Protokoll:
3130

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 3

  • date_rangeSitzungsnummer: 130

  • date_rangeDatum: 28. Oktober 1960

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:13 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 130. Sitzung Bonn, den 28. Oktober 1960 Inhalt: Fragestunde (Drucksachen 2157, zu 2157) Frage des Abg.. Kalbitzer:. Betriebsbereitschaft der der Regierung von Nigeria übergebenen fahrbaren Kliniken 7479 B Frage des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Zufahrt nach Straßburg von der neuen Autobahn Frankfurt—Basel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 7479 C Frage des Abg. Wittrock Mitwirkung des Bundes bei der Finanzierung von Baumaßnahmen zur Unterbringung des ruhenden Verkehrs außerhalb der Straßen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 7480 A, 7481 À, B, C Wittrock (SPD) 7481 A, B Ritzel (SPD) 7481 B Frage des Abg. Dr. Mommer: Tariferhöhungen der Deutschen Bundesbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 7481 C, 7482 A, B, C, D, 7483 A Dr. Mommer (SPD) 7482 A Dr. Bleiß (SPD) 7482 B, C Faller (SPD) 7482 D Wittrock (SPD) 7483 A Frage des Abg. Dr. Mommer: Annäherung vermutlich deutscher Düsenjäger an die Verkehrsmaschine der britischen Königin Hopf, Staatssekretär 7483 B, C, D, 7484 A Dr. Mommer (SPD) 7483 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7483 D Felder (SPD) . . . . . 7483 D, 7484 A Frage des Abg. Dr. Brecht: Fehlbestand an Wohnungen Lücke, Bundesminister . . . 7484 B, D, 7485 A, B, C Dr. Brecht (SPD) . . . . . . 7484 C, D Dr. Bartels (CDU/CSU) 7485 A Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7485 B Frage des Abg. Dr. Brecht: Rechtsverordnung betr. Miet- und Lastenbeihilfen Lücke, Bundesminister . . . 7485 C, D, 3486 A, B, C, D, 7487 A Dr. Brecht (SPD) . . . . . . . . 7485 D Dr. Bartels (CDU/CSU) 7486 A Wittrock (SPD) 7486 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . 7486 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 7487 A Franke (SPD) 7487 A II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 130. Sitzung, Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1960 Frage des Abg. Dr. Brecht: Wohnungsbaumittel für Stadt- und Landkreise Lücke, Bundesminister 7487 B, D, 7488 A Dr. Brecht (SPD) 7487 B, D Dr. Czaja (CDU/CSU) 7487 D Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kindergeld (Drucksache 2100) Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . 7488 A, 7494 D Blank, Bundesminister '7490 C Dr: Schellenberg (SPD) . . . 7492 B Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) 7494 Ç Spitzmüller (FDP) 7494 D Dr. Wuermeling, Bundesminister 7496 D Frau Korspeter (SPD) . . . . . .. 7497 C Horn (CDU/CSU) . . . . . . 7497 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 7499 B Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksachen 1666, 1929, 2166); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 2127) — Dritte Beratung —Scheppmann (CDU/CSU) 7500 A Dr. Bucher (FDP) . . . . . . 7500 C Lange (Essen) (SPD) 7501 A, 7502 B, 7503 D, 7504 A Illerhaus (CDU/CSU) . . 7501 D, 7505 A Franzen (CDU/CSU) . . 7502 C, 7505 B Schneider (Hamburg) (CDU/CSU) . 7503 A, 7505 C Wieninger (CDU/CSU) 7503 B Seidl (Dorfen) (CDU/CSU) . . . 7504 B Killat (Unterbach) (SPD) 7504 C Spitzmüller (FDP) 7505 D Rasner (CDU/CSU) 7506 A Spies (Emmenhausen) (CDU/CSU) 7506 B Diebäcker (CDU/CSU) 7506 B Dürr (FDP) 7506 D Handhabung der Geschäftsordnung bei Erklärungen zur Abstimmung 7507 A Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (SPD, CDU/CSU, FDP und Gruppe der DP) (Drucksache 2097 [neu]); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wiedergutmachung (Drucksache 2167) — Zweite und dritte Beratung — . . . . 7507 C Nächste Sitzung 7507 D Anlagen 7509 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1960 7479 130. Sitzung Bonn, den 28. Oktober 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach 28. 10. Dr, Atzenroth 28. 10. Dr. Baade 28. 10. Bach 28. 10. Bauer (Wasserburg) 29. 10. Bauereisen 28. 10. Dr. Bechert 28. 10. Behrisch 11. 11. Dr. Besold 28. 10. Dr. Birrenbach 28. 10. Fürst von Bismarck 28. 10. Blöcker 28. 10. Frau Brauksiepe 28. 10. Brese 28. 10. Demmelmeier 28. 10. Dopatka 28. 10. Eilers (Oldenburg 28. 10. Engelbrecht-Greve 28. 10. Eder 28. 10. Etzenbach 28. 10. Finckh 28. 10. Dr. Frey 29. 10. Funk 30. 11. Dr. Furler 28. 10. Gedat 28. 10. Gerns 28. 10. Glüsing (Dithmarschen) 28. 10. Dr. Gradl 28. 10. Dr. Greve 28.10. Freiherr zu Guttenberg 28. 10. Hamacher 28. 10. Hellenbrock 28. 10. Dr. Graf Henckel 28. 10. Höfler 28. 10. Holla 28. 10. Hübner 28. 10. Jacobs 28. 10. Dr. Jordan 28. 10. Jürgensen 31. 10. Frau Kettig 11. 11. Frau Kipp-Kaule 28. 10. Dr. Kopf 28. 10. Krammig 31. 10. Frau Krappe 28. 10. Kraus 31. 10. Dr. Kreyssig 28. 10. Kriedemann 28. 10. Leber 28. 10, Lermer 7. 11. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 28. 10. Maier (Freiburg) 31. 10. Margulies 28. 10. Frau Dr. Maxsein 28. 10. Meis 28. 10. Dr. Menzel 28. 10. Metter 28. 10. Müller-Hermann 28. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Murr 28. 10. Neuburger 28. 10. Neumann 28. 10. Pohle 31. 10. Dr. Preusker 28. 10. Frau Dr. Probst 28. 10. Pütz 4. 11. Rademacher 28. 10. Dr. Rüdel (Kiel) 28. 10. Scheel 28. 10. Dr. Schild 28. 10. Dr. Schmid (Frankfurt) 28. 10. Frau Schmitt (Fulda) 28. 10. Schneider (Bremerhaven) 28. 10. Schultz 28. 10. Schütz (Berlin) 8. 11. Seuffert 28. 10. Stahl 28. 10. Dr. Stammberger 28. 10. Dr. Starke 28. 10. Frau Dr. Steinbiß 28. 10. Stenger 15. 11. Dr. Stoltenberg 28. 10. Striebeck 28. 10. Dr. Vogel 30. 10. Wacher 28. 10. Wagner 28. 10. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 28. 10. Dr. Weber (Koblenz) 28. 10. Weinkamm 28. 10. Werner 28. 10. Dr. Will 28. 10. Wischnewski 28.10. Dr. Zimmermann 28. 10. b) Urlaubsanträge Dr. von Haniel-Niethammer 6. 11. Dr. Dr. Heinemann 4. 11. Pohle 30. 11. Frau Renger 4. 11. Anlage 2 Umdruck 711 Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksachen 1666, 1929, 2127, 2166) Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 wird folgende neue Nummer 4 c eingefügt: 4 c. Nach § 18 wird folgender neuer § 18 a eingefügt: „§ 18 a Abweichend von § 3 Abs, 1 Nr. 3 dürfen Verkaufsstellen für Blumen und Pflanzen auf 7510 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1960 Friedhöfen sowie in einem Umkreis von 300 m von Friedhöfen sonnabends bis siebzehn Uhr geöffnet sein."' Bonn, den 27. Oktober 1960 Mauk Spitzmüller Dr. Imle Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 712 Änderungsantrag der Abgeordneten Arndgen, Dr. Dittrich, Franzen, Scheppmann, Wieninger, Diebäcker und Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksachen 1666, 1929, 2127, 2166) Der Bundestag wolle beschließen: 1. In Artikel 1 wird Nr. 1 a gestrichen. 2. In Artikel 1 erhält Nr. 3 folgende Fassung: ,3. In § 10 Abs. 1 a) wird hinter das Wort „aufzuführenden" das Wort „Ausflugs-," gesetzt; ferner werden die Worte „Andenken und Badegegenstände, Devotionalien, Tabakwaren, Frischobst, Obstsäfte, Süßigkeiten, Blumen und Zeitungen" ersetzt durch die Worte „Badegegenstände, Devotionalien, frische Früchte, alkoholfreie Getränke, Milch und Milcherzeugnisse im Sinne des § 4 Abs. 2 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 811), Süßwaren, Tabakwaren, Blumen und Zeitungen sowie Waren, die für diese Orte kennzeichnend sind,"; b) wird außerdem das Wort „sechzehn" durch das Wort „zweiundzwanzig" ersetzt.' 3. In Artikel 1 Nr. 4 a erhält Buchstabe b folgende Fassung: ,b) In Absatz 3 Satz 2 wird das Wort „sechzehn" durch das Wort „zweiundzwanzig" ersetzt.' 4. In Artikel 1 wird Nr. 4 b gestrichen. 5. In Artikel 1 wird Nr. 6 gestrichen. 6. Folgender Artikel 2 a wird eingefügt: „Artikel 2 a Die nach Landesrecht zuständigen Verwaltungsbehörden können in Grenz- und Marktorten Ausnahmen von den Vorschriften des § 3 Abs. 1 Nr. 1 und des § 17 Abs. 1 für den 11. und 18. Dezember 1960 erteilen. Der für den Verkauf freigegebene Zeitraum darf fünf zusammenhängende Stunden nicht überschreiten, muß spätestens um achtzehn Uhr enden und soll außerhalb der Zeit des Hauptgottesdienstes liegen. Die Ausnahmen sind unter der Bedingung zu erteilen, daß die Verkaufsstellen am 10. und 17. Dezember 1960 für den geschäftlichen Verkehr mit den Kunden ab vierzehn Uhr geschlossen sind. Die Regelung muß für alle Verkaufsstellen eines Grenz- oder Marktortes einheitlich erfolgen." Bonn, den 27. Oktober 1960 Scheppmann Wieninger Diebäcker Franzen Arndgen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 713 Änderungsantrag der Abgeordneten Killat (Unterbach), Lange (Essen), Odenthal und Genossen zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksachen 1666, 1929, 2127, 2166) Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 Nr. 4 a wird folgender Buchstabe vor a eingefügt: ,vor a) In Absatz 1 wird dem ersten Satz nach einem Komma angefügt: „jedoch nicht an den Weihnachtsfeiertagen sowie Sonn- und Feiertagen, die einem Sonnabend folgen, an dem bis sieben Uhr und ab achtzehn Uhr die Verkaufsstellen geschlossen sein müssen."' Bonn, den 27. Oktober 1960 Killat (Unterbach) Lange (Essen) Odenthal Frau Rudoll Folger Scharnowski Hufnagel Behrendt Ludwig Reitz Börner Könen (Düsseldorf) Frau Nadig Frau Eilers (Bielefeld) Frau Krappe Junghans Dr. Königswarter Wilhelm Theil (Bremen) Dr. Tamblé Rohde Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1960 7511 Anlage 5 Umdruck 714 Antrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage — Drucksache 2100 — der Fraktion der SPD betr. Kindergeld Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag unverzüglich einen Gesetzentwurf über die Neuordnung des Kindergeldes vorzulegen. Der Gesetzentwurf soll folgenden Inhalt haben: 1. Das gegenwärtige Aufbringungsverfahren, das besonders die lohnintensiven Klein- und Mittelbetriebe belastet, wird nach Ablauf einer einjährigen Übergangszeit durch die Finanzierung des Kindergeldes aus allgemeinen Steuermitteln abgelöst. 2. Kindergeld wird mit Wirkung ab 1. Januar 1961 auch für alle zweiten Kinder aus allgemeinen Steuermitteln gewährt. 3. Die bisher verabschiedeten 5 Kindergeldgesetze (Kindergeldgesetz vom 13. November 1954 — BGBl. I S. 333; Kindergeldanpassungsgesetz vom 7. Januar 1955 — BGBl. I S. 17; Kindergeldergänzungsgesetz vom 23. Dezember 1955 — BGBl. I S. 841; Gesetz zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften der Kindergeldgesetze vom 26. Juli 1957 — BGBl. I S. 1061; Zweites Gesetz zur Änderung von Vorschriften der Kindergeldgesetze vom 16. März 1959 — BGBl. I S. 153) werden aufgehoben und durch eine übersichtliche Neuregelung ersetzt. Bonn, den 27. Oktober 1960 Ollenhauer und Fraktion Anlage 6 Umdruck 715 Änderungsantrag der Abgeordneten Killat (Unterbach), Lange (Essen), Odenthal, Frau Rudoll und Genossen zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksachen 1666, 1929, 2127, 2166) Der Bundestag wolle beschließen: Artikel 1 Nr. 4 a erhält folgenden Buchstaben vor a: vor a) In Absatz 1 ist vor dem letzten Satz folgender Satz einzufügen: „Wird hiervon Gebrauch gemacht, so müssen die offenen Verkaufsstellen an den jeweils voraufgehenden Sonnabenden ab vierzehn Uhr geschlossen werden." ' Bonn, den 28. Oktober 1960 Killat (Unterbach) Börner Lange (Essen) Könen (Düsseldorf) Odenthal Frau Nadig Frau Rudoll Frau Eilers (Bielefeld) Folger Frau Krappe Scharnowski Junghans Hufnagel Dr. Königswarter Behrendt Wilhelm Ludwig Theil (Bremen) Dr. Mommer Dr. Tamble Reitz Rohde
Gesamtes Protokol
Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Das Auswärtige Amt hat unter dem 25. Oktober 1960 gemäß § 46 Abs. 2 des Deutschen Auslieferungsgesetzes vom 23. Dezember 1929 milgeleilt, daß die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die gegenseitige Rechtshilfe in fiskalischen Strafsachen im Bundesgesetzblatt Teil II vom 20. Oktober 1960 S. 2325 bekanntgemacht wurde.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde (Drucksachen 2157, zu 2157) .
Frage I, aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, — Frage des Herrn Abgeordneten Kalbitzer —:
Auf welche Art hat die Bundesregierung sichergestellt, daß die drei fahrbaren Kliniken, welche die Bundesregierung anläßlich der Unabhängigkeitsfeiern der Regierung von Nigeria übergeben hat, dauernd betriebsbereit bleiben?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. van Scherpenberg vom 27. Oktober 1960 lautet:
Die drei Klinomobile sind mit der Übergabe in das Eigentum der Republik Nigeria übergegangen. Von der Bundesregierung sind der nigerianischen Regierung insgesamt drei Ärzte so lange zur Verfügung gestellt worden, his eine Einarbeitung der einheimischen Ärzte, die die drei fahrbaren Kliniken übernehmen sollen, erfolgt ist.
Außerdem sind drei deutsche Techniker zur Einarbeitung des technischen einheimischen Personals entsandt worden. Mit den drei deutschen Ärzten wie mit den Technikern sind jeweils Verträge auf ein halbes Jahr abgeschlossen worden, die weiter verlängert werden können. Für Reparaturen und zur Wartung der Fahrzeuge selbst steht ein Kundendienst in Nigeria zur Verfügung, besonders für die Haupteinrichtungen der fahrbaren Klinik (z. B. Röntgenapparaturen usw.). Den Kundendienst für die Fahrzeuge betreibt die Firma Mercedes, die Wartung der Inneneinrichtungen obliegt der Firma Siemens.
Es sind somit die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß die fahrbaren Kliniken nach der vorgesehenen Zeit medizinisch, technisch und betrieblich von einheimischen Kräften übernommen werden können. Ein künftiger reibungsloser Einsatz ist also sichergestellt.
Nach dem oben geschilderten Verfahren ist auch in anderen Ländern vorgegangen worden, z. B. in Guinea, Äthiopien, Kamerun, Pakistan usw.
Wie aus den Berichten unserer Vertretungen hervorgeht, Nahen sich die Klinomobile bisher sehr gut bewährt. Dies ist auch daraus zu ersehen, daß bis heute 48 fahrbare Kliniken von Entwicklungsländern gekauft und selbst bezahlt worden sind. Darüber hinaus möchte ich erwähnen, daß der Ministerpräsident von Kamerun und der Planungsminister von Guinea anläßlich ihres Besuchs in Bonn die Klinomobile als besonders wertvolle Einrichtungen für den Einsatz auf dem Lande bezeichnet haben.
Es hat sich auch herausgestellt, daß der Einwand, die Fahrzeuge seien zu schwer, nicht stichhaltig ist. Die Fahrzeuge einschließlich Sattelschlepper sind geländegängige Fahrzeuge und haben sich durchwegs bewährt.
Die Frage II — des Herrn Kollegen Kalbitzer —wird zurückgestellt.
Ich rufe nun auf aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr die Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg —:
Besteht die Absicht, die Zufahrt nach Straßburg von der neuen Autobahn Frankfurt—Basel bald in einer Weise zu regeln, die der Bedeutung dieser Stadt an sich, vor allem aber ihrer Bedeutung als Sitz des Europa-Parlamentes und des Europarates und als Ort der Begegnung zwischen den beiden verbündeten und befreundeten Ländern Frankreich und Deutschland, entspricht?
Zur Beantwortung der Herr Bundesverkehrsminister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313000100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verbindung zwischen der Bundesautobahn Frankfurt am Main—Basel und der Rheinbrücke Kehl—Straßburg bildet die Bundesstraße 28 im Zuge der Europastraße 11, die Deutschland von Freilassing über München, Stuttgart, Karlsruhe bis Kehl durchzieht und fast völlig als Autobahn ausgebaut ist. Die Bundesstraße 28 soll so ausgebaut werden, wie es ihrer internationalen Bedeutung als Teil der Europastraße 11 entspricht. Die Rheinbrücke Kehl—Straßburg im Zuge dieser Europastraße 11, die vor kurzem dem Verkehr übergeben wurde, ist neu erstellt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Stadt Kehl zweibahnig umgangen. Gleichzeitig mit dem Weiterbau der Bundesautobahn sind im Bereich der Bundesautobahnanschlußstelle Appenweier im Zuge dieser Bundesstraße 28 großzügige Maßnahmen durchgeführt worden. Dazu gehört auch die Umgehung der Ortschaft Sand. Von 1957 bis 1960 sind für den Ausbau der Bundesstraße 28 zwischen Appenweier und Straßburg 16 Millionen DM aufgewendet worden.
Der weitere Ausbau, mit dem auch die noch vorhandenen engen Ortsdurchfahrten ausgeschaltet werden, wird in den kommenden Jahren beschleunigt durchgeführt. Die Planung ist im Gang; die Planfeststellung soll so erfolgen, daß die Arbeiten, die noch etwa 15 Millionen DM erfordern, in drei Jahren nach Baubeginn ausgeführt sein werden. Damit wird eine nach neuzeitlichen Grundsätzen ausgebaute, sehr leistungsfähige Verbindung mit einem zweibahnigen, also vierspurigen Querschnitt geschaffen. Ich glaube, daß eine so ausgebaute Straße zwischen der Autobahn und Straßburg der Bedeutung der Europastraße 11 und der Stadt Straßburg gerecht wird.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313000200
Wird eine Zusatzfrage gestellt? — Das ist nicht der Fall.
Frage III/2 — des Herrn Abgeordneten Wittrock —:
Gibt der Bundesregierung die Feststellung des Bundesverkehrsministers in Drucksache 2148, in den Städten müsse der ruhende Verkehr zumindest am Tage außerhalb der Straßen in Garagen, Parkhäusern oder Einstellplätzen untergebracht werden, Anlaß zu Überlegungen über eine Mitwirkung des Bundes bei der Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen?
Herr Minister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313000300
Danke sehr. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau möchte ich die Frage des Herrn Kollegen Wittrock wie folgt beantworten:
Die Frage ist zu verneinen. Zur Begründung führe ich aus: Als Bundesminister für Verkehr habe ich mich selbstverständlich auch mit den Fragen des ruhenden Verkehrs in den Städten befaßt, vor allem mit den Möglichkeiten der Finanzierung von Parkplätzen, Parkhäusern, Garagen, Einstellplätzen und dergleichen.
Was die rechtliche Seite anlangt, darf ich annehmen, daß bekannt ist, daß das Grundgesetz die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete des Straßenbaus auf die Landstraßen des Fernverkehrs beschränkt hat, daß also die Zuständigkeit für die städtischen Straßen und die straßenbaulichen Belange in den Städten nicht beim Bund liegt. Gleichwohl bin ich der Meinung, daß sich auch die Bundesregierung durchaus Gedanken darüber machen soll, wie den gegebenen Notständen in den Städten abgeholfen werden kann. Soweit Bundesinteressen, also Interessen des Fernverkehrs, vorliegen, gewährt der Bund bekanntlich Zuschüsse für Ortsdurchfahrten und gemeindliche Zubringerstraßen zu den Bundesstraßen, aber nicht für Parkplätze.
In den Gemeinden Parkplätze zu schaffen, ist nicht Aufgabe des Bundes. Das ist anders als auf den freien Strecken. Das Bundesfernstraßengesetz hat in § 5 ausdrücklich bestimmt, daß der Bund für Gehwege und Parkplätze in den Gemeinden nicht Baulastträger ist. Es handelt sich insoweit überwiegend um die Befriedigung örtlicher Verkehrsbedürfnisse, die nach der grundgesetzlichen Aufteilung in die Zuständigkeit der Länder oder nach Landesrecht in die der Gemeinden fällt.
Das gemeindliche Interesse überwiegt besonders, weil schon die Geschäftswelt in den Innenstädten gesteigertes Interesse daran haben muß, für entsprechenden Parkraum in und am Rande der Innenstädte zu sorgen, falls sie nicht eine starke Entwertung ihrer Geschäfte und Grundstücke befürchten soll. Die Errichtung von Park- und Einstellplätzen ist daher in erster Linie eine Angelegenheit dieser Geschäftswelt. Die Praxis hat bereits gezeigt — ich erinnere z. B. an den Kaufhof in Köln oder an den Bundesbahnhof in München —, daß es durchaus möglich ist, Parkhäuser an und in den Geschäftsteilen der Städte auch wirtschaftlich zu gestalten und zu betreiben. Es ist also nicht erforderlich, daß diese Aufgaben von der öffentlichen Hand unmittelbar erfüllt werden.
Andererseits erscheint es notwendig, daß bei städtebaulichen Planungen entsprechende Plätze in den Städten für Parkplätze und Einstellplätze ausgewiesen werden, auf denen dann die freie Wirtschaft die erforderlichen Einrichtungen erstellt. Die Möglichkeiten hierzu hat das Bundesbaugesetz in § 9 Abs. 1 Nr. 1 e und 12 in ausreichendem Maße geschaffen. Ich darf dabei auch noch auf § 127 Abs. 2 Nr. 3 dieses Gesetzes verweisen, wonach Parkflächen an Anbaustraßen und Sammelstraßen zu den Erschließungsanlagen gehören, deren Kosten als Erschließungskosten die Gemeinden von den Beitragspflichtigen erheben können. Die Benutzung derartiger Einrichtungen ist dann selbstverständlich nur gegen Bezahlung einer Gebühr möglich. Die Gemeinden können auch aus den Einnahmen der Parkuhren das ihrige dazu beitragen, neuen Parkraum zu schaffen.
Im übrigen ist es nach der Reichsgaragenordnung vom 17. Februar 1939 Aufgabe der Baugenehmigungsbehörden, dafür zu sorgen, daß bei Neu- und Umbauten diesem Gesetz entsprechend Garagen und Einstellräume von den Bauherren geschaffen werden. Diese Vorschriften sind auch in den Entwurf der Musterbauordnung übernommen worden.
Mit großer Sorge beobachten wir, daß in den geschlossenen Ortschaften ,die Straßen durch abgestellte Kraftfahrzeuge mehr und mehr verstopft werden. Letzten Endes ist der Straßenraum für den fließenden und nicht für den ruhenden Verkehr da. Bei einem raschen Anwachsen der Zahl der Fahrzeuge ist zu befürchten, daß ,die Straßen in den Ortschaften in absehbarer Zeit vom fließenden Verkehr nur noch unter großen Schwierigkeiten benutzt werden können. Wir haben uns deshalb mit dem Bundesministerium für Wohnungsbau und mit den kommunalen Spitzenverbänden in Verbindung gesetzt, um zur Entlastung der Straßen vom ruhenden Verkehr Richtlinien für die Schaffung von Parkraum zu entwerfen und mit den zuständigen obersten Landesbehörden zu erörtern.
Es bieten sich dabei folgende Lösungen an: erstens Schaffung von Parkraum und Parkhäusern durch die öffentliche Hand und Entscheidung über die Gebührenpflichtigkeit der Benutzung; zweitens Schaffung von Garagen und Einstellräumen durch die Hausbesitzer und Geschäftsleute: Ausbau der einschlägigen Bestimmungen der Garagenordnung. Welches dieser beiden Systeme den Vorrang verdient sowie ob und welche Kombinationen dieser Systeme zweckmäßig sind, ist in den Verhandlungen noch zu klären.
Sobald wir uns mit dem Bundesministerium für Wohnungsbau über das weitere Vorgehen geeinigt haben, wird versucht werden, mit Hilfe der interessierten Stellen einen Arbeitsausschuß zu bilden, der die Lösungsmöglichkeiten prüfen und Vorschläge für Richtlinien zu formulieren hat.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313000400
Nach dieser ausführlichen Antwort ist eine Zusatzfrage wohl nicht



Vizepräsident Dr. Dehler
mehr möglich, Herr Kollege Wittrock? Oder doch noch? — Bitte!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0313000500
Ohne im mindesten den gesamten Inhalt dieser sehr schnell vorgetragenen Antwort ausschöpfen zu können und ohne im mindesten einer alleinigen Aufgabenstellung der öffentlichen Hand auf diesem Gebiet das Wort reden zu wollen, frage ich: Herr Bundesminister, sind Sie der Auffassung, daß der Bund zumindest hinsichtlich der durch geschlossene Ortschaften hindurchführenden Bundesstraßen — um einer von Ihnen selber in der Drucksache 2148 als zwangsläufig anerkannten Entwicklung zu begegnen, nämlich der Verstopfung dieser Straßen durch den ruhenden Verkehr — eine besondere Aufgabe hat, die auch unter finanzieller Beteiligung des Bundes — wie gesagt: für den Bereich dieser Bundesstraßen - zu meistern ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313000600
Herr Kollege, ich habe ausgeführt, das Bundesfernstraßengesetz bestimmt ausdrücklich, daß der Bund für Parkplätze innerhalb der Gemeinden, also auch bei den Ortsdurchfahrten, nicht Baulastträger ist. Trotzdem bemühen wir uns, da ja die Durchführung dieser Bauarbeiten in den Gemeinden nicht ausschließlich vom Bund bestimmt wird, sondern die Gemeinden mitwirken, beim Ausbau von Ortsdurchfahrten und bei der Schaffung von Ortsdurchfahrten in Form von Tangenten oder von Kreisverkehren darauf hinzuwirken, daß entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden, aber dann nicht durch den Bund, sondern durch die Gemeinden. Wegen der gesetzlichen Bestimmungen sind wir, wie gesagt, nicht in der Lage, dazu finanzielle Beiträge zu leisten. Deshalb habe ich Ihre Frage einleitend ja verneint.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313000700
Eine weitere Zusatzfrage?

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0313000800
Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung, daß die Bundesregierung dann, wenn sie eine ganz bestimmte Entwicklung eben als zwangsläufig erkennt, notwendigerweise auch vor der Frage steht, ob eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen erforderlich ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313000900
Selbstverständlich wird die Bundesregierung dann gesetzliche Änderungen vorschlagen, falls diese Gesetzesänderungen nicht mit dem Grundgesetz im Widerspruch stehen, wie das hier wohl der Fall sein dürfte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313001000
Herr Abgeordneter Ritzel zu einer Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0313001100
Herr Bundesverkehrsminister, ist Ihnen das System bekannt, nach dem Geschäftsleute in vielen Staaten der Vereinigten Staaten von Nordamerika bei der Ausführung von Hochbauten verpflichtet werden, in nächster Nähe entsprechenden Parkraum auf ihre Kosten zu beschaffen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313001200
Das ist mir bekannt, Herr Kollege Ritzel; in Deutschland werden diese Probleme ja in der Reichsgaragenordnung entsprechend geregelt und in den neuen Bestimmungen, auf die ich in meiner Antwort hingewiesen habe.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313001300
Ich ziehe dann die Frage des Herrn Abgeordneten Mommer vor, die als eine der wichtigen Fragen nachträglich zugelassen wurde; Sie finden sie unter II in dem Nachtrag zu Drucksache 2157:
Wie vereinbart die Bundesregierung die am 26. Oktober 1960 beschlossenen Tariferhöhungen, die die Gefahr von Preissteigerungen in sich schließen, mit der vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gemachten Ankündigung wirksamer Maßnahmen zur Konjunkturdämpfung

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313001400
Ich darf in Beantwortung der Frage daran erinnern, daß die Sanierung der Deutschen Bundesbahn ein strukturelles Problem ist. Man sollte wohl derartige strukturell bedingte wirtschaftliche Probleme grundsätzlich nicht in Abhängigkeit von zeitbedingten konjunkturpolitischen Überlegungen betrachten.
Ich darf ferner daran erinnern, daß die Deutsche Bundesbahn ein Dienstleistungsbetrieb ist. In Betrieben dieser Art mit ihrem hohen Anteil an Personalkosten lassen sich Kostenänderungen bei den Löhnen und Gehältern durch Rationalisierung und durch organisatorische Maßnahmen nur bis zu einer gewissen Grenze und nach entsprechendem Zeitablauf abfangen. Der Deutschen Bundesbahn sind durch solche Kostenänderungen, .die im Jahre 1960 eingetreten sind, Mehrausgaben in Höhe von über 400 Millionen DM jährlich entstanden, die nicht durch sofort wirksame Einsparungen aufgefangen werden konnten.
Im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn und unter Zustimmung der dazu zu hörenden wirtschaftlichen Gremien hat daher der Vorstand der Deutschen Bundesbahn zwecks Ausgleich der Ausgaben und der Einnahmen, wie ihm dies im Bundesbahngesetz auferlegt ist, die Anhebung einer Anzahl von Tarifen beantragt. Er hat sich dabei unter Berücksichtigung der Wettbewerbslage, ferner um Abwanderungen zu vermeiden, und aus grundsätzlichen wirtschaftlichen Überlegungen entschlossen, bei der Bundesregierung die Anhebung von solchen Beförderungsentgelten zu beantragen, die nach dem dem Hohen Hause vorliegenden Bericht der vom Deutschen Bundestag für die Deutsche Bundesbahn eingesetzten Prüfungskommission weit unter den nachweisbaren Selbstkosten liegen.
Im Zuge der Verhandlungen hat sich die Bundesregierung nicht bereit gefunden, den Anträgen der Deutschen Bundesbahn in vollem Ausmaß stattzugeben, obwohl der Vorstand seinerseits nicht einmal beantragt hatte, die Entgelte etwa bis zur Deckung 'der entstehenden Selbstkosten anzuheben, wie dies in dem Prüfungsbericht vorgeschlagen ist. Die Bundesregierung hat den Antrag auf Anhebung der Schülertarife abgelehnt und die Zeitkartenpreise des Berufsverkehrs um 25 % und nicht, wie beantragt, um 46 % anzuheben gestattet. Zum teilweisen



Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
Ausgleich des bei diesen Verkehren bei der Deutschen Bundesbahn entstehenden Defizits hat sie ihrerseits aus Steuermitteln der Deutschen Bundesbahn zur Rationalisierung des Personenverkehrs einen jährlichen Zuschuß von 150 Millionen DM gewährt, so daß die Steuerzahler für diese Verkehre mehr als den doppelten Betrag zu übernehmen haben als die Verkehrsnutzer. Die Auswirkungen der nunmehr verbleibenden Tariferhöhungen, die jährlich Mehreinnahmen von rund 200 Millionen DM, also 50 % der Kostenerhöhungen, erbringen werden und deren Aufbringungsraum sehr weit gespannt ist, auf die Preise sind so geringfügig, daß ihnen auch nach Ansicht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft im Rahmen der gesamten Konjunkturpolitik keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313001500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0313001600
Herr Minister, warum haben Sie nicht angesichts der Tatsache, daß diese Tariferhöhungen die Bundesbahn doch nicht zu sanieren vermögen, zumindest gewartet, bis Sie dem Kabinett und dem Hause ein Gesamtprogramm zur Sanierung der Bundesbahn vorschlagen konnten?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313001700
Das Kabinett hat, wie Sie wissen, Herr Kollege Mommer, im Juni ein Sofortprogramm beschlossen. Es hat auf Grund dieses Sofortprogramms eine Reihe von Gesetzentwürfen ausgearbeitet, die bereits den Bundesrat passiert haben und in allernächster Zeit dem Hohen Hause zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Um die Ausführung dieses Sofortprogramms handelt es sich auch bei der Anhebung der Unterkostentarife, die jetzt erfolgt ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313001800
Herr Dr. Bleiß zu einer weiteren Zusatzfrage!

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0313001900
Herr Bundesverkehrsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die drastische Erhöhung der Tarife im Berufsverkehr — immerhin eine Erhöhung um 25 % — zu einer neuerlichen verstärkten Abwanderung von der Schiene auf die Straße führen wird?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313002000
Herr Kollege Bleiß, ich bin nicht dieser Meinung. Sie wissen, daß von den 20 Millionen Beschäftigten nur eine Million, also 5 %, die Eisenbahn zur Fahrt nach ihren Arbeitsplätzen benutzen und daß die Ermäßigungen auch nach der Anhebung noch zwischen 40 und 80 % liegen. Daß diese Fahrpreise immer noch niedriger sind als die Fahrpreise vergleichbarer anderer Verkehrsmittel, ist eindeutig.
Auf der anderen Seite übernehmen nach unseren Feststellungen ungefähr 65 % der Betriebe die Fahrtkosten der Pendler, so daß die Arbeitnehmer in diesen Betrieben von den Erhöhungen nicht betroffen werden. Ich darf mich dazu auf eine Äußerung des Herrn Vorsitzenden des DGB-Ortsausschusses Bremen, Richard Boljahn, beziehen, der gestern der Presse erklärt hat, daß die Firmen, die Pendler beschäftigen, durchaus die Möglichkeit nutzen würden, sich durch einen finanziellen Ausgleich die Arbeitskräfte zu erhalten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313002100
Herr Abgeordneter Bleiß zu einer Zusatzfrage!

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0313002200
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die durch die Übernahme der erhöhten Fahrpreise bei den Produzenten entstehenden Mehrkosten auf den Verbraucher abgewälzt werden und dadurch Preissteigerungen eintreten können? Sie sehen, daß hier eine Reihe von Faktoren zusammenwirken.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313002300
Selbstverständlich kann man diese Auffassung vertreten, Herr Kollege Bleiß. Wenn man aber berücksichtigt, daß die Mehrkosten bei einer Fahrt in der Entfernung von 6 km etwa 15 Pf, von 15 km etwa 20 Pf und von 30 km etwa 30 Pf pro Tag und Arbeiter betragen, kann man sich nicht vorstellen, daß ein Betrieb, der diese Mehrkosten für seine Arbeiter übernimmt, dadurch einen Kostenzuwachs hat, der sich auf die Preise seiner Produkte tatsächlich auszuwirken vermag.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313002400
Eine weitere Zusatzfrage!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0313002500
Herr Minister, bedeutet die nach Verkehrsträgern gestaffelte Erhöhung der Stückguttarife — Bundesbahn 11 %, Straßenverkehr 5 % und Bundespost 0 %—, daß die Bundesbahn ihren Stückgutverkehr an die anderen Verkehrsträger abzugeben wünscht?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313002600
Das bedeutet es nicht. Die Bundespost hat gar keinen Stückgutverkehr, sondern nur die Bundesbahn und der Straßenverkehr. Bei beiden sind entsprechende Anhebungen vorgenommen worden. In den Wettbewerbsverhältnissen bezüglich des Stückgutverkehrs werden also keine Verschiebungen eintreten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313002700
Eine weitere Frage!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0313002800
Herr Minister, sind Sie also der Meinung, daß die verladende Wirtschaft trotz der Erhöhung der Stückguttarife der Bundesbahn die Treue halten wird?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313002900
Bei dem Stückgutverkehr glaube ich das ganz bestimmt. Eine andere Frage ist es bei dem Expreßgutverkehr. Hier steht die Post mit ihren Pakettarifen natürlich in Konkurrenz mit dem Expreßgut der Bahn. Die Güter, die in erster Linie als Expreßgüter in Frage kommen — leicht verderbliche Güter, Blumen usw. —, sind aber so hochwertig, daß die Tariferhöhungen für ihren Endpreis keine Rolle spielen.


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313003000
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wittrock.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0313003100
Herr Bundesminister, haben Sie Verständnis für die Feststellung, daß die Tariferhöhung vier Wochen später vom Kabinett beschlossen worden wäre, wenn die Kommunalwahlen nicht am letzten Sonntag, sondern ebenfalls vier Wochen später stattgefunden hätten?

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0313003200
Der Widerhall auf Ihre Frage, Herr Kollege Wittrock, zeigt Ihnen, daß man erkannt hat, wie sie gemeint war. Sie werden verstehen, daß ich auf diese Frage keine Antwort erteile.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313003300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer auf, die in dem Nachtrag vorgelegt worden ist; sie betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung.
Wie war es möglich, daß vermutlich deutsche Düsenjäger sich auf wenige Meter der britischen Verkehrsmaschine nähern konnten, in der die britische Königin von Kopenhagen nach London reiste?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Verteidigung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313003400
Der Vorfall wurde dem Bundesministerium für Verteidigung am 25. Oktober 1960 um 16.15 Uhr bekannt. Es wurde unverzüglich mit der Botschaft des Vereinigten Königreichs Fühlung aufgenommen, um den Sachverhalt zu erfahren. Gleichzeitig wurde befohlen, daß die deutschen militärischen Dienststellen die vorläufige Untersuchung einleiten. Mit den englischen Dienststellen wurde vereinbart, daß die endgültige Untersuchung durch eine gemeinsame Kommission durchgeführt wird. Die deutschen Voruntersuchungen wurden am Nachmittag und in der Nacht durchgeführt. Am 26. Oktober 1960 morgens wurden die mit der Untersuchung beauftragten deutschen Offiziere mit dem vorläufigen Untersuchungsergebnis nach England entsandt, um an der Sitzung der gemeinsamen Kommission teilzunehmen. Die gemeinsame Kommission hat die Ermittlungen zunächst in England durchgeführt und befindet sich zur Zeit zu weiteren Ermittlungen in der Bundesrepublik. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Das Ergebnis der Ermittlungen ist dem Bundesministerium für Verteidigung bisher nicht bekannt. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich Vermutungen über den Hergang des Vorfalles und ebenso ein eigenes Urteil über die Gründe des Vorfalles zur Zeit nicht äußern kann. Der Grund für mein Verhalten liegt darin, daß die Kommission das Ergebnis ihrer Ermittlungen bisher nicht mitgeteilt hat.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313003500
Herr Abgeordneter Mommer zu einer Zusatzfrage.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0313003600
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung dem Haus den Bericht zuleiten, wenn er vorliegt, und wird die Bundesregierung bereit sein, in den zuständigen Ausschüssen Vorschläge zur Diskussion zu stellen, die eine Wiederkehr derartiger Vorfälle unmöglich machen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313003700
Soweit der Bundesminister für Verteidigung zuständig ist, darf ich auf Ihre Frage eine Zusage geben. Im übrigen dürfte aber weithin der Bundesminister für Verkehr zuständig sein, da die Federführung für die Luftsicherung im Raum der Bundesrepublik beim Bundesminister für Verkehr liegt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313003800
Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0313003900
Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß der Vorfall sich vor allem deswegen ereignen konnte, weil es keine Zusammenarbeit zwischen den militärischen und den zivilen Stellen gibt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313004000
Sosehr gern ich im Augenblick diese Anfrage absolut verneinen möchte, möchte ich mich des Neins enthalten, um nicht den Eindruck zu erwecken, in die Ermittlungen der Kommission einzugreifen und sie womöglich zu beeinflussen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313004100
Eine weitere Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Schmidt (Wuppertal).

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0313004200
Herr Staatssekretär, ist die Nachricht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung richtig, daß im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die Piloten des gesamten Bereichs eidlich Angaben über ihre Flugbedingungen, Flugrichtungen usw. machen mußten? Eidliche Angaben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313004300
Eidliche Angaben vor deutschen militärischen Stellen sind rechtlich nicht zulässig und sind auch nicht verlangt worden.

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0313004400
Danke.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313004500
Eine weitere Zusatzfrage.

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0313004600
Herr Staatssekretär, ist das Bundesministerium für Verteidigung bereit, bei den Kommandostellen der NATO die sofortige Überprüfung und Neuregelung des internationalen Flugsicherungssystems im Sinne einer ausreichenden Koordination zwischen militärischem und zivilem Flugbetrieb zu beantragen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313004700
Diese Frage befindet sich in der Prüfung. Falls es nötig sein wird, einen Antrag zu stel-



Staatssekretär Hopf
len, wird dies geschehen. Nach dem augenblicklichen Stande der Untersuchungen kann man noch nicht sagen, daß ein solcher Antrag erforderlich ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313004800
Eine weitere Frage.

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0313004900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Meldung der „Süddeutschen Zeitung" bekannt, daß allein im vergangenen Jahr 246 Beinahe-Zusammenstöße registriert wurden und daß es in den meisten Fällen Militärflugzeuge der NATO waren, die durch regelwidriges Verhalten diese Gefahren heraufbeschworen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313005000
Diese Behauptung der „Süddeutschen Zeitung" ist mir als Behauptung bekannt. Eine weitere Antwort darauf kann ich nicht geben, da dafür der Herr Bundesminister für Verkehr zuständig ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313005100
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau auf, zunächst Frage IV/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht —:
Warum wird in den Reden des Herrn Wohnungsbauministers und in zahlreichen Mitteilungen des Wohnungsbauministeriums en Presse und Rundfunk immer von einem Wohnungsdefizit oder einem Fehlbestand an Wohnungen von 1,2 bis 1,3 Millionen gesprochen, obwohl die neueste und letzte statistische Defizitrechnung des Statistischen Bundesamtes ausweist, daß das Wohnungsdefizit in der Bundesrepublik — ohne das Saarland und Berlin — 1 525 325 Wohnungen beträgt und der tatsächliche Wohnungsbedarf aus verschiedenen Gründen erheblich darüber hinausgeht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313005200
Meine Damen und Herren, ich darf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Brecht wie folgt beantworten.
Das Wohnungsdefizit oder der Wohnungsfehlbestand von 1 250 000 Wohnungen Ende 1959 gründet sich auf Untersuchungen und Berechnungen, die das Bundesministerium für Wohnungsbau bereits seit 10 Jahren durchführt und deren Methoden auch wissenschaftliche Anerkennung gefunden haben; z. B. bedient sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin der gleichen Methode.
Nach dieser Methode — und das wissen Sie, Herr Dr. Brecht — ergibt sich das rechnungsmäßige Wohnungsdefizit aus der Gegenüberstellung aller von der amtlichen Statistik ausgewiesenen Normalwohnungen einerseits und der Wohnparteien andererseits. Dabei sind bei den Wohnparteien die Einpersonenhaushalte, zu denen in der Statistik auch die Studenten, möbliert wohnende Lehrlinge usw. zählen, mit 50 v. H. angesetzt. Die mit 'dieser Methode gewonnenen statistischen Ergebnisse sind das alleinige Barometer, an dem die Entwicklungstendenzen im Wohnungsbau und in der Wohnungsversorgung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf vergleichbarer Basis abgelesen werden können.
Die von Ihnen, Herr Kollege Dr. Brecht, genannte Zahl von 1 525 000 Wohnungen, zu der die neue Berechnung des Statistischen Bundesamtes für Ende 1959 kommt, erklärt sich ausschließlich aus den neuen Bestimmungen, die im Abbaugesetz im Hinblick auf die schrittweise Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung getroffen worden sind. In diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber — Sie haben I hier mitgewirkt — aus politischen und sozialen Gründen von den bisherigen Berechnungsmethoden deshalb etwas abweichen, um beim Abbau der Wohnraumbewirtschaftung die Termine noch mehr hinauszuschieben, als der Wohnungsbauminister vorgeschlagen hat. So ist der Wohnungsbedarf der Einpersonenhaushalte in den Großstädten nicht mehr mit 50, sondern mit 60 % angesetzt, in Berlin sogar mit 75 Prozent berücksichtigt worden. Diese Abweichungen führen dazu, daß sich rechnerisch ein höheres Defizit ergibt und die Erreichung der Defizitgrenze von 3 Prozent hinausgeschoben wird. Diese rechnerischen Ergebnisse entsprechen aber nicht der wirklichen Situation.
Die amtliche Interviewerhebung vorn Jahre 1957, die sehr viel Geld gekostet hat, hat ergeben, daß auch in Großstädten der echte Wohnungsbedarf für Einpersonenhaushalte zum Beispiel nur mit 50 Prozent zu beziffern ist. Deshalb ist die von mir genannte Zahl des Wohnungsfehlbestandes von 1,2 bis 1,3 Millionen richtig.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313005300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brecht!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313005400
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß es jetzt, nachdem in dem Abbaugesetz diese neue Terminologie über das Wohnungsdefizit enthalten ist und das Statistische Bundesamt ein Defizit von 1,5 Millionen Wohnungen errechnet hat, gut und richtig wäre, künftig bei Angaben über das Defizit — nicht über den Bedarf, sondern über das Defizit — einheitlich von diesen statistischen Zahlen des Statistischen Bundesamtes auszugehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313005500
Herr Dr. Brecht, soweit es den Abbau der Wohnraumbewirtschaftung, also die Beseitigung der Wohnungsämter, betrifft, macht das Haus und mache auch ich von diesen Zahlen Gebrauch. Soweit es das Wohnungsdefizit angeht, bleiben wir bei den Berechnungen, die seit zehn Jahren durchgeführt werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313005600
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Brecht!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313005700
Indem ich annehme, Sie meinten bei Ihrer letzten Antwort, daß Sie nicht bei der Frage nach dem Wohnungsdefizit, sondern bei der Frage nach dem Wohnungsbedarf von Ihren Berechnungen ausgehen, möchte ich fragen: Glauben Sie nicht nach genaueren Untersuchungen, daß es sehr wohl möglich ist, daß der Wohnungsbedarf größer ist als das statistisch errechnete Defizit, beispielsweise unter Berücksichtigung des Wohnungsbedarfs der Pendler, beispielsweise unter Berücksichtigung der sogenannten Zweitwohnungen, wobei ich annehme, daß Ihnen die Lage im Landkreis Usingen — typisches Beispiel — durchaus bekannt ist?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313005800
Ich bin nicht der Meinung. Dieser zusätzliche Wohnungsbedarf, Herr Dr. Brecht, ist natürlich vom Standpunkt einer ständigen Anhebung unseres Lebensstandards durchaus zu begrüßen. Ich denke an die vielen Familien, die heute bereits eine angemessene Wohnung haben und ein Eigenheim anstreben. Es kann nicht Aufgabe der staatlichen Wohnungsbaupolitik sein, den aus solchen Wünschen resultierenden Wohnungsbedarf mit den bisherigen Methoden zu decken. Die Aufgabe unserer Wohnungsbaupolitik muß sein, das nach bestem Wissen und Gewissen ermittelte rechnerische Defizit so bald als möglich zu beseitigen. Dann können wir zu der sehr wichtigen Aufgabe kommen, den Wohnungsbedarf zu decken.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313005900
Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Wolfgang Bartels (CDU):
Rede ID: ID0313006000
Herr Bundesminister, läuft eine Anwendung des Maßstabes für die Defizitberechnung nach dem Abbaugesetz nicht etwa auf eine zu hohe Veranschlagung des Wohnungsfehlbedarfs hinaus? In meiner Heimatstadt Bochum zum Beispiel hat sich bei einer Umfrage, die vor wenigen Monaten durchgeführt worden ist, herausgestellt, daß von 21 400 gemeldeten Wohnungssuchenden nur noch 7200 Haushalte als echte Wohnungsnachfrager anzusehen sind, Diese Zahl liegt erheblich unter dem vom Statistischen Bundesamt errechneten Defizit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313006100
Herr Abgeordneter Dr. Bartels, diese Zahl von Bochum ist mir bekanntgeworden. Die Stadtverwaltung hat an die 21 400 wohnungsuchenden Familien geschrieben und gefragt, ob man noch auf eine Wohnung Wert lege. Es haben sich 7200 Familien gemeldet. Ihre Frage beantworte ich mit Ja. Ich bin überzeugt, daß die Zahlen, die die Wohnungsämter fortschreiben, haushoch überzogen sind. Bei meiner Antwort an Herrn Dr. Brecht gehe ich davon aus, daß das auf Grund statistischer Erhebungen ermittelte rechnungsmäßige Defizit mit 1,25 Millionen bei Jahresbeginn richtig ist. Die eigentliche Antwort, Herr Kollege Bartels, lautet doch wohl so, daß sich nunmehr der Abbau der Wohnungszwangswirtschaft vollzieht, die Wohnungsämter schrittweise aufgehoben werden, und wir weiter bauen müssen, und zwar so lange, bis die letzte wohnungsuchende Familie eine Wohnung hat. In zwei und drei Wohnungen kann man zur gleichen Zeit ja schlecht wohnen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313006200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt (Wuppertal) !

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0313006300
Herr Minister, ist nicht die Errechnung des Wohnungsbedarfs auch entscheidend von der Bereitschaft des Wohnungsuchenden, eine angemessene Miete zu zahlen, abhängig, so daß nicht nur sein Wunsch bei der Errechnung des Wohnungsbedarfs berücksichtigt wird, sondern auch seine objektive Bereitschaft, eine angemessene Miete zu zahlen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313006400
Ich bin' Ihrer Meinung, Herr Kollege Dr. Schmidt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313006500
Keine weitere Zusatzfrage.
Es folgt die Frage IV/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht —:
Warum ist die Rechtsverordnung der Bundesregierung über die Miet- und Lastenbeihilfen immer noch nicht verkündet, obwohl inzwischen nach den Parlamentsferien am 23. September und am 21. Oktober d. J. zwei Plenarsitzungen des Bundesrates stattgefunden haben und in offiziellen Presseerklärungen des Wohnungsbauministeriums vor dem 21. Oktober 1960 mitgeteilt wurde, daß die Rechtsverordnung in Übereinstimmung mit den Ländern bereits fertiggestellt sei?
Herr Minister!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313006600
Ich darf die zweite Frage des Herrn Kollegen Dr. Brecht wie folgt beantworten: Die Rechtsverordnung der Bundesregierung über die Gewährung von Miet
und Lastenbeihilfen ist, wie der Presse schon mitgeteilt worden ist, am 12. Oktober 1960 mit den beteiligten Ressorts abschließend beraten worden. Ich hatte ursprünglich vor, den Verordnungsentwurf unmittelbar dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung zuzuleiten. Auf ausdrücklichen Wunsch der Länder habe ich jedoch hiervon abgesehen und ihnen Gelegenheit gegeben, sich vorher noch mit dem Entwurf zu befassen. Das ist geschehen. Die Länder haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Sie sind geprüft und weitgehend berücksichtigt worden. Soeben ist der Verordnungsentwurf dem Kabinett zugeleitet worden. Nach dieser Verhandlungsmethode kann als sicher angenommen werden, daß der Bundesrat seine Zustimmung geben wird. Die Verordnung kann frühestens nach dieser Zustimmung in Kraft treten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313006700
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Dr. Brecht.

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313006800
Herr Minister, bis wann, glauben Sie, wird die Prozedur zu Ende sein, und wann kann die Verordnung endgültig herausgegeben werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313006900
Ich sagte, ich hoffe, daß die Verordnung am Mittwoch ,der nächsten Woche im Kabinett verabschiedet wird und daß der Bundesrat sie bei seinem nächsten Zusammenkommen verabschieden kann, nachdem die Länder sich weitgehend einig sind.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313007000
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313007100
Halten Sie es, Herr Minister, für sehr geschickt, daß in der Pressenotiz, die über die Vereinbarungen vom 12. Oktober herausgegeben wurde und die inzwischen auch im Bulletin erschienen ist, die Sache so dargestellt wird, als ob die Länder bisher sehr unvollkommene und ungenügende Regelungen getroffen hätten und daß jetzt erst der Bund kommen müsse, um diese sogenannten wesentlichen Verbesserungen zu bringen, und



Dr. Brecht
zwar so, daß man den Ländern zuschieben möchte, sie hätten bisher schlecht gehandelt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313007200
Davon kann keine Rede sein. Das ist in der Pressenotiz auch nicht zum Ausdruck gekommen. Der Wohnungsbauminister war nur gezwungen, auf Angriffe — an denen Sie nicht ganz unbeteiligt sind — zu antworten und unsere Leute zu beruhigen, daß die Rechtsverordnung bald kommt.

(Beifall in der Mitte.)

Es waren Wahlen, Herr Dr. Brecht, und ich habe nur unsere Mieter beruhigt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313007300
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bartels!

Dr. Wolfgang Bartels (CDU):
Rede ID: ID0313007400
Herr Minister, ist nun dadurch, daß ,die Verordnung über die Berechnung der Lastenbeihilfen immer noch nicht da ist, für die Beteiligten irgendein Schaden entstanden, oder werden Übergangsbeihilfen gezahlt, die den berechtigten Interessen voll und ganz Rechnung tragen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313007500
In den Ländern werden diese Übergangshilfen dankenswerterweise gezahlt. Es war mein Grundsatz, daß durch das Abbaugesetz keine Familie unter die Räder kommt. Ich halte an dem Grundsatz fest.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313007600
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0313007700
Herr Minister, anerkennen Sie mit Ihrer heutigen Antwort, daß es ungerechtfertigt war, in der Plenarsitzung vom 28. September 1960 bei der Behandlung des gleichen Gegenstandes in der Fragestunde den Eindruck zu erwecken, die Verzögerung des Inkrafttretens dieser Verordnung beruhe ausschließlich darauf, daß der Bundesrat — ich zitiere — seine letzte Sitzung am 15. Juli gehabt habe und danach in die Sommerferien gegangen sei, und daß es deshalb nicht möglich gewesen sei, eine Beschlußfassung des Bundesrats herbeizuführen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313007800
Dieser Eindruck ist damals offenbar nur bei Ihnen entstanden. Es ist auch nicht versucht worden, diesen Eindruck zu erwecken.

(Abg. Metzger: Es steht doch da!)

Den Bundesrat trifft keine Verantwortung; in keiner Antwort werden Sie das lesen können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313007900
Herr Abgeordneter Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0313008000
Herr Bundesminister, gestatten Sie, daß ich vorlese, was Sie nach dem Protokoll bei der Beantwortung einer inhaltlich gleichen Frage des Abgeordneten Dr. Brecht gesagt haben:
Das Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft ist am 1. Juli in Kraft getreten. Die in diesem Gesetz vorgesehene Verordnung über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen kann nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen erst nach Inkrafttreten des Gesetzes erlassen werden. Sie bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Der Bundesrat hat seine letzte Sitzung vor den Parlamentsferien am 15. Juli gehabt; danach ging auch der Bundesrat in die Sommerferien. So war es nicht möglich, noch vor den Ferien die Beschlußfassung des Bundesrates herbeizuführen und die Verordnung zum Abschluß zu bringen.
Anerkennen Sie die Richtigkeit des Protokolls?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313008100
Herr Abgeordneter Wittrock, Sie wissen, daß sich das auf die Frage bezieht, die Sie stellten, ob es möglich sei, die Verordnung bereits im Juli zu verabschieden. Aber ich darf Ihnen jetzt mit Text antworten, weil es offenbar schwer ist, diese Fragestunde ganz frei zu gestalten. Ich darf Ihnen sagen, daß der Verordnungsentwurf schon im Juli vom Ministerium fertiggestellt worden ist. Er mußte aber den beteiligten Bundesressorts vorgelegt und mit ihnen abgestimmt werden. Also bereits im Juli war meine Verordnung fertig; aber sie mußte abgestimmt werden. Ich habe damals gesagt, daß der Bundesrat seinerseits auch in Ferien gegangen sei, so daß auch bei Abstimmung der Vorlage es nicht möglich gewesen wäre, die Verordnung im Juli zu verabschieden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313008200
Ihre Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen, ist erschöpft, Herr Dr. Brecht.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte, Herr Abgeordneter Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0313008300
Herr Bundeswohnungsbauminister, darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, wie die Frage des Abgeordneten Dr. Brecht, die am 28. September 1960 erörtert wurde, lautete:
Wer ist dafür verantwortlich, daß die in dem Gesetz über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen vorgesehene Rechtsverordnung des Bundes, die wesentliche Bestimmungen über die Berechnung der Mietbeihilfen treffen soll, bis heute — vier Monate nach Beschlußfassung über das Gesetz im Bundestag — noch nicht verkündet ist?
Wer ist nach Ihrer heutigen Auffassung, Herr Bundeswohnungsbauminister, für diese Tatsache verantwortlich?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313008400
Ich habe meiner Antwort an Herrn Abgeordneten Wittrock nichts hinzuzufügen.

(Abg. Metzger: Das ist aber sehr faul!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313008500
Weitere Zusatzfragen? — Bitte, Herr Kollege Czaja!




Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0313008600
Herr Minister, sind Sie bei diesem ganzen Fragenspiel nicht auch der Auffassung, daß es entscheidend ist, ob diejenigen, die Anträge auf Miet- und Lastenbeihilfen gestellt haben, irgendwie betroffen worden sind, und können Sie eindeutig erklären, daß die Antragsteller nicht benachteiligt worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313008700
Ich kann das eindeutig mit Ja beantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313008800
Weitere Zusatzfragen? — Bitte, Herr Kollege Franke!

Egon Franke (SPD):
Rede ID: ID0313008900
Herr Minister, sind Sie bereit, wenn Sie diese Verordnung erlassen haben, die Mieter genauso aufzuklären, wie Sie zuvor den Hausbesitz aufgeklärt haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313009000
Verehrter Herr Kollege, ich habe neulich gesagt, ich muß sehr darum bitten, daß die Sozialdemokratische Partei, der ihr nahestehende Mieterbund und der Deutsche Gewerkschaftsbund sich ebenso wie der Bundesminister für Wohnungsbau darum bemühen, daß Mieter und Vermieter über dieses wichtige Gesetz ausreichend aufgeklärt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313009100
Ich rufe die Frage IV/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht — auf:
Stimmt die Bundesregierung dem im Septemberheft des Bundesbaublattes bekanntgegebenen Grundsatz zu, daß die Stadt
und Landkreise, in denen die behördliche Wohnraumbewirtschaftung zuni 1. Oktober 1960 ganz aufgehoben worden ist, nicht von dem weiteren Zufluß der Wohnungsbaumittel — gemeint sind wohl die öffentlichen Wohnungsbaumittel — ausgeschlossen sind, da auch in den Kreisen, in denen die Defizitgrenze unterschritten ist, durchaus ein Wohnungsbedarf bestehen kann, der in der statistischen Berechnung nicht zurr Ausdruck kommt und auch nicht kommen kann, und hält sie entgegenstehende Auffassungen, die teilweise in den Ländern vertreten werden, für falsch?
Bitte, Herr Minister!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313009200
Ich darf die beiden Fragen des Abgeordneten Dr. Brecht eindeutig mit Ja beantworten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313009300
Eine Zusatzfrage? — Bitte!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313009400
Nachdem Sie die Frage bejaht haben, wofür ich durchaus Verständnis habe, ergibt sich die weitere Frage, Herr Minister, ob es bei der Verteilung der restlichen geringen Mittel für die Wohnungsbauförderung künftig nicht doch mehr als bisher notwendig sein wird, die Mittel vor allem in die Kreise und in die Bezirke zu geben, in denen immer noch ein großer Wohnungsbedarf besteht, weniger in die Kreise, in denen auch nach Ihrer Meinung eine Wohnungsnot nicht mehr besteht.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313009500
Die Richtlinien für den Einsatz der Bundesmittel für
den sozialen Wohnungsbau 1960 enthalten als Auflage für den Einsatz der Bundesmittel durch die Länder die Bestimmung, daß im Rahmen der städtebaulichen Neuordnung zur Entlastung der Ballungszentren und Vermeidung weiterer unerwünschter Zusammenballungen an wirtschaftlichen Schwerpunkten der Wohnungsbedarf durch Bau von Wohnungen auch am Rande oder außerhalb dieser Schwerpunkte gedeckt werden soll. Dies ermöglicht einen Einsatz der öffentlichen Mittel auch in weißen Kreisen und macht mit der Entwicklung Schluß, daß unsere Gemeinden mit der Bauerei oft an den Gemeindegrenzen haltmachen. Wir müssen über die Gemeindegrenzen hinausbauen.
Schließlich hat die öffentliche Wohnungsbauförderung, Herr Dr. Brecht, nach der Zielsetzung des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes außer der Deckung des noch vorhandenen Wohnungsbedarfs gleichzeitig die Aufgabe — es ist Ihnen bekannt; ich darf es aber wiederholen, denn Sie haben die Frage gestellt —, durch Bau neuer Wohnungen, namentlich durch den Bau von Familienheimen, breite Schichten des Volkes mit Eigentum an Haus und Boden zu versehen. Das ist eine sehr wichtige Frage, die ich sehr ernst nehme und bei deren Lösung ich Sie dringend um Unterstützung bitte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313009600
Herr Dr. Brecht zu einer weiteren Zusatzfrage!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0313009700
Da Ihre jetzige Antwort nur eine Bekräftigung der ersten Darlegung, also Ihres Ja war — was ich gar nicht bestritten habe —, ergibt sich für mich die zweite Frage, die ich nun nochmals wiederholen möchte, nämlich ob nicht neben der Berücksichtigung der Kreise, in denen keine Wohnungsnot mehr besteht, entsprechend dem Bedarf künftig tatsächlich ein Mehr an öffentlichen Mitteln in die Bezirke gegeben werden muß — das brauchen nicht nur Städte zu sein —, wo der Bedarf noch viel größer ist und noch eine echte Wohnungsnot vorhanden ist, was ja in den weißen Kreisen nach Ihrer Meinung nicht mehr der Fall ist,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313009800
Den letzten Halbsatz muß ich mit Nachdruck zurückweisen. Ich habe das vorhin bei der ersten Frage beantwortet. Zur ersten Unterfrage darf ich sagen: Sie, Herr Dr. Brecht, wissen als Fachmann doch ganz genau, daß die Durchführung des Wohnungsbaus in den Einzelheiten Sache der Länder ist, die im Rahmen der vorhin genannten Richtlinien diese Aufgaben durchführen; sie werden es sicherlich so tun, daß den Grundsätzen des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes entsprochen wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313009900
Herr Dr. Czaja zu einer Zusatzfrage!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0313010000
Herr Minister, ist bekannt, in welchen Ländern diese falsche Auffassung vorhanden ist, die Herr Kollege Dr. Brecht hier global wiedergegeben hat und von der er bei seiner Frage ausgeht?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0313010100
Ich nehme an, daß ich das gelegentlich von Herrn Dr. Brecht bestätigt bekomme. Mir sind solche Länder nicht bekannt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313010200
Ich habe den Eindruck, wir haben heute das Ideal unserer Vorstellung von der Fragestunde: kurze Fragen und kurze Antworten, nicht erfüllt. Wir müssen uns die rechte Form noch einmal überlegen.
Ich möchte feststellen, daß die Frage des Herrn Abgeordneten Kalbitzer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft zurückgestellt ist.
Wir wollen nach einer getroffenen Vereinbarung so verfahren, daß ich zunächst die Große Anfrage zum Kindergeld aufrufe, aber auf jeden Fall um 11 Uhr die dritte Beratung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß durchgeführt wird. Sind wir mit der Kindergeld-Debatte vorher fertig, dann schon früher.
Ich rufe also den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kindergeld (Drucksache 2100).
Zur Begründung der Anfrage hat Frau Abgeordnete Döhring das Wort.

Clara Döhring (SPD):
Rede ID: ID0313010300
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit großem Interesse haben meine politischen Freunde und ich feststellen können, daß unsere Große Anfrage sofort nach ihrer Einbringung ein bemerkenswertes Ergebnis gehabt hat. Der Herr Bundeskanzler hat sich nämlich wenige Tage, nachdem diese Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion vorlag, dazu entschlossen, öffentlich erklären zu lassen, daß Kindergeld für alle Zweiten Kinder gewährt werden solle. Wir hoffen sehr, daß wir nun heute von der Regierung eine klare Auskunft darüber erhalten, w i e die Gewährung von Kindergeld für die Zweiten Kinder verwirklicht werden soll.
Es kann nicht bestritten werden, daß die verfehlte Kindergeldregelung, die von der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen aller anderen Parteien in diesem Hause im Jahre 1954 durchgesetzt wurde, zu außerordentlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufbringung der Mittel geführt hat. Inzwischen sind nicht weniger als fünf verschiedene Kindergeldgesetze verabschiedet worden. Dadurch ist wohl die Gesetzgebung immer komplizierter und unübersichtlicher geworden, jedoch an der Fehlkonstruktion dieser Kindergeldgesetzgebung, nämlich an der besonderen Belastung lohnintensiver Klein- und Mittelbetriebe sowie der freiberuflich Tätigen hat sich nichts geändert.
Die Auswirkungen des verfehlten Aufbringungssystems beim Kindergeld haben sich sehr bald gezeigt. Schon im Jahre 1956 hat deshalb der damalige Bundesarbeitsminister Anton Storch auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion diesem Hohen Hause dann zugesagt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz zitieren —, unverzüglich
die Kindergeldgesetze neu zu fassen und dabei Härten und Unbilligkeiten der derzeitigen Regelung zu beseitigen.
Dies ist jedoch, wie Sie wissen, bis zum heutigen Tage nicht geschehen.
An den berechtigten Vorhaltungen der Opposition und den Protesten der in Mitleidenschaft gezogenen Selbständigen konnte dann auch die Regierungspartei nicht länger vorübergehen. Auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion selbst faßte der Bundestag am 26. Februar des vorigen Jahres einen Beschluß, der die Bundesregierung verpflichtete, erstens einen Untersuchungsbericht über die besonderen Belastungen der lohnintensiven Betriebe durch das Kindergeldaufbringungssystem und zweitens einen Gesetzentwurf über die gesetzliche Neuregelung vorzulegen. Der Gesetzentwurf sollte dem Bundestag s o rechtzeitig zugeleitet werden, daß er Anfang dieses Jahres hätte in Kraft treten können. Die Regierung hat sich jedoch über diesen Bundestagsbeschluß hinweggesetzt.
In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion versicherte Bundesarbeitsminister Blank am 3. Februar dieses Jahres, daß noch in der ersten Hälfte dieses Jahres der überfällige Untersuchungsbericht vorgelegt und eine Beschlußfassung der Bundesregierung über die Neuregelung des Kindergeldrechts erfolgen würde. Auch an diese Zusage hat sich die Bundesregierung nicht gehalten. Es ist mir unerklärlich, meine Herren und Damen von der Regierungspartei, wie diese Brüskierung des Parlaments mit der angeblich familien- und mittelstandsfreundlichen Politik, auf die sich die Regierungsparteien bei jeder sich bietenden Gelegenheit beziehen, zu vereinbaren ist.

(Beifall bei der SPD.)

Wahrscheinlich dürfte Ihnen, meine Herren und Damen von der Regierungspartei, dieser Widerspruch selbst aufgegangen sein. Denn wie anders wäre die eigenartige Situation zu erklären, daß auf Antrag von Abgeordneten der Regierungsparteien der Bundestag am 5. Mai dieses Jahres sein Bedauern über die Versäumnisse der Bundesregierung aussprechen mußte!? Jedoch auch dieser Appell hat nichts genützt.
Darum richte ich nun hier namens der SPD-Fraktion an die Bundesregierung zuerst die Frage: warum hat sich die Bundesregierung bisher weder an die Beschlüsse des Bundestages noch an ihre eigenen Zusagen in der Frage der Neugestaltung der Kindergeldgesetzgebung gehalten? Welche Gründe kann die Bundesregierung für diese beispiellosen Versäumnisse anführen?
Zur zweiten Frage ist zunächst festzustellen, daß das gegenwärtige Aufbringungsverfahren völlig verfehlt ist. Inzwischen haben auch viele Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion diese Mißstände zugeben müssen. Obwohl die Aufbringung des Kindergeldes, wie jeder weiß, eine Aufgabe der Allgemeinheit ist, müssen nach der jetzigen Regelung der Arbeitgeber und der selbständig Schaffende hierfür aufkommen. Während z. B. ein hochbezahlter, in der



Frau Döhring (Stuttgart)

Industrie oder Wirtschaft Beschäftigter nichts aufzubringen braucht, müssen die freiberuflich tätigen Kreise, von denen zweifelsohne ein großer Teil viel niedrigere Einkommen hat, kräftig in die Tasche greifen. Das ist genauso ungerecht wie die unzumutbare Belastung der lohnintensiven Klein- und Mittelbetriebe.
Man komme uns nicht mit dem Argument, es sei ja alles in Ordnung, weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Aufbringungsmethode als noch gerade mit dem Grundgesetz vereinbar bezeichnet habe. Politisch gesehen ist diese höchstrichterliche Entscheidung doch wahrlich kein Kompliment für den Gesetzgeber, d. h. in diesem Falle für die CDU/CSU-Fraktion, die ja seinerzeit das Kindergeldgesetz, das als das schlechteste von Europa gilt, ganz allein beschlossen hat.
Nach wie vor ist insbesondere die gesamte Organisation mit besonderen Schwierigkeiten belastet. Wir wollen deshalb endlich von der Bundesregierung wissen, wann und w i e sie die Entlastung der Klein- und Mittelbetriebe und der freiberuflich Tätigen vornehmen will. Wir möchten endlich wissen, welche Vorschläge die Bundesregierung zur Änderung der verfehlten Aufbringungsmethode zu machen hat.
Zu unserer dritten Frage habe ich namens meiner Fraktion folgendes zu bemerken. Eine der verhängnisvollsten Begleiterscheinungen der offiziellen Kindergeldpolitik ist das ständige Ausspielen der berechtigten Belange der Familien und des Mittelstandes gegeneinander. Ich möchte deshalb namens meiner Fraktion in aller Deutlichkeit aussprechen, daß eine vernünftige Kindergeldregelung nicht im Widerspruch zu den Interessen des Mittelstandes steht. Im Gegenteil, eine gute Familienpolitik ist die beste Mittelstandspolitik. Die Weiterentwicklung des Ausgleichs der Familienlasten wird nicht durch die Belange des Mittelstandes, sondern durch das gegenwärtige verfehlte Aufbringungsverfahren blockiert. Das muß ich Ihnen, meine Herren von der Regierung, hier einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Wir fragen nun die Bundesregierung, ob sie endlich bereit ist, die in dem derzeitigen Aufbringungsverfahren liegenden Schwierigkeiten zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine vernünftige Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs zu schaffen.
Zu Punkt 4 unserer Großen Anfrage gestatten Sie mir, darauf aufmerksam zu machen, daß die heutige unzureichende Regelung, nach der Kindergeld bekanntlich erst vom dritten Kind an gewährt wird, die jungen Familien weitgehend unberücksichtigt läßt. Dabei wissen wir doch alle auf Grund des täglichen Erlebens, daß gerade die Aufwendungen für das erste und das zweite Kind die jungen Familien außerordentlich schwer belasten,

(Abg. Ruf: Wollen Sie nach wie vor Kindergeld für das erste Kind?)

— Das wollen wir nach wie vor. Zunächst wollen
wir aber den nächsten Schritt, und das ist das
Kindergeld für das zweite Kind, Herr Kollege Ruf.

(Beifall bei der SPD.)

Der Herr Familienminister Wuermeling hat seit dem Jahre 1955 Denkschriften anfertigen lassen, in denen durchaus zutreffend die Notwendigkeit einer Ausweitung des Kindergeldes auf das zweite Kind begründet wird. Die Bundesregierung hat sich jedoch auch davon nicht beeindrucken lassen und ist bei ihrer ablehnenden Haltung hinsichtlich der Gewährung des Kindergeldes für das zweite Kind geblieben. Auch die Rücktrittsofferten des Herrn Ministers Wuermeling haben an dieser verständnislosen Haltung der Regierung den Familien mit zwei Kindern gegenüber nichts geändert,

(Bundesminister Dr. Wuermeling: Doch!)

zumal, wie sich sehr bald zeigte, der Herr Minister Wuermeling seine Rücktrittsandrohungen gar nicht ernst genommen hat.
Eine der betrüblichsten Etappen auf dem Wege der Kindergeldgesetzgebung spielte sich im Juni vorigen Jahres anläßlich der wirtschaftlichen Angliederung des Saarlandes ab. Statt daß ihnen wenigstens das Kindergeld für das zweite Kind belassen wurde, mußten es die Familien im Saarland entgegen allen Versprechungen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Familienministers erleben, daß ihnen sogar das Kindergeld für das zweite Kind und, wie Sie wissen, für das erste Kind weggenommen wurde. Das war eine große Enttäuschung für die saarländische Bevölkerung, die sie bis heute noch nicht überwunden hat.
In der letzten, im vergangenen Jahr fertiggestellten Denkschrift des Familienministeriums über die wirtschaftliche Lage der Familien ist der Nachweis erbracht worden, daß in der Bundesrepublik die Ernährer von nicht weniger als einem Viertel aller Familien mit zwei Kindern ein Bruttoeinkommen beziehen, das unter 400 DM im Monat liegt, und sich damit im Bereich der Fürsorgeleistungen befinden. Im Durchschnitt sind dieser Denkschrift zufolge mindestens 80 DM erforderlich, um die Mindestaufwendungen für ein Kind zu decken. Das Sozialamt der Stadt Stuttgart sieht bei der Gewährung von Fürsorgeleistungen — lassen Sie mich das bitte nebenbei noch bemerken — sogar einen Betrag von 90 DM im Monat als unterste Grenze an. Soweit die Feststellungen in der Denkschrift.
Anstatt aber nun schleunigst die Folgerungen aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen und auch die Zweitkinder beim Kindergeld zu berücksichtigen, hat die Bundesregierung diese aufschlußreiche Denkschrift des Herrn Familienministers für ein Staatsgeheimnis erklärt. Sie durfte nämlich nicht veröffentlicht werden, wahrscheinlich doch nur deshalb nicht, weil diese Feststellungen über die Lage eines großen Teils unserer Zwei-KinderFamilien nicht gut in ihr sogenanntes wirtschaftswunderliches Konzept gepaßt hätten. Die Verheimlichung von sozialen Mißständen halten meine politischen Freunde und ich aber für eine schlechte Methode der Familienpolitik.



Frau Döhring (Stuttgart)

Wir fragen deshalb die Bundesregierung, ob sie bereit ist, den von uns Sozialdemokraten seit vielen Jahren gestellten Anträgen auf Gewährung von Kindergeld vom zweiten Kind an nunmehr stattzugeben. Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, die Finanzierung des Kindergeldes aus allgemeinen Steuermitteln vorzunehmen, wie die SPD dies von Anfang an gefordert hat?
Zur letzten Frage habe ich namens meiner Fraktion folgendes vorzubringen. Infolge von Versäumnissen, die die Bundesregierung zu verantworten hat, ist unter Mißachtung ausdrücklicher Beschlüsse dieses Hohen Hauses ein Inkrafttreten der Kindergeldneuregelung mit Wirkung ab 1. Januar dieses Jahres unmöglich gemacht worden. Hier zeigt sich ein bedauerlicher Widerspruch zwischen den familienfreundlichen Sonntagsreden von Ministern der Bundesregierung und der tatsächlich praktizierten Politik.

(Beifall bei der SPD und der FDP.)

Ganz offenbar hat aber die Einbringung dieser Ihnen vorliegenden Großen Anfrage der SPD Wunder gewirkt; vielleicht hat auch das Heranrücken des Termins der nächsten Bundestagswahl den Parteichef der Regierungspartei zu seiner öffentlichen Erklärung veranlaßt, die zweiten Kinder nun zu berücksichtigen. Aber sei dem, wie dem sei, eine Hinauszögerung der überfälligen gerechten Neugestaltung des Kindergeldrechts ist den betroffenen Familien und den mittelständischen Kreisen gegenüber nicht länger zu verantworten.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wir möchten daher von der Bundesregierung wissen, ob sie bereit ist, den versprochenen Gesetzentwurf zur Kindergeldneuregelung s o rechtzeitig vorzulegen, daß ein Inkrafttreten am 1. Januar 1961 sichergestellt ist.
Abschließend möchte ich nochmals mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Gewährung von Kindergeld keine berufsständische Angelegenheit ist, sondern eine Sache der Allgemeinheit. Es muß endlich der Schlußstrich unter das verunglückte Aufbringungsverfahren für das Kindergeld gezogen werden. Im übrigen richte ich den dringenden Wunsch an Sie, meine Herren und Damen von der Regierungspartei, nicht etwa den bestehenden bisherigen fünf Kindergeldgesetzen nun etwa ein sechstes hinzuzufügen.

(Abg. Ruf: Stimmt ja gar nicht!)

Davor, Herr Kollege Ruf, möchte ich aus guten Gründen besonders warnen, denn das würde den jetzt schon auf diesem Gebiet bestehenden Gesetzeswirrwarr nur noch vergrößern. Nach dieser nun schon Jahre andauernden Kindergeldtragödie kann die Bevölkerung wahrlich erwarten, daß jetzt endlich eine gerechte Gestaltung des Kindergeldrechts vorgenommen wird.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313010400
Die Große Anfrage der SPD ist begründet.
Zur Beantwortung gebe ich dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.

(Unruhe.)

Ich darf um Aufmerksamkeit für den Herrn Minister bitten. Ich bitte, die Privatgespräche im Saale einzustellen; das gilt auch für die sehr intensiv sprechende Gruppe in der Mitte.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0313010500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kindergeld vom 5. Oktober dieses Jahres nehme ich wie folgt Stellung.
Zu 1: Der Bericht, zu dessen Vorlage die Bundesregierung durch die Entschließung des Bundestages vom 26. Februar 1959 aufgefordert worden ist, soll die Auswirkungen von lohnbezogenen Sozialabgaben ganz allgemein, nicht etwa nur die Aufbringung der Mittel nach dem Kindergeldgesetz, behandeln.
Die Notwendigkeit, die Untersuchungen auf alle Zweige der sozialen Sicherheit, bei denen der Lohn die Beitragsbemessungsgrundlage ist, zu erstrecken, habe ich in meinen Ausführungen bei der Einbringung der letzten Kindergeldnovelle, auf die die Entschließung des Bundestags Bezug nimmt, deutlich hervorgehoben. Gleichzeitig habe ich betont, daß es sich dabei um eine sehr schwierige und zeitraubende Untersuchung handelt. Eine feste Zusage, den Bericht zu einem bestimmten Termin vorzulegen, habe ich auch bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP am 3. Februar 1960 nicht gegeben, sondern nur Angaben darüber gemacht, wann der interministerielle Arbeitskreis, der zur Untersuchung dieser Fragen gebildet worden ist, nach dem damaligen Stand der Beratungen seine Arbeiten voraussichtlich — ich betone: voraussichtlich — abschließen werde.
Nachträglich ergab sich in dem Arbeitskreis die Notwendigkeit, die Untersuchungen weiter zu vertiefen. Es muß dabei berücksichtigt werden, daß hier sehr vielschichtige und schwierige Fragen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Inhalts zu beantworten sind. Der Arbeitskreis hat mit Recht mehr Wert darauf gelegt, das Problem gründlich zu studieren, als in kurzer Frist ein nur allgemein gehaltenes und an der Oberfläche bleibendes Gutachten abzugeben.
Die Arbeiten des Arbeitskreises konnten jedoch in den letzten Monaten so weit gefördert werden, daß nur noch einige abschließende Formulierungen ausstehen, damit der Bericht dieses Arbeitskreises der Bundesregierung vorgelegt werden kann. Wir werden in einigen Wochen im Besitz dieser sehr gründlichen Untersuchung sein, die, wie ich hoffe, das Thema der lohnbezogenen Abgaben so erschöpfend behandelt, daß wir eine geeignete Grundlage für weitere Entscheidungen besitzen.
Ich komme zur Beantwortung der Fragen unter 2 bis 4. Da die unter 2 gestellte Frage, welche Änderungen des Aufbringungssystems im Kindergeldgesetz die Bundesregierung für erforderlich hält, nicht unabhängig von den Plänen zur Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs beantwortet werden



Bundesarbeitsminister Blank
r kann, darf ich mir erlauben, zunächst die unter Punkt 4 gestellte Frage nach den beabsichtigten Verbesserungen der Kindergeldleistungen zu beantworten.
Grundsätzlich erkläre ich dazu folgendes. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Zweitkinder, und zwar nicht nur die Zweitkinder der Drei- und Mehrkinderfamilien, sondern auch die Zweitkinder der Zweikinderfamilien, in die Kindergeldgesetzgebung einbezogen werden sollen, und zwar da, wo die Einkommenslage der Familie dies erfordert.
Im einzelnen möchte ich dazu noch folgendes bemerken. In den letzten Monaten hat mein Ministerium gemeinsam mit dem Familienministerium an einer Regelung gearbeitet, die auf den in dem Gutachten der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt aus dem Jahre 1959 ausgesprochenen Gedanken zurückgeht, der in der Öffentlichkeit mit dem etwas irreführenden Schlagwort „Negativsteuer" bezeichnet worden ist. Danach sollen alle Personen, bei denen sich der Freibetrag für das zweite Kind, der bei einem steuerpflichtigen Arbeitsverdienst von mehr als 600 DM im Monat zu einer Entlastung bei der Lohnsteuer um 28 DM monatlich führt, wegen der niedrigen Höhe des Einkommens nicht oder nicht voll auswirkt, ein Kindergeld in entsprechender Höhe erhalten. Träger der Kindergeldzahlung für die zweiten Kinder wären bei dieser Lösung nicht die Familienausgleichskassen, sondern die Finanzämter. Dieser Plan ist vor zwei Wochen den Finanzministern der Länder unterbreitet worden. Er ist bei diesen jedoch auf eine entschiedene Ablehnung gestoßen. Sie wird einmal damit begründet, daß bei einer solchen Regelung eine Kostendeckung aus dem Aufkommen an Einkommen- und Lohnsteuer und damit eine Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern im Verhältnis der Beteiligung an dieser Steuer, d. h. im Verhältnis von 35 : 65, naheliegt. Meines Erachtens wäre diese Lastenverteilung bei dieser Lösung nicht zwingend geboten. Aber unabhängig von der Frage der Beteiligung an den Kosten haben die Finanzminister der Länder diese Lösung auch deshalb abgelehnt, weil sie im Hinblick auf die sonstige Belastung der Finanzämter die Regelung verwaltungstechnisch — trotz der vorgeschlagenen Auszahlung des Kindergeldes durch die Arbeitgeber — für undurchführbar halten.
Es stellt sich nun für mich als federführenden Minister die Frage, ob ich diesen Plan, den ich persönlich wegen der meines Erachtens glücklichen Verzahnung von Kindergeld und steuerlichem Kinderfreibetrag nach wie vor als eine gute Lösung ansehe, trotz des Widerstandes der Länderfinanzminister weiter verfolgen soll, auf die Gefahr hin, daß der Bundesrat die notwendige Zustimmung zu einem solchen Gesetz versagt. Wir haben in der Geschichte des Kindergeldgesetzes schon einmal die Erfahrung gemacht, daß, wenn die Länderfinanzminister sich gegen eine Einschaltung der Finanzämter in die Kindergeldgesetzgebung aussprechen — es handelte sich bei der damaligen Vorlage aus dem Jahre 1957 nur darum, daß die Finanzämter die Beiträge der Selbständigen nach einem einheitlichen, an die Einkommensteuererklärung angelehnten
Maßstab einziehen sollten -, dann auch der Bundesrat die Zustimmung verweigert. Die Aussicht, daß sich diesmal der Bundesrat über das einstimmige Votum der Finanzminister hinwegsetzen würde, erscheint mir gering. Ich kann mich daher nicht entschließen, eine „Finanzamtslösung" dem Kabinett vorzulegen, wenn die Länderfinanzminister, wie hier geschehen, dieser Regelung widersprechen.
Als sich die Bedenken der Finanzverwaltung gegen den dargelegten Plan abzeichneten, ist deshalb von meinem Ministerium ersatzweise eine Regelung in Aussicht genommen worden, die ebenfalls ein Kindergeld für Zweitkinder in allen Familien, bei denen die Einkommenslage es erfordert, vorsieht, wobei jedoch das Kindergeld wie bei den dritten und weiteren Kindern durch die Familienausgleichskassen ausgezahlt werden sollte. Bei der Finanzierung sieht diese Regelung einen Bundeszuschuß in solcher Höhe vor, daß die Beitragsbelastung im Durchschnitt 1 % der Lohnsumme nicht übersteigt.
Der Vorstand des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen hat sich in der vorigen Woche mit diesem Plan befaßt. Hierbei haben sich schwerwiegende Bedenken gegen die Durchführbarkeit durch die Familienausgleichskassen — insbesondere im Hinblick auf die beabsichtigte Ausdehnung auf Zweikinderfamilien, wodurch sich die Zahl der Kinder etwa verdoppeln würde - ergeben. Der Vorstand hat beschlossen, die Angelegenheit der Vertreterversammlung des Gesamtverbandes, die heute in Hamburg tagt, zu unterbreiten. Eine offizielle Verlautbarung des Gesamtverbandes ist bis zur Stunde der Bundesregierung noch nicht bekannt. Ich kann Ihnen daher auch noch nicht sagen, ob die Bedenken, auf die er voraussichtlich hinweisen wird, sich durch entsprechende Ausgestaltung des Entwurfs ausräumen lassen. Ich kann auch der Stellungnahme der Bundesregierung zu der sich dann ergebenden Situation nicht vorgreifen. Für meine Person möchte ich allerdings folgendes erklären: Wenn sich wirklich erweisen sollte, daß es mit dem derzeitigen System der Familienausgleichskassen nicht möglich wäre, in absehbarer Zeit — über eine gewisse Anlaufzeit würde sich natürlich reden lassen — auch Zweikinderfamilien in den Kreis der Berechtigten einzubeziehen, dann muß nach meiner Meinung und auch nach Meinung des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen trotz aller Verdienste der Familienausgleichskassen in der Vergangenheit, die dankbar anzuerkennen sind, dieses System aufgegeben und ein neuer Weg beschritten werden. Hierüber Näheres zu sagen, wäre jedoch heute verfrüht. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Hinblick auf die zur Zeit noch ungeklärten Fragen einen späteren Termin für die Beantwortung der Großen Anfrage vorgeschlagen hatte, daß aber der Ältestenrat die Beantwortung der Anfrage bereits heute gewünscht hat. Die Bundesregierung glaubte sich diesem Wunsch nicht entziehen zu können, obwohl nach Lage der Dinge eine erschöpfende Beantwortung noch nicht möglich ist.
Aus den vorstehenden Erklärungen zu Punkt 4 läßt sich im Grunde schon die Antwort auf die Fra-



Bundesarbeitsminister Blank
igen 2 und 3 entnehmen. Um aber Mißverständnisse zu vermeiden, bemerke ich zu Punkt 2 ausdrücklich noch folgendes:
Vorbehaltlich von Folgerungen, die gegebenenfalls aus dem allgemeinen Bericht über die Auswirkung der lohnbezogenen Abgaben zu ziehen sein werden, hält die Bundesregierung eine Belastung der Lohnsumme zur Finanzierung des Kindergeldes in der Höhe von 1 0/0, aber auch nur bis zu dieser Höhe,

(Abg. Ruf: Nur bis zu dieser Höhe!)

für vertretbar. Der darüber hinausgehende Finanzierungsbedarf, wie er sich insbesondere bei den vorgesehenen Verbesserungen der Kindergeldleistungen ergibt, muß in anderer Weise gedeckt werden. Zur Zeit kommt hierfür nur der Einsatz von allgemeinen Haushaltsmitteln des Bundes in Betracht. Da diese Mittel dem allgemeinen Steueraufkommen entnommen werden müssen, bedeutet dies, daß künftig zur Finanzierung der Kindergeldleistungen nicht nur die Unternehmer nach der Lohnsumme, sondern daneben alle Personen, die Steuern zu entrichten haben, nach den Maßstäben, die den verschiedenen direkten und indirekten Steuern zugrunde liegen, beitragen werden. Damit wäre meines Erachtens auf dem Gebiet des Kindergeldes ein beachtlicher Schritt in der von den lohnintensiven Bereichen des Mittelstandes gewünschten Richtung geschehen. Einen Beitrag bis zur Höhe von 1 % der Lohnsumme hält die Bundesregierung allerdings nach wie vor für notwendig, schon weil bei den beschränkten Möglichkeiten, die der Bundeshaushalt bietet, andernfalls der gewünschte Ausbau der Leistungen nicht möglich wäre.
Was die unter Ziffer 3 gestellte Frage anlangt, so ergibt sich aus den vorangegangenen Ausführungen, daß die Bundesregierung eine Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs — besonders wenn die Zweitkinder einbezogen werden sollen — mit dem bisherigen Aufbringungssystem nicht für möglich hält.
Zum Schluß noch ein Wort zu Ziffer 5 der Großen Anfrage: Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf über die Verbesserung der Kindergeldleistungen mit einer Neuregelung der Mittelaufbringung baldmöglichst vorlegen. Angaben darüber, von welchem Zeitpunkt an das Gesetz in Kraft treten kann, sind im Hinblick auf die aufgezeigten Schwierigkeiten, die noch zu überwinden sein werden, nicht möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313010600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0313010700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem hier im Hause vor sechs Jahren nach harten Auseinandersetzungen mit knapper Mehrheit das erste Kindergeldgesetz verabschiedet worden ist, hat es um die damit zusammenhängenden Fragen und insbesondere um die Frage der Finanzierung keine Ruhe mehr gegeben,
und zwar nicht nur deshalb, weil die Bedenken derjenigen, die von vornherein vor diesem System gewarnt haben, durch die Praxis bestätigt worden sind, sondern auch deshalb, weil die Sprecher der CDU unter dem Druck der öffentlichen Meinung immer wieder erklären mußten, daß das System der Aufbringung zu untragbaren Belastungen insbesondere der lohnintensiven Betriebe führt.
Schon in der zweiten Legislaturperiode haben wir uns eingehend mit diesen Problemen beschäftigt. Als Ausdruck der Meinung der Mehrheit hat damals Herr Kollege Winkelheide als Berichterstatter erklärt:
Es muß dem 3. Deutschen Bundestag vorbehalten bleiben, die Frage einer grundlegenden Reform der Kindergeldgesetzgebung zu prüfen, wobei auch die bevorstehende wirtschaftliche Eingliederung des Saarlandes mit seinem andersartigen Familienzulagensystem in Betracht zu ziehen ist.
Dann kam die dritte Legislaturperiode. Im Jahre 1959 haben wir hier eine eingehende Debatte über die Frage einer sinnvolleren Gestaltung der Kindergeldgesetzgebung geführt. Damals haben die Sprecher Ihrer Fraktion, die Kollegen Schmücker und Gaßmann, erklärt, daß das System geändert werden müsse. Auf Grund dieser Äußerung ist dann von Ihnen ein Entschließungsantrag eingebracht worden. Dieser Entschließungsantrag, Herr Bundesarbeitsminister, beschäftigte sich nicht allgemein mit der Situation der lohnintensiven Betriebe und der Frage der Sozialabgaben; er ergab sich vielmehr aus der Diskussion um die Fehlkonstruktion der Kindergeldgesetzgebung.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Der Bundesregierung wurden Aufträge gegeben; sie sollte einen Untersuchungsbericht und einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Dadurch sollte mit Wirkung von Anfang 1960 eine sinnvollere Regelung herbeigeführt werden.
Im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung haben wir im Mai 1960 eine weitere Erörterung über den Auftrag des Parlaments gehabt. Bei der Haushaltsdebatte hat der Herr Bundesarbeitsminister zu den Entschließungsanträgen von Kollegen der CDU/CSU erklärt, die Neuregelung der Finanzierung könne ungeachtet des Tatbestandes, daß das Jahr 1960 bereits begonnen hatte, noch rückwirkend für die Umlagegestaltung des Jahres 1960 in Kraft treten, womit eine sinnvollere Aufbringung der Mittel für das Kindergeld für die dritten Kinder ermöglicht werde.
Im Hinblick auf diese Zusagen von Sprechern Ihrer Fraktion, im Hinblick auf Beschlüsse des Hauses und Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers müssen wir das, was der Herr Bundesarbeitsminister jetzt bezüglich der Aufbringung der Mittel und der Finanzierung des Kindergeldes für das dritte Kind gesagt hat, als völlig unbefriedigend bezeichnen. Meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, was der Herr Bundesarbeitsminister soeben gesagt hat, war angesichts dessen, was Sie selbst



Dr. Schellenberg
gefordert haben und was der Minister versprochen hat, eine Bankrotterklärung.

(Zustimmung bei der SPD.)

Deshalb stellen wir fest, daß der Beschluß des Bundestages vom 18. Februar 1959 — Antrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend die Vorlage des Untersuchungsberichts nicht durchgeführt worden ist. Wir stellen weiter fest, daß der Gesetzentwurf nicht vorliegt. Wir stellen drittens fest, daß die Zusagen, die die Sprecher Ihrer Fraktion gegeben haben, nicht eingehalten worden sind. Das bedeutet praktisch, daß die Öffentlichkeit in bezug auf die Aufbringung der Mittel für die Kindergeldgewährung in die Irre geführt worden ist. Meine Damen und Herren, das läßt sich nicht bestreiten.

(Sehr richtig! bei der SPD — Abg. Arndgen: Man kann es auch dramatisieren!)

- Herr Kollege Arndgen, jeder, der hier an den harten Auseinandersetzungen über die Kindergeldgewährung teilgenommen hat, muß feststellen, daß das Konzept, das Ihre Fraktion vertreten hat, in eine Sackgasse geraten ist und daß durch dieses verfehlte System eine sinnvolle Weiterentwicklung der Kindergeldgesetzgebung unmöglich geworden ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben die Systemfrage zu einer Frage der Weltanschauung gemacht. Sie waren es, die erklärt haben: „Nur die berufsständische Regelung entspricht unseren Vorstellungen über die sinnvolle Ordnung in unserer Gesellschaft." Deshalb ist das Scheitern Ihrer Konzeption ein Ausdruck dafür, daß Ihre gesamten Vorstellungen über die soziale Ordnung im Bereich der Hilfe für die Familie gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD.)

Im Zusammenhang mit der Frage der Einbeziehung der Zweitkinder in die Kindergeldgesetzgebung, im Zusammenhang mit unserer Großen Anfrage und dem, was der Herr Bundesarbeitsminister hier an höchst unverbindlichen Erklärungen abgegeben hat, muß darauf hingewiesen werden, daß die Frage des Kindergeldes für das zweite Kind in den vorhergehenden Legislaturperioden von Ihnen zu einem Weltanschauungsproblem gemacht worden ist. Von Ihnen wurde erklärt, die Löhne seien ausreichend für die Familien mit bis zu zwei Kindern und deshalb dürfe und könne erst vom dritten Kind an Kindergeld gewährt werden. Offenbar wollen Sie diese Auffassung nunmehr — worüber wir uns freuen — revidieren. Aber, meine Damen und Herren, es darf nicht im Zusammenhang mit der Frage der Einbeziehung des zweiten Kindes in die Kindergeldgesetzgebung die Aufgabe, eine sinnvolle Regelung der Finanzierung der Kindergeldgewährung für das dritte Kind zu schaffen, beiseite geschoben werden. Diese Gefahr besteht, da der Herr Bundesarbeitsminister jetzt erklärt hat, die Aufbringung der Mittel in Höhe von einem Prozent des Arbeitsentgelts sei gewissermaßen ein Gewohnheitsrecht geworden, und daran sollte im Gegensatz zu den Beschlüssen des Hauses und den Erklärungen Ihrer Fraktion nichts geändert werden.
Wenn jetzt die Einbeziehung des zweiten Kindes in der Kindergeldgesetzgebung zu erörtern ist, so ist festzustellen, daß im Zusammenhang mit der Großen Anfrage unserer Fraktion der Herr Bundeskanzler wenige Tage nach ihrer Einbringung der Öffentlichkeit erklären ließ, es würde nunmehr Kindergeld für das zweite Kind schrittweise gewährt werden. Gegenüber dieser Erklärung, die von der Öffentlichkeit begrüßt wurde, ist festzustellen, daß das, was der Herr Bundesarbeitsminister heute gesagt hat, noch wenig durchdacht und in seiner Finanzierung und seiner praktischen Durchführung noch unüberlegt ist. Es ist geradezu unverantwortlich, in der Öffentlichkeit zu erklären, das Kindergeld für das zweite Kind komme, wenn die Regierung noch ohne konkrete Vorstellungen darüber ist, wie dieses Ziel verwirklicht werden soll.

(Beifall bei der SPD.)

Was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, war im wesentlichen eine persönliche Meinung, daß man dies oder jenes tun könne, ohne daß aber in Hinsicht auf das zweite Kind eine klare Vorstellung über das, was geschaffen werden soll, besteht.
Das einzige, was der Herr Bundesarbeitsminister konkret gesagt hat, war zweierlei. Er hat gesagt: Kindergeld für das zweite Kind, wenn es die Einkommenslage erfordert.

(Abg. Ruf: Gute Formulierung!)

Über diese Frage hat der Bundestag in der ersten Legislaturperiode sehr eingehende und gründliche Auseinandersetzungen gehabt. Meine Damen und Herren, ich muß Sie daran erinnern, was der Herr Bundesfamilienminister damals der Öffentlichkeit erklärt hat.

(Abg. Arndgen: Damals hat es noch keinen Familienminister gegeben! Das war nicht in der ersten Legislaturperiode!)

— Entschuldigung! Am 14. Oktober 1954, also in der zweiten Legislaturperiode, hat Herr Dr. Wuermeling im Zusammenhang mit einem Antrag der Fraktion der FDP zur Frage der Einkommensgrenze erklärt:
Und mit solch zwiespältiger Haltung tarnt man dann seine familien- und kinderfeindliche Einstellung, tarnt man seine Gegnerschaft gegen eine wirkliche Familienpolitik, gegen eine Familienpolitik, die nicht nur das sozialpolitische Anliegen der Fürsorge für Notleidende hat, sondern staatspolitische Gerechtigkeit in allen Schichten des Volkes erreichen will.
Was der Herr Bundesarbeitsminister heute sagt —„wenn es die Einkommenslage erfordert" —, bedeudet nichts anderes als Prüfung der Bedürftigkeit, Prüfung der Einkommensverhältnisse. Das steht im krassem Widerspruch zu den Gedanken, mit denen Sie ausgezogen sind, als Sie eine Kindergeldgesetzgebung schaffen wollten.

(Beifall bei der SPD und der FDP. — Abg. Arndgen: Endlich eine Anerkennung des Familienministers durch die SPD!)




Dr. Schellenberg
Und noch ein zweites, meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat, wenn auch sehr verschwommen und ohne konkrete Angaben, von öffentlichen Zuschüssen für die Gewährung von Kindergeld an das zweite Kind gesprochen. Auch darüber hat es in diesem Hause jahrelang harte Auseinandersetzungen gegeben. Sie waren es, die aus der Frage öffentliche Zuschüsse für Kindergeldgewährung ebenfalls eine Prinzipienfrage, eine Weltanschauungsangelegenheit gemacht haben. Wir stellen fest, daß wegen Ihrer verfehlten Konzeption — berufsständische Regelung — die Gestaltung des Kindergeldes in derartige Schwierigkeiten gekommen ist, daß Ihnen jetzt nichts anderes übrigbleibt, als zu dem zu kommen, was die Opposition in diesem Hause immer wieder gefordert hat: öffentliche Mittel, ohne daß Sie allerdings klare und präzise Vorstellungen darüber haben. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, was heute hier gesagt worden ist, bedeutet ein Scheitern der Vorstellungen, die Sie bisher bezüglich der Familienpolitik vertreten haben.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß eine Kindergeldregelung, die die zweiten Kinder einbezieht, für alle Kinder Geltung haben muß. Soziale Differenzierungen bei der Kindergeldgesetzgebung sind mit unseren Vorstellungen von familienpolitischen Aufgaben der Gemeinschaft unvereinbar.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich ungeachtet der Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler für die Öffentlichkeit abgegeben hat, nicht dazu bereit finden können, irgendwelche bestimmte Angaben über den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer gesetzlichen Regelung für das zweite Kind zu machen. Bei dieser Sachlage kann man sich nicht nur des Eindrucks nicht erwehren, daß das an der mangelnden familienpolitischen Konzeption der Bundesregierung liegt, sondern man kann den Eindruck nicht loswerden, daß die Erweiterung der Kindergeldgesetzgebung auf das zweite Kind möglichst nahe an den Wahltermin herangebracht werden soll.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie alle: Eine solche Absicht widerspricht doch — so hoffe ich sagen zu können — den Vorstellungen, die wir alle von einer sinnvollen Familienpolitik haben.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Deshalb sollten wir uns bei allen Meinungsverschiedenheiten doch wenigstens darin einig sein, daß unabhängig von wahltaktischen Erwägungen mehr für die Familien in unserem Volke getan werden muß,

(erneuter Beifall bei der SPD)

weit mehr getan werden muß, nachdem der Herr Bundesfamilienminister seit 1955 die Forderung „Kindergeld für das zweite Kind!" erhoben hat. Diese Aufgabe muß im Interesse unserer Familien sofort in Angriff genommen werden.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313010800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach.

Dr. August Dresbach (CDU):
Rede ID: ID0313010900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Bitte an den Herrn Bundesarbeitsminister vorzubringen: Er möge den Begriff „negative Steuerbegünstigung" oder „Kinderbegünstigung im Sinne des Einkommensteuergesetzes" aus seinem Wortschatz streichen.

(Abg. Arndgen: Hat er doch schon getan!)

— Verzeihung, er hat es nicht getan; ansonsten will ich ihm noch einmal nachhelfen.
Die höchste Steuervergünstigung, die jemand bei einer Personalsteuer wie der Einkommensteuer haben kann, ist die volle Steuerfreiheit. Diese ist bis zu gewissen Einkommenslagen gegeben. Ich bitte, sich einmal die Konsequenzen zu überlegen, wenn demnächst in anderen Fällen, wo Freiheit von einer direkten Steuer, vornehmlich einer Personalsteuer, gegeben ist, die Forderung erhoben wird, auch noch Vergünstigungen durch Herausgabe von Geldern aus der Kasse des Staates zu gewähren. Diese Dinge haben mit dem Steuerrecht, mit dem Abgabenrecht überhaupt nichts zu tun, sondern sind Formen des Fürsorgerechts. Das möchte ich hier einmal festgestellt haben. Ich bin nicht nach Bonn gekommen, um mein Gehirn begrifflich verdrecken zu lassen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313011000
Das Wort hat der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0313011100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann im allgemeinen sehr gut zuhören und bin nicht der Meinung, daß ich auf alles sofort antworten muß. Aber hier muß ich gleich etwas richtigstellen. Herr Kollege Dr. Dresbach, die Vokabel „Negativsteuer" ist nicht von mir erfunden worden. Ich habe sie auch nicht in meinem Wortschatz. Ich habe sie vielmehr als ein Schlagwort hier zitiert.

(Abg. Arndgen: Als „irreführend" sogar!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313011200
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0313011300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers könnte man eigentlich sagen: „ich sehe Land", wenn wir nicht schon so oft von Ministerversprechungen enttäuscht worden wären.
Ich muß schon sagen, Herr Minister, es hat mich etwas überrascht, wie Sie den Entschließungsantrag Ihrer eigenen Fraktion zu interpretieren versucht haben. Man hat hier so ein bißchen den Eindruck bekommen — und zwar nicht nur heute, sondern schon aus der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage —, daß Sie sich einen gewissen dialektischen Bocksprung erlaubt haben. Denn, Herr Minister, Sie haben nicht die Terminierung, die Ihnen die Fraktion der CDU/CSU aufgegeben hat, in den Vorder-



Spitzmüller
grund gestellt, sondern die Worte „entsprechend dem Ausfall des Gutachtens". Ich weiß aus vielen Versammlungen draußen im Lande, daß das sicherlich die Opposition nicht überrascht hat, daß aber manche Ihrer CDU-Kollegen etwas unglaubwürdig geworden sind, weil sie in ihren Versammlungen lange Monate hindurch zur Frage des Kindergeldes immer auf diesen Termin Anfang 1960 hingewiesen haben, da sie sich im guten Glauben, daß dieser Termin eingehalten werden könnte, von unseren damaligen Vorstellungen entfernt hatten, um sich auf die Brücke dieser Entschließung zu begeben.
Herr Minister, man kann natürlich mit Goethe sagen: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten -ein System bereiten." Aber das, was Sie hier ausgeführt haben, beinhaltet doch nichts anderes, als daß Sie der Meinung sind, 1 % der Lohnsumme als Aufbringungsbetrag für das Kindergeld könne bleiben, und das sei auch gerechtfertigt. Wir haben im vergangenen Jahr den Antrag gestellt, eine Begrenzung auf 1 % vorzunehmen, nicht, weil wir das als eine glückliche Lösung angesehen hätten, sondern weil wir sagten: bis hierher und nicht weiter!, obwohl dieses „bis hierher" auch schon ungerecht ist. Daß dieses „bis hierher" auch schon ungerecht ist, geht ja auch aus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU hervor; denn dort heißt es, es solle ein Gesetzentwurf so rechtzeitig vorgelegt werden, daß das Inkrafttreten Anfang des Jahres 1960 möglich ist. Dieser Gesetzentwurf, fährt der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion fort, solle das Ziel haben, die ungleichmäßige Belastung I besonders in der Aufbringung der Mittel zu beseitigen. Also wir haben ja schon 1 % oder 1,1 % und selbst die Christlich-Demokratische Union ist der Ansicht, daß damit eine ungleichmäßige, sprich ungerechte Belastung herbeigeführt ist.
Wir haben Verständnis dafür, daß Sie nicht willens sind, mit fliegenden Fahnen für unseren Entwurf einzutreten, wonach die Mittel für das Kindergeld sofort generell aus allgemeinen Steuermitteln zu nehmen sind. Wir wissen, daß Sie hier nicht nur prinzipielle Hemmungen haben, sondern daß für ein ruckartiges Überschwenken natürlich auch bedeutende materielle Gründe vorhanden sind. Aber wir glauben, daß das Endziel einer Kindergeldpolitik immer nur sein kann: ein einheitliches System der Aufbringung aus allgemeinen Steuermitteln.

(Beifall bei der FDP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren der Christlich-Demokratischen Union, aus den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers konnte ich leider nicht entnehmen — vielleicht habe ich nicht genügend zugehört oder es nicht ganz richtig zu werten gewußt —, in welcher Form Sie auf die vielversprochene Hilfe für den Mittelstand in den Fragen der Kindergeldregelung nun endlich die Taten folgen lassen. Ich mache Sie darauf aufmerksam: Sie kommen nämlich in die Gefahr, meine Prophezeiung zu bestätigen, die ich gemacht habe, als ich Ihnen im Frühjahr .1959 zurief, ich hätte den Eindruck, Sie wollten sich diese vielversprochene Mittelstandshilfe als Ladenhüter für den Sommerschlußverkauf des Wahljahres 1961 aufbewahren.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

Wir sind sehr nahe daran, daß meine Prophezeiung eintritt.
Worum geht es nach den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers u. a. auch? Es geht darum, daß Sie sich bereit erklären, einen gewissen Systemwechsel, einen Systemwandel, einen Systembruch durchzuführen. Wir haben gehört, daß der Herr Arbeitsminister dafür gedankt hat, daß die Familienausgleichskassen ihre Aufgaben erfüllt haben. Aber wir haben mit Freude vernommen, daß er glaubt, daß man auch in anderer Form als über die Familienausgleichskasse hier zu einem guten Ende kommen könnte. Dieser Meinung sind wir schon lange, und diese Meinung teilen wir nun erfreulicherweise mit Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister.
Aber der Kollege Schellenberg hat schon darauf hingewiesen, daß es gefährlich ist, wenn man eine lange Zeit in einem Parlament ist oder wenn man gar lange Zeit Minister ist, weil man dann immer wieder mit Zitaten konfrontiert wird, mit Worten, die früher einmal gesagt wurden und in die heutige Zeit nicht passen. So wäre ich und eigentlich das ganze Haus und die deutsche Öffentlichkeit sehr daran interessiert, einmal zu erfahren, wie sich der Herr Bundesfamilienminister zu diesem Mischsystem bekennt, zuerst einmal die Bedürftigkeit, nicht aber die gesellschaftlichen .Verdienstmöglichkeiten als Anhaltspunkt für eine Kindergeldgewährung oder eine teilweise Kindergeldgewährung zu nehmen, und vor allem zu erfahren, wie sich der Herr Bundesfamilienminister dazu stellt, daß das Kindergeld nun zum Teil aus allgemeinen Steuermitteln aufgebracht werden sóli.
Herr Famillienminister, Sie haben nämlich laut Ihrer Hauspostille „Das Fundament" in Bielefeld erklärt, Kindergeld aus staatlichen Mitteln würde die Kinder zu Objekten des Staates machen, der Staat könne nicht die Kinder seiner Bürger bezahlen, die Kinder seien Kinder ihrer Eltern, sie lebten in einer Lebensgemeinschaft, und diese habe ein Interesse an der Förderung der Familie. Herr Minister, sind die Kinder durch diese Finanzamt-Lösung wirklich Objekte des Staates? Stehen Sie noch dazu, oder sind Sie bereit, hier zu erklären, daß Sie im Umdenken begriffen sind?
Ich möchte hier sagen, Herr Minister, wir freuen uns, daß Sie nun den Familienlastenausgleich erweitern wollen. Wir gehen da mit. Aber wir haben dabei ein bißchen den bitteren Geschmack — und da muß ich noch einmal unterstreichen, was Herr Kollege Schellenberg angeführt hat —, daß es im Augenblick gar nicht so sehr um die Kinder geht, sondern um die Aspekte, die sich bestimmte Wahlstrategen ausgerechnet haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Denn wann ist die Frage des Kindergeldes für das
zweite Kind nicht nur seitens des Herrn Familienministers, der dies seit Jahren vertritt, in die leb-



Spitzmüller
hafte öffentliche Diskussion gekommen? Als Herr Dr. Adenauer mit Herrn Dr. Röder im Saarland zusammensaß und. als Herr Dr. Adenauer dort sagte, man müsse für die Zweitkinder etwas tun. Und warum? Weil offensichtlich auch dem Bundeskanzler in der Zwischenzeit bewußt geworden ist, was die Christlich-Demokratische Union und die Regierung bei den Gesetzen zur Eingliederung des Saarlandes versäumt haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Bei allem Positiven des fortschrittlichen Denkens, das wir aus den Äußerungen des Herrn Arbeitsministers entnehmen konnten, müssen wir sagen: es bleibt doch ein bitterer Beigeschmack vorhanden. Wir wollen vor allem auch wissen, ob Sie, Herr Minister Wuermeling, noch zu dem stehen, was Sie im Jahre 1956 in einem Heft „Die neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur" ausgeführt haben. Ich muß Ihnen sagen, es ist sehr bitter, wenn man sich das heute noch einmal vor Augen hält. Dort haben Sie zunächst Professor Nell-Breuning zitiert:
Selbst wenn die „staatliche" Lösung vor dem Subsidiaritätsprinzip bestehen kann, wäre ich geneigt, auf sie zu verzichten wegen des mit ihr möglichen und zu befürchtenden Mißbrauchs.
Sie haben dann, Herr Minister, mit eigenen Worten weiter geschrieben — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich das vielleicht noch zitieren —:
Eigentlich müßte uns die Hitlerzeit, in der die Gewährung oder Nichtgewährung des damals staatlichen Kindergeldes durch das Finanzamt vom zustimmenden oder ablehnenden Votum des zuständigen Kreisleiters der NSDAP abhängig war, Warnung genug sein. Aber manche sozialistische und liberale Kollektivisten
— diese „liberalen Kollektivisten" würde ich gern einmal vorgeführt bekommen, Herr Minister —
überhören diese Warnung, weil sie keinen Zugang zu einem christlichen Ordnungsbild von Staat und Gesellschaft haben.
Diese Ausführungen, Herr Minister, zeigen doch, daß Sie offensichtlich manchmal unter kolossalen Angstträumen zu leiden hatten. Wir zur Rechten und zur Linken haben bei einem staatlichen Kindergeld nicht unter solchen Angstträumen gelitten, obwohl wir wußten, daß Sie die absolute Mehrheit haben. Ich glaube, Herr Minister, etwas mehr mitmenschliches Vertrauen in das verantwortliche demokratische Einfühlungsvermögen und in die Verantwortlichkeit der Opposition für die Demokratie wäre gut gewesen.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Sicherlich hätten Sie bei einem solchen mitmenschlichen Vertrauen in die demokratische Verantwortung der Opposition für Ihre Familienpolitik schon lange mehr erreichen können, als Sie erreicht haben.

(Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD.)

Haben wir heute irgendein Wort gegen die Einbeziehung des zweiten Kindes gehört? Kein Wort ist dagegen gefallen. Bisher ist hier nur einmal ein Warnruf gegen die Einbeziehung und die Ausweitung des Kindergeldes laut geworden. Er kam weder von rechts noch von links, er kam aus der Mitte. Ich bin sehr daran interessiert, wie sich der Kollege Thomas Ruf heute zu seiner Rede in der 65. Sitzung äußert.
Wir treten nicht deshalb, sehr verehrter Herr Minister, für die Gewährung des Kindergeldes auch für das zweite Kind ein, weil beispielsweise Professor Nell-Breuning einmal gemeint hat, das sei notwendig, um die Aufrechterhaltung der Rentenversicherung überhaupt zu garantieren, oder weil Sie in jener Rede in Bielefeld den Satz geprägt haben sollen — ich halte es beinahe für unmöglich —: Was helfen uns denn die Verteidigungsanlagen, wenn niemand für sie da ist?! Nein, nicht aus diesen Gründen, sondern weil es einfach in unserem Sozialgefüge gewisse .Unebenheiten gibt, die ausgeglichen werden müssen, wenn unsere Sozialordnung angesichts der Lebenserfordernisse der Familie bestehen soll.
Ein Wort zum Abschluß. Bei allen Aspekten, die bei der. Kindergeldgewährung auftreten können, wollen wir die Notwendigkeiten einer einheitlichen Familienpolitik nicht aus dem Auge verlieren, einer Familienpolitik, die weit über den materiellen Wert der Kindergeldgewährung hinausgeht. Erschweren wir uns, auf die Dauer gesehen, nicht die Arbeit durch Systembrüche, sondern versuchen wir, Lösungen zu finden, die eine einheitliche Handhabung enthalten! Ungerechte Lösungen können wir nie als endgültige Lösungen betrachten.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313011400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.
Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien
und Jugendfragen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Antwort auf die eben gemachten Ausführungen nur eine ganz kurze Bemerkung. Zunächst einmal: die vom Herrn Kollegen Blank hier abgegebene Erklärung ist in vollstem sachlichem und persönlichem Einvernehmen mit mir erarbeitet worden.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir nicht anders erwartet!)

Was die Frage nach meinem Standpunkt zur Aufbringung von Kindergeld aus staatlichen Steuermitteln angeht, so haben Sie den hier angeführten Zitaten wohl entnommen, daß sie .aus einer sehr weit zurückliegenden Zeit stammen, was nicht besagt, daß sich deswegen meine Auffassungen geändert hätten. Aber ich darf midi hier, wenn es der Herr Präsident gestattet, einmal selbst zitieren mit der Linie, die ich nun seit über anderthalb Jahren gleichmäßig und einheitlich in dieser Frage vertreten habe.

(Abg. Ruf: Stimmt!)

Ich darf midi wie folgt zitieren:
Die Bundestagsverhandlungen über die Kindergelderhöhung, die am 1. März 1959 in Kraft




Bundesfamilienminister Dr. Wuermeling
trat, haben das Verlangen nach einer Änderung der Methode der Aufbringung des Kindergeldes so eindringlich sichtbar werden lassen, daß diese Frage nunmehr alsbald auf breiter politischer Basis zu einer befriedigenden Lösung gebracht werden muß. Der seit Jahren währende Kampf um das Aufbringungssystem droht unsere Familienpolitik immer mehr zu diskreditieren. Eine politische Befriedung dieser Frage ist also eine zwingende Notwendigkeit.
Dann habe ich sehr eingehend das Für und Wider der verschiedenen Systeme behandelt, um zu schließen:
Diese Darlegungen dürften jeden Gutwilligen davon überzeugen, daß jedes System der Kindergeldaufbringung sein gewichtiges Für und Wider hat und daß es wohl kein allgemein überzeugendes Rezept für die Reform gibt. Hundertprozentige Gerechtigkeit läßt sich bei keiner Abgabenregelung erreichen. Wenn alle sich in diesem Wissen unvoreingenommen zusammensetzen mit dem Ziel, das möglichst Gerechte abseits aller eigenen oder Gruppeninteressen zu verwirklichen, dann sollte ein allseits anerkannter Kompromiß zwischen den verschiedenen Auffassungen und Wünschen möglich sein. Und hierbei sollte dann auch die Frage des Kindergeldes für die Zweitkinder ihre Lösung und Befriedung finden. Wenn alle sich dessen bewußt sind und bleiben, werden wir ohne Rechthaberei auch einen gemeinsamen Weg zum Ziel und damit zur Befriedung erarbeiten können.
Meine Damen und Herren, diese Ausführungen habe ich in einem Aufsatz zu Ostern 1959, also vor eineinhalb Jahren, im „Rheinischen Merkur" gemacht. Ich freue mich aufrichtig darüber, daß die heute abgegebene Regierungserklärung den Weg zur Verwirklichung dieser meiner Auffassung bietet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313011500
Gestatten Sie eine Frage, Herr Bundesminister?
Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien
und Jugendfragen: Bitte!

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0313011600
Herr Bundesminister, wenn das Ihre Auffassung seit eineinhalb Jahren ist, warum haben Sie dann nicht als Abgeordneter die Gelegenheit eines interfraktionellen Gesprächs mit Abgeordneten aller Parteien wahrgenommen, um zu einem interfraktionellen Antrag zu kommen, der ja bekanntlich immer die Chance hat, schnell zum Zuge zu kommen?
Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familienführen kann, wenn eine Einigkeit über die betreffende Frage innerhalb der Bundesregierung erzielt und eine gemeinsame Linie gefunden ist.
und Jugendfragen: Herr Kollege, ich habe zu interfraktionellen Gesprächen wohl des öfteren aufgefordert. Sie werden aber wohl Verständnis dafür haben, daß der zuständige Minister Verhandlungen mit allen Fraktionen des Bundestages erst dann

(Lachen und Zurufe von der SPD und der FDP.)

Das ist der Grund, warum ich selbst mich während dieser Zeit unmittelbarer Verhandlungen enthalten mußte.

(Zurufe von der SPD und der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0313011700
Die Große Anfrage und die Antwort darauf sind beraten. Nunmehr liegt noch ein Antrag der Fraktion der SPD vor. Zur Begründung dieses Antrages — —

(Zuruf von der CDU/CSU: 11 Uhr durch!)

— Da es sich nur noch um einen abschließenden Antrag handelt, möchte ich vorschlagen, Frau Korspeter — ich nehme an, es dauert nicht lange — die Möglichkeit der kurzen Begründung zu geben.

Lisa Korspeter (SPD):
Rede ID: ID0313011800
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit gestattet es mir nicht, längere Ausführungen zu machen. Ich beziehe mich auf unseren Antrag und möchte dazu nur ganz kurz sagen, daß wir es nach den unklaren Mitteilungen des Herrn Bundesarbeitsministers für dringend notwendig halten, eine Entscheidung des Hauses über die Weiterentwicklung der Kindergeldgesetzgebung herbeizuführen, damit wir aus der Sackgasse, in der wir uns mit dieser Gesetzgebung befinden, herauskommen.
Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht. Er liegt Ihnen vor. Wir wollen damit erreichen, daß lohnintensive Klein- und Mittelbetriebe entlastet werden und daß der Weg für ei i Kindergeld aus Steuermitteln geöffnet wird. Wir wollen weiter erreichen, daß alle Zweitkinder ohne Überprüfung der Einkommensverhältnisse in die Kindergeldzahlung einbezogen werden und daß diese neue Kindergeldgesetzgebung am 1. Januar in Kraft treten kann. Darüber hinaus wünschen wir, daß aus den fünf Kindergeldgesetzen, die wir bis jetzt haben, ein einheitliches Kindergeldgesetz gemacht wird, um das Durcheinander in dieser Gesetzgebung endlich zu beseitigen.

(Vorsitz : Präsident D. Dr. Gerstenmaier.)

Wir beantragen namentliche Abstimmung über diesen Antrag.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313011900
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Peter Horn (CDU):
Rede ID: ID0313012000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens meiner politischen Freunde nur eine verhältnismäßig kurze Erklärung abzugeben. Ich bitte mir aber zu gestatten, daß ich sie auch mit einigen Bemerkungen zu dem Verlauf der Debatte umrahme.
Schon Frau Kollegin Döhring hat bei der Begründung der Großen Anfrage gesagt, ein erster Erfolg



Horn
dieser Großen Anfrage habe darin bestanden, daß sich der Bundeskanzler bald hinterher im Sinne einer Weiterentwicklung der Kindergeldgesetzgebung geäußert habe, und Herr Kollege Schellenberg hat diese Auslassung der Kollegin Döhring nachher auf seine Weise noch einmal unterstrichen. Ich habe schon bei Themen, die früher hier behandelt wurden, wiederholt darauf hinweisen müssen, daß die sozialdemokratische Fraktion und ihre Sprecher es in dieser Beziehung, was den Erfolg ihrer Anträge oder Anfragen angeht, an Überheblichkeit keineswegs fehlen lassen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

Das ist auch jetzt wieder der Fall gewesen.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie können sich darüber beruhigen: Ihre Große Anfrage war, glaube ich, noch nicht bis in Ihr Gehirn gedrungen oder bei Ihnen erörtert worden,

(Zurufe von der SPD: Unerhört!)

da haben die CDU/CSU-Fraktion und auch der Herr Bundeskanzler sich mit der Weiterentwicklung der Kindergeldgesetzgebung schon sehr eingehend beschäftigt.

(Abg. Dr. Schellenberg: Mit welchem Ergebnis?)

Die Auslassung des Herrn Bundeskanzlers wäre auch gekommen, wenn Sie Ihre Große Anfrage nicht geboren hätten. Soviel nur dazu.
Ich muß auch auf die Bemerkungen eingehen, die sowohl von der Linken, von Herrn Professor Schellenberg, als auch von dem Sprecher der FDP gemacht worden sind. Ich wäre auf dieses Stichwort nicht eingegangen, muß es aber tun, da hier von Wahltaktik und von der Absicht gesprochen wurde, diese Regelung möglichst nahe an die Bundestagswahl des nächsten Jahres heranzubringen, und da auch drüben von Wahlstrategie gesprochen wurde. Ich kann diese Auslassungen nicht nur zurückweisen, sondern ich möchte dem Herrn Kollegen Schellenberg vor allen Bingen sagen, daß er mit dieser Wahlrede, die er hier gehalten hat,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

draußen bei der Bevölkerung wahrhaftig schlecht ankommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte auch folgendes sagen — das klingt scherzhaft, ist aber durchaus ernst gemeint —: Ich würde mit Herrn Kollegen Schellenberg oder auch mit seinen Freunden — zum Teil auch drüben von der FDP — niemals Skat oder Doppelkopf spielen; denn mit Leuten, die über das Nachkarten nicht hinauskommen, kommt man nicht zu einem ernsthaften Spiel

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/CSU)

und infolgedessen auch nicht zu Ergebnissen. Diese Nachkarterei ist also in jedem Fall schlecht, Herr Kollege Schellenberg.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie ist schlecht, auch wenn die Dinge mit noch so großer Theatralik hier vorgebracht werden.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, einige wenige sachliche Erklärungen zum Thema. Auch die CDU/CSU-Fraktion hätte es gern gesehen, wenn uns der Bericht des Ministeriums zur Frage der lohnintensiven Belastungen schon vorgelegen hätte. Ich erkläre aber ausdrücklich, daß uns die Begründung, die der Herr Bundesarbeitsminister gegeben hat, durchaus einleuchtet. Wenn sich im Verlauf der Bearbeitung durch die interministerielle Kommission ergeben hat, daß, um der Sache wirklich auf den Grund zu gehen, noch weitere, noch tiefgründigere Prüfungen angestellt werden mußten, liegt idas durchaus im Interesse der Sache, und wir anerkennen dieses intensive Bemühen um eine möglichst lückenlose Berichterstattung an dieses Hohe Haus. Aus diesem Grunde finden wir uns mit dieser Verzögerung ab.

(Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Wie lange schon? — Weitere Zurufe von ,der SPD.)

Ich darf nur dem Wunsch Ausdruck geben, daß wir
recht bald in den Besitz dieses Berichts kommen.
Zum zweiten, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundesarbeitsminister in der Antwort auf die Große Anfrage erklärt:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Zweitkinder, und zwar nicht nur die Zweitkinder der Drei- und Mehrkinderfamilien, sondern auch die Zweitkinder der Zweikinderfamilien, in die Kindergeldgesetzgebung einbezogen werden sollen, . . . wo die Einkommenslage der Familie dies erfordert.
Im weiteren Verlauf seiner Antwort hat sich der Herr Minister ,des näheren über diesen Punkt ausgelassen. Er hat dem Hohen Hause in Aussicht gestellt, daß die Bundesregierung in Bälde einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der sich auf diese Erweiterung der Kindergeldgesetzgebung bezieht.

(Abg. Geiger [Aalen] meldet sich zu einer Frage.)

— Ich erlaube jetzt keine Zwischenfragen.
Ich unterlasse es, auf Einzelheiten einzugehen, insbesondere auf Ausführungen, die von links gemacht worden sind, zu entgegnen. Aber der Kollegin Döhring muß ich doch noch etwas sagen. Sie hat von den „bisher verabschiedeten fünf Kindergeldgesetzen" gesprochen. Diese Formulierung findet sich ja auch in dem Antrag der SPD-Fraktion. Nun, meine Damen und Herren, wir haben ein Kindergeldgesetz, das allerdings vier Novellierungen erfahren hat.

(Rufe von der SPD: Aha! — Na also! — Gegenrufe von der Mitte.)

Wir haben auch nur ein Lastenausgleichsgesetz, obschon es demnächst die 13. Novellierung erfahren wird.

(Zuruf von der Mitte: Oder das Kriegsopferrecht!)




Horn
Wollen Sie etwa sagen, wir hätten 13 Lastenausgleichsgesetze? Das nähme Ihnen kein vernünftiger Mensch ab.

(Beifall in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, wir werden also unsere Einzelerörterungen zu diesem Punkt zurückstellen, bis uns die Bundesregierung ihre Vorlage gemacht hat; dann ist ausreichend Gelegenheit, darüber zu reden,

(Sehr richtig! in der Mitte — Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Damit es am 1. September in Kraft tritt?!)

und dann möglichst nur mit dem Blick nach vorn und nicht immer nach hinten.
Obschon der Entschließungsantrag, der hier eingebracht wird und bezüglich dessen die Kollegin Korspeter namentliche Abstimmung beantragt hat, nach den Erklärungen der Bundesregierung überhaupt nicht mehr vonnöten wäre,

(Oho-Rufe und Lachen bei der SPD)

sind wir zwar nicht für eine namentliche Abstimmung jetzt und an dieser Stelle, aber wir beantragen Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß. Dann können und werden wir uns im Sozialpolitischen Ausschuß — passen Sie jetzt genau auf, meine Damen und Herren! — zur gegebenen Zeit auch über diesen Entschließungsantrag unterhalten. Mehr habe ich heute für die CDU/CSU-Fraktion nicht mehr zu erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313012100
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
Das Wort zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0313012200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, über den Antrag Umdruck 714 in der Weise getrennt abzustimmen

(Unruhe und Zurufe von der Mitte: Ausschußüberweisung!)

— Moment! —, daß über die Ziffern 1 und 3 gemeinsam und über Ziffer 2 für sich abgestimmt wird, und zwar selbstverständlich auch bezüglich des Antrags auf Ausschußüberweisung; dieser Antrag geht natürlich dem eigentlichen Antrag vor.
Der Zweck, den wir damit verfolgen,

(Abg. Ruf: Ist durchsichtig!)

ist folgender. Wir sehen ein, daß die Frist, die in Ziffer 2 gestellt wird, verhältnismäßig kurz ist, und sind auch bereit, diesbezüglich der Ausschußüberweisung zuzustimmen. Wir möchten aber verhindern, daß diese Tatsache der Fraktion der CDU/ CSU als Vorwand dient, die Behandlung der übrigen Punkte, die ja völlig geklärt sind und die keiner weiteren Ausschußberatung bedürfen, nun dadurch wieder hinauszuschieben und zu verzögern, daß der Sozialpolitische Ausschuß damit befaßt wird, der, wie wir erst vorgestern gehört haben, unverhältnismäßig stark belastet ist.
Wir können uns nicht damit abfinden, daß dauernd nur Hoffnungen erweckt und Vertröstungen gegeben werden — „zur gegebenen Zeit" und „wartet noch ein Weilchen" —, sondern wir meinen, daß über die Ziffern 1 und 3 ohne weiteres vom Hause entschieden werden kann.
Ich darf wiederholen: Wir beantragen, über die Ziffern 1 und 3 einerseits und über die Ziffer 2 andererseits getrennt abzustimmen.

(Beifall bei der FDP. — Zustimmung bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313012300
Es ist also dreierlei beantragt, und zwar erstens die Teilung der Frage. Die Lage nach § 53 der Geschäftsordnung ist nicht besonders klar, aber ich bin der Meinung, daß dem Antrag auf Teilung der Frage stattgegeben werden sollte. Es ist beantragt, die Ziffern 1 und 3 zusammenzufassen und anschließend über Ziffer 2 abzustimmen. Zweitens ist Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß — insgesamt, en bloc — beantragt. Schließlich ist namentliche Abstimmung zur Sache zum ganzen Antrag beantragt.
Zunächst zur Teilung der Frage! Ich lasse darüber abstimmen, ob die Ziffern 1 und 3 an den Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen werden sollen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; die Ziffern 1 und 3 sind auf jeden Fall an den Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen.
Wer für die Überweisung der Ziffer 2 an den Sozialpolitischen Ausschuß ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die gleiche Mehrheit; die Überweisung — —

(Unruhe und Zurufe von der FDP.)

— Sie haben dagegen gestimmt? - Entschuldigen Sie, ich korrigiere mich; aber es ist jedenfalls die Mehrheit des Hauses für die Überweisung.

(Zuruf von FDP: Wir haben dafür gestimmt!)

— Sie haben dafür gestimmt? Dann sind es doch noch mehr!

(Heiterkeit.)

Es wird jedenfalls nicht bezweifelt, daß die Mehrheit des Hauses auch bei Ziffer 2 für die Ausschußüberweisung ist. Damit ist die Ausschußüberweisung erfolgt. Die namentliche Abstimmung erübrigt sich infolgedessen.
Ich rufe nunmehr auf zur
Dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß — (Drucksachen 1666, 1929) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (21. Ausschuß) (Drucksache 2127).

(Erste Beratung 118. Sitzung, zweite Beratung 129. Sitzung)

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
zu den gestellten Änderungsanträgen. — Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Scheppmann.

Heinrich Scheppmann (CDU):
Rede ID: ID0313012400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte darum bitten, den Antrag der CDU/CSU Umdruck 712 Ziffer 5 vorzuziehen.
Am 26. Oktober ist in der zweiten Beratung der Antrag auf Einfügung des neuen § 20 a angenommen worden. Für die weiteren Anträge ist von Bedeutung, ob dieser § 20 a bestehenbleibt oder nicht. Es ist deshalb zweckmäßiger, daß zunächst über die Anträge, die den § 20 a betreffen, beraten und abgestimmt wird, weil sich daraus ergibt, wie die weiteren gestellten Anträge zu behandeln sein werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313012500
Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorschlag des Herrn Kollegen Scheppmann gehört, den Änderungsantrag Umdruck 712 Ziffer 5 vorzuziehen und zunächst darüber zu entscheiden, ob die Nr. 6 in Art. 1 gestrichen oder aufrechterhalten bleiben soll. Ist das Haus mit dieser Vorziehung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Herr Abgeordnete Scheppmann.

Heinrich Scheppmann (CDU):
Rede ID: ID0313012600
Ich darf den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Streichung des in der zweiten Beratung beschlossenen § 20a kurz begründen.
Nach diesem Paragraphen unterliegen „Zeitungen, Reiseandenken und Waren, die für bestimmte Fremdenverkehrs- und Ausflugsgebiete kennzeichnend sind", nicht den Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes. Eine Verkaufsstelle könnte also unbeschränkt offengehalten werden, wenn sie auch Zeitungen, Reiseandenken oder Waren, die für bestimmte Fremdenverkehrs- und Ausflugsorte kennzeichnend sind, verkauft. Die Gewähr dafür, daß nicht auch andere Waren verkauft werden, ist praktisch nicht gegeben. Der § 20a stellt damit eine Ausweitung dar, die das Ladenschlußgesetz in den Fremdenverkehrs-, Ausflugs- und Kurorten im wesentlichen unwirksam machen würde. Nach meinem Dafürhalten führen fast 80 % der Geschäfte Zeitungen und Reiseandenken. Alle diese Verkaufsstellen unterlägen nicht den Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes. Sie könnten nach Belieben, ohne jede Begrenzung, von morgens bis abends, an Sonn- und Feiertagen verkaufen.
Die Herausnahme der genannten Waren aus dem Geltungsbereich des Ladenschlußgesetzes ist falsch. Sie hat außerdem zur Folge, daß der § 17 des Ladenschlußgesetzes, der sich mit dem besonderen Schutz der Arbeitnehmer befaßt, nicht mehr für die Angestellten gilt, die mit dem Verkauf der obengenannten Waren beschäftigt werden. Das wäre in der Tat ein sozial unhaltbarer Zustand.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Regelung des § 20 a, die in der zweiten Beratung
beschlossen worden ist, eine ungeheure Auswirkung auf die Sonntagsarbeit hätte, die wir sicherlich nicht wünschen. Wir wünschen eine solche Entwicklung nicht, weil wir bestrebt sind, die Sonntagsruhe weiterhin auszubauen.
Die Fraktion der CDU/CSU lehnt daher den §20 a, der in der zweiten Beratung angenommen worden ist, ab. Sie beantragt in der dritten Lesung, den § 20a wieder zu streichen. Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313012700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0313012800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß eine solche Ausnahmebestimmung nicht gerade schön aussieht. Aber ich frage mich, was sieht denn an diesem Gesetz, an dem wir nun wieder einmal herumpfuschen, überhaupt schön aus?
Wie sieht es denn bisher mit dem Verkauf von Zeitungen aus? Nach der Verordnung über den Verkauf bestimmter Waren an Sonn- und Feiertagen vom 21. Dezember 1957 — Bundesgesetzbl. I, Seite 1881 — dürfen verkauft werden: frische Milch an zwei Stunden, Konditorwaren an zwei Stunden, Blumen an zwei Stunden, jedoch am 1. November, am Volkstrauertag, am Buß- und Bettag usw. an sechs Stunden, Zeitungen an fünf Stunden. Für Milch, Konditorwaren und Blumen gilt das aber nicht am 2. Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertag, für Zeitungen nicht am 1. Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertag. Wenn Sie sich für das Schicksal der bedauernswerten Berliner interessieren: nach § 2 der Verordnung gilt für Berlin wieder etwas anderes. Dort dürfen auch am 1. Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertag während der Dauer von fünf Stunden Zeitungen abgegeben werden. Man kann hier feststellen, daß ungeheurer Fleiß und große Weisheit verwendet wurden, um abzuwägen, ob an den verschiedenen Feiertagen solche Waren an fünf oder sechs Stunden verkauft werden sollen.
Wir haben nicht die Sorge, daß die vorgesehene Bestimmung des § 20a zu einer erheblichen Durchbrechung der Sonntagsruhe führen würde. Wenigstens aber würde dadurch eine solche Verordnung überflüssig werden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen, daß einem nicht sehr wohl ist, wenn man an einem solchen Gesetz mitarbeitet. Man hat wirklich das Gefühl, daß sich der Gesetzgeber damit lächerlich macht. Ich nenne z. B. die eigenartige Zusammenstellung in § 10. Hier werden in einem Atemzug genannt: Badegegenstände, Devotionalien — ich nehme an, daß jedermann weiß, was Devotionalien sind — und Frischobst!

(Heiterkeit.)

Das erinnert mich so an ein Gesellschaftsspiel, das
wir einmal auf einer Jagdhütte, Herr Präsident, getrieben haben, wo es darum ging, aus völlig zusam-



Dr. Bucher
menhanglosen Worten Verse zu bilden, also z. B. aus Apfelmus, Integration und Ölsardinen.

(Heiterkeit.)

Die soeben angeführte Stelle aus dem Gesetz spricht für den ganzen Stil, den wir bei diesem Gesetz anwenden.
Aus den oben angeführten Gründen sind wir der Meinung, man sollte retten, was noch zu retten ist, und möglichst viel Freiheit lassen. Wie treten daher dem Antrag, den § 20 a zu streichen, entgegen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313012900
Herr Abgeordneter Lange!

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0313013000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre nützlich gewesen, Herr Kollege Scheppmann, wenn Sie bei Ihren Ausführungen über die Sonntagsarbeit darauf verwiesen hätten, daß Sie effektiv 22 verkaufsoffene Sonntage statt der bisherigen 16 in den Kur- und Erholungsgebieten einführen wollen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Es hat doch keinen Zweck, hier Versteck zu spielen. Sicher ist doch eines, meine Damen und Herren: Ausnahmen von einer seit Jahrzehnten existierenden Regelung der Ladenöffnungs- oder Ladenschließungszeit in bezug auf einige Warengruppen hat es immer gegeben. Sie sind nur beseitigt worden im Zusammenhang mit diesem Gesetz. Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir von vornherein einige Warenausnahmen von diesem Gesetz gewollt hatten. Das ist nicht möglich gewesen, und damit ist dann einiger Unsinn gemacht worden. Außerdem kann man hier nicht sagen, daß Bestimmungen, die auf den § 17 bezogen sind oder sich aus § 17 ableiten, verletzt würden.
Dann muß ich den Kollegen des Ausschusses für Arbeit hier noch einmal zu Gemüte führen, daß die beiden mitberatenden Ausschüsse, der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für Mittelstandsfragen, empfohlen haben, diese Warenausnahmen auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen; und wenn man geglaubt hätte, dort noch einige Sicherheiten einbauen zu können, hätte — was die abhängig Beschäftigten betrifft — kein Mensch gegen solche Sicherheitsbestimmungen etwas einzuwenden gehabt. Die Begründung aber, daß hier Arbeitsschutzbedenken und ähnliches beständen, ist bei dem Charakter der überwiegenden Zahl dieser Betriebe — und das sind fast 95 % der hier in Betracht kommenden Betriebe — nicht möglich. Arbeitsschutzbedenken spielen hierbei keine Rolle.
Außerdem kommt noch eines hinzu; und insoweit gehe ich noch über die Nr. 6, die Sie hier begründet haben, Herr Kollege Scheppmann, zwangsläufig hinaus, weil ja das Äquivalent für die Streichung von Nr. 6 in Ihrer Ziffer 2 enthalten sein soll. Sie haben hier wieder den Begriff „Andenken" weggelassen. Sie haben nur die Waren hinzugenommen, die für diese Orte kennzeichend sind.

(Zuruf des Abg. Scheppmann.)

Das bedeutet gegenüber dem Begriff „Andenken" oder „Reiseandenken" eine Einengung; es bedeutet, daß das Warensortiment, das heute unter „Reiseandenken" läuft, dadurch verändert - sprich: eingeengt — wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Strohhüte an der Ahr fallen doch darunter!)

— Die Strohhüte sind kein besonderes Charakteristikum der Ahr, die können auch anderswo getragen werden. Also das ist nicht drin. Außerdem sollte, glaube ich, niemand so vermessen sein, mit Hilfe eines Gesetzes über Ladenöffnungs- oder Ladenschlußzeiten Geschmackszensuren einzuführen. Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten; oder: über Geschmack sollte man nicht streiten. Was da allenthalben, nicht nur unter der Marke „Reiseandenken", sondern überhaupt im gesamten Warensortiment, dem Verbraucher entgegentritt, läßt ja in dieser Hinsicht manches zu wünschen übrig. Aber das kann doch nicht Gegenstand der Überlegungen für den Gesetzgeber sein.
Sie machen hier wiederum das, worauf ich im Zusammenhang mit der Begründung unseres § 20 a hingewiesen habe: Sie ruinieren hier in der Tat einen Geschäftszweig, einen Gewerbezweig, obwohl Sie doch immer wieder erklären, daß Sie insbesondere den Selbständigen zu helfen bereit sind. Ich muß hier wiederholen, was ich schon bei der Verabschiedung der Vierten Novelle zur Gewerbeordnung gesagt habe: Sie sind der Auffassung, daß eine bestimmte Größenordnung von Selbständigen — Idas sind die Kleinen, um nicht zu sagen: die Kleinsten für Sie einfach kein Diskussionsgegenstand mehr sind, für Sie einfach nicht mehr förderungswürdig und nicht mehr anerkennensberechtigt als Selbständige sind. Dieser Eindruck muß doch entstehen; und Sie haben alles zu tun, um diesen Eindruck zu verhindern. Mit § 10 bleibt dieser Eindruck weiterhin bestehen; denn jeder wird Ihnen vorrechnen können, was sich hier an ungerechtfertigten Einschränkungen in der Tat ergibt.
Ich würde also genau wie Herr Bucher hier sagen, daß sich eine solche Einschränkung nach unserer Überzeugung nicht rechtfertigen läßt und man den § 20,a so bestehen lassen sollte, wie er hier vorgesehen ist. Alles andere, verehrte Kolleginnen und Kollegen, führt zu einer Begünstigungderjenigen Gruppen, die im Grunde eine Förderung und Begünstigung in .diesem Umfange nicht brauchen. Die Wettbewerbssituation, die für die betreffenden Gruppen so kritisch ist, wird damit genauso kritisch bleiben, ja mit Ihrer Formulierung noch kritischer werden und damit zu einer ernsthaften Existenzgefährdung führen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313013100
Herr Abgeordneter Illerhaus!

Joseph Illerhaus (CDU):
Rede ID: ID0313013200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie Sie, Herr Kollege. Lange, die Dinge dargestellt haben, kann man sie nicht sehen. Auf der einen Seite sind Sie mit Ihrer Frak-



Illerhaus
tion immer dafür, die Ladenzeiten, wo es überhaupt nur geht, einzuengen. Sie haben so nebenbei auch den Antrag gestellt, die Bestimmung über Offenhaltung der Geschäfte ,am ersten Samstag im Monat, die wir damals zugestanden haben, wieder abzuschaffen, obwohl in der weiten Öffentlichkeit längst klar geworden ist, daß für die Offenhaltung an diesem ersten Samstag wirklich ein Bedürfnis vorhanden ist.

(Zustimmung bei ¡der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

Bei dem § 20 a gehen Sie jetzt den umgekehrten Weg. Jetzt möchten Sie also eine Ausweitung vornehmen. Aber die wirkt sich nicht nur so aus, wie Sie sagen, Herr Kollege Lange, daß also die sogenannten kleinen und kleinsten Leute ihr Geschäft öffnen dürfen. Jeder, und wenn er tausend Angestellte beschäftigt, würde unter diese Bestimmung fallen, wenn er in seinem Geschäft in einer Ecke Zeitungen oder Andenken und was dazugehört verkauft; Das können Sie doch einfach nicht verantworten!
Aus dem Grunde, meinen wir, sollte man die Regelung schaffen, die wir von der CDU/CSU beantragt haben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313013300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Joseph Illerhaus (CDU):
Rede ID: ID0313013400
Bitte sehr, Herr Kollege Lange!

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0313013500
Herr Kollege Illerhaus, wird das, was Sie hier befürchten, eintreten?
Weitere Frage: Haben wir nicht eine solche Regelung schon für die Friseure, die ja auch ein bestimmtes Warensortiment führen und bei denen man gesagt hat, daß man das in Kauf nimmt? Man muß Nachteile und Vorteile doch abzuwägen verstehen.

Joseph Illerhaus (CDU):
Rede ID: ID0313013600
Herr Kollege Lange, mir ist nicht bekannt, daß ein Friseur Inhaber eines Warenhauses sein kann. Von den Friseuren habe ich natürlich nicht gesprochen. Das ist ein ganz kleiner, begrenzter Kreis. Es handelt sich doch hier um die Möglichkeit der Ausweitung auf den gesamten Handel in diesen Orten, nicht etwa um kleine Ausnahmen, die wir selbstverständlich in Kauf nehmen müssen.
Ich meine, wir sollten den Antrag der CDU/CSU annehmen und den § 20 a wieder streichen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313013700
Herr Abgeordneter Lange!

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0313013800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So einfach, Herr Kollege Illerhaus, kommen Sie mir hier nicht davon. Bei dem Hinweis auf die Friseure ist Ihnen ja völlig klar, daß es sich dabei um ein ganz breites Warensortiment handelt, das sich nicht notwendigerweise mit dem deckt, das hier zur Debatte steht. Aber wir haben damals in Kauf genommen, daß in bezug auf die Innehaltung der Öffnungs- und Schlußzeiten möglicherweise gewisse Nachteile bestehen können. Hier besteht ja gar keine Gefahr. Außerdem können ja durch die notwendigen Durchführungsvorschriften Sicherungen geschaffen werden, so daß ernsthafte Bedenken, so wie Sie sie hier dargestellt haben, nicht aufzukommen brauchen. Es bleibt also trotz Ihrer Aussage dabei, daß Sie im Grunde die Kleinen ruinieren.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313013900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Franzen.

Jakob Franzen (CDU):
Rede ID: ID0313014000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Lange sagen, daß durch diesen § 20 a die Arbeitsschutzvorschriften für diejenigen, die von diesem Personenkreis beschäftigt werden, aufgehoben werden. Der Personenkreis, der mit den genannten Artikeln auf den Markt oder in den Handel geht, kann zunächst einmal unbeschränkt an allen Tagen verkaufen und kann dann während seiner Verkaufszeiten auch Angestellte beschäftigen. Das Ladenschlußgesetz geht von Verkaufsstellen aus, wogegen § 105 b Abs. 2 der Gewerbeordnung von „Handelsgewerbe" spricht. Der Begriff „Verkaufsstellen" bleibt also bestehen, und durch § 31 des Ladenschlußgesetzes ist zunächst einmal § 41 a der Gewerbeordnung aufgehoben. Ferner heißt es im letzten Satz des § 31 Abs. 2 des Ladenschlußgesetzes:
Außerdem treten alle Vorschriften, die den Vorschriften dieses Gesetzes widersprechen, außer Kraft.
Also auch die Schutzvorschriften der Gewerbeordnung für diesen Personenkreis!
Nun sagen Sie, Sie wollten den kleinen Leuten helfen. Das wollen wir auch. Aber Sie haben ja nicht einen Personenkreis abgegrenzt, sondern nur ein bestimmtes Warensortiment. Wenn Sie nur den kleinen Leuten helfen wollten, hätten Sie auch den Personenkreis abgrenzen müssen; denn jetzt können die großen Leute dieses Warensortiment auch in ihr Geschäft aufnehmen. Ich könnte Ihnen Beispiele dafür geben, wie es an Fremdenverkehrsorten gemacht wird, wo an einer Ecke Reiseandenken verkauft und im übrigen, um einmal ein Beispiel zu nennen, Textilwaren, Sportartikel usw. verkauft werden. Die Geschäftsinhaber können also, wenn sie mit Waren wie Reiseandenken handeln, ihr Geschäft offenhalten und bei dieser Gelegenheit auch das andere verkaufen. Das können wir gar nicht kontrollieren, dazu haben wir nicht die Möglichkeit. Wenn Sie also den kleinen Leuten helfen wollen, kann das dadurch geschehen, daß der § 20 a gestrichen wird.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß wir bei der Beratung des Ladenschlußgesetzes die Kioske — hier handelt es sich um den Personenkreis,



Franzen
den Sie meinen — ausgenommen haben. Für die Kioske, die auch Selterswasser und sonstige Dinge verkaufen, soll mit der bevorstehenden Neuregelung des Gaststättengesetzes eine Regelung erfolgen.
Ich bitte Sie also, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Streichung des § 20 a anzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313014100
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Abgeordneten Arndgen, Dr. Dittrich und Genossen auf Umdruck 712 Ziffer 5. Danach soll § 20 a wieder gestrichen werden. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; § 20 a bzw. Nr. 6 ist gestrichen.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag Umdruck 712 Ziffer 1, Antrag der Abgeordneten Arndgen, Dr. Dittrich und Genossen. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schneider!

Georg Schneider (CDU):
Rede ID: ID0313014200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem § 20 a gefallen ist, muß Nr. 1 a in Art. 1 auch gestrichen werden. Ich bitte Sie deshalb, dem Streichungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 712 Ziffer 1 zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313014300
Keine weiteren Wortmeldungen. Es ist auch klar und eigentlich mehr eine redaktionelle Änderung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 712 ist angenommen.
Es folgt Ziffer 2 des Änderungsantrags Umdruck 712. Zur Begründung Herr Abgeordneter Wieninger!

Karl Wieninger (CSU):
Rede ID: ID0313014400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ziffer 2 unseres Antrags Umdruck 712 beantragen wir zunächst, in § 10 Abs. 1 hinter dem Wort „aufzuführenden" einzufügen „Ausflugs-," — das ganze Wort heißt „Ausflugsorte" —; diese Einfügung soll der Klarstellung dienen. Ebenfalls zum Zwecke der Klarstellung beantragen wir, in § 10 Abs. 1 die Worte „Andenken und Badegegenstände, Devotionalien, Tabakwaren, Frischobst, Obstsäfte, Süßigkeiten, Blumen und Zeitungen" zu ersetzen durch die Worte „Badegegenstände, Devotionalien, frische Früchte, alkoholfreie Getränke, Milch und Milcherzeugnisse im Sinne des § 4 Abs. 2 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 811), Süßwaren, Tabakwaren, Blumen und Zeitungen sowie Waren, die für diese Orte kennzeichnend sind,". Zur Interpretation möchte ich hier feststellen, daß mit „Waren, die für diese Orte kennzeichnend sind" auch Reiseandenken und Waren, die landschaftlich typisch sind, gemeint sind. Ich sage das, weil eine gegenteilige Ansicht laut geworden ist.
Nun zu unserem Antrag zu Buchstabe b des Art. 1 Nr. 3. Der beantragte § 20 a ist gestrichen worden.
Der Streichungsantrag ist auch von Abgeordneter gestellt worden, die dem Mittelstandsausschuß an gehören. Wir hatten seinerzeit diesen § 20 a be schlossen. In der dritten Lesung haben mein Freunde und ich nicht mehr zugestimmt, weil um von Sachverständigen der Exekutive schlüssig dar, gelegt worden ist, daß dagegen gesetzessystematisch ernste Bedenken bestehen. Die Überwachung und die Handhabung des Gesetzes würde erschwert und Ungleichheiten wären zwangsläufig. Es is keine Schande, wenn man sich belehren läßt und der Belehrung auch Rechnung trägt. Das Anliegen dem wir vorgestern mit dem § 20 a entsprechen wollten, liegt uns nach wie vor am Herzen, nämlich den kleineren Existenzen in Fremdenverkehrsgebieten, die ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Reisebedarf und Reiseandenken verdienen, die Existenzmöglichkeit zu erhalten. Es bleibi wahr, daß durch die bisherige Regelung starke Umsatzschrumpfungen eingetreten sind. Es handelt sid um Einzelhändler in Orten, die an den Werktagen keinen oder fast keinen Verkehr, am Sonntag abet einen Publikumsandrang aufzuweisen haben. Und
allen liegt die Heiligung des Sonntags am Herzen Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es sich bei den Andenkenverkäufern um eine Berufsgruppe handelt, die sich der Deckung eines speziellen Bedarfs, der gerade an Sonntagen auftritt, widmet Wir wollen aus diesem Grunde eine Ausweitung der Verkaufsmöglichkeiten von sechzehn auf zweiundzwanzig Sonntage erreichen. Wir sind der Meinung, daß dies einerseits dem Bedürfnis der Geschäfte in den Fremdenverkehrsorten entspricht und daß man andererseits damit dem Bestreben, den Sonntag zu heiligen, nachkommt. Wir glauben daher, daß das Haus unserem Antrag zustimmen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0313014500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wieninger hat hier zwar ausgeführt, daß nach Meinung der Antragsteller unter Waren, die für diese Orte — d. h. Kur-, Erholungs- und Ausflugsorte — kennzeichnend sind, auch Reiseandenken zu verstehen seien. Ich bin aber nicht sicher, ob das juristisch haltbar ist. Denn Reiseandenken sind nur zum Teil für bestimmte Orte kennzeichnend, im allgemeinen sind sie für Gebiete kennzeichnend. Daher glaube ich, daß durch diese Fassung Reiseandenken nicht generell erfaßt werden, und die Frage ist, wie wir mit diesem Gesetzestext bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten der Betroffenen vor Gericht bestehen können.
Noch etwas anderes ist hierzu zu bemerken. Ich hatte schon vorhin bei der Darlegung der Ablehnungsgründe darauf hingewiesen, daß hier über § 10 zweiundzwanzig verkaufsoffene Sonntage eingeführt werden und daß dies als „entsprechende Hilfe" deklariert wird. Ich hatte vorhin schon gesagt, daß damit auch anderen geholfen wird, die der Hilfe nicht bedürfen. Mit der Erhöhung der Zahl von 16 auf 22 Sonntage kommt nämlich in der Tat das Problem, das Sie beim § 20 a so groß geschrieben haben, in Wirklichkeit auf uns zu; denn hier werden die abhängig Beschäftigten, also die



Lange (Essen)

kaufmännischen Angestellten, die Einzelhandelsangestellten betroffen. Hier hätten Sie aus den Erwägungen, die für die Kollegen der CDU/CSU aus dem Ausschuß für Arbeit maßgebend waren, eigentlich keine Erhöhung von 16 auf 22 Sonntage vornehmen dürfen. Sie widersprechen sich nämlich aus den genannten Gründen, und außerdem widersprechen Sie sich, weil Sie hier so stark die Aufrechterhaltung der Sonntagsruhe betont haben. Wir sollten also nicht mit solchen Dingen operieren, wenn wir kurz danach schon wieder das Gegenteil beweisen. Das hat keinen Sinn.
Wir können einer solchen Formulierung, wie Sie sie hier als Ersatz für den gestrichenen § 20 a vorschlagen, nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313014600
Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich lasse über den Antrag Umdruck 712 Ziffer 2 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 712 Ziffer 2 ist angenommen.
Antrag Umdruck 713! Handelt es sich da um eine redaktionelle Änderung? Herr Abgeordneter Lange, wollen Sie den Änderungsantrag begründen?

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0313014700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in § 14 Abs. 3 vorgestern den ersten Satz gestrichen. Diese Streichung war, nachdem der § 13 für die Sonntage im Dezember gefallen war, auch berechtigt. Uns scheint es gerechtfertigt zu sein, die Sonntage, die auf die verkaufsoffenen Sonnabende folgen, für die Zwecke, die im § 14 aufgeführt sind, nicht freizugeben. Das ist der Sinn unseres Antrags.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313014800
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Seidl (Dorfen).

Franz Seidl (CSU):
Rede ID: ID0313014900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lange hat ganz recht, wir haben § 14 Abs. 3 Satz 1 gestrichen. Aber, Herr Kollege Lange, wir haben es getan, uni zu erreichen, daß die Einzelhandelsgeschäfte auf dem flachen Land, wo die Märkte üblich sind — und wo diese Einzelhandelsgeschäfte unter dem Marktgeschehen vor ihren Türen wirklich sehr zu leiden haben —, die Möglichkeit bekommen, im Rahmen des Kontingents von vier Sonntagen am letzten Novembersonntag oder an einem der Dezembersonntage zu öffnen. In diesem Jahr — deswegen haben wir diese Übergangsvorschrift beschlossen — ist über das Kontingent schon verfügt. Wäre das nicht so, hätten wir diese Übergangsvorschrift gar nicht gebraucht.
In den nächsten Jahren soll die Möglichkeit geschaffen werden, die vier Sonntage von Anfang an so zu verteilen, daß dort, wo ein wesentlicher Markt ist, der die Geschäfte am Platz besonders
beeinträchtigt, ein Offenhalten möglich ist. Das bleibt selbstverständlich im Rahmen des Kontingents.
Da der hier vorgelegte Antrag eine Verschlechterung bringen würde, können wir ihm leider nicht zustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313015000
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wer ,dem Änderungsantrag Umdruck 713 der Abgeordneten Killat und Genossen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem Alternativantrag Umdruck 715, den Herr Kollege Killat ,gestellt hat. Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß dieser Umdruck zur Zeit verteilt wird. Ich empfehle dem Haus, nun die Begründung anzuhören. Bitte, begründen Sie, Herr Kollege Killat.

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0313015100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Sie soeben den Antrag Umdruck 713 abgelehnt haben und damit praktisch ,die bisherige Sperrklausel in § 14 wieder beseitigt wird, sehe ich mich veranlaßt, den Alternativantrag einzubringen, der jetzt verteilt wird. Der Antrag wird von der notwendigen Zahl von Abgeordneten unterstützt. Ich glaube, es ist notwendig, auf die Bedeutung dieses Antrages aufmerksam zu machen und klarzustellen, worüber soeben abgestimmt worden ist.
Wir haben in der zweiten Lesung gemeinsam die Beseitigung der verkaufsoffenen Sonntage — am sogenannten Silbernen und Goldenen Sonntag — beschlossen. Als Ausgleich für die ausgefallene Verkaufszeit an zwei Sonntagen in der Regel zu vier Stunden hat man generell beschlossen, die Ladengeschäfte ,an vier Sonnabenden vor dem 24. Dezember statt bisher bis 14 Uhr bis 18 Uhr offen zu halten. Das bedeutet für den Verbraucher einen vollen Ausgleich, ja, er hat sogar teilweise noch einen Gewinn an Zeit, abgesehen davon, daß auch durch die Schaffung eines langen Verkaufssonnabends wesentlich mehr Verkaufszeit und auch Zeit zum Disponieren zur Verfügung steht als an einem Sonntag in vier Stunden bei dem ungeheuren Gedränge, das wir bisher feststellen konnten.
Praktisch führt diese Maßnahme dazu, daß in Zukunft, in diesem Jahr beispielsweise schon ab 26. November, das Verkaufspersonal bis zum 24. Dezember an allen Wochentagen 'bis spät abends tätig sein muß. Bei ¡der bisherigen Regelung der verkaufsoffenen Sonntage hatten wir die Bestimmung im Gesetz, daß am Sonnabend um 14 Uhr geschlossen werden mußte, so daß das Verkaufspersonal eine etwas längere Ruhepause von etwa 24 Stunden bis zur Öffnung am Sonntag hatte. Das entfällt. Man kann auch nicht darauf verweisen, daß in Zukunft nicht nur ländliche Gebiete oder kleine Orte davon betroffen würden, sondern auch der Hamburger Dom oder das Nürnberger Christkindlfest, das bisher an den verkaufsoffenen Sonntagen statt-

Killat (Unterbach)

fand. Das könnte nun dazu führen, daß man bei solchen Anlässen auf Grund des § 14 aus den vier Sonntagen zwei auswählt und an diesen Sonntagen auch offen hält und damit ununterbrochen von dem letzten Sonnabend im November bis zum 24. Dezember offen hält.
Wir sind also ,der Meinung, daß es notwendig ist, zum Schutze der Beschäftigten den § 14 dahin gehend zu ändern

(Abg. Arndgen: Mach Schluß, wir stimmen zu!)

— ist in Ordnung, Herr Kollege Arndgen —, daß, wenn in bestimmten Orten aus bestimmten Anlässen von der Möglichkeit, an Sonntagen offen zu halten, Gebrauch gemacht wird, an den vorhergehenden Sonnabenden ab 14 Uhrgeschlossen werden muß. Ich glaube, allseits Verständnis für diesen im Interesse der Beschäftigten liegenden Antrag zu finden, und darf um Ihre Zustimmung bitten.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313015200
Herr Abgeordneter Illerhaus!

Joseph Illerhaus (CDU):
Rede ID: ID0313015300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir glauben, daß wir diesem Antrag zustimmen können.

(Beifall bei der SPD.) .


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313015400
Abstimmung! Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Killat und Genossen auf Umdruck 715 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag auf Umdruck 715 ist angenommen.
Nunmehr kommen wir zu dem Änderungsantrag der Abgeordneten Arndgen, Dr. Dittrich und Genossen auf Umdruck 712 Ziffer 3. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Franzen!

Jakob Franzen (CDU):
Rede ID: ID0313015500
Nach unserem Änderungsantrag auf Umdruck 712 Ziffer 3 soll in Art. 1 Nr. 4 a der Buchstabe b folgende Fassung erhalten:
In Absatz 3 Satz 2 wird das Wort „sechzehn" durch das Wort „zweiundzwanzig" ersetzt.
Hier handelt es sich um eine sogenannte redaktionelle Änderung. Weil wir in § 10 die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage von 16 auf 22 erhöht haben, muß diese Erhöhung auch in § 14 Abs. 3 vorgenommen werden, wo es heißt, daß die Zahl 16 bei der Freigabe von vier weiteren Sonntagen für Messen und Märkte nicht überschritten werden darf. Es ist also eine Sperrklausel, die notwendig ist, damit nicht durch den Abs. 1 des § 14 noch vier weitere Sonntage hinzukommen.
Durch die Annahme dieses Änderungsantrages wird weiter erreicht, daß der Beschluß in der zweiten Lesung zu Art. 1 Ziffer 4 a Buchstabe b aufgehoben wird, daß also die alte Fassung des Ladenschlußgesetzes bestehenbleibt. Wir hatten in der
zweiten Lesung beschlossen, den ersten Satz des § 14 Abs. 3 zu streichen, der lautet: „Sonn- und Feiertage im Dezember dürfen nicht freigegeben werden". Die Begründung dafür hat mein Kollege Seidl bereits gegeben. Nunmehr ist die Situation eine andere. Wir haben nicht mehr 16, sondern 22 Sonntage freigegeben. Dadurch besteht natürlich die große Gefahr, daß weitere freigegebene Sonntage in den Dezember verlegt werden. Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß es bei der ursprünglichen Sperrklausel in § 14 Abs. 3 Satz 1
bleiben muß'.
Ich bitte Sie, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313015600
Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 712 Ziffer 3 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Umdruck 712 Ziffer 4 auf. Herr Abgeordneter Schneider zur Begründung!

Georg Schneider (CDU):
Rede ID: ID0313015700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ähnliches wie das, was ich zu unserem Antrag auf Umdruck 712 Ziffer 1 gesagt habe, gilt auch für die Ziffer 4 des gleichen Antrags. Auch dieser Antrag hängt mit dem Wegfall des § 20 a zusammen; meiner Meinung nach muß diese redaktionelle Änderung vorgenommen werden. Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313015800
Keine Wortmeldungen.
Wir stimmen ab über den Antrag Umdruck 712 Ziffer 4. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Jetzt kommt der Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Umdruck 711. Zur Begründung der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0313015900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das ist ein Änderungsantrag, der Ihnen aus der zweiten Lesung bekannt ist und von dem der damals amtierende Präsident pietätvoll meinte, er spreche für sich selbst und brauche nicht begründet zu werden. Er wurde dann aber abgelehnt, weil er zu weit gefaßt war, und liegt Ihnen jetzt in einem ganz eng gefaßten Rahmen vor, so daß Sie ihm sicherlich zustimmen können. Es handelt sich darum, daß Angehörige, die von auswärts kommen oder samstags vormittags arbeiten, die Möglichkeit haben sollen, nachmittags noch Pflanzen und Blumen für die Gräber ihrer Verstorbenen zu besorgen. Das hat nichts mit Sonntagsentheiligung zu tun, sondern ist eine Frage der Pietät. Ich darf bitten, dem Antrag zuzustimmen.



Spitzmüller
Ich darf noch bemerken, daß eine redaktionelle Änderung vorliegt. Statt „von 300 m" muß es heißen: „bis zu 300 m".

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313016000
Es soll also heißen: „in einem Umkreis bis zu 300 m von Friedhöfen". Keine Wortmeldungen.
Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Jetzt kommt der Änderungsantrag Umdruck 712 Ziffer 6. Wird er begründet? — Herr Abgeordneter Rasner!

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0313016100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erneuern den Antrag aus der zweiten Lesung — der redaktionell noch eindeutiger gefaßt worden ist —, in diesem Jahr eine Ausnahme für Grenz- und Marktorte zuzulassen. Natürlich ist es klar, daß, wenn sich die Ausnahmeregelung nur auf einen Sonntag bezieht, diese Ausnahmeregelung auch nur für einen Sonnabend Platz greift.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313016200
Wortmeldungen? — Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen.
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 712 Ziffer 6 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor.
Vor der Abstimmung hat Herr Abgeordneter Spies das Wort.

Josef Spies (CSU):
Rede ID: ID0313016300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe der Ablehnung des § 20 a nicht zugestimmt. Ich kann auch dem Gesetzentwurf im ganzen nicht zustimmen, weil ich für jede Durchlöcherung des Ladenschlußgesetzes bin. Ich sähe am liebsten das ganze Ladenschlußgesetz ersatzlos gestrichen,

(Beifall rechts)

da ich nach wie vor nur den Ländern eine gesetzliche Regelung zuerkenne. Die Länder allein sind in der Lage, die ortsgegebenen Verhältnisse klar zu sehen und daher gesetzlich zu regeln.

(Erneuter Beifall rechts.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313016400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Diebäcker.

Hermann Diebäcker (CDU):
Rede ID: ID0313016500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion habe ich zur Schlußabstimmung folgende Erklärung abzugeben.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die soeben zum Ladenschlußgesetz gefaßten Beschlüsse. Die dadurch geschaffenen Änderungen des gegenwärtigen Rechtszustandes, insbesondere hinsichtlich des Fortfalls ,der verkaufsoffenen Sonntage vor
dem Weihnachtsfest, entsprechen unserer grundsätzlichen Auffassung von der Heilighaltung des Sonntags. In einer Zeit, in der zunehmend weite Kreise der Arbeitnehmerschaft zur Fünf-Tage-Woche übergehen, ist kein Grund vorhanden, diesen Sonntagen ihre Stellung als Tage religiöser Besinnung und Ruhe vorzuenthalten.
Die Tatsache, daß nach Beobachtung der letzten Jahre die Termine für Weihnachtseinkäufe sich weitgehend auf den Anfang des Weihnachtsmonats, ja sogar auf den Monat November verschoben haben, gab Veranlassung, im Interesse der Verbraucherschaft Einkaufsmöglichkeiten an den Samstagnachmittagen vor dem Weihnachtsfest zu schaffen. Eine Beeinträchtigung der berechtigten Belange der im Einzelhandel und Handwerk beschäftigten Arbeitnehmer erfolgt nach unserem Dafürhalten nicht, da die ohnehin in der Arbeitszeitordnung bzw. in den Tarifverträgen festgelegten Bestimmungen über die Arbeitszeit durch die Gesetzesänderungen nicht berührt werden.
Wenn in einigen wenigen Grenz- und Marktorten die Bestimmungen in diesem Jahre noch nicht in Kraft treten sollen, dann deswegen, weil für das Jahr 1960 im Vertrauen auf die bisherige Regelung weitgehend organisatorische Vorbereitungen getroffen waren, deren Rückgängigmachung den Beteiligten unzumutbare Verluste aufgebürdet hätte.
Ebenfalls im Interesse der Verbraucherschaft wurde den Landesregierungen die gegenüber früher nur wenig erweiterte Möglichkeit gegeben, an einzelnen Plätzen der Bundesrepublik eine auf wenige Stunden beschränkte Ladenöffnung für einen kleinen Kreis von Geschäften mit eng umgrenztem Warenkreis zuzulassen. Wir erwarten von den Landesregierungen, daß sie von diesen Ausnahmemöglichkeiten nur dort Gebrauch machen, wo zwingende Gründe der Verbraucherversorgung dies erfordern.
Abschließend sei noch erwähnt, daß wir hoffen, mit der vorliegenden Änderung des Ladenschlußgesetzes eine Regelung dieser so schwierigen Materie für lange Zeit erreicht zu haben, da unseres Erachtens mit dieser Entscheidung die Interessen der Verbraucher, der betroffenen Beschäftigten und der Gewerbetreibenden in einem ausgewogenen Maße berücksichtigt sind.
Wir stimmen dem Gesetz zu.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313016600
Herr Abgeordneter Dürr!

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0313016700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der Freien Demokratischen Partei habe ich zu erklären, daß wir bedauern, diesem Änderungsgesetz nicht zustimmen zu können. Es hat für die Unterschiedlichkeiten, die sich aus der Situation der verschiedenen Gebiete in der Bundesrepublik ergeben, zu wenig Freiheit gelassen. Das Gesetz ist außerordentlich perfektionistisch. Wir glauben, die Regelung ist so getroffen, daß wir im nächsten Bundestag leider wieder eine Debatte



Dürr
über eine Änderung des Ladenschlußgesetzes haben werden.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0313016800
Keine weiteren Erklärungen.
Meine Damen und Herren, wer dem Gesetzentwurf mit den in der dritten Beratung angenommenen Änderungen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Haben Sie Zweifel? Immerhin ist die Minderheit beträchtlich. Aber eine kleine Mehrheit ist immer noch größer als eine große Minderheit. Wir wiederholen die Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ich halte das erste für die Mehrheit. — Der Sitzungsvorstand ist sich nun einig: das erste ist die Mehrheit. Ich kann sagen, meine Herren, das Gesetz ist also gerade noch angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Zustimmung zu folgender Handhabung der Geschäftsordnung. Es ist mir erst jetzt aufgefallen: wir haben in unserer Geschäftsordnung eigentlich nicht die Möglichkeit, das zu tun, was in jedem anderen Parlament der Welt, soweit ich es kenne, getan werden kann, nämlich eine explication de vote, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Es ist bei uns im Hause üblich, daß die Fraktionen Erklärungen abgeben .Ich halte es jedoch für ausgeschlossen, daß man das nur den Fraktionen zugesteht und dem einzelnen Mitglied verweigert. In diesem Hause sollte es üblich sein, daß in dieser Sache die einzelnen Mitglieder z. B. so wie bei Änderungsanträgen in der zweiten Lesung dieselben Rechte haben wie Gruppen von Abgeordneten. Ich bin deshalb der Meinung, daß, solange man im Hause den Fraktionen die Abgabe von Erklärungen vor der Abstimmung zugesteht, dies auch dem einzelnen Mitglied gestattet werden sollte. Ich sehe keine Möglichkeit einer Disqualifizierung.
Ich mache vor allem deshalb darauf aufmerksam, weil § 59 nur die Abgabe von Erklärungen zu Protokoll vorsieht. Ich würde es aber begrüßen, wenn das Haus auch weiter dem stillschweigenden Brauch folgte und die Abgabe von Erklärungen auch hier vor dem Hause zuließe. Ich mache darauf aufmerksam, weil das für die weitere Entwicklung und Handhabung unserer Geschäftsordnung von Bedeutung sein wird.
Nun muß noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abgestimmt werden, über den Antrag, die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den letzten Punkt unserer Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP und der Gruppe der DP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Drucksache 2097 [neu]);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wiedergutmachung (7. Ausschuß) (Drucksache 2167).

(Erste Beratung 128. Sitzung)

Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?

(Abg. Frenzel: Ich verweise auf den Schriftlichen Bericht!)

— Der Herr Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Ich rufe auf in zweiter Beratung die Artikel 1,
— 2, — 3 — sowie Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Gesetz in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 9. November, 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.