Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Glückwünsche zu Geburtstagen auszusprechen. Frau Alberts hat am 22. Juni ihren Geburtstag gefeiert,
Frau Wolff am selben Tage.
Der Abgeordnete Ruland ist am 23. Juni 60 Jahre alt geworden,
der Abgeordnete Holla am 24. Juni 73 Jahre.
Frau Dr. Brökelschen hatte ihren Geburtstag am 25. Juni
und Frau Dr. Dr. h. c. Lüders am selben Tage.
Ich spreche allen Jubilaren höheren und niedereren Altersgrades die Glückwünsche des Hauses aus.Zu Punkt 11 der Tagesordnung — Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Tierschutzgesetzes, Drucksachen 1539, zu 1539, 2869 — ist folgendes mitzuteilen: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll nicht in die zweite Beratung eingetreten werden, sondern der Gesetzentwurf _soll tauf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zurückverwiesen werden. Man hat mir gesagt, daß diese Zurückverweisung erst bei Aufruf von Punkt 11 erfolgen soll. Ich bin in das Geheimnis dieser Vereinbarung nicht eingedrungen. Wollen wir es nicht gleich jetzt machen?
— Niemand erhebt Widerspruch. Herr Abgeordneter Ritzel, Sie sind auch einverstanden?
— Ich nehme an, daß alles, was auf /der Tagesordnung steht, behandelt werden wird; darum steht es ja auf der Tagesordnung.
Dann unterstelle ich das Einverständnis des Hauses, daß der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung ,des Tierschutzgesetzes an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zurückverwiesen wird.Punkt 1 der Tagesordnung ist die Fragestunde. Die Fragen sind besonders zahlreich. Ehe ich die erste Frage aufrufe, möchte ich noch darauf hinweisen, daß jeder der drei Tage, die uns zur Verfügung stehen, nur 24 Stunden hat. Wir können sie voll ausschöpfen, das liegt ganz in der Souveränität dieses Hauses. Ich schlage Ihnen vor, daß wir uns auf folgende Behandlung einrichten — mehr als uns darauf einrichten können wir nicht; aber das können wir —: Mittwoch die Punkte 1 bis 15, wobei die Fragestunde heute von 9 bis 10 Uhr und von 21 bis 22 abgehalten wird.Am Donnerstag findet die Fragestunde von 9 bis 10 Uhr statt. Weiter werden am Donnerstag Punkt 16 bis etwa Punkt 41 aufgerufen, der Rest der Tagesordnung am Freitag; ich hoffe, ohne daß eine weitere Fragestunde erforderlich ist.Wir tagen ohne Mittagspause durch. Von 13 Uhr bis 14.30 Uhr werden keine kontroversen Abstimmungen vorgenommen; wir stimmen ab über Sachen, wo bekannt ist, daß das ganze Haus einverstanden ist. Wir rufen in dieser Mittagsstunde die unstrittigen Punkte auf, z. B. die Punkte 46 bis 74 unid unstrittige Gesetze.Ich hoffe, daß damit genügend deutlich geworden ist, was uns bevorsteht und welches Schicksal wir für diese drei Tage in unserer Hand tragen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: .Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. Juni 1961 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung des Berufs der medizinisdi-technischen AssistentinGesetz zu den Übereinkommen vom 27. September 1956, 26. September 1957 und 4. September 1958 über das Personenstands- und NamensrechtGesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Vermögensteuergesetzes, des Steuersäumnisgesetzes, der Reichsabgabenordnung, des Steueranpassungsgesetzes, des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin und anderer GesetzeSteueränderungsgesetz 1961 —
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9442 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. SchmidZweites Gesetz zur Änderung des MühlengesetzesGesetz über Ermächtigungen zum Erlaß von RechtsverordnungenGesetz über Detergentien in Wasch- und ReinigungsmittelnGesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe
Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer
Gesetz zur Änderung des BundesfernstraßengesetzesGesetz zur Förderung der Vermögensbildung der ArbeitnehmerGesetz zu der Entscheidung des Rates der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 12. Juni 1959 über die Annahme von StrahlenschutzvorschriftenGesetz zu dem Achten Berichtigungs- und Äinderungsprotokoll vom 18. Februar 1959 zum Wortlaut der dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen beigefügten ZollzugeständnislistenGesetz zu dem Vertrag vom 15. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über Leistungen zugunsten französischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sindGesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen
Gesetz zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes. ZumGesetz zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzeshat der Bundesrat eine Entschließung gefaßt, die dem Sitzungsbericht als Anlage 2 beigefügt ist.In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zumGesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalleverlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 2864 verteilt.In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zumGesetz über die Sicherung von Beweisen in besonderen FällenEinspruch eingelegt. Sein Schreiben ist als Drucksache 2866 verteilt.ZumGesetz über das Kreditwesenhat er beschlossen, dem Gesetz nicht zuzustimmen, und erklärt, daß dieser Beschluß als Einspruch gelte, falls es sich ergeben sollte, daß das Gesetz entgegen der Ansicht des Bundesrates nicht seiner Zustimmung bedarf. Sein Schreiben ist als Drucksache 2865 verteilt.Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen hat unter dem 19. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Subventionen — Drucksache 2791 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2895 verteilt.Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 21. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Rösch, Frau Dr. Bleyler, Frau Dr. Schwarzhaupt und Genossen betr. Lohngleichheit von Mann und Frau — Drucksache 2793 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2899 verteilt.Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 23. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Festlegung von Mindestpreisen und Erhebung von Abschöpfungsbeträgen und Ausgleichsabgaben für Agrarerzeugnisse in den Mitgliedstaaten der EWG — Drucksache 2790 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2922 verteilt.Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 23. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Erledigung von Besatzungsschäden — Drucksache 2809 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2926 verteilt.Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 23. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Unwetterschäden — Drucksache 2789 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2927 verteilt.Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 27. Juni 1961 gemäß § 19 Abs. 2 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952, zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes vom 4. August 1960, die Verordnung über die Beimischung inländischen Rüböls und Feintalges zur Kenntnis übersandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 22. Juni 1961 eine Berichtigung zu Drucksache 2787 gegeben, die dem Sitzungsbericht als Anlage 3 beigefügt ist.Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 26. Juni 1961 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages am 17. März 1961 einen Bericht über Stellung und Lage der Seefischerei der Bundesrepublik Deutschland übersandt, der als Drucksache 2935 verteilt wird.Der Herr Staatsekretär des Bundesministeriums der Finanzen hat unter dem 20. Juni 1961 zu Drucksachen 805, 895. — Gemeinnützige Wohnungsbau AG Groß-Berlin ; hier: Kapitalerhöhung um 2,7 Mio DM durch das Land Berlin — eine weitere Mitteilung gegeben, die dem Sitzungsbericht als Anlage 4 beigefügt ist.Zu der in der Fragestunde der 163. Sitzung des Bundestages am 1-6. Juni 1961 gestellten Frage der Abgeordneten. Frau Dr. Schwarzhaupt Nr. X .ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklein vom 22. Juni 1961 eingegangen.Sie lautet:1. Wiesbaden hat als eine der ersten deutschen Städte Selbstwählferndienst aufgenommen, und zwar mit einer dem damaligen Stand der Entwicklung entsprechenden einfachen Technik. Diese Technik läßt nicht ohne weiteres eine Erweiterung zu. Im Hinblick auf die Bedeutung Wiesbadens als Landeshauptstadt bin ich aber im Begriff, die Erweiterung des Hauptamtes Wiesbaden in die Wege zu leiten. Nach Abschluß der Erweiterung kann Wiesbaden mehr als bisher in den bundesdeutschen Selbstwählfernverkehr einbezogen werden.2. Die Ausführung der Erweiterung soll so in das Programm eingegliedert werden, daß der erweiterte Selbstwählferndienst etwa im September 1962 aufgenommen werden kann.3. Mit der neuen Planung wird Wiesbaden zu seinen jetzigen Selbstwählbeziehungen u. a. noch folgende haben: Kassel, Korbach, Bad Wildungen, Arolsen, Gelnhausen, Biedenkopf, Fulda, Bad Hersfeld, Alsfeld, Schlächtern, Bremen, Kiel, Ulm, Freiburg , Augsburg, Ingolstadt und eine Reihe weiterer Städte.Wir treten in die Tagesordnung ein.Punkt 1: Fragestunde .I. Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Frage. des Abgeordneten Dr. Kohut:Mull aus der Formulierung im „Bulletin der Bundesregierung" vom 21. Juni 1961, S. 1084, die Redner der Opposition seien den Argumenten der Sprecher der Mehrheitsparteien entgegengetreten, geschlossen werden, daß die Bundesregierung die gegenwärtige Mehrheit von CDU/CSU als eine Koalitionsregierung zweier selbständiger Parteien betrachtet?Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Kohut hat die nachfolgende Frage gestellt:Muß aus der Formulierung im „Bulletin der Bundesregierung" vom 21. Juni 1961, S. 1084, die Redner der Opposition seien dien Argumenten. der Sprecher der Mehrheitsparteien entgegengetreten, geschlossen werden, daß die Bundesregierung die gegenwärtige Mehrheit von CDU/CSU als eine Koalitionsregierung zweier selbständiger Parteien betrachtet?
Ich darf darauf folgendes antworten.Die CDU und die CSU sind zwei selbständige Parteien. Sie tragen alle Merkmale selbständiger Parteien. Sie haben jede eine eigene Parteiorganiisation, einen eigenen Parteivorstand, einen eigenen Parteivorsitzenden usw. Die Formulierung in der Parlamentsberichterstattung des Bulletins, die von Rednern. der Mehrheitsparteien spricht, ist somit zutreffend.Die Fraktionen der CDU/CSU haben im Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft geschlossen. Die
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9443
Staatssekretär von EckardtMitglieder des Bundeskabinetts sind sämtlich Mitglieder dieser Fraktionsgemeinschaft, und eine solche Fraktionsgemeinschaft geht über den Begriff einer Koalition erheblich hinaus.
Herr Abgeordneter Dr. Kohut, haben Sie keine Zusatzfrage? —
Ich hatte es eigentlich erwartet.
Wir kommen zu II. Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Hier liegt mir eine Frage vor, die nicht in der gedruckten Vorlage steht. Sie ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Jordan erst vor ganz kurzer Zeit eingereicht warden. Sie scheint mir so kompliziert zu beantworten zu sein, daß ich mich frage, ob — aus Zeitgründen — die Bundesregierung imstande ist, sie zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, der Text der Frage liegt mir noch nicht vor. Ich bin soeben über den Inhalt der Frage unterrichtet worden und möchte darum bitten, mir die Beantwortung jetzt zu erlassen; denn die Frage ist in der Tat so kompliziert, daß sie einer gründlicheren Prüfung bedarf.
Auch die Frage ist kompliziert. Ich rufe auf die Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Ramms:
Ist die Bundesregierung bereit, falls nach den Widerständen
im niederländischen Parlament neue Verhandlungen über den deutsch-holländischen Ausgleichs-Vertrag notwendig werden, die deutschen Interessen entsprechend der von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages bei der Verabschiedung des AusgleichsVertrages vorgebrachten Kritik besser zu vertreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage des Herrn Abgeordneten Ramms bezieht sich auf den deutsch-niederländischen Ausgleichsvertrag. Wenn mit der Frage des Herrn Abgeordnetem unterstellt werden soll, die Bundesregierung habe die deutschen Interessen in den bisherigen Verhandlungen nicht gut genug vertreten, so möchte ich eine derartige Unterstellung zurückweisen. Die Bundesregierung hat sich die Vertretung der deutschen Interessen bei den deutsch-niederländischen Ausgleichsverhandlungen in ganz besonderer Weise angelegen sein lassen, wie sich aus der langen Dauer und der Zähigkeit, mit der diese Verhandlungen geführt wurden, ergibt.
Zu der Frage des Herrn Abgeordneten über etwaige neue Verhandlungen möchte ich sagen, daß neue Verhandlungen über den Vertrag als solchen nicht zu erwarten sind. Jetzt stehen vielmehr zwei Einzelfragen zur Erörterung, die sich nach Abschluß des Vertrages ergeben haben.
Die erste Frage betrifft die 'deutsche Rechtsprechung zu der Wirkung von Enteignungsmaßnahmen gegenüber juristischen Personen, die sich im Ausland befinden: das sogenannte Territorialitätsprinzip oder die Spaltungstheorie. Es handelt sich hier um sehr komplizierte Rechtsfragen, die zur Zeit noch geprüft werden.
Die zweite Frage 'betrifft die Ausbeutung von Erdöl unid Erdgas welches sich unter der Emsmündung befindet. Die hiermit zusammenhängenden Fragen werden zur Zeit gleichfalls geprüft. Der Ems-DollartVertrag sieht ausdrücklich vor, daß etwa auftretende Meinungsverschiedenheiten im Wege einer gegenseitigen Vereinbarung auf praktische Weise gelöst werden sollen.
Eine Zusatzfrage? — Ist Herr Abgeordneter Ramms im Hause? — Offenbar nicht. Es tut mir leid, daß ich die Frage trotzdemaufgerufen habe; ich dachte, der Fragesteller sei hier.
Ich rufe auf ,die Frage I1/2 — des Herrn Abgeordneten 'Dr. Menzel —:
Welches waren die Gründe, dem polnischen Journalisten Rawicz die Durchreise durch die Bundesrepublik Deutschland nach England zu verwehren, so daß Herr Rawicz einer Einladung der Engländerin Miss Ryder zugunsten ehemaliger polnischer KZ-Häftlinge nicht hätte folgen können, falls er nicht den Flugweg gewählt haben würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel 'bezieht sich auf den polnischen Journalisten Rawicz. Die Fragegeht dahin, aus welchen Gründen die Bundesregierung ihm die Durchreise nach England verwehrt habe, wo Herr Rawicz einer Einladung einer Engländerin zugunsten ehemaliger polnischer KZ-Häftlinge folgen wollte.
Die Antwort dazu ist folgende: Der polnische Journalist Rawicz hatte im März dieses Jahres einen Antrag auf Erteilung eines Einreisesichtvermerks — also nicht eines Durchreisesichtvermerks, sondern eines Einreisesichtvermerks — in die Bundesrepublik zur Teilnahme an einer Veranstaltung der Vereinigung 'der Verfolgten des Naziregimes in Frankfurt am Main gestellt. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Hätte der Antragsteller einen Antrag auf Durchreise durch die Bundesrepublik mit der Begründung gestellt, er wolle an der in der Frage erwähnten Veranstaltung in Großbritannien teilnehmen, so wäre diesem Antrag stattgegeben worden.
Die Frage ist beantwortet.Meine Damen und Herren, mir wird soeben mitgeteilt, daß alle Fraktionen vereinbart hätten, den Punkt 16 der Tagesordnung — Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 120 des Grundgesetzes und eines Gesetzes über die Tilgung von Ausgleichsforderungen, Drucksache 2590 — an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann können wir das jetzt gleich beschließen, und der Ausschuß kann arbeiten. Dann ist Punkt 16 an den Rechtsausschuß zurückverwiesen.Wir kommen zu III: Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe zunächst auf die Frage III/1 — der Abgeordneten Frau Renger —:
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9444 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. SchmidWann gedenkt die Bundesregierung ihrer von einigen Bundesländern durch Kabinettsbeschlüsse im Jahre 1955 befolgten Empfehlung zu folgen, bei eigenen Neu- und Erweiterungsbauten Luftschutzräume nach den Richtlinien des Bundeswohnungsbauministers zu erstellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die Frage lautet wie folgt.
Die Richtlinien des Bundesministeriums für Wohnungsbau über Schutzraumbauten vom Jahre 1955 sind bei Neu- und Erweiterungsbauten des Bundes bisher noch nicht in vollem Umfang befolgt worden, weil es der Bundesregierung, von gewissen Ausnahmen abgesehen, nicht tunlich erscheint, Luftschutzräume in Dienstgebäuden des Bundes zu errichten, solange die gesetzliche Regelung für ein allgemeines Schutzraumprogramm noch aussteht. Jedoch hat das Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes am 25. März 1960 Anweisung gegeben, daß in Bauten des Bundes vorsorglich gewisse bauliche Vorkehrungen getroffen werden, die bei der späteren Durchführung des baulichen Luftschutzes von Nutzen sind. Das Bundesministerium des Innern hat den Länderregierungen empfohlen, entsprechende Anweisungen für ihren Geschäftsbereich zu geben.
Eine Zusatzfrage? — Frau Abgeordnete Renger!
Herr Bundesminister, halten Sie dieses Verhalten. der Bundesregierung für beispielhaft für die übrige Bevölkerung, wie sie sich beim Einbau von Luftschutzräumen in ihren Privatbauten verhalten könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, ob das Verhalten als beispielhaft bezeichnet werden kann. Auf jeden Fall habe ich es nach seinen Zweckmäßigkeitsgründen erklärt.
Ich rufe die Frage III/2 — der Abgeordneten Frau Renger — auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung in den Kasernen der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes moderne Luftschutzräume zu erstellen, in denen die in einem Ernstfall besonders gefährdeten Soldaten, Beamten und das übrige Personal geschützt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die Frage 2 lautet:
Bei allen Neu- und Erweiterungsbauten der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes werden Schutzräume errichtet.
Keime Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage I11/3 — der Abgeordneten Frau Renger — auf:
Warum hat die Bundesregierung es unterlassen, nach der weitgehend erfolgten Aufstellung der Luftschutzsirenen die Bevölkerung mittels besonderer Merkblätter über die Waffenwirkungen, die Schutzmöglichkeiten, die zweckmäßigste Verhaltensweise und die Bedeutung der Sirenentöne aufzuklären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die Frage 3 ist etwas länger.
Die Frage erweckt den Eindruck, als ob die Bundesregierung bisher eine Aufklärung der Bevölkerung über den Luftschutz unterlassen habe. Demgegenüber muß ich darauf hinweisen, daß der Bundesluftschutzverband seit über zehn Jahren diese Aufklärung betreibt. Es ist eine Aufgabe, die ihm durch das Erste 'Gesetz über Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung vom 9. Oktober 1957 übertragen worden ist. Der .Luftschutzverband hat eine Vielzahl von Broschüren, Handzetteln und Merkblättern verteilt, aus denen sich alle wichtigen Einzelheiten über Waffenwirkung, Schutzmöglichkeiten und öffentliche Alarmsignale ergeben. Er hat ferner bis heute annähernd 2 Millionen Menschen durch Lehrer, Aufklärungsredner, Werbe- und Filmwagen über Notwendigkeit und Art der Schutzmaßnahmen aufgeklärt. Für diese Tätigkeit sind bisher rund 7,6 Millionen DM aus Haushaltsmitteln des Bundes aufgewendet worden.
Daneben wird bei einer Reihe besonderer Anlässe wie bei dem Inkrafttreten amtlicher Vorschriften, bei der Inbetriebnahme oder Errichtung von Warnämtern, Arzneimittellagern, Ausbildungsstätten, Ausweich- und Hilfskrankenhäusern, bei der Veranstaltung von Übungen, bei der Werbung von Helfern für den Luftschutzhilfsdienst und den Selbstschutz immer von neuem und mit wachsendem Echo in Presse, Rundfunk und Fernsehen auf 'die Bedeutung des Luftschutzes hingewiesen.
Dennoch teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es außerdem der Verteilung besonderer Merkblätter bedarf. Sie hat diese Merkblätter auch vorbereitet und vor kurzem mit den Vertretern der Länder durchgesprochen. Ich beabsichtige, sie in ihrer Neufassung, ehe sie zur Verteilung kommen, dem Innenausschuß des Bundestages vorzulegen. Sie werden für die Bevölkerung die nötigen Hinweise enthalten, welche Gefahren drohen, wie diesen Gefahren vorgebeugt werden kann und was im Falle eines plötzlichen Angriffs zu tun ist.
Insgesamt bitte ich zu berücksichtigen, daß wir mit der Aufklärung in Luftschutzfragen Neuland beschreiten. Eine falsch angelegte . Aufklärung kann im Hinblick auf die Erlebnisse in der Vergangenheit äußerst negative Folgen haben. Die Herausgabe von Merkblättern kann daher meines Erachtens nicht sorgfältig genug vorbereitet werden.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, wie man hören konnte, hat der Herr Bundeskanzlei selbst vor längerer Zeit einmal die schon vorbereiteten Merkblätter angehalten. Kann man dafür eventuell die Gründe erfahren? Und darf ich Sie persönlich weiter fragen, ob Sie die in der im Auftrage des Bundesministeriums des Innern herausgegebenen Zeitung für den zivilen Bevölkerungsschutz genannten Verhaltensmaßnahmen oder gegebenen Hinweise auch für sich und Ihre Familie als ausreichend betrachten würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, das sind zwei Fragen und zwei Antworten: Was der Bundeskanzler dort getan oder gesagt oder
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9445
Bundesinnenminister Dr. Schröderunterlassen haben soll, ist mir gänzlich unbekannt. Ich halte es außerdem für völlig unwahrscheinlich. Das ist die Antwort auf »die erste Frage.Zu Punkt 2 muß ich mich mit Nichtwissen entschuldigen. Ich habe den Aufsatz nicht gelesen, habe also keine Möglichkeit, Folgerungen »daraus für meine Familie zu ziehen. Aber ich werde Ihren freundlichen Hinweis benutzen und »diese Lektüre nachholen.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf Frage III/4 — der Abgeordneten Frau Dr. Bleyler —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Prozentsatz der weiblichen Angestellten und Beamten im gehobenen
und höheren Dienst der Bundesverwaltung zu erhöhen, der, wie die seit 1951 regelmäßig veröffentlichten Statistiken ausweisen, trotz der Anregung des Herrn Bundesinnenministers seit dieser Zeit nahezu unverändert geblieben ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt: Die Bundesregierung wird auch weiterhin im Rahmen der beamtenrechtlich gegebenen Möglichkeiten bemüht bleiben, den Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der in den Laufbahnen des gehobenen und höheren Dienstes beschäftigten Beamten und der vergleichbaren Angestellten zu erhöhen. Sie wird insbesondere bei dem Herrn Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung darauf hinwirken, daß »die Arbeitsämter im Rahmen der Berufsberatung weibliche Arbeitsuchende stärker als bisher für die in Frage stehen-»den Berufsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst des Bundes interessieren. Darüber hinaus wird die berufskundliche Aufklärung der Schülerinnen in Mittel- und Fachschulen sowie in höheren Schulen und der . Studentinnen verstärkt.
Zusatzfrage?
Glauben Sie nicht auch, Herr Minister, daß über »den Rahmen dieser Aufklärung und der Werbung hinaus eine Überprüfung der im Dienst befindlichen weiblichen Angestellten und Beamtinnen ergeben würde, daß eine Reihe von ihnen einen nach Vorbildung und Tätigkeit geeigneteren, gehobeneren Platz einnehmen könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Frau Kollegin, die Beurteilung der Frage, welcher Beamte oder welche Beamtin besser avancieren könnte als bisher, ist ein weites Feld und unterliegt natürlich neben objektiven auch sehr subjektiven Merkmalen. Was mein eigenes Ressort angeht, haben Sie hoffentlich keine Beschwerden zu erheben.
Die Frage ist beantwortet. Ich rufe auf Frage III/5 — des Abgeordneten Dr. Kopf —:
Welches ist der Stand der Ratifizierung des Europäischen Abkommens über die Abschaffung des Sichtvermerkzwangs für Flüchtlinge, das von der Bundesregierung am 20. April 1959 unterzeichnet wurde?
Die Frage wird aufgenommen durch den Herrn Abgeordneten Seidl .
Dr. Schröder, Bundesmlintster des Innern: Die Antwort darauf lautet wie folgt: Die Bundesrepublik gewährt Inhabern ausländischer Reiseausweise für Flüchtlinge die nach »dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Aufhebung des Sichtvermerkzwanges für Flüchtlinge vorgesehene Erleichterung bereits seit dem 12. Mai 1956. Durch Einfügung des Buchstaben k) in § 3 der Paßverordnung wurde damals der Sichtvermerkzwang für ausländische Flüchtlinge gelockert.
Das Europäische Übereinkommen über die Aufhebung des Sichtvermerkzwanges für Flüchtlinge kann innerstaatlich durch eine auf § 3 »des Paßgesetzes gestützte Verordnung in Kraft gesetzt werden. Am 21. Juni »dieses Jahres ist dem Bundesrat ein entsprechender Entwurf zugeleitet worden. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich in seiner Sitzung am 14. Juli mit dem Entwurf befassen.
Sobald der Bundesrat dem Übereinkommen und der Verordnung zugestimmt hat, kann die Verordnung verkündet und die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt werden.
Keine Zusatzfrage?
Dann rufe ich auf Frage III/6 — des Abgeordneten Dr. Schranz —:
Warum wurde die Gelegenheit der Volkszählung 1961 nicht dazu benutzt, umfassendes statistisches Material über Zahl und landsmannschaftliche Herkunft aller in der Bundesrepublik lebenden Vertriebenen und Flüchtlinge zu erhalten, und statt dessen — abweichend von der Volkszählung 1946 und 1950 — der Vertriebenen-Begriff eingeengt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf »diese Frage lautet wie folgt: Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigte darf ich folgendes sagen. Für Zahl und landsmannschaftliche Herkunft aller in der Bundesrepublik lebenden Vertriebenen und Flüchtlinge liegen die Ergebnisse der Volkszählungen der Jahre 1946 und 1950 vor. Sie werden durch die Resultate der Eingliederungsstatistik in den Jahren 1954/55 und des Mikrozensus 1957 ergänzt. Dabei hat sich die Auswertung der Anträge auf Ausstellung eines Bundesvertriebenenausweises im Jahre 1955 als besonders zuverlässig erwiesen. Bei »der Volkszählung 1961 wurde »deshalb an die in der Bundesrepublik lebenden Vertriebenen und Flüchtlinge die Frage ihrer landsmannschaftlichen Herkunft nicht nochmals gerichtet. Der Ausschuß für Heimatvertriebene des Hohen Hauses hat bei »der Beratung des Gesetzentwurfs über die Volkszählung zugestimmt.
Gegenüber »den Ergebnissen »der bisherigen Feststellungen bedeuten die Fragen, die bei der Volkszählung 1961 nur von Inhabern des Bundesvertriebenenausweises zu beantworten waren, keine Einengung des Vertriebenenbegriffes.
Eine Zusatzfrage?Dann rufe ich auf die Frage III/7 — des Herrn Abgeordneten Logemann
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9446 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. SchmidIst die Bundesregierung bereit, mit geeigneten Mitteln, wie das zum Beispiel in England mit der Keep-Britain-Tidy-Aktion geschieht, erzieherisch zu wirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet folgendermaßen: Die Reinhaltung der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze ist eine Aufgabe der jeweiligen Eigentümer und Baulastträger. Die. Bundesregierung kann also eine der Keep-Britain-Tidy-Aktion entsprechende Maßnahme nur in ihrem Zuständigkeitsbereich durchführen. Auf iden Rastplätzen der Bundesfernstraßen, insbesondere der Autobahnen, sind bereits seit längerer Zeit Hinweisschilder aufgestellt worden mit der Bitte an die Benutzer, die Rastplätze und Autobahnen sauber zu halten. Zur Unterstützung dieser Maßnahme wird der ADAC in den nächsten Tagen eine Großaktion an den Straßen und Rastplätzen durchführen, die unter dem Leitwort steht „Haltet Straßen und Plätze sauber!"
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9447
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9448 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
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— Herr Abgeordneter, Sie haben vollkommen recht, aber es würde uns nicht zur Unehre gereichen, wenn wir gute Sitten um ihrer selbst willen befolgen.
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe auf die Frage IV/i — des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Was hat die Bundesregierung zu Meldungen in der Schweizer Presse unternommen, wonach die deutschen Behörden den vermutlichen Mörder des Genfer Waffenhändlers Marcel Léopold, einen Westberliner, absichtlich nach Holland entweichen ließen, obwohl ihnen von den Genfer Behörden der Wohnort des Gesuchten mitgeteilt worden war?
Der in den ,,Basler Nachrichten" vom 27. April 1961 erhobene Vorwurf, die deutschen Behörden hätten den des Mordes an dem schweizerischen Staatsangehörigen Marcel Léopold Verdächtigten nicht gebührend verfolgt, ist bereits im vorigen Jahr in der Presse, insbesondere in schweizerischen Zeitungen, erhoben worden. Der Herr Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof, der im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen auch das Verfahren gegen den angeblichen Mörder des Leopold führt, ist diesen Pressemitteilungen bereits im Oktober 1960 entgegengetreten. Wie der Herr Generalbundesanwalt mir berichtet hat, besteht nach den ihm vorliegenden Unterlagen kein dringender Tatverdacht, der nach deutschem Recht den Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gegen den angeblichen Mörder Léopolds rechtfertigen könne.
Die Ermittlungen des Herrn Generalbundesanwalts gegen den Verdächtigten dauern noch an. Der angebliche Täter konnte bisher nicht vernommen werden, da er — wie die Ermittlungen ergeben haben — sich im Ausland aufzuhalten pflegt.
Ich halte es nicht für notwendig, den in den „Basler Nachrichten" vom 27. April 1961 wiederholten Vorwürfen entgegenzutreten, da der Herr Generalbundesanwalt inhaltsgleiche Pressemitteilungen bereits im Oktober vorigen Jahres richtiggestellt hat.
Ich rufe auf die Fragen IV/2 und IV/3 — des Abgeordneten Bach —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Versicherungssummen der Haftpflichtversicherungen und die Rentenverbindlichkeiten aus Haftpflichtfällen im Saarland im Jahre 1947 im Verhältnis 1 RM : 20 ffrs umgestellt worden sind, daß 1951 und 1952 durch Regierungsverordnungen die Haftpflichtrenten erhöht wurden, ohne gleichzeitig ausreichende Vorschriften für die erforderlichen Deckungsmittel zu erlassen, und daß es infolge dieser Umstellung zu Prozessen kam, weil trotz ausreichender Kraftfahrhaftpflichtversicherung Versicherungsgesellschaften wegen vorzeitiger Erschöpfung der Deckungssumme die Rentenzahlung eingestellt haben und die Unfallgeschädigten ihre seit Jahren anerkannten Schadensansprüche erneut einklagen mußten?
Ist die Bundesregierung bereit, die in Frage IV/2 dargelegten und ähnliche Schwierigkeiten, die im wesentlichen aus den besonderen Verhältnissen des Saarlandes und seinen wiederholten Währungsumstellungen herrühren, zu bereinigen?
Auf die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Bach, IV/2 und IV/3, darf ich zusammen antworten:
Erstens. Der Bundesregierung ist bekannt, daß durch die Dritte und Vierte saarländische Verordnung zur Erhöhung der Unterhaltsansprüche und sonstigen Beträge in gerichtlichen Angelegenheiten vom 7. März 1951 und 22. Februar 1952 ,die Haftpflichtrenten im Saarland nicht unwesentlich erhöht worden sind, ohne daß gleichzeitig Vorschriften darüber getroffen wurden, ob und wie den Haftpflichtversicherungsunternehmen, bei denen derartige Rentenverpflichtungen gedeckt waren, für die durch die Rentenerhöhung bedingten Mehrleistungen ein Ausgleich durch die öffentliche Hand zu gewähren sei. In der Praxis wurden die Mehrleistungen bis zum Jahre 1955 aus Mitteln des Saarlandes ausgeglichen, die im Haushalt des Saarlandes zur Abdeckung der Garantieverpflichtung aus Artikel 5 der Verfügung Nr. 33 der Französischen Militärregierung ausgewiesen waren. Die Bundesregierung ist darüber unterrichtet, .daß neuerdings die Versicherungsunternehmen in einigen Fällen die Rentenzahlungen eingestellt haben, da durch Zahlung der erhöhten Rentenbeträge die Deckungssummen mangels weiteren Ausgleichs durch öffentliche Mittel erschöpft sind. Daß dieser Sachverhalt zu gerichtlichen Klagen von Unfallgeschädigten gegen .die Versicherungsnehmer geführt hat, ist der Bundesregierung bisher nur in einem einzigen Fall bekannt geworden.
Zweitens. Die beteiligten Bundesministerien stehen bereits seit einiger Zeit mit der Regierung des Saarlandes in Verhandlungen darüber, wie die aufgetretenen Schwierigkeiten bereinigt werden können. Diese betreffen einen verhältnismäßig kleinen Personenkreis; nach Mitteilung des Saarlandes sind bisher überhaupt nur etwa 35 Schadensfälle festgestellt worden, aus denen saarländische Versicherungsunternehmen noch Reichsmark-Rentenverpflichtungen an Geschädigte und deren Hinterbliebene zu erfüllen haben. Ob gesetzliche Maßnahmen erforderlich sing oder ob auf andere Weise und -gegebenenfalls . mit welchen Mitteln geholfen werden kann, läßt sich abschließend erst sagen, wenn Tragweite und finanzieller Umfang des Problems endgültig feststehen. Die Regierung des Saarlandes ist zur Zeit noch mit den entsprechenden Feststellungen beschäftigt.
Zusatzfrage?
Herr Minister, bis wann ist mit dem Abschluß dieser Verhandlungen zwischen der Regierung des Saarlandes und der Bundesregierung zu rechnen?
Ob der Abschluß feststeht?
Ja, bis wann?
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9450 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
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Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage!
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Der Herr Abgeordnete Schneider fragt nach der Entschädigung für Schäden, die durch Angehörige der Stationierungskräfte verursacht werden.
Herr Abgeordneter, zunächst eine Bemerkung zu dem von Ihnen angezogenen Art. 41 Nr. 12 Buchstabe b des Zusatzabkommens. Sie scheinen nach Ihrer Fragestellung anzunehmen, daß durch diese Bestimmung Ansprüche der Geschädigten ausgeschlossen seien. Das ist nicht der Fall. Die Vorschrift, die Sie anführen, ist eine reine Abgrenzungsbestimmung, die sagt, für welche Sachverhalte das Recht des neuen Truppenstatuts anzuwenden ist und weiche Sachverhalte nach dem Recht des früheren Stationierungsabkommens abzuwickeln sind.
Nach dem neuen Recht wird über alle Schäden, die bei Ausübung des Dienstes durch die Stationierungskräfte entstehen, von ,deutschen Gerichten auf Antrag deutscher Behörden und nach deutschem Recht entschieden. Schädigungen, die außerhalb der dienstlichen Betätigung verursacht werden, sind nach dem Truppenstatut nicht geschützt, d. h. insoweit ist die Stationierungsmacht nicht verpflichtet, den entstehenden Schaden zu tragen. Wir haben jedoch mit den Stationierungsmächten verabredet, daß zur Abgeltung solcher Ansprüche, wenn es der Billigkeit entspricht, ohne Rechtsanspruch Zahlungen gegeben werden. Über diese Ansprüche entscheiden zwar die Dienststellen der ausländischen Streitkräfte selbst, doch wird der Bundesminister ,der Finanzen wie bisher so auch weiterhin dafür eintreten, 'daß hier nicht kleinlich verfahren wird.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, werden außerdienstich verursachte Schäden, die vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung entstanden sind — ich denke an schwere Kraftfahrzeugunfälle infolge von Trunkenheit von Truppenangehörigen —, von deutschen Stellen entschädigt, soweit eine Entschädigung durch Versicherungen oder durch die Truppenteile der Stationierungsmächte nicht geleistet wird?
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Sie werden nicht von deutschen Stellen entschädigt, sondern sie müssen von den Besatzungsstellen entschädigt werden, ohne daß ein Rechtsanspruch nach dem Truppenstatut besteht.
Zusatzfrage?
Besteht die Absicht, von deutscher Seite eine Entschädigung zu zahlen, wenn die Truppenteile oder deren Versicherungen nicht zahlen oder nicht ausreichend entschädigen?
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Eine solche Absicht besteht nicht. Wir haben es bisher erreichen können, Herr Abgeordneter, daß in allen uns bekanntgewordenen Fällen angemessene Billigkeitsentschädigungen gezahlt wurden, auch in solchen Fällen, in denen ein Rechtsanspruch nach dem Truppenstatut nicht besteht.
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Eine weitere, letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich mich in einem konkreten Fall, in dem diese Hilfe bisher jahrelang versagt worden ist, an Sie wenden?
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Ich stehe gern zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Atzenroth zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung. bereit, dem künftigen Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die deutschenStaatsbürger in alle Rechte gegenüber Angehörigen der Besatzungsmächte eingesetzt werden, auch dann, wenn eine Entschädigung von den Besatzungsmächten nicht zu erreichen ist?
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Herr Abgeordneter, wir werden diese Anregung gern prüfen.
Frage V/8 — des Herrn Abgeordneten Ritzel —:
Sind die in § 1.9 a des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzverwaltung, der Reichsabgabenordnung und anderer Steuergesetze vorgesehenen Belohnungen für besondere Leistungen auch dazu bestimmt, einen Anreiz zur Verschärfung der Zollkontrollen im großen und kleinen Grenzverkehr zu schaffen?
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Herr Abgeordneter Ritzel fragt nach der Zahlung von Belohnungen für besonders tüchtige ¡Zollbeamte. Herr Abgeordneter, Sie beziehen sich auf den § 19 a in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzverwaltung. Beeindruckt durch das Echo aus der Öffentlichkeit und durch Stellungnahmen des Bundesrates hat die Bundesregierung darauf verzichtet, den Plan, besondere Belohnungen für tüchtige Zollbeamte im Gesetz vorzusehen, weiter zu verfolgen. Das Gesetz wind in seinerweiteren Behandlung !den § 19 a nicht mehr enthalten.
Zur Klarstellung möchte ich aber hinzusetzen, daß es sich hier nicht um Prämien für besonders fleißige Oder nachhaltige Zöllner hatte handeln sollen, sondern daß es im wesentlichen darum ging, für die starke Überstundenbelastung im saisonbedingten Spitzenverkehr und für die Spitzen im Warenaustausch auch bei der !inländischen Abfertigung Belohnungen als Anreiz auszuisetzen. Keinesfalls war daran gedacht, eine Belohnung als Anreiz zur Verschärfung der Zollkontrolle zu verwenden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
Ich verbinde meine Zusatzfrage, Herr 'Staatssekretär, mit idem Ausdruck des Dankes für diese Honorierung der öffentlichen Kritik und wohl auch dieser Frage unid erlaube mir die Zusatzfrage, ob danach mit Recht angenommen werden darf, daß die geplante Gesetzesänderung entscheidend dazu bestimmt ist, eine Erleichterung in der Abwicklung ides Grenzverkehrs zu sichern.
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Wir geben uns Mühe, Herr Abgeordneter, den Verkehr in all seinen Spitzen zu bestimmten Jahreszeiten soweit wie möglich zu er-leichtem.
Ich glaube, daß jedes Mitglied dieseis Hauses, das Anlaß hat, öfter 'über die Grenzen zu kommen, wie ich selber, nur gute, ja ausgezeichnete Erfahrungen mit der Höflichkeit der deutschen Zollbeamten gemacht hat.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Staatssekretär, halben Sie eigentlich damit gerechnet, daß dieser Gesetzentwurf in diesem Bundestag überhaupt noch verabschiedet werden würde?
Dr. Hettlage, Staatssekretär de's Bundesministeriums der Finanzen: 'Herr Abgeordneter, dieses Gesetz ist ein Anpassungsgesetz an das neue Zollgesetz. Infolgedessen konnte es als Nachifolgegesetz ersteingebracht werden, nachdem die Verabschiedung des Zollgesetzes klar war. Es wird natürlich nicht mehr verabschiedet werden können.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, Sie 'haben bei Ihrer Antwort so 'stark betont, daß das im Gesetz nicht geschehen würde. Können wir sicher sein, daß das, was die Öffentlichkeit befürchtet hat, auch nicht im Erlaßwege geschehen wird?
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesministeriums der 'Finanzen: Herr Abgeordneter, die Frage, ob und inwieweit Belohnungen an Beamte für überdurchschnittliche dienstliche Leistungen gegeben werden sollen, kann nach unserer Auffassung für das gesamte Beamtenrecht nur einheitlich beurteilt werden. Sie wird also immer Gegenstand der Beamtenrechtsgesetzgebung sein und nicht in einem Sondergesetz, auch nicht ein Verwaltungserlassen für einen Teilbereich wie die Zollverwaltung geregelt werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ritzel!
Ist das Finanzministerium bereft, nachdem 'feststeht, daß dieses Gesetz von diesem Bundestag nicht mehr verabschiedet werden kann, in der Zwischenzeit im Verwaltungswege eine Anordnung dahin zu treffen, !daß nicht eine Verschär-
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9454 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Ritzelfung, sondern jetzt schon eine Erleichterung bei derZollkontrolle während der Hauptreisezeit eintritt?
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Herr Abgeordneter, wie bereits vorhin hervorgehoben ,wurde, sind die bestehenden Richtlinien für die Abfertigung im Reiseverkehr so, daß eine beschleunigte und leichte Abfertigung auch zu Zeiten jahreszeitlichen Spitzenverkehrs an bestimmten Grenzübergängen uns gesichert erscheint. Nach unserer Meinung,bedarf es keiner zusätzlichen Richtlinien indiesem Sinne; sie sind bereits erteilt.
Danke!
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Krammig.
Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß die Erleichterungsbestimmungen bereits seit dem 15. Juni durch das neue Zollgesetz in Kraft gesetzt sind?
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Jawohl, Herr Abgeordneter.
Besteht noch ein Wunsch nach Zusatzfragen? — Offenbar nicht.
Frage 9 — des Abgeordneten Faller —:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß das Munitionslager im Pfeiferhölzie bei Konstanz, in dem sich noch ca. 120 kg Munition befinden sollen, geräumt wird, damit das von der Stadt Konstanz mit hohen Kosten erschlossene Siedlungsgebiet endlich der Bebauung zugeführt werden kann?
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Herr Abgeordneter Faller fragt nach den Rechts- und Sachverhältnissen einer Munitionsniederlage in der Umgebung von Konstanz. Dieses Munitionslager im Pfeiferhölzle bei Konstanz ist eine alte Einrichtung ,der früheren deutschen Wehrmacht. Die Liegenschaft wird seit 1928 zur Munitionslagerung verwendet und ist im Jahre 1945 von ,den französischen Streitkräften für gleiche Zwecke übernommen worden. In der Zwischenzeit ist die Bebauung der Stadt Konstanz bis auf 150 m an dieses Gelände herangekommen. Es schweben zur Zeit Verhandlungen über die Räumung des Geländes. Die französischen Streitkräfte sind bereit, dieses Gelände zur räumen, wenn die Stadt Konstanz sich mit etwa 100 000 DM an den Verlegungskosten beteiligt. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß anscheinend die Räumungskosten ständig höher angegeben werden, um zu verhindern, daß dieses Lager geräumt wird? Man sprach zuerst von 6000, dann von 10 000, dann von 20 000, und Sie sprechen jetzt von 100 000 DM — bei einer' ganz verschwindend geringen Menge von Munition, die überhaupt noch dort lagert, und bei einer Entfernung des Zentrallagers von diesem Ort von nur 8 km.
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Herr Abgeordneter, die Munition, die dort lagert, ist im wesentlichen Infanterie-munition der Gefahrenklasse 1, der untersten Gefahrenklasse. Ob es eine große Menge ist, kann ich nicht sagen.
Nach unseren Feststellungen sind die französischen Streitkräfte bereit, dieses Gelände aufzugeben und die Munitionslagerung zu verlegen, wenn die Stadt Konstanz sich mit 100 000 DM an den Verlegungskosten beteiligt. Ich wiederhole: die Ver- handlungen sind noch nicht abgeschlossen. Vielleicht kann man die Stadt Konstanz veranlassen, gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg den Betrag von 100 000 DM aufzubringen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Landtag von Baden-Württemberg bereits beschlossen hat, sich an den Kosten der Umsiedlung zu beteiligen, und sind Sie bereit, die ganze Sache etwas zu beschleunigen, weil nämlich nach den gesetzlichen Bestimmungen jetzt schon 5000 Personen evakuiert werden müßten, die zu nahe an diesem Munitionsdepot wohnen?
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Mir ist nicht bekannt, daß der Landtag von Baden-Württemberg so großzügig war. Das wird die Sache sehr erleichtern. Wir werden gern nachhaltig dazu beitragen, daß eine Einigung zustande kommt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer.
Herr Staatssekretär, zu welchem Zeitpunkt sind die französischen Streitkräfte bereit, das Lager zu räumen?
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Soweit ich unterrichtet bin: sobald die Einigung über die Kostenfrage erzielt ist.
Frage 9 ist beantwortet.
Frage V/10 — des Herrn Abgeordneten SchmittVockenhausen —:
Warum sollen neuerdings die Arbeitnehmer in der Automobilindustrie den ihnen als Werksangehörigen beim Kauf von Personenkraftwagen gewährten Preisnachlaß als zusätzlichen Arbeitslohn versteuern, obwohl die in anderen Wirtschaftsbranchen allgemein üblichen Rabatte nicht der Lohnsteuer unterliegen?
— Sie übernehmen die Frage.
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Herr Abgeordneter Schmitt-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9455
Staatssekretär Dr. HettlageVockenhausen fragt, ob Preisnachlässe, die die Automobilfabriken ihren Arbeitern gewähren, als lohnsteuerpflichtiger Teil des Einkommens zu behandeln sind.Nach der allgemeinen Verwaltungspraxis werden Vorteile durch die verbilligte Abgabe von Erzeugnissen des Betriebs an Arbeitnehmer dann nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn . angesehen, wenn der Preisnachlaß nicht größer ist, als er auch dritten Personen gewährt wird, z. B. bei Lieferung an den Großhandel oder bei Massenbestellung. Ein noch weiter gehender Preisnachlaß wird nach einem Urteil des Bundesfinanzhofes nur dann nicht als Arbeitslohn angesehen, wenn er weitgehend üblich ist und es sich um Gegenstände des täglichen Bedarfs handelt. Wir haben nun festgestellt, daß in der letzten Zeit in einem Lande bei einer Automobilfabrik das zuständige Finanzamt die Frage gestellt hat, ob diese Preisnachlässe nicht dann als lohnsteuerpflichtige Teile des Arbeitseinkommens angesehen werden müssen, wenn der betreffende Arbeitnehmer den verbilligt erworbenen Kraftwagen alsbald wieder verkaufen kann. Dieses Finanzamt vertritt ,die Meinung, daß eine mindestens zweijährige Besitzzeit bis zur Wiederveräußerung geboten sei. Unter dieser Annahme ist auch dieses Finanzamt bereit, der bisherigen Rechtsprechung entsprechend diese Preisnachlässe nicht als Teile des lohnsteuerpflichtigen Einkommens anzusehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krammig! .
Sind Sie, Herr Staatssekretär, in ,der Lage, zusagen, . ob es Landes- oder Bundesbeamte waren, ,die diese Unruhe durch ihre Äußerung veranlaßt haben?
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Das war ein Landesfinanzamt in Heissen.
Darf ich eine weitere Frage stellen: Ist es nicht Sache der hessischen Landesregierung, insbesondere ihres Finanzministers, ihre Beamten anzuweisen, Äußerungen zu unterlassen, die Beunruhigungen auslösen können?
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Herr Abgeordneter, ich kann hier zu einer 'Maßnahme einer Landesregierung, die allein ihrer eigenen Verantwortung unterliegt, nichts bemerken.
Das ist bundesfreundliches Verhalten im Sinne ,des Urteils des
Karlsruher Verfassungsgerichts.
Als letzte Frage für heute vormittag rufe ich auf die Frage V/11 — des Abgeordneten Dr. Czaja —:
Ersetzt der Bund den Landkreisen und kreisfreien Städten die hälftigen Kosten für Bedienstete, die nur teilweise Lastenausgleichsangelegenheiten, teilweise aber auch Dienstobliegenheiten anderer Bereiche bearbeiten, nur zu dem ihrer Tätigkeit in den Ausgleichsämtern entsprechenden Teil?
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Herr Abgeordneter Dr. Czaja fragt nach den Kosten der Stadt- und Landkreise aus der Durchführung der Aufgaben des Lastenausgleichsgesetzes. Herr Abgeordneter, die von Ihnen in der Frage erwähnten Kasten werden den Landkreisen und den kreisfreien Städten nach dem Vomhundertsatz anteilig erstattet, der der tatsächlichen .Arbeitsleistung für ,die Ausgleichsbehörde entspricht. Bei Beamten, die also sowohl im Ausgleichsamt wie in anderen städtischen Ämtern arbeiten, wird die Arbeitszeit zerlegt und der Kostenersatz im gleichen Verhältnis geteilt. Nachprüfungen werden von Zeit zu Zeit durch die Rechnungshöfe der Länder oder des Bundes vorgenommen. Die kreisfreien Städte oder Landkreise müssen nachweisen, daß diese Beamten und in welchem Verhältnis sie mit mehreren Aufgaben beschäftigt sind.
Eine Zusatzfrage?
Ist die Überprüfung einer zerlegten Arbeitszeit, Herr Staatssekretär, tatsächlich durchführbar?
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Herr Abgeordneter, wir müssen uns weitgehend auf die Erklärungen verlassen, die die Dienststellen selbst darüber abgeben.
Die Fragestunde ist damit für heute vormittag erledigt. Wir setzen sie fort heute abend um 21 Uhr. Es tut mir leid, daß dann einige Damen und Herren, die Fragen angemeldet haben, heute abend um 21 Uhr werden hier sein müssen.
Wir haben nunmehr einige Nachwahlen vorzunehmen. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Nachwahl von Mitgliedern des Rundfunkrats der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk".
In der 143. Sitzung des 'Deutschen Bundestages sind auf 'Grund des Antrags Drucksache 246,4 die vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder der Rundfunkräte der Anstalten des öffentlichen Rechts „Deutsche Welle" und „Deutschlandfunk" gewählt worden. Für Herrn Abgeordneten Zoglmann und für Herrn J. F. Warner, Bad Godesberg, die aus dem Rundfunkrat des Deutschlandfunks ausscheiden, sind von der Fraktion der FDP und von der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Mischnick und Herr Stefan Thomas, Bad 'Godesberg, benannt worden. Wir haben in ähnlichen Fällen, wenn kein Widerspruch erhoben ist, durch Handaufheben gewählt. Ist das Haus einverstanden, daß wir auch diesmal so verfahren?
Wer damit einverstanden ist, daß die beiden genannten 'Herren Mitglieder dieser Rundfunkräte werden sollen, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß die genannten Herren einstimmig gewählt sind.
Vizepräsident Dr. Schmid Punkt 3 der Tagesordnung:
Nachwahl eines Mitglieds des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank.
Gemäß § 7 Abs. 4 und 7 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank vom 28. Oktober 1954 muß für das nach § 6 der Satzung für die Lastenausgleichsbank turnusgemäß ausscheidende Mitglied des Verwaltungsrats — und das ist der Abgeordnete Leukert — eine Nachwahl vorgenommen werden. Die Fraktion der CDU/CSU hat den Abgeordneten Leukert wieder benannt. Ich schlage vor, auch hier die Wahl durch Handzeichen vorzunehmen. Ist das Haus einverstanden, daß die Wahl so vorgenommen wird? — Dann bitte ich die Damen und Herren, die mit dem Vorschlag, den Abgeordneten Leukert in den Verwaltungsrat der Lastenausgleichsbank zu wählen, einverstanden sind, das Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen der ehem. Sedankaserne in Ulm an die Firma Telefunken GmbH .
Der Antrag wird wohl dem Haushaltsausschuß überwiesen werden müssen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Kraftfahr-Kaserne in Stuttgart-Bad Cannstatt an das Land Baden-Württemberg .
Auch hier ist Überweisung an den Haushaltsausschuß notwendig. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 auf: '
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, anderer wohnungsbaurechtlicher Vorschriften und über die Rückerstattung von Baukostenzuschüssen (Drucksache 2923).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Schmidt . Der Bericht befindet sich auf Drucksache 2923.
Herr Abgeordneter Schmidt, ich bitte, den Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Gesetz zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, anderer wohnungsbaurechtlicher Vorschriften und über die Rückerstattung von Baukostenzuschüssen hatte der Bundesrat am 26. Mai1961 den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Vermittlungsausschuß hat sich mit den Anderungswünschen des Bundesrats in zwei Sitzungen am 9. und 23. Juni 1961 befaßt. Das Ergebnis liegt dem Hohen Hause tin der Bundestagsdrucksache 2923 vor.Das wichtigste und weitestgehende Anliegen des Bundesrats betraf eine Ergänzung des Gesetzes, durch welche in einem neuen Art. II a der § 7 des Wohnungsbau-Prämiengesetzes dahin geändert werden sollte, daß der Bund den Ländern die Mittel für die Wohnungsbauprämien tim voller Höhe gesondert, und zwar vom Rechnungsjahr 1962 an, zur Verfügung stellt. Die seitherige gesetzliche Regelung, die durch das vom Bundestag verabschiedete Gesetz an sich unberührt blieb, geht bekanntlich dahin, daß der Bund den Ländern jährlich gesondert einen festen Betrag von insgesamt 100 Millionen DM zur Verfügung stellt, während weitergehende, für die Zahlung der Prämien 'erforderliche Mittel den allgemeinen Bundesmitteln zur Förderung des Wohnungsbaus zu entnehmen sind. Außerdem bekamen überdurchschnittlich belastete Länder Ausgleichszahlungen nach § 88 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes.Die gesetzliche Verknüpfung der Prämien mit den allgemeinen Förderungsmitteln hat in den letzten Jahren dazu geführt, daß in einem Teil der Länder die gesamten Wohnungsbauförderungsmittel des Bundes für die Wohnungsbauprämien verbraucht wurden. Deshalb war schon vor längerer Zeit zwischen dem Bundesminister der Finanzen und den Ländern grundsätzliches Einvernehmen darüber erzielt warden, die gesetzliche Verkopplung des Bundesanteils an den Wohnungsbauprärien mit den Mitteln des sozialen Wohnungsbaus vom Jahre 1962 an zu beseitigen.Zunächst lag schon wegen der Alternativregelung bei den Sonderausgaben im Einkommensteuergesetz der Gedanke nahe, bei einer Neuregelung die Kostentragungspflicht auf Bund und Länder im Verhältnis 35 : 65 zu verteilen, also den gleichen Schlüssel zugrunde zu legen, der für die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern gilt. Im Vermittlungsausschuß zeigte sich bei der erstmaligen Behandlung dieses Problems, daß es zweckmäßig sei, die Beratungen auszusetzen, um den Ländern die Möglichkeit zu geben, in dieser schwierigen und finanziell weittragenden Frage mit dem Bundesminister der Finanzen zu einer Verständigung zu kommen. In der letzten Sitzung des Vermittlungsausschusses erklärte sich der Vertreter des Bundesministers der Finanzen schließlich zur Übernahme der Hälfte der Wohnungsbauprämien auf den Bund bereit, während die andere Hälfte die Länder zu tragen haben.§ 7 des Wohnungsbau-Prämiengesetzes wurde dementsprechend, und zwar mit Wirkung vom Rechnungsjahr 1962 an, geändert. § 88 des Zweiten Wothnungsbaugesetzes konnte deshalb vom gleichen Zeitpunkt an — entsprechend dem Begehren des Bundesrates — aufgehoben werden. Die Änderung bedeutet zugleich — ich darf das nochmals hervorheben —, daß die Wohnungsbauprämien von denallgemeinen Wohnungsbaumitteln in Zukunft
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9457
Dr. Schmidt
gelöst werden, so 'daß die Länder künftig den auf sie entfallenden Anteil aus ihren eigenen Haushaltsmitteln aufzubringen haben.Dem Änderungswunsch des Bundesrates, in § 20 Abs. 1 den letzten Halbsatz zu streichen und damit zu bestimmen, daß der Bundesanteil an den Miet-und Lastenbeihilfen auf Grund Ides Gesetzes über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen vom 23. Juni 1960 nicht aus den Wohnungsbaurückflüssen entnommen werden ,dürfe, konnte sich der Vermittlungsausschuß nicht anschließen. Er war der Meinung, daß durch das vorliegende Gesetz die . Rückflüsse bereits weitgehend von anderen Bindungen zugunsten ihrer eigentlichen Zweckbestimmung freigestellt werden. In diesem Punkte zu Lasten des Bundes noch weiter zu gehen, bestand um so weniger Veranlassung, als das Gesetz vom Juni 1960 seinerzeit die Zustimmung des Bundesrates gefunden hatte.Demgemäß mußte auch der Vorschlag des Bundesrates, § 15 Abs. 1 Satz 2 ides Gesetzes über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen vom Juni 1960 aufzuheben, abgelehnt werden.Auch den Vorschlag des Bundesrates zu § 73 Abs. 1 Satz 1, bei der Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen nicht auf die nach dem 31. Dezember 1961 bezugsfertig gewordenen Wohnungen, sondern darauf abzustellen, ob für die Wohnung erstmalig nach dem 31. Dezember 1956 öffentliche Mittel bewilligt worden sind, machte sich der Vermittlungsausschuß nicht zu eigen. Er kam nach eingehenden Erörterungen des Für und Wider, wobei auch andere Lösungsmöglichkeiten in Betracht gezogen wurden, zu der Ansicht, daß nicht schon jetzt die Miet- und Lastenbeihilfen ohne Einschränkung auf alle Neubauwohnungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes schlechthin ausgedehnt werden sollten. Vielmehr soll das hier angeschnittene Problem dem bereits angekündigten endgültigen Gesetz über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen vorbehalten bleiben, das den gesamten Wohnungsbestand umfassen soll.Bis dahin lassen sich auch nach der Auffassung des Vermittlungsausschusses wertvolle Erfahrungen mit der nunmehr in Aussicht genommenen vorläufigen Regelung gewinnen. Aus den gleichen Gründen wurde dann auch die Streichung des Art. II § 2 abgelehnt, da diese Vorschnift mit § 73 Abs. 1 in innerem Zusammenhang steht.Einen breiten Raum in den Erörterungen nahm die Frage ein, ob in § 74 entsprechend dem Wunsch des Bundesrates der Satz 2 gestrichen werden sollte. Dort wird die Verpflichtung des Bundes, den Ländern die Hälfte der Miet- und Lastenbeihilfen zu erstatten, von gewissen Voraussetzungen abhängig gemacht. Der Vermittlungsausschuß entschied sich schließlich für eine Kompromißlösung; die Sie unter Nr. 1 der Ihnen vorliegenden Bundestagsdrucksache 2923 finden. Das Wesentliche andieser Kompromißlösung ist die Klarstellung, daß es für die Erstattungspflicht des Bundes lediglich darauf ankommt, daß die Richtlinien der Wohnungsbauförderung in einem Land der Vorschrift ides § 46 Satz 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes 'entsprechen. Damit wird also ausgeschlossen, daß der Bund in jedemEinzelfall ein Kontrollrecht darüber hätte, daß die Wohnung nach Miete oder Belastung „für die breiten Schichten des Volkes geeignet" ist.Art. 2 § 3, der eine Parallelvorschrift zu § 74 Satz 2 darstellt, wurde entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates gestrichen. Es handelt sich dabei lediglich um eine Übergangsvorschrift für .die zurückliegende Zeit, auf die auch nach Auffassung des Vermittlungsausschusses verzichtet werden kann.Das Anrufungsbegehren, § 30 Abs. 3 des Ersten Bundesmietengesetzes dahin zu ergänzen, daß bereits verjährte Ansprüche nicht wieder aufleben, wurde von keiner Seite aufgenommen, nachdem festgestellt worden war, daß Verjährungen der fraglichen Ansprüche bisher noch gar nicht eingetreten sein können.Bei den Änderungsvorschlägen unter Nrn. 5, 6 und 8 der Bundestagsdrucksache 2923 handelt es sich lediglich um Folgeänderungen aus den dargelegten Empfehlungen des Vermittlungsausschusses, die sich auf die im Saarland bestehende Sonderregelung beziehen.Meine Damen und Herren! Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen und den. Gesetzesbeschluß des Bundestages entsprechend zu ändern.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es können Erklärungen zur Abstimmung abgegeben werden. Eine Diskussion ist nach ,der Geschäftsordnung nicht zulässig.
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat der Abgeordnete Dr. Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion darf ich zu dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgende Erklärung abgeben.Die sozialdemokratische Fraktion hat dem Änderungsgesetz zum Zweiten Wohnungsbaugesetz in der dritten Lesung in diesem Hohen Haus zugestimmt, nachdem sie durch eine Reihe eigener Änderungsanträge maßgeblich zu dieser Verbesserung des Zweiten Wohnungbaugesetzes beigetragen hatte. Nach der erweiterten neuen Fassung, die das Gesetz auf Grund der Beratungen des Vermittlungsausschusses erhalten soll, werden weitere, unseres Erachtens dringende und wesentliche Verbesserungen im Sozialen Wohnungsbau erreicht, Verbesserungen, die die sozialdemokratische Fraktion in diesem Bundestag in wiederholten Anträgen, bisher leider vergeblich, gefordert hat. Es treten also nicht allein die Änderungen ein, die in einer Presseerklärung des Wohnungsbauministeriums vom 23. Juni zusammengestellt sind, die bedeutendste Änderung ist vielmehr, daß die Wohnungsbauprämien künftig nicht mehr den Mitteln für den Sozialen Wohnungsbau entnommen und damit diesem entzogen werden.
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9458 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Dr. BrechtDas ist das alte Anliegen, das die sozialdemokratische Fraktion mehrfach in Anträgen vorgebracht hat. Wir freuen uns, daß dieses Ziel am Ende dieser Legislaturperiode doch noch erreicht ist. Damit sind zwar nicht alle unsere Anträge und Wünsche zu einer verstärkten Förderung des Sozialen Wohnungsbaus erfüllt, wir sind aber der Meinung, daß diese Umgestaltung eine Aufgabe des nächsten Bundestages sein wird.Nachdem aber die so dringliche und von uns wiederholt vorgetragene Änderung hinsichtlich der Wohnungsbauprämien durch den Antrag des Vermittlungsausschusses erfüllt ist, wird die sozialdemokratische Fraktion auch der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen wesentlichen Verbesserung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zustimmen.
Wird 'eine weitere Erklärung abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zur gemeinsamen Abstimmung über lalle Vorschläge des Vermittlungsausschusses. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Anderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle (Drucksache 2924) .
Das ist auch ein „Langnamgesetz", könnte man sagen, die Drucksache 2924.
Die Berichterstattung übernimmt der Abgeordnete Dr. Schellenberg. Ich bitte ihn, seinen Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle hat der Bundesrat am 16. Juni 1961 den Vermittlungsausschuß angerufen. Dieser hat sich am 23. Juni 1961 mit dem Begehren beschäftigt. Das Ergebnis der Berátungen liegt Ihnen auf Drucksache 2924 vor.
Der Vermittlungsausschuß will mit seinem Antrag Nr. 1 sicherstellen, daß Zufälligkeiten bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts möglichst vermieden werden. Deshalb soll von einem Nettoarbeitsentgelt ausgegangen werden, das unter Zugrundelegung des in den letzten vier Wochen gezahlten Lohnes mindestens berechnet wird.
Dem Antrag des Bundesrats, bei den sogenannten Monatslöhner in gleicher Weise wie bei Stundenlöhnern Vergütungen für nicht regelmäßig geleistete Mehrarbeit außer Betracht zu lassen, hat der Vermittlungsausschuß nicht entsprochen, weil eine solche Regelung zu einer unverhältnismäßig großen Verwaltungsarbeit führen würde.
Unterschiedliche Auffassungen ergaben sich im Vermittlungsausschuß über den Antrag des Bundesrates zu Art. 2 Nr. 3 Buchstabe b, § 182 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung. Nach diesem Antrag sollte die Krankengeldzahlung mit dem Tage des Eintritts und nicht, wie vom Bundestag beschlossen, mit dem Tage der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bzw. dem darauffolgenden Tage beginnen. Die Minderheit vertrat wie der Bundesrat die Ansicht, daß entsprechend idem bisherigen Recht der Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit maßgebend sein soll und somit der Arzt auch eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen kann, die vor der ärztlichen Inanspruchnahme eingetreten ist. Die Mehrheit war dagegen der Auffassung, daß eine rückwirkende Bescheinigung Ides Eintritts der Arbeitsunfähigkeit generell ausgeschlossen werden müsse und daß deshalb Arbeitsunfähigkeit erst vom Tage der ärztlichen 'Feststellung bzw. vom darauffolgenden Tage an berücksichtigt werden kann. Dementsprechend beschloß der Vermittlungsausschuß mit Mehrheit, an der vom 'Bundestag beschlossenen Fassung des § 182 Abs. 3 festzuhalten.
Durch Nr. 2 Buchstabe a der Vorlage Drucksache 292,4 — Ergänzung von § 182 Abs. 4 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung — wird sichergestellt, daß nunmehr Familienzuschläge zum Krankengeld auch dann zu gewähren sind, wenn keine häusliche Gemeinschaft besteht. Maßgebend für diese Auffassung der Mehrheit war, daß Familienzuschläge zum Krankengeld künftig in gleicher Weise gewährt werden sollen wie zum Hausgeld.
Der Antrag des Vermittlungsausschusses Nr. 2 Buchstabe b ergibt sich aus dem Antrag Nr. 1.
Der Vermittlungsausschuß hat weiter den Antrag des Bundesrats, den Beitrag für beschäftigte Rentner wegen der auf sechs Wochen begrenzten Leistungsdauer der Krankengeldgewährung zu kürzen, nicht aufgenommen, weil die entsprechende Beitragssenkung von etwa 0,2 v. H. des Grundlohnes in keinem sinnvollen Verhältnis zu dem Arbeitsaufwand der Betriebe und der Träger der Krankenversicherung gestanden hätte.
Zu Nr. 3 der Drucksache 2924: Durch Einfügung eines Art. 2 a wird das vom Bundesrecht abweichende Recht in der ehemaligen britischen Besatzungszone und in Bremen hinsichtlich der Gewährung von Krankenhauspflege beseitigt. Es wird bestimmt, daß Krankenhauspflege im gesamten Bundesgebiet eine Regelleistung ist und den Angehörigen für die gleiche Dauer und in gleichem Umfang wie den Versicherten zu gewähren ist.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich, dem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9459
Vizepräsident Dr. Schmidwill, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist bei einigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:Beratung des Einspruchs des Bundesratesgegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz über das Kreditwesen .Auch hier können Erklärungen abgegeben werden. Wird die Abgabe von Erklärungen gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, hier ist es kompliziert, abzustimmen. Es ist nicht kompliziert, aber man muß genau wissen, wo man ja und wo man nein sagen muß. Das hängt davon ab, wie die Fragestellung ausgerichtet ist.Ich werde einige Erläuterungen geben müssen. Nach Art. 77 Abs. 4 des. Grundgesetzes kann der Einspruch des Bundesrates durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden, wenn der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen wurde. Hat der Bundesrat den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens einer Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Der Bundesrat hat den Einspruch einstimmig beschlossen. Im vorliegenden Falle bedarf es also einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, wenn der Einspruch überwunden werden soll.Nun kommt das Entscheidende, nämlich die Art der Fragestellung. Ich bitte aufzumerken! Wir stimmen ab über die Zurückweisung des Einspruches. Wer den Einspruch des Bundesrates gegen das Gesetz zurückweisen will, gehe durch die Ja-Tür. Wer der Meinung des Bundesrates ist, den Einspruch also nicht zurückweisen will, gehe durch die Nein-Tür. Für Stimmenthaltungen steht, wie üblich, die Enthaltungs-Tür zur Verfügung. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Berliner Abgeordneten nicht stimmberechtigt sind. Wir stimmen ab durch Auszählung. —Ich gebe das Ergebnis der .Auszahlung bekannt. Die absolute Mehrheit beträgt 249 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 350 Mitglieder des Hauses, mit Nein 31, enthalten haben sich 2. Damit ist der Einspruch des Bundesrates mit der gesetzlich erforderlichen Stimmenzahl des Bundestages zurückgewiesen.
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— Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß es sehr schwer fällt, mich zu verstehen. Ich kann zwar lauter sprechen, aber das würde wohl auch nicht viel helfen. Besser wäre es, wenn das Haus ein wenig Ruhe hielte.
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Ich schlage vor, Privatgespräche im Flur zu führen.Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:Beratung des 'Einspruchs des Bundesrates gegen das vom Bundestag beschlossene 'Gesetz über die Sicherung von Beweisen in besonderen Fällen .Auch hier können Erklärungen abgegeben werden. — Das scheint nicht der Fall zu sein.Dieser Einspruch ist mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen worden im Gegensatz zu dem im letzten Fall, in dem er einstimmig beschlossen worden war. Wir können also durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, d. h. durch 249 Stimmen, den Einspruch zurückweisen.Wir stimmen in der gleichen Weise ab wie beim letzten Punkt. Wer den Einspruch des Bundesrates gegen das Gesetz zurückweisen will, gehe durch die Ja-Tür. Wer der Meinung des Bundesrates ist, wer also den Einspruch nicht 'zurückgewiesen wissen will, gehe durch die Nein-Tür. Wer sich der Stimme enthalten will, gehe wie üblich durch die rechte Tür. Auch hier mache ich darauf aufmerksam, daß Berliner Abgeordnete nicht mitstimmen können.Ich eröffne die Abstimmung durch Auszählung.Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. An der Abstimmung haben sich 377 Mitglieder des Hauses beteiligt. Mit Ja 'haben gestimmt 207, mit Nein 150; enthalten haben sich 20 Mitglieder des Hauses. Die absolute Mehrheit beträgt 249. Da nur 207 Mitglieder des Hauses für die Zurückweisung des Einspruchs gestimmt haben, ist der Einspruch nicht zurückgewiesen; es ist also kein Gesetzesbeschluß zustande gekommen.
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Punkt 10 der Tagesordnung soll nach den Vereinbarungen im Ältestenrat erst am Freitag aufgerufen werden.Punkt 11 haben wir an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zurückverwiesen.Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Drucksache 530) ;Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksachen 2812, zu 2812).
Die 'Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt übernommen. Ich bitte sie, den Bericht zu erstatten.
— Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt bezieht sich auf ihren Schriftlichen Bericht.
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9460 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. SchmidWir treten in die zweite Beratung ein.Ich rufe auf Art. 1, und zwar ziffernweise. Art. 1 Ziffern 1 und 2 sind unverändert. — Ziffer 3 ist neu gefaßt. — Ziffern 4 und 5 entfallen. — Ziffer 6 eine neue Formulierung. — Ziffer 7 entfällt. - Ziffer 8 eine neue Formulierung. — Ziffer 9 entfällt. — Ziffer 10 eine Neufassung. — Ziffer 10 a ein Zusatz. — Ziffer 11 unverändert. — Ziffer 12 eine Neufassung. — Ziffern 13 und 14 sind unverändert. — Ziffer 15 eine Neufassung. — Ziffern 16 und 17 sind unverändert. — Ziffer 18 entfällt. — Ziffern 19 und 20 unverändert. — Ziffer 21 entfällt. — Ziffer 22 eine Neufassung: — Zu Ziffer 23 ist ein Änderungsantrag angekündigt.Wir stimmen nunmehr ab über den Art. 1 bis zu Ziffer 22, also über die durch Änderungsanträge nicht betroffenen Ziffern. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Einstimmige Annahme !Zu Ziffer 23 liegt der Änderungsantrag Umdruck 931 Ziffer 1, Dr. Bucher und Fraktion, vor. Wer begründet den Änderungsantrag? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich brauche zur Begründung des Antrages nicht viele Worte zu machen, da im Ausschuß-bericht die gegenteiligen Meinungen zu dieser Frage klar dargestellt sind, zu der Frage nämlich, ob der Adoptierte minderjährig sein muß, d. h. ob die Adoption Volljähriger nicht möglich sein soll, wie es jetzt in der Ausschußvorlage vorgesehen ist und wie es auch schon im Regierungsentwurf vorgesehen war.
Wir sind der Ansicht, daß man auch die Adoption Volljähriger grundsätzlich zulassen muß. Es trifft zu, daß damit in der Vergangenheit Mißbrauch getrieben worden ist, daß Namensadoptionen vorgenommen worden sind, die kein eigentliches ElternKind-Verhältnis herstellen, sondern nur den Namen geben sollten. Aber das kann man ja mit der Mißbrauchsbestimmung in § 1754 'bewältigen, die dem Richter immer die Handhabe gibt, solchen Mißbräuchen zu begegnen. Hier ist jetzt umgekehrt vorgesehen, daß normalerweise nur eine Adoption Minderjähriger möglich sein soll und ein Volljähriger nur adoptiert werden kann, wenn eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird. Wir halten es für angebracht, die Adoption Volljähriger nicht nur in einer Ausnahmebestimmung zuzulassen. Oft wird man, gerade wenn es sich um einen Betrieb, sei er landwirtschaftlicher oder gewerblicher Art, handelt, eine Adoption erst verantworten können, wenn der zu Adoptierende volljährig ist. Derjenige, der den Betrieb abgeben will und, weil er keine Kinder hat, jemand in seine Familie aufnehmen will, kann sich oft erst dann ein Bild über den Betreffenden machen, wenn dieser ein gewisses Alter erreicht hat, und man kann dem Adoptierenden nicht zumuten, die Adoption schon vorzunehmen, wenn der Betreffende minderjährig ist und der Adoptierende deshalb mit der Möglichkeit rechnen muß, daß der Adoptierte ihn vielleicht nachher enttäuscht.
Wir schlugen deshalb vor, den Satz, daß das Kind minderjährig sein muß, zu streichen.
Ich darf gleich zu Ziffer 2 unseres Antrages sagen, 'daß das nur ein Merkposten ist; über diesen Antrag braucht nicht abgestimmt zu werden, wir können ja gegen die Bestimmungen stimmen, die wir gestrichen haben wollen.
Übrigens ist noch ein Schreibfehler darin; es muß „§ 1745 c" heißen.
Wird das Wort hierzu gewünscht? Frau Dr. Schwarzhaupt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Änderungsantrag abzulehnen. Wir haben im Ausschuß eingehend über das Problem der Erwachsenenadoption diskutiert, und wir sind davon ausgegangen, daß die Erwachsenenadoption in sehr vielen Fällen mißbraucht worden ist, insbesondere zu Namensadoptionen, die eine sehr unerfreuliche Erscheinung waren. Wir sind aber weiter davon ausgegangen, daß es Fälle gibt, in denen auch die Adoption Erwachsener sinnvoll und wünschenswert ist. Diese Möglichkeit ist in § 1745 c offen geblieben, wonach eine Ausnahmegenehmigung gegeben werden kann. Das wird insbesondere in den Fällen, auf die auch Herr Bucher angespielt hat, nötig und wünschenswert sein, vor allem wenn es sich um die Übernahme eines Betriebes oder eines Hofes durch einen Angehörigen des kinderlosen Besitzers oder seiner Ehefrau handelt. In diesen Fällen sollte die Genehmigung gegeben werden. Da die Entwicklung dahin geht, daß die Adoption im Regelfall den Charakter einer Fürsorge für das Kind und der Gewährung eines Familienersatzes hat, sollte dies als die Regel klargestellt bleiben, d. h. also nur die Adoption Minderjähriger, aber durchaus mit der Anerkennung, daß es gerechtfertigte Ausnahmefälle geben wird, in denen die Erwachsenenadoption zugelassen werden soll. Ich glaube, die vom Ausschuß vorgeschlagene Regelung entspricht der lebensmäßigen Situation.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte diesen Änderungsantrag für Überflüssig, und zwar alleindeshalb, weil 'das Gesetz ausdrücklich davon ausgeht, daß eine Adoption überhaupt nur dann bestätigt werden kann, wenn ein Eltern-Kindes-Verhältnis lbagründet werden soll. Es bedarf deshalb meines Erachtens keinerlei Festlegung irgendwelcher Altersunterschiede zwischen Annehmenden und Angenommenen. Das wäre eine überflüssige Ergänzung ides Gesetzes, weil — ich verweise auf § 1754 — das Gesetz jede Adoption, übrigens auch die Erwachsenenadoption, nur unter dem Gesichtspunkt der Begründung eines ElternKindes-Verhältnisses zulassen will.
Keine weiteren Wortmeldungen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9461
Vizepräsident Dr. SchmidDann stimmen wir lab über den Änderungsantrag Umdruck 931 Ziffer 1. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen mit überwiegender Mehrheitabgelehnt.Wir stimmen nunmehr ab über Nr. 23 in der Ausschußfassung. Wer ihr zustimmen will,gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei ,wenigen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.Zu Nr. 24 ist ein Änderungsantrag auf Umdruck 931 Ziffer 2 angeündigt.
— Der Antrag ist durch diese Abstimmung erledigt. Ich rufe .auf die Nrn. 24, — 25, — 25 a, — —
— Das Wort hat Frau Abgeordnete Pitz-Savelsberg.
— Sie haben dagegen gestimmt. Wir haben doch nicht über Nr. 25, sondern erst über Nr. 24 (abgestimmt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9463
— Verzeihen Sie, Frau Kollegin Dr. Weber, auch Sie haben Anteil genommen, nur von einer etwas anderen Position her; aber selbstverständlich haben auch Sie, sehr verehrte gnädige Frau, damals Anteil genommen! Ich habe das mit Interesse den Protokollen des Reichstags entnommen, und ich habe auch Ihre Rede in der Reichstagssitzung vom 30. November und 1. Dezember 1928 gelesen; mir ist also auch Ihr Anteil und die Basis, von der aus Sie Ihren Anteil zu dendamaligen Erörterungen erbracht haben, bekannt.
Meine Damen und Herren, damit will ich nur sagen, daß es sich bei diesem § 48 um ein Problem handelt, welches einhegend und nachhaltig, übrigens auch von den besten Köpfen der Rechtswissenschaft — schon damals, in den 20er Jahren! — behandelt worden ist. Ich glaube deshalb, daß es keine gute Sache ist, dieses nach Ihrem Willen zu ändernde Gesetz sozusagen unter dem Vorzeichen einer nationalsozialistischen Vergangenheit zu zitieren.
Verehrte Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt, Sie haben — und ich darf zunächst bei Ihren Ausführungen bleiben — darauf hingewiesen, daß es auch darauf ankomme, dem Richter eine festere, sichere Grundlage zu liefern. Sie haben ausgeführt, daß es unterschiedliche Vorstellungen darüber gebe, was die Ehe sei, ob sie ein Rechtsverhältnis oder nach anderen, etwa überrechtlichen Kategorien zu messen sei. Deshalb sei eine unterschiedliche Interpretation 'des Wesens der Ehe oder ihrer sittlich tragbaren Grundlagen im Sinne des § 48 möglich.Ich darf darauf hinweisen, daß Sie damit im Grunde ein Problem berühren, welches über den Rahmen des heutigen § 48 weit hinausgeht. Ich darf darauf hinweisen, daß es in unserem Eherecht, insbesondere in unserem Ehescheidungsrecht, eine Reihe von Vorschriften gibt, in denen von der sittlichen Rechtfertigung und vom Wesen der Ehe die Rede ist. Ich erinnere hier an § 47 des Ehegesetzes. In dieser Vorschrift steht eine Art Legaldefinition dessen, was als sittlich gerechtfertigt anzusehen ist.§ 47 ist die Härteklausel im Ehegesetz. Sie wissen, daß der Begriff „Wesen der Ehe" auch an anderer Stelle in unserem Ehegesetz vorkommt. Wenn Sie nun an einer Stelle, nämlich in § 48, die Grundlage der bisherigen materiellrechtlichen Regelung mit einer solchen Begründung, wie Sie sie gegeben haben, verändern, dann stellen Sie damit auch die anderen gesetzlichen Bestimmungen in Frage, die gleiche Formulierungen enthalten. Sie rütteln damit, weit über das hier in Rede stehende Problem hinausgehend, an der Gesamtstruktur unseres heutigen Ehescheidungsrechts.Meine Damen und Herren — sich wende mich besonders an die Kollegien der Fraktion der CDU/ CSU —, Sie müssen sich das vergegenwärtigen. Dann wird deutlich sichtbar, wie gewagt das Unterfangen ist, heute an dieser einen Stelle einen Stein aus dem Gebäude unseres Ehescheidungsrechts herauszulösen; denn schon heute zeigen sich mindestens sehr naheliegende Möglichkeiten für Rückwirkungen auf die anderen gesetzlichen Vorschriften, die ich erwähnt habe.Sie isollten deshalb der sozialdemokratischen Empfehlung, die in einem Entschließungsantrag niedergelegt worden ist, folgen und dem Parlament und der interessierten Öffentlichkeit Raum schaffen — auch zeitlich —, die Gesamtproblematik unseres Ehescheidungsrechts, einschließlich unterhaltsrechtlicher, 'erbrechtlicher und verfassungsrechtlicher Probleme — Sie entnehmen das aus dem Wortlaut unserer Entschließung —, zu prüften, um so eine einheitliche, tragfähige Basis für einen sorgfältigen Beschluß des Hohen Hauses zu besitzen.Im übrigen, verehrte Frau Kollegin, ist es wohl nicht richtig, daß man davon ausgeht oder mindestens den Eindruck erweckt, als habe jeder Richter je nach weltanschaulicher oder sonstiger Grundlage eine unterschiedliche Ausgangsposition bei der Interpretation der hier in Betracht kommenden gesetzlichen Begriffe „Wesen der Ehe", „sittliche Rechtfertigung" nach geltendem Recht, „sittlich tragbare Grundlage" nach dem Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion. Dieser Vorschlag wurde gemacht im Hinblick auf die von Ihnen so nachhaltig geäußerte Anregung, diese Bestimmung unbedingt und unter allen Umständen zu ändern.Sie können also die Interpretationsfähigkeit von§ 48 Abs. 2 nicht in Abrede stellen. Die Praxis zeigt, daß die Rechtsprechung sowohl bei § 43 als auch bei § 47 unid bei § 48 mit den Begriffen „Wesen der Ehe" unid „sittliche Rechtfertigung" fertig geworden ist und zu tragbaren Ergebnissen gekommen ist. Eines möchte ich zugunsten unserer Richterschaft, einerlei, wo sie tätig ist, unterstellen: Unsere Richter haben ihre geistige Verankerung 'in der Ordnung, die uns alle trägt und die unser aller Basis ist, einer Ordnung, die ihre Gestaltung u. a. in Art. 6 des Grundgesetzes erfahren hat. Man kann nicht behaupten, daß alles sei labil, es fehle an einer hinlänglichen Klarheit, und aus diesem Grunde sei der
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9464 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
WittrockBegriff „Wesen der Ehe" nicht interpretationsfähig. Die Praxis erweist die Praktikabilität und Interpretationsfähigkeit der in Betracht kommenden Rechtsbegriffe.Man kann hier auch nicht davon ausgehen, daß man es — das klang in der Begründung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU an — noch mit einer Rechtsprechung zu tun habe, wie sie in den Jahren vor 1945 vom Reichsgericht entwickelt worden ist. Meines Erachtens ist es völlig abwegig, die Diskussion hier so zu führen, als bestünde auch nur in etwa die Möglichkeit, daß es zu einem Rückfall in die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1945 käme.Auf einen wesentlichen Gesichtspunkt möchte ich Sie, meine Damen arid Herren, vielleicht doch noch aufmerksam machen ,vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheitsfraktion dieses Hauses, auf die es bei der Entscheidung, vor der wir stehen, nun einmal wesentlich ankommt. Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß die hier von Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt angegriffenen Formulierungen „Wesen der Ehe" und „sittlich nicht gerechtfertigt", wie sie in § 48 Abs. 2 des Ehegesetzes .stehen, noch an anderer Stelle des Ehegesetzes vorkommen. Daraus habe ich die Folgerung gezogen, daß es unzulässig ist, an einer Stelle, nämlich hier bei § 48, einen Reformversuch zu unternehmen ohne Überprüfung des ganzen Ehescheidungsrechts, ohne Abwägung der Konsequenzen für das ganze Ehescheidungsrecht.Auf Grund dieser Betrachtung komme ich zu der Schlußfolgerung, daß •dieser Vorschlag zu § 48 des Ehegesetzes im Grunde genommen in diesem Stadium nicht reif für eine parlamentarische Entscheidung ist, heute und jetzt,
zwei Tage, meine Damen und Herren, vor dem faktischen Abschluß der Beratungen dieses Hohen Hauses. Wir sind der Auffassung, daß es gerade im Bereich des Familienrechts entscheidend darauf ankommt, daß der Gesetzgeber bei seinen Beratungen ein äußerstes Maß an Sorgfalt walten läßt; denn gerade 'das Familienrecht ist ein Rechtsgebiet, in dem der Grundsatz der Dauerhaftigkeit und Beständigkeit der gesetzlichen Bestimmungen beachtet werden muß. Familienrecht kann man nicht alle paar Jahre novellieren, wie man es bei anderen Vorschriften in ständiger Verwertung der Erfahrungen, die sich aus 'dem Praktizieren dieser anderen gesetzlichen Bestimmungen ergeben, durchaus machen kann, sondern im Familienrecht muß man auf Kontinuität und Stabilität der gegdbenen gesetzlichen Ordnung achten. Deshalb ist es ein guter Stil gewesen, daß wir gerade im Bereich des Familienrechtes z. B. in der vorigen Wahlperiode bei der Beratung des Gleichberechtigungsgesetzes und auch in dieser Wahlperiode bei der Beratung des Familienrechtsänderungsgesetzes stets Wert darauf gelegt haben, die Erfahrungen der interessierten Öffentlichkeit zu 'berücksichtigen. Wir haben die Stellungnahmen von Sachverständigen aus dem Bereich der Rechtswissenschaft gehabt. Wir hatten sowohl beim Gleichberechtigungsgesetz wie auch beim Familienrechtsänderungsgesetz die Stellungnahmen der Justizverwaltungen, um festzustellen, was es etwa für Erkenntnisse auf der Ebene der Oberlandesgerichte gibt und wo hier Probleme entstehen, die zu einer Lösung zwingen. Wir haben die Stellungnahmen vom Deutschen Anwaltverein, die Stellungnahmen aus dem 'Bereiche der Richterschaft gehabt. Wir haben überhaupt ein wirklich im Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten größtmögliches Maß an Sorgfalt und Behutsamkeit walten lassen. Auch da, wo wir einmal einen kühnen Beschluß gefaßt haben, Herr Kollege Wahl, als es darum ging, das Güterrecht neu zu formulieren, — was haben wir da abgewogen und welches Maß an Sachverstand außerhalb des Hauses aufgeboten! — Sie nicken erfreulicherweise und durchaus verständlich zustimmend.
Wie haben wir dort gerungen, um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, wir hätten leichtfertig ein Experiment gemacht.Meine Damen und Herren, in gleicher Weise müssen wir auch hier bei der Änderung ie i n e r Vorschrift des Ehescheidungsrechts vorgehen, die aber Rückwirkungen auf das Rechtsgebiet im ganzen gesehen hat. Auch da müssen wir das Maß an Sorgfalt walten lassen, das zum demokratischen Stil des Parlaments gehört, und dazu gehört eben, daß ein solches Parlament eine Entscheidung gerade auf einem solchen Gebiet nicht nur auf Grund eigenen Sachverstandes treffen kann. Zur demokratischen Legitimität gehört, daß wir uns der Wurzel einer jeden demokratischen Arbeit bewußt sind, und die Wurzeln liegen eben in der Mitwirkung und in der Anteilnahme der Öffentlichkeit und der Verwertung des ganzen Sachverstandes außerhalb dieses Hauses.
Damals, als man die BGB-Bestimmungen gestaltete und als es noch kein lebendiges parlamentarisches Leben gab, sogar damals hat man für dieses Prinzip der parlamentarischen Arbeit bei der Veränderung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften Verständnis gehabt. Es hat mehrere Entwürfe gegeben, Kommissionsentwürfe, Entwurf I und II. Man hat damals stets der Öffentlichkeit ausdrücklich Gelegenheit gegeben — gerade weil es auch auf dem Gebiet des Familienrechtes einige Probleme gab, die ich jetzt nicht erwähnen will —, vor den abschließenden Entscheidungen des Gesetzgebers Anteil zu nehmen, Stellung zu nehmen. Man hat Gutachten eingeholt. Man hat auch diese Gutachten aus dem Gebiet des Familienrechts im Jahre 1891 veröffentlicht, um eine breite Basis zu gewährleisten. Man hat also keine Entscheidung nur auf Grund einer isolierten Eingebung des Gesetzgebers oder all derer, die unmittelbar am Verfahren teilnehmen, getroffen. Ich meine, das sind Beispiele sorgfältiger Gesetzesarbeit, und wir sollten uns diese Beispiele hier vergegenwärtigen. Aus dem Grunde hielt ich es auch für richtig und für notwendig, auf sie hinzuweisen. Denn alle Mitglieder des Hauses müssenWittrockdiese Beispiele kennen und sollten diesen Fällen bei der hier in Betracht kommenden Änderung des Ehescheidungsrechts Rechnung tragen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren, ich gebe dem Hause . bekannt, daß uns der Herr Generalsekretär der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft die Ehre seines Besuches gegeben hat.
Herr Generalsekretär, dieses Haus heißt Sie herzlich willkommen und entbietet Ihnen seine besten Wünsche für Ihre Arbeit.
Ich bitte den Redner, fortzufahren.
Meine Damen und Hierren! Natürlich verkenne ich nicht, daß in der parlamentarischen Arbeit immer Fälle denkbar sind, die schnelle Entscheidungen fordern; das soll nicht bestritten werden. Wir haben deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt die von uns geforderte Entscheidung überprüft. Sie von der Fraktion der CSU haben doch immerhin den Eindruck erweckt, es gebe ein besonderes Regelungsbedürfnis. Es ist behauptet worden, es bestehe eine Rechtsunsicherheit oder gar eine Rechtsverwirrung. Es ist behauptet worden, es sei nicht selten, daß es zu unterschiedlichen Erkenntnissen des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte komme. Es ist behauptet worden, in der Wirklichkeit des Lebens gebe es Mißstände, die vom Gesetzgeber eine Regelung verlangten. So ist behauptet worden, es sei nicht selten, daß ein Ehegatte den anderen verstoße, der dieser Situation dann hilflos gegenüberstehe.Natürlich haben Parlamentarier die Pflicht, den Gehalt dieser Behauptungen — die, wenn sie zuträfen, ein Regelungsbedürfnis rechtfertigen könnten — zu überprüfen. Deshalb sind wir zu einer solchen Überprüfung bereit gewesen. Wir haben auch eigene Beiträge zu den Diskussionen geleistet. Ich erinnere Sie daran, daß wir z. B. eine Änderung des Verfahrensrechtes vorgeschlagen haben, um etwaige unterschiedliche Rechtsauffassungen der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofes ausgleichen zu können. Das war ein Zeichen unserer betonten Bereitschaft, durch eine Änderung des Verfahrensrechtes etwaigen Mißständen zu begegnen. Wir haben auch seinerzeit Ihren ersten Anregungen im Unterausschuß nicht widersprochen und haben sie unter dem selbständigen Vorbehalt einer sorgfältigen Prüfung akzeptiert. Aber wie ja überhaupt jede Ausschußarbeit unter dem Vorbehalt einer weiteren Überprüfung steht, haben wir dann, wie gesagt, diese Überprüfung vorgenommen. Wir haben unsere Meinung gebildet, die Meinung, die ich im Rechtsausschuß vertreten durfte und die ich heute auch hier im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vertrete. Diese Meinung ist das Ergebnis sorgfältiger Abwägungen, und wir erwarten, meine Damen und Herren, daß Sie sie respektieren.Wir haben geprüft, ob ein Regelungsbedürfnis besteht, und sind zu der Feststellung gekommen, daß ein solches Regelungsbedürfnis, welches heute und jetzt eine schnelle Entscheidung des Gesetzgebers verlangt, nicht gegeben ist. Betrachten Sie die Zahl der Scheidungsfälle, die unter diesen § 48 fallen! Ich habe mich darum bemüht, die neuesten Zahlen zu beschaffen, und bin auch bemüht gewesen, möglichst differenziertes Zahlenmaterial hier vorzulegen, weil es mir darauf ankommt, möglichst vielen Mitgliedern der CSU auf diese Weise zu sagen, wie minimal das Regelungsbedürfnis ist. Es ist nämlich faktisch gleich Null.
— Verzeihen Sie. Ja, natürlich, ich respektiere IhreEigenständigkeit und bin deshalb für diesen Zwischenruf sehr dankbar. Also: Fraktion der CDU/CSU.Lassen Sie mich dazu einige Zahlen nennen. Sie haben doch den Eindruck erweckt, als bestünden halbwegs chaotische Zustände. Ich will gar nicht behaupten, daß Sie diesen Eindruck wider besseres Wissen erweckt hätten. Man hat vielmehr ganz einfach ohne eine nähere Prüfung des Umfangs des Problemkreises hier ein Problem in den Raum gestellt, wie man heutzutage so schön sagt, und dem dann eine Dimension gegeben, als sei eine Regelung dringend geboten. Die Nachprüfung zeigt, daß davon gar keine Rede sein kann.Zunächst einmal hat die. Zahl der Scheidungen im ganzenwesentlich abgenommen. Sie ist von 1949 bis 1959 auf die Hälfte gesunken. Die Zahl der Scheidungen nach idem hier in Betracht kommenden § 48 ist 1959 auf ein Drittel der Zahl des Jahres 1949gesunken.
— Aber, verehrter Herr Kollege, was Sie daraus entnehmen können, ist das folgende: Es besteht eine Tendenz zu einer immer betonteren Abnahme der Zalhl der Scheidungen nach § 48 von Jahr zu Jahr. Daraus ergibt sich ganz klipp und klar, daß die Situation nicht so beschaffen ist, daß der Gesetzgeber heute und jetzt entscheiden müßte. Dem können Sie meines Erachtens nichts entgegenhalten.
Aber ich bin noch nicht ganz fertig mit den Zahlen, die ich hier angeben will. 1949 sind 9238 Ehen nach § 48 geschieden worden, 1959 3162. Nun wird behauptet, diese Scheidungen seien immer auf Kosten .der Frau erfolgt. 3162 ist immerhin eine beachtliche Zahl, leas will ich gar nicht bestreiten. Bei diesen 3162 'Scheidungen nach § 48 sind in 1732 Fällen der Mann und in 1116 Fällen die Frau der Kläger gewesen.
Sie können daraus erkennen, daß in immerhin überschläglich 40 % der Fälle die Frau die InitiativeWittrockergriffen und die Frau die Scheidung nach § 48 des Ehegesetzes betrieben hat. Es ist also ungerechtfertigt, nun davon auszugehen, es handle sich bei dem § 48 um eine Vorschrift, die faktisch allein die Frau benachteilige.
— Darauf komme ich noch, Herr Kollege Weber, ich bin noch nicht fertig. Ich bitte das Hohe Haus zu entschuldigen, daß ich etwas Zeit darauf verwende; ,aber die Bedeutung des Problems erfordert es, daß man ¡gerade der Frage des Regelungsbedürfnisses ein größtmögliches Maß an Gründlichkeit widmet. Denn wir und Sie haben ja nachher zu entscheiden, ob Sie eine Regelung ¡für geboten halten.— Ich muß übrigens noch darauf hinweisen, daß in 314 Fällen beide Ehegatten, natürlich auf Klage und Widerklage, die IScheidung nach § 48 betrieben haben.Nun die weitere Frage: wie oft Ist gegen den Widerspruch des beklagten Ehegatten geschieden worden? Da weist die amtliche Statistik für das Jahr 1959 aus, daß es in 1,64 Fällen zu einem Schuldausspruch nach § 52 Ides Ehegesetzesgekommen ist. Da ja ein Schuldausspruch nicht unbedingt die Widerklage erfordert, muß man daraus entnehmen, daß in weniger als 164 Fällen eine Scheidung gegen den Widerspruch des beklagten Ehegatten ausgesprochen worden ist. Die exakte Zahl kann hier nicht gegeben wenden; alber aus der Zahl von 164 Fällen, in denen es bei einer Scheidung nach § 48 zu einem Schuldausspruch gekommen ist, kann man entnehmen, daß die Zahl der Widerspruchsfälle geringer ist als 164.Daraus ziehe ich auch idie Folgerung, meine Damen und Herren, daß die Gerichte mit äußerster Zurückhaltung gegen den Widerspruch des beklagten Ehegatten geschieden haben. Es zeigt sich also, Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt, daß die Rechtsprechung durchaus im Sinne Ihrer Vorstellungen mit dem § 48, insbesondere mit ,dem § 48 Abs. 2, fertiggeworden ist. Das wird übrigens auch von einem Familienrechtler bestätigt, der sich besonders eingehend mit den hier in Betracht kommenden Problemen befaßt hat. Herr Professor Bosch hat in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Ehe und Familie" von Juni 1961, Seite 257, ausgeführt — ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren —:Wenn wir von der — wie bekannt — sehr problematischen Judikatur des Reichsgerichtes einmalabsehen, beobachten wir, wie der Bundesgerichtshof und ihm folgend viele Oberlandesgerichte und Landgerichte an Hand der erwähnten Allgemeinbegriffe des § 48 Abs. 2 eine Rechtsprechung entfaltet haben, die von einem nicht mehr zu übertreffenden sittlichen Ernst getragen ist.Auch aus dem, was hier ein Sachkenner, der ja auch in öffentlichen 'Erklärungen seinen Sachverstand ausdrücklich vom Sachverstand eines im politischen Raume tätigen Juristen differenziert über dieRechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte erklärt, können Sie, meine Damen und Herren, entnehmen, daß keinerlei Notstandslage im Bereich der Judikatur besteht, daß also kein Anlaß gegeben ist, heute und jetzt die Lösung eines solchen Problems über das Knie zu brechen.
— Ich komme gleich noch darauf, Herr Kollege Weber. Denn letzten Endes unterhalten wir uns ja hier über zwei Fragen, erstens über die Frage, ob man überhaupt eine Änderung vornehmen soll, und zweitens über die Frage, wie die vorzunehmende Änderungsaussehen soll.Ich komme also zu dem Ergebnis, daß wir angesichts der gegebenen Situation und angesichts der Tatsache, daß keinerlei Notstände und daß keine Mißstände gegeben sind, die eine Entscheidung 'des Gesetzgebers verlangen, auf eine Anhörung von Sachverständigen der Richterschaft und der Justizverwaltungen nicht verzichten sollten. — Übrigens kann die im Ausschuß verweigerte Anhörung von Sachverständigen meines Erachtens nicht durch private Reisen von Ausschußmitgliedern nach Karlsruhe ersetzt werden. Es kommt darauf an, daß dem Gesetzgeber Gelegenheit gegeben wird, seine Auffassung unter gründlicher Abwägung aller Gegebenheiten des Problemkreises zu bilden. Bisher hat sich das Bundesministerium der Justiz in Schweigen gehüllt. Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen sind nicht bekannt. Es sollen angeblich einige Stellungnahmen vorliegen, aber mir sind sie nicht bekannt. Sie sind auch dem Ausschuß nicht bekanntgeworden.Ich komme zu der Schlußfolgerung, daß niemals bei einer so wichtigen gesetzgeberischen Entscheidung so mangelhafte Voraussetzungen für die Entscheidung der gesetzgebenden Körperschaften gegeben waren wie in diesem Falle. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Weber, bei jeder Gesetzesentscheidung oder mindestens bei jeder wesentlichen Gesetzesentscheidung legt das Parlament Wert auf die beratende Mitwirkung von Sachkennern außerhalb des Hauses. Nur hier wollen Sie darauf verzichten.
— Ach, meine Damen und Herren und sehr geehrter Herr Kollege Dr. Weber, die Differenziertheit der Lebensverhältnisse und die rechtliche Problematik gerade auf diesem Gebiete ist so umfassend, daß ich nicht glaube, daß auch nur ein Mitglied dieses Hauses hier einfach schlicht sagen kann: „Hier habe ich selber den erforderlichen Überblick, um unter Abwägungaller Gegebenheiten eine Entscheidung treffen zu können!"Meine Damen und Herren! Nachdem Sie im Rechtsausschuß unsere Anträge auf Anhörung von Sachverständigen abgelehnt und nachdem Sie bekundet haben, daß Sie eine Änderung des § 48
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9467
WittrockAbs. 2 unter allen Umständen wollen, hatten wir natürlich die Verpflichtung, das Bestmögliche zu gestalten. So kam es zu dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Arndt, der ja Gegenstand der Ausschußvorlage zu § 48 geworden ist, wobei im Ausschuß übereinstimmend die Auffassung geäußert wurde, daß er die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wiedergebe. Ich will hinzusetzen, daß der Vorschlag der Rechtsprechung natürlich nicht in ihrem ganzem Umfang entsprechen kann. Ein einzelner Leitsatz kann die Gesamtproblematik einer Judikatur nicht umfassen, und ich möchte hier keinen Hehl aus der Auffassung machen, daß keineswegs alle Erkenntnisse des Bundesgerichtshofs unumstritten sind und daß eine Reihe von Erkenntnissen meines Erachtens Anlaß zu erheblichen Bedenken geben.Wir hatten deshalb Veranlassung, das Bestmögliche 'zu machen. Daraus ergab sich die Verpflichtung, auch den Ausschußbeschluß dahingehend zu überprüfen, ob er sowohl der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, soweit wir uns im Ausschuß mit ihr befaßt haben, entspricht als auch den Tatbestandsmerkmalen des § 48 Abs. 2 gerecht wird.Meine Damen und Herren, Sie haben aber nach der Entscheidung im Rechtsausschuß vom 8. Juni 1961 die dort gefundene Einigungsbasis noch am gleichen Tage verlassen. Denn Sie haben noch am gleichen Tage in von Ihnen lancierten Pressemeldungen den Eindruck erweckt — auch in Ihren Ausführungen, Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt, klang es 'heute hervor—, als habe der Rechtsausschuß mit den Stimmen der Oppositionsparteien die heute nach § 48 Ehegesetz gegebene Scheidungsmöglichkeit erschwert. Sie haben den Eindruck erweckt, als habe der Rechtsausschuß eine Änderung des § 48 Abs. 2 in der Substanz, im materiellen Gehalt beschlossen; denn anders sind die irreführenden Presseäußerungen nicht zu erklären. Sie haben den Eindruck erweckt, als sei das Gewicht des Widerspruchs des beklagten Ehegatten verstärkt worden. Damit haben Sie den Eindruck erweckt — ich sagte es bereits —, als sei § 48 materiell geändert worden. Das entsprach nicht den Beschlüssen des Rechtsausschusses in der Sitzung vom 8. Juni 1961.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Abgeordneter Wittrock, worauf bezieht sich der Ausdruck „verstärkt worden", auf den bisherigen Gesetzestext oder auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs? Selbstverständlich kann es 'sich doch nur auf eine Verstärkung im Vergleich mit dem bisherigen Gesetzestext, nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beziehen. Ging das nicht aus dem Gesamtzusammenhang hervor, Herr Wittrock?
Frau Kollegin, ich verstehe Ihre Frage natürlich akustisch und auch gedanklich. Aber eines verstehe ich an Ihrer Frage nicht. Sie differenzieren 'hier zwischen § 48 Ehegesetz und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Ich gehe davon aus, daß der Bundesgerichtshof auf der Grundlage des § 48 in seinem heutigen Wortlaut steht. Soweit der Bundesgerichtshof die Grundlage des § 48 Abs. 2 verlassen haben sollte — ich will das jetzt hier nicht entscheiden und will dazu nicht Stellung nehmen, ob und inwieweit das geschehen ist —, können wir an diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anknüpfen, sondern unser Anknüpfungspunkt ist die Interpretation des 'Bundesgerichtshofs auf der Grundlage des heutigen § 48. Wir haben die Auffassung vertreten — und Sie haben dem zugestimmt —: es kommt nur darauf an, gewisse Tatbestandsmerkmale des heutigen § 48 inhaltlich klarzustellen, aber nicht in der materiellen 'Substanz zu verändern.
— Es ist wiederholt festgestellt worden.Meine Damen und Herren, Sie unternehmen jetzt den Versuch, zwischen § 48 einerseits und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs andererseits zu unterscheiden, eine Unterscheidung, mit der Sie übrigens dem Bundesgerichtshof einen schlechten Dienst erweisen.
— Lesen Sie nachher noch einmal die Frage von Frau Dr. Schwarzhaupt im Protokoll nach. Sie hat klar und eindeutig an mich die Frage gerichtet, ob man nicht, ausgehend von § 48, von einer Verstärkung reden könne, weil man eben an die BGH-Rechtsprechung angeknüpft habe. Dazu sage ich: Es gibt und es kann keine zulässige Unterscheidung zwischen Interpretation und Substanz des § 48 geben. Wir wollten uns im Rechtsausschuß auf der Grundlage des § 48 bewegen.
— Eine Klarstellung ist keineswegs eine Veränderung im materiellen Gehalt einer gesetzlichen Vorschrift. Es liegen Ihnen ja auch bereits die Protokolle der Ausschußsitzung vom 8. Juni vor; lesen Sie bitte einmal nach, was wir dazu ausgeführt haben.Meine Damen und Herren, ich stelle also fest, Sie haben die Grundlage 'der damaligen Einigung, die nichts anderes bedeuten sollte als Änderung in der Form, aber Wahrung der Substanz und des materiellen Gehalts des heutigen § 48, dadurch verlassen, daß Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt haben, § 48 sei materiell geändert worden.
— Meine Damen und Herren, wir können darüber nicht dauernd in Form eines Zwiegesprächs hin und her argumentieren. Ich habe dazu meine Auffassung vorgetragen.
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WittrockUnabhängig davon ergab sich für uns die Verpflichtung, die gefundene Formulierung daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit sie der Rechtsprechung des BGH und dem heutigen § 48 als einer Einheit gerecht wird. Dabei ergab sich, daß die im Ausschuß beschlossene Formulierung in einem zu starken Maße auf subjektive Momente abstellt. Sie wollen durch Ihren Änderungsantrag das Gewicht der subjektiven Momente noch verstärken. Wenn Sie nur auf innere Vorgänge, also innere Bindung und wirkliche Bereitschaft abstellen, dann verlagern Sie faktisch die Entscheidung in die Hände des Anwaltes, der den beklagten Ehegatten berät und ihm sagt: Laß Vergangenheit Vergangenheit sein; betone, daß du heute die wirkliche Bereitschaft und die innere Bindung hast! Das ist eine Einlassung, welche nicht widerlegbar ist. Insoweit ist die Entscheidung faktisch den Händen des Richters entzogen; denn es wird unwiderlegbar sein, was der beklagte Ehegatte an inneren Vorgängen im Zeitpunkt der Scheidungsklage behauptet.
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Ist Ihnen denn nicht deutlich geworden, daß wir das Wort „innere" ebenso gestrichen haben 'wie Sie?
Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt, der entscheidende Unterschied liegt darin, daß Sie auf die sogenannte zumutbare Bereitschaft abstellen wollen. Ich bin der Auffassung, daß diese zumutbare Bereitschaft — das ergab sich auch nach meinem Verständnis aus Ihren Ausführungen — wesentlich auf subjektive Momente abstellt;
denn zumutbar ist nur das, was subjektiv aus der Sicht des beklagten Ehegatten, der ja hier sein Recht geltend macht, ihm als zumutbar erscheint. Es dreht sich hierbei doch um die Erwiderung des beklagten Ehegatten, und wenn bei dieser Erwiderung des beklagten Ehegatten die zumutbare Bereitschaft zu prüfen ist, handelt es sich um die Zumutbarkeit aus der Sicht dieses beklagten Ehegatten.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß es dem § 48 in seiner heutigen Gestalt nur entspricht, wenn objektive und objektivierbare Tatbestandsmerkmale in dem § 48 Abs. 2 verbleiben. Daraus erklärt sich der sozialdemokratische Änderungsantrag, der Ihnen vorliegt.
Der § 48, so wie er heute beschaffen ist und wie er nach Auffassung der Mitglieder des Rechtsausschusses — wenigstens in der Sitzung vorn 8. Juni 1961 — nicht geändert werden sollte, verlangt nämlich objektive Anknüpfungspunkte.
Wir sind der Auffassung, daß der Gesetzgeber aus den vorgetragenen Gründen zu einer Entscheidung nicht berufen ist. In erster Linie aus diesen Gründen werden wir dem Streichungsantrag, der schon verteilt worden ist — —
— Ach, verzeihen Sie! Dann ergibt sich das Verfahren aus dem geschäftsordnungsmäßigen Ablauf. An sich sind Streichungsanträge geschäftsordnungsmäßig immer umstritten.
Es ist ein Antrag zur dritten Lesung. Grün bedeutet dritte Lesung.
Ich habe es übersehen. Entschuldigen Sie bitte.
Wir bitten das Hohe Haus in erster Linie, aus den vorgetragenen Gründen von einer Änderung Abstand zu nehmen. Das Ehe- und Familienrecht verlangt Sorgfalt und Behutsamkeit. Es verträgt keine Experimente!
Der Weg, den Sie beschreiten wollen, nämlich Anderung des Gesetzes ohne sorgfältige Prüfung und Beratung,
ist aber ein Experiment. Wir werden ein solches Experiment, wie Sie es hier vorschlagen, nicht mitmachen.
Dais Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wittrock hat seine Rede mit dem Appel geschlossen, keine Experimente zu machen. Wir stimmen diesem Appell in vollem Umfang zu. Wir haben aber außer den Bedenken, die er bezüglich der Behandlung des § 48 in diesen letzten Stunden des Bundestages geäußert hat, weitere Bedenken, und zwar schon rein geschäftsordnungsmäßig.Sie wissen, daß bei der Beratung des Familienrechts-Änderungsgesetzes, das ja das eigentliche Gesetz ist, über das wir heute abstimmen sollen, das Recht der Ehescheidung bewußt nicht angeschnitten worden ist. Es liegt auch kein Initiativgesetzentwurf vor, wonach § 48 geändert werden soll. Diese eigenartige Behandlung kam zunächst in dem Unterausschuß „'Familienrecht" auf, wo gesagt wurde: Es sollen auch § 48 und die §§ 1628 und 1629 BGB behandelt werden. Der Familienrechts-unterausschuß hat überhaupt keine beschließende Funktion, sondern ist ein Unterausschuß des Rechtsausschusses. Als ich später im Rechtsausschuß davon hörte, daß § 48 noch behandelt werden solle, habe ich für die FDP schon gleich erhebliche Bedenken dagegen angemeldet, weil ich der Auffassung war, daß der Rechtsausschuß bei seiner Über-
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Frau Dr. Diemer-Nicolauslastung in dieser letzten Zeit des Bundestages zeitlich überhaupt nicht die Möglichkeit hat, sich mit diesem Problem eingehend zu befassen.Es kommt aber noch etwas anderes hinzu, nämlich die Frage, ob ein Ausschuß überhaupt befugt ist, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Das ist nicht der Fall. Ich darf insofern auf das hinweisen, was der doch von allen Parteien hochgeschätzte und leider viel zu früh verstorbene Präsident Ehlers gesagt hat, und zwar in der 151. Sitzung des 1. Bundestages. Er sagte damals zu der Frage, wie weit Ausschüsse Dinge behandeln können, folgendes:Ich darf hier eine grundsätzliche Frage 'aufwerfen, die mir doch für die Arbeit des Hauses und der Ausschüsse von grundsätzlicher Bedeutung zu sein scheint. Es gibt naturgemäß Ausschüsse, die ihre Zuständigkeit sehr weiträumig auslegen. Aber ich habe geschäftsordnungsmäßige Bedenken dagegen, daß ein Ausschuß beauftragt wird, eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten, ohne daß eine Vorlage vorhanden ist. Sonst wird hier eine Gesetzesinitiative des Ausschusses begründet.Der Herr Kollege Arndt hat sich bereits im Jahre 1949 ebenfalls zu der Frage der Befugnisse der Ausschüsse geäußert. Er hat dabei ganz klar herausgestellt, daß es sich bei den Ausschüssen nur um Hilfsorgane des Bundestages handelt. Sie haben überhaupt keine eigene rechtliche Existenz, daher auch kein Initiativrecht.Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß der Herr Abgeordnete Gengler in der 179. Sitzung des 1. Bundestages als seinerzeitiger Mitberichterstatter folgendes gesagt hat:Ferner ist eindeutig klargestellt, daß sich die Ausschüsse nur mit den ihnen überwiesenen Gegenständen befassen dürfen. Ausnahmen von dieser Regelung sind nur durch die Geschäftsordnung selbst oder durch ausdrücklichen Beschluß des Bundestages möglich.
— Herr Kollege, immer fertig ausreden lassen! Sie dürfen doch nicht denken, daß ich es übersehe, zu so etwas Stellung zu nehmen.
Es wurde nämlich auch im Ausschuß sofort darauf hingewiesen: Ja, aber der Sachzusammenhang, die Ausschüsse haben schon früher bei der und der Gelegenheit so gehandelt. Hier fragt es sich: Ist ein Sachzusammenhang da? Dazu habe ich im Ausschuß die Auffassung vertreten, und ich vertrete sie hier auch: Es ist kein Sachzusammenhang im eigentlichen Sinne mit dem Familienrechtsänderungsgesetz vorhanden. Scheidungsrecht und Familienrechtsänderungsgesetz sind nämlich zwei völlig verschiedene Materien.
Es ist auch dadurch kein Sachzusammenhang geschaffen worden, daß seitens .der SPD — nachdem es zuerst hieß, es soll nur die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für alle Gerichte verbindlich gemacht werden — eine Änderung der Zivilprozeßordnung vorgeschlagen wurde. Darüber sind Sie sich doch hoffentlich im klaren, daß Verfahrensrecht und materielles Recht zwei grundsätzlich verschiedene gesetzliche Materien sind, so daß auch damit ein Sachzusammenhang im Sinne der Geschäftsordnung nicht begründet wurde.Wenn man sich mit der Geschäftsordnung befaßt, wie man das gerade an Hand eines derartigen Verfahrens tun muß, 'dann überlegt man sich natürlich auch, was sich denn die Abgeordneten, die seinerzeit die Geschäftsordnung des Bundestages beschlossen haben und die zum großen Teil Gott sei Dank noch hier unter uns sind, dabei gedacht haben. Was damitsichergestellt werden soll — und darauf hat Herr Kollege Arndt im Rechtsausschuß sehr eindringlich und richtig hingewiesen; er kennt ja diese ganze Materie aus der Vergangenheit —, ist die rechtzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit. In dem Augenblick, in dem ein Gesetzentwurf vorliegt, sei es als Regierungsvorlage, sei es als Initiativgesetzentwurf von Abgeordneten, muß die erste Lesung .des Bundestages erfolgen, und damit wird sofort die Öffentlichkeit, wird sofort die Presse auf eine beabsichtigte Änderung aufmerksam,
Handelt es sich um eine Regierungsvorlage, muß 'dazu vorher die Stellungnahme der Länder, also des Bundesrates, eingeholt werden. Daß das gerade in diesem Falle unibedingt erforderlich war, ist nach meiner Auffassung zweifellos richtig. Wie ist es denn heute? 'Hier wurde gesagt —und das kam vorher auch von den Befürwortern der beabsichtigten Änderung in der Presse zum Ausdruck —, daß ein dringendes Bedürfnis dafür vorhanden sei. Zu welch unrichtigen Vorstellungen das geführt hat, mögen Sie einem Artikel einer Frauenzeitung mit der Überschrift „Das Recht zum Widerspruch 'in der Ehescheidung" entnehmen. Infolge der ganzen Art, wie diese Dinge in der letzten Zeit behandelt worden sind, heißt es da:Man darf wohl mit Recht annehmen, daß ein etwaiger Widerspruch des Ehepartners, der die Ehe trotz Trennung — die vielfach nichts anderes als ein Verlassenwerden vom anderen war — aufrechterhalten will, in den meisten Fällen nicht beachtet wurde.Es wurde doch so hingestellt, als wäre die ältere, verstoßene Frau schutzlos einer solchen Rechtsprechung 'ausgesetzt, als wäre die Rechtsprechung insofern nicht ausreichend. Das ist aber gar nicht der Fall!Bis heute war es uns doch noch nicht möglich, genaues amtliches Zahlenmaterial zu erhalten. Die SPD hat eine Kleine Anfrage an das Justizministerium gerichtet, und der Herr Justizminister hat dazu erklären müssen, daß er uns die zahlenmäßigen Angaben leider nicht machen könne und die Länder angeschrieben habe. Das gerade zeigt doch, wie not-
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Frau Dr. Diemer-Nicolauswendig die Mitwirkung der Länder bei einer derart wichtigen Bestimmung ist!Daß die Länder das angenommen haben und als eine wichtige Aufgabe ansehen, können Sie daraus ersehen, daß schon in den Jahren 1952/53 die Frage in einem anderen und viel weiteren Zusammenhang, nämlich mit dem Gleichberechtigungsgesetz, aufgeworfen wurde, als es — da war natürlich noch die Erfahrung der Rechtsprechung des Dritten Reiches maßgeblich — darum ging, ob eine Änderung des § 48 vorgenommen werden sollte. Der Bundesrat hat sich damals ganz entschieden gegen eine Änderung des § 48 ausgesprochen.
— Herr Kollege Weber, Sie sehen, ich greife dieses Thema von mir aus auf! — Es wurde von den Befürwortern der Änderung des § 48 stets herausgestellt— ob es nun in die Diskussion draußen, im Rundfunk oder in der Presse war — der erste Entwurf von 1952 unter Justizminister Dr. Dehler, nachher der andere Entwurf, der FDP-Entwurf, der in § 1571 eine Änderung des § 48 vorsah. Was allerdings verschwiegen wurde, Herr Kollege Weber, ist die Tatsache, daß es sich damals an und für sich um das Gleichberechtigungsgesetz handelte, wobei es grundsätzlich um ganz andere Probleme ging.
Damals wurde abgelehnt, das Ehescheidungsrecht zu ) behandeln. Die Jahre 1952 und 53 wurden nicht genannt, und es wurde auch nicht gesagt, daß wir mittlerweile das Jahr 1961 haben und die Dinge in der Zwischenzeit weitergegangen sind. Sie sind weitergegangen, auch in der Rechtsprechung.Ich habe mir die Mühe gemacht, es nicht bei der Zusammenstellung der höchstrichterlichen Entscheidungen zu belassen, die uns seitens des Bundesjustizministeriums vorgelegt wurde, sondern ich habe mir meine eigene Entscheidungssammlung, die ich für meine berufliche Praxis habe, herausgenommen und habe die Rechtsprechung von Anfang an, also von 1948 bis in die neueste Zeit, sorgfältig durchgesehen. Schlagworte wie „Ältere Ehefrau muß der jungen Sekretärin weichen", „Verstärkter Schutz der schuldlosen Frau, der armen verstoßenen Frau", die aufgetaucht sind, treffen ja gar nicht zu; Es ist nicht wahr, daß sie keinen ausreichenden Schutz haben! Der Bundesgerichtshof hat vielmehr eine Rechtsprechung entwickelt, die außerordentlich weit zugunsten des schuldlosen Ehegatten geht. Nicht ein einziger Fall ist entschieden worden, Frau Kollegin Schwarzhaupt, in dem das Gericht durch eine Scheidung die Möglichkeit zur Legitimierung eines bisher illegitimen Verhältnisses gegeben hätte. Gerade in allen diesen Fällen wurde der Widerspruch ausdrücklich für beachtlich erklärt. In der Rechtsprechung wurde ganz ausdrücklich herausgestellt: ein Ehemann, der sich von der Ehe löst und mit einer einer anderen Frau zusammenlebt, kann und darf sich nicht gegen den Widerspruch seiner Ehefrau aus seiner ihm durch die jetzt bestehende Ehe auferlegten Verpflichtung lösen, »selbst wennn aus demVerhältnis mit der anderen Frau Kinder hervorgegangen sind.
— Was wollen Sie denn da noch verstärken, FrauKollegin?! Ich will Ihnen noch einen Fall darlegen.Herr Kollege Wittrock hat vorhin Zahlen genannt. Dagegen wurde gesagt, man könne nicht die Zahlen von 1949 nehmen, denn das seien »anormale Verhältnisse gewesen. So hörte ich es von Herrn Kallegen Memmel, neben idem ich zufällig, nur durch einen Gang getrennt, saß. Es ist sicher richtig, daß in der Kriegszeit Ehen übereilt geschlossen worden sind. »Die »Ehegatten waren nur ganz kurz, vielleicht während »eines oder zweier Urlaubsaufenthalte zusammen. Infolge 'der Nachkriegsverhältnisse war leider, 'leider 'der Fall nicht ganz selten, daß die Frau in den polnisch »besetzten Gebieten lebt, während .sich der Mann im Westen aufhält. Die Ehegatten haben sich seit 14 Jahren und länger überhaupt nicht mehr gesehen. Die ehelichen Bindung als solche besteht nicht. Die Ehepartner haben sich nur für die Zeit von zwei kurzen Urlaubsaufenthalten gesehen. Der Ehemann sagt nach einer Trennung von mehr als einem Jahrzehnt, nachdem er übereilt geheiratet hatte: „Das ist eine Ehe, die für mich keinen Sinn hat." 'Selbst in derartigen Fällen wind »die Ehe nicht »geschieden, wenn die Ehefrau widerspricht! Das ist die ständige Rechtsprechung »des Bundesgerichtshofs. So weit geht 'der Schutz für die Frau, auch wenn der Bundesgerichtshof ganz »klar erkennt, daß überhaupt nicht »abzuseihen ist, ob »sich die politischen Verhältnisse einmal so »gestalten, daß die 'Möglichkeit 'besteht, daß die Ehegatten wieder »einmal zusammenkommen.Wie ist es denn mit dem Verschulden? Es wird immer nur der Fall genommen, daß der Mann in der Zwischenzeit ein illegitimes Verhältnis eingegangen ist und deshalb »die Ehe geschieden haben möchte. Der Bundesgerichtshof hat den Begriff der Zerrüttungsschuld viel weitergetaßt. Unter den Begriff der Zerrüttungsschuld 'fallen nicht nur schwere eheliche Verfehlungen. Hierfür genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schon, daß sich 'der Kläger innerlich von der Ehe albgewendet hat, ohne daß er Beziehungen 'zu »anderen Frauen hat. Schon das wird als »eine Zerrüttungsschuld bezeichnet. Es braucht sich dabei nicht um schwere Eheverfehlungen im Sinne von § 43, geschweige »denn von § 42 des Ehegesetzes »zu handeln. Wenn nur eine derartige Zerrüttungsschuld vorliegt, ist schon der Widerspruch der Ehefrau grundsätzlich beachtlich. Ich meine also, daß diese Dinge in der Öffentlichkeit nicht nichtig »dargestellt worden sind.
Ich möchte weiterhin auf folgendes hinweisen. Der Herr Bundesjustizminister hat sich in dieser Frage sehr zurückgehalten. Wir Freien Demokraten haben zu erkennen gegeben, daß wir »auf dem Wege, der hier beschritten wenden soll, nicht mitgehen werden. Was ist uns nun in dieser Beziehung schon wieder entgegengehalten worden? Was lese ich heute in
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Frau Dr. Diemer-Nicolauseiner Zeitung? Ich lese: „Liberalistische Obstruktion". Ich sehe den Herrn Abgeordneten Wuermeling auf seinem Platz sitzen. Ich weiß genau — über seine Reden gegen die FDP unid ihre Haltung in dieser Hinsicht ist in 'der Presse berichtet worden —, daß er auch unsere Ablehnung einer Änderung des § 48 zum Anlaß genommen hat, gegen uns als Liberale, sei es als Minister, sei es als Abgeordneter,— wohl schon im Zeichen des Wahlkampfes — sehr heftig die Fehde zu eröffnen. Das wollen wir dochnicht Übersehen.Ebenso wollen wir nicht übersehen, daß jetzt im letzten Augenblick ein Gesetz mit falschen Überschriften gemacht werden soll, daß mit dicken Schlagzeilen wie „Erschwerung der Ehescheidung" es so dargestellt wird, als wäre die schuldlose Frau nicht genügend geschützt; das geschieht alles schon im Zeichen des beginnenden Wahlkampfes. Halten Sie, meine Damen und Herren von der CDU und von der CSU, es wirklich für eine verantwortungsbewußte Familienpolitik, das hier jetzt so übers Knie zu brechen?
— Jawohl, übers Knie zu brechen!
Ich habe dm Rechtsausschuß nicht von einer einzigen Entscheidung gehört, die zu Beanstandungen hätte Anlaß geben können, vielmehr hat man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als vorbildlich bezeichnet. Auf die Frage aber, wieso, wenn doch die Rechtsprechung vorbildlich sei, dennoch eine Erschwerung notwendig sein solle, wurde keine klare Auskunft gegeben. Auf der einen Seite wurde gesagt, man wünsche lediglich, daß, was der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen gesagt habe, nun auch in der Formulierung des Gesetzes zum Ausdruck komme. Auf der anderen Seite wurde gesagt, es solle eine Erschwerung eintreten. Eine Erschwerung, meine Damen und Herren, ist nicht nur beabsichtigt, sondern ist auch die zwangsläufige Folge, wenn Sie eine Änderung des Gesetzes in dieser Hinsicht vornehmen.
Sie können dann nicht mehr sagen, Sie wollten an und für sich das Zerrüttungsprinzip als solches aufrechterhalten. Wenn Sie über die Rechtsprechung zum Schutz der Ehefrau und zum Schutze der Kinder, von der ich gesprochen habe, noch hinausgehen wollen, dann ist, ob Sie in dem Abs. 1 das Zerrüttungsprinzip noch stehenlassen oder nicht, es praktisch vollkommen unbeachtlich, wenn nur der eine Teil nicht mit der Scheidung einverstanden ist. Denken Sie, bitte, nicht nur an den Widerspruch der Frau, sondern denken Sie auch daran, daß manche Frau von 'einer Ehe nicht loskommt, weil der Mann widerspricht — aus welchen Gesichtspunkten, aus welchen Motiven, wird sich immer schwer feststellen lassen.Ich möchte noch auf etwas Weiteres eingehen. Als jetzt überraschend diese Diskussion kam,
als ebenfalls überraschend, was sonst nicht üblichist, ein Unterausschuß bei Anwesenheit von nurfünf oder sechs Mitgliedern einen Beschluß faßte— wobei unsere Partei, die FDP, nicht vertreten sein konnte, weil unser Mitglied im Familienrechtsausschuß, Frau Dr. Lüders, zur gleichen Zeit bei einer Sitzung des Kriegsopferausschusses in Berlin zugegen sein mußte —, wurde dieser gleich in der Presse groß publiziert, etwas, was sonst nicht üblich ist, wenn Unterausschüsse vorberatend für den Hauptausschuß eine Abstimmung vornehmen. Dann kam die Diskussion in der Presse, und sie kam von Anfang an unter der Überschrift „Erschwerung der Ehescheidung".
— Frau Kollegin Schwarzhaupt, unterschätzen Sie doch nicht, wie man gegebenenfalls etwas in die Presse bringt und unter welchen Überschriften etwas erscheint! Es ist doch ganz klar, daß die Presse das, was sie an Nachrichten von den Pressestellen der einzelnen Parteien erhält, unter bestimmten 'Überschriften bringt. Außerdem hat es Herr Abgeordneter Wuermeling ausdrücklich gesagt, sowohl als Abgeordneter als auch als Minister. Als Minister hat er es hier bei der Haushaltsdebatte gesagt; er hat auf die Erschwerung hingewiesen. Also kann Frau Dr. .Schwarzhaupt jetzt nicht behaupten, davon könne keine Rede sein.Ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß sich dann überall die Organisationen geregt haben, die sacherfahren sind, und gewünscht haben, gehört zu werden. Wie sehr die Mitarbeit von fachlich dazu befugten Organisationen durch die nicht ordnungsgemäße, nicht geschäftsordnungsmäßige Behandlung gelitten hat, mögen Sie aus folgendem ersehen. Seinerzeit, im Jahre 1952, Anfang 1953, als von einer Änderung des § 48 in der Form des § 1571 die Rede war, hatte der Juristinnenbund, der doch sicherlich sehr frauenfreundlich eingestellt ist — das werden Sie mir schon glauben —, eine Kommission gebildet, die sich mit dem Ehescheidungsrecht befassen sollte. Nachdem es dann hieß, nein, das Scheidungsrecht wird jetzt nicht behandelt, sondern die Reform des Ehescheidungsrechtes muß in größerem Zusammenhang gesehen werden usw., ist selbstverständlich dieser Ausschuß nicht weiter zusammengetreten, weil auch der Juristinnenbund sehr viele Aufgaben bei vordringlichen Problemen hat, die zur Diskussion stehen.Dann tagte der Familienrechts-Unterausschuß am 3. März 1961, und die Organisationen hatten — auch rein zeitlich — gar nicht mehr die Möglichkeit, sich damit zu befassen.
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Frau Dr. Diemer-NicolausWir halten es für notwendig, uns nicht nur auf unseren eigenen Sachverstand zu verlassen, auch wenn wir als Anwälte und Anwältinnen vielleicht in der Praxis sehr viel mit dieser Materie zu tun haben, sondern wir Freien Demokraten halten es für notwendig, daß man dazu die Richter hört, und zwar auch die Richter vom 4. Senat des Bundesgerichtshofs mit dieser außerordentlich strengen Rechtsprechung. Wir halten es aber auch für notwendig, daß uns doch auch einmal die Urteile, die davon abweichen sollen, vorgelegt werden. Ich habe auch jetzt bei der Überprüfung keines gesehen, das gegen diese Enscheidungen verstoßen hat. Wenn etwa derartige Entscheidungen vorliegen — es wurden in dem Zusammenhang Entscheidungen ides Oberlandesgerichts Hamburg oder des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein genannt; ich habe das nicht nachprüfen können, diese Entscheidungen sind in der Entscheidungssammlung, die ich habe, nicht, obwohl darin auch Oberlandesgerichtsentscheidungen enthalten sind —, dann .muß man auch einmal die Richter dieser Gerichte hören, um zu erfahren, ob überhaupt die Vorwürfe in dieser Hinsicht begründet sind oder welche Gründe gegebenenfalls diese Richter dazu bewogen haben, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen.Ich habe in meiner langjährigen Anwaltspraxis viele Ehescheidungsfälle gehabt, und ich habe es bei den verschiedensten Kammern eines großen Landgerichts und eines großen Oberlandesgerichts — Stuttgart — nicht einmal erlebt, daß der Richter nicht mit großer Verantwortung selbst. in idem kleinsten Ehescheidungsfall an seine Aufgabe herangegangen ist, daß er nicht eingehend geprüft hat, ob nun wirklich die Ehe hoffnungslos zerrüttet ist. Wir Anwälte müssen immer wieder unsere Mandanten darauf aufmerksam machen, daß es keine einvernehmliche Ehescheidung gibt, sondern daß . die Richter davon ausgehen, daß die Familie und Ehe den besonderen grundgesetzlichen Schutz des Art. 6 haben und daß der Staat an der Aufrechterhaltung der Ehe das größte Interesse hat. Der Richter tut deshalb beim Sühneversuch und nachher auch noch im Laufe des Prozesses alles, um die Ehegatten wieder zusammenzuführen, wenn er den Eindruck hat, daß die Ehegatten döch wieder zueinanderfinden, auch wenn vielleicht schwerste Eheverfehlungen vorgekommen sind.Das ist die Praxis, und deswegen würde es mich interessieren, welche Gründe denn Richter eines Oberlandesgerichts hatten, die sicherlich auch mit der gleichen Sachkenntnis und mit dem gleichen Verantwortungsbewußtsein an ihre Aufgabe herangegangen sind wie die Richter, die ich persönlich kenne, um von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen.Vorhin tauchte auch die Frage auf, Frau Kollegin Schwarzhaupt, die Sie an Herrn Kollegen Wittrock stellten, und diese Frage wird jetzt allerdings in der Öffentlichkeit auch zur Diskussion gestellt: Liegt denn überhaupt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch im Rahmen ides § 48 Abs. 2? SehenSie, das ist etwas, was ich ganz außerordentlich be- 1 dauere. Wenn Sie jetzt eine Änderung des Textes des § 48 Abs. 2 wollen und sagen: Damit solle eine Fassung geschaffen werden, die eher der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspreche, — so liegt darin doch ,schon mehr oder weniger - entschuldigen Sie, daß ich das hier sagen muß daß die jetzige Fassung dem doch nicht so zu entsprechen scheint.Ich bin weiterhin der Auffassung,
— darf ich noch diesen Satz zu' Ende sprechen —, daß gerade die Fassung, die wir jetzt in § 48 haben, an und für sich dem Wesen der Ehe als einer sittlichen, vom Staat geschützten Rechtsordnung wesentlich gerechter wird, als wenn Sie jetzt mit Ihrer Formulierung darauf abstellen, ob dem widersprechenden Ehegatten auch die Bindung an die Ehe und eine zumutbare Bereitschaft fehlt, die Ehe fortzusetzen. Bitte sehr!
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt.
Zu der Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Text des Gesetzes entspricht: Wissen Sie nicht, daß eine Generalklausel im Gesetz immer einen Spielraum läßt und daß es sich hier um die Frage handelt, wieweit von diesem Spielraum Gebrauch gemacht wird und ob von dem freien Ermessen des Gerichts enger oder weiter Gebrauch gemacht wird?
Frau Kollegin Schwarzhaupt, glauben Sie, wenn Sie eine Generalklausel durch eine andere ersetzen, dadurch würde eis besser?!
Den Begriff der Zumutbarkeit haben wir ja in vielen Gesetzen. Sehen ,Sie sich doch einmal die Rechtsprechung zum Begriff der Zumutbarkeit daraufhin an, wieviel Seiten Entscheidungen nachher da zitiert sind und daß Sie dann reine Fallentscheidungen bekommen. Glauben Sie nicht, daß demgegenüber die Generalklausel in § 48 Abs. 2, zu der der Bundesgerichtshof immer wieder auf die sittliche Ordnung hinweist, wesentlich schöner ist und dem Wesen und der Ethik der Ehe gerechter wird als eine „zumutbare Bereitschaft" des widersprechenden Ehegatten?
Übersehen Sie bitte nicht, daß Sie mit der Frage der Zumutbarkeit den Richter weitaus mehr überfordern, als wenn Sie doch noch eine Objektivierung insofern haben, als auf die sittliche Würdigung des Wesens der Ehe als solche abgestellt wird, so wie unser Staat die sittliche Ordnung der Ehe sieht. Daß er diese sittliche Ordnung ganz wesentlich anders sieht als vor 1945, das steht ja außer
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9473
Frau Dr. Diemer-NicolausZweifel. Aus dieser Vorstellung von der sittlichen Ordnung und dem sittlichen Wert der Ehe ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zu sehr guten und durchaus zufriedenstellenden Ergebnissen gekom- men, mit dem weitestgehenden Schutz der „verstoßenen" Ehefrau, die eben nicht verstoßen werden kann.Allerdings eines wird der Bundesgerichtshof nicht erreichen können, und das werden Sie auch mit allenGesetzen nicht erreichen können. Sie werden nicht erreichen können, daß ein Ehegatte, der den anderen Ehegatten verlassen hat und jahrelang getrennt lebt, ob er sich nun einem anderen zugewendet hat oder nicht, wieder Liebe und Zuneigung zu seinem früheren Ehegatten findet. Da hört unsere Befugnis als Gesetzgeber auf.Hier aber, meine Damen und Herren, setzt die Verantwortung und die Pflicht unserer Kirchen ein. Hier haben sie eine weitgehende schöne Aufgabe, in dem Sinne, wie von seiten der Konfessionen die Ehe als Institution gesehen wird, auf ihre Kirchenmitglieder einzuwirken.Natürlich taucht dann ganz automatisch auch die Frage auf, daß wir als Staat für alle Konfessionen, für alle Staatsbürger da sein müssen und daß es deshalb für uns nicht möglich ist, unser staatliches Eherecht nach den Vorstellungen nur einer Konfession auszurichten.
Insofern unterscheidet sich nun einmal die Evangelische Kirche in ihrer Auffassung über die Ehe grundsätzlich von der Katholischen Kirche.In dem „Sonntagsblatt", einer wirklich sehr evangelischen Zeitung — das werden mir alle zugeben —, ist in diesem Zusammenhang folgendes ausgeführt worden:Wir dürfen gar nicht hoch genug von der Ehe denken.
Aber gerade das könnte uns vor der unevangelischen Hoffnung bewahren, daß der Staat berufen sei, Gatten, die eine Ehe nicht mehr führen, gegen ihren Willen zusammenzubinden. Das Evangelium rechnet realistisch und darum mit der Sünde des Menschen und darum mit der Möglichkeit, daß eine Ehe mißrät. Es gesteht dem Menschen die schreckliche Notlösung der Trennung zu.Der Staat muß in seiner Gesetzgebung dem Rechnung tragen, daß — —
— Ja, Frau Kollegin Schwarzhaupt, ich spreche jetzt nicht von der Theorie, sondern von der Praxis, wie es tasächlich ist. Da können Sie noch so viel Theoretisches sagen, in der Praxis ist es anders.Was mit der Änderung erreicht werden soll, ist ein Rückschritt.
Damit setzt sich etwas anderes fort. Ich möchte doch auch ein mal sagen, warum wir Freien Demokraten heute in dieser Beziehung eine andere Haltung einnehmen als seinerzeit. Was haben wir denn in dieser Zeit erlebt? Wir haben erlebt, daß von einer Konfession versucht wurde, in ganz maßgeblichen Fragen auf die Politik und das Recht einzuwirken. Wir haben nach 1952 und 1953 den Streit darum erlebt, inwieweit die kirchliche Trauung gleichberechtigt neben oder gar noch vor die Ziviltrauung treten sollte. Wir haben auch erlebt, daß eine kirchliche Trauung vor der zivilrechtlichen entgegen den zivilrechtlichen Bestimmungen in einer bayerischen Kirche vollzogen wurde. Als es dann darum ging, zu klären, ob das strafbar ist oder nicht, wurden die maßgeblichsten Professoren wegen dieses kleinen Falles an ein kleines Gericht in Bayern geschickt und gaben ihre Gutachten ab. Ich brauche Sie weiter nur an die Begründung des Verbots der Sonntagsarbeit wider wirtschaftliche Vernunft zu erinnern. Oder denken Sie an das Jugendhilfegesetz, in dem eine Bevorrechtigung der freiwilligen konfessionellen Verbände enthalten ist.Wir als Liberale sehen die Entwicklung. Wir stehen zu den Kirchen. Was mich immer am meisten kränkt — ich möchte das in aller Offenheit sagen —, das ist, daß wir als Liberale als antikirchlich hingestellt werden, im Wahlkampf auch von Mitgliedern dieses Hauses, wie das erst kürzlich wieder geschehen ist. Sonst, wenn es sich um andere Fragen handelt, wollen auf einmal alle Parteien liberal sein, und da sagt auch die CDU: Wir sind doch liberal. Wenn es aber 'an die eigentliche Frage geht, wenn es sich darum handelt, die Gewissensfreiheit im liberalen Geiste aufrechtzuerhalten, da werden wir angegriffen und von Ihnen im Stich gelassen.
Ich habe das heute mit aller Offenheit ausgesprochen, weil ich mich dagegen wende, daß in dieser Art und Weise in den letzten Stunden des Bundestages so eine weitgehende Entscheidung getroffen werden. soll. Warum? Lassen Sie mich auch das mit aller Offenheit aussprechen. Nicht ich allein spreche es aus, auch in den Zeitungen ist es zu lesen. Es wird nämlich gesagt: Ja, wenn die CDU/CSU nach der nächsten Wahl nicht mehr die absolute Majorität haben sollte, dann ist eine derartige Änderung mit einer absolut gewollten und beabsichtigten Erschwerung des Ehescheidungsrechts nicht mehr zu erreichen. Sie können mir nicht ausreden und nicht widerlegen, daß das der innere Beweggrund ist, wenn Sie heute hier auf der Behandlung bestehen, ohne Anhörung von Sachverständigen, ohne Anhörung der Richter, ohne Anhörung der Anwälte, ohne Anhörung auch der Eheberater, gerade auch bei den Kirchen, deren Eheberatungsstellen eine sehr dankbare Aufgabe übernommen und außerordentlich wirkungsvoll durchgeführt haben.Ich bitte Sie noch einmal dringend, meine Damen und Herren: Lassen Sie jetzt einmal diese Dinge beiseite, sehen Sie die Sache als solche und lassen Sie uns im nächsten Bundestag in aller Ruhe von Anfang an all diese Probleme erörtern, vor allen
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Frau Dr. Diemer-NicolausDingen aber ein Problem, das viel wichtiger ist: die Sicherung der Unterhaltsansprüche der Ehefrau,
sei es während einer Trennung, wenn es sich nur noch um eine gesetzliche Scheinehe handelt, oder wie die Unterhaltsansprüche der Ehefrau und der Kinder auch bei Abschluß einer neuen Ehe geschützt werden können. Hier gilt es Wandel zu schaffen, und hier kann wirklich den Frauen geholfen werden, sei es in einer noch bestehenden Ehe, sei es — und dann erst recht — in einer geschiedenen Ehe. Das wäre ein vordringliches Problem gewesen, nicht aber die Änderung des § 48 Abs. 2.
Wir beantragen namentliche Abstimmung über den § 48 und außerdem buchstabenweise Abstimmung über Art. 2 a Ziffer 1.
Dafür müssen Sie mir 50 Abgeordnete bringen. Ihre Fraktion zählt nur 44 Abgeordnete. Ich frage: Wer unterstützt den Antrag? — Die namentliche Abstimmung ist zugelassen.Meine Damen und Herren! In dieser Sache ist eine geschäftsordnungsmäßige Frage von großer Wichtigkeit angesprochen. Mein Vorgänger im Amt ist hier zitiert worden. Inzwischen hat die Praxis des Bundestages, wie ich meine, völlige Klarheit in der Sache insoweit geschaffen, - als der § 60 der Geschäftsordnung, der das Wesen und die Aufgaben der Ausschüsse klarstellt, in nicht weniger als dreifacher Variation vorschreibt, .daß sie nur die ihnen überwiesenen Aufgaben, Geschäfte, Gegenstände und nichts anderes behandeln dürfen. Nur damit dürfen sich die Ausschüsse im allgemeinen befassen.Nun gibt es hiervon einige Ausnahmen. Ich möchte das ausdrücklich sagen. Ich glaube, daß wir im nächsten Bundestag mit einigen Änderungen der Geschäftsordnung befaßt sein werden. Aber ich sehe nicht, daß exakt der § 60 geändert werden wird. Ich glaube deshalb, daß das zum Schluß dieses Bundestages festgehalten werden sollte.Ausgenommen ist erstens der Haushaltsausschuß; er hat ein gewisses Initiativrecht insofern, als es sich um Finanzvorlagen handelt, die ihm nach § 96 Abs. 1 der Geschäftsordnung vom Präsidenten nach Anhörung des Ältestenrates überwiesen werden. Das ist unbestritten.Zweitens ist der Petitionsausschuß insofern hier eine gewisse Ausnahme, als er die ihm vom Präsidenten direkt überwiesenen Petitionen zu bearbeiten hat. Das Plenum des Bundestags überweist nicht namentlich jede einzelne Petition.Schließlich hat ein klares Initiativrecht der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität in Immunitätsangelegenheiten, die nach § 114 Abs. 1 der Geschäftsordnung vom Präsidenten direkt überwiesen werden, und in Geschäftsordnungsfragen überhaupt nach § 129 der Geschäftsordnung.Dann kommen die anderen Ausschüsse, die — das ist inzwischen durch eine Änderung des Grundgesetzes klargestellt — ein Initiativrecht haben: Das ist einmal .der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und das ist zum anderen der Ausschuß für Verteidigung, insbesondere in seiner Eigenschaft als Untersuchungsausschuß, nach Art. 45 a des Grundgesetzes. Wir haben seit den einschlägigen Verlautbarungen meines Vorgängers im Amt zu diesem Punkt den Art. 45 a in das Grundgesetz eingefügt; daraus ergibt sich ein Initiativrecht für den auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß, insbesondere als Untersuchungsausschuß.Ferner steht — das ergibt sich aus der Natur der Sache — ein Initiativrecht dem Ausschuß nach Art. 45 des Grundgesetzes zu, also dem ständigen Ausschuß, der die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahlperioden zu wahren hat nach § 131 der Geschäftsordnung und Art. 45 des Grundgesetzes.In dieser Sache ist nun außerdem strittig, ob ein Sachzusammenhang bestanden hat eder nicht bestanden hat zwischen dem, was der Unterausschuß vorgetragen oder beschlossen hat, und dem, was dem Rechtsausschuß überwiesen war. Den Begriff des Sachzusammenhanges kennt unsere Geschäftsordnung nicht. Es heißt in der Geschäftsordnung: „im Rahmen der ihnen überwiesenen Geschäfte". § 60 Abs. 2: die Ausschüsse haben „im Rahmen der ihnen überwiesenen Geschäfte das Recht und die Pflicht, dem Bundestag bestimmte Beschlüsse zu empfehlen".Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß in dieser Sache dem Präsidenten des Hauses und seinem Beratungsorgan, dem Ältestenrat, der Streit nicht vorgetragen wurde, sondern erst verhältnismäßig spät zu seiner Kenntnis gekommen ist, aber erst in dem Augenblick, als bereits der Rechtsausschuß, als der zuständige Hauptausschuß, sich auf die Diskussion dessen eingelassen hat, was der Unterausschuß vorgeschlagen hat. Es ist mißlich, wenn der Präsident mit seinen Organen dann erst in der Sache zu einer Klarstellung kommen soll, wenn sich der zuständige Hauptausschuß bereits auf die Diskussion eingelassen hat. Man kann das bedauern, meine Damen und Herren, alber so ist die Sache in diesem Fall gelaufen.Ich benütze aber diese Gelegenheit, um dem Haus und vor allen den Herren Ausschußvorsitzenden das gültige Recht des Hauses in Erinnerung zu bringen.
— Ja, in Erinnerung, Herr Kollege Wehner. Es ist mißlich, daß wir immer wielder auf den gleichen Punkt kommen. Unablässig wird hier die Frage angebohrt: „Welche Macht hat eigentlich der Präsident, in Zweifelsfällen etwas durchzusetzen?"
— Ja, das Recht durchzusetzen! Dafür gibt es Möglichkeiten. Aber es wäre außerordentlich schwierig, es wäre unter Umständen eine Überforderung des Präsidenten, wenn er in einer solchen Sache entscheiden sollte: Es besteht ein Sachzusammenhang! Oder — wie es in der Geschäftsordnung heißt —:
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9475
Präsident D. Dr. GerstenmaierEs liegt im Rahmen der Überwiesenen Geschäfte. Sie müssen doch zugeben, daß solche Entscheidungen vom Präsidenten nicht frei aus dem Handgelenk getroffen werden könnten. Er muß dann mindestens die Möglichkeit haben, sich mit -den Sachverständigen zu unterhalten, und er muß mindestens die-Möglichkeit hab-en, im Ältestenrat eine ausgiebige Beratung durchzuführen. Wenn er diese Möglichkeit nicht hat, wenn er bloß hinterher die Situation beklagen kann, Herr Kollege Wehner, dann ist das weder zum Vorteil des Hauses, noch zum Vorteil des Präsidenten. — Bitte sehr!Wehner ; : Herr Präsident, entschuldigen Sie bitte. Ich möchte diese vielleicht letzte Gelegenheit nehmen, in -diesem Bundestag eine Frage zu der interessanten Auslegung der Befugnisse der Ausschüsse zu stellen. Würden Sie, Herr Präsident, der Sie soeben den Ausschußvorsitzenden — ich bin ja auch damit angesprochen - in Erinnerung gebracht haben, was die Rechte der Ausschüsse sind, annehmen, daß in einem Ausschuß, in dem der Ausschußvorsitzende zur Minderheit des Hauses gehört — wir haben ja eine Reihe solcher Ausschüsse —, eine solche Auslegung der Befugnisse eines Ausschusses möglich wäre, von der Sie, Herr Präsident, dann sagen müßten: „Das ist eigentlich nicht entsprechend den Bestimmungen der Geschäftsordnung!" ? Oder ich will es deutlicher machen: Hängt das damit zusammen, daß dort, wo der Ausschußvorsitzende von der Mehrheit gestützt ist, sie dann sozusagen mehr machen können, als sie eigentlich dürfen?
Nein, Herr Abgeordneter Wehner; ich bin der Meinung, daß ein Ausschußvorsitzender sein Amt als Vorsitzender genauso führen muß wie der Präsident. Das heißt: Wenn -er der Meinung ist, daß etwas geschieht — etwa durch Ausnützung einer Mehrheit —, -das nicht Rechtens ist in diesem Haus, dann hat er mindestens -die Möglichkeit, die Sitzung -auszusetzen oder abzubrechen, und er kann sich 'dann an -das Präsidium des Hauses wenden. Der Präsident muß sich dann — und er wird -das tun, mit seinem Ältestenrat — -der Situation stellen, und er wird im Zweifelsfalle auch den Geschäftsordnungsausschuß in der Angelegenheit bemühen. Kurzum, er wird energisch danach sehen, was getan wenden kann und geschehen muß in diesem 'Haus, um das Recht der Geschäftsordnung auch im Ausschuß klarzustellen. Diese Möglichkeit besteht, und diese Möglichkeit kann jederzeit wahrgenommen werden.
— Meine Damen und Herren, keine Erörterung darüber. Ich sage, -daß ,der Präsident dieses Hauses im allgemeinen nicht entscheidet, jedenfalls in dieser Sache nicht damit befaßt war, zu entscheiden, ob es „im Rahmen der" — wie es in der Geschäftsordnung heißt — „überwiesenen Geschäfte" lag. Dazu hat das Präsidium dieses Hauses keine Stellung genommen. Jedenfalls steht idas Haus aber nun vor der
Situation, -daß es sich -mit der Angelegenheit befassen muß.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familienfragen.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat sich mit einigen Äußerungen beschäftigt, die ich außerhalb des Hauses und hier im Hause getan habe. Dazu ist eine klare Berichtigung erforderlich, die ich kurz geben möchte.Zunächst: Worum geht es? Man kann gesetzliche Vorschriften streng -auslegen, und man kann gesetzliche Vorschriften weit auslegen. Das gilt auch von § 48 Abs. 2 des Ehegesetzes. Der Bundesgerichtshof hat sich, wie wir -alle dankbar empfinden, für eine strenge Auslegung dieser Vorschrift entschieden. Ich möchte hiermit auch von mir aus noch einmal in aller Form bestätigen, daß es auch mir um nichts anderes geht als darum, -daß diese strenge Auslegung des Bundesgerichtshofes so klar im Gesetzestext fixiert wird, daß sie für alle Instanzen verbindlich ist.
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9476 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
— Zu Absatz 11Ich möchte jetzt folgendes sagen. Jedes Urteil hat ja eine Begründung und trifft eine Entscheidung. Ich habe den Eindruck, daß alle Fraktionen und die Redner aller Fraktionen in diesem Hause
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9477
Dr. Böhmsehr weitgehend mit den Entscheidungen im großen und ganzen durchaus einverstanden sind, wenn auch vielleicht nicht — und das geht mir auch so — mit jeder rechtlichen Begründung.
— Soweit ich heute dieser Diskussion gefolgt bin — und ich glaube, ich habe das sehr aufmerksam getan —, habe ich nicht den Eindruck gehabt, daß hier so sehr große sachliche Verschiedenheiten vorhanden sind. Ich habe vielmehr den Eindruck, daß sich die Meinungsverschiedenheiten teils auf die geschäftsordnungsmäßige Seite, teils auf die Beschleunigung der Angelegenheit, d. h. darauf beziehen, daß weder die Öffentlichkeit noch dieses Haus bis jetzt Gelegenheit gehabt hat, die Sache auszudiskutieren. Das war der Grund.Das war aber nicht der Grund dafür, warum ich mich schon in der letzten Zeit beunruhigt fühlte und das Bedürfnis hatte, mich in der Diskussion hier zu Wort zu melden. Der Grund hierfür war vielmehr die Reaktion, die die Diskussion über die ganze Vorgeschichte des § 48 Abs. 2 in der breiteren Öffentlichkeit gefunden hat. Ich erinnere z. B. nur an den Spiegel-Artikel. Hier habe ich mich aufs höchste beunruhigt gefühlt über Auffassungen, die in der Öffentlichkeit vertreten worden sind. Vor allen Dingen unserer CDU/CSU-Fraktion werden Beweggründe unterschoben, die heute in dieser Diskussion am Schluß der Ausführungen von Frau Diemer-Nicolaus zum Ausdruck gelangt sind, aber auch nicht im Hauptteil ihrer Ausführungen, und die in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Wittrock überhaupt kaum angerührt worden sind. Sie haben aber in der Öffentlichkeit eine ganz große Rolle gespielt. Es wird in der Öffentlichkeit außerdem so dargestellt, als versuche hier die Mehrheit sozusagen eine Sache durchzuzwingen, die bisher aber auch in gar keiner Weise, auch nicht annähernd sachlich so kontrovers war, wie sie in der weiteren Öffentlichkeit und in den Zeitungen dargestellt wurde. Es wird sozusagen der Eindruck erweckt, als gehe es im Grunde gar nicht um eine Präzisierung der — wie ich auch noch begründen möchte — unklaren derzeitigen Fassung des § 48 Abs. 2 im Sinne der Rechtsprechung des BGH, sondern als sei das nur ein Vorwand, eine Art Trojanisches Pferd, unter dessen Deckung unsere Fraktion beabsichtige, das Zerrüttungsprinzip, den Scheidungsgrund der objektiven und unverschuldeten Zerrüttung, wieder zu Fall zu bringen und auf 'diesem Umwege das Prinzip der Unlöslichkeit der Ehe vielleicht überhaupt etappenweise durchzuführen,
und zwar mit Hilfe eines Antrages oder eines Vorschlages, der ganz harmlos klingt und mit dem sich die meisten Fraktionen und Abgeordneten dieses Hauses durchaus einverstanden erklären könnten. Es wird der Eindruck erweckt, als ob das nur sozusagen eine Art Pandora- Büchse sei, als ob hier auf den Wunsch einer Kirche, der die Fraktion derCDU/CSU einen Gefallen zu tun gedenke, der Beginn eines Feldzuges gegen das bisherige Ehescheidungsrecht und insbesondere gegen das Zerrüttungsprinzip als solches beabsichtigt sei. Das wird ja beinahe in der Form einer Kinokolportage entwickelt, im „Spiegel" mit Hilfe eines Indizienbeweises, der den vom „Spiegel" meines Erachtens mit Recht gerügten Indizienbeweis im Falle Rohrbach noch in den Schatten stellt.
Sodann ist auch bei persönlichen Unterhaltungen, Pressebesprechungen, die mit allen möglichen Personen außerhalb •des Parlaments stattgefunden haben, eine gewisse Beunruhigung zum Ausdruck gekommen, nicht über den Inhalt dieses Artikels, sondern über die Motive, die hinter ihm stehen, über die Taktik, die angewendet wird, daß sozusagen protestantische Mitglieder unserer Fraktion vorneweg ins Feuer geschickt werden, um die Dinge so erscheinen zu lassen, als sei die katholische Kirche nicht die eigentliche Initiantin dieses Gesetzentwurfs, als ob von den protestantischen Mitgliedern der CDU/CSU einige Gutgläubige offenbar nicht bemerkten, was hier gespielt wird.Im übrigen war es eine sehr interessante Äußerung, die — in sehr seriöser Form - auf einer Pressekonferenz gemacht worden ist: Wir haben den Eindruck, daß sich innerhalb der evangelischen Kirche theologische Richtungen eine sehr -starke Wirksamkeit verschaffen, die sich im Hinblick auf das Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe von dem katholischen Standpunkt nicht mehr wesentlich unterscheiden. Die Besorgnis, als schickten sich die orthodoxeren Richtungen zu einer Generaloffensive an mit der Absicht, ihre Auffassungen über die Unlöslichkeit der Ehe oder darüber, was Ehepartner einander eigentlich an Treue schulden, eine ethische, christlich-ethische — sagen wir einmal — vulgär-ethische Moralauffassung gesetzlich zu zementieren, also sozusagen die moralischen Anforderungen an die Menschen, die in einer Institution leben, zum Rechtsinhalt der Institution zu machen, also eine Verklerikalisierung unseres Eherechts anzustreben, ist unbegründet. Ich war außerordentlich erstaunt darüber, wie ungeheuer verbreitet offenbar dieser Verdacht ist, als wie naheliegend er empfunden wird. Ich war überrascht, wie leichthin ein allgemeiner Motivargwohn die ganz einfache, elementare und wichtige konkrete Rechtsfrage und Sachfrage einfach vom Tisch gefegt hat, die Frage, die wir zu lösen haben, während wir, namentlich die Mitglieder des Rechtsausschusses, allerdings näher am Sachproblem selber sind als die Journalisten draußen.Was ist das denn für eine Frage? Bevor ich darauf noch näher eingehe, halte ich es für richtig und für notwendig hier meinen persönlichen Standort ganz klar zu kennzeichnen, damit irgendwelche Motivvermutungen in dieser Beziehung ausgeräumt werden, nicht nur in bezug auf meine Person, sondem in bezug auf sehr viele, ich möchte sagen, auf alle meine Fraktionsfreunde. Ich gehe bei dieser Frage — auch bei der von § 48 Abs. 2, beim gesamten Eherecht und bei der Ehéscheidung — vom welt-9478 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961Dr. Böhmlichen Sinn der Institution aus, wie ,er durch das positive bürgerliche Recht, durch das positive Eherecht niedergelegt ist, eingebettet in die Rechtsordnung in einem Staate, bei dem die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft, die seinem Eherecht unterliegen, nicht nur verschiedener christlicher Bekenntnisse sind, sondern indem es auch eine Reihe von Personen und Rechtssubjekten gibt, die überhaupt keiner Kirche angehören und sich zu keiner Kirche, auch nicht zum Christentum, bekennen. Für alle diese hat nach unserem Gesetz die Institution der Ehe den gleichen normativen Gehalt. Ich sehe insofern in der Ehe eine Institution, nicht ein institutionalisiertes Sakrament; ich stelle auch nicht die ethischen Forderungen an die Ehepartner, die etwa die Moral oder das protestantische Ethos stellt. Unser geltendes Recht stellt vielmehr Anforderungen an die Ehe als eine unserer Rechtsinstitutionen, die nicht in den Bereich der Staatsordnung, sondern in den Bereich der Gesellschaftsordnung eingegliedert ist. Sie ist ein besonders wichtiges, ein konstituierendes Element dieser Gesellschaft, das unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt worden ist.Es gibt andere wichtige Bauelemente. Von den auf Koordination und Gleichberechtigung aller Rechtsgenossen aufgebauten Institutionen möchte ich allein die Institution des Vertrages, auch des rein schuldrechtlichen Vertrages nennen. Ich möchte die Institutionen nennen, auf die Wilhelm Kahl 1927 im Deutschen Reichstag bei der denkwürdigen Debatte hingewiesen hat, wo .er sich selbst mit Gründen, die ich vollständig teile, für die Einführung des Zerrüttungsprinzips als Ehescheidungsgrund eingesetzt hat. Er hat damals auf ,die Parallele mit dem Eigentum hingewiesen, indem er klarzumachen versucht hat, daß die Ehe zwar durch einen freien Vertragsschluß begründet wird, daß aber das dadurch begründete Rechtsverhältnis sehr weitgehend auch durch zwingendes Recht, ziviles Recht, geregelt ist; daß sie eine Institution ist, bei der auch der Gesetzgeber davon ausgeht, daß sie eine Verbindung und eine persönliche Rechtsbeziehung auf Lebenszeit ist, bei der im Zeitpunkt, an dem ,die beiden Ehepartner miteinander in die Ehe treten, auf keiner Seite die reservatio mentalis bestehen könnte, wie sie in der „Zauberflöte" ausgedrückt ist. Dort sagt Papageno zu dem alten Weiblein, das sich seiner im Keller annimmt: „Ich schwöre, dir ewig treu zu bleiben, solang' ich keine Schön're find'!" Diese reservatio mentalis — ich werde an dieser Ehe festhalten, solange sie die subjektiven Erwartungen erfüllt, die Hoffnungen, die ich in sie setzte — ist nicht im Sinn unseres Eherechts.Die Ehe ist, wie in abgeschwächter Form jeder Vertrag, eine Bindung, von der das Recht annimmt, daß sie keiner eingehen sollte, dem es nicht ernst damit ist; und daß einer, der aus dieser selbstgewollten Bindung ohne zureichenden Grund ausspringt oder selbst schuldhaft ihre Grundlagen zerstört, eine Entscheidung erhält, die diese seine institutionswidrigen Motive nicht berücksichtigt. Das ist ganz zweifellos eine Institution der Ehe als einer Einrichtung auch eines modernen Verfassungsstaates. Auch unsere Fraktion, die CDU/CSU, fühlt sich als eine politische Partei in einem modernen Verfassungsstaat. Nichts liegt uns ferner, als Mittel der Gesetzgebung, der politischen Gewalt und der Administration einzusetzen, um Sakramente rechtlich und gesetzlich zu fundieren. Dieser Verdacht ist aber aufgetaucht. Ich wollte nur für meine Person sagen, daß ich ein überzeugter Befürworter des in § 48 vorgesehenen Zerrüttungsprinzips der Idee nach bin, daß ich der Meinung bin — die ja auch im Reichstag unsere verehrte Frau Kollegin Lüders höchst dankenswerterweise mit einem ungeheuer eindrucksvollen Material belegt hat —, daß eine objektive Zerrüttung der Ehe nicht nur möglich, sondern ein in der Praxis von Rechtsanwälten und Gerichten relativ häufig vorkommender Sachverhalt ist und daß man, erkennt man die Zerrüttung der Ehe nicht als Scheidungsgrund an, die Ehepartner zu höchst unschönen und unwürdigen Umgehungskünsten, zu einer gestellten Scheidung bringt. Ich bin der Meinung, daß hier dieses Prinzip tabu sein sollte, und ich wollte Ihnen — das halte ich in diesem Fall für notwendig — sagen: Wenn ich dem § 48 Abs. 2 auch in der von uns formulierten Fassung zustimme wie sehr viele andere meiner Fraktionskollegen auch, dann tun wir das nicht, um das Zerrüttungsprinzip zu Fall zubringen, um einen Anfang 'zu setzen, um es durch immer weiter fortschreitende Einschränkungen schließlich wieder hinauszuwerfen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage? '
Bitte, sprechen Sie den Satz erst zu Ende; ich möchte Sie nicht mitten im Satz unterbrechen.
Das wollte ich zur Klarstellung meines persönlichen Standorts in diesem Falle vorausschicken, damit hierüber kein Mißverständnis aufkommen kann, und ich werde dann glücklich sein, zu der ganz einfachen und nüchternen Frage sprechen zu können, um die es hier geht.
Ich darf jetzt meine Frage an den Herrn Kollegen Böhm stellen. Herr Kollege, ist es rein zufällig oder 'mit Vorbedacht geschehen, daß Sie bei Ihrem Bekenntnis zum Zerrüttungsprinzip 'und zu seiner Aufrechterhaltung wiederholt betonten, daß Sie hier für Ihre Person sprechen, und ist aus dieser Betonung, daß Sie hier nur für Ihre Person sprechen, eine Schlußfolgerung hinsichtlich der Haltung . der Fraktion der CDU/CSU zum Zerrüttungsprinzip als solchem zu ziehen?
Nein, Herr Kollege Wittrock; außerdem habe ich nicht nur für meine Person gesprochen, sondern immer hinzugefügt, daß ich mich hier mit meinen Fraktionsfreunden, auch mit meinen katholischen Fraktionsfreunden, einer Meinung fühle. Von meiner Person habe ich aus einem anderen Grunde gesprochen: um zu erklären, war-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9479
Dr. Böhmum ich überhaupt das Wort ergreife, obwohl ich nicht Mitglied des Rechtsausschusses bin, daß ich das Wort ergreife, obwohl ich Protestant bin. Eventuell nämlich wird der Öffentlichkeit gesagt: Das gehört zum Arrangement der ganzen Sache, hier wird also wieder ein Mann vorgeschickt, der für irgendwelche Hintermänner die Kohlen aus dem Feuer holen soll. — In diese Schau sind die Dinge doch gerückt worden. Infolgedessen wollte ich das als ein Mann, der sozusagen als Liberaler gilt, der Protestant ist, der der hessischen Synode angehört, betonen, damit man mir nicht den Vorwurf machen kann, ich sähe nicht, was gespielt wird, oder ich wollte etwas mitspielen, was ich nicht billige. Ich würde keinen Anlaß gehabt haben, in diesem Hause zu sprechen, wenn in der Öffentlichkeit nichts anderes vorgebracht worden wäre als das, was heute in diesem Hause vorgebracht worden ist. Dann hätte ich mir diese aufwendige Einleitung ersparen können. Aber nun ist die Sache im „Spiegel", wir haben eine Pressekonferenz mitgemacht, und ich habe mit einer Reihe von Leuten gesprochen und zu meinem Entsetzen gesehen, daß in der Öffentlichkeit ganz falsche Vorstellungen über das geltende Recht und ganz falsche Vorstellungen über die wünschenswerte Entwicklung des Ehescheidungsrechts vorhanden sind.
Ich glaube, Herr Kollege Wittrock, da werden Ursache und Wirkung verwechselt. Es hängt auch damit zusammen — das scheint mir sehr wichtig zu sein, und es ist sehr häufig nach Kriegen so —, daß bei uns in weiten Kreisen eine ungeheure Unkenntnis dessen vorhanden ist, was eigentlich eine freiheitliche Ordnung ist, und dessen, was man eigentlich mit Recht als liberal bezeichnen dürfen sollte. Als ob die Freiheit darin bestände, daß auch keine Bindung an das Gesetz besteht, als ob man wünschen sollte, daß auch die Bindung an den Vertrag gelockert wird! Dagegen hat ein großer Freiheitsmann unseres eigenen Volkes einmal gesagt: Wer sich auf die Freiheit versteht und wer .die Freiheit liebt, der muß es mit der Gesetzesstrenge und der Vertragsstrenge ernst nehmen; denn von diesen Fixpunkten, bei denen eine höchstmögliche Zuverlässigkeit gegeben sein muß, hängt ja das ganze Funktionieren der Freiheit ab.Die Freiheit im sozialen Bereich ist nicht eine Freiheit, Böses zu tun, wie unsere Philosophen meinen: man müßte die Freiheit haben, zu sündigen, damit man durch freiwilliges Unterlassen der Sünde ein Heiliger oder tugendsam werden könnte. Das ist natürlich eine Kathedervorstellung.
In der Gesellschaft bezieht sich der Freiheitsbegriffauf Zweckmäßigkeits- und Ermessensfragen Ich habedie Freiheit, zu heiraten, wen ich heiraten will, mitwem ich eine Ehe begründen will; ich habe die Freiheit, wenn ich das nötige Geld dazu habe, Kohle oder Stahl oder Rasierklingen oder Krawatten zu produzieren. Ich habe die Freiheit, Handlungslehrling zu werden, und ich kann ein Handwerk lernen oder gelernter Arbeiter werden und dergleichen. Da liegt das Feld der Freiheit, und damit das eröffnet wird, ist es erforderlich, daß das Gesetz gehalten wird, daß für die Geschäftsschulden unbeschränkt gehaftet wird und daß, wer miteinander die Ehe eingeht, an dieser Ehe festhält, solange es irgend geht.Diese Vorstellungen sind heute vielfach nicht mehr da, — nicht bei Leuten, denen irgendein Eiferer auf den Kopf zugesagt hat, was für libertinistisches Zeug sie denken, sondern tatsächlich ist hier ein Mangel und ein Aufweichen des Pflichtgefühls und der ethischen Einsicht in die Bedeutung dieser Institutionen vorhanden, auch bei den Ehen selbst.Damit das richtiggestellt wird, war es notwendig — das ist eine Sachfrage und hängt mit dem Zerrüttungsprinzip zusammen —, ,sich folgendes Problem zu überlegen. Wenn wir jedem Ehepartner das Recht geben, bei objektiver Zerrüttung der Ehe die Scheidung zu verfangen, stehen wir vor der Frage: Was soll Rechtens sein, wenn dann jemand die Zerrüttung zum Hebel macht, um einen Scheidungsantrag stellen zu können, wenn er also die Zerrüttung seinerseits arrangiert, auf die er sich nachher beruft, um aus der Ehe ausscheiden zu können?Das ist 'das einzige Problem, mit dem wir es zu tun haben. Mit 'diesem Problem hatte es schon Wilhelm Kahl zu tun. Sein Antrag 'aus dem Jahre 1927 sprach ja dem an der Zerrüttung schuldigen Teil das Antragsrecht ab. Das Antragsrecht wird auch in § 48 Abs. 2 wenigstens als Widerspruchsrecht vorgesehen. Sehr viele Rechte, mit Ausnahme ganz weniger, sehen ebenfalls 'die Selbstverständlichkeit vor, daß auf das Zerrüttungsprinzip sich nicht berufen soll, wer die Zerrüttung schuldhaft herbeigeführt hat, — sei es von vornherein, weil er vón der Ehe los wollte, sei es, weil er sich im Verlaufe einer „Leidenschaftsgeschichte" aus der Ehe herausentwickelt und nunmehr, nachdem er die Ehe schuldhaft zerrüttet hat, von einem gewissen Zeitpunkt an sagt: Jetzt habe ich das Interesse, aus dieser zerrütteten Ehe herauszugehen.Das muß man verhindern; denn das läuft auf viel mehr heraus, als wenn wir etwa ein Recht der Eheauflösung im gegenseitigen Einverständnis gäben. Denn 'hier wird der andere Ehepartner gegen seinen Widerspruch und nicht nur gegen sein Interesse, sondern auch gegen 'seine Rechtsposition, gegen seinen Status praktisch sozusagen verstoßen.Wenn wir ,das wollten, müßten wir — und das will niemand von uns — eine legitime Möglichkeit vorsehen, die Ehe aufzusagen. Das wäre dann wenigstens ehrlicher. Wenn wir das nicht wollen, dürfen wir aber nicht in den Fehler verfallen, wie es bei unserem früheren, strengen Ehescheidungsrecht war, daß 'derjenige, der ein Interesse daran hat, einseitig eine Ehe aufzusagen, das nur dadurch herbeiführen kann, daß er eine Zerrüttung arrangiert, um sich nachher auf 'die Zerrüttung zu berufen und
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9480 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Dr. Böhmdurch die Berufung auf die Zerrüttung ein einseitiges Lossagungsrecht zu gewinnen, das praktisch ein Verstoßungsrecht gegenüber dem andern Ehepartner ist.
Dieses Problem müssen wir lösen. Es ist in dem Kontrollratsgesetz, in dem Ehegesetz, in § 48 Abs. 2 gelöst worden.Gegen die dort enthaltene Formulierung habe ich nun folgendes Bedenken — meine Fraktion ebenfalls, und dem entspricht die ganze Initiative unserer Fraktion —: In • dem§ 48 Abs. 2 steht praktisch drin: Hat jemand durch eigenes Verschulden die Ehe zerrüttet, dann wird seiner Scheidungsklage, wenn der andere Teil widerspricht, auch dann nicht stattgegeben, wenn er recht hat, wenn es ihm nämlich tatsächlich gelungen ist, die Ehe zu zerrütten. — Nun mußte eine Ausnahme gefunden werden, die einen Rechtsmißbrauch des Widerspruchsrechts des anderen Teils verhindert. Diese Ausnahme ist in § 48 Abs. 2 merkwürdig wortreich und unklar ausgedrückt. Da steht — wenn ich es in meiner Sprache ausdrücken darf —: Der Richter darf eine durch Schuld des Scheidungsklägers zerrüttete Ehe gegen den Widerspruch nicht scheiden; aber darf es doch, wenn die Ehe wirklich zerrüttet ist. Das ist eine Grammatik wie in dem bekannten Satz: ist das wahr? und, wenn es wahr ist: ist es auch wirklich wahr? Es wird also ein Unterschied gemacht zwischen der Zerrüttung, die der schuldhafte Teil dulden muß, bei der er trotzdem an der Ehe festgehalten wird, und demjenigen Zerrüttungsgrad, bei dem die Ehe trotz des Widerspruchs des Berechtigten, dieses Mannes oder dieser Frau — um dem Gerechtigkeitsgefühl von Frau Diemer-Nicolaus in diesem Fall Rechnung zu tragen —, geschieden wird. Die eine Zerrüttung darf der Richter nicht berücksichtigen, wenn der andere Teil widerspricht, die andere Zerrüttung aber muß er berücksichtigen und muß die Ehe auch gegen den Widerspruch scheiden. Das ist die Unklarheit.Dieser Unklarheit sind Instanzgerichte nach den Mitteilungen vieler Anwälte und Fachleute erlegen. Sie haben einen Rechtssatz aus dem Gesetz herausgelesen, den man so formulieren könnte: Es widerspricht der Institution der Ehe, wenn man eine wirklich zerrüttete Ehe aufrechterhält. Dabei ist aber übersehen worden, daß der § 48 Abs. 2 mit diesem Prinzip im Widerspruch stünde. Das wird viel zuwenig gesehen.Deswegen hat meine Fraktion von Anfang an Wert darauf gelegt, diese Unklarheit zu beseitigen und den Rechtsgedanken zum Ausdruck zu bringen, der diesem § 48 wirklich zugrunde liegt und der sich rechtfertigen läßt, nämlich gegen das Widerspruchsrecht des nichtschuldigen Teils die exceptio doli zu gewähren. Das ist selbst in den Formulierungen, wie sie im Ausschußantrag stehen, noch nicht ganz klar zum Ausdruck gekommen, und deswegen hat unsere Fraktion geglaubt, wir sollten es noch klarer machen, indem wir nämlich sagen: Auch gegen den Widerspruch des nichtschuldigen oder minderschuldigen Teils soll eine Ehe geschieden werden können, wenn der widersprechende Teil seinerseits keine Bindung an die Ehe mehr hat und auch nichts dazu tut, die eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen, obwohl ihm das zumutbar wäre.Dieses Wort „zumutbar" hat nun Beunruhigung ausgelöst. Aber der Begriff hat in der Rechtsprechung und in der Rechtstradition eine ganz klare Bedeutung. Wir machen es uns am besten klar, wenn wir uns den Fall vorstellen. daß der an der Zerrüttung schuldige Teil sein schuldhaftes Verhalten fortsetzt, z. B. mit einer anderen Frau zusammenlebt. Selbstverständlich kann in diesem Falle die nichtschuldige Ehefrau ihrerseits die eheliche Gemeinschaft nicht aufnehmen, solange der Mann mit der anderen Frau zusammenlebt. Hier lehnt also der nichtschuldige Teil zwar seinerseits durch sein Verhalten die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft ab; aber wegen des Verhaltens des schuldigen Teils bleibt ihm gar nichts anderes zu tun übrig. Zumutbar aber wird der Beitrag zu einem Flicken einer gestörten Ehe in dem Augenblick, in dem der schuldige Teil mit seinem ehezerrüttenden Verhalten aufhört und seinerseits versucht, diese Ehe, soweit sie noch besteht, wiederherzustellen. Wenn sich dann der andere Teil versagt, dann verstößt der nichtschuldige Teil gegen eine ihm auch aus dem Wesen der Ehe heraus zumutbare Pflicht zur Wiederannäherung an den „Sünder" in dieserEhe.Auch in dieser Frage bleibt natürlich ein Spielraum für das richterliche Ermessen. Es ist ja möglich, daß die Brutalität, die Unanständigkeit des schuldigen Teils so weit gegangen ist, daß in der widersprechenden Frau wirklich alles zerstört ist. In diesem Falle soll aber ebenfalls nicht geschieden werden. Das besagt aber nicht, daß die eheliche Gemeinschaft aufrechterhalten werden muß, sondern es besagt bloß, daß der nichtschuldige Teil seinen Status in der Ehe mitsamt den in der Ehe geborenen Kindern behalten soll. Der Eheschluß begründet ja Statusrechte, Familienrechte, Erbrechte, steuerliche Rechte, worauf auch Kahl hingewiesen hat, und aus diesem Status soll derjenige, der eine Ehe schuldhaft zerrüttet hat, den anderen Teil nicht verdrängen dürfen. Das heißt, er selbst wird an dieser zerrütteten Ehe festgehalten, er kanndiese Bindung nicht abstreifen, er kann keine neue Ehe eingehen, er kann die Kinder, die aus einer späteren Verbindung hervorgehen, nicht legitimieren, wenn die Ehe durch seine Schuld zerrüttet worden ist. Hier wird dem schuldlosen Teil das Recht, an seinem ehelichen Status festzuhalten, gewährt, und es ist infolgedessen auch nicht an sich ein Mißbrauch — obwohl das immer wieder gesagt wird —,
wenn der unschuldige Teil auf seinem Widerspruch beharrt. Wenn er das tut, dann verübt er durchaus keinen Rechtsmißbrauch.
Nur dann, wenn er einem Zerrütter, der wieder zurückzukehren trachtet, seinerseits diese Rückkehrunmöglich und unerträglich macht, dann würde es
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9481
Dr. Böhmihm zugemutet werden müssen, das Seinige dazu beizutragen, daß diese Ehe wieder Leben gewinnt. Beharrt er statt dessen auf der Ablehnung jeder Gemeinschaft, so liegt ein Mißbrauch des Widerspruchsrechts vor — weil er etwas Zumutbares nicht tut. In diesem Falle also kann die Ehe geschieden werden.Wir sind der Meinung, daß wir hier tatsächlich in Anlehnung an den rechtlichen Sprachgebrauch sehr exakte Worte anstelle von ganz unsicheren Formulierungen — weichen, unsicheren, oder ich möchte einmal sagen: journalistischen, belletristischen Formulierungen — verwenden, ganz klare Rechtsgedanken, an die jedes Gericht sich halten kann. Und mit diesen klaren Worten wollen wir nichts anderes, als dasjenige exakter auszudrücken, was heute schon vom BGH und von uns allen gebilligt wird.
Das ist doch der Sinn aller unserer Formulierungen. Ich glaube, wir können mit allen weit hergeholten Verdächtigungen der Motive, wie sie — nicht in diesem Hause, sondern außerhalb dieses Hauses — betrieben worden sind, aufräumen, indem wir wieder ganz einfach das konkrete Sachproblem, zu dem wir Stellung nehmen müssen und in dem wir ja weitgehend einig sind, hier erörtern.Nun sagen Sie: „Ja, aber selbst das müßte noch überlegt werden." Meine Damen und Herren, über diese Sache ist doch nun schon eine jahrzehntelange Kontroverse im Gange!
Seit 1927 ist diese Kontroverse nicht eingeschlafen. Wir haben eine Rechtsprechung, die unseren Beifall findet, soweit der BGH in Frage steht, aber wir haben eine zersplitterte Rechtsprechung in den unteren Instanzgerichten. Wir könnten dieser Zersplitterung mit leichter Mühe, mit eleganter Hand ein Ende machen, ohne daß deswegen etwas Schreckliches passiert, etwa ein irestaurativer Rechtsruck in unserer Zeit gefördert würde oder sonst irgendeine Torheit. Wir könnten das so einfach machen. Ich will von der geschäftsordnungsmäßigen Seite nicht sprechen; aber in jedem Fall: es war kein Arg dabei auf unserer Seite; es war kein Arg dabei, trotz so nahe bevorstehenden Wahlen. Und es ist ja einechtes Sachproblem, es ist ein lösbares Sachproblem.Nun sagen Sie: „Da müssen noch Sachverständige her, die Zahlen 'sind nicht groß, das Problem hat keine Breitenbedeutung. Ich muß sagen: 160 gegen den Widerspruch des anderen Teils geschiedene Ehen, bei denen der Kläger der schuldige Teil ist, haben für mich etwas Alarmierendes. Es wird ganz richtig ja doch auch von Ihrer Seite immer gesagt, was für eine schreckliche Argumentation es ist, wenn Leute sagen, es sind nicht 6 Millionen Juden umgebracht worden, sondern vielleicht nur 2 Millionen oder 300 000. Als ob das etwas änderte!
Ich würde sagen: Wenn hier die unschuldigen Partner der Ehe aus dem Status der Ehe verdrängt werden, obwohl nach dem Sinn unseres § 48 Abs. 2, wie er auch von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im allgemeinen eingehalten wird, die Ehe nicht hätte geschieden werden dürfen, dann sind auch wenige Urteile schon schlimm. Außerdem kennen wir doch die typische Sachlage, deretwegen es namentlich in der Nazizeit unseren Ministerialjuristen so leicht fiel, diesen Entwurf aus einer Ministerialschublade hervorzuzaubern. Frick und die übrigen Leute wollten die Kummer gewohnten und abgehärmten alten Gefährtinnen aus der Saalschlachtzeit, die von den vielen Sorgen und Aufregungen zu unscheinbar geworden waren, los werden und wollten nun neue Partnerinnen haben, die etwas besser onduliert waren. Das war doch damals auch einer der Gründe.
Herr Professor Böhm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn ?
Jahn Narburg) : Ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß das Ehegesetz von 1946 von einer ganzen Reihe namhafter deutscher Rechtslehrer überprüft worden ist und daß diese bei dieser Prüfung ganz bewußt den Tatbestand des § 48 so haben stehen lassen, wie er jetzt im Gesetz steht?
Das ist mir bekannt. Aber mögen alliierte und mögen eigene Juristen, mögen die größten Leuchten und mag ich selbst etwas für richtig gehalten haben, so steht es mir immer frei, nachher Kritik daran zu üben, wenn ich die Ausdrucksweise nicht mehr für richtig halte. Was in den Paragraphen gewollt ist und was soundso viele Gerichte auch ganz richtig herausgelesen haben, das ist von anderen Gerichten nicht herausgelesen worden. Natürlich sind nicht Frivol-fälle geschieden worden, aber die häufigen und tragischen Fälle — wir wollen uns doch nichts vormachen; das sieht man doch an vielen Fällen in seiner eigenen Bekanntschaft —: Da 'besteht eine Ehe lange Zeit durchaus glücklich und 'harmonisch. Dann verliebt sich der eine Ehepartner — fast immer ist es der Mann — in eine jüngere Frau. Nun erlebt der Mann das Beglückende, daß ein jüngeres, vielleicht sehr anziehendes Wesen in ihn wie in einen goldenen Topf hineinschaut. Das ist er nicht mehr gewohnt; denn seine alte Frau kennt ihn natürlich wie ihre Handtasche, — natürlich kennen wir uns alle. Dann bricht bei diesen beiden das wahre Entzücken aus. Nun kommt die Kränkung der anderen Frau, nun kommen böse Worte. Die legitime Frau wird verständlicherweise einige mehr oder weniger gehässige Bemerkungen über die
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Dr. Böhm
neue machen. Kurzum, es setzt nun der Zerrüttungsvorgang ein.
Nun steht diese Fassung da, die es ermöglicht, zu " sagen: Gewiß, der Mann ist schuldig, und er hat seiner Frau Unrecht getan, aber der Widerspruch der Frau soll doch nicht gelten, denn inzwischen ist eine so schwere Zerrüttung der Ehe eingetreten, daß sie nicht mehr haltbar ist; und weil es unsittlich ist ,eine nicht mehr haltbare Ehe doch noch zu halten, deswegen muß sie geschieden werden. Dem wollten wir durch eine klarere Fassung der exceptio doli entgegenwirken.
— Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von Fällen schildern, in denen sich die Tragödie des Hauptmannschen Stückes „Vor Sonnenuntergang" abgespielt hat. Ich 'weiß z. B. von einem Fall, in dem die Leute 23, 25 Jahre glücklich verheiratet waren und dann geschieden wurden. Ich habe das Urteil nicht gesehen. Ich weiß nur, daß in diesem Fall die Frau nicht 'der schuldige Teil war und auch nicht Air schuldig erklärt wurde; offenbar war diese Ehe wegen 'der Zerrüttung geschieden worden. Es gibt eine ganze Reihe solcher Fälle. Ich kann mir nicht denken, daß Sie in Ihrem Bekanntenkreis nicht auch solche älteren Ehepaare kennen, bei denen die Ehe auf diese Weise auseinandergegangen ist.
Herr Abgeordneter, Frau Dr. Diemer-Nicolaus wartet schon lange auf die Möglichkeit, eine Frage an Sie zu richten.
Herr Professor, ist Ihnen nicht bekannt, daß man außerordentlich vorsichtig 'sein muß, wenn andere Personen über den Ausgang ihrer eigenen Prozesse erzählen, und haben Sie vorhin überhört, daß ich gesagt habe, daß ich die gesamte Rechtsprechung aus meiner Entscheidungssammlung danaufihin überprüft habe, ob überhaupt ein 'derartiger Fall einmal zuungunsten der Frau entschieden wurde, und daß ich das nicht habe feststellen können?
Frau Diemer-Nicolaus, ich bin immer wielder — namentlich als ein Mann, der sich viel mit Wiedergutmachungsfällen zu befassen hat — sehr beeindruckt, wenn ich sehe, für wie göttergleich die Entscheidungen unserer Gerichte gehalten werden und wie leicht auch ein redlicher Jurist und Rechtsprofessor in den Geruch kommen kann, Gerichte zu beleidigen, wenn er sie nicht für göttergleich hält.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Dr. Bucher ': Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es, daß Herr Professor Böhm hier die gewiß abscheuliche Frage nach der Zahl der getöteten Juden als Vergleich bei seiner statistishen Untersuchung in dieser Sache verwendet hat.
Gerade weil ich die Meinung von Herrn Professor Böhm zu jenem Komplex moralisch und politisch für sehr hochstehend halte, finde ich es nicht angebracht, ihn hier zum Vergleich heranzuziehen.
Ich habe mich aber eigentlich 'nur zu Wort gemeldet, um eine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung zu machen. Ich bin vom Herrn Präsidenten darauf hingewiesen worden, daß Unklarheiten darüber bestehen, worauf sich unser Antrag auf namentliche Abstimmung bezieht. Er bezieht sich auf Umdruck 970, den Streichungsantrag zur dritten Lesung. Das wollte ich nur zur Aufklärung sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst zu der Frage äußern, ob die geschäftsordnungsmäßigen Bestimmungen bei der Behandlung dieser Vorlage nicht eingehalten worden sind. In dieser Hinsicht sind ja Bedenken erhoben worden. Ich glaube, wir brauchten uns eigentlich mit dieser Frage nicht mehr zu befassen, nachdem uns eine ordnungsgemäße Vorlage des Rechtsausschusses unterbreitet ist, in der diese Bestimmung aufgenommen ist. Ich möchte trotzdem den Bedenken entgegentreten, die in dieser Hinsicht erhoben worden sind. Es ist eine alte Übung dieses Hauses, daß solche Dinge, die in einem Sachzusammenhang mit der Gesetzesvorlage stehen, mitbehandelt werden dürfen. Es ist in der Presse schon auf das schlagendste Beispiel in der Richtung hingewiesen worden, daß seinerzeit sogar die Grundgesetzänderung zur Einführung der Wehrpflicht und die damaligen Wehrdienstvorlagen im Ausschuß geboren worden sind, ohne daß sie überhaupt die erste Lesung passiert hatten. Das schlagendste Beispiel, meine Damen und Herren — ich wundere mich, daß Frau Kollegin Diemer sich nicht gewehrt hat —, haben wir in dieser Vorlage selbst. Wir haben soeben einstimmig die Ziffer 34 a, eine Ergänzung des § 1800 BOB, verabschiedet. Diese Ergänzung schien dem Ausschuß zweckmäßig zu sein, nachdem familienrechtliche 'Probleme, die im 4. Buch des BGB behandelt sind, in der Vorlage angesprochen waren und nachdem inzwischen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen war, bezüglich derer in dieser Bestimmung nunmehr die Konsequenzen gezogen worden sind und gezogen werden mußten. Da hat niemand geschäftsordnungsmäßige Bedenken erhoben. Ich möchte nur feststellen, daß in dem Art. 2 a unter Ziffer 1 Buchstaben a bis g insgesamt 7 Bestimmungen des Ehegesetzes angezogen und behandelt sind, die — jedenfalls die ersten 6 Bestimmungen — schon in der Vorlage angesprochen waren, und daß
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Dr. Weber
die Ziffer 2 eine weitere Änderung des Ehegesetzes, nämlich des § 77, bringt.Nach der Praxis des Hauses und der Auslegung des § 60 der Geschäftsordnung bestehen meines Erachtens auch keine geschäftsordnungsmäßigen. Bedenken dagegen, daß diese Ausschußvorlage behandelt wird, zumal inzwischen dem Rechnung getragen worden ist, was gefordert werden kann und weshalb die drei Lesungen erfolgen. Es hat doch kaum ein Gegenstand in den letzten Monaten so die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Presse gefunden wie gerade dieser, und die Zeitungen stehen Tag für Tag, kann man fast sagen, voll von Zuschriften pro et contra zu dieser Sache. Das ist seit März der Fall, als jemand glaubte, gegen den Ausschuß den Vorwurf erheben zu müssen, daß hier versucht werde, eine Gesetzesgebung durch die Hintertür zu vollziehen. Dagegen möchte ich mich ganz entschieden verwahren. Es ist auch nicht so, als ob die Sache — das hat Herr Kollege Böhm soeben schon dargelegt — erst von heute oder gestern stamme; sie ist vielmehr seit Jahren in der Diskussion. Das hat Herr Kollege Böhm mit Recht betont.Ich darf Sie daran erinnern, daß die Vorlage der Bundesregierung im Jahre 1952 das geltende Eherecht unberührt ließ und eine Überführung des Kontrollratsgesetzes in das BGB vorsah. Sie sah als einzige Änderung des jetzigen § 48 des Ehegesetzes vor, der in der Vorlage che Bezeichnung „§ 1571" BGB trug. Schon damals wurde in der Vorlage der Bundesregierung gesagt, daß die Lösung dieses Problems nunmehr dringlich sei und nicht weiter aufgeschoben werden könne.
Das ist offenbar auch die Meinung der Freien Demokraten gewesen, die dann im 2. Bundestag in der Drucksache 112 diesen Vorschlag der Bundesregierung wieder übernommen haben. Bei der Behandlung dieser beiden Vorlagen — der Vorlage der Bundesregierung im 1. Bundestag und der Vorlage der Freien Demokraten im 2. Bundestag — ist dann gerade dieses Problem in den jeweiligen ersten Lesungen in ganz besonderer Weise angesprochen worden.Ich selbst hatte die Ehre, für meine Fraktion am 27. November 1952 in der 239. Sitzung zu diesem Problem zu sprechen. Ich verweise auf meine Ausführungen auf Spalte 11056 litera B, ferner auf meine Ausführungen in der Sitzung vom 12. Februar 1954 — 2. Sitzungsperiode —, 15. Sitzung, Seite 479 litera C. Ich möchte das hier im einzelnen nicht wiederholen.Jedenfalls .ist etwas merkwürdig: Nachdem die Sache damals in der Öffentlichkeit angesprochen worden war, hat sich diese Aufregung, die sich nunmehr seit März durch den Blätterwald zieht, absolut nicht gezeigt, obschon damals gerade dieses Gesetzgebungsproblem offen auf dem Tische lag. Man hat das damals hingenommen. Als im 2. Bundestag sowohl im Unterausschuß als auch später im Rechtsausschuß diese Bestimmung zur Beratung stand, zeigte sich, daß eigentlich eine weitgehende Einigkeit zwischen den Fraktionen dieses Hauses bestand. Ich bin überzeugt: wenn wir am 29. April 1957 und ,am 2. Mai 1957, 'als sich der Rechtsausschuß in zwei Sitzungen gerade mit der Bestimmung des § 1571 BGB befaßte, einen solchen Lösungsvorschlag gehabt hätten, wie er jetzt hier vorliegt, wäre diese Bestimmung nach meiner Meinung damals ,eindeutig verabschiedet worden.
Darf ich einmal eine Frage stellen?
Eine Frage. Dr. Weber (CDU/CSU) : Bitte sehr.
Erinnern Sie sich — mindestens auf Grund des Studiums der Protokolle —, daß von einer Einigung schon allein deshalb keine Rede sein kann, weil wir in der Sache überhaupt nicht beraten, sondern einen Meinungsaustausch nur dahingehend gehabt haben, ob in dem 'damaligen zeitlichen Stadium der Beratungen eine Beschlußfassung und vorherige Beratung möglich wäre, so daß also noch nicht einmal andeutungsweise eine Einigung in der Sache in Aussicht stand?
Herr Kollege Wittrock, ich erinnere mich nicht nur dieser Dinge, sondern ich habe auch die beiden Protokolle über die 207. und 208. Sitzung des Rechtsausschusses hier vor mir, und ich kann daraus feststellen, daß das, was Sie eben gesagt haben, auf .die 207. Sitzung zutrifft. Darin wurde zwar das Sachproblem schon erörtert, ich habe aber damals für meine Freunde im Ausschuß erklärt, ich sei im Hinblick darauf, daß wegen der Osterpause möglicherweise für die Fraktionen nicht genügend 'Gelegenheit bestanden habe, die Dinge zu besprechen, damit einverstanden, daß die Sache am 29. April vertagt würde, um Anfang der dann folgenden Woche die Dinge in den Fraktionen besprechen zu können.In der 208. Sitzung vom 2. Mai sind wir dann auch in die Sachdebatte eingetreten. Sie ist daran gescheitert, wie ich Ihnen eben sagte, daß auch wir damals keine Formulierung finden konnten und gefunden haben, die allen Bedenken Rechnung getragen hätte.
Die Dinge blieben aber in der Diskussion, und als wir nun das Familienrechtsänderungsgesetz vorgelegt bekamen, da war es eindeutig und klar, daß bei dieser Gelegenheit auch die Änderung des § 48 wieder angesprochen werden würde. Dazu darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich in Ihrer Gegenwart am 21. September bei der Eröffnung der Sitzung des Unterausschusses bereits angekündigt habe, daß noch zwei Probleme zur Beratung ständen, die mit dieser Vorlage zusammen behandelt werden sollten. Der Stenographische Bericht weist aus, daß ich wörtlich ausgeführt habe, diese beiden Probleme beträ-
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Dr. Weber
fen insbesondere die Beratung der §§ 1628 und 1629 BGB und eventuell die schon im ersten Unterausschuß behandelte Frage des § 48 Ehegesetz. Ich habe das angekündigt, ohne daß von irgendeiner Seite damals ein Widerspruch erhoben wurde.Als wir dann die Beratung über das Familienrechtsänderungsgesetz ungefähr abgeschlossen hatten, habe ich am 26. Januar dieses Jahres erklärt, daß nunmehr noch diese beiden Probleme behandelt werden sollen. Wiederum ist von keiner Seite irgendein Widerspruch gekommen, wir sind dann vielmehr in die Beratung der beiden Probleme eingetreten, die zu Beginn schon als beratungsbedürftig bezeichnet worden waren.
— Herr Kollege Wittrock, deswegen ja die Ankündigung! Die Verhandlung hat dann erst am 3. März stattgefunden, und am 26. Januar war es abgesprochen worden. Das erkenne ich auch heute an. Aus Ihrem Verhalten im Ausschuß will ich nicht etwa folgern, daß Sie dadurch irgendwie für Ihre heutige Stellungnahme gebunden seien, obschon ich Ihnen sagen muß, daß ich es schlecht verstehen kann, wenn man innerhalb weniger Wochen nicht weniger als zwei- bis dreimal seine Ansicht in dieser Sache ändert, wie das auf Ihrer Seite geschehen ist.
Ich wollte nur dartun, daß der Vorwurf nicht begründet ist, diese Dinge würden heute sozusagen im Schlußgalopp durchgepeischt, es sei nicht nötig, nunmehr vor Toresschluß noch dieses Gesetz zu verabschieden, und daß niemand daran schuld ist, daß die Sache erst heute verabschiedet wird. Sie stand schon vor 14 Tagen auf der Tagesordnung und wurde damals lediglich deshalb nicht behandelt, weil Sie an diesem Tage einen Antrag einbrachten, der die Einigung, die einstimmig — wie ich betonen möchte — über alle Fraktionen hinweg im Rechtsausschuß erfolgt war, wieder in Frage stellte.
Nur deshalb befinden wir uns heute, zwei Tage vor Schluß dieser Legislaturperiode des Bundestags, in dieser Beratung!Herr Kollege Wittrock, Sie haben einen sehr schweren Vorwurf erhoben. Sie haben — zum mindesten dem Sinne nach — gesagt, daß wir hier sehr leichtfertig handelten, daß wir eine unverantwortliche Gesetzgebung betrieben, das sei ein Gesetz, das so mangelhaft — das haben Sie wörtlich gesagt — vorbereitet wäre, daß wir es noch nicht verabschieden könnten. Gegen diesen Vorwurf muß ich mich nachdrücklich verwahren.
Das trifft nicht zu! Es ist kaum ein Gesetz so sorgfältig beraten worden wie diese Sache. Es geht ja nicht einmal um ein ganzes Gesetz — ich habe das vorhin schon durch einen Zwischenruf hervorgehoben —, sondern es handelt sich um einen Absatz, jaum einen einzigen Satz eines Paragraphen, auf den wir eine ganze Unterausschußsitzung und eine ganztägige Rechtsausschußsitzung verwendet haben; wir hatten dieses Problem auch in anderen Sitzungen des Rechtsausschusses bereits angesprochen, und es fanden zwischendurch sehr viele interfraktionelle Fühlungnahmen und Besprechungen statt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Wittrock.
Herr Kollege Weber, trifft es zu, daß man sich ausweislich des Protokolls des Rechtsausschusses vom 8. Juni 1961, soweit es bis jetzt vorliegt, die längste Zeit — im Protokoll sind es 42 Seiten — mit Verfahrensfragen, Geschäftsordnungsfragen .und Fragen der Anhörung von Sachverständigen beschäftigt hat? Trifft es zu, daß die vorgeschlagene Formulierung zwar als Einigungsformel zunächst durchaus akzeptiert wurde, ohne daß man aber im Ausschuß noch eine weitere Beratung über Einzelheiten der Einigungsformel durchgeführt hat? Trifft es zu, daß man daraus die Folgerung ziehen muß, daß wir im Ausschuß die Einzelheiten in der Formulierung der Einigungsformel überhaupt nicht beraten haben?
Herr Kollege Wittrock, ich möchte Ihnen auf den ersten Teil Ihrer Frage mit einer Gegenfrage antworten: Trifft es nicht zu, daß man, nachdem man endlich aus dem Palaver, das den ganzen Tag über von Ihrer Seite aus betrieben wurde,
herausgekommen war, in einer knappen Viertelstunde in der Sache selber zu einer von allen Fraktionen gebilligten Einigung gekommen war?
Das ist doch der Tatbestand!
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wittrock! Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Weber?
Herr Kollege Weber, sind Sie der Auffassung, daß im Hinblick auf das Gewicht der Überlegungen der Ausdruck „Palaver" hierfür als unqualifizierbar anzusehen ist?
Diesen Ausdruck habe ich sehr bewußt gebraucht, und den halte ich auch aufrecht! Man kann auch geschäfts-
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ordnungsmäßig Dinge in einer genadezu unerträglichen Weise auswalzen, und so ist es an diesem Tage nach meiner Meinung geschehen.
Deshalb halte ich diesen Ausdruck durchaus aufrecht. Man kennt ja aus anderen Parlamenten derartige Unternehmungen und hat dafür ganz bestimmte Ausdrücke, Herr Kollege Wittrock. Wir hatten den Eindruck, daß es an diesem Tage so getrieben wenden sollte, um die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes, insbesondere dieser Bestimmung, in ,diesem Bundestag unmöglich zu machen.
Das haben wir erkannt, und deswegen glaubte ich, das hier kennzeichnen zu müssen.
Nun etwas zu dem Vorwurf der Leichtfertigkeit. Am 26. Januar habe ich gebeten, daß dem Ausschuß eine vollständige Zusammenstellung der einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vorgelegt wind. Das ist im Laufe des Februar auch geschehen. Wir hatten in der Beratung am 3. März im Unterausschuß die gesamte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die sich über rund zehn Jahre erstreckt, vorliegen. Damit nicht genug!
— Herr Kollege Wittrock, ich möchte nicht ständig durch Zwischenfragen gestört wenden, ich möchte auch etwas im Zusammenhang sagen können.Damit nicht genug! Es wurde dann auch das internationale Recht auf Ihren Wunsch herangezogen. Man hat dem Ausschuß eine wollständige Zusammenstellung der europäischèn Rechte, die dieses Problem behandeln, vorgelegt. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen, was sich aus dieser Zusammenstellung ergeben hat. Ferner wunde der Wunsch geäußert, daß auch die Beratungen des Reichstages aus den Jahren 1927/28 herangezogen wurden. Das ist ebenfalls geschehen.Da ergab sich etwas ganz Überraschendes. Aus der rechtsvergleichenden Ubersicht ergab sich, daß das deutsche Recht, also § 48, mit Ausnahme des norwegischen Rechts — ich will ganz vollständig sein — die weitestgehende, laxeste Regelung enthält.
Alle anderen Rechte Europas hatten eine größere Einschränkung gerade zum Schutz des Unschuldigen bzw. Minderschuldigen.Das Schweizer Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 enthält in Artikel 142 Abs. 2 die Bestimmung:Ist die tiefe Zerrüttung vorwiegend der Schuld des einen zuzuschreiben, so kann der andere Ehegatte auf Scheidung klagen.Eine Klage des allein oder überwiegend schuldigen Teils ist also schlechthin ausgeschlossen, wenn er sich lediglich auf die Zerrüttung stützen will.Schweden, ein sicherlich a'uf diesem Gebiet sehr liberales Land, hat ähnliche Einschränkungen. Auch bei zerrütteter Ehe ist ein Ehepartner nur dann zurErwirkung 'der häuslichen Trennung berechtigt,wenn nicht wegen seines eigenen Verhaltens oder anderer besonderer Umstände gleichwohl billigerweise verlangt werden kann, daß er das Zusammenleben fortsetzt.Für die Scheidung, die auch dort entweder nach ,dreijähriger Trennung oder bei gerichtlich bewilligter häuslicher Trennung nach einem weiteren Jahr des Getrenntlebens möglich ist, gilt folgende Bestimmung:Doch darf auf Ehescheidung nicht erkannt werden, wenn nur der eine Ehegatte geschieden werden will und mit Rücksicht auf sein Verhalten Oder andere besondere Umstände es nicht billig erscheint, die Ehe auf seine Klage hin aufzulösen.Die Einschränkung geht also sehr weit.Dänemark hat ähnliche Bestimmungen. Ich will nur die verlesen, die hier als Einschränkung in Frage kommen. Dort solldie Auflösung der Ehe im allgemeinen nicht stattfinden, wenn der Kläger durch seine Lebensführung hauptsächlich schuld an der Aufhebung des Zusammenlebens ist und der andere Ehegatte sich der Auflösung widersetzt.In England kann überhaupt nur der auf Grund der Zerrüttung die Klage einreichen, der unschuldig ist. Frankreich kennt das Zerrüttungsprinzip überhaupt nicht. Ich muß der Vollständigkeit halber sagen: ich habe nur die Staaten aufgeführt, die das Zerrüttungsprinzip kennen. Daraus ersehen Sie, daß wir bisher die weitestgehende Fassung hatten. Diese Fassung hat vielfach zu Unzuträglichkeiten geführt. Das kann man doch wohl nicht bestreiten. Ich sage das nur in einem Zwischensatz, weil ich mich zunächst gegen den Vorwurf verwahren will und verwahren muß, daß hier eine Arbeit geleistet worden ist, die nicht sorgfältig sei, die weiß Gott was unberücksichtigt gelassen habe.Sie heben immer wieder hervor, wir hätten Sachverständige hören müssen. Ich habe eben schon in einem Zwischenruf geantwortet, daß ich mich selbst in dieser Frage für sachverständig halte. Im Rechtsausschuß sitzen viele Kollegen, die Anwälte und Richter sind und mit diesen Dingen schon jahrzehntelang vertraut sind. Seit dem Bestehen der Bestimmung, seit 1938, haben wir Praxis in der Handhabung dieser Bestimmung. Wir haben uns also immerhin in 23 Jahren einen Überblick verschaffen können. Ich glaube, wir können uns in der Frage, die hier zur Debatte steht — es steht ja nicht die Reform des gesamten Ehescheidungsrechts zur Debatte, sondern lediglich die Frage der Wirksamkeit des Widerspruchs —, ein eigenes Urteil bilden, ohne dazu noch weiß Gott welche Sachverständige zu hören. Ich jedenfalls traue mir das zu, und ich habe Ihnen auch schon in der Sitzung des Rechtsausschusses gesagt, daß meines Erachtens infolgedessen die Voraussetzungen für eine abschließende Behandlung durchaus gegeben seien. Wir sind auch wirklich, wie ich soeben dargelegt habe, mit einer, ich möchte
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Dr. Weber
fast sagen, nicht zu übertreffenden Sorgfalt vorgegangen. Weder im Hauptausschuß noch im Unterausschuß ist jemandem das Wort abgeschnitten worden. Wir haben, wie gesagt, allein um diesen einen Satz einen Tag lang debattiert.Nun möchte ich mich noch zu einer weiteren Frage äußern. Es wird immer wieder behauptet, diese Bestimmung sei ein Rückschritt in der Gesetzgebung. Ich habe schon vorhin bei der Rede des Herrn Kollegen Böhm durch einige Zwischenrufe kenntlich gemacht — und das ist auch jetzt mein Standpunkt, den ich hier in aller Öffentlichkeit vor dem Plenum vertrete —, daß bei dieser Bestimmung für uns das Zerrüttungsprinzip überhaupt nicht zur Debatte steht
und daß infolgedessen § 48 Abs. 1 nicht berührt wird. Es wird immer so getan, als wäre § 48 überhaupt nie verändert worden. Dabei hat er schon im Jahre 1946 bei ,dem Kontrollratsgesetz eine ganz erhebliche, erfreuliche Einschränkung erfahren, indem ihm ein Abs. 3 angefügt wurde, der besagt, daß dem Scheidungsbegehren nicht stattzugeben ist, wenn das wohlverstandene Interesse eines oder mehrerer minderjähriger Kinder die Aufrechterhaltung der Ehe erfordert. Damals gab es um solche Dinge keine Debatten, sie wurden uns einfach oktroyiert. Diese Bestimmung hat sich bewährt. Im übrigen hat, glaube ich, Herr Kollege Böhm soeben sehr überzeugend dargelegt, was wir mit diesem Antrag bezwecken und welches sein Inhalt ist. Man kann nicht behaupten, wie es einmal in einer Veröffentlichung geschehen ist, damit würde die Entwicklung noch hinter das Jahr 1900 zurückgeschraubt;
Wir wollen lediglich das haben, was der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung für die Beachtlichkeit des Widerspruchs im Grundsatz enwickelt hat. Wenn man das nun in der Öffentlichkeit sehr mit Recht — woher kommt denn diese Reaktion der Öffentlichkeit? — als Verstärkung des Widerspruchsrechts bezeichnet hat, was Sie' bemängelt haben — Sie haben meiner Fraktion gerade vorgeworfen, wir hätten uns nicht an den Kompromiß gehalten —, so habe ich auch darauf schon durch einen Zwischenruf erwidert, daß eine „Klarstellung" auch eine „Verstärkung" der Rechtsposition sein kann. Um diese Klarstellung geht es uns hier, nichts anderes wollen wir erreichen. Hier wird keine „Reform" versucht. Sie haben geschlossen mit „Keine Experimente!". Darauf erwidere ich: Wir lassen an dem Institut der Ehe nicht herumexperimentieren!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand dieser ausgedehnten Debatte ist immer noch der Umdruck 951, der Anderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Entgegen dem, was Herr Kollege Weber soeben ausgeführt hat, möchte ich an den Anfang meiner Ausführun- gen die Feststellung setzen, daß über diesen Antrag, der neue Begriffe einführt, insbesondere den Begriff der zumutbaren Bereitschaft zur Wiederherstellung ehelicher Lebensgemeinschaft, im Ausschuß nicht eine Minute lang gesprochen worden ist, weil dieser Antrag dem Ausschuß überhaupt nicht bekannt war!
Das ist doch zunächst einmal der Ausgangspunkt. Wir stehen vor der ungewöhnlichen Lage, die sich in zwölf Jahren Bundestag noch nicht ereignet hat, über eine Vorschrift, die .zu einem der großen Justizgesetze, hier also zum Bürgerlichen Gesetzbuch, gehört, auch wenn es sich gegenwärtig noch um herausgenommenes Besatzungsrecht handelt, abzustimmen, ohne daß die Formulierung im Ausschuß diskutiert worden ist. Das, Herr Kollege Weber, hat es in den zwölf Jahren 'Bundestag bisher nicht gegeben.
— Nein, es ist nicht übertrieben. Ich bedauere, daß Sie in diese Diskussion Schärfen hineingebracht haben, z. B. mit dem Wort „Palaver".Worum ist es denn in der Ausschußsitzung gegangen? Es ist darum gegangen, ob die demokratischen Voraussetzungen, die Sachvoraussetzungen dafür gegeben sind, den § 48 des Ehegesetzes entweder in der Sache oder wenigstens in der Formulierung zu ändern. Ich darf Sie. an das erinnern, was Sie selber, Herr Kollege Weber, am 8. Juni im Ausschuß gesagt haben, daß Sie nämlich nicht ohne Anhörung von Sachverständigen entscheiden würden, wenn es sich um eine Änderung des geltenden Rechts in der Sache handeln sollte.
Ich erinnere Sie daran, daß Sie selber gesagt haben — und das muß im Stenogramm stehen —, daß Sie nicht ohne Anhörung von Sachverständigen und nicht ohne Berichte der Landesjustizverwaltungen entscheiden würden, wenn es sich um eine Änderung des geltenden Rechts in der Sache handeln würde. Das haben Sie selbst gesagt. Sie haben die Ablehnung der Anhörung von Sachverständigen lediglich damit begründet, ,daß am geltenden Recht nichts, nicht das Mindeste geändert werden solle, sondern es sich nur darum handele, für einen unveränderten Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 einen neuen Gesetzestext zu finden, der klarer und besser das ausdrücke; was bereits seit 1946 geltendes Recht sei. Stimmt das oder stimmt das nicht?
Das ist doch der Ausgangspunkt, und da bedauere ich, mich nun in einigen Fragen mit Herrn Kollegen Böhm auseinandersetzen zu müssen. Herr Kollege Böhm gehört dem ReChtsausschuß nicht an und hat deshalb — das ist kein Vorwurf gegen ihn — den
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Dr. Weber
Verlauf der Dinge nicht selber mitmachen können. Herr Kollege Böhm, es ist ein Irrtum Ihrerseits, daß zwischen den beteiligten Abgeordneten und Fraktionen Einverständnis herrsche mit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, aber nicht mit seinen Begründungen, sondern es ist genau umgekehrt. Es herrscht Einverständnis über die abstrakten Leitsätze des Bundesgerichts als eine gute Formulierungshilfe, um den Gedanken des § 48 Abs. 2 verständlicher und besser auszudrücken, aber es herrscht durchaus kein Einverständnis über die Begründungen in den einzelnen Prozessen und über das Ergebnis der konkreten Entscheidungen.Ich darf Sie, Herr Kollege Böhm, auch darauf hinweisen, daß es sich in all diesen Fällen, über die man bei dem Ergebnis der Entscheidung verschiedener Meinung sein kann, gar nicht um Bosheit oder Gemeinheit oder Schlechtigkeit handelt, sondern alle diese kritischen Fälle, bei denen man Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben kann oder sogar haben muß, sind Fälle schicksalshafter Verstrickung, Fälle schwerer menschlicher Tragik. Es sind besonders die Heimkehrerfälle, es sind die Fälle der Interzonentrennung, es sind die Fälle ,der Trennung durch den Eisernen Vorhang. Das sind doch die Dinge, die uns heute Kopfschmerzen und Schwierigkeiten machen.Also das, was wir im Ausschuß gewollt haben, worauf wir uns verständigt haben, war das: Keine Änderungen in der Sache im Sinne des Gesetzes, in der sogenannten materiellen Rechtslage, sondern allenfalls, daß, wenn Sie durchaus mit Ihrer Mehrheit darauf bestanden — nach jener seltsamen Abstimmung, wo Sie darüber abgestimmt haben, ob überhaupt geändert werden soll, ohne sich zu erklären, in welchem Sinn, in welcher Richtung, mit welchen Motiven —, wenn Sie durchaus ändern wollten, wir einen besseren Text finden könnten mit der Formulierungshilfe des Bundesgerichtshofs, und zwar nur unter Gebrauch der abstrakten Leitsätze, keineswegs unter Anerkennung seiner konkreten Ergebnisse in Fällen, über rdie man sehr verschiedener Meinung sein kann. Das ergabdann im Ausschuß die Einigung: keine Änderung in der Sache, sondern mir Verbesserung im Text.Herr Kollege Böhm hat gemeint, die Dinge seien doch offenbar hier im Hause gar nicht so kontrovers, die Kontroverse komme nur von draußen. Man hat von draußen in sehr achtbaren und angesehenen Zeitschriften, z. B. im „Sonntagsblatt", das Landesbischof Lilje herausgibt, oder in „Christ und Welt", das immerhin Ihrem Fraktionskollegen, dem Bundestagspräsidenten Gerstenmaier nahesteht, erhebliche und begründete Bedenken dagegen geltend gemacht, ob dieses Verfahren sachdienlich und demokratisch sei.Wir haben uns lange im Ausschuß 'darüber unterhalten — den Ausdruck „Palaver" weise ich als ganz unqualifiziert zurück, darüber ist gar nicht zu reden — und sind dann auf eine Anregung von mir hin zu einer Einigung gekommen. Und zwar warum?Ich muß hier einmal etwas sagen, was vielleicht vielen Mitgliedern dieses 'Bundestages nicht bekannt ist. Im 'Frankfurter Wirtschaftsrat sind alleGesetze, für die der Rechtsausschuß federführend war, einstimmig angenommen worden. In den drei Deutschen Bundestagen seit 1949 hat es kein sogenanntes Justizgesetz, keine der großen Kodifikationen, gegeben, das nicht im Ausschuß und hier im Plenum in dritter Lesung einmütig von den demokratischen Fraktionen angenommen worden wäre. Wir haben Kampfabstimmungen über einzelne Fragen gehabt. Aber bei den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des Strafgesetzbuchs, der Zivilprozeßordnung, der Strafprozeßordnung, der Verwaltungsgerichtsordnung, des 'Gleichberechtigungsgesetzes — Sie mögen nehmen, was Sie wollen — haben wir bisher hier im Hause immer, 12 Jahre hindurch, die Tendenz gehabt, uns zu einigen und zu einer einmütigen Abstimmung zu 'kommen über Fragen, die als Lebensordnung das ganze Volk berühren.
Deshalb haben wir uns im Ausschuß in der Sitzung am 8. Juni ganz 'besonders gefreut, daß wir uns auf diese Basis — ich werde Ihnen noch 'beweisen, daß Sie diese Basis verlassen haben — einigenkonnten:
Keine Änderung am Sinn des Gesetzes, sondern ausschließlich eine bessere Formulierung.Herr Kollege Böhm irrt auch in einem, wenn er hier ausgeführt hat, daß das Zerrüttungsprinzip allseits als Tabu anerkannt werde. Herr Kollege Böhm hat gemeint, im Namen seiner ganzen Fraktion zu sprechen, und er hat die Zwischenrufe der verehrten Frau Kollegin Helene Weber dabei nicht gehört, wie es einem hier oben so gehen kann. Es gibt da eine bemerkenswerte Differenz zwischen Herrn Kollegen Böhm, der sich zum Zerrüttungsprinzip bekennt und es für tabu erklärt, und Herrn Kollegen Karl Weber, der sagt, bei dieser Vorlage solle am Zerrüttungsprinzip nichts geändert werden. Das ist ein Paar von zwei ganz verschiedenen Schuhen, die ein Mensch allein nicht tragen kann, wenn er richtig gehen will!
Ich habe auch im Ausschuß an die Ausschußmitglieder die Frage gerichtet, ob sie bereit seien, dadurch, daß sie an dem § 48 etwas änderten, doch schlüssig sein Prinzip anzuerknnen. Das ist mir mindestens von den katholischen Mitgliedern des Ausschusses durch starkes Nein-Rufen und Kopfschütteln abgelehnt worden — Frau Helene Weber, so ist es doch gewesen! —, wofür ich Verständnis habe.
Aber es ist doch ein Hintergrund der Sache, daß hier, sei es in der Formulierung, sei es im Sinn, etwas geändert werden soll von Abgeordneten, die mindestens in einer starken Gruppe, wenn nicht vielleicht in einer Mehrheit — das weiß ich bei
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Dr. ArndtIhnen nicht —, das Prinzip dieser ganzen Vorschrift perhorreszieren und es verneinen
und die, wenn es irgendwie möglich wäre, ihm den Garaus machen würden.
Das ist doch der unsichere Boden, auf dem wir uns bewegen, und da dürfen Sie es auch nicht übelnehmen, wenn die Öffentlichkeit hellhörig ist oder sogar unter Umständen argwöhnisch wird. Wenn wir uns über das Prinzip einig wären, würden wir die Formulierung sehr viel leichter finden. Da wir aber über das Prinzip nicht einig sind, da wir hier eine maßgebliche Gruppe der Regierungsfraktion und des Parlaments unter uns haben, die das Prinzip ablehnt, ja sogar vielleicht verabscheut, wird es schwierig, Formulierungen zu finden. Es entsteht dann die Frage, ob man nicht mit jedem Buchstaben, den man an der Formulierung ändert, letzten Endes auch in der Sache eine abschüssige Bahn beschreitet.Schließlich noch folgendes: Ich möchte manches hier nicht so stehen lassen, wie Sie es, verehrter Herr Kollege Böhm, gesagt haben. Ich brauche darüber doch gar kein Wort mehr zu verlieren, daß niemand von uns will, daß ein Ehegatte verstoßen wird oder daß die Ehe aufgesagt werden kann. Für uns alle ist die Ehe eine Lebensgemeinschaft, die auf die Dauer gegründet wird, wenn ich auch die negative Formulierung des Bundesgerichtshofs nicht für richtig halte, die Ehe sei grundsätzlich unauflöslich.Das ist nach geltendem Recht nicht der Fall — Sie schütteln auch den Kopf, Herr Kollege Böhm, — sondern richtig ist, zu sagen, daß die Ehe eine auf Lebenszeit angelegte Gründung ist. Das ist sie nach dem Recht, und dazu stehen wir alle. Es geht hier nicht nur um das Problem der gewillkürten Zerrüttung und der exceptio doli, der Einrede der Arglist. Es ergibt sich dabei die Schwierigkeit, die Frage zu beantworten, was Arglist ist und was nicht Arglist ist. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Böhm, sagen, daß ich nicht glaube, daß es in ganz Deutschland auch nur einen Richter gibt, der das Verhalten einer Prozeßpartei honoriert, die die Zerrüttung arrangiert hat. Das ist nicht die Frage, um die es geht. Ob Instanzgerichte einer unglücklichen Gesetzesformulierung erlegen sind, wissen wir nicht, ehe wir nicht das Material auf dem Tisch liegen haben. Wir wissen nur, daß es jedenfalls weniger als 164 Streitigkeiten im Jahre 1959 gewesen sein müssen, bei denen überhaupt über den Widerspruch eines Ehegatten 'hinweggegangen wurde. Wie die einzelnen Fälle lagen, wissen wir nicht. Die Fälle, die Sie erwähnten, kennen Sie nur vom Hörensagen, ohne daß Sie die Urteile gesehen haben, ohne daß Sie wissen, ob überhaupt die Frau Widerspruch erhoben hat. Aus diesen Fällen können wir doch hier keine Gesetzgebung aufbauen; das ist doch vollkommen unmöglich.Meine Damen und Herren, so liegen die Dinge leider nicht, wie sie der Herr Kollege Böhm dargestellt hat, sondern wir stehen vor der Situation, daß sich meine Fraktion — auch auf Anregungen hin, die von den verschiedensten Seiten an sie herangetragen worden sind — genau getreu der Einigung im Ausschuß bemüht hat, keine Änderung in der Sache vorzunehmen, sondern nur eine Besserung des Textes, nämlich die abstrakten Leitsätze des Bundesgerichtshofs in das Gesetz aufzunehmen. Sie werden im Antrage meiner Fraktion nicht eine Formulierung finden, die Sie nicht in der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als abstrakte Leitsätze nachweisen können. Sie aber kommen mit einer Abänderung und brechen aus den Leitsätzen des Bundesgerichtshofs das entscheidendste Stück heraus, nämlich dieEntscheidung darüber, ob eine Ehe von Anfang an eine sittlich tragbare Grundlage nicht gehabt oder später wieder verloren hat. In dieser Hinsicht wenden Sie sich von den Leitsätzen des Bundesgerichtshofs ab und bringen zum ersten Male seit dem 27. Juni einen neuen Begriff hinein, nämlich die Frage, ob die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zumutbar ist. Was bedeutet demgegenüber Ihre Deklamation, das Eheproblem sei seit Jahrzehnten bekannt? Dieses Problem ist ja nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten bekannt, solange es eine Ehe gibt.
Worum es hier aber geht, ist, ob die Formulierung „zumutbar" eine tragfähige Formulierung ist und was sie eigentlich heißt. Das ist nicht seit Jahrzehnten diskutiert worden, ist auch in der Wissenschaft noch nicht diskutiert worden. Das wird uns hier in diesem Hause in der zweiten Lesung vorgelegt. Das ist das, was der Kollege Wittrock mit Recht mit einigen harten Worten kritisiert hat.Das sind also die beiden Dinge, die Sie ändern wollen. Das große Problem war bei uns bisher immer: was will eigentlich die CDU/CSU? Als Sie im Ausschuß erklärten: Auch wir, CDU und CSU, wollen an dem § 48 nichts ändern, wir wollen ihn nur besser fassen, da ;war die Einigung sehr schnell erreicht, indem man sagte: Dann nehmen wir die abstrakten Leitsätze ides Bundesgerichtshofs zu Hilfe. Das können Sie jederzeit haben, meine Damen und Herren. Wir sind noch weiter gegangen als Sie; weil es in der Tat Anhalt für die Besorgnis gibt, daß eine gewisse Ungleichheit der Rechtsprechung besteht, halben wir den Schritt getan, den Sie versäumt haben, nämlich die prozeßrechtliche Regelung zu verbessern, damit jeder Streit um den § 48 an das höchste Gericht, an den Bundesgerichtshof gehen kann.
— Herr Kollege, was sind denn das für Unterstellungen! So kann man doch unter Demokraten nicht miteinanider sprechen.
Ich will Ihnen aber in aller Ruhe eins sagen, Herr I Kollege Weber: Wenn Sie mit solchen Unterstellun-
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Dr. Arndt
— Nein; Idas Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 hat die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft nur mit der Maßgabe zugelassen, daß der verklagte Ehegatte beantragen durfte, statt Aufhebung der ehe-
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9490 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Dr. Arndtlichen Gemeinschaft Scheidung auszusprechen, und daß dann auf Scheidung erkannt werden mußte, selbst wenn dieser Scheidung beanspruchende Ehegatte der Alleinschuldige war. 1900 schon! Schon 1900 hat das Bürgerliche Gesetzbuch gesagt, daß, wenn rechtskräftig auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erkannt war, jeder der Ehegatten, auch der Alleinschuldige, jederzeit verlangen könne, das Trennungsurteil in ein Scheidungsurteil umzuwandeln. Darin lag ein großer sittlicher Gedanke, daß nämlich das Bürgerliche Gesetzbuch dieses „nicht Fisch, nicht Fleisch", dieses Aufrechterhalten einer zerstörten formalen Ehe, die keine mehr ist, nicht wollte, sondern immer wieder die Beteiligten anrief: entweder den unbedingten Ehewillen oder die Scheidung; aber ein Drittes gibt es nicht.Das aber ist das, was jetzt in das Gesetz hineinkommen soll bei ,der „gewissen Zurückhaltung", es noch einmal zu versuchen, bei dem „gewissen Maß der Versöhnungsbereitschaft". Damit verstärken Sie zwar 'das Widerspruchsrecht des Schuldlosen, aber Sie verlassen fundamentale sittliche Gedanken des deutschen Eherechts. Sie verlassen den Gedanken, daß die Ehegatten eine Gemeinschaft sind oder, wie es in der Bibel heißt, „ein Fleisch".Sie verkennen, was als sittliche Auffassung der Ehe — ganz gleich, welcher Konfession sie sind oder ob sie keiner Konfession sind —dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt. Ich will es, gezwungen durch Frau Schwarzhaupt, deutlich sagen: Die Schuld des einen kann nur mit der Liebe des anderen überwunden werden. Es ist ein letzter Widersinn, daß Sie das Lieben, das das Wesen der Ehe ausmacht, hier nach einer Zumutbarkeit bemessen wollen. Was Sie hier tun, greift zerstärend an die Grundlagen des deutschen Eherechts.
Deshalb kommt das nicht in Betracht.
Das ist 'wirklich ein Herumexperime'nti'eren. Zuerst haben Sie gesagt: Mißbrauch, und jetzt sind Sie bei der Zumutbarkeit. Sie wissen ja auch von Professoren, die Sie und uns beraten haben, wie sie in ihren Formulierungen, Zustimmungen, Distanzierungen und Abneigungen sich wechselnd verhielten. Das ist kein Vorwurf; denn bei einem Gesetz wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch, bei Vorschriften des Ehegesetzes, handelt es sich um Maßarbeit, ja um allerfeinste Werkarbeit. Wenn hier Gesetze gemacht werden, wie sie schockweise über das Podium rutschen, z. B. die Eierprämie und womit dieses Haus alles behelligt wird, da kommt es auf einen Buchstaben und auf ein Komma nicht an. Aber Formulierungen des Ehe- und Scheidungsrechts sind bis zur Vollständigkeit mit rechtlichem und mit sittlichem Wert erfüllt. Da kann man nicht einfach heute sagen: Mißbrauch, und morgen sagen: Zumutbarkeit, und dann wieder wie Herr Kollege Böhm: Einrede der Arglist. Dazu sind diese Dinge viel zu schwierig. Das ist keine verantwortungsbewußte Art der Gesetzgebung. Wir können jedenfalls Ihrem Antrag unsere Zustimmung nicht gelben; denn er greift tatsächlich an 'die sittlichen Grundlagen des Eherechts in Deutschland.
Meine Damen und Herren, im Hause befindet sich eine Delegation des Parlaments von West-Nigeria, an der Spitze der Herr Präsident des Abgeordnetenhauses. Ich darf die Herren herzlich willkommen heißen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Rehling.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe an den Beratungen des Rechtsausschusses und des Unterausschusses nicht teilgenommen. Aber ich glaube, es sollte doch auch einmal eine Frau in dieser Debatte ein Wort sagen, die außerhalb der ganzen juristischen Auseinandersetzungen steht. Ich möchte mich auf einige Bemerkungen beschränken, die mir von meinem Standpunkt aus erwähnenswert erscheinen.Ich möchte mich dagegen verwahren, daß meiner Fraktion der Vorwurf gemacht wird, wir hätten hier eine Sache übers Knie gebrochen. Wir haben uns bereits im 1. Bundestag mit diesen Fragen beschäftigt. Ich erinnere mich sehr wohl, daß ich in meiner Fraktion einem Ausschuß angehört habe, der mit Sachverständigen und mit Mitgliedern der beiden Kirchen über diese Fragen gesprochen hat.Ich glaube, allen Frauen hier im Hause wird es so ergangen sein wie mir, 'daß eine ganze Reihe von Frauen, die schuldlos verstoßen und verlassen worden sind, zu uns gekommen sind und uns dringend gebeten haben, gerade in bezug auf den Zerrüttungsparagraphen für eine Änderung zu sorgen, vor allem zu der Zeit, als sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die wir heute verzeichnen können, noch nicht durchgesetzt hatte.Ich möchte betonen, daß es für meine Begriffe ein trauriger Ruhm für uns ist, daß die Ehescheidung bei uns — verglichen mit anderen Ländern — so leicht zu erreichen ist. Oberkirchenrat Wilkens, der am 1. Juni 1961 in der „Evangelischen Welt" einen Artikel zum Widerspruchsrecht in Ehescheidungsverfahren geschrieben hat, führt dazu wörtlich aus — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen —:Daß zwei zur Scheidung entschlossene Eheleute, die die Klippe der Unterhaltsregelung umschifft haben und über das von ihrem Rechtsanwalt entsprechend einzusetzende robuste Gewissen verfügen, bei uns ihre Scheidung nicht erreichen, ist nahezu undenkbar, von dem eindeutigen Fällen objektiver Scheidungsgründe ganz abgesehen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich Frau DiemerNicolaus auch darauf aufmerksam machen, daß sie den Artikel von Herrn Oberkirchenrat Wilkens, der als Sonderdruck verteilt worden ist, sicherlich zugestellt bekommen hat; aber anscheinend hat sie übersehen, ihn zu lesen. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, daß sie von der Einflußnahme einer Kirche auf die Ehescheidung gesprochen hat.Es gibt in der Evangelischen Kirche eine Familienrechtskommission, deren Vorsitzender der vor eini-
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Frau Dr. Rehlinggen Jahren verstorbene Professor Schumann war, der mir persönlich sehr gut bekannt war. Diese Eherechtskommission — das führt Herr Oberkirchenrat Wilkens in diesem Artikel aus — hat sich mit der Frage des Widerspruchsrechts befaßt; er sagt — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen —:Nach jahrelangen sorgfältigen Erwägungen zusammeln mit allen nur denkbaren Sachverständigen hält die Kommission es für erforderlich, der von ihr bejahten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Gesetzestext, in § 48 Abs. 2 des Ehegesetzes, einen unmißverständlichen Ausdruck zu geben.
Frau Kollegin, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Synode der Evangelischen Kirche zu dieser Sache bisher ausdrücklich noch nicht Stellung genommen hat und daß ein so maßgeblicher Vertreter wie Professor Thielicke gerade unter Hervorhebung der ethischen Grundsätze der Evangelischen Kirche eine Änderung jetzt ablehnt und daß das „Sonntagsblatt" unter Bischof Lilje die neueste Äußerung dazu bringt? Diese habe ich doch zitiert.
Daß hier Differenzen bestehen,
ist mir bekannt. Ich kann Ihnen als meine persönliche Meinung nur sagen, daß ich diese Differenzen bedauere.
Ich hoffe, daß sich die Auffassung, die hier von der Familienrechtskommission vertreten wird, durchsetzen wird.
Ich gestehe ebenso wie Herr Bundesminister Wuermeling ganz offen, daß ich dem Bundesgerichtshof dafür dankbar bin, daß er als höchstrichterliche Revisionsinstanz in Ehescheidungssachen diese Tendenz deutlich erkennen läßt und damit einen Standpunkt einnimmt, der seinerzeit in den Motiven zum BGB in bezug auf das Ehescheidungsrecht sowie in den Reichstagsverhandlungen vertreten wurde, daß nämlich der Staat die Pflicht habe, im Interesse der sittlichen Bewertung der Frauen und der Erziehung der Kinder ,die Festigkeit der Ehe zu fördern. Wir verstehen in unserer Fraktion die Aufgabe des Art. 6 des Grundgesetzes nicht nur dahin, daß wir für die materielle Besserstellung der Familie sorgen müssen, die sehr notwendig ist und für die wir bisher allerhand getan haben, vielmehr halten wir es für mindestens ebenso wichtig, die sittlichen Grundlagen zu festigen, auf denen sich Ehe und Familie aufbauen.
Wie gesagt, ich bin dem Bundesgerichtshof sehr dankbar, daß er diesen Riegel durch seine Rechtsprechung geschaffen hat.
Ich muß sagen, ich verstehe nicht, daß man etwas so Ungewöhnliches darin sieht, daß wir diese Rechtsprechung auch in einer gesetzlichen Bestimmung verankern wollen. Ich bin überzeugt, daß es in sehr vielen Fällen gar nicht zu diesem Ausmaß der Zerrüttung einer Ehe gekommen wäre, wenn dieser Riegel dagewesen wäre.
Ich werde in dieser Auffassung bestärkt durch die soeben schon zitierten Motive zum BGB und die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, in denen für die Erschwerung der Scheidung geltend gemacht wurde, daß der christlichen Gesamtauffassung des deutschen Volkes entsprechend die Ehe als eine von dem Willen der Ehegatten unabhängige rechtliche und sittliche Ordnung anzusehen sei. Deshalb sei durch Erschwerung der Scheidung der leichtsinnigen Eheschließung vorzubeugen und darauf hinzuwirken, ,daß die Führung der Ehe selbst eine ihrem Wesen entsprechende bleibe, da — so heißt es in der Begründung — „wenn die Ehegatten wissen, daß die Ehe nicht leicht wieder gelöst werden kann, die Leidenschaften, welche den Wunsch nach Scheidung erregen, eher unterdrückt, eheliche Zerwürfnisse leichter wieder beseitigt werden und an Stelle der Willkür die Selbstbeherrschung und das Bestreben treten, sich ineinander zu fügen."
Meine Damen und Herren, ich bin mir vollkommen bewußt, daß zwischen diesen Reichstagsverhandlungen, die zur Kodifizierung des BGB führten, und unseren Tagen ein Zeitraum liegt, der durch eine erschreckende Säkularisierung unseres ganzen öffentlichen Lebens und auch der Auffassung von Ehe und Familie gekennzeichnet ist.
Ich kann das nur außerordentlich bedauern im Interesse des Staates und Volkes, sofern wir auf dem Standpunkt stehen, daß gesunde Ehen und Familien die sicherste Grundlage für eine gesunde Entwicklung des Staats- und Volkslebens sind.
Herr Kollege Wittrock hat vorhin darauf hingewiesen, daß die Zahl der Ehescheidungen doch sehr stark zurückgegangen sei. Ich muß mit Herrn Professor Böhm bekennen: sie ist mir immer noch viel zu hoch. Denn ich denke dabei auch immer an das Leid und die Zerrissenheit der Kinder, die in solchen Ehen leben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wittrock?
Bitte.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die Scheidung von Ehen mit Kindern nach § 48 durch diese Bestimmung gar nicht berührt wird, weil sich dafür die entsprechenden rechtlichen Gesichtspunkte aus § 48 Abs. 3 ergeben, während es hier um den § 48 Abs. 2 geht, so daß also insoweit Ihr Hinweis auf die Ehe mit Kindern fehlgeht?
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9492 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Ja, mir ist auch als Nichtjuristin die Rechtsprechung in diesen Fragen durchaus bekannt, Herr Kollege Wittrock. Dies war aber eine generelle Bemerkung. Ich wollte sie nicht nur beziehen auf die von Ihnen angeführte, wie Sie meinen, relativ niedrige Zahl von Ehescheidungen aufgrund von § 48. Es wurde ja ganz generell gesagt, daß die Ehescheidungen überhaupt sehr stark zurückgegangen seien. Ich meine, wir sollten aus diesem Grunde keine Möglichkeit zu einer Erleichterung der Ehescheidung, wie immer sie auch geartet sei, geben, und zwar im Interesse der Kinder, in deren Seelen ein ungeheurer Schaden angerichtet wird, wenn sie in solch zerstörten Elternhäusern aufwachsen.
Die Zahl der Ehescheidungen ist gar nicht entscheidend, sondern es geht um eine grundsätzliche Frage, ob nämlich der Staat seine Eherechts- und Ehescheidungsgesetzgebung abstellen soll auf die persönlichen Forderungen und Ansprüche des einzelnen, oder ob er dem Ehe- und Ehescheidungsrecht im Interesse der Gesunderhaltung von Volk und Staat eine sittliche Grundlage geben soll. Ich gestehe gern zu, daß Sie sich — auch die Sprecher der beiden Oppositionsparteien —.hier für diese sittliche Grundlage ausgesprochen haben. Sie, Herr Dr. Arndt, haben es noch sehr deutlich betont, daß Sie die Ehe grundsätzlich als eine Gemeinschaft auf Lebenszeit ansehen. Aber wenn ich mir eine ganze Fülle von Ehen, auch gerade junger Menschen, ansehe, dann muß ich doch sagen, daß der Zug zu einer autonom gestalteten Ehe und zu einem falschen Verständnis der Entwicklung der freien Persönlichkeit sehr weit verbreitet ist.
Eben aus diesem Grunide begrüße ich es sehr, wenn wir hier mit diesem Antrage meiner Fraktion, der ja nur ein erster, bescheidener Schritt auf dem Gebiete des Familienrechts sein soll, — —
— Ja bitte, was wollen Sie denn? Sie wollen doch auch eine Reform! Wir können uns doch darüber unterhalten. Darüber, ob sie im nächsten Bundestag kommen wird, bin ich mir nach den Erfahrungen, die ich in den vergangenen 12 Jahren gemacht habe, allerdings bisher noch im unklaren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn ?
Frau Kollegin, können Sie uns vielleicht einmal darüber aufklären, wer nun eigentlich die wahre Meinung der CDU/CSU-Fraktion vertritt?
Herr Kollege Jahn, ich muß ganz offen gestehen, daß ich Ihre Frage nicht verstehe. Ich persönlich finde, daß sich keine nennenswerte Diskrepanz in unseren Auffassungen gezeigt hat.
Mir ist das nicht ganz klar, das muß ich Ihnen ganz offen sagen.
Ich möchte zu meinem begonnenen Satz zurückkehren: Wir sollten doch diesen ersten, bescheidenen Schritt, der der Festigung der Ehe dienen soll — ich meine, daran sind Sie, Herr Jahn, nach den Ausführungen, die Sie gemacht haben, durchaus interessiert —, nun auch tun.
Ich sprach vorhin von der mißverstandenen Freiheit, der wir heute so häufig begegnen, und davon, daß Freiheit so oft mit Bindungslosigkeit gleichgesetzt wird. Wir sollten keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, gerade auch der jungen Generation — in den Elternhäuser oder wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet, im Schulunterricht — den Gedanken nahezubringen, daß die Ehe eine Gemeinschaft ist, in der es nicht in erster Linie um das Glücklichwerden des einen geht, sondern um das Glücklichmachen des anderen, und daß das nur möglich ist, wenn der einzelne Ehepartner bereit ist, Opfer zu bringen und sich in Zucht zu nehmen.
Ich habe in diesen Tagen viel an das Wort eines alten Pädagogiklehrers von mir gedacht, der uns jungen Menschen viel von seiner Lebensweisheit mitgegeben hat. Er pflegte immer zu sagen: Seien Sie versichert, die Ehe ist der Abschluß der Erziehung, nämlich der Selbsterziehung. Darauf kommt es an: Daß man sich in eine solche Gemeinschafteinfügt, schließt die Bereitschaft ein, Opfer zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hat sich wieder gezeigt, daß die Ehe- und Familienrechtsgesetzgebung wie seit eh und je leidenschaftliches Interesse erregt. Das liegt nicht nur daran, daß das Eherecht auf Grund seiner Geschichte mit den Weltanschauungskämpfen der Neuzeit aufs engste verknüpft ist, sondern auch daran, daß sehr viele auf dem Ehegebiet ihre persönlichen Erfahrungen haben. Als das BGB vom Reichstag verabschiedet wurde, füllten sich die Bänke erst bei der Behandlung des Vierten Buches, und ein konservativer Abgeordneter kritisierte sehr zur Überraschung des ganzen Hauses 'die ihm zu eng erscheinenden Möglichkeiten der Scheidung. So wichtig die Beiträge sind, die der einzelne aus seinen eigenen Erfahrungen beisteuern kann, so muß doch der Gesetzgeber das Ganze sehen. Auf diesem Gebiet liegen viele Äußerungen von Juristen, Soziologen und sonstigen Sachkennern bis in die jüngste Zeit hinein vor.Das Problem ist ja uralt. Ich erinnere nur an die „unüberwindliche Abneigung" des Allgemeinen Landrechts. Ich kann deshalb den Vergleich, den Herr Wittrock bezüglich der nötigen Vorbereitung zwischen der jetzigen gesetzgeberischen Aufgabe
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9493
Dr. Wahlund der Schöpfung eines ganz neuen Güterstandes gezogen hat, nicht billigen. Auf unserem Gebiet wird es bei Gegensätzen bleiben. Selbst Sachverständige können, wie die Literatur zeigt, nur widersprechende Gutachten erstatten.Worum geht es? Als 'die Verfasser des damaligen sogenannten „großdeutschen Ehegesetzes" den damaligen § 55, den heutigen § 48, und damit das Zerrüttungsprinzip Kahls in das Gesetz aufnahmen, übernahmen sie auch dessen Gedanken, daß die Scheidung dann nicht zulässig sei, wenn der Kläger selbst die Zerrüttung verschuldet habe; dann könne der Beklagte der Scheidung widersprechen. Sie hängten diesem Satz aber eine weitere Bestimmung an:Der Widerspruch ist nicht zu beachten, wenn die Aufrechterhaltung der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt ist.Dies wurde anfangs dahin verstanden, daß die Unbeachtlichkeit des Widerspruchs die Ausnahme, seine Beachtlicheit dagegen die Regel sei, von der Kahl selbst überhaupt keine Ausnahme zuließ,ebenso wie übrigens auch das schweizerische Recht. Baldaber setzte sich bei den Gerichten der national, sozialistischen Zeit folgende Erwägung durch: Wenn das Gesetz für die Unbeachtlichkeit des Widerspruchs auf die richtige Würdigung des Wesens der Ehe abstelle, so könne damit doch nur das Wesen der Ehe gemeint sein, wie sie im Gesetz verankert sei. Zu deren Wesenszügen gehöre es nun einmal, daß sie bei heilloser Zerrüttung nach 'dreijähriger Heimtrennung nicht aufrechterhalten werden solle. Eine solche Ehe sei als unheilbar kranke Ehe, als nicht funktionsfähige Ehe, als bloßes iuris vinculum ohne faktischen Inhalt, als Scheinehe ohne wahre Existenz nur ganz ausnahmsweise bei Widerspruch des Beklagten aufrechtzuerhalten.Der Bundesgerichtshof hat das wahre Verhältnis von Regel und Ausnahme wiederhergestellt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock?
Herr Professor, stimmen Sie mir nicht darin zu, daß es doch eigentlich abwegig ist, bei der Beurteilung einer etwa heute und jetzt bestehenden Rechtsnot immer wieder auf der von uns allseits mißbilligten Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1945 herumzureiten?
Einen Augenblick, bitte! Wenn Sie die folgenden Sätze hören, werden Sie es verstehen. Der Bundesgerichtshof hat das wahre Verhältnis von Regel und Ausnahme wiederhergestellt. Der Rechtsausschuß will mit seiner Neufassung des Gesetzes nichts anderes, als dieses richtige Verhältnis der einzelnen Fallgruppen sanktionieren und sicherstellen. Deswegen soll auf die Formel von der richtigen Würdigung des Wesens der Ehe in diesem Zusammenhang verzichtet werden, weil sie schon einmal Verwirrung gestiftet hat, die noch heute in der Rechtsprechung der Instanzgerichte nachwirkt.Auch 'die Formulierung des SPD-Antrages — eine Ehe, die ihre Grundlage nie hatte oder später verloren hat — schließt solche Mißverständnisse nicht aus.
Diese Verwirrung und ihre Überwindung hat allgemeine Bedeutung. Es ist kein Zufall, daß die Ausdrücke, die zur Kennzeichnung der zerrütteten Ehe verwendet werden — kranke Ehe, Fehlehe, nicht funktionsfähige Ehe, selbst in gewissem Sinne der Begriff des SPD-Antrages „Ehe, die keine Grundlage hat" —, naturwissenschaftliche Denkweisen in das Eherecht verpflanzen und damit der Ehe als einer sittlichen Institution nicht voll gerecht werden; denn sie spielen damit auch auf die Unabänderlichkeit der Naturgesetze da an, wo die sittliche Entscheidung der Beteiligten von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Ich sehe deswegen in der vorgeschlagenen Reform — und dies sage ich besonders den Juristen, ohne das hier näher ausführen zu wollen — eine Parallele zu 'der finalen Handlungslehre im Strafrecht, die ja auch 'beim Verbrechensbegriff nicht mehr bei der strengen Unterscheidung zwischen der objektiven, rein naturwissenschaftlich feststellbaren Tatbestandsverwirklichungeinerseits und der psychologischen Beziehung des Täters zu diesem objektiven Sachverhalt anderereits stehenbleiben, sondern beides zusammen sehen will und durch die Betonung des sogenannten subjektiven Unrechtselements auch beim Aufbau des Verbrechensbegriffs eine stärkere und der menschlichen Natur besser gerecht werdende Ethisierung des Strafrechts anstrebt.Nun wird gegen die vorgeschlagene Reform eingewendet, sie stelle auf nicht 'beweisbare innere Vorgänge ab: Bindung an die Ehe, Bereitschaft, die Ehe fortzuführen. Ohne auf die Wirkungen der Vorgänge in der Ehe auf die gegenseitige Einstellung der Eheleute zueinander abzustellen, kann aber ein Scheidungsrecht überhaupt nicht auskommen. Schon im BGB von 1900 und seitdem bei allen relativen Scheidungsgründen kommt es nicht nur auf 'die ehewidrigen Beziehungen, die Mißhandlungen und Beleidigungen 'an, sondern darauf, daß durch diese Fakten die Ehe zerrüttet worden ist. Diese Zerrüttung ist weitgehend ein innerer Tatbestand. Ein durchschlagender Einwand gegen 'die Reform kann also aus dieser Notwendigkeit, subjektive Tatbestände durch die Gerichte feststellen zu lassen, nicht hergeleitet werden.Noch eine weitere Bemerkung. Unser Ehegesetz hat die Zerrüttung der Ehe nicht nur nach dreijähriger Heimtrennung als Scheidungsgrund anerkannt, sondern auch bei Geisteskrankheit, bei Ausschreitungen infolge geistiger Störungen und bei anstekkender oder ekelerregender Krankheit. Hier wird in § 47 den Gerichten zur Auflage gemacht, außer dem Vorliegen der objektiven Scheidungsgründe die sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens zu
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9494 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Dr. Wahlüberprüfen. Ob diese gegeben ist, „richtet sich nach den Umständen, namentlich auch nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung", heißt es im Gesetz. Nach unserer Meinung geht es nun bei der dreijährigen Heimtrennung nicht an, wenn der Kläger selbst die Zerrüttung ganz oder überwiegend verschuldet hat, über den Widerspruch des anderen Teils einfach mit der Erwägung hinwegzugehen, die faktisch getrennte Ehe müsse bei der Vorstellung, die sich der Gesetzgeber vom Wesen der Ehe gemacht habe, ohne Rücksicht auf die Grenzen der Zumutbarkeit der Auflösung verfallen. Darum ist von der zumutbaren Bereitschaft, ,die Ehe fortzusetzen, die Rede.Herr Kollege Arndt hat gesagt, § 50 enthalte ein uraltes Prinzip des deutschen Rechts: man müsse entweder zum anderen Ehegatten zurückkehren oder Scheidungsklage erheben. Herr Arndt, so alt ist dieses Prinzip nicht. Das ist in dieser Schärfe erstmals 1938 ins Eherecht gekommen. Erst 1938 wurde der § 50 eingefügt, der diese Alternative — entweder Klage oder Rückkehr — vorsieht; aber selbst hier hat die Rechtsprechung gemildert.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU-Fraktion zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir als einem Mitglied dieses Hauses, das nicht dem Rechtsausschuß angehört und infolgedessen keine Gelegenheit hatte, dort den Diskussionen zu folgen, einige wenige Worte. Wir .sind ja in diesem Hause alle gezwungen, uns in gewisser Weise zu spezialisieren, und wir vertrauen dann meistens den Vorschlägen und dem Rat unserer Freunde, die sich mit der betreffenden Frage befaßt haben. Es gibt aber Probleme von so ausschlaggebender Bedeutung, von so allgemein politischen und gesellschaftlichen Folgen, bei denen jeder einzelne Abgeordnete, glaube ich, das Bedürfnis hat und haben muß, sich selbst ein eigenes Urteil zu bilden. Um eine solche Frage handelt es sich hier bei dieser Änderung des § 48 Abs. 2 des Ehescheidungsrechts, mit idem uns Frau Kollegin Schwarzhaupt plötzlich vor drei Monaten überrascht hat.Die Kolleginnen und Kollegen der CDU haben in der Debatte verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, daß dieses Problem alt sei und daß man sich ja schon früher damit beschäftigt habe, etwa im 1. Bundestag. Nun, im 1. Bundestag lag die Situation in vieler Beziehung ganz anders. Ich kann mich auch nicht entsinnen, daß wir uns ausgesprochen mit dem Ehescheidungsrecht befaßt hätten. Wir haben uns damals an Hand der Fragen der Gleichberechtigung mit der Stellung der Frau in der Ehe ganz allgemein beschäftigt. Nun wird hier von Frau Kollegin Schwarzhaupt besonders hervorgehoben, diese Gesetzesänderung diene dem Schutze der Frau. Dann ist immerhin verwunderlich und zumindest bemerkenswert, daß gerade zahlreiche Frauenverbände uns in diesen Tagen geschrieben und dringend gebeten haben, eine solche Gesetzesänderung jetzt nicht übereilt vorzunehmen. Ich nenne unter vielen nur den Deutschen Frauenring, den Verband berufstätiger Frauen, den Bund Deutscher Juristinnen. Der Bund Deutscher Juristinnen ist doch wohl als besonders sachkundig für dieses Problem anzusprechen. Die Frau Kollegin Diemer hat schon darauf hingewiesen, daß dieser Verband nicht einmal die Zeit gehabt hat, sich mit dem jetzt aufgetauchten Problem eingehend zu beschäftigen.Mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich aus den vielen mir vorliegenden Zuschriften nur einige Zeilen aus der Zuschrift des Verbandes der Deutschen Juristinnen verlesen. Sie fordern, „daß jeder derart wesentlichen Gesetzesänderung des materiellen oder formellen Scheidungsrechts eine sorgfältige und gründliche Prüfung hinsichtlich der Notwendigkeit und der Folgen vorangehen muß". Nach Ansicht der Juristinnen sind also die Folgen der von Ihnen vorgeschlagenen Gesetzesänderung anscheinend in keiner Weise so absolut zu übersehen.Ich möchte übrigens auch dazu bemerken, daß die gegenwärtige Fassung seinerzeit, dm Jahre 1927, voneiner Frau vorgeschlagen worden ist, der Mannheimer Rechtsanwältin Dr. Rebstein-Metzger.Nun wird hier auch ganz besonders oft von dem Schutz der alternden Frau gesprochen, die nicht verstoßen werden dürfe. In der Debatte ist schon vielfach darauf hingewiesen worden, daß diese Beispiele heute nicht mehr zutreffen, daß die heutigen Gerichte nicht mehr so entscheiden. Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß wir gerade der Situation derjenigen Frau verschiedentlich Rechnung getragen haben, die ein ganzes Leben lang treu an der Seite ihres Mannes gestanden hat und deren Ehe nun doch in die Brüche geht, wo es also zur Scheidung kommt. Ich erinnere an die Änderung des Beamtenrechts, an die Rentenversicherung, wo wir dafür ¡Sorge getragen haben, daß auch die geschiedene Ehefrau einen' Anspruch auf Pension, auf Rente nach dein Tode des Mannes hat. Wir haben bei der Änderung des ehelichen Güterrechts die Situation dieser älteren Frauen berücksichtigt, so daß ihre ¡Stellung jetzt wesentlich besser ist und wir, glaube ich, eine ganz andere Ausgangsposition haben als im 1. Bundestag.Und nun erlauben Sie mir noch einige wenige Bemerkungen von dem Blickpunkt des Arztes aus, der in der, Praxis und nicht aus der juristischen Theorie heraus Ehen und Familien noch mehr in ihrem inneren Leben und inneren Zusammenhalt zu sehen und zu erleben vermag. Es ist in. der Debatte doch wohl klar zum Ausdruck gekommen, daß es sich hier um eine Verstärkung des Widerspruchsrechts des nichtschuldigen oder minderschuldigen Ehepartners handelt. Sie wünschen damit praktisch, dieses Widerspruchsrecht absolut zu machen.Ich möchte einmal doch die Frage erheben, welches oft die Motive dieses Widerspruchs sind. Ver-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9495
Frau Dr. Hubertständlich sind sie immer, sehr oft menschlich, allzu menschlich. Und ich frage mich, -ob das Leid der Frau oder des Mannes, die keinen Widerspruch erheben und deren Ehe deshalb geschieden wird, geringer ist als das des Widersprechenden. Ist nicht vielmehr gerade deren Liebe größer? Wir alle wissen doch, wie eng oft Haß und Liebe beieinander wohnen. Als Arzt macht man sogar sehr oft die Erfahrung, daß ,selbst der leidenschaftlich widersprechende Teil, wenn er aus einer solchen völlig zerrütteten Ehe schließlich geschieden ist, zu einer gewissen Befreiung, zu einem neuen Leben kommt, nachdem die Verkrampfung des Widerspruchs gelöst ist. Denn, versehrte Kollegen und Kolleginnen, eine Ehe, in der man den Partner nur noch durch den Zwang des Gesetzes zu halten vermag, hat doch ihren wirklichen Wert und Sinn auch für den widersprechenden Partner verloren. Wir sind selbstverständlich der Meinung — ich möchte das persönlich ganz besonders unterstreichen —, daß die Ehe ein Bund ist, und nicht mit einer resiervatio mentalis geschlossen wird, indem man sich sagt, man wolle vielleicht auch einmal wieder auseinandergehen. Die Ehe muß vielmehr ein Bund für das Leben sein. Auch wir haben ein Interesse daran, die Ehe zu stärken und ihr eine größere Dauerhaftigkeit zu verleihen. Ich glaube aber, daß dieses Ziel nicht auf dem Wege erreicht werden kann, den Sie hier vorschlagen. Ich möchte zumindest sagen, daß man nicht an all den schweren gesundheitlichen und seelischen Schäden vorbeigehen darf, die oft die Folge einer zerrütteten Ehe .sind, die krampfhaft zusammenge- halten wird.Nun lassen Sie mich noch ein Wort zu den Kin-dern sagen, auf die Frau Kollegin Rehling hingewiesen hat. Die ,ehelichen Kinder und deren Schutz stehen an sich — wie heute zu diesem Paragraphen schon bemerkt und richtiggestellt wurde — nicht zur Diskussion. Selbstverständlich soll immer alles versucht werden, um die Ehe zusammenzuhalten. Aber wenn keine ehelichen Kinder da sind oder diese schon längst erwachsen und aus dem Hause sind, dann weiß ich nicht, ob man nicht die Not der illegitimen Kinder einmal betrachten muß, die niemals in den Genuß eines richtigen Elternhauses kommen. Auch daran sollten wir, glaube ich, nicht völlig vorübergehen.Der Krieg hat uns — es wurde vorhin schon darauf hingewiesen — noch eine besondere Problematik hinterlassen. Aus diesem Grunde hat auch der Heimkehrerverband dringend darum gebeten, von einer Verabschiedung der Gesetzesänderung in diesem Augenblick abzusehen, weil gerade Heimkehrer sehr häufig durch diese Paragraphen betroffen sind. Wir wissen, welch tragische Schicksale, welch tragische Verstrickungen hier oft vorliegen, bei denen keiner von uns, glaube ich, den Mut haben sollte, von Schuld oder Nichtschuld zu sprechen.Ich muß für mich sagen: Auch nach der heutigen Debatte, auch nach alledem, was ich mir in den letzten Tagen — andere Möglichkeiten hatten wir ja nicht, denn wir waren schließlich auch in unseren eigenen Ausschüssen mit Gesetzesarbeiten befaßt — an Material und Unterlagen habe verschaffen können, sehe ich mich wirklich nicht in der Lage, heute eine Entscheidung zu fällen, ob wir und wie wir unser Ehescheidungsrecht ändern sollten oder könnten. Im vermag auch nicht die Tragweite einer solchen Änderung zu überblicken.,Ich bin überzeugt, daß eine ganze Reihe von Kollegen in diesem Hause in derselben Situation sind, auch bei Ihnen in der Fraktion der CDU/CSU. Ich erinnere nur daran, daß der Herr Bundesinnenminister davon gesprochen haben soll, es wäre nicht notwendig, diesen Gesetzentwurf jetzt noch zu verabschieden. Ich erinnere daran, daß Zeitungen wie „Christ und Welt" oder das „Sonntagsblatt" dringend vor einer zu schnellen Verabschiedung gewarnt haben.Ich appelliere daher an die Kollegen der CDU/ CSU: Versuchen Sie nicht, kraft Ihrer Mehrheit heute eine Entscheidung zu erzwingen, deren Folgen viele von uns und auch von Ihnen nicht zu übersehen vermögen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen scheinen mir in dieser Debatte noch notwendig zu sein.
Sowohl Herr Minister Wuermeling als auch Frau Kollegin Dr. Rehling haben es für richtig befunden, sich hier auf angebliche Auffassungen der Evangelischen Kirche zu beziehen. Es ist ein etwas merkwürdiges Verfahren, das hier angewandt wird, zumal da gerade in dieser Frage eine bestimmte Auffassung der Evangelischen Kirche überhaupt nicht existiert. Ich halte es überhaupt für ein sehr merkwürdiges und schlechtes Verfahren, sich gerade dann jeweils auf Meinungsäußerungen aus der Evangelischen Kirche zu berufen, wenn das nützlich erscheint. Ich bin vorhin darauf aufmerksam gemacht worden, und ich möchte das auch bei dieser Gelegenheit ganz deutlich sagen: Dann, wenn es nicht paßt, geht man sogar über verbindliche Meinungsäußerungen der Evangelischen Kirche hinweg, wie es z. B. damals der Fall gewesen ist, als nach sehr sorgfältiger und langwieriger Erarbeitung einer Stellungnahme der Evangelischen Kirche zur Frage der Kriegsdienstverweigerer hier im Hause niemand etwas davon hören wollte. Ich meine, man sollte nicht versuchen, hier in dieser Form mit der Evangelischen Kirche zu argumentieren, um dadurch bestimmte Meinungen herbeizuführen, während man es mit dieser Bezugnahme offenbar so ganz aufrichtig nicht meint.
Mir geht es darüber hinaus um etwas anderes, nämlich um die Bitte, die ich hier an die Fraktion der CDU/CSU richten möchte, mir aus einer argen Verlegenheit zu helfen, aus einer Verlegenheit, die ich vorhin schon in einer Frage hier habe laut werden lassen. Ich muß aufrichtig gestehen, daß ich
9496 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Jahn
nicht mehr in der Lage bin durchzusehen, was nun eigentlich der Grund für den Antrag -der CDU/CSU-Fraktion ist. Frau Kollegin Schwarzhaupt hat hier erklärt, damit solle lediglich die sehr gute — ich bin nicht ganz dieser Meinung, aber das wollen wir hier nicht vertiefen und austragen — Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt werden. Wenn Sie das ernsthaft wollten, dann brauchten Sie ja nur dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen, der sich in seinen Formulierungen genau an die Leitsätze hält, die der Bundesgerichtshof entwickelt hat. Meine Frage ist: Warum weichen Sie also mit Ihrer anderen Formulierung von den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat, ab, warum wollen Sie die „sittliche Grundlage", auf die wir es in unserem Antrag abstellen, sogar herausstreichen? Diese Frage muß geklärt werden.
Und dann müßte auch eine Antwort darauf gegeben werden: Soll nun eigentlich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs — was Sie mit Ihrem Antrag nach dem, was ich soeben gesagt habe, gar nicht bezwecken und erreichen können — bekräftigt werden oder soll das gelten, was Frau Kollegin Rehling hier gesagt hat: es soll nur ein erster Schritt im Hinblick auf die Festigung der Ehe, also auf eine Einengung des Eherechts, getan werden.
Ich möchte doch darum bitten, diese Frage einmal zu lösen. Oder gilt, meine Damen und Herren von der Mehrheitsfraktion, das, was heute morgen in der „Rheinischen Post" gestanden hat:
Die Sprecher der CDU/CSU äußerten in den letzten Wochen immer wieder, sie wollten das Eherecht nur der Praxis des scheidungsunfreundlichen Bundesgerichts anpassen. Sie vermieden es, klar zu sagen, daß es ihnen vielmehr um den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe geht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf eine klare Frage eine klare Antwort: Wir glauben, mit unserem Antrag nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen, sondern glauben, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einer Sprache einzufangen, die dem Gesetzgeber gemäß ist und die sich nicht an die Formulierungen geradezu anklammert, die der Richter in seinen Urteilen gebrauchen kann. Wir sind der Meinung, daß 'das, was der Bundesgerichtshof an Grundsätzen herausgearbeitet hat, in unserem Antrag niedergelegt ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 951. Es ist in Wirklichkeit eine Übernahme der Formulierung des Antrages auf Umdruck 930 mit bedeutsamen Änderungen. Ich darf wohl annehmen, daß mit der Annahme dieses Antrages der andere Antrag 'gegenstandslos wäre.
Wer dem Antrag auf Umdruck 951 zuzustimmen wünscht, der gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe dann auf Art. 2 a Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, igebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen!
Ich rufe auf den Art. 3. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Bestimmung des Art. 3 Ziffer 01 handelt essich um eine verfahrensrechtliche Änderung, und zwar liegt dieser Änderung der Antrag der SPD zugrunde. Ich bin vorhin nicht darauf eingegangen, ob wir zu dieser Änderung verfahrensrechtlicher Art unsere Zustimmung geben werden. Ich möchte jetzt dazu folgendes sagen: Wenn es tatsächlich nur darum ginge, daß die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für die Instanzgerichte gewahrt wird, dann würde es vollkommen ausreichen, daß diese Revisionsmöglichkeit geschaffen wird. Eine Änderung des § 48 Abs. 2 wäre nicht notwendig. Wir werden dieser Verfahrensbestimmung zustimmen.
Ich möchte aber auf folgend-es hinweisen. Auch diese Bestimmung soll jetzt nach einer außerordentlich kurzen Beratung beschlossen werden. Wir haben uns bei der 'Beratung der Verwaltungsgerichtsordnung eingehend mit der Frage der Revisionsmöglichkeiten befaßt und wir wollten damals Bestimmungen schaffen, die gewissermaßen ein Modell für die Revisionsmöglichkeiten auch in den anderen gerichtlichen Verfahren sein sollten. Ich habe es in meiner Praxis schon bedauert, daß in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten, speziell in Eheschei- dungsstreitigkeiten, die Revisonsmöglichkeit so stark eingeschränkt ist. Daß jetzt eine Auflockerung erfolgen soll, begrüße ich. Es wird aber — auch die Kollegen von -der SPD mögen mir nicht übelnehmen, daß ich das sage — mit dieser Bestimmung nicht eine gleiche Regelung erreicht, wie wir sie in der Verwaltungsgerichtsordnung haben. Es wird auch nicht eine Erweiterung der Revisionsmöglichkeiten in Ehescheidungsstreitigkeiten erreicht, bei denen es sich nicht um § 48 des Ehegesetzes handelt. Es müßte geprüft werden, inwieweit die Revisionsmöglichkeit auch in diesen anderen Fällen erweitert werden sollte. Ich würde eis deshalb begrüßen, wenn der neue 'Bundestag sich nochmals eingehend mit diesen Revisionsbestimmungen befaßte.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 3. Wer zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Mti Mehrheit angenommen.Art. 4! Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9497
Vizepräsident Dr. DehlerIch rufe Art. 5 auf. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beantrage, den Art. 5 zu streichen. Als der Ausschuß diese Formulierung beriet, stand nicht fest, ob das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in diesem Bundestag noch verabschiedet werden würde. Art. 5 betrifft ja eine Bestimmung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Nachdem das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes nunmehr bearbeitet ist und zur Verabschiedung ansteht — ich verweise auf die Drucksache 2854 —, ist der Art. 5 des vorliegenden, Gesetzes, der wörtlich mit dem Art. 5 Ziffern 3 und 4 der Vorlage Drucksache 2854 übereinstimmt — die letztere Fassung ist sogar noch erweitert —, überflüssig geworden. Art. 5 kann gestrichen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP stimmt dem von Kollegen Dr. Weber soeben gestellten Antrag zu. Sie muß aber darauf hinweisen, daß die Panne, die Herr Dr. Weber erwähnt hat, darauf zurückzuführen ist, daß die Mehrheit dieses Hauses es einfach versäumt hat, bei der Beratung der Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschußeinzusetzen, wie wir das beantragt hatten.
Es besteht Einverständnis, daß Art. 5 entfällt? — Ich darf das feststellen.
Ich rufe auf Art. 6 bis 9. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Art. 10 I und II Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Bestimmungen sind angenommen.
Ich rufe auf Art. 10 II Nr. 2. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 967 vor, Art. 10 II Nr. 2 Abs. 1 zu streichen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit § 1708 BGB hat das Hohe Haus das 18. Lebensjahr als Grenze für die Unterhaltspflicht festgelegt. In den Übergangsvorschriften ist diese Bestimmung für diejenigen, die am 1. Januar 19i62 schon das 16. Lebensjahr vollendet haben, aufgehoben worden. Diese Regelung erscheint meiner Fraktion ungerecht, denn dadurch würden beträchtliche Personengruppen aus dieser Unterhaltspflicht herausgenommen. Gerade die Frauen, die unter großen Mühen ihre Kinder z. B. auf die höhere Schule geschickt haben, müßten diese Unkosten ganz allein tragen.
Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen, in Art. 10 II Nr. 2 Abs. 1 zu streichen, damit alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr in den Genuß der Unterhaltsverpflichtung kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, diesen Antrag abzulehnen. Der Ausschuß hat sich diese Frage sehr wohl überlegt und ist der Meinung gewesen, daß in Rechtsverhältnisse, die bereits abgelaufen sind, hinterher nicht mehr eingegriffen werden kann und nicht mehr eingegriffen werden sollte. Wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist nach den bisher geltenden Bestirmmungen aus der Unterhaltspflicht entlassen worden. Daß wir die Unterhaltspflicht für die Zukunft bis zum 18. Lebensjahr ausgedehnt haben — mit einer Einschränkung, daß je nach den Verhältnissen der Unterhaltsverpflichtete auch auf Freistellung klagen kann; diese Vorschrift ist ja soeben bereits angenommen worden —, ist darauf zurückzuführen, daß wir diese Frage des Unehelichenrechts vorweg als dringlich angesehen haben, und zwar deshalb, ,weil das neunte Schuljahr vor der Tür steht und der Unterhaltsberechtigte infolgedessen in aller Regel erst mit dem 18. Lebensjahr seine Lehrzeit beendet hat. Da wir aber jetzt noch durchweg die achtjährige Schulzeit haben, kann diese Erwägung hier nicht durchgreifen. Wir bitten, den Antrag abzulehnen.
Ich lasse dann über diese Bestimmung positiv ,abstimmen. Wer der Bestimmung des Art. 10 II Nr. 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Entsprechend dem Antrag angenommen.
— Es ist ein Streichungsantrag gestellt worden. Ichhabe positiv über die Bestimmung abstimmen lassen. Damit ist der Streichungsantrag gegenstandslos.Ich rufe dann Art. 10 II Nrn. 3 ibis 6 auf, ferner III — IV entfällt — und V, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wird eine Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Es liegt lediglich der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 970 vor:Der Bundestag wolle beschließen:In Artikel 2 a wird Nr. 1 Buchstabe g gestrichen.Wollen wir so abstimmen, daß derjenige, der diesem Antrag zuzustimmen wünscht, mit Ja abstimmt,
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9498 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. Dehlerim Falle der Ablehnung mit Nein? — Ich bitte, in die Abstimmung einzutreten; es wird namentlich abgestimmt. Die hinreichende Unterstützung ist schon bei der Stellung des Antrags heute vormittag festgestellt worden.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Insgesamt abgegebene Stimmen: 429. Mit Ja haben gestimmt 174, mit Nein 252 Abgeordnete bei 3 Enthaltungen. Bei den Berliner Abgeordneten waren es 8 Ja- und 7 Nein-Stimmen. Damit ist der Antrag abgelehnt.JaSPDFrau AlbertzAltvater Dr. ArndtAugeDr. BaadeBachBading Bäumer BalsBauer
Baur
BayDr. BechertBehrendtFrau BennemannBerlin BettgenhäuserFrau Beyer BlachsteinDr. Bleiß Börner BruseBüttner CorterierCramer Dewald DiekmannFrau Döhring DopatkaDröscherFrau Eilers EschmannFaller Felder Folger Franke Dr. FredeFrehseeGeiger GeritzmannHaage HamacherHansing Dr. HarmHeide HeilandDr. Dr. HeinemannFrau Herklotz HermsdorfHerold Höcker HöhmannHöhne HöraufFrau Dr. Hubert HufnagelIven
Jacobi Jacobs Jahn
Jaksch JürgensenJunghansJungherzFrau Keilhack Frau KettigKillat Kinat (Spork) Frau Kipp-Kaule Könen (Düsseldorf) Koenen (Lippstadt) Frau KorspeterKrausKühn Kurlbaum Lange (Essen) Lantermann LautenschlagerLeberLohmarLudwigLücke LünenstraßMarxMatznerMetterDr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-LauleDr. Mommer Müller
Müller Müller (Worms)Frau Nadig Ollenhauer PetersPöhlerPrennelPriebePützPuschReglingRehsReitzFrau Renger RimmelspacherRitzelRohdeRodiekFrau Rudoll RuhnkeDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenSchmidt Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchröder Seidel (Fürth)Frau Seppi SeuffertStierleStriebeckFrau Strobel Dr. Tamblé Theil
Theis WagnerWegenerWehnerWelkeWelslauWeltner
Frau WesselWilhelmWischnewski WittrockZühlkeBerliner AbgeordneteDr. Königswarter Frau KrappeNeumannDr. Schellenberg Schröter Dr. SeumeFDPDr. AchenbachDr. AtzenrothDr. Bucher Dr. Dahlgrün Dr. DehlerFrau Dr. Diemer-Nicolaus Döring DowidatDürrEberhardFrau Friese-KornDr. Hoven Dr. ImleKellerDr. Kohut KreitmeyerFreiherr von KühlmannStummKühn Lenz (Trossingen) LogemannMaukMischnickFreiherr von MühlenMurrRammsDr. RutschkeDr. Schneider SpitzmüllerStahlDr. StammbergerWalterWeber ZoglmannBerliner AbgeordneteFrau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. WillFraktionslosBehrischMatthesDr. SchranzNeinCDU/CSUFrau Ackermann Graf Adelmann Dr. AdenauerDr. AignerArndgenBaer
BaldaufBalkenhol Dr. Bartels Dr. BarzelBauer Bauereisen BauknechtBauschDr. Becker Becker (Pirmasens) BerberichBergerDr. BergmeyerDr. BesoldDr. BirrenbachFürst von BismarckFrau Dr. BleylerBlöckerFrau Blohmvon BodelschwinghDr. Böhm BrandFrau BrauksiepeFrau Dr. BrökelschenBrückBühlerDr. Burgbacher BurgemeisterCaspersDr. Conring Dr. Czaja DemmelmeierDeringer Diebäcker DielDr. Dittrich Dr. DollingerDrachsler Draeger Dr. Dr. h. c. DresbachDr. EckhardtEhrenEichelbaum Dr. ElbrächterEngelbrecht-GreveFrau EngländerEnkEpléeEtzenbachDr. Even
Even
FinckhDr. Franz Franzen Dr. FreyDr. Fritz Fritz (Welzheim)FuchsFunkFrau Dr. Gantenberg GaßmannGedatGehringFrau GeisendörferGernsGewandt Gibbert GienckeDr. Gleissner Glüsing (Dithmarschen)Dr. Görgen Dr. Götz Gontrum Dr. Gossel GotteslebenGüntherFreiherr zu Guttenberg HackethalHäussler HahnDr. HahneDr. von Haniel-Niethammer
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9499
EnthaltenCDU/CSUBreseDr. Baron Manteuffel-SzoegESPD NellenHarnischfegerDr. HauserDr. Heck HeixDr. Graf HenckelDr. Hesberg HesemannHeye HilbertHöcherlDr. Höck HöflerHolla HoogenHorn Huth Dr. HuysIllerhausDr. JaegerJahn
Dr. JordanJostenFrau KalinkeDr. KankaKatzerKemmerDr. Kempfler KirchhoffKistersDr. Kliesing KnoblochDr. KnorrKoch Kraft KramelKrammigKrollKrüger Krüger (Olpe)KrugFrau Dr. Kuchtner KühlthauKunst KuntscherLang LeichtDr. LeiskeLenze LeonhardLermerLeukertvon Lindeiner-Wildau Lücke LulayMaier MajonicaDr. MartinMaucherMeis MemmelMengelkampMenkeMensingDr. von Merkatz Meyer MickMuckermann Mühlenberg Müller-Hermann MüserNeuburgerNiebergNiederaltFrau NiggemeyerDr. Dr. Oberländer OetzelFrau Dr. Pannhoff PelsterDr. h. c. Pferdmenges Dr. PflaumbaumDr. PhilippPietscherFrau Pitz-SavelsbergDr. PreißProbst
RasnerFrau Dr. RehlingDr. ReinhardDr. ReithRiedel
Dr. RipkenFrau RöschRösing RollmannRommerskirchenDr. Rüdel
RufRuland Schäffer ScheppmannDr. SchildSchlee SchlickDr. Schmidt Frau Schmitt (Fulda) SchmückerSchneider
Dr. Schneider SchüttlerSchütz Schulze-PellengahrSchwarzFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerDr. SeffrinSeidl
Dr. SerresSiebelDr. SiemerSimpfendörferSolkeSpies
Spies StauchDr. SteckerFrau Dr. SteinbißDr. SteinmetzStillerDr. StoltenbergDr. Storm
Storm StücklenSühler Teriete TobabenDr. ToussaintUnertl VarelmannVeharFrau VietjeDr. VogelVogtWacher Dr. WahlFrau Dr. h. c. Weber Dr. Weber (Koblenz) WehkingFrau Welter WendelbornDr. WerberWerner WieningerDr. WilhelmiDr. WillekeWindelenWinkelheideDr. WinterWittmann Wittmer-EigenbrodtWormsDr. Wuermeling WullenhauptDr. ZimmerDr. ZimmermannBerliner AbgeordneteBendaDr. GradlHübnerDr. KroneLemmerFrau Dr. Maxsein StinglWir kommen zur Schlußabstimmung. Zunächst hat das Wort zur Abstimmung Herr Abgeordneter Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens .der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine Erklärung abgeben. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Regelungen, bei denen wir es begrüßen würden, wenn ,sie Bestandteil unseres geltenden Rechts würden. Wir haben deshalb in diesen Gesetzentwurf auch eine Fülle von Mühe und Arbeit in den Beratungen der Ausschüsse investiert. Der Gesetzentwurf trägt aber, so wie er jetzt auf Grund Ihrer Mehrheitsentscheidung gestaltet worden ist, meine Damen und Herren, einen entscheidenden Makel. Es ist das .erntemal in der modernen Rechtsgeschichte, daß ein Justizgesetz in einer solchen Weise, so mit leichter Hand
von einem gesetzgebenden Gremium — ,,
— Was regen Sie sich denn auf?
Meine Damen und Herren! Es ist das erstemal in der neueren deutschen Rechtsgeschichte, daß ein Justizgesetz in einer solchen Weise mit einer so mangelhaften Vorberatung und Vorbereitung
von einer gesetzgebenden Körperschaft Deutschlands verabschiedet worden ist.
Es ist bezeichnend, daß der Bundesminister der Justiz in dieser Aussprache den Ausführungen zwar mit Interesse gefolgt ist, sich aber in keiner Weise veranlaßt gesehen hat, seinerseits als der für die Justizgesetze zuständige Minister die Auffassung seines Hauses hier in der Debatte vorzutragen.
In dieser Debatte ist mit falschen Argumenten gearbeitet worden.
Niemand stellt das Wesen der Ehe in irgendeiner Weise in Frage, niemand .stellt das Wesen der Ehe als eine auf die Dauer begründete Gemeinschaft in Frage, niemand in diesem Hause denkt daran, Freibriefe für verwerfliches Verhalten zu verteilen.
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9500 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
WittrockNiemand in diesem Hause verkennt die Tragik, die eine jede Scheidung einer Ehe mit sich bringt. Das Problem, um das es hier gegangen ist, ist nur der schmale Grat der wenigen Fälle, in denen ein Widerspruchsrecht ausgeübt worden ist und eine Scheidung gegen den Willen des widersprechenden Ehegatten erfolgt.Meine Damen und Herren, die Rechtsprechung ist mit diesem schmalen Grat — ich habe ja hier die Zahl genannt — fertig geworden, und wir wie auch ich selber haben in den Beratungen — schon damals im Unterausschuß — von Anfang an unsere Bereitschaft erklärt, die Problematik zu prüfen. Wir haben deshalb die vorgeschlagenen Formulierungen als eine Diskussionsgrundlage angesehen. Wir haben aber bei der dann vorgenommenen Überprüfung festgestellt, daß die Rechtsprechung mit den Problemen fertig geworden ist. Herr Professor Bosch zitiert in der Zeitschrift „Ehe und Familie" wie folgt:Wenn wir von der Judikatur des Reichsgerichts einmal absehen, beobachten wir, daß der Bundesgerichtshof und ihm folgend viele Oberlandesgerichte und Landgerichte eine Rechtsprechung entfaltet haben, die von einem nicht mehr zu übertreffenden sittlichen Ernst getragen ist.Meine Damen und Herren, Sie erwecken hier geflissentlich den Eindruck, als seien die deutschen Richter nicht in der Lage gewesen und als seien sie nicht in der Lage, mit den Rechtsbegriffen des geltenden § 48 des Ehegesetzes fertig zu werden. Sie stellen durch die Ablehnung des sozialdemokratischen Vorschlags den deutschen Richtern das Armutszeugnis aus, als könnten sie mit dem Rechtsbegriff der sittlich tragbaren Grundlage einer Ehe nicht fertig werden.Dieser Vorschlag, den Sie jetzt beschlossen haben,
zielt darauf ab, ohne Not — weil nämlich die Richterschaft mit den Problemen fertig geworden ist — die Richter zu strangulieren und ihre Rechtsprechung zu reglementieren.
Es gibt für den Nachdruck, mit dem Sie hier Ihren Änderungsantrag unter Zurückweisung der vorgetragenen Bedenken durchgepeitscht haben, nur eine einzige Erklärung, nämlich die, daß nach diesem ersten Schritt, daß nach dieser vorläufigen Regelung — wie von Abgeordneten Ihrer Fraktion gesagt worden ist — weitere Schritte folgen sollen. Es sollen weitere Schritte folgen, um die von dieser Stelle aus von einer Sprecherin Ihrer Fraktion beklagte Säkularisierung unseres Eherechts aufzuheben und das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Weil wir diese Überzeugung haben, messen wir dem von Ihnen gefaßten Beschluß entscheidende Bedeutung bei. Wegen der Bedeutung ,des von Ihnen gefaßten Beschlusses müssen wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine. Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, die ganze Diskussion im Grundsätzlichen wieder aufzurollen. Aber ich muß ganz offen gestehen, daß trotz oder vielleicht wegen der langen Debatte, die hier stattgefunden hat, und wegen verschiedener Argumente, die hier vorgetragen worden sind, um den von uns abgelehnten und nicht gebilligten Vorschlag zu begründen ,für mich doch ein sehr peinlicher Rest übrig bleibt.Ich verstehe folgendes absolut nicht: Unsere verehrte Kollegin Schwarzhaupt, die Berichterstatterin, hat, wenn ich richtig orientiert bin — ich war bei diesen Sitzungen leider nichtzugegen, weil ich krank war —, im Ausschuß davon gesprochen, es handle sich um einen „vorläufigen Schritt". Es kommt mir leider so vor, als ob das ein parlamentarischer Fehltritt ist. Dann hat unsere Kollegin Rehling vorhin gesagt, es sei ein „bescheidener erster Schritt". Ja, wohin soll das denn eigentlich führen, wenn das nur ein „vorläufiger" Schritt ist? Man kann doch nicht ständig parlamentarisch und gesetzgeberisch auf einem Bein stehen. Und des weiteren: was soll denn dann werden? Nach einem bescheidenen „ersten" Schritt muß vernünftigerweise ein weiterer Schritt folgen. Es tut mir persönlich sehr leid, aber ich nehme an, daß meine Kollegen mit mir darin übereinstimmen. Wir haben das peinliche Gefühl, daß die Schritte, die folgen sollen und folgen werden, eine tiefgehende Veränderung des heutigen Gesetzeszustandes beinhalten und daß damit im Grunde genommen mit dem ersten Schritt das Zerrüttungsprinzip angebohrt wird.
Sie mögen sagen, meine lieben Kollegen, was Sie wollen. Es ist nicht das erste Mal in meinem Leben, daß ich über diese Dinge eine Diskussion mit Freunden und Gegnern führe.Verehrter Herr Kollege Weber, Sie wissen, wie gut ich mit Ihnen als unserem verehrten Vorsitzenden auch des Unterausschusses des Rechtsausschusses stehe. Selbstverständlich steht man sich auch mit den Kollegen der anderen Fraktionen gut. Es wäre ja entsetzlich, wenn es immer nur Krach zwischen uns gäbe. Herr Kollege Weber, Sie haben vorhin mit ziemlicher Emphase gesagt — sozusagen als Schlußposaune —,
Sie würden sich „mit aller Entschiedenheit gegen Experimente mit dem Institut der Ehe wehren". Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit, entschuldigen Sie, eine Banalität; aber sagen Sie einmal, verehrtester Herr Vorsitzender vom Unterausschuß des Rechtsausschusses: Wie stellen Sie sich eigentlich Experimente mit der Ehe vor? Wie sollen solche Experimente aussehen, wenn die durch Ihren Antrag ermöglichte „Zwangsehe" kein Experiment mit der Ehe ist?
Frau Dr. Dr. h. c. LudersLiebe Freunde, Sie können den Kopf schütteln, so viel Sie wollen. Ihre Gesetzgebung verwandelt die aus einer freiwilligen, inneren Überzeugung und Neigung und mit dem Willen, beieinander zu bleiben, geschlossene Ehe in eine Zwangsehe, weil die Partner nun nicht mehr auseinander können, da Sie durch Ihren Antrag einen Stopp davorlegen wollen. Hier handelt es sich um die Einführung einer gesetzlichen Zwangsehe. Für mein Gefühl ist es ein ganz unmöglicher Zustand, von der Ehe als einer sittlich verpflichtenden Institution auch nur noch zu sprechen, geschweige denn sie in der Öffentlichkeit vertreten zu wollen, wenn man daraus ein Zwangsinstitut macht.
Gerade um der Ehe willen sind wir und bin ich mit aller Entschiedenheit gegen diesen Antrag.Ich habe vorhin erwähnt, was die Kollegin Schwarzhaupt im Ausschuß und die Kollegin Rehling hier über die „vorläufigen" und „ersten" Schritte usw. gesagt haben. Darf ich nun einmal die etwas unbescheidene Frage stellen: Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU, wer ist eigentlich der berufene und anerkannte Interpret Ihres Antrages? Mir ist das nicht klar geworden. Wenn man alt wird, kapiert man ja manches nicht,
aber dies scheint doch recht leicht verständlich gewesen zu sein. — Hier wackelt einer mit dem Arm; ich weiß nicht, wer es ist.
Nach meiner Überzeugung — ich würde mir sonst nicht die Mühe machen, hier aufs Rednerpult zu klettern — handelt es sich im Effekt — und darauf kommt es ja an; Sie mögen es vielleicht gar nicht wollen — um einen ersten und entscheidenden Stoß gegen das Zerrüttungsprinzip. Sind Sie für oder gegen das Zerrüttungsprinzip?
Es muß einmal ganz klar gesagt werden, meine liebe Kollegin Weber: Als wir uns vor 30 Jahren im Reichstag hierüber auseinandersetzten, war ich anderer Meinung als Sie,
und damals sind Sie unterlegen — einschließlich Ihrer Kollegen vom Zentrum.
— Da gibt es gar nichts zu lachen, es ist Tatsache. Dann ist später unser Vorschlag Gesetz geworden.
Na was denn sonst? Denn alles, was gefolgt ist, meine Liebe, beruht noch auf diesen Vorberatungen und diesen Vorentscheidungen im Unterausschuß Ehescheidungsrecht des Familienrechts- und des Haupt-Rechtsausschusses. Daß es anders gewesen wäre, kann mir nun weiß Gott niemand erzählen.Aber jetzt möchte ich noch folgendes sagen. Ich wehre mich als Fraudagegen, daß in der Öffentlichkeit immer wieder gesagt wird — und auch hier ist darauf hingewiesen worden —, daß die Männer derart unzuverlässige, ehefeindliche und ehescheidungslustige Subjekte sind.
Das ist gar nicht der Fall. Von der Sorte gibt es auch eine ganze Menge Frauen; Zahlen sind uns ja vorhin vorgelegt worden. Es ist eigentlich nicht zu verantworten, daß man so in Bausch und Bogen — und das geschieht in der Öffentlichkeit immer, dazu werden die Frauen, die absolut keine Scheidung habe wollen, auch wenn die Ehe von oben bis unten kaputt ist, animiert — die Behauptung wiederholt, die man eben gehört 'hat und die den Männern gegenüber wenig schmeichelhaft ist: sie wollten eine Alte von 60 gegen zwei von 30 eintauschen.
Wer mich als Objekt nimmt, müßte also schon drei eintauschen;
so weit kennen wir ja alle das Einmaleins. Also, das sind doch Redensarten, und denen möchte ich mit aller Entschiedenheit widersprechen. Man soll auch die Männer nicht — ich will es ja auch den Frauen gegenüber nicht tun — mit solchen albernen, unüberlegten diskriminierenden Redensarten in Bausch und Bogen so abtun. So ist es in Wirklichkeit nämlich gar nicht. Wenn sehr viele Frauen nicht als die Veranlasser der Ehescheidung auftreten, meine lieben Freunde, dann ist das zum Teil dadurch möglich, daß man eben eine Ehescheidung manipuliert. Jedenfalls bezeichnet man es als besondere Liebenswürdigkeit des Mannes, der „der Frau nichts anhängen" will. Gerade gegen diese Manipulierung der Ehescheidung 'haben wir uns seinerzeit im Reichstag mit Händen und Füßen gewehrt.Ich möchte ' da etwas wiederholen dürfen. Man sucht ja gern nach einem sittlich unbedingt sicheren Vertreter der eigenen Ansichten. Mein damaliger Kollege Kahl hat gesagt, daß es gegenüber der Heiligkeit und gegenüber der Würde der Ehe überhaupt nichts Schamloseres gibt, als mit diesen Manipulationen eine Ehescheidung herbeizuführen.
Ist das so, oder ist das nicht so? Und wollen wir vielleicht durch den Antrag, den Sie gestellt haben — ich unterstelle nicht, daß Sie das wollen —, vielleicht in das berüchtigte, widerwärtige System zurückfallen, den Detektiv in Anspruch nehmen zu müssen, damit er unsere innere Einstellung, unsere innere Bereitschaft zur Ehe feststellt? Wie denn eigentlich? Ich brauche wohl nicht auszuführen, wie das gemacht worden ist und gemacht werden kann. Dagegen wehre ich mich um der Heiligkeit, um der Würde und um des Ansehens der Ehe willen.Und noch eins: Bedenkt man gar nicht die Lage der Kinder in einer solchen Zwangsehe? Bildet man sich denn ein, daß die Kinder so dumm sind, daß sie nicht merken, wie das eigentliche persönlich-mensch-
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9502 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Frau Dr. Dr. h. c. Lüdersliche Verhältnis der beiden angeblichen Ehegatten zueinander ist? So dumm sind sie wirklich nicht, jedenfalls, wenn sie älter als zehn Jahre sind, bestimmt nicht mehr. Ich glaube, wir sollten bei dem, was wir hier beraten, die Kinder im Auge haben, und zwar die ehelichen Kinder, nicht etwa nur die unehelichen Kinder. Denn was sollen Kinder denken, wie werden Kinder seelisch gequält, wenn zum Beispiel im April 1957 in einem Urteil des Bundesgerichts zur Unauflöslichkeit der Ehe folgendes erklärt wird:Der Widerspruch der Beklagten gegen die Scheidung ihrer hoffnungslos zerrütteten Ehe kann auch dann beachtlich sein, wenn sie sich infolge ihrer psychopathischen Eigenart in eine negative Haltung gegenüber ihrer Ehe hat hineindrängen lassen.Für jede Ehescheidungsaffäre muß also dann ein Psychiater geholt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Verantwortung des Klägers für die innere Entwicklung der Beklagten. Es geht doch wohl zu weit, dem Kläger die Verantwortung dafür aufzubürden, wenn seine Frau psychopathische Anfälle hat. Der Bundesrichter August Raske aus Karlsruhe motivierte diese Rechtsprechung, die sich vom Sinn des Zerrüttungsparagraphen 48 entfernt, mit einem „für das sittliche Leben letztlich maßgebenden allgemeinen Ordnungs-, Form- und Funktionsprinzip". Wenn das ein „sittliches Form- und Funktionsprinzip" ist, dann gnade uns Gott. Man kann doch nicht auf diese Weise in einer Zwangsehe mit einer psychopathischen, aufgeregten Frau die Kinder zwangsmäßig beisammenhalten und den Mann nun dafür verantwortlich machen, daß die Frau mehr oder weniger fixe Vorstellungen hat.Das sind Dinge, die mir überaus peinlich sind, wenn ich mir die ganze Sache betrachte. Aber ich möchte noch weiterfahren.Der Mißbrauch der Ehescheidung ist durch Ihren Antrag nicht eliminiert. Davon ist gar keine Rede. Sogar: je mehr Sie das Zerrüttungsprinzip anknabbern, desto sicherer wird es sein, daß die objektiven Ehezerrüttungszustände zunehmen.Und noch eins, meine Damen und Herren! Bilden wir uns doch wirklich nicht ein — ich glaube, wir tun eis nicht —, daß die so zwangsweise beieinander gehaltenen sogenannten Eheleute, die jahraus jahrein schon nichts miteinander zu tun gehabt haben und auch in Zukunft nichts zu tun haben wollen, etwa wie die Heiligen leben. Davon ist doch gar keine Rede.
wird damit nur erzwungen und herbeigeführt, daß diejenigen, die nicht auf anständige gesetzliche Weise aus dieser Ehe herauskommen—ich plädiere nicht für eine Zunahme. der Ehescheidungen —, Wege suchen, die jedem menschlichen Anstand und jeder menschlichen Würde widersprechen. Die Folge davon ist, daß wir auf diese Weise die Konkubinate vermehren — das werden Sie erleben — und mit den Konkubinaten die Anzahl der unehelichen Kinder; auch das werden Sie erleben. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, wenn man solche Gesetze macht, die derart am Leben vorbeigehen, wenn man die Leute darauf hinweist — es gibt ja auch Berater, die das tun —, wie man Ehescheidungsgründe schaffen kann, um der von Ihnen beantragten Vorschrift zu entgehen. Professor Kahl hat damals meines Erachtens mit Recht gesagt, daß das Gesetz, so wie es war und weshalb wir damals die Änderungsvorschläge gemacht haben, eine Lücke zwischen Leben und Recht herbeiführt oder aufrechterhält.Und nun noch ein Wort zu der Frage der Vermischung von Schuldgründen und dem Tatbestand der objektiven Ehezerrüttung. Die Schuldgründe sind nicht in einer einwandfreien Form festzustellen — außer vor Gericht —, wo immer die Möglichkeit und sogar der Zwang gegeben sind, Menschen in Gang zu setzen, die dafür bezahlt werden, daß sie ,die Schuld des einen oder anderen Partners nachweisen. Bei den ganzen Vorschlagen empfinde ich es als sehr unangenehm, daß versucht wird, immer wieder das Widerspruchsrecht nach vorn zu schieben. Verehrte Anwesende, welchen Grund muß man, wenn man nicht ganz blind sein will, in unzähligen Fällen als Ursache annehmen, wenn einer Scheidung widersprochen wird? Wir wollen einmal ganz ehrlich sein: Der Grund ist materieller Natur. Vorhin ist schon von einem meiner Kollegen oder einer meiner Kolleginnen gesagt worden, daß ,wir vor allen Dingen darauf achten müssen, daß die geschiedene Frau in einer Weise wirtschaftlich sichergestellt wird, die es den Männern — entschuldigen Sie, meine Herren — sehr viel schwerer macht, sich auf ein Minimum von Entschädigungen zurückzukneifen, die als Alimentengelder gezahlt werden, wie dies immer noch' von den Gerichten gemacht wird. Es gibt in großer Zahl Leute, die wohlhabend genug sind — und solche Leute gibt es auch im Mittelstand —, um ohne Mühe einige hundert Mark zu zahlen. Die Gerichte sind schon zufrieden, wenn der Mann die Gnade hat, hundertzwanzig Mark zu geben. Vom allgenveinen sittlichen Standpunkt, von der festen Überzeugung ausgehend, daß eine ruinierte Ehe,wenn sie zwangsweise zusammengehalten wird, keinen sittlichen Wert mehr hat, daß sie dem, was eine Ehe sein soll, in keiner Weise mehr entspricht — von diesem Standpunkt aus ist einer solchen Ehe gegenüber das Wort von der „Heiligkeit" der Ehe einfach eine Blasphemie, und weiter gar nichts.Ich bitte Sie deshalb — ich wende Sie vergebens bitten, aber vielleicht denken Sie später einmal an mich, nicht erst wenn ich tot bin, sondern schon vorher, wenn nämlich die Folgen, die Sie nicht absichtlich, aber tatsächlich mit Ihrem Antrag heraufbeschwören, eingetreten sind —, nehmen Sie es mir also nicht übel, daß ich als Schwanengesang meiner Tätigkeit im Bundestag auf ein so lange zurückliegendes Gesetz zurückkomme, das man in all den Jahren, die der Bundestag besteht, längst hätte in Ordnung bringen 'können. Aber darum hat man sich immer herumgeschoben, oder man hat ,das Problem nicht richtig erkannt.Ich habe ein wenig die Sorge, daß es nicht rein objektive Gründe waren, die dazu geführt haben, daß man im allerletzten Moment ruft: Schnell ein-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9503
Frau Dr. Dr. h. c. Lüderssteigen! Abfahrt nach — na, wohin Kollege Weber? Abfahrt nach: generelle Unscheidbarkeit der Ehe, wenn man den Termin jetzt wahrnimmt.Ich warne davor, das zu tun, und bedauere lebhaft, daß meine Freunde und ich selber, weil wir dieser Frage eine so große Bedeutung für die Ehe, für den Schutz gerade auch der Frau und der Kinder beimessen, dieses Gesetz nicht annehmen können, solange dieser § 48 in der von Ihnen geforderten Form aufrechterhalten wenden soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine .sehr geehrten Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion habe ich zur Abstimmung folgende Erklärung abzugeben.
Wir beabsichtigen nicht mehr, nochmals in eine dritte Lesung einzutreten und die 'Einzelproblematik zu erörtern. Dazu wäre vieles zu sagen. Aber eine Erklärung zur Abstimmung darf meines Erachtens nicht dazu verwandt werden, noch einmal in eine Sachdebatte einzutreten.
Wir bedauern, daß rüber die Bestimmung des § 48 Abs. 2 des Ehegesetzes das ganze umfangreiche Gesetzeswerk heute nicht die Würdigung erfahren hat, die ihm zukommt. Wir glauben, ein gutes Gesetz geschaffen zu haben, das sowohl die Anfechtung der Ehelichkeit wie auch die Frage der Adoption in einer fortschrittlichen Weise regelt.
Die Erklärungen zur Abstimmung haben sich ausschließlich mit dem einen Satz des § 48 Abs. 2 befaßt. Daraus ergibt sich allerdings die Wichtigkeit dieser Bestimmung. Letzten Endes sind die Erklärungen zur Abstimmung völlig unverständlich angesichts dessen, das immer betont worden ist, man wolle ja das gleiche, man wolle die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stabilisieren.
Ich muß mich entschieden dagegen verwahren, daß hier davon geredet 'wird, wir hätten eine solche Bestimmung mit leichter Hand beschlossen. Ich habe das vorhin schon zurückgewiesen. Ich muß es aber auch hier noch einmal tun, nachdem Herr Kollege Wittrock sich veranlaßt sah, diesen Vorwurf hier zu wiederholen.
Ich muß betonen, daß die CDU/CSU-Fraktion durchaus ihre Kompromißbereitschaft auch in dieser Frage gezeigt hat.
Im Rechtsausschuß ist auch von Iden Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion mit den Vretretern aller anderen Fraktionen ein Kompromißantrag einstimmig angenommen worden, aus dem aber Sie hinterher ausgebrochen sind.
Ich muß mich auch idagegen verwalhren, daß wieder davon geredet wird, diese Gesetzesbestimmung sei durchgepeitscht worden. Dazu habe ich in der Debatte bereits das Notwendige gesagt.
Wir können der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine bessere Würdigung zuteil werden lassen, als daß wir das, was er als Grundsätze herausgearbeitet hat, in das Gesetz übernehmen. Herr Wittrock hat ja wiederholt das Zitat des Herrn Professor Dr. Bosch aufgegriffen, daß diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in ihrem sittlichen Ernst nicht zu übertreffen 'sei.
Und nicht mehr und nicht weniger, als diese Rechtsprechung in Gesetzesform zu übernehmen, haben
wir hier mit unserer Formulierung des § 48 Abs. 2
getan.
Man kann, Herr Kollege Wittrock, unter keinen Umständen davon sprechen, daß, wenn hier ein Gesetz beschlossen wird, der Richter stranguliert wind. Der Richter steht unter dem Gesetz. Das, was der Gesetzgeber beschlossen hat, hat der Richter in aller Regel, wenn es nicht Unsittliches von ihm verlangt, 'durchzuführen und anzuerkennen.
Wenn Sie diese Klarstellung, die heute erfolgt ist, als Strangulierung bezeichnen, haben Sie Ihre wahren Absichten dekouvriert.
Wenn Sie uns die Bemerkung vorhalten, daß das ein erster, bescheidener Schritt sei, dem weitere Schritte folgen würden, dann möchte ich Sie auf Ihren Entschließungsantrag hinweisen, zu dem wir jetzt gleich kommen. Sie fordern darin die Einsetzung einer Eherechtskommission, die prüfen soll, „welche gesetzgeberischen Bestimmungen zum grundrechtlichen Schutz der Familie erforderlich sind. Die Kommission soll eine Ablösung des vom Kontrollrat erlassenen Ehegesetzes durch ein Bundesgesetz vorbereiten." — Also, Sie haben doch selbst weitere Schritte in Aussicht genommen und halten das derzeitig geltende Recht für überholt.
Wenn Sie das als „Experimente am Recht" bezeichnen, dann überlassen wir das Ihnen. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß wir hier zum Schutze der Familie einen entscheidenden Schritt getan haben.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Lesung in dritter Lesung zustimmt, erhebe sich vom Platze. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Gegenstimmen ist das Gesetz angenommen.Ich rufe auf den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 932. — Eine Begründung wird nicht gewünscht. Wir können über den
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9504 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. DehlerAntrag abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte ein Handzeichen. 'Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe dann auf den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2, den SPD-Antrag auf Änderung der Zivilprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes für erledigt zu erklären. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich darf feststellen, daß wir zwei Stunden über die vom Ältestenrat für die Beratung dieses Gegenstandes vorgesehene Zeit hinausgeraten sind. Die Konsequenz eines fortgesetzten ähnlichen Verfahrens wäre, daß wir am Montag tagen müßten.Ich rufe auf den Punkt 13 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ,Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen (Drucksachen 2854, zu 2854)
.
Hierzu liegt der Schriftliche Bericht vor, den der Abgeordnete Rollmann in Vertretung der erkrankten Frau Abgeordneten Schanzenbach erstattet hat. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Eine Ergänzung wird nicht gewünscht.Wir treten dann in die Beratung ein. Ich rufe auf Art. I Ziffer. 1. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 945 unter Ziffer 1 vor. Zur Begründung dieses Antrages hat das Wort Frau Abgeordnete Keilhack. — Frau Abgeordnete Keilhack bittet, daß wir die Ziffern 1 und 4 b) des Umdrucks 945 gemeinsam beraten. Bitte sehrl
Meine Herren und Damen! Ich möchte unseren Antrag auf Umdruck 945 begründen, und zwar zunächst die Ziffer 1 für eine Neufassung des § 2 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, die an die Stelle des Abs. 3 Satz 2 und 3 des § 4 treten soll. Wir möchten diesen Antrag in dem Sinne begründen, daß er als Ersatz für diese Sätze gelten soll, in welchen die Vorrangigkeit der freien Verbände und der Kirchen vor der kommunalen Betätigung auf dem Gebiet der Jugendhilfe festgelegt ist.Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich mit diesem Antrag zugleich unsere Streichungsanträge unter Ziffer 2 b), 2 c), 2 d) und auch 4 b) begründe, weil diese Streichungen eine Folge bei Annahme unseres Antrages zu § 2 sind. — Ich bitte um Entschuldigung; es ist ein wenig kompliziert, es ließ sich aber leider nicht anders machen.Meine Damen und Herren! Wir wollen mit unserem Antrag die Zusammenarbeit aller Träger der freien und der öffentlichen Jugendhilfe unter der Verantwortung des Jugendamtes deutlich machen, so, wie es der damalige Gesetzgeber, der Reichstag, im Jahre 1922 gewollt hat und wie es nachunserer 'Meinung allein richtig und vernünftig ist.Wir haben in der ersten Lesung der vorliegenden Novelle am 9. Dezember 1960 sehr ausführlich dazu gesprochen. Ich möchte diese Diskussion nicht wiederholen, sondern nur auf sie hinweisen und sie mit den Ergebnissen der Ausschußberatungen ergänzen.In dem Regierungsentwurf, der uns vorgelegt wurde, war das inzwischen viel zitierte „Elternrecht" so beschnitten, daß Eltern die Wahl kommunaler Einrichtungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe so gut wie ausgeschlossen war. Das ist durch die Ausschußfassung — wir erkennen den guten Willen der CDU/CSU-Mitglieder des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen auf diesem Gebiet durchaus an — etwas korrigiert. Jetzt können die Eltern, wenn sie keine Einrichtungen freier Träger benutzen wollen, zwar erst durch ein ausdrückliches Votum bei ihrer Gemeinde auch eine kommunale Einrichtung fordern, wenn sie es entsprechend begründen; das steht jetzt im § 4 Abs. 3. Nach dem Wortlaut des Gesetzes m u B sogar — ich lege die Betonung auf das Wort „muß" — die Schaffung der erforderlichen Einrichtungen erfolgen. Ich möchte das ein bißchen veranschaulichen. Die Gemeinde fängt also an zu bauen, wenn Eltern mit einem solchen Verlangen an sie herantreten. Vielleicht ist dann allerdings der Kindergarten oder das Jugendheim — ich nenne diese einmal beispielsweise — gerade dann fertiggeworden, wenn die Eltern ihren Wohnsitz wechseln müssen. Das passiert heute oft. Die Folge würde sein, daß diese Eltern bis dahin ihr Elternrecht — die Bestimmung der Grundrichtung der Erziehung ihrer Kinder — nicht haben realisieren können! sie müßten also doch den nicht gewünschten, ich sage jetzt einmal beispielsweise: den freien, vielleicht den konfessionellen Kindergarten in Anspruch nehmen.Ich wollte Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, mit diesem Beispiel, das ja ein praktisches und ein alltägliches ist, nur zeigen, wie kurios sich das Gesetz auswirken kann, das uns hier vom Ausschuß vorgelegt wird, und wie vage andererseits das von Ihnen zugestandene Wahlrecht der Eltern ist, das Sie einzubringen versuchten. Sie taten es zwar einfach deshalb, weil Sie befürchteten, daß die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes durch die Verhinderung des Wahlrechtes noch eklatanter würde. Das Wahlrecht ist also nach unserer Meinung selbst nach Einfügung des Satz 3 in Abs. 3 § 4 nur außerordentlich vage, weil eine Gemeinde nach Ihren Beschluß die entsprechenden Einrichtungen nicht bereithalten kann, sondern sie erst auf ein Elternvotum hin errichten muß.Ich möchte die Dinge einmal von der Gemeinde her betrachten. Da sieht es mit der „Auflockerung" der Funktionssperre der Betätigung der Gemeinden so aus: Die Gemeinden können und dürfen einerseits nicht nach Abs. 3 Satz 2 tätig werden aus Gründen der Vorrangigkeit der freien Träger, die Sie im Gesetz stehen haben, oder erst nach langen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9505
Frau KeilhackVorbehalten, die ich hier nicht im einzelnen aufzählen will; sie stehen ja im Gesetz. Andererseits müssen sie aber nach Abs. 3 Satz 3 tätig werden, auch wenn die Eltern oder Erziehungsberechtigten mit durchaus ausgefallenen Wünschen kommen. Trotz dieser gemeindlichen Beschränkungen bleiben aber die Jugendämter voll für die Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Gesetz für die Hilfsbedürftigen, für die jungen Menschen verantwortlich.Meine Damen und Herren, ich glaube, diese kurze Darlegung über § 4 Abs. 3 dieses Gesetzes hat Ihnen ziemlich deutlich gemacht, daß wir eine Konstruktion vor uns haben, die alles andere verspricht als vermehrte Aktivität und Verlebendigung der Jugendhilfe und die auch mit der Souveränität, mit der Selbstverwaltung der Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.Nach der Regierungsvorlage und den Ausschußbeschlüssen sollen die Gemeinden also den eigenen Betätigungsraum aufgeben oder auf ein Minimum reduzieren. Das wird unter anderem, vor allem von Herrn Minister Wuermeling, auch damit begründet, daß in der Gemeinde nur eine wertneutrale Erziehung geleistet werden könne, daß diese keine echte sei und daß man deshalb die Erziehung von kommunalen Einrichtungen auf freie Trägereinrichtungen verlagern müsse. Das ist nur einer der Gründe; ich sage es ausdrücklich.Aber Sie wissen alle, meine Herren und Damen, daß nicht die Institutionen, sondern die Menschen erziehen und prägen. Die Ausschußvorlage — das ist jedenfalls unsere Meinung — setzt mit dieser Auffassung, daß in Gemeinden oder in kommunalen Einrichtungen keine vollgültige Erziehung zu leisten sei, die fachlich vorbildliche, hingebungsvolle und schwere Arbeit der ungezählten Lehrer, Erzieher und Fürsorger verschiedenen Glaubens und verschiedener Weltanschauung, die im kommunalen Dienst stehen und täglich und stündlich mehr als ihre Pflicht erfüllen, genauso wie die Helfer in den freien Einrichtungen, in unverantwortlicher Weise herab, genauso wie die der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter im kommunalen Jugendamt.Sie haben in Ihrer Fraktion sicher, wie wir alle in diesem Hohen Hause, das Echo dieser Auffassung in der ganzen Bundesrepublik sehr deutlich vernommen. Sie haben sicher wie wir alle ebenfalls gestern abend Telegramme an die Fraktion erhalten, die dringend die Zurückstellung dieses Gesetzes aus den angeführten und anderen. Gründen verlangen, Gründe, die allen denen bekannt sind, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben.Bei einer derartigen Einschätzung gemeindlicher Erziehungstätigkeit muß mit Recht befürchtet werden, daß sie auch die künftige Schulpolitik der CDU/CSU in Richtung einer Konfessionalisierung präjudiziert. Es ist sicher nicht einfach dahingesprochen, wenn ein großer Berufsverband in diesem Zusammenhang fragt: Soll das Gesetz eine „spanische Novelle" sein? Die sozialdemokratische Fraktion — das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen — ist für eine ausreichende Förderung der freien Kräfte der Jugendwohlfahrt — das ist auch im Ausschuß hoffentlich sehr klar geworden —, die diesen freien Kräften weiterhin das Maß an Betätigung ermöglicht, das ihrer Organisationskraft entspricht und die sie auch Ida frei wählen können, wo sie es für richtig halten.Das ist im übrigen bisher auch weitgehend der Fall gewesen. Ich habe auf eine Anfrage beim Städtetag eine Darstellung über die Entwicklung der freien und öffentlichen Jugendhilfe bekommen. Danach sieht es so aus, daß im Jahre 1955 die freien und gemeinnützigen Träger etwa 60 Prozent der Einrichtungen für ,die Jugendhilfe, und die öffentlichen Träger 28 Prozent hatten. 1959 waren es bereits 73 Prozent bei den freien Trägern und 19,1 Prozent bei den öffentlichen Trägern. Ich bin überzeugt, daß diese Tendenz seit 1959 zugunsten der freien Träger noch erheblich stärker geworden ist.Mir ist eine Notiz aus einer Tageszeitung in die Hand gefallen, in der zwei große karitative Verbände einen Jahresbericht über ihre Tätigkeit geben. Da heißt es:Was den beiden Kirchen in Nordrhein-Westfalen gelungen ist, belegte Caritasdirektor Heinrich Tellen mit anschaulichen Zahlen. 89 vom Hundert der 2584 Kindergärten in Nordrhein-Westfalen werden von den freien gemeinnützigen Verbänden, in der Hauptsache von der Caritas und der Inneren Mission, unterhalten. 5 vom Hundert verdanken ihre Existenz rein privater Initiative, und nur 6 vom Hundert sind kommunale Einrichtungen. Ähnlich verhält es sich mit den 354 Horten, den 293 Tagesstätten, den 37 Erholungs- und Genesungs-Kurheimen usw.Ich will Sie nicht unnötigerweise mit Aufzählungen aufhalten, glaube aber, 'daß das, was wir hier und auch in den Ausschußberatungen immer wieder behauptet haben, durch diese Angabe außerordentlich verdeutlicht wird, und es wird von Ihnen im Grunde genommen ja auch nicht abgestritten. Wir meinen nur, daß bei einer solchen Sachlage eine abrupte Änderung der Grundkonzeption des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes überhaupt nicht notwendig gewesen wäre, auch nicht aus Ihrer Sicht einer Verstärkung und einer Intensivierung der freien Jugendhilfe; hinter dieser Eile müssen also andere Motive stehen.Wir haben auch das Familienministerium noch um Nachweise einer ungerechten oder schlechten Behandlung der freien Verbände durch die Gemeinden gebeten, damit wir den Klagen wegen ihrer Berechtigung auf den Grund gehen könnten. Das Ministerium hat zwar an alle Organisationen ein entsprechendes Rundschreiben geschickt, damit Material diese Behauptungen erhärten könnte, die freie Jugendhilfe sei durch „Staatsomnipotenz" — so hieß es bei Herrn Minister Wuermeling — allzu sehr in Schatten der allgemeinen Jugendhilfe geraten. Aber, meine Herren und Damen, uns wurde bis zum Ende der Ausschußberatungen nicht ein einziger Fall genannt, wo wir uns hätten erkundigen können, ob ein freier Verband von einer Kommune mit seinen Wünschen und Vorschlägen zu Unrecht abgewiesen9506 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961Frau Keilhackworden ist. Dabei — das ist uns völlig klar — kann man nicht abstreiten, daß so etwas vorkommt; denn das Ausdiskutieren, das Ausgleichen und auch das Entscheiden bei Interessengegensätzen — und die wollen wir durchaus nicht bagatellisieren — kann schon einmal eine Fehlentscheidung möglich machen. Das wird auch das perfekteste Gesetz, wie Sie es jetzt machen wollen, nicht verhindern können.Wir sind sogar im Gegenteil der Meinung — wir haben Ihnen das im Ausschuß gesagt und möchten es hier noch einmal wiederholen —, daß man befürchten muß, daß die stillen und die lauten Reibereien und die Spannungen vergrößert werden. Es wird die Gemeinden bei ihrer Ausgabenpolitik äußerst vorsichtig machen, was völlig verständlich ist, da sie ja nach § 5 a ihre eigenen wie die verschiedenen Einrichtungen der freien Träger nach gleichen Grundsätzen und Maßstäben finanzieren, d. h. errichten und auch erhalten müssen. Ich frage Sie — Sie haben ja auch in der CDU/CSU-Fraktion eine erhebliche Anzahl Kommunalpolitiker —, welcher Kämmerer will es unter solchen Umständen verantworten, . anders als äußerst vorsichtig zu disponierten, da er nicht weiß, was durch. dieses Gesetz nachgehend auf ihn zukommt.Ich frage Sie weiter und möchte diese Frage zugleich auch als Warnung aussprechen: Glauben Sie, daß das der Jugendarbeit in einer lebendigen Gemeindearbeit nützt? Wir fürchten ernsthaft, daß es die Jugendarbeitisolieren und ihr schaden wird. Unsere Meinung ist ferner, daß es unmöglich ist, mit einem Bundesgesetz so tief in die Kreise, Städte und Gemeinden, in ihre Viielfältigkeit hineinzuregieren, wie Sie das mit den §§ 4 Abs. 3 und 5 a machen wollen. Das kann doch einfach nicht ohne Folgen bleiben!Meine Herren und Damen, es ist doch eine Anmaßung des Bundestages, wenn er diese Bestimmungen den Gemeinden aufzwingt. Ich will mich nicht sehr im einzelnen über die möglichen Folgen dieser beiden sehr schwerwiegenden Paragraphen auslassen, weil ich weiß, daß unsere Zeit begrenzt ist. Ich möchte aber noch einmal zusammenfassend sagen, daß die Selbstverwaltung der Gemeinden, die nicht Staat und erst recht nicht Staatsomnipotenz sind, eine eigene Tätigkeit gerade im sozialen Raum für die Wohlfahrt ihrer Bürger entfalten können muß. Übrigens handeln die Gemeinden ebenso im Einverständnis mit den Eltern und somit im Sinne des Elternrechts gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes, wie es die freien Verbände und die Kirchen tun, wenn sie auf dem Gebiete der Jugendhilfe tätig werden wollen.Wir Sozialdemokraten glauben, daß das gemeindliche Leben den Notwendigkeiten und Gegebenheiten in der Gemeinde entsprechen muß und daß deshalb die Betätigungsmöglichkeit nicht derart eingeschränkt werden darf, wie Sie es tun wollen und wie Sie es bereits im Sozialhilfegesetz getan haben. Man kann nach unserer Meinung auch nicht, wie Sie es in § 5 a der Ausschußvorlage beschlossen haben, eine so weitgehende Verfügung über die Gemeindefinanzen durch ein Bundesgesetz vornehmen. Das ist ein eindeutiger verfassungspolitischer Verstoß gegen die Gemeindesouveränität.Die Vorrangigkeit nach § 4 Abs. 3 für die freien Verbände und die Kirchen kann weder aus dem Elternrecht noch ,aus einem Bundesgesetz, noch aus einem für alle gültigen sozialen Prinzip und erst recht nicht aus der Grundkonzeption des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 abgeleitet werden. Diese Bestimmung, die die Gemeinden nachrangig behandelt, ist eine verfassungswidrige und unserer Jugendarbeit schädliche politische Entscheidung und durch nichts zu begründen.Meine Herren und Damen, wenn die CDU/CSU sich so entscheiden will, müssen Sie mindestens die Tragweite einer solchen Entscheidung kennen. Es ist ganz klar, daß sie eine Verfassungsklage der Gemeinden zur Folge haben wird. Ich weiß nicht, ob Sie es gut finden, wenn ,der Bundestag sich mit den Selbstverwaltungsorganen in der Bundesrepublik dauernd überwirft und reibt?Auf der anderen Seite müssen wir die Entwicklung der freien Verbände sehen, die durch diese Novelle herbeigeführt wird. Wenn Sie unseren Änderungsantrag zu § 2 und die daraus folgenden Anträge verwerfen, macht man die Kirchen und auch die freien Verbände, die freien Organisationen zu Erfüllungsgehilfen der öffentlichen Verpflichtung. Sie sollen dagegen nach unserer Meinung die Aufgaben wahrnehmen, die sie mit den Kräften, die bei ihnen tätig sind und im Interesse der Menschen, die sich von ihnen helfen lassen wollen, auszuführen imstande sind, — und nicht mehr. Das scheint uns die richtige Abgrenzung zu sein. Die freien Organisationen in unserer Gesellschaft müssen die Mittler zwischen den Behörden und dem einzelnen Menschen bleiben und vor Aufblähung und Bürokratisierung bewahrt werden. Man muß darauf achten, daß der Leistungswille ihrer Mitglieder und Mitarbeiter — vor allen Dingen auch im ehrenamtlichen Bereich — und Appell an das offene Herz, an die Solidarität und an den freiwilligen Beitrag unseres Volkes für die sozialen und jugendpolitischen Aufgaben dieser Verbände nicht dadurch geschwächt wird, daß die Sicherheit der finanziellen Abdeckung ihrer Ausgaben aus öffentlichen Mitteln erfolgt, wie das in diesem Gesetz vorgesehen ist.Ich möchte noch einmal ausdrücklich für meine Fraktion sagen, daß wir nur die Streichung des § 5 a beantragt haben und daß wir den § 76 f in diesem Gesetz ausdrücklich bejahen, der auch für die freien Einrichtungen kostendeckende Pflegesätze anstrebt, wenn sie jungen Menschen nach diesem Gesetz Erziehung und Fürsorge angedeihen lassen, wie das übrigens vielerorts schon durch freiwillige Vereinbarungen geschehen ist. Damit, scheint uns, werden die berechtigten Klagen abgestellt, -die die freien Verbände jetzt noch erhoben haben, daß sie nicht die Pflegesätze für ihr Pfleglinge bekommen, die ihnen auf Grund ihrer Kostenlage zustehen. Das wird aber jetzt durch § 76 f gedeckt, und dazu wird nicht der § 5 a benötigt. Über den § 76 f gab es im Ausschuß überhaupt keinen Streit.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9507
Frau KeilhackMeine 'Damen mild Herren, ich komme zum Schluß und möchte noch einmal deutlich machen, daß auf dem Gebiet der Sozial- und Jugendarbeit nur das Zusammenwirken zwischen allen Trägern am Platze ist. Es war der herausragende Gedanke der Abgeordneten des Deutschen Reichstags bei der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1922, daß die Jugendämter zum Zentralpunkt der Jugendhilfe für die gesunden und für die hilfsbedürftigen jungen Menschen werden sollten. Das war ein großer Schritt vorwärts, meine Herren und Damen! Sie sollten mit einer neuen Konzeption, so wie Sie jetzt vorhaben, die Kirche im Dorf lassen. Ich glaube,daß 'das Sprichwort in diesem Zusammenhang fasteinen doppeldeutigen Sinn bekommt.
Sie sollten also die Kirche im Dorf lassen
und nicht den extremen Weg beschreiten, der uns weit in die Zeit vor 1922 zurückbringt, abgleich wir, meine Herren und Damen, ein Gesetz für 1980 machen müßten.Ich bitte 'Sie um Annahme unseres Änderungsantrages zu § 2 und zu den folgenden Paragraphen, die sich aus der Annahme dieses Antrages ergeben würden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Rommerskirchen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die Frau Kollegin Keilhack richtig verstanden habe, ist sie gestern abend mit Telegrammen beschwert worden. Ich darf Ihnen sagen, daß ich unbeschwert von Telegrammen hier Stellung nehmen kann. Ich habe weder welche bekommen noch welche bestellt.
Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich demgegenüber insofern wohl gestärkt hier spreche, als ich gerade in den letzten Wochen in unzähligen Gesprächen mit Jugendleitern und freien Fürsorgerinnen und Fürsorgern in der Bundesrepublik sehr ermutigt bin, mein Ja zu der Verabschiedung dieses Gesetzes zusagen. Der Herr Präsident möge mir, nachdem der größere Zusammenhang vornehmlich mit der Ziffer 2 c des Änderungsantrags ,der SPD —§ 4 Abs. 3 ides Gesetzes — bereits von der Vorrednerin aufgewiesen wurde, erlauben, diese Gesichtspunkte mit einbeziehen zu ,dürfen.In § 4, der jetzt durch den § 2 — mindestens in wesentlichen Teilen — ersetzt werden soll, ist unserer Auffassung von Freiheit und Demokratie in einem entscheidenden, wesentlichen Zusammenhang Ausdruck gegeben. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß die Novelle dazu ibeitragen wind, die Verfassungsgrundsätze in Hinblick 'auf die Würde des Menschen, die doch entscheidend darin offenbar wind, daß er in Verantwortung für sich, für seine Mitmenschen und das Ganze in Gesellschaft undStaat steht und sich zur Wahrnehmung dieser Verantwortung mit Gleichgesinnten zusammentut, zu verwirklichen und die freiheitliche demokratische Grundordnung zu festigen. Wir wollen mit dem Gesetz sich in Freiheit entltendes Leben fördern und aktive Initiative entwickeln helfen. Wir sind der Auffassung, daß das durch das Grundgesetz dargestellte Wertsystem seinen Mittelpunkt im Menschen hat, der innerhalb der sozialen Gemeinschaft seine Würde hat und sich in ihr durch das Zusammenwirken mit dem Mitmenschen entfaltet.Weil wir in diesem Sinne zu lebendiger, zu dynamischer Demokratie eben nicht nur als politische Regierungsform, sondern auch und gerade als gesellschaftlichen Lebensvollzug ja sagen, sind wir für eine Verlebendigung und Stärkung der freien gesellschaftlichen Tätigkeit, sosehr das nur immer möglich ist.Man wind idoch nicht bestreiten wollen, daß die selbstverantwortliche Initiative und Aktivität das wertvollste Kapital einer Gesellschaft und eines Staates, der sich kompromißlos zur Idee der Freiheit bekennt, sind. Nach dem Zusammenbruch des NS-Systems war diese Auffassung, daß gar nicht genug freie und freiwillige 'Mitverantwortung berufen werden könnte, 'so Allgemeingut, daß bei der Novellierung ides RJWG in den Jahren 1952/53 die jetzige Formulierung einfach nicht notwendig erschien. Das fand Ausdruck bei der Verkündung des Bundesjugendplans in diesem Hohen Hause im Jahre 1950, es war der Mittelpunkt der Betrachtungen sowohl des Herrn Bundespräsidenten als auch des Herrn Bundeskanzlers. Das war Mittelpunkt der Betrachtungen auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetags in Köln, die im Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundesjugendring stattfand. Damals hat man uns allenthalben gesagt, daß die Jugend in die Verantwortung hineintreten und daß sie in dieser ihrer Verantwortung gestärkt werden solle, soviel das auch nur möglich sei.Aber dann ist ein Trend aufgekommen, den wir zutiefst bedauern, nämlich der Trend zur Verkommunalisierung der Jugendarbeit — ich spreche es offen und ehrlich aus: ein Trend zur Vorkommunalisierung der Jugendarbeit und Jugendhilfe —, d. h. zu der Praxis, die Behörde an die Stelle der freiverantwortlichen Kräfte treten zu lassen. Das hat die Notwendigkeit einer präziseren Fixierung der Ordnungsvorstellungen ergeben; diese haben wir im Gesetz und gerade im § 4 vorgenommen. Sie schließt auch die Auffassung ein — und ich glaube, das sollte doch endlich einmal gehört werden —, daß Anregen und Fördern nicht nur keine Degradierung desjenigen oder der Stelle, die sich zunächst darauf konzentrieren soll, bedeutet, sondern daß Anregen und Fördern — also Hilfe zur Selbsthilfe und Selbstverantwortung — pädagogisch das Interessanteste und Wertvollste ist. Das sage ich Ihnen als jemand, der acht Jahre lang in jüngster Vergangenheit diese Aufgabe hatte. Ich habe mich dabei außerordentlich wohl gefühlt, weil es ganz wunderbar war, zu sehen, was man mit Anregungen und mit Förderung leisten kann.
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9508 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
RommerskirchenDazu kommt die großartige Aufgabe — das ist auch im Gesetz enthalten —, die verschiedensten Initiativen und Aktivitäten zum Zusammenwirken anzuleiten, also zur Koordinierung beizutragen, wo immer es sinnvoll ist. Sollte mit dem Gesetz die Kraft und das Vermögen — ich meine Vermögen mehr ideell als materiell — der freien Gruppen und Werke im Status quo überfordert sein — es wird ja immer wieder darauf hingewiesen; gerade Sie, Frau Kollegin Keilhack, haben das auch in den Ausschußsitzungen getan —, dann ist es nicht nur nicht unzeitgemäß, dann ist es nicht falsch, sondern genau richtig, die Initiativkraft aufzurufen und zu fördern. Dann will das Gesetz dazu beitragen, und es wird auch dazu beitragen, daß wieder wach wird, was zum Teil eingeschlafen ist, und daß die Kräfte, die guten Willens sind, aber ohne ergänzenden Beistand zu schwach sind, dem Gemeinwohl zu dienen, zur Erfüllung ihrer Anstrengungen und Leistungen befähigt werden.Wir bekennen uns — das haben wir im Gesetz zum Ausdruck gebracht — freimütig zur Reihen-und Rangfolge: so viel Selbstverantwortung der Gesellschaft wie möglich, so viel Stärkung ihrer Kräfte wie erforderlich und nur so viel behördliche Ergänzung wie notwendig.
Ich glaube, es ist auch wichtig, zum Ausdruck zu bringen, daß der Änderungsvorschlag der SPD-Fraktion von einer Sicht ausgeht, die wir gerade nicht teilen. Sie geht von einem Begriff „öffentliche Jugendhilfe" aus, der uns zu sehr eingeengt erscheint. Öffentliche Jugendhilfe im umfassenden Sinn, also nicht beschränkt auf behördliche Maßnahmen, ist der Verantwortung aller aufgegeben. Demgemäß nehmen die freien Jugendwohlfahrtskräfte nicht von Gnaden der Jugendämter, sondern aus eigenen Impulsen an der Erfüllung- der entsprechenden Aufgaben teil. Ihre Existenz legalisiert sich ja geradezu durch ihre Zuordnung zum Jugendwohl und zum öffentlichen Wohl. Der Vorschlag der SPD macht die freien Kräfte zu Erfüllungsgehilfen, nicht wir tun das. Das ist nicht einmal Ausdruck echter Partnerschaft. Wir wollen ihnen so weit und so viel Verantwortungsfreiheit und -möglichkeit, wie sie freiwillig wahrnehmen können, und nichts anderes, überantworten.Ein Gedanke zum Problem des Wahlrechts, von dem die Rede war. Das Grundgesetz sichert die Freiheit der Erziehung und der Erziehungsgestaltung, damit auch die Freiheit der Erziehungseinrichtungen. Folgerichtig sind auch die natürlichen Entfaltungsbereiche — das sind doch im wesentlichen die Gemeinschaften, in denen sich der Mensch als Person verwirklicht — mit einbeschlossen.Wir anerkennen konsequent die 'gesellschaftliche Wirklichkeit, die pluralistisch gestaltet ist. Darum Berücksichtigung der vielfältigen Kräfte, die weltanschaulich, religiös oder auch pädagogisch-methodisch verschiedene Erziehungsrichtungen vertreten! Darum keine Uniformierung im Sinne der sogenannten neutralen Erziehung, die ja schon wieder eine Weltanschauung, nämlich das Bekenntnis zum weltanschaulichen Liberalismus ist!
Wenn der Staat oder die Kommunen in der pluralistischen Gesellschaft durch ihre Behörden eigentliche Erziehungsaufgaben durchführen, so bedeutet das im letzten schon weltanschauliche oder religiöse Vergewaltigung.Aber nun zu den Änderungsanträgen im einzelnen, zunächst zu Ziffer 1, also zu § 2 Abs. 1. Die Richtigkeit der Aussage in Abs. 1 des Änderungsantrages der SPD wird von uns grundsätzlich nicht bestritten. Aber dem Sinn nach ist die entsprechende Regelung bereits im Abschnitt II, Unterabschnitt 1 b des geltenden Gesetzes — § 8 ff — vorgenommen. Dieser Abschnitt ist in der Novelle nicht berührt. Wir meinen, daß es dem Aufbau des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes gemäßer ist, die vorgenommene Gesetzessystematik beizubehalten!Zu Absatz 2. Die vorgeschlagene Formulierung scheint uns unklarer als die bisherige. Im alten § 2 ist ganz klar gesagt, wer die Organe der öffentlichen Jugendhilfe sind. Außerdem sind in dem alten § 2 Bestimmungen enthalten, die im Interesse einer sauberen Abgrenzung gegenüber anderen Erziehungsträgern wie z. B. der Schule oder anderen Einrichtungen wie z. B. dem Gesundheitsamt nicht entfallen dürfen. In dem Vorschlag der SPD sind sie nicht enthalten. Wenn in Abs. 2 von Verantwortung die Rede ist, so weise ich darauf hin, daß I gerade dieser Komplex in den §§ 9 b und 9 c des gültigen Gesetzes ganz präzise geregelt ist. Wir meinen auch, jene Bestimmungen sollten nicht verwässert werden. Das aber würde bei Übernahme der vorgeschlagenen Fassung geschehen. — Zu den Absätzen 3, 4 und 5 habe ich mit dem bereits Gesagten meines Erachtens schon ausreichend Stellung genommen.Der § 5 a ist angesprochen worden. Aus Gerechtigkeitsgründen halten wir ihn so, wie ihn der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen vorgeschlagen hat, für dringend erforderlich. Wenn schon die freien Kräfte bei der Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben tatkräftig mitwirken, dann müssen ihnen auch weitgehend die gleichen Arbeitsbedingungen eingeräumt werden, die andere haben. Dabei ist doch auch zu bedenken, daß die Förderung nicht dem Verband als solchem oder der Institution als solcher zufließt, wie so oft gesagt wird, so daß sie sich daran bereichern könnten, sondern daß die ergänzende Hilfe durch die Erfüllung des geförderten Zwecks den jungen Menschen selbst unmittelbar zugute kommt. Die Gefahr der Gleichmacherei ist nicht gegeben; dafür sind die Verhältnisse bei den einzelnen Trägern selbst in sich schon zu verschieden, und die Träger würden sich dagegen schon zur Wehr zu setzen wissen. Im übrigen liegt gerade in dieser Hinsicht die volle Verantwortung für eine sachgerechte Regelung, d. h. für eine Regelung, die einerseits dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz, andererseits den unterschiedlichen Gegebenheiten bei den Trägern der Jugendhilfe
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Rommerskirchensinnvoll entspricht, beim Jugendwohlfahrtsausschuß und bei der politischen Vertretungskörperschaft im ganzen. Zu ihr sollten wir volles Vertrauen haben. Auf jeden Fall sind wir der Auffassung, daß, wer die wirksame Tätigkeit und Mitgestaltung der freien gesellschaftlichen Kräfte will, diese auch gerecht, d. h. nach dem Prinzip der Chancengleichheit, wie es das Grundgesetz insgesamt vorsieht, fördern muß.Aus all den genannten Gründen beantrage ich Ablehnung des Änderungsantrages der SPD.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen unid Herren! Ich muß noch einige Worte ,sagen zu den Bestimmungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 und des § 5 bzw. § 5 a in der Fassung, wie sie nach den Beschlüssen des 10. Ausschusses hier zur Abstimmung gestellt werden sollen. Die Kollegin Keilhack hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß wir gegen die Bestimmungen, so wie sie hier stehen, eine Reihe von verfassungsrechtlichen und auch verfassungspolitischen Bedenken haben. Dazu muß ich jetzt einiges sagen.
Ich habe leider schon vor wenigen Wochen bei vergleichbaren Bestimmungen, die Sie dann schließlich in das Sozialhilfegesetz aufgenommen haben, Anlaß gehabt, meinem Befremden darüber Ausdruck zu geben, daß Sie glauben, sehr weitgehende verfassungsrechtliche Bedenken auf die leichte Schulter nehmen zu können und über sie hinweggehen zu sollen. Ich habe damals leider Anlaß gehabt, anzukündigen, daß das, was von Ihnen beschlossen werden sollte, Gegenstand einer Verfassungsklage werden würde. Diese Klage kommt nicht von uns, sondern von anderer Seite. Seit damals hat sich dieses Vorhaben schon sehr konkretisiert, und heute sehe ich die ganz bestimmte Gefahr auch bei diesem Gesetz, daß man sich insoweit wiederum einer Verfassungsklage aussetzt. Ich weiß nicht, ob es bei der Art der Behandlung, die Sie diesem Thema zuteil werden zu lassen belieben, sehr sinnvoll ist, noch über diese Dinge zu diskutieren. Ich halte es aber selbst dann für notwendig, wenn Sie nicht bereit sein sollten, sich ernsthaft über diese Frage Gedanken zu machen.
Es geht um den von Ihnen auch hier wieder statuierten Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. So wie Sie die Dinge hier handhaben, läuft es doch letzten Endes [darauf hinaus, daß Sie den Gemeinden die freie Betätigung auf einem Sektor, der ihnen historisch zugewiesen ist, um mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen, die eigene selbstverantwortliche Tätigkeit nehmen wollen und sie einem staatlichen Dirigismus, einer Staatsallmacht unterwerfen wollen, die in keiner Weise mit Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes vereinbar ist. Allmählich muß man hier im Hause, wenn über das Verhältnis des Bundes zu den Gemeinden gesprochen wird, den Eindruck haben, daß die Gemeinden für Sie in der Verfassung überhaupt nicht existieren und keine Berücksichtigung finden sollen. Die Gemeinden werden von Ihnen zu bestimmten Verhaltensweisen gezwungen, ja mehr, bestimmte Aufgaben und Ausgaben, finanzielle Belastungen zu übernehmen, ohne daß Sie den Gemeinden das Minimum an notwendigem Spielraum eigener verantwortlicher Tätigkeit überlassen. Sie tasten damit den Wesensgehalt gemeindlicher Selbstverwaltung an.
Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar gesagt: Was Inhalt der gemeindlichen Selbstverwaltung ist, bestimmt sich nach dem Herkommen. Seit über vierzig Jahren ist die Arbeit der kommunalen Jugendämter eine ureigene und — das sei der Vollständigkeit halber vermerkt — eine gut geführte eigene Angelegenheit der Gemeinden. Ich glaube, man kann daran, wie in der Gemeinde Jugendarbeit geleistet wird, messen, wie sich eine Gemeinde um das Wohl der jungen Menschen ihres Bereiches bekümmert, ob sie ihnen gegenüber freundlich eingestellt ist. Ich glaube, man darf Gott sei Dank und erfreulicherweise für die übergroße Mehrzahl aller Gemeinden feststellen, daß sie ihren Aufgaben auf dem Gebiete der Jugendarbeit gut, ja mehr, sehr gut und völlig zufriedenstellend nachgekommen sind. Es besteht also nicht nur kein Anlaß, nein, es besteht nicht einmal ein Minimum an Notwendigkeit dazu, diesen bisherigen zufriedenstellenden und guten Zustand zu beseitigen.
Sie sagen nun in § 4 Abs. 3 Satz 2: ,,Soweit geeignete Einrichtungen und Veranstaltungen der Träger der freien Jugendhilfe vorhanden sind, erweitert oder geschaffen werden, ist zwingend von eigenen Einrichtungen und Veranstaltungen des Jugendamtes abzusehen." Hier gehen Sie also noch einen Schritt weiter als im Sozialhilfegesetzes, wo es wenigstens hieß, daß von eigenen Veranstaltungen abgesehen werden s o 11 , obwohl es für die Verwaltung keinen großen Unterschied ausmacht; ob da „soll" oder „ist" steht. Aber hier haben Sie wenigstens ganz deutlich und klar gesagt, daß die Gemeinden dann selber eigene verantwortliche Arbeit nicht mehr leisten dürfen; sie dürfen nur noch das unterstützen und finanzieren, was von anderer, von dritter Seite, von den Trägern der freien Jugendhilfe getan wird. Damit binden Sie die Gemeinden in ihren eigenen Aufgaben in einem Maße, wie Sie es bei noch so großherziger Auslegung des Art. 28 Abs. 2 nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren können.
Aber Sie gehen noch einen Schritt weiter. Im § 5 a stellen Sie zunächst allgemeine, mehr oder weniger unverbindliche Grundsätze darüber auf, wie gemeindliche Selbstverwaltung geführt werden soll. Das will ich nur am Rande bemerken, und darin bestehen im wesentlichen auch die verfassungspolitischen Bedenken, die ich hier geltend machen muß. Das sind alles Selbstverständlichkeiten, die man in ein Gesetz nicht hineinschreiben soll, die bestenfalls hier den Sinn haben könnten, die wahren Absichten zu verschleiern; etwas anderes kann ich dahinter nicht sehen.
Sie sagen aber dann im einzelnen, in welchem Maße, in welcher Form, in welchem Umfang die
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Jahn
Gemeinden ihre Mittel zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe einzusetzen haben. Sie zwingen die Gemeinden also nicht nur, etwas Bestimmtes zu tun, sondern Sie zwingen die Gemeinden darüber hinaus sogar noch, mit ihren eigenen Mitteln in einer ganz bestimmten, gebundenen, von Ihnen fixierten Art und Weise umzugehen. Damit binden Sie die eigenverantwortliche Funktion der Gemeinden in einem völlig unzulässigen Maße. Damit zerstören Sie leichtfertig und wider die Verfassung die eigenverantwortliche Tätigkeit der Gemeinden.
Ich möchte es angesichts der Kürze der Zeit bei diesen wenigen Bemerkungen bewenden lassen. Ich kann Sie nur dringend davor warnen, diese Bestimmungen anzunehmen. Ich habe in der letzten Debatte anläßlich der Beratung des Sozialhilfegesetzes hier schon darauf hingewiesen: Was ist das für ein entsetzlich schlechter parlamentarischer Stil, daß wir uns hier im Plenum über grundsätzliche Verfassungsfragen, die in diesem Hause nicht ausdiskutiert sind, unterhalten müssen und daß Ihnen schon während der Beratung des Gesetzes angedroht oder angekündigt werden muß — nicht angedroht, damit ich da nicht mißverstanden werde —, angekündigt werden muß, daß mit Sicherheit eine Verfassungsklage kommen wird, wenn das, was Sie hier verabschieden wollen, tatsächlich Gesetz werden sollte.
Ich kann Sie nur sehr dringend darum bitten: Erkennen Sie die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die Sie heraufbeschwören, und bekunden Sie etwas mehr Achtung und etwas mehr Anerkennung der selbstverantwortlichen Tätigkeit der freien Kommunen. Die Arbeit, die sie in den vergangenen vier Jahrzehnten geleistet haben, verdient es nicht, so herabgewürdigt zu werden, daß Sie heute glauben, von Staats, von Bundes wegen in die Gemeinden hineinregieren zu sollen. Sie haben kein Recht dazu, und wir können Ihnen so wie damals nur noch einmal mit allem Nachdruck zurufen: Lassen Sie die Hände weg von den Gemeinden! Die Gemeinden wissen allein — wie uns aus 40jähriger Praxis bekannt ist — viel besser, und ohne daß Sie sie zu bestimmten Verhaltensweisen zwingen, wie sie eine gute und vernünftige Jugendarbeit zu leisten haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Jahn veranlassen mich, einige Bemerkungen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken zu machen, die er hier vorgetragen hat.
Ich darf zunächst zu meinem Vergnügen feststellen, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Herr Kollege Jahn in der Sache bei der ersten Beratung des Gesetzes hatte, in der Zwischenzeit zusammengeschrumpft sind. Denn er hatte damals auch noch vorgetragen, dem Bunde mangele es sogar an .der Zuständigkeit, in Fragen der Jugendpflege eine gesetzliche Regelung zu treffen. Nun konzentriert er sich mehr auf das Feld des Art. 28 Abs. 2 GG und bringt daneben eine Reihe von verfassungspolitischen Bedenken vor, die aber mit Verfassungswidrigkeit nichts zu tun haben.
Nun zum Art. 28 GG, in dem die sogenannte Eigenverantwortung der Gemeinden niedergelegt ist. Nach unserer Auffassung liegt kein unzulässiger Eingriff in die Eigenverantwortung der Gemeinden vor. Nach Art. 28 des Grundgesetzes wird — das muß zunächst festgestellt werden — die Eigenverantwortung der Gemeinden nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Die kommunale Selbstverwaltung ist also nach dem Grundgesetz gesetzlich einschränkbar. Allerdings darf nach richtiger Auslegung des Art. 28 der zentrale Wesenskern der Selbstverwaltung nicht getroffen werden. Die vorliegende Novelle wäre also nur dann in den §§ 4 Abs. 3 und 5 a verfassungswidrig, wenn nachgewiesen würde, daß in den beiden genannten Paragraphen die Kernsubstanz der Kommunalverwaltung verletzt würde.
Das ist jedoch nicht der Fall. Die hier vorgesehene Regelung des Verhältnisses zwischen kommunaler und freier Jugendhilfe führt weder zu einer inneren Aushöhlung noch zu einem Scheindasein der kommunalen Selbstverwaltung, wie es das Bundesverfassungsgericht verbietet. Auch trifft die vorgesehene Regelung gerade nicht einen historisch gewordenen Wesensgehalt der kommunalen Eigenverantwortung. Nach Geschichte, geltendem Recht und Gesetzeswirklichkeit ist die kommunale Jugendhilfe auf den hier zur Entscheidung stehenden Gebieten nachrangig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ?
Bitte sehr.Jahn {SPD) : Herr Kollege Even, ist Ihnen bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erklärt hat:Der Kern des Selbstverwaltungsrechts ist nicht verletzt, wenn ...b) den Gemeinden und Gemeindeverbänden, von Ausnahmen abgesehen, die weitgehend durch das Herkommen bestimmt werden, die Führung der Geschäfte unter eigener Verantwortung überlassen bleibt;c) eine Schmälerung des Aufgabenbereichs und ein Abgehen von dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Verwaltung ausschließlich durch Gesetz, beim Vorliegen eines Notstandes und unter Beschränkung auf das zeitlich und sachlich Notwendige angeordnet wird ... ?Können Sie mir bitte sagen, ob die Verfügung über eigene Mittel der Gemeinden durch Bundesgesetz nach Ihrer Meinung tatsächlich kein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung ist, und wollen Sie im Ernst behaupten, daß in diesem Gesetz eine Beschränkung auf das zeitlich und sachlich unbedingt Notwendige erfolgt?
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Das waren mehrere Fragen. Zu 1: Mir ist diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt. Zu 2: Ich bin nicht der Auffassung, daß diese Entscheidung durch die vorliegende Novelle verletzt würde. Ich werde das jetzt ausführen.Zunächst einmal trifft es nach unserer Auffassung nicht zu, daß die Jugendhilfe, eine ureigene Domäne der Kommunalverwaltung nach dem geschichtlichen Herkommen sei. Erst seit wenigen Jahrzehnten gibt es überhaupt eine Jugendwohlfahrts-Tätigkeit der Gemeinden im umfassenderen Sinne. Sie selber sagten, in' den letzten vierzig Jahren habe sich das entwickelt. Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922, um das es geht, sah darüber hinaus nur eine freiwillige Ermessensaufgabe für die Gemeinden vor. In der Zeit zwischen 1933 und 1945 — das wissen wir alle — rissen die NSDAP und ihre Gliederungen praktisch die gesamte Jugendarbeit an sich, so daß erst nach 1945 die kommunale Betätigung auf diesem Gebiet wieder beginnen konnte. Aber erst 1953 wurde die Jugendwohlfahrt überhaupt zu einer Pflichtaufgabe der Gemeinden.Dabei war die öffentliche Jugendhilfe von Anfang an, Herr Kollege Jahn, suhsidiär gegenüber der familiären und der freien Tätigkeit. Schon § 1 Abs. 3 des Gesetzes von 1922 lautete:Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt, unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit, öffentliche Jugendhilfe ein.Während hierdurch der Vorrang der Familie klar herausgestellt war, galt dies nicht mit gleicher Unzweideutigkeit für den Vorrang der freien Verbände. Wenn man aber bedenkt, daß neben die Jugendhilfe der Familie, der freien Verbände, der Gemeinde auch noch diejenige des Staates hinzutrat, ergibt sich unwiderlegbar, daß die Jugendwohlfahrt keine typische Wesensfunktion der Gemeinde darstellt. Sie ist vielmehr eine res mixta von Familie, Gesellschaft, Gemeinde und Staat. Daraus ergibt sich aber, daß im Hinblick auf unsere freiheitliche pluralistische Grundordnung die Klärung dieses Mischverhältnisses zugunsten der freien gesellschaftlichen Kräfte schlechterdings nicht verfassungswidrig sein kann. Das gilt um so mehr, als nach der Verfassungswirklichkeit die freie Jugendpflege heute immer noch bei weitem gegenüber der öffentlichen überwiegt. Ich erinnere Sie an die sehr eindrucksvollen Zahlen, die Frau Kollegin Keilhack gerade zu diesem Punkt soeben nannte, — Zahlen, die sich zwischen 73 und 90 % dieser Tätigkeit bewegten.Es liegt aber auch deshalb kein Verstoß gegen die Verfassung vor, weil das Jugendamt seine bisherige Verantwortlichkeit behält. Gemäß § 4 Abs. 1 hat das Jugendamt nach wie vor die -Aufgabe, „die für die Wohlfahrt der Jugenderforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen". Diese Zuständigkeit und Verantwortung wird also dem Jugendamt nicht genommen. Es entscheidet nach pflichtmäßigem Ermessen, ob die Voraussetzungen für den Vorrang der freien Jugendhilfe gegeben sind oder nicht. Es kontrolliert auch die sachgerechte und zweckentsprechende Verwendung der gewährten Leistungen.Infolgedessen kann auch Ihr verfassungspolitisches — nicht verfassungsrechtliches — Argument nicht durchschlagen, das Sie an den § 5 a der Novelle geknüpft haben.
— Sie wollen es auch als verfassungsrechtliches gelten lassen? — Dann wollen Sie bitte zunächst bedenken, daß jede Durchführung eines Bundesgesetzes wie entsprechend auch eines Landesgesetzes durch die Gemeinde naturgemäß die Gemeinde zwingt, bestimmte finanzielle Aufwendungen zu leisten, und man kann nicht allein deshalb sagen, hier werde in unzulässiger Weise die Finanzhoheit der Gemeinden eingeengt. Zum zweiten dürfen Sie nicht übersehen, was auch in dem Schriftlichen Bericht zum Ausdruck gekommen ist, den ich noch einmal zur Lektüre empfehle, daß mit dieser Vorschrift den betreffenden Verbänden kein einklagbarer Rechtsanspruch zugebilligt wird.Schließlich ist auch das Recht der Eltern auf Bestimmung der pädagogischen Grundrichtung gewährleistet; denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 hat das Jugendamt die verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung zu berücksichtigen, und um auch den letzten Zweifler aus Ihren Reihen aufzuklären, heißt es dann in Satz 3 noch einmal ausdrücklich: „Wenn Personensorgeberechtigte unter Berufung 'auf ihre Rechte nach § 2 a" — das betrifft die religiöse und erzieherische Grundrichtung — „die vorhandenen Träger der freien Jugendhilfe nicht in Anspruch nehmen wollen, hat das Jugendamt dafür zu sorgen, daß die insoweit erforderlichen Einrichtungen geschaffen werden."Ich bin daher der Meinung — und das ist die Meinung der CDU/CSU-Fraktion —, daß nach alledem nicht die Rede davon sein kann, hier werde eine Novelle verabschiedet, die in einigen Punkten der Verfassung nicht entspreche. Die Novelle hält sich im Rahmen der Verfassung, und sie bedeutet darüber hinaus nur eine konsequente Fortentwicklung des geltenden Jugendhilferechts und der Jugendwohlfahrtspraxis. Ich komme daher nicht umhin, meine sehr verehrten Damen und Herren, festzustellen — wie schon vor einigen Wochen in der Debatte über das Bundessozialhilfegesetz —, daß hier verfassungsjuristische Argumente vorgeschoben werden, um eine unbequeme politische Entscheidung zu übertünchen. In Wahrheit geht es in dieser Frage um leine politische Entscheidung, um die Entscheidung zweier verschiedener Ordnungsbilder. Es geht darum, daß Sie — ob Sie es wissen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, oder nicht — sich nicht zu lösen vermögen von Ihrem sozialistischen Denkschema der 'staatlichen Gängelung des Bürgers von der Wiege bis zur Bahre,
während auf unserer Seite das freiheitliche Ordnungsbild einer Gesellschaft steht, in der die freie
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Dr. Even
Initiative auch auf dem Gebiet der Jugendhilfe den Vorrang hat.
Wir bejahen den Gesetzentwurf, weil er die Jugend- und Wohlfahrtsverbände wie Mündige behandelt und ihnen Vertrauen schenkt; weil er die kommunale Verwaltung entlastet, ohne ihr die Verantwortung zu nehmen; weil er die Elternrechte gewährleistet und eine gesetzliche Manifestierung unserer pluralistischen Gesellschaft enthält; und schließlich, weil er zu neuer Aktivität und staatsbürgerlicher Verantwortung der freien Verbände anregt. Aus diesen Gründen bejahen wir das Gesetz.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Mühlen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal zur Sache, zu der wir reden. Es geht um den Änderungsantrag der SPD Umdruck 945. Wir haben unsererseits zu diesem Sachverhalt einen Änderungsantrag gestellt, den mein Kollege Dürr nachher begründen wird und in dem wir bereits weitgehend kompromißfreudig in Richtung des Vorschlages der Regierungspartei sind.Doch nun etwas Grundsätzliches zur Sache, um die es hier geht. Wir stehen, wie vor wenigen Wochen beim Sozialhilfegesetz, auch diesmal vor einem sehr grundlegenden Gesetz. Ich finde, von seiten der Opposition aus gesehen befinden wir uns hier nicht in einer parlamentarischen Feldschlacht, wie es sein sollte, sondern wir stehen einer in Paradeabstimmung gesammelten CDU gegenüber,
deren Hauptmannschaft 'im Augenblick für das entscheidende Ja in der Kantine die Kräfte sammelt und beim — —
— Immer prozentual!
— Da sehen Sie die Loyalität der FDP; denn unsere Kollegen im Restaurant sind so loyal, daß sie nur ihren Kollegen — —
— Restaraurant oder Kantine, das ist ja egal. Mankann in den Kleinigkeiten nicht so haarspalterischsein und in den anderen Dingen dann so großzügig.Wir sind hier in einer Jugendwohlfahrts-Debatte des Deutschen Bundestages. Das heißt, „Debatte" kann man nicht ,mehr sagen; aber wir von der Opposition halben das Bedürfnis, unseren Standpunkt klarzulegen, um Ihnen zu zeigen, daß wir nicht Ihrer Meinung sind. Sie können uns überstimmen, Sie werden Idas sicher auch tun;
aber Sie sollen uns nicht für allzu leichtgläubig verkaufen wollen.
Das bisher geltende Jugendwohlfahrtsgesetz, meine Damen und Herren, hat sich ebenso wie das frühere Sazialhilfegesetz bewährt. Es stellt sich auch hier, genauso wie damals, die Frage, weshalb, und zwar in den letzten Stunden der Legislaturperiode des 3. Deutschen Bundestages, dieses Gesetz durchgepeitscht werden soll und 'durchgepeitscht wind.
Diese Eile wäre nicht nötig gewesen. Denn wenn Sie, wie Sie glauben, im nächsten Bundestag wieder die absolute Mehrheit haben, hätte es auch dann noch gereicht; und wenn Sie sie nicht mehr haben, wird dieses Gesetz sowieso novelliert.
Meine sehr 'verehrten Damen und Herren, von vornherein stellt dieses Gesetz — Herr Kollege Jahn hat darauf schon sehr sachlich hingewiesen, und Herr Kollege Even hat sehr emotionell erwidert — einige verfassungsrechtliche Bedenken, die ich hier anschneiden möchte. Es erscheint sehr fraglich, db sich der Entwurf in dem für den Gesetzgeber durch Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes gesteckten Rahmen hält. § 4 Abs. 3 des Regierungsentwurfs 'formuliert:'Es ist von .eigenen Veranstaltungen und Einrichtungen des Jugendamtes abzusehen, wenn die freien Träger der Jugendhilfe ihrerseits Veranstaltungen oder Einrichtungen zur Verfügung haben.Hierin liegt praktisch — und darüber können keine Argumentierungen hinweghelfen — eine weitgehende Ausschaltung der Selbstverwaltungskörperschaften von der Jugendhilfe überhaupt.Herr Kollege Even 'hat eben sehr bewegt von der pluralistischen Gesellschaft gesprochen und erklärt, daß die Freiheit vom Staat auch in idem vorliegenden Gesetz 'nunmehr verankert werde. Ich glaube jedoch, wir dürfen damit nicht die Keimzelle allen staatlichen Lebens, nämlich die Gemeinde und die gemeindliche Selbstverwaltung diesen Dingen opfern. Ich trete weder für Konfessionalisierung noch für Kommunalisierung ein, sondern für einen gesunden und echten Ausgleich, und der war in der Durchführung des .bisherigen Jugendwohlfahrtsgesetzes ganz zweifellos gegeben. Wie haben Sie gesagt? Bisher hätten „unklare Mischverhältnisse" bestanden. Ich glaube, wir können bislang von einer echten Partnerschaft sprechen, die jetzt durch eine Vorrangstellung der freien Jugendwohlfahrtsverbände gegenüber den Gemeinden abgelöst werden soll. Ein Vorgang, der im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz meines Erachtens sehr bedenklich ist.
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Freiherr von MühlenEin Gutachten, das Herr Professor Köttgen im Februar dieses Jahres zu dieser Frage erstellt hat, kommt zu dem Ergebnis, daß der vorliegende Entwurf die geigenständlichen Grenzen der Materie „öffentliche :Fürsorge" überschreite, weil ereine Rangordnung zwischen Gemeinde und Gesellschaft begründe.Darüber hinaus geht es aber noch um beträchtlich mehr. In weiten Bereichen soll die Selbstverwaltung der Gemeinden lahmgelegt und für die Zukunft unmöglich gemacht werden. Veranstaltungen der gemeindlichen Jugendpflege gehören aber unabdingbar zum 'Funktionsgang der kommunalen Selbstverwaltung.Nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes „muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln." Diese klaren und eindeutigen Bestimmungen des Grundgesetzes mögen zu diesem Punkt genügen.Der vorliegende Entwurf wirft aber darüber hinaus noch weitere verfassungsrechtliche Streitfragen auf. Mit Hilfe von Aufgabenkatalogen soll konkretisiert werden, wie pädagogische, also rein kulturbezogene Aufgaben auszugestalten sind. Unter solchen harmlos erscheinenden Formulierungen verbirgt sich Erstaunliches. Hält die Bundesregierung, federführend durch das Familienministerium, bestimmte .erzieherische und kulturelle Aufgaben der Jugendpflege für zweckmäßig, so kann sie durch eine einfache Aufzählung, also lediglich durch die Ausstellung eines Aufgabenkatalogs, den Gemeinden und den Ländern die Jugendpflege gänzlich entziehen unid ihre Erlfüllung den religiösen und anderen freien Trägern der Wohlfahrtspflege überweisen.Die bedrückenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben, versucht der Herr Familienminister mit einem Gutachten fortzuwischen, das er bei Herrn Professor von der Heyde in Würzburg bestellt hat. Die sehr langatmigen Ausführungen des Würzburger Professors gehen meines Erachtens in einem sehr entscheidenden Punkt fehl. Auf Seite 7 seines Gutachtens führt Professor von der Heyde aus, die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gemäß Art. 70 des Grundgesetzes gelte nur für die originären staatlichen Aufgaben, nicht jede öffentliche Aufgabe sei aber zugleich auch eine staatliche.Unterstellt man, die hier zu erörternden Maßnahmen der Jugendpflege und Jugendfürsorge wären gar keine staatlichen, sondern gesellschaftliche Aufgaben — um etwas den Gedanken von Herrn von der Heyde zu folgen —, so kann sie doch der Bund auch gar nicht an Dritte verteilen; denn nemo plus iuris transferre potest quarr ipse habet — niemand kann ein Recht vergeben, ,das er selber nicht hat. Darin sehe ich einen schwachen Punkt in dieser Denkschrift von Herrn Professor von der Heyde.
— Haben Sie die Denkschrift gelesen? — Na, bitte!Bei den durch das Jugendwohlfahrtsgesetz zu regelnden Fragen handelt es sich auf der einenSeite um echte Fürsorgemaßnahmen, also um eine Daseinsfürsorge. Auch hier gibt Herr Professor von der Heyde zu, daß dies eine Aufgabe ist, die dem Staat und der Gemeinde in erster Linie obliegt. Auf der anderen Seite haben wir es aber — sofern wir vorpädagogischen Maßnahmen stehen, wie z. B. der Freizeitgestaltung — mit rein kulturellen Aufgaben zu tun. Wenn der Staat glaubt, sie übernehmen zu müssen, dann sollen es die Länder tun, aber nicht der Bund.
Die schwerstwiegenden Bestimmungen des Regierungsentwurfs betreffen zweifellos die Frage des Verhältnisses von Gemeinden und freien Verbänden. Alle Kollegen und Kolleginnen, die vorher hier gesprochen haben, waren sich, glaube ich, darin einig, daß hier der Schwerpunkt des Gesetzes liegt. Auch hier wird — wie bereits beim Sozialhilfegesetz — der Grundsatz der sogenannten Subsidiarität, d. h. also der Hilfe zur Selbsthilfe, herangezogen. An diesem 'Grundsatz ist — darin sind wir uns ja alle einig — manches der Anerkennung wert. Überall dort, wo eine selbstverantwortliche Regelung möglich ist, sollen übergeordnete Mächte nicht eingreifen, sondern vielmehr die Entfaltung der eigenen Kräfte bei Individuen und Verbänden unterstützen. Im Interesse der sachgemäßen Erörterung gilt es jedoch, dieses System etwas aus seiner hierarchischen Struktur herauszuheben. Die Gemeinde — das wurde auch von seiten der Regierungspartei immer wieder betont — ist der originäre Zusammenschluß der Bürger als Keimzelle staatlichen Zusammenlebens. Diese Gemeinschaft wird in Fragen der Jugendhilfe und der Jugenderziehung im allgemeinen und in der Regel auf Grund einer langjährigen Erfahrung sehr viel adäquater entscheiden als ein anonymer Verband. Stellt die Gemeinde aber, die von allen Bürgern gebildet wird, etwas Geschlossenes dar, so sind — und das sollten wir doch einmal 'beachten — auf seiten der Verbände und erst recht zwischen den Verbänden Zerrissenheit, Vertiefung politischer und konfessioneller Meinungsverschiedenheiten eben zwangsläufig gegeben. Das Mißtrauen — und es ist ein ganz klares und eindeutiges Mißtrauen, das dieser Regierungsentwurf den Gemeinden entgegenbringt und jetzt auch noch gesetzgeberisch zu verankern sich bemüht — ist, wenn Sie ehrlich sind, schlechterdings nicht vertretbar. Bei den Gemeinden finden die Minderheiten der Bevölkerung den nötigen Schutz vor den organisierten Interessen, und nicht umgekehrt. Das ist eine Erfahrung, die wir gemacht haben, seit es eine Jugendwohlfahrtspflege gibt. Das heißt noch lange nicht, daß man den Gemeinden die prädominante Stellung einräumen soll.Ich bin aber hier für das Prinzip der Partnerschaft, das auf Grund dieses Gesetzentwurfs zwischen freien Verbänden und Gemeinden nicht realisiert werden kann. Ich glaube, daß wir ebenso wie beim Sozialhilfegesetz in der praktischen Durchführung eines Tages vor einer Flut von Schwierigkeiten und Klagen stehen werden und daß Sie, wenn die CDU im nächsten Bundestag wieder mit einer abso-
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Freiherr von Mühlenluten Mehrheit antreten sollte, sich von selbst auf Grund der Sachlage noch einmal hinsetzen müssen und sagen werden: Damals haben wir die Sache etwas zu schnell abgeschlossen. Dieses Gesetz dekretiert, wenn Sie es einmal nüchtern überlegen, die Aufspaltung der Gemeindejugend in Verbände, es leistet ihr zumindest Vorschub zerstört die Entfaltung einer Partnerschaft und fördert die Vertiefung von Spannungen.Was die finanzielle Seite des Regierungsentwurfs betrifft, so liegen die Dinge hier noch krasser als beim Sozialhilfegesetz. Die Gemeinden sollen auch hier zahlen, aber nichts mehr zu handeln und zu entscheiden haben. Es handelt sich hier um eine Muß-Bestimmung hinsichtlich der gemeindlichen Finanzhilfe, während es beim Sozialhilfegesetz schließlich noch eine Soll-Bestimmung war. In § 4 a ist von gleichen Grundsätzen bei der Förderung gemeindlicher und privater Maßnahmen der Jugendpflege und Jugendfürsorge die Rede. Das muß aber im Zusammenhang mit § 4 Abs. 3 betrachtet werden. Hier ist doch praktisch die weitgehende Lahmlegung jeder weiteren gemeindlichen Jugendarbeit aus eigener Initiative festgelegt. Die Gemeinde kann aushilfsweise, wenn die freien Verbände gerade nicht wollen, vielleicht noch etwas tun, aber eine aktive Jugendwohlfahrts- und Jugendpflegearbeit ist den Gemeinden durch ein 'solches Gesetz versagt.Diese Degradierung der kommunalen Selbstverwaltung durch den Gesetzgeber ist unzulässig, davon 'bin ich überzeugt. Sie ist staatspolitisch sogar unmoralisch. Sie muß abgelehnt werden. Sie macht die Gemeinden praktisch zur Amme der Verbände.
Zum Schluß noch eines: 'Es geht hier um Macht für die Verbände, und ich verstehe nicht, wie Sie das verantworten können; denn das heißt in diesem Fall auch: Macht über die Jugend. Der drohenden Aufspaltung der, Jugend wollen Sie, so sollte man glauben, doch keinen Vorschub leisten.Ich möchte hier nicht verhehlen — ich halbe das damals schon angeschnitten —, daß ich bei diesem Gesetz auch Kräfte am Werke sehe, die vielleicht weiter denken als die gesetzgebenden Kräfte der Regierungspartei,
Kräfte, die im stillen wirken und in den in dem Gesetzentwurf liegenden Möglichkeiten Chancen wittern, um so oder so doch einmal konfessionelle Elemente stärker zum Tragen zu 'bringen, als es im Augenblick vielleicht opportun erscheint, es nach außen in Erscheinung treten zu lassen.
Ich will nicht so hart sein und sagen, in diesem Gesetz isst der Wurm drin, aber der Wuermeling ist. bestimmt drin! Nehmen Sie es mir nicht übel — ich bin immer sehr loyal —, alber wenn ich mir dieses Gesetz anschaue: ich sehe „schwarz"!
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Die Bemerkungen des Kollegen Even machen einige Worte der Erwiderung notwendig. Herr Kollege Even, ich glaube, es ist gar kein Anlaß dazu vorhanden, hier triumphierend zu sagen, gegenüber dem, was ich in der ersten Lesung an Bedenken vorgetragen habe, hätte ich heute einiges weggelassen. Sehen Sie, da ist vielleicht der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir denken über die Dinge auch noch etwas nach, wenn uns das nützlich erscheint, und ziehen daraus Konsequenzen. Ich habe nicht den Eindruck, daß das bei Ihnen der Fall ist.Im übrigen meinen Sie, hier die Auffassung vertreten zu können, Jugendhilfe sei nicht seit eh und je, historisch gesehen, eine Aufgabe der Gemeinden. Meine Damen und Herren, das ist, schlicht gesagt, falsch. Das hat Herr Kollege Even im Grunde dadurch zugestehen müssen, daß er selber sagte: Es gibt öffentliche Jugendhilfe überhaupt erst seit 40 Jahren. Wir haben also erst 40 Jahre Historie auf diesem Gebiet, über mehr verfügen wir nicht, wenn man nicht — und dabei ziehen Sie dann auch noch den kürzeren — die Tätigkeit der Armenfürsorge und des Gemeinde-Waisenrates mit darunter verstehen will, woraus sich schließlich klar ergibt, daß die Auffassung, die ich hier vertreten habe, daß es sich nämlich um eine historische Aufgabe der Gemeinden handelt, eben doch völlig richtig ist. Wenn es vorher öffentlich kommunale Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe nicht gab, dann haben wir eben nur die letzten 40 Jahre zugrunde zu legen.Nun ein Weiteres. Sie sagen, das Jugendamt behalte seine Verantwortlichkeit, und — das sei im Schriftlichen Bericht ausdrücklich gesagt — ein klag- barer Anspruch für die Verbände solle nicht gegeben sein. Schön und gut. Sie verweisen dann noch auf den letzten Satz des § 4 Abs. 3. Das hätten Sie besser nicht tun sollen. Denn was bleibt nun von der Eigenverantwortlichkeit des Jugendamts übrig! Im Satz 2 des Abs. 3 verpflichten Sie die Gemeinden, bestimmte Förderungsaktionen mit ihren eigenen Mitteln, über die Sie verfügen wollen, durchzuführen, und Sie verbieten ihnen, darüber hinaus eigene verantwortliche Tätigkeit auszuüben, und im Satz 3 zwingen Sie sie wieder zu bestimmten Handlungen, wenn entsprechende Ansprüche oder Forderungen gegenüber der Gemeinde geltend gemacht werden.Also nicht nur im Satz 2 — ich wollte etwas netter zu Ihnen sein, als Sie selber das offenbar haben wollen —, sondern auch im Satz 3 sprechen Sie Bindungen für die Gemeinden aus, höhlen Sie die eigenverantwortliche Tätigkeit des Jugendamts in einer Art und Weise aus, daß man eigentlich nur noch sagen kann: Was brauchen wir Jugendämter? „Zahlstellen für die Verbände" wäre wohl in Zukunft ein
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Jahn
angemessener Ausdruck für das, was Sie heute noch als Jugendämter ansehen wollen.
Nun muß ich sagen, ich verstehe eigentlich nicht, was Sie mit Ihren Polemiken gegen angebliche sozialistische Vorstellungen usw. hier in diese Debatte hineintragen wollen. Ich muß mich doch ernsthaft fragen: Was soll dieser Vorwurf? Soll er ablenken von dem, was Sie tatsächlich tun wollen? Denn wenn hier einer die Allmacht des Staates fördert, dann sind Sie es doch mit Ihren Regeln. Sie regieren doch in die Gemeinden hinein. Wir wollen das doch nicht.
Wir wollen doch eine freie partnerschaftliche Arbeit zwischen Jugendamt und Verbänden. Sie üben doch hier staatlichen Zwang aus. Verschonen Sie uns bitte mit solchen völlig überflüssigen, unangebrachten und in der Sache völlig falschen Bemerkungen! Sie wollen die Allmacht des Staates, Sie wollen die Herrschaft der Verbände auf Kosten der Gemeinden, und uns wollen Sie noch erzählen, das sei vereinbar mit der freien Stellung und eigenverantwortlichen Arbeit der Gemeinden! Ich glaube, es wäre besser gewesen, Sie hätten sich auf die sachliche Diskussion beschränkt. Dann hätten wir vielleicht noch, wenn Sie bereit wären, wahrhaft zu diskutieren — nach meinen letzten Erlebnissen habe ich da so einige Bedenken —, Aussichten darauf gehabt, daß die Debatte einen Sinn bekommt. Mit dieser Polemik kommen wir doch wirklich nicht weiter.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Welter.Frau Welter (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Keilhack hat in ihren Ausführungen die Sorge geäußert, daß die freien Verbände dadurch, daß sie nun auf Grund dieses Gesetzes viele öffentliche Aufgaben übernehmen müssen, überfordert seien, daß sie in zu starkem Maße in das Verwaltungsgetriebe hineinkommen und zu sehr geschwächt würden, um ihre sozialen, gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen zu können. Gestatten Sie mir, daß ich darauf antworte.Wir haben seit einer sehr, sehr langen Zeit — weit über hundert Jahre lang — freie Liebestätigkeit. Ich darf nur August Hermann Francke nennen, der schon 1695 das Hallische Waisenhaus gegründet hat, oder Graf Recke-Vollmarstein, der 1820/22 sein Rettungshaus in Düsseldorf, oder Wichern, der 1833 das Rauhe Haus in Hamburg gründete. Diese Liste könnte beliebig fortgesetzt werden, und ich bin überzeugt, daß auch unsere katholischen Freunde aus ihrer Caritas-Erfahrung ebensolche Beispiele nennen können.Nun, meine lieben, verehrten Abgeordneten, wir haben ebenfalls von Frau Keilhack gehört, daß 1959 75,7 %aller Plätze in Säuglingsheimen, Kindertagesstätten, Kinderwohnheimen bis hin zu den Heimen der offenen Tür von den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gestellt wurden. Leider hat uns Frau Keilhack nicht gesagt, wie das Verhältnis der Beihilfen ist. Das ist nämlich umgekehrt, Frau Keilhack! Hat eine Stadt ein Krankenhaus oder ein Kinderheim, dann [wird der Fehlbetrag ohne weiteres aus dem Hauslhalt gedeckt. Das ist bei den Einrichtungen der freien Verbände nicht der Fall. Infolgedessen läßt sich ohne Mühe nachweisen, daß die Geldzuweisungen, die heute die freien Verbände von den öffentlichen Trägern bekommen, in umgekehrtem Verhältnis zu ihren Leistungen stehen.
In Wirklichkeit ist es so — ich kann Ihnen das aus meiner Erfahrung auf der kommunalen Ebene sagen —, daß die städtischen Einrichtungen, 'wie erwähnt, mit ihren Ausgaben voll gedeckt sind; denn die Fehlbeträge werden durch den städtischen Haushaltsplan auf Beschluß des Rates einfach ausgeglichen. Bei den freien Einrichtungen, z. B. bei unseren Kinderheimen, ist das in gar keiner Weise der Fall; die sind ,weithin ,auf die Mittel angewiesen, die sie auf dem freien Sektor zusammenbringen.Das ist eben der große Unterchied: Die Gründer der Anstalten, die sich soeben genannt habe, hatten offene Augen für die Not, sie hatten aber auch Opferbereitschaft und Hingabe. Damals gab es noch keine öffentlichen Mittel, und es war nichts da, mit dem gerechnet werden konnte. Man konnte damals nur mit den Opfern des eigenen Trägers und der Freunde, die die finanzielle Grundlage bildeten, rechnen. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß diese Opferbereitschaft auch heute noch bei den freien Verbänden ungemindert vorhanden ist. Der Herr Kollege von der FDP hat soeben noch seine „schwarze" Besorgnis ausgesprochen, daß die freien Verbände jetzt die Städte gewissermaßen als ihre Amme betrachten und aussaugen würden.Nun, meine lieben Abgeordneten, jede Nährmutter kann nur so viel geben, wie sie selber hat, auch eine Stadtverwaltung, und sie wird immer ihre Grenzen in den vorhandenen Mitteln ihres Haushalts finden. Keine Zeile dieses Gesetzes beschränkt das Haushaltsrecht der Gemeinden, keine einzige Zeile. Auch den früheren § 4 a — jetzt § 5 a —, der etwas mißverständlich war, haben wir aufgelockert, so daß kein Rechtsanspruch der freien Verbände auf finanzielle Beihilfen der Städte besteht.Es muß gesehen werden, daß die städtischen Jugendämter die ganze Jugendfürsorge als Pflichtaufgabe behalten und daß, was die Jugendhilfe betrifft, unsere Partei, unsere Fraktion und auch die Kirchen bestimmt keinen größeren Wunsch haben als den, in einer echten Partnerschaft mit den Jugendämtern zu arbeiten. Es gibt viele Beispiele, in denen das schon der Fall ist, es gibt aber auch viele — und das muß auch einmal gesagt werden —, in denen das leider Gottes nicht der Fall ist. Wir wollen kein Verbandsmonopol, aber ebensowenig ein staatliches Monopol auf Kommunalisierung der Jugendhilfe, — eine Situiation, in der eine völlig will-
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Frau Welter
kürliche Gewichtsverteilung zugunsten der öffentlichen und zu Lasten der freien Wohlfahrtspflege vorgenommen und die freien Verbände auf den zweiten Platz verwiesen und nur ergänzend herangezogen werden; das wollen wir nicht.Wir wollen eine echte Partnerschaft, wir wollen die freie Entfaltung der freien Verbände, und das kann auch nur im Interesse der Städte liegen; denn diese haben heute so enorme Aufgaben im Wohnungsbau, im Straßenbau, im Bau von Schulen, daß sowohl ihre finanzielle Krift als auch die personelle Besetzung der Ämter bis aufs äußerste angespannt sind. Lassen Sie doch die Jugendverbände sich frei entfalten, und Sie werden sehen, daß das auch zum Besten der Kommunen ist!Nun noch ein Wort zu den Eltern. Die lange Geschichte der Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege hat gezeigt, daß die Eltern ihre Kinder bis heute in den Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege sehr wohl aufgehoben wußten. Wie die Zahlen beweisen, werden sie das auch in Zukunft tun.Deswegen bitte ich Sie, Ihre Bedenken, die wirklich nicht stichhaltig sind, zurückzustellen und uns, auch mir als Vertreterin der Kirche, zu glauben, daß wir kein Monopol für die freie Jugendpflege wollen, sondern eine echte Partnerschaft anstreben. Wir glauben, daß dieses Gesetz die Grundlage für eine echte Partnerschaft geben wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit ein paar Bemerkungen auf das zurückkommen, was Herr Kollege Rommerskirchen zu den Problemen gesagt hat, die jetzt zur Debatte stehen. Er hat mit Betonung darauf, daß er für seine Fraktion spreche, ein Bekenntnis zum Pluralismus, ein Bekenntnis zur pluralistischen Gesellschaft abgelegt. Ich hätte eigentlich nicht zu hoffen gewagt, daß dieser Pluralismus als ein Wesensmerkmal einer freiheitlichen Gesellschaft in diesem Hause unbestritten wäre. Aber das erweist sich auch, bei Licht besehen, als ein Trugschluß. Herr Kollege Rommerskirchen, ich meine, daß Sie lediglich im Grundsatz ein solches Bekenntnis abgelegt haben. Aber Sie ziehen aus diesem grundsätzlichen Bekenntnis keine anderen als in Ihrem Verständnis katholische Konsequenzen. Das ist eine allzu starke Einengung dessen, was man unter Pluralismus verstehen kann.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Herr von Knoeringen, hat sich vor einigen Tagen mit diesem Thema beschäftigt. Ich möchte Ihnen einige Sätze aus seinem Vortrag nicht vorenthalten. Herr von Knoeringen hat, meine ich, mit Recht festgestellt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze zitieren —:Die CDU/CSU befindet sich in einer geradezu tragischen Situation.
— Meine Damen und Herren, Sie sollten doch ersteinmal abwarten, warum Herr von Knoeringenglaubt, daß Sie sich in einer solchen Lage befinden.Das wird vor allem deutlich, wenn sich ihre Redner mit den sozialdemokratischen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft auseinandersetzen müssen, wie sie im Godesberger Programm niedergelegt wurden. Für die Union ist nach zwölf Jahren Regierungszeit die Demokratie immer noch ein unbewältigtes Problem.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch aussprechen! —Sie weiß sich wohl der Demokratie zu bedienen. An ihr Ethos glaubt sie jedoch nicht. Die humanistische Grundlage der pluralistischen Gesellschaft wird hingenommen, aber man hält an der Meinung fest, daß es sich dabei in Wahrheit um eine Fehlentwicklung handele. Je nach Bedarf ist die CDU integral, pluralistisch, säkularistisch, humanistisch, liberal, autoritär oder demokratisch.Nun, meine Damen und Herren, diese Mischung von miteinander unvereinbaren Grundverhaltensweisen nennen Sie Union!
Sie haben dafür den schillernden Begriff des „Christlichen" als das Ihnen gemeinsam verbliebene Minimum gewählt. Sie bestreiten das durch Zwischenrufe und eine offenbar humorvolle Aufnahme dieser Auffassung. Unser Eindruck ist der: Sie halten den Pluralismus dann für ein gutes Prinzip, wenn er Ihnen einen Machtzuwachs verspricht, und Sie halten ihn dann für ein schlechtes Prinzip, wenn er Ihnen keinen Machtzuwachs verspricht.
Einer der bedeutendsten Köpfe im ideologischen Hinterland Ihrer Partei, Herr Direktor. Hanssler, den Sie ja zu den offiziellen Referenten Ihres Kulturkongresses in Gelsenkirchen im vergangenen Jahr zählen konnten, zieht durch die Lande und hält Vorträge, in denen er sich mit Schärfe und mit aller Eindeutigkeit gegen ein pluralistisches Selbstverständnis unserer Gesellschaft ausspricht. Dem, was der Herr Bundestagspräsident Gerstenmaier in Gelsenkirchen zu diesem Thema gesagt hat, würden wir zustimmen. Aber was Gerstenmaier zum Thema Pluralismus sagt und was Herr Direktor Hanssler dazu ausführt, ist miteinander schlechterdings nicht zu vereinbaren.
Meine Damen und Herren! In den größeren Zeitungen Süddeutschlands waren in der vergangenen Woche sehr aufschlußreiche Berichte zu lesen.
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Herr Kollege Lohmar, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Gerstenmaier?
Mit Vergnügen.
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß bei dieser Beschaffenheit unseres pluralistischen Staates auch die Fraktionen bzw. die Parteien denkbar großräumig sein und deshalb sehr verschiedene Nuancen unter ihrem weiten Hut vereinen müssen?
In diesem Zusammenhang: Herr Abgeordneter Dr. ‘Gerstenmaier, ich möchte meinen, daß die Sozialdemokratie in ihrem Selbstverständnis im Godesberger Programm dieser Ihrer berechtigten Forderung nach einer sehr weiten Spannbreite von Auffassungen und Meinungen in einer politischen Partei Rechnung getragen hat. Aber was mich stutzig, was mich besorgt macht, der ich derselben Kirche angehöre wie Sie, ist — wenn ich es etwas überspitzt so sagen darf — die dogmatische Eintrübung der Freiheit eines Christenmenschen, die sich in Ihrer Partei unter .dem Druck des katholischen Mehrheitsflügels in den letzten Jahren vollzogen hat!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die Tagung der Katholischen Akademie in Bayern zurückkommen. Dort hat Direktor Hanssier, wiederum in geschliffener Weise, einen Angriff gegen den Pluralismus vorgetragen. Geantwortet hat ihm nicht ein Sozialdemokrat. Wir haben nur selten die Möglichkeit, an katholischen Akademien mitzudiskutieren. Geantwortet hat ihm ein junger Fundamentaltheologe von der Universität München, Professor Fries. Die wörtliche Wiedergabe seiner Ausführungen habe ich leider nicht zur Hand.
— Frau Kollegin Weber, Sie können sie sich ja kommen lassen und sie nachlesen; Sie werden sehen, daß ich nicht unfair wiedergegeben habe. Professor Fries hat dem Sinne nach gesagt, nach seiner Auffassung könne man von seiten der katholischen Kirche das Prinzip des Pluralismus nicht nur nicht bekämpfen, vielmehr entspreche es geradezu einem modernen katholischen Selbstverständnis, sich in eine pluralistische Beziehung zu unserer Demokratie zu setzen, weil die katholische Kirche eben desto katholischer sei, je weitgehender sie in den verschiedenen Lebensbereichen unserer Gesellschaft präsent sei, und umgekehrt. Das, meine Damen unid Herren, ist mit anderen Worten das, was wir im Godesberger Programm ausgedrückt haben.
Nur ist es offenbar sehr schwierig, solchen Einsichten katholischer Theologen den Weg in die Reihen Ihrer Fraktion hinein zu ebnen.
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel aus dem politischen Arbeitsgebiet erwähnen, aus einem der katholischsten, die es in der Bundesrepublik gibt, in dem man die drei Nachteile, Preuße, Protestant und Sozialist zu sein, in ,der Auseinandersetzung mit einem Gegenspieler aus Ihrer Fraktion nur schwer aufwiegen kann. Da hatte ich vor kurzem ein Gespräch mit einem Sprecher der katholischen Jugend. Es ging dabei um eine sehr praktische Frage, nämlich um die Einrichtung eines Kindergartens. Der Diskussdonsredner meinte, wenn er vor der Frage stehe; einen Kindergarten einzurichten, würde er das nur unter der Voraussetzung tun, daß zu gleicher Zeit ein katholischer und ein evangelischer Kindergarten gebaut werden könnten. Sei das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, würde er auf die Einrichtung eines Kindergartens verzichten.
An diesem praktischen Beispiel wird klar, wo die Sozialdemokraten nicht mitzugehen bereit sind. Wir würden diesen Kindergarten bauen. Wir würden ihn von der Gemeinde bauen lassen, wenn einer der beiden Träger nicht bereit wäre, dabei mitzuarbeiten, weil es uns darum geht, in der Sache vorwärtszukommen, ohne in eine dogmatische Haarspalterei abzugleiten.
— Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, Herr Kemmer, welchen Mißdeutungen Ihre grundsätzliche Argumentation in der politischen Praxis ausgesetzt ist. Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß ihnen die Praxis in sozialdemokratisch regierten Kommunen manchmal mißfällt. Ich wollte Ihnen nur mit einem Gegenbeispiel dienen, damit Sie dieses Problem nicht allzu einseitig sehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Bemerkung zum Schluß machen. Mir scheint, daß eine Diskussion um eine bessere Form der Jugendhilfe sich nicht vorrangig daran entzünden sollte, ob die Gemeinden oder ob die freien Verbände hier eine Priorität haben. Es geht z. B. um das Problem, wie man bei den freien und bei den kommunalen Trägern zu einer Entbürokratisierung der praktischen Arbeit kommen kann. Es geht darum, wie man von eingefahrenen Schemata in der praktischen Jugendarbeit bei kommunalen und bei freien Trägern abkommen kann. Das sind Probleme, um die sich eine pädagogische und politische Diskussion lohnt. Aber Sie haben es selbst gesagt: Sie wollen mit diesem Gesetz jetzt keine Sachentscheidung herbeiführen, die zu einer Verbesserung der Arbeit führt, sondern Sie wollen eine politische, eine weltanschauliche Mehrheitsentscheidung erzwingen, und ich kann dem Kollegen von Mühlen nur zustimmen: bei anderen Mehrheitsverhältnissen in diesem Parlament werden wir diese Entscheidung korrigieren.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich komme damit zur Abstimmung. Zuerst wird über den Änderungsantrag
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Vizepräsident Dr. Jaeger
) der SPD Umdruck 945 Ziffer 1 — Neufassung des § 2 — abgestimmt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrzeit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme dannit im Text ,des Ausschußbeschlusses zu Art. I Nr. 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Nr. 2 entfällt.
Ich komme zu Nr. 3 Abs. 1. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer Nr. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Geigenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu den Absätzen 2 und 3. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer diesen Absätzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Es ist so beschlossen.
Ich lasse über Art. I im ganzenabstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich ;bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme nun zu Art. II Nr. 1. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer Ziffer 1 der Ausschußvorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zu Nr. 2, zugleich zu den Änderungsanträgen Umdruck 945 Ziffer 2, Umdruck 947 Ziffer 1 und Umdruck 962 Ziffer 1. Wer wünscht das Wort zur Begründung der Änderungsanträge? — Herr Abgeordneter Wegener!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein kurzes Wort der Begründung zu Ziffer 2 des Änderungsantrages der SPD auf Umdruck 945. In der hier zur Beratung stehenden Ausschußvorlage heißt es in § 4 Abs. 1 unter Nr. 1 des Aufgabenkatalogs: „Beratung in Fragen der Erziehung". Meine Fraktion beantragt, diese Fassung wie folgt zu ändern: „Beratung in Angelegenheiten der Jugendlichen, insbesondere in Fragen der Erziehung".
Wir sind der Auffassung, daß die Formulierung der Ausschußvorlage zu einengend ist und der täglichen Praxis nicht gerecht wind. Selbstverständlich ist die „Beratung in Fragen der Erziehung" eine der wichtigsten Aufgaben des Jugendamtes. Darüber hinaus aber gibt es, so meinen wir, eine Fülle von Dingen, die sich unseres Erachtens nicht mit der hier vorliegenden Formulierung erfassen lassen.
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Vizepräsident Dr. Jaeger— Es wird getrennte Abstimmung nach Buchstaben gewünscht. Wer dem Buchstaben a) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich komme zu Buchstabe b).
— Buchstabe b) entfällt.Buchstabe c.
— Es soll also noch einmal getrennt werden, eine Abstimmung, ob Satz 2 gestrichen wird, und eine Abstimmung, ob Satz 3 gestrichen wird.
— Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Dann geht es auch schneller.Ich lasse also zunächst darüber abstimmen, ob § 4 Abs. 3 Satz 2 gestrichen werden soll. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Nun zu der Abstimmung, ob § 4 Abs. 3 Satz 3 gestrichen werden soll. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag unter d, § 4 Abs. 4 zu streichen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
— Ja, das ist natürlich eine Sache für Fachleute; ist also entfallen.Dann komme ich zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Umdruck 947 Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
— Herr Abgeordneter Kemmer zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ziffern 1 und 2 dieses Änderungsantrages wären eine Folge der Annahme der Ziffer 3. Wir haben die Einfügung eines neuen § 5 b beantragt. Wenn er angenommen wird, dann entfallen die Sätze, die wir gemäß den Ziffern 1 und 2 streichen wollen.
Sie wollen also über die Anträge Ziffern 1 und 2 erst abstimmen lassen, wenn über den Antrag Ziffer 3 abgestimmt ist?
Jawohl. Das wäre eine Folge der Annahme des neuen § 5 b.
Muß über § 5 b diskutiert werden, oder könnte das jetzt erledigt werden?
Das ist ein gemeinsamer Antrag. Wir können, glaube ich, gleich über ihn abstimmen.
Hat das Haus etwas dagegen, wenn wir über den Antrag Umdruck 947 Ziffern 1, 2 und 3 ohne Diskussion in einem abstimmen? — Es erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch.Dann lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, und zwar über alle 3 Ziffern gemeinsam. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Dann komme ich zum Antrag Umdruck 962 der Fraktion der FDP. Wieviel Ziffern? — Vorerst nur Ziffer 1.
— An sich ist über das ganze schon diskutiert worden, Herr Abgeordneter Dürr. Wir sind bereits in der Abstimmung.Wer dem Änderungsantrag unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Dann lasse ich abstimmen über Nr. 2 in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Damit komme ich zu Nr. 3 mit dem Antrag Umdruck 945 Ziffer 3. Wer wünscht das Wort? —
— Zurückgezogen; ich danke Ihnen.Das Wort zu Nr. 3 wird nicht begehrt. Wer Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.Nr. 4. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.Nr. 5, dazu den Antrag Umdruck 945 Ziffer 4 a.
— Entfällt, gut; ich danke Ihnen.Dann darf ich, da das Wort nicht gewünscht wird, über Nr. 5 abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.Ich komme nunmehr zu Ziffer 5 a. Hier ist bereits der Änderungsantrag auf Umdruck 947 angenom-
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9520 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Vizepräsident Dr. Jaegermen. Muß ich noch über den Änderungsantrag Umdruck 945 Ziffer 4 b) abstimmen lassen?
— Die Ziffer 4 b) entfällt? —
— Angenommen ist also der Antrag Umdruck 947. Der andere Antrag ist noch nicht verabschiedet, aber schon diskutiert. — Das Wort wird nicht gewünscht. Dann lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 945 Ziffer 4 b) abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrfheit; der Antrag ist abgelehnt.Nunmehr komme ich zur Abstimmung über Ziffer 5 a mit der vorhin beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zu Ziffer 6, — 7, — 8, — 9,— 10, — 11, — 11 a, — 12, — )13, — 14, — 15. —Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, . den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.Wir stimmen nun ab über Art. II im ganzen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte uni die Gegenprobe. — Art. II ist angenommen.Ich komme nunmehr zu Art. III und muß hier ziffernweise abstimmen lassen.Ich komme zunächst zu Ziffer 1. Dazu liegen die Änderungsanträge auf Umdruck 945 Ziffer 5 a) und 962 Ziffer 2 vor. Wird das Wort gewünscht? — Frau Abgeordnete Schanzenbach zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderungsanträge der SPD-Fraktion zu den §§ 19 und 24 stehen in einem Zusammenhang. Ich werde deshalb, wenn Sie es erlauben, Herr Präsident, die beiden Anträge gemeinsam begründen.
In § 19 Abs. 2 Buchstabe b) soll das Wort „eheliche" gestrichen werden, und in § 24 Abs. 1 soll der Satz 2: „Das gleiche gilt für uneheliche Kinder, die sich bei der Mutter befinden, wenn ihr nicht die elterliche Gewalt übertragen ist", ebenfalls gestrichen werden.
In der Regierungsvorlage war vorgesehen, daß Minderjährige, die sich bei Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad befinden, nicht als Pflegekinder gelten, es sei denn, daß diese Personen Minderjährige entgeltlich, gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig in Pflege nehmen. Die SPD-Fraktion hat in diesen Punkt die Regierungsvorlage begrüßt, weil durch diese Regelung die Sonderstellung des unehelichen Kindes aufgehoben und damit dem Grundgesetz Art. 6 Abs. 5 entsprochen wurde, der lautet: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie denehelichen Kindern." — Leider hat diese Vorlage im Ausschuß eine Änderung erfahren.
Wenn der Pflegekinderschutz in der bisherigen Form für uneheliche Kinder, die mit ihren Müttern zusammenleben, aufgehoben werden sollte, ist von uns die Frage zu prüfen, ob trotzdem der Schutz und die Hilfe, die das uneheliche Kind zu beanspruchen hat, ausreichend gewährt werden.
Nach dem bisher geltenden Recht unterstehen uneheliche Kinder, die bei der Mutter sind, a) der Mündelaufsicht und b) dem Pflegekinderschutz. Diese Zweigleisigkeit ist wenig sinnvoll. Sie ist auch keine Garantie für eine ausreichende Hilfe. Es ist keineswegs von Vorteil, wenn zwei Abteilungen des Jugendamtes oder die Amtsvormundschaft und ein freier Verband die Aufsicht über das uneheliche Kind, das bei der Mutter lebt, durchführen. Nicht immer besteht ein so gutes Verhältnis, daß die die Aufsicht führende Person von der Familie der Mutter gern gesehen wird. Die Zweigleisigkeit der Aufsicht bringt nicht unbedingt eine Hilfe; denn Beratungen in Erziehungsfragen können sehr unterschiedlich ausfallen, und wenn sich mehrere Personen in diese Aufgabe teilen, kann sich daraus sogar manche Mißstimmung ergeben. Es ist doch für jede Mutter unangenehm, wenn sie in einer Sache mit mehreren Stellen zu tun hat.
Meine Damen und Herren, die Mütter von heute, gleich ob sie verheiratet oder nicht verheiratet sind, sind nicht mehr die lebensunerfahrenen Frauen von vor einigen Jahrzehnten. Sie nehmen ihr Schicksal in die Hand und werden damit fertig. Auch die uneheliche Mutter weiß sich durchzusetzen, und unsere neue Gesetzgebung sollte sie nicht mehr diskriminieren. Alle Hilfe, die sie braucht, um mit auftretenden Schwierigkeiten, denen sie allein nicht gewachsen ist, fertig zu werden, sollte ihr und ihrem Kind über die Amtsvormundschaft oder über den Vormund und die damit verbundene Mündelaufsicht gegeben werden.
In der Begründung der Regierungsvorlage heißt es:
Die Neufassung der Vorschriften zum Schutz der Pflegekinder unterscheidet also nicht mehr zwischen ehelichen und unehelichen Minderjährigen. Damit wird dem Erfordernis .des Art. 6 Abs. 5 GG entsprochen.
Der § 31 a der Regierungsvorschläge sah eine Einschränkung insoweit vor, als uneheliche Minderjährige unter die Aufsicht des Jugendamtes gestellt werden sollten, wenn ihr Wohl es erfordert. Die in § 31 a gewählte Form wurde auch von den Verbänden als diskriminierend empfunden. Dieser Paragraph ist in der Ausschußberatung entfallen.
Sozialdemokraten haben sich seit eh und je für einen umfassenden Schutz des unehelichen Kindes eingesetzt. Wenn die SPD-Fraktion nun die Auffassung vertritt, daß der Pflegekinderschutz generell für uneheliche Kinder, die bei ihren Müttern unter-
Frau Schanzenbach
gebracht sind, unserer heutigen Situation nicht mehr entspricht, so nicht, weil sie weniger Schutz und Hilfe für das Kind will, sondern weil sie die Meinung vertritt, daß eine gut ausgebaute Mündelaufsicht völlig ausreicht. Der Vormund und die ihm in der Durchführung der Mündelaufsicht helfende Fürsorgerin; die pädagogisch und fürsorgerisch ausgebildet ist, oder der geeignete und befähigte ehrenamtliche Helfer, der auch von einem Verband gestellt werden kann, sollten Berater und Helfer für die uneheliche Mutter und ihr Kind sein. Eine Doppelaufsicht im Rahmen des Pflegekinderschutzes dürfte sich erübrigen.
Daß Verbände, die eine große Verwaltung aufgezogen haben, die sie nun eventuell, wenn der Pflegekinderschutz für die unehelichen Kinder bei der Mutter in der heutigen Form fällt, abbauen müssen, sich umstellen müssen, darf kein Grund sein, die bisherige Form des Unehelichenschutzes nicht zu verändern. Die Meinung in den Fachverbänden und Fachkreisen ist in der Frage des Pflegekinderschutzes für das uneheliche Kind keineswegs einheitlich.
Viel wichtiger als die Zweigleisigkeit der Betreuung der unehelichen Kinder wären tatsächliche Hilfen. Denn heute sind nicht ausreichend Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagesheime für die Kinder der erwerbstätigen unehelichen Mütter vorhanden. Es sind auch keineswegs ausreichend Veranstaltungen, in denen die Mütter in Erziehungsfragen beraten werden können. Nicht der Rat einer älteren Frau — und wenn er noch so gut gemeint ist — im Rahmen des Pflegekinderschutzes ist entscheidend; entscheidend für die uneheliche Mutter und ihr Kind ist, daß ihr tatsächlich Lebenshilfen gegeben werden und der Pflegekinderschutz in der bisherigen Form eben unserer Zeit angemessen wird.
Eine Annahme unseres Antrages bedeutet keine Verschlechterung für das uneheliche Kind. Im Rahmen der Vormundschaft kann dem unehelichen Kind und seiner Mutter die nötige Hilfe und der notwendige Schutz gewährt werden, und die bisherige Diskriminierung würde aufgehoben werden.
Wir bitten Sie deshalb, unseren Anträgen zu Artikel III Nr. 1 § 19 Abs. 2 und Nr. 5 § 24 Abs. 1 zuzustimmen.
Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 945 Ziffer 5 begründet.
Zur Begründung des Änderungsantrages 962 hat das Wort Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Regierungsentwurf sollten in § 19 aus dem Pflegekinderschutz diejenigen Minderjährigen herausgenommen werden, die bei ihrem Lehrherrn oder Arbeitgeber untergebracht sind. Während der Ausschußberatungen wurde der Buchstabe d des Abs. 2 des § 19 dahingehend geändert, daß Pflegekinder nicht Minderjährige sind, die bei ihrem Lehrherrn oder Arbeitgeber untergebracht sind — und nun kommt der Zusatz —, wenn die Pflegestelle von der nach Landesrecht zuständigen Behörde für geeignet erklärt ist und überwacht wird.
Meine Damen und Herren, da haben wir zunächst im Obersatz: Pflegekinder sind nicht Minderjährige, die bei ihrem Lehrherrn oder Arbeitgeber untergebracht sind, und wir haben im folgenden Halbsatz eine Behandlung dieser Minderjährigen, die sie beinahe doch wieder zu Pflegekindern macht.
Wir wollen in diesem Punkt die Regierungsvorlage wiederhergestellt haben. Für welche Minderjährigen trifft diese Bestimmung denn eigentlich zu? Sie bezieht sich auf Minderjährige, die bei ländlichen Handwerkern, bei kleinen Gewerbetreibenden, etwa bei einer Tankstelle, und die insbesondere in der Landwirtschaft beim Arbeitgeber untergebracht sind. Kurz gesagt: Diese Kreise heißt man sonst den Mittelstand.
Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich darauf hinweise, daß diese Kreise zum Teil — und das ist gar nicht unerfreulich — in manchen Fällen einigermaßen konservativ denken; sie wollen — und das ist insbesondere unseren bäuerlichen Freunden sehr sympathisch — unabhängig bleiben und nicht so sehr und so oft von einer Amtsperson überwacht werden. Wenn nun diese Bestimmung in Kraft tritt, dann befürchte ich, daß — genau wie nach dem Inkrafttreten der scharfen Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes — manche Meister sagen: Vom nächsten Jahr an nehme ich keinen Lehrling mehr. Ich fürchte, daß manche Leute keinen Lehrling mehr in Kost und Logis nehmen, weil sie sich sagen: Dann habe ich in kurzen Abständen den Herrn vom Jugendamt im Haus. Es ist nun einmal so, daß viele sagen, sie wollten sich nicht gern vom Jugendamt in die Schlafkammer hineinschauen lassen. An diesem Widerwillen ist etwas Richtiges.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Regierungsvorlage nicht wiederherstellen, dann verstärken Sie den Trend zum Großbetrieb mit dem betrieblichen Jugendwohnheim, und Sie tun etwas gegen die Familienerziehung. Die Erziehung eines Lehrlings mit Familienanschluß beim Handwerksmeister ist in vielen Punkten dem Aufenthalt eines Lehrlings in einem großen Wohnheim vorzuziehen, weil in der Familie die Nestwärme da ist, die das Wohnheim nur schwer geben kann.
Da im übrigen die Beaufsichtigung der Betriebe, die Minderjährige beschäftigen, durch die Gewerbeaufsicht bereits ausreichend gewährleistet ist — wer es nicht glaubt, soll es im Jugendarbeitsschutzgesetz nachlesen —, ist eine weitere Beaufsichtigung und Überwachung durch das Jugendamt nicht mehr unbedingt nötig.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam: Um umstürzende Probleme der Subsidiarität geht es bei diesem Antrag ausnahmsweise nicht.
Zur Aussprache hat das Wort Frau Abgeordnete Pitz-Savelsberg.
9522 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zunächst zum Antrag der SPD zu § 19. Wenn wir dem Antrag zustimmen, nehmen wir 'die unehelichen Kinder aus dem Pflegekinderschutz heraus. Es war aber die Meinung des Ausschusses, in diesem Punkte nicht der Regierungsvorlage zu folgen, sondern den Pflegekinderschutz, wie er im geltenden Recht besteht, aufrechtzuerhalten. Auch Art. 6 Nr. 5 des Grundgesetzes ist kein Hindernis, diesen Pflegekinderschutz aufrechtzuerhalten. Diese Bestimmung lautet:
Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Sie müssen aber bedenken, daß die unehelichen Kinder ungleiche Startchancen gegenüber anderen haben; sie haben nicht die Geborgenheit und den Schutz, den ein Kind in der Familie hat. Das bedarf eines Ausgleiches. Der Pflegekinderschutz ist ein Mittel, hier einen Ausgleich zu schaffen.
Es besteht auch keine Doppelgleisigkeit mit der Vormundschaft. Vormundschaft und Pflegekinderschutz sind zwei getrennte Dinge. Das eine kann das andere nicht ersetzen, das eine muß neben dem anderen bestehen. Denken Sie allein an die gesundheitliche Aufsicht über solche Kinder, die irgendwo I in der Familie, meist in der näheren Verwandtschaft, untergebracht sind und die von einem Platz zum anderen gestoßen werden. Wir haben doch — das ist vom Ausschuß ausdrücklich erbeten worden — Zahlen bekommen, aus denen hervorgeht, daß die Säuglingssterblichkeit bei den unehelichen Kindern erheblich größer ist als bei den ehelichen. Wenn wir also — wie es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 31. Juli 1960 verlangt — zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen für das uneheliche Kind mit allen Mitteln des Rechts beitragen sollen, dann müssen wir hier diesen Ausgleich schaffen, dann dürfen wir das uneheliche Kind des Schutzes, der 'in der Pflegekinderaufsicht liegt, nicht berauben.
Konsequenterweise ergibt sich dann auch für den § 24, daß wir dem Antrag der SPD nicht folgen dürfen. Es handelt sich hierbei nicht darum, daß ein uneheliches Kind, das sich bei Verwandten befindet, Pflegekind ist; es handelt sich bei § 24 darum, daß das uneheliche Kind, das sich bei der Mutter befindet, der Pfl'eg'ekinderaufsicht untersteht. Es ist hier aber eine Einschränkung gemacht: die Aufsicht entfällt, wenn die uneheliche Mutter die elterliche Gewalt über ihr Kind hat. Wir haben im Familienrechtsänderungsgesetz die elterliche Gewalt der unehelichen Mutter geregelt und haben bestimmt, daß die volljährige Mutter auf Antrag nach Prüfung durch das Jugendamt die elterliche Gewalt über ihr Kind bekommen kann. In dem Fall ist auch gesichert, daß dieses Kind in seinen Chancen gegenüber dem Leben nicht zurückbleibt und daß man auf den Pflegekinderschutz verzichten kann.
Nun zum Antrag der FDP:
Minderjährige, die sich bei ihrem Lehrherrn oder Arbeitgeber befinden, gelten nicht als Pflegekinder, wenn die Pflegestelle von der nach Landesrecht zuständigen Behörde für ge- eignet erklärt ist und 'überwacht wird.
Wir haben jetzt alber auch für die Schulkinder, die in Internaten wohnen, eine Aufsicht, die durch die Schulverwaltung ausgeübt wird, vorgesehen. Wir müssen deshalb meines Erachtens für den Personenkreis im gleichen Alter entsprechende Maßnahmen treffen. - Herr Kollege Dürr, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen?
Frau Kollegin, sind Sie der Meinung, daß die Worte „Lehrherr" und „Arbeitgeber" in Buchstabe d etwas mit der Schule zu tun haben, oder sprechen wir hier aneinander vorbei?
Nein, wir sprechen genau über die Altersklasse der Jugendlichen bis zu 16 Jahren, die sich auf der einen Seite in fremder Pflege in einer Schule — in einem Internat — und auf der anderen Seite in fremder Pflege bei einem Lehrherrn befinden. Einige Länder haben sogar diese Art von Pflegekinderschutz bis zum 18. Lebensjahr, und sie sind gut damit gefahren. Ich habe mich unterrichten lassen, daß das in Berlin und in Rheinland-Pfalz der Fall ist. Wir müssen zugeben, daß die Verhältnisse bei dem heutigen Mangel an Lehrlingen in der Wohnung des Arbeitgebers, wo der Lehrling entweder Über Tag oder auch über Nacht untergebracht ist, besser sind, als das früher der Fall war. Trotzdem ist es notwendig, daß irgendeine Stelle nachprüft, ob dieses Kind, ein Kind bis zu 16 Jahren, nicht durch eine solche Unterbringung Schaden leidet; das können wir alle nicht wollen. Nach Landesrecht soll bestimmt werden, welche Stelle diese Aufsicht übernimmt. Es kann die Gewerbeaufsicht sein, es kann das Arbeitsamt sein, und es kann auch das Jugendamt sein. Das kümmert uns hier nicht. Hier legt der Gesetzgeber nur fest, daß eine nach Landesrecht zuständige Behörde feststellt, ob der Platz, an dem sich das Kind befindet, für .geeignet erklärt werden kann.
Da wir uns im Ausschuß mit Mehrheit einig waren, den Pflegekinderschutz in der alten Fassung zu belassen, und weil wir überzeugt davon waren, daß auf diese Weise die Chancen für die Kinder, die benachteiligt sind, vergrößert werden, sind wir auch hier der Meinung, daß dass geschehen muß. Ich bitte Sie, diese beiden Anträge zu den §§ 19 Abs. 2 Buchstabe b, 19 Abs. 2 Buchstabe d und 24 Abs. 1 Satz 2 abzulehnen.
Dais Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pitz, wir haben anscheinend nicht aneinander vorbei geredet, Sie haben mich nur nicht überzeugt. Sie haben gesagt, unter den Pflegekinderschutz müßten diejenigen Minderjährigen fallen, .die etwa vom Land sind, in der Stadt in
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Dürreinem möblierten Zimmer wohnen und in diesem Ort zum Gymnasium gehen; es sei eine richtige Gleichbehandlung, wenn man auch die Minderjährigen, die beim Lehrherrn oder Arbeitgeber in Kost und Wohnung sind, in gleicher Weise beaufsichtige. Soweit, so gut. Aber das Argument zieht nicht ganz. Denn wenn ,der Bäckerlehrling Friedrich Müller, der vom Lande stammt, beim Bäckermeister Meier in der Großstadt in Kost und Wohnung untergebracht ist, dann paßt auf sein Wohlbefinden das Gewerbeaufsichtsamt auf. Wenn aber der Obertertianer Müller, der vom Lande stammt, bei der Familie Meier in der Stadt „möblierter Zimmerherr" ist und das dortige 'Gymnasium besucht, dann paßt nach der bisherigen Regelung kein Mensch auf ihn auf. Er ist schutzbedürftiger als der Lehrling, auf den das Gewerbeaufsichtsamt aufpaßt. Deshalb können wir bei verschiedenen Voraussetzungen ohne weiteres verschiedene Tatbestände schaffen. Daher bitte ich Sie, sich überzeugen zu lassen, und unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich komme zur Abstimmung, zuerst über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 945 Ziffer 5 a. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich komme zum Antrag der Fraktion der FDP, Umdruck 962 Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich uni das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Ich komme nunmehr 'zur Abstimmung über Ziffer 1 •in 'der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um ,die Gegerprobe. — Angenommen.
Dann komme ich zu den Ziffern 2, 3 und 4. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich komme zu Ziffer 5, zugleich zu dem Antrag Umdruck 945 Ziffer 5b, der bereits begründet ist. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD — Umdruck 945 Ziffer 5 Buchstabe b — 'abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich 'um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; abgelehnt.
Ich komme zu Ziffer 5 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen 'wünscht, ,den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich komme zu den Ziffern 6, 7, 8, 9, 9 a, 9 b, 10 und 11. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um .das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich komme zu Ziffer 11 a, zugleich zu dem Antrag Umdruck 962 Ziffer 3. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dürr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der im Ausschuß eingefügte § 31 a soll — und da vermute ich wohl richtig — ein Bonbon für den Bundesrat sein, das man den Herren vom Bundesrat hinstreckt, indem man sagt: Was ihr auch einzuwenden haben mögt gegen dieses Gesetz, § 31 a gibt euch ,die Möglichkeit, landesrechtlich noch alles mögliche zu machen. Er gibt den Ländern z. B. die Möglichkeit, über den Katalog des § 19 hinaus in den Schutz für Pflegekinder noch soundso viele einzubeziehen, die dieses Hohe Haus mit Überlegung nicht unter den besonderen Pflegekinderschutz einbeziehen wollte. Das .dient keineswegs der Rechtseinheit, und ich glaube, man kann diese Bestimmung streichen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? Der Abgeordnete Mengelkamp hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Sie bitten, diesen Änderungsantrag der FDP abzulehnen. Wir haben den § 31 a auf Vorschlag des Bundesrates übernommen und hier eingefügt, weil wir — wie Frau Kollegin Pitz das vorhin schon ausgeführt hat — in verschiedenen Bundesländern bereits heute weitergehende Regelungen für die Pflegekinder haben. Ich erinnere an Berlin, ich erinnere an Rheinland-Pfalz. Wir wollen mit dieser Formulierung aber auch durchaus erlauben, daß in Zukunft die Länder über das, was wir in diesem Gesetz hier festgelegt haben, in Einzelfällen hinausgehen können. Wir haben mit dem Gesetz ohnehin eine Verbesserung von 14 auf 16 Jahre vorgenommen, wobei aber den Ländern .das Recht belassen bleibt, in Ausnahmefällen noch über diese Altersbegrenzung hinauszugehen. Ich bitte daher, den Änderungsantrag der FDP abzulehnen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung.Im Umdruck 962 der Fraktion der FDP, Ziffer 3, ist die Streichung beantragt. Ich lasse in üblicher Weise abstimmen, indem ich die Nr. 11 a selbst zur Abstimmung stelle. Wer also gestrichen haben will, muß mit Nein stimmen. Wer jedoch bei Nr. 11 a der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer das nicht will, wer streichen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Das erste war die Mehrheit; die Nr. 11 a ist angenommen. Damit ist der Antrag auf Streichung erledigt.Ich, lasse abstimmen über Art. III als Ganzes. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Art. III ist angenommen.Art. IV entfällt.Ich komme zu Art. V. Ich rufe auf die Nrn. 1, 1 a, 2, 3 und 4. Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgeru-
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Vizepräsident Dr. Jaegerfenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; das ist angenommen.Ich komme zu Nr. 5, zugleich zum Umdruck 945 Ziffer 6. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
und b) zusammen, Frau Schanzenbach!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten werde ich a) und b) zusammen begründen.
In Art. V Nr. 5, § 47, soll nach einem Vorschlag der SPD-Fraktion Abs. 1 a Satz 1 wie folgt geändert werden:
Die Vereine haben die Ausübung der Rechte und Pflichteneinem erzieherisch befähigten und namentlich zu benennenden Mitglied oder Angestellten zu übertragen. Die Übertragung ist in die Bestallung aufzunehmen.
Auch bei einer Vereinsvormundschaft muß die Verantwortlichkeit dem Mündel gegenüber ganz eindeutig klargestellt sein. Ein anonymer Vormund nutzt dem Kinde nichts. Mutter und Kind müssen genau wissen, mit wem sie es zu tun haben. Darum soll auch im Namen der Vereinsvormundschaft das Mitglied oder der Angestellte namentlich benannt und die Übertragung in die Bestallungsurkunde aufgenommen werden. Die Formulierung, die der Ausschuß gefunden hat, scheint uns unzureichend zusein; wir bitten deshalb, unseren Antrag anzunehmen.
Nach diesem Satz 1 soll ein Satz 2 folgen, der folgendermaßen lauten soll:
Die Übertragung an Mitglieder oder Angestellte eines Vereins ist nicht zulässig für solche Minderjährige, die in einem von dem Verein getragenen Heim untergebracht sind.
Wir halten es zum Schutze des Minderjährigen einfach für erforderlich, daß eine Trennung zwischen Vormund und Heimträger besteht. Es kann leicht zu Interessenkollisionen zwischen dem Heimträger oder dem vielleicht als Vormund bestellten Erzieher einerseits und den vormundschaftlichen Notwendigkeiten zum Schutze des Jugendlichen andererseits kommen. Die in der Ausschußvorlage getroffene Regelung bietet für den Jugendlichen keinen genügenden Schutz. Wir bitten deshalb, die von uns vorgelegte Formulierung anzunehmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Frau Abgeordnete Welter!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Forderung, die Personen, die von den Vereinen als Vormünder eingesetzt werden, namentlich zu benennen, würde bedeuten, daß hier die Einzelvormundschaft eingeführt wird, was dem Wesen der Vereinsvormundschaft widerspricht. Wir glauben, daß die Bestimmungen des Gesetzes, daß rechtsfähige Vereine, die vom Landesjugendamt für geeignet erklärt werden, auch die Gewährbieten, daß die Vereinsvormundschaft im Sinne des Wohles des Kindes ausgeübt wird. Wir bitten, den Antrag abzulehnen, weil die Vereinsvormundschaft eine wichtige und unentbehrliche Einrichtung auf dem Gebiete der Jugendpflege ist.
Den Antrag:
'Die Übertragung an Mitglieder oder Angestellte eines Vereins ist nicht zulässig für solche Minderjährige, die in einem von dem Verein getragenen Heim untergebracht sind
halten wir für zu weitgehend. Es kann sehr wohl sein, daß ein Träger Heime in verschiedenen Orten hat und daß eine Vormundschaft über ein Kind ausgeübt werden kann, das in einem fremden Ort in einem Heim untergebracht ist. Wir halten die Bestimmung des Gesetzes:
Dies ist nicht zulässig, wenn das Mitglied den Minderjährigen in einem Heim des Vereins als Erzieher betreut
für vollkommen ausreichend, aber auch für notwendig.
Infolgedessen bitte ich Sie, die Anträge abzulehnen.
Wird weiter das das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall..
Ich komme zur Abstimmung. Ich darf über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 945 Ziffer 6 Buchstaben a und b gemeinsam abstimmen lassen. Wer also diesem Antrag Ziffer 6 Buchstaben a und b zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; abgelehnt.
Ich komme zu Ziffer 5 der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die 'Mehrheit; angenommen.
Ich lasse abstimmen über den Art. V als Ganzes. Wer zuzustimmen wünscht, dein bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Angenommen.
"Ich komme zu Artikel VI und rufe die einzelnen Paragraphen auf: 56, 57, 58, 59, 60, 60 a, 61, 62, 63. Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zu § 64 und zugleich zu Umdruck 945 Ziffer 7. Bitte, Frau Abgeordnete Eilers!
Herr Präsident! Meine 'Damen und Herren! Zum Antrag Ziffer 7 auf Umdruck 945 zur Novelle des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes möchte ich für die Fraktion der SPD folgende Begründung geben.
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Frau Eilers
Wir beantragen die Streichung des zweiten Halbsatzes in § 64 Satz 1: „weil 'der Minderjährige zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist". Wir wollen diese Formulierung ersetzten durch die Worte „weil die geistige oder seelische Entwicklung des Minderjährigen erheblich geschädigt oder von einem solchen Schaden bedroht ist".In der Öffentlichkeit wurde schon oft darauf hingewiesen, daß der Wunsch aller Fachgremien, ein umfassendes, modernes und der Situation der heutigen Jugend angepaßtes Jugendrecht zu schaffen, in dieser Novelle nicht verwirklicht wird. Ganz besonders trifft das für den Abschnitt VI — Erziehungsbeistandschaft, Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung — zu.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Ausspruch des Sachverständigen Herrn Professor Dr. Sieverts bei der Anhörung im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen vom 12. Januar 1961 zitieren:Um es offen zu sagen: Auch die Kommission ist grundsätzlich enttäuscht, daß nicht die Reform des VI. Abschnittes des RJWG im Rahmen einer Gesamtreform des Jugendfürsorgerechts geschieht, sondern daß man sich wegen der hier schon mehrfach erwähnten Umstände nur auf eine Novelle beschränkt. Auch der AFET befürchtet, daß dadurch die dringende Reform des Jugendhilferechts auf lange Zeit hinausgeschoben wird. Ursprünglich war die ganze Arbeit des AFET darauf abgestellt, daß eine Gesamtreform kommen würde.Herr Professor • Dr. Sieverts ist Vorsitzender der Fachkommission „Reform ides RJWG" beim AFET.Der AFET — der Allgemeine Deutsche Fürsorgeerziehungstag — ist eines der maßgebenden Gremien in Fragen des Jugendrechts in der Bundesrepublik, das auf einer 55jährigen Erfahrung aufbaut, ein namhaftes Gremium also. Der AFET hat schon einige Vorschläge zur Neufassung des Art. VI erarbeitet und speziell die Entwicklung von der freiwilligen öffentlichen Erziehung zur richterlich angeordneten öffentlichen Erziehung dargelegt. Man hat es sich beim Allgemeinen Deutschen Fürsorgeerziehungstag nicht leicht gemacht. Seit rund acht Jahren sind die Fragen der Reform der Fürsorgeerziehung und der freiwilligen Erziehungshilfe in Fachgremien und Konferenzen diskutiert worden.Die Ausschußmitglieder der SPD-Fraktion hatten aus dieser Erkenntnis heraus ,den kaum abgeänderten Vorschlag des Allgemeinen Deutschen Fürsorgeerziehungstages als Antrag zum Abschnitt VI der Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz im Ausschuß eingebracht, obwohl sie sich bewußt waren, daß er in die Gesamtkonzeption dieser Novelle und ihrer Sprache nicht ganz einzupassen war. Wir wollten aber mit diesem Antrag unser Bemühen zeigen, diese „kleine Reform" in fachlicher Hinsicht doch wenigstens in bestmöglicher Weise zu verabschieden.Wir waren bemüht, der Fürsorgeerziehung das Ansehen des „letzten Mittels" zu nehmen. Weniger der Gefährdungsgrad des Jugendlichen als die Bereitschaft der Eltern zur Mitarbeit sollte der Maßstab zur freiwilligen oder zur richterlich angeordneten öffentlichen Erziehung sein. Leider haben unsere Bemühungen im Ausschuß, diesen Gedankengängen einen Durchbruch zu verschaffen, zu keinem Erfolg geführt.Genausowenig, oder besser, noch weniger als der veraltete Begriff der Fürsorgeerziehung ist in unserer 'heutigen Gesellschaft der der Verwahrlosung haltbar. Der Begriff der Verwahrlosung entstammt noch einer Zeit der Zwangserziehung der 70er und 80er Jahre, als die Fürsorgeerziehung noch sehr stark kriminalrechtlich ausgerichtet war, als Kinder und Jugendliche noch unter dem gleichen Strafrecht wie Erwachsene standen, als der Sühnegedanke dem Erziehungsgedanken noch weit voranstand. Dieser Begriff der Verwahrlosung ist leider 1922 wieder in das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz übernommen worden, gewissermaßen als ein letztes Relikt aus der damaligen Entwicklung. Man hat zwar den Begriff der Verwahrlosung später dahingehend zu interpretieren versucht, er habe nichts mit Kriminalität zu tun. Tatsächlich hat dieses Wort aber in der Bevölkerung den gleichen schlechten Klang. Der Stempel der Verwahrlosung bildet für manchen jungen Menschen in seiner später oft geordneten Entwicklung ein Hemmnis für die Zukunft.In der Praxis macht man bei den Jugendämtern und bei den Vormundschaftsgerichten immer wieder die Erfahrung, daß der Kontakt mit den Eltern in dem Moment zerbricht oder zumindest stark gefährdet ist, in dem ihnen die Verwahrlosung ihres Kindes bescheinigt wird. Sowohl von Richtern als auch von Jugendfürsorgern wird es als notwendig angesehen, hier einen anderen Begriff zu finden. Die Schwierigkeiten und Gefährdungen unserer heutigen jungen Generation sind zudem so, daß sie mit der Verwahrlosung im alten Sinne gar nicht mehr zu erfassen sind und daß dieses Wort nicht alles deckt, was tatsächlich gemeint ist. Wir haben daher die eben von mir zitierte Neufassung des zweiten Halbsatzes in § 64 vorgeschlagen.Die Bedenken des Familienministeriums gegen eine solche Formulierung waren verfassungsrechtlicher Natur. Da in Artikel 6 Abs. 3 GG erst die Verwahrlosung die Herausnahme eines Kindes oder Jugendlichen aus seiner Familie gestattet, glaubte man, auch in der Novelle zum Jugendwohlfahrtsgesetz diesen Begriff beibehalten zu müssen. Nach einem Schreiben des ,Familienministeriums an die Fachkommission des Allgemeinen Deutschen Fürsorgeerziehungstages vom 12.5. 1961 hält das Justizministerium die Bedenken seiner verfassungsrechtlichen Abteilung in dieser Frage nicht mehr aufrecht. Wir haben das dankbar begrüßt, wird doch dadurch die Stellungnahme vieler Fachleute zu dieser Frage bestätigt.So besteht wenigstens in diesem Punkt eine Möglichkeit, die Atmosphäre des gerichtlichen Verfahrens zu entspannen. Mit dem Fallen dieser in der Fachwelt am meisten angefeindeten Formulierung der Verwahrlosung ist mit einer guten Fortentwicklung der öffentlichen Erziehungshilfe zu rechnen.
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9526 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Frau Eilers
Gerade die Beseitigung des Verwahrlosungsbegriffs wird es ermöglichen, den immer wieder zitierten Grundsatz des Gesetzentwurfs zu verwirklichen, daß eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Eltern, Vormundschaftsgericht und Jugendamt gewährleistet sein soll. Was trotz aller politischen Spannungen und Gegensätzlichkeiten beim Bundessozialhilfegesetz gelungen ist — ein fachlich gutes Gesetz zum Wohle der Empfänger der Hilfe zu schaffen —, sollte auch bei dieser Novelle möglich sein und den Weg öffnen für ,einige Formulierungen, die den Forderungen unserer Zeit gerecht werden.Ich möchte Sie daher bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu Ziffer 7 des Umdrucks 945. Ich will mich sehr kurz fassen. Die Mehrheit des Ausschusses hat in ihrem Beschluß zu § 64 an dem Begriff ,der Verwahrlosung als Voraussetzung für die Anordnung der Fürsorgeerziehung festgehalten. Dies entspricht auch dem Willen des Grundgesetzgebers, wie er in Art. 6 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Gegen den Willen der Eltern dürfen danach Kinder von ihren Eltern nur getrennt werden, wenn die Kinder zu verwahrlosen drohen oder verwahrlost sind. Der Begriff „verwahrlosen" im Grundgesetz könnte nur dann durch einen anderen Begriff ersetzt werden, wenn sich dieser vollinhaltlich mit dem Begriff des Grundgesetzes deckt. Das ist bei dem Vorschlag der SPD auf Umdruck 945 aber nicht der Fall. Es kann nicht anerkannt werden, daß jede erhebliche Schädigung der Entwicklung eines Minderjährigen stets eine drohende Verwahrlosung oder gar eine Verwahrlosung selbst darstellen müßte. Zwar sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein Minderjähriger einmal oder gelegentlich erheblich in seiner Entwicklung geschädigt worden ist; aber diese Schädigung muß nicht in jedem Falle zu einer drohenden Verwahrlosung führen. Die Rechtsprechung hat den Begriff der Verwahrlosung definiert. In dem Kommentar von Riedel zum Jugendwohlfahrtsgesetz, 2. Auflage von 1955, finden Sie auf den Seiten 214 bis 216 eine umfangreiche Rechtsprechung zu diesem Begriff. Danach steht fest, daß unter Verwahrlosung zu verstehen ist „ein erhebliches Sinken des geistigen, sittlichen oder körperlichen Zustandes des Kindes unter den Durchschnitt". Auch wenn man diesen Begriff der Rechtsprechung der Formulierung im SPD-Antrag gegenüberstellt, wird deutlich, daß nicht jede erhebliche Schädigung, insbesondere einmaliger Art, schon ein erhebliches Sinken unter den Durchschnitt darstellen muß.
Ich bitte deshalb, diesen Antrag abzulehnen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 945 Ziffer 7. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 64 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 65, — 66, — 67, — 68, — 69 und 70. — Keine Änderungsanträge, keine Wortmeldungen. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen nunmehr zu § 71. Zugleich rufe ich die Umdrucke 946 und 975 auf. Zur Begründung des letzteren hat der Abgeordnete Dürr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es sich hier bei dem Antrag Umdruck 975 keineswegs um einen hochpolitischen Antrag handelt. Sie brauchen ihn also nicht deshalb abzulehnen, weil er von der FDP gestellt worden ist.
Es handelt sich um folgendes Problem. Ist ein Minderjähriger in Fürsorgeerziehung, so muß den Eltern oder den Personensorgeberechtigten, sofern das nicht die Eltern sind, sein Aufenthalt mitgeteilt werden. Nun gibt es aber unvernünftige und widerborstige Personensorgeberechtigte, die daran denken, den Minderjährigen aus der Fürsorgeerziehung zu entführen. So etwas soll schon vorgekommen sein. Wenn so etwas schon passiert ist oder droht, dann soll das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Landesjugendamtes anordnen können, daß der Unterbringungsort nicht mitzuteilen ist, wenn durch die Mitteilung der Erziehungszweck ernstlich gefährdet wird. So weit ist sich alles einig.Nun schlagen CDU und SPD in Umdruck 946 vor, man solle gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts, der die Nichtmitteilung des Aufenthaltsorts des Minderjährigen anordnet, den Personensorgeberechtigten und den Eltern die Beschwerde, und zwar die unbefristete Beschwerde zuerkennen. Auch damit gehen wir einig.Aber jetzt kommt folgender Fall: Der Antrag des Landesjugendamtes, man möge den Personensorge-berechtigten nicht mitteilen, in welcher Fürsorgeerziehungsanstalt sich der Minderjährige befindet, wird vom Vormundschaftsgericht abgelehnt. Was geschieht dann? Dann rennt der Personensorgeberechtigte in schnellem Schritt vom Vormundschaftsrichter zum Jugendamt und erklärt den Beamten des Jugendamtes: Her mit der Adresse des Minderjährigen, der Herr Vormundschaftsrichter hat es angeordnet. Daraufhin sagt der Herr vom Jugendamt: Ja, das ist richtig, ich weiß aber noch nicht, ob
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Dürrdas Landesjugendamt dagegen Beschwerde mit aufschiebender Wirkung einlegen wird, deshalb sage ich vorläufig nichts.
Das heißt, das Jugendamt kann einen Beschluß des Vormundschaftsgerichts, daß die Anschrift des Minderjährigen mitzuteilen ist, einfach eine zeitlang sabotieren, und wenn sich das Landesjugendamt auch noch ein bißchen Zeit läßt, kann es große Schwierigkeiten geben, insbesondere deshalb, weil die Personensorgeberechtigten oder Eltern von Minderjährigen, die einen Minderjährigen schon einmal aus der Fürsorgeerziehung entführt haben, mit aller Wahrscheinlichkeit rabiate und widerborstige Personen sind.Hier muß man deshalb nach unserer Ansicht den Satz 5, d. h. den zweiten Satz in Ihrem Änderungsantrag Umdruck 946, streichen. Wenn dann der Vormundschaftsrichter anordnet, den Personensorgeberechtigten und den Eltern den Aufenthaltsort mitzuteilen, dann soll es das Landesjugendamt eben dabei belassen. Es ist nicht gefährlich, wenn das Landesjugendamt kein Beschwerderecht gegen diesen Beschluß hat.Wie gesagt, hochpolitisch ist die Frage nicht. Wir haben diesen Antrag nur gestellt, weil wir befürchten, daß die Fassung des Änderungsantrags Umdruck 946 in der Praxis zwar nicht zu zahlreichen, aber zu einigen Schwierigkeiten führen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe zunächst den Änderungsantrag Umdruck 946 und spreche dann zu dem Änderungsantrag Umdruck 975.
Der Änderungsantrag Umdruck 946 dient der Klarstellung. Nach § 24 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat eine Beschwerde nur dann eine aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen eine Verfügung gerichtet ist, durch die eine Strafe festgesetzt wind. In § 71 Abs. 5 erübrigt sich deshalb die ausdrückliche Bestimmung, daß 'die von den Personensorgeberechtigten oder den Eltern gegen den anordnenden Beschluß eingelegte Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat.
Wird jedoch vom Landesjugendamt die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluß eingelegt, so erscheint die ausdrückliche Bestimmung erforderlich, daß diese Beschwerde aufschiebende Wirkung hat. Hätte die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung, so wäre das Landesjugendamt, falls der Minderjährige bereits untergebracht ist, genötigt, die Mitteilung über den Unterbringungsort, noch bevor über die Beschwerde entschieden ist, zu erteilen. Würde sodann der Beschwerde stattgegeben, so hätte das Landesjugendamt praktisch nur noch die Möglichkeit, den Minderjährigen in einer anderen
Familie oder in einem anderen Heim, in einer anderen Anstalt unterzubringen.
Ob diese unerwünschte Folge durch eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 3 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit vermieden werden kann, ist zweifelhaft. Nach dieser Bestimmung kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung anordnen, daß die Vollziehung der angefochtenen Verfügung auszusetzen ist. Es empfiehlt sich deshalb, in § 71 Abs. 5 ausdrücklich zu bestimmen, daß die Beschwerde gegen den 'ablehnenden Beschluß 'aufschiebende Wirkung hat.
Durch den Änderungsantrag soll ferner erreicht werden, daß das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde in das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde umgewandelt wind. Die sofortige Beschwerde wäre binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Den Personensorgeberechtigten und den Eltern sollte jedoch die 'Möglichkeit gegeben werden, 'von diesem Rechtsmittel auch zu einem späteren Zeitpunkt Gebrauch zu machen.
Ich bitte +daher, dem Antrag auf Umdruck 946 zuzustimmen. Den Antrag auf Umdruck 975 bitte ich abzulehnen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich glaube, es ist zweckmäßig, wenn ich jetzt zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 975 abstimmen lasse. Das ist rein Änderungsantrag zu dem Änderungsantrag Umdruck 946. Wer dem Änderungsantrag der FDP auf Umdruck 975 zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 946 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr komme ich zu dem Änderungsantrag — unverändert — der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 946. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen!
Damit komme ich zu § 71 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen!
Dann rufe ich auf die §§ 72, — 73, — 74, — 75, —75 a, — 75 b. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen!
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9528 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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9530 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
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— Ist das eine böse Bemerkung, wenn ich sage „ein sorgfältig präpariertes Referat"?
— Das 'ist ein großes Kompliment, wenn ich sage, dais ist ein sorgfältig präpariertes Referat. Ich weißnicht, ob der Kollege Arndt das als böswillige Bemerkung auffaßt.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Kollege Dr. Arndt hat geglaubt, uns den Vorwurf machen zu sollen, bei diesem Gesetz handle es sich um eine Abwertung des Staates. Ich glaube, Herr Kollege Dr. Arndt, daß hier ein Unterschied in unseren Auffassungen deutlich wird. Soweit ich es jetzt aus dem Stegreif formulieren kann, scheinen uns doch z. B. diese Verschiedenheiten zu trennen: Der Staat ist auch eine Klammer der Gesellschaft; der Staat ist auch oberster Richter und Schlichter; der Staat ist die vollkommenste Gemeinschaft, die in gegliederter Vielheit das Zusammenleben in Recht und Freiheit ordnet; er ist eine Gemeinschaft, die sich auf den Menschen, die Familie und das Eigentum gründet. Darin werden schon einige unterschiedliche Auffassungen deutlich. Von diesem Ausgangspunkt, nämlich vom Menschen, der Familie und der Freiheit der Gesellschaft aus gesehen, hat auch der Förderalismus, über den wir hier einmal gestritten haben, seinen Sinn. Denn es geht um ein geistiges Prinzip. Wenn es darum geht, ein in unserer geistigen, personalen Freiheit begründetes Prinzip herzustellen, kann man nicht von einer Abwertung des Staates sprechen, dann muß man von der rechten Begründung des Staates selbst, von der rechten Ordnung der Gewalt des Staates im Verhältnis zu seinen Bürgern und zu seinen Familien sprechen.
Für uns, Herr Kollege Dr. Arndt, ist der Staat etwas mehr als ein mechanistisches Prinzip, mehr als das man sagt: Hier die Gemeinde, da das Land und da der Bund; für uns ist der Staat eine durchgehende Sache. Für uns hat der Staat das Zusammenleben vieler Gruppen in allen diesen Stufen zu regeln. Es geht um eine Ordnung des Rechts und der Freiheat in allen diesen Stufen. in allen diesen Stufen, im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden, geht es darum, die Privatinitiative, die Freiheit des einzelnen, der Familie und des Eigentums gegenüber der öffentlichen Gewalt abzugre nzen. Dazu wird hier ein Beitrag geleistet.
Herr Kollege Dr. Arndt, Sie sprachen im zweiten Teil Ihrer Rede von dem originären Recht der Gemeinden. Hierzu kann ich nur ja sagen. In einer der letzten Debatten haben wir uns darüber unterhalten. Das Recht auf Selbstverwaltung ist originär; das ist gar keine Frage. Aber wenn Sie formulieren, die Gemeinde sei — hoffentlich habe ich richtig mitgeschrieben — nur eine Kraft der freien Gesellschaft, dann ist das zwar zum Teil auch richtig, Herr Kollege Dr. Arndt, aber es geht doch an der Wirklichkeit vorbei, es ist auch ein wenig zu formalistisch; denn in der Gemeinde geschieht doch auch ein Stück Realisierung von Gemeinwohl. Sie hat doch auch ein Stück Hoheit zu vertreten. Sie hat auch Funktionen des Gemeinwohls. Sie hat z. B. das Recht, Steuern zu erheben, Sie ist in der Wirklichkeit dieser Welt auch eine kommunale Gebietskörperschaft. Daran
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9534 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Dr. Barzelkönnen Sie nicht einfach vorbeigehen, indem Sie hier ausschließlich von der Gemeinde als einer Kraft der freien Gesellschaft sprechen. Nein, sie ist auch eine Stufe einer funktional föderativ verstandenen Staatsordnung, die vom Menschen ausgeht.Sie glauben, uns vorwerfen zu sollen, hier würden die Gemeinden verstaatlicht. Nein, verehrter Herr Kollege Arndt, wir bemühen uns hier wirklich, ein Stück Entstaatlichung zu bewirken, auch ein Stück Entkommunalisierung. Das ist, so betrachtet, Entstaatlichung, weil wir der Person und der Privatinitiative Freiheit geben.Herr Kollege Dr. Arndt, etwas hat mich bestürzt — ich kann es hier nur sehr kurz sagen —, nämlich Ihre These, daß der Staat keine Aufgabensperre gegenüber den Gemeinden vornehmen dürfe. Wie denn das? Was macht das Grundgesetz? Das Grundgesetz verteilt die Kompetenzen: dies ist originär Sache der Gemeinden, dies ist originär Sache der Länder, und dies ist Sache des Bundes. Wie anders soll der Rechtsstaat leben, wenn die Kompetenzen nicht klar abgegrenzt sind! Ich war böse an das Volksbefragungsurteil des Bundesverfassungsgerichts erinnert, wonach ja klar war: Diese Sache ist auf dieser Ebene staatlicher Hoheit nicht zu machen. Ich glaube, vom Rechtsstaat her bestehen doch erhebliche Bedenken dagegen, zu sagen, der Staat dürfe gegenüber den Gemeinden keine Aufgabensperre vornehmen. Was ist das eigentlich für ein Gegeneinander von Staat und Gemeinden, wie man es hier offensichtlich versteht? Für uns ist die Gemeinde zugleich ein Stück Gesellschaft und ein Stück Staat.Herr Kollege Dr. Arndt, ich meine deshalb, daß Sie anläßlich der Beratung dieses Gesetzes in dem Vortrag, .den man nachlesen muß, vielleicht doch ein bißchen über ein Thema geredet haben, das hier gar nicht so sehr zur Debatte steht. Zur Debatte steht die Abgrenzung zwischen öffentlicher Gewalt und der Freiheit der Bürger, diesmal in der Sphäre der Gemeinde. Das ist das Thema. Dieses Thema ist auf allen Ebenen öffentlicher Gewalt gestellt. Wenn Sie, Kollege Arndt, am Schluß sagten, durch dieses Gesetz gängelten wir ,den Bürger, dann kann ich dazu nur ein Nein sagen. Wir befreien sie,
wir befreien sie z. B. davon, daß so etwas geschieht, wie es in der Stadt Köln zu der Zeit geschah, als die Mehrheitsverhältnisse dort für uns noch ungünstiger waren: daß die katholische Jugend mit Majorität aus dem Jugendwohlfahrtsausschuß ausgeschlossen wurde! Daß so etwas nicht wieder sei, daß alle diese Gruppen wirklich voll zur Geltung kommen, — auch das ist Sinn dieser Gesetzgebung!
Es geht also nicht darum, die Bürger zu gängeln. Im Gegenteil — das ist in § 4 doch ganz klar gesagt — die Bürger und die Eltern sollen selbst frei entscheiden, welche Einrichtungen sie wollen; sie sollen sich nicht dem hingeben müssen, was irgendeine Mehrheit — sei es die Ihre, sei es die unsere, sei es eine andere — für alle verordnen zu müssen glaubt. Nein, sie sollen selbst sagen, wie es in den Fragendes Jugendwesens gehen soll, so oder so, konfessionell oder nichtkonfessionell oder gemeindlich. Alles das sollen die Bürger selbst bestimmen können. Dies ist nicht ein Gesetz zur Gängelung, sondern ein Gesetz zur Herstellung von Freiheit. Und wenn Sie, Herr Kollege Arndt, das als Gängelung bezeichnen, dann allerdings trennen uns Welten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen kurz vor dem Ende der Beratungen über den ersten Gesetzentwurf, der federführend aus dem Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen gekommen ist. Meine Damen und Herren, der Entwurf war auch danach,
und zwar nicht nur wegen — —
— Ich will Ihnen auch sagen, Herr Kollege Even, warum: nicht nur wegen der uns bereits seit Jahren bekannten Grundrichtung des Herrn Ministers, sondern auch wegen der Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit, die Sie aus der Drucksache ersehen können.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen: so viele Verbesserungen eines Regierungsentwurfs, wie in der Drucksache 2854 in Fettdruck in der rechten Spalte stehen, haben Sie kaum bei einem anderen Gesetz gesehen, und zwar Verbesserungen auch bei Paragraphen, die nicht hochpolitisch sind, sondern bei denen einfach geschludert worden ist. Damit ist bewiesen, was ich behauptet habe.
Wir stehen am Ende der Beratungen über ein Vorschaltgesetz, über das soundsovielte Vorschaltgesetz. Wir haben im 3. Deutschen Bundestag auf allen möglichen Gebieten mit Vorschaltgesetzen so schlechte Erfahrungen gemacht, daß sich alle Parteien im stillen verschwören sollten, im 4. Deutschen Bundestag mit Vorschaltgesetzen mehr als sparsam zu sein.Dieses Vorschaltgesetz ist von ausgesprochenem Mißtrauen gegen die Gemeinden getragen;
Herr Kollege Dr. Arndt hat mit Recht darauf hingewiesen. Sehr verehrte, liebe Frau Kollegin Dr. Weber: § 4 Abs. 3 zeigt dieses Mißtrauen gegenüber den Gemeinden am allerdeutlichsten. Es ist dem Kollegen Rollmann zu danken, daß er schon am Anfang der Beratungen im Ausschuß einen Kompromißvorschlag gemacht hat, der schließlich zum § 4 Abs. 3 Satz 3 geführt hat, um dieses im Entwurf steckende Mißtrauen gegen die Gemeinden wieder
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9535
Dürrabzuschwächen. Aber Herrn Rollmann traf bei der zweiten Lesung Memmels Dolchstoß,
und der Satz 3 ist aus dem § 4 Abs. 3 wieder herausgenommen worden. Warum? Das wußte der Herr Memmel ganz genau, und das wußte an dem Vormittag in Berlin, als wir beschlossen, den Satz 3 in § 4 Abs. 3 hineinzunehmen, auch Frau Schanzenbach ganz genau. Da hat sie mir nämlich — Frau Kollegin, darf ich es ausplaudern — ins Ohr geflüstert: Hoffentlich stimmen wir über diesen § 4 Abs. 3 Satz 3 noch heute morgen alb; es sind bestimmt in der CDU ein paar Leute, die diesen Satz 3 aus dem Gesetz heraushaben wollen.
— Ichwill Ihnen eines sagen: es sind auf allen Seiten dieses Hauses Schnellmerker und Ganzschnellmerker, und bei der schnellen Abstimmung durch einen schnellen Präsidenten haben eben vielleicht die Ganzschnellmerker die Schnellmerker überflügelt. Das kommt vielleicht einmal vor.
Meine Damen und Herren, wir haben hier ein Vorschaltgesetz, das eingebracht war und in dessen Beratungen ein Ereignis hineinfiel, das zu besonderer Vorsicht hätte Anlaß geben müssen. Dieses Ereignis war das Karlsruher Fernsehurteil. Wir haben alle keinen Anlaß, auf das Karlsruher Fernsehurteil entweder mit Schadenfreude oder mit Ärger über dasangeblich falsche Urteil zu sehen. Wir haben allesamt Anlaß, uns den Kopf darüber zu zerbrechen, was sich aus diesem Karlsruher Urteil ergibt. Wir halben uns sehr wenig den Kopf darüber zerbrochen; die angeforderte 'Stellungnahme des Rechtsausschusses steht bis heute noch aus.
Nun, bei der Spannweite der CDU sind zwar Differenzen möglich; aber wie sich der Herr Minister zudieser Differenz einstellt, würde mich interessieren.Eins hat Herr Minister Wuermeling bei diesem Gesetz jedenfalls hingekriegt, genauso wie bei § 48 des Ehegesetzes, wo der Herr Minister Wuermeling auch als Pate im Hintergrund stand. Wer's nicht glaubt, soil seine Sonntagsreden der letzten drei Jahre nachlesen.
— Wie bitte, Herr Kollege Bausch?
— Ich verbreite eine unverschämte konfessionelle Hetze? Herr Kollege Bausch, Sie kommen gerade eben herein, haben noch nicht zehn Worte von mir gehört und bringen gleich zwanzig Worte als Zwischenruf. Sie sind ein Ganzschnellmerker.
Herr Abgeordneter Bausch, wir wollen die Dinge nicht verschärfen. Der Vorwurf der Unverschämtheit ist auf jeden Fall nicht gerechtfertigt.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie weiter!
Herr Kollege Bausch, daß Sie gerade mit reden anfangen, wo kaum die Tür, zu der Sie hereingekommen sind, hinter Ihnen zugegangen ist, beweist, daß Sie intuitiv alles erfaßt haben, was in der letzten Viertelstunde hier gesprochen worden ist.
Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen: Lassen Sie mich weiterreden und benutzen Sie die Rednerliste, die auch Ihnen freisteht.
Ich sage: Der Herr Minister Wuermeling hat wie bei § 48 des Ehegesetzes, zu dean er auch Pate gestanden hat, sehr stark dafür gesorgt, daß die parteipolitischen Auseinandersetzungen hochkamen. Die Atmosphäre in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der freien und der behördlichen Jugendhilfe ist auf lange Zeit hinaus getrübt. Ich bedauere sehr, dem Herrn Minister Wuermeling in diesem Punkt sagen zu müssen, daß er „Minister mit der unglücklichen Hand" gewesen ist.
Herr Abgeordneter Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Könen?
Bitte sehr!
— Darf ich nach diesem „wirtschafts"- politischen Ratschlag des Kollegen Könen weiterfahren
und zu unserem Änderungsantrag Umdruck 979 etwas sagen. — Ich bitte Herrn Kollegen Bausch den Antrag Umdruck 979 auf grünem Papier zu lesen, damit er den Verhandlungen folgen und weitere Zwischenrufe machen kann! —
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9536 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
DürrDer Antrag Umdruck 979 ist eine typische Kompromißformulierung. Wir haben in der zweiten Lesung dem Änderungsantrag der SPD zu § 2 zugestimmt.Was der Regierungsentwurf zu § 4 Abs. 3 gebracht hat, war das einzige, was von dein Gerede über den Baustopp herausgekommen ist. Das ist nämlich 'der absolute Baustopp für die Gemeinden für Einrichtungen der Jugendarbeit. Ich habe bereits vorher mit Dank erwähnt, daß auf Initiative des Kollegen Rollmann und anderer schließlich und endlich im Ausschuß in § 4 Abs. 3 Satz 3 noch eine gewisse Milderung hereinkam. Wir haben in § 4 Abs. 3 Satz 2 aber eine sehr harte Muß-Bestimmung. Da heißt es:Soweit geeignete Einrichtungen und Veranstaltungen der Träger der freien Jugendhilfe vorhanden sind, erweitert oder geschaffen werden, ist von eigenen Einrichtungen und Veranstaltungendes Jugendamts abzusehen.Wir wollen diese Formulierung im Interesse der guten partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf eine Soll- Bestimmung zurückentwickeln, damit das Elternrecht nicht so stranguliert wird, wie es, wenn man § 4 Abs. 3 Satz 3 streicht, geschehen wäre.Wir bitten Sie deshalb, unserem Änderungsantrag Umdruck 979 zuzustimmen. Aus dem Verhalten der Mehrheitspartei sehe ich zwar, daß sie möglicherweise auch diesem unserem Änderungsantrag nicht zustimmen wird. Nun, meine Damen und Herren, dann stimmen Sie unseren Änderungsantrag nieder! Damit haben Sie dann aber dokumentiert, daß die von so ehrenwerten Herren wie Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier und anderen zum Einmarsch der Liberalen in die CDU weit geöffneten Türen mit gütiger Nachhilfe von Herrn Minister Wuermeling knallend zugeschlagen worden sind.
Wir müssen leider voraussehen, daß dieses Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zu einem Verfassungsgerichtsprozeß in Karlsruhe führen wird. Meine Damen und Herren von der GDU, Sie werden vielleicht sagen: Diesen Verfassungsgerichtsprozeß werden wir genauso gewinnen, wie wir die nächste Wahl mit absoluter Majorität gewinnen! — Aber beides ist noch nicht sicher.Das Wesentlichste, was wir anstreben sollten, ist auch nicht, ob man schließlich und endlich Verfassungsgerichtsprozesse gewinnt. Wir sollten uns hier zusammenraufen, um Verfassungsgerichtsprozesse möglichst zu vermeiden.
Aber Sie haben verfassungsrechtlich mehr als anfechtbare Bestimmungen in diesen Entwurf eingebaut, und Sie haben sie mit Ihrer Mehrheit durchgesetzt. Ein wenig fühle ich mich bei Ihrer entschiedenen, höchst entschiedenen, höchst disziplinierten Haltung an das alte Wort der Römer erinnert: Hoc volo, sic jubeo, sit pro ratione voluntas. Auf Deutsch in der Übersetzung von HerrnSchmücker: Wir werden trotz des besseren Sachverstandes unsere politische Ansicht durchsetzen! — Tun Sie es, wenn Sie es wollen!
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart, daß wir den Entwurf zu Ende beraten und erst dann in die Fragestunde eintreten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine ganz kurze Bemerkung. Ich habe nämlich nicht die Absicht, irgendwie auf das Niveau der Rede 'des Herrn Kollegen Dürr hinunterzusteigen.
Herr Kollege Dürr, mit diesen Methoden der Behandlung eines wichtigen Anliegens werden Sie der Bedeutung der Stunde nicht gerecht.
Im übrigen hat Herr Kollege Dürr eine einzige sachliche Frage an mich gerichtet, die ich sachlich beantworten möchte. Er fragte, was mein Ministerkollege Osterloh in Schleswig-Holstein zu meinem Standpunkt und zu den Formulierungen dieses Gesetzes sage. Ich kann Sie, Herr Kollege Dürr, dahin beruhigen, daß ich mit Herrn Kollegen Osterloh, mit dem ich seit 'der Zeit, als er in meinem Ministerium tätig war, immer noch in enger Verbindung stehe, während der Beratung 'des Gesetzes ständig in Fühlung gestanden habe und daß der Herr Minister Osterloh in dieser Frage absolut mit mir einig ist.
Es ist Ihnen also auch hier wieder dieses schmutzige Geschäft nicht gelungen, das Sie immer wieder versuchen: konfessionellen Hader in die Reihen der CDU zu treiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte meinen, daß die Art, in der der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen hier Wertungen abgegeben hat, der Würde des Hauses nicht entspricht.
— Meine Damen und Herren, wenn Ihre Pfui-Rufe meine Amtsführung betreffen, werde ich die Sitzung aufheben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
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Herr Präsident! Meine Damen und Hernien! Ich beabsichtige nicht, mich mit der Diktion und den Formulierungen des Herrn Familienministers näher zu beschäftigen.
— Wenn Sie fertig sind, werde ich weitersprechen. Wenn Sie aber noch lange reden, gehe ich wieder hinunter.
Meine Damen und Herren, ich meine, wir können die Verhandlung in Ruhe zu Ende führen.
Frau Abgeordnete Dr. Lüders, fahren Sie fort!
Die Formulierung, Herr Minister, die Sie hier benutzt haben, entspricht nicht gerade dem, was man unter den Wirkungen einer guten Erziehung versteht.
— Sind Sie fertig? — Wer schreit denn da hinten so?
— Ja, sind wir hier in einem Parlament oder sind wir hier in einer Kneipe?
Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt 23 Jahre Parlamentarierin. Es ist Ihnen vorbehalten geblieben, sich so zu benehmen, wie es hier jetzt der Fall gewesen ist. Aber auch solche Minister haben wir in der Weimarer Republik nicht gehabt!
Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, daß wir es jetzt mit den persönlichen Verunglimpfungen und auch den persönlichen Bemerkungen bewenden lassen und uns bemühen, die sachliche Debatte zu Ende zu führen.
Meine Damen und Herren! Als ehemals verantwortlicher Initiator dieses Gesetzes in der alten Fassung, für seine gesetzliche Gestaltung, für seine Formulierungen, für die Möglichkeiten seiner Durchführung, bin ich erstaunt über die Mühe, die man sich in diesem Gesetzentwurf gegeben hat, den wahren Zweck des Gesetzes unter einem guten alten Namen zu verbergen. Denn von dem, was eigentlich hätte gemacht werden können und sollen, steht in dem Gesetzentwurf, soviel ich sehen kann, so gut wie nichts. Es handelt sich nicht um bessere Möglichkeiten für die Wohlfahrt der Jugend, sondern es handelt sich um die möglichst weitgehenden Möglichkeiten für die
Wohlfahrt der Verbände aller Art, einerlei, ob überparteilich, überkonfessionell oder auch konfessionell.
Gegen den Versuch, die Verbände zurückzudrängen und alles für die Durchführung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes einzig und allein dem Staat und den Gemeinden in die Hand zu geben, habe ich seinerzeit im Reichstag mit Entschiedenheit protestiert, und ich bin dort für die Rechte der Verbände und Vereine mit Erfolg eingetreten. Damals wurde versucht, die Vereine und Verbände und die freie Wohlfahrtstätigkeit möglichst beiseite zu schieben und alles den Gemeinden und dem Staat in die Hand zu geben. Ich war damals der Meinung, das sei nicht gut, und bin mit meiner Meinung durchgedrungen. Genauso bin ich heute der Meinung, daß es ebenso wenig gut ist, nunmehr den Versuch zu machen, alles in die Hand der Verbände, der Organisationen und ihrer letztlich doch nicht öffentlich verantwortlichen Organe zu legen.
Für mein Gefühl handelt es sich hier um einen gewissen politischen Zweck, der mit dem Gesetz erreicht werden soll. Ich glaube, es tut nicht gut, wenn man in einem Gesetz, das so objektiv wie nur irgend möglich sein soll, die Initiative schwergewichtig auf eine einzige Seite legt und, wie es hier zu sein scheint, die Absicht hat, die Bürger von der Initiative möglichst auszuschalten, oder sagen wir milde: fernzuhalten. Ich glaube nicht — und die Vereine mögen es mir nicht übelnehmen —, daß wir reich genug an Ideen, an Möglichkeiten sind, um die Initiative der Bürger nur durch Organisationen zu ersetzen. Ein Verein und eine Gemeinde sind bekanntlich nicht dasselbe.
Was mir hierbei auch noch auffällt, ist, daß man dann, wenn man das Schwergewicht allein auf die Vereine und die Organisationen legt, weitgehend auf die Initiative der Bürgerschaft verzichtet. Diese ist aber unbedingt notwendig, wenn das Gesetz eben nicht einseitig gestaltet werden soll. Ich glaube, das Gesetz zeigt sehr deutlich, was damit beabsichtigt ist, diesen Weg zu gehen, wie er hier vorgezeichnet ist, und darauf müssen wir doch wohl einigen Wert legen. Es wird zwar alles in die Hand der Organisationen gelegt; aber wenn es ans Bezahlen kommt, dann sollen Länder und Gemeinden bezahlen, und sie werden dann ganz gehörig blechen müssen, um das durchzuführen, was die Verbände aller Art um ihretwillen für notwendig halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 regelt vorzugsweise in seinen §§ 6 und 4 das Verhältnis zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe. Nach § 6 hat das Jugendamt die freiwillige Tätigkeit zur Förderung der Jugendwohlfahrt unter Wahrung ihrer Selbständigkeit und ihres satzungsmäßigen Charakters zu unterstützen, anzuregen und
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9538 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Rollmannzur Mitarbeit heranzuziehen. § 4 Abs. ,1 bezeichnet es als eine Aufgabe des Jugendamtes, auf bestimmten Gebieten der Jugendhilfe Einrichtungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen. In der amtlichen Begründung der Reichsregierung zum Entwurf eines Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes heißt es dazu:Die Fassung soll verdeutlichen, daß die eigene Tätigkeit des Jugendamtes gegenüber der privaten Betätigung, der freiwilligen Tätigkeit hier als eine subsidiäre gedacht ist;
das Jugendamt hat dafür zu sorgen, daß auf den einzelnen Gebieten der Jugendhilfe die erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen getroffen werden, indem es Nichtvorhandenes durch seine Anregungen ins Leben zu rufen sucht, Vorhandenes fördert und erst angesichts der Unmöglichkeit, daß ohne sein eigenes Eingreifen das Erforderliche ins Leben gerufen wird, selbst die nötigen Einrichtungen und Veranstaltungen schafft.Im Einklang mit der amtlichen Begründung und auch mit den Beratungen des Deutschen Reichstages sagen alle Kommentare zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, daß es Aufgabe des Jugendamtes ist, Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe anzuregen und zu fördern. Erst dann, wenn diese Einrichtungen trotz Anregung und Förderung des Jugendamtes nicht geschaffenwerden — erst in diesem Augenblick darf das Jugendamt selbst Einrichtungen errichten. Ich darf mich hier auf die Kommentare von Friedeberg-Polligkeit, von Potrykus, von Muthesius und Riedel beziehen. Meine Damen und Herren, unter welchen Gesichtspunkten auch immer man das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 betrachten mag, in seinem § 4 hat es den Vorrang derfreien vor der öffentlichen Jugendhilfe zum Gesetz erhoben.
Das RJWG von 1922 ist zwar einstimmig vom Deutschen Reichstag verabschiedet worden. Der gesetzliche Vorrang der freien vor der öffentlichen Jugendhilfe aber ist in den vergangenen Jahren in der Praxis vieler Jugendämter, insbesondere in sozialdemokratisch verwalteten Gemeinden, immer weniger beachtet worden. Wenn sich Einrichtungen der Jugendhilfe als notwendig herausgestellt haben, haben diese Jugendämter die Träger der freien Jugendhilfe nicht zuerst angeregt und gefördert, solche Einrichtungen zu schaffen, sondern sie haben sie gleich selbst ins Leben gerufen.Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, war es notwendig, daß die Bundesregierung durch den Herrn Bundesminister für Familien- und Jugendfragen hier im Bundestag eine Novelle einbringen ließ, durch die der Vorrang der freien vor der öffentlichen Jugendhilfe so zwingend gefaßt werden soll, daß er künftig auch für sozialdemokratisch verwaltete Gemeinden einfach unumgänglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den Reden, die hier vorhin gehalten worden sind, ist Herr Minister Dr. Wuermeling von verschiedenen Seiten sehr stark persönlich angegriffen worden. Ich möchte Herrn Minister Wuermeling und seinen Mitarbeitern den Dank unserer Fraktion für diese Vorlage sagen,
die er an das Parlament geleitet hat und die uns die Möglichkeit geben wird, nunmehr die Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland, wie wir glauben, bedeutend zu verbessern.Meine Damen und Herren, es ist vorhin im Laufe der Debatte verschiedentlich von der Stellung, von der Bedeutung und von den Aufgaben der Gemeinden gesprochen worden. Wenn das im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz verankerte Rangverhältnis der freien und der öffentlichen Jugendhilfe in den vergangenen Jahren in den Kommunen ein wenig mehr beachtet worden wäre, als es tatsächlich der Fall war, dann hätten wir uns insoweit diese Novelle ersparen können.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, Sie selbst und Ihre Kollegen in den Kommunen sind es in diesen vergangenen Jahren gewesen, die weitgehend die Ursachen für diese Novelle geschaffen haben.
Diese Novelle, die wir hier heute zu verabschieden haben — —
Ich habe es nicht aufgenommen. Herr Abgeordneter Könen, Sie haben dem Redner vorgeworfen Verleumdung und
— Lümmel. Ich rufe Sie zur Ordnung.
— Herr Abgeordneter Schoettle, ich rufe Sie ebenfalls zur Ordnung.
— Ich darf doch allen Ernstes bitten — —
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9539
Meine Damen und Herren, diese Novelle — —
Ich muß feststellen, daß die Schärfe von beiden Seiten in die Verhandlung hineingetragen wird. Das scheint mir wirklich nicht der Sache zu dienen.
Herr Abgeordneter Rollmann, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, diese Novelle, wie sie heute zur Verabschiedung ansteht, verändert das Rangverhältnis der öffentlichen und der freien Jugendhilfe, wie es im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz gesetzlich festgelegt ist, in keiner Weise. Diese Novelle verdeutlicht dieses Rangverhältnis nur. Daß von sozialdemokratischer Seite heute abend hier und draußen im Lande landauf und landab das 'Gegenteil behauptet worden ist, beweist nichts anderes, als daß Sie das Rangverhältnis der öffentlichen zur freien Jugendhilfe im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz bisher einfach nicht zur Kenntnis genommen haben.
Auch deshalb ist diese Novelle und die Verdeutlichung des Rangverhältnisses, die sie mit sich bringt, dringend notwendig.
Aber wie immer man diese Novelle ansehen mag, eines wird auch von seiten der sozialdemokratischen Opposition eingeräumt werden müssen: Wir haben in dieser Novelle keinen absoluten Vorrang — —
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch bitten, etwas Ruhe zu bewahren.
— Bitte, Herr Abgeordneter Schröter, wir wollen dem Redner die Möglichkeit geben, seine Ausführungen zu Ende zu bringen.
Bitte, Herr Abgeordneter Rollmann!
Wir haben in dieser Novelle keinen absoluten Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe geschaffen, sondern einen Vorrang, der nur in Übereinstimmung mit dem Elternwillen ausgeübt werden kann. Das konnte schon der von der Regierung vorgelegten Formulierung des § 4 Abs.. 3 in Verbindung mit § 2 a entnommen werden. Das ist vollends deutlich geworden — und das hat ja dankenswerterweise auch die Anerkennung des Herrn Kollegen Dürr gefunden — durch den neuen Satz 3, den wir dem § 4 Abs. 3 angefügt haben. Häher als der Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe steht der Wille der Eltern, von deren Vertrauen und Auftrag die Träger der freien Jugendhilfe erst ihre Legitimation empfangen. Die Träger der freien Jugendhilfe würden sich auch mit Recht dagegen verwahren, in ihren Einrichtungen junge Menschen betreuen zu müssen, von deren Eltern sie abgelehnt werden.
Wir werden einen neuen Paragraphen, den jetzigen § 5 a in das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz einfügen. Im § 1 des Reichsjugendwahfahrtsgesetzes heißt es:
Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.
Ich wiederhole meine Bitte, doch etwas Ruhe zu bewahren. Das entspricht doch nicht der sachdienlichen Abwicklung unserer Aufgabe. Ich bitte, die Privatgespräche einzustellen. .
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, Sie können ruhig weiter lärmen; ich lasse mich von Ihnen hier nicht niederschreien.
Auf Grund der Formulierung des § 5 a wird künftig kein deutsches Kind in einem Kindergarten der Kirche, in. einem Haus der Arbeiterwohlfahrt, in einem Heim eines freien Jugendverbandes nur deswegen schlechter gestellt sein als das Kind in einer entsprechenden kommunalen Einrichtung, weil die Finanzkraft der Träger der freien und der öffentlichen Jugendhilfe unterschiedlich ist. Das Recht eines jeden Kindes auf eine seiner Situation entsprechende: Jugendhilfe wird durch den § 5 a verwirklicht werden, unabhängig davon, ob diese Jugendhilfe durch die Träger der öffentlichen oder — ebenfalls unter Einsatz öffentlicher Mittel — durch die Träger der freien Jugendhilfe gewährt wird. 'Dem Gleichheitsgrundsatz, der zum Nachteil der Kinder, die in den Einrichtungen der freien Jugendhilfe betreut werden, so lange nicht beachtet worden ist, wird auf diese Weise endlich auch im Bereich der Jugendhilfe Geltung verschafft werden. Wir haben die Novelle, die hier heute abend zur Verabschiedung ansteht, — —
Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Bitte schön!
Herr Kollege, sollte es Ihnen entgangen sein, 'daß Sie die Seiten, auf denen die eben von Ihnen vorgelesenen Ausführungen stehen, vor zwei Minuten schon einmal vorgelesen haben?
Herr Kollege Schmidt, Sie haben sich vor zwei Minuten wahrscheinlich gerade unterhalten und meine Ausführungen nicht gehört.
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9540 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
RollmannMeine Damen und Herren, wir haben den Entwurf der Novelle seit Beginn dieses Jahres mit aller Sorgfalt im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen des Deutschen .Bundesrates beraten. Wir haben insgesamt 17 Sitzungen, darunter sieben ganztägige, abgehalten. Der Regierungsentwurf hat in den vergangenen Monaten während der Beratungen im Ausschußinsgesamt ca. 50 Veränderungen und, wie wir glauben, Verbesserungen erfahren. Die .Behauptung, die vorhin von dem Kollegen von Mühlen aufgestellt worden ist, dieses Gesetz sei in alter Eile durch das Parlament und seine Ausschlüsse hindurchgejagt worden, isteinfach unwahr. Selten ist ein Gesetz so eingehend beraten worden wie dieses.
Meine Damen und Herren, vor dem Plenum des Bundestages — —
Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Keilhack?
Frau Keilhack ! : Herr Rollmann, ich möchte Sie gern einmal fragen: Woher wissen Sie, daß die Gesetze sonst viel weniger lange erarbeitet worden sind? Sie arbeiten doch zum ersten mal in diesem Haus an einem Gesetz?
Liebe Frau Kollegin Keilhack, ich spreche ja nicht nur für mich persönlich, sondern als Vertreter meiner Fraktion, und das ist die Auffassung meiner Fraktion.
Vor dem Plenum des Bundestages möchte ich auch ausdrücklich hervorheben, wie sehr Wir uns in diesen vergangenen Monaten um eine Verständigung mit den sozialdemokratischen Kollegen bemüht haben. Ich habe persönlich die Hoffnung gehabt, daß die ausdrückliche Verdeutlichung des Elternwillens in § 4 Abs. 3 Satz 3, der hoffentlich auf unseren Antrag wieder in dieses Gesetz eingefügt werdenwird, die Sozialdemokraten zu einer freundlicheren Betrachtung dieses Gesetzes und seiner Grundkonzeption veranlassen würde. Aber wie Ihr Verhalten hier heute erneut zeigt, war und ist Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz nicht zu bekommen. Das ist bedauerlich, aber letzten Endes aus Ihrer parteipolitischen Sicht verständlich. Der Einfluß, den Sie dank Ihrer Stellung in den Gemeinden über kommunale Kindergärten, Häuser der Offenen Tür und Jugendheime auch politisch auf die junge Generation ausüben, wird durch diese Novelle zwar nicht beseitigt, wird sich aber auch in Zukunft nicht mehr weiter so ausdehnen können wie bisher.
Es sind, meine Damen und Herren, innerhalb und außerhalb dieses Hauses von sozialdemokratischer Seite viele Argumente — —
Herr Abgeordneter Rollmann, der Herr Abgeordnete Wittrock möchte eine Zwischenfrage an Sie richten.
Bitte, Herr Abgeordneter Wittrock.
Herr Kollege, kann aus Ihrer Äußerung, daß eis darauf ankomme, den Einfluß der Sozialdemokraten in den Gemeinden zu vermindern, entnommen werden, daß es der bewußte Zweck dieses Gesetzes ist, die Gemeinden zu gängeln?
Das kann nicht daraus geschlossen werden, Herr Kollege Wittrock. Leider haben Sie nicht genau auf meine Formulierung geachtet.
Es sind von sozialdemokratischer Seite innerhalb und außerhalb des Hauses viele Argumente gegen diese Novelle vorgebracht worden. Ich möchte einen maßgeblichen sozialdemokratischen Kommunalpolitiker aus Norddeutschland zitieren, den Bürgermeister Dr. Nevermann, der einmal in der Hamburger Bürgerschaft gesagt hat:Wir wollen einen Staat, der selbst die Verantwortung für die Sicherheit und die Wohlfahrt übernimmt, der selber seinen Bürgern hilft, damit sie ihn lieben können, ihr Land, ihre Stadt, ihre Heimat. Ergänzend kann private Hilfe in Anspruch genommen werden, aber das Primat für die Verantwortung und die Wohltat hat der Staat, die Gemeinde des 'Bürgers.
Meine Damen und Herren, wenn man dieses Wort von Herrn Dr. Nevermann auf den Bereich der Jugendhilfe anwendet, stellt man fest, daß hier nicht einmal mehr von der sonst so viel gepriesenen Partnerschaft und Gleichrangigkeit der öffentlichen und freien Jugendhilfe die Rede ist.
Hier findet sich vielmehr der absolute Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe.
Meine Damen und Herren, das Wort von Herrn Bürgermeister Dr. Nevermann ist so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was christlich-demokratische Politik immer gewesen ist und immer sein wird. Wir leugnen gewiß nicht die letzte Verantwortung des Staates und der Gemeinde für die Bereiche der Jugend-, der Sozial- und Gesundheitshilfe. Aber müssen deswegen denn Staat und Gemeinde überall selbst und unmittelbar in Erscheinung treten? Das sollten uns doch die langen Jahrzehnte einer Entwicklung hin zum Wohlfahrts- und fast schon
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9541
Rollmannzum Versorgungsstaat immer mehr bewiesen haben, daß die Liebe des Bürgers zu Staat und Gemeinde nicht durch • mehr, sondern allenfalls durch weniger Staat, durch weniger Gemeinde wachsen kann.In der Individualsphäre des Menschen wollen wir nicht so viel, sondern so wenig Staat wie möglich. Wir wollen nicht die Verstaatlichung oder auch nur die Kommunalisierung des einzelnen Menschen.
Unsere Konzeption der Jugend-, der Sozial- und der Gesundheitshilfe ist nicht von den Interessen von Staat und Gemeinde, sondern von der Persönlichkeit des einzelnen Menschen und von seinen Bedürfnissen her bestimmt. Nicht wir als Bundestag, nicht die Kommunen, nicht die freien Träger, sondern der hilfsbedürftige Mensch und — im Bereich der Jugendhilfe — seine Eltern sollen letzten Endes selbst darüber entscheiden, ob sie eine freie oder eine öffentliche kommunale Einrichtung in Anspruch nehmen wollen.Unsere Konzeption des Vorrangs der Träger der freien Jugend-, Sozial- und Gesundheitshilfe gründet sich darauf, daß in unserem pluralistischen Staat die immer notwendiger werdende religiöse und weltanschauliche Lebens- und Persönlichkeitishilfe eben nicht so sehr vom religiös und weltanschaulich neutralen Staat, von der neutralen Gemeinde, sondern in erster Linie von den Kirchen und von den Weltanschauungsgemeinschaften gegeben werden kann. Unsere Konzeption des Vorrangs der freien Träger gründet sich auf der Überzeugung, daß ein freier Staat einer freien gegliederten Gesellschaft bedarf und daß immer dann, wenn diese freie Gesellschaft selbst Aufgaben wahrnimmt, Staat und Gemeinde zu helfen und im übrigen zurückzustehen haben. — Insofern, meine Damen und Herren, kann man sagen, daß dieses Gesetz, das hier heute abend zur Verabschiedung ansteht, vielleicht in einer ganz besonderen Weise ein Gesetz der Freiheit,
der Freiheit des einzelnen Menschen und der Freiheit der Gesellschaft ist.
Meine Damen und Herren, diese Novelle ist vor einiger Zeit in einer Nummer der Hamburger Lehrerzeitung als „Spanische Novelle" bezeichnet worden. Der Senator für Jugend und Sport in Bremen, Frau Senator Mevissen, hat vor einiger Zeit im „Vorwärts" geschrieben: „Beunruhigend wird der Gesetzentwurf dadurch, daß der Gesetzgeber versucht, durch diese Novelle eine Neuordnung von Staat und Gesellschaft vorzunehmen, deren Konzeption sich gründet auf idem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre." Wie mir berichtet worden ist, hat heute ab end der Kollege Jahn außerhalb des Plenarsaals zu einem Kollegen unserer Fraktion gesagt, der heutige Tag sei der Tag der Gegenreformation unter protestantischer Führung.
Der Herr Kollege Lohmar hat von den „katholischen Konsequenzen" unseres Freundes Rommerskirchen gesprochen, mit dem ich mich völlig einig weiß, und er hat an einer anderen Stelle in seiner Rede zur zweiten Lesung gesagt, daß in der CDU ein „Druck des katholischen Mehrheitsflügels" herrsche. Meine Damen und Herren, dazu gehören immer zwei, nämlich diejenigen, die einen solchen Druck ausüben, und die anderen, die sich einen solchen Druck gefallen lassen.
Sie versuchen seit Monaten ununterbrochen in. der Argumentation draußen im Lande und mehr oder minder deutlich auch heute abend hier in diesem Plenarsaal, aus der Frage der. Verabschiedung der Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz eine konfessionelle Frage zu machen. Ich möchte Ihnen hier eines sagen: es wird Ihnen nicht gelingen, wegen dieses Gesetzes den evangelischen Volksteil gegen den katholischen und den katholischen Volksteil gegen den evangelischen aufzubringen.
Sie verschweigen doch überall bei Ihrer Propaganda innerhalb und außerhalb dieses Hauses,
daß gerade die von Ihnen abgelehnten Bestimmungen dieser Novelle voll und ganz die Zustimmung der zuständigen Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland gefunden haben,
der Evangelischen Kirchenkanzlei, der Inneren Mission, des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland und schließlich auch der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands.Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, ich glaube, daß Sie sich lange nicht so sehr in Widerspruch zu den Auffassungen der Evangelischen Kirche in Deutschland gesetzt haben wie durch die Ablehnung der Grundkonzeption dieser Novelle.
Ich möchte noch ein Wort zur Stadtstaatenklausel sagen, weil wir uns in der Tat sehr lange überlegt haben, ob wir im Laufe des Novellierungsverfahrens einen Antrag auf Beseitigung oder Umformulierung der Stadtstaatenklausel einbrinlgen sollten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lohmar?
Herr Kollege Rollmann, ich möchte Sie nur fragen dürfen, ob Ihnen bekannt ist, daß man bei der Eigenart der Evangelischen Kirche schlecht von einer Auffassung der Evangelischen Kirche sprechen kann, sondern allenfalls von Auffassungen und Überzeugungen evangelischer Christen!
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9542 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Verehrter Herr Kollege Lohmar, ich habe hier von der Auffassung zuständiger Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland gesprochen;
das ist die Kirchenkanzlei, das ist der Evangelische Wohlfahrtsverband: die Innere Mission, das ist das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland und das ist schließlich die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland!
Es ist Ihnen, Herr Kollege Lohmar, unbenommen, sich die „Beiträge zur Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz'' zu besorgen, die von diesen Vereinigungen herausgegeben worden 'sind und die Ihnen sicherlich auch zur Verfügung stehen werden.
Ich möchte ein Wort zur Stadtstaatenklausel sagen; ich wurde in dieser Frage gerade unterbrochen. Wir haben uns überlegt, ob wir diese Stadtstaatenklausel beseitigen oder dem Plenum dieses Hauses eine Umformulierung vorschlagen sollten. Man hat diese .Stadtstaatenklausel in Hamburg und Bremen dazu benutzt, die freien Jugendverbände und Jugendwdhlfahrtverbände vom Jugendwohlfahrtsausschuß auszuschließen und ihnen damit die Möglichkeit einer wirksamen Einflußnahme auf die Gestaltung der Jugendhilfe in diesen beiden Städten zu nehmen.
Die entscheidenden Gremien für die Jugendhilfe in Hamburg und Bremen sind die nach rein politischen Gesichtspunkten zusammengesetzten Deputationen, die ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten sind und in denen die freien Jugendverbände und Jugendwohlfahrtsverbände nicht vertreten sind. Wir haben auf eine Änderung verzichtet, weil wir glauben, daß vielleicht die Verdeutlichung des Rangverhältnisses der 'öffentlichen und der freien Jugendhilfe in § 4 Abs. 3 ausreichen wird, künftighin auch in Hamburg und Bremen die Entfaltungsmöglichkeiten des freien Raumes zu sichern.
.Sollte sich aber die Entwicklung fortsetzen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, werden wir uns nicht scheuen, im nächsten Deutschen Bundestag eine Novelle einzubringen, die sich mit der Stadtstaatenklausel und ihren Auswirkungen auf das Verhältnis der behördlichen zur freien Jugendhilfe in Hamburg und Bremen beschäftigt.
Meine Damen und Herren, hier ist verschiedentlich von einer Konfessionalisierung der Jugendarbeit gesprochen worden, die angeblich von uns durch diese Novelle erreicht werden soll. Auf Grund des 'Gesetzes erhalten aber beispielsweise der Ihnen nahestehende Wohlfahrtsverband: die Arbeiterwohlfahrt, und die Jugendverbände sozialistischer und gewerkschaftlicher Prägung die gleichen Rechte, die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen Verbände der Jugendwohlfahrt und die freien Jugendverbände sonst in Deutschland.
Wenn Sie davon sprechen, daß durch diese Novelle eine Konfessionalisierung der Jugendarbeit erreicht werden soll, könnte man doch aber mit der gleichen Berechtigung sagen, daß die Jugendarbeit nun in die Hände der Arbeiterwohlfahrt gegeben werden soll. Das ist doch bisher in der Propaganda, die Sie im Lande gegen die Novelle gemacht haben, völlig unterdrückt worden: diese Novelle ist keine Novelle für die Konfessionen, keine Novelle für die Kirchen, keine Novelle für die christlichen Ver- bände, sondern die Novelle kommt allen Jugendwohlfahrtsverbänden, allen Jugendverbänden, ganz egal, welchen weltanschaulichen Charakter sie im einzelnen haben mögen, zugute.
Aber, meine Damen und Herren, Sie haben von der
Konfessionalisierung der Jugendarbeit bereits —
Herr Abgeordneter Rollmann, darf Frau Keilhack eine Frage stellen? Sind Sie einverstanden?
Bitte!
Herr Rollmann, glauben Sie nicht, daß das reichlich utopisch ist, was Sie von der Gleichheit der Möglichkeiten für die Wohlfahrts- und Jugendverbände gesagt haben? Wir haben in das Gesetz die Bestimmung über aufzubringende Eigenleistungen hineingenommen. Glauben Sie nicht, daß der geringe Anteil an Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt und der sozialistischen Träger nicht zuletzt dadurch entstanden ist, daß hier Eigenleistungen nicht in dem Maße aufgebracht werden können, wie das im konfessionellen Raum der Fall ist?
Verehrte Frau Kollegin Keilhack, dann appellieren Sie bitte einmal in gleicher Weise an die Opferbereitschaft der Anhänger der Arbeiterwohlfahrt, wie ständig an die Opferbereitschaft der gläubigen Christen beider Konfessionen appelliert wird.
Sie haben von der Konfessionalisierung der Jugendhilfe gesprochen. Im Jahre 1953, als wir durch die letzte Novelle — —
Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten sie eine Zwischenfrage? — Sie wollen nicht mehr. Bitte, fahren Sie fort!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9543
Meine Damen und Hierren, Sie haben von der Konfessionalisierung der Arbeit der Jugendwohlfahrt gesprochen, als wir im Jahre 1953 durch .die erste Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz den Jugendwohlfahrtsausschuß mit den Vertretern der freien Jugendhilfe wieder ins Leben gerufen haben. Sie sprechen heute von der Konfessionalisierung der öffentlichen Jugendhilfe. Der Vorrrang, den wir jetzt in dieser Novelle verdeutlicht haben, wird genausowenig eine Konfessionalisierung der Jugendwohlfahrt zur Folge haben, wie die Besetzung der Jugendwohlfahrtsausschüsse im Jahre 1953 mit den Vertretern der freien Jugendhilfe eine Konfessionalisierung der Jugendarbeit zur Folge gehabt hat.
Im übrigen schreckt uns Ihr Vorwurf der Konfessionalisierung auch nicht. Wir wissen sehr genau, wie segensreich seit Jahrzehnten die Jugendhilfe der beiden großen christlichen Kirchen und der christlichen Verbände für unser ganzes Volk und seine junge Generation gewesen ist.
Wir wissen, daß im Bereich der konfessionellen Jugendhilfe, um mit Ihrer Formulierung zu sprechen, Menschen aus der Kraft ihres Glaubens seit Jahrzehnten tagaus, tagein, Vorbildliches für die junge Generation geleistet haben und leisten.
Meine Damen und Herren, wer im freien Staat die freie, gegliederte Gesellschaft will, wer in ihr den freien mündigen Staatsbürger und also auch freie mündige Eltern will, wird diesem Gesetz seine Zustimmung geben müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
Verehrte Damen und Herren! Bei gewissen gesetzgeberischen Materien scheint es unvermeidlich zu sein, 'daß sich die Berufungen auf d i e Evangelische Kirche häufen,
wie das am heutigen Tage mehrfach passiert ist. Als wir im April dieses Jahres hier über das Sozialhilfegesetz debattieren, erklärte ein Sprecher der CDU-Fraktion — es war der Herr Maucher —, die damals hier erörterte Vorlage habe die Billigung d e r Evangelischen Kirche. Ich habe das zum Anlaß genommen, der Sache nachzugehen, und habe festzustellen mich bemüht, wer im Namen der Evangelischen Kirche zu der damaligen Vorlage wem etwas gesagt habe. Das Endergebnis ist gewesen, daß eine solche Stellungnahme d e r Evangelischen Kirche überhaupt nicht vorgelegen hat.
Ich habe als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Sitzung vom 18. Mai dieses Jahres den Vorgang zur Sprache gebracht. Im Protokoll des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist unter dem 18. Mai wörtlich folgendes niedergelegt:
Es muß den politischen Stellen klargemacht werden, daß die einzelnen Landeskirchen oder kirchlichen Werke in sozialen Fragen verschiedener Meinung sein können. Nur in Fragen von besonderer Wichtigkeit wünscht der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, sich die Entscheidung vorzubehalten.
Das bedeutet: Nur wenn eine 'Eiklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vorliegt, könnte man sagen, daß die Evangelische Kirche in Deutschland zu einer Sache gesprochen habe.
— Ich komme darauf; seien Sie nicht so ungeduldig.
— Sie hat weder damals vorgelegen, noch liegt sie in dieser Materie vor. Allenfalls kann zitiert werden — und das hat Herr Rollmann vorhin getan —, daß die Innere Mission oder diese oder jene andere kirchliche Stelle dies oder das gesagt habe. Dann wäre es meines Erachtens aber richtig, wenn auch andere Stimmen evangelischer Organisationen zitiert würden. Das allein, in solcher Ausgewogenheit vorgetragen, würde überhaupt erst einen Überblick über die evangelische Meinungsbildung zu einem Thema ermöglichen.
Nehmen Sie bitte nur zur Kenntnis, daß auch zu den Fragen dieses Gesetzes im evangelischen Bereich von wesentlichen Personen, z. B. von dem Leiter der Inneren Mission hier im Rheinland, Dr. Ohl in Langenberg, andere Auffassungen vertreten werden, als sie Herr Rollmann vorgetragen hat. Wenn schon, dann tragen Sie bitte alles vor. Vor allen Dingen aber möge es endlich einmal aufhören, daß so pauschal von d e r Evangelischen Kirche gesprochen wird!
Das Wort hat der Abgeordnete Könen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zorn ist verraucht. Sie brauchen sich also nicht darauf zu freuen, daß ich hier an der Grenze des parlamentarisch Zulässigen vorbeimarschiere und dem Herrn Präsidenten vielleicht dadurch Ungelegenheiten bereite. Ich habe vorhin gut zugehört, was man hier sagen darf. Herr Rollmann hat bei irgendeiner Sache erklärt: Das ist einfach unwahr. Herr Rollman, was Sie hier in einer unglaublichen und leichtfertigen Verallgemeinerung —
— Lassen Sie mich den Satz doch wenigstens zu Ende reden! Ich habe mal etwas von Duldsamkeit gehört; das ,soll eine christliche Tugend sein.Herr Rollmann, was Sie hier in einer leichtsinnigen und unglaublichen Verallgemeinerung gesagt haben über das, was in den sozialdemokratischen Gemeinden passiert sei, das habe erst dazu geführt, daß man diese Verschärfungen und Untermauerungen des Vorrangs der Jugendhilfe in dieser Novelle hätte hineinbringen müssen, ist, wenn ich Ihre eigenen Worte gebrauchen darf, einfach unwahr.
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Könen
Ich sage das nicht nur im Namen meiner Freunde und in meinem eigenen Namen, im Namen derer, die sich davon getroffen fühlen, ich spreche hier auch im Auftrag all der vielen Sozialdemokraten, die gemeinsam mit den Jugendvertretern Ihrer Verbände und mit den Stadtverordneten Ihrer Partei für die freie Jugendhilfe geschuftet haben, jahrelang geschuftet haben, und ich verbitte mir diese Unterstellungen.
Ich werde nicht die Tatsache, daß der Jugendwohlfahrtsausschuß der Stadt Düsseldorf in der vergangenen Woche mit dem Trick des § 43 der Gemeindeordnung operierend sich ,gesperrte Beträge unter den Nagel reißen wollte, dazu benutzen, in diesen Bundestag zu kommen und zu sagen, daß dort, wo die CDU die Mehrheit hat, sie mit solchen Geschichten private Geschäfte für ihre Jugendarbeit macht. Das werde ich nicht tun. Die Dinge, die in Düsseldorf passiert sind, sind nicht in Ordnung. Das werden wir in Düsseldorf erledigen. Wir werden aber nicht anständige und saubere Demokraten — Sozialdemokraten —
in den Gemeinden beleidigen lassen.
Ich bin ja eigentlich noch zu jung gewesen, um nähere Beziehungen zum Kulturkampf zu kriegen, aber eine miserable Rede in einem schlechten Kulturkampfstil habe ich mir so vorgestellt, wie sie der Herr Rollmann hier gehalten hat.
Ich habe hier eine kurze Notiz über seine Bemerkungen über .die Evangelische Kirche. Ich kann sie streichen. Diese Angelegenheit hat der Kollege Dr. Heinemann erledigt.Aber, Herr Rollmann, das darf ich Ihnen zum Schluß sagen: Sie sollten nicht so losmarschieren. Wir sind auch unten in der Gemeinde darauf angewiesen, daß wir uns trotz gegenteiliger politischer Auffassung bei der Arbeit für unsere jungen Menschen eines sachlichen und sauberen Benehmens befleißigen. Wenn Sie hier davon gesprochen haben, daß Persönlichkeitshilfe nötig wäre, muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Einen Hamburger habe ich mir anders vorgestellt! Lassen 'Sie sich Persönlichkeitshilfe zuteilen.
In der Einzelberatung rufe ich auf den Art. II, zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 979 zu Nr. 2. Der Antrag ist bereits begründet. Ich kann ihn zur Abstimmung stellen. Wer dem Antrag zustimmt, gebe Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag ,der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 982 — ebenfalls zu Art. II
Nr. 2 — auf. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Kemmer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Memmel hat es vorhin geschafft, auf allen Seiten des Hohen Hauses eine Verwirrung herbeizuführen, und so ist der Satz 3 des § 4 Abs. 3 mit den Stimmen der FDP und der SPD — weshalb wir vorhin vom Kollegen Dürr sehr getadelt worden sind — wieder aus dem Gesetz herausgekommen. Ich möchte mit diesem Antrag der CDU/CSU die Ausschußvorlage wiederherstellen, dabei aber doch gleichzeitig bedauern, daß dieser Satz, der auf Ihre Anregung von uns in dieses Gesetz hineingebracht worden ist, in keiner Weise dazu beigetragen hat, die Wogen etwas zu glätten, obwohl doch gerade dieser Satz die Entgiftung hätte herbeiführen müssen. Sie lehnen trotzdem, obwohl wir so entgegenkommend waren, das Gesetz und auch diesen Absatz ab, und das tut uns leid.
Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung! Wer dem Änderungsantrag Umdruck 982 der Fraktion der CDU/ CSU zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 973, der versehentlich auf rosa Papier abgezogen wurde. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich dadurch nicht beirren zu lassen. — Frau Abgeordnete Keilhack zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Durch die bisherigen Abstimmungen ist es etwas durcheinandergegangen, und unser Antrag scheint jetzt deplaziert zu sein. Ich glaube aber, man muß ihn nicht nur begründen, sondern auch nachher noch einmal ordnungsgemäß darüber abstimmen lassen. Unser Antrag ist eine Wiederholung der für uns wesentlichsten Anträge, die wir in der zweiten Lesung gestellt haben, und zwar der beiden allerwichtigsten Anträge, so wie wir es sehen.Mit Ziffer 1 beantragen wir die Aufhebung der Vorrangigkeit in § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3. Unter Ziffer 2 beantragen wir die Aufhebung der Finanzierungspflicht für die Gemeinden, die in § 5 a der Ausschußfassung vorgesehen ist.Ich will den Antrag nicht mehr lange begründen. Ich möchte nur noch einmal sagen, daß wir den § 4 Abs. 3 und den § 5 a, so wie sie vorgelegt sind, nicht als eine Hilfe für die Jugendwohlfahrt ansehen, sondern lediglich als eine Hilfe für die Verbände, die auf öffentliche Kosten ihre Tätigkeit entwickeln sollen und von denen wir meinen, daß sie dann weder frei noch privat sind. Wir möchten es Ihnen noch einmal vor Augen halten und Sie bitten, zu bedenken, daß diese freien Verbände ihren Charak-
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Frau Keilhackter als notwendige freie gesellschaftliche Gruppierungen behalten müssen und daß sie nicht zu privaten Bürokratien gemacht werden dürfen. Wir sagen noch einmal, daß nichts notwendiger wäre als der Wille zu einer noch besseren und engeren Zusammenarbeit und nicht zu ihrer Zerstörung, wie sie dieses Gesetz bewirken wird.Hier sind sehr viele Stimmen von evangelischen Organisationen und Institutionen zitiert worden. Ich will eine evangelische Stimme anführen, aber nicht, um auszudrücken, das sei die Meinung der Evangelischen Kirche, sondern um Ihnen die sehr differenzierte Meinung gerade zur Rangfolge in diesem Gesetz darzulegen. Ich lese im „Sonntagsblatt", das von Herrn Bischof Dr. Lilje herausgegeben wird, eine Betrachtung über dieses Gesetz, die u. a. sagt — Sie gestatten, Herr Präsident, daß ich zitiere —:Gerade weil in der Vergangenheit die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und privaten Sozialarbeitern bemerkenswert gut funktioniert hat, ist es eigentlich unverständlich, warum nun plötzlich ein — allerdings hauptsächlich in der katholischen Soziallehre wurzelndes — „Weltanschauungsgesetz", um das ideeller und weitgehend durch die Entwicklung überholter Prinzipien willen so hart gekämpft wird, daß sich aus einer fruchtbaren Partnerschaft sozialer Kräfte eine Rivalität entwickeln könnte — zum Schaden der Hilfsbedürftigen selbst.Meine Herren und Damen, ich habe zitiert. Ich will, gerade auch mit Blick auf dieses Zitat noch einmal aus dem hervorragenden Vortrag meines Kollegen Dr. Arndt einen Satz herausheben, um Ihnen die Meinung über dieses Gesetz noch einmal vor Augen zu stellen: nämlich, daß dieses Gesetz eine Unterwanderung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bewirken könnte.
— Sie haben den Vortrag von Herrn Dr. Arndt gehört; wie können Sie da „unerhört" sagen, Herr Rollmann. Ich glaube, Sie haben den Vortrag überhaupt nicht verstanden.
Nach den Ausführungen von Herrn Rollmann möchte ich obendrein fragen, ob das Gesetz nicht sogar zu einer Unterwanderung der politischen Entscheidung der Bürger in ihrer Gemeinde führen soll. Ich glaube, Herr Rollmann, das war ungefähr auch der Kern Ihrer Ausführungen, die Sie hier gemacht haben. Wir möchten nicht, daß die gemeindliche Arbeit auf sozialem Gebiet zugunsten einer Verbandskompetenz aufgelöst wird.Ich möchte Ihnen noch eine evangelische Stimme zitieren. Entschuldigen Sie, daß ich nun noch zuletzt mit dem Zitieren anfange. Manches Zitat scheint Ihnen vielleicht glaubwürdiger und eindrucksvoller zu sein als unsere eigene Meinung. Herr Sozialpastor Dr. Nerling von der Hamburgischen Landeskirche schreibt in dem Blatt der hamburgischen Landeskirche:Wenn unsere Demokratie überhaupt bestehen soll, dann kann sie es nur in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller freien und staatlichen Kräfte. Weder die Vormacht des Staates noch das Übergewicht und der Vorrang von Interessenverbänden und freien Organisationen ist der Demokratie zuträglich. Was heute wie ein wohltätiger Schutz der freien Verbände gegenüber dem Staat aussieht, kann morgen zu einer bedrohlichen Aufspaltung in unzählige Interessen oder zu Gruppen führen, die im Kampf um die Macht den Raum der sozialen Hilfe und der menschlichen und politischen 'Bildung unserer Jugend vergiften. Es kann zu einem unerhörten geistigen Zwang führen, wenn bei Hilfeleistungen oder Erziehungsmaßnahmen die Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften vorausgesetzt wird.Meine Damen und Herren, Herr Rollmann hat hier einige Ausführungen über seine Vaterstadt und ihre Gemeindeleistungen gemacht. Ich will sie hier nicht im. einzelnen widerlegen; es ist zu spät heute abend, ich kann es deshalb nicht. Ich glaube, ich kann sie zum Teil mit dem Globalnachweis widerlegen, den ich bereits bei der zweiten Lesung bei der Begründung meiner Anträge angeführt habe, nämlich daß die Entwicklung bei den Einrichtungen der Jugendhilfe absolut zugunsten der freien Träger geht. Bis jetzt sind 73 % dieser Einrichtungen in der Hand freier Orgnisationen und nur 19 % in der Hand von Gemeinden. Wie wollen Sie da überhaupt von einem gemeindlichen Übergewicht und von einer Staatsomnipotenz reden? Ich bitte Sie sehr, sich das noch einmal genau zu überlegen.Ich bitte Sie, sich auch einmal zu überlegen, was Sie an der vaterstädtischen Haltung der hamburgischen Regierung kritisiert haben. Ich hoffe, daß auch die CDU in Hamburg diese Verantwortung so ernst nimmt, wie sie von den Sozialdemokraten genommen wird. Ich bin sehr erstaunt, daß Sie versuchen, das, was Herr Dr. Nevermann aus seiner Verantwortung als Hamburgischer Bürgermeister gesagt hat, mißtrauisch zu interpretieren oder gar lächerlich zu 'machen. Hamburg hat in der letzten Legislaturperiode seines Parlaments aus öffentlichen Mitteln und aus anderen Quellen 141/2 Millionen DM allein an Unterstützung für die freien Verbände zur Verfügung gestellt.
In Hamburg gibt es einen Jugendwohlfahrtsausschuß, der in voller Harmonie und einstimmig Entschlüsse faßt, die fastalle von der Deputation und von dem hamburgischen Landesparlament so angenommen werden. Ich muß sagen, Herr Rollmann, Sie sind wirklich ein seltsamer Hamburger.
Ich möchte zum Schluß noch einmal sagen: meine Herren und Damen, wir warnen Sie vor der Entwicklung, die dieses vorliegende Gesetz bringt. Wir warnen Sie vor 'den verfassungsrechtlichen Kon-
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Frau Keilhacksequenzen, die Sie auf alle Fälle erwarten können. Ich glaube, daß Sie nicht nur der Jugendhilfe mit diesem Gesetz schaden, sondern daß durch den Verfassungsstreit auch unserem Staat und damit unserer Demokratie größter Schaden zugefügt wird. Wenn Sie das verantworten wollen, stimmen Sie dem Gesetz zu. Sonst lehnen Sie es bitte alb!
Keine weiteren Wortmeldungen. — Dazu?
— Das Wort zur Geschäftsordnung? Das kann ich jetzt nicht erteilen. Ich bin hier in der Abstimmung über den Antrag Umdruck 973. Wünschen Sie dazu das Wort, Herr Abgeordneter?
— Ah, jetzt wollen Sie etwas sagen, was dem Präsidenten inzwischen auch aufgefallen ist.
— Ja, warten Sie einen Augenblick, es erübrigt sich. Dann gibt es wenigstens keine Kampfdebatte über diesen Punkt. Aber Sie halben ganz recht, Sie machen auf etwas aufmerksam, was dem Herrn amtierenden Präsidenten vorhin offenbar nicht ganz 'deutlich war: daß dieser Antrag natürlich durch Abstimmungen, die vorhin zur Sache erfolgt sind, eigentlich erledigt ist. Trotzdem, Herr Abgeordneter Memmel, das Haus ist frei, auch über diesen Antrag erneut abzustimmen, und nachdem ihn der amtierende Präsident zugelassen hat, lasse ich auch über ihn abstimmen, nach der Melodie: doppelt genäht hält gut.
— Das ist wahr, Herr Abgeordneter Memmel. Sie waren schon heute nachmittag im Recht.
— Sie möchten das jetzt auch tun. Gut, getrennte Abstimmung kann verlangt werden.
— Doch, er ist wieder darin, Ihr Antrag ist doch angenommen worden. — Frau Abgeordnete Keilhack!
Herr Präsident, vielleicht kann ich etwas zur Klärung beitragen. Wenn Sie vorher über diesen Antrag hätten abstimmen lassen, dann hätten wir die Ziffer 3 hier streichen müssen. Aber inzwischen ist die Ziffer 3 wieder in den CDU-
Antrag hineingekommen; somit kann unser Antrag so, wie er vorliegt, wieder zur Abstimmung gestellt werden.
Sie meinen den Satz 3.
— Jetzt geht alles durcheinander. Ich bitte, sich jetzt aber nicht in Finessen der Geschäftsordnung zu ergehen. Ich zweifle nicht daran, daß an den Beschlüssen ,der Mehrheit dieses Hauses nichts geändert wird, wenn ich diesen Antrag zur Abstimmung stelle. Herr Abgeordneter Memmel, ich glaube, es würde der Sache dienen, wenn Sie nicht auf getrennter Abstimmung beständen. Könnten Sie darauf verzichten?
— Danke vielmals. Wer also dem Umdruck 973 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit sind sämtliche Änderungsanträge in dritter Lesung erledigt. Wir kämen zur Schlußabstimmung. Vor der Schlußabstimmung gebe ich in Erfüllung eines Versprechens, das der Herr amtierende Prädent gegeben hat, dem Herrn Abgeordneten Dürr das Wort zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung. Herr Abgeordneter, Sie haben den Paragraphen sicherlich vorher gelesen. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 35 der Geschäftsordnung mache ich folgende persönliche Bemerkung.
Es ist mein gutes Recht, wenn ich darauf hingewiesen habe, daß zwischen Herrn Minister Wuermeling und seinem Parteifreund Minister Osterloh in einer Frage verschiedene Ansichten bestanden. Dabei war es mir vollkommen gleichgültig, welcher Konfession Herr Osterloh angehört. Ich hätte dasselbe gesagt, wenn Herr Minister Osterloh CDU-Mitglied katholischen Bekenntnisses wäre. Den Vorwurf der konfessionellen Hetze muß ich deshalb mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
Meine Damen und Herren, bringen Sie den Präsidenten des Hauses nicht in die Verlegenheit, nun auch noch im Grundgesetz nachzuschlagen und Ihnen z. B. vorzulesen, was im Art. 38 des Grundgesetzes steht. Ich höre heute so oft Berufungen auf die Kirche und andere würdige Institutionen, daß ich versucht wäre, daran zu erinnern, daß das Grundgesetz, idem dieser Bundestag untertan ist, nur Vertreter des ganzen Volkes kennt, die ihr Mandat von niemand anderem als vom Volk, und nicht von den Kirchen, haben,
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierdaß niemand in diesem Hause an Aufträge und Weisungen gebunden ist und jedermann nur seinem persönlichen Gewissen untertan ist. Ich finde diesen Artikel nach wie vor großartig.Nun hat .das Wort ur Schlußabstimmung Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei fast allen Jugendgesetzen, die wir in diesem Hause seit 1949 verabschiedeten, war bei allen Fraktionen zu erkennen, daß es ihnen um das Wohl der Jugend ging. Auch die Zusammenarbeit im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen war eine recht ordentliche in. all den Jahren, bis es die Regierung unter der Verantwortlichkeit des Ministers für Familen- und Jugendfragen für notwendig hielt, diese Novelle zum RJWG vorzulegen, bei der nicht mehr das Wohl der Jugend im Vordergrund steht, sondern die Durchsetzung politischer Auffassungen der CDU. In dieser Novelle geht es primär um die Festlegung klar erkennbarer politischer Prinzipien. Aus Fachkreisen und weiten Kreisen der Öffentlichkeit liegen Stellungnahmen gegen dieses Gesetz vor. Alle sachlichen Einwände aber hat die CDU in den Wind geschlagen. Sie machte rücksichtslos von ihrer Mehrheit Gebrauch.
Als 1922 im Reichstag von allen Parteien das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz einstimmig beschlossen wurde, gab Deutschland als erstes Land der Welt einer neuen gesellschaftlichen Aufgabe eine gesetzlich geprägte Form. Das Gesetz von 1922 reicht heute nicht mehr aus. Tiefgreifende soziale Umwälzungen der letzten Jahrzehnte und Erfahrungen der Praxis und neue Erkenntnisse der Wissenschaft machen eine grundlegende Neuordnung der Jugendhilfe erforderlich. Wir brauchen, meine Damen und Herren, ein Gesetz, das der heutigen Jugend und ihren Familien eine bessere Lebens- und Entwicklungshilfe sichert. Obwohl viele Fachverbände die Regierung beraten haben, legte sie eine Novelle zum RJWG vor, nach der die Jugendhilfe in der Bundesrepublik eine rückschrittliche Entwicklung nehmen wird. Wie wenig durchdacht und unzureichend diese Vorlage war, läßt sich daran ablesen, daß die CDU 24 'Seiten und die SPD 11 Seiten Anderungsanträge idem Ausschuß vorgelegt haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion muß diese Novelle mit aller Schärfe ablehnen, weil Sie fachlich nichts Neues oder nur sehr fragwürdige neue Lösungen bringt, weil sie die in Jahrzehnten aufgebaute Arbeit der Jugendämter und das gute Verhältnis zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe zerstören wird, weil sie mit ihrer Tendenz zur Konfessionalisierung der Jugendhilfe eine Mißachtung der Sozialarbeiter darstellt, die im überkonfessionellen Verband und im öffentlichen Dienst tätig sind, weil sie eine Mißachtung der Tätigkeit der Gemeinden darstellt, die in der Bewältigung der großen Not in der Vergangenheit äußerste Anstrengungen mit Erfolg unternommen haben, weil sie in die Selbstverwaltung und die Finanzhoheit der Gemeinden eingreift, weil sie die mitbürgerliche Verantwortung in der Gemeinde untergräbt und weil sie den Anforderungen, die an ein Jugendhilfegesetz zu ,stellen sind, nicht entspricht.
In dieser Novelle zieht die Regierung und die sie tragende Mehrheit in keiner Weise die notwendigen Konsequenzen aus der Jugendsituation unserer Zeit. Es wird mit fdieser Novelle kein Gesetz zur erweiterten Hilfe für die Jugend und zur verstärkten Hilfe für die Familie geschaffen. Nicht einmal die :so notwendig gewordene Regelung der Berufs- und Ausbildungsbeihilfen ist darin angeschnitten, die die SPD-Fraktion 'bereits 1959 mit voller Zustimmung des Bundestages forderte.
Stattdessen hat die Regierung eine Gesetzesvorlage eingebracht, die die Macht und den Einfluß ,der Verbände und der Kirchen stärken und die Wirkungsmöglichkeiten der Gemeinden und Kreise schwächen soll. Dieses Gesetz bedeutet eine Diffamierung der Gemeinden.
Der Bundesregierung wird es mit diesem Gesetz gelingen, den Geist eines gemeinsamen Dienstes am hilfsbedürftigen Menschen auszulöschen
und schwerste verfassungsrechtliche und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen heraufzubeschwören.
Einen Augenblick, Frau Schanzenbach, ich hörte das Wort „Diffamierung", ich habe nicht richtig verstanden, in welchem Zusammenhang.
Ich habe gesagt, dieses Gesetz bedeute eine Diffamierung der Gemeinden.
Es tut mir leid! Das muß ich rügen. Meine Damen und Herren! Keine Aufregung! Das ist nicht korrekt. Das kann man so nicht sagen.
Ich muß mir unter allen Umständen Kritik hier verbitten. Das geht doch gar nicht.
— Ja, Art. 38 verlangt Zucht und Ordnung. Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort!
Das im Gesetz verankerte Vorrecht der Verbände und die damit verbundene Verweisung der Gemeinden in den Nachrang ist in unserer sozial bestimmten Gegenwart ein schwerwiegender Eingriff für jede Erneuerung menschlicher Verantwortung in der Gemeinde. Wir sind genauso wie die kommunalen Spitzenverbände
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9548 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Frau Schanzenbachder Überzeugung, daß der Vorrang der freien Verbände verfassungswidrig ist. Es bestand kein sachlicher Grund, .das partnerschaftliche Verhältnis zwischen den Gemeinden und den freien Verbänden in der Jugendhilfe zu verändern.Tatsache ist, daß der Anteil der freien Verbände an allen Einrichtungen der Jugendhilfe gestiegen ist. Dabei ist anzunehmen, daß sich nur 30 Prozent der Bevölkerung den freien Verbänden zugehörig fühlen.
— Es ist anzunehmen, habe ich gesagt!Durch die in der Novelle festgelegte Finanzierung wird erhebliches Vermögen der Gemeinden und Kreise auf die Träger der Jugendhilfe verlagert. Der Steuerzahler wird über einen weiteren Teil seiner Steuern keine Kontrolle mehr haben. Unangenehme Auseinandersetzungen zwischen Gemeinden und Verbänden sind nicht zu umgehen. Die Benachteiligten werden dabei die Familien und die Jugendlichen sein. Der Schwerpunkt dieser Novelle liegt leider nicht in der Hilfe für die Jugend, sondern in der Durchsetzung gesellschaftspolitischer Vorstellungen, die eine große Unruhe in unserer Gesellschaft hervorrufen werden. Dieses Gesetz ist ein Beweis dafür, daß die Regierung und die sie tragende Mehrheit in ihrer Jugend- und Familienpolitik die Aufgabe der Zeit nicht erkennt. Aus den hier und in der Debatte angeführten Gründen lehnt die .SPD-Fraktion dieses Gesetz ab.
Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Namens meiner politischen Freunde möchte ich nur sagen, daß wir dieses Gesetz ablehnen, und zwar aus folg endem Grund. Es steht in krassem Widerspruch zu der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 29. Oktober 1957. Ich habe Sie schon oft mit dieser Regierungserklärung konfrontiert ,und solange dieser Bundestag besteht — das wird nicht mehr lange sein —, werde ich alle Ihre Maßnahmen immer wieder an dieser Regierungserklärung messen.
Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt:
Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang auch sagen, daß die Bundesregierung in der kommunalen Selbstverwaltung das Fundament eines demokratischen Staatsaufbaus sieht.
Durch Ihr Gesetz wird aber gerade dieses Fundament demokratischen Staatsaufbaus, nämlich die kommunale Selbstverwaltung entscheidend eingeschränkt. Deshalb sagen wir nein zu diesem Gesetz.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 207 Mitglieder des Hauses und 5 Berliner Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 150 Mitglieder des Hauses und 7 Berliner Abgeordnete. Damit ist dieses Gesetz in dritter Lesung angenommen.
— Niemand hat sich der Stimme enthalten. Insgesamt abgegeben wurden 357 Stimmen.JaCDU/CSUFrau AckermannGraf AdelmannDr. AignerArndgenBaier
Baldauf BalkenholDr. BarzelBauer BauereisenBauknechtBauschDr. Becker Becker (Pirmasens) BerberichDr. BergmeyerDr. BesoldDr. BirrenbachBlankFrau Dr. BleylerBlöckerFrau Blohmvon Bodelschwingh BrandFrau BrauksiepeBreseFrau Dr. Brökelschen BrückBühler BurgemeisterCaspersDr. ConringDr. CzajaDeringerDiebäckerDielDr. DollingerDrachslerDraegerEichelbaum Engelbrecht-GreveFrau EngländerEnkEplée EtzenbachDr. Even Even (Köln)Finckh Dr. FranzFranzenDr. FreyDr. Fritz Fritz (Weltheim)FuchsFrau Dr. Gantenberg GaßmannGedatGehringGernsD. Dr. GerstenmaierGibbertGienckeDr. Gleissner Glüsing (Dithmarschen)Dr. GörgenDr. GötzGontrumGotteslebenFreiherr zu Guttenberg HackethalHahn HarnischfegerDr. HauserDr. Heck
HeixDr. Graf HenckelDr. HesbergHesemannHeye HilbertHöcherlDr. Höck
HöflerHolla HoogenHornDr. HuysIllerhausJahn
Frau KalinkeDr. KankaKatzerKemmerKirchhoffKistersDr. Kliesing KnoblochDr. KnorrKoch Kraft KramelKrammigKrollKrüger
Krüger
KrugFrau Dr. KuchtnerKunst KuntscherDr. LeiskeLenze
LeonhardLermerLeukertvon Lindeiner-WildauLücke
Lulay
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9549
Theis
Wagner Wegener Wehner WelkeWelslauWeltner
Frau WesselWilhelm WischnewskiWittrock ZühlkeBerliner AbgeordneteDr. Königswarter Frau KrappeNeumannDr. Schellenberg Schröter Dr. SeumeFDPDr. Bucher Dr. DehlerFrau Dr. Diemer-Nicolaus DürrEberhardFrau Friese-KornDr. ImleKellerDr. Kohut Kreitmeyer Freiherrvon Kühlmann-Stumm LogemannMaukMischnickFreiherr von MühlenMurrRammsDr. RutschkeDr. Schneider SpitzmüllerWalterWeber
Berliner AbgeordneteFrau Dr. Dr. h. c. Lüders FraktionslosBehrisch Matthes Dr. SchranzMaier MajonicaDr. Baron Manteuffel-Szoeg MaucherMeisMemmel MengelkampMenke MickMuckermannMühlenbergMüller-HermannMüser NeuburgerNieberg NiederaltFrau NiggemeyerDr. Dr. OberländerOetzelFrau Dr. PannhoffPelsterDr. h. c. PferdmengesDr. PflaumbaumFrau Pitz-SavelsbergProbst
RasnerDr. ReinhardDr. ReithRiedel
Dr. RipkenFrau RöschRösing RollmannRommerskirchenRufRuland ScheppmannDr. SchildSchlee SchlickDr. Schmidt
Frau Schmitt
Dr. Schneider SchüttlerSchütz Schulze-PellengahrSchwarzFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerSeidl
Dr. SerresSiebelDr. SiemerSimpfendörferSolkeSpies
Spies StauchDr. SteckerDr. SteinmetzStillerDr. StoltenbergDr. Storm
Storm SühlerTeriete Tobaben Unertl VarelmannFrau VietjeDr. VogelVogtWacher Dr. WahlFrau Dr. h. c. Weber Dr. Weber (Koblenz) WehkingFrau Welter WendelbornWieningerDr. Willeke WindelenWinkelheide Dr. WinterWittmer-Eigenbrodt WormsDr. Wuermeling WullenhauptDr. ZimmerDr. ZimmermannBerliner AbgeordneteBenda Hübner Dr. KroneFrau Dr. MaxseinStinglNeinSPDFrau AlbertzAltvater Dr. Arndt AugeBachBäumerBalsBauer
Baur
BayDr. Bechert BehrendtFrau BennemannBerlinBlachstein Dr. Bleiß BörnerDr. Brecht BruseBüttnerCorterier CramerDewaldDiekmannFrau Döhring DröscherFrau Eilers EschmannFallerFelderFolgerFrankeDr. Frede FrehseeGeiger Geritzmann HaageHamacher Hansing Dr. Harm HeideHeilandDr. Dr. HeinemannFrau Herklotz Hermsdorf HeroldHöckerHöhmann HöhneHöraufFrau Dr. Hubert HufnagelJacobsJahn Jürgensen Junghans JungherzFrau KeilhackFrau KettigKillat Kinat (Spork) Frau Kipp-Kaule Könen (Düsseldorf) Koenen (Lippstadt) Frau KorspeterKrausLange Lantermann LautenschlagerLohmarLudwigLücke LünenstraßMarxMatznerMetterMeyer Frau Meyer-LauleDr. Mommer Müller
Müller Müller (Worms)Frau Nadig Ollenhauer PetersPöhlerPrennelPriebePützPuschReglingRehsReitzFrau Renger RimmelspacherRitzelRodiekRohdeFrau Rudoll Dr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenSchmidt Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchröder Seidel (Fürth)Frau Seppi SeuffertStriebeckFrau Strobel Dr. Tamblé Theil
Meine Damen und Herren, damit kehre ich zurück zur Fragestunde.
— Meine Damen und Herren, das nützt alles nichts: 60 Minuten Fragestunde, sonst ist es völlig ausgeschlossen, daß wir dieses Programm durchhalten. Wir sind ohnehin einige Stunden verspätet.Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —_Seite 5 der Drucksache 2930 — auf.Zunächst Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Logemann —:Ist der Bundesregierung bekannt, daß amtliche US-Stellen bei der Kontrolle von US-Schlachtgeflügel festgestellt haben, daß bei der Fütterung gegen die Bestimmungen des US-Lebensmittelgesetzes verstoßen wurde, und daß Strafverfahren wegen Verwendung von Futtermitteln mit verbotenen Zusätzen bereits eingeleitet wurden?Ist Herr Abgeordneter Logemann im Saal? — Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
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9550 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Die Bundesregierung konnte noch nicht feststellen, ob in welchem Umfang in den USA bei der Fütterung von Mastgeflügel gegen das US-Lebensmittelrecht verstoßen wurde. Die Bundesregierung ist um die Beibringung des erforderlichen Materials bemüht.
Zusatzfrage? — Kenne Zusatzfrage.
Ich rufe auf Frage VI/2 — des Abgeordneten Dr. Rutschke —:
Hält die Bundesregierung es mit der Achtung vor der Würde des Parlaments für vereinbar, wenn sie dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1960 betr. Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit — Drucksache 2247 —, noch dazu kurz vor dem Ende der Arbeit des 3. Deutschen Bundestages, dadurch aus dem Wege zu gehen versucht, daß sie die in dem Beschluß aufgeworfenen Fragen nicht fristgerecht beantwortet?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister!
Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke zusammen beantworten zu dürfen, da sie den gleichen Vorgang betreffen.
Bitte sehr. Ich rufe also noch auf Frage VI/3. — des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke —:
Wie und wann gedenkt die Bundesregierung, nachdem sie den Termin vom 31. März 1961 um nahezu 3 Monate überschritten hat, nun dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1960 betr. Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit Genüge zu tun?
Danke. Ich möchte bei meiner Antwort gleich eingangs betonen, daß es in keiner Weise die Absicht ,der Bundesregierung ist, einer Beantwortung des Beschlusses des Bundestags vom 9. Dezember 1960 aus dem Wege zu gehen.
Die Angelegenheit ist wie folgtgelaufen: Die Bundesregierung soll nach dem genannten Beschluß die Umstände, die zum Auftreten der Pernonospora tabacina bei der Tabakernte 1960 geführt haben, untersuchen und dabei besonders prüfen, ob ein schuldhaftes Verhalten rBundesbediensteter ursächlich gewesen ist. Der Aufforderung ides Deutschen Bunldestags, bis zum 31. März 1961 über das Ergebnis zu berichten, konnte leider nicht entsprochen werden, wie ich das bereits mit Schreiben vom 30. März 1961 dem Herrn Präsidenten mitgeteilt habe. Ich habe zwar bereits mit Erlaß vom 29. August 1960 zur Aufklärung des Sachverhalts Vorermittlungen gemäß § 21 BDO angeordnet. Sie sind durch den Beauftragten, der vom Bundesminister des Innern aus dem Bundesverwaltungsamt in Köln vorgeschlagen worden ist, mit möglichster Beschleunigung durchgeführt und vorläufig unter dem 17. März 1961 abgeschlossen worden. Vorläufig deshalb, weil noch besondere Fragen der wissenschaftlich-fachlichen Klärung bedürfen, insbesondere die Frage, ob bei Durchführung der Versuche zur Bekämpfung der Blauschimmelkrankheit in Forchheim die nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen beachtet 'worden sind. Da sie nur auf Grund der gutachtlichen Stellungnahme eines Sachverständigen zu }beantworten sind und die Beantwortung dieser Fragen nicht nur für das Disziplinarverfahren von Bedeutung ist, sondern als entscheidend auch für .die Prüfung der Frage angesehen werden muß, ob ein schuldhaftes Verhalten Bundesbediensteter für das Auftreten der Pernonospora tabacina ursächlich gewesen ist, ist ein Wissenschaftler mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Das Gutachten ist bei mir am 14. Juni 1961 eingegangen. Es müssen nunmehr zu dem Gutachten und den sonstigen Ergebnissen der 'Ermittlungen die Betroffenen gelhört werden. Hierzu verpflichtet der § 21 der Bundesdisziplinarordnung. Wie ich schon in meinem bereits erwähnten Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bundestags hinzugefügt habe, hoffe ich, die Angelegenheit nunmehr in Kürze zum Abschluß bringen zu können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, war meine Behauptung richtig, daß ein Bundesbediensteter der Forschungsanstalt gegen den Willem des Leiters dieser Anstalt 250 Tabakpflanzen aus einer entsprechenden Pflanzung auf seinen Privatbalkon mit nach Karlsruhe genommen hat?
Herr Abgeordneter, das ist ein Teil aus den Untersuchungen, die nunmehr zum Abschluß kommen. Ich nehme an, daß auch über diese Frage der Abschlußbericht Ihnen eine genaue Auskunft geben wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bucher.
Herr Minister, wenn die Untersuchung der Schuldfrage, wie Sie sagen und woran ich nicht zweifele, nun so schwierig ist, ist da nun nachträglich nicht festzustellen, daß es besonders unangebracht 'war, daß der Herr Staatssekretär Ihres Hauses in der seinerzeitigen Debatte gegenüber dem Abgeordneten Dr. Rutschke von „unqualifizierbaren Unterstellungen" gesprochen hat, die er nur unter dem Schutz der Immunität gemacht habe?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß diese Frage an den Dingen vorbeigeht, die wir im Augenblick hier zu behandeln haben. Die Frage des Verhaltens des Herrn Staatssekretärs ist eine Angelegenheit, 'die der Herr Staatssekretär zu vertreten hat. Ich habe mich dazu nicht weiter zu äußern.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage zu stellen? — Herr Abgeordneter Rutschke zu einer zweiten Zusatzfrage?
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9551
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, die Akten zum Einblick zur Verfügung zu stellen, die über die Untersuchung geführt worden sind?
Ich werde mich nach den Erfordernissen erkundigen, die gegeben sein müssen, um Ihrer Bitte zu entsprechen.
Keine weiteren Fragen? — Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten Murr —:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um angesichts der sinkenden Hopfenpreise die deutschen Hopfenbauern vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren?
Ist Herr Abgeordneter Murr im Saal? — Er ist anwesend. Zur Beantwortung der Herr Bundesminister!
Die bayerische Landesregierung hat sich bereit erklärt, Mittel bereitzustellen, damit die Hopfenrestbestände aus den Ernten 1959 und 1960 eingelagert werden können, um sie später bestmöglich zu verwerten. Ob aus dieser Einlagerung der Restbestände der Hopfenernten von 1959 und 1960 Verluste entstehen werden, ist erst am Ende des Jahres 1961 zu übersehen. Der Bundesminister der Finanzen beabsichtigt alsdann, die abschließende Regelung mit dem bayerischen Finanzminister zu erörtern.
Eine Zusatzfrage? — Jawohl.
Herr Minister, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Hopfenbauern durch den Erlaß einer Hopfenmarktordnung für die Zukunft, besonders für die heurige Ernte, ihre Existenz zu sichern?
Herr Kollege Murr, die Einrichtung von Marktordnungen ist eine sehr schwierige Angelegenheit, zu der sich die Bundesregierung nicht äußern kann, bevor sie mit den betreffenden Wirtschaftskreisen und Stellen des Berufisstands sehr eingehend verhandelt hat.
Keine weiteren Zusatzfragen!
Frage VI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Imle —:
Was hat die Bundesregierung dazu bewogen, die Lieferung von 180 000 t Weizenmehl zu Lasten des deutschen Steuerzahlers zum Preise von 200 bis 250 DM pro t an Rotchina zuzusagen, obgleich der Weizen vorher von der Einfuhr- und Vorratsstelle für 440 DM pro t aufgekauft worden war?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister!
Herr Präsident, ich bitte, die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle und die Frage des Herrn Abgeordneten Müller — es handelt sich um die Frage VI/5 auf Drucksache 2930 und um die Frage IV/4 auf Drucksache 2934 — zusammen beantworten zu dürfen, da sie des gleichen Inhalts sind.
Ich rufe also die Frage IV/4 — des Herrn Abgeordneten Müller — auf: -
Billigt es der Herr Bundesernährungsminister, daß seitens der „Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide" ca. 200 000 t Inlandweizen der Bundesreserve mit Abnahmeterminen November-Dezember zur Herstellung von Exportmehl für China verkauft worden sind, zu deren Bereitstellung ca. 50 Millionen DM Subventionen benötigt werden?
Zur Frage des Verfahrens: Es gibt keine Weizenmehllieferungen oder Lieferungszusagen der Bundesregierung an die Volksrepublik China. Alle Weizenmehllieferungen erfolgen ausschließlich durch deutsche Exportfirmen auf rein privatwirtschaftlicher Basis. Auf die Wahl des Empfangslandes nehmen weder die Bundesregierung noch die Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide Einfluß.In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß die Volksrepublik China in anderen westlichen Ländern — z. B. in Australien, Kanada, Frankreich — gleichzeitig Weizen- und Weizenmehlankäufe getätigt hat, die die Abschlüsse mit deutschen Exporteuren um ein Vielfaches übersteigen. Die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Einlagerungspreis für deutschen Weizen und dem Preis für vergleichbaren ausländischer Provenienzen wird aus Haushaltsmitteln gedeckt, die in Kap. 10 02 Tit. 620 für diese Zwecke bewilligt sind.Bisher wurden für den Weizenexport und für die Herstellung von Exportmehl rund 296 000 t Weizen aus der Bundesreserve verkauft und dafür etwa 60 Millionen DM beansprucht. Die Aufteilung dieser Mengen auf die einzelnen Empfangsländer bitte ich die ,interessierten Herren Abgeordneten in meinem Hause einzusehen.Zur Fragte der Belastung des deutschen Steuerzahlers: Hierzu 'ist folgendes zu sagen. Den Mehlexporteuren ist die Möglichkeit gegeben, den zur Herstellung von Exportmehl benötigten Weizen nach ihrer Wahl entweder aus dem Ausland oder aus der Bundesreserve zu beziehen. Beim Bezug aus dem Ausland wird die sonst übliche Abschöpfung nicht erhoben. Eine Verbilligung, die den Steuerzahler belasten könnte, erfolgt nicht.Im Falle der Abgabe aus der Bundesreserve findet ebenfalls eine Belastung des Steuerzahlers nicht statt, da für den exportierten inländischen Füllweizen zur Verbesserung der deutschen Mehl- und Brotqualität eine entsprechende Menge an ausländischem Qualitätsweizen mit Abschöpfung eingeführt wird. Dieser Regelung ist es zu danken, daß trotz gestiegener Eigenerzeugung die seit Jahren bestehenden handelspolitischen Verpflichtungen zur Abnahme von Getreide erfüllt werden konnten und daß im Getreidewirtschaftsjahr 1960/61 ein weiteres Ansteigen der Brotgetreidebestände in der Bundesreserve vermieden werden konnte.
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9552 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Zusatzfragen?
— Herr Abgeordneter Müller!
— Eine Sekunde, Herr Abgeordneter Müller. Bis jetzt ist die Frage IV/4 auf Drucksache 2934 beantwortet.
— Bitte sehr, Zusatzfrage zu Frage IV/4:
Stimmt es, Herr Bundesminister, daß für den Mehlexport in die Ostblockstaaten eine Sonderregelung vorgesehen war?
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Bading!
Herr Minister, Sie sagen, daß keine Belastung des Steuerzahlers erfolgt ist. Das beruht nach Ihrer Meinung wohl auf dem Schluß, daß die Einnahmen in Höhe von 400 Millionen DM aus der Abschöpfung bei der Einfuhr von Getreide nicht dem allgemeinen Steuerfonds zulaufen. Nur dann könnten Sie behaupten, daß keine Belastung des Steuerzahlers erfolgt ist.
Wo ist die Frage, Herr Abgeordneter Bading?
Die Frage besteht darin, ob der Betrag von 400 Millionen DM aus den Abschöpfungsbeträgen dem allgemeinen Steuerfonds zufließt.
So ist es gut. Bitte sehr, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, Sie haben recht, es handelt sich hier um die theoretische Rechnung, daß die Abschöpfungen dann wieder durch die entsprechenden Ausgaben ausgeglichen werden. In diesem Falle wird der Betrag von 60 Millionen DM, von dem ich sprach, dem Betrag von rund 400 Millionen DM, der aus Abschöpfungen vereinnahmt wird, entgegengerechnet. Aber haushaltsrechtlich ist die Sache anders.
Herr Minister, warum werden dann nicht die gesamten Abschöpfungsbeträge wieder der deutschen Veredelungswirtschaft zur Verbilligung des Futtergetreides zur Verfügung gestellt?
Herr Abgeordneter, diese Frage können wir wohl heute abend in der Fragestunde nicht klären. Aber über eines kann kein Zweifel bestehen, daß nämlich der 'Steuerzahler, genau genommen, nicht belastet wird, wenn es gelingt, die Abschöpfung in Übereinstimmung mit den notwendigen Mitteln zu bringen, die für den Export für eben dasselbe Getreide in Anspruch genommen werden.
Meine Damen und Herren, der Präsident ist nicht sachverständig. Er versteht nicht, ob diese Fragen dazugehören oder nicht.
Herr Bundesminister, wollen Sie die Fragen IV/5 und IV/6 auf Drucksache 2934 gleich mit beantworten? — Herr Abgeordneter Müller, das sind Ihre Fragen:
Nach welchen Grundsätzen ist die Subvention in dem Weizengeschäft mit China ermittelt worden?
War bei der Bewilligung in dem Weizengesdiäft mit China durch eine allgemeine öffentlich bekanntgemachte Ausschreibung und Einschaltung des Wettbewerbs Vorsorge getroffen, daß die fiskalischen Interessen gewahrt wurden?
Bitte, Herr Bundesminister!
Ich darf die beiden Fragen zusammen beantworten. Der Preis, zu dem die Bundesreserve Weizen zur Herstellung von Exportmehl abgibt, richtet sich in allen Fällen, also nicht nur im Falle China, nach den jeweils notierten Weltmarktpreisen für vergleichbaren Weizen. Die Höhe des Betrages, der zur Anpassung des deutschen Weizens Ian den Weltmarktpreis erforderlich ist, hängt also von den notierten Weltmarktpreisen ab. Die Möglichkeit, Weizen für Exportzwecke oder für die Herstellung von Exportmehl aus der Bundesreserve zu beziehen, ist von der Einfuhr- und Vorratsstelle öffentlich ausgeschrieben. Bis zur Erschöpfung der für die Anpassung an den Weltmarktpreis vorgesehenen Haushaltsmittel kann jeder Weizen aus der Bundesreserve zu den jeweiligen Weltmarktpreisen beziehen. Die Einfuhr- und Vorratsstelle berücksichtigt die am Ausschreibungstag vorgelegten preisgünstigsten Offerten. Offerten unter dem jeweiligen Weltmarkttagespreis werden nicht berücksichtigt. Die Auslieferung des Weizens zur Herstellung von Exportmehl erfolgt erst bei nachgewiesenem Export einer entsprechenden Weizenmehlmenge.
Zusatzfrage?
Darf ich daraus schließen, daß sich hei diesem Chinageschäft der Verkaufspreis für den Weizen auf der üblichen Höhe bewegt hat?
Jawohl.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9553
Die nächste Frage ist die Frage VI/6 — des Herrn Abgeordneten Sander, übernommen vom Herrn Abgeordneten Mauk —:
Liegen die von Herrn Staatssekretär Dr. Sonnemann in der Fragestunde vom 3. Mai für Juni dieses Jahres angekündigten Richtlinien für die Lieferung von Agrarüberschüssen an Entwicklungsländer nunmehr vor, so daß jetzt Maßnahmen für die Lieferung von deutschem Überschußzucker eingeleitet werden
können?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Auf Grund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen von 27. Oktober 1960 hat die FAO nunmehr Vorschläge zur Lieferung von landwirtschaftlichen Überschußgütern im Rahmen der Entwicklungshilfe ausgearbeitet. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, die Vollversammlung der Vereinten Nationen sowie die Konferenz der FAO werden im Laufe dieses Jahres die Vorschläge beraten und konkrete Maßnahmen beschließen. Die wesentlichen Grundsätze .der Richtlinien der FAO sind nachstehend wiedergegeben:
a) Abgesehen von Fällen plötzlich auftretender Not sollen die Nehmerländer verpflichtet sein, diese Nahrungsmittellieferungen in ihre Entwicklungspläne einzubeziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, daß diese Nahungsmittel als Ansporn zur Leistungssteigerung für die einheimische Wirtschaft wirken.
b) Die Hilfslieferungen können bilateral oder multilateral gehandhabt werden. Hierbei sollen die Wünsche der Entwicklungsländer berücksichtigt werden.
c) Die Hilfen sollen möglichst aus hochwertigen, insbesondere eiweißhaltigen Nahrungsmitteln bestehen.
d) Die Lieferungen können unentgeltlich, gegen Bezahlung in Landeswährung oder verbilligt gegen Devisen erfolgen.
e) Die Hilfe soll während einer Zeit von fünf bis zehn Jahren gewährt werden.
Im Zusammenhang mit diesen Vorschlägen der FAO hat die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika alst erste konkrete Maßnahme die Bildung eines Fonds in Höhe von 100 Millionen Dollar angeregt. Dieser Fonds soll in Form von Waren oder Geld ,gebildet werden. Die US-Regierung hat hierfür bereits 40 Millionen Dollar in Form von Überschußgütern zugesagt. Diese multilaterale Aktion soll durch ,die FAO durchgeführt werden. Sollte dieser Vorschlag gebilligt werden, wird sich auch die Bundesregierung in geeigneter Weise an dieser Aktion beteiligen.
Unabhängig von der von den Vereinten Nationen geplanten Aktion und den Vorschlägen der FAO hat sich 'die Bundesregierung kürzlich bereit erklärt, der pakistanischen Regierung 25 000 t Zucker zu liefern.
Herr Abgeordneter Bading.
Herr Minister, sind auch von anderen Ländern noch Anforderungen an kohlehydrathaltigen Nahrungsmitteln gekommen, also nach Zucker oder Getreide?
Bisher noch nicht.
Liegen Anforderungen an eiweißhaltigen Nahrungsmitteln vor?
Solche lagen vor anläßlich der Hungersnöte im Kongo-Gebiet. Wir haben durch einige Flugzeuge eiweißhaltige Nahrungsmittel 'dorthin befördern lassen.
Keine Zusatzfrage mehr. Ist damit auch die Frage VI/7 erledigt?
Die Frage VI/7 — des Herrn Abgeordneten Sander — lautet:
Hält die Bundesregierung die unterschiedliche Aufbringung der Kosten der Lagerhaltung für Importzucker und derjenigen für Zucker aus deutscher Erzeugung mit dem auch von dem Herrn Bundesernährungsminister wiederholt verkündeten Grundsatz der Vorrangigkeit der Eigenerzeugung für vereinbar?
Ich darf auf die Frage 7 antworten: Die Erstattung von Kosten der Lagerhaltung für Zucker ist in § 5 Abs. 1 a des Zuckergesetzes geregelt. Danach sind für Importzucker die Kosten der Lagerhaltung von der Einfuhr bis zur Freigabe zu erstatten, während für Inlandzucker eine Erstattung erst zugelassen ist, wenn und soweit er bis zum Ende des Erzeugungsjahres nicht freigegeben worden ist. Diese unterschiedliche Behandlung findet ihre Begründung darin, daß bei Inlandzucker die Kosten der Lagerhaltung für ein Zuckerwirtschaftsjahr bereits bei der Preisfestsetzung im Fabrikabgabepreis berücksichtigt sind, während dies bei Importzucker nicht der Fall ist. Bei den im Laufe eines Jahres erfolgenden Teilfreigaben hat Zucker aus eigener Erzeugung, soweit sie im Rahmen der festgesetzten Zuckerabsatzrechte liegen, den Vorzug vor eingeführtem Zucker. Dadurch wird der Absatz der Eigenerzeugung im Laufe des Zukkerwirtschaftsjahres garantiert. Infolgedessen haben die Fabriken insoweit für den inländischen Zucker auch keine Kosten zu tragen, die nicht im Fabrikabgabepreis berücksichtigt sind.Soweit die Zuckerfabriken im Zuckerwirtschaftsjahr 1960/61 über ihre Zuckerabsatzrechte hinaus Zucker erzeugt haben, können ihnen die Kosten und das Risiko einer vorläufig nicht absetzbaren Mehrerzeugung nicht abgenommen werden. Die Zuckerfabriken sind rechtzeitig darauf hingewiesen worden, daß für eine Erzeugung, die über ihre Absatz-
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9554 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Bundesminister Schwarzrechte hinausgeht, Kosten aus öffentlichen Mitteln nicht erstattet werden können. In diesem Zusammenhang wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD Drucksache 2591 verwiesen.
Keine Zusatzfrage. Frage VI/8 — des Abgeordneten Logemann —:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um der Verunstaltung von Wäldern, Raststellen und Straßenrainen durch Abfälle im Interesse des Landschaftsschutzes und aus hygienischen Gründen entgegenzutreten?
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9555
Frage, Frage! Eine Frage muß ich hören!
Ist Ihnen das nicht bekannt? Ich gebe. Ihnen gern dieses Material und würde gern Ihre Stellungnahme dazu hören. Es dürfen nicht nur — das müßte Ihnen bekannt sein — Hormonpräparate gegeben werden, sondern auch arsenhaltige Präparate.
Herr Abgeordneter, es kann nicht die Aufgabe der deutschen Bundesregierung sein, einen Beitrag zur Überwachung der amerikanischen Landwirtschaft zu liefern. Es kann nur Aufgabe der Bundesregierung sein, im Rahmen unseres Lebensmittelgesetzes die nötige Acht darauf zu geben, daß Importe nicht zu Bedingungen erfolgen, die unserem Lebensmittelrecht zuwiderlaufen. Insoweit haben wir das in unseren Kräften Stehende getan und werden das auch weiter tun, sind aber hierbei weitestgehend — ich glaube, ich werde bei einer weiteren Anfrage darauf zurückkommen — auf die Mitwirkung der US-Regierung angewiesen.
Mauk -: Die heute gestellten Fragen — das wird Ihnen doch nicht entgangen sein, Herr Minister — gehen ja auf diese Importe hinaus.. Es werden tatsächlich —.
Präsident D. Dr. Gerstenmaiér: Frage, Frage, Herr Abgeordneter!
— solche Mittel verwendet, die dem deutschen Lebensmittelrecht nicht entsprechen. Das ist Ihnen doch sicherlich bekannt. Ich darf Sie bitten, auf dieses Material, 'das ich Ihnen hier gebe, schriftlich zu antworten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es für richtig, daß sich die deutsche Bundesregierung darauf beschränkt, Anfragen an die amerikanische Regierung zu richten, ob das oder jenes zutrifft, oder ist es nach Ihrer Meinung nicht notwendig, daß auch von hier aus objektive wissenschaftliche Untersuchungen darüber angestellt werden, ob diese oder jene Präparate den Tieren beigegeben werden und in den Schlachtkörpern noch zu finden sind?
Herr Abgeordneter, wie ich bereits in der Fragestunde vom 14. dieses Monats mitgeteilt habe, haben wir von uns aus sowohl die deutsche Botschaft wie auch unseren Landwirtschaftsattaché gebeten, sich um diese Fragen intensiv zu kümmern, und bekommen laufend Berichte über diese wichtige Angelegenkeit. Es ist uns aber im Augenblick nicht möglich, mehr zu tun als das, was wir in Gang gesetzt haben. Wir können auch die Ware, die hierher kommt, nicht auf gewisse Herstellungsmethoden hin untersuchen, weil hier die Kunst der Chemiker ihr Ende erreicht hat.
Frage VI/13 — des Herrn Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm —:
Ist die Zusicherung des Landwirtschafts-Attachés der Deutschen Botschaft in Washington, daß in den von ihm besichtigten Geflügelmastbetrfeben die Hähnchen nicht mit in der Bundesrepublik verbotenen Zusätzen gefüttert werden, durch vorschriftsmäßige Analysen der von ihm aus den in diesen Betrieben verwendeten Futtermischungen bezogenen Proben belegt?
Der 'deutsche Landwirtschaftsattache hat bei seinen Besuchen auf amerikanischen Geflügelmastbetrieben Futterproben nicht gezogen. Es ,dürfte verständlich sein, daß diets einem diplomatischen Vertreter auch kaum möglich gewesen wäre. Der deutsche Landwirtschaftsattaché weist aber darauf hin, 'daß jeder Geflügelmastbetrieb von einem Veterinär überwacht wird, der als Beauftragter des US-Landwirtschaftsministeriums auch die Aufgabe hat, Verstöße gegen die amerikanische Lebensmittelgesetzgebung und gegen die Gesetze der Länder, in 'die das 'Schlachtgeflügel exportiert werden soll, festzustellen 'und den zuständigen Behörden zu melden.
Eine Zusatzfrage?
Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 164. Sitzung., Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9557
Herr Minister, sind die Lebensmittelgesetzgebungen in Amerika und in der Bundesrepublik identisch oder bestehen da Unterschiede?
Es bestehen Unterschiede. Aber über das eine kann auf Grund der Auskunft, die ich soeben erteilt habe, kein Zweifel sein, daß die Exportbedingungen in den Vereinigten Staaten sehr klar auf die gesetzlichen Grundlagen der Importländer ausgerichtet sind, so daß die dortigen Beauftragten gleichzeitig die Pflicht haben, diese Bestimmungen der Importländer zu beachten.
Frage VI/14 — des Herrn Abgeordnetèn Wittrock —:
Wird der Herr Bundesernährungsminister die in einigen Bundesländern, so in Hessen, vorgenommene Ersetzung der Wochentagsbezeichnung auf dem Verschluß von Milchflaschen durch anonyme Kennziffern zum Anlaß nehmen, diese Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Schutzes und der Aufklärung des Verbrauchers zu prüfen?
Nach § 9 Abs. 2 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 — Reichsgesetzblatt 421 — können in Ausführungsbestimmungen Anordnungen ,getroffen werden über die Art der Verschlüsse und die weiteren Anforderungen an Gefäße und Behältnisse, auf die Milch zur verkaufsfertigen Abgabe an die Verbraucher abgefüllt ist. Vorschriften über die Angabe des Abfüll- bzw. Ausgabetages auf verkaufsfertigen Packungen von Milch durch die Molkereien sind bisher, mit Ausnahme der Markenmilch, ausschließlich von den Ländern erlassen worden, die damit auch die Verantwortung hierfür tragen. In der Markenmilchverordnung vom 31. Juli 1959 hat der Bund u. a. die offene Angabe des Wochentages auf den verkaufsfertigen Packungen vorgeschrieben. Die Mehrheit der Länder hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit bestimmt, daß auf dem Verschluß der Milchflaschen oder sonstigen verkaufsfertigen Packungen der Trinkmilch der Wochtentag der Ausgabe durch die Molkereien angegeben sein muß. Die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen haben von einer solchen Anordnung abgesehen. Sie haben es den Molkereien, die sowieso eine einwandfreie Trinkmilch gewährleisten müssen, überlassen, auf dem Verschluß den Wochentag der Ausgabe oder eine chiffrierte Kennzeichnungsnummer anzugeben, die eine laufende. Kontrolle in den Geschäften ermöglicht. In diesen Ländern sind daher die Molkereien dazu übergegangen, den Aufdruck des Ausgabetages durch eine chiffrierte Kennzeichnung zu ersetzen. Die Molkereien halten die Angabe des Ausgabetages auf ,den Flaschenverschlüssen im Hinblick auf die modernen Be- und Verarbeitungsmethoden
und die Qualitätskontrollen für. entbehrlich. Da in letzter Zeit immer wieder Wünsche nach obligatorischer Angabe des Ausgabetages auf verkaufsfertigen Packungen von Trinkmilch von der Verbraucherschaft vorgebracht wurden, haben die obersten Landesbehörden der Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen — auf die sich Ihre Anfrage zweifellos bezieht — eine entsprechende Prüfung zugesagt. Ich werde die Angelegenheit auch in den Besprechungen mit den obersten Landesbehörden weiter verfolgen.
Eine Zusatzfrage?
— Bitte sehr, Herr Abgeordneter Bading!
Herr Minister, sind Sie bereit, diesen ganzen Unfug der Stempelei einmal grundsätzlich zu beseitigen oder jedenfalls die Anregung zu geben, ihn zu beseitigen? Denn das liegt natürlich in erster Linie bei den Ländern. Ist Ihnen bekannt, daß von der Bonner Molkerei eine Mittwochsmilch, die am Freitag an die Verbraucher geht, mit dem Donnerstag-Stempel versehen wird,
und ist Ihnen bekannt, daß dadurch der Verbraucher regelrecht betrogen wird und daß dadurch die Landwirtschaft natürlich auch wieder den Nachteil durch diese völlig falsche Deklarierung des Tages hat?
Herr Kollege Bading, ich habe den, Eindruck, daß Ihre Ausführungen im Widerspruch zu den Ausführungen stehen, die Herr Kollege Wittrock eigentlich hören wollte. In jedem Fall ist die Bundesregierung unter allen Umständen bemüht, die Wahrheit auf der Deklaration zu erreichen. Da aber die Länderregierungen weitestgehende Möglichkeiten haben, von sich aus Dinge zu bestimmen, über die wir nicht gebieten können, müssen wir uns darauf beschränken, mit den Länderregierungen zusammen in wirklicher Würdigung der Wünsche und Notwendigkeiten der Verbraucher das zu tun, was den Wünschen der Verbraucher am nächsten kommt. Ich habe deswegen gesagt: wir bemühen uns, mit den Länderregierungen eine Regelung zu finden, die den Wünschen des Herrn Fragestellers entspricht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wittrock.
Darf ich zur Klarstellung der etwa mißverstandenen Tendenz meiner Frage davon ausgehen, Herr Minister, daß Sie überzeugt sind, ich halte es für notwendig, den Gesichtspunkt der Deklarierungswahrheit zum Schutze des Verbrauchers zu gewährleisten, und stimmen Sie der Auffassung zu, daß gerade die großzügige Subventionierung des Verbrauchs von Trinkmilch es zu einer obersten Pflicht einer jeglichen Behörde macht, hier den Verbraucher zu schützen und ihm eine qualitativ einwandfreie Trinkmilch zu liefern?
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9558 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Herr Kollege Wittrock, Ihr Anliegen ging dahin, eine Deklaration zu erhalten, die den täglichen Stempel der Herstellung trägt. Herr Kollege Bading sprach von dem „Unfug der Stempelei", wobei ich zunächst glaubte, es sollte eine Eierstempelei werden. Ich glaube aber, daß Ihre Frage nun zur Klärung in der Richtung beigetragen hat, daß wir alle drei gemeinsam das eine wollen: dem Verbraucher nicht nur eine gute Milch zu geben, sondern auch eine wahrhafte Deklaration. Ich glaube, wir können uns darauf einigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
Herr Minister, wollen Sie nicht bei der Flaschenmilch ähnlich wie seinerzeit nach Ihrem Amtsantritt bei grundsätzlich gleicher Rechtslage, nur im Hinblick darauf, daß sehr erhebliche Bundesmittel für die Milch eingesetzt werden, wieder einmal den Harun al Raschid spielen?
Ich bin. gern dazu bereit, Herr Kollege Ritzel.
Danke!
Nun komme ich zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Krüger Drucksache 2934, zunächst zu den Fragen IV/1 und IV/2.
Bedeutet der Kabinettsbeschluß vom 19. April 1961 über die geplante Fusion der Deutschen Siedlungsbank und der Deutschen Landesrentenbank schon eine endgültige Entscheidung über die Fusion der Banken?
Hat die Bundseregierung zur Frage der geplanten Fusion des Deutschen Siedlungsbank und der Deutschen Landesrentenbank den von verschiedenen Ländern, Verbänden und Organisationen vorgetragenen Bedenken Rechnung getragen und zuvor die Einholung eines umfassenden Fachgutachtens über die Siedlungsreform beschlossen, an welchem Praktiker, Wissenschaftler und Siedlungsbehörden der Länder beteiligt werden?
Zur Beantwortung der Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Eine Sekunde! Jeder, Herr Kollege Spies, darf hier etwas sagen, soweit es nichts Beleidigendes ist. Er kann sogar Beleidigungen zum Ausdruck bringen, wenn es keine Verbalinjurien sind.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob dieselben Gesichtspunkte, die Sie für die Inanspruchnahme eines Flugzeuges der Bundeswehr durch den Herrn Bundeskanzler als Parteivorsitzenden zur Sicherung der Erledigung seiner Dienstgeschäfte auch während des Fluges genannt haben, auch auf andere Herren Minister, beispielsweise auf den Vorsitzenden der CSU, derzeit Bundesverteidigungsminister, oder auf den Herrn Bundesverkehrsminister Seebohm, den ich gerade da vor uns sehe, oder auf den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder zutreffen? Werden diesen Herren ebenfalls Dienstflugzeuge zur Verfügung gestellt, wenn sie Wahlreisen unternehmen und unterwegs Akten bearbeiten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist mir nicht bekannt, daß einem anderen Bundesminister Bundeswehrflugzeuge für Dienstreisen zur Verfügung gestellt worden sind, die nicht Dienstreisen für staatliche Zwecke, sondern für parteiliche Zwecke sind.
Zweite Zu- satzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Auch nicht dem Herrn Bundesverteidigungsminister als Vorsitzendem der CSU?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundeswehr ist in Deutschland so weit verbreitet, daß sich fast in jedem größeren Ort eine Bundeswehreinheit befindet, so daß der Bundesverteidigungsminister stets Dienstgeschäfte in größeren Orten zu erledigen hat.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer!
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, wer ganz persönlich hat diese Entscheidung getroffen, die Sie hier vortragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welche Entscheidung, Herr Abgeordneter?
Die Sie hier vortragen: daß dem Bundeskanzler kostenlos ein Flugzeug zur Verfügung gestellt wird. Wer hat das unterchrieben?
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Herr Abgeordneter, das geht doch folgendermaßen vor sich: Der Herr Bundeskanzler fordert ein Flugzeug an. Ich glaube nicht, daß eine nachgeordnete Stelle dazu da ist, die Anforderungen einer höheren Stelle zu überprüfen.
Wenn also der Bundeskanzler ,ein Flugzeug anfordert, wird der zuständige Offizier oder der Beamte dieses Recht nicht für sich in Anspruch nehmen.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich im klaren, welche Antwort Sie soeben gegeben haben und wie gefährlich diese Antwort ist? Wissen Sie nicht, daß jeder Minister sein Ressort in eigener Verantwortung leitet? Meinen Sie tatsächlich, daß der Herr Bundeskanzler Befehle geben kann auch über haushaltsrechtliche Bestimmungen hinweg und über jede Verantwortlichkeit hinweg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im . Haushaltsausschuß ist in Ihrer und meiner Gegenwart früher darüber gesprochen worden, daß diese Flugzeuge auch für Zwecke der Regierung allgemein zur Verfügung stehen. Wenn nun der Bundeskanzler ein Flugzeug anfordert, dann ist es meines Erachtens nicht gefährlich, wenn die zuständige Stelle des Verteidigungsressorts dieser Anforderung nachkommt. Das ist kein erkennbar rechtswidriger Befehl, das ist überhaupt kein rechtswidriger Befehl.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9561
Sie haben schon zwei Zusatzfragen. Nun kommt der Herr Kollege Wittrock.
Herr Staatssekretär, können Sie folgende Frage beantworten — bedauerlich ist, daß man nur den Herrn Staatssekretär fragen kann —: Hat sich die Bundesregierung schon einmal mit der Frage befaßt, daß es zu den elementaren Grundsätzen der von Parteien getragenen parlamentarischen Demokratie gehört, die Wettbewerbsgleichheit zwischen diesen Parteien als den Trägern der parlamentarischen Demokratie zu wahren und diesem Prinzip der Wettbewerbsgleichheit, der Gleichheit der Chancen all 'dieser Teilnehmer am politischen Ringen alle anderen Staatszwecke unterzuordnen, weil ja letzten Endes die oberste Entscheidung des Staatsvolkes die Teilnahme an der Willensbildung im gleichen Wettbewerb aller Parteien ist? Hat die Bundesregierung sich einmal mit dieser Frage befaßt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, soweit sich diese Frage an Parteien richtet, darf ich wiederholen, daß ich
— ich bitte, mich aussprechen zu lassen — für die Beantwortung nicht zuständig bin. Soweit sich die Frage an die Bundesregierung richtet, kann ich nur auf meine Hauptantwort hinweisen, daß der Herr Bundeskanzler in einigen wenigen Fällen ein Flugzeug der Bundeswehr angefordert hat; daß er in diesen Fällen, wie ich sagte, meist überwiegend staatliche Dienstgeschäfte erledigte, in einzelnen Fällen die Flugzeuge ausschließlich für staatliche Dienstgeschäfte anforderte; ferner, daß stets ein staatliches Interesse daran besteht, daß der Herr Bundeskanzler nicht lange vom Dienstort abwesend ist und daß er unterwegs erreichbar ist. Beides ist durch Benutzung eines Flugzeugs gewährleistet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kliesing.
Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß hier die Benutzung bundeswehreigener Flugzeuge für den Herrn Bundesverteidigungsminister angesprochen wurde, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es überhaupt für rechtlich zulässig, dem Bundesverteidigungsminister als dem Oberbefehlshaber der Bundeswehr die Benutzung bundeswehreigener Flugzeuge zu versagen, wann er es auch immer will und verantworten kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn der Herr Bundesminister für Verteidigung von der Transportstaffel ein Flugzeug anfordert, so besteht für eine nachgeordnete Stelle kein Anlaß, zu fragen: Wofür wollen Sie das Flugzeug haben? Diese Verantwortung und dieses Verantwortungsbewußtsein muß man wohl dem Ressortchef allein überlassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Börner.
Herr Staatssekretär, in welchen anderen Staaten mit freiheitlich demokratischen Prinzipien ist die von Ihnen dargestellte Vermischung von Staats- und Parteiämtern noch üblich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß ich diese Frage nicht zu beantworten brauche, weil ich bei den verschiedenen Antworten gesagt habe, daß eine Vermischung von Staats- und Parteizwecken nicht vorliegt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragestunde ist für heute zu Ende.
— Aber wenn Sie weiter fragen wollen, bitte sehr. Ich habe große Bedenken, jetzt abzubrechen, das muß ich ganz offen sagen, denn wir haben noch sehr viele Fragen, und wir müssen darauf sehen, daß am Freitag keine Fragestunde mehr stattfindet. Ich muß auch den Versuch machen, morgen nicht zwei Fragestunden stattfinden zu lassen, weil wir immer noch einen Nachholbedarf von etwa drei Stunden für die allgemeinen Beratungen haben.Es ist jetzt halb zwölf. Ich frage — der Herr Bundesminister für Verkehr ist anwesend —: ist das Haus damit einverstanden, daß die Fragestunde noch um 30 Minuten verlängert wird?
— Ich bedanke mich, meine Damen und Herren, wir fahren dann fort.Bevor ich dem Herrn Bundesverkehrsminister das Wort gebe, muß ich Sie aber noch von folgendem in Kenntnis setzen: Ich bekomme soeben ein Telegramm, in dem mitgeteilt wird, daß durch wolkenbruchartige Regenfälle und Stürme von Taifunstärke weite Teile Japans und der Philippinen am Mittwoch überschwemmt und verwüstet worden sind. Japan hat bis jetzt 79 Tote gemeldet, 116 Personen werden noch vermißt. Es sind 1,4 Millionen qkm Ackerland, Dämme, Straßen, Brücken, Wohnsiedlungen zerstört und überschwemmt. 138 000 Japaner
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9562 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Präsident D. Dr. Gerstenmaierhaben ihre Wohnungen verlassen, eine Viertelmillion Häuser wurden bisher von den Fluten unterspült und zum Einsturz gebracht.In Anbetracht dessen, daß wir in diesen Tagen den Besuch des Herrn japanischen Reichstagspräsidenten und einer japanischen Reichstagsdelegation hier haben, habe ich Veranlassung genommen, dem Herrn japanischen Reichstagspräsidenten, der sich noch auf Reisen in Deutschland befindet, die aufrichtige Anteilnahme des Hauses zum Ausdruck zu bringen.Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Fragestunde fort. Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, Frage IX/1 — des Herrn Abgeordneten Ritzel —:Welche Möglichkeit sieht der Herr Bundesverkehrsminister, um die Auspuffgase der Autos zu entgiften?Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesverkehrsminister.
Welche Möglichkeiten sich nach dem heutigen Stand der Technik ergeben, um die Abgase der Kraftfahrzeuge zu entgiften, ist in den letzten Jahren im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung eingehend geprüft worden. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Antwort hinweisen, die ich auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schranz in. der Fragestunde am 3. Mai d. J. gegeben habe.
Bisher hat sich weder für die sogenannte Nachverbrennung noch für die Filterung oder andere Maßnahmen ein wirklich brauchbares Verfahren entwickeln lassen, das bei wirtschaftlich vertretbarem Aufwand einen ausreichenden Gebrauchswert nachweist. Die Bemühungen zur Reinhaltung der Luft ,beschränken sich daher zunächst darauf, bei Vergasermotoren eine Reduzierung der schädlichen CO-Bestandteile im Abgas in der Weise vorzusehen, daß bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden dürfen. Bei Dieselmotoren wird ein rauchfreier Auspuff bei allen Betriebszuständen verlangt. Die Einhaltung dieser Forderungen soll durch laufende Verkehrskontrollen mit geeigneten Meßgeräten sichergestellt werden.
Die im interparlamentarischen Auftrag gebildete Kommission „Reinhaltung der Luft" beim Verein Deutscher Ingenieure stellt gegenwärtig in Zusammenarbeit mit Behörden und Verbänden unter Einschaltung von Wissenschaftlern entsprechende Richtlinien auf. Für ihre Anwendung bietet die Neufassung des § 47 StVZO die gesetzliche Handhabe, nach der Kraftfahrzeuge so beschaffen sein müssen, daß die Verunreinigung der Luft durch Abgase das nach dem jeweiligen Stande der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ziehen Sie dabei auch die Arbeitsergebnisse des Instituts für Kolbenmaschinen an der Technischen Hochschule in Braunschweig, die Arbeiten des Herrn Franz Engel sowie die des Ingenieurs Oskar Steinbach in Köln zu, um zu einem guten Ergebnis zu kommen?
Es werden in der Kommission beim Verein Deutscher Ingenieure alle diese Arbeiten einer Prüfung unterzogen, Herr Kollege!
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, liegt nun endlich auch die Stellungnahme des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie vor, oder wartet Ihr Haus, bis diese Stellungnahme vorliegt?
Ich glaube, ich kann nichts anderes tun, als auf die Stellungnahme zu warten. Ich kann sie nur gelegentlich wieder einmal anmahnen.
Frage IX/2 — des Herrn Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung einer sachverständigen Delegation der EWG, die das Straßennetz in sieben Gebieten, nämlich Schleswig-Holstein, Ostfriesland, Eifel, Hunsrück, Franken, Oberpfalz und die Rhön, als „unterentwickelt" eingestuft hat?
Die genannten Gegenden der Bundesrepublik sind von der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 20. April d. J. in ihrer Sitzung mit Straßenbausachverständigen der sechs Mitgliedsländer als unterentwickelt bezeichnet worden. In derselben Sitzung wurde der Osten und Süden Hollands — im ganzen etwa zwei Drittel dieses Landes —, von Frankreich die Bretagne und der ganze Südwesten von etwa Poitiers bis zu den Pyrenäen, ferner von Italien das ganze Land mit Ausnahme der Po-Ebene westlich der Etsch und des Gebietes um Genua-Mailand als unterentwickelt erklärt.Der Anlaß für die Aufstellung dieser Thesen war die Aufforderung des Ministerrats der EWG an die Kommission, außer ihrem Vorschlag für den Ausbau der sogenannten Großen Achsen — das sind die 15 wichtigsten Europa-Straßen — auch die Erschließung unterentwickelter Gebiete ins Auge zu fassen. Punkt IV der Tagesordnung der genannten Sitzung war der Frage nach dem Ausbau von Regionalstraßen in und zu unterentwickelten Gebieten gewidmet. Die Vertreter aller vier in Frage kommenden EWG-Länder — also außer Belgien und Luxemburg — haben bei dieser Gelegenheit dargelegt, daß und in welcher Weise auch der Straßenbau in und zu diesen sogenannten unterentwickelten Gebieten in ihren Ausbauplänen und nationalen Programmen vorgesehen ist.Deutscherseits wurde darüber hinaus geltend gemacht, daß die Anwendung des Begriffes „unterentwickelt" hier grundsätzlich zu Bedenken Anlaß geben könne. Die Kommission legt diesem Begriff die
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9563
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. SeebohmProduktivität je Quadratkilometer zugrunde. Sie ist gefragt worden, ob man z. B. in einem Lande mit Vollbeschäftigung so verfahren kann oder ob z. B. in Gegenden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung wie in Ostfriesland und .Schleswig-Holstein, wo mangels Bodenschätzen keine Schwerindustrie entwickelt werden kann, ein solcher Maßstab Gültigkeit besitzt. Weder kann eine gleich hohe Produktivität je Quadratkilometer überall im Bereiche der EWG oder im Bereich eines Landes noch auch die Möglichkeit zur Übertragung von Straßensystemen aus Gebieten hoher Produktivität, vielseitiger Produktion und großer Bevölkerungsdichte auf solche mit Monokulturen erwartet werden. Diese Einwände wurden auch anerkannt; ihre Prüfung wurde uns zugesagt.
Eine Zusatzfrage? — Ist damit auch die Frage IX/3 beantwortet?
— Darf ich noch um Beantwortung der Frage IX/3 —des Herrn Abgeordneten Freiherr von KühlmannStumm — bitten, die ich hiermit aufrufe:
Ist die Bundesregierung bereit, für den Ausbau des Straßennetzes in den Gebieten Schleswig-Holstein, Ostfriesland, Eifel, Hunsrück, Franken, Oberpfalz und die Rhön ,innerdeutsche" Entwicklungshilfe zu leisten?
Die Bundesregierung hat im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen, der am 27. Juli 1957 Gesetz geworden ist, den Ausbau •des Bundesfernstraßennetzes im Bereich von Schleswig-Holstein, Ostfriesland, Eifel, Hunsrück, Franken, der Oberpfalz und der Rhön vorgesehen. Die Ausbauarbeiten sind im Gange. Ich darf z. B. dazu nur auf die Umgehungsstraße Rendsburg mit der Untertunnelung des NordOstsee-Kanals als eine dieser Maßnahmen verweisen. Einer weiteren sogenannten Entwicklungshilfe bedarf es auf dem Gebiete des Straßenwesens in diesen Bereichen nicht, da der Ausbauplan auf Grund eingehender Untersuchungen die sich aus der Struktur der Landschaft ergebenden spezifischen wirtschaftlichen und verkehrlichen Bedürfnisse berücksichtigt, die hinsichtlich der Bundesfernstraßen im Zeitraum bis etwa 1970 auftreten können.
Keine Zusatzfrage? Dann rufe ich auf die Frage IX/4 - des Herrn Abgeordneten Brück —:
Wann kann mit der Ausführung der Instandsetzungsarbeiten auf der B 51 — insbesondere zwischen Dahlem und dem Schrankenposten der Strecke Köln-Trier, Tondorf und Eicherscheid — gerechnet werden, da die B 51 seit Anfang des Jahres zwischen Tondorf und Abfahrt Eicherscheid für Lkw über 3,5 t gesperrt war und auf diesem Abschnitt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h besteht?
Zur Beantwortung der Herr Bundesverkehrsminister!
Zwischen Dahlem und Forst Schmidtheim ist auf der rund 2,5 km langen Strecke der völlige Neubau der Bundesstraße 51 mit Beseitigung der schienengleichen Kreuzung der Eisenbahnlinie Köln-Trier beabsichtigt. Die Entwurfspläne liegen vor und werden gegenwärtig in meinem Hause geprüft. Mit dem Baubeginn ist spätestens im Rechnungsjahr 1963 zu rechnen, Es wird jedoch geprüft, ob nicht eine Teilstrecke von 600 in schon 1962 begonnen werden kann, um den vorhandenen schienengleichen Bahnübergang so weit wie möglich zu beseitigen. Ich persönlich habe die Auftragsverwaltung immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen.
Die langandauernde Tauperiode und die anschließenden ständigen Regenfälle haben auf der Bundesstraße 51 im Raume Blankenheim und Tondorf zu größeren Deckenschäden und Verdrückungen der Straßenoberfläche geführt. Die Risse in der Fahrbahndecke wurden sofort und laufend in 'einfacher Weise ausgebessert. Trotzdem mußte die Bundesstraße 51 vorübergehend vom 16. Januar bis 28. April dieses Jahres für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen im Abschnitt Tondorf—Eicherscheid gesperrt werden. Die gleichzeitig angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h wird auf einigen jetzt noch völlig durchfeuchteten Teilstrecken bis zur Austrocknung des Untergrundes voraussichtlich bis in den nächsten Tagen aus Gründen der Verkehrssicherheit aufrechterhalten werden müssen. Instandsetzungsarbeiten, nämlich die völlige Erneuerung der Fahrbahndecke und des Unterbaues für diesen Teil, sind bereits ausgeschrieben und werden voraussichtlich Anfang August beginnen.
Danke schön!
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, halten Sie es für richtig, daß bei Instandsetzungsarbeiten oder bei Fertigung der Fahrbahndecke auf der Bundesstraße 51 immer noch Streifen von 21/2 m Breite zwischen der Fahrbahn und den Chausseebäumen ungenutzt liegen bleiben?
Ich kann im einzelnen hierzu nicht Stellung nehmen. Sie müßten mir das auf den Plänen zeigen.
— Trotzdem würde ich bitten, daß Sie diese Angelegenheit an Hand eines Plans mit mir im Ministerium besprechen.
Ich rufe dann auf die Frage IX/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kanka —:
Wie beurteilt es der Herr Bundesverkehrsminister, daß gewisse Landräte — ich verweise auf die „Frankfurter Neue Presse" vom 16./17. Juni 1961, S. 3 - in ihrer Eigenschaft als Straßenverkehrsbehörde -der Bundeswehr die Erlaubnis, durch Lautsprecherwagen auf von ihr veranstaltete Ausstellungen hinzuweisen, versagt haben?
Bitte, Herr Bundesminister!
Nach § 5 der Straßenverkehrsordnung bedarf der Betrieb von Lautsprechern, der sich auf öffentliche
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9564 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. SeebohmStraßen auswirkt, der Erlaubnis der zuständigen Straßenverkehrsbehörde des betreffenden Landes. Absatz 5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift bestimmt, daß ein solcher Betrieb von Lautsprechern nur dann zugelassen werden darf, wenn ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit vorliegt.Die Beurteilung, ob ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit vorliegt, ist ausschließlich Sache der Landesbehörden, da das Straßenverkehrsgesetz, auf das sich die Straßenverkehrsordnung stützt, zu den Gesetzen gehört, welche nach Art. 83 des Grundgesetzes von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.Nach der fernmündlich beim Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr eingeholten Auskunft ist dort in dieser Angelegenheit bereits ein Erlaß an die nachgeordneten Dienststellen vorbereitet worden. Im Benehmen mit dem Hessischen Minister des Innern wird der Hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister dabei klarstellen, daß nach Auffassung der obersten hessischen Landesbehörden dann ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit vorliegt, wenn zur Aufklärung über die Arbeit und Bedeutung der Bundeswehr Lautsprecherwagen eingesetzt werden sollen. Eine allgemeine Freistellung von der Erlaubnispflicht kann nicht befürwortet werden, weil die Erlaubnispflicht wegen des dringenden Ruhebedürfnisses der Bevölkerung eingeführt worden ist, hier also ein berechtigtes Interesse des allgemeinen Wohls vorliegt.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich auf die Frage IX/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing —:
Welche Konsequenzen müssen nach Auffassung des Herrn Bundesverkehrsministers zur Erhöhung der Sicherheit auf der Bundesstraße 56 zwischen Beuel und Siegburg, vor allem aber im Bereiche der Gemeinde Hangelar, von den zuständigen Behörden aus den letzten schweren Unglücksfällen gezogen werden?
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister!
Bei der Umgehungsstraße im Zuge der Bundesstraße 56 im Raume Hangelar hat sich gezeigt, daß die drei Kreuzungen mit der alten Bundesstraße 56, mit der Siegfriedstraße und mit der Lindenstraße baulich den heutigen Verkehrsanforderungen bei der gegenwärtigen Verkehrsdichte nicht mehr genügen. Es fehlt insbesondere ein Aufstellraum für den Linksabbiegevierkehr.
Diesen Schwierigkeiten wird dadurch abgeholfen werden müssen, daß an diesen drei Knotenpunkten die Straße für den Linksabbiegeverkehr ausgeweitet wird. Bei der Kreuzung mit der alten Bundesstraße 56 sind die Vorarbeiten bereits so weit gediehen, daß die Arbeiten in Kürze anlaufen können. Man hätte mit ihnen schon begonnen, wenn nicht im letzten Augenblick neue Grunderwerbschwierigkeiten aufgetreten wären, die diesen Bezirk besonders charakterisieren. Die gleichen Maßnahmen werden auch bei den anderen Kreuzungen notwendig sein.
Solange aber der an sich notwendige Aufstellraum für den Linksabbiegeverkehr nicht zur Verfügung steht, wird es sich empfehlen, daß die örtlich zuständigen Behörden prüfen, wieweit durch ein einstweiliges Linksabbiegeverbot die Sicherheit an diesen Kreuzungen verbessert werden kann. Ferner dürfte es zweckmäßig sein, zu untersuchen, ob die an den Kreuzungen mit der Siegfriedstraße unid der Lindenstraße aufgestellten sogenannten Druckknopfampeln für den !Fußgängerverkehr nicht besser auf normale Zweiphasen-Signalanlagen umgestellt und nach dem System der Grünen Welle miteinander verbunden werden können.
Soweit die Änderung der Signalanlagen notwendig ist, können nach Maßgabe des Erlasses vom 10. August 1960, der im Verkehrsblatt 1960 auf Seite 604 veröffentlicht ist, auch Bundesmittel in Anspruch genommen werden. Die Ausführung aber ist nicht Bundes-, sondern Landessache oder Sache der vom Land damit beauftragten Behörden. Insbesondere sind es hier die Beschlußkörperschaften der beteiligten Gemeinden, die mitzuwirken haben, aber Schwierigkeiten überwinden müssen, um die nötigen Beschlüsse zu fassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Ritzel, bitte sehr!
Herr Bundesminister, wäre es nicht besser, Sie würden bemüht sein, darauf hinzuwirken, daß überhaupt eine Ersatzstraße in Richtung auf die Autobahn dort geschaffen wird angesichts der wirklich schwierigen Verhältnisse auf dieser 'Straßenstrecke?
Herr Kollege Ritzel, es ist ja ein Gesamtplan für den Ausbau der Straßen im Raum Siegburg-BeuelPorz im Laufen, von dem ein erheblicher Teil im Laufe des zweiten Vierjahresplans verwirklicht werden soll. Dazu gehört auch die Entlastungsstraße, die durch die neue Rheinbrücke nördlich von der berühmten romanischen Doppelkirche ausgeführt werden soll. Wir hoffen, daß damit eine Entlastung der ja vor wenigen Jahren erstgebauten, aber durch die steigende Verkehrsdichte nicht mehr ausreichenden Umgehungsstraße Hangelar erreicht werden kann.
Danke sehr.
Nächste Frage ist die Frage IX/7 — des Abgeordneten Weber —.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Autobahnamt am 15. April 1961 mit der Planung einer größeren Raststättenanlage für die amerikanischen Streitkräfte auf Markung Rutesheim Kr. Leonberg begonnen und auch schon einen Architekten beauftragt hat, ohne sich mit der Gemeinde als Grundstückseigentümerin und Hoheitsträgerin auf ihre Gemarkung in der Planung zu verständigen?
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961 9565
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9566 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
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9568 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Juni 1961
— Jawohl; ich will das keineswegs bestreiten. Der Kampf ist gemeinsam geführt worden.
Jetzt die Frage IX/17 — des Herrn Abgeordneten Ritzel —:
Bis wann wird die Deutsche Bundesbahn die letzten veralteten Wagen im Arbeiterberufsverkehr durch modernisierte oder neue Wagen ersetzt haben?
Herr Kollege Ritzel, auf Ihre Frage darf ich antworten, daß dies bis Ende 1962 durchgeführt sein wird.
Habe ich richtig gehört, daß die Arbeiterzüge bis Ende 1962 modernisiert werden?
Ja! Ich verstehe darunter, Herr Kollege Ritzel, daß es sich um den Ersatz aller Holzkastenwagen durch Stahlwagen handelt.
Eine Zusatzfrage!
Erfolgt diese Zusage unter der Voraussetzung der Bewilligung der wesentlich erhöhten Anforderungen der Deutschen Bundesbahn an den Bundeshaushalt 1962 mit rund 1,6 Milliarden DM, oder geht das aus anderen Mitteln?
Herr Kollege Ritzel, diese Art Maßnahmen müssen ja aus dem Investitionsplan bezahlt werden, und die Antwort, die ich gebe, erfolgt unter der Voraussetzung, daß die in dem Investitionsplan für Fahrzeuge vorgesehenen Mittel auch tatsächlich zur Verfügung stehen werden.
Frage V/1 der Drucksache 2934 — des Herrn Abgeordneten Scheel —:Ist der Bundesregierung bekannt, daß die bis zum 1. Juli 1961 vorzunehmende Funkentstörung der Kraftfahrzeuge in vielen Fällen daran scheitert, daß die für die Entstörung erforderlichen Verteilerfinger und Zündkerzenstecker nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind?Die Frage wird übernommen von Herrn Abgeordneten Mischnick.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1961 9569
Nach § 55 a der Straßenverkehrszulassungsordnung müssen in Kraftfahrzeugen, die ab 1. Oktober 1960 erstmals in den Verkehr kommen, die Zündanlagen von Otto-Motoren funkentstört sein. Die Nachrüstung der schon in Betrieb befindlichen Fahrzeuge ist bis zum 1. Juli 1961 durchzuführen. Da auf Grund von Absprachen mit der Kraftfahrzeugindustrie bereits seit dem 1. Juli 1958 erstmalig in den Verkehr kommende Fahrzeuge serienmäßig mit Störschutz versehen werden, bedeutete die kurzfristige Inkraftsetzung des § 55 a der Straßenverkehrszulassungsordnung für die Neufahrzeuge nur die Legalisierung eines bestehenden Zustandes. Für die bereits im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuge wurde ein Nachrüstungszeitraum von einem Jahr gewährt, der nach Angabe der einschlägigen Industrie erforderlich war, um den zusätzlichen Bedarf an Entstörmitteln zu decken.
Die Fachpresse und auf Veranlassung des Bundesverkehrsministeriums auch ,die Tageszeitungen haben wiederholt auf den Termin des 1. Juli 1961 für die Funkentstörung hingewiesen, um eine kontinuierliche Nachrüstung zu veranlassen. Trotzdem wird die Nachrüstung erfahrungsgemäß von einer beträchtlichen Zahl von Fahrzeughaltern erst kurz vor dem Termin vorgenommen, so daß bei Werkstätten und Fachhandel dadurch gewisse Schwierigkeiten auftreten können, daß auf Grund des bisherigen schleppenden Absatzes nicht genügend Entstörmittel vorgehalten werden. Lieferschwierigkeiten sind mir jedoch bisher nicht bekannt geworden.
Keine Zusatzfrage!
Frage V/2 der Drucksache 2934 — des Herrn Abgeordneten Hansing —:
Ist es richtig, daß trotz der Vorfinanzierung von 5 Mio DM durch den Bremer Senat die Zusage des Herrn Bundesverkehrsministers, die Autobahn Bremen—Walsrode bis 1963 fertigzustellen, nicht eingehalten werden kann?
Bei dem Bau der Autobahnstrecke Bremen—Walsrode, die den Anschluß Bremens an die Nord-SüdAutobahnstrecke darstellt, sind verschiedene Schwierigkeiten aufgetreten. Diese rund 60 km lange Autobahnstrecke gehört bekanntlich zur zweiten Baustufe des Ausbauplangesetzes von 1957, während die Autobahn Hamburg—Göttingen zur ersten Baustufe gehört. Trotzdem war geplant, die Strecke Bremen—Walsrode möglichst im ersten Vierjahresplan fertigzustellen. Das erwies sich jedoch als nicht durchführbar, weil einmal die Finanzierungslücke von rund 1 Milliarde DM im ersten Vierjahresplan sich natürlich in erster Linie auf die Strecken der zweiten Baustufe auswirkte, und ferner durch bei der endgültigen Planung auftretende Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten ergaben sich vor allem aus der strittigen Lage einer Anschlußstelle bei Uesen, die die gesamte Linienführung der Strecke Uesen—Verden beeinflußt. Erst nach langwierigen Verhandlungen mit dem Herrn Bundesminister für Verteidigung und dem Lande Niedersachsen konnten sie Mitte Mai 1961 ausgeräumt werden, so daß sich bis dahin die Aufnahme der Bauarbeiten auf diesem Abschnitt verzögert hat.
Die im Raum Walsrode von seiten der Landwirtschaft und der Kreisbehörde erhobenen Einwände gegen die Linienführung wirkten sich ebenfalls ungünstig aus. Erst nachdem ich im Juli 1960 die endgültige Linienführung festlegen konnte, ist das Planfeststellungsverfahren für mehrere Teilstrekken, die etwa die halbe Länge des Abschnittes ausmachen, in Gang gekommen. Die Planung der Auftragsverwaltung für die Reststrecken wird mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben, ist aber leider entgegen früheren Zusagen noch nicht abgeschlossen.
Je nach Ablauf der Planfeststellungsverfahren und den Witterungsbedingungen kann die Strecke Bremen—Walsrode auf ganze Länge frühestens bis zur Jahreswende 1963/64 vollendet sein. Dies hängt vor allem von den Leistungen ab, die die Niedersächsische Straßenbauverwaltung als Auftragsverwaltung in dieser Zeit aufweisen wird.
Die vom Lande Bremen vorfinanzierten 5 Millionen DM dienten zur Schließung einer Finanzierungslücke, die sich im Sommer 1960 für die Teilstrecke Bremen—Verden ergeben hatte, und ermöglichten die Fortsetzung des Baues von dem Bremer Kreuz in Richtung Verden. Die Gesamtbaukosten der Strecke Bremen—Walsrode werden etwa 155 Millionen DM betragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wenn ich Sie recht verstanden habe, kann man also mit der Fertigstellung für Ende 1963 bzw. Anfang 1'964 rechnen?
Ja, ich hoffe, daß wir, wenn es mit den Bauarbeiten einigermaßen klappt, diesen Termin erreichen können. Aber Sie wissen, man sitzt in den Terminen ja nicht drin, und man sitzt vor allen Dingen auch nicht in dem Wetter bei der Bauausführung drin. Der Effekt ist, daß, wenn man einen solchen Termin angibt, einem hinterher entweder gesagt wird: „Du bist schon längst mit der Straße fertig; warum hast du sie nicht eröffnet?", weil die Leute das nicht verstehen, was zu tun ist; oder daß einem gesagt wird: „Du hast sie zu früh eröffnet, weil du zu einem bestimmten Zeitpunkt eröffnen wolltest, und nun ist eine Rutschung eingetreten." Sie wissen: „Wer da bauet an den Straßen, muß die Leute reden lassen."
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Herr Minister, können Sie die Frage bejahen, daß auf jeden Fall von seiten des Bundesministers für Verkehr das Äußerste geschehen wird, um den Bau dieser Anschluß-Autobahn so schnell wie möglich sicherzustellen?
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9570 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1961
Herr Kollege Müller-Hermann, ich bejahe diese Frage aus vollem Herzen, denn diese Strecke ist ein Punkt, der mir sehr, sehr am Herzen liegt. Dafür habe ich mich immer eingesetzt. Aber leider ist es ja keine eigene Straßenbauverwaltung, die das ausführt, und für die Straßenbauverwaltung des Landes Niedersachsen bin ich nur in einem sehr beschränkten Maße einflußberechtigt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Meine Damen und Herren, ich muß abbrechen. Ich mache darauf aufmerksam, daß die restlichen Fragen morgen vormittag um 9 Uhr aufgerufen werden, das heißt: heute morgen 9 Uhr. Ich nehme an, daß wir keine ganze Stunde brauchen werden. Wir fahren dann in der Tagesordnung mit Punkt 14 — Kindergeldkassengesetz — fort.
Ich bedanke mich bei dem Hause, daß es so lange ausgehalten hat, und schließe die Sitzung.