Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich die Freude, Herrn Abgeordneten Dr. Kohut zu seinem 60. Geburtstag Glück zu wünschen.
Die vorgestrige Sitzung konnte nicht wie vorgesehen abgeschlossen werden. Die Fraktionen haben für heute folgende Behandlung der Geschäfte vereinbart: Zunächst sollen die restlichen Fragen der Fragestunde beantwortet werden — es sind nur drei —, dann soll die Abstimmung zu Punkt 36 der Tagesordnung wiederholt werden, die wegen Beschlußunfähigkeit des Hauses nicht stattfinden konnte. Wenn ich mich in diesem edlen Kreise umschaue, weiß ich nicht, ob wir jetzt schon eine Abstimmung wagen können.
— Ich weiß, nur das Glatteis ist an diesem Zweifel
schuld; ich habe mir es nicht anders vorgestellt . . .
Wir werden also vielleicht besser warten, bis das Glatteis aufgetaut ist.
Nach der Abstimmung zu Punkt 36 sollen die Tagesordnungspunkte 37 bis 43 und schließlich Punkt 35 behandelt werden. — Das Haus ist einverstanden.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 18. Januar 1961 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundestages vom 14. Dezember 1956 den Bericht über den Fortgang der Arbeiten zur Schiffbarmachung der Mosel für das Jahr 1960 übersandt, der als Drucksache 2420 'verteilt wird.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde .
Frage XIII — Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes —:
Was beabsichtigt die Bundesvermögensverwaltung zum Schutze und zum Erhalt der Düne im Neusiedlungsgebiet Bonn-Tannenbusch zu tun?
Herr Abgeordneter Kühn hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Wilhelmi vom 19. Januar 1961 lautet:
Die Bundesvermögensverwaltung ist im Interesse der Bewohner des Neusiedlungsgebietes in Bonn-Tannenbusch schon seit längerer Zeit im engen Benehmen mit der Stadt Bonn und der Landschaftsschulzbehörde bemüht, das unter Landschaftsschutz stehende bundeseigene, ca. 5 ha große Dünengelände als öffentliche Grünanlage auszugestalten.
Die Bundesvermögensverwaltung hat deshalb im vergangenen Jahre drei Querwege über die Düne angelegt und beabsichtigt, in diesem Jahre geeignete Anpflanzungen vorzunehmen sowie einen weiteren Kinderspielplatz zu errichten. An der von der Landschaftsschutzbehörde für die nächsten Jahre vorgesehenen umfangreichen Aufforstung wird sich die Bundesvermögensverwaltung beteiligen.
Ich rufe auf die Frage I — Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — des Herrn Abgeordneten Neumann:
Karin der Herr Bundesjustizminister über das Ergebnis seiner Bemühungen, die von alliierten Stellen 1948 an deutsche Behörden gegebenen Akten des früheren Staatssekretärs Klopfer wieder ausfindig zu machen, bereits Auskunft geben, nachdem er es in der Fragestunde sin 28. September 1960 als selbstverständlich bezeichnet hatte, daß in dieser Angelegenheit alle Möglichkeiten geprüft werden sollen?
Bitte, Herr Minister!
Auf Grund der Anfrage, die ich Anfang Oktober 1960 an das Bayerische Staatsministerium der Justiz gerichtet habe, sind die von den Alliierten übergebenen Akten im November vorigen Jahres der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Ulm zugeleitet worden, die für Klopfer zuständig ist. Sie prüft in einem noch anhängigen Ermittlungsverfahren die strafrechtliche Verantwortlichkeit Klopfers und hat ihn bereits zu den erhobenen Vorwürfen vernommen.
Zusatzfrage?
Herr Minister, ist es richtig, daß Ihre Mitteilung vom 28. September unrichtig war, Herr Klopfer sei 1934 bereits aus dem Staatsdienst ausgeschieden? Ist es nicht vielmehr richtig, daß Herr Klopfer noch am 20. Januar 1942 an der berüchtigten Wannsee-Konferenz, die der Endlösung der Judenfrage dienen sollte, als Ministerialdirektor teilgenommen hat und daß er bis 1945 noch zum Staatssekretär avancierte?
Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Mich hat nur der Tatbestand der Wannsee-Konferenz interessiert. An dieser Wannsee-Konferenz hat er teilgenommen.
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7904 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Zweite und letzte Zusatzfrage!
Dann darf ich Sie fragen, ob Sie gewillt sind, noch einmal Ihre Antwort vom 28. September nachzulesen, in der Sie die Feststellungen getroffen haben, denen ich jetzt widersprochen habe?
Selbstverständlich bin ich bereit, Ihnen jede Auskunft zu geben.
Bitte schön!
Die dritte Frage, eine Frage des Abgeordneten Dr. Bucher, ist aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen:
Wie ist die Äußerung des Herrn Staatssekretärs Dr. Thedieck in der „Welt am Sonntag" vom 15. Januar 1961 S. 4: „Was soll dem deutschen Volke heute noch die Theorie von dem Provisorium Bundesrepublik Deutschland?, mit der Präambel des Grundgesetzes zu vereinbaren?
Herr Minister Lemmer, bitte.
Die von Ihnen, Herr Kollege Dr. Bucher, zitierte Äußerung des Staatssekretärs Thedieck meines Hauses ist, wie Sie selbst bemerken, einer Zuschrift an die Zeitung „Welt am Sonntag" entnommen. Es ist ein Satz aus einem dort wiedergegebenen Diskussionsbeitrag zu Äußerungen des Herrn Bundestagsvizepräsidenten Dr. Thomas Dehler. Der Beitrag von Staatssekretär Thedieck bedarf auf Grund mehrfacher, von der Redaktion der „Welt am Sonntag" teils erbetener, teils selbst vorgenommener Kürzungen des Textes vielleicht einer gewissen Erläuterung.
Staatssekretär Thedieck wandte sich gegen die Kennzeichnung „Provisorium Bundesrepublik Deutschland" als des einen deutschen Teilstaates neben dem anderen deutschen Teilstaat, der sich „Deutsche Demokratische Republik" nennt.
Wir sollten uns aber auch hüten, wenn wir von der Bundesrepublik sprechen, immer wieder das bedenkliche Wort vom Provisorium zu gebrauchen.
Diese Auffassung steht nicht im Gegensatz zu den Verpflichtungen im Sinne der Präambel des Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Für die Bundesregierung und für das ganze deutsche Volk in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in Mitteldeutschland ist die
Sowjetzone ein auf Fremdherrschaft beruhendes Regime, kein deutscher „Teilstaat".
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der deutsche Staat in Identität und Kontinuität unter dem Namen Bundesrepublik Deutschland weiterbesteht entsprechend dem souveränen Willen des deutschen Volkes, dem auch vorgestern der Herr Bundestagspräsident anläßlich seiner uns bewegenden Gedenkworte zum 90. Jahrestag der Proklamation des Deutschen Reiches hier in diesem Hohen Hause Ausdruck gab. Ich möchte dem nur hinzufügen, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß die Wege für die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands im Sinne der Präambel in den Artikeln 23 und 146 des Grundgesetzes aufgezeichnet sind, daß aber Verhandlungen mit den undemokratischen und illegitimen Machthabern in der Sowjetzone als einem „paritätischen deutschen Teilstaat" nicht als geeigneter Weg angesehen werden können.
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wenn ich also davon ausgehen darf, daß die Äußerung des Herrn Staatssekretärs im ganzen Zusammenhang, der offenbar hier gekürzt ist, den Inhalt hat, wie Sie ihn jetzt geschildert haben, sind Sie dann nicht auch der Ansicht, daß es zweckmäßiger wäre, daß in Zukunft erstens Kritik an Abgeordneten — wenn sie notwendig erscheint — durch den Minister selbst geübt wird und zweitens dabei größter Wert darauf gelegt wird, daß ein solcher Beitrag in einer Zeitung dann auch wirklich ungekürzt erscheint?
Ich teile durchaus Ihren Wunsch, daß Äußerungen in Zeitungen ungekürzt erscheinen mögen, damit Mißverständnisse von vornherein augeschlossen werden, und als ein sehr überzeugter Bejaher der parlamentarischen Demokratie glaube ich auch, daß in erster Linie der Minister und nicht der Staatssekretär Kritik an Abgeordneten üben sollte.
Die Fragestunde ist beendet.Ich habe den Eindruck, daß wir nunmehr die Abstimmung zu Punkt 36 riskieren können; der Saal scheint genügend besetzt zu sein. Abgeordneter Schoettle hat beantragt, über Ziffer I und II geschlossen und dann ebenfalls geschlossen über Ziffer III und IV abzustimmen. Ich rufe also Ziffer I und II der Drucksache 2169 zur Abstimmung auf. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; angenommen.Ziffer III und IV zusammen! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Der Punkt ist erledigt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7905
Vizepräsident Dr. SchmidIch rufe Punkt 37 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Abgeordneten Gontrum, Dr. Löhr, Dr. Reinhard, Worms, Dr. Martin und Genossen betr. Schiffbarmachung der Lahn (Drucksachen 1374, 2323).Berichterstatter ist der Abgeordnete Cramer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bestehen einige Unklarheiten über eine Formulierung in dem Mündlichen Bericht, der allerdings auf Mitteilungen aus dem Verkehrsministerium fußt. Um diese Unklarheiten zunächst im Ausschuß noch einmal klären zu können, sind die Fraktionen übereingekommen, diesen Bericht nochmals an den Ausschuß zur Beratung zurückzugeben. Ich stelle den geschäftsordnungsmäßigen Antrag, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr zurückzuverweisen.
Einverstanden?
—Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Die Sache ist an den zuständigen Ausschuß zurückverwiesen,Punkt 38:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Wahl, Dr. Harm, Dr. Mende und Genossen betr. Abkommen über die einheitliche Auslegung der europäischen Verträge (Drucksachen 1731, 2333).Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Wahl. Verzichtet das Haus auf Entgegennahme eines mündlichen Berichts? — Das ist der Fall. Der Berichterstatter gibt seine Ausführungen zu Protokoll.*) Dann kommen wir zur Abstimmung.Wir stimmen ab über den Antrag Drucksache 1731. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Punkt 39:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Wahl, Dr. Harm, Dr. Mende und Genossen betr. Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksachen 1732, 2334).Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Professor Wahl. Auch hier wird das Haus wohl auf die Entgegennahme eines mündlichen Berichts verzichten. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.*) Siehe Anlage 3Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag Drucksache 1732 unverändert anzunehmen. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Punkt 40:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehem. Deutschmeister-Kaserne in Bad Mergentheim an den Caritasverband für Württemberg (Diözese Rottenburg) e. V. (Drucksache 2321).An welchen Ausschuß soll die Sache verwiesen werden?
— An den Haushaltsausschuß allein. Ist das Haus einverstanden? — Die Sache ist an den Haushaltsausschuß überwiesen.Punkt 41:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung eines bundeseigenen Teilgrundstücks des ehemaligen Flugplatzes Hamburg-Bahrenfeld an die Grundstücksgemeinschaft Benno Behrens, Franz Glogner und Hans Kauffmann in Hamburg .Auch hier ist das Haus wohl mit Überweisung an den Haushaltsausschuß einverstanden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Punkt 42:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für den Lastenausgleich über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1960 (Drucksache 2377, Umdruck 536 [neu]).Berichterstatter ist der Abgeordnete Kraft.
— Er verzichtet auf Erstattung des mündlichen Berichts. Das Haus verzichtet ebenfalls darauf. — Das Wort wird nicht gewünscht.Der Antrag des Ausschusses ist auf Drucksache 2377 zu lesen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme lest.Punkt 43:Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .Auf Umdruck 731 finden Sie eine Reihe von Anträgen, die nach Übereinkunft der Fraktionen ohne weitere Beratung an den Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden sollen. Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
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7906 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Vizepräsident Dr. SchmidNunmehr kommen wir zu unserer eigentlichen Arbeit, zu Punkt 35:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einreise und Ausreise .Das Wort zur Begründung hat der Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur ersten Beratung kommende Gesetzentwurf wird seit etwa zwei Monaten debattiert. Er ist der Öffentlichkeit am 17. November 1960 übergeben worden. Der Bundesrat hat ihn am 22. Dezember behandelt. Der Inhalt des Entwurfs ist weitgehend bekannt. Wir haben überdies eine Materialsammlung dazu mit der Überschrift „Gegen den roten Funktionär" herausgebracht, die der Öffentlichkeit etwa seit Mitte Dezember vergangenen Jahres vorliegt. Dort ist zur bisherigen Kritik in Rede und Gegenrede auch Stellung genommen. Ich darf also heute davon ausgehen, daß die Sache selbst den Mitgliedern des Hohen Hauses bereits einigermaßen vertraut ist. Lassen Sie mich deshalb den wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs nur noch in wenigen Sätzen zusammenfassen.Das Gesetz läßt den normalen Reiseverkehr aus der Bundesrepublik in die SBZ und umgekehrt völlig frei. Eine Genehmigungspflicht wird nicht eingeführt. Die Einreise soll nur Personen verboten werden, die hier gegen die Staatsschutzbestimmungen des Strafgesetzbuchs verstoßen oder sonstige Bestrebungen gegen den Bestand, die äußere oder innere Sicherheit oder die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik verfolgen wollen. Die Ausreise soll Personen verboten werden, die in der SBZ oder im Ausland in entsprechender Weise gegen die Bundesrepublik wirken wollen. Wer entgegen dem Einreise- oder Ausreiseverbot ein- oder ausreisen will, wird an der Grenze bzw. an der Demarkationslinie — Zonengrenze — angehalten und an der Weiterreise gehindert. Personen, die entgegen dem Einreiseverbot in den Geltungsbereich des Gesetzes eingedrungen sind, können aus diesem Gebiet entfernt werden. Das ist in wenigen Sätzen der Inhalt des Entwurfs.Zunächst kann ich wohl eine Feststellung treffen, die erfreulich ist. Das Ergebnis der bisherigen Diskussion läßt sich dahin zusammenfassen, daß allgemein Einverständnis darüber besteht, in Zukunft das Agentenunwesen und alle anderen Erscheinungen der kommunistischen Infiltration entschlossener als bisher zu bekämpfen. Das ist ein wertvoller Ausgangspunkt für alle kommenden Beratungen und Entschlüsse. Wir würden uns aber selbst täuschen, meine Damen und Herren, wollten wir annehmen, daß damit bereits Einverständnis erzielt sei über das, was getan werden muß und getan werden kann. Wenn ich die Lage richtig einschätze, ist jedoch ein zweiter Fortschritt in der Diskussion zu verzeichnen. Alle Kritiker des Entwurfs sind sich darüber klar, daß man ihm nicht mehr nur mit Besorgnissen, Zweifeln und allgemeinen Deklarationen begegnen kann, daß man mit anderen Wortender Bundesregierung als Antwort auf ihre Vorlage kein weißes Blatt Papier mehr überreichen kann. Die Aufgabe als solche wird jetzt weitgehend bejaht. Die Lösungsmöglichkeiten mögen umstritten sein. Wir können sie aber nur dann diskutieren, wenn sie konkretisiert werden. Wenn ich recht unterrichtet bin, sind von dieser Debatte solche kritischen Beiträge zu erwarten. Das ist zu begrüßen, denn das Stadium der bloßen Besorgnisse, Zweifel und allgemeinen Deklarationen sollte jetzt definitiv abgeschlossen sein.Der Bundesrat hat sich mit dem Entwurf in mehreren Ausschüssen und anschließend im Plenum ausführlich beschäftigt. Eine Mehrheit des Bundesrats bejaht die Vorlage im Kern. Darin sehe ich für den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens eine wertvolle Unterstützung, für die ich dem Bundesrat dankbar bin. Auf einige der Empfehlungen des Bundesrats kann ich vielleicht im Laufe der heutigen Debatte, sonst aber später im Ausschuß zurückkommen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist sich der Schwierigkeit der hier zu lösenden Aufgabe bewußt. Wir haben bei diesem Gesetz drei Schwierigkeiten zu überwinden: zunächst psychologische, mehr oder weniger gefühlsmäßige Schwierigkeiten. Gleichzeitig müssen wir dem gesamtdeutschen Interesse politisch gerecht werden, und schließlich müssen wir einen praktischen Weg der Lösung aufzeigen und durchführen.Zunächst einige Bemerkungen zu den psychologischen Schwierigkeiten. Im liberalen Rechtsstaat stößt jede Bestimmung, die Freiheit und Freizügigkeit einengt oder auch nur einzuengen scheint, zunächst einmal auf Unbehagen und instinktive Abwehr. Dieses Unbehagen und diese instinktive Abwehr können nur durch eine nüchterne Tatsachenbetrachtung überwunden werden. Ich glaube, daß dieses Stadium, soweit es sich um die Beurteilung des Gesetzentwurfs handelt, doch schon erreicht ist. Es gibt eben Dinge, die man aus Gründen der Vernunft tun muß, auch wenn ihnen das Gefühl zunächst entgegensteht. Die Gründe, derentwegen etwas geschehen muß, will ich nicht erneut ausbreiten. Ich verweise hier insbesondere auf unsere Denkschrift.Zweitens einige Bemerkungen zur gesamtdeutschen Politik. In diesem Zusammenhang ist jeweils ein Doppeltes zu berücksichtigen: Beeinträchtigt eine bestimmte Maßnahme die innerdeutschen Beziehungen und Verbindungen, und wirken sich die hier getroffenen Maßnahmen auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Widerstandswillen der Menschen in der Zone günstig oder ungünstig aus? Wir haben diese beiden sehr wichtigen Fragen immer wieder von neuem sorgfältig geprüft. In diesem Zusammenhang lassen sich natürlich einige absolute Aussagen und Voraussagen machen. Von der Bevölkerung der Zone wissen wir aber, daß sie eine sichtbare Gegenwehr gegen die kommunistische Infiltration unbedingt begrüßt. Auf der anderen Seite halten wir die Gefahr, daß die Machthaber in Pankow die Zone ganz und gar in ein hermetisch abgeschlossenes Gefängnis verwandeln, für derzeit
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7907
Bundesinnenminister Dr. Schrödernicht gegeben. Pankow hat den Ein- und Ausreiseverkehr aus der Zone auch bisher schon rigorosausschließlich nach seinen eigenen Interessen geregelt und bedarf keineswegs eines wie immer gearteten Vorwandes, um mit dieser Praxis fortzufahren. Im übrigen wird ja gerade die Ausführungdieses Gesetzes, wie wir sie beabsichtigen, zeigen,daß nur ein kleiner Teil der Reisenden von denneuen Bestimmungen betroffen wird.Drittens in praktischer Beziehung! Das Gesetz soll nach unseren Vorstellungen eine bewegliche und elastische Abwehrmöglichkeit schaffen. In diesem Sinne liegt zunächst einmal der präventive Effekt, die Vorbeugungswirkung, die das Gesetz mit sich bringen wird. Eine bestimmte Art von Funktionärsreisen wird überhaupt von vornherein von hüben und drüben entfallen.In diesen Zusammenhang gehört auch die kommunistisch gesteuerte Verschickung von Kindern aus der Bundesrepublik in FDJ-Lager. Dieses politische Ärgernis wird nach Inkrafttreten des Gesetzes ohne weiteres entfallen. Es gibt genügend Ferienmöglichkeiten und Ferienhilfen in der Bundesrepublik, als daß man uns erzählen könnte, die FDJ-Lager der SBZ seien berufen, einen sozialen Notstand in der Bundesrepublik zu mildern.Wir haben also nicht die Absicht, auf unserer Seite einen rigorosen Sperrgürtel zu errichten. Wir wünschen vielmehr eine Kontrolle, die sich insbesondere auf Einzelerkenntnisse stützt. In Zweifelsfällen genügt die Benachrichtigung der Behörden des Zielorts in der Bundesrepublik, um politisch unerwünschte Reisen unter Kontrolle zu halten. Das Gesetz wird also schon durch seine Existenz wirken, und die Grenzbeamten werden weder willkürlich handeln, noch werden sie überfordert werden.Nach meiner Meinung gehen viele Besorgnisse, die vorgetragen worden sind, von einer falschen Einschätzung des Gegners, seiner Reaktionen, seiner Möglichkeiten und seiner Interessenlage aus. Wer unter uns noch glauben sollte, daß den Totalitären Liberalität und Toleranz einen großen Eindruck machten, täuscht sich gründlich. Wir haben es auf der anderen Seite mit Gegnern zu tun, die ihr Umsturzziel rücksichtslos verfolgen und denen dafür jedes Mittel recht ist. Für unsere Großzügigkeit haben sie lediglich Verachtung, Hohn und Zynismus. Sie halten Liberalität und Toleranz für Zeichen der Schwäche und mißbrauchen sie für ihre Zwecke. Diejenigen Bewohner der Sowjetzone dagegen, die unsere Lebens- und Staatsform lieben und für sich ersehnen, werden in ihrer Liebe zur Freiheit keineswegs dadurch abgeschreckt, daß wir kommunistischen Funktionären nicht länger erlauben wollen, die Freiheit zu mißbrauchen. Sie finden das nicht mehr als recht und billig.Keine Freizügigkeit für die Feinde der Freiheit, das gehört zu den erlaubten Abwehrmitteln des Rechtsstaates. Die Kontrolle auf unserer Seite wird sich von der Kontrolle auf der anderen Seite entschieden vorteilhaft abheben. Zudem liegt hinter der einen Kontrolle ein Land der Unfreiheit; unsere Kontrolle dagegen wird das Tor in unser freies Landfür die Freunde der Freiheit nicht verriegeln. Für die Freunde der Freiheit ist und bleibt unser Tor auf.
In diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zu dem Berlin-Problem! Über die Frage der Einbeziehung Berlins in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist bereits im Bundesrat gesprochen worden. Es bestand Einverständnis darüber, daß Berlin nicht in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogen werden kann.Es stellt sich aber eine zweite Frage: ob nämlich Reisen von oder nach Berlin grundsätzlich ausgenommen werden sollen oder ob Personen mit ständigem Aufenthalt in West-Berlin so behandelt werden sollen, als ob sie gleichzeitig auch hier einen Wohnsitz hätten. Wir haben diese Frage bisher verneint, weil eine solche Regelung für die Pankow-Leute tatsächlich eine allzu leichte Möglichkeit böte, West-Berlin gegen uns zu mißbrauchen. Das brächte West-Berlin nichts, wäre aber für das Gesamtinteresse offensichtlich nachteilig.Ich bin im übrigen der Meinung, daß das, was für die Bundesrepublik gut ist, für West-Berlin nicht schlecht sein kann. Gerade West-Berlin hat ein entscheidendes Interesse daran, daß die Bundesrepublik sich mit allen Kräften gegen die kommunistische Infiltration zur Wehr setzt. Es ist eine böse Ungezogenheit, uns nachzusagen, wir steckten sozusagen West-Berlin mit der Sowjetzone in einen Sack — wie sich ein nicht unbekannter Politiker wenig geschmackvoll ausgedrückt hat — und nutzten damit den Kommunisten. Ich habe bereits im Bundesrat gesagt, daß wir die sich im Zusammenhang mit diesem Gesetz aus Gründen der geographischen Lage West-Berlins ergebenden Probleme erneut sorgfältig prüfen wollen. Ich möchte aber doch darum bitten, daß wir in diesem Zusammenhang weder mit bösartigen Unterstellungen noch mit Zweifeln an unserem Verstand bedacht werden.
Es wäre falsch, wollte man den Gesetzentwurf unter dem Gesichtspunkt werten, als ob er sozusagen ein Ersatz für die permanente Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sein sollte. Dazu kann ich immer nur von neuem sagen, daß die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ein permanenter öffentlicher Prozeß ist, der sich nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, sondern weltweit im Gange ist. Wenn ich gelegentlich von vorbeugender Hygiene gesprochen habe, so ist darauf einmal erwidert worden, es gebe gegen Bakterien auch eine Immunisierung durch Bakterien. Meine Damen und Herren, meine Antwort darauf lautet: Aber solche Immunisierungsprozesse bedürfen der ärztlichen Beobachtung und Kontrolle. Man hat gelegentlich gemeint, wir setzten durch ein solches Gesetz die Menschen in der Bundesrepublik unter eine Glasglocke und entzögen sie dadurch dem scharfen Wind der Auseinandersetzung. Davon kann keine Rede sein. In die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sind wir, wie ich schon sagte, in vielfältiger Weise einbezogen, da sie leider ein welt-
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7908 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Bundesinnenminister Dr. Schröderweites Phänomen geworden ist. Was wir speziell bekämpfen wollen, ist jene Mischung aus subversiver Tätigkeit und lügenhafter Propaganda, die auf unserem eigenen Boden in allen möglichen Tarnungen vorzufinden ist. Die hier zu beobachtenden' Erscheinungen werden wir auch nicht etwa hundertprozentig ausrotten können; wir wollen sie aber mit verschiedenen Mitteln in jenen Grenzen halten, die uns aus Gründen der Vorbeugung notwendig erscheinen.Dazu gehört u. a. auch eine Intensivierung der Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden. Ich habe bereits im Bundesrat darauf hingewiesen, daß nach dem bei uns geltenden Legalitätsprinzip in Verbindung mit der bekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in zahlreichen Fällen energischer als bisher eingeschritten werden könnte. Ich will mich in diesem Zusammenhang darüber nicht weiter verbreiten. Hier gibt es aber offensichtlich unausgeschöpfte Möglichkeiten, die ebenfalls nachdrücklich wahrgenommen werden müssen. Das macht allerdings den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf in keiner Weise überflüssig. Im Gegenteil, dieser Gesetzentwurf soll im Vorfeld des Strafrechts seine Wirksamkeit entfalten.Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Prozedur dieses Gesetzentwurfs. Wir haben hier keine vorweg abgestimmten Formeln aus der Tasche gezogen, die von allen Seiten sichere Akklamation erwarten konnten. Es gibt Kritiker von uns, die offensichtlich eine Bauweise mit präfabrizierten Kompromissen bevorzugen. Ich bezweifle, ob eine solche Bauweise für ein Gesetzgebungswerk rationeller ist. Sie ist ganz sicher nicht reeller. Unser Grundriß der Lösung der gestellten Aufgabe ist nicht ins Blaue entworfen, sondern unter Verwertung der jahrelangen Erfahrungen und Ratschläge unserer Sicherheitsbehörden. Wir haben seit der ersten Veröffentlichung des Entwurfs im November letzten Jahres die Gegner dieser Vorlage vom spontanen Nein zu der Einsicht gebracht, daß etwas Wirksames geschehen müsse. Wir sind bereit, über weitere Vorschläge unvoreingenommen zu diskutieren. Aber alle Vorschläge dürfen nur einem einzigen Test unterworfen werden, nämlich dem der Brauchbarkeit. Wir wollen nicht länger zusehen, daß der Gegner ein bequemes Aktionsfeld findet, nur weil einige meinen, das sei demokratisch, das sei rechtsstaatlich geboten.
Diese Kritiker irren. Das Grundgesetz hat eine wehrhafte Demokratie gewollt, eine Demokratie, die sich ihrer Gegner entschlossen erwehrt.
Gewiß nicht nur durch Gesetze!
Aber ohne Gesetze, ohne Entschlossenheit verliert der demokratische Staat Respekt, Ansehen, Achtung, also all ,das, was er auch braucht, um sich gegenüber seinen Gegnern zu behaupten.Meine Damen und Herren! Mit dieser Einsicht und in diesem Sinne lassen Sie uns an die weitere Arbeit herangehen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kühlthau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wohl selten hat ein von der Bundesregierung vorgelegter Gesetzentwurf das Interesse der breiten Öffentlichkeit so sehr geweckt, wie es bei dem durch den Bundesinnenminister vorgelegten und begründeten Entwurf eines Gesetzes über Ein- und Ausreise der Fall ist. Seit Bekanntwerden der wesentlichen Grundsätze dieses Gesetzes hat sich die Öffentlichkeit in einem seltenen Maße, in einem seltenen Umfang mit diesem Problem beschäftigt. Das ist verständlich, denn durch dieses Gesetz werden weitreichende rechtliche und verfassungspolitische, besonders aber bedeutsame echte politische und vor allem gesamtdeutsche Fragen angeschnitten, so daß die Anteilnahme der Öffentlichkeit groß sein mußte.Wenn heute hier in der ersten Lesung zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen werden soll, muß man sehr wohl zwischen den Motiven, die zur Einbringung des Gesetzentwurfs geführt haben, und dem Weg unterscheiden, der gegangen werden soll, um das erstrebte Ziel zu erreichen. Der Bundesregierung ist es im Hinblick auf die gerade für die menschlichen Kontakte zu unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Zonengrenze schwerwiegenden Vorschläge zur Bekämpfung der zunehmenden kommunistischen Unterwühlung sicherlich nicht leicht gefallen, dem Bundestag diesen Gesetzentwurf zur Abwehr der uns drohenden Gefahren vorzulegen. Die Anteilnahme der breiten Öffentlichkeit an diesem Gesetzentwurf mußte lebhaft sein. Ich darf auch auf die vom hohen Verantwortungsbewußtsein und von tiefem Ernst getragenen Diskussionen im Bundesrat und seinen Ausschüssen hinweisen.Es dreht sich praktisch um ,die Frage, ob man zum Schutz der Freiheit die Freiheit kontrollieren und einschränken darf. In einem freiheitlichen Rechtsstaat wird eine solche Frage immer zu lebhaften Diskussionen führen müssen.Die CDU-Fraktion bejaht in vollem Umfang die Motive, die die Bundesregierung zur Einbringung dieses Gesetzentwurfs veranlaßt haben. Ja, sie glaubt sagen zu dürfen, daß sie sich hierin mit allen Parteien und Fraktionen hier im Hause einig weiß. Auch bei allen kritischen Stimmen, die gelegentlich der Diskussion im Bundesrat aufklangen, drang doch immer wieder die Bejahung der Motive durch.Wir sind glücklich und zufrieden, in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben zu dürfen, dem wir alle dienen und den wir zu verteidigen entschlossen sind. Aber dieses Glück ist nicht ungetrübt; denn wir wissen, daß unsere Menschen drüben hinter der Zonengrenze nicht in der von uns so geschätzten
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7909
KühlthauFreiheit leben dürfen. Wir haben unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Zonengrenze die Tür daher immer weit offengehalten. Wir haben den Reiseverkehr zwischen hüben und drüben sich praktisch ungehindert entwickeln lassen. Die Zonenmachthaber allein haben diesem Reiseverkehr Beschränkungen auferlegt. Wir hielten die Tore trotz ihrer Maßnahmen weit offen.Bei manchen klang schon hin und wieder einmal die Frage besorgt auf, ob von unserer Seite dem innerdeutschen Reiseverkehr über die Zonengrenze nicht zu freier Raum gelassen würde.Ich erinnere mich, daß, als ich vor ein paar Monaten mit Kollegen des Innenausschusses an der Zonengrenze stand und die mit Bunkern und Wachtürmen jenseits der Zonengrenze gespickte Demarkationslinie sah, selbst in diesem Kreise die Frage auftauchte, ob wir die offene Grenze angesichts der Gefahren, die uns von drüben drohen, verantworten könnten. Aber wir waren uns darin einig, daß die Bundesrepublik von sich aus nichts tun dürfe, was den Anschein erwecken könnte, als wenn auch wir von hier aus den Eisernen Vorhang einer Demarkationslinie herunterlassen wollten. Die auf unserer Seite offene Zonengrenze ist der beredte Beweis dafür, daß wir uns von unseren Brüdern und Schwestern drüben nicht trennen lassen und auch in der Zukunft alles vermieden sehen wollen, was die uns aufgezwungene Trennung noch verschärfen könnte.
Aber, so müssen wir uns fragen, dürfen wir trotz unseres unbedingten Willens, die Trennung von unseren Brüdern und Schwestern drüben nicht noch zu verstärken und die bestehenden Kontakte nicht zu stören, unsere Augen vor einer allen offenbaren Gefahr für den Bestand unseres Staates verschließen? Hier an dieser Stelle ist in den zurtickliegenden Jahren oft die Frage aufgeworfen worden, ob nicht der Weimarer Staat den Fehler begangen habe, von seinen Machtmitteln, die er besaß, gegenüber denjenigen, die ihn zu zerstören trachteten, nicht den rechten und den rechtzeitigen Gebrauch gemacht zu haben. Wären uns nicht möglicherweise die schrecklichen Jahre seit 1933 erspart geblieben? So ist hier oft gefragt worden.Man muß aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und den Anfängen wehren. Die Freiheit, die wir jedem Staatsbürger in der Bundesrepublik als das höchste Gut sicherten, darf nicht von denen mißbraucht werden, deren Trachten allein darauf gerichtet ist, diesen freiheitlichen Rechtsstaat zu untergraben und zu zerstören.
Angesichts der in den letzten Monaten dauernd zunehmenden Infiltration kommunistischer Kräfte und der Unterwanderung des Gebiets der Bundesrepublik durch SED-Funktionäre und ihre Helfershelfer müssen wir ernstliche Überlegungen darüber anstellen, wie wir dieser Gefahr begegnen können, ehe es zu spät ist. Hierzu hat die Bundesregierung mit dem heute vorgelegten Entwurf eines Gesetzesüber Einreise und Ausreise nachdrücklichst den Anstoß gegeben.Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, daß die Bundesregierung, und insbesondere der für die Sicherung des Staatslebens verantwortliche Bundesminister des Innern, nicht rechtzeitig und nachdrücklich genug auf die Gefahren hinweisen konnte, die sie sieht. Ja, wir glauben, daß das deutsche Volk der Bundesregierung und dem verantwortlichen Ressortminister schwere Vorwürfe nicht ersparen würde, wenn sie die Dinge hätten treiben lassen. In dieser Grundfrage, meine Damen und Herren, gibt es in meiner Fraktion keine Meinungsverschiedenheit, und ich bin überzeugt, in diesem Hause auf allen Seiten nicht. Freiheit ist uns allen das höchste Gut, das es zu bewahren gilt.Ist es nicht bezeichnend, daß in dem Augenblick, in dem bei uns kundgetan wird, daß wir entschlossen sind, der Infiltration kommunistischer Kräfte entgegenzutreten, die drüben die Freiheit mit Füßen treten, hier aber die Freiheit für sich in Anspruch nehmen und mißbrauchen, ausgerechnet die soeben in Stuttgart begründete Deutsche Friedensunion, von der sich alle Fraktionen dieses Hauses deutlich distanziert haben, angekündigt hat - es war, glaube ich, ihre erste Verlautbarung überhaupt —, daß sie das Bundesverfassungsgericht anrufen und seine Überprüfung verlangen werde, ob durch eine gesetzliche Einschränkung des Reiseverkehrs nicht die verfassungsmäßig garantierte Freizügigkeit in der Bundesrepublik grundgesetzwidrig eingeschränkt werde.
Dieses Recht, meine Damen und Herren, steht demjenigen zu, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung uneingeschränkt bejaht, und nicht denjenigen, die darauf aus sind oder entsprechenden Bemühungen zumindest den Weg ebnen, die dem Bundesbürger garantierte Freiheit auszuhöhlen und zu beseitigen.Meine Fraktion bejaht die Motive dieses Gesetzentwurfs in vollem Umfange. Es sei aber nicht verschwiegen, was auch ein jeder aus den Presseberichten der zurückliegenden Wochen entnehmen konnte, daß über den Weg, den der Entwurf zur Bekämpfung der staatsfeindlichen Kräfte in der Bundesrepublik weist, auch in meiner Fraktion mancher Vorbehalt geltend gemacht worden ist. Das gilt sowohl für die rechtlichen als auch für die verfahrungsmäßigen Fragen, insbesondere aber im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen auf die bestehenden menschlichen Kontakte mit dem deutschen Volke drüben hinter der Zonengrenze. Wie soll die vorgeschlagene Kontrolle an der Grenze praktiziert werden, ohne daß die, Gott sei es gedankt, immer noch bestehenden menschlichen Beziehungen zu den deutschen Menschen drüben nicht gestört werden? Es wird zu prüfen sein, inwieweit bereits das geltende Recht Möglichkeiten bietet, der gefahrvollen Entwicklung, die wir sehen, zu begegnen, und welche anderen Maßnahmen ergänzend zur Abwehr der Gefahr getroffen werden müssen.
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7910 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
KühlthauWir sind dem Herrn Bundesminister des Innern dankbar, daß er sich soeben, nachdem er dasselbe auch schon in der Plenarsitzung des Bundesrates getan hat, zu einer Diskussion über geeignete Vorschläge bereiterklärt hat. Er selbst sprach im Bundesrat von besseren Vorschlägen, begründeteren Vorschlägen, einsichtsvolleren Vorschlägen. Er sprach davon, daß wir über solche Vorschläge, die dem gleichen Ziel dienen können, freimütig diskutieren können. Wir wollen offen und freimütig die Probleme erörtern, unvoreingenommen gegenüber jedermann. Es geht nicht darum, ob etwas gegen die uns feindlichen Kräfte getan werden muß, sondern darum, was und wie es zu tun ist. Hier erwächst den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses eine .keineswegs leichte und politisch höchst bedeutsame Aufgabe, die in den nächsten Wochen zu lösen sein wird. Die Ausschüsse werden bei ihren Überlegungen die gesamtdeutschen Probleme, die menschlichen Kontakte zwischen hüben und drüben nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Der Bundesminister des Innern selbst hat immer wieder betont, daß Unverdächtige von Kontrollen im innerdeutschen Reiseverkehr zwischen der Zone und der Bundesrepublik weitestgehend unberührt bleiben sollen; daß das Gesetz insbesondere unseren Willen unterstreichen solle und müsse, daß wir dem Agentenunwesen und allen anderen Erscheinungen der kommunistischen Infiltration entschlossen und abwehrbereiter gegenübertreten, als wir bisher tun konnten.
Dazu gehört auch eine mögliche Überwachung der Reisen derjenigen Zonenbewohner, die ihrem System politisch verpflichtet sind. Nur sie sollen getroffen und der Kontrolle unterworfen werden.
Der übrige Reiseverkehr soll und darf — das hat der Herr Bundesminister des Innern immer wieder als Auffassung der Bundesregierung betont — nicht gestört werden.
— Herr Kollege, lassen Sie uns diese Frage wie manche andere einer ernsten Überprüfung in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages zuführen. Wir werden dort überlegen müssen, wie die Einwände, die gegen die vorgesehene Regelung erhoben werden können, so berücksichtigt werden können, daß vielleicht doch am Ende ein Verfahren erarbeitet werden kann, dessen Bestimmungen so sind, daß sie den immer wieder vorgetragenen Bedenken Rechnung tragen.Die Bundesregierung hat immer und immer wieder betont, hat nie einen Zweifel daran gelassen und immer wieder hervorgehoben, daß sie den normalen unpolitischen innerdeutschen Reiseverkehr nicht stören will. Die auch in unserer Fraktion aufgekommenen Bedenken gehen dahin, ob die Beschränkungen nicht doch möglicherweise zu einer Beeinträchtigung des allgemeinen Reiseverkehrs mit der Ostzone führen könnten. Dabei wird dasLand Berlin und seine tapfere Bevölkerung eine Berücksichtigung seiner besonderen Belange fordern können. Das versteht sich am Rande. Es wird vor allem jegliche unterschiedliche Behandlung der Bewohner der Bundesrepublik und der Bewohner im Lande Berlin vermieden werden müssen. Auf diese berechtigte Frage hat der Bundesrat bereits mit allem Nachdruck hingewiesen. Im übrigen wird mein Kollege Benda nachher gerade zu diesen Fragen noch einige besondere Ergänzungen geben. Die Erhaltung der gesamtdeutschen Freizügigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Interessen wird also oberste Richtschnur der kommenden Ausschußberatungen sein müssen.Lassen wir, wie es auch der Herr Bundesinnenminister am Schluß seiner Rede ausgedrückt hat, diese Beratungen gemeinsam aufnehmen! Wenn wir uns in den Motiven der Notwendigkeit entschlossener Abwehrmaßnahmen gegenüber den uns drohenden Gefahren einig sind, muß sich auch gemeinsam ein Weg finden lassen, der zu diesem Ziele führt.Es ist in meiner Fraktion immer ein dringendes Anliegen gewesen und bleibt es auch für alle Zukunft, die menschlichen Kontakte zu unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Zonengrenze nicht nur nicht abreißen zu lassen, sondern sie täglich neu zu hegen und zu pflegen. Zur Pflege dieser Kontakte ist in der Vergangenheit vieles getan worden, nicht nur von Bundesseite, sondern auch von den Ländern und Gemeinden, die alle bemüht waren, ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung und Intensivierung der menschlichen Kontakte zu den deutschen Menschen hinter der Zonengrenze zu leisten. Vieles bleibt noch zu tun. Das geht einen jeden von uns an.Auf der anderen Seite dürfen wir einer kommunistischen Verseuchung ,der Bundesrepublik und einer gefährlichen Unterminierung unseres demokratischen Staates nicht tatenlos zusehen. Hier den richtigen Ausgleich zwischen allen Interessen zu finden, ist gewiß nicht leicht. Es wird eine Aufgabe der Ausschüsse dieses Hauses sein, den Weg, der zu diesem Ziel führt, gemeinsam zu suchen. Die CDU ist bereit, dieses Problem gemeinsam zu prüfen und zu lösen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor sieben Jahren auf Bemühen deutscher Stellen die Interzonenpässe abgeschafft wurden, hat sich damit die Hoffnung verbunden, daß sich der Reiseverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands beleben möge. Diese Hoffnung ist zum Teil erfüllt worden. Aber sehr bald hat sich gezeigt, daß diese Freizügigkeit den Machthabern in Pankow unangenehm war. Sie haben Schranken aufgebaut; sie haben Reisegenehmigungen verlangt; sie haben die polizeiliche Überwachung des Reiseweges angeordnet; sie haben die örtliche Überwachung angeordnet.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7911
Dr. SchäferAls ich vor einigen Monaten an der Zonengrenze stand, hat es mich doch verführt, hinüberzugehen und einmal mit ostzonalen Volkspolizisten zu sprechen. Dabei war es ein deprimierender Eindruck, zu sehen, wie sich der Stacheldraht entlangzieht, wie die Brükken von der anderen Seite abgebrochen sind, wie der Zehn-Meter-Streifen geführt ist, wie der erste Posten steht und nach 500 m der nächste Posten. Die Unterhaltung mit diesen jungen Volkspolizisten — ich sagte, ich wolle nach Magdeburg — war kennzeichnend. Mir wurde gesagt: „Sie brauchen eine Bescheinigung." — „Ja, wer kann die Bescheinigung ausstellen? Mit welcher Begründung kann man eine Bescheinigung bekommen?" — Die ganze Hilflosigkeit des Systems kam zum Vorschein, daß man nicht einmal einen Bürger unseres ganzen Volkes hier hineinlassen konnte.Wir sind uns in diesem Hause alle einig, daß wir alles tun müssen, daß nicht auch auf unserer Seite eine Art Verhau entsteht, daß nicht einmal ein Wall auf unserer Seite entsteht, den man mühsam überschreiten muß. Wir hier wollen unsere Grenze so weit, wie es irgendwie verantwortet werden kann, so weit wie irgend möglich, offenhalten, wirklich, de facto ganz offenhalten, so, wie es sich an der Demarkationslinie jedem deutlich zeigt. Drüben sind die Wege abgebrochen, dort sind die Brücken abgebrochen, und dort ist der Stacheldraht. Für jeden Bürger, der in Mitteldeutschland lebt, muß es klar sein, daß er an jeder Stelle hier willkommen ist, wo er herüberkommt, daß er nicht gezwungen ist, sich an Paßstellen Kontrollen zu unterziehen, sondern daß es keine Grenze gibt, daß er uns — ich wiederhole es — an jeder Stelle willkommen ist. Das müssen wir als politische Forderung festhalten.Ich darf - ich werde das wiederholt tun müssen— aus einer Leserzuschrift eines Bürgers aus der sowjetischen Besatzungszone zitieren, die „Christ und Welt" veröffentlicht hat. Dort steht:Wir leben in der Meinung - oder Illusion? ,die Bundesrepublik sei groß, mächtig, frei, wenigstens aufs ganze gesehen. Wenn wir sie kleinlich, ängstlich, hilflos und unklug in der Wahl ihrer Mittel sehen, das weckt Zweifel und hat Folgen.Meine Damen und Herren, diese psychologischen Rückwirkungen, von denen auch der Herr Bundesinnenminister sprach, dürfen wir gar nicht unterschätzen. Wir sind der Auffassung, daß wir es mit Art. 11, mit dem Grundsatz der Freizügigkeit, ernst nehmen müssen in einem Gesamtdeutschland. Wir vertreten den Standpunkt — wir, das ganze Haus — und haben es immer getan, daß es nur ein einheitliches deutsches Staatsgebiet, nur eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit gibt
und nie von unserer Seite aus irgend etwas getan werden darf, was Entwicklungen in Bewegung setzen könnte, die im Endergebnis anders geartete Fakten schaffen würden. Wir wollen, daß derjenige, der hier herüberkommt, für sich einmal spürt: Hier gibt es sozusagen keine Polizei, hier gibt es sozusagenkein Instrument, das ihn auf Schritt und Tritt überwacht, bei dem er sich melden muß, dem er sich unterwerfen muß.Wieder dieser Brief:Es ist wahrhaftig unerträglich für uns Zonenleute, in der freien Welt noch einmal das Sieb einer polizeilichen Kontrolle durchmachen zu müssen, wieder verdächtiger Bürger zu sein.Sehen Sie, das ist einer der entscheidenden politischen Gesichtspunkte. Wir sind deshalb immer der Auffassung gewesen, daß hier etwas geschehen muß.Es muß tatsächlich einiges geschehen. Wir waren aber der Auffassung, daß man möglichst — ich betone: möglichst — nicht mit polizeilichen Mitteln arbeiten sollte, sondern daß eine Abwehraktion und eine deutlich spürbare Abwehrkraft des ganzen deutschen Volkes notwendig ist, eine Abwehrkraft, die auch dem Regime drüben in kürze zeigt: Sie können versuchen, was sie wollen; wir sind, aufs ganze gesehen, immun. Wir alle, die wir im politischen Leben stehen, das ganze deutsche Volk ist, aufs ganze gesehen, immun gegen diese Infiltrationsversuche.Das muß aber auch gepflegt, das muß bewußt gefördert werden. Wir haben deshalb vor einem Jahr bei den Haushaltsberatungen hier den Antrag gestellt, der Bundeszentrale für Heimatdienst 845 000 DM mehr zur Verfügung zu stellen. Ich darf ganz kurz zitieren, was unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Erler damals hierzu ausgeführt hat. Er sagte:In der Bundeszentrale für Heimatdienst wollen wir alle zusammenwirken, um .das notwendige positive staatsbürgerliche, freiheitliche Bewußtsein in unserem Volke zu stärken und auf diese Weise der kommunistischen Infiltrationsweise entgegenzuwirken.Meine Damen und Herren, Sie werden mit mir einig sein, daß es letztlich darauf ankommt.Nun, wir sind keine Illusionisten, wir sehen natürlich, was sich in dieser Auseinandersetzung, in diesem Kampf abspielt. Wir sehen auch, daß es verschiedene Gruppen von Menschen gibt, die zu uns kommen. Da gibt es den Agenten; da gibt es den Spion. Meine Damen und Herren, sie werden mit mir einig sein: gegen Agenten und Spione soll mit. aller Schärfe des Strafgesetzes vorgegangen werden. Sie werden aber auch mit mir darüber einig sein, daß man Agenten und Spione nicht mit Polizeikontrollen findet. Die finden den Weg hierher. Sie finden ihn nicht über die Demarkationslinie, sondern über das Ausland, und Gott sei Dank ist der Grenzübertritt in den anderen Ländern Europas liberalisiert worden; und wir sind für weitere Liberalisierung.Die zweite und die dritte Gruppe interessieren uns hier am meisten. Die zweite Gruppe ist die der politisch uninteressanten Reisenden, der - so möchte ich sagen — dem ostzonalen Regime nicht. Verpflichteten. Hier müssen wir alles tun, damit sie möglichst frei hereinkommen. Der Herr Bundes-
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7912 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Dr. Schäferinnenminister sagte es, und Herr Kollege Kühlthau sagte es; aber wir wollen uns später ansehen, wie sich das in der Praxis auswirkt.Es gibt eine dritte Gruppe, das sind die Geschickten, die Delegationen, das sind diejenigen, die auf Befehl hierher reisen. Glauben Sie mir, die meisten kommen nicht sehr gerne. Wir wissen doch — wir haben doch die Erfahrungen mit einer Diktatur hinter uns —, wie man solche Befehle bekommt und in welcher schwierigen Situation die Betreffenden sind.
Aber im ganzen gesehen: was können sie uns anhaben? Es ist schlimmstenfalls ein Ärgernis, eine Unannehmlichkeit, die uns diese Delegationen bereiten; mehr ist es nicht. Wenn es mehr ist, haben wir Grund, bei uns nachzuprüfen, warum es mehr sein kann.
Mehr ist es nicht, und mehr kann es und wird es auch gar nicht sein.Deshalb müssen wir von verschiedenen Seiten her prüfen, wie wir die einen ganz frei reisen lassen können und wie wir den anderen vielleicht dazu helfen können, daß sie diese unangenehme Aufgabe nicht durchführen können, die für sie im Endergebnis Unannehmlichkeiten bringt, uns schlimmstenfalls kleine Unannehmlichkeiten. Ein Mückenstich, mehr ist es nicht.Herr Bundesinnenminister, Sie haben die Broschüre „Gegen den roten Funktionär" herausgegeben. Sie sind der Auffassung, daß Sie damit eine gute Arbeit geleistet haben. Ich darf Ihnen folgendes zu bedenken geben, Herr Bundesinnenminister. Wir sind uns doch in diesem Hause wohl alle einig, daß die Abwehr der kommunistischen Infiltration eine Aufgabe aller politischen Kräfte ist und daß wir alle miteinander der Gefahr ausgesetzt sind, angeknabbert zu werden, weil sie an allen Stellen versuchen, irgendwie Kontakt zu bekommen. Alle sind sie betroffen. Es befremdet aber, Herr Innenminister, wenn Sie in einer offiziellen Broschüre Material abdrucken, das einseitig und offensichtlich diffamierend für den Deutschen Gewerkschaftsbund und für die SPD ist. Das tut man in einer offiziellen Broschüre nicht. Sie sind nicht der Minister einer Partei, Sie sind Bundesinnenminister, Herr Dr. Schröder!
Ich möchte es bei dieser Bemerkung zu der Broschüre zunächst bewenden lassen.Nun zu Ihrem Gesetzentwurf selbst. Herr Minister, wir wollen uns einmal ansehen, wie Sie sich die Dinge vorstellen. Sie treffen in Ihrem Gesetzentwurf Tatbestände. Es ist richtig: wenn man an die Frage herangeht, ob man die Dinge mit einem Gesetz treffen kann, ob man sich mit einem Gesetz wehren kann, ist es notwendig, das tatbestandsmäßig zu fassen. Aber so, wie Sie § 1 Abs. 1 Buchstabe b gefaßt haben, geht es nicht, Herr Minister. Ich darf das einmal vorlesen:Die Einreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist verboten, wenn der Einreisende beabsichtigt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ... sonstige Bestrebungen gegen den Bestand, die äußere oder innere Sicherheit oder die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu verfolgen oder sich in ihren Dienst zu stellen ...Eine solche Generalvollmacht darf nie gegeben werden. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß wir eine wehrhafte Demokratie haben, und wir sind in diesem Hause einheitlich der Meinung: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!
Da haben wir alle miteinander den gleichen Mut, auch die notfalls entsprechend harten Maßnahmen gegen die Betreffenden zu ergreifen. Aber es geht nicht mit Generalermächtigungen, meine Damen und Herren. Das ist unmöglich. Das ist eine Ausdehnung einer polizeilichen Kontrolle, die wir nicht für gut halten. Wer wird denn z. B. im Falle des § 6 so dumm sein, bei einem Antrag auf Genehmigung der Ausreise Dinge anzugeben, die ihm dann hinderlich sind? Ein solches Antragsverfahren hat doch de facto gar keinen Wert. Wir müssen uns das einmal praktisch vorstellen. Sie, Herr Minister, betonen, und Sie, Herr Kollege Kühlthau, betonen es ebenfalls: „Freiheit des Verkehrs für alle übrigen!" Sehen Sie sich doch in der Praxis an, wie das aussehen muß! Sie müssen ja erst suchen, wem Sie Freiheit geben wollen!
Das heißt: Sie müssen alle, jeden einzelnen einer Prüfung unterziehen.Man spricht davon, daß jährlich 12 Millionen Menschen die Zonengrenze überschreiten. Ob es richtig ist, kann ich nicht nachprüfen. Man muß damit rechnen, daß sich sehr wahrscheinlich eine solche Zahl von Übertritten über die Zonengrenze ergibt; viele überschreiten sie ja hundertmal und öfter. Mit dieser Zahl sind also nicht 12 Millionen Menschen im ganzen gemeint; das wäre ja nicht möglich. Ich habe diese Zahl aus einem Bericht des Herrn Ministers Dufhues entnommen; sie mag wohl stimmen. Aber lassen wir das dahingestellt. Dann muß an der Zonengrenze, an der Demarkationslinie für jeden, der dort durchwill, ein Überprüfungsverfahren stattfinden, und dort erst muß dann festgestellt werden, wer für uns uninteressant ist.Meine Damen und Herren, Sie werden mir zugeben: Entweder macht das die deutsche Bürokratie in ihrer üblichen Pünktlichkeit wirklich pünktlich, dann wird eine abschreckende Wirkung davon ausgehen, und derjenige, der aus eigenem Interesse herüber-reisen will, wird davor zurückscheuen. Oder derjenige, der den Auftrag hat, hierherzureisen, wird die Überprüfung als „selbstverständliche Schikane dieses Systems" über sich ergehen lassen.Es kommt darauf an, wenn man die Frage vom Polizeirechtlichen her - denn es ist eine Frage des allgemeinen Polizeirechts — prüft, eine Möglichkeit zu suchen, nicht jeden einzelnen einem Ver-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7913
Dr. Schäferfahren zu unterziehen, sondern nur den sogenannten Störer, also denjenigen, der durch seine Handlung gezeigt hat, daß er die öffentliche Ordnung und Sicherheit stört.Lassen Sie mich ganz offen sagen, wie sich eine solche nach dem Gesetzentwurf notwendige Generalüberprüfung entwickeln würde. In aller Kürze würden wir die Situation haben, daß man nicht mehr dem einzelnen nachweist, daß er hier nicht erwünscht ist, sondern in aller Bälde wäre es so, daß er nachweisen muß, daß er für uns ungefährlich ist, womit sich also die Beweislast umdrehen würde.Meine Damen und Herren, überlegen Sie es sich doch bitte einmal in der Auswirkung! Nehmen Sie an, daß ein Bewohner der sowjetischen Besatzungszone abgelehnt wird, und im Zweifel wird er abgelehnt werden. Dann hat ihn der freiheitliche Teil Deutschlands zurückgestoßen. Wird er angenommen, dann ist er für die drüben der Verdächtige, weil er für uns nicht verdächtig ist. Sie mögen es so oder so machen, Sie machen es falsch. Sie machen es rechtlich falsch, Sie machen es auf jeden Fall politisch falsch.Deshalb kann der Gesetzentwurf so, wie er hier vorliegt, überhaupt nicht verabschiedet werden. Ich habe den Eindruck, daß auch der Herr Innenminister das in der Zwischenzeit eingesehen hat. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab; aber wir sind bereit, in den Ausschüssen über die ganze Problematik dieser Situation nicht nur zu diskutieren, sondern mit Ihnen zusammen Möglichkeiten zu einer Lösung der Frage zu suchen. Ich darf Ihnen zur Erörterung, als Anregung einmal zu bedenken geben: Was meinen Sie, wenn man z. B. folgendes Verfahren wählen würde: Wenn jemand, der seinen ständigen Wohnsitz in der sowjetischen Besatzungszone hat, durch seine besonderen Taten, seine besondere Aktivität gewisse im Gesetz festzulegende Tatbestände erfüllt, dann wird er in Zukunft nicht mehr hereingelassen, dann hat er durch sein Verhalten gezeigt, daß er sich außerhalb dieser Ordnung stellt. — Das ist nur einmal ein Gedanke, der zu prüfen ist, nicht ein Antrag von uns. Derjenige, der hier seinen Wohnsitz hat und hinüberfährt, drüben sich so aufführt, wie wir es nicht sehen wollen und wie wir es tatbestandsmäßig festhalten würden, der würde eben das nächste Mal nicht wieder herausfahren können.Der große Unterschied, Herr Innenminister, läge darin, daß von vornherein die ganze Überprüfung sich nur auf diejenigen beschränken würde, die durch ihr eigenes Verhalten schon einen Vorgang geschaffen haben; alle anderen würden tatsächlich frei gelassen. Auf jeden Fall darf aber nicht eintreten — und daß wir auf diesem Gebiet Sorgen haben, wissen Sie —, daß das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands nur noch über die Bestimmungen des Strafgesetzbuches hinweg betrachtet werden kann. Das darf unter gar keinen Umständen eintreten. Es darf auch nicht sein, daß man es nur über ein Polizeigesetz hinweg sehen kann:Ich wollte diese Gedanken nur einmal zu erwägen geben. Wir sind bereit, im Innenausschuß, in den zuständigen Ausschüssen mit Ihnen darüberzu sprechen, mit Ihnen zusammen zu suchen, ob diese Regelung möglich ist. Aber, meine Damen und Herren, eine gesetzliche Regelung, gleichgültig, wie sie aussehen wird, auch wenn Sie der Meinung sind, daß Sie damit einen wirksamen Beitrag zur Abwehr geleistet hätten, wird im Endergebnis die Fragen nicht regeln, vor denen wir stehen. Sie kann man weder mit Strafgesetzen noch mit Polizeigesetzen regeln. Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, die uns in unserer geographischen und politischen Lage niemand abnehmen und die uns nicht erspart werden kann — das kann man nicht mit Gesetzen —, ist eine Auseinandersetzung tatsächlicher Art. Sie nun mit einem solchen Gesetz vollkommen in Frage zu stellen, halte ich für außerordentlich kritisch.Ich meine, daß der Herr Bundeskanzler schon recht hat, wenn er in seinem Schreiben vom 1. August 1960 - also in einem Schreiben aus neuerer Zeit, aus der Zeit, in der das Gesetz im Hause des Herrn Bundesinnenministers ausgearbeitet wurde — an unseren Kollegen Leber, den Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden, in erster Linie ganz konkret in sechs Punkten davon spricht, daß alles getan werden müsse, die sowjetzonalen Sperrgebiete aufzuheben, die Wiedereröffnung der Grenzübergänge zu erreichen, eine Verbesserung und Wiederherstellung der Verkehrswege, eine Zulassung neuer Kraftfahrtlinien, den Wegfall der Behinderungen, die Wiederfreigabe des Besuchsverkehrs in beiden Richtungen — so heißt es hier ausdrücklich — und die Wiederherstellung der Freizügigkeit über die Demarkationslinie auch in Ost- a West-Richtung.Wenn der Herr Bundeskanzler, der ja die Richtlinien der Politik bestimmt und Vorsitzender der CDU ist, die Meinung vertritt, daß das vorrangig ist, und wenn wir der gleichen Meinung sind, dann sollte die Regierung Wege suchen, in erster Linie in diesem Sinne tätig zu werden, und sie sollte erst in letzter Linie mit polizeilichen Gesetzen versuchen, dem zu begegnen. Ich bin deshalb der Meinung, daß wir im Ausschuß nicht in erster Linie danach suchen sollten, welche beste strafrechtliche oder polizeiliche Lösung wir finden, sondern danach, welche beste politische Abwehrkraft wir schaffen können. Und dazu mitzuwirken, meine Damen und Herren, dürfte das ganze Haus willens sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Kühlthau hat den gegenwärtigen Stand der Diskussion in meiner Fraktion richtig und vollständig aufgezeigt. Ich habe seinen Ausführungen insoweit nichts hinzuzufügen, sondern schließe mich ihnen in vollem Umfang an. Meine Ausführungen sollen dazu dienen, eine Stellungnahme nicht für die gesamte Fraktion der CDU/CSU, aber doch für einen Teil dieser Fraktion und insbesondere für die Berliner Kollegen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion abzugeben.
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7914 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
BendaWir kommen in dieser Diskussion nicht nur mit einem weißen Blatt Papier. Wir kommen, Herr Bundesinnenminister, allerdings auch nicht, wie Sie es ausgedrückt haben, mit präfabrizierten Kompromissen. Ich nehme an, die weitere Diskussion in den Ausschüssen über unsere konkreten Vorschläge wird Gelegenheit geben, festzustellen, daß wir unsere Vorschläge ernst meinen, auch von der Sache her. Wir folgen mit der Vorlage besonderer Vorschläge der Aufforderung des Herrn Bundesinnenministers im Bundesrat, „bessere Vorschläge, begründetere Vorschläge, einsichtsvollere Vorschläge" vorzulegen.Meine Freunde und ich haben einen Vorschlag ausgearbeitet, den wir hier nicht formell als besonderen Gesetzentwurf einbringen, sondern den wir in der Form von Änderungsanträgen während der Beratung des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen vorlegen werden. Es ist meine Hauptaufgabe in dieser Diskussion, die wesentlichen Grundzügen dieser Gedanken hier darzulegen.Ich möchte zunächst das aufgreifen, was der Kollege Kühlthau gesagt und was der Herr Bundesinnenminister bestätigt hat. Es besteht volle Einigkeit innerhalb unserer Fraktion und, wie ich hoffe und wie die bisherige Diskussion zu zeigen scheint, darüber hinaus im ganzen Haus darüber, daß die Motive, die zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs geführt haben, berechtigt sind und daß man sie anerkennen muß. Das bedeutet allerdings nur, wie der Herr Bundesinnenminister zutreffend gesagt hat, daß eine Einigkeit im Ziele, aber noch nicht im Wege besteht.Auch aus dem, was mein Kollege Kühlthau für die Fraktion vorgetragen hat, hat sich die Anerkennung des Ziels, aber doch eine gewisse Skepsis hinsichtlich des vorgeschlagenen Weges ergeben.Immerhin, auch nach unserer Meinung kann kein Zweifel darüber bestehen, daß gesetzgeberische, allerdings auch andere, Maßnahmen erforderlich sein werden, um der wachsenden kommunistischen Infiltration wirksamer als bisher begegnen zu können. Zu den anderen Maßnahmen gehört das, was man mit einem Schlagwort als den sogenannten positiven Verfassungsschutz bezeichnet. Ich möchte darauf nicht näher eingehen. Sicher wird dazu auch gehören, daß die personelle Ausstattung der mit dieser Frage befaßten Behörden verstärkt wird. Wir wissen ja, daß die zuständigen Ausschüsse einen guten und erfreulichen Schritt in dieser Richtung getan haben.Ich stimme dem Herrn Bundesinnenminister auch darin vollauf zu, daß es notwendig sein wird, die gesetzlichen, insbesondere die geltenden strafrechtlichen Vorschriften voller auszuschöpfen, als das bisher der Fall ist. In dieser Hinsicht scheint mir nicht alles getan worden zu sein. Der Bundesgerichtshof hat insbesondere in seiner Rechtsprechung zu § 42 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes festgestellt, die Bestimmung diene der Sicherung des Gebots der Auflösung der KPD, gegen das jeder verstoße, der auf irgendeine Weise die gesetzwidrige Wirksamkeit der verbotenen Partei fördert.
Das gilt für denjenigen, der seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat, genauso wie für einen Agenten, der aus der Sowjetzone kommt. Ich wiederhole und unterstütze das, was der Herr Bundesinnenminister gesagt hat: Das Legalitätsprinzip erfordert, daß die Staatsanwaltschaften — und das schließt auch die Bundesanwaltschaft ein — in den Fällen, in denen nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein strafbares Verhalten vorliegt oder ein hinreichender Tatverdacht begründet ist, diesen Dingen nachgehen und sie nicht auf andere Weise erledigen.
Ich habe den Eindruck, daß in dieser Hinsicht noch einiges getan werden könnte.Bei den gesetzgeberischen Maßnahmen sind aus politischen und rechtlichen Gründen bestimmte Grenzen zu beachten. Ich kann nicht anerkennen, Herr Bundesinnenminister, daß es bei dieser Beratung nur einen 'Test, nämlich den Test der Zweckmäßigkeit und Praktikabilität gibt. Der eine und oberste Test alles dessen, was wir tun können und tun müssen, wird sein, zu prüfen, welche Möglichkeiten uns das Grundgesetz selbst einräumt und welche Möglichkeiten es uns nicht einräumt. Ich gebe zu — darin sind wir uns einig —, daß Liberalität und Toleranz auf unsere Gegner sicherlich keinen sehr großen Eindruck machen. Ich möchte aber meinen, daß Liberalität und Toleranz ihren Wert nicht nur in ihrer Wirkung auf den Gegner, sondern in erster Linie in sich selbst und in ihrer Wirkung auf uns und auf unsere Freunde haben, und ich meine, daß wir das nicht gering schätzen dürfen.
Bei den Grenzen, die wir zu beachten haben — ich werde mich in möglichster Kürze insbesondere mit den rechtlichen Grenzen zu befassen haben —, haben wir vor allem die uns durch das Grundgesetz auferlegte Verpflichtung zu berücksichtigen, in allem, was wir tun, die Erhaltung der staatlichen und die Wiederherstellung der politischen Einheit Deutschlands zu fördern.Meine Damen und Herren, wer von zwei deutschen Teilstaaten in dieser oder jener Form spricht, mag sich über diese Grenzen hinwegsetzen. Wir, die wir von einem gesamtdeutschen Staat sprechen, wollen das unter keinen Umständen tun.
Das Grundgesetz hat uns — das muß man zugeben —die Bewältigung des Problems der inneren Sicherheit der Bundesrepublik bewußt nicht leicht gemacht. Ich zitiere:Das Grundgesetz geht aus— das bestätigt das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung —vom gesamtdeutschen Staatsvolk, vom gesamtdeutschen Staatsgebiet und insbesondere von der gesamtdeutschen Staatsgewalt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7915
BendaDas Grundgesetz hat uns in der Hoffnung auf baldige Wiedervereinigung aufgegeben, die Grenzen zum anderen Teil Deutschlands offenzuhalten.Der Begriff der Freizügigkeit bedeutet,— ich zitiere wiederum das Bundesverfassungsgericht —daß die Bundesrepublik Deutschland es übernimmt, nicht einen großen Teil der Staatsangehörigen des deutschen Gesamtstaates an den Grenzen ihres Machtbereiches abzuweisen ...
Art. 11 Abs. 2 des Grundgesetzes erlaubt nicht, — so sagt das Bundesverfassungsgericht —in dieser für Gestaltung und Funktion der Bundesrepublik ausschlaggebenden Frage durch einfaches Gesetz das wieder zu nehmen, was Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes bewußt und unter Inkaufnahme schwerwiegender Folgen um prinzipieller politischer Ziele willen als eine Vorleistung auf die deutsche Gesamtstaatlichkeit gewährt.So, meine Damen und Herren, sagt ,das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland.
Ich darf an einen anderen Gedanken, den der Herr Bundesinnenminister ausgesprochen hat, anknüpfen. Er sprach von den psychologischen Grenzen, innerhalb deren sich die Diskussion bewegt. Ich erkenne I an, daß diese psychologischen Grenzen, soweit sie begründet sind, durchbrochen und überwunden werden sollten. Aber, meine Damen und Herren, die Gefühle und die Meinungen, mit denen die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone diese Debatte und die künftigen Debatten verfolgen werden, sind keine bloßen psychologischen Barrieren. Es geht dabei um prinzipielle politische Entscheidungen, die auch hinsichtlich der Frage der Zweckmäßigkeit der von uns vorzuschlagenden Maßnahmen von grundsätzlicher Bedeutung sind.Meine Damen und Herren, es ist nicht nur eine psychologische Frage, ob ich jemanden, der in mein Haus kommt, frage, was er bei mir will und warum er kommt. Den Fremden, der kommt, mag ich fragen, ob er berechtigt Eintritt verlangt; den Bruder, die Schwester, die kommen, darf ich nicht fragen; denen muß ich sagen: du bist willkommen, und gar nichts anderes.
Ich sprach davon, daß das Grundgesetz bewußt schwerwiegende Folgen, schwerwiegende Gefahren auch im Bereich des notwendigen Staatsschutzes in Kauf nimmt. Ich gebe vollauf zu, daß ein schwerlösbarer Konflikt besteht zwischen dem völlig berechtigten und legitimen Anliegen der Bundesregierung, unsere Bundesrepublik Deutschland zu sichern, und dem ebenso legitimen Anliegen des Grundgesetzes, von uns jene Vorleistung auf die deutsche Gesamtstaatlichkeit zu verlangen, von der ich sprach und die leider — aus heutiger Sicht — eben doch in eine nicht näher festzustellende Ferne gerückt ist.Daher hat der Parlamentarische Rat - im Gegensitz zu seinem Hauptausschuß — bewußt einen Antrag abgelehnt, der in der Fassung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats die Freizügigkeit einschränken wollte — ich zitiere die damalige Fassung — „zur Abwehr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit". Der Parlamentarische Rat hat die Einschränkung der Freizügigkeit nur in dem Ihnen bekannten Rahmen zugelassen, nämlich um — unter anderem — strafbaren Handlungen vorzubeugen.Das Grundgesetz — das darf ich zusammenfassend sagen — faßt unter bewußter Inkaufnahme dieser offenkundigen und völlig zutreffend geschilderten politischen Gefahren die Freizügigkeit so auf, daß sie die Regel ist, auf die sich jeder berufen kann, ohne daß er sein Recht im Einzelfall dem Staat gegenüber besonders dartun oder gar nachweisen muß. Wer als Deutscher einreisen will, darf — vom Recht her — nicht gezwungen werden, ein berechtigtes Interesse oder seine politische Unbedenklichkeit nachzuweisen. Er darf nicht auf Grund bloßer Anhaltspunkte gehindert werden, sondern umgekehrt muß ihm nachgewiesen werden, daß bei ihm die Voraussetzungen vorliegen, wegen derer er ausnahmsweise nicht von dem Grundrecht der Freizügigkeit Gebrauch machen darf.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem grundsätzlichen Urteil zu dieser Frage festgestellt, daß dieser Grundsatz hundert Jahre alt ist; er steht schon im § 4 des Freizügigkeitsgesetzes von 1867. Wir wollen nicht hinter 1867 zurückgehen.Der Grundsatz des Rechtsstaates erfordert, daß - ich zitiere jetzt —die den Verwaltungsbehörden erteilte Ermächtigung zu belastenden Verwaltungsakten so be- grenzt und bestimmt ist, daß vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welchem Sinn und Zweck von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird.Ich zitiere weiter:Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verliert seinen verfassungspolitischen Sinn und büßt seine Funktion, Freiheit und Eigentum der Bürger vor staatlicher Willkür zu schützen, dort ein, wo der Gesetzgeber der Verwaltung eine Generalermächtigung erteilt, die in Wahrheit nur einen Generaldispens, nämlich von den Grundrechten, enthält.In diesem Zusammenhang ein anderer vom Bundesverwaltungsgericht ausgesprochener Gesichtspunkt! Gegen Verweigerung der Freizügigkeit muß ein klarer Rechtsschutz gewährleistet sein. Das erfordert Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Dieser Rechtsschutz scheint uns dann nur theoretisch, aber doch schwerlich praktisch denkbar, wenn man so verfährt, wie der Regierungsentwurf es vorschlägt. Es ist mir wirklich nicht klar, wie man eine Maßnahme des Rechtsschutzes ergreifen soll gegen eine mündliche Anweisung eines namentlich nicht bekannten Grenzkontrollbeamten, der einen zunächstBendaeinmal nach Magdeburg oder Cottbus zurückbefördert. Es ist mir einfach nicht klar, wie man das machen kann.Im Zusammenhang mit dem Gesamtthema möchte ich über das besondere Problem Berlin nur wenig sagen. Es handelt sich hier um ein Problem, das ganz sicherlich von besonderer Bedeutung ist, das ich aber ganz unabhängig von den allgemeinen und grundsätzlichen Erwägungen sehen möchte.Wir sind, Herr Bundesinnenminister, in dieser Beziehung — ich hoffe, darin sind wir uns einig — weder böse noch gar ungezogen, um Ihre Rede zu zitieren. Aber wir bestehen darauf, daß der Gesetzgeber wegen der grundsätzlichen Auffassung vom Fortbestand der Gesamtstaatlichkeit Deutschlands und wegen der rechtlichen Einbeziehung Berlins in den Geltungsbereich des Grundgesetzes rechtlich verpflichtet ist, Berlin nicht anders als jeden anderen Teil des Bundesgebietes zu behandeln, soweit nicht die bekannten alliierten Vorbehaltsrechte aus zwingenden Gründen eine abweichende Regelung erfordern. Die bloßen Überlegungen der Zweckmäßigkeit sind kein hinreichendes Argument. Im übrigen möchte ich meinen, daß eine Sonderbehandlung der Berliner insoweit auch nicht erforderlich ist, da eine Gefahr, daß durch eine Gleichstellung der Westberliner mit den Bürgern der Bundesrepublik der Gesetzeszweck vereitelt würde, nach unserer Auffassung nicht erkennbar ist. Denn ich darf darauf aufmerksam machen, daß in Berlin nach wie vor ein Zuzugsgesetz besteht — ich glaube, als einzigem Ort im gesamten freien Teil Deutschlands — und daßB) wir in Berlin damit die rechtliche Handhabe besitzen, jeden unerwünschten Bürger, der zu uns zuziehen will, daran zu hindern, seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in West-Berlin zu nehmen. Insofern bestehen ausreichende rechtliche Möglichkeiten, derartige Dinge zu verhindern, und ich darf Sie nochmals bitten, auch in diesem Punkte ,die psychologischen Auswirkungen zu beachten, die dann eintreten würden, wenn man die Berliner „draußen vor der Tür" stehen ließe.Meine Damen und Herren! Nach diesen allgemeinen, grundsätzlichen Ausführungen darf ich Ihnen nun die Grundzüge — es ist mir im Rahmen der ersten Lesung natürlich nur möglich, Grundzüge vorzutragen — der von uns konkret formulierten Vorschläge vortragen. Sie ergeben sich aus den Grundsätzen, die ich dargelegt habe.Der Regierungsentwurf schlägt, wie Ihnen bekannt ist, vor, an der Demarkationslinie eine Personenkontrolle durchzuführen mit der Möglichkeit, bestimmte Personen bei Vorliegen von Anhaltspunkten für die Absicht bestimmter strafbarer Handlungen an der Ein- oder Ausreise zu hindern. Unser Gegenvorschlag läuft auf folgendes hinaus: Wir sehen von jeder Grenzkontrolle ab, weil wir meinen, die Kontrolle an der Grenze bedeutet, daß, um den Staatsfeind festzustellen — und das ist ja das Ziel des Gesetzes —, eine Kontrolle aller Reisenden durchgeführt werden muß; denn der Staatsfeind pflegt sich ja nicht an der Grenze als solcher vorzustellen. Wir haben, abgesehen von den grundsätzlichen Fragen, die ich erörtert habe, dagegen Be-denken, weil es bedeuten würde, daß Beamte, in der Regel wohl untere Dienstgrade, sofort oder doch in sehr kurzer Zeit lediglich auf Grund eigener Angaben der Reisenden — und die Verdächtigen werden vermutlich nicht gerade die Wahrheit sagen — oder nach sonstigen sogenannten Anhaltspunkten entscheiden müssen.Wir kommen daher zu dem Ergebnis, daß man Ort und Zeit des Einschreitens gegen die Personen, die strafbare Handlungen gegen den Staat vorbereiten — also ohne den Buchstaben b), Herr Kollege Schäfer —, an ihren Aufenthaltsort im Bundesgebiet, zu dem sie sich hinbegeben, verlegen und die Entscheidung der dort zuständigen Behörde, also etwa der Kreispolizeibehürde, überlassen sollte. Es wird niemand angesprochen oder belästigt, der nicht durch sein eigenes Verhalten — ich greife das auf, was Sie sagen; es deckt sich insoweit mit unseren Gedanken — einen greifbaren Verdacht für die Absicht einer strafbaren Handlung begründet. Es gibt keine Auskunftspflicht, keine Registrierung, keine Gepäckdurchsuchung und ähnliche Akzessorien eines Staates, die wir alle und nicht nur aus psychologischen Gründen — nicht gern sehen. Die Behörde kann — und das ist ein Vorteil — den Ort und den Zeitpunkt ihres Eingreifens selbst be- stimmen. Sie wird in Einzelfällen sogar ein Interesse daran haben — etwa um Kontaktmänner festzustellen —, bei derartigen Dingen nicht sofort einzugreifen, und wird den Mann gerade dorthin fahren lassen, wohin er fahren will. Wir wollen also in dieser Hinsicht die Möglichkeiten gegenüber dem Regierungsentwurf nicht nur nicht einschränken, sondern sogar erweitern.Also noch einmal: Getroffen wird der Personenkreis, der seinen Wohnsitz außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes hat. Wer von diesem Personenkreis durch ein konkretes Verhalten im Bundesgebiet den Verdacht begründet, daß er strafbare Handlungen gegen den Staat begehen will, wird durch eine sofort vollziehbare Verfügung der Polizeibehörde aus dem Bundesgebiet entfernt, oder es kann gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen werden. Nach unserer Vorstellung hat diese Entfernung gleichzeitig die Wirkung eines vorläufigen Aufenthaltsverbots, dessen Wirksamkeit wir zeitlich auf sechs Wochen begrenzen wollen. Innerhalb dieser Frist kann ein endgültiges, und zwar entweder befristetes oder unter Umständen auch unbefristetes, Aufenthaltsverbot erlassen werden. Wenn das nicht geschieht, erlischt das vorläufige Aufenthaltsverbot nach sechs Wochen. Die Zustellung und ähnliche Formalien richten sich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, das auch hinsichtlich der Zustellung an Personen, die außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ihren Wohnsitz haben, hinreichende Möglichkeiten eröffnet. Ich brauche auf diese Einzelheiten nicht einzugehen.Für die Zukunft gibt es, wenn ein Aufenthaltsverbot erlassen wird, eine klare und eindeutige Rechtslage. Eine erneute Einreise trotz eines erfolgten Verbotes kann mit polizeilichen Mitteln verhindert werden. Die Regelung ermöglicht eine volle richterliche Nachprüfung, wobei wir natürlich und
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Bendazweckmäßigerweise die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage ausschließen wollen. Wir schlagen auch vor, den Verstoß gegen ein verhängtes Aufenthaltsverbot unter selbständige Strafandrohung als Vergehen zu stellen.Diese Regelung ermöglicht es nach unserer Auffassung, innerhalb der dargestellten und vom Grundgesetz gezogenen Grenzen ,den Aufenthalt von Staatsfeinden im Bundesgebiet mindestens gleich wirksam zu verhindern, wie dies der Regierungsentwurf tut. Wir glauben, daß darüber hinaus die Gefahr von Fehlentscheidungen geringer ist. Wie ich bereits gesagt habe, besteht dadurch die Möglichkeit, Kontaktmenschen festzustellen. Alle Belästigungen und Schikanen wie Gepäckkontrollen, die Auskunftseinholung von Reisenden usw. könnten damit ohne weiteres wegfallen.Ein weiterer Gedanke. Der Herr Bundesinnenminister hat bereits im Bundesrat mit Recht beklagt, daß nach geltendem Recht keine Möglichkeit besteht, bereits verurteilten Agenten den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten. Wir sehen daher in einem ergänzenden Vorschlag vor: Im Anschluß an eine strafgerichtliche Verurteilung wegen bestimmter politischer Delikte — also die Gruppe der sogenannten Staatsfeinde — soll zugleich mit dem Urteil ein entweder befristetes oder unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt werden können. Die Einzelheiten dieser Regelung stellen wir uns im Prinzip — um nur den Gedanken zu skizzieren — ähnlich vor wie bei der Gestaltung des Berufsverbots oder der Entziehung der Fahrerlaubnis. Auch dieses wäre eine echte Sicherungsmaßnahme.Hinsichtlich der Ausreise gelten die gleichen grundsätzlichen Probleme wie für die Regelung der Einreise. Nach unserer Auffassung und auch nach der Begründung des Regierungsentwurfs bestehen nach wie vor erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, ob eine Reise zwar nicht ins Ausland — das ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht entschieden —, aber eine Reise innerhalb des Inlandes, nämlich vom Bundesgebiet in den unfreien Teil Deutschlands, nicht durch den Grundsatz der Freizügigkeit in gleicher Weise wie die Einreise geschützt wäre. Wir haben daher zur Zeit davon abgesehen, in dieser Beziehung hier einen konkreten Gegenvorschlag zu unterbreiten. Wir haben zu diesem Punkt ebenfalls einen formulierten Vorschlag bereit. Ich brauche ihn aber nicht darzulegen; denn er ist das genaue Spiegelbild des vorgeschlagenen Aufenthaltsverbots und ermöglicht ebenso gezielte Maßnahmen, wie wir sie uns hinsichtlich der Einreise vorstellen.Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Kinder- und Gruppenreisen in die sowjetisch besetzte Zone. Wir sind mit der Regierung und, ich glaube, mit dem ganzen Hause der Auffassung, daß diese systematische Vergiftung unserer Kinder und Jugendlichen in den sogenannten Ferienlagern der sowjetisch besetzten Zone unerträglich ist und daß hier endlich Abhilfe geschaffen werden muß.
Es kann nur bedauert werden, daß die Maßnahmen von seiten der Erziehungsberechtigten und der Erziehungsverpflichteten, also Schulen usw., bisher offensichtlich nicht dazu ausgereicht haben, diese Dinge zu unterbinden.
Wir meinen, daß diese Frage unter dem Gesichtspunkt nicht der Polizei, sondern des Jugendschutzes gesehen werden muß. Wir schlagen daher vor, derartige Gruppenreisen bzw. Einzelreisen zu Gemeinschaftsveranstaltungen von Kindern oder Jugendlichen in der sowjetisch besetzten Zone in Zukunft von einer Genehmigung des örtlich zuständigen Jugendamtes abhängig zu machen. Diese Genehmigung soll nach unserer Vorstellung versagt werden, wenn die Reise oder die Veranstaltung, zu der die Reise gehen soll, Bestrebungen fördert, die gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Wir sehen bestimmte Strafsanktionen als Ordnungswidrigkeit gegen Sorgeberechtigte und Unternehmer des Personenverkehrs vor, die ohne Genehmigung solche Reisen zulassen oder durchführen.Die übrigen Vorschläge, die wir unterbreiten werden, betreffen technische Vorschriften, auf die ich hier nicht eingehen kann und möchte.Hinsichtlich der Behördenzuständigkeit meinen wir, daß die von den Landesregierungen bestimmten Behörden — wir würden die Kreispolizeiebene für zweckmäßig halten — sowie im Rahmen seiner allgemeinen Zuständigkeit der Bundesgrenzschutz zuständig sein sollen. Der Bundesinnenminister soll mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen können, um die einheitliche Anwendung zu sichern.Meine Damen und Herren! Wir schlagen diese Regelung nicht etwa vor, um hier Kompromisse zu finden, sosehr wir uns freuen würden, wenn wir in dieser Frage zu einer einheitlichen Auffassung kämen; denn diese Frage verträgt keine Auseinandersetzung, sondern es handelt sich um eine der Grundfragen, die uns alle bewegen sollten. Wir schlagen eine solche Regelung vor, weil wir sie für praktikabel und mindestens ebenso wirksam und vernünftig halten wie den Vorschlag der Bundesregierung und weil wir meinen, daß sie den verfassungsrechtlichen und politischen Bedenken nicht begegnet, die sich gegen den Regierungsentwurf ergeben können.Wir werden diese Vorschläge bei der Beratung des Regierungsentwurfs in den Ausschüssen vortragen; sie sind formuliert, sie liegen uns vor, und wir werden entsprechende Änderungsanträge stellen und auf diese Art unsere Vorschläge in die Beratung einbeziehen. Wir meinen, daß sie insgesamt an die Stelle des Regierungsentwurfs treten sollten und könnten.Ich fasse zusammen. Wir sagen zu dem Regierungsentwurf nicht: „Ja, aber", sondern wir sagen: „So nicht, sondern so". Wir schlagen einen Weg vor, der praktikabel ist und den wir gehen sollten. Wir wollen — und die Überschrift unseres Vorschlages ist vielleicht kennzeichnend für das, was wir wollen — kein Gesetz über Einreise und Ausreise, sondern stellen uns ein Gesetz vor, das dazu hilft, Miß-7918 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961Bendabräuche im innerdeutschen Reiseverkehr zu bekämpfen. Dieses Gesetz wollen wir, und ich hoffe, daß wir es gemeinsam zustande bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Bundesrepublik heute und in absehbarer Zeit durch erfolgversprechende außenpolitische Schritte die Wiedervereinigung nicht erreichen kann, ist eine Tatsache, ,die wir mit Betrübnis zur Kenntnis nehmen müssen. Das zu ändern, liegt zur Zeit allein in den Händen der Sowjetunion. Was aber in unseren Händen liegt — es ist gewiß ein Minimum —, ist die Möglichkeit, selber positive Schritte zu unterlassen, die die Wiedervereinigung erschweren oder gefährden können. Diese Möglichkeit ist zugleich eine Verpflichtung für uns. Daß gegen diese Verpflichtung nicht verstoßen wird, darauf möchten wir besonders achten, wenn wir uns diesen Gesetzentwurf ansehen.Ich sage offen: wir sind infolge der ganzen Art, wie der Gesetzentwurf eingebracht worden ist, mißtrauisch, ob er nicht objektiv gegen dieses Ziel verstößt. Es gibt offenbar noch bösartigere Menschen, die den Herrn Bundesinnenminister veranlaßt haben, sich heute von 'diesem Platze aus gegen „bösartige Unterstellungen" zu wehren.Gestatten Sie mir aber, Herr Bundesinnenminister, eine persönliche Bemerkung. Wenn nachts jemand auf der Autobahn fährt und alle Fahrzeuge, die ihm entgegenkommen, aufblenden, schimpft er wohl einige Zeit auf diese rücksichtslosen Aufblender, aber irgendwann muß er doch mal merken, daß sein eigenes Licht nicht ganz in Ordnung ist.
So ist es auch hier. Es ist uns in einer gesamtdeutschen Frage wieder ein Gesetzentwurf hingelegt worden, ohne daß es Ihr Haus für nötig hielt, vorher mit der Opposition — und offenbar auch mit weiten Kreisen Ihrer Freunde — Fühlung zu nehmen. Das führt dann natürlich zu diesen heftigen Reaktionen. Aber, wie gesagt, wir wollen die Sache völlig objektiv betrachten.Schon eine rein juristische Prüfung ergibt ganz erhebliche Bedenken gegen ,den Entwurf. Sie fangen bereits bei § 1 an, der ein Verbot ausspricht. Aber was ist verboten? Verboten ist zunächst einmal die Einreise, also eine völlig wertneutrale Handlung. Sie ist dann verboten, wenn der Einreisende bestimmte Absichten hat. Der eigentliche Tatbestand ist also rein subjektiver Art. Dementsprechend ist auch die Sanktion in § 9. Ein Verbot zieht ja immer eine Strafandrohung nach sich. Die Strafandrohung in § 9 richtet sich nur gegen denjenigen, der unter Umgehung der Kontrollstellen einreist und dabei diese bösen Absichten hat, wohl in der richtigen Erkenntnis, daß man jemanden, der durch die Kontrollstellen einreist, nachher nur sehr schwer noch daraufhin untersuchen kann, ob er damals solche Absichten gehabt hat oder nicht. Nebenbei steht inauch noch, daß derjenige bestraft wird, der „einer vollziehbaren Maßnahme . . . zuwiderhandelt". Ich muß das so verstehen, daß man offenbar selbst einsieht, daß hier gewisse Maßnahmen un-vollziehbar sind.Ich gebe aber zu, die Hauptsache bei dem Gesetz soll nicht diese Strafbestimmung sein, sondern vielmehr die Möglichkeit, die so eingereisten Leute wieder wegzuschicken. Trotzdem muß man sagen, daß hier unseren strafrechtlichen Prinzipien zuwidergehandelt wird, indem einfach eine Vorbereitungshandlung als solche pönalisiert wird. Ich weiß, die Rechtsprechung hat gerade bei Staatsgefährdungsdelikten die Grenze zwischen Versuch und Vorbereitung sehr weit vorverlegt. Aber man ist bei uns noch nie so weit gegangen, wie es die sowjetische Besatzungszone unter Führung von Frau Benjamin tut, daß Vorbereitungshandlungen überhaupt unter Strafe gestellt werden.Nach § 5 kann eine Person abgeschoben werden, bei der Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie unter Verstoß gegen § 1, also in dieser bösen Absicht in den Geltungsbereich des Gesetzes eingereist ist. Zu dem Begriff „Anhaltspunkte": Ich habe gerade dieser Tage einen Artikel von Herrn Rechtsanwalt Dr. Dahs, dem Kronjuristen der Bundesregierung, gelesen, der Anfang 1959 in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" erschienen ist. Es ist ein ausgezeichneter Artikel, in dem er sich, veranlaßt durch einen sehr interessanten Prozeß, in dem er Verteidiger war, gegen die Handhabung der Untersuchungshaft bei uns wendet. Er wendet sich dagegen, daß es genügen soll, daß wahrscheinlich Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, daß ein Täter Verdunkelungshandlungen begehen könnte. Bei der Untersuchungshaft, wo immerhin dringender Tatverdacht erforderlich ist, wird also eine Einschränkung, eine Abschwächung verlangt, mit Recht verlangt. Hier dagegen sollen überhaupt nur Anhaltspunkte genügen, um jemanden zurückschicken zu können. Es ist doch ganz klar, daß auf diese Weise eine Abgrenzung zwischen solchen, die zurückgeschickt gehören, und solchen, die es beileibe nicht verdienen, einfach unmöglich ist.Wohl sagt man nun immer wieder theoretisch — der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat hierüber einen sehr schönen Vortrag im RIAS gehalten; er ist 'im Bulletin nachzulesen —, der Reiseverkehr solle nicht behindert werden.Deshalb auch die in ihm— dem Grundgesetz; so heißt es in dem Vortrag, aus dem ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf -gewährte Freizügigkeit für alle Deutschen, ob sie nun diesseits oder jenseits der Trennungslinie leben. Diese im Grundgesetz verbriefte Freizügigkeit verbietet es, etwa so zu verfahren wie das Ost-Berliner Regime, das mit allen Mitteln versucht, den Verkehr Deutscher in ihrer gemeinsamen Heimat zu behindern.Soweit Herr Bundesminister Lemmer. Wir glaubengern, daß das beabsichtigt ist. Aber mit einer sol-
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Dr. Bucherchen Vorschrift wie gerade dem § 5 mit dem Begriff „Anhaltspunkte" ist das doch nicht möglich. Ernstlich wird wirklich niemand den Einwand vorbringen können, in § 7 stehe, daß derjenige, der einreise, Auskunft über die Absichten geben müsse, die er mit der Einreise verfolge.Das erinnert mich an eine Mär, die böse Menschen einer Stadt in meinem Wahlkreis anhängen. Es heißt, diese Stadt, die früher eine Reichsstadt war, habe im Dreißigjährigen Krieg einen Spion in das Lager der Kaiserlichen geschickt. Als er sich dort auffällig herumgetrieben habe und befragt worden sei, was er denn treibe, habe er stolz geantwortet: „I bin der Spion von Aale."
Ich gaube nicht, daß ein ostzonaler Spion so reagieren wird, wenn er um Auskunft gebeten wird.Außerdem — das ist schon von Herrn Kollegen Schäfer gesagt worden — besteht eine Verpflichtung zur Gepäckkontrolle und nach § 3 eine Verpflichtung zur Registrierung, und zwar für jeden Einreisenden, nicht nur für die Feinde der Freiheit. Und das — Herr Benda hat das sehr eindrucksvoll ausgeführt — wollen wir eben nicht.Der frühere Interzonenpaß ist abgeschafft worden. Die DDR hat ihn praktisch heute immer noch. Sollen wir uns diesem Verfahren anpassen? Die DDR braucht eine solche Maßnahme; denn jeder, der aus der Bundesrepublik dort einreist, ist, schon dadurch, I daß er frei reisen kann, ohne daß er ein Wort spricht, ohne daß er den Mund aufmacht, Propagandist für die Bundesrepublik und für ihre staatlichen und politischen Zustände. Umgekehrt kann jeder Agent, der von drüben zu uns herüberreist, hier Tausende von Worten verschwenden, — er ist Propagandist gegen seine eigene Sache. Aus diesem Grunde brauchen wir solche Maßnahmen doch überhaupt nicht.Besonders bedenklich scheint mir auch § 2 zu sein, dieses umfassende Ausreiseverbot. Ich entnehme der Broschüre des Herrn Bundesinnenministers, daß er ihr einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung beigefügt hat, ihn also sozusagen zum Teil der Begründung macht. In diesem Artikel wird davon gesprochen, daß viele Bürger der Bundesrepublik — gehässigerweise heißt es: besonders viele aus Baden-Württemberg —
in den Ferien hinüberfahren und dummes Zeug in die Gästebücher schreiben, sie erkennten die sozialistischen Errungenschaften an, unsere Presse lüge, und sie würden die Wahrheit zu Hause verbreiten. Ich meine, das sollte man nun nicht allzu tragisch nehmen. Wir sollten doch erwachsene Menschen nicht bevormunden und nicht glauben, daß sie, von einigen Unbelehrbaren abgesehen, nicht in der Lage sind, Potemkinsche Dörfer, die man ihnen dort vorführt, von der Wirklichkeit zu unterscheiden oder auch einige Dinge, die positiv zu werten sind, gegen die ungeheure Menge des negativ zu Wertenden in die Waagschale zu werfen.Das einzige, was ich hier für notwendig halte — Herr Kollege Benda hat das in seinen konkreten Vorschlägen auch schon erwähnt —, ist, die Ausreise von Kindern und Unmündigen zu verhindern. Das ist natürlich etwas ganz anderes. Kinder lassen sich von irgendwelchen Äußerlichkeiten leicht beeinflussen und vielleicht für ihr ganzes Leben oder für lange Zeit entscheidend verderben! Hier soll durchaus etwas geschehen, und hier sollen auch der Bundesregierung Mittel an die Hand gegeben werden.Welchen Zweck kann ein solcher Gesetzentwurf verfolgen? Doch einen doppelten: erstens sich gegen solche zu wenden, die Straftaten begehen wollen. Insoweit ist § 1 Abs. 1 Buchstabe a auch nicht so sehr zu beanstanden wie Buchstabe b. Wer hier wirklich Straftaten begehen will — Hochverrat, Staatsgefährdung, Landesverrat —, der gefährdet uns tatsächlich, und gegen den soll mit allen Mitteln vorgegangen werden. Die zweite Gruppe — ich habe sie schon erwähnt — sind die Propagandisten, die für uns wirklich keine derartige Gefahr darstellen, mit denen wir fertig werden.Der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin hat im Bundesrat darauf hingewiesen, daß es in West-Berlin eine KP gibt, daß sie aber überhaupt keine Rolle spielt, von der Bevölkerung entschieden abgelehnt wird und bei jeder Wahl ihre verdiente Abfuhr bekommt. Wir sollten also die Kriminellen, die Spione verfolgen.Man wundert sich nun tatsächlich — auch das ist im Bundesrat gesagt worden —, woher der Bundesinnenminister die Zahl von 80 000 Einreisenden nimmt, die nachgewiesenermaßen solche strafbaren Ziele verfolgt haben. Warum sind diese 80 000 nicht dem Kadi zugeführt worden? Warum ist das Legalitätsprinzip hier nicht ausgenützt worden? Hier liegen doch offenbar unausgeschöpfte Möglichkeiten, wie es auch der Herr Minister heute angedeutet hat.Aber dieses Gesetz — das ist auch schon gesagt worden — erschwert die Spionage natürlich nur sehr geringfügig. Es zwingt die Spione, vorsichtiger zu sein. Es zwingt sie zu Umwegen. Es wird sich also auswirken als eine gewisse Belastung des Haushalts der sogenannten DDR, soweit Mittel für Spionagezwecke ausgegeben werden. Aber das ist doch wohl alles.Die politischen Folgen sind von allen drei Vorrednern schon angeführt worden. Ich brauche das nicht im einzelnen zu wiederholen. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß 12 Millionen Grenzübertritte im Jahe an der Zonengrenze stattfinden. Nun stellen Sie sich vor, wie schwierig es sein wird, aus diesen 12 Millionen Fällen diejenigen herauszusuchen, die tatsächlich nach einem solchen Gesetz behandelt zu werden verdienen! Es wäre aber höchst peinlich und schmerzlich, wenn Menschen, die aus lauteren Beweggründen zu uns herüberwollen, abgewiesen werden müßten.Vor allem träfen wir selber dadurch nicht nur eine positive, sondern auch ein negative Auslese. Wir arbeiteten sozusagen dem Staatssicherheits-
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Dr. Bucherdienst in die Hände. Denn wer bei uns nicht beanstandet wird, der muß automatisch von denen da drüben beanstandet werden. Die einzigen, auf die das nicht zutrifft, sind dann die Funktionäre des Regimes. Denn auch wenn diese Herren bei uns durchschlüpfen und nicht beanstandet werden, weiß man von ihnen drüben, daß sie linientreue Leute sind.Über die besonderen Wirkungen, die sich aus diesem Gesetz für Berlin ergeben würden, möchte ich hier nichts sagen; das wird mein Kollege Will tun.Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Zonengrenze einfach zur Staatsgrenze würde, was sie für die Machthaber der sowjetischen Zone schon immer ist, was sie für uns aber nicht war. Wir würden die Mitteldeutschen Ausländern gleichstellen.Der Herr Bundesminister hat heute gesagt, da sei doch ein Unterschied. Denn wohl finde dann auf beiden Seiten eine Kontrolle statt; aber in' dem einen Land sei die Kontrolle vor einem Land der Unfreiheit angeordnet und in dem anderen vor einem Land der Freiheit. — Nun, es ist eine ganz neuartige Betrachtungsweise, eine Kontrolle danach beurteilen zu wollen, was hinter der Kontrolle kommt. Das kommt mir etwa so vor wie der Berg von Reisbrei vor dem Schlaraffenland. Was nützt dem Mann aus Weimar oder Rostock das schönste Schlaraffenland, wenn er durch diesen Berg nicht hindurchkommt?
Von Herrn Kollegen Benda sind hier schon sehr konkrete Vorschläge gemacht worden, die manches von dem vorweggenommen haben, was auch ich mir überlegt habe. Ich will es nicht wiederholen. Ich kann nur sagen: wir finden diese Vorschläge sehr gut und sehr vernünftig und sind mit ihnen einverstanden,Ich darf dazu noch anfügen, daß sich gerade die FDP schon immer für eine Verstärkung des Bundesgrenzschutzes eingesetzt hat. Ich erinnere nur an die Debatten, die wir hier nach der Verabschiedung des Freiwilligengesetzes hatten. Damals waren, wie Sie sich erinnern werden, die ersten Kader der Bundeswehr aus dem Bundesgrenzschutz aufgefüllt worden. Es war also dringend notwendig, ihn wieder zu verstärken. Wir haben uns damals und auch schon früher durch unseren heutigen Fraktionskollegen Mende dafür eingesetzt, und das halten wir nach wie vor für richtig.Vor allem meinen auch wir, daß das Schwergewicht darauf gelegt werden sollte, Agenten und Spione hier in der Bundesrepublik zu erfassen, wo sie irgendwann einmal in Tätigkeit treten. Die Spione versuchen sich natürlich zu verbergen. Aber die eigentlichen Agenten müssen ja, wenn sie wirken wollen, irgend jemanden anreden, mit irgend jemandem in Verbindung treten, und es gibt unweigerlich Gelegenheit, sie zu erfassen. Jedenfalls glauben wir, daß es wesentlich bessere Möglichkeiten gibt, um das Ziel des Gesetzes zu erreichen, als das, was hier ausgedacht worden ist. Über dasZiel dieses Gesetzes sind wir uns in diesem Hause im großen und ganzen doch völlig einig.Meine Damen und Herren, wir haben zu Beginn dieser Tagesordnung der Gründung des Deutschen Reiches gedacht. Sollen wir am Schluß dieser Tagesordnung einen Schritt tun, mit dem einige der letzten dünnen Fäden durchschnitten werden, an denen dieses Deutsche Reich, an denen dieser gesamtdeutsche Staat noch hängt? Wir meinen: nein, und wir sagen deshalb zu diesem Gesetzentwurf nein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
— Mir ist von einer solchen Vereinbarung von meinem Vorgänger nichts gesagt worden, und die von ihm hinterlassene Reihenfolge sah anders aus. Sind Sie einverstanden?
— Also Herr Abgeordneter Mattick, bitte sehr!Mattick, SPD: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Benda sehr dankbar, daß er die Fragen der Rechtsstaatlichkeit dieser Vorlage und ihrer Beziehungen zum GrundBesetz schon behandelt und auch schon einige Vorschläge gemacht hat, so daß ich als Vertreter der Berliner einige andere Bemerkungen machen kann.Meine Damen und Herren, die Berliner Sozialdemokraten stehen seit 1945 im ständigen Fegefeuer kommunistischer Angriffe. Das begann mit der Auseinandersetzung um die Zwangsvereinigung, die noch von der sowjetischen Besatzungsmacht 1945/46 verfügt worden ist. Wir haben in dieser Stadt nach dem Zusammenbruch zuerst .die Formel geprägt: Demokratie nur den Demokraten! Allerdings war diese Formel persönlich gemeint, auf jeden einzelnen angewendet, der gegen die demokratischen Einrichtungen verstößt oder sie benutzen will, um sie zu zerstören. Es war nie eine Kollektivformel. Wir sind auch damals davon ausgegangen, daß diese Formel nach allen Seiten möglichst gleichmäßig angewendet werden sollte, also auch gegen alle Reste und Neuerstehungen von nationalsozialistischen und ähnlichen Bestrebungen.Berlin ist „eingeigelt" von kommunistischer Herrschaft. Wir haben um Berlin und innerhalb Berlins völlig offene Grenzen. In einem Teil Berlins sitzt die zentrale Leitung der Kommunistischen Partei — heute SED genannt — und sitzt die Regierung in Pankow, Die Westberliner haben bis zum heutigen Tage Wert darauf gelegt, daß kein Weg gegangen wird, der den Übergang aus der Zone nach Berlin irgendwie beschränken könnte.Wenn Sie die Sache so betrachten, wie Sie es tun, meine Damen und Herren, dann wäre Berlin ein
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Mattickeinziges Nest von Agenten der Kommunistischen Partei.
Wir haben heute täglich über 50 000 sogenannte Grenzgänger, Menschen, die vom Osten zum Westen nach Berlin kommen, dort arbeiten und in den Betrieben wirken. Wenn ich das Gesetz des Herrn Innenministers richtig auslege, sind das alles mögliche Agenten,
— potentielle Agenten —, und dann müßte Berlin längst den kommunistischen Unterwanderern zu Füßen gefallen sein.Hier haben die Berliner in ständiger Auseinandersetzung mit den kommunistischen Angriffen, die in Berlin nicht leicht genommen werden, durch ihren festen Willen, durch ihre Vernunft, durch ihre Bereitschaft und durch ihre Gesinnung dafür gesorgt, daß die Kommunistische Partei bei der Freiheit zu wirken, die ihr in Berlin gegeben ist, bei jeder Wahl — wir fordern sie ja noch an die Wahlurne — mit 1,9 bis 2,6 % der Stimmen abgespeist wird. Ich glaube, Berlin ist in Deutschland vielleicht das beste und einzige Beispiel, wie man mit einer Flut von Agenten, mit einer Flut von kommunistischen Angriffen fertig wird, und zwar an einem Ort — das wird auch der Herr Innenminister nicht bestreiten —, wo es den Kommunisten seit 1945 am meisten darauf ankommt, „endlich reinen Tisch zu machen."
Dieses Gesetz des Herrn Innenministers über Ein- und Ausreise löst in Berlin und — ich möchte mir jetzt Zitate sparen — löst in der Zone, Herr Minister, bittere Trauer aus. Wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, dann geben wir, die Bundesrepublik, einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Zone auf.
Eines der stärksten Argumente in allen Auseinandersetzungen, die wir gegen das Ulbricht-System führen, sind die Zwangsmaßnahmen des Systems, die Ulbricht gegen jede Person anwenden muß. Es gibt in dieser Zone und in Berlin das geflügelte Wort: Was ist das für ein Staat, was ist das für eine Regierung, die jeden einzelnen Bürger unter Kuratel stellen muß, die auf jede Reise, die der einzelne Bürger unternimmt, achten muß, kontrollieren muß, Zwangsmaßnahmen gegen Reisen anwenden muß?Sie wissen, es kommt immer wieder vor, daß die Zone, wenn auch nicht durch direkte Verfügung, so doch durch Polizeimaßnahmen dafür sorgt, daß die Bürger gewisser Gebiete der Zone nicht einmal in die eigene Hauptstadt reisen können. Sie haben keine Ahnung, Herr Minister — verzeihen Sie mir diese Bemerkung —, wie gerade diese Diskussion in der Zone um die Frage der Freizügigkeit, der Bewegungsfreiheit, des Zusammenkommens mit anderen Menschen, sich gegen Ulbricht auswirkt.
Sie sagten in Ihrer einleitenden Bemerkung vorhin, die Zonenverwaltung und die SED lachen über unsere Freiheit oder spotten über unsere Liberalität. So haben Sie es, glaube ich, ausgeführt. Herr Minister, ich glaube, es gibt kein größeres und stärkeres Argument gegen die Unfreiheit der Zone als das Argument der Freiheit bei uns.
Ich glaube, die Freizügigkeit ist ein entscheidender Teil jeder Freiheit. Wir haben doch in den letzten Jahren in Europa und in der Welt, überall dort, wo wir auftreten konnten, um die Freizügigkeit in ganz Europa gerungen, weil wir der Meinung sind, daß sie einen Bestandteil der Freiheit darstellt. Und jetzt wollen wir die Freizügigkeit ausgerechnet innerhalb unseres eigenen Landes generell begrenzen! Wir haben jahrelang um die Aufhebung des Interzonenpasses gekämpft, und die Zone wurde durch unsere Maßnahmen gezwungen — wenn auch nur zeitweilig —, nachzugeben. Von unserer Seite aus gibt es heute keine Begrenzung der Freizügigkeit und der Freiheit, und darauf sind wir stolz.Die Freiheit, Herr Minister, ist immer bedroht, d. h. sie ist immer in der Abwehr. Aber sie wird diese Abwehr nur durchhalten, wenn sie den Kampf offensiv führt. Die Freiheit zu beschränken, um sie zu erhalten, — da habe ich so den Eindruck, man könnte am Schluß sagen: Operation gut verlaufen, der Patient ist tot.
Deshalb sagen wir: Hände weg von den Grenzen! Das Gesetz, das hier vorgelegt wird, beschuldigt jeden und legt jedem einzelnen Reisenden die Beweispflicht auf, daß er keine böse Absicht hat. Dieses Gesetz belästigt jeden Reisenden. Ich glaube, es kann nur umgekehrt sein, daß man sich den einzelnen greift, um den es geht. Wenn das Gesetz angewendet werden würde, Herr Minister, würde es die letzten Reste des freien Reiseverkehrs, des möglichen Reiseverkehrs innerhalb beider Teile Deutschlands praktisch beseitigen.Was sind nun Ihre Gründe? Erstens haben Sie sich, wenn ich Ihre Broschüre richtig gelesen habe, furchtbar über das Auftreten des Herrn Schnitz-1 e r geärgert. Dafür habe ich Verständnis. Aber —verzeihen Sie, Herr Minister — es wäre besser gewesen, wenn der Herr Schnitzler bei seinem Auftreten in der Bundesrepublik — und das hätte ich für noch besser bei dem Auftreten von Dieckmann empfunden —, wenn die Herren nun, nachdem sie hier hereingekommen waren, zum Teil auf Einladung, in ein Fegefeuer einer politischen Auseinandersetzung hineingezerrt worden wären.
Sehen Sie sich einmal an, wo Chruschtschow mit seiner Pressekonferenz in Paris gelandet ist! Solche Auseinandersetzungen hätte ich Herrn Schnitzler und auch Herrn D i e c k m a n n gewünscht. Ich finde die Antwort auf den Besuch des Herrn Dieckmann nicht schön; Fensterscheiben einzuschlagen ist keine Auseinandersetzung in unserem Land.
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MattickIch hätte dem Herrn Dieckmann, nachdem er auf so unglückliche Art von einem Herrn Horn hierhergeholt worden war, eine andere Auseinandersetzung beschert.Sehen Sie, Herr Minister, das ist keine Sache, die Sie durch ein Ein- und Ausreisegesetz regeln können. Das ist eine Sache, die Sie durch andere politische Voraussetzungen im deutschen Volk lösen können, indem die Menschen überall darauf vorbereitet werden, diese Auseinandersetzung zu führen. Hier wird die Grenzsperre nicht die richtige Antwort sein können.Sie haben Angst, Herr Minister, daß Kinder in die Ferienlager der Zone fahren. Ich habe mir sagen lassen, daß 5 Millionen DM dazu ausreichen würden, so viele Ferienlager und Einrichtungen in der Bundesrepublik zu schaffen, daß dann wirklich nur noch die Böswilligen hinüberfahren oder böswillige Eltern ihre Kinder mit politischen Absichten hinüberschicken. Hier haben wir manches versäumt. Das hat dazu geführt, daß beispielsweise auch Gruppen von Kindern solcher Eltern hinübergeschickt wurden, die das als einen billigen Ausweg sahen, weil sie keine bessere Ferienmöglichkeit für die Kinder hatten.Sie haben Angst, daß FDGB-Funktionäre mit Agentenaufträgen in Scharen in die Betriebe kommen. Nun, Herr Minister, bisher sind doch die Betriebe damit fertig geworden, meiner Ansicht nach gut fertig geworden, genau wie unsere Betriebe in Berlin, Im allgemeinen müßte jede BetriebsbelegSchaft auch mit ihnen fertig werden. Ich wüßte bisher nicht das Gegenteil. Gerade bei den Betriebsrätewahlen gibt und gab es die einzige Chance —nachdem die Kommunistische Partei in der Bundesrepublik verboten ist —, so ein bißchen abzutasten, wie weit diese Kräfte wirksam sind. Sehen Sie sich das Ergebnis an. Ich glaube, Sie übertreiben diese Angst, und ich glaube auch, daß Sie mit diesem Gesetz dem nicht einmal beikommen würden. Dazu lassen Sie mich noch ein paar andere Bemerkungen im Zusammenhang mit Berlin machen.Aber zunächst, Herr Minister, ein paar Fragen an Sie, ,die ich gern noch beantwortet hätte. Sie haben hier keine Erklärung darüber abgegeben, wie nun das Gesetz an der Grenze gehandhabt werden sollte. Auch Herr Minister Lemmer, dessen Stellungnahme zu diesem Gesetz ich in diesem Hause gern einmal hören möchte, hat neulich im RIAS Stellung genommen und erklärt, der normale Reiseverkehr werde überhaupt nicht beeinträchtigt. Ja, dann weiß ich nicht, wie Sie dieses Ein- und Ausreisegesetz anwenden wollen. Wie soll der arme Zöllner oder Grenzkontrollbeamte den Mann, der ihm nicht die Wahrheit sagt, erkennen? Rote Mützen tragen die nicht mehr. Rote Schlipse tragen sie auch nicht. Dann könnten sie höchstens hin und wieder einen Sozialdemokraten greifen; ich nehme aber an, daß das Gesetz nicht gegen diese Männer angewendet werden soll. Wollen Sie Listen einführen? Die Zonenverwaltung wird von den Fernfahrern — das werden Sie auch wissen — und von uns allen, die den Marienborner Weg benutzen müssen, ständig verspottet, aber auch ernsthaft angegriffen wegenihres diffamierenden Lukensystems. Sie haben es noch nicht probiert, Herr Minister. Das geht so vor sich, daß Sie Ihren Personalausweis bei der Grenzkontrolle abgehen. Dann wird Ihnen ein Schein ausgeschrieben, und der Ausweis verschwindet durch einen kleinen briefkastenähnlichen Schlitz. Dahinter sitzen die Kontrollbeamten des Zonensystems, um in den Listen nachzusehen, wer von denen, die da durchreisen, festgehalten werden soll. Wollen Sie solche Listen einführen, oder soll der Zöllner die Listen unverdeckt in der Hand haben? Oder glauben Sie wirklich, daß der einzelne Zöllner, ob gutwillig oder böswillig, soviel psychologische Kenntnisse mitbringt, daß er dem einzelnen ansehen kann, mit welcher Absicht oder mit welchem Auftrag er in die Bundesrepublik einreist?! Sie müßten also wirklich eine Antwort geben, wie Sie dieses Ein-und Ausreisegesetz handhaben wollen.Ich möchte das Haus auch darauf aufmerksam machen, wie ich dieses Gesetz im Blick von Berlin aus sehe. Die Sowjetunion und Ulbricht sind seit 1958 intensiv bemüht, den Berlin-Status anzuknabbern. Wir sollten daher alle Schritte unterlassen, die dazu beitragen könnten, das Verhältnis BerlinBundesrepublik zu differenzieren oder zu erschweren. Wir sind uns darüber einig — das sagte auch der Herr Minister —, daß das Gesetz keinesfalls in Berlin anwendbar ist. Wir sind uns darüber einig, daß wir weder die Berliner Innengrenze zwischen dem West- und dem Ostsektor noch die Grenze des Westsektors gegen die Zonenumgebung abschließen oder ihre Überschreitung mit Listen- und Zöllnerkontrolle erschweren können. In West-Berlin besteht legal die SED. Wenn jetzt diese vorgesehene Form der Einreisesperre durchgeführt wird, muß jeder Zöllner bei jedem Berlin-Reisenden zunächst einmal voraussetzen, er könnte ein — legaler — aktiver SED-Funktionär sein. Das ergibt sich aus .der Lage in Berlin. Sie stellen also Berlin unter Kuratel. Sie sollten aber erkennen, Herr Minister, daß Berlin in der politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus für alle Deutschen die beste Lehrwerkstatt ist.
Heute fahren im Durchschnitt 20 bis 40 Schulklassen wöchentlich nach Berlin. Darüber hinaus fährt eine wahrscheinlich noch größere Zahl von Gesellschaftsgruppen nach Berlin. Die Zahl der Bundesrepublikaner, die Berlin einen Besuch abstatten, ist also insgesamt sehr hoch. Fast alle Besucher dieser Stadt, Herr Minister, die über das Verhältnis der Bundesrepublik zur Zone noch nicht viel wissen, kommen mit völlig neuen Erfahrungen zurück. Wir selbst — und nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern auch die Kollegen von der CDU aus Berlin — sprechen mit diesen Gruppen und empfinden, wie stark, wie wirksam ein solcher Besuch von Gruppen in bezug auf die Abwehrposition und die politische Aktivposition gegenüber dem Kommunismus ist.Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, wird kein Lehrer das Risiko eingehen wollen, durch einen Berlin-Besuch mit seiner Klasse in Verdacht zu kommen. Auch die Vielzahl von Gruppen, die heute
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Matticknach Berlin reisen, würden in Zukunft darauf verzichten, um sich diese Unannehmlichkeit zu ersparen.Ich will Ihnen auch sagen, warum es dazu kommen wird. Berlin würde innerhalb kurzer Zeit nach Erlaß dieses Gesetzes das einzige Durchgangsloch für die SED sein. Berlin hat, wie ich sagte, eine legale SED. Berlin würde, wenn Ihre Vorstellungen Gesetz werden, der wesentlichste Übergangspunkt für SED-Agenten nach der Bundesrepublik werden, solange der Berlinverkehr ungestört abläuft. Ein zweiter Übergangspunkt würde das Flüchtlingslager sein. Ein solcher Beauftragter, der in das Flüchtlingslager gelangt ist, bekommt nach kurzer Zeit einen westdeutschen Personalausweis, und mit dem könnte er dann über den Berlinverkehr wieder automatisch nach Berlin und in die Zone reisen, da wir die Berliner Grenze gegenüber der Zone nicht abdichten können. In Zukunft würde also auch für jede Gruppe und für jeden Bundesbürger, der in die Zone will, um sich so zu betätigen, wie Sie es in der Broschüre dargelegt haben, der einzige Weg über Berlin führen. Er könnte nämlich nach Berlin hineinfahren, könnte unkontrolliert in die Zone gehen und über Berlin auch herausfahren. In welche Lage bringen Sie diese Stadt und uns, wenn dieses Gesetz in der vorliegenden Form angewendet werden soll! Ich glaube, Herr Minister, schon unter diesem Gesichtspunkt ist es unmöglich, ein solches Gesetz einzuführen, wenn man die Verhältnisse in Berlin nicht wesentlich verschlechtern will.Nun, Herr Minister, haben Sie die Bemerkung gemacht, Sie hätten kein Stück weißes Papier mehr. Damit spielten Sie noch einmal auf die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters im Bundesrat an. Der Herr Regierende Bürgermeister hat ich habe das im Protokoll nachgelesen — kein Stück weißes Papier vorgelegt. Er hat Sie gebeten, Ihr Gesetz beiseite zu legen und mit einem weißen Stück Papier neu zu beginnen.
Dazu hat er selber eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Er hat nicht nur Vorschläge gemacht; als Bürgermeister darauf möchte ich mit meinen Ausführungen auch hinweisen — bringt er ja doch einige praktische Erfahrungen mit, die er Ihnen sozusagen auf den Tisch legen konnte. Das Ergebnis der letzten Wahl in Berlin brachte 1,9 % kommunistische Stimmen. Dies Ergebnis wurde durch politische Auseinandersetzung, nicht aber durch die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen erzielt. Das ist ja wohl auch ein Beitrag, Herr Minister.Nun noch einige Bemerkungen zu Ihrer Broschüre. Zunächst einmal war ich sehr verwundert, daß Sie in eine Regierungsbroschüre so einseitig ausgesuchte Zeitungsartikel übernehmen. Wenn Sie schon die Absicht hatten, durch ein paar Zeitungsäußerungen die Feststellung zu untermauern, daß die öffentliche Meinung sich mit dem Problem beschäftigt, wieso, Herr Minister, sind Sie nur darauf gekommen, wo man etwas über Sozialdemokraten oder Gewerkschaftler schreibt? Soll ich hier die Zeitungsartikel vorlegen, die sich auch mit Wirtschaftsvertreternbeschäftigt haben, die sich auf der Leipziger Messe oder irgendwo anders manchmal wesentlich schlechter verhalten haben als mancher Gewerkschaftler, der auch gegen unseren Willen in die Zone reist? Warum diese Schlagseite?Ich habe manchmal den Eindruck, wenn ich eine solche Broschüre lese, es steckt doch noch etwas anderes hinter diesem Gesetz als nur die ernsthafte Auseinandersetzung um die Probleme, die gemeint sind.
Sie haben in dieser Broschüre, Herr Minister, Zahlen verwendet, die nirgendwo anders her sein könals aus dem „Neuen Deutschland", da sie mit denen übereinstimmen.
Das ist doch nicht die Grundlage, um bei solcher ernsthaften Auseinandersetzung, wo Sie wissen, daß wir in der Sache mit von der Partie sind, nun so nebenbei noch zu versuchen, in der öffentlichen Meinung die Sozialdemokraten und Gewerkschaftler als besonders belastet zu denunzieren.
Wenn hier wirklich die Zahlen und die Wirkungsweise einander gegenüberstehen, Herr Minister, werden Sie nicht bestreiten können, daß gerade die Sozialdemokraten und die Gewerkschaftler — und ich gehe wieder von Berlin aus auf die Bundesrepublik — die stabilste und stärkste Abwehrfront ohne Gesetzesmaßnahmen gegen die bolschewistische Infiltration bis heute gewesen sind und auch bleiben werden. Dessen können Sie versichert sein. Herr Minister hüten Sie sich davor, diese Diskussion in eine Auseinandersetzung zu hetzen, ob wir Sozialdemokraten in der Abwehr der kommunistischen Infiltration erfolgreicher oder erfolgloser sind als staatliche Organisationen in der Bekämpfung nazistischer Anmaßungen, — so ungefähr ein Wettlauf zwischen Schleswig-Holstein und Berlin. Wer den besteht, daran brauche ich nicht zu zweifeln. Aber die gemeinsame Sache, um die es hier geht, Herr Minister, wird entscheidend darunter leiden. Insofern würde ich Sie bitten, nicht nur ein Stück weißes Papier für das Gesetz zu nehmen, sondern auch dieses Schmierblatt zurückzuziehen;
Sie würden der gemeinsamen Sache damit einen sehr großen Dienst erweisen.
Nun noch ein paar Schlußbemerkungen! Eine zweite Sache müssen wir neben den gesetzlichen Maßnahmen bei unseren Überlegungen auch berücksichtigen. Wir sollten versuchen, in der innenpolitischen Auseinandersetzung alle miteinander dazu beizutragen, daß unser Volk in dieser Bundesrepublik politisch fest und immun gegen bolschewistische Infiltration wird. Dazu muß ich mir auch noch ein paar Bemerkungen erlauben.Ich habe folgenden Eindruck: alles, was in dieser Beziehung von Ihrer Seite bisher begonnen worden ist, hat eine bestimmte Schlagseite bekommen und hat sich mehr mit den innenpolitischen Fragen der
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7924 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
MattickBundesrepublik auseinandergesetzt. Es würde gar nichts schaden, wenn sich zum Beispiel hin und wieder ein paar Anzeigen der „Waage" auch mit dem Bolschewismus auseinandersetzten. Es gibt eine Vielzahl von Material, das man dazu verwenden könnte. Ich denke zum Beispiel an das umfangreiche Protokoll der Humboldt-Universität über die Frage der Freiheit. Wenn Sie daraus Zitate brächten, würden Sie den Männern und Frauen in der Bundesrepublik viel Material anbieten. Das Geld wäre sicher besser verwendet als für eine Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratischen Partei.
Wir sind bereit, mit Ihnen gemeinsam die notwendigen Maßnahmen gegen die Einzelpersonen zu treffen, die als politische Verbrecher hier auftreten. Unsere Parole von 1945: „Demokratie nur dem Demokraten" ist die Grundlage für jede gesetzliche Maßnahme, die notwendig ist, um die Personen auch dann, wenn sie in Massen auftreten, zu fassen. Aber: Hände weg von den Grenzen und Hände weg von der Kollektivbelastung des innerdeutschen Reiseverkehrs!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Erörterung hat das erfreuliche und ermutigende Ergebnis gehabt, daß wir uns in der grundsätzlichen Zielgebung einig sind. Wir alle wollen die freiheitliche Rechtsordnung unseres Staates erhalten und gegen Gefahren schützen und sind deshalb bereit, mit der Bundesregierung Maßnahmen zu erörtern — und sie zu beschließen —, die eine ernsthafte Gefährdung dieser freiheitlichen Rechtsordnung verhindern, Wir freuen uns sehr, daß auch die Oppositionsparteien — wie wir eben gehört haben — grundsätzlich zur Mitarbeit bei diesem Unternehmen bereit sind.Aber, Herr Kollege Mattick, ich glaube, Sie machen es uns doch nicht ganz leicht, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit, die' uns allen am Herzen liegt, zu verwirklichen, wenn Sie der Bundesregierung unterstellen, daß sie mit diesem Gesetz irgendwelche Nebenabsichten verfolge.
Davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Ich sehe — ich bin auch kein Freund aller Teile des Gesetzes — auch nicht den geringsten Anlaß, einen so schwerwiegenden Verdacht auszusprechen. Wenn Sie das schon tun, Herr Kollege Mattick, sollten Sie den Verdacht auch substantiieren.Die Broschüre hat auch mir nicht in allen Teilen gefallen. Aber sie als Schmierblatt zu bezeichnen, das kann doch die gute Zusammenarbeit, von der Sie gesprochen haben, weiß Gott nicht erleichtern.
Ich würde also meinen, daß die grundsätzliche Bereitschaft, von der wir mit Freude gehört haben, sich auch in den Beratungen dieses Hauses und in den Ausschüssen zeigen sollte. Sie-dürfen nach dem, was Sie von meinen Freunden Kühlthau und Benda gehört haben, völlig gewiß sein, daß wir durchaus bereit sind, mit Ihnen dafür zu sorgen, daß die schwerwiegenden Bedenken, die durch dieses Gesetz ausgelöst werden, in der Praxis ausgeräumt werden.Gestatten Sie mir, noch einige grundsätzliche Fragen zu erörtern, und zwar vom Standpunkt des alten Polizeifachmannes und vom Standpunkt eines Mannes aus, der sehr viel über die Zonengrenze fährt. Wenn wir uns in dem Grundsatz einig sind, meine Damen und Herren, daß wir die freiheitliche Grundordnung unseres Staates gegen kommunistische Agenten zu schützen haben, dann haben wir uns zunächst einmal zu überlegen, ob das Gesetz, das erlassen werden soll, auch wirksam sein wird bzw. was bei der Ausführung des Gesetzes zu geschehen hat, um es wirksam zu machen. Ich gestehe, daß da schon meine erheblichen, ernsten Bedenken einsetzen.Der Herr Bundesinnenminister und der Herr Minister für gesamtdeutsche Fragen haben wiederholt erklärt, der harmlose, der rechtmäßige Personenverkehr solle nicht beeinträchtigt werden. Wenn aber im § 7 vorgesehen ist, daß der Reisende verpflichtet ist, „die zur Beurteilung der Vereinbarkeit der Ein- oder Ausreise mit den Vorschriften dieses Gesetzes erforderlichen Auskünfte wahrheitsgemäß zu erteilen, insbesondere über Reiseweg, -ziel, -zweck und voraussichtliche -dauer", und daß er ferner verpflichtet ist, sich auf Verlangen einer Durchsuchung seines Gepäcks zu unterwerfen, so frage ich mich — und ich habe da den Andrang in Marienborn und in Babelsberg etwa an den großen Reisetagen von Augen, Herr Minister —, wie das praktisch verwirklicht werden soll. Wir können ja — darauf ist bereits hingewiesen worden — unseren braven Grenzschutz- und Zollbeamten nicht hellseherische Eigenschaften zutrauen. Wir wollen sie auch nicht überfordern. Ich vertraue auch durchaus Ihrer Zusage, Herr Bundesinnenminister, daß die Beamten angehalten werden sollen, die Bestimmungen mit größter Zurückhaltung und Sorgfalt anzuwenden. Aber lassen Sie nun einmal einen von Schnitzler, einen Dieckmann oder vielleicht einen noch gefährlicheren Mann als diese beiden, die ich gar nicht für so gefährlich ansehe, durchreisen: Dann kommt doch sicher ein Donnerwetter von oben, und nach dem üblichen Gesetz solcher Donnerwetter setzt sich das im Quadrat der Heftigkeit und Nachdrücklichkeit bis nach unten fort. Ich möchte einmal hören, was dann der Dienststellenleiter in Marienborn seinen Leuten sagen wird, die damals nicht aufgepaßt und den Mann durchgelassen haben.
Und dann möchte ich einmal sehen, wie das nächste Mal die Kontrolle gehandhabt wird. Die Absichten der Bundesregierung, unsere Absichten mögen noch so gut sein — praktisch ist das nachher gar nicht durchzuhalten. Entweder machen wir das Gesetz
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7925
Dr. Dr. h. c. Friedensburgvon vornherein wirkungslos, d. h. wir verzichten auf die Kontrollen, oder aber wir kontrollieren bis ins kleinste. Das ist ein geradezu gesetzmäßiger Zwang, dem sich keine Polizeidienststelle nachher entziehen kann.Und selbst wenn wir uns — ich wiederhole es: wider alle Wahrscheinlichkeit — zutrauen, eine Scheidung zwischen den Böcken und den Schafen schon auf Anblick hin vorzunehmen: ja, die Agenten, vor denen wir uns schützen wollen, gehen dann einen Kilometer nördlich oder einen Kilometer südlich von Marienborn über das, was wir „grüne Grenze" nennen.
Meine Damen und Herren, bis vor wenigen Jahren ist die grüne Grenze täglich von Tausenden überschritten worden.
Der Zusammenhang unseres Vaterlandes hat in den ersten Jahren nach dem Kriege darauf basiert, daß die grüne Grenze in beliebigem Umfange an allen möglichen Stellen überschritten wurde. Die Zonenbehörden haben dann versucht, das zu verhindern; sie haben Stacheldrahtverhaue und Wachttürme errichtet und einen Niemandsstreifen gepflügt, und wir bringen heute unsere Besucher aus dem Ausland an die Zonengrenze und zeigen Ihnen: so sieht es bei der Diktatur aus. Sicherlich sind wir uns alle darin einig, daß wir das nicht etwa auf unserer Seite haben wollen; aber es ist doch ein Warnungszeichen, wie es dann aussieht, wenn man ein solches Ein- und Ausreiseverbot wirklich wirksam machen will.
- Man kann das nicht vermeiden. Entweder ist das Gesetz überhaupt nicht praktikabel, oder unter dem Zwang der äußeren Verhältnissen müssen wir ähnliche Dinge durchführen.
Es würde mich auch interessieren, wie die Bundesregierung zu folgendem sieht. Der Agent, der Spion, der Agitator will alle Unbequemlichkeiten vermeiden und reist durch die Tschechoslowakei, über Österreich und die Schweiz. Dort haben wir den Visumzwang abgeschafft. Wer einmal bei Salzburg oder bei Singen in den Reisezeiten den Grenzverkehr betrachtet hat, der stelle sich vor, was geschieht, wenn dort plötzlich die Kontrolle ebenfalls einsetzen soll. Sie haben völlig mit Recht — wir stimmen Ihnen da zu — gesagt, unsere Grenzbeamten dürfen nicht überfordert werden. Aber wie soll man das denn machen? Das ist doch gar nicht denkbar. Wir werden doch das in den letzten Jahren mühsam aufgebaute Prinzip des freien Reiseverkehrs innerhalb Europas nicht dadurch gefährden lassen, daß wir die Grenzkontrolle gegenüber der Schweiz, gegenüber Österreich und den anderen Nachbarländern verschärfen, um ein paar Agenten abzufangen!Also schon die erste Betrachtung, wie ein solches Gesetz überhaupt wirksam gemacht werden soll, erweckt in mir sehr schwere Sorge.Herr Kollege Mattick — in diesem Punkte möchte ich ihm folgen — hat darauf hingewiesen: wie wird es denn mit Berlin sein? Innerhalb Berlins haben wir die Freizügigkeit. Ich hoffe, niemand in diesem Hause und gewiß auch Sie nicht, Herr Bundesinnenminister, werden uns Berliner als mutmaßliche Agenten behandeln wollen. Aber wie will man das denn machen? Das ist doch dann einfach nicht vereinbar. Wenn wir Berlin als offenes Loch ansehen — wir können gar nicht anders, und wir würden staatspolitisch geradezu verhängnisvoll handeln, wenn wir etwas anderes täten —, haben wir gar keine praktische Möglichkeit, den Verkehr von etwaigen Agenten über Berlin abzuschneiden.Schließlich muß ich Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren, noch für einen Gesichtspunkt erbitten, der bisher in der Diskussion nicht recht beachtet worden ist. Es kommt z. B. irgendeine Delegation aus einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, um sich auf einer landwirtschaftlichen Veranstaltung irgendwo im Westen zu zeigen und darzutun: Bei uns ist das gar nicht so schlimm! — Ein typischer Fall von Agententätigkeit, Herr Bundesinnenminister, gar keine Frage! Aber von den zehn Leuten, aus denen die Delegation besteht, ist mit größter Wahrscheinlichkeit ein einziger ein wirklicher Agent. Die anderen kommen mit und sind froh, daß sie einmal mitkommen können; sie sind uns willkommen als Brüder von der anderen Seite, die einmal sehen wollen, wie es bei uns aussieht. Ich möchte mit einem hohen Maß von Wahrscheinlichkeit sagen — ich weiß etwas von diesen Dingen —, daß unter diesen zehn Leuten ein oder zwei sind, die sich mühsam hineingeschmuggelt haben, um einmal ihre im Westen wohnende alte Mutter zu besuchen oder um ihre Söhne, die bei uns studieren, wieder einmal sprechen zu können, oder die hier, wenn sie es drüben nicht mehr aushalten, mit ihren Freunden überlegen wollen, was sie tun können. Oder es sind solche, die sich sagen: Ich will einmal 48 Stunden lang frei atmen können, und das ist es mir wert, selbst in Begleitung eines kommunistischen Agitators in einer Delegation mitzugehen.Herr Minister, das ist kein theoretisch konstruierter Fall. Ich möchte sagen, daß es Hunderte und Tausende von solchen Fällen im Jahr gibt. Wir stehen hier vor der Gefahr, daß wir um des einen Agenten willen die anderen neun verhältnismäßig Harmlosen, vielfach sogar Erwünschten ebenfalls abweisen.Ich darf als christlicher Demokrat einmal die Heilige Schrift zitieren. Sie erinnern sich, wie Abraham mit Gott um das Schicksal von Sodom und Gomorra streitet. Es gelingt ihm, Gott davon zu überzeugen, daß man Sodom und Gomorra mit ihren vielen Tausend Einwohnern auch dann schonen müsse, wenn sich nur sieben Gerechte darin befänden. Wir machen es umgekehrt. Wir lassen um sieben Ungerechter willen Tausende und aber Tausende leiden und verdächtig erscheinen. Ich kann mir nicht den-
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7926 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Dr. Dr. h. c. Friedensburgken, daß das wirklich unser Wille und unsere Absicht ist.
Wir haben, wenn wir das Gesetz wollen, uns zu fragen, ob die Nebenwirkungen des Gesetzes nicht viel bedeutsamer sein werden als das, was wir unter den von mir geschilderten Umständen durch ein solches Gesetz bestenfalls erreichen können. Es gibt nämlich — und da .darf ich mal als alter Polizeimann sprechen — eine Lehre von der Verhältnismäßigkeit des Mittels. Die Polizei darf kein Mittel anwenden, das außer Verhältnis zu der Bedeutung des zu erreichenden Zieles steht.Vielleicht darf ich Ihnen das an einem Beispiel dartun. Ich habe das als Landrat meinen Landjägern, meinen Gendarmen vorgehalten. Es ist die Legende von dem frommen Eremiten, der sich einen Bären hielt, ,der zahm war, ihm diente und ihm Gesellschaft leistete. Als sich der fromme Eremit einmal zum Mittagsschlaf hingelegt hatte, sah der Bär zu seinem Kummer, daß auf der Backe seines Freundes und Meisters eine Fliege saß. Um diese Fliege zu beseitigen, schlug er mit seiner Tatze zu. Das hat die Fliege erledigt, aber der arme Eremit hat das ebenfalls nicht überlebt.Ich glaube, der Vergleich zwischen der Fliege und Herrn Dieckmann sowie Herrn von Schnitzler ist gar nicht so abwegig.
Und wenn wir als frommen Eremiten die deutsche Einheit nehmen, so ist das Beispiel ebenfalls am Platze.Es ist notwendig, 'bei allem, was wir tun, diese Lehre von der Proportionalität, von der Verhältnismäßigkeit des anzuwendenden Mittels zu beachten. Es wäre im höchsten Maße unerwünscht, wenn bei allem guten Willen, den wir bei der Beratung des Gesetzentwurfs anwenden, und bei allem guten Willen, mit dem der Herr Bundesinnenminister später die Ausführungsbestimmungen erlassen wird, Wirkungen einträten, wie wir sie befürchten; sie können kaum vermieden werden. Es ist doch so, daß dann, wenn kontrolliert wird, von vornherein eine gewisse Befangenheit eintritt. Was wir möchten, ist, daß der Zonenbewohner, wenn er in Marienborn oder in Töpen-Juchhöh über die Grenze geht, erst einmal einen tiefen Atemzug tut und sagt: „Gott sei Dank, hier kann ich frei atmen." Ich würde es sehr bedauern, wenn sich infolge einer vielleicht noch so einleuchtenden gesetzlichen Bestimmung dieses herrliche Gefühl, das wir unseren Brüdern und Schwestern in der Zone wünschen, nicht einstellen sollte.Es wurde das Beispiel mit den Bazillen gebracht. Meine Damen und Herren, gewiß, wenn für einen Menschen die Gefahr einer schweren Infektion durch Bazillen besteht, schützt er sich dagegen. Aber jeder Arzt wird uns sagen, daß der beste Schutz gegen Bazilleninfektion frische, freie Luft ist.
Sie stärkt den Körper, so daß der Bazillus keinen Nährboden findet. Es kommt also darauf an, den Körperstark zu machen. Es gibt ja theoretisch überhaupt keinen vollkommenen Bazillenschutz; es gibt nur eine innere Abwehrbereitschaft des Körpers. Ich stimme daher vollkommen dem Vorschlage des ersten Redners der Sozialdemokratischen Partei, des Herrn Kollegen Schäfer, zu, daß wir dIe Mittel erhöhen sollten, die für die staatsbürgerliche Erziehung ausgeworfen werden. Sie haben von 845 000 DM gesprochen. Lieber gebe ich 8 1/2, ja 85 Millionen DM aus,
also daß ich Gesetze mache, mit denen ich die Freiheit unserer Menschen behindere.
Herr Bundesinnenminister, wenn Sie Vorschläge in der Richtung machen, so werden Sie uns alle sofort an Ihrer Seite sehen. Das braucht nicht bloß über die Bundeszentrale für Heimatdienst zu geschehen; es gibt viele andere Möglichkeiten. Kein Zwejel, meine Damen und Herren, daß die Erziehung auf unseren Schulen hinsichtlich der inneren Stärkung des menschlichen Körpers gegen die gefürchtete kommunistische Infektion noch viel zu wünschen übrigläßt.Sollte das nicht ausreichen — auch hier eine Anregung an den Herrn Innenminister; der Vorschlag, den Kollege Benda so überzeugend vorgetragen hat, richtet sich auf diese Möglichkeit —, dann wollen wir die Möglichkeit zu ärztlichen Eingriffen schaffen. Dann soll der Betreffende ausgewiesen werden, dann soll der Betreffende bestraft werden. Das scheint mir die richtige Maßnahme zu sein, um einen gefährdeten und vielleicht schon erkrankten Körper zu schützen.Wir möchten in dieser späten Stunde die vielen, vielen Gedanken und Sorgen, die wir hegen, nicht alle aussprechen. Dazu wird in den Ausschüssen Gelegenheit sein. Ich glaube, wir freuen uns, daß wir einig sind in dem Wunsch zusammenzuarbeiten. Ich möchte meinen sozialdemokratischen Kollegen empfehlen, hierbei auch auf abweichende Gedanken und Erwägungen Rücksicht nehmen zu wollen. Das ganze Gesetz ist im Grunde nur wieder ein neues Beispiel für die schreckliche Situation, in der sich unser armes Volk und unser armes Land befindet.
Wir werden die Probleme nie recht verstehen, wenn wir uns nicht darüber klar sind, daß ein ehrlicher, man sagt heute, echter Konflikt zwischen der Pflicht zur Zusammenführung des gesamten Deutschlands, zur gesamtdeutschen Politik einerseits und der Pflicht zur Abwehr des Bolschewismus anderseits besteht. Das ist — ich gebe es zu — nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Wir erwarten von der Bundesregierung und haben das Vertrauen zu ihr, daß sie uns auch dabei helfen wird, daß die gesamtdeutschen Interessen nicht leiden und trotzdem ein möglichst großes Maß von Schutz gegen wirkliche Gefahren herbeigeführt wird. Ein solcher tragischer
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Dr. Dr. h. c. Friedensburg811 Konflikt 'ist sehr ernst zu nehmen. Ein solcher tragischer Konflikt zwischen zwei Pflichten, die sich scheinbar ausschließen, kann nur überwunden werden, indem man weder das eine noch das andere allein tut. Wir müssen versuchen, beides miteinander zu vereinen, den Schutz gegen die Gefahr und die Sorge für den Zusammenhang des gesamten Deutschlands.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als einer der letzten Sprecher zu dem vorliegenden Gesetzentwurf habe ich es verhältnismäßig leicht. Die bisher vorgebrachten Argumente meiner Herren Vorredner sind im wesentlichen dieselben, die ich ins Feld führen müßte. Der Berliner Senat hat einmütig das Gesetz in der gegenwärtigen Fassung abgelehnt. Er besteht, wie Sie alle wissen, im Gegensatz zu Bonn aus CDU und SPD. Infolgedessen ist es nicht verwunderlich, daß sich auch hier eine einmütige Haltung zu diesen Bestimmungen, soweit sie Berlin betreffen, gezeigt hat.Man darf sagen, daß der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form vom ganzen Haus abgelehnt worden ist. Während mein Kollege Herr Dr. Bucher vorhin gesagt hat, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei das Gesetz ablehnt, stelle ich jetzt gern fest, daß alle Fraktionen des Hauses dasGesetz in der vorliegenden Form abgelehnt haben oder ablehnen würden. Es wird, wie ich annehmen darf, Gelegenheit sein, in den Ausschüssen eine so wesentliche Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs vorzunehmen, daß man, wie ich glaube, berechtigt ist, davon zu sprechen, daß im Moment wirklich nur noch ein weißes Blatt Papier vorhanden ist, wie das der Berliner Regierende Bürgermeister ja eigentlich gefordert hat. Insofern also hat schon die heutige Diskussion in erster Lesung gezeigt, wie die Dinge liegen.Ich möchte von mir aus auf die rein juristische Darstellung nicht weiter eingehen, weil das alles ausführlich geschehen ist. Aber das, was meine Herren Vorredner, zuletzt Herr Kollege Friedensburg, Herr Mattick und andere, so sehr in den Vordergrund gestellt haben, nämlich die psychologische Wirkung der hier vorgesehenen polizeistaatlichen Vorschriften auf die Bevölkerung in beiden Teilen unseres Vaterlandes, möchte ich auch von mir aus unterstreichen, und zwar eben auch als ein Mann, der nun seit 40 Jahren in Berlin wohnt und seit 15 Jahren ständig über die Zonengrenze kommt, nicht selten auf der Straße mit dem Wagen, wie es so viele unter uns regelmäßig auch tun.Nun möchte ich dem Hause vergegenwärtigen, wie es vor sich geht, wenn die Grenze nicht in einem Privatwagen überschritten wird, wie es in der Mehrzahl der Fälle vielleicht sein wird, sondern in einem der zahllosen Autobusse, die täglich von Berlin über die Zonengrenze kommen. Hier zeigt sich nun jedesmal dieser unendlich großeKlimawechsel — von dem übrigens auch schon gesprochen worden ist —, wenn man sich der Zonengrenze nähert. Man hat in einem solchen Autobus eine Reihe von nebeneinandersitzenden Reisenden, die sich zunächst einmal mit lebhaftem Mißtrauen gegenübersitzen, die im Grunde genommen nichts weiter überlegen als, wieviel West-Mark sie in einer halben oder dreiviertel Stunde in Mark und Pfennig werden angeben müssen, die sich überlegen, ob sie ihre Box, die sie in ihrem Koffer haben, oder vielleicht das kleine tragbare Radiogerät herausholen sollen und was all diese Sorgen und Nöte sind, denen jeder ausgesetzt ist.Wenn man dann an die Zonengrenze kommt und den Herrn des Schlagbaums, den wichtigsten Mann im Interzonenverkehr, vor sich hat, kommt die herzklopfende Minute, wie ich mich ausdrücken darf, in der es sich entscheidet, ob der Besatzung des Autobusses der Weg in die Freiheit offengegeben wird oder nicht. Da hat Herr Friedensburg völlig recht. Diese Empfindung in dem Augenblick, wo sich der Schlagbaum öffnet und diese freie Luft des freien Westens in die — ich bin beinahe versucht, zu sagen: freien — Lungen einströmt — wenn es nicht des Pathos zuviel wäre —, wo diese psychologische Wirkung da ist, die mehr wert ist als vieles andere, sollte und dürfte unter gar keinen Umständen aufs Spiel gesetzt werden und verlorengehen. Sie ist es doch letzten Endes, was die 17 Milionen, die in Unfreiheit leben müssen, immer wieder an uns bindet. Das ist doch der Kern der Hoffnung, den sie alle haben. Auch wir in West-Berlin, die es so viel leichter haben, haben immer wieder die gleiche Empfindung in dem Moment, wo unsere Grenzen erreicht sind. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß wir dahin kommen könnten, neben diesem bestehenden Eisernen Vorhang noch einen zweiten aufzurichten.Natürlich hat es die andere Seite mit ihrer ZweiStaaten-Theorie — auch das ist hier schon angeklungen — sehr viel leichter, solche Maßnahmen juristisch zu begründen, sowenig wir sie anerkennen. Aber wir, die wir der Meinung sind, daß wir ein Gesamtvolk in einem Gesamtstaatsgebiet sind, können zu solchen Maßnahmen unser Plazet unter keinen Umständen geben.Es ist auch schon davon gesprochen worden, daß das Gesetz einfach nicht praktikabel erscheint. Immerhin sind im letzten Jahre, wenn ich recht unterrichtet bin, noch über 600 000 Bewohner der Sowjetzone in das Bundesgebiet eingereist. In den früheren Jahren waren es allerdings noch sehr viel mehr. Aber auch das ist schon eine Größenordnung, die zeigt, um welche Bindungen es hier geht, die nun unterbrochen oder mindestens beeinträchtigt werden sollen.Es ist vorgesehen, daß nicht nur eine Registrierung, sondern auch eine Durchsuchung des Gepäcks stattfinden kann. Sehr viele von uns haben es miterlebt, wie es ist, wenn man mit seinen sämtlichen Koffern hinaus muß und es absolut von dem Ermessen des mehr oder weniger diensteifrigen Grenzbeamten abhängt, ob auch noch der Wäschebeutel geöffnet werden muß. All diese Dinge müssen zu-
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7928 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Dr. Willletzt dem Ermessen des diensttuenden Beamten überlassen bleiben, der aus irgendeinem Grunde einen Verdacht hegt, sei es, weil ihm von außen irgend etwas bekanntgeworden ist, sei es, weil ihm die Person als solche nicht gefällt; nehmen wir an, er hat vielleicht einen verdächtigen Spitzbart vor sich. Das könnte ihm vielleicht schon als Anlaß genügen, einmal zu sehen, was dahinter steckt.Wenn sich bei dieser ungeheuren Zahl von Grenzübertritten — wir haben die Zahl 12 Millionen gehört; an manchen Reisetagen stehen Hunderte von Automobilen hintereinander — dasselbe wiederholen sollte, dann wäre nach meiner Meinung die beste unserer Parolen, unser Gefühl für die Freiheit verlorengegangen, weil wir dann die Methoden übernommen hätten, die auf der anderen Seite gang und gäbe sind und die wir mit Recht so sehr verachten. Ich sehe den größten Schaden dieses Gesetzentwurfs gerade in dieser verheerenden psychologischen Wirkung, die auf beiden Seiten einträte, wenn wir zu solchen polizeistaatlichen Mitteln greifen müßten, von denn wir alle überzeugt sind, daß sie doch nicht praktikabel sind.Herr Kollege Benda hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht, von denen mir der wichtigste der erste zu sein scheint, wonach die an sich notwendige Nachprüfung nicht an der Zonengrenze erfolgen soll, sondern hinterher durch die Ortspolizeibehörden. Das ist ein Weg, von dem ich glaube, daß er jedenfalls von meiner Fraktion, wahrscheinlich aber aber von den anderen Mitgliedern des Hauses gern beschritten werden wird, mindestens aber mit hohem Interesse diskutiert werden kann. Das ist eine völlig andere Situation. Wir sind uns ohne Zweifel alle darüber einig, ,daß die Bundesregierung die Pflicht hat, alles zu tun, was eine Infiltration kommunistischen Gedankenguts vom Osten her verhindern kann. Auf dieser gemeinsamen Basis haben sich auch alle Diskussionsbeiträge dieses Morgens bewegt, und ich schließe mich für meine Fraktion diesen Argumenten und diesen Motiven ausdrücklich an. Was wir verurteilen, ist also lediglich die Methode, und das ist in diesem Hause allgemein geschehen.Ich glaube, daß es in dieser vorgerückten Stunde genügt, diese grundsätzlichen Bemerkungen seitens meiner Fraktion zu dem vorliegenden Gesetzentwurf zu machen, den wir für unangemessen, für nicht praktikabel und deshalb für weithin änderungsbedürftig halten. Die Beratungen in den Ausschüssen werden vermutlich zu einer so wesentlichen Änderung führen, daß auch meine Fraktion imstande sein wird, der dann neu gebildeten Vorlage ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die freiheitlich-parlamentarische Demokratie ist ein sehr schwieriges Ding. Im Grundsätzlichen sind wir uns allesamt einig —das ist heute wiederholt beteuert worden —, und wir diskutieren über diese Angelegenheit nun schon mehr als zwei Stunden! Die Ursache dafür liegt darin, daß wir auf weite Strecken die Grenzen zwischen erster und zweiter Lesung übersehen haben. Wir sollten uns in der ersten Lesung wirklich nur mit dem Grundsätzlichen befassen. Ich glaube, daß uns der Bundesrat, die andere gesetzgebende Körperschaft, da mit einem guten Beispiel vorangegangen ist.
Ich möchte aus der Stellungnahme des Bundesrates zur ersten Lesung einige Sätze vorlesen. Es ist notwendig, daß wir das zur Kenntnis nehmen, nachdem soviel über das Detail geredet worden ist. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme erklärt:Der Bundesrat erkennt grundsätzlich die dem Entwurf eines Gesetzes über Einreise und Ausreise zugrunde gelegte Notwendigkeit an, den Verfassungsschutz durch verstärkte Kontrolle der Einreise in das Bundesgebiet und der Ausreise wirksamer zu gestalten.Der Bundesrat ist da sehr konkret geworden; er ist nicht in der allgemeinen Deklamation und Proklamation geblieben, daß etwas zum Schutz unserer Freiheit geschehen müsse. Darüber brauchen wir nicht zwei Stunden lang zu reden; das wissen wir auch ohne Diskussion.Wir müssen aber konkret werden. Wir können uns nicht mit allgemeinen, wenn auch noch so schön klingenden Redensarten zufrieden geben, sondern müssen zum Schutz der Freiheit effektiv tätig werden. Als das Feld dieser effektiven Tätigkeit hat der Bundesrat, in dem also die Länderregierungen sitzen, die Leute, die auch ihre Erfahrungen mit den Verfassungsschutzämtern und in der Bekämpfung der kommunistischen Unterwanderung haben, klar und deutlich die verstärkte Kontrolle der Einreise in das Bundesgebiet und die verstärkte Kontrolle der Ausreise aus dem Bundesgebiet bezeichnet. Wenn uns diese Aufgabe gestellt ist, müssen wir uns auch mit ihr befassen.Die erste Frage, die wir bei der Beratung jedes Gesetzes zu stellen haben, ist die: Ist das Gesetz überhaupt nötig? Wir haben ja bereits schrecklich viele Gesetze. Wir haben auch Strafgesetze, und man hat uns dazu gesagt — in den Zeitungen ist gemeldet worden, sogar Juristen in Karlsruhe hätten die Meinung vertreten —, daß die vorhandenen strafgesetzlichen und strafprozessualen Möglichkeiten ausreichten. Wer so denkt und redet, geht aber völlig am Thema und an der Aufgabe, die uns gestellt ist, vorbei.Es ist richtig, daß die gesetzlichen Bestimmungen, die in § 1 Abs. 1 Buchstabe a des Entwurfs aufgezählt werden, der Justiz eine gute Handhabe geben, mit den Mitteln der Justiz, also mit Prozeß, mit Urteil, mit Strafvollstreckung, gegen die kommunistischen Agenten und gegen die anderen Sendboten des jenseitigen Systems vorzugehen. Es ist auch richtig, daß die Rechtsprechung des Bundes-Dr. Kankagerichtshofs, vor allem des Dritten Strafsenats, diese Bestimmungen durchaus praktikabel gemacht hat. Wir wollen aber doch nicht die Gefängnisse mit Pseudo-Märtyrern füllen, wir wollen vielmehr, daß die Burschen draußen bleiben und daß sie glatt abgeschoben werden können, wenn sie hereingekommen sind.Wir müssen uns also der Aufgabe der Grenzkontrolle, der Kontrolle der Ein- und Ausreise, zuwenden. Wenn wir das tun, müssen wir zwar mit einem weißen Blatt anfangen, wir müssen dann aber auch etwas auf das weiße Blatt schreiben. Dabei müssen wir uns in aller Nüchternheit vor Augen halten, daß der Pelz nicht gewaschen werden kann, ohne daß er naß wird, daß der Pelz nicht ausgekämmt werden kann, ohne daß man einen Kamm nimmt. Der Kamm soll nicht aus Eisen sein, er soll aus einem sehr guten Zelluloid sein, aus einem Stoff, der elastisch ist und sich den Tierlein, die da im Pelz sind, auch etwas anpaßt. Deswegen werden wir uns mit dem Problem, wie wir diese „Tierlein" an der Grenze festhalten können, befassen müssen.Wir wollen auch nicht allzu ängstlich gegenüber der Einrichtung der Grenzkontrolle sein, von der der Bundesrat einstimmig gesagt hat, daß sie nötig sei. Meine Damen und Herren, ich bin jetzt in den Winterferien nach Südtirol gefahren. Da bin ich zweimal an der Grenze kontrolliert worden, einmal, als ich von der freien Bundesrepublik Deutschland in die freie Bundesrepublik Österreich fuhr, und dann, als ich über den Brenner nach Italien fuhr. Solche Grenzkontrollen der Person — Personalkontrolle, Paßkontrolle, ja sogar Gepäckkontrolle, der bin ich auch unterzogen worden sind doch nichts Diffamierendes und nichts, was uns irgendwie das Gefühl gibt, daß wir in kein freies Land hineinfahren, — —
— Halt! Sehen Sie, leber Herr Kollege, das ist ja gerade der Fehler, den wir nicht machen sollten: Wir sollten nicht das gegnerische Argument übernehmen, daß die Grenze von uns festgelegt werde! Sie wird von den andern festgelegt und ist von den andern errichtet worden.
Aber wir wollen dafür sorgen, daß über diese Grenze keine Feinde der gemeinsamen Freiheit hereinkommen.
Von einigen Rednern, so von meinem sehr geschätzten Herrn Kollegen Friedensburg, ist davon gesprochen worden, welches Gefühl des Glücks über den Menschen kommt, wenn er aus einem Gebiet der Unfreiheit und des Terrors endlich einmal in das Land der Freiheit hineinkommt. Ich wurde daran erinnert, welches Gefühl über mich kam, als ich Anfang August 1939 mit meinem kleinen FordEilelchen über die Reichsgrenze in die Schweiz fuhr. Da mußte ich zuerst auf der deutschen Seite den SS-Leuten meine Ausweise zeigen. Sie guckten mich schief an, weil ich es im August 1939 noch wagte, ins Ausland zu fahren. An der Schweizer Grenze bin ich auch kontrolliert worden. Man hat es sich dort gar nicht leichtgemacht, es wurde alles nachgeguckt, was in meinem Wagen war. Und ich bin trotzdem mit einem unheimlichen Gefühl der Befreiung hineingefahren und habe mit dem Bosch-horn meiner Freude darüber Luft gemacht, daß ich dieses System hinter mir hatte, daß ich endlich einmal einige Wochen freier atmen konnte — wobei man aber immer noch vorsichtig sein mußte, weil da die Späher des nationalsozialistischen Systems herumliefen und man erwischt werden konnte, wenn man sich irgendwelche damals bei uns verbotene Literatur kaufte.Meine Damen und Herren, sehen wir hinter den Maßnahmen der Grenzkontrolle keine Gespenster, keine Dinge, die tragisch zu nehmen sind, sondern sehen wir in ihnen eine Notwendigkeit,
mit Maßen natürlich. Es soll nichts übertrieben werden, sondern es soll nur so verfahren werden, wie es unabweislich notwendig ist.Wir sollten auch keine Angst haben,
daß die Menschen drüben in der Zone einen solchen Entwurf mißverstehen könnten. Daß er von den I Machthabern drüben mißdeutet wird, dagegen ist kein Kraut gewachsen.
Aber ich glaube, unser Volk ist viel einsichtiger, viel reifer und weiß viel mehr Bescheid als wir, die wir immer die Sorge haben, daß etwas optisch falsch ankommen könnte. Unser Volk weiß, wo der Geist der Spaltung, der Trennung sitzt. Zuletzt ist es uns durch das Verbot des Kirchentags in Berlin gesagt worden. Das weiß unser Volk, und ich glaube, unser Volk stimmt durchaus zu, wenn wir geeignete Maßnahmen, die wir natürlich sehr genau auf ihre Brauchbarkeit hin abtasten müssen, zum Schutz gegen die kommunistische Unterwanderung treffen.Meine Damen und Herren! Die Verfasser dieses Gesetzes haben, glaube ich, nicht den Ehrgeiz gehabt, die ganze schwere Problematik unserer Situation bewältigen zu wollen. Es sollte nur ein kleines Mittelchen sein, den Agenten, den bösen Sendlingen zu begegnen, denen wir alle begegnen wollen, denen wir aber nicht mit einfachen Deklamationen und Proklamationen begegnen können.Ein solches Gesetz ist seiner Natur nach etwas Negatives. Es verwehrt etwas, es weist ab. Was wir allesamt machen müßten, wäre, unser Volk noch stärker zum Positiven aufzurufen.
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7930 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Dr. Kanka— Da haben Sie ganz recht. Wir sind in sehr vielen Dingen einig. Wir sollten vielmehr darauf hinwirken, daß die Verbindungen zwischen hier und drüben nicht nur beibehalten, sondern daß neue begründet und gefördert werden.
Ich glaube, diejenigen unter unseren Landsleuten, die das tun, die alle paar Wochen oder Monate ein Paket in die Sowjetzone schicken, wo immer noch zu helfen ist, oder die einen anständigen und freundlichen Brief hinüberschicken, tun mehr, als wir mit den schönsten Reden im Parlament in dieser Sache tun können. Aber wir sollten daneben auch nicht versäumen, uns gegen die organisierte Unterwanderung von drüben zu schützen.Über die Einzelheiten werden wir uns, in der Vorbereitung auf die zweite Lesung, in den Ausschüssen unterhalten müssen. Wir sollten das aber nicht mit Mißtrauen tun, indem wir irgendeinem von uns oder aus der Regierung, die in freien Wahlen vom Volk gestellt worden ist, irgendwie unterstellen, er wolle halb und halb einen Beitrag zur weiteren Trennung leisten. Wir sollten es vielmehr vertrauensvoll miteinander versuchen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß am Freitag etwa um diese Stunde das Hohe Haus nicht mehr so ganz geduldig ist. Trotzdem halte ich die Sache, über die wir sprechen, für so wichtig, daß jede Anforderung an Ihre Geduld berechtigt ist.Bevor ich im einzelnen auf das eingehe, was hier in der Debatte gesagt worden ist, möchte ich zunächst ein sehr herzliches Wort des Dankes an den letzten Redner, den Kollegen Dr. Kanka, richten. Er hat nach meiner Meinung den Schwerpunkt dieser Sache am nachdrücklichsten und, wie ich glaube, am zutreffendsten berührt.Meine Damen und Herren! Ich bin dieser Debatte bis zu dieser Stelle gefolgt, um, bevor ich erwidere, wirklich ein geschlossenes Bild dessen, was hier vorgetragen werden sollte, vor mir zu haben. Ich verhehle dem Hohen Hause und ich verhehle der deutschen Öffentlichkeit nicht, daß mich vieles von dem, was hier gesagt worden ist, mit tiefer Sorge erfüllt.Man kann eine Sicherheitsfrage hier nur richtig sehen, wenn man sie unter dem Aspekt unserer politischen Gegner sieht; ich spreche nicht von innenpolitischen Gegnern, sondern natürlich von unseren politischen Gegnern auf deutschem Boden. Ich habe in etwa eine Vorstellung davon, wie diese Debatte und die darin gemachten Äußerungen von diesen unseren Gegnern eingeschätzt werden. Ich will das nicht im einzelnen darlegen. Aber ich glaube, ein intensives Nachdenken über die Interessenlage, die sich hier stellt, macht es nicht allzu schwer, die gegnerischen Gedanken über diese Debatte aufzuzeigen.Wir stehen hier vor dem Problem „wehrhafte Demokratie". Ich muß sagen, bei einigen der Redner habe ich nicht sehr viel über das Wehrhafte gehört, aber sehr viel über das Vertrauen auf die eigene Kraft. Das Vertrauen auf die eigene Kraft ist sicher etwas sehr Schönes und Notwendiges; für ein gewisses Maß von Selbstbewußtsein ist es unerläßlich. Aber Vertrauen auf die eigene Kraft allein bewegt die Dinge noch nicht, und hier kommt es darauf an, daß wir Dingen, die in Bewegung sind oder sich in Bewegung zu setzen drohen, in richtiger Weise entgegentreten. Das ist die Aufgabe, die sich hier stellt. Deswegen kann mich überhaupt nicht berühren, was hier über viel oder weniger Vertrauen auf die eigene Kraft ausgeführt wird.Hier gibt es vielmehr einen einzigen Test, und dieser Test heißt: Brauchbarkeit der eigenen Vorschläge; was geschieht? Es genügt nicht, daß immer und immer wieder gesagt wird: Es muß etwas geschehen, es muß mehr geschehen. Wenn es dann um die Konkretisierung geht, muß man feststellen, daß sich das Ganze in ein Bekenntnis zum Vertrauen auf die Stabilität unserer Verhältnisse und in einen Appell, Mut und Zuversicht in bezug auf unsere eigene Position zu haben, verdünnt. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, das genügt nicht. Es kann sich nur darum handeln, daß das, was geschehen soll, konkretisiert wird.Ich will diese Debatte nicht ins Unendliche ausdehnen. Lassen Sie mich sagen: es ist hier nicht ein einziges Argument gegen den Gesetzentwurf gebracht worden, das ich nicht bereits vorher widerlegt habe oder das nicht widerlegbar ist. Die von unseren Freunden aus der sozialdemokratischen Fraktion offenbar nicht besonders geschätzte Broschüre macht sich die Mühe — und wir haben eine sehr sorgfältige Analyse darauf verwandt —, die ganze Kritik, die in Deutschland geäußert worden ist, nach wirklich zwingenden Gesichtspunkten auf ihren Kern zu reduzieren und jeweils zu dem Kern Stellung zu nehmen. Wer Geduld genug hat, die Argumente dieser Debatte mit ,dem zu vergleichen, was dort in Rede und Gegenrede gesagt worden ist, der wird finden, daß zutrifft, was ich sage.Nun ein Wort zur Kritik an ,der Broschüre! Diese Broschüre ist niemandem zur Freude und niemandem zu Leide geschrieben worden, sondern sie ist geschrieben, um die Verhältnisse, wie sie sind, darzutun. Bitte, halten Sie uns doch nicht für so leichtfertig, daß wir dort etwas geschrieben hätten, was wir nicht beweisen könnten! Die Kollegen von der linken Seite des Hauses empfinden als besonders anstößig, daß darin — in der statistischen Übersicht, die wir auf Grund der Sicherheitsakten beigefügt haben — häufiger von DGB und SPD die Rede ist. Ich habe mich vor der heutigen Debatte bei allen zuständigen Stellen ausdrücklich noch einmal vergewissert, daß dies nicht etwa — wie kämen wir dazu! — die Wiedergabe von Zeitungsaufsätzen z. B. aus dem „Neuen Deutschland" ist — die kann man ja hier in der Bibliothek nachlesen —, sondern daß es sich um aus eigenen Erkenntnisquellen gewonnene Feststellungen handelt. So wollen Sie das bitte werten. Lassen Sie bitte alle Ausführungen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7931
Bundesinnenminister Dr. Schröderüber „Schmierereien" und „Diffamierung" als unsachlich — das ist der mildeste Ausdruck, den ich dafür finden kann — wegfallen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer?
Herr Minister, Sie haben doch aber sicher auch Erkenntnisquellen, die sich nicht nur auf diese Gebiete beziehen, sondern auch auf andere. Wäre es dann nicht richtig gewesen, alle darzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist tatsächlich so — wenn Sie wirklich wollen, daß ich noch etwas bei diesem Punkt bleibe —, daß nicht nur von DGB und SPD gesprochen worden ist. Sie können ja nachlesen, daß auch andere Stellen genannt worden sind. Wir haben die Tatsachen angegeben, die relevant und verläßlich sind. Der Kollege Mattick hat gesagt, daß es auch Wirtschaftler waren, die auf der Leipziger Messe dieses oder jenes gesagt und getan haben. Nun, darüber ist in voller Breite in den Zeitungen berichtet worden, und man hat dais sehr getadelt. Ich kann nicht auch noch eine Statistik der Leipziger Messe-Besucher unter diesem Gesichtspunkt vorlegen; wenn Sie sie aber haben wollen, werden wir uns gern darum bemühen, sie zusammenzustellen.
— Ja, Sie sprachen doch von der Leipziger Messe; das war doch der Hauptpunkt. Wenn Sie darüber noch mehr hören wollen, bin ich gern bereit, dem Hause darüber eine Denkschrift zu liefern.Ich darf mich aber noch mit einigen Argumenten beschäftigen, die ich tatsächlich der Widerlegung noch heute für unbedingt notwendig erachte. Das ist aus den Darlegungen des Kollegen Dr. Schäfer der Gedanke, daß die Stelle des § 1 b, sonstige Bestrebungen usw. zu weit gehe. Ich darf den Kollegen Dr. Schäfer auf § 7 Abs. 1 a des Paßgesetzes verweisen. Dort wird bereits — das ist von dem Hohen Hause beschlossen worden — gesagt:Der Paß ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller als Inhaber eines Passes die innere oder die äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland oder eines deutschen Landes gefährdet.Sie sehen also, daß eine solche von Ihnen getadelte Klausel bereits unangefochten im geltenden Recht steht. Ich will nicht erst lange darlegen, wieweit die Tatbestände vergleichbar sind. Sie sind natürlich cum grano salis vergleichbar. Nun wird immer wieder ein Argument vorgetragen, das auch hier mehrfach vorgebracht worden ist. Darum möchte ich auch dazu ein zusätzliches Wort sagen. Es taucht folgender Gedanke auf: Wer jetzt noch einreisen darf, oder wer nach drüben ausreisen darf, der hat sich damit in den Augen der SED-Machthaber disqualifiziert oder als in deren Sinne unzuverlässig bzw. in unserem Sinne zuverlässig entpuppt. Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, das ist ein völlig abwegiger Gedanke.Der große Verkehrsstrom, den wir haben wollen und den wir gern verstärkt sehen möchten, wird durch die uns vorschwebenden Maßnahmen nur in einem so geringfügigen Prozentsatz reduziert, daß dieser Gedanke überhaupt gar nicht aufkommen kann.Bei dieser Gelegenheit ein Wort an die Adresse des Kollegen Dr. Friedensburg! Herr Kollege Friedensburg, Sie haben gesagt, es kämen gemischte Delegationen, in denen sich oft Leute befänden, die mal gerne hierherkämen. Sie haben als Beispiel den Vater erwähnt, dessen Sohn hier studiert. Wie schön wäre es, wenn dieser Vater, dessen Sohn hier studiert, auf diese Weise kommen dürfte! Aber Ihnen ist bekannt, daß es Pässe und Reisegenehmigungen — jedenfalls hierher — für diejenigen überhaupt nicht gibt, in deren Familie seit langer Zeit ein Mitglied republikflüchtig geworden ist. Das Beispiel, das Sie gebracht haben, hört sich zwar sehr schön an; es trifft aber leider nicht die Tatsachen.Der Kollege Dr. Schäfer hat sich äußerst vorsichtig geäußert. Deswegen würde ich ihm gegenüber auch nicht sagen, daß das alles nur weißes Papier sei. Er hat gesagt: Das ist kein Vorschlag von uns, aber es ist ein Gedanke von uns. Was er angeführt hat, möchte ich aber doch festhalten, und zwar in dem Bestreben, die Opposition in möglichst weitem Umfange dazu zu bringen, hier auf den Boden des Konkreten zu treten. Er hat gesagt: Wer im negativen Sinne — so drücke ich mich jetzt einmal kurz aus — hier tätig geworden ist, dem muß man die Möglichkeit nehmen, das in Zukunft wieder tun zu können. Wer sich draußen bekanntermaßen negativ betätigt hat, dem soll hier die Möglichkeit versagt werden, wiederum auszureisen. Wenn Sie das in Paragraphen konkretisieren und vielleicht mit dem Gedanken kombinieren, den der Kollege Benda vorgetragen hat, dann sind wir im Konkreten schon ein gutes Stück weitergekommen.Schließlich möchte ich noch einigen weiteren Behauptungen widersprechen und einigen Argumenten entgegentreten, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.Der Herr Kollege Dr. Schäfer hat sich auf den Herrn Bundeskanzler bezogen, und zwar auf einen Brief — wenn ich es richtig' behalten habe —, den der Herr Bundeskanzler im August vergangenen Jahres an den Vorsitzenden der Industriegewerkschaft „Steine — Bau — Erden" — ich weiß nicht, ob das die genaue Bezeichnung ist — geschrieben hat. Darin hat der Herr Bundeskanzler in vielen Punkten das dargestellt, was unsere Idealvorstellung ist. In der Tat, meine verehrten Freunde, unsere Idealvorstellung ist ein völlig freier ungehinderter Reiseverkehr in ganz Deutschland. Sollen wir noch mehr betonen, daß das unsere Idealvorstellung ist?Der Herr Bundeskanzler hat hier konkret entwickelt, was nicht bei uns, sondern drüben geschehen muß, um diese Beschränkungen wegzuwischen.
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7932 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961
Bundesinnenminister Dr. SchröderDavon ist nicht ein Wort zurückzunehmen. Aber es ist natürlich nicht möglich, das gegen diesen Gesetzentwurf auszuspielen.Den Kollegen Benda habe ich eben schon einmal erwähnt. Er hat gesagt, wir brauchten mehr Personal. Der Kollege Schäfer hat angeführt, wir brauchten mehr Geld für positive Propaganda. Gut, darüber läßt sich reden.Dann ist gesagt worden, wir brauchten eine energischere Strafverfolgung. Dieser Meinung bin auch ich. Das haben auch der Kollege Benda und der Kollege Dr. Kanka gesagt. Wir haben — das ist beinahe offenes Geheimnis — sehr damit zu kämpfen, daß leider die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auf diesem Gebiet nicht so in die tägliche juristische Praxis der Strafverfolgungsbehörden umgesetzt wird, wie wir das alle für richtig halten. Aber damit möchte ich im Augenblick das Hohe Haus nicht im einzelnen bemühen.Dem Hohen Hause, aber auch der deutschen Öffentlichkeit muß ich aber ganz klar sagen, daß die Vorschläge, die der Kollege Benda entwickelt hat, so dankenswert sie sind — ich erkenne an, daß er sich wenigstens die Mühe einer Konkretisierung gemacht hat —, das Ziel, über das wir uns — mindestens nach diesen Ausführungen zu schließen — alle einig sind, nicht erreichen können. Ich verzichte jetzt darauf, im einzelnen darzulegen, daß diese Vorschläge — wir werden sie sehr gründlich erörtern — nicht ausreichen, das gemeinsam proklamierte Ziel zu erreichen. Zwischen diesen Vorschlägen und den Vorstellungen der Bundesregierung klafft noch eine sehr erhebliche Lücke. Wir werden uns bemühen, diese Lücke zu schließen und eine Brücke zu finden.Dem Herrn Kollegen Dr. Bucher möchte ich folgendes sagen. Ich brauche nicht im einzelnen darzulegen, daß ich sonst mit seinen Ausführungen nicht einverstanden bin. Sein Hinweis, daß die Ausreise von Kindern auf jeden Fall zu verhindern sei, war dankenswert. Diese Ausreise von Kindern ist doch in der Tat ein ausgesprochenes Ärgernis. Die Propaganda der anderen Seite versuchte die Vorstellung zu erwecken, hier bei uns gebe es nicht genug Ferienlager und nicht genug Geld für eine Ferienhilfe. Das ist doch eine geradezu lächerliche Behauptung. Wir sind doch in der Lage, allen Kindern, die einen Ferienaufenthalt brauchen, einen solchen auch zu verschaffen. Dafür haben wir viel Geld zur Verfügung gestellt, und dafür könnten wir, wenn es nötig wäre — ich glaube nicht, daß es nötig ist —, noch mehr Geld zur Verfügung stellen. Was also hierzu gegenteiliges gesagt worden ist, sind Propagandabehauptungen von drüben, die auch nicht den Schein der Wahrheit für sich haben und die man deshalb nicht stehen lassen sollte.Der Herr Kollege Dr. Bucher ist dann auf die Zahl 80 000 zurückgekommen, die in der Broschüre erwähnt ist. Er hat gefragt, ob das möglicherweise alles unterlassene Strafverfolgungen seien; so ungefähr hat er sich dem Sinne nach ausgedrückt. Dieses Argument ist mir bereits im Bundesrat entgegengehalten worden. Das ist ja der springende Punkt der Sache. Wir wissen genau — das erlebenwir bei den Strafverfolgungsbehörden —, daß bei den Anforderungen an den subjektiven Tatbestand unter Umständen jene Beweisschwierigkeit entsteht, daß die Umstände für die Verurteilung eines Menschen nicht ausreichen. Es bleibt also zu unterscheiden zwischen einem absolut strafgerichtsfähigen Tatbestand und der einfacheren Möglichkeit des Weghaltens vom Tatort. Hier ist die wichtigste Aufgabe dieses Gesetzes gegeben.Herr Kollege Bucher, halten Sie es bitte nicht für einen neuen Beitrag zur Besserung der Sicherheitslage, wenn Sie sagen, Sie seien für eine Verstärkung des Bundesgrenzschutzes. Sie wissen, daß wir uns sozusagen an allen Zäunen und in den Straßen um neue Menschen bemühen. Sie zu gewinnen scheitert nicht daran, daß wir nicht bereit und finanziell in der Lage wären, den Bundesgrenzschutz zu vergrößern. Es fehlt in diesem Lande, in unserem Vaterlande, einfach — das ist eine Kehrseite, eine Begleiterscheinung der Höchst-, Voll- und Überbeschäftigung - auch an Menschen für Sicherheitsaufgaben. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Erleichterung der Sicherheitslage. Halten Sie mir bitte nicht entgegen, wir würden unter Umständen ja auch mehr Leute an der Grenze benötigen. Das ist kein Einwand. Dieses Gesetz macht es trotzdem leichter, mit dem Staatsfeind und mit Teilen seiner Tätigkeit fertig zu werden, und deswegen schlagen wir es als unbedingt notwendig vor.Herr Kollege Mattick meinte dann — was er zur Broschüre gesagt hat, habe ich schon behandelt —, um es einmal auf den Kern zu reduzieren, mit der Annahme dieses Gesetzentwurfs gäben wir unseren entscheidenden Vorteil gegenüber der Zone auf, und er denkt dabei an einen propagandistischen, psychologischen usw. Vorteil.
— Also gut, einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Zone gäben wir auf, und das sei in der weiteren Auswirkung eben sehr schädlich. Meine Damen und Herren, man muß sich ja manchmal wundern, wenn Kritiker eines solchen Entwurfs davon ausgehen, daß wir nicht die ganze Problematik, alle Seiten und alle meßbaren Umstände genauso sorgfältig erkundeten und zu messen versuchten wie die Kritiker. Ich weiß eine ganze Menge aus der Zone, und wir haben uns sehr um solche Erkenntnisse bemüht. Herr Kollege Dr. Schäfer hat einen Brief an die Zeitung „Christ und Welt" zitiert. Er hat aber nicht den Aufsatz zitiert, den dieses Blatt aus sachkundigster Feder von drüben vorher veröffentlicht hat. Ich weiß aus allerneuesten Berührungen, daß es dort sehr, sehr viele Menschen gibt, die sagen: Das hättet ihr schon längst, schon vor drei Jahren tun sollen. Das sind nicht etwa freie Erfindungen von mir, sondern das sind ganz konkrete Aussagen. Ich wußte zunächst gar nicht, was mit den drei Jahren eigentlich gemeint war, wie man gerade auf die drei Jahre kam. Das ist ungefähr der Zeitpunkt, zu dem man drüben gewisse Veränderungen des Reiseverkehrs eingeführt hat. Ich will jetzt gar nicht sagen, ob das für uns der richtige Zeitpunkt gewesen wäre — darauf lege ich
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1961 7933
Bundesinnenminister Dr. Schrödermich nicht fest --, sondern ich sage nur, daß die Menschen in der Zone, die auf unserer Seite sind — und nur von denen sprechen wir natürlich —, eins wollen: daß auf kommunistische Handlungen, auf Angriffe gegen uns, sichtbare und wirksame Antworten erfolgen. Das ist ein sehr wichtiger politischer Umstand; es ist ein Umstand, den man kennen und berücksichtigen muß.Ich will die Meinung der deutschen Menschen in der Zone jetzt gar nicht so bewerten, als ob sie immer die unbedingt richtige sein müßte. Man kann, selbst wenn man wohlwollend ist, in einer bestimmten Situation aus bestimmten Umständen heraus auch irren. Aber über eins muß man sich klar sein: Der stärkste Widerstand, den es gegen diesen Gesetzentwurf gegeben hat, ist ganz massiv vom Zentralkomitee der SED ausgegangen. Ich kann Ihnen die Dokumente darüber zeigen. Lesen Sie nach, was Herr Norden und all diese Leute noch in den letzten Tagen gesagt haben! Ich lehne es meistens ab, die Namen dieser Leute überhaupt nur zu nennen; ich will Ihnen aber den Zugang zu den Quellen verdeutlichen. Diese Leute, besonders das Zentralkomitee der SED, wissen ganz genau, daß der Gesetzentwurf, wenn er so, wie er vorliegt, oder etwa so verabschiedet wird, ihnen ein Spielfeld verschließt, ihnen mindestens das Betreten des Spielfeldes viel schwerer macht als bisher. Und die Aufgabe der Kommunisten drüben ist ja -- denken Sie an die Moskauer Deklaration —, unentwegt offensiv hierher vorzustoßen. Sie wissen, daß die Bestimmungen so, wie sie jetzt bei uns sind, ihnen das Spielfeld so frei, so offen, so leicht zugänglich machen, wie sie es nur haben wollen, und das wollen wir nicht mehr; dagegen muß etwas getan werden.Dann ist -- die Zeit würde nicht ausreichen, es jetzt im Detail auseinanderzusetzen — immer wieder gefragt worden: Wie können Sie denn diesen großen Reisestrom — und wir gehen ja davon aus, daß es ein großer Reisestrom ist, sein und bleiben oder wieder werden soll — technisch überhaupt bewältigen? Ich möchte das jetzt nicht im einzelnen darlegen. Ich habe in meiner Eingangsrede - wenn Sie sich daran erinnern wollen — gesagt, daß wir an die Verwertung von Einzelerkenntnissen denken und daß wir also eine selektive Kontrolle vorhaben. Es wäre falsch, das heute schon im einzelnen auszubreiten. Wir werden jedenfalls mit dieser Aufgabe fertig werden.Ein ganz entscheidender Punkt — das ist nun einmal die automatische positive Wirkung von Gesetzen — ist dabei der präventive Effekt. Ganze Kategorien von Funktionärsreisen werden daraufhin einfach flachfallen, sie werden zumindest sehr erschwert werden.Nun wird gesagt: Wer gibt sich schon an der Grenze als Gegner zu erkennen? — Der Gesetzentwurf geht davon aus — das Ganze ist wirklich als ein System ausgedacht —, daß, wenn man die negativen Absichten des Betreffenden nicht schon an der Grenze feststellt, z. B. weil man ihn kennt oder es andenweit ermittelt, sondern wenn sich diese Absichten erst im Hinterland entpuppen, die Möglich-keit bestehen muß, diese Leute von dort kurzerhand ohne Staatsanwalt, ohne Gerichtsverfahren, ohne Gefängnis wieder abzuschieben. Das ist eine wichtige Regelung im Gesetzentwurf.Meine Damen und Herren, ich komme damit zum Ende. Ich bin der Überzeugung, daß es, wenn tatsächlich alle Seiten des Hohen Hauses bereit sein werden, sich nicht nur auf das Vertrauen in die eigene Kraft zu verlassen, sondern der hier gestellten konkreten gesetzgeberischen Aufgabe nachzugehen, eine Brücke der Verständigung geben muß. Seien Sie sicher: dies ist weder eine Aufgabe, deren Lösung man ablehnen kann — das geht schon gar nicht —, noch eine Aufgabe, die man nur zum Scheine lösen kann, als ob etwas geschähe, sondern es ist eine Aufgabe, die nur konkret gelöst werden kann. Dafür haben wir einen, wie ich glaube, gut ausgedachten Gesetzesvorschlag gemacht. Dazu sind hier wenigstens drei oder vier positive Gesichtspunkte geltend gemacht worden, die ein Stück weit darauf eingehen. Ich habe die Hoffnung, daß bei näherer Beschäftigung damit die Atmosphäre positiver wird, als es zum Teil heute morgen scheinen konnte. Glauben Sie uns: wir schlagen nichts vor, bei dem wir nicht sowohl die Situation oder die Reaktion der Zone -- und die Situation oder die Reaktion Berlins — als auch aller anderen Deutschen vor Augen halten. Wir fühlen uns ganz sicher in der Überzeugung, daß wir auf dem richtigen Wege sind und daß vor allem die Zone uns verstehen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Ihre Zeit nochmals für einige Bemerkungen zu einer Rechtfertigung in Anspruch nehme. Ich nehme an, daß die Begründung des Herrn Ministers hinsichtlich der zeitlichen Beanspruchung durch dieses Gesetz auch für uns zutrifft.
Mit der „Rechtfertigung" meine ich zunächst folgendes. Ich habe durch meine Bemerkungen über die Broschüre bei der CDU-Fraktion einige Empörung ausgelöst.
— Ich hoffe, Herr Horn, ,daß Sie sich die Schrift einmal in Ruhe ansehen.
Ich bin seit 1924 sozialdemokratischer Funktionär in der Stadt Berlin. Jeder hier im Hause wird wissen, was die Sozialdemokratische Partei in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in Berlin schon vor 1933 getan und geleistet hat. Da kommt mir nun eine Broschüre der Bundesregierung auf ,den Tisch, ,die als Überschrift die Worte trägt „Gegen den roten Funktionär". Wäre es nicht genauso einfach gewesen, wenn man geschrieben hätte „Gegen den kommunistischen Funktionär"? Herr
7934 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn. Freitag. den 20. Januar 1961
Mattick
Minister, Sie wissen ganz genau, daß Sie hiermit einige traditionelle Gefühle ansprechen.
— Sie tun dann immer so, als ob wir so etwas nicht sagen dürften.
In ,dem Vorwort des Herrn Ministers heißt es nach einer Einleitung: Die SPD hat sich damit leider festgelegt — sie hat nein gesagt — und will sich nicht mehr überzeugen lassen. — Nun hat auch die SPD überall, wo sie darüber gesprochen hat, gesagt: Wir sind bereit, über die Form zu reden, wie man gegen die kommunistischen Methoden vorgeht, und Wege zu suchen. Nein gesagt haben wir zu dem Grenzgesetz. — Es wird also in jedem Satz und in allem, was der Herr Minister hier schreibt, von vornherein die Differenz zur SPD aufgezeigt.
Der Herr Minister sagt dann weiter in dieser Schrift: „Auf diese und ähnliche Fragen will die vorliegende Schrift eine Antwort geben." Das heißt, daß sich der Herr Minister auch die Auswahl der Presseerklärungen und Erläuterungen in diesem Zusammenhang zu eigen macht. Er zitiert ausgerechnet das Blatt der Bundesregierung, die „Neue Zürcher Zeitung", wo man von FDGB-Aktivisten und SED-Aktivisten spricht und wo es dann heißt, daß sie unter Ausnützung ,der mancherorts herrschenden Sorglosigkeit und Naivität bei Betriebsräten — man weiß, wohin sie hauptsächlich gehören —, Ortsvereinen der SPD und Kommunalpolitikern vorsprächen. Da ist nicht ein Herr Horn oder sonst irgend jemand erwähnt; da ist niemand erwähnt, der in Leipzig dumme Reden gehalten hat. Der Herr Minister hat nur Dinge herausgesucht, die sich mit der Sozialdemokratischen Partei beschäftigen. Sie werden mir gestatten, daß ich das „Schlagseite" nenne und hier zum Ausdruck bringe, daß der Herr Minister nicht sorgfältig darauf geachtet hat, die Dinge so anzusprechen, wie sie nun einmal sind, sondern mit dieser Broschüre gleichzeitig einer sorglosen Öffentlichkeit kundtun wollte, daß die Gefahr bei den Gewerkschaften und bei der SPD liege.
Herr Minister, es tut mir leid, daß ich noch einmal auf die Zahlen zurückkommen muß. Die Zahlen stimmen mit denen überein, die das „Neue Deutschland" über einige Treffen bekanntgegeben hat. Das würde bedeuten — das ist für mich sehr erstaunlich —, daß das „Neue Deutschland" richtige Zahlen veröffentlicht. Und dann heißt es „Aus den Akten der Sicherheitsbehörden" — da kommt wieder, meine Damen und Herren, die Bemerkung —: ,,... Hier einige Beispiele von Veranstaltungen für Mitglieder der Gewerkschaften, für Mitglieder der SPD und für Jugendliche und Sportler:..."
Es ist immer der Versuch, ausgerechnet die Partei zu denunzieren, die — zumindest in den ersten Jahren, als es darauf ankam — in ganz Deutschland den Hauptwiderstand gegen die kommunistische Politik und Infiltration geleistet hat. Ich sage Ihnen noch einmal: zu einem guten Klima für eine gemeinsame Arbeit gehört, daß der Herr Minister von dieser Einseitigkeit der Broschüre Abstand nimmt. Das habe ich vorhin ausdrücken wollen. Ich wollte es jetzt noch einmal begründen.
Ich darf noch ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen anschließen, die der Herr Minister jetzt gemacht hat. Er sprach von einer wehrhaften Demokratie und meinte, wenn ich es richtig verstanden habe, daß wir diese ablehnten, wenn wir das Gesetz ablehnen. Herr Minister, unter wehrhafter Demokratie verstehe ich etwas anderes. Ich verstehe durchaus, daß sich die Demokratie Gesetze schaffen muß, um den einzelnen Landes- und Hochverräter und politischen Gegner der Demokratie zu treffen. Aber die Wehrhaftigkeit einer Demokratie liegt nicht in der Gesetzgebung, hinter die sich die Bürgerschaft schlafmützig zurückzieht, sondern liegt darin, daß jeder einzelne Bürger gefestigt wird, um sich mit den Antidemokraten auseinanderzusetzen, wo immer sie auftreten.
Das haben wir in Berlin — das wird jeder zugeben müssen — durch unsere Politik erreicht, daß sich die Menschen dort auseinandersetzen.
— Aber bitte, gerne.
Wenn sich nun die Kommunisten, um die es geht, nicht an die Regeln der Demokratie halten und uns bewaffnet entgegentreten, glauben Sie — —
— Das ist doch eine Tatsache. Um die geht es hier!
Entschuldigen Sie mal, glauben Sie, daß sich die Kommunisten in Berlin an die Regeln halten? Das ist doch gar nicht das Problem, wie wir uns militärisch mit ihnen auseinandersetzen; das steht in dem Gesetz nicht drin. Das ist ein ganz anderes Problem. Ich glaube, darauf haben wir in Berlin auch eine Antwort gegeben; aber darauf brauche ich jetzt nicht näher einzugehen.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Dr. Kanka! Ich muß annehmen, Herr Dr. Kanka, daß Sie in letzter Zeit nicht die Zonengrenze passiert haben. Hätten Sie es getan, dann hätten Sie begreifen müssen, daß Ihr Beispiel völlig falsch ist. Was Sie jetzt bei der Einreise nach Italien oder in die Schweiz erleben, erleben die Bürger, die zwischen der Bundesrepublik und der „DDR" und Berlin hin- und herreisen, doch auch. Eine normale Personalkontrolle gibt es auch heute: sobald ich in Helmstedt die Zonenkontrolle hinter mir habe, werde ich auf der westlichen Seite noch einmal auf meine Person hin kontrolliert, das heißt man fordert meinen Personalausweis. Ich gebe Ihnen das zur Kenntnis, weil Ihr Vergleich hinkt. Ich zeige meinen Personalausweis vor, und der Zöllner oder der Grenzschutzbeamte sieht ihn sich an. Wahrscheinlich kann er auch hin und wieder darauf achten, wer es ist. Dann bekomme ich einen numerierten Zettel, den ich dreißig Meter weiter
Mattick
abgebe. Ich halte also dort noch einmal an. Es ist sogar eine ausreichende doppelte Kontrolle gegeben für den Fall, daß jemand auffällt. Diese Kontrolle gibt es also heute auch schon.
Wenn ich nach Italien über die Grenze fahre, dann nimmt man heute meinen Personalausweis — man braucht nicht einmal mehr einen Paß —, kontrolliert ihn, und ich kann weiterfahren. Aber niemand fragt, wohin ich fahre und was ich will.
— Das ist doch der Unterschied! Nach diesem Gesetz muß doch der in die Bundesrepublik Einreisende, wenn er gefragt wird, Auskunft geben, zu welchem Zweck er die Reise von Leipzig nach Hannover antritt. Eine solche Frage wird mir nirgends gestellt, wenn ich in die Schweiz, nach Italien, nach Frankreich oder irgendwo anders hin reise. Herr Dr. Kanka, das ist der Unterschied, das haben Sie bei dieser Betrachtung völlig außer acht gelassen. Gegen eine normale Kontrolle der Person haben wir nichts. Sie findet schon täglich und überall statt. Auch aus Berlin fährt niemand in die Bundesrepublik, ohne daß nicht seine Person kontrolliert wird. Insofern haben Sie Ihrer Betrachtung eine falsche Beurteilung zugrunde gelegt.
Leider hat der Herr Minister auf meine Bemerkung in bezug auf die Probleme, die für Berlin auftreten, gar nicht geantwortet. Ich hätte so gern einmal Ihre Meinung gehört zu den Gründen, die ich hier angeführt habe in bezug auf die Schwierigkeiten, die entstehen könnten, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit würde. Vielleicht sind Sie, Herr Minister, noch in der Lage, einige Bemerkungen darüber zu machen, wie Sie sich die Lösung der Probleme vorstellen.
— Den Zwischenruf möchte ich nicht noch einmal parieren. Ich habe Herrn Minister Lemmer vorhin schon einmal gebeten. Ich will nicht mit neuen Bemerkungen in die Kompetenzen der Regierung eingreifen.
Der Herr Minister hat erklärt, in der Diskussion hätten jegliche sachlichen Vorschläge gefehlt. Ich muß sagen: 1. Herr Benda hat sehr gute Vorschläge gemacht, über die wir diskutieren könnten; 2. wir als Opposition, Herr Minister, haben auf detaillierte Vorschläge verzichtet, weil wir wußten, daß auch in Ihren Kreisen darüber gesprochen wird. Die Diskussion zeigte schon deutlich, daß die Vorschläge, wenn sie von der Opposition kommen, schlechter ankommen, als wenn sie aus den Reihen Ihrer eigenen Partei kommen. Wir werden manches, was dort gesagt worden ist, unterstreichen und unterstützen. und wir werden darüber in aller Ruhe verhandeln können.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen, Herr Minister. Sie haben vorhin in Ihrer einleitenden Bemerkung — diese konnte nur auf eine Bemerkung des Berliner Innensenators Bezug nehmen — von einer böswilligen Ungezogenheit gesprochen. Ich maße mir nicht an, ähnliche Bemerkungen meinerseits zu machen. Es war zu einer Empörung darüber gekommen, daß ich die Broschüre als das bezeichnet habe, wofür wir sie halten. Ich glaube, Ihre Fraktion hätte auch in dem Moment eine Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen müssen. Lassen wir das. Versuchen wir, auf der Grundlage — ich sage es noch einmal wie der Regierende Bürgermeister
— eines Stück weißen Papiers auf Grund der Erfahrungen, die wir auch in Berlin gemacht haben, zu untersuchen, wie wir die Personen greifen können, um die es hier geht, ohne daß wir in den Ablauf des Grenzverkehrs eingreifen und Schwierigkeiten heraufbeschwören, die heute deutlich dargelegt worden sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mehrere Male apostrophiert worden, und ich möchte mich nicht drücken, hier ein Wort zu sagen, wenn ich dazu aufgefordert werde.
— Nein, es paßt nicht zu mir.
-- Das ist mir bekannt.
Meine Damen und Herren, ich habe erst vor wenigen Tagen öffentlich darauf hingewiesen, daß mein Kollege Schröder als Bundesinnenminister die Pflicht hat, sich mit den Problemen der inneren Sicherheit unseres Staatswesens zu befassen. Das ist seine Aufgabe, und deshalb sitzt er hier auf der Regierungsbank auch als der federführende Ressortminister bei der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Ich habe ebenso in der Öffentlichkeit gesagt, daß ich die Pflicht empfinde, darüber zu wachen, daß bei der Erledigung dieses Gesetzes mein Anliegen, nämlich die Bewahrung des deutschen Zusammenhalts, nicht gefährdet wird.
Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich mich mit dem Bewußtsein dieser meiner Pflicht an den Beratungen der zuständigen Ausschüsse beteiligen werde.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zu dem, was Herr Kollege Dr. K a n k a sagte. Er sprach davon, daß eine verstärkte Kontrolle notwendig sei, und führte als Beispiele den Grenzübertritt von Italien in die Schweiz usw. an. Herr Kollege Mattick hat bereits darauf hingewiesen, daß
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Mischnickdas, was da an Kontrolle geschieht, an der Zonengrenze bereits heute in der gleichen Form durchgeführt wird. Eines wundert mich nur, Herr Kollege Dr. Kanka, daß ausgerechnet Sie als Vertreter der CDU/CSU-Fraktion bei dem Verkehr zwischen Sowjetzone und Bundesrepublik die Tatbestände, die Sie bei dem Übergang von einem Staat in den anderen für richtig halten, auch bei der Grenze zwischen Zone und Bundesrepublik für notwendig erachten. Das ist eine Unterstützung von Theorien, die Sie doch sonst ablehnen. In erster Linie unter diesem Gesichtspunkt muß nach unserer Auffassung alles gesehen werden, was hier an zusätzlichen Kontrollmaßnahmen eingeführt werden soll.
— Nein, das ist keine Entstellung; denn ein Vergleich des Übergangs von Italien nach der Schweiz mit dem Übergang von der Bundesrepublik nach der sowjetisch besetzten Zone ist nach meiner Ansicht mit dem Gedanken eines Gesamtdeutschland, das nach wie vor besteht, nicht zulässig.
Nun zu den anderen Überlegungen, die Sie angestellt haben, daß wir uns doch alle insoweit finden sollten, daß wir es für notwendig halten, den Feinden der Freiheit die Möglichkeit zu nehmen, unser Staatswesen zu untergraben. Der Herr Bundesinnenminister hat gesagt, alle Argumente, die gegen seinen Gesetzentwurf vorgebracht seien, seien von ihm schon vorher widerlegt worden. Ich muß offen gestehen, hier sind eine Reihe von Gesichtspunkten gebracht worden, die weder in seiner Broschüre noch in seiner Antwortrede behandelt worden sind. Es ist kein Wort dazu gesagt worden, daß wir mit diesem Gesetz praktisch jeden einzelnen Grenzgänger, der kommt, jeden einzelnen, der hier seine Familienangehörigen besuchen will, einer doppelten Kontrolle unterziehen und damit praktisch deutlich machen, daß wir in Sorge vor ihnen sind, wie Sie sagten. Wir haben als Freie Demokraten keine Angst, daß die Leute, die hier mit irgendwelchen Besuchergruppen bei uns auftauchen, in der Lage wären, das politische System der Bundesrepublik zu untergraben. Die Leute, die Sie mit Präventivmaßnahmen erfassen wollen, die Spione, kriegen Sie mit diesem Gesetz auch nicht. Die lassen sich auch nicht durch ein solches Gesetz davon abhalten, in die Bundesrepublik einzureisen. Diese Gruppe müssen Sie auf ganz anderen Wegen fassen.
— Lieber Herr Kollege Memmel, vorhin ist doch vom Herrn Bundesinnenminister dargelegt worden, und es steht in seiner Broschüre und ist uns in seinen Reden immer wieder nahegebracht worden, daß die Arbeit z. B. des Verfassungsschutzes und der anderen Abwehreinrichtungen so hervorragend sei. Bei der letzten Entlarvung von Agenten wurde wieder dargestellt, welche Erfolge auf diesem Gebiet erzielt worden seien. Nur mit diesen Mitteln kann man wirkliche Agenten fassen. Für diejenigen,die hier eine Rede halten wollen oder sich in irgendwelchen Delegationen befinden, bedarf es dieser Mittel nicht.Es ist gesagt worden, wir sollten abwägen; es handele sich um einen Test für die Brauchbarkeit der Vorschläge. Nach dem, was hier an Kritik laut geworden ist, muß ich sagen, Herr Minister: Ihr Entwurf ist bei diesem Test auf Brauchbarkeit im Parlament durchgefallen. Denn alle haben gesagt, er sei nicht brauchbar.
Es scheint heute allmählich Mode geworden zu sein - wir haben das z. B. beim Krankenversicherungsgesetz und beim Kriegsopferversorgungsgesetz erlebt —, daß Gesetzentwürfe eingebracht und wir aufgefordert werden: Was wir in der Regierung mit unserem großen Apparat und mit unseren Möglichkeiten der Information — die uns als Parlament nicht zur Verfügung stehen — nicht geschafft haben, das sollt ihr nun hier im Plenum konkret vorschlagen. Eine solche Arbeitsweise ist nicht möglich.
Es handelt sich hier nicht um einen Initiativgesetzentwurf des Hauses, sondern um einen Entwurf der Regierung. Wir müssen erwarten können, daß im Regierungsentwurf schon alles so weit abgewogen ist, daß wir die Einzelberatung im Ausschuß vornehmen können.Herr Dr. Kanka beklagte sich, hier sei zuviel von Einzelheiten gesprochen worden. Das ist doch ein Widerspruch zu der Aufforderung, zu sagen, wie man es anders machen solle. Genau das waren ja die Bemühungen des Kollegen Benda, die, wie Herr Kollege Dr. Bucher sagte, von uns weitgehend unterstützt werden. Deshalb hat sich Herr Dr. Bucher dann erspart, alles noch einmal vorzutragen.Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß wir diese Maßnahmen nicht nur von userem Gesichtspunkt aus betrachten dürfen, sondern sie auch von dem Gesichtspunkt des politischen Gegners jenseits der Zonengrenze sehen müssen. Ich meine allerdings, ,daß das Argument, das Zentralkomitee habe am stärksten dagegen gewettert, nicht zugkräftig ist. Wer soll in der Zone sonst dagegen wettern? ,Das kann doch nur das Zentralkomitee. Die Menschen, die davon betroffen sind, können sich doch nicht wehren!
Der Einwand, das Zentralkomitee habe am meisten dagegen Stellung genommen, sticht also nicht.Verkennen Sie aber nicht, was nach Annahme eines solchen Gesetzes aus diesem Gesetz von der anderen Seite propagandistisch gemacht werden wird! Das müssen wir uns heute auch überlegen. Die Einführung neuer, schärferer Grenzkontrollen quer durch Deutschland durch ein solches Gesetz wäre nichts weiter als eine Unterstützung der Theorie der sowjetzonalen Seite, daß wir selbst langsam den gleichen Weg gehen, zwar von unserem Gesichtspunkt aus in der Abwehr, aber nach der Darstel-
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Mischnicklung der Zone „weil wir eingesehen haben, daß es keine andere Lösung gibt". Diese Gefahr sehe ich vor allen Dingen. Wir sind doch gar nicht in der Lage, den propagandistischen Möglichkeiten des Zonenregimes in aller Welt zu widerstehen, vor allem nicht im Ostblock, wo wir uns selber die Möglichkeit dazu genommen haben, weil wir keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen.Ein letztes, Herr Minister. Sie haben davon gesprochen, daß in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und zwar in Band 6 Nr. 7, vom 16. Januar 1957, anläßlich der Klage des früheren Oberbürgermeisters Elfes bezüglich der Paßerteilung festgestellt worden sei, es sei durchaus möglich, den Paß zu verweigern. Das ist unbestritten. Hier geht es aber nicht um die Frage eines Passes, sondern darum, daß Deutsche aus Deutschland nach Deutschland einreisen können. Das Bundesverfassungsgericht — ich zitiere aus Seite 42 — hat in der Begründung ausdrücklich gesagt:Denn ,der Gesetzgeber darf sich seines Rechts, die Schranken der Freiheit zu bestimmen, nicht dadurch begeben, daß er mittels einer vagen Generalklausel die Grenzziehung im einzelnen dem Ermessen der Verwaltung überläßt.Genau das geschieht durch diesen Gesetzentwurf. Es wird dem Ermessen der Verwaltung, nämlich den Stellen, die an Ort und Stelle darüber entscheiden, wer herein darf und wer nicht, überlassen, festzustellen, wie weit die Freiheit der Reise in Deutschland eingeschränkt wird. Dagegen wenden wir uns genauso, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil niedergelegt hat. Es wäre gut gewesen, wenn Sie beide Gesichtspunkte dieses Urteils der Debatte zugrunde gelegt hätten.Der Herr Minister für gesamtdeutsche Fragen hat zum Ausdruck gebracht — die wenigen Worte machten es schon deutlich, daß er dieselben Sorgen hat wie wir, dieses Gesetz könne den innerdeutschen Zusammenhalt gefährden —, daß im Ausschuß das eine oder andere geändert werden kann. Es wäre viel besser gewesen, man hätte auch bei diesem Gesetzentwurf, wie es bei manchen anderen geschehen ist, bevor er überhaupt eingebracht wurde, mit den Fraktionen dieses Hauses — Regierung wie Opposition — über die strittigen Fragen gesprochen und versucht, eine Form zu finden, die der Sache, die Sie wollen und in der wir Sie unterstützen, gerecht wird, die aber verhindert, daß wir selbst eine neue Trennung innerhalb Deutschlands schaffen, die wir damals mit der Abschaffung des Interzonenpasses aufgegeben haben. Tun wir nichts, was die Arbeit der Machthaber drüben — nicht gewollt, sondern ungewollt — erleichtern könnte, sondern helfen wir mit, daß die Menschen in der Zone, die guten Willens sind, die den Kontakt halten wollen, diesen Mut, zu uns zu kommen, behalten und nicht in .Resignation verfallen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kanka!
Ich habe Herrn Kollegen Mischnick etwas zu sagen. Entweder, Herr Kollege Mischnick, Sie haben mich nicht verstanden, weil Sie nicht achtgegeben haben,
oder Sie haben das, was ich gesagt habe, demagogisch entstellt.
Damit ,die zweite Möglichkeit nicht noch einmal aufkommt, will ich es Ihnen nun klar und deutlich sagen — Ihrem Kollegen Dehler habe ich es dieser Tage in einem Brief, sehr ins einzelne gehend, geschrieben —: Ich mache sehr wohl einen Unterschied — und ich bitte Sie, diesen Unterschied mit Ihrer ganzen Fraktion mitzumachen — zwischen dem System da drüben, dem Gewaltsystem der SBZ, und den freiheitlichen Ordnungen. Ich bin der Meinung, das da drüben ist kein Staat, sondern das ist ein Generalgouvernement der Moskauer Herren und sonst nichts.
Was ich Ihnen gesagt habe und was Sie so gar nicht verstanden haben, ist folgendes: Ich wollte nichts anderes, als das Vorurteil gegen die Einrichtung der Kontrolle, deren Verstärkung auch der Bundesrat verlangt — ein Vorurteil, für das ich sogar Verständnis habe, weil die Kontrolle gerade von den bösartigen Staatsordnungen so bösartig ausgeübt wird —, beseitigen helfen, indem ich Sie an die alltäglichen Fälle der Grenzkontrolle, der Ausweis- und der Gepäckkontrolle, erinnerte, der Fälle, die wir allesamt immer, wenn wir in der freien Welt herumreisen, erleben. Nichts anderes wollte ich.
— Halt! Es gibt aber nun — Sie werden mich jetzt nach der Zonengrenze fragen — in der Tat eine Grenze bei uns — leider —, die nicht die Grenze zwischen zwei Staaten ist. Die Zwei-Staaten-Theorie ist nichts. Diese Grenze ist also nicht die Grenze zwischen zwei Staaten. Sie ist aber als Grenze etwas viel Schlimmeres: sie ist die Grenze zwischen dem kommunistischen Machtbereich und der freien Welt;
an dieser Grenze muß eine Abschirmung stattfinden. Kein Mensch in diesem Hause will mehr.
Ich wiederhole, der Bundesrat hat gesagt: Die verstärkte Kontrolle
— Sie müssen es so oft hören, damit Sie es endlich begreifen —
der Einreise und die Kontrolle der Ausreise ist nötig. Es gibt aber keine Kontrolle ohne Kontrolle;das bringt nur ein Zauberkünstler fertig. Wir haben
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Dr. Kankaaber praktische Arbeit zu leisten, und zu dieser praktischen Arbeit wollen wir uns vertrauensvoll im Ausschuß zusammensetzen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Erfolgt Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 25. Januar 1961, 14.30 Uhr,
Ich schließe ,die heutige Sitzung.