazu die Verlegung der Sommerferien des Parlaments erforderlich ist oder ob man den Haushaltsplan — auch ohne diese Verlegung — noch vor den Sommerferien in erster Lesung im Bundes t a g behandeln kann, das ist die Frage, um die es eigentlich geht. Ich glaube, der Wunsch, dorthin zu kommen, ist weder unerfüllbar noch in der Sache ungerechtfertigt. Dabei könnte uns auch, Herr Finanzminister, der Vorschlag Ihres Hauses etwas helfen, künftig den Haushaltsplan in einen zweijährigen Haushaltsplan für die Verwaltungsaufgaben und in einen einjährigen Investitionsplan zu teilen. Wenn das geschähe, würde wahrscheinlich ein zeitlicher Gewinn herauskommen, der es erlauben würde, den Haushaltsplan noch vor den Sommerferien dem Bundestag vorzulegen.Wir freuen uns auch darüber, daß die im vorigen Jahr begonnene Haushaltspolitik der Bundesregierung im Haushaltsjahr 1965 fortgesetzt wird und daß wir auch in diesem Jahr wieder eine feste Verbindung herstellen zwischen dem realen Zuwachs des Bruttosozialproduktes auf der einen Seite und dem Zuwachs der Ausgaben des Bundeshaushaltsplanes auf der anderen Seite. Auch der Nachtragshaushalt der Bundesregierung, den der Herr Bundesfinanzminister hier angekündigt hat, wird die für das jetzt laufende Haushaltsjahr 1964 gezogene Ausgabengrenze von 60,3 Milliarden DM respektieren und durch die Abdeckung des Fehlbetrags von 1963 mit rund 512 Millionen DM und mit der Abdeckung der Nachkriegshilfeschulden bei der Bundesbank mit rund 400 Millionen DM die Ausrichtung des Haushalts nach konjunkturellen Gesichtspunkten fortsetzen. Es ist nur folgerichtig, daß Mehraufwendungen, die sich zwangsläufig im Laufe des Haushaltsjahres ergeben und die im Nachtragshaushalt ihren Niederschlag finden werden, ihre Dekkung durch Kürzungen der bisher veranschlagten Ausgaben des Haushaltsplans 1964 finden. Sie wissen, daß bei Einbringung des Haushaltsplans 1964 viel darüber gesprochen wurde, wie es wohl mit dem Nachtragshaushalt werden könne und wie man sich bei diesem konjunkturgerecht verhalten würde.Die Bundesregierung hat erfreulicherweise gezeigt, daß sie nicht nur bei der Einbringung des Haushaltsplanes 1964, sondern auch beim Nachtragshaushalt 1964 und beim Haushaltsplan 1965 diese ihre konjunkturgerechte Haltung beibehalten hat.
Wir treten im übrigen der Auffassung der Bundesregierung bei, daß der Zuwachs des Bruttosozialprodukts mit 6 v. H. angenommen werden muß und daß deshalb die Ausgaben des Bundeshaushalts auf 63,9 Milliarden DM begrenzt werden müssen. Wir alle wissen, daß rein rechnerisch ein Zuwachs von 6 % angenommen wird, daß sich aber abgesehen von Ausgaben, die auf die Binnenkonjunktur nicht einwirken, der Zuwachs auf 5'°/o beläuft und daß wir uns damit im Rahmen der Empfehlung der EWG bewegen.Wir werden diese Grenze im Laufe der Haushaltsberatungen unter allen Umständen wahren und in keinem Falle Mehrausgaben zulassen, die zur Überschreitung dieser Grenze führen können,
denn so nützlich oder dringend Mehraufwendungen für diese oder jene Zwecke sein mögen, so sind doch — in der gegenwärtigen Wirtschaftssituation — in jedem Falle die Abwehr einer Verschlechterung der Kaufkraft und die Erhaltung der Währungsstabilität dringlicher.
Das haben auch die Vertreter der Länder im Bundesrat gesehen. Sie haben deshalb von irgendwelchen ausweitenden Ausgaben abgesehen.Noch ein Wunsch hat in diesem Jahr seine Erfüllung gefunden: der ERP-Haushalt 1965 ist gleichzeitig dem Parlament vorgelegt worden, so daß nun beide Haushaltspläne gleichzeitig im Parlament beraten werden können.Allerdings hat der erfreuliche zeitliche Gewinn bei der Einbringung des Haushaltsplanes auch etwas mit sich gebracht, was meine Freunde von der CDU/CSU mit mir nicht besonders gut finden. Wir hätten nämlich gewünscht — das haben wir auch bei der dritten Lesung des Haushaltsplans 1964 an dieser Stelle zum Ausdruck gebracht —, daß vor der Einbringung des neuen Haushaltsplans eine gründliche Durchforstung des Gesamthaushaltsplans vorgenommen worden wäre, damit sich nicht manche Etatpositionen wie eine ewige Krankheit in den Einzelplänen forterben; diese Krankheit ist ja erfreulicherweise heilbar. In der Zeitbedrängnis, in der sich die Bundesregierung zur Zeit der Verabschiedung des Haushaltsplans im Kabinett befand, konnte dieser Wunsch in diesem Jahr vor Verabschiedung des Haushaltsplanes 1965 noch nicht erfüllt werden. Wir haben dafür Verständnis. Aber es bleibt doch unser Verlangen, daß dieser Wunsch nicht vergessen werde.Es war wohl auch die arge Zeitbedrängnis, die die Bundesregierung veranlaßt hat, in 12 Einzelplänen Minderausgaben in Höhe von 651 Millionen DM vorzusehen und diese globale Summe unter den nicht näher konkretisierten Titeln „Minderausgaben" in die Einzelpläne einzufügen. Im Augenblick der abschließenden Beratung des Bundeskabinetts mag angesichts der — im Hinblick auf den Bundesrat — zu wahrenden Fristen eine solche Entscheidung unvermeidbar gewesen sein. Es wäre kaum Zeit geblieben, diese 651 Millionen DM „Minderausgaben" durch Ressortverhandlungen in Einzelkürzungen umzuwandeln. Gleichwohl muß hier deutlich gesagt werden, daß uns dieser Weg zur Deckung des Haushalts nicht wiederholbar erscheint, Herr Minister!
Das Parlament, das neben dieser Globalkürzung von 651 Millionen DM die weitere 5%ige Globalkürzung in den übrigen Haushalten in Höhe von 592 Millionen DM, also insgesamt Globalkürzungen in Höhe von 1,2 Milliarden DM, in die Hand der Exekutive legen soll, wird sich eine Wiederholung in dieser Form kaum gefallen lassen, und zwar trotz der Begründung, Herr Minister, die Sie für die Einführung
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Dr. Conringdes Begriffs „Minderausgaben" in die Haushaltswirtschaft bei Ihrer Haushaltsrede gegeben haben. Wir werden während der Haushaltsberatungen im Ausschuß bemüht sein, diese Minderausgaben, soweit es möglich ist, in konkrete Einzelkürzungen zu verwandeln und dort ganz zu streichen, wo sie unerträglich sind. Ich weise dabei auf den größten Posten dieser Art hin, nämlich auf jene 250 Millionen DM, die im Landwirtschaftsetat als Minderausgaben genannt worden sind, die wir aber in dieser Form nicht akzeptieren können.
Auch würden wir uns glücklich schätzen, wenn wir im Haushaltsplan von der 5%igen Globalkürzung der übrigen Haushalte wenigstens einen Teil in konkrete Kürzungen umwandeln könnten. Wir werden uns in der Richtung bemühen.Vor sechs Monaten, am 15. und 16. April, wurde der Haushaltsplan des Jahres 1964 in diesem Hause in dritter Lesung verabschiedet. Damals haben wir von seiten der CDU/CSU das Schwergewicht unserer Ausführungen auf die Ausrichtung des Haushaltsplanes 1964 nach Konjunkturgesichtspunkten gelegt, zumal wir in diesem Frühjahr eine Konjunktur auf uns zukommen sahen, die wir für begrüßenswert hielten, die uns aber doch unter den Gesichtspunkten der Währungsstabilität einige Sorgen bereitete und die unsere besondere Aufmerksamkeit verdiente. Unsere damaligen Bemerkungen, daß man diese Konjunkturentwicklung vom Standpunkt des Haushalts aus mit Ruhe und Sorgfalt beobachten I sollte, daß man aber gleichzeitig gesetzliche Handhaben in das Haushaltsgesetz einbauen und auch für den Vollzug des Haushalts vorsehen müsse, um einer etwaigen Überhitzung entgegentreten zu können, haben sich als richtig erwiesen. Es ist sicher nötig, alle diese Bemühungen weiterhin aufrechtzuerhalten, wie das wiederum im Haushaltsgesetz 1965 geschieht, um von der Haushaltseite her die Voraussetzungen für die Kaufkraftstabilität auch weiterhin zu sichern. Aber wir können doch ein halbes Jahr später mit Befriedigung feststellen, daß dank der eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundesbank inzwischen eine Entspannung der außenwirtschaftlichen Lage eingetreten ist.Nun täte man nach meinem Dafürhalten eigentlich besser daran, von dem übermäßig oft gebrauchten Wort „Inflation" weniger Gebrauch zu machen. Wir haben zweimal in einer Generation eine totale Geld- und Währungsvernichtung erlebt, und für uns alle hat das Wort „Inflation" einen bösen Beigeschmack. Es ist nicht gut, wenn die Verschlechterung der Kaufkraft in den letzten anderthalb Jahrzehnten immer wieder mit dem Wort „Inflation" bedacht wird. Es verdient unterstrichen zu werden, was der Herr Bundeskanzler in der Vorwoche hier sagte, daß nämlich bei einem internationalen Vergleich der Verbraucherpreise seit 1950 die Bundesrepublik für die zurückliegenden 14 Jahre zu den Ländern des freien Westens gehört, die etwa auf der gleichen Höhe wie die USA, die Schweiz, Belgien und Kanada liegen und den geringsten Preisanstieg zu verzeichnen haben. In diesen Ländern betrug die Erhöhung, wenn man 1950 — 100 setzt, etwa 30 % bis 35 %, während vergleichsweise der Index auf der gleichen Basis für die nordischen Länder und für andere Länder bei etwa 70 % bis 80 % lag. Andere vergleichbare Länder gehen mit den Sätzen noch darüber hinaus. Der Bundeskanzler konnte daher mit Recht feststellen, daß sich die Bundesrepublik nicht nur als eine Insel wirtschaftlicher Stabilität erwiesen, sondern durch Ihr Verhalten zugleich einen stabilisierenden Einfluß auf die übrigen europäischen Länder ausgeübt habe. Darauf hat auch Herr Kollege Strauß hingewiesen, der auf einen Vergleich aufmerksam machte, den eine bedeutende New Yorker Bank angestellt hat über die Verhältnisse in 42 Ländern in der Zeit von 1953 bis 1963, also in einer Zehnjahresperiode, und die zu dem gleichen Ergebnis kommt.Meine Damen und Herren, auch uns gefallen natürlich manche Preisveränderungen nicht. Aber eis bleibt doch festzuhalten, daß der Anstieg der Verbraucherpreise von Januar bis August 1964 mit 1,4 % niedriger lag als in den gleichen Monaten des Vorjahres mit 1,6 %. Man macht es sich etwas zu einfach und es scheint mir auch nicht ganz fair, wenn man diese Fragen in der deutschen Öffentlichkeit behandelt, ohne gleichzeitig auf die von mir eben wieder genannten eindrucksvollen Zahlen über die Verhältnisse im Ausland zu sprechen 'zu kommen, zumal die Preisbewegung bei uns ja auch noch durch einige andere volkswirtschaftliche Vorgänge beeinflußt wird, die mit der Erhöhung der Qualität und mit der Heraufsetzung des Dienstleistungslohnes und anderen Dingen zusammenhängen.Wir erkennen gerne an, daß sich die Bundesregierung um die Stabilisierung der Preisverhältnisse im europäischen Raum besonders bemüht hat und daß ihre Anregungen erfreulicherweise auf guten Boden gefallen sind, zumal ja die Schwankungen in der Kaufkraft in den einzelnen 'europäischen Ländern die wirtschaftliche Integration Europas noch zusätzlich über die sonstigen Schwierigkeiten hinaus erschweren müssen. Die Anerkennung der bisher erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung durch den Vizepräsidenten der EWG-Kommission Marjolin am 23. September 1964 im Europäischen Parlament in Straßburg verdient in diesem Zusammenhang der Erwähnung. Er führte dort in einem ersten zusammenfassenden Bericht über die Verwirklichung der Empfehlungen des EWG-Ministerrats zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts in der Gemeinschaft aus, daß die Lage weithin n u r in der Bundesrepublik zufriedenstellend sei. Die Konjunkturpolitik weise in der Bundesrepublik zahlreiche positive Aspekte auf. Der Anstieg der Verbraucherpreise vollziehe sich in mäßigem Umfang. Es ist nützlich, sich diese ausländische Stimme einmal vor Augen zu halten oder, sprachlich besser, in sein Ohr aufzunehmen, um deutlich werden zu lassen, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung auch von dieser Seite her ihre Anerkennung finden.Es erscheint uns deshalb nicht notwendig, die Konjunkturdebatte, die vor einem Vierteljahr in diesem Hause stattgefunden hat, jetzt bei der ersten Lesung des Haushaltsplans 1965 etwa zu wieder-
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Dr. Conringholen. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung sowohl auf dem monetären Gebiet als auch auf dem güterwirtschaftlichen Gebiet bislang erfolgreich operiert hat, um eine volkswirtschaftliche Gleichgewichtsstörung hintanzuhalten. Die Opposition gefällt sich darin zu behaupten, die Bundesregierung tue nichts, sondern rede nur. Die konkreten Bemühungen der Bundesregierung und der Bundesbank sowie die Anerkennung vom Ausland her sprechen aber eine wesentlich andere Sprache! Wir wissen natürlich auch, daß weiterhin Wachsamkeit geboten ist und daß eine Entwarnung auf konjunkturellem Gebiet noch nicht gegeben werden kann.Ich möchte daher zu der wirtschaftspolitischen Seite des Bundeshaushaltsplans 1965 an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen machen, zumal uns die bisherige Prognose und das bisherige Verhalten der Bundesregierung im großen und ganzen zutreffend und angemessen zu sein scheinen. Die weiterhin aufwärts gerichtete Konjunkturentwicklung, die bisher erfreulicherweise dank der vorhandenen Kapazität und deren elastischer Ausnutzung zu keiner besonders beunruhigenden Situation geführt hat, wird von uns sorgsam geprüft werden müssen, um zu erreichen, daß auch im weiteren Verlauf dieses Jahres und im nächsten Jahr das Güterangebot, das bislang infolge der Investitionen der Vorjahre und infolge der Importe den Anforderungen annähernd hat genügen können, ausreicht und daß das Verhältnis von Angebot und Nachfrage einigermaßen ausgewogen bleibt.Wenn man sich überlegt, von welcher Seite her Spannungen besonders störend auf die Gleichgewichtslage einwirken könnten, so liegt es bei der Haushaltsdebatte natürlich nahe, auf Faktoren hinzuweisen, die vom Haushalt her konjunkturell beeinflußbar sind.Bei den Beratungen des Bundeshaushalts im Bundesrat ist die Frage aufgetaucht, ob es überhaupt möglich sei, über die öffentlichen Haushalte einen wirksamen Konjunkturbeitrag zu leisten. Sicherlich ist es richtig, daß die Bemühungen um einen günstigen Verlauf der Konjunktur von verschiedenen Seiten gleichzeitig ausgehen müssen, wenn ein wirksamer Einfluß auf den Konjunkturverlauf genommen werden soll. Aber ebenso sicher dürfte sein, daß von der Haushaltsseite her bei volkswirtschaftlichen Spannungen ein Beitrag wenigstens zur Nachfragedämpfung und zur Preisstabilisierung geleistet werden kann. und muß.Das kann generell von der Einnahmeseite her geschehen; das werden wir bei den morgen zur Beratung kommenden Steueränderungsgesetzen deutlich machen. Es kann generell auch von der Ausgabeseite her geschehen, wie wir das durch die Ausgabenbegrenzung deutlich gemacht haben. Dort liegen die hauptsächlichsten Gebiete der generellen Einwirkung. Darüber hinaus sind aber auch noch Einzeleinwirkungen möglich.Es bleibt festzuhalten, daß die gesamten öffentlichen Ausgaben inzwischen auf 30,4 % des Bruttosozialprodukts angestiegen sind. Das wären, wenn man den Finanzbericht 1965 zur Hand nimmt und dort ein errechnetes Bruttosozialprodukt von 445 Milliarden DM liest, 130 Milliarden DM. Diese Summe würde also von der Seite der öffentlichen Ausgaben her auf die Güternachfrage einwirken. Es ist keine geringe Summe, wenn man auch sofort hinzufügen muß, daß bei weitem nicht alle öffentlichen Ausgaben einer konjunkturmäßigen Ausrichtung zugänglich sind. Ein Teil beruht auf gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen, die man . nicht ändern kann; ein anderer Teil beruht auf staatspolitischen Notwendigkeiten, denen man so lange wie irgend möglich Rechnung tragen muß. Aber es bleibt ein Rest von Ausgaben und Aufgaben, die den jeweiligen Konjunkturablauf bedeutsam beeinflussen. Dabei ist die — hoffentlich allenthalben bekannte — Tatsache im Auge zu behalten, daß der Bund allein bei seiner Ausgabenwirtschaft an diesen konjunkturell einsetzbaren Ausgabegrößen allerhöchstens mit 500/0 beteiligt ist, während gleich hohe und noch dazu konjunkturell besonders bedeutungsvolle Ausgaben auf der Seite der Haushalte der Länder und Gemeinden liegen. Wir freuen uns darüber, daß die Länder sich nach der Aussprache beim Herrn Bundeskanzler bereit gefunden haben, ihren Haushalten nur den Zuwachs an Ausgaben zugrunde zu legen, der dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts entspricht. Das ist im großen und ganzen bei den Ländern, soweit ich sehen kann, auch geschehen. Es wurde aber damals erklärt, daß man nur eine „periphere Einwirkung" auf die Gemeinden und Gemeindeverbände habe und daß man sich für deren gleichmäßiges Verhalten nicht ohne weiteres verbürgen könne. Nun, meine Damen und Herren, die in der Haushaltsrede des Herrn Finanzministers genannten Zahlen über die Gemeinden, über das Anwachsen der Gemeindeausgaben über den nominalen Anstieg des Sozialprodukts hinaus geben uns zu denken; sie zeigen, daß der Gleichschritt, den wir um des Erfolges willen im Interesse der Allgemeinheit eigentlich halten müßten, noch nicht erreicht ist. Denn sowenig die Investitionen einer einzelnen Gemeinde die Konjunktur im ganzen zu beeinflussen vermögen, so ist doch der Einfluß der Ausgabenwirtschaft in der Gesamtheit der Gemeinden und Gemeindeverbände in Verbindung mit der des Bundes und der Länder von großer Bedeutung. Vielleicht könnte sich, Herr Bundesfinanzminister, der Arbeitskreis, den Sie aus den Haushaltsreferenten der Länder mit den Haushaltsreferenten des Bundesfinanzministeriums gebildet haben, einmal dieser Frage annehmen, damit erreicht wird, daß sich die gesamte öffentliche Haushaltswirtschaft angemessen zum Konjunkturablauf verhält.Es ist bei dieser Betrachtung eigentlich selbstverständlich, daß die Ausgaben für Investitionen aus den öffentlichen Haushalten unsere besondere Aufmerksamkeit in einer Haushaltsdebatte verlangen, sowohl die Investitionen dieser öffentlichen Gebietskörperschaften selbst als auch die Darlehen und Zuschüsse, die sie für diese Zwecke an Dritte geben und die dann ihrerseits wieder als Investitionen Dritter erscheinen. Bei der Vielzahl der öffentlichen Haushalte — es handelt sich immerhin um etwa 25 000 öffentliche Gebietskörperschaften — scheint das zunächst etwas schwierig zu sein. Aber in der
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Dr. ConringPraxis ist es doch nicht allzu schwierig; denn 68 %, also beinahe 70 % der Investitionsausgaben der gesamten Gebietskörperschaften einschließlich Lastenausgleich entfallen doch nur auf wenige Ausgaben-träger, nämlich den Bund, die Länder, den Lastenausgleichsfonds und eine gewisse Anzahl von Gemeinden. Nimmt man an, daß aber die Großstädte hinzutreten, so verteilt sich der Anteil der öffentlichen Investitionsausgaben auf etwa 60 öffentliche Auftraggeber, deren Investitionsausgaben unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten wirksam koordiniert werden müßten.Vor kurzer Zeit hat der Bundeswirtschaftsminister einmal in diesem Hause die Bemerkung gemacht, daß es doch ein merkwürdiger Widerspruch sei, wenn sich der Bund auf der einen Seite, im europäischen Bereich, fortlaufend und auch erfolgreich bemühe, zu einer Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik der europäischen Länder zu kommen, daß es aber schwierig sei, eine solche Koordinierung innerhalb des Bundes herbeizuführen.Wir meinen, daß eine solche notwendige innerdeutsche Koordinierung praktikabel gemacht werden könnte, wenn ein Koordinierungsausschuß der hauptsächlichsten 60 Investoren auf freiwilliger Grundlage gebildet werden könnte. Wir werden über den einschlägigen Artikel des Grundgesetzes, der eine Trennung der Haushaltswirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden vorsah und der sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit nicht mehr ganz mit der Verfassungswirklichkeit deckt, hinwegkommen müssen.Es wäre eigentlich auch recht schön, wenn sich unsere Länder einmal den Art. 104 der Römischen Verträge ansähen. Dort heißt es:Jeder Mitgliedstaat betreibt die Wirtschaftspolitik, die erforderlich ist, um unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstands und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht seiner Gesamtzahlungsbilanz zu sichern und das Vertrauen in seine Währung aufrechtzuerhalten.Es wäre sehr nützlich, wenn sich dies nicht nur im europäischen Raum realisieren ließe. Die Ansätze, die wir in dieser Richtung im letzten Jahr zu verzeichnen haben, etwa bei Frankreich, etwa bei Italien, erfüllen uns mit Freude. Es wäre auch gut, wenn sich — mutatis mutandis — die Länder einmal ein solches Verhalten im Verhältnis zum Bund überlegten.Die Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht vom August dieses Jahres einen recht lesenswerten Artikel veröffentlicht mit der Überschrift: „Die öffentlichen Investitionen in den Jahren 1959 bis 1963". Danach wurden von den öffentlichen Haushalten in diesem Zeitraum rund 111 Milliarden DM oder in jedem Jahr 24,3 Milliarden DM für Investitionszwecke im Durchschnitt verausgabt. Im Jahre 1963 hat der Bund über 7,6 Milliarden DM für Investitionszwecke bereitgestellt. Das sind 26 % des Gesamtbetrages der Investitionen. Auf die Länder und Gemeinden zusammen entfallen 73 % der Investitionen.Es gehört nicht in diesen Zusammenhang, über die Wichtigkeit, über die Dringlichkeit, über die Berechtigung solcher „Sozialinvestitionen", wie sie der Herr Bundeskanzler genannt hat, ein Wort zu sagen.
Damit wird man sich bei der Verteilung der Einnahmen und der Verteilung der Aufgaben und damit der Ausgaben, bei der Finanzreform zu beschäftigen haben, von der wir ja hören, daß Teilabschnitte eventuell vorweg erörtert werden könnten. Ich möchte Sie daran erinnern, daß der Herr Bundeskanzler und auch der Herr Kollege Strauß in der vorigen Woche sehr eindeutige Ausführungen über diese Sozialinvestitionen gemacht haben, und zwar in durchaus positivem Sinne.
Das steht hier heute nicht zur Debatte. Der Hinweis, den ich in diesem Zusammenhang geben möchte und den ich soeben zahlenmäßig unterlegt habe, soll nur dazu beitragen, die Erkenntnis zu verbreitern,, daß eine Kooperation auf dem Gebiet der Investitionen für unsere Finanz- und Haushaltspolitik innerhalb der Bundesrepublik eine zwingende Notwendigkeit ist.In diesem Zusammenhang mag auch darauf aufmerksam gemacht werden — und auch das gehört zum Kapitel der öffentlichen Investitionen —, daß es zur Vermeidung einer Überforderung unserer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit — und diese ist ja die Quelle von Preissteigerungen — nötig ist, darauf zu achten, daß keine Ausweitung des öffentlichen Aufgabenvolumens etwa durch Auflösung der Bankguthaben der Länder bei der Notenbank oder durch erhöhten Absatz von Rentenpapieren erfolgt, sagen wir: auf den Nebengleisen, die im Haushaltsplan nicht so deutlich werden. Es handelt sich hierbei um Größenordnungen, die nicht gering sind. Das Länderguthaben bei der Bundesbank betrug Anfang Oktober 2,8 Milliarden DM, und der Bruttoabsatz von Kommunalobligationen lag in den ersten drei Monaten dieses Jahres bei 1,6 Milliarden DM gegenüber 960 Millionen DM in den gleichen Monaten des Vorjahres. Pfandbriefe und Kommunalobligationen wurden in der Zeit von Januar bis Mai 1964 in Höhe von 4,2 Milliarden DM gegenüber 3,1 Miliarden DM im Vorjahr abgesetzt. Das muß man sehen und beobachten. Man muß sich auch, wenn man eine gute Haushaltspolitik betreiben will, damit beschäftigen, ob nicht etwa Ausgabenreste aus den zurückliegenden Haushaltsjahren des Bundes, der Länder und auf dem Kommunalsektor als Investitionen 1965 eingesetzt werden. Denn der wachsende Anteil der Investitionsausgaben an den gesamten öffentlichen Ausgaben bedarf im Augenblick im Hinblick auf den gegenwärtigen Wirtschafts- und Konjunkturablauf immer noch einer besonders aufmerksamen Beobachtung.Meine Damen und Herren, wenn Sie sich die öffentlichen Investitionen, die ja auf dem Markt als Güternachfrage erscheinen, einmal näher ansehen, werden Sie rasch darauf stoßen, daß der
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Dr. Conringwichtigste Teil dieser Investitionen die Aufwendungen für Bauten sind. Sie haben 1963 nach dem Bundesbankbericht 15,2 Milliarden DM betragen, eine Gesamtsumme, die deutlich macht, wie sehr die öffentliche Hand auf die Konjunktur einwirkt, zumal immerhin etwa 60 % des gesamten Bauvolumens durch öffentliche und mit öffentlichen Mitteln geförderte Aufträge bestimmt werden.Die Übersicht über die Entwicklung des Bauhauptgewerbes im ersten Halbjahr 1964 weist auf eine gewisse Abschwächung auf dem Gebiet des Tiefbaus hin, während der Hochbau nach wie vor expandiert. Für das erste Halbjahr 1964 weist die Übersicht aus, daß die Beschäftigtenzahl in diesem Bereich gestiegen ist. In dem von der Witterung besonders begünstigten Juni dieses Jahres war sogar die Höchstzahl der beim Bau Beschäftigten überhaupt nachgewiesen. Diese letzte Bemerkung ist nicht tragisch zu nehmen; das schöne Wetter mußte ausgenutzt werden.Etwas anderes ist es, wenn man im Finanzbericht 1965 nachliest, wie sich die Baugenehmigungen im Hochbau insgesamt im ersten Vierteljahr 1964 gegenüber dem ersten Vierteljahr 1963 verhalten. Das Ergebnis ist eine Steigerung insgesamt um 9 v. H., beim Wohnungsbau um 3,6 v. H., beim öffentlichen Bau um 15,7 v. H. und beim Wirtschaftsbau um 18,6 %. Diese Steigerungszahlen bei den öffentlichen Baugenehmigungen sollten wir sehen. Wir sollten uns auch die Frage vorlegen, ob dort nicht wieder eine Überhitzung in Erscheinung tritt, zumal der Preisanstieg auf dem Baumarkt — wenn Sie Mai 1963 mit Mai 1964 vergleichen — 5,5 v. H. betrug und damit stärker war als alle übrigen Preisanstiegs-Indexzahlen.Wenn man sich den Bundeshaushalt 1965 daraufhin einmal ansieht, dann findet man, daß der Gesamteinsatz des Bundeshaushalts im Hoch- und Tiefbau im Jahre 1964 rund 8,75 Milliarden DM beträgt, während der Einsatz für 1965 9,65 Milliarden DM ausmacht, wobei zu bedenken ist, daß von den nach dem Haushaltsgesetz gesperrten 5 % rund 8 Milliarden DM überhaupt nicht betroffen sind, weil sie ausgenommen sind. Wenn Sie sich demgegenüber die Bauinvestitionen der Länder einschließlich der Stadtstaaten und der Gemeinden ansehen, so finden Sie dort nach den Haushaltsplänen 1963 und 1964 folgendes Bild: Die Bauinvestitionen insgesamt betrugen nach den Haushaltsansätzen 1963 9,2 Milliarden DM und 1964 10,3 Milliarden DM. Ob auch bei den Ländern und Gemeinden irgendwelche Bausperren wie im Bundeshaushalt vorgesehen sind, kann ich Ihnen nicht sagen. Die Übersichten zeigen aber jedenfalls das Größenverhältnis: Bund 8,75 Milliarden DM bzw. 9,65 Milliarden DM, Länder und Gemeinden 9,2 Milliarden DM bzw. 10,3 Milliarden DM.Mir scheint, daß wir Veranlassung hätten, bei den Beratungen des Haushaltsplans 1965 auch darauf unsere besondere Aufmerksamkeit zu lenken, damit von dieser Seite her Spannungen im Gesamtgefüge der Volkswirtschaft abgewehrt werden.
Das wäre auch ein geeigneter Ansatzpunkt für die Koordinierungsarbeit des von dem Herrn Bundesfinanzminister eingesetzten Ausschusses aus den Referenten des Bundesfinanzministeriums und der Länderfinanzministerien. Es kann zweifelhaft sein, Herr Bundesfinanzminister, ob die im Haushaltsgesetz vorgesehene Sperre den auf diesem Gebiet sichtbar werdenden Anforderungen gerecht wird.Meine Damen und Herren! Diese Überlegungen zeigen, daß wir uns in einem Teilbereich, nämlich in der öffentlichen Haushaltswirtschaft, bemühen, uns konjunkturell richtig zu verhalten. Wir haben das im Vorjahr getan und tun es in diesem Haushaltsjahr wiederum. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung diesen Weg geht. Weil wir das tun und weil w i r uns in dieser Richtung bemühen, darf man wohl den Wunsch aussprechen, daß sich andere in ihren Bereichen der gleichen Anstrengung unterziehen mögen.
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wird dadurch in eine sehr sekundäre Rolle gedrängt.
— Ich weiß, Herr Kollege Stoltenberg, die verfassungsrechtliche Struktur unseres Landes verhindert mancherlei. Ich komme darauf noch mit einem kleinen Nebensatz zu sprechen.Bei dem Anwachsen der bereits fixierten und nicht mehr beweglichen Positionen des Haushalts besteht
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Schoettledie Gefahr, daß der Bundestag immer mehr zu einer bloßen Bewilligungsmaschine degradiert wird, und das ist sicher kein erwünschter Zustand. Wie er geändert werden könnte, bedürfte einer gründlichen und ernsthaften Überlegung. Die Lage des Parlaments — und da, Herr Kollege Stoltenberg, komme ich auf den Punkt, den Sie eben berührt haben — würde sicher auch nicht verbessert, wenn die Wünsche anerkannt würden, die aus der Richtung des Bundesrates laut geworden sind und die darauf hinauslaufen, die dem Bundesrat bisher nach dem Grundgesetz zustehenden 3-Wochen-Fristen zu Beginn und am Ende der Gesetzgebungsprozedur zu verdoppeln.
Das würde das Parlament nicht nur als Herrn des Haushalts, sondern allgemein als Träger der Gesetzgebung entwerten,
und es hat wahrhaftig von seiner Bedeutung nicht mehr viel zu vergeben.Der Herr Bundesfinanzminister hat in der vergangenen Woche in diesem Haus den Entwurf für den Haushaltsplan 1965 vorgelegt. Daran hat sich nicht, wie früher üblich, eine Aussprache über den Entwurf angeschlossen, sondern eine breite, allgemeine politische Diskussion, die von der Regierungsseite und der sie tragenden Koalition weithin durch Erfolgsmeldungen über die letzten 15 Jahre und durch Polemik gegen die sozialdemokratische Opposition bestritten worden ist. Sowohl das eine als auch das andere diente weniger der Aufgabe, die Problematik des Haushalts 1965 zu durchleuchten, als vielmehr dazu, sie zu überdecken und die Wahlen von 1965 vorzubereiten.
Man kann es auch so machen, meine Damen und Herren. Ich meinerseits möchte zum Haushalt selbst sprechen und seine politischen und sachlichen Seiten erörtern, ohne dabei die Grenzen einer ersten Beratung zu überschreiten, die verlangen, daß man sich an das Grundsätzliche hält und vom Detail absieht.Der öffentliche Haushalt ist in unserer industriellen Welt um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts längst über die Aufgabe hinausgewachsen, nur Mittel für die Bewältigung der eigentlichen Staatsaufgaben bereitzustellen und zu verplanen. Es ist heute allgemein anerkannt, auch von den orthodoxesten Liberalen, daß die Quantitätsfrage, die ein öffentlicher Haushalt von über 130 Milliarden DM im Rechnungsjahr 1965 bei einem zu erwartenden Bruttosozialprodukt von 450 Milliarden DM stellt, zwangsläufig in die Frage nach der Qualität der öffentlichen Aufwendungen umschlägt, d. h. in die Frage, welche Wirkungen der öffentliche Haushalt auf den Wirtschafts- und Konjunkturablauf der gesamten Volkswirtschaft hat.Diese Erkenntnis ist längst nicht auf den Raum der Bundesrepublik beschränkt. In den „Empfehlungen des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an die Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts der Wirtschaftsentwicklung in der Gemeinschaft" vom April dieses Jahres — es ist auf sie bereits Bezug genommen worden — wird der Finanz- und Haushaltspolitik eine bedeutsame Rolle zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität zugewiesen. Es besteht also weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik.Offen bleibt aber die Frage nach dem richtigen Einsatz eines Instrumentariums, wie es der Haushalt nur zu einem Teil darstellt. Zwar haben sich die Finanzminister der letzten Jahre — man muß ja von mehreren reden — in Worten dem Thema „konjunkturgerechte Haushaltspolitik" gegenüber ganz aufgeschlossen gezeigt. Auch der jetzige Bundeswirtschaftsminister hat auf der Frankfurter Frühjahrsmesse in seiner Eröffnungsrede Bemerkenswertes zu diesem Thema gesagt, als er ausführte:Auch bei uns mangelt es noch an dem notwendigen konjunkturpolitischen Instrumentarium. Wir müssen— ich zitiere immer noch —— und darüber sprechen ,wir ja schon einige Zeit —— das kann man wohl sagen —vor allen Dingen in der Haushalts- und Steuerpolitik beweglicher werden und einen ausreichenden Spielraum für eine schnelle Anpassung der Einnahmen und Ausgaben an die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse schaffen.... Ich hoffe,— so sagte Herr Schmücker —in Kürze die gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister Dr. Dahlgrün erarbeiteten Vorschläge für eine antizyklische Haushalts- und Steuerpolitik unterbreiten zu können.Der Begriff des antizyklischen Haushalts oder der antizyklischen Konjunkturpolitik ist leider Gottes so abgegriffen und so oft strapaziert worden, daß man ihn schon fast gar nicht mehr verwenden mag. Da sind immer große Worte gefallen; aber bis jetzt ist von Taten — trotz des Herrn Conring — nicht sehr viel zu bemerken.
Der Bundestag jedenfalls hat, abgesehen von der bei den Koalitionsfraktionen nicht begeistert aufgenommenen Regierungsvorlage für die Einführung einer Kuponsteuer, bisher noch keine Gelegenheit bekommen, derartige Vorschläge zu beraten.Von der Regierung wird sicher darauf verwiesen — es ist ja schon geschehen —, daß eine wesentliche Maßnahme einer konjunkturpolitisch orientierten Finanzpolitik bereits verwirklicht sei. Gemeint ist damit die Anpassung der jährlichen Steigerungsrate des Bundeshaushalts an das normale oder reale Anwachsen des Bruttosozialproduktes. Diese Formel ist bereits auf den Haushalt des Bundes für das Rechnungsjahr 1964 angewandt worden, und das Haushaltsvolumen ist dementsprechend auf 60,3 Milliarden DM beschränkt worden. Für das Rechnungsjahr 1965, das heute zur Debatte steht, soll nach der gleichen Formel das Haushaltsvolumen auf 63,9 Mil-
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Schoettleliarden DM begrenzt werden. Der Ausgabenzuwachs beträgt damit gegenüber dem Vorjahr absolut 3,6 Milliarden DM, d. h. es liegt eine Steigerung von 6 % vor. Für das Sozialprodukt wird eine Zunahme um 8 % nominal und 6 % real vorausgeschätzt.Um der EWG-Empfehlung und ihren eigenen Empfehlungen gerecht zu werden, weist die Regierung in ihrer Begründung zum Etat 1965 darauf hin, daß sich, unter Konjunkturgesichtspunkten betrachtet, bei den inlandswirksamen und damit konjunkturwirksamen Ausgaben nur eine Steigerung von 5 % ergebe.Wenn man den Regierungsentwurf für den Haushalt 1965 einer genaueren Analyse unterzieht, wird man das Gefühl nicht los, daß das Gesamtvolumen des Haushalts auf eine ziemlich gewaltsame Weise der alles beherrschenden Formel von der Bindung an ,die Steigerung des Sozialproduktes angepaßt worden ist. Ich will nur einige Indizien nennen, die für diesen Eindruck maßgebend sind. Da sind z. B. die Globaleinsparungen von 1,24 Milliarden DM. Ganz abgesehen davon, daß sie, wenn sie durchgeführt würden, der Verwaltung eine weitgehende Manipulierung ihres Haushalts gestatten und die Beschlüsse des Parlaments in vielen Fällen aufheben würden, sind sie auch eine entschiedene Verneinung des Gebots der Haushaltswahrheit. Denn das, was da in einzelnen Titeln im Haushalt erscheint, wird im Grunde genommen durch diese Globalkürzung oder die Minderausgaben wieder aufgehoben, wie sie in einzelnen Haushalten veranschlagt sind.
Nicht viel anders verhält es sich mit den in vermehrtem Umfange auftauchenden Leertiteln, bei ,denen wohl mit Sicherheit damit zu rechnen ist, daß sie im Laufe des Haushaltsjahres mit Geldansätzen bedacht werden müssen.Eine andere Form der verschleierten Haushaltsausweitung, bei der zu prüfen ist, ob sie nicht in der Praxis einen Verstoß gegen das Konjunkturprogramm der Bundesregierung darstellt, finden wir in der neuerdings aufkommenden Übung, bestimmten Empfängern von Bundesleistungen die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zuzumuten, wogegen der Bundeshaushalt entweder Zinszuschüsse gewährt oder den Schuldendienst übernimmt. Es kann wohl kaum geleugnet werden, daß solche Maßnahmen ebenfalls eine Anstoßwirkung auf den Wirtschaftsablauf haben. Aber offenbar wird diese Übung eingeführt, um wenigstens optisch die magische Obergrenze des Haushaltsplanes einzuhalten.
— Ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden, Herr Kollege Conring; aber Sie werden wohl recht haben.
In dasselbe Kapitel gehört wohl auch das Anwachsen der Bindungsermächtigungen im Regierungsentwurf von 3,4 Milliarden DM im laufenden Haushaltsjahr auf 5,3 Milliarden DM im nächsten Haushalt. Nach dem Entwurf des Haushaltsgesetzes soll der Finanzminister ermächtigt werden, im Einvernehmen mit dem Verkehrsminister eine Gesellschaft des privaten Rechts bis zur Höhe von 350 Millionen DM vertraglich mit der Finanzierung des Baues von Bundesfernstraßen zu beauftragen. Nichts gegen diese Maßnahme selber. Aber es ist doch wohl nicht zu bestreiten, daß diese 350 Millionen DM, auch wenn sie nicht im Bundeshaushalt erscheinen, ein öffentlicher Aufwand sind und damit das Bemühen, die Bindung des Haushaltsvolumens an die Steigerung des Sozialproduktes aufrechtzuerhalten, fragwürdig machen.Ich begnüge mich mit diesem Hinweis auf die Brüchigkeit der Voraussetzungen dieses Haushalts 1965. Aber die Frage muß gestellt werden, ob denn die Formel selbst allein oder überhaupt ausreicht, um ein konjunkturgerechtes Verhalten des öffentlichen Haushalts zu gewährleisten.Mir erscheint die Auffassung richtig, daß wichtiger als die Entwicklung des Volumens der öffentlichen Gesamtausgaben die Finanzstruktur, d. h. die Zusammensetzung der öffentlichen Ausgaben ist. Dabei dürfte von besonderer Bedeutung der Anteil der öffentlichen Investitionen sein. Denn diese öffentlichen Investitionen — sie machen zur Zeit rund 45 Milliarden aus — sind doch im Grunde genommen die Manövriermasse, die unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zur Debatte steht. Da stimme ich durchaus mit denen überein, die sagen, hier müssen eben — wenn man wirklich konjunkturpolitisch agieren will — der Versuch gemacht werden, diese Aufwendungen in einen Zusammenhang zu bringen mit der gesamten konjunkturpolitischen Entwicklung auf allen Ebenen, nicht nur auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Dabei muß ich allerdings, Herr Kollege Conring, sagen: Die Gemeinden zum Sündenbock für einen Verstoß gegen das eherne Gesetz, wie Sie es stipulieren, zu machen, scheint mir doch sehr weit hergeholt zu sein,
angesichts des Umfangs der Aufgaben, die den Gemeinden, die unmittelbar in der Nähe des Volkes stehen, eben tatsächlich gestellt sind und deren Erfüllung von allen Seiten von ihnen gefordert wird.
Ein guter Kenner der Materie, der frühere Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums und jetziges Mitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Professor Dr. Hettlage, den wir alle in diesem Hause kennen, hat sich kürzlich auf der Jahrestagung 1964 der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer zu diesem Thema geäußert, und zwar so:Es ist kein ungeschriebenes Gesetz, daß der private und der öffentliche Verbrauch immer im gleichen Verhältnis, d. h. im Verhältnis des Zuwachses des Bruttosozialprodukts weitersteigen dürfen. Es kann sehr wohl Zeiten geben, in denen der öffentliche Verbrauch geringer sein
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Schoettlesollte oder auch stärker ansteigen sollte als der private Verbrauch oder auch das Bruttosozialprodukt.Besonders das letzte ist, glaube ich, bemerkenswert.
— Ich polemisiere gar nicht gegen Sie, Herr Kollege Conring! Ich spreche zur Sache. Ich versuche, mir einen Vers zu machen, nicht wahr!
Es gibt andere, die in der gleichen Richtung denken und das quasi eherne Gesetz der Bindung des Haushaltsvolumens an die Steigerung des Sozialprodukts nicht akzeptieren, z. B. auch der vorhin von Ihnen, Herr Kollege Conring, zitierte Herr Marjolin, der Vizepräsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Er erklärte in einer Diskussion über diese Frage ausdrücklich: Jawohl, für Perioden inflationärer Gefahr ist die Anwendung dieses Grundsatzes richtig, aber er ist kein ehernes Gesetz.
— Wogegen ich mich wende, Herr Kollege Conring, ist, daß man ein Gesetz stipuliert, das dann endgültig die Bewegungsfähigkeit des öffentlichen Haushalts verhindert.In der konjunkturpolitischen Debatte, die vor einigen Monaten in diesem Hause stattgefunden hat, hat mein Kollege Kurlbaum ebenfalls einiges zu diesem Thema gesagt, was in die gleiche Richtung läuft. Bemerkenswerterweise hat der Herr Kollege Professor Burgbacher ihm in dieser Passage seiner Rede zugestimmt, allerdings mit der Einschränkung, daß er sagte: Wir sündigen dagegen; aber wer ist der Schuldige? — Dieses Haus selber!Ich will also folgendes sagen. Auf keinen Fall darf die Formel zum ehernen Gesetz erhoben werden, das die Haushaltspolitik ein für allemal bindet. Das wollte ich mit meinen Überlegungen zu diesem Punkt entschieden festgestellt wissen.Um den öffentlichen Haushalt in seiner Funktion als eines der konjunkturpolitischen Instrumente einsetzen zu können, wird es noch anderer Maßnahmen bedürfen. Dazu gehören meiner Meinung nach u. a. eine längerfristige Haushaltsvorausschau und gemeinsame Überlegungen von Bund und Ländern bei der Aufstellung und dem Vollzug ihrer Etats. Bisher haben sich der Bund und die Länder in Gesprächen dahin verständigt, die Haushalte auf eine Zuwachsrate zu begrenzen, die dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts entspricht. Die Verständigung ist nicht in jedem Fall erreicht worden. In der letzten Zeit werden Strömungen erkennbar, die in die Richtung einer weitergehenden, d. h. einer gesetzlichen Regelung zielen, wobei von Art. 73 Nr. 4 des Grundgesetzes ausgegangen wird, der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für das Währungs- und Geldwesen zuspricht.Die Inanspruchnahme dieses Artikels als Rechtsgrundlage für eine entsprechende konjunkturpolitische Maßnahme des Bundes, die auch die Länder verpflichtet, wirft zweifellos auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Es wird sehr sorgfältig zu prüfen sein, wie der Führungsanspruch des Bundes in der Konjunkturpolitik mit der politisch unverzichtbaren Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft der Länder in Übereinstimmung gebracht werden kann.Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, hat sich in seinem Gutachten vom Juli 1964 sehr vorsichtig zu diesem Thema geäußert:Ein voller Erfolg fiskalischer Maßnahmen ist nur zu erreichen, wenn sämtliche öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherungsträger eine gleichgerichtete Politik verfolgen.
— Ja, bitte.
Zwischenfrage!
Herr Kollege, Sie gebrauchten eben den Ausdruck von der politisch unverzichtbaren Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern gemäß Artikel 109 des Grundgesetzes. Aber verehrter Herr Schoettle, seitdem wir nach Artikel 106 das Beteiligungsgesetz bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer geschaffen haben, ist diese Sache doch hinfällig.
Herr Kollege Dresbach, ich muß Sie unterbrechen. Sie sind ein so alterfahrener Parlamentarier, daß Sie wissen müssen, daß Sie Ihre Ausführungen in die Frageform kleiden müssen.
— Nein, leider nicht. Das Fragezeichen muß sozusagen gleich am Anfang gehört werden.
Hoffentlich nicht. — Wir könnten es anders machen. Aber solange wir diese Ordnung haben, muß ich sie einhalten. Deshalb muß ich auch vom Kollegen Dresbach das Fragezeichen hören.
Also: verehrter Herr Kollege Schoettle, sind Sie nicht der Meinung, daß Artikel 109 durch die neue Formulierung des Artikels 106 faktisch aufgehoben ist?
Ich glaube nicht, daß er faktisch aufgehoben ist. Er ist einfach eine verfassungsrechtliche Grundlage in den Beziehungen der einzelnen Träger unseres Staatslebens zueinander. Ich glaube nicht, daß man darauf verzichten kann, wenn man nicht eine grundsätzliche Revision des Grundgesetzes herbeiführen will. Schließlich ist der föderative Aufbau des Bundes ja nicht irgendeine sozusagen bloß in die Luft gestellte Behauptung, sondern
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Schoettleeine verfassungsrechtliche Tatsache, der man Rechnung tragen muß.
Im übrigen aber scheint mir die Bemerkung, die ich vorhin gemacht habe, gar kein Anlaß gewesen zu sein, um eine solche Kontroverse heraufzubeschwören. Ich ging ja von dem bestehenden Zustand aus und suchte nach Antworten auf die Frage, wie denn die Haushaltspolitik von Bund und Ländern ohne Vergewaltigung des Verfassungsrechtes aufeinander abgestimmt werden kann. Das ist schließlich etwas, was Sie doch auch akzeptieren müssen, Herr Kollege.Ich war dabei, den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium zu zitieren. Er sagte, daß ein voller Erfolg fiskalischer Maßnahmen nur zu erreichen sei, wenn sämtliche öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherungsträger eine gleichgerichtete Politik verfolgten. Wenn auch eine finanzpolitische Diktatur des Bundes, so heißt es dann, nicht wünschenswert und aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht möglich sei, Herr Kollege Dresbach, ließen sich doch Formen der Kooperation denken, die unter Wahrung der wesentlichen Grundsätze des Föderalismus eine wirksame antizyklische Finanzpolitik gestatten.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte bei der Beratung des Bundeshaushalts 1963 die Regierung in einem Entschließungsantrag aufgefordert, einen ersten Schritt in Richtung auf eine längerfristige Etatvorausschau zu machen. Im Rahmen des Finanzberichts, so war gefordert, sollte ein Überblick über die voraussichtliche Entwicklung des Bundeshaushalts für einen Dreijahreshaushalt vorgelegt werden. Was nicht alle Tage in diesem Hause vorkommt, meine Damen und Herren: Der SPD-Antrag wurde am 15. Mai 1963 einstimmig angenommen — einstimmig angenommen!Die Bundesregierung allerdings hat diesen Parlamentsauftrag bisher nicht erfüllt. Der Finanzbericht 1964 enthielt im wahrsten Sinne des Wortes eine Fehlanzeige. Denn es hieß im Inhaltsverzeichnis und im Text bei den Seiten 107 bis 116 lakonisch „freibleibend".
Eine Kleine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion nach dem Grund der amtlichen Unterlassung erbrachte eine Antwort, die alle diejenigen skeptisch stimmen muß, die auf die Führungskraft und auf den Führungsanspruch des Bundes im Bereich der Konjunkturpolitik vertrauen. Obwohl es keine Regierungserklärung gibt, die nicht unmittelbar bevorstehende konjunkturpolitische Maßnahmen und Rahmengesetze in Aussicht gestellt hätte, obwohl die Bundesregierung in ihrem Wirtschaftsbericht es für erforderlich hält, „für alle geeigneten öffentlichen Investitionen und Förderungsmaßnahmen Mehrjahresprogramme vorzubereiten" — das ist ein Zitat —, mußte die Bundesregierung auf die Frage der sozialdemokratischen Fraktion eingestehen, daß — auch das ist ein Zitat aus der Antwort —im Zeitpunkt der endgültigen Drucklegung des Finanzberichtes— das war Ende Dezember 1963 —ein derartiger Überblick so viele und große Unsicherheiten aufgewiesen hätte, daß er als Vorausschau nicht brauchbar gewesen wäre.
Im Juni 1964, als die Antwort auf die Kleine Anfrage gegeben wurde, war die Bundesregierung noch nicht weitergekommen. Begründung:Die im einzelnen noch ungewisse konjunkturelle Entwicklung und die noch nicht übersehbaren Auswirkungen der von der Bundesregierung bereits beschlossenen und noch vorgesehenen konjunkturpolitischen Maßnahmen, die Unsicherkeit im Agrarhaushalt, im Verteidigungshaushalt und bei der Entwicklungshilfe.Eine Begründung, die nach allen Erfahrungen jedem ernsthaften Schritt zu einer wirklichen Vorausschau entgegengehalten werden kann und wahrscheinlich auch entgegengehalten wird.Im Finanzbericht 1965 findet man auf ganzen vier Druckseiten einen „Überblick über die finanziellen Möglichkeiten und die Ausgabeverpflichtungen des Bundes in den Jahren 1965 bis 1967" nach dem Stand vom 15. August 1964. Meine Damen und Herren, der Aussagewert dieses Dreijahresüberblicks steht im umgekehrten Verhältnis zur Länge der Überschrift.
Man kann ihn als einen ersten sehr bescheidenen Schritt betrachten, aber mehr nicht. Doch schon die paar Globalzahlen, die der Überblick nennt, dokumentieren, wenn man dazu noch die Anmerkungen des Haushaltsdirektors Korff über den Bundeshaushalt und seine Schatten im Bulletin der Bundesregierung berücksichtigt, die Notwendigkeit vorausschauender Etatüberlegungen, wenn das Ziel einer vernünftigen Haushalts- und Finanzpolitik erreicht werden soll. Das ist die ausreichende Finanzierung der Staatsaufgaben und vor allem der unsere Zukunft entscheidenden Gemeinschaftsaufgaben einerseits sowie auf der anderen Seite ihre Durchführung unter ökonomisch sinnvollen Gesichtspunkten. Man kann ja schließlich nicht nur von der Opposition die Parole von den Gemeinschaftsaufgaben übernehmen, man muß sie auch in ihrem Wesen und ihrem Umfang genauer definieren
und schließlich finanzieren. Da wird sich herausstellen, daß die Sozialinvestitionen, von denen der Herr Bundeskanzler in seiner Rede oder Regierungserklärung in der vergangenen Woche beinahe pathetisch gesprochen hat, in der Durchführung — wennsie ehrlich gemeint sind und wirklich durchgeführt werden — genauso viel kosten wie die Vorschläge, die die sozialdemokratische Opposition gemacht hat.
Zusammenfassend möchte ich zu diesem Teil meiner Ausführungen feststellen: Wenn die öffentliche Finanzwirtschaft den künftigen Anforderungen einer6940 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, .den 21. Oktober 1964Schoettleexpandierenden Volkswirtschaft gerecht werden soll, so müssen für die Neugestaltung des Haushaltswesens unter rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten Konsequenzen gezogen werden. Das Haushaltsrecht, von dessen Reform wir schon so lange reden, das im wesentlichen auf der Reichshaushaltsordnung vom Dezember 1922 beruht, muß endlich wirklich modernisiert und der Haushaltswirklichkeit angepaßt werden. Es ist nicht zu verkennen, daß der Bundeshaushalt sich mehr und mehr vom Bewilligungs- zum Kassenhaushalt hin wandelt.Daraus ergeben sich Probleme für die Durchschaubarkeit des Gesamtetats. Die neben dem Kassenvoranschlag bestehenden Gesamtverpflichtungen müssen sichtbar gemacht werden. Der Etat und die von ihm ausgehenden Einkommens-Umverteilungseffekte und die Anstoßwirkungen auf die Wirtschaft müssen so dargestellt werden, daß nicht nur der Haushaltsfachmann sie zu lesen versteht und Nutzen daraus ziehen kann. Es wäre zu überlegen, ob statt der Zweiteilung des Etats im traditionellen Stil nicht eine Aufgliederung in einen laufenden Verwaltungs- oder Betriebsetat und in einen Investitionsoder Kapitaletat erfolgen sollte. Die derzeitige Zweiteilung, die sich an der Finanzierungsart ausrichtet, ist fragwürdig geworden, zumal wenn man bedenkt, daß jährlich rund 7 Milliarden DM vermögenswirksame Ausgaben nicht im außerordentlichen Haushalt veranschlagt und durch Kredite finanziert werden, wie das die Reichshaushaltsordnung eigentlich vorsieht, sondern im Ordinarium stehen.Um mehr Zeit zur parlamentarischen Beratung der politisch wichtigen Etatausgaben zu gewinnen, sollte außerdem 'der Übergang zu einem Zweijahresetat für die Verwaltungsausgaben ernsthaft geprüft werden.Man könnte ferner durch Zusammenfassung von Einzeltiteln zu größeren Ausgabepositionen bei den Sachausgaben der Verwaltung kommen. Dadurch würde der Exekutive beim Vollzug des Planes und bei der Bewirtschaftung der Mittel ein größerer Spielraum eingeräumt werden.Dagegen sind ernsthafte Konflikte zwischen dem Parlament als dem Träger des Budgetrechts und der Exekutive nicht ausgeschlossen, wenn daran gedacht sein sollte, bei der Reform des Haushaltsrechts die schon erkennbare Tendenz zu kodifizieren, der Exekutive eine noch größere Beweglichkeit bei der Ausführung des Haushaltsplans im ganzen zu verschaffen. Schon in den Haushaltsgesetzen der vergangenen Jahre—der vorliegende Entwurf setzt das nur fort — sind in wachsendem Umfang ,Bestimmungen enthalten, die das Haushaltsgesetz zu einer Art von Ermächtigungsgesetz machen.
Es ändert an dieser Tatsache nichts, daß in die Ermächtigung gelegentlich der Haushaltsausschuß dieses Hauses mit eingeschlossen wird; denn das Parlament kann sein Haushaltsrecht und seine Kontrollverpflichtungen nicht auf irgend jemand delegieren. Die Regierung kann nicht durch die Inanspruchnahme eines Ausschusses dieses Hausesihrerseits das Haushaltsrecht des Bundes und die Kontrollfunktion des Bundestages sozusagen neutralisieren. Eben das geschieht in Wirklichkeit. Der Haushaltsausschuß ist nolens volens in die Lage versetzt worden, zum Teil aus Notsituationen heraus, sich in diese Rolle drängen zu lassen. Aber ich glaube, es ist keine gute Entwicklung, die sich hier angebahnt hat, und man sollte ihr rechtzeitig wehren.
Wie gesagt, solche Bestimmungen im Haushaltsgesetz, die vom Standpunkt des Budgetrechts des Parlaments bedenklich sind, sollten nicht verewigt werden. Hier müssen für beide Seiten, für den Gesetzgeber und für die Exekutive, tragbare Lösungen gefunden werden.Das Budgetrecht des Parlaments wird, um einige Beispiele zu nennen, in unerträglicher Weise ausgehöhlt, wenn die Erfindung der sogenannten Umschichtungen und die über- und außerplanmäßigen Ausgaben in der gleichen Weise wie 'bisher oder gar verstärkt strapaziert werden. Zum Beispiel wurden im Rechnungsjahr 1963 im Verteidigungs- und im Agrarhaushalt ohne gesetzliche Ermächtigung Umschichtungen in Milliardenhöhe 'durchgeführt.
Ich rede von dem Faktum, nicht von der Prozedur, Herr Kollege Dr. Stoltenberg. Es handelt sich um Umschichtungen in Milliardenhöhe in den Haushaltsplänen 10 und 14. Das theoretische Volumen der nach § 11 Abs. 10 des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1965 möglichen Umschichtungen beträgt ca. 9,5 Milliarden DM, das sind rund 15 % des gesamten Haushaltsvolumens. Die tatsächlichen über- und außerplanmäßigen Ausgaben betrugen z. B. im Rechnungsjahr 1963 insgesamt 2,177 Milliarden DM oder rund 4 % des Etatvolumens. Auf den Verteidigungshaushalt entfielen davon allein 1,234 Milliarden DM an sogenannten Umschichtungen. Und damals gab es noch keine Ermächtigung im Haushaltsgesetz.Wenn wir angesichts solcher Größenordnungen und solcher weitreichenden Abweichungen von dem durch das Parlament festgestellten Haushaltsplan die Forderung nach einer grundlegenden Reform des Haushaltsrechts immer wieder stellen, sollte das verstanden werden als Ausfluß des Willens, das Parlament in vollem Umfang in seine Aufgabe als Herr des Haushaltsrechts zu setzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich weiß nicht, ob das jetzt einen Sinn hat, Herr Stoltenberg. Wir sind ja in einer Diskussion, und Sie können jederzeit etwas sagen, wenn Sie das wollen.
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SchoettleDie Bundesregierung selbst sollte, anstatt in bedenkliche Ausweichlösungen abzugleiten, in stärkerem Maße zu dem korrekten Mittel der Nachtragshaushalte zurückkehren. Das Parlament andererseits sollte in Durchführung seiner Kontrollaufgabe gegenüber der Exekutive auf eine schnellere, der Wirklichkeit nähere Behandlung des Etatabschlusses, d. h. der Haushaltsrechnung Wert legen. Hier ist noch einiges zu tun. Wir wissen alle um die Schwierigkeiten, die wir im Laufe der vergangenen Jahre immer zu bewältigen hatten, um die Prüfung der Haushaltsrechnung näher an die Gegenwart heranzubringen.In diesem Zusammenhang möchte ich doch eine Bemerkung zum Bundesrechnungshof machen oder, besser gesagt, eine Überlegung anstellen; denn das ist vielleicht des Nachdenkens wert. Der Bundesrechnungshof ist eine unabhängige, in der Verfassung wurzelnde Institution. Seine Mitglieder genießen richterliche Unabhängigkeit. Aber seine leitenden Männer werden von der Regierung ernannt. Ich will damit nicht sagen, daß dann schon kraft der Institution eine Abhängigkeit von der Regierung entstehe. Trotzdem scheint es mir der Mühe wert zu sein, die Frage zu prüfen, ob es nicht der Kontrollaufgabe gemäßer wäre, die Parlament und Rechnungshof gemeinsam haben, wenn Präsident und Vizepräsident des Bundesrechnungshofs vom Parlament gewählt würden,
so wie es z. B. für den Wehrbeauftragten geschieht, ohne daß ich damit nun eine Parallele zwischen beiden Institutionen ziehen wollte; denn beide stehen auf verschiedenen verfassungsrechtlichen Ebenen. Das möchte ich ausdrücklich sagen, damit ich nicht mißverstanden werde.Bei dieser Gelegenheit übrigens eine Frage: Wie steht es mit der Position des Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung? Diese Position ist vor Jahren nach langen, wenig fruchtbaren Diskussionen über die Verwaltungsreform — wenig fruchtbar, weil dabei fast nichts oder überhaupt nichts herauskam — geschaffen worden und bisher vom Präsidenten des Bundesrechnungshofs in Personalunion und gestützt auf die Apparatur des Rechnungshofs verwaltet worden. Das Ergebnis kann positiv bewertet werden, ist aber noch völlig ungenügend. Die Aufgabe ist also noch immer gestellt. Wer die Verwaltung einigermaßen kennt, wird das zugeben. Die Trennung der Funktion vom Präsidenten des Bundesrechnungshofs ist „ins Auge gefaßt", wie man so schön sagt. Der Bundesfinanzminister hat zu diesem Thema in seiner Haushaltsrede allerdings merkwürdig gewundene Ausführungen gemacht.
— Ich rede vom Bund, Herr Kollege, und wenn eine wirkliche Reform der Verwaltung im Bundesbereich durchgeführt wäre, so würde das nicht ohne Auswirkungen auf die Verwaltung in den Ländern sein können.
Auch was man sonst aus dem Schoße der Regierung hört, läßt darauf schließen, daß man nur sehr schwer mit einer Entscheidung zu Stuhle kommt. Angesichts der Bedeutung der Aufgäbe wäre dringend zu wünschen, daß hier nun baldigst etwas geschieht.Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zum Haushalt selbst machen. Sie beziehen sich sowohl auf die Struktur als auch auf das Volumen einzelner Positionen. Da ist zunächst einmal die Einnahmeseite. Dabei werden die Steuerschätzungen, wie immer, eine wesentliche Rolle spielen, weil durch sie die beiden Seiten des Haushalts, Einnahmen und Ausgaben einschließlich des Anleihebedarfs, ausschlaggebend beeinflußt werden. Wir haben in den vergangenen Jahren, ohne über die Informationsquellen der Bundesregierung zu verfügen, das Steueraufkommen im ganzen doch wohl etwas wirklichkeitsnäher geschätzt als das Bundesfinanzministerium, wie die Erfahrungen beweisen. Dazu zwei Zahlen: Die Sozialdemokratische Partei hat in ihrem Regierungsprogramm vom Mai 1961 von einem geschätzten Steueraufkommen für 1962 von 85,4 Milliarden DM gesprochen. Das tatsächliche Aufkommen betrug 86,4 Milliarden DM. Für 1963 hatten wir geschätzt 90,3 Milliarden DM. Tatsächlich sind aufgekommen: 91,1 Milliarden DM. Gewiß, diese beiden Zahlen stehen für sich allein da. Aber ich glaube, sie beweisen, daß wir in unserer Abschätzung der Möglichkeiten doch etwas näher bei der Wirklichkeit waren als die Bundesregierung, die beträchtlich unter unseren Voraussagen lag, vom Ist ganz zu schweigen.
1964, also im laufenden Haushaltsjahr, dürfte es kaum anders sein, wie man aus 'allen Anzeichen schließen kann.Nun, meine Damen und Herren, zu 1965! Der Ausgangspunkt des Haushaltsentwurfs 1965 scheint, was die Einnahmeseite betrifft, nicht solider zu sein als der seiner Vorgänger. Während Herr Dr. Dahlgrün hier im Hause am 13. Oktober erklärte, im Haushalt sei nun wirklich gar keine Luft mehr und die Steuerschätzungen seien keinesfalls zu hoch, sagte sein Staatssekretär Grund zwei Tage später im Finanzausschuß dieses selben Hauses: Die Steuerschätzungen, die dem Haushaltsplan zugrunde liegen, sind, wie jedermann inzwischen weiß, zu niedrig.
Größenordnung, wie man hört: 1 Milliarde DM. Von Koordination, was die Aussagen aus dem Hause des Finanzministers angeht, kann da wohl nicht die Rede sein.
Die Mehrheit des Finanzausschusses hat, wie berichtet worden ist, sich freilich gleich daran gemacht, diese Milliarde geschätzter Mehreinnahmen, um die das Steueraufkommen nach Meinung des Staatssekretärs höher liegt, beim Steueränderungsgesetz zu verfrühstücken. Das Mindeste, was man
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Schoettledazu sagen kann, ist, daß es sich um ein merkwürdiges antizyklisches Verhalten handelt.
In diesem Zusammenhang wäre einiges zu den Ausführungen des Herrn Ministers über die steuerliche Belastung in der Bundesrepublik auch im Vergleich mit anderen Ländern zu sagen. Ich will da nicht ins einzelne gehen, sondern nur feststellen, daß sich die Angaben des Bundesfinanzministers nicht in Übereinstimmung mit dem befinden, was der Finanzbericht 1965 sagt. Das können Sie alles nachlesen: vergleiche die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers und vergleiche den Finanzbericht. Vergleiche sind immer problematisch, wenn sie nicht, wie das hier offenkundig der Fall ist, den Unterschied in der Struktur der Systeme der verschiedenen Länder berücksichtigen.Ein gewisser Widerspruch zwischen den Ausführungen des Herrn Finanzministers und der Haushaltswirklichkeit scheint auch dort zu bestehen, wo der Minister in seiner Rede vom 13. Oktober über die wachsende Unbeweglichkeit des Haushalts klagt. Sicher ist und nicht zu bestreiten, daß ein hoher Anteil der Ansätze durch rechtliche und gesetzliche Verpflichtungen unbeweglich geworden ist. Ich habe das bei früheren Gelegenheiten ebenfalls festgestellt und mich dabei auf Mitteilungen gestützt, die aus dem Hause des Herrn Bundesfinanzministers kommen. Der Herr Minister hat aber die Situation so rabenschwarz dargestellt, daß Zweifel doch wohl erlaubt sind. In seinem Ministerium jedenfalls scheint man nicht ganz so pessimistisch zu sein wie der Herr Minister selbst; denn dort hält man einen 15 %gen Anteil der beweglichen Ausgaben für einen durchschnittlichen Höchstsatz. Außerdem scheint man sich nicht ganz im klaren darüber zu sein, welche Positionen denn noch als beweglich anzusehen sind.Betrachtet man den Haushalt als konjunkturpolitisches Instrument, dann muß man feststellen, daß auch die beweglichen Ausgabepositionen nur sehr bedingt für konjunkturpolitische Maßnahmen zur Verfügung stehen. In diesem Bereich bleibt im Grunde genommen nur das eigentliche Investitionsvolumen, das konjunkturpolitisch wirklich eingesetzt werden könnte.
— Es ist ziemlich groß. Ich habe von 45 Milliarden DM für den gesamten öffentlichen Haushalt gesprochen, und das ist ein Stück, es ist nicht zu bestreiten.In der Rede des Herrn Bundesfinanzministers war mehrfach davon die Rede, daß man im Entwurf des Haushaltsplans Schwerpunkte geschaffen habe. Damit muß doch wohl gemeint sein, daß bestimmte Aufgaben besonders betont und deshalb auch besonders oder im Unterschied zu früheren Haushalten besser ausgestattet wurden. Bei genauer Betrachtung muß man allerdings feststellen, daß es sich mehr um verbale als um tatsächliche Schwerpunktbildungen handelt.
Vor allem sind eine Reihe von Aufgaben, die dringend auch einer haushaltsmäßigen Befriedigung bedürfen, entweder gar nicht oder unzulänglich berücksichtigt.In der heutigen Aussprache werden einige meiner Kollegen zu bestimmten Gebieten sprechen. Ich möchte mich deshalb auf diese allgemeinen Feststellungen beschränken und mich nur mit einigen Teilen des Haushalts besonders befassen.Da sind zunächst einige Bemerkungen zum Verteidigungshaushalt zu machen. Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zu den Fragen der Verteidigung waren im Grunde genommen etwas dürftig. Obwohl die Verteidigungslasten mit 20,3 Milliarden DM — wenn man auch die sonstigen Verteidigungslasten einbezieht —, also fast einem Drittel des gesamten Haushaltsvolumens, vorgesehen sind, hat der Herr Bundesfinanzminister nur einige allgemeine Bemerkungen dazu gemacht. Gleich vorweg: Wir anerkennen das Bemühen, die Ausgabenhöhe nicht weiter steigen zu lassen. Ich erinnere daran, daß noch vor zwei Jahren von der Bundesregierung in Aussicht gestellt war, daß im Jahre 1965 ein Bedarf von 22,5 Milliarden DM vorliegen würde. Unser Bemühen — wir standen nicht allein —, die Kosten zu senken und dabei die Bundeswehr mit den erforderlichen Waffen und Geräten auszustatten, scheint also doch etwas Erfolg gehabt zu haben. Wir vermissen aber in den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers einige Angaben darüber, wie sich in Zukunft die mittelfristige Planung für die Bundeswehr gestalten und wie sich dies auf den Haushalt auswirken soll. Ich möchte hier nicht in die Kontroverse eintreten, die Herr Kollege Kreitmeyer durch seine Äußerungen in der Öffentlichkeit und die FDP-Fraktion mit ihrem Antrag entfesselt hat. Das mag unter anderen ausgemacht werden.
— Ach so, die waren langfristig gemeint. Ich danke für den Hinweis.
— Zum außerplanmäßigen Gefreiten, Herr Kollege!
So weit haben es andere auch gebracht, aber mit schlimmeren Folgen.
Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß mein Fraktionskollege Dr. Möller am 9. Januar d. J. bei der ersten Lesung des Haushaltsplanes 1964 von dieser Stelle aus auf die in Amerika entwickelten Methoden der Verteidigungsplanung und der Sicherung der Effizienz des Mitteleinsatzes in der Politik hingewiesen hat. In der Zwischenzeit hat sich der Verteidigungsausschuß dieses Hauses in Amerika selbst umgesehen und sich mit diesen Fragen befaßt. Dabei ist festgestellt worden, daß das Verteidigungsministerium seit langem Kenntnis von den in Amerika entwickelten Methoden hat,
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Schoettledaß aber offensichtlich kein ernsthafter Wille besteht, diese Erkenntnisse bei uns zu verwerten.
Obwohl man im Jahre 1963 über 900 Millionen DM umschichten mußte — wie man es damals nannte —, versucht man jetzt offenbar, diese Methode zu legalisieren. Siehe den § 11 Abis. 10 des vorgelegten Gesetzentwurfs. Daraus ergibt sich, daß das Verteidigungsministerium nach wie vor seine Planungen so unsicher aufbaut, daß es selbst davon nicht zuverlässig ,ausgehen kann. Und wenn man so unplanmäßig. vorgeht, dann muß man allerdings Variationsmöglichkeiten in der vorgesehenen Weiseschaffen.Die Amerikaner haben jedenfalls mit ihrer mittelfristigen Planung im Jahre 1963 4,5 Milliarden DM bei der Beschaffung von Waffen und Geräten eingespart: mehr ,als 10 % ihres gesamten Beschaffungshaushalts. Die Erfahrungen in den letzten Jahren zeigen, ,daß bei uns der gleiche Spareffekt erreicht werden könnte, wenn sich die Exekutive ernsthaft der Lösung dieses Problems stellen würde.
Der Bundestag müßte notfalls die Bundesregierung zwingen, eine mittelfristige Planung der Ausstattung der Bundeswehr mit Waffen und Geräten vorzuschlagen.
— Ja, bitte!
Ist Ihnen bei dieser Kritik nicht entgangen, daß wir bereits vor einem halben Jahr die ,erforderlichen Stellen gegen Ihre Stimmen im Haushaltsausschuß bewilligt haben?
Ich kann im Augenblick darauf keine Antwort geben. Aber mit der Stellenbewilligung ist es ja nicht getan; daß muß sich auch irgendwo im Haushalt niederschlagen.
Wenn das Verteidigungsministerium von sich aus in dieser Richtung nichts tut, dann müßte jedenfalls der Bundesfinanzminister darauf drängen, daß das geschieht. Der vorgelegte Haushaltsentwurf und die Riede des Herrn Ministers lassen den Schluß zu, daß man sich dieser Problematik nicht stellen will.In diesen Bereich gehört auch die Frage der Zivilverteidigung und der Notstandsgesetze. Mein Kollege Schmitt-Vockenhausen hat in der letzten Woche bereits die Frage an den Herrn Bundesfinanzminister gestellt, wie hoch die Kosten sein werden, die entstehen, wenn die von der Bundesregierung vorgelegten ,Gesetzentwürfe verabschiedet sein werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat ausweichend geantwortet. Er wisse nicht, wieviel benötigt werde, da die Gesetze ja noch nicht vorlägen. Das sei auch nicht schlimm, denn sie seien noch nicht etatreif. Mit einer solchen Erklärung können wir uns nicht zufriedengeben. Die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetze sind nur dann sinnvoll, wenn lihre Durchführung auch 'finanziell gewährleistet ist.
In diesem Hause ist von allen Seiten immer der Standpunkt vertreten worden, daß bei jeder Gesetzesvorlage von der Regierung gleichzeitig dargelegt werden muß, wie hoch die Gesamtkosten der Durchführung sein werden. Gerade bei den Gesetzen der Notstandsgesetzgebung, die mit Sicherheit hohe Milliardenbeträge erfordern, kann auf die Darstellung der Gesamtkosten nicht verzichtet werden.
— Die sind eben nicht so veröffentlicht, daß man sich daraus einen Vers machen könnte, Herr Kollege Conring.
Unsere Fraktion — damit komme ich zu dem Punkt, auf den es uns ankommt — hat stets betont, daß sie bereit ist, im Rahmen der von ihr aufgestellten Grundsätze und Voraussetzungen die Notstandsgesetze mit zu beraten und zu verabschieden. Man wird von uns aber nicht erwarten können, daß wir ohne zuverlässige Kenntnis der finanziellen Auswirkungen handeln. Wir erwarten von dem Herrn Bundesfinanzminister, daß er in dieser Haushaltsdebatte die Zahlen auf den Tisch legt.
Im Bereich des Verkehrs hat die Bundesregierung nach der Meinung des Bundesfinanzministers im Haushalt 1965 einen Schwerpunkt gebildet. Ich möchte diese Behauptung mit einer Einschränkung versehen. Es ist wohl richtiger zu sagen, die Bundesregierung habe den Schwerpunkt Verkehrspolitik, der ja einen sehr komplexen Bereich umfaßt, erkannt, aber sie habe ihn nicht seiner Gewichtigkeit entsprechend honoriert, und das bedeutet, daß die Unzulänglichkeit der Verkehrsinvestitionen auch für 1965 zementiert wird. Das gilt für den Straßenbau genauso wie für die Bundesbahn mit ihrer besonderen Problematik.Um bei der Bundesbahn zu bleiben: Wir warten seit geraumer Zeit auf die Vorschläge der Bundesregierung zur Sanierung der Bundesbahn. Die These des Bundesministers der Finanzen, daß Wege gefunden werden müssen, die es der Bundesbahn ermöglichen, ihre wirtschaftliche Lage zu meistern, haben wir in verschiedenen Ausfertigungen schon seit Jahren gehört, ohne daß Entscheidendes geschehen wäre.Das gleiche gilt für die Bundespost, deren defizitäre Lage durch die kürzlich erfolgte Erhöhung der Telefongebühren keineswegs verbessert worden ist. Inzwischen sind ja, wie wir heute früh aus der Presse erfahren haben, von dem Herrn Bundeskanzler dem Bundespostminister Anweisungen gegeben worden, durch die eine Senkung der erhöhten Ge-
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Schoettlebühren, allerdings nicht auf den alten Stand, herbeigeführt werden soll. Ob das eine sehr späte Einsicht ist, daß man der Wirtschaft die Belastung aus der Gebührenerhöhung hätte ersparen können, wenn man die erhöhten Steuereinnahmen zur Deckung des Haushaltslochs verwendet hätte, das sich aus einem Verzicht auf den Postbeitrag an den Haushalt ergeben würde, oder ob die unmittelbare Wirkung der Gebührenerhöhung, nämlich ein beträchtlicher Rückgang des Aufkommens aus den Telefongebühren, Anlaß für die sensationelle Wendung waren, darüber kann man nur spekulieren. Jedenfalls lösen die Erklärungen des Bundesfinanzministers in seiner Etatrede nicht — ganz abgesehen von den Bedenken, die gegen das Verfahren angemeldet werden müssen — das Problem, das die Post und ihre Lage darstellen.Nach unserer Ansicht ist eine Novellierung des Postgesetzes notwendig, damit klare Rechtsverhältnisse geschaffen werden. Wir werden Vorschläge in dieser Richtung machen.In seiner Rede hat der Herr Bundesfinanzminister auch das Thema Seeschiffahrt berührt. Dazu ist von uns aus folgendes zu sagen. Der Deutsche Bundestag hat im Juni dieses Jahres bei der Beratung einer Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion den Vorstellungen unserer Fraktion über ein 1965 in Kraft tretendes und bis 1970 geltendes Schifffahrtsförderungsgesetz einem „Blauen Plan" einhellig zugestimmt. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede ausdrücklich erklärt, daß trotz der begrenzten Möglichkeiten des Haushalts durch Bundeshilfen der bedrohlichen und existenzgefährdenden Entwicklung der deutschen Seeschiffahrt im internationalen Wettbewerb vorgebeugt werden müsse. Unserer Forderung nach genereller Hilfe durch Verbesserung der Kapitalstruktur, durch Konsolidierung und Rationalisierung und durch Hilfen zum Neubau von 1,5 Millionen BRT haben alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt. Für 1965 bewegt sich der notwendige Aufwand in einer Größenordnung von rund 150 Millionen DM. Aber der Haushaltsentwurf sieht statt dessen eine Reduzierung der bisherigen Ansätze um rund 20 Millionen DM vor. Nach 1970 sind bekanntlich EWG-unabhängige nationale Hilfsmaßnahmen zur Beseitigung der eigenen Unterlegenheit gegenüber ausländischen Wettbewerbern unmöglich. Der „Blaue Plan" muß also 1965 voll anlaufen. Wir müssen den Bundesfinanzminister fragen, ob das Förderungsprogramm erst 1966 anlaufen und dann in vier Jahren erledigt werden soll oder ob er verbindlich zusagen kann, daß der „Blaue Plan" nach Verabschiedung des betreffenden Gesetzes durch einen Nachtragshaushalt bedient werden soll. Tm übrigen wird mein Kollege Bleiß im Rahmen dieser Debatte zur Verkehrspolitik im Bundeshaushalt noch besonders Stellung nehmen.Zur Wissenschaftsförderung, die es verdient hätte, im Bundeshaushalt in ganz anderer Weise, als es geschehen ist, zu einem Schwerpunkt gemacht zu werden, wird in der nächsten Zeit Gelegenheit sein eingehend Stellung zu nehmen. Für heute nur soviel: Die Planung gerade auf diesem Gebiet sollte sich künftig über mehrere Jahre erstrecken, mindestens auf fünf Jahre, damit wirklich ernsthaft und in die Zukunft hinein etwas geschehen kann. Der Bund muß sich im Zusammenhang mit Vereinbarungen mit den Ländern weit stärker engagieren als bisher. Wir stimmen allerdings — das muß ich hinzufügen — dem Herrn Bundesfinanzminister unbedingt zu, wenn er in seiner Haushaltsrede sagt, daß die Bundesmittel in diesem Bereich zusätzlich zu den Ländermitteln gegeben werden sollen, daß also die Länder Bundeszuschüsse nicht zur Reduzierung ihrer eigenen Leistungen und Anstrengungen benutzen dürfen.
Am stärksten von den Kürzungen betroffen ist der Haushalt des Bundesernährungsministers. Im Umfang von 250 Millionen sollen Einsparungen vorgenommen werden. Von den in zwölf Einzelplänen veranschlagten ,Minderausgaben stellt der Einzelplan 10 allein 40 %. Die besagten 250 Millionen werden in erster Linie beim Grünen Plan eingespart werden müssen, so daß eine fast 10 %ige, also doppelt so hohe Kürzung wie bei den anderen Ressorts vorgenommen werden soll.
Übrigens zum Grünen Plan — meine Damen und Herren, ich glaube, das ist ein Anliegen, das uns alle angeht — folgendes. Der Grüne Plan, der ja erst im Februar des nächsten Jahres eingebracht werden soll, ist mit seiner Zahlenseite ein Element des Bundeshaushalts. Es ist nahezu unmöglich, einen Haushalt vollständig zu verabschieden, wenn ein solches Element fehlt. Wir müssen deshalb ,die Frage stellen, ob die Bundesregierung nicht ernsthaft darangehen will, die Einbringungszeiten des Grünen Plans zu verlegen. Wie das geschehen 'kann, das wäre zu überlegen. Aber solange die jetzige Lösung weiterbesteht, daß man erst am 12. oder 15. Februar den Grünen Plan vor sich hat, bleibt der Gedanke unerträglich, daß der Haushalt eigentlich nicht vollständig ist.
— Dann müssen wir eben den Grünen Plan im ganzen aus dem Bundeshaushalt herausnehmen und ihn in einem Nachtragshaushalt oder auf irgendeine andere Weise etatisieren. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.Was die Kürzungen beim Einzelplan 10 betrifft, so ist man versucht, ,dem Bundesfinanzminister recht zu geben, wenn man an die Haushaltsmanipulationen des Bundesernährungsministers in den vergangenen Jahren denkt.
Da kann man zu der Ansicht kommen, daß der Finanzminister eigentlich zu dieser Kürzung geradezu gezwungen gewesen ist. Im Haushaltsjahr 1962 konnten z. B. 170 Millionen, 1963 330 Millionen aus dem Einzelplan 10 nicht planmäßig verausgabt werden. Haushaltsansätze sind im allgemeinen nicht unbedingt ein Zwang zu Ausgaben; sie sind Ermächtigungen, daß man in der Höhe ausgeben darf.
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SchoettleAber gerade im Bereich des Agrarhaushalts sind ja die Ansätze nicht einfach festgelegt, weil man mal so ins Blaue hinein etwas sagen wollte, sondern sie haben ihre Substanz, sie haben ihre Begründung.
— Darauf wollte ich gerade hinweisen, Herr Kollege Bauknecht. Schuld daran, daß diese Ausgaben nicht bewältigt werden konnten, ist die verspätete Herausgabe der Richtlinien, und man kann hinzufügen: vielleicht auch die bewußte Erhöhung einzelner Ansätze, um zu Beginn des Jahres einen für die Landwirtschaft dekorativ aufgeblähten Grünen Plan vorzulegen
und dann am Ende des Haushaltsjahres doch noch Reste zu haben, um sonstige Löcher zu stopfen oder Geschenke zu verteilen. Aber mir scheint, daß diese Methoden von jedem Gesichtspunkt aus zu bedauern und abzulehnen sind. Dabei sind — auch das muß hinzugefügt werden — wichtige agrarpolitische Maßnahmen verhindert worden, die im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zwingend waren.
Außerdem sind Beschlüsse des Parlaments vom Ernährungsminister nicht sachgerecht ausgeführt, ja zum Teil ignoriert worden.
Die Kürzung des Einzelplans 10 bleibt auch unverständlich angesichts der Tatsache, daß das Bundesernährungsministerium noch in der Vorwoche behauptete, in diesem Jahr seien keine Reste zu erwarten, wobei es den Beweis jedoch schuldig blieb.Wenn man davon ausgeht, daß auf Grund gestiegener Kosten die meisten Maßnahmen selbst bei gleichbleibendem Haushaltsvolumen nicht im gleichen Umfang wie bisher durchgeführt werden können und Neuaufgaben insbesondere auf agrarsozialpolitischem Gebiet überhaupt nicht angegangen werden können, dann kann man ob dieses Durcheinanders in Konzeption, Durchführung und Aussagen nur den Kopf schütteln.
Zwei Fragen drängen sich bei dem Einzelplan 10 außerdem noch auf. Die Fraktionen der Regierung haben durch Anträge und angemeldete Wünsche, z. B. für die Altershilfe und die Unfallversicherung, Mehrausgaben in Höhe von über einer halben Milliarde ins Auge gefaßt. Man wird sie wohl in einem Nachtragshaushalt Mitte nächsten Jahres vor der Bundestagswahl zu finanzieren suchen, und man kann die Frage stellen, wie sich das mit der Rede des Herrn Bundesfinanzministers verträgt.Es nimmt auch wunder, daß der Finanzminister mit keinem Wort die finanziellen Auswirkungen der Errichtung des Ausrichtungs- und Garantiefonds in der EWG angesprochen hat. Die bisherigen Vereinbarungen laufen im Juli des nächsten Haushaltsjahres ab. Bis zum 1. Juli 1965 ist eine neue Entscheidung fällig. Die Frage ist, welche Haltung die Bundesregierung in den Verhandlungen einzunehmen 1 gedenkt. Das ist angesichts der Tatsache bedeutsam, daß einerseits nach der Grundsatzentscheidung des Ministerrates die Abschöpfungen nach den Nettoimporten in progressiver Weise diesem Fonds zufließen sollen — sie also auf der Einnahmeseite bei uns zunehmend fehlen werden —, andererseits der Fonds einen Umfang in Höhe von 3 1/2 Milliarden DM annehmen soll und zusätzliche Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt erforderlich macht.Wir fordern eine folgerichtige Durchführung der in diesem Hause gefaßten politischen Beschlüsse, eine klare Darlegung der derzeitigen Finanzlage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, eine Gegenüberstellung mit den notwendigen bestehenden und neu auftretenden Aufgaben. Erst dann kann über diesen Etat, d. h. über seine eventuelle Kürzung oder Ausdehnung entschieden werden.Was schließlich die Ausführungen des Bundesfinanzministers zu den Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten betrifft, so waren diese auch nicht gerade besonders aufschlußreich. Irgendwelche konkreten Vorstellungen über die Weiterentwicklung dieses ganzen Fragenkomplexes sind nicht geäußert worden. Auf dem Gebiete des Lastenausgleichs hat sich der Finanzminister nur mit der Vergangenheit beschäftigt, statt klar und deutlich zu sagen, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen und in welchem Rahmen sie die noch offenen Fragen angehen will. Zahlen über erfolgte Leistungen, die streitig sind und wegen ihres summarischen Charakters ein unvollständiges und zum Teil falsches Bild ergeben, können dem Parlament bei seiner Urteilsbildung nichts nützen.
Hier brauchen wir endlich die von der SPD-Fraktion bei der dritten Lesung zum Siebzehnten Lastenausgleichsänderungsgesetz geforderte objektive Bestandsaufnahme.Die Tatsache, daß der Etat des Vertriebenenministeriums im Haushaltsvoranschlag 1965 um genau 10 v. H. niedriger ist als im vorigen Jahr, wird eine sehr sorgfältige Nachprüfung erfordern. Dazu gehören unter anderem auch die auffallenden Kürzungen ausgerechnet bei den Entschädigungsleistungen für ehemalige Kriegsgefangene und politische Häftlinge, die im Hinblick auf die Verbesserungen der Dritten Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und die notwendige Betreuung der jetzt entlassenen und noch zu entlassenden Häftlinge gesehen werden müssen. Zu bedauern ist auch, daß das Flüchtlingsproblem von dem Finanzminister nur am Rande und ganz allgemein berührt wurde. Das zeigt, daß offenbar keine weitergehenden Verbesserungen als die jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe zu erwarten sind. Auch die Siebzehnte Novelle zum Lastenausgleichsgesetz hat keine zufriedenstellende Alterssicherung der ehemals selbständigen Sowjetzonenflüchtlinge gebracht. So kann das Flüchtlingsproblem trotz des Flüchtlingshilfegesetzes und des Beweissicherungsgesetzes nicht von der Tagesordnung abgesetzt werden.
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SchoettleNach wie vor steht unser Entwurf eines Flüchtlingsgesetzes, der die Gleichstellung der Flüchtlinge untereinander und die rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Heimatvertriebenen vorsieht, zur Diskussion.Meine Damen und Herren, ich muß schließlich noch einige Bemerkungen zu dem in Zusammenhang mit dieser Haushaltsberatung gleichfalls auf der Tagesordnung stehenden ERP-Wirtschaftsplan machen, der begrüßenswerterweise in zeitlichem Zusammenhang mit der ersten Beratung dieses Bundeshaushalts zur Debatte steht. Damit wird die korrespondierende Erörterung dieser beiden Gesetze in den zuständigen Ausschüssen entsprechend einer schon vor Jahren in diesem Hause getroffenen Feststellung und ihre gleichzeitige Verabschiedung möglich. Mit dieser formalen Erfüllung einer Forderung des Hohen Hauses ist es aber nicht getan. Die Bundesregierung kommt nicht daran vorbei, sich auch zu den sachlichen Zusammenhängen zwischen Bundeshaushalt und ERP-Wirtschaftsplan zu äußern.Das ERP-Sondervermögen ist nach allseitig erklärtem Willen ein Instrument der Wirtschaftspolitik. Es ermöglicht mit seinen Erträgnissen, der Wirtschaft Mittel zur Verfügung zu stellen, die Betriebe und Unternehmen nicht in jedem Fall aus eigenem aufzubringen imstande sind. Das ERP-Sondervermögen ermöglicht binnenwirtschaftliche, Berlin betreffende und außenwirtschaftliche Maßnahmen einschließlich solcher der Entwicklungshilfe. Damit wird deutlich, daß die aus den verschiedenen Einzelhaushalten — auch dem Grünen Plan — wirtschaftlichen Zwecken zugeführten Mittel durch Mittel aus dem ERP-Sondervermögen ergänzt werden. Bisher haben diese beiden großen Gruppen ziemlich zusammenhanglos nebeneinandergestanden. Es kommt darauf an, klarzumachen, wie im Rahmen gesamtvolkswirtschaftlicher Erwägungen und umfassender Wirtschaftspolitik der Haushalt einerseits und das ERP-Sondervermögen andererseits den allgemeinen politischen Zielen dienen können.Hier wird deutlich, daß wir ohne volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, ohne volkswirtschaftlichen Gesamthaushalt, ohne Jahreswirtschaftsberichte und ohne die Feststellung der Ziele der allgemeinen Wirtschaftspolitik nicht mehr auskommen. Wenn dem so ist, müssen Bundeshaushalt und ERP-Sondervermögen den ihnen zukommenden Platz in diesem Rahmen bekommen. Wir hätten gern von der Bundesregierung ihre Vorstellungen dazu gehört, um künftighin sicher zu sein, daß öffentliche Mittel der einen oder anderen Art nicht verschwendet werden. Des weiteren muß festgestellt werden, daß das ERP-Sondervermögen als Instrument der Wirtschaftspolitik anderen Voraussetzungen und Bedingungen unterliegen muß als der Bundeshaushalt. Das heißt, das ERP-Sondervermögen muß in seiner Substanz erhalten und in seinen Erträgnissen entsprechend den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten im Sinne von Schwerpunktmaßnahmen eingesetzt werden können.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, zu einzelnen Problemen, die der Haushalt 1965 aufwirft, Stellung zu nehmen. Wir werden bei den Beratungen im Haushaltsausschuß entsprechend den von mir vorgetragenen Gesichtspunkten an der Gestaltung dieses Haushalts 1965 mitwirken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emde.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als vor drei Jahren Finanzminister Starke einen neuen Stil der Haushalts- und Finanzpolitik ankündigte, ist von vielen Seiten Skepsis und Zweifel geäußert worden. Heute sind diese Zweifel nur noch bei wenigen zu finden. Ein neuer Stil, das heißt, Anpassung der Haushaltsentwicklung an die realen Zuwachsraten des Sozialproduktes bei vollgültiger Erfüllung der Staatsaufgaben, das heißt, Beschränkung des öffentlichen Haushaltes auf den erreichten Anteil am Sozialprodukt, und neuer Stil heißt nicht zuletzt auch Erfüllung der Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung, z. B. durch zeitgerechte Einbringung der Haushaltsentwürfe.Die Entwicklung hat gezeigt, daß beide von der FDP gestellten Finanzminister, Dr. Starke und Dr. Dahlgrün, die gleiche Methode der Finanzpolitik vertreten. Innerhalb der liberalen Partei gibt es keinerlei Unterschiede in der Auffassung über die richtige, den heutigen Notwendigkeiten entsprechende Finanzpolitik. Insofern entsprechen die Handlungen dieser Legislaturperiode voll den Erklärungen der Wahlkampfaussage der FDP vom Frühjahr 1961.Die Problematik der Arbeit des Finanzministers liegt also nicht in der Erarbeitung der politischen Linie, sie liegt in der Frage der politischen Anwendung und Durchführung der in der Theorie als richtig anerkannten Vorstellungen. Dabei ist in einer Koalitionsregierung der vom kleineren Partner gestellte Finanzminister stets in einer schwierigen Situation. Er muß die Einzelinteressen seiner Partei in das Allgemeininteresse einfügen; das wird ihm relativ leicht gelingen. Er muß aber darüber hinaus die vielfältigen Forderungen der Einzelgruppen des größeren Partners ohne Störung des Koalitionsklimas dem Allgemeininteresse unterordnen, und das ist bei den verschiedenen Interessenlagen stets ein schwieriges Unterfangen. Daß dies Minister Dahlgrün so überzeugend gelungen ist, dankt ihm jeder, der den politischen Erfolg dieser Koalition wünscht.Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik des Finanzministers ist ein enges Vertrauensverhältnis zum Regierungschef. Dabei muß die Übereinstimmung in der Beurteilung der wechselnden Situation und die Übereinstimmung in der Anwendung des finanzpolitischen Instrumentariums Grundlage der menschlichen Beziehungen sein; denn ohne persönliches Vertrauen sind so komplizierte Probleme, wie sie sich in den letzten Jahren der deutschen Finanzpolitik ergeben haben, nicht zu bewältigen. Bundeskanzler und Finanzminister sind jedoch ohne die tatkräftige Unterstützung der sie tragenden Frak-
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Dr. Emdetionen handlungsunfähig. Und hier möchte ich für die Fraktion der FDP dem Bundeskanzler
und dem Finanzminister als den in der heutigen Etatdebatte in erster Linie angesprochenen Mitgliedern des Kabinetts die volle Unterstützung meiner Fraktion zusagen. Dieser Haushaltsentwurf wird von uns als ein Stück richtiger Finanzpolitik begrüßt, und wir setzen alle Energie daran, ihn heute und in den folgenden Lesungen zu verteidigen.Mancher Versuch wird bis zur Verabschiedung unternommen werden, wesentliche Veränderungen der Grundkonzeption vorzunehmen, insbesondere werden sich die Bemühungen von Gegnern der Steuersenkung darauf konzentrieren, den vorgesehenen zweiten Teil des Steueränderungsgesetzes zu verhindern. Durch Addierung angeblicher Unterlassungen, durch Vortragen verschiedenster zusätzlicher Wünsche wird versucht werden, über Erhöhung der Ausgaben die für die Steuersenkung erforderliche Finanzmasse zu beschneiden.Nun, meine Damen und Herren, wir sehen in dieser vorgeschlagenen Steuersenkung ein Mittel, alle Schichten des Volkes zu entlasten,
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wie es sich ergeben hat, daß jetzt die Senkung möglich ist?
Herr Kollege Schäfer, wir haben von Anfang an eine Erhöhung in dem Umfange, wie sie vorgenommen wurde, nicht für gerechtfertigt gehalten. Wir haben darum gekämpft, daß das Ergebnis der Arbeiten der Kommission abgewartet werde. Unsere Ansicht, daß die Erhöhung in diesem Umfange zur Zeit nicht notwendig sei, ist überall verbreitet und hat zu der Entscheidung geführt, zum mindesten einen Teil der Erhöhung zurückzuneh-
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Dr. Emdemen. Ich glaube, das ist die Darstellung des Vorganges, mehr kann dazu nicht gesagt werden.
Herr Kollege, es kommt in der Politik nicht immer darauf an, recht behalten zu haben, sondern es kommt darauf an, die Möglichkeiten der politischen Gestaltung auszunutzen und jeweils entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Lassen Sie mich fortfahren. Sie sind mit Ihrer Frage mitten in einen Gedankengang von mir hineingeplatzt. Ich sprach von der Zusammenfassung der Omnibuslinien von Bahn und Post. Ich glaube, wenn man hier eine Zusammenfassung vornähme, dann würde eine ganz beträchtliche Senkung der Gemeinkosten erreicht und wären Ersparnisse in einer Quote von mindestens 40 Millionen DM erzielbar. Solche Vorschläge werden von den Beteiligten überhaupt nicht erörtert. Es gibt nur eine einzige Einrichtung in der Bundesrepublik, die eine gewisse Zusammenarbeit der Omnibusbetriebe von Bahn und Post schafft, nämlich ein gemeinsames Reparaturwerk in Trier. Die dort gewonnenen Erfahrungen sind sehr gut. Dieses Beispiel mag beweisen, daß es für die gesamten Omnibusbetriebe von Bahn und Post die Möglichkeit der Zusammenfassung gibt und damit für die öffentliche Hand die Möglichkeit, mit erheblich geringeren Kosten die gleichen Leistungen zu erreichen und so Preiserhöhungen zu vermeiden und die eingesetzten Steuermittel sinnvoller zu verwenden.Ich habe mit Absicht diese Probleme hier so ausführlich geschildert, weil ich einmal vor dem ganzen Parlament darstellen wollte, welche Möglichkeiten uns noch gegeben sind. Leider schlagen wir uns in vielen Teilen immer nur mit Bagatellfragen herum. Die Tatsache, daß der Haushaltsausschuß ständig mit Bagatellproblemen befaßt wird, daß die Haushaltsberatung im Ausschuß zu einer Art Superressortberatung geworden ist, die Tatsache, daß man sich dabei auf die Arbeit des Haushaltsausschusses verläßt und von ihm erwartet, daß er im Zuge seiner Beratung finanzielle Lücken ausfüllt, und nicht zuletzt das ständige Unterlaufen des Haushaltsausschusses durch Forderungen aus den Reihen dieses Hauses, die ohne Rücksicht auf die allgemeine Lage nur vom Interesse der einzelnen Gruppen diktiert werden, alle diese Dinge bringen den Haushaltsausschuß auf die Dauer in eine unhaltbare Situation.
Jeder, der Forderungen stellt, muß dies vorher persönlich für sich mit den allgemeinen Möglichkeiten abgeklärt haben. Wenn er 'das nicht tut und sich auf das Bremsen des Haushaltsausschusses verläßt, spielt er diesem eine nie angestrebte Rolle zu, nämlich die des Schiedsrichters in ungezählten finanziellen Fragen.Nur durch diese falschen Methoden entsteht dann das Bild ,des Haushaltsausschusses als eine Art Superausschuß, in dem Menschen sitzen, die zum Teil mit viel Fleiß, zum Teil aber auch mit viel Rücksichtslosigkeit über den Kopf der anderen hinweg entscheiden. Je mehr sich Teile dies Parlaments auf die — sicherlich nicht unberechtigte — Vertretung von Einzelgruppen beschränken, um so unersprießlicher und um so unpolitischer wird dann in der Folge auch die Haushaltsdebatte werden. Das Detail tritt an die Stelle des Ganzen, und das kann nie Sinn der Sache sein. Wenn dann noch die Opposition und Teile der Presse jede sachliche Kritik einer Koalitionsfraktion an der Regierung als einen spekulatären Vorgang darstellen und dazu benutzen, Unfähigkeit der Koaliation oder der Regierung zu konstruieren, führt das automatisch zu einer Verlagerung der Diskussion hinter verschlossene Türen und damit zur Beschränkung des Parlaments in seiner politischen Aussprache.
Nach drei Jahren Regierungstätigkeit dieser Koalition haben wir allerdings guten Grund, gerade auf dem hier zu erörternden Gebiet der Haushaltspolitik alle möglichen Angriffe gelassen zu parieren. Wer sich einmal die Mühe macht, die Debattenbeiträge der Oppositionssprecher aus den vergangenen Jahren zum Haushalt auf ihren inneren Sachgehalt nachzuprüfen, der wird feststellen, daß die Kollegen von der Opposition nicht allzuviel Grundlegendes und Kritisches zur Haushaltspolitik gesagt haben. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb sich die Kritik an der Koalition in dieser Frage sehr oft im rein Formellen erschöpft. In der Sache selbst bestätigt die Opposition durch ihr Verhalten den Kurs, den wir eingeschlagen haben und der mit den Namen Dr. Starke und Dr. Dahlgrün in der deutschen Öffentlichkeit in weiten Kreisen verbunden ist.
Wir dürfen insbesondere für uns in Anspruch nehmen, daß in den vergangenen drei Jahren Stück um Stück ein Zustand erreicht worden ist, bei dem die Haushaltspolitik nicht mehr von den Geschehnissen überrollt wird, sondern ein Kernstück der Regierungstätigkeit darstellt.
Es ist, wie vor allem die rechtzeitige Vorlage dieses Haushaltsgesetzes beweist, mehr und mehr Ordnung in das Verfahren gebracht worden. Der Plafond des Haushalts ist mit Rücksicht auf die Preis-und Währungsstabilität von dem Bundeskanzler, dem Finanzminister und den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen mit aller Energie vertreten worden, auch wenn es gelegentlich einmal hin- und herlaufende Wünsche der verschiedenen Regierungsparteien und Gruppen gegeben haben mag. An diesen Tatsachen, daß wir ein klares Bild für das nächste
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Dr. EmdeJahr im Rahmen der Haushaltspolitik entwickelt haben, ist nicht vorbeizukommen.
Das Parlament wird seine Aufgaben um so besser erfüllen, je deutlicher es sich als Diskussionsgremium und Kontrollorgan der Regierung fühlt. Die Methode in diesem, Hause, Eintracht auch dort vorzuführen, wo man in Wirklichkeit unterschiedliche Dinge meint, kann nie der Arbeit der parlamentarischen Demokratie und der Wohlfahrt der Nation nützen. Es ist nichts Verwerfliches, wenn Politiker einer Partei unterschiedliche Vorstellungen über die Außenpolitik haben. Es ist ebensowenig verwerflich, wenn die Fraktionen einer Regierungskoalition in der einen oder anderen Frage unterschiedlicher Meinung sind.
— Ich komme noch darauf zurück. Es ist völlig natürlich, daß Opposition und Regierung unterschiedliche Standpunkte und Meinungen hier offen aussprechen; denn Sinn parlamentarischer Demokratie kann es nur sein, in der Aussprache und im Kompromiß den besten Weg für die Allgemeinheit zu finden.
Ebenso notwendig aber ist es, daß am Ende von Diskussionen eindeutig Klarheit herrscht über das, was der einzelne, seine Fraktion oder die Regierung will.
Ich bin überzeugt, daß die Aussprache der letzten Woche und des heutigen Tages klarmacht, welche Ziele die Regierung anstrebt,
und ich bin ebenso überzeugt, daß die Aussprache klarmacht, daß die Freie Demokratische Partei in dieser Regierung im Laufe der letzten Jahre an gestaltender Kraft gewonnen hat. Wir fühlen uns der Regierung als Koalitionspartner verpflichtet, auch wenn wir in manchen Einzelpunkten anderer Meinung sind und diese Meinung nüchtern vortragen. Wir sind aber entschlossen, die Dinge im richtigen Verhältnis zu sehen und auch innerhalb der Koalition das Gemeinsame, das Übergeordnete vor dem Untergeordneten zu bewerten.
Wir sind überzeugt, daß dieses Kabinett, das auf der Zusammenarbeit verschiedener Parteien und unterschiedlicher Persönlichkeiten beruht, in der Lage ist, die Zukunft der deutschen Politik positiv zu gestalten.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Erster Redner um 15 Uhr ist Herr Abgeordneter Dr. Althammer. Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Zur Fortsetzung der Haushaltsdebatte hat der Herr Bundesminister der Finanzen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einem Finanzminister, der einen Geldsack oder eine Kasse in einer Höhle versteckte, vor der ein Zerberus wachen würde, damit niemand herankommt — wobei es auch noch sein Bestreben sein soll, diesen Geldsack möglichst nur als kleines Beutelchen erscheinen zu lassen —, einem solchen Finanzminister, meine Damen und Herren, gebe ich unter den heutigen Umständen keine Chance. Ich bin der Meinung, daß das Prinzip der „gläsernen Taschen" auch für den Staat das richtige ist, und ich bin weiterhin der Meinung, daß dieses Prinzip bereits durchgesetzt ist.
Nach dem Material, was allen in vielfältigster Form zur Verfügung steht, z. B. in den Monatsberichten des Bundesministers der Finanzen über die Steuereinnahmen, in den laufenden Beurteilungen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute, kann sich, glaube ich, jedermann bei einigem Fleiß ausrechnen, wie die Entwicklung läuft bzw. wie sie zu beurteilen ist.
Sie können von mir erwarten, daß ich Ihnen — ich glaube, ich habe das in den letzten zwei Jahren getan und will das auch in Zukunft tun — schonungslos und offen die Situation vor Augen führe. Allein darin liegt die Chance, die Flut von Anforderungen an die öffentlichen Kassen abzuwehren oder in vernünftige Grenzen zu bringen. Nur wenn ich der Bevölkerung und Ihnen hier, dem Parlament, offen sage, wie die Lage ist und Ihnen alles aufdecke, habe ich die- Chance als Finanzminister, daß Einsicht und Vernunft zum Erfolg kommen. Dabei habe ich wenigstens bis zum heutigen Tag — obwohl ich schon zwei Jahre Finanzminister bin — die Hoffnung nicht aufgegeben, daß Einsicht und Vernunft siegen werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt auf das, was von den drei Vorrednern zum Haushalt 1965 vorgebracht worden ist, kurz eingehen. Alle Redner in der bisherigen Debatte haben bemängelt, daß noch kein Bundeshaushalt termingerecht, also vor Beginn des Rechnungsjahres, für das er gelten sollte, verabschiedet werden konnte. Diese Tatsache bedauert wohl niemand mehr als ich selber, der ich in erster Linie die Verantwortung für die Durchführung des Haushalts trage. Es kommt ja nicht allein darauf an, einen Haushalt zu verabschieden. Es kommt sicher ebenso sehr darauf an,
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6954 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Dr. Dahlgründiesen Haushalt im Laufe des Jahres richtig zu „fahren".Ich habe den Versuch gemacht, den Bundeshaushalt 1965 erstmalig möglichst frühzeitig den Gesetzgebungskörperschaften, dem Bundesrat und dem Bundestag, vorzulegen, damit die rechtzeitige Verabschiedung erfolgen kann. Die Aussichten haben sich z. B. durch das Gesetz zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr vom Jahre 1959 — Sie wissen, daß dadurch der Beginn des Rechnungsjahres vom 1. April auf den 1. Januar vorverlegt worden ist — im Laufe der letzten Jahre verschlechtert. Zwar ist es der Bundesregierung — wie es bei diesem Haushalt bewiesen hat — möglich, den Haushaltsentwurf termingerecht dem Bundesrat und dem Bundestag vorzulegen. Angesichts der zur Zeit bestehenden Feriengewohnheiten der Gesetzgebungskörperschaften wird trotzdem eine rechtzeitige Verabschiedung durch die Gesetzgebungsorgane nicht erreicht werden können; denn der Haushaltsausschuß hat auch seine Zeit nötig, um dieses gewaltige Zahlenwerk gründlich zu prüfen und das Budgetrecht des Parlaments auszuüben.Der Haushaltsentwurf soll nach dem geltenden Recht dem Bundestag spätestens am 5. Oktober vorliegen. Bei diesem Termin kann die erste Lesung, wie es zur Zeit geschieht, frühestens Mitte Oktober stattfinden. Für eine gründliche Beratung des Haushalts durch den Haushaltsausschuß und anschließend in der zweiten und dritten Lesung durch das Plenum steht bei diesem Termin eine Zeit zur Verfügung, die ich als nicht ausreichend bezeichnen muß. Sie wissen, daß nach dem Bundestag noch einmal der Bundesrat Stellung nehmen muß, und auch die Ausfertigung des Haushaltsgesetzes durch den Herrn Bundespräsidenten kostet Zeit.Wir müßten deshalb dazu übergehen, den Termin zur Vorlage an das Parlament mindestens um einen Monat vorzuziehen, damit dem Bundestag für seine Beratungen eine ausreichende Zeit zur Verfügung steht. Das setzt dann allerdings voraus — Herr Kollege Schoettle hat das angedeutet —, daß die Feriengewohnheiten geändert werden. Die Vorlage des Haushaltsentwurfs an den Bundestag schon im Juli, vor der derzeit üblichen Sommerpause, wird kaum möglich sein, da jeder Haushalt naturgemäß auf dem Haushalt des Vorjahres aufbaut. Es muß deshalb auch der Verwaltung ausreichend Zeit gegeben werden, nach der Verabschiedung des Vorjahreshaushalts die Voranschläge für den neuen Haushalt aufzustellen.Im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Verkündung — Herr Kollege Schoettle hat sehr deutlich darauf hingewiesen — taucht dann weiterhin das Problem des Grünen Berichts auf, der nach § 4 des Landwirtschaftsgesetzes dem Bundestag und dem Bundesrat bis zum 15. Februar des Jahres, für das der Grüne Plan gelten soll, vorgelegt werden muß. Dieser Bericht ist die Grundlage für die Aufstellung des Grünen Plans. Nach § 6 des Landwirtschaftsgesetzes werden die Mittel für den Grünen Plan in dem Entwurf des Bundeshaushalts für das jeweilige Rechnungsjahr nur global veranschlagt. Die rechtzeitige Verabschiedung des Bundeshaushaltsplans würde zur Folge haben, daß der Grüne Plan in der Regel erst durch ein Nachtragsgesetz verabschiedet werden könnte. Auch hier ist, wie es Herr Kollege Schoettle schon getan hat, zu überlegen, wie man im Rahmen der Neufestlegung der Beratungstermine zu einer Regelung kommen kann, die sauf die Dauer befriedigt.Ich habe bereits in meiner Haushaltsrede darauf hingewiesen, daß es angesichts der bestehenden Hochkonjunktur auch im Rechnungsjahr 1965 nötig sein wird, den Bundeshaushalt als Instrument antizyklischer Finanzpolitik einzusetzen und demgemäß die Wachstumsrate der Ausgaben an die reale Zuwachsrate des Sozialprodukts von rund 5 % anzupassen. Es handelt sich allerdings bei dieser Anpassungsmaßnahme keineswegs — das möchte ich im Sinne der Ausführungen von Herrn Kollegen Schoettle auch von dieser Stelle aus noch einmal ausdrücklich sagen — um ein ehernes Gesetz — so hat es Herr Kollege Schoettle formuliert —, an dem es kein Rütteln gibt. So ist das nicht, im Gegenteil. Denken Sie bitte auch einmal an den Fall, daß die konjunkturellen Spannungserscheinungen abgeklungen sind; dann besteht durch den Bundeshaushalt die Möglichkeit, die Ausgaben im Rahmen der vorhandenen Deckungsmöglichkeiten an den tatsächlichen Bedarf heranzuführen. Das Wesen antizyklischer Haushaltspolitik liegt doch gerade darin, daß die Ausgaben in Zeiten einer Hochkonjunktur nicht so schnell wachsen dürfen wie das Sozialprodukt, während umgekehrt bei nachlassender Konjunktur die Ausgaben stärker wachsen können als das Sozialprodukt. Diese Beweglichkeit ist erforderlich, weil sonst die öffentliche Leistungsdarbietung einfach nicht mehr im Einklang mit der Entwicklung der Volkswirtschaft steht. Also, Herr Kollege Schoettle, ich betone: nicht Starrheit, sondern Beweglichkeit gehört zum Gesetz der antizyklischen Finanzpolitik.
Bezüglich der Steuerschätzungen hat Herr Kollege Schoettle geglaubt, einen Widerspruch zwischen meinen Darlegungen zum Haushalt 1965 einerseits und den Erklärungen andererseits konstruieren zu können, die Herr Staatssekretär Grund im Finanzausschuß anläßlich der Beratung des Steueränderungsgesetzes abgegeben hat. Leider ist Ihnen, Herr Kollege Schoettle, dabei ein Irrtum unterlaufen. Ich habe in meiner Haushaltsrede bei den Ausführungen zur Ausgabenseite unter Hinweis auf die globalen Minderausgaben von mehr als 1,2 Milliarden DM in der Tat von einer sehr knappen Veranschlagung der Ausgabenposten gesprochen. Zur Einnahmeseite dagegen hatte ich in meinen Ausführungen zum Ablauf des Haushaltes 1964 gesagt, daß die Einnahmen dieses Jahres etwas über normal liegen, daß sie aber nicht höher sein werden als die voraussichtlichen Mindereinnahmen im außerordentlichen Haushalt. Ich hatte zuvor erklärt, daß wir jetzt erst bis zur Höhe von 1,7 Milliarden DM Kredite aufgenommen haben, während im Haushalt 1964 2,2 Milliarden DM eingeplant sind. Es fehlen also noch etwa 500 Millionen DM. Dieser Betrag wird
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Bundesminister Dr. Dahlgrün) durch die Steuermehreinnahmen gedeckt werden können. Auf der Einnahmeseite kommen also rund gerechnet 500 Millionen DM mehr herein; auf der Einnahmeseite des außerordentlichen Haushalts ist aber eine neue Bundesanleihe, um von den bisher erreichten 1,7 Milliarden DM auf 2,2 Milliarden DM aufstocken zu können — wie Sie mir wohl alle zugeben werden —, nach den Erfahrungen der letzten Zeit am Kapitalmarkt nicht mehr gut zu holen. Es ist also so, daß die Steuermehreinnahmen aufgezehrt sind, daß sie nicht mehr vorhanden sind. Ich bitte, das bei allen Ihren Überlegungen zu berücksichtigen; im Zusammenhang mit den Erörterungen über die Post ist dieses Problem jetzt wieder aufgetaucht. Die Steuermehreinnahmen des Jahres 1964, die wir im Verlauf der weiteren Entwicklung dieses Haushalts jetzt erkennen — nach dem Abschluß des Monats September können wir das sagen —, müssen wir also zur Abdeckung der Mindereinnahmen des außerordentlichen Haushaltes verwenden. Ich werde Ihnen in aller Kürze durch den Nachtragshaushalt 1964, also auf dem von Herrn Schoettle als ehrlich und sauber bezeichneten Wege, diese Abwicklung des Jahres 1964 erläutern.Im Einklang damit hat Herr Staatssekretär Grund im Finanzausschuß bei der Beratung des Steueränderungsgesetzes erklärt, daß es nach der gegenwärtigen Entwicklung des Steueraufkommens keine Schwierigkeiten bereiten würde, die vom Finanzausschuß empfohlene Ausweitung der Steuersenkungsmaßnahmen von insgesamt 420 Millionen DM —davon ,entfallen auf ,den Bund rund 160 Millionen DM, wffr werden uns darüber morgen nachmittag zu ,unterhalten haben — haushaltsmäßig zu decken. Sie hätten also, Herr Kollege Schoettle, meine Erklärungen zur Ausgabenseite nicht mit den Erklärungen zur Einnahmenseite vermischen dürfen.Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit auch einmal etwas sagen. Es ist auch unter dem folgenden Blickwinkel interessant, daß die jetzige Bundesrerung ,erstmalig nach 14 Jahren den Haushaltsplan rechtzeitig eingebracht hat. Je weiter sie sich durch die Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften von dem Schätzungszeitraum entfernt, desto schwieriger wind es natürlich, die Einnahmen und Ausgaben in der richtigen Höhe festzusetzen oder in ,einem Plan zu verarbeiten. Sie werden mir zugeben, daß es, wenn ich für das Jahr 1965 den Haushalt schon im Frühjahr des Vorjahres aufstelle, außerordentlich schwierig ist, schon im voraus die Entwicklung dieses Haushalts im kommenden Jahre — also fast ein Dreivierteljahr vorher — mit Sicherheit zu schätzen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen diese Schätzungen fast als Zauberei. Die Öffentlichkeit glaubt, daß hier ,ein Zauberwerk im Gange ist. Wenn wir nun im Jahre 1964, wie ich gesagt halbe, mit Steuermehreinnahmen von etwa 1/2 Milliarde DM rechnen, dann seihen Sie ,das bitte aber auch unter dem Gesichtspunkt eines Haushaltsvolumens von 60,3 Milliarden DM. ,Sie werden dann erkennen, daß so lange oder so sehr lange vorher der Unsicherheitskoeffizient wahrlich sehr klein gewesen ist. Die Schätzungen sind tatsächlich auch keine Zauberei und keine Geheimwissenschaft. Ich habe Ihnen schon bei anderer Gelegenheit gesagt, daß ich im vorigenJahr die elf .deutschen Länder erstmalig an den 1 Steuerschätzungen des Bundes beteiligt habe. Meine Damen und Herren! 'Das war ein Schnitt, den ich getan habe, weil das Vertrauensklima, das zwischen Bund und Ländern geschaffen werden soilllte und 'auch geschaffen wurde, ,es ,angezeigt erscheinen ließ, die Länder ,an den Schätzungen des Bundes zu beteiligen. Wenn ich dabei einen Vorteil gehabt habe, so ist ,es der gewesen, daß mir die Länder im Bundesrat nicht mehr ,entgegenhalten können, daß ich die Schätzungen in irgendeiner Form manipuliert 'hätte; denn die Länder haben sich ja selber an diesen Schätzungen 'beteiligt.
Auf der anderen Seite werden Sie mir folgendes zugeben: Wenn der Bund, die Länder und all die wirtschaftswissenschaftlichen Institute eine solche Schätzung erarbeiten, dann ist angesichts der verhältnismäßig großen Publizität, die durch den weiten Kreis der Beteiligten entsteht, jede Zauberei oder Manipulation ausgeschlossen.Ich komme jetzt 'zum Vorwurf der Verschleierung des Haushaltsvolumens. Herr Kollege Schoettle hat vor allem den Vorwurf erhoben, ,das Gesamtvolumen des Haushalts sei auf ziemlich gewaltsame Art und Weise der Steigerung ides Bruttosozialprodukts angepaßt worden. Man habe sich dazu ides Mittels der globalen Kürzungen, der Ausbringung von Leertiteln und der Erteilung von Bindungsermächtigungen bedient und sei dazu übergegangen, an Stelle von unmittelbaren Bundesleistungen Zinszuschüsse zu gewähren und den 'Schuldendienst 'zu übernehmen.
Ich möchte demgegenüber feststellen: alle hier angesprochenen Maßnahmen sind, wie die 'Haushaltsexperten des Hohen Hauses wissen, keineswegs neu. Es handelt sich durchweg um allgemein gebräuchliche und notwendige Maßnahmen, die in vollem Einklang mit den Vorschriften des Haushaltsrechts stehen. Ich will aber gar nicht verhehlen, Herr Kollege Schoettle, daß die notwendig gewordenen globalen Minderausgaben vom Finanzminister nur äußerst widerstrebend ausgebracht worden sind. Aber auch in diesem Falle ist nicht im entferntesten etwa an eine Verschleierung oder gar daran gedacht, das Bewilligungsrecht des Parlaments zu beeinträchtigen. Die Veranschlagung von Minderausgaben ergibt sich zwangsläufig daraus, daß die zur Verfügung stehenden Mittel wegen der Begrenzung des Bundeshaushalts nicht ausreichen, den bei der Aufstellung des Haushalts als begründet anzuerkennenden Bedarf voll zu decken. Wenn wir in diesem Jahr erstmals dazu übergegangen sind, durch Veranschlagung von Minderausgaben in zwölf Einzelplänen einen großen Teil der globalen Minderausgaben aufzulösen und in einzelne Haushaltspläne hineinzunehmen, so ist, glaube ich, mit 'diesem Verfahren immerhin ein kleiner Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand erreicht worden. Es kann nämlich keinesfalls bezweifelt werden, daß es im Interesse einer sachgemäßen Verteilung der Mittel liegt, während der Durchführung !des Haus-
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6956 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Dr. Dahlgrünhaltes die Kürzungen dort vorzunehmen, wo sie am ehesten aus der Sachlage heraus vertreten werden können.Leertitel sind nur dort ausgebracht, wo zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausgaben zu erwarten sind, die Höhe der Beträge bei ,der Verabschiedung des Entwurfs aber noch nicht zu Übersehen war. Das gilt auch für den Ausrichtungs- und Garantiefonds, für den ein Geldansatz im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens ausgebracht werden muß, wenn der Bedarf der Höhe nach noch vor der Verabschiedung dieses Haushaltes feststeht. Anderenfalls müßten die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für die Zahlung an diesen Ausrichtungs- und Garantiefonds durch einen eventuellen Nachtragshaushalt 1965 geschaffen werden. Meine Damen und Herren, wenn ich statt eines Leertitels „auf Verdacht" einen Ansatz hineingebracht hätte, bin ich sicher, daß mir irgend jemand in diesem Hohen Hause oder im Bundesrat gesagt hätte: „Aha, da will er sich für den Fall, daß doch nichts aus der Geschichte wird, irgendwie ein kleines Polsterchen anlegen, mit dem er dann später einmal etwas anderes machen kann." Meine Damen und Herren, so etwas mache ich nicht. Ich will Sie durch den Leertitel darauf aufmerksam machen: Ein Ansatz ist wegen mangelnder Etatsreife nicht möglich, hier könnte aber im Laufe des Jahres 1965 noch etwas kommen. Das hat nun wirklich nichts mit Verschleierung zu tun, sondern es ist das Gegenteil davon.Der Übergang zum Kassenhaushalt, also die Veranschlagung nur des echten Geldbedarfs für das jeweilige Rechnungsjahr, macht es zwangsläufig erforderlich, von der Möglichkeit der Haushaltsordnung, Bindungsermächtigungen zu erteilen, stärkeren Gebrauch zu machen. Das geht gar nicht anders.Der Vorwurf der Verschleierung ist unter anderem auch in der Bemerkung angeklungen, daß verschiedentlich Zins- und Tilgungsraten aus dem Haushalt gezahlt würden. Ein Vorwurf ist meines Erachtens gerade für diesen Haushalt nicht gerechtfertigt; denn trotz der Enge der Haushaltslage haben wir — ich möchte Sie einmal daran erinnern, Herr Kollege Schoettle; Sie haben es beim laufenden Haushalt 1964 kritisiert, mit Recht kritisiert; ich selber habe das, was Sie kritisierten, als unschöne Maßnahmen bezeichnet — die Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger in diesem Jahr abweichend von der Veranschlagungsform des Vorjahres in voller Höhe bar veranschlagt. Auch die Leistungen für die Nachkriegswirtschaftshilfe sind im Ausgaberahmen von 63,9 Miliarden DM voll untergebracht.Herr Kollege Schoettle, Sie haben Ihre Besorgnis über den wachsenden Umfang der Bestimmungen geäußert, die das Haushaltsgesetz zu einer Art Ermächtigungsgesetz machen. Gestatten Sie mir auch dazu ein paar Hinweise. Was sind denn der Haushaltsplan und das Haushaltsgesetz eigentlich anderes als ein großes Ermächtigungsgesetz an die Regierung? Haushaltsgesetz und Haushaltsplan enthalten doch nichts anderes als die Ermächtigung des Parlaments an die Regierung, die für die Durchführung der Aufgaben notwendigen Maßnahmen zu treffen und die entsprechenden Ausgaben zu leisten. Richtig ist nun, Herr Kollege Schoettle, daß einige Ermächtigungen teils für den Haushaltsausschuß, teils für den Finanzminister erst in den letzten Jahren entwickelt worden sind und daß sie deshalb als neu bezeichnet werden müssen. Ich glaube, ich habe schon verschiedentlich darauf hingewiesen, daß diese Ermächtigungen, soweit es sich dabei um Abweichungen von der Reichshaushaltsordnung handelt, Bestandteil eines neuen Haushaltswirtschaftsgesetzes werden sollten. Der heutige Rechtszustand stellt insoweit ein Provisorium dar, das möglichst bald beseitigt werden sollte.Besonders kritisch angesprochen wurde die Vollmacht an den Haushaltsausschuß, Umschichtungen innerhalb der großen Beschaffungsprogramme des Verteidigungshaushalts zuzulassen. Was sind denn nun, meine Damen und Herren, diese Umschichtungen — Sie sind doch nichts anderes als die Einräumung der Deckungsfähigkeit, allerdings für sehr große Beschaffungsprogramme, eine Maßnahme deren Rechtsgrundlage in § 31 der Reichshaushaltsordnung liegt. Die Durchführung der Beschaffungsprogramme hängt nicht nur von den Liefermöglichkeiten der Firmen ab. Sie wissen doch alle ganz genau, daß auch die Entscheidung staatlicher Stellen, z. B. bei Auslandsaufträgen, hinzukommen muß. Die Erfahrung der letzten Jahre hat nun gezeigt, daß langfristige Beschaffungsprogramme in der Höhe von Hunderten und aber Hunderten von Millionen DM in ihrem Ablauf sehr schwer zu übersehen sind. Es erscheint daher nur sinnvoll, die vom Haushaltsgesetzgeber bewilligten Mittel dort einzusetzen, wo sie benötigt werden, und nicht durch Bindung an bestimmte Titel zu verhindern, daß wichtige Beschaffungen, die früher erfolgen könnten, verzögert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, daß alle diese zugelassenen Umschichtungen — ich habe den Haushaltsausschuß offen und frei dabei eingeschaltet — im Rahmen der vom Parlament genehmigten Programme geblieben sind.
Das scheint mir doch das Wichtigste zu sein.
Das Parlament hatte alles in vollem Umfang b e-willigt.Schließlich hat der Kollege Schoettle noch bezweifelt, ob der Finanzminister — —
Bitte schön, Herr Kollege Schäfer!
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister Dahlgrün, wie kam es dann, daß Sie in Ihrer offiziellen Übersicht über die außerplanmäßigen und überplanmäßigen Ausgaben für das dritte Quartal 1963 rund 700 Millionen DM schon überplanmäßig für andere Programme ausgewiesen haben und erst Ende Oktober, also im vierten Quartal, dem Haushaltsausschuß die Unterlagen zugeleitet haben?
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Weil der Haushaltsausschuß in den Ferien war.
Also nicht mit Zustimmung!
Schließlich hat Herr Kollege Schoettle noch bezweifelt, ob der Finanzminister genaue Vorstellungen über die Größenordnung der rechtlich festliegenden und der beeinflußbaren Ausgaben habe. Herr Schoettle hat dazu bemerkt, daß ich in der Haushaltsrede die Bewegungsmasse für 1965 mit 10 % angegeben habe, während im Finanzbericht die rechtlich nicht gebundenen Ansätze mit etwa 15 % der Gesamtausgaben angegeben sind. Es wird dabei übersehen, daß es sich bei den Angaben im Finanzbericht um eine Durchschnittszahl für den ganzen Dreijahreszeitraum von 1965 bis 1967 handelt und daß der Satz von 15 % letztlich erst im Jahre 1967 erreicht wird.Meine Damen und Herren! Was nun die Forderungen nach längerfristigen Haushaltsüberlegungen angeht, so kann ich mit Genugtuung feststellen, daß insoweit die Sprecher der Regierungskoalition und der Opposition mit diesem Teil der Regierungspolitik, die von dem Herrn Bundeskanzler in der Regierungserklärung verkündet wurde, einig sind. Wenn in diesem Zusammenhang beanstandet wurde, daß zum erstenmal im Finanzbericht 1965 ein Überblick über die finanziellen Möglichkeiten und die Ausgabeverpflichtungen des Bundes in den Jahren 1965 bis 1967 aufgenommen ist, so habe ich das Empfinden, daß die Schwierigkeiten noch nicht ausreichend gewürdigt sind.
— Ich komme noch darauf. Herr Kollege Schoettle hat an zahlreichen Einzelbeispielen nachzuweisen versucht, daß der Ablauf der hinter uns liegenden Haushalte nicht den Vorstellungen entsprach, die das Parlament bei der Verabschiedung des jeweiligen Haushalts hatte. Diese Erscheinung ist aber unabänderlich. Das Leben steht nicht still, und bereits im Laufe eines Rechnungsjahres treten nicht vorhersehbare Tatbestände ein, die den Ablauf des Haushalts beeinflussen. In wieviel höherem Maße muß das der Fall sein, wenn der Bundeshaushalt in die Zukunft hinein auf mehrere Jahre geplant werden soll, wie es auch der Absicht der Bundesregierung entspricht! Je weiter sich die Planung zeitlich von der Gegenwart entfernt, desto größer werden selbstverständlich die Unsicherheitsmomente. Das ergibt sich deutlich aus den Zahlen, die erstmalig in dem Finanzbericht 1965 veröffentlicht worden sind. Aber die Bundesregierung wird sich, meine Damen und Herren, durch die Schwierigkeiten in ihren Bemühungen um eine längerfristige Haushaltsplanung nicht beirren lassen. Mit der Opposition und mit den Regierungsfraktionen bin ich der Meinung, daß wir das unter allen Umständen als einen Bestandteil aller modernen Finanz- und Steuerpolitik ansehen sollten, daß wir uns alle Mühe geben sollten, diese langfristige Haushaltsplanung zu erreichen. Denn sie ist ein Erfordernis der modernen Zeit. Dazu bedarf es allerdings — unddas müssen Sie bei der Beurteilung dieses Tatbestands sehen — einer völligen Umstellung. Denn fast ein Jahrhundert lang hat eine andere, alte Verwaltungspraxis geherrscht. Die heutige Haushaltspraxis hat sich aus der Haushaltspraxis des Deutschen Reichs entwickelt.Während es sich bei dem ersten Überblick — ich habe das auch nicht anders bezeichnet — über einen dreijährigen Zeitraum noch um Schätzungen handelte, wird künftig die Übersicht auf Grund von Planungen der Fachressorts erfolgen, die nach meiner Vorstellung von der Bundesregierung genauso verabschiedet werden sollen wie der heutige Jährlichkeitshaushalt. Ich hoffe, daß dem Entwurf des Haushalts 1966 erstmalig Übersichten beigefügt werden können, die mit den betroffenen Ressorts abgestimmt sind.Zur Haushaltsreform kann ich ebenfalls mit Genugtuung feststellen, daß nicht nur über die Notwendigkeit einer Reform in diesem Hohen Hause Einigkeit herrscht, sondern daß wir auch — wie sich aus den Ausführungen von Herrn Kollegen Schoettle ergibt — mit der Opposition in wichtigen Einzelheiten übereinstimmen. Das gilt insbesondere für die in Aussicht genommene Neugliederung des Haushalts in einen Verwaltungs- und in einen Investitionshaushalt sowie für die Frage des Verwaltungshaushalts für einen längeren Zeitraum.Sicher wird es notwendig sein, auch das Verhältnis zwischen Haushaltsgesetzgeber und Exekutive neu zu überdenken und die pragmatisch entwickelte Zwischenlösung, den Haushaltsausschuß bei Veränderungen von größerer politischer und finanzieller Bedeutung einzuschalten, fortzuentwickeln. Ich glaube hier unterstreichen zu können, daß es der Bundesregierung völlig fernliegt, das Budgetrecht als eine der vornehmsten Aufgaben im Bereich des Parlaments einzuengen. Auf der anderen Seite kann die Bundesregierung die Forderung nach einer konjunkturgerechten Durchführung des Bundeshaushalts und nach Sicherung des Haushaltsausgleichs nur erfüllen, wenn sie insoweit auch die notwendigen Vollmachten erhält.Wegen des zeitlichen Ablaufs der Haushaltsreform kann ich Ihnen leider im gegenwärtigen Augenblick keine Prognose stellen, weil die Bundesregierung entschlossen ist, die Haushaltsreform gemeinsam mit den Ländern durchzuführen, um die insoweit heute bestehende Rechtseinheitlichkeit und Rechtsgleichheit auch für die Zukunft zu erhalten. Ich habe mich, wie ich schon in meiner Haushaltsrede ausgeführt habe, mit meinen Kollegen in den Ländern darüber geeinigt mit dem Ergebnis, daß ein Ausschuß aus den Haushaltsabteilungsleitern beim Bund und bei den Ländern gebildet wurde. Dieser Ausschuß hat seine Arbeit, wie ich in der Etatrede dargelegt habe, bereits aufgenommen. Aufgabe des Ausschusses wird es auch sein, den Entwurf eines neuen Haushaltswirtschaftsgesetzes zu entwickeln. Nicht nur das, er soll vielmehr auch die Grundsätze einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik im Bund und in den Ländern laufend abstimmen. Ich kann mit Genugtuung feststellen, daß ich in all diesen Fragen
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6958 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Dr. Dahlgrünbei den Herren Kollegen in den Ländern auf vollstes Verständnis gestoßen bin.Nun gibt es gerade bei der konjunkturgerechten Haushaltspolitik — ich will das gar nicht verschweigen — einige Schwierigkeiten. Die Haushaltspolitik der Gemeinden ist nicht so einfach zu beeinflussen, da die Finanzminister der Länder keinen unmittelbaren Einfluß auf die Haushaltsgebarung der Gemeinden besitzen und die Gemeindeaufsicht in der Regel bei den Innenministern der Länder liegt. Auch mit dieser Frage befaßt sich, wie ich schon in der Etatrede zum Ausdruck gebracht habe, die Sachverständigenkommission für die Finanzreform.Herr Kollege Schoettle, noch ein Wort dazu: Nichts liegt uns, der Bundesregierung, den Regierungsfraktionen oder etwa den Ressorts, ferner, als die Gemeinden zu Prügelknaben der Konjunktur zu machen. Wir denken gar nicht daran.
Ich habe in meiner Haushaltsrede, soweit ich den Gemeinden Ratschläge gegeben habe, sich konjunkturgerecht zu verhalten, sich dem Vorgehen von Bund und Ländern in ihrer Haushaltsgebarung anzuschließen, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß gerade die Verantwortlichen in den Gemeinden die größten Schwierigkeiten zu überwinden haben, um das zu erreichen, und ich kann nur sagen, daß die Gemeinden in der Sachverständigenkommission für die Finanzreform sehr gut mitarbeiten.Noch eine Sonderfrage, Herr Kollege Schoettle: die Frage der Ernennung des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Rechnungshofs. Ich bin gern bereit, sie im Zuge der Arbeiten zur Haushaltsreform zu prüfen, möchte aber jetzt schon, um das festzuhalten, auf gewisse rechtliche Überlegungen hinweisen . Nach dem Gesetz über den Bundesrechnungshof und nach den geltenden Vorschriften der Haushaltsordnung ist der Bundesrechnungshof eine der Bundesregierung gegenüber selbständige, nur dem Gesetz unterworfene Bundesbehörde, die als Institution auch in Art. 114 des Grundgesetzes verankert ist mit der Maßgabe, daß ihre Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen. Der Präsident und der Vizepräsident sind aber Beamte, die unter Gegenzeichnung des Bundesministers der Finanzen vom Bundespräsidenten ernannt werden. Eine Beteiligung des Parlaments, wie sie etwa für die Richter der oberen Bundesgerichte durch die Beteiligung des Richterwahlausschusses nach Art. 96 des Grundgesetzes vorgesehen ist, würde, soweit ich das sehe, eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzen, da sie die Entscheidungsfreiheit des Herrn Bundespräsidenten und die Rechte der Exekutive einschränken würde. Diese und alle weiteren Rechts- und Sachfragen, die überdies, Herr Kollege Schoettle, zum Teil über mein Ressort hinausreichen, werden bei den Arbeiten zur Haushaltsreform sehr sorgfältig geprüft werden.
— Nun gut; ich habe mir das soeben über Mittageinmal heraussuchen lassen, um festzustellen, wiedie Rechtslage ist. Ohne eine Grundgesetzänderung kommen wir an die Sache sicher nicht heran.Nun haben Sie, Herr Kollege Schoettle, gefragt, wie die Durchführung der Notstandsgesetze finanziell gewährleistet werden soll. Ich zitiere hier aus einer Vorlage, die in diesen Tagen herausgegangen ist. Die Gesamtkosten des Notstandspakets, die nach Maßgabe der dem Hohen Hause zur Beratung vorliegenden Regierungsentwürfe voraussichtlich entstehen würden, sind von der Bundesregierung bereits im Bulletin vom 8. September 1964, Nr. 137, bekanntgegeben. Danach ergeben sich in den nächsten Rechnungsjahren unter der Voraussetzung, daß alle zehn einfachen Notstandsgesetze noch im Rechnungsjahr 1965 in Kraft treten, folgende Gesamtbelastungen des Bundeshaushalts: 1966 0,9 Milliarden DM, 1967 1,7 Milliarden DM, 1968 2,3 Milliarden DM, 1969 2,77 Milliarden DM und 1970 2,6 Milliarden DM. In den dann folgenden Rechnungsjahren wird mit einer gleichbleibenden Gesamtbelastung des Bundeshaushalts gerechnet.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Bitte.
Herr Minister, kennen Sie die Aufstellung des Innenministeriums, die Anfang dieser Woche veröffentlicht worden ist? Darin sind nur die Kosten für das Selbstschutz- und das Schutzbaugesetz enthalten. Halten Sie demgegenüber die Zahlen für 1965 und 19i66 noch aufrecht, die Sie jetzt verlesen haben?
Ich komme darauf.Diese voraussichtliche Dauerbelastung gliedert sich auf die einzelnen Notstandsgesetze wie folgt: Schutzbau 1,6, Selbstschutz 62, Zivildienst 11, Aufenthaltsregelung 45, Zivilschutzkorps/Zivilschutzdienstgesetz 500, Wirtschaftssicherstellungsgesetz 119, Ernährungssicherstellungsgesetz 24, Verkehrssicherstellungsgesetz 63 und Wassersicherstellungsgesetz 172 Millionen DM.Außer diesen zu Lasten des Bundes gehenden Kosten, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, werden voraussichtlich auch noch auf andere öffentliche Haushalte, die der Länder und Gemeinden, jährliche Dauerbelastungen von etwa 213 Millionen DM zukommen, und auf die vom Staatsbürger unmittelbar, also nicht über die Steuern aufzubringenden Kosten entfallen rund gerechnet 2 Milliarden DM, die im wesentlichen auf dem Schutzbaugesetz, dem Selbstschutzgesetz und dein Wassersicherstellungsgesetz beruhen. Damit liegen die Zahlen, die von der Opposition gefordert werden, meiner Ansicht nach auf dem Tisch.In den jetzt vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts 1965, Herr Schmitt-Vockenhausen, konnten noch keine Angaben über die Ausgaben für die Not-
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Bundesminister Dr. Dahlgrünstandsgesetze aufgenommen werden, da ich Ihnen nurimmer wieder sagen kann: die notwendige Voraussetzung der Etatreife ist nicht erfüllt. Es bleibt abzuwarten, welche Kosten sich endgültig ergeben, nachdem die Beratungen durch das Hohe Haus abgeschlossen sind.Ich darf Sie einmal daran erinnern, meine Damen und Herren, daß der Bundesrat in meinem ersten Haushalt 1963, obwohl die betreffenden Gesetze in den Ausschüssen schon sehr weit vorangetrieben waren, mir sämtliche Ansätze für noch nicht verkündete Gesetze gestrichen hatte. Ich möchte mich einer solchen Maßnahme nicht noch einmal aussetzen. Die Bundesregierung wird bemüht sein, auch die finanzielle Durchführung der Notstandsgesetze in dem Umfang zu sichern, der sich letztlich aus den in Kraft getretenen Regelungen ergibt. Allerdings wird auch auf dem Gebiet der Zivilen Verteidigung eine Finanzierung zusätzlicher Aufgaben über den derzeitigen Gesamtansatz von rund 625 Millionen DM im Jahre hinaus nur unter größten Schwierigkeiten möglich sein, z. B. wenn Maßnahmen auf anderen Gebieten abgebaut oder sogar zurückgestellt werden können. — Bitte, Herr Schmitt-Vockenhausen!
Eine zweite Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Herr Minister, Sie haben eben gesagt, daß die Länder und Gemeinden mit etwa 2 Milliarden DM belastet werden. Ist Ihnen bekannt, daß allein das Schutzbaugesetz für die Zivilbevölkerung eine Belastung von weit über 3 Milliarden DM jährlich bringen wird, die Sie auch in diese Ubersicht noch aufnehmen müssen?
Herr Schmitt-Vockenhausen, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich habe schon in der Fragestunde — oder war es während der Etatrede?, ich kann es im Moment nicht mehr sagen — auf Ihre Fragen immer wieder geantwortet. Hier handelt es sich um die Zahlen aus der Drucksache IV/2607, die inzwischen herausgegangen ist. Ich kann mich nur auf diese Zahlen beziehen. Ich kann Ihnen Endgültiges erst sagen, Herr Schmitt-Vockenhausen — und es ist wirklich nichts anderes möglich —, wenn ich weiß, wie die Gesetze aussehen, was gemacht werden soll. Dann wird es sich darum handeln, das so einzuplanen, daß es finanziell getragen werden kann.
Herr Minister, unter selbstverständlicher Anerkennung dessen, daß Sie erst etwas sagen können, wenn die Gesetze verabschiedet sind, frage ich aber jetzt, ob wir bezüglich der Regierungsvorlage bei der Behandlung der Gesetze von diesen Zahlen offiziell ausgehen können, die Sie jetzt hier genannt haben.
Die Zahlen in der Drucksache IV/2607 sind mit mir abgestimmt.
Herr Minister, gestatten Sie eine dritte Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Bitte schön!
Sind Sie dann bereit, Herr Minister, eine ebenso genaue Ergänzung für die übrigen acht Gesetze umgehend dem Bundestag zuzuleiten, damit amtliche Zahlen für den Gesamtkomplex in diesem Sinne vorliegen? Wir haben ja bisher nur für Selbstschutz und Schutzbau die überarbeiteten Zahlen.
Ja bisher! Die anderen sind in Arbeit.
— Das kann ich Ihnen heute aus dem Handgelenk nicht sagen. Ich nehme an, daß es gehen wird, wobei es sich bei den anderen Gesetzen ja teilweise um Gebiete handelt, bei denen es außerordentlich schwierig ist, etwas über die Kosten zu sagen. Denken Sie an das Wassersicherstellungsgesetz; da ist die Schätzung von Kosten natürlich sehr viel schwieriger als bei manchem anderen Gesetz.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Bitte sehr!
Herr Minister, könnten Sie bei den nun folgenden Kostenaufstellungen auch schon die Unterteilung machen, was auf die Gemeinden, was auf die Länder und was auf den Bund zukommt, damit man schon von da her gesehen die Dinge beobachten und beurteilen kann?
Ich kann Ihnen auch hier aus dem Handgelenk nicht sagen, wie weit das ist. Aber ich hätte gar keine Bedenken, denn wenn wir das machen, müssen wir uns alle, meine Damen und Herren, völlig darüber klar sein, was es kostet, und dann müssen wir entscheiden, in welcher Zeitfolge wir es machen können.
Meine Damen und Herren! Die krisenhafte Zuspitzung der Finanzlage der Bundespost und der Bundesbahn — ich möchte zu diesen beiden Komplexen, weil sie angesprochen worden sind, von dieser Stelle aus einmal als Bundesminister der Finanzen etwas sagen — kam erst nach der Verabschiedung des Entwurfs des Bundeshaushalts durch die Bundesregierung in ihrem ganzen Ausmaß heraus. Bei beiden Betriebsverwaltungen geht diese Entwicklung auf die Tatsache zurück, daß aus unter-
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6960 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Dr. Dahlgrünschiedlichen Gründen die Einnahmen mit der Ausgabenentwicklung nicht Schritt gehalten haben und es insbesondere nicht möglich ist, die erheblichen Auswirkungen der Lohn- und Gehaltserhöhungen aus den vorhandenen Einnahmequellen zu decken.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung, der Bundesminister der Finanzen, hat im Falle der Bundespost — das ist offenbar nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen gestern abend und heute morgen völlig untergegangen — schon sehr viel getan, um die Gebührenerhöhung in Grenzen zu halten und in irgendeiner Weise das vorzubereiten, was unter allen Umständen erforderlich ist: eine gründliche Überholung von Bundesbahn und Bundespost mit dem Ziel einer wirklichen Sanierung. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren, zahlenmäßig unanfechtbar klarlegen -- und dem Postverwaltungsrat ist das auch klargelegt worden —: ein Verzicht des Bundeshaushalts auf die Postabgabe wäre lediglich ein Hinausschieben des Zeitpunktes. Eine Sanierung der Bundespost können Sie über diesen Betrag niemals auf Dauer erreichen. Da muß etwas Grundsätzlicheres und Tiefergreifendes geschehen. Dazu ist die Postkommission da, die, wie ich gehört habe, Anfang des nächsten Jahres erste Ergebnisse und möglicherweise im frühen Frühjahr des nächsten Jahres ihren endgültigen Bericht liefern wird. Wegen der Liquiditätsenge, und um die Erhöhung der Gebühren in Grenzen zu halten, hat der Bundeshaushalt die Postabgabe in den Jahren 1964 und 1965 bei dem Betrag von 520 Millionen DM einfrieren wollen. Das kann — auch das wird immer nicht gesehen — seitens der Bundesregierung nur ein Vorschlag an Sie sein, den ich Ihnen im Nachtragshaushalt 1964 in Kürze machen werde. Verfügen kann ich das selber nicht.Ich habe mich weiterhin bereit erklärt, in den Jahren 1965 und 1966 je 300 Millionen DM durch Übernahme von Zins- und Tilgungsdienst auf den Bund der Post als Kapitalaufstockung zuzuwenden.Im übrigen habe ich mit der Post wegen der Verzinsung der Ausgleichsforderungen Maßnahmen eingeleitet, die der Entlastung der Post dienen werden. Meine Damen und Herren, dabei müssen Sie sich wie allgemein — ich mag es schon gar nicht mehr sagen — darüber klar sein: Jede Mark, die der Staat ausgibt, muß der Finanzminister vorher aus Ihrer aller Taschen herausholen. Bei dem Verzicht auf Teile der Postabgabe, bei der Frage der Ausgleichsforderungen, bei der Verzinsung und dem Tilgungsdienst der Post für eine Kapitalaufstockung ist auch dieser uralte Grundsatz im Auge zu behalten. Es ist völlig gleichgültig, ob der Steuerzahler direkt oder andersherum die Sache bezahlt; der Bundeshaushalt enthält das Geld der Staatsbürger. Das geht offenbar völlig unter.Als der Herr Bundeskanzler gestern abend wegen der Gebührenerhöhung eine Weisung gegeben hatte, habe ich nicht widersprochen, weil ich Ihnen im Nachtragshaushalt 1964 auf Grund der Entwicklung im Rechnungsjahr 1964 für einen Monat — die Kosten, um die es dabei geht, schätzen wir auf rund 20 Millionen DM — im Gegensatz zum Frühjahr / Sommer jetzt einen Deckungsvorschlag vorlegen kann, über den Sie entscheiden müssen. Für das Jahr 1965 kann ich noch nichts sagen.Meine Damen und Herren, wir alle haben die Postkommission eingesetzt. Ich habe von dieser Stelle aus schon zweimal an die Postkommission den Appell und die Bitte gerichtet, schnell zu arbeiten, damit wir weiterkommen.Es scheint mir wirklich vonnöten zu sein, daß die Postkommission gründliche Sanierungspläne vorlegt. Wie sie aussehen werden, wissen Sie nicht und weiß ich nicht. Im weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen wird es wahrscheinlich noch gar nicht möglich sein, Näheres zu erfahren. Ich hoffe, daß das Parlament, wenn die ersten Ergebnisse für Januar und der endgültige Bericht erst im frühen Frühjahr erwartet wird, den Haushalt 1965 bereits verabschiedet hat. Dann werde ich die Regelung auf dem ehrlichen, sauberen Wege, den Herr Kollege Schoettle gewiesen hat, durch ein besonderes Gesetz, das zur Änderung des Postverwaltungsgesetzes sowieso nötig sein wird, oder im Nachtragshaushalt vorschlagen, damit Sie Ihr Budgetrecht ausüben können.Zur Frage der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschiffahrt hat Herr Kollege Schoettle Sorgen zum Ausdruck gebracht, die von mir in vollem Umfang geteilt werden. Die Arbeiten, Herr Kollege Schoettle, konnten noch nicht zum Abschluß gebracht werden, weil sich bei den Verhandlungen mit den zuständigen Stellen außerordentlich schwierige Fragen ergeben haben. Ich kann auch über den Gang der Verhandlungen verständlicherweise nicht allzuviel sagen. Die Verhandlungen laufen in einem guten Klima. Die Ansätze im Entwurf für 1965 reichen dazu aus, die zur Zeit geltenden Hilfsmaßnahmen durchzuführen. Soweit sich aus zusätzlichen Maßnahmen Mehranforderungen ergeben sollten, müßten sie in einem Nachtrag ausgebracht werden.Zusammenfassend möchte ich wiederholen, was ich in der Haushaltsrede bereits gesagt habe: Eine antizyklische Haushaltspolitik bedeutet in Zeiten der Hochkonjunktur eine Begrenzung der Ausgabenseite nach konjunkturgerechten Gesichtspunkten. Deshalb ist es nicht möglich, in Zeiten der Hochkonjunktur alle Wünsche auf Sozialinvestitionen zu erfüllen; das geht nicht, das beißt sich miteinander.Der Ihnen vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts hat sich deshalb ganz bewußt auf wenige Schwerpunkte, nämlich auf den Straßenbau und die Wissenschaftsförderung, beschränken und sich im übrigen mit der zügigen Fortführung bereits angelaufener Programme begnügen müssen. Wie schwer es gewesen ist, meine Damen und 'Herren, diese Linie einzuhalten, zeigen am besten die von verschiedenen, ich möchte sagen: von allen Sprechern der Regierungskoalition und ,der Opposition 'beanstandeten Ansätze für Minderausgaben, die doch nichts anderes bedeuten, als daß die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden an sich für notwendig und berechtigt angesehen hat, eine Deckung aber im Rahmen der Haushaltssumme von 63,9 Milliarden
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Bundesminister Dr. Dahlgrünnicht finden konnte. Eine Erfüllung weiterer Wünsche — und das ist das, was der Finanzminister Ihnen immer wieder sagt — würde ein Verlassen der konjunkturpolitischen Linie bedeuten. Dieser konjunkturpolitischen Linie haben, wie ich zu meiner Genugtuung feststellen kann, alle drei Sprecher der drei Fraktionen dieses Hohen Hauses grundsätzlich ihre Zustimmung gegeben.
Das Wort hat der Herr Bundesschatzminister.Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schoettle hat heute morgen den ERP-Wirtschaftsplan angesprochen. Der Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1965 liegt dem Hohen Hause lin der Drucksache IV/2622 vor. Ich darf hier sagen: Der ERP-Wirtschaftsplan beruht auf dem ERP-Sondervermögen, und hier ist für die Gestaltung maßgebend der § 2 des ERP-Verwaltungsgesetzes vom 31. August 1953, in dem es heißt: „Das Sondervermögen dient ausschließlich diem Wiederaufbau und der Förderung der deutschen Wirtschaft." Dieses Zitat zeigt, daß sich hier .ein gewisser Wandel vollzogen hat, der auch 'im Wirtschaftsplan seinen Niederschlag finden muß.Ursprünglich waren die ERP-Wirtschaftspläne auf Finanzierungshilfen abgestellt, also im wesentlichen für den Wiederaufbaugezielt, während wir heute in erster Linie die Förderung der deutschen Wirtschaft betreiben und hier insbesondere Struktur- und Anpassungshilfen leisten. Diese Wandlung unserer Wirtschaft hat dazu geführt, daß die breite Basis der Maßnahmen abgebaut werden mußte und wir in zunehmendem Maße Schwerpunkte, Konzentrationspunkte geschaffen haben.Der vorliegende Wirtschaftsplan hat im wesentlichen fünf derartige Schwerpunkte. Ich darf sie im einzelnen darstellen: für Westdeutschland die Maßnahmen für die mittelständische gewerbliche Wirtschaft, die untergegliedert sind in die Fördergebiete, kleinbäuerliche und schwachstrukturierte Gebiete, dann Maßnahmen für Existenzgründung in neuen Wohnsiedlungen, Maßnahmen für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte, Partikulierschiffahrt, Förderung der Produktivität und der Kreditgarantiegemeinschaften.Dafür sind in dem Plan 204 Millionen gegenüber 187 Millionen im vergangenen Jahr vorgesehen.Der zweite Schwerpunkt sind Struktur- und Anpassungshilfen, hier Umstellungen und Anpassungen der gewerblichen Wirtschaft, Maßnahmen im Bereich der Energiewirtschaft, Maßnahmen in der Verkehrswirtschaft, hier für die Seehafenbetriebe, dann Finanzierung ausländischer Auftrage an Schiffswerften, Modernisierung der Handelsflotte und gewerbliche Wirtschaft im Saarland. Der Gesamtbetrag beläuft sich auf 168,4 Millionen DM gegenüber 118,4 Millionen im vergangenen Jahr.Ich darf hier ergänzend sagen, daß sich auch der Bundesrat in der vergangenen Woche bei der Beratung des ERP-Wirtschaftsplans besonders mit dem Problem der Werften beschäftigt hat, die in einem ausgesprochen schwierigen Wettbewerb stehen und hier schwer zu kämpfen haben. Der Bundesrat 'hat aber auch die Frage der Förderung der Wirtschaft an der Saar 'behandelt, und es wurde im Bundesrat eine Entschließung verabschiedet, die darauf hinausgeht, daß diese Förderung nicht auf das Saarland beschränkt bleiben, sondern auch für andere Problemgebiete Platz greifen sollte.Ich brauche in dem Zusammenhang nur noch zu erwähnen, daß wir auch an die Zonenrandgebiete hier entsprechend denken müssen.Der dritte Schwerpunkt ist die Reinhaltung von Wasser und Luft, ein Punkt, der ausgeweitet werden konnte und ausgeweitet werden mußte. Ferner haben wir noch eine Reihe von sonstigen Förderungsmaßnahmen. Der Ansatz hat sich hierbei von 2,66 auf 13,7 Millionen DM erhöht.Neben diesem großen Block — Förderung der westdeutschen Wirtschaft — steht die Förderung der Wirtschaft in Berlin. Da gibt es Maßnahmen für Investitionen und Eigenkapitalfinanzierung, ein Wiederaufbauprogramm und Baumaßnahmen in Berlin, Auftragsfinanzierung für die Berliner Wirtschaft sowie Forschungs- und sonstige Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 383 Milionen DM gegen- über 471 Millionen DM im vergangenen Jahr. Der Unterschied hängt damit zusammen, daß wir im letzten Jahr 50 Millionen DM, die frei waren, nachgeschossen haben. Aus diesem Grunde haben wir in diesem Jahr einen 'etwas niedrigeren Betrag.Der vierte Schwerpunkt liegt bei der Entwicklungshilfe. Hier handelt es sich um Finanzierungshilfen zugunsten von Entwicklungsländern, Finanzierungshilfen für Lieferungen an Entwicklungsländer und Finanzierungshilfen an deutsche Unternehmer für Investitionen in Entwicklungsländern. Das Volumen beträgt 229 Millionen DM, gegenüber 200 Millionen DM im vergangenen Jahr.Ich darf nun einige Bemerkungen zum ERP-Haushaltsplan und zum Bundeshaushalt machen. Früher war es ohne Zweifel einmal so, daß ERP-Wirtschaftsplan und Bundeshaushaltsplan zusammenliefen und Maßnahmen aus beiden Haushalten bedient wurden, Das wurde abgebaut, und wir können heute feststellen, daß der ERP-Plan im wesentlichen ergänzende Maßnahmen im Rahmen dieser Schwerpunkte fördert. Der interministerielle Ausschuß für ERP und das Parlament beschäftigen sich ja immer wieder mit dem Haushaltsplan. Herr Kollege Schoettle hat darauf hingewiesen, daß das Vermögen von ERP erhalten werden muß. Diese Betrachtung steht in Übereinstimmung mit § 5 des ERP-Verwaltungsgesetzes. Dort ist festgelegt — ich darf zitieren —:Das Sondervermögen soll in seinem Bestand erhalten bleiben. Es ist nach wirtschaftlichen Grundsätzen zu verwalten.Dieser Tatsache wird Rechnung getragen. Wir können, um das Vermögen zu erhalten, auch keine Zu-
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Bundesminister Dr. Dollingerschösse geben, sondern müssen uns im wesentlichen auf Darlehen beschränken. Der Umfang unserer Möglichkeiten in bezug auf den ERP-Wirtschaftsplan hängt entscheidend davon ab, wie hoch die Tilgungsraten und die Zinserträgnisse in den einzelnen Jahren sind. Aus diesem Grunde ist es auch nicht möglich, die Zinssätze weiter nach unten zu drücken, weil dies wieder am Volumen für die einzelnen Jahre zehren würde.Das ERP-Vermögen hat heute einen Bestand von 8,1 Milliarden DM gegenüber 6,1 Milliarden DM im Jahre 1954. Es gibt keinen Zweifel, daß wir auch in Zukunft den ERP-Plan entsprechend den wirtschaftlichen Notwendigkeiten gestalten müssen. Das bedeutet, daß wir bei Schwerpunkten und bei Konzentrationen bleiben müssen, wobei eine gewisse Elastizität entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten erforderlich ist.Ich darf hier feststellen, daß seit 1949 in Westdeutschland aus ERP-Mitteln insgesamt 12,8 Milliarden DM Kredite gegeben worden sind. Nach Berlin wurden 5,6 Milliarden DM und für die Entwicklungshilfe 1,4 Milliarden DM gegeben. Ich glaube, daß die Marshallplan-Gelder bei uns in Deutschland sehr gut angewandt wurden und daß die Wirkung gut war, was vor kurzem auch amerikanische Besucher, die sich mit dieser Frage beschäftigten, mit besonderem Nachdruck betont haben.
— Wir wollen es nicht vergessen. Ich habe im vorigen Jahr bei dem Besuch von Präsident Kennedy eine Urkunde übergeben und gleichzeitig Amerikaner eingeladen. Diese Besucher haben sich davon überzeugt, was wir aus diesen Geldern machen konnten. Wir wollen uns auch weiterhin bemühen, entsprechend den Gedanken von Marshall und entsprechend dem, was bisher geschehen ist, den ERP-Wirtschaftsplan so zu gestalten, daß wir mit diesen Geldern die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft, insbesondere in jenen Branchen und Räumen, die strukturell in Bedrängnis sind, verbessern können.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion hat heute morgen Darlegungen über die Fragen des Verteidigungshaushalts gemacht und dabei zum Ausdruck gebracht, es sei bedauerlich, daß das Bundesministerium der Verteidigung die Gedanken, die seitens der sozialdemokratischen Opposition bereits bei den Haushaltsberatungen des Jahres 1964 vorgebracht worden seien, noch nicht berücksichtigt habe, Gedanken einer langfristigen Planung, die dazu führen könnten, das gleiche zu erreichen wie etwa die Vereinigten Staaten, nämlich auf dem Sektor der Verteidigung Wesentliches zu sparen. Ich habe, Herr Abgeordneter Schoettle, damals, als von Ihrem Kollegen Herrn Dr. Möller diese Dinge dargelegt wurden, geantwortet, und ich kann mich fast darauf beschränken, das gleiche zu antworten wie auf die gleiche Rede, die damals im Januar 1964 von Ihrem Kollegen gehalten worden ist.
Da aber vielleicht der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen kann, daß das Bundesministerium der Verteidigung nichts zugelernt habe und nicht weitergekommen sei mit diesen Gedanken, die die Grundlage für eine große . Einsparung geben würden, möchte ich doch noch einmal vom Prinzipiellen her einiges zu diesem Komplex sagen.Zunächst ist von Ihnen der Vorwurf erhoben worden, das Bundesministerium der Verteidigung habe seit langem Kenntnis von den Gedanken, die Herr Dr. Möller 1964 vorgetragen habe, aber offenbar sei kein aufrichtiger Wille in diesem Ministerium vorhanden, die Gedanken zu realisieren. Ich darf dazu ins Gedächtnis rufen, daß wir schon im Juli des vergangenen Jahres 1963 den Mann, der für das amerikanische Verteidigungsministerium diese Gedanken konzipiert hat und der dort für den Haushalt und die Planung verantwortlich ist, den Amerikaner Herrn Hitch, zu einem Vortrag einige Tage nach Deutschland gebeten haben, nachdem wir zuvor den Haushaltsdirektor des Verteidigungsministeriums nach Amerika entsandt hatten. Damals im Juli vorigen Jahres — —
— Sie haben das alles damals schon gehört. Aber ich habe den Eindruck, daß hier erneut eine Behauptung aufgestellt wurde, es lasse sich Geld sparen, wenn man jenen Gedankengängen folge.
— Jawohl, ich bin dabei, das darzulegen, Herr Dr. Schäfer.Zunächst folgendes. Man kann das System der Amerikaner sicher nicht voll auf unser deutsches Verteidigungssystem übernehmen. Einmal ist die Bundeswehr voll in die NATO integriert, und zum anderen haben die Vereinigten Staaten große Aufgaben, die wir nicht haben, beispielsweise das ganze Gebiet der Vergeltungsstreitkräfte. Die Amerikaner haben große eigene, nationale Aufgaben zu erfüllen in anderen Bereichen, die mit unseren nicht vergleichbar sind und nicht auf uns übertragen werden können.Ich habe schon vorher, bevor darüber Gedanken geäußert wurden, eine zentrale Planung eingerichtet, indem ich alle beteiligten Dienststellen des Ministeriums zu einer Arbeitsgruppe zusammengefaßt habe, der ich damals allerdings nicht die Stellen im Haushalt geben konnte, weil das eine Personalfrage war, die in der Überlegung war. Wir haben aber dann auf Grund des Vortrages von Herrn Hitch und auf Grund unserer Untersuchungen in Amerika im Ministerium eine solche neue Unterabteilung eingerichtet. Wir haben zum erstenmal in Deutschland eine Einrichtung geschaffen, mit der
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Bundesminister von Hasselman, dem amerikanischen Begriff „operational research" folgend, gleiche Untersuchungen bei uns anstellen kann. Ich habe damals, Herr Abgeordneter Schoettle, nachdem die Gedanken in meinem Hause ausgereift waren, Sie persönlich aufgesucht, um Sie als Vorsitzenden des Haushaltsausschusses zu bitten, den Gedanken, die ich Ihnen dargelegt habe, nachher im Haushaltsausschuß Ihre Hilfe nicht zu versagen.Die Notwendigkeit dieser zentralen Planung haben wir dann bei den von mir eben schon zitierten Haushaltsberatungen 1964 hier im Plenum des Parlaments, im Haushaltsausschuß und im Verteidigungsausschuß im einzelnen vorgetragen. Sie wissen aber, wie schwierig es ist — und niemand, glaube ich, wird diese Schwierigkeit verkennen —, die notwendigen Stellen und dafür dann auch das qualifizierte Personal zu gewinnen. Wir haben uns seinerzeit bemüht, eine gewisse Zahl von Stellen zu gewinnen. Wir haben etwa die Hälfte bekommen. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Haushaltsausschuß den Forderungen von dieser Seite in Zukunft noch bereitwilliger nachgäbe.Auf der anderen Seite muß man wissen, daß der Aufbau einer solchen langfristigen Planung und einer operational research auch bei den Amerikanern nicht von heute auf morgen entwickelt worden ist und daß sie dafür etwa zehn Jahre benötigt haben, eine Zeit, die man einfach als Vorlauf bis zum wirklichen Funktionieren einer solchen Einrichtung haben muß. Meine Bitte geht dahin, bei der Kritik zu bedenken, daß es sich hier um eine völlig neuartige Aufgabe handelt, die zum erstenmal bei uns in Deutschland behandelt wird, nachdem wir im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Umgliederung des Ministeriums eine solche langfristige Planung aufgebaut haben.Es ist von uns bereits :dargelegt worden, daß die Amerikaner nicht nur eine solche Arbeitsgruppe im Ministerium haben, sondern daß sie darüber hinaus in großem Umfang wissenschaftliche Hilfskräfte zur Verfügung haben. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß man dort neben dem Ministerium in einer Reihe von Instituten — es sind deren sechs — etwa 2600 wissenschaftliche Mitarbeiter hat, während wir nur eine kleine Arbeitsgruppe aufbauen können; das hat seinen Grund vor allem darin, daß es bei uns eine solche wissenschaftliche Disziplin bis heute nicht gibt. Ich bitte also, für die Schwierigkeiten Verständnis zu haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß Sie, wenn Ihr Antrag auf Planstellen, den Sie soeben umschrieben haben, genehmigt wird, zunächst einmal innerhalb Ihres Hauses die notwendige Arbeit leisten können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf erwähnen, daß wir etwa das 'Doppelte an Stellen beantragt haben, als nachher vom Ausschuß genehmigt worden ist. Es gibt, glaube ich, in diesem
Kreise niemanden, der ein größeres Verständnis für die schwierige Lage des Finanzministers aufbringt als ich, der ich acht Jahre lang als Regierungschef eines Landes die Situation kennengelernt habe, in der sich ein Finanzminister befindet. Ich weiß also, wie schwierig es auch für ihn ist, meinen Wünschen nachzukommen. Ich bin überzeugt, daß wir unser Vorhaben in absehbarer Zeit, auch, was die Zahl der Stellen angeht, realisieren können und mithin in der Lage sein werden, nach einer Vorlaufzeit von eineinhalb bis zwei Jahren eine Arbeit zu leisten, die — in ,den Maßstäben der deutschen Verteidigung — einen großen Fortschritt bedeuten wird. Aber ein Vorlauf von eineinhalb bis zwei Jahren ist notwendig. Anders werden wir es nicht schaffen. Wir müssen auch neues Personal nach Amerika schicken, damit es sich dort mit dem Aufgabenbereich vertraut macht.
Darf ich noch eine Frage stellen. Herr Minister, nachdem offensichtlich in der Zielsetzung Einvernehmen besteht, möchte ich Sie fragen, ob Sie auch im zweiten Teil bereit sind, entsprechende Vorarbeiten zu leisten, nämlich selbständige wissenschaftliche Einrichtungen zu schaffen
— die operation research, die Sie soeben erwähnt haben —, die in der Lage sind, ihrerseits hier mitzuarbeiten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Ihnen dargelegt, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer, daß wir dabei sind, die erste kleine wissenschaftliche Mitarbeitergruppe zu schaffen.
— Sie steht außerhalb und leistet Zuarbeit. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß das nur ein paar Dutzend Kräfte sein werden. Dagegen haben die Amerikaner 2600 Mitarbeiter in einer Organisation von langer Hand her auf diese Aufgabe vorbereitet. Wir können nicht von heute auf morgen einen ähnlichen, vergleichbaren Apparat bei uns aufstellen.
— Ich habe Ihnen dargelegt, daß unter meiner Verantwortung die Entscheidung getroffen worden ist, einen ähnlichen Apparat bei uns aufzubauen.Von dem Herrn Abgeordneten Dr. Emde ist dann zweitens gesagt worden, er habe zugestimmt, obwohl die Stellen zweifelsohne aus dem großen Bestand des Ministeriums hätten entnommen werden können. Ich möchte demgegenüber zum Ausdruck bringen, Herr Abgeordneter Dr. Emde, daß es bei uns ungemein schwierig ist, aus unserem verfügbaren Personalbestand qualifizierte Kräfte herauszunehmen, um sie für neue Aufgaben einzusetzen, die laufend auf uns zukommen. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß wir bespielsweise bei uns in Deutschland in der Gruppe der Generale oder der vergleichbaren Zivilkräfte 187 Personen haben, während die Vereinigten Staaten fast genau auf das Zehnfache kommen. Selbst England hat bei einem
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Bundesminister von Hasselnicht sehr viel größeren Verteidigungsraum etwa 680 B-Stellen, Ich sage das nicht etwa, weil ich die Gelegenheit wahrnehmen möchte, neue Stellen zu verlangen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß es eine Legende wäre, wenn gesagt wird, daß der Verteidigungsminister mit seinen 425 000 Soldaten genügend Spielraum habe, um neue Funktionen zu erfüllen.Meine Damen und Herren! Die Verteidigung ist — rein von dem verfügbaren Personal her betrachtet — in den qualifizierten Stellen derart eingeengt, daß eine neue Aufgabe nicht übernommen werden kann, wenn nicht gleichzeitig die Bereitschaft seitens des Hohen Hauses besteht, dem Verteidigungsminister dazu die notwendigen personellen Grundlagen zu geben. Ich werde den Mitgliedern des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses einmal eine Übersicht zugehen lassen, aus der hervorgeht, in welchem Ausmaß wir im Vergleich mit entsprechenden Verteidigungskräften anderer NATO-Partner eingeengt sind.Es ist dann von Ihnen, Herr Abgeordneter Dr. Emde, gesagt worden, Sie erwarteten, daß dieses Instrument einer langfristigen Planung mit modernsten elektronischen Programmierungsmöglichkeiten ausgestattet wird. Herr Dr. Emde! Elektronische Programmierungsvorgänge für die Verteidigung sind für uns in Deutschland etwas Neues, etwas was noch nicht vorhanden ist. Das Neue erfreut sich zwar gerade bei der jüngeren Generation einer großen Zuneigung, wir haben hier eine große Zahl voninteressierten Nachwuchskräften, aber für diese völlig neuartigen wissenschaftlichen Vorgänge eröffnen sich der jüngeren Generation, die sich hierfür zur Verfügung stellt, in der Wirtschaft große Möglichkeiten. Es ist daher kaum möglich, für die wissenschaftliche Planungsforschung Personal in den öffentlichen Dienst der Verteidigung einzubauen, weil wir nach den Besoldungsprinzipien des öffentlichen Dienstes die erforderlichen qualifizierten Kräfte kaum bekommen werden.Der zweite Komplex, der angesprochen worden ist, war die Kritik an den Umschichtungen. Der Abgeordnete Schoettle hat gesagt, da man nicht langfristig geplant habe, habe man zu Umschichtungen kommen müssen, und das Maß der Umschichtungen zeige gleichermaßen, wie man unzureichend und nicht auf lange Frist geplant habe. Meine Damen und Herren! Ich habe oftmals in den Protokollen aus der vergangenen Zeit nachlesen können, wie diese Frage der Umschichtung Gegenstand von Beratungen des Parlaments und seiner Ausschüsse gewesen ist. Woran liegt das? Zunächst einmal müssen wir den Haushalt lange Zeit zuvor aufbauen. Der Entwurf eines Haushalts muß praktisch bereits ein bis zwei Jahre vorher entstehen, weil vor allen Dingen die ganzen Bauvorgänge gemäß der Reichshaushaltsordnung rechtzeitig geplant und eingebaut werden müssen. In einem so langen Vorlauf wird es selbstverständlich geschehen, daß unterwegs manches Neuartige zu einer Änderung zwingt. Es kommen konjunkturelle Einwirkungen und Einflüsse auf die Haushaltswirtschaft nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch im Ausland, mit dem wir in dieser Beziehung eine starke Verbindung haben. Es kommen Widerstände aus der Industrie, Widerstände gegen unser Vertragsverfahren. Infolge der Vorkommnisse, die wir bei der Industrie gehabt haben, gehen wir bei dem Abschluß der Verträge außerordentlich sorgfältig vor, um zu verhindern, daß die Bundesregierung, die Bundeswehr bei Lieferungen von Rüstungsmaterial irgendwie übervorteilt werden können. Diese Tatsache führt zusammen mit verlängerten Lieferfristen, mit Lieferverzögerungen, mit Änderungen allen möglichen Inhalts, die von uns auch noch eingespeist werden müssen, dazu, daß man die langfristigen Programme nicht so durchführen kann, wie sie programmiert und überlegt worden sind. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß es länger als erwartet gedauert hat, bis der neue Standardpanzer produktionsreif wurde. Länger als erwartet hat es auch beim Kanonenjagd-panzer gedauert. Die Schwierigkeiten beim Abschluß der Verträge zwischen Deutschland und Frankreich wegen des Transportflugzeugs Transall sind bekannt. Den Mitgliedern der einzelnen Ausschüsse ist bekannt, welche Schwierigkeiten beim Hubschrauberprogramm oder etwa beim U-Boot-Programm aufgetreten sind. Deshalb sollte man bei der Frage der Umschichtung auch einmal die Gründe erforschen, die zu einer solchen Umschichtung führen müssen.Sie haben, Herr Abgeordneter Schoettle, bei der Frage der Umschichtung auf die außerordentlichen Schwierigkeiten verwiesen, die bei allem auftreten, was mit dem Fragenkomplex Bauvorgänge zusammenhängt. Wir haben aufgezeigt, wie schwierig es ist, das Land zu erwerben. Wir haben gegenwärtig 15 000 Grunderwerbsvorgänge für 33 000 ha. Wir haben dargelegt, wie schwierig es ist, die einzelnen Projekte bis zum letzten zu durchdenken und sie gemäß der Reichshaushaltsordnung beim Finanzministerium vorzulegen. Wir haben das Hohe Haus darum gebeten — es sind jetzt konkrete Vorschläge im Werden —, daß man das Verteidigungsministerium wegen der Sondersituation, in der es sich befindet, ein wenig von den großen Schwierigkeiten der Reichshaushaltsordnung, aber auch des Haushaltsgesetzes 1965 befreit, damit wir, Herr Abgeordneter Schoettle, in der Lage sind, die Aufgaben aus der Instanz des Ministeriums nach unten in die Mittelinstanzen, z. B. bei den Oberfinanzdirektionen der Länder, zu verlagern. In dem Augenblick aber, wo wir einen solchen Vorschlag machen, kommen wieder alle möglichen Bremsen und Vorbehalte. Meine Bitte geht dahin, daß man uns auch wirklich bei den Schwierigkeiten, die allseits bekannt sind, die Lösungsmöglichkeit für diese Schwierigkeiten, die mit einigen Änderungen von Bestimmungen zu schaffen ist, erleichtert.Ich darf also darauf aufmerksam machen, daß die Notwendigkeit zur Umschichtung in dieser einen kleinen Gruppe von skizzierten Punkten, die ich nannte und die man durch viele Nebenpunkte ergänzen kann, begründet liegt und nicht etwa in mangelnder Voraussicht und mangelnder Planung seitens des Verteidigungsministeriums. Im übrigen entnehme ich dem Schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses aus dem Jahre 1959, daß dort schon
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Bundesminister von Hasselsehr präzise von dem Berichterstatter, Herrn Dr. Vogel, dargelegt worden ist, warum Umschichtungen dieser Art erforderlich sind. Ich darf bitten, um die Zeit nicht zu verlängern, daß man diese Passage noch einmal in jenem Bericht des Jahres 1959 nachliest.Schließlich zum dritten: Herr Abgeordneter Schoettle, Sie haben gesagt, wenn wir es genau so machten wie die Amerikaner; würden wir genauso große Geldbeträge einsparen. Sie haben gesagt, McNamara habe durch seine neuen Methoden 5 Milliarden Dollar, eine runde Summe, eingespart, und das seien 10 % des Gesamtetats oder besser, der gesamten Investitionen — ich meine Material und Programme —, die neben den laufenden Kosten entstehen —; wenn wir das genauso machten wie er, könnten wir den gleichen Spareffekt erreichen.Herr Abgeordneter Schoettle, McNamara hat in einem Bericht an den amerikanischen Präsidenten dargelegt, was er vergangenes Jahr in diesem Abschnitt erreicht hat. Es sind Einsparungen von rund 2 1/2 Milliarden Dollar. Er begründet im einzelnen, was er eingespart hat, ohne die Verteidigungskraft der Vereinigten Staaten dadurch irgendwie negativ zu beeinflussen. Er hat z. B. dargestellt, daß man auf Grund seiner Entscheidung in Amerika jetzt begänne, Rüstungsaufträge öffentlich auszuschreiben, ein Prinzip, das wir längst haben. Er hat dargelegt, daß sie dazu übergehen, nicht mehr für jede Teilstreitkraft zu kaufen und Aufträge zu vergeben, sondern gemeinsam für die ganze Armee, eine Form,Herr Abgeordneter, die wir von Anfang an praktizieren. Er hat dann dargelegt, was er einsparen kann. Er stellt nämlich Entwicklungen, die nicht mehr erfolgversprechend sind, ein, schreibt sie zu den Akten, und ähnliche Vorgänge. Man kann also das, was er dort erreicht hat, die Maßnahmen, die er eingeführt hat, nicht irgendwie mit unseren Verhältnissen vergleichen.
Man kann daher die Einsparungen, die er erzielte, nicht mit den Einsparungen vergleichen, die etwa bei uns möglich wären.Ich gebe durchaus 211, daß bei langfristiger Planung unter Ausnutzung aller maschinellen und elektronischen Erfassungsmöglichkeiten auch bei uns einiges gespart werden kann. Das glaube ich gerne. Dazu ist der Körper Bundeswehr zu groß, als daß es richtig wäre, wenn ich sagte, da gäbe es nichts zu sparen. Aber ich möchte sehr deutlich sagen: der diesjährige Verteidigungshaushalt der Vereinigten Staaten ist, gemessen an der letzten Legislaturperiode unter Präsident Eisenhower, meines Wissens, trotz der Einsparungen, von denen Sie sprachen, um etwa 9 Milliarden Dollar größer. Es wäre also völlig falsch, wollte der Bundestag oder die Öffentlichkeit meinen, daß wir durch rationellere Verfahren, durch elektronische Mittel aller Art, durch langfristige Planung und durch große wissenschaftliche Gremien nachher etwa nur mit einem Teil dessen auskämen, was wir heute für die Verteidigung gebrauchen. Vor einer solchen Meinung und einer solchen Legende, die dann unter Umstände in der Öffentlichkeit Platz greift, möchte ich hier ausdrücklich warnen.
Das Wort hat der Abgeordneter Herr Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Jahren ist des öfteren in der Öffentlichkeit die Kritik laut geworden, daß der Haushalt in einem zu schnellen Verfahren hier in diesem Hohen Haus abgewickelt wird. Nun, wir sehen heute, daß wir uns bereits in der zweiten Tagungswoche in erster Lesung mit dem Haushalt beschäftigen. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieser Fortschritt — so möchte ich es bezeichnen — nicht ein einmaliges Ereignis ist, vielleicht im Hinblick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr, sondern daß wir auch in den künftigen Jahren Zeit und Gelegenheit haben, den Haushalt sowohl in der ersten wie auch in der zweiten und dritten Lesung ausführlich zu beraten.Bei der ersten Lesung dieses Haushalts in der vorigen Woche ist sicherlich viel von dem, was dort diskutiert worden ist, in den weltgeschichtlichen Ereignissen dieser Tage untergegangen: der Ablösung Chruschtschows, der Zündung der ersten chinesischen Bombe und den Ereignissen in England. Trotzdem glaube ich, daß wir nicht die Mühe scheuen sollten, auch unsere innenpolitischen Probleme in diesen Haushaltsberatungen noch einmal nachdrücklich zur Sprache zu bringen.Soweit sich der bisherige Verlauf der Debatte übersehen läßt, ist auch von der Linie der Opposition einiges klargeworden. Man möchte bei der SPD zwar von angeblichen Versäumnissen dieser Bundesregierung sprechen, aber man möchte geflissentlich nicht den Gesamtkomplex der vergangenen Jahre aufrollen. Dies liegt auf der Hand, weil ja, wenn man den Gesamtkomplex der politischen Vorgänge in diesen 15 Jahren anspricht, nicht nur zum Ausdruck käme, welche Richtung die Regierungspolitik genommen hat, sondern auch, wie die außen- und innenpolitische Linie der SPD in diesen zehn Jahren von 1949 bis 1959 und danach war. Ich bin der Meinung, daß das, was die Opposition in diesen Jahren an Gegenvorschlägen aufzuweisen hat und was sie an ihrer Haltung vorzuweisen hat, nicht eine Empfehlung dafür sein könnte, hier etwa die Regierungsverantwortung zu übernehmen.Auf der anderen Seite genügt es aber bei einer Würdigung dieser vergangenen Jahre, wenn man also von angeblichen Versäumnissen sprechen will, nicht nur Einzelpunkte herauszugreifen, sondern dann muß man die ganze Situation in dieser Zeit heranziehen. Ich glaube insbesondere auch, daß es einfach nicht zulässig ist, bestimmte Länder, die entweder die zwei Weltkriege überhaupt nicht erlebt haben oder nicht in der Weise wie die Bundesrepublik, wie Deutschland von der Zerstörung beeinträchtigt waren, als Beispiele anzuführen, um etwaige Versäumnisse nachzuweisen. Es liegen hier eben weitestgehend ganz andere Verhältnisse vor.
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Dr. AlthammerWenn man einmal in einem Rückblick die Bilanz dieser vergangenen Jahre zieht, ist es gut und zweckmäßig, zu berücksichtigen, wie sich die wesentlichen Posten unseres Haushalts seit dieser Zeit entwickelt haben. Wenn man das tut, darf man nicht nur den Bundeshaushalt isoliert betrachten, sondern dann muß man die gesamten Haushaltssituationen von Bund, Ländern, Gemeinden und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vermögensträgern heranziehen. Dies ist um so mehr gerechtfertigt, als ja gerade feststeht, daß nur durch die Initialzündung, die von dem jetzigen Bundeskanzler Professor Dr. Ludwig Erhard mit seiner sozialen Marktwirtschaft ausgegangen ist, auch auf der Ebene der Länder und der Gemeinden das geleistet werden konnte, was mit Recht dort als Leistung vorgewiesen wird.
— Das habe ich eben betont.Ganz ähnlich verhält es sich mit den sozialen Leistungen. Am letzten Donnerstag ist hier vom Kollegen Erler das böse Wort gefallen, daß die Bundesrepublik keine gerechte Heimstatt freier Menschen sei. Wenn man sich die Fakten ansieht, muß man sagen: die Situation ist eine völlig andere. Trotz dieser Kriegsfolgelasten, die ich soeben kurz skizziert habe, ist es gelungen, die Bundesrepublik an die Spitze der Länder zu führen, wie ein Vergleich mit den sozialen Leistungen im Ausland zeigt, und das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, hat die Bundesregierung der CDU/CSU vollbracht.
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Dr. Althammer1 Dabei muß man berücksichtigen, daß andere Länder, mit denen heute so gern Vergleiche angestellt werden, nach 1945 oder schon, unberührt vom Krieg, in der Zeit zuvor ihre Wirtschaft weiter entwickeln konnten, daß sie jedenfalls solche Lasten nicht zu tragen haben.Betrachtet man nun, was in dieser Zeit vom Bund, von den Ländern und von den Gemeinden an Sozialleistungen alles in allem erbracht worden ist, so ergibt sich auch hier wieder ein ungeheuerlich anmutender Betrag, nämlich die Summe von 245 Milliarden DM für Sozialausgaben. Hinzu kommt — das ist in dieser Summe nicht enthalten —, was an Vermögen und Leistungsaufwand bei den Sozialversicherungsträgern vorliegt: ein Kapital von zur Zeit 23 Milliarden DM und ein gegenwärtiger Leistungsaufwand von 54 Milliarden DM. Auf die Entwicklung zur Vollbeschäftigung, heute sogar zum Arbeitskräftemangel, der uns wiederum Sorgen bereitet, auf die reale Kaufkraftsteigerung gerade der Einkommen der in abhängiger Arbeit Stehenden, die ja nicht zu leugnen ist und heute nicht einmal von der Opposition mehr geleugnet wird, brauche ich gar nicht näher einzugehen. Wenn man sich das vor Augen hält, kann man keineswegs mit Recht sagen, daß etwa ein Absinken der Sozialleistungen oder ein prozentuales Zurückbleiben zu verzeichnen sei. Genau das Gegenteil ist der Fall.In dieser Debatte ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß ein Engpaß entsteht für die frei disponierbare Vermögensmenge im Bundeshaushalt. Wir haben eine Diskussion darüber geführt, ob das nun noch 10 oder 15 % sind, was im Bundeshaushalt zur freien Disposition steht. Nun, welchen Betrag man immer auch ansetzen will, die Entwicklung als solche ist besorgniserregend. Sie wird besonders deutlich, wenn man die Verhältnisse für das kommende Haushaltsjahr betrachtet. Dort haben wir ein Wachstum der Ausgaben von 3,6 Milliarden DM zugelassen. Gleichzeitig aber mußte das Finanzministerium ankündigen, daß ein Mehrbedarf an gesetzlichen oder vertraglich festgelegten Leistungen von rund 5 Milliarden DM besteht, also eine offene Lücke von etwa 1,2 Milliarden DM. Diese Situation zeigt, wie schwierig schon die Verhältnisse geworden sind und wie schwierig — das ist meine Überzeugung — sie auch noch in der Zukunft sein werden.Woher kommen denn diese gesetzlich festgelegten Mehrleistungen? Es erweist sich sofort, daß das Schwergewicht gerade bei den Sozialleistungen liegt. In dem kommenden Haushalt sind es 2,2 Milliarden DM. Jeder, der sich die Mühe gemacht hat, etwas in die Zukunft zu sehen und die Dinge zu durchdenken, der weiß, daß von dieser Seite her, nämlich von der Dynamisierung der Sozialleistungen, auch in den kommenden Jahren eine Lawine auf unseren Haushalt zurollen wird. Wenn man das weiß und wenn man das würdigt, kann man wahrhaftig nicht von einem Zurückbleiben der Sozialleistungen sprechen.Was bleibt sonst noch von der Kritik, die von der Opposition in diesem Zusammenhang geübt worden ist? Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die Entwicklung der Vermögensbildung bei uns in der Bundesrepublik zu Besorgnis Anlaß gebe. Nun, wer die Dinge in der Vergangenheit mit Interesse verfolgt hat, der weiß, daß gerade diese Frage, nämlich der Zuwachs des Vermögens, daß bei uns erarbeitet wird, schon vor Jahren und bis heute die CSU, die CDU, die christlichen Arbeitnehmerbewegungen jeder Richtung und nicht zuletzt die katholische und die evangelische Kirche beschäftigt haben. Das besondere Eingehen auf die Fragen der Eigentumsbildung, die damit in Zusammenhang stehen, auf seiten der SPD ist demgegenüber — das möchte ich ausdrücklich festhalten — neueren Datums. Ich kann sehr wohl verstehen, daß Herr Kollege Katzer am Donnerstagabend gerade auch diesen Gesichtspunkt, daß nämlich auf seiten der CDU/CSU seit langer Zeit an diesem Problem gearbeitet wird, mit großem Nachdruck herausgestellt hat.Herr Kollege Leber hat nun einen Plan zur Diskussion gestellt, der auch in dieser Haushaltsdebatte bereits eine Rolle gespielt hat. Selbstverständlich werden wir uns auch über diese Vorschläge und Gedanken noch zu unterhalten haben. Aber das eine, glaube ich, kann man jetzt schon sagen: daß eine grundsätzliche neue Lösung damit nicht angesprochen ist, sondern daß es sich allenfalls, pauschal gesehen, um eine zusätzliche Altersversicherung handeln kann.Ich habe letzten Donnerstag dem Kollegen Leber die Frage gestellt, ob er etwa der Meinung ist, daß Vorstellungen, die dahin gehen, daß man gewisse. Industrien oder Unternehmen in Gemeineigentum überführen könne, im Zusammenhang mit der Eigentumsbildung eine Rolle spielten. Ich habe dabei auf das Godesberger Programm der SPD verwiesen. Der Kollege Leber hat mir auf die Frage erklärt, daß dergleichen im Godesberger Programm nicht stehe. Nun, ich darf das hier berichtigen und darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten das Godesberger Programm in der Abteilung „Eigentum und Macht" zitieren: Es heißt dort:Gemeineigentum ist eine legitime Form der öffentlichen Kontrolle.Und weiter unten:Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.
Aus jüngerer Zeit gibt es noch Äußerungen, in denen diese Gedanken noch konkretisiert sind, Äußerungen, die nicht unmittelbar von der SPD, aber von einer Seite stammen, die sicherlich auch den Kollegen Leber angeht. Ich darf aus dem Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom November 1963 zitieren. Dort heißt es unter Abschnitt III Ziffer 4:Das Gemeineigentum in seinen verschiedenen Formen hat in der modernen Industriegesellschaft entscheidende Bedeutung, besonders auch als Lenkungs- und Steuerungsmittel der Wirt-
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6968 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. Althammerschaft. Die Gewerkschaften fordern die Erhaltung und Ausweitung des öffentlichen Besitzes an wirtschaftlichen Unternehmen und seine Weiterentwicklung zu einem sinnvollen System öffentlicher und öffentlich gebundener Unternehmen.In Ziffer 5 dieses Grundsatzprogramms heißt es dann weiter:Insbesondere fordern die Gewerkschaften den Ausbau des Systems der öffentlich gebundenen Unternehmen, die Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum.
— Ich habe auf diesen Zwischenruf gewartet. Er gibt mir Gelegenheit, dazu einmal etwas zu sagen.Das Ahlener Programm war niemals ein Grundsatzprogramm der CDU/CSU insgesamt. Es war, bevor die eigentlichen Weichen gestellt wurden, im Jahre 1948 ein Diskussionsbeitrag einer sicherlich bedeutenden Gruppe aus der CDU. Man kann rückblickend auch sagen, daß die Gedankengänge damals aus der Kampfzeit des „Dritten Reiches" entstanden sind, weil man nämlich versucht hat, die Brücken zum Sozialismus zu erhalten. Es hat sich aber sehr schnell gezeigt, daß die Sozialdemokraten nach 1945 wieder bei ihrem Heidelberger Programm von 1925 angeknüpft haben und damit die Voraussetzungen entfallen sind.
Ich darf ein Weiteres dazu sagen. In diesen Jahren 1947/48 ist die Auseinandersetzung innerhalb der CDU/CSU geführt worden. Die Vorstellungen von Professor Ludwig Erhard in seiner Sozialen Marktwirtschaft sind damals zum Durchbruch gekommen, und zwar mit entscheidender Unterstützung der Arbeitnehmer in der CDU/CSU.
Diese Vorstellungen sind inzwischen ja, vielleicht zögernd und wohl nicht immer mit vollem Behagen, von der SPD zum Teil mit übernommen worden. Ich komme aber auf diesen Gesichtspunkt deshalb zu sprechen, weil man — das hat ja auch der Herr Bundeskanzler in seiner Äußerung zu dieser Frage schon angedeutet — bei manchen Vorschlägen, die angeblich der Vermehrung des Vermögens in der Hand des Arbeitnehmers dienen sollen, doch sehr stark an solche Vorschläge erinnert wird. Ich glaube, wenn wir uns darüber unterhalten, wie noch besser als bisher eine Strukturverbesserung unserer Eigentumsverhältnisse zu erreichen ist, dann muß man doch sehr darauf achten, daß Eigentum nur individuell in die Hand des einzelnen Staatsbürgers, des einzelnen Arbeitnehmers gelangt und daß wir nicht Einrichtungen schaffen, die irgendwelchen Funktionärsorganisationen zur Verfügung stehen.
Jedermann weiß, daß eine moderne Industriegesellschaft eine Kapitalbildung benötigt. Wir haben uns damals gegen den heftigen Widerstand der SPD für eine private Kapitalbildung entschieden, und diese private Kapitalbildung hat schließlich zu dem geführt, was draußen in der Welt als das deutsche Wirtschaftswunder bezeichnet wird. Wir haben damals Vorschläge abgelehnt, die in die Richtung von Planungswirtschaft, von Zwangswirtschaft gingen, und ich glaube, wir haben heute weniger denn je Ursache, von diesen unseren Vorstellungen und von der Ablehnung der andersgearteten Vorstellungen abzugehen.
Ich glaube aber, wenn solche Vorstellungen in der SPD nach wie vor vorhanden sind, dann wird man an diese Seite, wenn schon von Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand die Rede ist, auch ganz konkret die Frage stellen müssen: Sollen die Sätze über die Überführung in Gemeineigentum, die ich vorhin zitiert habe, heute noch gelten? Und zumzweiten: Wie stellt sich die SPD eine Organisation solcher gemeinwirtschaftlichen Unternehmen vor? Und zum dritten: Wer vor allem soll das wirtschaftliche Bestimmungsrecht bei derartigen Unternehmen haben? Ich glaube, das sind legitime Fragen, die man in diesem Zusammenhang an die Opposition stellen muß. Ich darf nochmals betonen, daß von unserer Seite aus jede Art von Kollektivlösungen in dieser Frage abgelehnt wird. Ob man das früher Verstaatlichung oder Sozialisierung nannte oder ob man es heute Überführung in Gemeineigentum nennt, für uns ist es immer dasselbe. Wir sind der Überzeugung, daß es nur darauf ankommen kann, individuelles Eigentum in der Hand des einzelnen Arbeitnehmers zu schaffen.Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, der auch in diesem Zusammenhang überlegungswert ist: Wir wissen ja — und das wird deutlich, wenn man die Übersicht über das Investivvermögen, die ich noch vorzutragen habe, heranzieht —, daß der Wohnungsbausektor in der Vergangenheit eine große Bedeutung gehabt und heute noch hat. Bei diesen Auseinandersetzungen über die Lösung des Wohnraumproblems hat auch die Frage eine entscheidende Rolle gespielt, wie eine solche Lösung aussehen soll. Wir haben von unserer Seite immer betont, daß wir auch bei der Beseitigung der Wohnraumnot eine Möglichkeit sehen, privates Eigentum in der Hand der einzelnen Staatsbürger zu bilden. Allen hier ist in Erinnerung, wie hart die Auseinandersetzungen über diese Fragen waren. Wir sehen heute auf der anderen Seite, daß sich eben wegen der dringenden Not, die damals vorhanden war, doch sehr erhebliche Vermögensmassen gebildet haben, die in der Hand von Wohnungsbaugesellschaften oder -genossenschaften sind. Der Herr Bundeskanzler hat ja bereits in seiner Stellungnahme angekündigt, daß man bei Überlegungen ist, wie auch auf diesem Sektor noch verstärkt, über das hinaus, was wir bisher schon auf diesem Sektor getan haben, die Eigentumsbildung in der Hand einzelner gefördert werden kann. Wir hätten sehr gern, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dazu eine positive Äußerung von seiten der SPD gehört. Sie liegt bis heute nicht vor.Überhaupt ist die Frage zu stellen, wenn man auf diese Problematik der Wohnraumbewirtschaftung
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Dr. Althammerund der Leistungen auf diesem Gebiet eingeht, ob die SPD wirklich und ehrlich an den Bestrebungen unseres Wohnungsbauministers Lücke mitarbeiten will, die Wohnungszwangsbewirtschaftung einem Ende zuzuführen.
Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir die Wohnraumzwangswirtschaft lediglich als eine Notlösung in einer Kriegs- und Nachkriegszeit ansehen können, daß aber so wenig wie etwa die Lebensmittelzwangsbewirtschaftung die Wohnungszwangsbewirtschaftung ein Gegenstand sein kann, den wir auf Jahrzehnte hinaus in die Zukunft mitschleppen können.Wir haben erhebliche Anstrengungen gemacht — Zahlen darüber sind zum Teil schon genannt worden —, um die Wohnraumnot zu mildern. Herr Kollege Barzel hat in der Diskussion darauf hingewiesen, daß auch heute noch jede Minute eine Wohnung fertiggestellt wird, daß man augenblicklich bei 600 000 Wohnungen im Jahr ist und daß die Zahl der Eigenheime bereits eine Million überschritten hat. Das sind imponierende Leistungen. Ich möchte meinen, es ist wirklich an der Zeit, daß auch von seiten der Opposition bei aller Diskussion darüber, in welchem Rahmen sich nun die Endabwicklung vollziehen soll, zu dieser Grundvoraussetzung, nämlich der Beendigung und Ablösung der Wohnungszwangsbewirtschaftung, ein positives Wort gesagt wird.Ich darf nun auf einen anderen Gesichtspunkt im Zusammenhang mit der sozialen Marktwirtschaft zu sprechen kommen, einen Gesichtspunkt, der selbstverständlich auch für den Haushalt von entscheidender Bedeutung ist, nämlich die Unterstützung gewisser Wirtschaftszweige, die unverschuldet in Notsituationen geraten sind.Es ist ja im Gegensatz zu der alten, klassischen liberalistischen Auffassung ein Bestandteil der Vorstellungen von der sozialen Marktwirtschaft, daß solche Erwerbszweige, die unverschuldet in Krisenoder Notsituationen gekommen sind, einen Anspruch auf Unterstützung von seiten des Staates haben. Dies ist grundsätzlich bei der Wiederankurbelung unserer deutschen Wirtschaft insgesamt durch die Förderungsmaßnahmen praktiziert worden. Es wird heute nach wie vor z. B. beim Kohlebergbau, bei der deutschen Erdölproduktion und insbesondere natürlich bei der deutschen Landwirtschaft praktiziert. Wenn man sich die Mühe macht, einmal zusammenzurechnen, was von Bund und Ländern bisher an Leistungen für die deutsche Landwirtschaft erbracht worden ist, dann kommt man auf einen Gesamtbetrag von 55 Milliarden DM an direkten und indirekten Förderungsmaßnahmen. Allein für die Grünen Pläne ist von Bund und Ländern zusammen in den abgelaufenen Jahren ein Betrag von rund 20 Milliarden DM ausgegeben worden. Diese Zahlen rufen natürlich sofort die Frage hervor, was denn die Ergebnisse solch immenser Leistungen sind. Ich glaube, wir können heute sagen, daß sich diese Leistungen, diese Zahlungen von seiten des Staates, wirklich gelohnt haben. Wir haben heute noch 13 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft. Diese 13 % schaffen für uns die Lebensmittelbedarfdeckung in Höhe von 75 %. Anders ausgedrückt: in der Bundesrepublik reicht eine landwirtschaftliche Arbeitskraft dazu aus, 20 Personen zu ernähren. Wir sind damit im Weltvergleich hinter den USA und Holland, wo eine Arbeitskraft 23 Personen ernährt, bereits an die dritte Stelle gerückt.Ein anderer Vergleich. Der Ertrag der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist von 1938, also seit einer Zeit, wo unter dem NS-Regime der Grundsatz der Autarkie gegolten hatte und aus der Landwirtschaft maximale Erträge herausgewirtschaftet werden sollten, bis heute um 50 % gesteigert worden, obwohl ansehnliche Qualitätsverbesserungen notwendig waren und die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft geschrumpft ist. Ich glaube, wenn wir uns diese Leistungen vor Augen halten, können wir sagen, daß sich die Hilfe, die hier gegeben worden ist, wirklich gelohnt hat. Ich darf namens der CSU sagen — was ja früher schon immer betont worden ist —, daß wir von der CSU auch Sorge dafür tragen werden, daß unsere deutsche Landwirtschaft unbeschädigt in die EWG kommen kann. Wir sind selbstverständlich bereit, die dafür notwendigen Mittel im Bundeshaushalt zu bewilligen.Ein anderer Sektor, auf dem der Staat ebenfalls Hilfeleistungen zu erbringen hat, die die Förderung regionaler Wirtschaftsgebiete, die wirtschaftlich nicht mit dieser Entwicklung Schritt gehalten haben, insbesondere natürlich eine Förderung der Grenzlandgebiete. Bei dieser Diskussion hat sich ja gezeigt, daß sehr viele Politiker nun ihr Herz für die Grenzlande entdeckt haben. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß die CSU seinerzeit unter dein ersten Finanzminister Fritz Schäffer diese Programme für unser deutsches Grenzland entwickelt, entscheidend mitgestaltet und durchgesetzt hat. Diese Dinge gehen also auf eine Zeit zurück, als der Bundesfinanzminister noch von der CSU gestellt wurde,
und ich glaube, daß das nicht der schlechteste Bundesfinanzminister war.
Die Leistungen des Bundes haben in all diesen Jahren nun einen Betrag von 1,5 Milliarden erreicht. Es liegen hier natürlich mit wesentliche Leistungen auch von seiten der Länder vor, so daß der Betrag des Bundes nicht eine so große Höhe erreicht, wie er anderswo von mir bereits zitiert worden ist.Die CSU hat auch für den Haushalt 1965 nicht lediglich irgendwelche Deklamationen abgegeben, sondern ganz konkrete Einzelvorstellungen zum Grenzlandprogramm entwickelt. Sie wird als erstes dafür eintreten, daß die vorgesehene und wiederholt auch in der Debatte schon erwähnte 5 °/oige Kürzung aller nicht auf Gesetz beruhenden Ansätze für den Sektor der Grenziandhilfe aufgehoben wird. Das wäre ein Betrag von rund 7 Millionen, um den es hier geht.
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Dr. AlthammerWir begrüßen ferner sehr dankbar, daß aus dem ERP-Vermögen eine Summe von 30 Millionen ebenfalls für die Grenzlandhilfe zu Verfügung gestellt worden ist. Es geht nun darum, diese zusätzlichen Mittel bestmöglich einzusetzen.
Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hermsdorf? — Bitte schön.
Herr Althammer, Sie hatten eben gesagt, daß die CSU der 5 %igen Kürzung widersprechen wird. Darf ich Sie fragen, welche Haltung die CSU bisher zu dieser 5 %igen Kürzung gehabt hat, insbesondere dann, wenn die Sozialdemokraten den Antrag gestellt haben, diese Kürzung fallenzulassen?
Herr Kollege Hermsdorf, wir alle hier im Bundestag sind natürlich von dem Ergebnis, das uns das Bundesfinanzministerium hinsichtlich des Haushaltsplans 1965 vorgelegt hat, überrascht worden, und wir werden, wie in jedem Jahr, darüber zu befinden haben, in welcher Form dieser Vorschlag des Finanzministeriums zu behandeln ist. Auch in den vergangenen Jahren hat es sich ganz klar gezeigt, daß wir vom Haushaltsausschuß vor allem dann auch dieses Hohe Haus insgesamt Änderungen vorgenommen haben, die wir für notwendig und richtig hielten. Ich darf also Ihre Frage so deuten, daß wir einer Meinung sind, wenn es darum geht, hier Veränderungen vorzunehmen, die nicht nur diesen Punkt betreffen, sondern die überhaupt noch gewisse Korrekturen dieses Haushaltsvorschlags des Bundesfinanzministers betreffen.Ich darf aber vielleicht fortfahren in der Darlegung der Gesichtspunkte, die wir von der CSU zur Frage der Grenzlandförderung erarbeitet haben. Es geht darum, die zusätzlichen Mittel, die jetzt über das ERP-Vermögen bereitgestellt sind, zweckentsprechend einzusetzen. Wir sind der Überzeugung, daß diese Mittel insbesondere dazu verwendet werden müssen, die Kreditbedingungen zu verbessern und den Zinssatz und die Laufzeit der Kredite für neue Industrieansiedlungen und für die Rationalisierung bestehender Betriebe zu verbessern. Damit soll dann auch die Differenz in den Kreditbedingungen zwischen bestehenden und neuen Betrieben verringert werden.Für die Ausbildung und Fortbildung sowie zur Umschulung von Fachkräften müssen ebenfalls diese Mittel verstärkt herangezogen werden. Ebenso wichtig ist die Fortführung und Steigerung des Programms zur Facharbeiterwohnungsbeschaffung, um diese Facharbeiter im Grenzlandgebiet zu halten. Wir müssen außerdem die Zuschüsse für finanzschwache Gemeinden im Zonenrandgebiet erhöhen, insbesondere zu Infrastrukturmaßnahmen.Schließlich müssen auch die Mittel für die Frachthilfen bedacht werden, um vor allem die Erstattungssätze zu verbessern und einige besonders dringende Güter neu in dieses Programm aufzunehmen.Weiter wird es sich bei diesen zusätzlichen Mitteln darum handeln, eine Förderung der Zonenrandgebiete und Ausbaugebiete wie bisher in einem einheitlichen Programm unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums durchzuführen und diese Mittel nicht zu sehr zu verzetteln.
Es kommt weiter darauf an, neben der Förderung der Wirtschaft und der Unterstützung der finanziell schwachen Gemeinden auch die Förderung der kulturellen Einrichtungen in diesen Zonenrandgebieten noch zu verbessern.Was die bekanntgewordenen Pläne zur Sanierung der Bundesbahn anbelangt, so sind wir der Auffassung, daß Einschränkungen jedenfalls nicht zu Lasten der Zonenrandgebiete gehen dürfen, weil es widersinnig wäre, gleichzeitig erhebliche Mittel für die Förderung dieser Gebiete einzusetzen und auf der anderen Seite eine Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse dort herbeizuführen. Das sind die leitenden Gedanken, die von seiten der CSU zur Frage der Zonenrandgebiete erarbeitet worden sind.In einem letzten Teil meiner Ausführungen möchte ich noch auf die Investitionsanlagen des Bundeshaushalts und der Haushalte insgesamt zu sprechen kommen. Wiederholt ist ja schon darauf hingewiesen worden, daß gerade diese Haushaltsmittel, also die lnvestitionsmittel, von der öffentlichen Hand her gesehen eine entscheidende Beeinflussung der Konjunktur darstellen. Wenn man einmal grundsätzlich überliegt, in welcher Weise sich 'die Investitionspolitik der öffentlichen Hand vollziehen muß, dann muß man zunächst einmal die Grenzen sehen, die hier gegeben sind. Man kann nicht einfach ohne Berücksichtigung dieser Grenzen mehr und mehr und mehr verlangen. Diese Grenzen liegen einmal darin, daß der deutsche Staatsbürger mit die höchste Steuer- und Abgabenlast in der Welt trägt. Ich glaube, diese 'hohe Last kann man nicht weiter erhöhen. Zum zweiten muß man beachten, daß auch die volkswirtschaftliche Kapazität gewisse Grenzen .setzt, die ganz einfach nicht überschritten werden können. Das sind im wesentlichen die Grenzen, in denen sich grundsätzlich Investitionsvorhaben der öffentlichen Hand zu bewegen haben.Für den Haushalt kommt dann unmittelbar — im einzelnen Haushaltsjahr — noch hinzu, daß ja auch durch die gesetzlich festgelegten Haushaltsmittel hier eine Grenze gezogen ist. Ich habe vorhin bereits erwähnt, daß dieser Spielraum der Investitionstätigkeit fortlaufend eingeschränkt wird. Wenn man sich diese Grenzen vergegenwärtigt, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß die Bundesregierung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten alles getan hat, um die notwendigen Investitionen unterzubringen. Zur Veranschaulichung auch hier ein paar Zahlen. In den Jahren 1948 bis 1964 betrugen die Gesamtinvestitionen der öffentlichen Hand rund 240 Milliarden DM. Davon sind 143 Milliarden DM als Direktinvestitionen anzusprechen. Es ist ganz interessant, sich einmal die Aufgliederung .dieser Investitionssumme zu vergegenwärtigen. Von diesem Direktanteil von 143 Milliarden DM entfallen auf
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Dr. Althammerden Bund 29 Milliarden DM, auf die Länder 27,2 Milliarden DM und auf die Gemeinden 86,8 Milliarden DM. Ich brauche die Diskussion nicht dar- über fortzusetzen, daß die Gemeinden selbstverständlich wichtige Aufgaben wahrzunehmen haben, daß auf der anderen Seite aber ein konjunkturgerechtes Verhalten nur von der gesamten öffentlichen Handerbracht werden kann.Es ist davon gesprochen worden, daß Schwerpunkte in diesem Bundeshaushalt nicht zu erkennen seien. Wir ,haben verschiedentlich dargelegt, daß solche Schwerpunkte im Haushalt 1965 sicherlich festzustellen sind. Ich glaube aber, noch deutlicher wird die Situation, wenn man einmal vom Einzelhaushalt des Jahres abgeht und sich die gesamte Haushaltsentwicklung auf dem Investitionssektor über mehrere Jahre hin vor Augen hält. Dann wird besonders deutlich, wie auf dem entscheidenden Sektor der Investitionsausgaben Schwerpunkte gebildet worden sind.Der erste Schwerpunkt, der bei allen Haushalten der öffentlichen Hand nach dem Zusammenbruch, nach der Währungsreform, gebildet worden ist, ist der Schwerpunkt der Förderung des Wohnungsbaus. Niemand hier im Raume wird bestreiten können, daß das eine Existenzfrage für uns war und daß dieser Schwerpunkt auf jeden Fall zunächst einmal Vorrang halben mußte. Es wurden im Jahre 1953 für die Wohnraumbeschaffung 40 % aller Investitionen der Haushalte der öffentlichen Hand ausgegeben. Heute ist 'dieser Gesamtanteil, in Prozenten ausgedrückt, auf rund 20 % heruntergegangen. Ich möchte aber, um nicht Mißdeutungen aufkommen zu lassen, gleich dazusetzen, daß sich die absoluten Zahlen weiterhin erhöht haben. Mit anderen Worten, wir tun nach wie vor alles, was angesichts der überhitzten Baukonjunktur überhaupt möglich ist, um die Wohnungsnot endlich zu beseitigen. Insgesamt aber zeigt eine Überschau, daß schwerpunktmäßig am Anfang die Beseitigung der Wohnungsnot stand.Weiter zeigt sich in einem Überblick über die Haushalte der vergangenen Jahre, daß als zweiter Schwerpunkt der Verkehrshaushalt in den Mittelpunkt getreten ist. In den letzten Jahren haben sich die Mittel für die Verkehrsausgaben auf einen Betrag von ebenfalls rund 40 % der Gesamtaufwendungen für Investitionen der öffentlichen Hand erhöht. Wir haben von 1948 bis 1964 insgesamt 78 Milliarden DM für den Verkehr aufgewendet. Auch hier zeigt sich ganz klar die neue Schwerpunktbildung.Als dritter entscheidender Schwerpunkt kristallisiert sich in diesem Jahr und sicherlich auch für die kommenden Jahre der gesamte Bildungsbereich heraus, das, was wir zusammenfassend kulturelle Ausgaben, Bildungsausgaben usw. nennen. Das also ist der letzte Schwerpunkt, den wir hier festzustellen haben. Es hat sich gezeigt, daß hinsichtlich der Bildungsausgaben im Jahre 1945 und in den Jahren danach sehr große Schwierigkeiten vorhanden waren. Man kann nicht verkennen, daß in dieser Zeit infolge der Kriegszerstörungen ein ungeheurer Nachholbedarf gegeben war und daß uns, was Wissenschaft und Forschung anlangt von den damaligenSiegermächten ganz einschneidende Beschränkungen auferlegt worden waren. Der Rückblick auf die Haushaltsausgaben in diesen Jahren zeigt, daß auch dieser Situation Rechnung getragen worden ist. Es ist von allen Vermögensträgern der öffentlichen Hand für die Investitionen auf dem Bildungssektor bis heute, bis zum Ende des Jahres 1964, ein Gesamtbetrag von 128 Milliarden DM ausgegeben worden. Naturgemäß standen am Anfang die Ausgaben für den Schulhausbau. Für Volks- und höhere Schulen ohne Hochschulen sind in den Jahren von 1948 bis 1962 13,4 Milliarden DM ausgegeben worden, für Hochschulen und sonstige Zwecke der Wissenschaft von 1948 bis 1964 24 Milliarden DM, wobei es interessant ist, daß davon in den Jahren von 1948 bis 1961 15 Miliarden DM ausgegeben wurden und in den wenigen Jahren von .1962 bis 1964 9 Milliarden DM. Auch dieses rasante Ansteigen der Gesamtausgaben — ganz abgesehen natürlich von den Steuervergünstigungen — zeigt, daß sich hier ein neuer Schwerpunkt für die Zukunft bildet. Wir haben diese Leistungen erreicht und diesen Schwerpunkt gebildet, obwohl die Kriegszerstörungen uns weit zurückgeworfen haben, obwohl die unmittelbare Existenzsicherung vorrangig war und obwohl wir alliierte Beschränkungen auf diesem Gebiet zu verzeichnen hatten. Immerhin ist der Anschluß an die internationale Entwicklung erreicht worden. Das zeigt sich heute ganz deutlich insbesondere auch darin, daß eine Reihe von Wissenschaftlern wieder in die Bundesrepublik zurückkehrt.Ich habe schon betont, daß wir selbstverständlich die Leistungen auf diesem Gebiet noch mehr als bisher erhöhen müssen. Daß das gelingen kann und gelingen wird, ist sicherlich auch darin begründet, daß sich das Verhältnis zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet in den letzten Jahren doch sehr wesentlich zum Besseren entwickelt hat. Natürlicherweise haben in den ersten Jahren nach der Bildung der Bundesrepublik die Länder sehr sorgfältig darauf geachtet, daß der Bund die von der Verfassung gezogenen Grenzen einhält und sich nicht in Bereiche einmischt, die von der Verfassung her den Ländern zugestanden sind. Als aber der Gesamtkomplex der Aufgaben auf diesem Gebiet sich immer deutlicher herausschälte, waren auch die Länder mehr und mehr — und wir stehen mitten in dieser Entwicklung — bereit, mit dem Bund zusammen vernünftige Lösungen zu finden und zu schaffen.Ich glaube — und das nun an die Adresse der FDP —, wir sollten auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten — wir sollten an den föderalistischen Entscheidungen unseres Grundgesetzes festhalten — und im Rahmen der gegebenen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit den Ländern das Optimale zu erreichen versuchen. Gerade die Entscheidungen der Kultusministerkonferenz, die in den letzten Tagen bekanntgeworden sind, geben uns Hoffnung, daß das erreicht werden kann. Auf jeden Fall wird bei dieser Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern durch Erhöhung der Mittel, die Jahr um Jahr auf der Seite des Bundeshaushalts steigen, zur Bewältigung die-
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Dr. Althammerser Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsprobleme alles getan werden, was notwendig ist.Ich möchte noch ein Wort zu den so beliebten internationalen Vergleichen sagen. Man muß, wenn man die deutschen Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Bildung mit dem vergleicht, was in anderen Ländern — vor allen Dingen in großen Industrienationen — getan wird, berücksichtigen, daß in vielen dieser Länder große Summen gerade für die Rüstungsforschung ausgegeben werden. Das geht so weit, daß von den Gesamtausgaben für die Forschung in einzelnen dieser Länder sogar bis zu 90 % direkt oder indirekt in die Rüstungsforschung gehen. In dieser Beziehung ist bei uns die Situation völlig anders.In der letzten Zeit sind zwei sehr zu beachtende Veröffentlichungen erschienen. Die eine davon ist schon von meinem Kollegen Conring zitiert worden; es handelt sich um den Bericht der Deutschen Bundesbank vom August 1964. In diesem Bericht ist in einer sehr guten Zusammenstellung aufgezeigt, wie die Entwicklungen auf dem Investitionssektor der öffentlichen Hand in der letzten Zeit waren. Es ist besonders darauf hingewiesen worden, daß sich allmählich die Ausgaben auf die traditionellen Bereiche zurückverlagern, auf denen die öffentliche Hand ihre Investitionen zu tätigen hat. Es ist aber auch sehr deutlich auf die Überbeanspruchung der Kapazitäten gerade von seiten der öffentlichen Hand hingewiesen worden.Die zweite Veröffentlichung, die ich hier zitieren möchte, ist die sehr verdienstvolle Zusammenstellung des Deutschen Beamtenbundes mit dem Titel „Die volkswirtschaftliche Bedeutung der öffentlichen Investitionen". Bei dieser anderen Äußerung ist wiederum die dringende Notwendigkeit und die Legitimität großer Investitionen der öffentlichen Hand dargestellt. Wenn wir das alles einander gegenüberstellen, dann zeigt sich, daß auf der. einen Seite die Grenze gerade auch bei dieser staatlichen Betätigung — bei den Investitionen — immer deutlich sichtbar bleiben muß. Auf der anderen Seite zeigen sich eben drastisch und klar die Forderungen, die auch von den einzelnen Gruppen unseres Volkes mit Recht an die öffentliche Hand gestellt werden. Wenn man diese beiden Seiten gegeneinanderhält und sich vergegenwärtigt, welchen Weg wir bisher mit unseren öffentlichen Ausgaben eingeschlagen haben, dann glaube ich, daß wir im großen und ganzen einen richtigen und gesunden Mittelweg gefunden haben.
Ich glaube, daß man nicht so vorgehen kann, wie es immer wieder von seiten der Opposition angeklungen ist, daß man uns auf der einen Seite vorwirft, in dieser und jener Richtung seien nicht genügend finanzielle Leistungen erfolgt, und uns auf der anderen Seite vorhält, daß die Haushaltsgebarung nicht antizyklisch im volkswirtschaftlichen Sinne sei und daß auch — was morgen eine Rolle spielen wird — die vorgesehenen Steuerermäßigungen nicht die ausreichende Höhe erreichen. Wenn man hier auf der einen Seite Mehrforderungen in großem Ausmaße stellt, wie es laufend geschieht, dann bleibtman, wie ich glaube, nur dann wahrhaftig, wenn man auf der anderen Seite auch realisierbare Mittel und Wege aufzeigt, um solche zusätzlichen Anforderungen zu decken, ohne den Gesamtrahmen, der uns gegeben worden ist, zu sprengen.Ich möchte abschließend sagen, daß jedenfalls das eine Wort, das uns der Bundeskanzler wiederholt gegeben hat, wahrgemacht worden ist, daß nämlich dieser Haushalt kein Haushalt der Wahlgeschenke sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat in seiner Rede unter anderem auch eine Gesamtschau über die Fortentwicklung ideologischer Grundsätze der Vergangenheit aus der CDU-Perspektive versucht. Es ist zumindest problematisch, ob eine Haushaltsdebatte geeignet ist, ideologische Auseinandersetzungen der Vergangenheit eingehend zu erörtern. Ich bin der Meinung, daß sich die Haushaltsdebatte mit den harten Tatsachen der Gegenwart und der nahen Zukunft zu befassen hat. Das ist der Sinn meiner Wortmeldung. Meine Freunde und ich halten es nach der Grundsatzdebatte am heutigen Vormittag und nach der Stellungnahme der verschiedenen Mitglieder des Bundeskabinetts für erforderlich, auf einige Schwerpunkte hinzuweisen, die nach unserer Überzeugung für die Haushaltsgestaltung des kommenden Jahres von besonderer Bedeutung sind.Einer dieser Schwerpunkte ist die Verkehrspolitik. Wir sind dem Herrn Bundesfinanzminister dafür dankbar, daß er in seiner Etatrede und in seinen Ausführungen am heutigen Nachmittag auf diesen Schwerpunkt hingewiesen hat. Damit wird endlich ein Kapitel der Haushalts- und Finanzpolitik abgeschlossen, in der die Vorrangigkeit verkehrspolitischer Maßnahmen zumindest stark umstritten war.
Aber die Feststellung des Schwerpunktes allein hilft uns nicht weiter, genausowenig wie Leistungsziffern aus der Vergangenheit.Für uns kommt es darauf an, Klarheit darüber zu schaffen, welche finanziellen Konsequenzen zu ziehen notwendig ist, um die gegenwärtigen und die auf uns zukommenden Verkehrsprobleme zu meistern. Und wenn wir ehrlich gegen uns selbst sind, wird es sich bei einer gewissenhaften Prüfung herausstellen, daß die Haushaltsansätze, wie sie heute vorliegen, der gegebenen Situation einfach nicht gerecht werden. — Gewiß, das Gesamtvolumen des Verkehrshaushaltes ist um etwa 9 % gestiegen, aber die über den Durchschnitt hinausgehende Erhöhung der Verkehrshaushaltsansätze ist doch keineswegs intuitiv und initiativ erfolgt, sondern beruht ganz schlicht auf der Automatik eines in seiner finanziellen Auswirkung verschlechterten Straßenbaufinanzierungsgesetzes.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6973
Dr. BleißWäre es bei der alten Sockelbildung geblieben, so wären alle zusätzlich vom Kraftverkehr aufgebrachten Mineralölsteuern voll in den Straßenbau gegangen. Nach dem neuen Gesetz aber wird mindestens die Hälfte der neu und zusätzlich aufkommenden Mineralölsteuer anderen Zwecken zugewandt. In dieser Hinsicht ist kein neuer Schwerpunkt gebildet, sondern der bisherige einem Schrumpfungsprozeß dadurch unterzogen worden, daß man den Sockel, anstatt ihn abzubauen, weiter ausweitet,
und das zu einem Zeitpunkt, in dem gerade der kommunale Straßenbau mit der ganzen Spannweite seiner Aufgaben und deren Finanzierung uns immer deutlicher bewußt wird.Der Bundestag hat vor vier Jahren die Einsetzung der Enquetekommission für Städtebau und Raumordnung beschlossen, damit, wie damals der Sprecher der CDU betonte, dem 4. Bundestag, ein aufbereitetes Material zur Verfügung steht, das zweckdienliche, finanziell vertretbare und rationale Maßnahmen ermöglicht". Genau darauf kommt es uns an.Der Bericht, ist seit einigen Monaten fertig. Er liegt praktisch als „geheime Kommandosache" bei der Bundesregierung. Warum, Herr Staatssekretär, wird dieser Bericht, der doch für alle Verkehrsteilnehmer, für die 24 000 kommunalen Verwaltungen von eminenter Bedeutung ist, nicht veröffentlicht? Muß das Parlament, muß die Öffentlichkeit so lange warten, bis das letzte Fachreferat seine Beratungen abgeschlossen hat? Das ist doch ein schlechter Stil der Behandlung des Parlaments.Vor etwa zwei Monaten hat das Bundesverkehrsministerium den Schleier etwas gelüftet und dabei konkret festgestellt, daß die Investitionen für den gesamten Straßenbau in den nächsten 25 bis 30 Jahren etwa 247 Milliarden DM betragen werden. Wenn ich das Bulletin richtig gelesen habe, sollen in den nächsten zehn Jahren für den Straßenbau 100 Milliarden DM ausgegeben und dem öffentlichen Nahverkehr 18 Milliarden DM zugeführt werden. Das bedeutet gegenüber dem heutigen Mittelansatz für den gesamten Straßenbau eine Erhöhung von bisher 6 Milliarden DM auf künftige 10 Milliarden DM, also eine Erhöhung um jährlich 4 Milliarden DM. Es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß künftig das Schwergewicht noch mehr als bisher beim kommunalen Straßenbau liegen wird, daß aber die Gemeinden diese Leistung einfach nicht aus eigener Kraft erbringen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Kollege Dr. Bleiß, ist Ihnen bekannt, daß die Ausstattung der Gemeinden mit Finanzmitteln vorwiegend eine Aufgabe der Länder ist?
Ja, zweifellos ist das bekannt. Wir haben uns öfter darüber unterhalten, ich werde in meinen Ausführungen noch darauf zurückkommen. Ich halte trotzdem gerade den kommunalen Straßenbau für eine igroße Gemeinschaftsaufgabe, die eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden erfordert.Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute mit dem letzten Haushalt der 4. Legislaturperiode, und wir hätten von der Bundesregierung erwartet, daß sie bei der Einbringung dieses Haushalts zu idem komplexen Problem des innerstädtischen Straßenbaus Stellung nimmt und ihre Vorstellungen entwickelt, welche zusätzlichen Mittel sie 1965 für diesen Zweck bereitzustellen gedenkt.
— Ja, das Gutachten, das Sie kennen. Aber nun möchte ich Ihnen einmal eine ganz deutliche Antwort geben. Warum wird das Gutachten nicht veröffentlicht? Ich habe die Befürchtung, daß Sie den Enquete-Bericht so lange hinauszögern wollen, bis die Haushaltsberatungen abgeschlossen sind. Das ist meine große Sorge. Deshalb möchte ich heute noch einmal ausdrücklich Sie, Herr Staatssekretär Dr. Seiermann, bitten, dafür Sorge zu tragen, daß der Bericht endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wind.Anstatt also zusätzliche Haushaltsmittel schon in diesem Jahr für das Rechnungsjahr 1965 einzusetzen, müssen wir beim Studium des Einzelplanes 12 feststellen, daß die Zuschüsse für kommunale Baulastträger von 191 auf 178 Millionen DM herabgesetzt worden sind. Anstatt also den Gemeinden mehr zu geben, wie es dringend erforderlich wäre, haben Sie diese Mittel gekürzt. Wenn das die Konsequenz ist, die die Bundesregierung aus der Enquete zu ziehen beabsichtigt, dann sind wir zu der Feststellung gezwungen, daß eine solche Konsequenz absolut negativ ist, und daß sie 'die zwingende Notwendigkeit, den kommunalen Straßenbau — ich möchte das hier nochmals wiederholen — als echte Gemeinschaftsaufgabe zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu betrachten, einfach nicht erkannt hat. Denn es kommt darauf an, daß in diesem Bundestag und in diesem Haushaltsplan die Weichen gestellt werden; sonst verschleppen wir 'die Lösung um mindestens zwei Jahre.Lassen Sie mich nun zu einem anderen wesentlichen Punkt der Verkehrspolitik Stellung nehmen, zur Sanierung der Bundesbahn. Dieses Thema beschäftigt uns seit zehn Jahren. Wenn wir es heute wieder ,aufgreifen dann vor allem deshalb, weil wir verhindern wollen, daß die Entscheidung wiederum dem nächsten Bundestag zugeschoben wird. Deswegen hätten wir auch für die erste Lesung erwartet, daß die Bundesregierung ihre Stellungnahme zur Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen
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6974 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. BleißBund und Bundesbahn heute und hier vor dem Hohen Hause entwickelt.Die beiden großen ,Sondervermögen des Bundes, die Bundesbahn und die Bundespost, weisen mittlerweile in ihren Bilanzen eine Fremdverschuldung von mehr als 23 Milliarden DM aus mit einer jährlichen Zinslast von mehr als diner Milliarde DM. Allein in den letzten vier Jahren hat sich die Fremdverschuldung dieser beiden großen Sondervermögen des Bundes um 81/2 bis 9 Milliarden Mark erhöht. Der Herr Kollege Emde hat heute manches über die Klarheit des Haushalts .gesagt. Nun, ich bekenne mich zum Prinzip der Haushaltsklarheit. Aber ist denn alles wirklich so klar, wenn man die Sondervermögen in die Haushaltsbetrachtungen mit einbezieht?Hier wird häufig von Kapitalaufstockungen gesprochen, die in Wirklichkeit keine sind. Die Übernahme des Schuldendienstes bei Anleihen der Bundesbahn ist bilanzstrukturell noch keine Aufstokkung. Sie wird erst effektiv, wenn die Amortisation der Anleihen durch den Bund erfolgt ist. Die Sorge um die Abdeckung der Anleihen wird also künftigen Bundesfinanzministern zugeschoben.Ich befürchte, daß das Prinzip der Haushaltsklarheit und -wahrheit durch die schnell wachsende Fremdverschuldung der großen Bundesvermögen erheblich beeinträchtigt wird und daß wir, wenn die Bundesregierung mit dieser Methode fortfährt,. in kurzer Zeit vor einer in ihren Auswirkungen unübersehbaren Finanzkonstruktion stehen, daß hier — neben oder außerhalb des Haushalts — eine Riesenschuld anwächst, für die letzten Endes der Bund geradestehen muß.In dem vorliegenden Haushalt sind ohne ersichtlichen Grund die Zuwendungen an die Bundesbahn um 106 Millionen DM gekürzt worden. Der Herr Bundesfinanzminister hat heute nachmittag darauf hingewiesen, daß die Zuspitzung in der finanziellen Lage im wesentlichen nach der Etataufstellung eingetreten sei. Das rechtfertigt aber nicht die Kürzung dieser Mittel. Heute steht fest, daß die Bundesbahn Ende 1964 einen Verlust ausweisen wird, der weit über den Haushaltsansatz von 329 Millionen DM hinausgeht. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben für diesen Verlust einen Leertitel eingesetzt. Ich fürchte, daß die Forderungen des Bundes an die Bundesbahn nicht zur Deckung der wachsenden Verluste ausreichen werden. Der Bund wird also gezwungen sein, erhöhte Liquiditätsbeihilfen zu gewähren, wenn Kassenschwierigkeiten der Bundesbahn verhindert werden sollen. Denn es wäre völlig falsch, die Bundesbahn zu zwingen, ihren Investitionsplan zu kürzen und die dringend notwendige Modernisierung abzustoppen. Es erscheint uns vielmehr zwingend geboten, überall da, wo heute schon ein Auftragsstopp erfolgt oder beabsichtigt ist, die Bundesbahn in den Stand zu setzen, diesen Stopp wiederaufzuheben.Herr Bundesfinanzminister, Sie haben in Ihrer Etatrede zum Ausdruck gebracht, es müßten Wege gefunden werden, die es der Bundesbahn ermöglichen, ihre wirtschaftliche Lage zu meistern. Wir sind bereit, mit Ihnen solche Wege zu suchen und solche Möglichkeiten zu erarbeiten. Der Weg aber, der im Frühjahr dieses Jahres mit der Kontingentaufstockung für Lastkraftwagen beschritten wurde, war zweifellos nicht richtig. Der negative Erfolg dieser Maßnahme ist an den Erfolgszahlen der Bundesbahn abzulesen. Die Kontingentaufstockung hat die Bundesbahn in eine Kampfstellung gezwungen, sie hat die Wettbewerbsverhältnisse nicht entzerrt, sondern unübersichtlicher gemacht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Dr. Bleiß, würden Sie darunter auch die in Ihrem Fraktionsantrag vorgesehene Kanalisierung der Saar verstehen?
Ja. die Kanalisierung der Saar ist eine sehr wichtige Maßnahme, um die Saar auch für das sogenannte Europaschiff schiffbar zu machen.
Es hat gar keinen Zweck, die Saar in dem Zustand zu belassen, daß nur Schiffe mit 200 oder 250 t die Saar befahren können. Wenn wir schon einen solchen Wasserweg haben, sollte dieser Wasserweg so modern wie möglich sein.
Mich hätten die Auswirkungen ,auf die Deutsche Bundesbahn interessiert. Die Stellungnahme der DB, die doch Ihnen, Herr Dr. Bleiß, so gut bekannt ist wie mir.
Ich glaube, Sie verwechseln zweierlei Dinge. Das war damals die Stellungnahme zu dem Saar-Pfalz-Kanal.
Bekanntlich ist der Saar-Pfalz-Kanal nicht gebaut worden, weil inzwischen eine Tarifpauschalregelung erfolgt ist. Über die Bundesbahn wird man noch einmal sprechen müssen, wenn dieses Saar-Pfalz-Kanal-Projekt bei uns im Ausschuß zur Debatte ansteht. Ich meine aber: wenn wir Wasserstraßen haben, müssen wir eine vernünftige Tauchtiefe haben. Umgekehrt möchte ich Sie fragen: Wäre es denn wirklich wirtschaftlich, wenn 1300 t-Schiffe auf 200 t ableichtern müßten, nur um nachher die Saar weiter benutzen zu können? Das wäre doch verkehrspolitisch und auch wirtschaftspolitisch ein absoluter Unsinn.Die Maßnahme der Kontingentsaufstockung — ich möchte das noch einmal ausdrücklich betonen — hat für die Bundesbahn einen Verlust zur Folge, der auf 150 bis 400 Millionen zu beziffern ist.
— Wir werden uns darüber unterhalten. Ich glaube,daß auch die Bundesbahn Ihnen mit entsprechenden
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Dr. BleißZahlen dienen kann. Wir werden uns anläßlich der Behandlung und der Regelung der 'finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Bundesbahn, insbesondere bei der 'Beseitigung der Defizite, auf diese Maßnahmen noch einmal beziehen, und wir werden Ihnen dann auch mit Hilfe der Unterlagen der Bundesbahn den Nachweis dafür führen können, wie falsch die damaligen Maßnahmen waren. Was haben Tarifgeschenke an die Wirtschaft für einen Sinn, wenn sie der Steuerzahler durch ,den Verlustausgleich über den 'Haushalt nachher wieder bezahlen muß?Wir Sozialdemokraten setzen uns für eine niedrige Tarifrate ein, die nach den Selbstkosten ausgerichtet ist, das aber setzt voraus, daß endlich klare Verhältnisse zwischen den Verkehrsträgern geschaffen werden, und das bedeutet in der ersten Phase, daß wir uns über die Finanzstruktur der Bundesbahn noch während der Haushaltsberatungen die notwendige Klarheit verschaffen. Mit übereilten Maßnahmen wie Streckenstillegungen oder drastischen Beschränkungen .der Personenbeförderung kommen wir einfach keinen Schritt weiter. Sie sind im Augenblick nur geeignet, das Straßendilemma noch weiter zu vergrößern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum halten Sie die 'Stellungnahme der Bundesregierung zur, Regelung der finanziellen Beziehungen der Öffentlichkeit so lange vor? Wir müssen hier auf jeden Fall verhindern — das ist ein Anliegen der SPD-Fraktion —, daß auch diese Entscheidung wie- der in den nächsten Bundestag verschleppt wird. Wir meinen, daß die Sanierung der Bundesbahn in ihren Grundsätzen von diesem Bundestag noch beschlossen werden sollte.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Seeschifffahrt sagen. Der Herr Bundesfinanzminister hat heute wieder erklärt — wie er das schon vor dem Ausschuß getan hat —, daß er eine Förderung der deutschen 'Seeschiffahrt für dringend erforderlich halte. Bei anderer Gelegenheit hat er erklärt, daß man im Haushalt gewisse Leertitel dann verwende, wenn die Höhe der finanziellen Auswirkungen bestimmter Maßnahmen noch nicht genau feststehe. Nun, das gleiche haben wir bei der Seeschiffahrt vorliegen. Meine Frage geht also an den Herrn Bundesfinanzminister, warum er keinen Leertitel für das in der Vorbereitung befindliche Seeschifffahrts-Förderungsgesetz eingebracht hat, besonders nachdem auch der Bundesfinanzminister dieses Anliegen als ungewöhnlich dringlich herausgestellt hat.
Meine Damen und Herren, in der Gesamtschau gehen die Mittelansätze des Verkehrshaushalts über die durchschnittliche Wachstumsrate des Haushaltsvolumens hinaus. Das ist richtig. Aber damit ist noch kein echter Schwerpunkt für die immer dringender werdenden Verkehrsprobleme geschaffen. Wenn wir die Aufgaben, die uns Infrastruktur und Verkehrswirtschaft stellen, meistern wollen, dann müssen mehr Mittel für den Straßenbau, besonders für den kommunalen Straßenbau, dann müssen mehr Mittel für die Seeschiffahrt und für die großen Sondervermögen des Bundes bereitgestellt werden.
Die Bundesregierung ist uns bisher Aufklärung darüber schuldig geblieben, welche Vorstellungen sie für die Lösung der komplexen Aufgaben hat. Sie sollte das endlich tun. Wir haben noch Zeit bis zur Verabschiedung des Haushalts.
Die Unterlagen, die von Ihnen und auch vom Bundestag angefordert worden sind, sind nach gründlicher Untersuchung vieler Experten inzwischen erstellt. Sie liegen vor. Die Bundesregierung sollte sie nun endlich ohne jede weitere Verzögerung veröffentlichen, damit sich das Parlament entscheiden kann. Sonst laufen wir Gefahr, daß die Unzulänglichkeit der Verkehrsinvestitionen auch für 1965 zementiert bleibt, und wir würden im 5. Deutschen Bundestag wieder von vorn beginnen müssen. Das würde nach unserer Auffassung auf vielen Gebieten der Verkehrswirtschaft absolut unerträgliche Verhältnisse schaffen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Seiermann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich darauf beschränken, zu den zwei oder drei konkreten Fragen Stellung zu nehmen, die der Herr Abgeordnete Dr. Bleiß an mich als den Vertreter des dienstlich abwesenden Herrn Ministers gerichtet hat.Herr Dr. Bleiß hat zunächst die Frage der Veröffentlichung der Denkschrift des sogenannten Enquete-Ausschusses über die Lösung der Verkehrsprobleme der Gemeinden angeschnitten. Hier handelt es sich um einen Bericht, der im Auftrage dieses Hohen Hauses erstattet worden ist. Der Bericht ist am 20. August dem Bundesminister für Verkehr übergeben worden. Er ist gemäß dem Auftrag dieses Hohen Hauses mit einer Stellungnahme der Bundesregierung dem Parlament vorzulegen. Das Kabinett wird sich in seiner nächsten Sitzung mit einer Vorlage meines Ministers zu befassen haben. Es steht zu erwarten, daß unmittelbar darauf der Bericht im Wortlaut dem Hohen Hause mit einer, wenn auch erst vorläufigen Stellungnahme der Bundesregierung vorgelegt wird.
— Ja, er konnte im Haushaltsplan nicht berücksichtigt werden.Die Frage der Finanzierung dieser Aufgaben war dem Enquete-Ausschuß nicht gestellt. Wir waren gar nicht darauf eingestellt, daß der Enquete-Ausschuß sich auch zu der Frage der Finanzierung im einzelnen äußern würde. Das Bundeskabinett wird sich erstmals mit dieser Sache zu befassen haben.Was den sogenannten Eisenbahnbericht anlangt, so wissen Sie, daß es sich um einen Bericht handelt, den der Vorstand der Deutschen Bundesbahn auf Ersuchen der Bundesregierung dieser zu erstatten hatte. Es war aber von uns von vornherein vorgesehen, diesen Bericht mit einer Stellungnahme der Bundesregierung — sie schien uns von Anfang an
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6976 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Staatssekretär Dr. Seiermannnotwendig — zu veröffentlichen. Der Bericht wird, nachdem er in der nächsten Sitzung des Kabinetts ebenfalls zur Debatte steht, wohl unmittelbar darauf in erster Linie dem Parlament, nämlich dem Bundesrat und dem Bundestag, zugeleitet werden.Der Herr Abgeordnete Dr. Bleiß hat dann noch die Frage an mich gestellt, was ich zu den Tarifgeschenken der Bundesbahn mit Rücksicht auf die finanzielle Lage der Bundesbahn zu sagen hätte. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich Sie bitte, sich mit der Beantwortung dieser Frage zu gedulden, bis sich das Kabinett mit dem Bericht der Bundesbahn und der Vorlage meines Ministers befaßt hat.Zu der Frage schließlich nach dem Stand der Verhandlungen über die Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Bundesbahn darf ich sagen: Das ist eine der wesentlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Stellungnahme des Kabinetts zu den Vorschlägen der Bundesbahn zu behandeln sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Herrn Kollegen Dr. Bleiß richtig verstanden habe, macht er der Regierung und auch diesem Hohen Hause ein wenig den Vorwurf, die Fragen der Verkehrspolitik würden nicht ernst genug genommen. Ich möchte mich zu dieser Frage hier nicht äußern. Aber es wäre sicherlich sehr unklug gehandelt, wenn man etwa meinte, die Fragen der Verkehrspolitik seien mehr oder weniger eine Angelegenheit einiger Freunde in diesem Hause, die nichts Besseres zu tun haben. Man kann ja heute beinahe von einer Demokratie der Kraftfahrer sprechen und wird es in der Zukunft noch mehr tun müssen, so daß alle Fragen, die mit dem Problem der Motorisierung verbunden sind, heute nicht mehr nur eine kleine Schicht interessieren, sondern alle Schichten unserer Bevölkerung. So wird alles, was mit Straßenbau, innerstädtischen Verkehrsproblemen, Fragen der Raumordnung zusammenhängt, ein wachsendes politisches Interesse finden. Ich meine, gerade die Fragen der Verkehrspolitik sind auf dem Wege, ein Politikum erster Ordnung zu werden, und dem sollten wir Rechnung tragen.
— Sehr verehrter Herr Kollege Seifriz, auf diesen Zwischenruf will ich etwas sagen. Sie reißen die Probleme hier auf — Sie haben es auch durch Ihren Kollegen Dr. Bleiß getan —; aber Ihre ganze konstruktive Planung besteht eigentlich nur in der Forderung: Es muß mehr Geld her. Sie haben jedoch nicht ein einziges Mal einen Nachweis dafür erbracht, woher das Geld kommen soll, und mit dieser Frage müssen wir uns natürlich auch auseinandersetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben im Grunde zwei große Problemkreise im Zuge der Verkehrspolitik zu bewältigen. Der eine Fragenkomplex betrifft die Frage: Wie können wir unserer wachsenden Volkswirtschaft und der mehr und mehr in die EWG hineinwachsenden Volkswirtschaft einen Verkehrsapparat zur Verfügung stellen, der geeignet und in der Lage ist, zu den geringsten volkswirtschaftlichen Gesamtkosten ein qualitativ leistungsfähiges und vielgegliedertes Leistungsangebot zur Verfügung zu stellen. Diese Frage schließt auch alle Probleme des Wettbewerbs innerhalb der Verkehrswirtschaft ein, und das Gutachten, das jetzt von dem Vorstand der Bundesbahn der Bundesregierung vorgelegt worden ist und mit dem wir uns noch sehr eingehend werden beschäftigen müssen, ist meines Erachtens eben nur ein Bestandteil der Versuche, im Bereiche des Wettbewerbs des Verkehrs zu einer optimalen Lösung zu kommen. Ich sage durchaus nicht, daß wir uns diesen Vorschlägen anschließen müssen. Sie müssen geprüft werden, und wir werden uns auch mit ihnen auseinanderzusetzen haben. Aber wie schwierig die Probleme sind, erhellt daraus, daß wir bei der Lösung der Verkehrsprobleme auf der EWG-Ebene leider auch nicht vorankommen. Gestern erst hat wieder eine Sitzung der Verkehrsminister der sechs EWG-Mitgliedstaaten stattgefunden. Das Ergebnis ist nicht gerade ermutigend, weil außerordentlich große Interessenunterschiede ebenso zwischen den Verkehrsträgern wie zwischen den nationalen Regierungen bestehen und das ganze Problem eben sehr komplex ist.Der zweite große Themenkreis berührt alle Fragen, die mit der Motorisierung zusammenhängen. Auch hier handelt es sich meines Erachtens nicht mehr nur um verkehrspolitische Fragen, sondern es ist — ich möchte das sagen, obwohl einer meiner politischen Freunde eben noch zu mir meinte, das Wort sei etwas verpönt — tatsächlich ein großes gesellschaftspolitisches Anliegen, wie wir mit dieser Frage der Motorisierung fertig werden können, einer Erscheinung, die uns allen eine erfreuliche Ausweitung unseres Lebensraumes ermöglicht, die - aber auch — nicht nur mit den Unfallziffern und den Verstopfungen in den Städten, sondern auch mit den Abgasen und den Lärmbelästigungen — gleichzeitig zu einem Störungselement für unsere Zivilisation zu werden droht.Nun muß ich noch zunächst etwas zu dem Punkt 1, Wettbewerbsregelung, sagen. Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, so einfach können wir es uns nicht machen, daß wir nur sagen, in den letzten Jahren sei auf dem Gebiet der Sanierung der Bundesbahn und der Herstellung des Wettbewerbs nichts geschehen und das, was geschehen sei, habe die Situation verschlimmert. Ich darf zunächst nur darauf hinweisen, daß die Bundesbahn durch meines Erachtens sehr geschickte Instrumente in den letzten drei Jahren eine Kapitalaufstockung in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden DM erhalten hat. Wenn Sie einmal die Haushaltspläne durchsehen und dabei vor allem die Nachtragshaushaltspläne mit berücksichtigen, werden Sie feststellen, daß die Bundesbahn in wachsendem Maße Haushaltsmittel bekommt. Meine Sorge geht nicht dahin, daß wir der Bahn etwa zu-
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Dr. Müller-Hermannwenig zur Verfügung stellen, sondern daß wir nur immer Löcher stopfen, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen und der Bahn in einem langfristigen und zielstrebigen Programm eine gesunde wirtschaftliche Basis zu geben und damit den bei der Bahn tätigen Leuten das Gefühl zu vermitteln, daß sie mit ihrer Arbeit zugleich der Allgemeinheit einen lohnenden Dienst erweisen.
— Herr Kollege Bleiß, ich mache mich nicht anheischig, den Bericht des Bundesbahnvorstandes zu verteidigen. Es handelt sich hier natürlich — das muß immer wieder betont werden — um die Erfüllung eines Auftrags durch den Vorstand der Bundesbahn. Er hat seine Vorstellungen darüber entwickelt, wie er sich dine Bundesbahn vorstellt, die ausschließlich nach wirtschaftlichen Überlegungen arbeitet. Daß der Vorstand der Bundesbahn den Mut zu dieser Darstellung gehabt hat, wollen wir ihm mit einem Pluspunkt anrechnen. Aber natürlich Blind damit noch nicht alle Schlußfolgerungen gezogen, die die Politiker zu ziehen haben, die eben auch andere als rein wirtschaftliche Überlegungen mit berücksichtigen müssen, etwa Raumordnungs- und Strukturfragen. Aber — das ist ein Appell, den wir auch an uns selbst richten müssen — wir dürfen die technische Entwicklung, die sich auch im Bereich des Verkehrs vollzogen hat, nicht dadurch negieren, daß wir uns allein an die Bahn klammern und meinen, so wie vor 50 Jahren alle Probleme der Raumordnung und der Struktur nur mit Hilfe der Eisenbahn lösen zu können. Ich meine, es ist an der schlechten Finanzlage der Bundesbahn zum Teil der Umstand schuld, daß wir in der Verkehrspolitik, aber auch auf sonstigen Gebieten der Politik nicht überall die richtigen Konsequenzen aus der technischen Entwicklung gezogen haben.Ich finde, es war nicht ganz fair, Herr Kollege Dr. Bleiß, daß Sie Teile des Gutachtens des Vorstandes der Bundesbahn mit teilweise sogar falschen Darstellungen veröffentlicht haben. Dadurch und durch den Umstand, daß Sie den Eindruck hervorzurufen versuchten, es handele sich auch um die Meinung der Bundesregierung, haben Sie in der Öffentlichkeit völlig zu Unrecht Unruhe ausgelöst. Wir haben ja auch Kommunalwahlen vor der Tür.
— Herr Kollege Bleiß, ich bin in einer mißlichen Lage, über einen Bericht sprechen zu müssen, den ich nicht im Detail kenne und den ich mir nur in einigen Grundzügen von Herrn Bundesbahnpräsidenten Oeftering habe erläutern lassen, nachdem ich andere Informationen bisher nicht bekommen habe. Aber ich muß doch klarstellen, daß es sich hier um eine zur Zeit der Öffentlichkeit in vollem Umfang noch gar nicht bekannte Vorstellung des Vorstandes der Bundesbahn handelt, die wir zunächst prüfenmüssen. Das sollte meines Erachtens auch von seiten der Koalitionsparteien der Öffentlichkeit gegenüber klargestellt werden. Wir müssen bereit sein, auch im Bereich des Verkehrs umzudenken und den Kraftverkehr, die Binnenschiffahrt, Rohrleitungen und andere technische Möglichkeiten ebenso für das allgemeine Wohl zu nutzen wie die Einrichtungen der Bundesbahn. Wir werden aber bei all unseren Überlegungen Vorsorge treffen, daß auch die regionalen Anliegen nicht zu kurz kommen. Ich glaube, diese Erklärung kann man mit gutem Gewissen abgeben.Nun noch ein Weiteres zu dem Thema Bundesbahn und den Grundsatzfragen der Verkehrspolitik. Ich sagte, wir können uns nicht damit behelfen, weiter nur überall Löcher zu stopfen, wo sie auftreten, sondern wir brauchen eine Klärung des Verhältnisses zwischen der Bundesbahn und dem Eigentümer Bund, und jetzt bitte ich auch mal den Herrn Bundesfinanzminister, zuzuhören und mir einige Minuten Aufmerksamkeit zu schenken. Wir haben im Augenblick im Bundesbahngesetz die Verpflichtung des Bundes, entstehende Defizite auf den Bundeshaushalt zu übernehmen, eine Lösung, die natürlich nicht gerade dazu angetan ist, wenn sie nicht sehr genau überwacht wird, einen redlichen Wettbewerb im Verkehr zu pflegen. Wir wissen ja, Herr Kollege Dr. Bleiß, daß sich ein Teil der Vorwürfe von seiten der Wettbewerber der Bundesbahn gegen die Tarifsenkungsaktion dieses Sommers — dagegen wendet, daß die Bahn einerseits eine Tarifsenkung vornimmt und auf der anderen Seite am Jahresende und im nächsten Jahr mit noch größeren Anforderungen den Bundeshaushalt zusätzlich in Anspruch nimmt. Das ist natürlich auch gegenüber den Wettbewerbern der Bundesbahn sehr schwer zu vertreten. Aus diesem Grunde brauchen wir eine Instanz, die völlig klarstellt: Wofür ist die Leitung der Bundesbahn in eigener Zuständigkeit verantwortlich, und welche politischen Lasten können der Bahn nicht zugemutet werden und müssen ihr abgenommen werden?Ich glaube, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie diesen Mut aufbringen, sich endlich einmal dazu aufzuraffen, diese klaren Verantwortlichkeiten abzugrenzen, werden Sie im Effekt besser fahren als bei der heutigen globalen Übernahme von immer wieder neuen echten oder unechten Defiziten, die Sie unbesehen und ohne sie genau prüfen zu können, auf den Bundeshaushalt übernehmen müssen.
— Nein, Herr Kollege Dr. Bleiß. Ich finde, die Unterlagen, die uns die Brand-Kommission zur Verfügung gestellt hat, auch wenn sie zwischenzeitlich vielleicht etwas überholt sind, reichen durchaus aus, zwischen Bundesregierung und Bundesbahn diese Klärung der Verhältnisse vorzunehmen.
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Dr. Müller-HermannSelbstverständlich wird das ein Geben und Nehmen sein müssen, und nicht alle Wünsche der Bahn werden sich erfüllen lassen. Aber worauf es mir ankommt, ist, daß die Führung der Bahn eine ganz klare Verantwortlichkeit zu wirtschaftlichem Handeln hat und überall dort, wo politische oder soziale Argumente dafür stehen, daß von der Bundesbahn Leistungen verlangt werden, die mit kaufmännischer Geschäftsführung nicht zu vereinbaren sind, sie dafür einen Ausgleich erhält. Ich glaube, das ist ein gesundes Unterfangen, und das wird uns in die Lage versetzen, endlich die Bahn wieder zu einem wirtschaftlich gesunden Unternehmen zu machen. Selbstverständlich muß man sich einigen über einen Kontenrahmen der Bahn und eine sinnvolle Kostenzurechnung, vor allem über die Zurechnung der fixen Kosten, wenn man sie zwischen Güter- und Personenverkehr aufteilt. Aber das sind Dinge, die eben auf oberster Ebene ausgehandelt werden müssen. Das ist sehr schwierig, aber die Probleme sind lösbar und müssen jetzt mit aller Energie in Angriff genommen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Müller-Hermann, ist Ihnen bekannt, daß das uralte Forderungen der SPD sind? Schließen Sie sich diesen Forderungen nun an?
Das sind uralte Forderungen der Unionsparteien. Denn wir haben von Anfang an eine marktwirtschaftliche verkehrspolitische Konzeption entwickelt und zum Teil nur mit Mühe und Not — zum Teil gegen Ihren Willen — durchgesetzt.
Was Sie heute erklärt haben, Herr Dr. Bleiß, spricht dafür, daß Sie immer noch nicht erkannt haben, daß wir mit einer marktwirtschaftlichen Konzeption im Verkehr am besten zu Rande kommen. Sonst hätten Sie nicht als Argumente gegen die Bundesregierung die Kontingentsaufstockung und die Senkung der Beförderungsteuer im Werkverkehr vorgebracht. Sie gehen immer noch davon aus, wir müßten bei der Konkurrenz der Bahn künstliche Hindernisse zum Schutz der Bahn aufbauen, während wir der Meinung sind, daß gleiche Startbedingungen geschaffen werden müssen. Dazu gehört unter anderem, daß der Bahn die Lasten abgenommen werden, für die sie nicht verantwortlich ist. Aber dann muß die Bahn sich im Wettbewerb ebenso behaupten, wie es die privatwirtschaftliche Konkurrenz tun muß.
— Nein, wir sind gerade deshalb für einen geordneten Wettbewerb.
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Abgeordneter?
Herr Kollege Müller-Hermann, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man erst die Startbedingungen angleichen sollte, bevor man zu einem völlig freien Wettbewerb kommt? Ist nicht gerade Ihre Politik falsch, wenn Sie meinen: Wir machen freien Wettbewerb trotz völlig verzerrter Wettbewerbsbedingungen?
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, niemand spricht im Bereich des Verkehrs von einem völlig freien Wettbewerb. Wir haben einen Ordnungsrahmen. Der Ordnungsrahmen umfaßt drei große Postulate — das wissen Sie so gut wie wir — erstens eine Angleichung der Startbedingungen auf die wir zielstrebig zusteuern sollten. Auch wir meinen, die Regierung sollte uns vor allem einmal die Unterlagen zur Verfügung stellen, um die wir schon sehr lange bitten, damit wir Schlußfolgerungen ziehen können. Der zweite Fragenkomplex betrifft die Tarifpolitik. Niemand in diesem Hause spricht etwa von einer völlig freien Preisbildung im Verkehr; im Gegenteil. Sie wissen, daß wir ein System von Festtarifen und Margentarifen verfolgen und daß wir beabsichtigen, diesen Weg fortzusetzen. Drittens sind wir für eine Kapazitätsregelung dort, wo sie nötig und zweckmäßig ist. Aber diese Kapazitätsregelung, die praktisch nur im Straßenverkehr gilt, Herr Kollege Dr. Bleiß — und da scheinen sich unsere Ansichten eben zu unterscheiden —, ist unseres Erachtens nur ein Hilfsmittel dafür, daß in einem schwer überschaubaren Markt Angebot und Nachfrage durch staatliche Intervention annähernd ausgeglichen werden, um ruinöse Preisentwicklungen im Straßenverkehr zu vermeiden. Sie sehen in dieser Kapazitätsregelung aber offensichtlich nicht ein Mittel, um der Nachfrage entsprechen zu können, sondern ein Mittel, um Verkehr künstlich auf den Schienenweg zu lenken bzw. die Kapazitäten zu gering zu halten. Verteuerungen bleiben dann zwangsläufig nicht aus.
— Ja, das ist die Wahrheit, und das ist meine Darstellung der Dinge.Ich glaube aber, daß wir weiterkommen müssen. Ich möchte noch 2u dem zweiten Fragenkomplex, den Fragen Ides Straßenbaus und den Problemen dies innerstädtischen Verkehrs, ein paar Worte sagen. Sehr verehrter Herr Dr. Bleiß, das Dilemma und die Schwierigkeiten bei der Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme werden uns noch sehr lange beschäftigen müssen. Es handelt sich um Probleme, die nicht nur in der Bundesrepublik existieren, sondern in allen vergleichbaren Staaten. Ob Sie nach Rom, nach Paris oder nach London gehen, es gibt überall die gleichen Kalamitäten in Iden Großstädten, aber ,eben auch schon bis hinein in die kleineren Städte. Ich empfehle nicht nur Ihnen, sondern allen in diesem Hohen Hause, die Lektüre des Buchanan-Berichts, den eine im Auftrag der englischen Regierung eingesetzte Sachverständigenkommission zusammengestellt hat. Ich habe noch nicht das Vergnügen gehabt, den Bericht 'unserer Sachverständigenkommission zu lesen. Aber ich nehme an, daß er in ähnliche 'Gedankengänge einmündet.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6979
Dr. Müller-HermannIn den Städten entstehen also ganz außerordentlich schwierige Probleme, deren technische Meisterung sicherlich nicht einmal ein so schwieriges Problem sein wind wie die finanzielle Meisterung. Da muß ich nun aber vorweg etwas sagen, Herr Kollege Dr. Bleiß. Sie mögen die innerstädtische Verkehrsmisere monieren, soviel Sie wollen. Aber die Adresse des Bundes ist zumindest nicht die einzig richtige. Sie ,müssen sich mit ihrer Kritik zunächst einmal an die Gemeinden selbst und an die Länder wenden, die 'für die Gemeinden zuständig sind 'und die hier eine vorrangige Verantwortung tragen. Auch sollten wir an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß wir, was den Ausbau unseres Autobahn- und Fernstraßennetzes angeht, in Europa, ja in der Welt, mit Recht einen guten Eindruck machen. Da ist in den letzten Jahren wirklich Enormes geschehen, worauf wir stolz sein 'können. Wir sollten das nicht bagatellisieren und sollten nicht unsere eigenen Leistungen in den Schatten stellen.
— Ich werde gleich darauf eingehen, sehr verehrter Herr Kollege.Ich möchte jetzt einmal ganz eindeutig über die Finanzierungsfragen sprechen. Der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen, daß diese Enquete-Kommission den Auftrag .gehabt habe, nur die technischen Probleme aufzuzeigen und sich nicht zu 'den Finanzfragen zu äußern.
— Nun, ich meine, wir können es drehen, wie wir wollen; das Finanzierungsproblem wird das entscheidende Problem sein.Ich halte es auch für gut, daß die Kommission einmal einige Zahlen genannt hat, damit wir uns alle darüber im klaren sind, welche gigantische Aufgabe auf uns zukommt, die noch unsere besten geistigen Kräfte erfordern wird, um mit ihr fertig zu werden. Hier stellt sich mit Sicherheit für einen langen Zeitraum eine Aufgabe, die im Grunde einer Herausforderung für unsere ganze Generation gleichkommt.Die Kommission hat darauf hingewiesen, daß wir in den nächsten zehn Jahren einen Finanzbedarfvon etwa 10 Milliarden DM haben werden. Wir geben zur Zeit etwa 6 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden für den Straßenbau aus. Stellen wir jetzt einmal in Rechnung, daß die Mineralöl- und die Kraftfahrzeugsteuer durch den wach-. senden Trend der Motorisierung ohnehin eine Zunahme erfahren wird, dann können wir damit rechnen, daß eventuell ein Betrag von 500 Millionen bis 1 Mililarde DM zusätzlich zu den 6 Milliarden hinzukommt, so daß eine Lücke von 3 bis 3,5 Milliarden DM zu schließen wäre. Jetzt, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß und meine Damen und Herren von der Opposition, machen Sie es sich . meines Erachtens wirklich zu leicht, wenn Sie sagen, das Problem wäre mit einem Federstrich zu lösen, wenn wir nur die Zweckbindung der Mineralölsteuer praktizierten. Das ist eine Forderung, die auch in anderen Teilen der Öffentlichkeit mit Vorliebe gebraucht wird. Aber es ist eine Theorie, die eigentlich nur beweist, daß man nicht bereit ist, sich ernsthaft mit dem gestellten Problem zu beschäftigen. Denn diese Zweckbindung reißt, wenn Sie sie praktizieren, automatisch neue Löcher auf, und Sie müssen dann, wenn Sie diese Zweckbindungstheorie bis, zur letzten Konseqrenz verfolgen, immer hinzu- fügen, wie Sie die dann entstehenden Löcher im Bundeshaushalt stopfen wollen.
Aber Sie sind nicht bereit, an irgendeiner Stelle zu sagen: Wir können auf Ausgaben des Bundes in Zukunft verzichten.
Das ist doch das Problem, auf einen einfachen Nenner gebracht.Trotzdem bin ich der Meinung, wir können vor dieser Frage nicht resignieren.
— Ich komme darauf, sehr verehrter Herr Dr. Bleiß. Wir können davor nicht resignieren, und es gibt auch kein Patentrezept.
Andererseits sind die Probleme dringlich. Jede Verzögerung der Inangriffnahme der Bauten in den Städten vergrößert nicht nur unsere Verkehrsmisere, sondern sie verteuert wahrscheinlich im Endeffekt auch die Lösung. Ich persönlich bin der Meinung, alle Notlösungen verteuern wahrscheinlich die Endlösung. Bauen ist billiger als Warten. Auch hier kann ich nur auf den sehr interessanten Buchanan-Bericht verweisen, der sagt, die Lösung der Verkehrsprobleme hänge aufs engste mit der zukünftigen Architektur unserer Städte zusammen, die eben völlig neu angelegt werden müßten, nicht indem man alles niederreiße, aber indem man planmäßig über einen längeren Zeitraum auf eine verkehrsgerechte Stadt hinsteuere.Aber das kostet alles Geld, und nun fragen Sie: Müller-Hermann, wie wollen Sie das Finanzierungsproblem lösen? Ich wiederhole, ich habe kein Patentrezept zur Verfügung. Aber ,das eine meine ich: ohne zusätzliche Opfer und Leistungen auf allen Seiten ist 'das Problem nicht zu lösen. Das heißt, der Bund, die Länder und die Gemeinden werden sicherlich gewisse andere Aufgaben zurückstellen müssen, um der mit der Motorisierung gestellten Problematik zu Leibe rücken zu können. Aber wir werden auf die 'Dauer — ich sage das mit allem Mut als ein persönliches Bekenntnis — auch nicht daran vorbeikommen, diejenigen anzusprechen, die dann die Nutznießer von verkehrsgerechten Lösungen sein werden, und das sind in erster Linie die Kraftfahrer selbst.
Ich persönlich vertrete die Meinung, wenn heute ein Kraftfahrer weiß, daß er Zeit, Betriebs- und Verschleißkosten sowie Unfallfolgekosten spart, von der Nervenbeanspruchung ganz zu schweigen, dann
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6980 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. Müller-Hermannist er wahrscheinlich, wenn man ihn in der richtigen Weise anspricht und wenn man ihm das Äußerste an Leistungen der öffentlichen Hand demonstriert, auch bereit, seinerseits einen Obolus dazu beizutragen, daß die Verkehrsprobleme in den Städten endlich einer Lösung zugeführt werden. Er will dann aber auch mit Recht die Vorteile am eigenen Leibe und für seinen Geldbeutel spüren. Alles, was Sie hier an fixen Ideen vortragen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind blanke Theorien, die uns in der Praxis um keinen Schritt weiterführen, solange Sie vor den Fragen der Finanzierung den Kopf in den Sand stecken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte schön.
Herr Kollege Müller-Hermann, ist Ihrer Aussage zu entnehmen, daß Sie die Absicht haben, den Kraftfahrer steuerlich stärker zu belasten?
Ich wäre überfordert, sollte und wollte ich heute darlegen, was im einzelnen getan werden soll.
Ich sage aber, daß wir den Mut aufbringen müssen, 1 auch diejenigen, die die Nutznießer wirklich umfassender und durchgreifender langfristiger Maßnahmen auf dem Verkehrssektor sein wollen, anzusprechen, damit auch sie einen Beitrag leisten, um mit den Problemen fertig zu werden. Alles andere dürfte eine Fiktion sein, ob Sie es im Augenblick glauben wollen oder nicht. Wenn wir nicht andere Finanzierungsquellen erschließen können — und wir warten gerne noch auf konkrete und realistische Vorschläge der Opposition —, dann werden wir uns eines Tages auf allen Seiten dieses Hohen Hauses 7u diesem Mut durchringen müssen. Glauben Sie mir, nur mit Ihrer Zweckbindungstheorie locken Sie 'keinen Menschen mehr hinter dem Ofen hervor, weil jedermann weiß: Das ist blanke Theorie, aber keine Lösung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, noch zu den Verkehrsproblemen zu sprechen, die mein Kollege Emde heute morgen schon berührt hat.
— Das weiß ich nicht. Ich möchte ein paar grundsätzliche Fragen berühren, die uns sicher in den kommenden Monaten sehr beschäftigen werden; damit will ich nicht sagen, daß der Verkehr keine grundsätzliche Frage ist.Der Bundeshaushalt 1965 dient nicht nur nach der Meinung der Freien Demokraten, sondern auch der der Regierungskoalition gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die breit gestreutes Eigentum und die Erhaltung des Geldwertes verlangen, damit Selbständige und Unselbständige, kleine und große Betriebe eine möglichst gleiche Chance in der Entwicklung und in der sozialen Sicherung haben. Ich glaube, es ist gut, wenn man noch einmal daran erinnert, daß in diesem Bundeshaushalt 1965 finanzpolitische Bemühungen der Jahre seit 1961 zum Ausdruck kommen. Der Anstieg des Haushalts hält sich im Rahmen der Zuwachsrate des realen Sozialprodukts; das bedeutet, er fordert keinen höheren Anteil am Ertrag der Arbeit aller Staatsbürger gegenüber dem Vorjahr und steht außerdem wiederum im Dienst der Preisstabilisierung.Zugleich wird damit — das sollte nicht übersehen werden — der Empfehlung des Ministerrates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entsprochen, und es wird ein Beispiel für Länder und Gemeinden gegeben. Die Empfehlung des Ministerrates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollte für uns in Deutschland von einer besonderen Bedeutung sein, weil wir der Bundesregierung dafür dankbar sein müssen, daß sie mit so großer Energie diese Fragen in Brüssel im Frühjahr aufgegriffen hat. Wir sollten auch der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — in diesem Falle dem Vizepräsidenten Marjolin — dankbar sein für die energische Vertretung der Gedanken der Stabilität, die uns in Deutschland so teuer sind.Dieser Wirkung des Bundeshaushalts, die ich schilderte, kommt gerade jetzt eine besondere Bedeutung zu. In einigen der Reden der vergangenen Woche und wohl auch heute ist mitunter angeklungen, daß wir in der konjunkturpolitischen Entwicklung wohl über dem Berg seien. Ich glaube das nicht, sondern bin der Meinung, daß eine geschärfte Beobachtung am Platze ist. Wir können feststellen, daß wir erfolgreiche Bemühungen der Bundesregierung und der Notenbank hatten, aber dennoch nach einer höchsten Beanspruchung der Elastizität unserer Produktion schwierige Monate vor uns liegen. Es kommt darauf an, daß wir auch in den kommenden Monaten nicht den Weg der Stabilität verlassen.Dabei ist zu betonen — und das möchte ich noch einmal tun —, daß die Steuersenkung für viele Millionen von kleinen und mittleren Einkommen in der besonderen deutschen Situation konjunkturpolitisch richtig ist; sie ist auch kein Wahlgeschenk, sondern sie wurde bereits 1961 auf dem Bundesparteitag der Freien Demokraten angekündigt und von zwei FDP-Finanzministern in der Koalition in Angriff genommen und durchgeführt.In diesem Zusammenhang ist der Überblick über die finanziellen Möglichkeiten und ie Ausgabeverpflichtungen des Bundes in den nächsten Jahren von hohem Wert. Die FDP wird sich mit aller Kraft dafür einsetzen, daß nicht Wahlgeschenke von bestenfalls partieller Bedeutung den deutlich gezogenen Rahmen unserer finanz- und wirtschaftspolitischen Möglichkeiten übersteigen und einer gesunden Ent-
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Dr. Starkewicklung des Ganzen Abbruch tun. Ausdrücklich muß betont werden, daß diese durch den Haushalt bestätigte Finanzpolitik auch Voraussetzung ist für die nun energisch betriebene Finanzreform, die auch für die Gemeinden Klarheit bringen soll.Die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden werden im Jahre 1965 130 Milliarden DM übersteigen. Dieser gewaltige Betrag stellt ein Drittel des Sozialproduktes dar. Die Höhe dieses Betrages und sein Verhältnis zum Sozialprodukt wird ausreichen, um alle Aufgaben der öffentlichen Hand Schritt für Schritt und Jahr für Jahr zu erfüllen.Dem Bundesfinanzminister ist es trotz der Steuersenkung — und dafür gebührt ihm Dank — durch Schwerpunktbildung gelungen, so, wie wir es immer gefordert hatten, die Mittel für das Sozialwesen — die Übernahme des Kindergeldes auf die Staatskasse und dessen Erhöhung, die Neuordnung der Kriegsopferversorgung —, für das Straßenwesen, für das Bildungs- und Forschungswesen und für das Agrarwesen zu erhöhen.Wir möchten jetzt und für die Zukunft betonen, daß angesichts der Tatsache, daß wir die höchste Steuerbelastung in der westlichen Welt haben, nicht an eine Steuererhöhung gedacht werden kann. Auch die Opposition in Bonn wird endgültig von dem Gedanken Abstand nehmen müssen, daß man bei unserer Steuerbelastung Steuersenkungen für den kleinen Mann durch schärfere Besteuerung höherer Einkommen ausgleichen könnte, es sei denn, daß man es nur der Optik wegen sagt.
Auch wir messen den öffentlichen Ausgaben größte Bedeutung bei, nicht zuletzt— das wissen Sie — auf bildungspolitischem Gebiet. Wir verhehlen jedoch auch nicht, daß die private Vermögensbildung, von der so viel gesprochen wird, die Bildung von Eigentum in der Hand des Staatsbürgers, für uns von gleich hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung ist.
Wir Freien Demokraten haben eine hohe Achtung vor den Gemeinschaftsaufgaben der öffentlichen Hand und besonders auch bei Ländern und Gemeinden. Wir verweisen nur, wie ich schon sagte, auf unsere eigenen Vorstellungen und Vorschläge zur Kultur- und Bildungspolitik. Wir wehren uns aber angesichts des Ausmaßes der Steuerbelastung gegen Steuererhöhungen. 1963 stand einem Sozialprodukt von 376 Milliarden DM etwa ein Drittel der Summe als Ausgaben der öffentlichen Hand gegenüber. Diese Ausgaben waren gegenüber 1962 um 9 % gestiegen, das Sozialprodukt nur um 6 % und in konstanten Preisen sogar nur um 3 %. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir nicht übersehen.Wir sehen drei große Aufgaben für unseren Staat, die gleichgewichtig und unlösbar miteinander verknüft sind. Erstens die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben. Zweitens die Sicherung eines gleichmäßigen Wachstums der Wirtschaft und drittens die Bildung privaten Eigentums in möglichst breiten Schichten der Bevölkerung. Es nützt nichts, so möchte ich feststellen, heute über die schwierigeFinanzierung von öffentlichen Aufgaben und morgen über mangelnde Eigentumsbildung zu klagen. Es kommt darauf an, daß wir diese Aufgaben in ihrer inneren Abhängigkeit voneinander als Ganzes sehen und sie gemeinsam lösen. Nur dann werden wir Wohlstand und Freiheit auf die Dauer bewahren.
Diesem Ziel der Vermögensbildung dient diese Steuersenkung. Die Erhöhung der Sparquote in den privaten Haushalten, so möchte ich fortsetzen, auf 10 % im Jahre 1964 zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Wir Freien Demokraten sehen in einer breiten Eigentumsstreuung die Voraussetzung für eine gesunde demokratische Entwicklung. Es ist jetzt an mir, angesichts der Debatte, die sich hier — vielleicht nicht ganz im Zusammenhang miteinander — in der vergangenen und in dieser Woche ergeben hat, auf einige Grundsätze hinzuweisen, die wir Freien Demokraten daben vertreten. Voraussetzung für diese Eigentumsbildung ist zunächst einmal die Erhaltung des bestehenden Eigentums. Eine Umverteilung bestehenden Eigentums lehnen wir ab. Die Eigentumsbildung soll durch den Staat gefördert werden. Diese staatliche Förderung muß zum Ziele haben, erstens, daß die Sparfähigkeit und der Sparwille des einzelnen gestärkt werden, zweitens, daß jeder, der gefördert wird, eine eigene Sparleistung erbringt, also aus eigener Entscheidung und nicht gezwungenermaßen handelt, drittens, daß jeder ohne Rücksicht auf Beruf und Arbeitsplatz an der Förderung des Staates teilnehmen kann, so daß also Chancengleichheit besteht, viertens, daß durch die staatlichen Maßnahmen nicht Betriebe und Selbständige in Schwierigkeiten kommen, die ihrerseits selbst einen hohen Nachholbedarf an Eigentumsbildung haben, fünftens, daß die Funktion des Eigentums im und am Betrieb unangetastet bleibt, sechstens, daß keine Konzentration wirtschaftlicher Macht und, siebentens, auch nicht die von dem Bundeskanzler mit Recht erwähnte Aufspaltung der Kapitalmärkte stattfindet.Dementsprechend sollten: 1. keine Zuwendungen ohne eigene Sparleistung gewährt werden, 2. die Zuwendungen nicht zwangsmäßig, sondern freiwillig, auf Grund freiwilliger Leistungen erfolgen, 3. nicht gewisse Gruppen der Bevölkerung mit Staatsunterstützung privilegiert und andere von den Vergünstigungen ausgeschlossen werden, ohne daß die Abgrenzung überschaubar oder sozial begründet wäre, 4. nicht neue lohnbezogene Sozialleistungen gewährt werden, die eine zusätzliche Benachteiligung der lohnintensiven Betriebe vor allem kleineren und mittleren Umfangs darstellen.
Die Sparwilligkeit und Sparfähigkeit werden entscheidend von der Erhaltung des Geldwertes sowie von der Belastung mit Steuern und sozialen Abgaben beeinflußt. Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel erwähnen, das ich gern in den Akten des Bundestages und im Protokoll hätte, damit man einmal sieht, daß diese Dinge hier auch ausgesprochen worden sind. Auf ein Ehepaar ohne Kinder mit 600 DM Lohn oder Gehalt im Monat entfallen in 40 Jahren
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6982 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. Starkean direkten und indirekten Steuern und an Sozialabgaben einschließlich der Arbeitgeberbeiträge nach den Untersuchungen wissenschaftlicher Institute über 130 000 DM ohne Zins und Zinseszins. Daher unser Kampf gegen das Wachstum der öffentlichen Ausgaben und unsere Bemühungen um einen Umbau der Sozialversicherung in dem Sinne, daß der Wunsch nach gesteigerter sozialer Sicherheit mit dem Wunsch nach Eigentumsbildung in Einklang gebracht wird.
Auch das Zwangssparen versagt, wenn im Laufe des Zwangssparprozesses die freiwillige Ersparnisbildung eingeschränkt wird oder nach Aufhebung der Verfügungssperre die zwangsweise gebildeten Ersparnisse dem Verbrauch zugeführt werden. Ich möchte deshalb feststellen, daß nach unserer Auffassung die Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch erwünschte Vermögensbildung in einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die wir alle vertreten, auch beim Zwangssparen vom Sparwillen des Arbeitnehmers abhängt.
Genau das gleiche gälte für den sogenannten Investivlohn.Die Freien Demokraten sehen in den Sparprämien und den Bausparprämien die wirkungsvollsten Möglichkeiten, den Sparwillen des einzelnen anzuregen und seine Sparwilligkeit zu stärken. Ein Ausbau wird von uns angestrebt. Alle neuen Pläne zur Eigentumsbildung, die jetzt, wie Sie alle wissen, erörtert werden, uns aber hier nicht vorliegen, sind gewiß noch nicht spruchreif. Es kommt vor allem darauf an — das möchte ich heute festlegen —, daß ihre haushaltsmäßigen und volkswirtschaftlichen Kosten und ihre gesellschaftspolitischen Auswirkungen nach allen Seiten gründlich geprüft werden. So wie die Sozialenquete Auskunft geben soll und muß, welche Auswirkungen die Sozialgesetzgebung auf den Wirtschaftsablauf und die Struktur unserer Wirtschaft hat, so bedarf es auch auf dem Gebiete der Finanz- und Haushaltspolitik und der Vermögensbildung einer präzisen Zusammenschau, weil ein Nebeneinander oder gar ein Gegeneinander von Maßnahmen höchst nachteilige, wenn nicht sogar verhängnisvolle Auswirkungen auf die Stabilität des Geldwertes und des Wertes der Ersparnisse und damit auf die Struktur unserer Wirtschaft ergeben müßte.
1. Lassen Sie mich zunächst einmal die Haushaltsbelastungen betrachten, die sich aus den Sparprämien ergeben, die natürlich der Herr Finanzminister, den wir hier sorgenbedeckt sehen, noch viel genauer kennt als wir. Die Belastung beträgt nach den neuesten Unterlagen im Rechnungsjahr 1965 rund 1,5 Milliarden DM in allen Haushalten, im Rechnungsjahr 1968 rund 2 Milliarden DM. Gerade wenn wir Freien Demokraten diese Sparförderungsmaßnahmen nicht abbauen, sondern aufbauen wollen, müssen diese Belastungen von uns fest ins Auge gefaßt werden. Hier darf es kein Ausweichen geben auf andere Wege, die zu zusätzlichen und dann gewiß untragbaren Belastungen der öffentlichen Haushalte führen.
Sie wissen alle, was ich meine, wenn ich mich jetzt so ausdrücke, wie ich es hier tue.Bei Festlegung oder Auszahlung von 1,5 % der Lohnsumme für alle Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft zum Zwecke der Eigentumsbildung ergäbe sich nach überschlägigen Berechnungen, wie ich sie in der Eile nur anstellen konnte, eine jährliche Sparsumme von 2,28 Milliarden DM: 19 Millionen Arbeitnehmer und auf jeden Arbeitnehmer 120 DM — das sind 1,5 % von 8000 DM Durchschnittsverdienst —, das ergibt diese Summe von 2,28 Milliarden DM. Dadurch entsteht ein Steuerausfall bei Bund, Ländern und Gemeinden von 1,1 Milliarden DM, weil diese Beträge nicht mehr der Einkommensteuer unterliegen würden. Zusätzlich müssen für den öffentlichen Dienst etwa 360 Millionen DM im Jahr aufgewandt werden, zusammen also eine jährliche Belastung der öffentlichen Hand in Höhe von rund 1,5 Milliarden DM.Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, denken Sie bitte weiter mit mir! Würden diese Beträge prämiensparbegünstigt, so ergäbe sich nach einer Durchschnittsberechnung auf Grund der Annahme, daß zwei Drittel über die jetzige Sparsumme hinauskämen, eine zusätzliche Haushaltsbelastung von 450 Millionen DM im Jahr an Sparprämien, insgesamt also zusätzlich 2 Milliarden DM. Eine solche Überschlagsrechnung — und nur darauf kommt es uns heute einmal an — zeigt bereits, welch sorgfältige Überlegungen angestellt werden müssen. Es zeigt sich aber auch, daß im Prinzip die Förderung der Vermögensbildung über das Sparprämienwesen oder auch über Steuersenkungen, wie wir sie jetzt vornehmen, der Finanzierung der Vermögensbildung über die Wirtschaft auf der Grundlage der Lohnsumme mindestens rechnerisch auf keinen Fall unterlegen ist, ganz abgesehen von den erheblichen Vorteilen anderer Art. Denken Sie daran, daß diese Förderung unabhängig vom Arbeitsplatz geschieht, denken Sie daran, daß wir Freiwilligkeit haben, denken Sie daran, daß es keine Aufspaltung des Kapitalmarkts gibt, keine Konzentration wirtschaftlicher Macht und Chancengleichheit für jeden, gleichgültig wo ,er tätig ist und wo er steht.
— Sicherlich nach dem, was ich vorgetragen habe.— Sie werden das nachlesen können. Das ist natürlich genau überlegt.2. Meine sehr verehrten Damen und Herren, und das ist nun die Schlußfolgerung aus diesem Nebeneinanderstellen der Finanzierung der Vermögensbildung über die Wirtschaft auf Grund der Lohnsumme und über die Sparprämien oder über Steuersenkungen: Man kann den Weg über die Staatsfinanzierung gehen, wie z. B. beim Kindergeld oder bei den Sparprämien. Man kann den Weg der gemischten Finanzierung gehen, wie z. B. bei der Rentenversicherung mit Arbeitgeber- und Ar-
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Dr. Starkebeitnehmerbeiträgen und Staatszuschüssen von über 7 Milliarden DM. Man kann Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Anspruch nehmen wie bei der Krankenversicherung, oder man kann die Arbeitgeber, also die Wirtschaft, allein belasten wie bei der. beabsichtigten Neuregelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle oder auch wie bei den Plänen über eine Eigentumsbildung auf Grund der Lohnsumme. Alle diese Wege kann man gehen. Aber man darf nicht glauben, daß man — auf diese Tatsache lege ich ganz besonderen Wert — durch den Wechsel des Weges von einem Tag zum anderen die volkswirtschaftlichen Möglichkieten, die uns jeweils gegeben sind, überlisten kann.
Damit könnte man nämlich nur sich selbst und den Staatsbürger betrügen.Erhöhungen der Staatskosten machen Steuersenkungen unmöglich oder verlangen schließlich Steuererhöhungen. Eine Erhöhung der Belastungen des kleinen Mannes durch Beiträge — denken wir an die Rentenversicherung — vermindert seine Sparfähigkeit.
Eine Erhöhung der Belastungen der Wirtschaft stellt eine Kostenerhöhung dar; solche Erhöhungen treffen die Betriebe unter Umständen höchst unterschiedlich und werden, wenn sie neben Arbeitszeitverkürzungen und neben Einkommenssteigerungen stehen, zu Preiserhöhungen führen, wenn der Markt es zuläßt und wenn die Betriebe es brauchen, was man für die nächsten Jahre in weitgehendem Maße voraussetzen kann.Ein Auftrieb der Preise aus neuem Anlaß wäre in unserer Situation nicht nur unerwünscht, sondern verhängnisvoll. Er würde insbesondere die Preise von Erzeugnissen, die lohnintensiv sind, und die Preise von Dienstleistungen betreffen. Die öffentliche Beeinflussung oder die Bindung der Preise würde dann nichts helfen. Die Postgebühren sollten uns schrecken.
Will man nicht Subventionen zahlen oder die betreffenden Wirtschaftszweige auf eine gewisse Dauer ruinieren, so muß man in weiten Bereichen die höheren Preise hinnehmen.Das gilt neben der Verkehrswirtschaft und den Dienstleistungen vor allem auch für die Landwirtschaft und für die Bauwirtschaft. Ich möchte für die Freien Demokraten sagen, daß wir einen solchen Weg nicht gehen wollen, daß wir einen solchen Weg auch nicht im Bereich der Landwirtschaft zu gehen die Absicht haben.
Wir dürfen nicht übersehen, daß die Agrarpreise nicht nur eine Angelegenheit europäischer Natur, sondern auch eine Angelegenheit der Kostengestaltung sind.
Weil ich nicht hier sein konnte, habe ich mir sehr aufmerksam die Ausführungen der Frau Kollegin Strobel zu den Agrarproblemen in Europa durchgelesen. Ich muß wieder, wie schon einmal, sagen: Ich bin mit ihr nicht einer Meinung; ich sehe nicht den Weg. Denn diese EWG-Agrarpolitik kann uns in unseren handelspolitischen und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten gerade in der Bundesrepublik nicht helfen, wenn wir von dem Grundsatz ausgehen, daß in der EWG erst alles aufgezehrt sein muß, was dort angebaut wird. Das ist ein Problem, das wir immer vertieft besprechen müssen, und es ist lohnend, das zu tun. Denn davon hängen entscheidend die wirtschafts- und handelspolitischen Gegebenheiten für die Bundesrepublik und die Gegebenheiten für unsere deutsche Landwirtschaft ab.Es geht bei dieser Frage darum, ob wir eine weltoffene EWG oder eine introvertierte EWG haben wollen. Ich glaube, man kann es einmal so sehen — ich kann dieses Thema nur in zwei, drei Sätzen behandeln —: Die unglücklichste Lösung wäre es, wenn man diese schwierigen Fragen noch einmal unter dem Druck einer Art von Ultimatum behandeln müßte.
Wir können, glaube ich, dankbar sein, daß ein solcher Druck und eine solche Schwierigkeit durch ein Ultimatum in diesen Fragen nicht gegeben ist.Lassen Sie mich Ihnen noch eines sagen: Noch höhere Lasten der öffentlichen Hand könnten vom Staat her die Möglichkeiten des Staatsbürgers zur Vermögensbildung verringern. Vergessen wir nicht, daß wir in den von mir genannten Bereichen jährlich über 10 Milliarden DM aus den Kassen der öffentlichen Hand zahlen, um die steigenden Kosten nicht voll auf die Verbraucherpreise durchschlagen zu lassen. Auf der anderen Seite werden heute wohl schon mehr als die Hälfte der Lebenshaltungskosten des kleinen Mannes und der Familien mit Kindern von solchen Preisentwicklungen beeinflußt — auf Grund der Einkommenssteigerungen, die wir in den letzten Jahren hatten.3. Wir müssen besonders beachten, daß all diese von mir geäußerten Bedenken noch einmal zusammengefaßt werden müssen wegen der Wirkung, die neue lohnbezogene Lasten auf die lohnintensiven Betriebe der Wirtschaft, vor allem auf die kleinen und mittleren Betriebe, haben müssen.Wir Freien Demokraten haben — das möchte ich besonders betonen — gegen die Aufbringung des Kindergeldes durch die Betriebe gekämpft. Wir lehnen die Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach dem arbeitsrechtlichen Prinzip ab, das dem Arbeitnehmer ja nicht mehr als die versicherungsrechtliche Lösung gibt, aber den kleinen und mittleren Betrieben ein unkalkulierbares Risiko aufbürdet. Wir können deshalb auch nicht neue Lasten dulden, die in einem Bezugsverhältnis zu dem Anteil der Lohnkosten an den gesamten Betriebskosten stehen. Wir dürfen nicht vergessen, daß mit zunehmender Automatisierung und Mechanisierung der Anteil der lohnintensiven Betriebe an der Gesamtlast mindestens relativ ständig steigt. Die Gefahren
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6984 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Dr. Starkefür die Betriebe, aber auch für die Preise der lohnintensiven Erzeugnisse und die Preise von Dienstleistungen sind nicht zu übersehen. Der Einwand, daß Arbeitskraft eben teurer werde, ist richtig, aber es kommt darauf an, ob diese Arbeitskräfte mit dem, was sie erhalten, auch die gleiche Kaufkraft haben. Da geht es um das Problem der Geldentwertung, übrigens in diesem Zusammenhang ein Steckenpferd des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Marjolin.Wir müssen auch sagen, daß gerade deshalb das Kindergeld durch die Staatskasse übernommen worden ist und daß man gerade deshalb dem lohnintensiven Bergbau die alte Last aus der Unfallversicherung abgenommen und — übrigens sehr ungerecht — anderen, die auch lohnintensiv sind, auferlegt hat.Die lohnintensiven Betriebe, insbesondere die Mittel- und Kleinbetriebe, wollen einer gesunden und fortschrittlichen sozialen Entwicklung nicht im Wege stehen. Aber aus betrieblichen und staatspolitischen Gründen wird es nicht möglich sein, diese Entwicklung wie bisher über lohnbezogene Abgaben und Leistungen zu finanzieren. Solange hier kein neuer Weg beschritten wird— er ist mit Sicherheit bei objektiver Bemühung zu finden —, gibt es keinen wirklichen Fortschritt, der dem Ganzen diente.Dies sollte eine Reihe von Gedanken sein anläßlich der Einbringung des in vielfacher Beziehung so bedeutsamen Bundeshaushalts 1965. Sie sollen uns anregen zur gründlichen Überlegung, und sie sollen warnen vor einseitigen Betrachtungen und voreiligen oder gar wahltaktischen Entscheidungen.
Unsere volkswirtschaftlichen Möglichkeiten sind sehr groß, aber wir können sie nicht ohne Schaden für unser Volk überfordern. Sonst gehen wir einen Weg in die Instabilität, einen Weg in die Geldentwertung, einen Weg, der unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht garantieren kann und nicht garantieren würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Heiland.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es würde sich lohnen, sich mit den Ausführungen ides Herrn Dr. Starke länger auseinanderzusetzen. Ich glaube, man wird sie lesen müssen. Ich möchte nur noch etwas Grundsätzliches dazu sagen.Herr Dr. Starke, Sie haben im Zusammenhang mit der Vermögensbildung und -verteilung davon gesprochen, daß die FDP ,einer neuen Vermögensverteilung kritisch oder ablehnend gegenüberstehe. Nun list eine Vermögensverteilung überhaupt nur aus dem Sozialprodukt möglich, und das Sozialprodukt hat, ganz gleich, ob es 100 oder 150 oder 200 Milliarden sind, eine konstante, Größe: es ist ein Kuchen. Ob unser Sozialprodukt auf alle, die es erarbeiten, gerecht verteilt wird, ob eine Vermögensbildung möglich ist, wird davon abhängen, ob man ,den Mut hat, denen, die wirklich dieses Sozialprodukt mit erarbeiten, nämlich idem Teil „Arbeit", einen genau so gerechten Anspruch und Anteil zu geben wie dem Teil „Kapital". Sie werden, wenn Sie neues Vermögen auch in Arbeiterhand bilden wollen, den Mut zu einer Umverteilung haben müssen, oder Sie gehen an idem Problem vorbei.
— Leistung?! Sind Sie der Meinung, daß ein einzelner Großindustrieller, der nach dieser Währungsreform ein Vermögen von mehr als 2 Milliarden DM neu erworben hat, das nur durch Leistung und Fleiß erworben hat? Oder ist es der Fleiß des ganzen Volkes gewesen, der durch eine falsche .gesellschaftliche Struktur unseres Bundes ein solches Vermögen in einer einzelnen Hand möglich gemacht hat?
Ich möchte jetzt noch etwas zu einer Frage von Herrn Dr. Starke sagen. Herr Dr. Starke sagte, er wünsche, daß z. B. bei der EWG nicht mehr unter Druck verhandelt werden müsse. Ich weiß nicht, ab er die neueste Erklärung von Herrn de Gaulle kennt, der eine Frist gesetzt hat: Bis zum 15. Dezember muß über den Getreidepreis eine Einigung erzielt sein, oder Frankreich geht aus der EWG heraus.
— Sie können sich zu Wort melden. — Wir sind also schon mitten darin.Nun möchte ich mich ganz kurz, vielleicht etwas feuilletonistisch, mit Herrn Dr. Albhammer auseinandersetzen. Ich weiß, daß es mittlerweile Geschichte ist, und das Buch ist auch schon grau vom Alter. Es sind die Anträge des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Als Sie vorhin das SPD-Programm von Godesberg zitierten und den Einwurf bekamen, Sie sollten das Ahlener Programm einmal nachlesen, haben Sie gesagt, das sei eine kleine Gruppe in der CDU gewesen. Nun habe ich hier aus idem ersten Landtag von Nordrhein-Westfalen vom 1947 die Anträge Drucksachen Nrn. 109 bis 114 zur Entflechtung von Bergbau, eisenschaffender und chemischer Großindustrie.
— Aus 1947, habe ich Ihnen ja gesagt.
— Nun seien Sie mal schön ruhig. Jetzt wird es nämlich interessant. Es stehen so schöne Sachen darin, daß ich sie Ihnen nicht vorenthalten wollte. Als Begründung zu diesen Anträgen heißt es:Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist denstaatlichen und sozialen Lebensinteressen des
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6985
Heilanddeutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das' Wohlergehen unseres Volkes sein.
Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.So geht das noch lange weiter. Herr Dr. Starke, für Sie ist auch noch eine schöne Stelle darin:Ebenso wichtig erscheint aber auch das grundsätzliche Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung am Ertrage.
Vielleicht interessiert es Sie noch, wer die Anträge unterschrieben hat: Dr. Adenauer, Gronowski, Arnold, Albers, Alef, Blank, Ernst Jöstingmeier, Ribel und Scheppmann.
— Ich habe ja gesagt, daß das eine etwas feuilletonistische Einlage ist. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Althammer nur sagen wollen: Zitieren können wir auch.
— Das weiß ich nicht. Sie haben ja auch nicht eine so lange Geschichte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Heiland, befürchten Sie nicht, daß Sie uns durch diese Zitate anregen, Ihre diversen Programme in der Nachkriegszeit hier einmal aufzublättern? Glauben Sie nicht, daß das etwas peinlicher wäre?
Ich glaube nicht, daß es peinlicher wird. Ich wollte nur gesagt haben: Das Ahlener Programm ist mindestens auch geschichtliche Tatsache. Ich habe vom Godesberger Programm nichts abzustreichen.
Und nun möchte ich mich mit den Dingen beschäftigen deretwegen ich mich eigentlich zu Wort gemeldet habe.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister und auch Herr Dr. Conring haben mit erhobenem Zeigefinger die Gemeinden und ihre Investitionspolitik angesprochen. Ich glaube, hierzu muß man einmal mit Zahlen Stellung nehmen. Ich habe mir die Zahlen sehr genau angesehen. Von 1948 bis 1962 sind auf dem gemeindlichen Sektor 50 Milliarden DM investiert worden, davon für Schulen 10 Milliarden DM gleich 20 %, für öffentliche Aufgaben, d. h. Straßenbeleuchtung, Kanalisation, Müllabfuhr, Müllverbrennung usw., 10 Milliarden DM gleich noch einmal 20 %, für den Straßenbau 15 Milliarden DM gleich 30 %, und jetzt kommt der Punkt, der immer so gern in die Kritik genommen wird: für Kulturbauten, bei denen die Gemeinden angeblich so verschwenderisch sind, 0,7 Milliarden DM gleich 1,5 %.
— Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Ich kann noch etwas dazu sagen. — Für Verwaltungsbauten sind 1,3 Milliarden DM gleich 2,5 %, für den Wohnungsbau 2,4 Milliarden DM gleich 4,8 % aus Steuermitteln der Gemeinden ausgegeben worden, für Gesundheit, Sport und Jugendpflege schließlich 7 %. Darin ist die Beseitigung der Kriegsschäden enthalten.
Wenn man die Dämpfung der Konjunktur von diesem Sektor aus erreichen will, dann müßte man auch sagen, was aus diesem Sektor gestrichen werden soll. Und wenn man schon von Eigentumsbildung spricht, dann möchte ich doch einmal auf das Schulwesen zu sprechen kommen. Ich bin der Meinung, daß das Schulwesen in unserem Lande heute noch notleidend ist, und wenn wir an das neunte und zehnte Schuljahr herangehen, dann werden wir noch erhebliche Investitionen in Schulbauten vornehmen müssen. Die beste Eigentumsbildung für einen Arbeiterjungen ist doch, daß man ihm eine gute Ausbildung mitgibt; denn dieses Eigentum kann ihm keiner mehr nehmen.
Sie müssen uns dann schon sagen, wo die Gemeinden so fürchterlich gesündigt haben. Im Straßenbau ist doch mittlerweile die Situation so geworden, daß relativ gute Straßen an die Gemeinden herangeführt sind — auf diesem Gebiet ist in den letzten Jahren durch Bund und Länder wirklich einiges getan worden, das soll gar nicht bestritten werden — und daß jetzt in den Gemeinden die Engpässe, die Flaschenhälse sind, wo der Verkehr erstickt, beseitigt werden, wofür die Gemeinden noch größere Anstrengungen machen müssen, als sie sie bisher gemacht haben. Das sind aber allein 30 % der Aufwendungen.
6986 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Heiland, halten Sie es für gerechtfertigt, daß in einer Stadt wie Ludwigshafen, für einen Theaterneubau 30 bis 40 Millionen DM ausgegeben werden, wenn gleichzeitig von derselben Gemeinde nur 20 Millionen für den Wohnungsneubau zur Verfügung gestellt werden?
Ich halte das für gerechtfertigt, und ich will Ihnen auch eine Begründung dafür geben. Wenn wir in einer Zeit der wirtschaftlichen Blüte nicht den Mut zu einer geistigen, einer kulturellen Leistung haben, dann sind wir ein Volk, das sich in einem wesentlichen Punkt von vornherein aufgibt.
Das ist ja nicht nur in Ludwigshafen der Fall. Schauen Sie sich das Theater hier in Bonn an, zu dem der Bund — mit ihrer Zustimmung — erhebliche Zuschüsse gegeben hat. Und ich halte das für richtig, weil ich auch der Meinung bin, daß dieses provinzielle Dorf ruhig geistig durch ein gutes Theater in der Zukunft ein wenig aufgemöbelt werden darf.
Ich bin also der Meinung, daß ein Land, das eine solche wirtschaftliche Leistung vollbracht hat, auch in kulturellen und geistigen Dingen nicht notleidend und unterentwickelt bleiben darf. Wenn man schon die Frage stellt, ob man ein Theater bauen soll — das ja nicht für ein Jahr gebaut wird, sondern für Jahrzehnte und, wenn wir in dieser Generation nicht dumm genug sind, uns wieder Kriege auf den Hals zu holen, vielleicht für Jahrhunderte gebaut wird —, dann soll man, wenn man sich für den Bau entscheidet, dafür sorgen, daß es vernünftig und so gebaut wird, daß es für alle Zeiten der Bevölkerung voll dienen kann.
Es gibt Leute, die immer dann den Finger heben, wenn von der öffentlichen Hand etwas getan wird. Ich komme jetzt gern auf das Marler Rathaus, weil es ja doch auf der Tagesordnung steht.
Wenn eine Stadt wie Marl, die auf der grünen Wiese gebaut und ihren Mittelpunkt neu geschaffen hat, ein Rathaus zu bauen hat, dann müssen ihre Verantwortlichen das auch zu Ende denken und dem Rechnung tragen, daß dieses Rathaus, wie ich vorhin sagte, nicht für dieses Jahr und nicht für das nächste Jahr gebaut wird, sondern daß es auf lange Zeit, wenn Sie wollen: für mehr als hundert Jahre der Bevölkerung dienen muß.
Man muß auch einmal den Mut haben, die Frage zu stellen: Sollen denn die Repräsentationen, die in der Baugeschichte aus unserer Zeit in kommende Jahrhunderte überliefert werden, nur Versicherungspaläste, nur Bankpaläste, nur Industriepaläste sein?
Oder soll die Demokratie nicht auch den Mut zu einer würdigen Repräsentation haben?
Ich denke nur daran, daß manche heute so laut kritisieren, die im „tausendjährigen Reich", als Bauten in viel sinnloserer Weise geschaffen wurden, keinen Mut hatten, einen Ton zu sagen.
Ich bin der Meinung, es muß auch von dieser Stelle aus einmal gesagt werden, daß die Gemeinden in der Tat seit 1945 eine ungeheure Leistung vollbracht haben
durch Tausende ehrenamtlicher Gemeindevertreter
und daß ,die Gemeinden ein Recht haben, sich dagegen zu wehren, wenn sie so angegriffen werden. Die Gemeinden sind schon beim Grundgesetz vergessen worden. Im kaiserlichen Deutschland hatten die Gemeinden ein Drittel des öffentlichen Finanzaufkommens zu ihrer Verfügung. Jetzt sind die Gemeinden unter 15 % abgesunken. Die Gemeinden haben ungeheure Leistungen vor sich, sie haben noch ungeheure Investitionsaufgaben zu erfüllen. Wenn aus Konjunkturgründen irgendwo gedämpft werden muß, darf man nicht immer nur den Finger bei den Gemeinden erheben. Dann sind Bund und Industrie genauso an der Reihe!
Das Wort hätte der Abgeordnete Dichgans, wenn er im Saale wäre. Er scheint aber nicht da zu sein. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, den Wahlkampf, der hier vom Kollegen Althammer bestritten wurde,
fortzusetzen.
— Sie werden das von mir nicht erleben. Auch wenn Sie mich reizen, werden Sie mich nicht davon abbringen, hier in aller Ruhe eine Sache zu vertreten, von der ich meine, daß sie ein gemeinsames Anliegen dieses Hauses ist.Der Herr Finanzminister hat beim Einbringen des Haushalts einige Bemerkungen über die Zonenrandgebiete gemacht und dabei gesagt, daß das Haus bzw. der Haushaltsausschuß aufgefordert sei, die Vorschläge des Bundesrats zu überprüfen und eventuell den alten Titel ohne Kürzungen wiederherzu-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6987
Hermsdorf
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6988 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
— Wir haben Sie durch unsere Initiativen gezwungen, auch gegen Entwürfe der Bundesregierung Verbesserungen vorzunehmen. Das ist doch der Tatbestand.
Drittens. Der Herr Bundeskanzler hat z. B. von den Leistungen der Rentenreform gesprochen.
Dabei übersah er, daß es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion war, die zuerst im April 1956 den Gesetzentwurf über die Rentenreform einbrachte, und daß erst dann, viele Wochen später, die Bundesregierung einen ähnlichen Entwurf vorlegte. Im übrigen gehörte damals — und das ist bedeutsam —, als es nämlich um die Dynamisierung der Renten ging, der heutige Bundeskanzler zu den Schwarzsehern.
Als Bundeswirtschaftsminister hat Herr Professor Erhard damals, als wir hier im Hause um die Dynamisierung der Renten rangen, auf einer Tagung in Köln von dem „Gift" der Rentendynamik gesprochen.
Seine düsteren Prognosen haben sich als falsch erwiesen.
— Wollen Sie etwa die Rentendynamik abschaffen?
Dann sagen Sie es, hier im Plenum!Auch heute noch gibt es im geltenden Recht viele Härten und Ungerechtigkeiten der Rentenversicherung. Jetzt hat die Bundesregierung endlich den von Herrn Dr. Adenauer schon für den Bundestagswahlkampf 1957 versprochenen Gesetzentwurf über die Beseitigung von Härten der Rentenreform vorgelegt.
— Jawohl, Herr Kollege, ich werde dazu einige wenige Bemerkungen machen. — Durch den Entwurf sollen zwar einige Härten beseitigt werden. Gleichzeitig würden aber durch diese Novelle — wie könnte es bei der Bundesregierung anders sein? — einige grobe Ungerechtigkeiten neu in das Rentenrecht eingefügt. Das ist der Tatbestand.
— Dazu werden sich vielleicht die Kollegen der FDP noch äußern.Viertens. Einen besonders kläglichen Anblick bietet das sogenannte Sozialpaket, von dem der Herr Bundesarbeitsminiser bekannlich einmal sagte: Wohl selten sind sozialpolitische Vorhaben der Bundesregierung so zielstrebig, intensiv und umfassend vorbereitet worden. Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, sich dem Wirrwarr der Änderungsvorschläge zum eigenen Entwurf, den Beratungen von Experten der Regierungsparteien, den Sitzungen der Koalitionsfraktionen und den Gesprächen auf höchster Ebene im einzelnen zu widmen.
— Ich denke, der Entwurf war so eingehend, zielstrebig, intensiv vorbereitet?Ein Zitat soll die Situation kennzeichnen. „Die Welt" vom 5. Februar dieses Jahres:Bundeskanzler Ludwig Erhard, der an seinem Geburtstag nur kurz an der Fraktionssitzung der CDU/CSU teilnahm, forderte die Abgeordneten auf, in der Frage des Sozialpakets einig zu sein. Dies ist mein herzlichster Geburtstagswunsch, sagte der Bundeskanzler. Erhard bat die Abgeordneten, den Vorschlägen Blanks zuzustimmen. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, gab Erhard zu, aber wir müssen zu einer politischen Willensbildung kommen. Jetzt müssen wir das Herz in die Hand nehmen und über die Hürde springen.Die CDU-Fraktion beschloß es. Aber sie steht heute noch mit dme Herz in der Hand vor der Hürde.
Fünftens. Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers zur Sozialpolitik zeichnen sich leider häufig durch geringen Sachverstand, aber große Taktlosigkeit aus. Einige Beispiele hierfür. Auf dem Wirtschaftsbeirat der Union in München fielen aus seinem Munde die Worte von einer „überspitzten, fluchwürdigen Sozialpolitik". Auf einer Tagung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU in Hamburg erklärte Professor Erhard: Wie oft sind wir — CDU/CSU — sündig geworden in der Sozialpolitik!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6989
Dr. SchellenbergDie soziale Krankenversicherung nannte er eine Mammutbürokratie zur Verteilung von Hustenbonbons.
Der Bundeskanzler wandte sich vor der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände scharf gegen den Wegfall der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld. Er ließ sich in diesem Zusammenhang dazu verleiten, von einer Sozialpolitik zu sprechen — ich zitiere —, „die zu einer Enthumanisierung führt".
Nach der Koallitionsnovelle soll ine Einkommensgrenze für die Gewährung von Zweitkindergeld bei kinderreichen Familien entfallen. Im übrigen soll die Einkommensgrenze 'von 600 DM auf 650 DM monatlich festgesetzt werden.
Das ist wahrlich ein höchst bescheidener Schritt (in bezug (auf die Einkommensgrenze. Wir Sozialdemokraten werden — das möchte ich schon jetzt erklären — nicht Ruhe geben, bis die Einkommensgrenze und damit die Bedürftigkeitsprüfung bei der Kindergeldgewährung überhaupt abgeschafft sind.
— Im Haushaltsausschuß werden wir darüber beraten. Wir haben bei Einbringung unserer Vorlage erklärt, daß die Finanzfragen bei der Haushaltsberatung mit berücksichtigt werden sollen.
— (Darüber werden die Kollegen im Haushaltsausschuß und wir dann im Plenum beraten.
— Nach Ihrer Regelung würde — um es Ihnen zu sagen — der in Ausbildung stehende Jugendliche eines alleinstehenden Millionärs 40 DM monatlich bekommen, aber wenn es sich um einen Jugendlichen handelt, dessen Vater und Mutter ein niedriges Einkommen haben, würde Ausbildungshilfe nicht gewährt werden. So wohldurchdacht ist Ihre Konzeption!
Das sind die Fakten in bezug auf „soziale Investitionen".
Herr Professor Schellenberg, Herr Dr. Wuermeling möchte gerne eine Frage stellen.
Ja, bitte!
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6990 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Herr Kollege Schellenberg, darf ich fragen, ob man aus Ihren eben gemachten Ausführungen schließen muß, daß Sie für Einkommensgrenzen beim Kindergeld sind?
Herr Dr. Wuermeling, Sie wissen doch aus Ihrer früheren Tätigkeit, welche intensiven Bemühungen von den Sozialdemokraten unternommen wurden, um Kindergeld ohne Einkommensgrenzen zu gewahren. Sie selbst haben sich doch — auch in der Öffentlichkeit — gegen Einkommensgrenzen beim Kindergeld ausgesprochen und sie als eine Form von Armenfürsorge bezeichnet. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß Kindergeld ohne Einkommensgrenzen gewährt werden muß.
Das haben wir immer gefordert. Wir sind weiter der Auffassung, daß im Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Lage über das Kindergeld hinaus ein wohlausgewogenes System für die weitere Ausbildungsförderung bis zur Universität usw. geschaffen werden muß. Diese Auffassung hat Niederschlag in unserem Gesetzentwurf gefunden. Er ist ein sinnvoller nächster Schritt zur Ausbildungsförderung. Was Sie von der Koalition heute vorlegten, ist aber leider nicht sehr sinnvoll. Gewiß ein Schritt, aber kein wohldurchdachter Schritt. Aber die Dinge werden wir bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe behandeln.
Herr Professor Schellenberg, Herr Dr. Wuermeling möchte noch eine Frage stellen.
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen bekannt, daß dieses Ausbildungsgeld als Bestandteil der Kindergeldgesetzgebung gewährt werden soll, und ich habe Sie richtig verstanden, daß Sie sich bei diesem Teil der Kindergeldgesetzgebung für eine Einkommensgrenze aussprechen?
Herr Dr. Wuermeling, Sie haben offenbar, obwohl Sie früher Familienminister waren, den Gesetzentwurf der Sozialdemokraten über Ausbildungsförderung von 1962 noch nicht einmal gelesen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Schellenberg, daß Ihre Länder — ich nenne jetzt nur einige, weil ich sie in meinen Notizen haben — Hessen und Bremen,
dann aber auch andere wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erklären, daß dieser Entwurf verfassungswidrig sei, daß sie nicht auf den Boden Ihres Vorschlages träten?
Hochverehrte Frau Kollegin, Sie sind im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen tätig. Warum haben Sie nicht alle Anstrengungen gemeinsam mit uns unternommen, um zu einer sinnvollen Beratung des seit zwei Jahren vorliegenden SPD-Gesetzentwurfes zur Ausbildungsförderung zu kommen?
Herr Professor Schellenberg, gestatten Sie eine weitere Frage der Frau Kollegin?
Meine Damen und Herren, ich bedauere sehr,
daß die wichtigen Fragen der Sozialpolitik erst zu
einer so späten Stunde behandelt werden können.
Es sind noch eine Reihe von Damen und Herren auf der Rednerliste. Ich möchte deshalb, zumal wir auf Grund unserer Initiative in der nächsten Sitzungswoche unseren
Gesetzentwurf über die Verbesserung des Kindergeldes zusammen mit Ihrem heute eingebrachten Gesetzentwurf behandeln, meinen, daß es ratsam ist, dann alle Fragen die mit dieser Materie zusammenhängen, zu erörtern.
Dann liegt auch ihr Gesetzentwurf jedem Mitglied des Hauses vor. Leider kennen die Kollegen meiner Fraktion ihren Gesetzentwurf noch nicht.
Herr Professor, darf die Frau Kollegin ihre Frage stellen?
Ich habe der Frau Kollegin gesagt, daß die Probleme der Ausbildungsförderung in der nächsten Sitzungswoche im Zusam-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6991
Dr. Schellenbergmenhang mit ihrem Gesetzentwurf und unserem Gesetzentwurf ausführlich behandelt werden.
— Ich komme auf Sie gleich noch zu sprechen, Herr Barzel.
Achtens. Seit 1953 hat die Bundesregierung immer wieder zugesagt, eine umfassende Sozialreform durchzuführen. Der frühere Bundeskanzler, Herr Dr. Adenauer, erklärte einmal: „Für mich ist die Sozialreform das innenpolitische Thema Nr. 1 schlechthin." Keine der bisherigen Bundesregierungen hat ihre großartigen Ankündigungen verwirklichen können. Die Mehrheit in diesem Hause war zu einer sinnvollen sozialpolitischen Konzeption unfähig.
— Ich will Ihnen aber eine Perspektive geben —
Sicherlich wird die Bundesregierung oder werden die Regierungsparteien oder Teile der Regierungsparteien jetzt in der letzten Runde dieser Legislaturperiode den Versuch unternehmen, noch dieses oder jenes sozialpolitisch zustande zu bringen. Eine grundlegende Sozialreform kann das schon aus zeitlichen Gründen kaum noch werden. Auch in dieser Haushaltsdebatte waren von Sprechern der Regierungsparteien, auch von Ihnen, Herr Dr. Barzel, schöne Worte über den sozialen Rechtsstaat zu hören.
Aber die Erkenntnis der letzten Jahre ist die:
Wer vom Grundsatz her gesehen nach den Grenzen des sozialen Rechtsstaates Ausschau hält, der bringt sich um die Fähigkeit und den Willen, aus dem Reichtum unserer industriellen Gesellschaft eine soziale Ordnung für morgen zu gestalten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß mir einigen Zwang antun,
aber ich will mich bemühen, die Debatte um einen so bedeutsamen Teilaspekt der deutschen Politik, wie ihn die Sozialpolitik darstellt, wieder auf den notwendigen Ernst zurückzuführen.
— Herr Mommer, ohne überheblich zu sein, glaube ich, größere Erfolge erreicht zu haben, als Sie jemals zu erreichen sich vornehmen können.
— Wie es mit Ihrer Bildung bestellt ist, weiß ich nicht. Sie bemühen sich ja um die Forcierung dieser Dinge. Vielleicht fangen Sie bei sich einmal an.
Und nun wollen wir uns der Sozialpolitik zuwenwenden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die letzte Viertelstunde kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir hier in diesem Hohen Hause — ich will sogar sagen, daß auch Sie Ihre Verdienste daran haben;
das hat Ihnen Herr Schellenberg gerade selber vermiest —
— warten Sie ab —, daß wir in diesem Hohen Hause eine Sozialpolitik betrieben haben — —
— weil ich hier keine Heiterkeitsvorstellung geben wollte; die haben wir eben erlebt —
— eine Sozialpolitik betrieben haben, die Bewunderung in der ganzen Welt erregt.
Herr Schellenberg hat sich peinlichst gehütet, was er ansonsten immer tut, sich etwa mit dem Sozialbericht der Bundesregierung zu beschäftigen,
mit dem Sozialbericht, in dem ganz einfach dargelegt wird, wie die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Bundesrepublik sind. Und dann stellen wir nüchtern fest, das Bruttosozialprodukt ist6992 Deutscher .Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964Bundesminister Blankvon 286 Milliarden DM im Jahr 1960 auf 376 Milliarden DM bis 1963 gestiegen und wird mit Sicherheit in diesem Jahr die Summe von etwa 410 Mil-harden DM erreichen.
Dieses Wachstum ist erreicht worden ohne nennenswerte Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen, die von rund 26,5 Millionen im Jahr 1960 auf etwas über 27 Millionen gestiegen ist. Aber die Durchschnittslöhne — jedermann weiß, daß darin alle, auch die geringen Einkommen der Lehrlinge enthalten sind — sind von 509 DM
— das „gelogen" will ich überhört haben — im Jahre 1960 auf 652 DM 1963 gestiegen und werden 1964 die 700 DM-Grenze überschreiten.
Das ist nur eine nüchterne Feststellung! Die Lohnquote, das heißt der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit, hat 1963 mit 64,8 % den bisher höchsten Stand seit 1950 erreicht. Das ist ebenfalls eine nüchterne Feststellung.
Meine Damen und Herren, diese wenigen Grundtatsachen zeigen uns, daß wir jedenfalls in der wirtschaftlichen und in der sozialen Entwicklung ein außerordentlich erfolgreiches Jahr hinter uns haben.
Nun hat Herr Kollege Schellenberg gesagt, die Sozialleistungen seien in vielen Fällen durch die Initiative der SPD geschaffen worden. Gleichzeitig schreibt aber der SPD-Pressedienst, daß das, was wir hier gemacht haben, soziales Flickwerk sei.
Nun möchte ich der SPD allerdings ein wenig aus ihrer eigenen Verlegenheit helfen. Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, einmal dartun, wie Sie an diesem „sozialen Flickwerk" durch eigene Mitarbeit beteiligt sind. Sie werden über die Bilanz staunen.
— Sie müssen das schon einmal in Ruhe und Geduld anhören. Wir haben folgende Gesetzes verabschiedet: Erstens. Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft — ich kürze ab —: in diesem Hohen Hause einstimmig beschlossen. Ich wage nicht, vor diesem Hohen Hause zu sagen, das sei Flickwerk. Das scheint mir vielmehr eine sozialpolitische Maßnahme gewesen zu sein, die bei den Bauarbeitern heute noch in höchstem Ansehen steht.
— Es war eine Regierungsvorlage.
— Wenn es sich um eine SPD-Vorlage. handelt, werde ich das hier sogar vortragen. Ich will Ihnen ja helfen und Ihnen zeigen, daß Sie gar nicht so erfolglos sind, wie Herr Kollege Schellenberg das eben hingestellt hat.Wir haben zweitens verabschiedet das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung — ich kürze wieder ab —: einstimmig beschlossen. Ich nenne ferner das Vierte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung: mit großer Mehrheit beschlossen, SPD stimmt zu. Ich zähle ferner auf: Gesetz zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG: einstimmig beschlossen; Fünftes Änderungsgesetz zum AVAVG : einstimmig beschlossen; Gesetz zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes: einstimmig beschlossen;; Zweites Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Kindergeldgesetzes: mit Mehrheit beschlossen, SPD enthält sich der Stimme; Gesetz über die Gewährung von Kindergeld für zweite Kinder und die Errichtung einer Kindergeldkasse: mit großer Mehrheit beschlossen, SPD stimmt zu, und Gesetz vom 14. April 1964: einstimmig beschlossen.Ich hin noch nicht am Ende der Erfolgsbilanz, die ist viel größer, als Sie selbst gewußt haben. Es geht weiter: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Schutz der arbeitenden Jugend: mit Mehrheit beschlossen, SPD stimmt dagegen; Bundesurlaubsgesetz: ohne Gegenstimmen bei Stimmenthaltung der FDP angenommen; Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung icier Arbeitnehmer vom 12. Juli 1961: mit großer Mehrheit beschlossen, SPD stimmt zu.Aber es wird mit dem „sozialen Flickwerk" noch schlimmer, meine sehr verehrten Damen und Herren: Erstes Rentenanpassungsgesetz: SPD stimmt zu; Zweiteis Rentenanpassungsgesetz: SPD stimmt zu; Drittes Rentenanpassungsgesetz: SPD stimmt zu; Viertes Rentenanpassungsgesetz: einstimmig beschlossen; Fünftes Rentenanpassungsgesetz: ohne Stimmenthaltungen, zwei ,Gegenstimmen; Sechstes Rentenanpassungsgesetz: einstimmig beschlossen.Sie sehen, meine Damen und Herren, dieser Bundestag hat so furchtbar viel „soziales Flickwerk" gemacht, daß er bei seinen Vorhaben Einstimmigkeit gefunden hat. Ich kann den Bundestag zu dieser seiner Leistung von meinem Standpunkt aus nur aufrichtig und von Herzen 'beglückwünschen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6993
— Das hatte ich so erwartet, Herr Kollege Barzel.
— Aber, Herr Kollege Behrendt, ich beschäftige mich doch damit, um Sie ein wenig aufzumöbeln und aufzupolieren; (denn der Herr Schellenberg hat doch kein gutes Haar an Ihnen gelassen.
Ich bin noch nicht fertig. Die Bilanz ist sehr umfangreich. Gesetz zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte: Einstimmig beschlossen. Gesetz zur Änderung dieses Gesetzes: Einstimmig beschlossen. Erstes Knappschaftsrentenversicherungs-Änderungsgesetz: Mit großer Mehrheit beschlossen; SPD stimmt zu. Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz! Sie haben doch soeben behaupet, Herr Kollege Schellenberg, die Sozialreform sei nicht weitergegangen. Nun, wir haben Ihnen das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vorgelegt. Sie haben sich doch erstaunliche Mühe gegeben, durch Anhörung einer großen — —
— Ach, lassen Sie mich bitte ausreden; ich habe Sie vorhin auch nicht unterbrochen.
— Wir wollen uns hier mit gleichen Chancen auseinandersetzen.
Das heißt: Von der Regierungsbank war eine Frage nicht möglich, Herr Bundesminister. Die Chance haben Sie nicht genützt.
Weil das eben von der Regierungsbank aus nicht möglich ist, Herr Präsident, bin ich der Meinung, daß ich meine Rede hier auch in einem Fluß sollte vortragen dürfen, ohne sie unterbrechen zu lassen.
Das ist Ihr gutes Recht.
Vielen Dank.
Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz! Sie haben sich doch so große Mühe gegeben, unendlich viele Sachverständige anzuhören! Sie haben doch eine Reise nach Amerika gemacht, um dort die Verhältnisse zu prüfen, und Sie haben dann zu dieser Regierungsvorlage, die in ihren entscheidenden Punkten das brachte, was Sie und die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer wollten, nämlich das gleiche dynamisierte Rentenprinzip wie in der Alterssicherung für die Arbeiter und Angestellten, nachher schlicht und ergreifend — ich danke Ihnen sogar dafür, Herr Schellenberg — dank Ihrer guten Einsicht ja gesagt.
Wie Sie das gleiche nun wieder als sozialpolitisches Flickwerk deklarieren können,
das allerdings ist Ihre merkwürdige Bewußtseinsspaltung, in der Sie sich, seitdem Sie sich von früheren Programmen gelöst haben, seit einigen Jahren befinden.
Herr Kollege Schellenberg, ich bin noch gar nicht am Ende. Wir haben ein Zweites Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung einstimmig beschlossen. Wir haben ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Arbeiter im Krankheitsfall mit großer Mehrheit beschlossen. Die SPD stimmt zu. Wir haben für Kriegsopfer Gesetze einstimmig beschlossen.
— O nein, ich bin stolz darauf, in das Kriegsopferrecht, wenn auch nicht in vollem Umfang, den individuellen Schadensausgleich, nämlich den Berufs-schadensausgleich für die Beschädigten bis 50 % und für die Witwen, 'hineingebracht zu haben. Wir haben mit diesem Gesetz die „Reichseinheitswitwe" endgültig abgeschafft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben damals von der SPD zu dem Vermögensbildungsgesetz zwar gehört, sie stimme zu, aber sie kündigte an, daß sie sofort nach dem Zusammentreten des neuen Bundestages — das soll, wenn ich recht informiert bin, drei Jahre her sein — Gesetzentwürfe einreichen werde, um die gesellschaftspolitischen Mängel dieses Gesetzes zu beseitigen: „Wir werden ferner Gesetzentwürfe einreichen, um Voraussetzungen zu schaffen, deren Erfüllung einer wirksamen Veränderung der Vermögensverteilung dienen soll." Das sind markige Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Sozialreform — wenn Sie bei uns bemängeln, sie gehe nicht so recht vorwärts — scheint bei Ihnen nach dem Versprechen und nach dem, was Sie gehalten haben, nicht einmal begonnen zu haben.
Nun komme ich zum traurigsten Kapitel deutscher Sozialpolitik. Ich bin durchaus der Meinung, daß man über dieses oder jenes sozialpolitische Problem höchst unterschiedliche Auffassungen haben kann.
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6994 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister Blankl Ich bin auch durchaus der Meinung, daß man in bezug auf die Krankenversicherungsreform oder auf die Lohnfortzahlung unterschiedlicher Meinung sein kann. Aber ich bin nicht der Meinung, Herr Schellenberg, daß Sie als Ausschußvorsitzender das Recht haben, mit Ihrer Fraktion die Beratung eines Gesetzes zu erschweren, in dem Sie den Ausschuß verlassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Präsident, ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
— Wir wollen noch eine heitere Stunde haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Hohe Haus beschließt nach der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs Überweisung an einen Ausschuß. Der Ausschuß hat einen Auftrag dieses Parlamentes zu vollziehen — das wollen wir festhalten —, und der Ausschußvorsitzende ignoriert diesen Auftrag
— ganz gleich, wie er zum Gesetz steht — und verläßt den Ausschuß und erschwert die Beratung! Das, meine Damen und Herren, ist eine Unmöglichkeit.
— Sie können doch nicht bestreiten — —
— Frau Dr. Hubert, was die Regierung wollte, ist ganz klar.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Büttner?
Nein, Herr Präsident.
Das ist das gute Recht des Ministers.
Ich glaube nicht, daß Sie mir Peinlichkeit bereiten können.
Darf ich um etwas Ruhe für den Minister bitten.
Meine Damen und Herren, ich antworte Frau Dr. Hubert auf ihren Zwischenruf: Die Regierung wußte, was sie wollte.
Sie hat die Gesetzesvorlage ja gemacht; da steht es schwarz auf weiß, Buchstabe für Buchstabe. Aber es ist Aufgabe des Parlamentes, die Vorlage zu beraten, und es hat kein Ausschußvorsitzender das Recht, seine Geschäftsführung einfach beiseite zu legen
und den Auftrag des Parlaments nicht zu erfüllen. Das wollte ich festgestellt wissen.
— Ich kann doch nicht dafür, daß Sie eine Konzeptionslosigkeit haben.
— Oh, er war oft da, er hat sogar ganz genau Buch darüber geführt, wann er da war. Aber der Schellenberg, der hier beklagt, daß der gesellschaftspolitische Fortschritt, daß die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten in der Lohnfortzahlung noch nicht erfolgt sei, — der gleiche Schellenberg läuft, wie jedermann weiß, mit vorgehaltener Hand hier im Bundestag herum, um die FDP dergestalt zu trösten — ich weiß, sie hat den Trost gar nicht nötig —: Nein, nein, die SPD wolle ja diese Lohnfortzahlung auch nicht. Da sehen Sie, meine Damen und Herren wie sich gesellschaftspolitische Leitbilder zu verschieben beginnen, wenn man sich bestreben muß, in Wählerschichten vorzustoßen, bei denen man bisher kein Glück gehabt hat.
Wenn sich der gleiche Sprecher dann hierherstellt und beklagt, daß die Sozialreform keinen Fortgang nehme, dann muß ich das auf das zurückführen, was es ist: Das ist, Herr Schellenberg, eine Darstellung einer Sachlage, die Sie, maßgeblich Sie, zu verantworten haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben siebenmal zur rechten Zeit das Rentenanpassungsgesetz hier auf den Tisch gelegt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6995
Bundesminister BlankWir haben den deutschen Rentnern Jahr für Jahr gezeigt, daß wir unser Versprechen, sie an der allgemeinen Lohnentwicklung teilhaben zu lassen, sehr, sehr ernst nehmen,
und wir sind stolz darauf, daß die düsteren Prognosen, die um die finanzielle Sicherung der Rentenversicherung aufgestellt worden sind,
sich nicht als zutreffend erwiesen haben.
— Sie wissen ja gar nicht, ob ich nicht Sie zu meinen Freunden zähle. Seien Sie nicht so leichtfertig mit dieser Kennzeichnung! Ich habe Ihnen ja soeben schon aus der Verlegenheit geholfen und habe einiges wieder zusammengeleimt, was Ihr Freund Schellenberg auseinandergebrochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir halten unbedingt daran fest, daß die Sozialreform auch in den beiden Punkten: Krankenversicherung und Lohnfortzahlung durchgeführt wird, und ich will Ihnen sagen, warum.
— Ich weiß das sehr genau. Sie brauchen nur meinen Gesetzentwurf zu lesen.
— Ich wäre bereit, ihn zehnmal abzuändern, wenn ich nur in meinem Grundanliegen zurechtkomme; alles andere interessiert mich gar nicht.
— Die Torheit, zu glauben, man bekäme etwas umsonst, kann ich leider nicht mitmachen. Es gibt nichts umsonst, auch nicht im Bereich der Sozialversicherung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sowohl bei der CDU/CSU als auch bei der SPD gibt es Überlegungen, den Mutterschutz und die Sozialleistungen auf diesem Gebiet zu verbessern. Ich lasse dahingestellt, in welchem Umfange.
— Hören Sie mich doch bitte einen Augenblick an!— Jedermann ist sich darüber klar, daß, wenn man diesbezügliche Teile aus dem vorgelegten KVNG herauslöst oder wenn man sie auf andere Weise gesetzlich regelt, doch auch auf den Sozialversicherungsträger erhebliche Neubelastungen zukommen. Jedermann ist sich darüber klar, daß wir, um die berechtigten Wünsche nach einer neuen Gebührenordnung erfüllen zu können, zusätzliche Belastungen in Kauf nehmen müssen. Jedermann weiß, daß eine Reihe von Krankenversicherungen zur Zeit bei den Aufsichtsbehörden darum nachsuchen, die Genehmigung zu erhalten, ihren Beitragssatz auf über 11 % zu erhöhen.Jedermann weiß, daß wir uns alle miteinander schuldig machen, wenn wir nicht baldigst den Mut aufbringen, eine Entscheidung in den wesentlichsten Punkten des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes herbeizuführen.
Sie sollten also, Herr Schellenberg, nicht nach Mehrheiten suchen, mit denen Sie eine zweite Lesung verhindern können, sondern Sie sollten sich ernsthaft Ihres Auftrags bewußt sein und die Beratung des Gesetzes in Ihrem Ausschuß fördern.
Ich bin also durchaus davon überzeugt, daß es Ihnen möglich wäre, die dringendsten und schwerwiegendsten Probleme zufriedenstellend zu regeln.
— Ach, der Widerstand ist gar nicht groß. Nur muß man zunächst einmal im Beratungssaal bleiben, meine Herren! Außerhalb des Beratungssaales gibt es keine Beratungen einer Gesetzesvorlage.
Das werden Sie aus der Geschichte dieses Parlaments nicht auslöschen können — ich bedaure das —: daß man einen Auftrag des Plenums nicht ausführt.
Darf ich einen Augenblick unterbrechen. Herr Minister, die Angelegenheit, auf die Sie jetzt wiederholt zu sprechen gekommen sind, ist im Ältestenrat eingehend behandelt worden. Der Ältestenrat ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Verhalten des Herrn Abgeordneten Schellenberg als Vorsitzenden nicht zu beanstanden ist.
Ich glaube auch nicht, Herr Bundesminister, daß Anlaß ist, hier im Plenum Kritik an der Geschäftsführung des Vorsitzenden eines Ausschusses zu üben.
Herr Präsident, ich übe hier politische Kritik. Es ist mir sicherlich nicht verboten, Kritik daran zu üben,
daß die Beratung eines wichtigen Gesetzentwurfs keinen Fortgang findet. Denn die Sache selbst ist von größter Wichtigkeit und Dringlichkeit.
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6996 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964
Bundesminister BlankDas weiß jeder, der mit dieser Materie zu tun hat.
Wir werden unsere Sozialreform fortsetzen
und wir werden in Kürze auch ein Gesetz über die Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand vorlegen. Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen,
bei dem sich zeigen wird, ob Sie auf diesem Wege folgen können. Ich stehe nicht an, hier zu erklären, daß nunmehr die Zeit gekommen ist, die Vermögensverteilung in andere Bahnen zu lenken.
— Entschuldigen Sie mal, Herr Schäfer, wir haben schon vor Jahren das erste Gesetz vorgelegt. Daß es nicht die Effizienz gehabt hat, die wir gewünscht hätten, ist zu beklagen, und deswegen legen wir ein neues Gesetz vor. Wir legen ein Gesetz vor, das nicht etwa erworbenes Eigentum — wir lassen einmal ganz außer Betracht, unter welchen Verhältnissen und Voraussetzungen die Bildung in den schweren Jahren des Wiederaufbaus erfolgt ist —neu verteilen will, sondern nunmehr die Eigentumsverteilung in neue Kanäle lenken will. Dazu schweben uns eine Reihe konkreter Gedanken vor.Erstens. Ich halte es für unmöglich, die Sozialpartner, die die Verantwortung tragen für die Lohnfindung, die die Verantwortung tragen für den Inhalt der Arbeitsverträge, die die Verantwortung tragen für das Klima im Betrieb, von der lebendigen Mitgestaltung in dieser Frage auszuschließen.Zweitens. Ich bin nicht der Meinung, daß wir in irgendeiner Form anonymes Kollektiveigentum schaffen sollten, sondern wir sollten Anlagemöglichkeiten suchen, die es dem einzelnen erlauben, nach eigener Willensentscheidung zu bestimmen, wo diese Anlagen erfolgen sollen.Drittens bin ich der Meinung, daß wir das so erworbene Eigentum disponibler gestalten müssen, als das in Vorschlägen von Ihrer Seite bisher zum Ausdruck gekommen ist.Ich bin sicher, daß dieser Deutsche Bundestag, der, wie ich in meiner langen Bilanz dartun kann, im ganzen gesehen auf eine höchst erfreuliche und höchst erfolgreiche Sozialpolitik zurückblicken kann, auch die Kraft und den Willen hat, die noch ausstehenden Probleme zügig zu behandeln und sein Gesetzgebungswerk zu krönen mit einem modernen, zeitnahen Gesetz, das erst das bringt, was ich mir immer als die ideale Sozialpolitik vorgestellt habe — um sie in zwei oder drei Sätzen zusammengerafft darzustellen —: über einem ausreichenden, auf der Höhe der Zeit sich befindenden System solidarer sozialer Sicherungseinrichtungen, wie wir sie uns gebaut haben und die wir noch im Begriffe sind zu verbessern, eine neue, diese überhöhende Sozialpolitik, in der wir Raum geben für mehr Freiheit, für mehr Selbstverantwortung, für mehr Eigengestaltungswillen, in dem wir ein neues gesellschaftliches Gefüge schaffen, in dem auch der Arbeitnehmer durch Besitz von Vermögen, auch an Produktionsmitteln, in die Lage versetzt wird, endgültig das zu überwinden, was ihm an letzten Bedrängnissen vielleicht noch anhaften sollte.
Um eine solche Sozialpolitik zu formen, haben wir in diesem Deutschen Bundestag erhebliche Arbeit geleistet. Das ganze deutsche Volk ist diesem Bundestag Dank dafür schuldig, und, meine Damen und Herren, ich bin gewiß, daß wir — ohne uns unsere Leistung vermiesen zu lassen — auch die Kraft haben werden, noch die Probleme zu lösen, die ich eben angerissen habe. Ich habe das Vertrauen zu Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich kann die Rede, die wir eben vom Bundesarbeitsminister gehört haben, übergehen; sie scheint mir mehr eine Rede an seine eigenen Koalitionspartner gewesen zu sein, die sich nicht einigen können;
denn sie haben ja die Mehrheit und könnten bestimmen, wie vorgegangen werden soll. Bei dem Ereignis, daß uns keine Vorlage im Ausschuß gemacht und gleichzeitig erklärt wurde, die Regierungsvorlage gelte aber auch nicht mehr, Herr Minister, war ich zufällig selber als stellvertretendes Mitglied im Ausschuß anwesend.Ich möchte aber jetzt zu einer anderen Sache Stellung nehmen. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede vom dem „unerhörten Anstieg der Sozialleistungen" gesprochen. Betrachtet man alle Sozialleistungen des Bundes, der Länder und der Sozialversicherungsträger, dann muß man wohl sagen, daß die hohe Frühinvalidität diese Sozialleistungen mit verursacht, diese Frühinvalidität, die zugleich einem großen Teil unserer Bevölkerung eines gesunden Lebensabends beraubt.Eine Statistik der Ortskrankenkassen zeigt, daß unter tausend Mitgliedern im Jahre 1955 32 wegen Kreislaufleiden arbeitsunfähig wurden; 1961 waren es aber 53. Bei den Frauen waren es 1955 47,2, Jahre 1961 88,2. Hier muß doch mit dem Gesundheitszustand unserer Bevölkerung etwas nicht in Ordnung sein. Die Statistik der Todesursachen zeigt ein ähnliches Bild. Während 1951 auf 100 000 Einwohner 178,7 Todesfälle an Herzkrankheiten zu verzeichnen waren, waren es 1962 246,1. Die Sterbefälle durch sonstige Kreislauferkrankungen sind von 53,1 im Jahre 1951 auf 74,8 im Jahre 1962 gestiegen. Die Ursachen dieser Krankheiten, die meist Abnutzungserscheinungen darstellen, stehen heute weit an der
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Oktober 1964 6997
Frau Dr. HubertSpitze aller Todesursachen. Sie übersteigen die übrigen Krankheiten um das Drei- bis Vierfache, selbst Krankheiten wie bösartige Geschwülste noch um das Doppelte. Auch der Krebs hat seit 1951 von Jahr zu Jahr stetig zugenommen. 1951 kamen auf 100 000 Menschen noch 175 Krebsfälle, 1960 201 und 1962 205.20 % der Zugänge an Rentnern im Alter von 55 Jahren sind wegen Kreislauf- und Herzleiden erwerbsunfähig. Die Kurve steigt dann steil an, und zwar bis zu 45 % im Alter zwischen 60 und 65 Jahren. An einer solchen Situation kann man doch nicht vorübergehen, ohne sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen.Der Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede die Gesundheit der Bevölkerung mit keinem Wort erwähnt. Die Haushaltsmittel, die für diesen Zweck ausgegeben werden — und auch die in den vom Minister erwähnten Jahren „des rasanten Aufstiegs, in denen sich die Kassen füllten" —, stehen in keinem Verhältnis zu der Bedeutung, die der Erhaltung der Gesundheit zukommt. Es geht nicht nur um die Erhaltung der Produktivität unserer Wirtschaft, sondern es geht auch um den Menschen, um den Staatsbürger, dessen Gesundheit vor Gefahren zu schützen, Aufgabe von Staat und Gesellschaft ist. An dieser Pflicht kann auch die Bundesregierung nicht vorbeigehen. Sie hat das wohl auch mit der Schaffung eines Bundesgesundheitsministeriums selbst anerkannt. Nur sind in diesen drei Jahren, seit das Ministerium besteht, wenige Früchte gereift. Man ist im engen Ressortdenken steckengeblieben, und selbst auf dem speziellsten Gebiet dieses Ressorts, nämlich den Rechtsverordnungen zu den verschiedenen Gesetzen, wird die Geduld von Parlament und Staatsbürger oft auf eine harte Probe gestellt.Sie hatten wirklich zufällig Glück, Frau Dr. Schwarzhaupt, daß die technischen Richtlinien gerade noch zum Ende der Ferien erschienen sind, nachdem sie fünf Jahre überfällig waren. Sie haben die im Verhältnis zum Ausland hohe Säuglings- und Müttersterblichkeit nicht bestritten. Sie haben erklärt — und ich teile Ihre Ansicht —, daß eine wesentliche Ursache dieses bedauerlichen Zustandes der Mangel an Vorsorgeuntersuchungen ist, denn ohne diese bleibt auch der von Ihnen erwähnte und gewünschte Mütterpaß wirkungslos. Da Sie aber dieser Meinung sind, ist es doch von Ihnen und Ihrer Fraktion unverantwortlich, den von der SPD vorgelegten Entwurf eines Mutterschutzgesetzes 2 1/2 Jahre im Ausschuß liegenzulassen, nur weil Sie ein solches Gesetz nicht rechtzeitig fertiggebracht haben. Ihr Gesetz „enthielte den Mutterpaß", den Ihre Parteifreunde in Bayern abgelehnt haben. Ein dahin gehender Antrag Ihrer Fraktion im Ausschuß für Arbeit zu unserem Gesetzentwurf hätte sicher die Zustimmung meiner Freunde gefunden, und Sie hätten damit eine Mehrheit gehabt.Wenn Sie sagen, Ihr Entwurf sei systematischer, Frau Dr. Schwarzhaupt, so muß ich Ihnen erwidern, daß die Systematik der Entwürfe Ihres Hauses uns oft zu schaffen gemacht hat. Sie war nicht immer nützlich, und wir haben sie häufig ändern müssen.Verbesserungsvorschläge Ihrer Fraktionskollegen zu unserem Gesetz im Ausschuß hätten immer eine Mehrheit gefunden, da Sie die Mehrheit sind.Sie weisen darauf hin, daß es Kompetenzschwierigkeiten bei den Ländern gebe. Frau Dr. Schwarzhaupt, man soll nicht mit Steinen werfen, wenn man selber im Glashaus sitzt. Ihre Länder haben das Jugendzahnpflegegesetz genauso abgelehnt wie unsere Länder. Da gibt es nun einmal eine gemeinsame Front der Länder im eifersüchtigen Wachen über ihre Kompetenzen. Aber bei diesem Gesetz, Frau Dr. Schwarzhaupt, hätte man wenigstens den Schutz für die arbeitende Frau und Mutter rechtzeitig verbessern können;
denn da gibt es keinerlei Kompetenzstreitigkeiten. Nur weil Sie noch zum Schluß der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorlegen wollen, kann man doch nicht eine so bedeutungsvolle gesundheitspolitische Maßnahme verzögern.Schon 1954 hat unser damaliger Kollege Preller darauf hingewiesen, daß man den heutigen Volks- und Zivilisationskrankheiten nur mit rechtzeitiger Vorsorge begegnen kann. Das ist jetzt zehn Jahre her. Und was ist von Regierungsseite in dieser Beziehung geschehen? Zwei unvollkommene Gesetzesvorlagen zur Reform der sozialen Krankenversicherung, bei der der Sinn der Vorsorgeuntersuchung völlig mißverstanden worden ist. Nirgends wird überhaupt sichtbar, daß die Existenz des Gesundheitsministeriums eine Wirkung auf die Gesamtkonzeption der Innen- und der Sozialpolitik der Bundesregierung gehabt hat. Mit Beiräten zur Koordinierung von Gesundheit und Verkehr — weil die Verkehrsmedizin wieder im Verkehrsministerium ressortiert — ist es doch nicht getan.Wie steht es mit dem Einfluß auf Wohnungsbau und Raumordnung? Sind bei den Bundesbaugesetzen die Erfordernisse berücksichtigt worden, die für die Erhaltung der Gesundheit optimale Voraussetzungen schaffen? Auch die Koordinierung der gesundheitspolitischen Aufgaben beim zivilen Bevölkerungsschutz scheint mir nicht nur eine Aufgabe von Verteidigungs- und Innenministerium zu sein. Bundeswehreigene Krankenhäuser sollten in vernünftiger Weise in Friedenszeiten für den zivilen Bevölkerungsschutz genutzt werden.Langsam hat die Bundesregierung einsehen gelernt, daß sie trotz bestehender Kompetenzverteilung am Bildungsnotstand nicht vorübergehen kann, was wir schon seit Jahren erklärt und worauf wir hingewiesen haben. Den Bildungsfragen gleichrangig aber ist als Grundvoraussetzung für ein der Würde des Menschen entsprechendes, erfülltes Leben die Gesundheit. Man muß ihr fauch im Haushalt das notwendige Gewicht geben. In allen Teilen der Bundesrepublik müßten gleiche gesundheitliche Voraussetzungen geschaffen werden. Das bisher bestehende Gefälle, das z. B. an der unterschiedlichen Säuglingssterblichkeit in den Ländern sichtbar wird, darf nicht fortbestehen. Was auf kulturellem Ge-
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Frau Dr. Hubertbiet jetzt endlich möglich zu sein scheint, sollte in Zukunft auch auf dem Gebiet der Gesundheit gelten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Kollege Schellenberg hat zu Eingang seiner Ausführungen hier gewürdigt, daß sich die Leistungen auf sozialpolitischem Gebiet im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen können. Er hat allerdings bedauernd hinzugefügt, daß man leider, wenn man diese sozialen Leistungen durchleuchte, feststelle, daß din recht ansehnlicher Brocken auf die Kriegsfolgelasten komme und daß wir hier noch eine ganze Menge zu tun hätten, wenn wir bei einem internationalen echten Vergleich voll bestehen und vor allem an der Spitze marschieren wollten. In dieser Richtung lagen doch Ihre Ausführungen, Herr Kollege Schellenberg. Ich will dazu nicht in einer langen Rede Stellung nehmen, denn der Herr Bundesarbeitsminister Blank hat dazu das Seinige gesagt. Ich möchte nur darauf hinweisen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei — —
— Das ist in weiten Teilen auch das Meinige. Im übrigen ist es durchaus zulässig und sogar natürlich, daß in einer Koalition und sogar in einer Partei unterschiedliche Meinungen vorhanden sind. An der Stelle, die Herr Minister Blank hier vorgelesen hat, über das, was das Haus geleistet hat, gibt es überhaupt nichts zu deuteln; das ist absolut zu unterschreiben und auch das Meinige.
Aber, Herr Kollege Schellenberg, worauf ich hinaus will, ist folgendes, und das ist nicht so sehr an Sie gerichtet, sondern überhaupt an das ganze Haus und an die Öffentlichkeit. Die Schwierigkeiten, vor denen wir in Deutschland in der Sozialpolitik stehen, rühren daher, daß wir gegenüber vielen anderen Staaten in Europa eine völlig andere Ausgangsposition haben. Nicht jedes Land, mit dem wir uns vergleichen, hat zwei Kriege geführt, nicht jedes Land hat zwei Kriege verloren. Wir kommen eben um die Tatsache nicht herum, daß wir wegen dieser verlorenen Kriege und all ihrer Folgen hier Zusätzliches leisten müssen und daß deswegen nicht so irrsinnig viel für die traditionell gewachsenen sozialpolitischen Leistungen übrig bleibt. Es ist doch unbestritten, Herr Kollege Schellenberg und meine Damen und Herren von der SPD, daß wir in der freien Welt das Volk sind, das die höchste Steuer- und Abgabenbelastungen zu tragen hat.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, da Sie sagten, Sie teilten die Auffassungen des Bundesarbeitsministers fast vollständig, möchte ich Sie fragen, ob Sie auch die Auffassung teilen, daß es richtig ist, daß der von der Sozialdemokratischen Partei vorgelegte Entwurf zum Mutterschutzgesetz schon über ein Jahr lang bewußt nicht beraten wird. Da ich an den Minister die Frage nicht stellen konnte, richte ich sie an Sie.
Ich bin nicht Mitglied des Arbeitsausschusses und weiß deshalb nicht, wie die Dinge dort gelaufen sind. Ich möchte nur sagen: wenn die Fragen des Mutterschutzes im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz von der Regierung angesprochen worden sind, dann ist es durchaus verständlich, wenn der Minister und die ihn tragenden Parteien der Meinung sind, daß diese Materie nicht in einem Spezialgesetz, sondern, wenn es möglich ist, sinnvollerweise in diesem Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz zu regeln ist. Es ist nicht immer unbedingt etwas verloren, wenn man in dem zeitlichen Ablauf gewisse Pausen eintreten läßt. Denn oft wachsen einem — Ihnen wie uns — in solchen Pausen neue Erkenntnisse zu, die man dann verwerten kann. Es ist nicht immer ein Verlust, wenn eine Sache nicht jetzt, sondern erst in einem Jahr zur gesetzgeberischen Entscheidung kommt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Spitzmüller, meinen Sie nicht, daß man eine gesundheitspolitisch so wichtige Maßnahme wie die Verbesserung des Mutterschutzes vor zweieinhalb Jahren hätte durchführen sollen? Man hätte sie dann später immer noch in das Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz einbauen können.
Frau Kollegin Dr. Hubert, ich halte nicht sehr viel davon, ein Gesetz zu verabschieden, wenn man von vornherein glaubt, daß es in einem Jahr schon wieder geändert bzw. in einen anderen Gesetzgebungsbereich hineingestellt werden soll.
Bei der Betrachtung der sozialen Leistungen ist aber doch die veränderte Ausgangsposition das Entscheidende. Wir sind das mit Steuern und Abgaben am höchsten belastete Volk in der freien Welt. Das zeigt doch, daß wir uns anstrengen, mit dieser Steuer- und Abgalbenbelastung die Aufgaben, die uns auf allen Gebieten gestellt sind, zu lösen. Ihr Kollege Erler hat in der letzten Woche gesagt, daß die Steuerprogression — wenn ich das einmal abschweifend sagen darf — eigentlich höher sein sollte; statt 53 % sollte sie 58 % betragen. Ich glaube, daß die SPD hierbei übersieht, daß die 58 % heute schon erreicht sind. Wie wäre es nämlich, wenn im Zuge des angetretenen Marsches der SPD auf Rom hohe Einkommensbezieher der SPD auch wieder daran denken würden, ihre Kirchensteuer abzuführen, sofern sie das bisher nicht getan
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Spitzmüllerhaben? Dann haben sie nämlich zu den 53 % die 5,3 % 2u bezahlen, und damit sind sie bei 58,3 %.
— Nein! Schauen Sie, es ist eben so, daß Sie die Dinge auch hier manchmal nicht ganz klar darstellen, indem Sie nur von der Einkommensteuer sprechen und — bewußt oder unbewußt, das sei dahingestellt — nicht davon sprechen, daß zu dieser Einkommensteuer noch die 10 % Kirchensteuer kommen. Sie zu zahlen liegt zwar in der Entscheidung jedes einzelnen." Aber wir können doch nicht so tun, als ob nicht sehr viele die Kirchensteuer abführten. Wenn wir aber die Kirchensteuer noch dazurechnen, dann sind wir ganz eindeutig an der Spitze aller abgabenfreudigen Völker im freien Westen. Damit wird doch deutlich, daß wir auch versuchen, mit dem Höchstmaß des in einem freiheitlichen Staat noch Möglichen an die Aufgaben heranzugehen. Wenn die Sozialdemokratische Partei bedauerte, daß die Sozialpolitik zu so später Stunde an die Reihe kommt, dann kann ich nur sagen: das ist doch nicht Schuld der Regierung, nicht Schuld der FDP, nicht Schuld der CDU.
Die Frage der Rangfolge hat doch bei diesen Debatten weitgehend die Opposition in der Hand; denn so, wie sie die Redner wählt, muß die Regierung und muß auch die Koalition darauf reagieren. Das haben wir heute doch häufig erlebt, daß auf eine Rede eines Sprechers der SPD sofort ein Sprecher der Bundesregierung geantwortet hat.
— Aber doch, Herr Schäfer! Ich sage nur: wenn Sie hier bedauern, daß die Sozialpolitik so spät drankommt, dann ist dieses Bedauern kein echtes Bedauern; denn es lag in Ihrer Hand, mit dem zweiten oder dritten Sprecher Ihrer Fraktion die sozialpolitische Runde zu eröffnen. Ich will gar keinen Vorwurf gegen Sie aussprechen, sondern will nur sagen: Sie hatten es in der Hand, zu bestimmen, wie der Gang der Debatte bezüglich der Sozialpolitik laufen sollte.Ich muß nun eines sagen. Herr Kollege Schellenberg und die SPD haben hier mehrfach etwas in den Raum gestellt, was so klang, als ob die Mehrheit des Hauses nicht in der Lage gewesen wäre, zu einer sinnvollen sozialpolitischen Regelung zu kommen. Herr Kollege Schellenberg und meine Herren von der SPD, die große sozialpolitische Leistung der Mehrheit dieses Hauses war es doch, daß sie allen Widerwärtigkeiten zum Trotz an der sozialen Marktwirtschaft festgehalten hat und allen planwirtschaftlichen Vorstellungen ade sagte und auch in den schwierigsten Zeiten nicht bereit war, irgendwie zu planwirtschaftlichen Vorstellungen zurückzukehren oder sich ihnen zuzuwenden. Das hat doch erst die Möglichkeit geschaffen, daß wir vieles auf sozialpolitischem Gebiet erreichen konnten, und das wird die Möglichkeit eröffnen, daß wir auch in Zukunft weitere Schritte auf sozialpolitischem Gebiet gehen können.
Ich möchte meinen, daß wir doch sehr klar folgendes sehen müssen. Wenn im sozialpolitischen Bereich nicht mehr eine so hektische Eile festzustellen ist, wie es manchmal der Fall war, so rührt das doch daher, daß im Jahre 1957 ein recht kräftiger Schluck aus der Pulle genommen wurde, und zwar mit den Rentenneuregelungsgesetzen, die wir damals aus .den bekannten Gründen abgelehnt haben. Tatsache ist doch, daß bis heute diese jährliche Anpassung doch jedesmal wieder einen weiteren sozialpolitischen Fortschritt darstellt. Wir haben in diesem Bundestag die Unfallversicherungsneuregelungsgesetze als einen ganz großen Teil dieser Sozialreform verabschiedet. Wir haben das Kindergeld wesentlich verbessert, und es soll noch weiter ausgebaut werden. Das sind doch Leistungen, die sich durchaus sehen lassen können! Wenn hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, festzustellen ist, daß der Hauptschwerpunkt nicht bei der Sozialpolitik liegt, dann ist aber doch immerhin noch herauszustellen, daß dieser Bundestag seinen Haushalt im Gesamtvolumen in den vier Jahren um rund 19 % ansteigen ließ, daß die sozialen Leistungen in diesen vier Jahren aber um 39 % angestiegen sind. Das ist doch ein Zeichen dafür, daß die Sozialpolitik hier immer noch in doppeltem Schrittempo gegenüber dem Gesamtvolumen des Haushalts vorangekommen ist.Lassen Sie mich am Schluß ein Wort zur Begabtenförderung sagen. Es ist schon durch einige Zwischenfragen angeklungen. Der Weg, meine Damen und Herren von der SPD, den Sie zur Begabtenförderung vorgeschlagen hatten, ist nun einmal nicht gangbar, weil Sie auf Grund unserer verfassungsrechtlichen Situation nicht weiterkommen. Sie werden nun einen Vorschlag von der Koalition bekommen. Sie können sagen, die Anlage sei falsch. Ich glaube, die CDU und ,die FDP haben sich noch nie durchschlagenden Argumenten versagt. Aber ich möchte meinen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wenn die Koalition diese Lösung mit dem Ausbildungszuschlag im Rahmen der Kindergeldregelung entwickelt hat, dann ist das doch ein sichtbares Zeichen dafür, daß wir bereit sind, einen Weg zu gehen, auch wenn er zunächst nicht allen von uns so sehr sympatisch erscheint, weil der andere, der sinnvollere Weg, der in der Richtung liegt, wie Sie es durch Ihren Antrag angedeutet haben, durch die verfassungsrechtliche Situation nicht gangbar ist.Auf jeden Fall ist aber doch durch diese Tatsache bewiesen, daß diese Koalition sozialpolitisch nicht nur etwas geleistet hat, sondern im letzten
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SpitzmüllerJahre dieser Legislaturperiode auch diesen wichtigen Schritt tut.
— Herr Kollege Dr. Schäfer, was heißt: als Leistung bezeichnen, was bescheiden ist? Sie dürfen doch, Herr Dr. Schäfer, — —
— Herr Dr. Schäfer, mit einer Steigerung der Steuersätze um 5 % kommen Sie im Maximalfall auf Mehreinnahmen von 180 Millionen DM. Was können Sie damit an großen sozialen Mehrleistungen erbringen?
Ganz zu schweigen davon, ob diese Mehreinnahmen tatsächlich kommen, weil so und so viel Firmen vielleicht mit ihrem Sitz ins Ausland flüchten oder andere Dinge anstellen, wie wir es in England unter einer Labour-Regierung schon einmal nach dem letzten Weltkriege erlebt haben, wo die Wirtschaft nicht vorankam, weil die Steuersätze zu hoch waren. Lieber Herr Kollege Dr. Schäfer, unser Kollege Dr. Starke hat hier sehr klar zum Ausdruck gebracht, daß wir uns nichts in die Tasche lügen sollten, indem wir versuchen, mehr zu verteilen, als wir haben. Wir sind mit unseren Steuern und Abgaben an der Spitze.
— Bei den Großeinkommen sind wir nicht an der Spitze?
— Entschuldigen Sie, Herr Heiland, ich war im Moment etwas verwirrt. Ich hatte Sie so verstanden, wir wären bei den großen Einkommen nicht an der Spitze. Sie meinen: wir sind mit der Belastung der großen Einkommen nicht an der Spitze. Nun, das hat alles seine volkswirtschaftlichen Gründe,
die Sie durchaus erörtern können. Aber wir sind nun einmal in dieser Koalition der Meinung, daß dem Volksganzen und damit auch der Sozialpolitik mit dem Weg, den wir bisher gegangen sind, insgesamt gesehen, besser gedient ist. Denn wir können mit diesem oder jenem scheinbaren sozialpolitischen Pflästerchen nicht über die Gesamtsituation hinwegtäuschen. Die Gesamtsituation ist die, daß auf Grund der Politik der sozialen Marktwirtschaft, die von CDU und FDP 1949 gemeinsam eingeleitet worden ist, wir heute selbst nach den Worten des Kollegen Schellenberg uns mit unseren Sozialleistungen trotz zweier verlorener Kriege im internationalen Kriege im internationalen Bereich sehen lassen können, auch wenn Sie da und dort die Pointen etwas anders gesetzt haben wollen. Wir sind bereit, den Weg, den wir von 1949 an mit begonnen haben, fortzusetzen, um die Sicherung zu erhalten, die notwendig ist. Ich erinnere nur daran: Glauben Sie wirklich, daß es vielen in der deutschen Bevölkerung besser ginge, wenn Ihr Sozialplan für Deutschland des Jahres 1957 Wirklichkeit geworden wäre? Ich glaube es nicht!
Herr Abgeordneter Spitzmüller, Frau Abgeordnete Brauksiepe hätte gern noch eine Frage an Sie gerichtet. — Wollen Sie das nicht tun? — Ich bedauere.Ich komme auf den Vorwurf gegen den Herrn Abgeordneten Schellenberg in seiner Eigenschaft ,als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses zurück. Ich habe vorhin erklärt, der Ältestenrat habe diesen Vorgang geprüft und festgestellt, daß dem Herrn Abgeordneten Schellenberg kein Vorwurf zu machen sei. Der Kollege Rasner hat Bedenken gegen diese Feststellung. Ich habe mir die Protokolle geben lassen. Am 8. Oktober hat der Ältestenrat auf Antrag des Herrn Abgeordneten Wagner den Vorgang geprüft; er hatte erklärt, seine Fraktion sei der Auffassung, daß der Vorsitzende eines Ausschusses seinen Auftrag von der Geschäftsordnung her habe und bei Verlassen der Sitzung fair eine ordnungsgemäße Vertretung sorgen müsse. Diese Auffassung ist vom Ältestenrat bestätigt worden. Herr Dr. Schellenberg hat dann erklärt, er habe den Vorsitz aus politischen Gründen nicht weiterführen können; der 'stellvertretende Vorsitzende sei im Saal gewesen und habe zu erkennen gegeben, daß erden Vorsitz übernehmen werde, und er, Schellenberg, habe geglaubt, daß es nicht eines ausdrücklichen Ersuchens bedurft habe.Dann ist der Vorfall am 17. Oktober im Ältestenrat noch einmal aufgegriffen worden, und auf Veranlassung des Herrn Abgeordneten Mommer ist diesem Protokoll noch ein Absatz 3 beigefügt worden.Der amtierende Präsident hat abschließend testgestellt, daß das Verhalten des Abgeordneten Dr. Schellenberg im vorliegeden Fall den bisherigen Gepflogenheiten in den Ausschüssen entsprach. Dagegen hat ich Herr Abgeordneter Rasner gewandt und erklärt, er habe Bedenken, daß ein Ausschußvorsitzender oder auch der Präsident eine Verpflichtung von der Geschäftsordnung hier habe, seine Arbeit aus politischen Gründen einzustellen. Der Präsident des Bundestags hat dann abschließend erklärt, die Geschäftsordnung sei in diesem Punkt nicht ausgeschrieben, aber es gelte der Grundsatz, daß in den Ausschüssen in Analogie zu den Bestimmungen zu verfahren sei, die für den Präsidenten gelten, d. h. die Wahrnehmung der amtlichen Verpflichtung gehe dem eigenen politischen Verhalten vor. Wenn dich ein Ausschußvorsitzender nicht in der Lage sehe, den Vorsitz weiterzuführen, müsse er für die ordnungsgemäße Übergabe des Vorsitzes sorgen. Wenn das gewährleiset sei, könne er gehen, sonst sei die Sitzung aufgehoben.Es steht fest, daß die Sitzung von dem stellvertretenden Vorsitzenden — ich glaube, es war der Abgeordnete Horn — weitergeführt worden ist. Da-
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Vizepräsident Dr. Dehlermit 'ist diese Angelegenheit wohl hinreichend geklärt.
Als letzter Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Krümmer!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß noch einmal a& ein Thema zurückkommen, das heute wiederholt angesprochen worden ist, nämlich auf das Zonenrandgebiet, also auf ein Problem und eine Aufgabe, deren Lösung dazu beitragen wird, auf die Dauer die Echtheit unseres Willens zu beweisen, den Stacheldraht zu beseitigen. Nach allem, war mir über diese Verhältnisse bekanntgeworden ist, die jetzt im Zonenrandgebiet bestehen, glaube ich, daß wir allen Anlaß haben, zu fordern, daß es keine Egoismen der Ressorts untereinander oder zwischen Bund und Ländern in diesen Fragen geben darf.
Aber einen Gesichtspunkt, der meines Wissens bisher nicht so stark hervorgetreten ist, wie es nötig wäre, möchte ich ganz kurz mit einigen Worten ansprechen. Dabei gehe ich von der Grenzordnung aus, wie sie die SBZ gesetzlich festgelegt hat, deren Lektüre nach meiner Ansicht für jeden, der sich mit diesen Problemen beschäftigt, sehr zu empfehlen ist. Es kommt darauf an, daß in den Menschen, die drüben, jenseits dieses Stacheldrahtes, leben, nicht das Gefühl entsteht, wir könnten uns mit diesem Stacheldraht abfinden; denn die Lösung des Problems unserer Wiederzusammenführung kann nur dadurch geschehen, daß auch bei den Menschen drüben die feste Überzeugung bleibt, daß wir die Absicht zur Zusammenführung haben und daß ihre Überzeugung mit der unseren übereinstimmt.
Folgerung: Die wirtschaftlichen und die kulturellen Anlehnungen an das Gebiet der Bundesrepublik, das westlich an die Randgebiete angrenzt, diese Anlehnungen, die natürlich zu einem Teil unerläßlich sind, dürfen nicht weiter und nicht enger geführt wreden, als es unbedingt im Einzelfall unvermeidbar ist. Das Schwergewicht der ganzen Tätigkeit der Strukturierung muß an Ort und Stelle liegen, und zwar so dicht wie möglich an der Zonendemarkationslinie. Ich möchte nur wenige Beispiele dafür nennen, die zeigen, daß man das wohl nicht immer genügend gesehen hat. Es ist nicht gut, wenn in einer Kreisstadt dicht an der Zonenlinie der Personenverkehr durch die Bundesbahn langsam völlig eingestellt worden ist. Es ist nicht gut, wenn an anderer Stelle eine solche Stillegung des Personenverkehrs auf dem Bahnweg angedroht wird. Es ist notwendig, daß hier, wie mein Freund Dr. Emde schon zum Ausdruck gebracht hat, eine zusammenfassende Planung für Bahn, Post und andere Verkehrsmittel durchgeführt wird.
Das, was ich hier als wesentlich bezeichnen möchte, ist: Die Strukturbefestigung im Zonenrandgebiet soll so vorgenommen werden, daß sie unter keinen Umständen und an keiner Stelle als eine Abwendung von den Menschen jenseits des Stacheldrahts aufgefaßt werden kann. Es soll keine Fassade sein, die wir aufbauen, sondern es soll ein echtes Lebensbild der Bundesrepublik sein. Wir Freien Demokraten werden alle Mittel, die in vernünftiger Weise für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, befürworten und bewilligen.
Ich schließe die Aussprache.Das Haushaltsgesetz 1965 soll an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.Das ERP-Wirtschaftsplangesetz 1965 soll überwiesen werden an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes — federführend — und an den Haushaltsausschuß und den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt .Die Vorlage soll an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend — sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Tagesordnungspunkt 9:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes .Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.Tagesordnungspunkt 10:Beratung des Antrags der Abgeordneten Logemann, Wächter, Sander, Dr. Effertz und Genossen betr. zentrale Auszahlung der Qualitätsprämie für Milch durch den Bund .Der Antrag soll an den Ausschuß für 'Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an ,den Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Keine Bedenken; es ist so beschlossen.Tagesordnungspunkt 11:Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen .Die Vorlage soll dem Außenhandelsausschuß — federführend — sowie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Dehler Tagesordnungspunkt 13:Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirtschaftsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Festsetzung der Einzelheiten zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für Presseberufe (Drucksachen IV/2468, IV/2615).Es liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold vor. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort wird nicht gewünscht. Der Antrag des Ausschusses lautet dahin, von dem Vorschlag der Kommission Kenntnis zu nehmen. Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.Ich rufe auf Punkt 14:Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses über den vonder Bundesregierung zur Unterrichtung vor-gelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine vom Rat der EWG zu erlassende Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Umsatzsteuern .Es liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Dichgans vor, dem ich für seinen Bericht danke.Ich lasse abstimmen über den Antrag des Ausschusses Drucksache IV/2580 unter B. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Damit sind wir am Schluß der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, den 22. Oktober 1964, 14.30 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.