Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung von Forschung und Wissenschaft durch den Bund ;
b) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Nachwuchsmangel in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen ;
c) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Graf , Bender, Höcherl, Donhauser und Genossen betreffend Förderung des technischen Nachwuchses (Drucksache 2374).
Die Begründung zu den Buchstaben a und berfolgt getrennt. Wer begründet die Große Anfrage der Fraktion der SPD unter Buchstabe a?
— Herr Abgeordneter Menzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Fraktionssitzung, die vielleicht noch fünf bis zehn Minuten dauern wird. Ich bitte, entweder so lange die Sitzung zu vertagen oder einen anderen Tagesordnungspunkt aufzurufen.
Da Sie auf Vertagung nicht unbedingt Wert legen, schlage ich vor, daß wir einen anderen Punkt behandeln.
Können wir vielleicht den Punkt 2 nehmen? Die Antragsteller kommen nicht aus den Reihen der Sozialdemokratie. Sind die Redner dazu im Saale?
Aber vielleicht ist der Berichterstatter zum Getreidepreisgesetz da. — Der Abgeordnete Dr. Horlacher ist anwesend. Ich rufe also Punkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1956/57 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft (Drucksache 2381);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 2426).
Freudig vom Hause begrüßt, hat das Wort als Berichterstatter der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freude wird nicht groß werden, denn meine Berichterstattung ist sehr kurz.
Es handelt sich um folgenden Tatbestand. Das Getreidepreisgesetz muß bis 1. Juli 1956 veröffentlicht sein. Deswegen ist es notwendig, daß das Gesetz jetzt möglichst rasch verabschiedet wird, damit der Bundesrat das gleiche tun kann. Der Ausschuß hat infolgedessen einmütig alle Bedenken, die er gegenüber einzelnen Bestimmungen des Gesetzes noch hatte, zurückgestellt und hat dem Gesetz im wesentlichen unverändert — abgesehen von gewissen technischen und juristischen Verbesserungen, die an dem materiellen Inhalt des Gesetzes nichts ändern — zugestimmt. Diese Änderungen sind aus der Drucksache 2426 zu ersehen.
Der Ausschuß war weiter der Meinung, daß unabhängig von dem vorliegenden Gesetz wegen der künftigen Gestaltung des Getreidepreisgesetzes schon im September Beratungen über die allgemeine Getreidepolitik stattfinden sollen. Ich habe das dem Hohen Hause zur Kenntnis zu bringen.
Unter den angeführten Voraussetzungen bitte ich, dem Gesetzentwurf mit den Änderungen, die aus der Drucksache 2426 ersichtlich sind, zustimmen zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung den § 1 mit der Anlage auf, die sich auf Seiten 6 ff. der Drucksache befindet. Wird hierzu 'das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich zuerst über die Anlage zu § 1 Abs. 4 abstimmen. Wer der Anlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Jetzt lasse ich über den § 1 als Ganzes abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf: §§ 2, — 3, — 4, — 5, — 6, — 7, — 8, — 9, —10, —11, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Also gegen eine Stimme ohne Enthaltungen angenommen; es war der Abgeordnete Margulies, der dagegen stimmte, um es genau festzustellen.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, können wir nunmehr in die Beratung von Punkt 1 eintreten?
Ist der Abgeordnete Huth im Saal? —
— Sind die Redner zur Begründung da? Ist Abgeordneter Ruhnke da?
— 2 a und b begründet der Herr Kollege Dr. Schmid? Gut, dann rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Abgeordneten Ruhnke, Geiger , Dr.-Ing. Drechsel, Elsner, Dr. Schild (Düsseldorf) und Genossen betreffend Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke (Drucksache 1657),
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ruhnke, Schwann, Dr. Bartram, Geiger , Dr. Gülich, Elsner, Dr. Elbrächter, Dr.-Ing. Drechsel, Dr. Schild (Düsseldorf) und Genossen betreffend Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke (Drucksache 1734).
— Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ältestenrat seinerzeit beschlossen, die beiden Tagesordnungspunkte mit Rücksicht auf den Terminkalender des Herrn Bundesministers für Atomfragen umzustellen und die Kernenergieanfrage erst nach dem Punkt 1 zu behandeln. Der Bundesminister für Atomfragen hat sich darauf eingerichtet, erst eine Stunde nach Beginn im Plenum anwesend sein zu müssen. Er würde sehr gerne die Begründung des Kollegen Professor Schmid hören. Ich glaube, wir sollten es, nachdem wir das im Ältestenrat so beschlossen haben und da der Herr Bundesminister gegenwärtig bei dem Empfang für den früheren amerikanischen Präsidenten Truman ist, bei der alten Regelung belassen.
Es besteht Einverständnis. Also können wir vorerst weder Punkt 1 noch Punkt 2 behandeln.
— Jetzt kann Punkt 1 behandelt werden? — Dann rufe ich erneut auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung von Forschung und Wissenschaft durch den Bund ;
b) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Nachwuchsmangel in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen ;
c) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Graf , Bender, Höcherl, Donhauser und Genossen betreffend Förderung des technischen Nachwuchses (Drucksache 2374).
Zur Begründung von 1 a hat das Wort der Abgeordnete Kahn-Ackermann.
Kahn-Ackermann , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inmitten bedeutsamer technischer Veränderungen, die wir erleben, sind die Förderung des wissenschaftlichen und des technischen Nachwuchses, der Aufbau und die Neuerrichtung von Instituten, Lehrstühlen und wissenschaftlichen Arbeitsplätzen große Aufgaben in fast allen Industrienationen der Welt geworden. Untrennbar mit diesen Aufgaben verbunden ist die Verbesserung des allgemeinen Schul- und Bildungswesens. Beides, sowohl das Schul- wie das Bildungswesen sind in der Bundesrepublik lange vernachlässigte Sorgenkinder. Wir haben besonderen Anlaß, uns mit unseren Bildungseinrichtungen zu befassen. Denn sie müssen nicht nur, wie in anderen Ländern, den neuen Erfordernissen angepaßt werden, sondern bei uns gibt es aus dem Kriege und aus dem „Dritten Reich" stammende Mängel aufzuholen. Leider befindet sich unser Schulwesen vielerorts in einem so desolaten Zustand, daß ohne eine Behebung der hier auftretenden Mißstände die Voraussetzung für eine sinnvolle Förderung der notwendig gewordenen Ausweitung unserer wissenschaftlichen Forschung nicht mehr gegeben ist.
Von dem amerikanischen Außenminister Dulles, dessen Feststellungen unserer Meinung nach nicht immer passable Leitfäden für die Politik der Bundesrepublik sind, stammt die Äußerung, daß der Kalte Krieg in den Hörsälen entschieden werde. Nun, wir glauben, an die Stelle des Kalten Krieges ist bereits eine andere Phase der Auseinandersetzung zwischen Ost und West getreten. Aber gerade diese Phase dokumentiert sich dadurch, daß die Bemühungen und die Anstrengungen in den Hörsälen fast aller Nationen verstärkt und vergrößert werden müssen, um in dem internationalen Wettbewerb nicht nur auf den Wirtschaftsmärkten, sondern auch in anderer Beziehung bestehen zu können. Diese Frage ist für die Bundesrepublik von einer besonders brennenden Aktualität und als Aufgabe zweifellos dringlicher als andere Vorkehrungen, welche wir gegenwärtig unter dem Einsatz ungeheurer Mittel in Angriff nehmen.
Das Thema der Großen Anfrage Drucksache 2326 führt in eine der Provinzen der Bundesrepublik, die leider Gottes nicht zu ihren schönsten gehört, in das deutsche Schul- und Bildungswesen und in
den Stand der Förderung unserer Wissenschaft und Forschung. Ja, es gibt nicht wenig Stimmen bei uns, die der Meinung sind, daß das vielgepriesene Wirtschaftswunder fast spurlos an unserem Schulwesen und an den Stätten der Wissenschaft und der Forschung in der Bundesrepublik vorbeigegangen sei. Ich will das nicht dramatisieren, und eine solche Behauptung erscheint mir unzutreffend und ungerecht. Aber leider sind wir weit davon entfernt, mit dem Erreichten zufrieden sein zu können. Im Gegenteil, während in Wirtschaft und Verwaltung und fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens die meisten Schäden des Krieges behoben sind und darüber hinaus Produktion und Leistung der letzten Vorkriegsjahre erreicht worden sind, haben unsere Schulen, Universitäten und Forschungsstätten nicht in gleichem Umfang an diesem Aufstieg teilgehabt. Es wird Sie vielleicht überraschen, daß wir elf Jahre nach dem Waffenstillstand zur Kenntnis nehmen müssen, daß im Durchschnitt erst 50 % der Kriegsverluste aufgeholt worden sind, obwohl seit 1945 in der Bundesrepublik beispielsweise mehr Schulräume erstellt worden sind als in den 50 Jahren zwischen 1890 und 1940. Die Folgen und die gegenwärtigen Auswirkungen davon kann man nur als einen Raubbau an zukünftigen Generationen bezeichnen. Über die Folgen dieser Tatsache werden wir uns heute hier zu unterhalten haben.
Ich möchte mit allem Nachdruck festhalten, daß wir diese Große Anfrage eingebracht haben, weil wir die Zustände im Schulwesen der Bundesrepublik mit allen Konsequenzen für die Wissenschaft und die Forschung und, damit verbunden, für die allgemeine Wohlfahrt unseres Landes nicht mehr länger zu tolerieren vermögen. Ob man es gern hört oder nicht: die Zustände im Schulwesen, auf den Universitäten und in den Einrichtungen für Wissenschaft und Forschung haben sich zu einer Art nationalen Notstandes ausgewachsen und sind die Ursache dafür, daß wir uns im Deutschen Bundestag bei allen verfassungsmäßigen Vorbehalten der Lösung der entstandenen Probleme annehmen sollten.
Es ist wahr, das Grundgesetz gibt uns nur in Art. 78 ein Mitbestimmungsrecht in den Fragen der Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Aber ich möchte bemerken, daß eine Erörterung der sehr folgenschweren Mängel dieser Förderung nicht möglich ist, ohne den Ursachen nachzugehen; und im übrigen gibt es keine Bestimmung im Grundgesetz, die es diesem Hause verbietet, sich ernste Gedanken über eines der allerwichtigsten Probleme unseres staatlichen Daseins zu machen, nämlich über unser Bildungswesen. Ich glaube, in dieser Frage sind sich alle Fraktionen einig.
Man wird leider häufig verdächtigt, ein Gegner des föderativen Charakters unserer Republik zu sein, wenn man hier über einen Gegenstand spricht, der im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt. Das ist die Folge eines Geistes, der sich bedauerlicherweise in einigen Kulturbürokratien der Länder breitgemacht hat und der droht, die Maßstäbe zu verlieren. In den zahlreichen überregionalen Erörterungen sind häufig Zuständigkeits- und Protokollfragen viel wichtiger geworden als die Sache selbst. Aber das ist eine Krankheit, die nicht nur die Bürokratien einiger Länder, sondern teilweise auch die des Bundes ergriffen hat. Hierüber wird vielleicht bei einer anderen Gelegenheit etwas zu sagen sein.
Indessen: wir sind keine Gegner des Kulturföderalismus, aber wir sind Gegner eines Kulturpartikularismus, der die sinnvolle überregionale Zusammenarbeit dort verhindert, wo sie unbedingt notwendig ist. Lassen Sie mich als Freund der Erhaltung unseres Kulturföderalismus sagen, daß dieser Föderalismus und die Schulhoheit der Länder auf die Dauer mit den auf diesem Gebiet gemachten ausreichenden Anstrengungen und Leistungen stehen und fallen wird.
Unsere Skepsis gegenüber der Idee, daß z. B. die gegenwärtigen bedrückenden Schwierigkeiten und der waltende Notstand durch eine Verfassungsänderung und die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums behoben werden könnten, resultiert aus der Erfahrung, daß die schöpferische Initiative und die persönliche Qualifikation für die Aufgabe, die in den Kulturverwaltungen mehr als anderswo vonnöten sind, keineswegs automatisch in einer Bundesverwaltung besser entwickelt werden könnten als anderswo. Einheitliche Richtlinien bedeuten noch keineswegs einen Aufschwung unseres Schulwesens, eine Verbesserung der Lehrerbildung und die überfällige Hochschulreform und anderes mehr. Das haben wir zum Überdruß in der Vergangenheit gesehen. Aber es ist ja glücklicherweise auch nicht mehr so, daß die Länder blind wären. Die dringlichen Probleme, die aus dem Mangel an technischen Nachwuchskräften entstanden sind, haben immerhin auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Bad Pyrmont zu der Erkenntnis geführt, daß das Königsteiner Abkommen in seiner bisherigen Form zur Bewältigung der neuen auf uns zukommenden Aufgaben nicht ausreichen wird und daß auch die Kultusministerkonferenz ein zu schwerfälliges Instrument ist, um die ständig anwachsenden überregionalen Kulturaufgaben zu bewältigen. Es ist außerordentlich begrüßenswert, daß sich daher in einigen Bundesländern die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß zur Erfüllung der von Jahr zu Jahr vordringlicher werdenden gemeinsamen Aufgaben im Bereich von Schule, Wissenschaft, Forschung und Technik neue Wege einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gefunden werden müssen. Aus den letzten Erklärungen des bayerischen Ministerpräsidenten können wir sogar entnehmen, daß hierzu gegenwärtig von Länderseite schon die ersten Schritte unternommen werden.
Ein großer Teil dieser Aufgaben, meine Damen und Herren, ist nur durch den Einsatz und die Bewilligung bedeutender öffentlicher Mittel zu bewältigen. Die Größenordnungen sind erschreckend. Aber sehr sorgfältige Untersuchungen ergeben, daß z. B. allein zur Beseitigung der dringlichsten durch Kriegszerstörungen bedingten Schulraumnot noch Investitionen von mindestens 4 Milliarden DM erforderlich sind.
Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, daß dies einzig und allein Aufgabe der Länder sei. Aber die Länder und Gemeinden geben gegenwärtig jährlich über 4 Milliarden für ihr Schulwesen und rund 600 Millionen für den Schulhausbau aus. Selbst bei diesen erheblichen Aufwendungen wird es noch zehn Jahre dauern, bis der Vorkriegsstand in der Bundesrepublik erreicht ist, ganz zu schweigen von der ungewöhnlich schwierigen Situation, die durch die jetzige Kreditlage auf dem Geldmarkt entstanden ist und die bei der derzeitigen Zinshöhe einen großen Teil der gemeind-
lichen Schulträger dazu zwingt, von längst überfälligen Schulhausbauten Abstand zu nehmen, weil es ihnen unmöglich ist, die dafür benötigten Mittel auf dem Geldmarkt aufzunehmen.
In dieser Situation ist nicht berücksichtigt, daß zusätzliche Bauleistungen erforderlich sind, um andere häßliche Krankheiten unseres Schul- und Hochschulwesens zu beseitigen. Können wir uns das leisten, muß man fragen, noch zehn Jahre zu warten? Ich glaube, Sie alle werden sich mit mir darüber einig sein, daß wir uns das nicht leisten können, und es gibt eine Reihe von Gründen dafür. Die Schulraumnot und der Lehrermangel haben es mit sich gebracht, daß die Zahl der Unterrichtsstunden pro Schüler heute im Bundesdurchschnitt 25 % unter dem Mittel liegt, das man vor 35 Jahren, im Jahre 1921, als Mindestmaß für die damaligen Verhältnisse angesetzt hat.
Sie brauchen ferner nur die Sonntagszeitungen mit dem Stellenmarkt aufzuschlagen, um sich ein Bild von dem akuten Mangel an qualifizierten Kräften und auch akademischen Kräften zu machen. Der desolate Zustand unseres Berufsschulwesens und vornehmlich dessen Mangel an qualifizierten und ausreichend bezahlten Berufsschullehrkräften begrenzt die für Deutschland lebensnotwendige Heranbildung eines ausreichenden Facharbeiternachwuchses.
Die gegenwärtigen Verhältnisse machen überdies die von allen Pädagogen geforderte und zweifellos notwendige obligatorische Einführung des neunten Volksschuljahrs unmöglich. Der allgemeine Zustand unseres Volksschulwesens, insbesondere auf dem Lande, verhindert die Förderung begabter Kinder. Der Mangel an Sonderschulen für Minderbegabte drückt auf das Unterrichtsniveau und die allgemeinen Leistungen. Viele begabte Kinder finden nur schwer oder gar nicht den Anschluß an die höhere Schule. Damit wird die Begabtenauslese als Grundlage aller Bestrebungen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung bereits in ihren Anfängen aufs schwerste beeinträchtigt. Tatsächlich gibt es in der Bundesrepublik immer noch so etwas wie ein Bildungsmonopol,
und darauf werden wir später noch zu sprechen kommen.
Ich möchte ferner auf die gesundheitlichen Folgen der augenblicklichen räumlichen Beengung unseres Schulwesens aufmerksam machen; denn sie sind besorgniserregend. Zu dieser Seite der Angelegenheit werden wir vielleicht heute etwas hören. Ich möchte mich daher auf die Feststellung beschränken, daß drei Viertel der drei Millionen Schulkinder in der Bundesrepublik schichtweise unterrichtet werden müssen und daß gewissenhafte Querschnittuntersuchungen als Folge ergeben haben, daß die Hälfte unserer Jugendlichen an nervösen Störungen und notorischer Unruhe leidet.
Ihnen wie mir sind die Klagen über das Anwachsen des Halbstarkentums insbesondere an unseren Berufsschulen wohlbekannt. Suchen Sie die Ursache nicht allein bei den Jugendlichen, sondern bei uns selbst, die wir uns zehn Jahre lang nicht ausreichend um den Zustand unseres Schulwesens gekümmert haben! Leider — und ich muß das hier sagen — hat man nach 1949, nachdem die Verantwortung der Alliierten auf diesem Gebiet zu Ende ging, an vielen Orten nichts Besseres zu tun gewußt als unter der Behauptung, die uns aufgezwungenen Schulreformbestrebungen hätten eine ungesunde Unruhe in unser Bildungswesen gebracht, alles gewaltsam einschlafen zu lassen und zu den Prinzipien von vorgestern zurückzukehren. Auch sind die erregenden Bildungsfragen unserer Jugend unter den Stillhalteabkommen, die über den konfessionellen Streitigkeiten geschlossen worden sind, als sogenannte heiße Eisen viel zu lange der Erörterung der Parlamente und auch dieses Hauses, das für ganz Deutschland die Verantwortung trägt, entzogen worden.
Unter diesen Umständen müssen wir uns fragen, ob die öffentlichen Mittel, die wir für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgeben, in einem angemessenen Verhältnis zu anderen Ausgabe-. posten in unseren Haushalten stehen. Es wäre verlockend, hier Zahlen zu nennen. Ich will darauf verzichten, weil man mit ihnen immer nach Wunsch manipulieren kann. Aber erlauben Sie mir ein paar Feststellungen. Der Prozentsatz der öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich — und das wird mir der Herr Bundesinnenminister wohl bestätigen — kann sich durchaus nicht mit den Aufwendungen anderer westlicher Kulturnationen messen. Aber dieses statistische Faktum sagt noch sehr wenig über die tatsächlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik aus. Es trägt nämlich nicht den gewaltigen Kriegszerstörungen und dem dadurch bedingten Nachholbedarf Rechnung. Es verschweigt, daß wir als drittgrößte Industrienation der Welt in unserem Bildungswesen Probleme zu bewältigen haben, die sich in diesem Umfang für andere Länder nicht stellen, und es berücksichtigt nicht, daß die private Initiative und Leistung auf dem Gebiet des Bildungswesens in der Bundesrepublik im Gegensatz zu anderen Ländern leider kaum mehr ins Gewicht fällt. Schließlich geht es über die bedauerliche Realität hinweg, daß die Bundesrepublik von allen großen Kulturnationen das miserabelste und unzulänglichste System der Begabtenförderung hat.
Es gäbe hier noch mehr zu sagen. Ich will darauf verzichten, möchte aber einen Hinweis nicht unterschlagen, nämlich daß die Bundesrepublik in der gegenwärtigen Situation in besonderem Umfang ihre Bildungseinrichtungen auch anderen Nationen zur Verfügung stellen müßte, die in dieser Hinsicht wesentlich schlechter dran sind als wir. Manchmal muß man daran zweifeln, ob trotz offizieller Erklärungen der ehrliche Wille dazu besteht. Wenn man ihn aber wirklich hat, so würde dem Vollzug dieser Aufgabe bei der Beharrung auf dem gegenwärtigen kulturpolitischen Kurs und den dazu bisher bewilligten Mitteln sehr enge Grenzen gesetzt sein.
Wenden wir uns noch einmal der Frage zu, ob ein angemessener Teil unseres Budgets für die Sicherung unserer Zukunft, nämlich für das Bildungswesen und die Förderung von Wissenschaft und Forschung, bei uns ausgegeben wird. Ich hoffe, Sie alle sind sich darüber im klaren, daß diese Frage seit dem zügigen Fortschreiten der industriellen Automation und der praktischen Anwen-
dung von durch Kernspaltung gewonnener Energie ihre ganz besondere Aktualität genießt. Ja, diese Frage bedeutet sogar eine große Sorge, aber eine Sorge, die sich bedauerlicherweise im Bundeshaushalt überhaupt nicht ausdrückt. Dieser trägt vielmehr weitgehend den Stempel des „business is usual". Hierfür gibt es eine Menge Gründe. Ich will niemanden anklagen, aber die Aufwendungen des Bundes für die Förderung des Bildungswesens, für Wissenschaft und Forschung sind nicht nach der Dringlichkeit der Aufgabe orientiert,
sondern nach dem unzutreffenderweise aus der Verfassung abgeleiteten Prinzip des do ut des, das dem Finanzminister des Bundes natürlich wohlgefällig ist: Gibt ein Land für eine bestimmte Sache Mittel, dann gibt der Bund auch etwas. Ich glaube kaum, daß sehr viele Mitglieder dieses Hauses, am wenigsten der Herr Bundesminister für Atomfragen, daran zweifeln, daß die notwendigen zusätzlichen Zuschüsse für den Aus- und Aufbau von Wissenschaft, Technik und Forschung, wenn wir mit der Welt Schritt halten wollen, schon sehr bald in die Hunderte von Millionen gehen werden. Wenn die Länder dabei stets die Hälfte tragen sollen, wie sollen sie da — das möge man mir einmal erklären! — in wenigen Jahren die Milliarden erfordernden schädlichen Mängel unseres Volks-, Berufs- und höheren Schulwesens beseitigen?! Nach diesem Prinzip der Mittelteilung kann man im Bundeshaushalt in Zukunft ohne schwerste Schädigung für das Gemeinwohl wohl nicht mehr verfahren; denn auch die Spezialfrage der Förderung des technischen Nachwuchses kann
nur im Zusammenhang mit einer allgemeinen und durchgreifenden Sanierung unserer Bildungs- und Forschungseinrichtungen gelöst werden. Leider müssen wir heute feststellen, daß der Anteil der Aufwendungen für Forschung, Wissenschaft und Bildung im Bundeshaushalt völlig unzureichend ist und daß er seit diesem Jahr, nämlich seit der vollen Einbeziehung der Rüstungslasten in den Bundeshaushalt, in ein geradezu groteskes und beschämendes Mißverhältnis zu unseren Gesamtausgaben geraten ist.
Dieses Mißverhältnis kann nicht mit dem Hinweis auf die eigentliche verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder bemäntelt werden. Bund und Länder haben z. B. auf dem Sektor der Hochschulen Erhebliches gel eistet. Trotzdem müssen die personellen und materiellen Verhältnisse an unseren Hochschulen mit äußerster Besorgnis betrachtet werden. Der Bedarf an qualifizierten wissenschaftlichen und technischen Fachkräften nimmt bei uns wie in anderen Teilen der Welt unvorstellbare Ausmaße an. Der Bedarf an diesen Fachkräften wächst nach Erhebungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gegenwärtig fünfmal schneller als die Rate des normalen Bevölkerungszuwachses. Das heißt, daß, wenn wir in kommenden Jahren konkurrenzfähig bleiben wollen, unsere Volks- und Mittelschulen ein Vielfaches von dem an qualifizierten Absolventen an die nächsthöheren Bildungseinrichtungen abgeben müssen, was sie bisher abgegeben haben. Die höhere Schule muß ihre Kapazität verdoppeln oder durch eine im übrigen längst überfällige Reform ihrer Methoden und ihres Lehrstoffs wenigstens 50 statt bisher nur 20 % ihrer Besucher bis zur Universitäts- und Hochschulreife bringen. Ein solches Ergebnis zu liefern, sind aber die Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik heute materiell wie personell außerstande.
Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang nur sagen, daß ich kürzlich mit einigem Schmunzeln eine Nachricht in einer Bonner Zeitung gelesen habe, daß die Bonner Universität für den Beamtennachwuchs und die jungen Diplomaten des Auswärtigen Amts Deutschkurse zur besseren und richtigen Handhabung der deutschen Sprache eingeführt hat.
Ich glaube nicht, daß es vor drei Jahrzehnten denkbar gewesen ist, daß in einem solchen Amt Kräfte aufgenommen worden sind, die der deutschen Sprache nur in einem solchen Umfang mächtig gewesen sind, daß man sie hinterher noch in besonderen Kursen hat schulen müssen.
Ich möchte Sie ferner in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse aufmerksam machen, die ein Bundesland bei der Prüfung der Bewerber für den öffentlichen Dienst gehabt hat. Sie sind derartig katastrophal: Bei den Prüfungen für den gehobenen Dienst sind 29 % durchgefallen, wenn ich mich recht erinnere, für den mittleren Dienst 40 %, und ein großer Teil der Prüflinge hat die Note 5 bekommen.
— Ich glaube, wenn man diese Ergebnisse von mehreren Ländern bekanntgäbe, würde ersichtlich, daß die Ergebnisse in diesen Ländern dem dieses Landes nicht nachstehen, Herr Minister.
Die Situation an unseren Hochschulen ist auch deswegen unerquicklich, weil die Zahl der Studierenden in einem krassen Mißverhältnis zu der Zahl der Dozenten steht und sich zunehmend Schwierigkeiten bei der Besetzung von Lehrstühlen zeigen. An der Universität Heidelberg waren z. B. nach Mitteilungen, die mir gemacht worden sind, zu Beginn dieses Jahres 22 Lehrstühle unbesetzt.
Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, daß diese Schwierigkeiten allein durch eine materielle Hilfe des Bundes gelöst werden könnten. Aber die Kulturverwaltungen, Fakultäten und die Ordinarien zahlreicher Universitäten tragen zum Teil selbst ein gerüttelt Maß von Schuld an diesen sehr unerfreulichen Verhältnissen.
Weiter leidet die wissenschaftliche Forschung an unseren Universitäten auch unter dem Mangel an wissenschaftlichen Assistenten und Hilfskräften. Ihre Zahl muß in den nächsten Jahren verdoppelt werden, wenn die Forschungstätigkeit an den Hochschulen nicht infolge der Beanspruchung im Unterrichtsbetrieb zum Erliegen kommen soll.
Endlich kann die astronomisch anmutende Kostenprogression bei der materiellen Ausstattung unserer wissenschaftlichen Institute nicht außer Betracht gelassen werden. In einer Zeit, als die meisten diesem Hause angehörenden Akademiker die Universität besuchten, kostete der teuerste Apparat etwa für ein physikalisches Institut 15 000 Mark. Heute kostet ein simples und gewöhnlich schon zur Grundausrüstung eines solchen Instituts gehörendes Elektronenmikroskop 100 000 DM. Andere, durchaus nicht ungewähnliche Apparaturen erfordern für ihre Anschaffung Aufwendun-
gen von 300 000, 500 000 und mehr Mark. Aber kaum in einem einzigen Falle ist die Dotierung unserer wissenschaftlichen Institute und Forschungslaboratorien dieser Kostenentwicklung gefolgt.
Es wäre verlockend, Ihnen hier in aller Ausführlichkeit die vordringlichsten Vorhaben und Aufgaben sowohl der Grundlagenforschung wie der angewandten Forschung zu schildern, die wegen mangelnder Mittel nicht in Angriff genommen werden können, obwohl sie für unsere Wirtschaft und unsere Wissenschaft so nötig wie das tägliche Brot sind. Da die Länder — von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen — außerstande sind, hierzu zusätzliche Mittel frei zu machen, müssen die vom Bund der Forschungsgemeinschaft gewährten Zuschüsse wenigstens verdoppelt werden.
Man kann diese Dinge nicht mit einer Handbewegung zur Seite tun oder versuchen, sich unter dem Hinweis auf unsere grundgesetzliche Regelung der Mitverantwortung zu entziehen. Die kontinuierliche Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Forschung ist wirklich gefährdet. Es gibt besorgniserregende Anzeichen dafür, u. a. die Tatsache, daß es noch vor 20 Jahren für einen großen Teil der ausländischen Wissenschaftler aus fachlichen Gründen absolut notwendig war, die deutsche Sprache einigermaßen zu beherrschen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Vor 25 Jahren befanden sich z. B. unter 100 internationalen Arbeiten der Grundlagenphysik annähernd 50, die aus Deutschland kamen. In den letzten Jahren war dieser Anteil auf eine oder zwei Arbeiten abgesunken.
In der Bundesrepublik — und das bitte ich Sie sich besonders zu Herzen zu nehmen — hat auch die Zahl der Hochschullehrer gegenüber dem Jahre 1930 kaum mehr zugenommen,
ein Vorgang, der im Vergleich mit allen Staaten nicht nur der westlichen, sondern auch der östlichen Welt einzigartig ist. Das ist doch der Beweis dafür, daß vieles an unseren Universitäten nicht in Ordnung ist.
Im übrigen möchte ich das Haus auf die zahlreichen ausgezeichneten Berichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder des Stifterverbandes der deutschen Wissenschaft verweisen. Wenn wir da Vergleiche mit anderen Industrienationen anstellen, so fallen sie äußerst deprimierend aus. Großbritannien gibt im Jahr von seiten des Staates 2 Milliarden für seine Forschung aus, die Vereinigten Staaten — staatliche und private Hilfsmittel zusammen — 20 Milliarden, von der Sowjetunion ganz zu schweigen. In der Bundesrepublik sind es zur Zeit ungefähr eine Milliarde. Davon stammen 90 Millionen aus den Mitteln des Bundes —die jetzt noch um die Mittel erhöht werden, die in den Haushaltsplan des Herrn Atomministers eingeplant worden sind —, 520 Millionen bringen die Länder auf, und 400 bis 600 Millionen — diese Zahlen sind geschätzt — kommen aus den Kreisen der privaten Wirtschaft.
Bevor ich mich in aller Kürze den einzelnen Punkten unserer Großen Anfrage zuwende, möchte ich das Haus und die Bundesregierung noch auf ein ganz spezifisches Problem hinweisen, das allzu deutlich macht, warum die Bundesländer die Aufgaben, die die Förderung von Forschung und Wissenschaft im Jahre 1956 uns stellen, ohne groß-
zügige und von finanztechnischen Erwägungen befreite Politik der Bundeszuschüsse einfach nicht bewältigen können.
Es gibt nämlich heute keinen Bereich der Wissenschaft, der wie vor rund 30 Jahren für einen einzelnen Gelehrten noch überschaubar wäre. Das Genie, das in der Einsamkeit noch zu bahnbrechenden Erkenntnissen gelangt, gehört der Historie an. Fast alle Entdeckungen und umwälzenden Erfolge in der Forschung der letzten 20 Jahre sind auf Team-Arbeit zurückzuführen. Eine fruchtbare Grundlagenforschung ist daher heute fast ausnahmslos nur noch in Instituten möglich, in denen mehrere Wissenschaftler gleicher Richtung zusammenarbeiten und sich gegenseitig informieren.
Dieses moderne Forschungsprinzip steht aber leider in krassem Gegensatz zum traditionellen Lehr- und Forschungsbetrieb an unseren deutschen Universitäten und Instituten, der sich jeweils für eine Fachrichtung um einen Ordinarius und bestenfalls zwei Assistenten gruppiert. Da unsere Kulturbehörden und die Universitäten selbst eifersüchtig an diesem System festhalten, das die übrigen Dozenten sowohl der Bezahlung als auch ihren Rechten nach auf zweite, dritte und vierte Plätze verweist, können solche modernen Forschungszentren bei uns nicht entstehen. Da die den Ordinarien beigegebenen Assistenten alle paar Jahre wechseln, liegt die Kontinuität der Forschungsaufgaben allein auf den Schultern eines Mannes, des Ordinarius. Es liegt auf der Hand, daß wir in solchen EinMann-Instituten nicht mit der internationalen Forschung Schritt halten können. Es wird übrigens in der Hand der Mitglieder dieses Hauses liegen, bei der Beratung des neuen Besoldungsrahmengesetzes der antiquierten und schädlichen hierarchischen Standesordnung in bezug auf die Besoldung und Rechtsstellung unserer Universitätsdozenten einen empfindlichen Schlag zu versetzen und die Dinge auf eine modernere Basis zu stellen.
Wir brauchen solche Forschungszentren, di materiell und personell nur durch überregionales Zusammenwirken entstehen können. Mit der Einrichtung ein paar zusätzlicher Diätendozenturen, wie es heute vielfach als Ausweg empfohlen wird, ist es nicht getan, vor allem nicht, weil der Leistung des Dozenten heute, wenn er nicht Ordinarius ist, keinerlei materielles Äquivalent gegenübersteht. Wenn wir es nicht bald dahin bringen, daß an unseren wissenschaftlichen Instituten neben dem Ordinarius Platz für hochqualifizierte und entsprechend bezahlte wissenschaftliche Kräfte geschaffen wird, werden auf zahlreichen Forschungsgebieten alle anderen Förderungsmaßnahmen vergeblich sein.
Tun wir einmal einen Blick über unsere Grenzen! Allein an der Universität Moskau gibt es 50 Lehrstühle für Physik. Die deutsche Forschung ist durch das Dritte Reich und den zweiten Weltkrieg schwer angeschlagen worden. Um das eben erwähnte Problem zu lösen, ist es notwendig, daß wir alles unternehmen, um den Anschluß an den internationalen Stand der Forschung nicht mehr zu verpassen. Dazu ist aber besonders eine Lösung des Ihnen eben unterbreiteten Problems notwendig.
Nun zu den einzelnen Punkten unserer Großen Anfrage!
Zur Schulraumnot. Ende 1955 gab es für 163 000 organisierte Klassen in der Bundesrepublik 125 000 Schulräume. Die Schwerpunkte der Schulraumnot liegen in den Großstädten. Selbst die Stadtstaaten
wie Hamburg und Bremen, in denen manches organisatorisch leichter zu lösen war als in anderen Bundesländern und die über sehr großzügige Schulhausbauprogramme verfügten und sie durchführen konnten und noch durchführen, sind noch nicht aus dem Gröbsten heraus. Dem Land Hamburg z. B. fehlen noch 70 Schulen mit 1400 Unterrichtsräumen. Selbst in Nordrhein-Westfalen fehlten Ende letzten Jahres noch 7000 Unterrichtsräume, mit deren Erbauung aber erst wieder der Stand von 1939 erreicht wäre.
Eine weiterhin durch die gegenüber 1939 veränderten Verhältnisse notwendige Erhöhung des Schulraumbestandes ist darin nicht enthalten. Besonders drückend ist auch der Fehlbestand an Turnhallen, allein in Nordrhein-Westfalen 170. Ein den Erfordernissen unseres Unterrichtswesens entsprechender Mehrbedarf an Chemie- und Physikräumen, Zeichensälen, Werkstätten und Schulküchen ist nicht in diesen Zahlen enthalten.
Weit drückender liegen die Verhältnisse im zweitgrößten deutschen Bundesland, in Bayern. Von 2800 Klassen der höheren Lehranstalten dieses Landes sind noch immer 1200 Klassen ohne eigenen Unterrichtsraum. Insgesamt müssen im Lande Bayern noch wenigstens 8000 Schulräume errichtet werden, um einigermaßen normale Verhältnisse zu schaffen, wobei außer den höheren Schulen besonders die Berufsschulen unzulänglich ausgestattet sind. Zum Beispiel können über die Hälfte aller Mädchenklassen keine Schulküche in ihren Schulen benutzen. Ich will diese Statistik bestürzender Unzulänglichkeit nicht weiter fortsetzen. Im ganzen Bundesgebiet müßten wenigstens 40 000 Unterrichtsräume noch erbaut werden, um einigermaßen geordnete Schulverhältnisse zu erreichen.
Dabei ist das Problem der notwendigen Verringerung der Schülerzahl pro Klasse keineswegs berücksichtigt. Diese Zahl ist noch immer so hoch, wenn auch mit gewissen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern, daß ein ordentlicher Unterricht, bei dem der Lehrer jeden Schüler individuell berücksichtigen könnte, nicht stattfindet. 35 bis 40 Schüler pro Klasse sind noch immer die Regel. Es mag hart und übertrieben klingen — aber der Gegenbeweis müßte erst erbracht werden —: an einer Mehrheit der Schulen der Bundesrepublik ist der Unterricht auf das Niveau einer schematischen Wissenskontrolle abgesunken.
Daß unter diesen Umständen der Schichtunterricht zu einer Geißel wurde, wird niemanden überraschen. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß über 70 % unserer Schulkinder in einem der Kurve des menschlichen Leistungsvermögens zuwiderlaufenden Arbeitsrhythmus unterrichtet werden. Man fordert den Kindern geistige Höchstleistungen zu Tageszeiten ab, die dafür völlig ungeeignet sind.
Unsere Wirtschaft trägt diesen Schwankungen des menschlichen Leistungsvermögens im Tagesablauf längst Rechnung. In der Schule haben wir das offenbar nicht nötig.
Und nun lassen Sie mich als Vater von drei schulpflichtigen Kindern noch eine Bemerkung machen. Der Schichtunterricht bringt es mit sich, daß jedes meiner Kinder zu einer andern Stunde des Tages zum Mittagessen nach Hause kommt, eine Tatsache, die eigentlich die Aufmerksamkeit des Herrn Familienministers erregen sollte,
um so mehr, als meine Familie dieses Schicksal
mit vielen Zehntausenden anderer Familien teilt.
Ich habe bereits die Zahl von 4 Milliarden DM als voraussichtliche Gesamtkosten für den Bau der dringlich erforderlichen Schulräume genannt. Eine direkte Hilfe des Bundes vornehmlich an die gemeindlichen Schulträger erscheint mir unabwendbar, besonders jetzt, nachdem die Kreditverteuerung die Gemeinden beim Schulhausbau vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Über die Methode dieser Hilfe wird man sich wohl einigen können, über die Hilfe selbst vermutlich nicht so rasch. Deswegen fühle ich mich verpflichtet, hier zu sagen, daß die Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände, die Organisation, die den größten Teil aller Lehrer in der Bundesrepublik repräsentiert, die Forderung nach der Bereitstellung von Bundesmitteln für den Schulhausbau mit allem Nachdruck an uns gestellt hat. Ebenso hat die Konferenz der Kultusminister in der Sitzung vom 17./18. Mai in Eberbach die Frage einer Bundeshilfe positiv diskutiert. Wer die Sorgen des Schulhausbaues in den Großstädten kennt — eine Stadt wie Hannover benötigt z. B. noch 150 Millionen DM zur Lösung der Schulraumfrage —, wer aber auch auf dem Lande erlebt, wie immer wieder dringende Schulhausneubauten, deren Aufschub nicht mehr zu verantworten ist, wegen Finanzmangels zurückgestellt werden müssen, wer die Konsequenzen sieht, der weiß, daß die Bundesregierung und dieses Haus eine ungeheuerliche Verantwortung auf sich laden würden, wenn sie sich diesem Appell versagten.
Ein gewisser Ausgleich durch Schulbaukredite des Bundes und eine weitgehende Entlastung der Länder zugunsten des Schulhausbaues durch die Übernahme von materiellen Verpflichtungen des Bundes auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung ist auch durch das Gefälle im Leistungsniveau der Volks- und Berufsschulentlassenen der einzelnen Bundesländer notwendig. Die Unterlagen hierüber sind unvollständig, besonders bei den Volksschulen; doch reichen sie aus, um erkennen zu lassen, daß sie ein getreues Abbild der Schulraumnot und ihrer Folgen in den ärmeren Ländern sind. Im Leistungsbild der Absolventen der höheren Schulen drückt sich das besonders deutlich aus. Gewiß spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Aber wenn es eine Folge der unantastbaren Kulturautonomie der Länder werden sollte, daß ein Land dümmere und ein anderes weniger dümmere Schüler hervorbringt, nur wegen der unterschiedlichen Staatsfinanzen, dann liegt es wahrscheinlich in der Verantwortung des Bundestags, eine Korrektur anzubringen.
Es ist leider so, daß die Leistungen und der Wissensstand eines ansehnlichen Teils unserer Volksschulabsolventen wesentlich geringer sind als von zwei Jahrzehnten, und das erscheint mir als ein Mangel, dem wir unverzüglich steuern müssen. Ich möchte dabei Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren, auf die ländlichen Schulbezirke in allen Teilen der Bundesrepublik lenken. Hier haben wir es nicht nur mit den Folgen der Schulraumnot zu tun, sondern hier wirken Lehrermangel, das System der nur ein- oder zweiklassigen Landschule und konfessionelle Zersplitterung zusätzlich negativ. 47 % unserer Volksschulen sind
solche ein- oder zweiklassigen Schulen. Trotz eines wachsenden Netzes landwirtschaftlicher Beruf s-schulen werden solche ländlichen Bezirke nur höchst unzureichend von den Institutionen der Weiterbildung erfaßt. Der Leistungsstand unserer Landschuten liegt im Durchschnitt weit unter dem Leistungsstand urbaner Schulen. Heute haben selbst begabte Schüler Mühe, den Anschluß an die Mittelschule und höhere Bildungseinrichtungen zu finden. Hunderttausende von Eltern in der Bundesrepublik wissen davon ein Lied zu singen. Aber nicht nur das. Das Durchschnittsergebnis eines Teils unserer Landschulen verhindert — mit anderen gleichrangigen Faktoren, auf deren Darstellung ich hier verzichten will — nicht nur den Anschluß an die nächsthöheren Bildungseinrichtungen, sondern es verhindert auch den Übertritt der Landkinder in die gewerblichen Berufsschulen. Leider kann sich die Bundesrepublik den Luxus nicht mehr leisten, zuzusehen, daß ein viel zu großer Anteil der auf dem flachen Land beheimateten Jugendlichen, statt zu Facharbeitern herangebildet zu werden, zur Armee der Hilfsarbeiter und Bauhilfsarbeiter stößt, wo statt jahrelanger Lehrzeit sofortiger Verdienst winkt. Auch das ist Raubbau an der Wohlfahrt unseres Landes, und die Befriedigung des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften In der Bundesrepublik wird nicht gelingen, wenn das flache Land seinen Anteil an diesen Fachkräften nicht vergrößert. Das bedeutet keine Gefährdung für den bäuerlichen Nachwuchs. Wir sind über die Zeit hinaus, in der wir zusehen können, wie begabte überzählige Bauernsöhne und -töchter als billige Arbeitskräfte zu einem Dasein landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter gezwungen werden. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und in eine Dorfschule gegangen. Ich wohne noch in diesem Dorf, und um allen möglichen Protesten zu begegnen, muß ich Ihnen sagen, daß ich diese Zustände täglich beim Verlassen meines Hauses sehen kann.
Im Bundesdurchschnitt streben nur etwa 19 % der Volksschul- und Berufsschulabsolventen eine technische und wissenschaftliche Ausbildung an. Darin ist bereits die Weiterbildung an den Berufsfachschulen enthalten. Einen so niedrigen Prozentsatz kann sich ein Land wie die Bundesrepublik einfach nicht leisten.
Zur Frage 4 unserer Großen Anfrage. Jeder, der sich Gedanken über die Heranbildung eines demokratischen politischen Bewußtseins in unserem Land macht, gerät in eine Zwickmühle, sobald er seine Hoffnungen mit den Realitäten zu konfrontieren gezwungen ist. Ich will das Haus weder mit dem Fazit unserer nicht geringen Anstrengungen noch mit dem entmutigenden Ergebnis dieser Bemühungen beschäftigen. Der Kulturpolitische Ausschuß hat sich sehr eingehend mit der augenblicklichen Situation auf diesem Gebiet beschäftigt, und der Bericht des Kollegen Richard Muckermann von der CDU zu diesem Thema, der, wie ich hoffe, dem Haus in Kürze vorgelegt wird, kann mit Fug und Recht als mustergültig dem Studium aller Mitglieder dieses Hauses empfohlen werden. Gestatten Sie mir trotzdem ein paar Bemerkungen.
Die Erhebungen des Ihnen wohlbekannten Allensbacher Instituts vom letzten Jahr zu diesem Thema sind nicht eben dazu angetan, uns Zuversicht einzuflößen, und sie werden leider durch Prüfungsergebnisse bestätigt, die ein anderes Bundesland dankenswerterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat und die ebenfalls Prüfungsergebnisse von Bewerbern für den öffentlichen Dienst sind, wo beispielsweise auf die Frage, was für Parteien im Parlament vertreten sind, der Totoblock Nord-Süd, der DGB und andere Einrichtungen genannt worden sind, die gar nicht parlamentarisch vertreten sind. Ich möchte auf die historischen Antworten, die dort gegeben worden sind, weiter gar nicht eingehen. Aber sie können solche Ergebnisse in allen Bundesländern bekommen.
Ich hatte kürzlich Gelegenheit, an die hundert Prüfungsaufsätze von Kandidaten für das höhere Lehramt einzusehen, und ich muß sagen: Ersparen Sie mir, Ihnen sowohl meine als auch die beklemmenden Urteile der staatlichen Prüfer mitzuteilen.
Ich bin ein optimistischer Mensch, aber ungeachtet dessen wird mir angst und bange, wenn ich das Fiasko unserer politischen Bildungsversuche des letzten Jahrfünfts betrachte. Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis die Bundesregierung in ihrer Antwort gelangen wird. Aber wie sie auch immer ausfällt, eines ist sicher: Wenn sich der Bundestag der Aufgabe der politischen Bildung der heranwachsenden Generation nicht mehr annimmt als bisher, ist unser Bemühen um den demokratischen Staat großen Gefahren ausgesetzt.
Der durch die Initiative dieses Hauses eingesetzte Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen hat eine hervorragende Analyse dieses Problems im vergangenen Jahr veröffentlicht, und Sie alle sollten sie ebenfalls lesen. Sie würden sich dann darüber klarwerden, daß die Fundamente dieses Parlaments keineswegs so gesichert sind, wie wir glauben, und daß wir und auch die Länder noch umfangreiche Anstrengungen machen müssen, bevor wir sagen können: Wir haben für uns und die nachfolgenden Generationen ein demokratisches Haus gezimmert, das allen Stürmen trotzen wird. Leider sind wir in Wahrheit immer noch im Streit darüber begriffen, wie die Fundamente auf diesem Gebiet gelegt werden sollen.
Zur Frage 6. Ein ähnlich unerfreuliches Bild bietet die Situation eines großen Teils der rund 125 000 Studierenden an den deutschen Hochschulen. Unsere Universitäten sind überfüllt, das ist wahr. Aber trotzdem stellt sich die Aufgabe, die Zahl der Studierenden an zahlreichen Fakultäten erheblich zu vermehren. Ist das eine Aufgabe des Bundes?, werden Sie fragen. Es ist sehr wohl eine Aufgabe, die mit Hilfe des Bundes energisch in Angriff genommen werden muß.
Am bedrückendsten scheint mir das beklemmende Mißverhältnis zwischen der materiellen Situation unserer Studierenden und der staatlichen Begabtenförderung. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß gegenwärtig in Frankreich 54 %, in England sogar 76 % aller Studierenden ihr Studium aus öffentlichen Mitteln bestreiten, von den Verhältnissen in der sowjetisch besetzten Zone und in den Oststaaten ganz zu schweigen. In der Bundesrepublik beträgt die Zahl derjenigen Studierenden, die ihr Studium durch öffentliche Mittel — unter Einschluß der Rentenleistungen - bestreiten, noch nicht einmal 11 %, und das sind keine Vollstipendien, sondern größtenteils nur ganz geringe Beiträge. Der Bund selbst hilft nur etwa 3 % der Studierenden beim Studium. Wiederum muß ich Sie fragen: Können wir uns das leisten?, und die Antwort lautet, glaube ich: Nein.
Die sozialen Verhältnisse an unseren Universitäten erlauben vielfach kein ordentliches Studium mehr. 70 000 von 125 000 Studierenden in der Bundesrepublik müssen im Monat mit weniger als 100 DM für ihren Lebensunterhalt auskommen.
Es ist daher kein Wunder — und in diesem Zusammenhang muß ich mich energisch gegen einige Ausführungen wenden, die bei der Debatte über die Ausgleichskasse für die Studenten vor einiger Zeit hier gemacht worden sind —, daß 40 % der Studierenden während des Semesters ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Während der Ferien steigt die Zahl auf zwei Drittel. An den großen Universitäten wie München, Hamburg und Frankfurt erreicht die Zahl der Studenten, die neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, fast 60 %. Nahezu ein Fünftel dieser Studierenden muß während des Studiums, also während des Semesters, bis zu 30 Wochenstunden einem anderen Beruf nachgehen. Glauben Sie, daß solchen Menschen noch wirklich akademische Leistungen abgefordert werden können? Eine Untersuchung im letzten Jahr hat ergeben, daß ein Viertel unserer Studenten in der ständigen Angst lebt, aus finanziellen Gründen das Studium unterbrechen zu müssen. Auch die Behauptung, die Lage vieler Studierenden sei trotz der vorliegenden Statistiken nicht so schlimm, weil sehr viele während des Studiums im Elternhaus lebten oder bei Verwandten wohnten, erweist sich bei näherem Hinsehen als völlig unzutreffend. Nach wie vor leben nahezu zwei Drittel in regulärer Untermiete, 8 % können in einem Studentenwohnheim wohnen.
Die miserablen finanziellen Verhältnisse haben eine Reihe von schlechten Effekten. Sie binden den Studierenden an eine einzige Universität und verhindern den notwendigen und gesunden Wechsel. Vor dem ersten Weltkrieg blieb nur ein Drittel aller Studierenden von Anfang bis Ende auf der einmal gewählten Universität. 40 % konnten die Universität zwei- bis dreimal wechseln. Heute müssen zwei Drittel der Studenten auf der gewählten Heimatuniversität bleiben, und ganze 10 % sind in der Lage, zwei- bis dreimal die Universität zu wechseln.
Es fehlt außerdem auch — und darauf bitte ich Ihr besonderes Augenmerk zu richten — in außerordentlichem Maße an Lehrbüchern. Nicht einmal ein Drittel unserer Studenten ist nach den wirklich glaubwürdigen und eingehenden Untersuchungen ausreichend mit Lehrbüchern versorgt, über die Hälfte nur sehr knapp, und 15 % können sich aus Geldmangel überhaupt keine Lehrbücher kaufen.
Unsere Begabtenförderung weist schwere konstruktive Mängel auf. Das drückt sich sowohl in der Herkunft der Studierenden als auch in dem erschreckend unterschiedlichen Verhältnis der Zahl der Studierenden, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, in den einzelnen Bundesländern aus. Von den rund 125 000 Studierenden sind 50 000 Beamtenkinder, etwa 30 000 Kinder von Angestellten, knapp 15 000 Sprößlinge freiberuflich tätiger Eltern. Kinder von Arbeitern und Landwirten stellen, jede Gruppe für sich, heute nur knapp 5000 Studierende, also weniger als 5 %. Das bedeutet, was ich eingangs schon bemerkte, daß wir immer
noch eine Art Bildungsmonopol haben, das in den Unzulänglichkeiten unseres Schulsystems wurzelt und in dem Mangel an Mitteln und Beihilfen zur Förderung der begabten Kinder aus den niederen Einkommensschichten. Glauben Sie mir, ich habe in den letzten Jahren das Schicksal von Dutzenden solcher begabten Kinder erlebt, deren Anlagen auf unzulänglichen Land- und Berufsschulen verkümmern und die in dem herrschenden Massenbetrieb, der immer Rücksicht auf die geistig minderbemittelten Schüler nimmt, abstumpfen.
Die Situation in den einzelnen Ländern ist sehr unterschiedlich. Ich weiß nicht, ob es gut ist, daß z. B. in Schleswig-Holstein, einem armen Land, offensichtlich nur einer von tausend Mitbürgern studieren kann gegenüber einem von etwa 650 in Niedersachsen, von 300 in Baden-Württemberg und von 250 in Westberlin.
Was aber tut der Bund für die Begabtenförderung? Wenn ich alles zusammenzähle, gibt der Bund einige Millionen gegenüber 120 Millionen, die die englische Regierung, und 144 Millionen, die die französische Regierung gibt.
Zur Frage 8. Der völlig unbefriedigende Stand der gegenseitigen Anerkennung von Semestern und akademischen Prüfungen ist nicht nur ein echtes Hindernis für den europäischen Studentenaustausch, sondern auch ein beklagenswertes Zeichen dafür, wie es mit der europäischen Integration im Reich des Geistes und der viel beschworenen gemeinsamen europäischen Kultur in der Realität aussieht. Die Frage, ob und wie viele an ausländischen — und umgekehrt für Ausländer an deutschen — Hochschulen absolvierte Semester auf das Studium angerechnet werden, ist völlig ungeregelt. Die Anrechnung wird darüber hinaus an verschiedenen Fakultäten und Hochschulen gänzlich unterschiedlich gehandhabt. Von dem Studenten, der auf raschen Broterwerb angewiesen ist, muß das Auslandsstudium deswegen als entbehrlicher Luxus betrachtet werden. Die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland ist entsprechend klein. Nach meinen Unterlagen sind es nicht mehr als 1500 von der Gesamtzahl, die ich genannt habe. Dabei wäre es für eine ganze Reihe von Studienrichtungen direkt zwingend geboten, an bestimmten ausländischen Universitäten zu studieren. Ich erinnere dabei, ohne auf Einzelheiten einzugehen, nur daran, daß beispielsweise für Juristen, deren Berufsabsicht eine Kenntnis des Völkerrechts voraussetzt, der Besuch der Universitäten Genf, Lausanne oder Fribourg fast unerläßlich wäre.
Aber die nationalen Barrieren der Prüfungsordnungen und Prüfungsanerkennungen verhindern den längst fälligen freien Austausch zwischen den Universitäten. Französische Stipendiaten in der Bundesrepublik müssen jeweils zu den Semesterprüfungen nach Frankreich zurückkehren, weil sonst die in Deutschland verbrachte Studienzeit nicht angerechnet wird. Solche Beispiele könnte ich hier zu Dutzenden aufzählen.
Uns dünkt, daß die Anstrengungen der Bundesregierung, auf diesem Gebiet der europäischen Zusammenarbeit Fortschritte zu erzielen, äußerst schwächlich und ohne rechten Elan waren. Wenn uns die Bundesregierung vom Gegenteil überzeugen kann, um so besser. Jedoch nur praktische Ergebnisse vermögen zu zählen, und sie fehlen bis heute.
Zur Frage 9. Eng verbunden mit diesem Problem ist das Problem der ausländischen Studierenden
in der Bundesrepublik. Deutschland war früher ein Zentrum des Ausländerstudiums in Europa. Es hat seine führende Stellung verloren. 1955 studierten 5000 Ausländer an den Hochschulen der Bundesrepublik. Die Zahl mag eindrucksvoll erscheinen; aber sie trügt, denn während der Anteil der Ausländer, die früher einen großen Teil ihres Studiums in Deutschland verbracht haben, sehr hoch war, sind unter den 5000 all jene, die nur ein oder zwei Semester in der Bundesrepublik verbringen.
Auch auf die Verlagerung des Schwerpunktes des Studiums der Ausländer bei uns muß sich das Augenmerk der Bundesregierung richten. Berlin als Metropole in dieser Beziehung ist durch München abgelöst worden. An den Hochschulen der bayerischen Landeshauptstadt studieren gegenwärtig ein ganzes Viertel aller ausländischen Studenten in der Bundesrepublik, ohne daß dieser Tatsache durch die Verteilung der Mittel zu ihrer Betreuung Rechnung getragen wäre.
Die im Bundeshaushalt ausgebrachten Mittel für Stipendien für ausländische Studenten sind kläglich, und die großen Aufgaben der Bundesrepublik bei der Ausbildung von Fachkräften aus den wirtschaftlich förderungswürdigen Ländern sind trotz der zahlreichen Wünsche so gut wie gar nicht berücksichtigt. Das Deutsche Reich hat früher von der Jahrhundertwende bis 1933 eine gewisse Großzügigkeit gezeigt, auf deren Lorbeeren die Bundesrepublik heute noch ausruht. Es ist einfach unverständlich, wie diese Aufgabe, wo eine reiche Ernte winkt, so vernachlässigt werden konnte.
Völlig verständnislos ist man bisher offensichtlich auch der Aufgabe der Ausbildung von nichtakademischen Fachkräften aus dem Ausland in der Bundesrepublik gegenübergestanden. Ich muß leider feststellen, daß eine sehr törichte und sehr schädliche Konkurrenzangst unserer Industrie noch immer ein Hemmschuh für die Ausbildung ausländischer Praktikanten und Facharbeiter in zahlreichen Fachgebieten — z. B. in der Fahrzeugindustrie und in der chemischen Industrie — darstellt, eine Sorge, welche die Sowjetunion und die mit ihr verbündeten Staaten nicht teilen, deren industrielle Fortschritte sich durchaus mit unseren messen können.
Zur Frage 10. Gegenwärtig sind nach den statistischen Unterlagen — aber in Wirklichkeit sind es wohl etwas mehr als nach diesen statistischen Angaben — 120 Dozenten der Bundesrepublik im Ausland tätig. Diese Zahl entspricht keineswegs dem, was wir leisten sollten und müßten. Eine Schwierigkeit liegt in der Tatsache, daß sich diejenigen, die die Absicht haben, ins Ausland zu gehen oder sich für eine unbestimmte Zeit von einem ausländischen Institut — besonders von einem in den wirtschaftlich förderungswürdigen und wirtschaftlich schwächer entwickelten Ländern — berufen zu lassen, in einer völligen Ungewißheit hinsichtlich ihrer Altersversorgung befinden. Das ist ein großer Hemmschuh bei der Erfüllung dieser Aufgabe, und es wäre begrüßenswert, wenn sich die Bundesregierung entschließen könnte, diesem Hause Vorschläge darüber zu machen, wie diesem Notstand für die Zukunft gesteuert werden kann.
Ich bitte das Haus um Entschuldigung, daß ich es so lange mit all diesen Einzelheiten aufgehalten habe; aber ,die Wichtigkeit dieser Angelegenheit brachte es mit sich, daß wir bei der Gelegenheit, wo wir hier einmal über diese Dinge sprechen, die wirklich zu einem nationalen Notstand geworden sind, auch über Einzelheiten berichten mußten.
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der SPD unter Buchstabe b hat der Abgeordnete Ratzel.
Dr. Ratzel , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits seit längerer Zeit bildet die schlechte Lage der deutschen naturwissenschaftlichen Forschung und der Mangel an naturwissenschaftlichen und technischen Nachwuchskräften ein Hauptthema unserer Presse. Wie dringend das Problem des technischen Nachwuchses einer Lösung bedarf, kann man ermessen, wenn man die Stellenanzeigen in den VDI-Nachrichten alle vierzehn Tage liest.
Der Verein Deutscher Ingenieure hat sich in der Bundesrepublik der verdienstvollen Aufgabe unterzogen, einmal statistische Erhebungen über den Bedarf an technischen Nachwuchskräften anzustellen. Die Denkschrift wurde uns allen — auch der Regierung — vor vier Monaten zugestellt. Soweit mir bekannt ist, hat sich die Bundesregierung mit dieser Frage bisher nicht befaßt; sie hat es auch nicht für notwendig erachtet, dem Verein Deutscher Ingenieure zumindest ihren Dank für die Erhebungen auszusprechen.
Man möchte meinen, der Bundeswirtschaftsminister müßte sehr daran interessiert sein, daß unsere Wirtschaft die erforderlichen qualifizierten Fachkräfte hat. Anscheinend schätzt er aber die Bedeutung solcher Fachkräfte in der Wirtschaft nicht genügend ein.
Es ist auch bedauerlich, daß die Debatte im Bayerischen Landtag, die von unseren Freunden veranlaßt wurde, nicht dazu geführt hat, die ganze Bedeutung dieses Problems zu erkennen.
Auch der Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz in Bad Pyrmont ist im Grunde weiter nichts als ein Auf-die-lange-Bank-Schieben.
Die Bundesregierung hat uns gebeten, die Behandlung dieser Großen Anfrage bis nach den Sommerferien zurückzustellen. Wir waren der Meinung, daß dazu kein Grund ist. Denn an und für sich hätte die Regierung hier schon etwas tun können. Wir sind zudem der Meinung, daß wir der Regierung vielleicht auch einige vernünftige Anregungen zu geben vermögen.
Die Naturwissenschaften und die Technik gewinnen deshalb eine immer mehr wachsende Bedeutung, weil sich der zeitliche Abstand zwischen Forschung und technischer Nutzung ständig verringert. Während es vor 100 Jahren von der Entdeckung des Induktionsgesetzes durch Faraday bis zur technisch-wirtschaftlichen Nutzung noch ein halbes Jahrhundert gedauert hat, hat es von der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn bis zu ihrer technisch-wirtschaftlichen Nutzung nur einige wenige Jahre gedauert. Das bedeutet, da dieser Zeitraum ständig mehr zusammenschrumpft, daß man bei der Forschung an dem Mann bleiben muß, wenn man konkurrenzfähig sein und bleiben will. Ich meine, eine Regierung, die hier nicht ihre Aufgabe erkennt und keine Initiative ergreift, sondern die Dinge treiben läßt,
handelt fahrlässig und wenig verantwortungsbewußt.
Es kommt ein weiteres Problem zu der Forschung hinzu, nämlich die Tatsache, daß im modernen Produktionsprozeß der Anteil der geistigen Arbeit ständig wächst. Die Tätigkeit am Reißbrett und die planende Tätigkeit im technischen Büro nehmen immer größeren Umfang an. Wir sind heute in einer Zeit, wo z. B. das Verkehrs- und Nachrichtenwesen geradezu eine explosionsartige Ausweitung erfährt. Für alle diese Dinge brauchen wir technischen Nachwuchs, brauchen wir Ingenieure.
Bei uns in der Bundesrepublik kommt in der Maschinenindustrie auf 25 Arbeiter ein Ingenieur, in den USA auf 15 Arbeiter ein Ingenieur und in denselben Industriezweigen in der Schweiz auf 10 Arbeiter ein Ingenieur.
Wenn wir bedenken, daß die Elektronik ständig an Bedeutung gewinnt, dann können wir ermessen, wie auch sie zu einem gesteigerten Bedarf an Ingenieuren beitragen wird. In den USA kommen in der Elektronenindustrie auf einen Ingenieur zweieinhalb Arbeiter. Etwas Ähnliches wird auch uns in den nächsten Jahren bevorstehen.
Es ist ganz sicher, daß wir in der Bundesrepublik heute vor allen Dingen auf den Gebieten der Technik, die nicht mehr von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Vergangenheit profitieren, sondern die auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart angewiesen sind, eine führende Stellung, die wir früher ganz sicher einmal hatten, verloren haben. Es ist ja so, daß man, wenn man jetzt etwas dagegen tun will, Forscher und Ingenieure nicht einfach aus dem Boden stampfen kann, sondern in vielen Jahren heranbilden muß. Deshalb meine ich, der Ruf nach Ingenieuren muß dazu führen, daß wir planvolle Anstrengungen machen. Es ist z. B. wenig planvoll, wenn große Industriefirmen nach Ingenieuren rufen, aber nicht willens sind, genügend Lehrstellen oder genügend Praktikantenplätze einzurichten. Das gehört nun einmal zusammen.
Zweifellos wird dem Problem des naturwissenschaftlichen und technischen Nachwuchses im Ausland, sowohl im westlichen als auch im östlichen, eine viel größere Bedeutung zugemessen. Mein Freund Kahn-Ackermann hat ja einige Zahlen über den Forschungsaufwand in den USA, in England und in Deutschland genannt. Es ist ganz sicher, daß die Sowjetunion sehr bedeutende Anstrengungen auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet macht. Wir wissen ja, daß die Bolschewiken von Anfang an däs Problem der Technik als solches erkannt haben. Von Lenin soll das Wort stammen, daß ein Techniker zehn Kommunisten wert ist. Wenn wir sehen, daß das ehemals rückständige Rußland heute auf dem Gebiet der Forschung und der Industrie zu den führenden Nationen gehört, dann können wir ermessen, daß man dort dem Problem eine entsprechende Rangordnung zuerkannt hat.
Es mag hier und dort gesagt werden, daß bei dem Wettlauf zwischen Ost und West der Westen insofern im Vorteil ist, als sich bei ihm die Forschung frei entfalten kann. Das ist ganz sicher richtig.
Eine Forschung in einem freien Land wird erfolgreicher sein als in einer Diktatur. Aber einfach zu sagen: weil wir ein freies Land sind, wird es bei uns besser gehen, ist etwas zu optimistisch. Man muß auch in der Demokratie etwas für Wissenschaft und Technik tun, denn — wie der Deutsche Stifterverband in seinem letzten Jahrbuch betont hat — von nichts kommt nichts; und das hat er speziell in bezug auf die Bundesrepublik gemeint.
Mein Freund Kahn-Ackermann hat auf einige Beispiele über die Auswirkungen der Vernachlässigung der Forschung durch die Bundesrepublik hingewiesen. Ich darf hier vielleicht sagen, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister einmal sehr intensiv den Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft über die Lage der angewandten Forschung in der Bundesrepublik studieren würde. Das wäre wirklich seine Aufgabe. Denn wenn man diesen von Fachleuten zusammengestellten Bericht liest, muß man trübe in unsere bundesdeutsche Zukunft blicken. Daß z. B., wie man da liest, im wissenschaftlichen Arbeiten über metallische Werkstoffe bis zum Jahre 1939 57 % der Arbeiten deutschen Ursprungs waren, dagegen in dem Zeitraum von 1939 bis 1954 nur noch ganze 13 %
— und es ist ja trotz Krieg und trotz Nachkriegszeit auf metallurgischem Gebiet gearbeitet worden —, zeigt, wie wir hier auf einem entscheidend wichtigen Gebiet in Rückstand geraten sind.
Wie es auf dem Gebiet der Atomtechnik und der Atomforschung aussieht, darüber brauchen wir, glaube ich, keine Worte zu verlieren; wir wissen alle, daß wir da sehr im Hintertreffen sind. Ich habe mich nur über eines gewundert: über den Optimismus des Herrn Bundesministers für Atomfragen, wenn er sagt: Wir können von den USA 95 % der Forschungs- und technischen Erkenntnisse übernehmen. Das glaube ich auch, daß man uns das zur Verfügung stellt. Ich möchte aber fragen: wer sollen denn die Menschen in der Bundesrepublik sein, die diese 95 % der Erkenntnis, die uns die Amerikaner zur Verfügung stellen, übernehmen?
Wenn ich richtig informiert bin, streitet man sich in der Bundesrepublik, ob wir 80 oder 100 Atomexperten haben. In Amerika gibt es 13 500 Kernphysiker, Kernchemiker, -biologen, -mediziner und -ingenieure.
So etwas braucht seine Zeit, bis die Menschen herangebildet worden sind, und ich meine, wir sollten auf dem Gebiet der Atomtechnik weniger Geschäftigkeit zeigen, uns dafür aber in Ruhe etwas zusammensetzen, um zu überlegen, wie wir dem bedenklichen Mangel an Nachwuchskräften und an Fachkräften abhelfen können. Das scheint mir die Aufgabe des Tages zu sein.
Nun einige Worte zu der Situation des technischen Nachwuchses. In der Bundesrepublik Deutschland sollen nach den Erhebungen des VDI 40 000 Fachschulingenieure fehlen. Ich glaube, es es kommt nicht darauf an, daß man sich hier um einige Tausend streitet; aber es ist ganz sicher, daß dieser große Bedarf an Ingenieuren vorhanden ist.
Gestatten Sie mir, einige Worte auch in bezug auf die Ingenieure zu sagen, die in der Bundesrepublik nicht in Arbeit sind. Ich habe vor einigen Tagen ein Schreiben des Landesarbeitsamtes Stuttgart bekommen. Darin wird mir mitgeteilt, daß es im März 1956 in Baden-Württemberg 416 und in der Bundesrepublik 5699 arbeitslose Ingenieure gegeben hat.
Das Landesarbeitsamt Stuttgart teilt mir weiter mit, daß es wahrscheinlich Berufsentwöhnte und Ingenieure an der Altersgrenze seien, die heute kaum noch zu vermitteln seien. Ich habe einige Dutzend Briefe von solchen arbeitslosen Ingenieuren. Danach ist man in der Bundesrepublik „berufsentwöhnt", wenn man zehn oder zwölf Jahre Wehrdienst abgeleistet hat und in der Gefangenschaft gewesen ist,
und man ist in der Bundesrepublik als Ingenieur an der Altersgrenze — ich kann auch das mit einigen Briefen belegen —, wenn man 45 Jahre alt ist.
Es ist gelinde gesagt einfach eine Schande, daß in einem Zeitpunkt, wo wir Zehntausende von Ingenieuren suchen, 6000 Ingenieure in der Bundesrepublik ohne Arbeit sind,
und ich glaube, daß sich daraus für die Regierung und auch für uns eine dringende Aufgabe ergibt, dem abzuhelfen.
Wie sich auf der anderen Seite die Industrie um die Ingenieure bemüht, das kann man erleben, wenn man an einer Ingenieurschule tätig ist. Da kommt z. B. ein Direktor einer großen Firma mit einer Liste, auf der 600 oder 700 Ingenieure stehen, die er sucht, oder es kommt ein Abteilungsleiter, der sagt: Ich möchte am liebsten Ihre Klasse für Elektrotechnik vollständig engagieren. Wenn wir weiterhin beachten, daß die Anfangsgehälter für junge Ingenieure innerhalb von zwei Jahren von etwas über 300 auf über 500 DM im Monat angestiegen sind, dann muß man sagen, daß die Industrie Ingenieure braucht, und dann muß man sich an den Kopf langen, wenn man erfährt, daß in der Bundesrepublik noch 6000 Ingenieure ohne Arbeit sind.
Das Problem hat noch eine weitere Seite. An unseren Ingenieurschulen im Bundesgebiet kann heute im Durchschnitt nur ein Drittel der Bewerber aufgenommen werden. Es gibt Schulen, z. B. in Dortmund, in Karlsruhe oder in Mannheim, an denen nur jeder fünfte Bewerber aufgenommen werden kann.
Wir haben in Mannheim im vergangenen Februar
Bewerber abweisen müssen, deren Prüfungsnote
bei der Aufnahmeprüfung schlechter als 2,5 war.
4 ist noch eine ausreichende Note. Ich möchte dabei daran erinnern, daß, wenn bei der Zulassung zu den höheren Schulen ein etwas strengerer Maßstab angelegt wird und von hundert Kindern statt bis-
her 80 nur 75 aufgenommen werden, in der betreffenden Stadt eine kleine Revolution ausbricht und die Ministerien und Beamten gewöhnlich nach einigen Tagen zum Rückzug blasen und entsprechend mehr aufnehmen. Wenn aber in der Bundesrepublik seit mehreren Jahren nur 30 bis 35 % der Bewerber für die Ingenieurschulen aufgenommen werden können, geht man darüber zur Tagesordnung über. Oder man macht es wie das Oskar-von-Miller-Polytechnikum in München. Dort nimmt man alle geeigneten Bewerber auf und bildet dann nicht, wie es normal wäre, Klassen von 35, sondern Klassen von 100 Studierenden. Das kann man bei dem seminaristischen Unterricht der Ingenieurschulen nicht mehr als Ingenieurschule, sondern höchstens noch als Ingenieurfabrik bezeichnen. Ich meine, es wäre doch unsere Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß für die Menschen, die sich um das Studium an einer Ingenieurschule bewerben, etwas mehr getan wird; denn es sind in überwiegendem Maße ehemalige Volksschüler und Facharbeiter, für die wir auf dem kulturellen Sektor im Vergleich zu den Gymnasiasten verhältnismäßig wenig ausgeben.
Noch ein paar Worte über die Stipendien, die an den Ingenieurschulen gewährt werden. Ich möchte, da mein Freund Kahn-Ackermann ausführlich darüber gesprochen hat, nur ein Zahlenbeispiel nennen. An der Schule in Mannheim werden an Begabtenstipendien innerhalb eines Jahres vom Land Baden-Württemberg und von der Stadt Mannheim 10 000 DM ausgegeben. Wenn wir das in Vollstipendien von 170 DM monatlich umrechnen, heißt das, daß von den 300 Studierenden, die aus dem Gebiet Baden-Württemberg stammen — die Pfälzer gar nicht mitgerechnet, die auch dorthin kommen —, fünf ein Vollstipendium erhalten, nicht mehr.
Auf der anderen Seite können wir beobachten, daß in der sowjetischen Besatzungszone für diese technischen Schulen, zumindest materiell, außerordentlich viel getan wird. In der SBZ studieren in den Abteilungen für Maschinenwesen 10 000, in den entsprechenden Abteilungen der Bundesrepublik nur 13 000 junge Menschen bei einer dreifachen Bevölkerungszahl,
und aus unverdächtigen Quellen kann man erfahren, daß 60 % der Studierenden dort Stipendien erhalten. In England erhalten 60 bis 70 % der Studierenden Stipendien. Nur in der Bundesrepublik Deutschland wird auf diesem für uns lebenswichtigen Gebiet wenig oder gar nichts getan.
Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, daß es ungeachtet der von uns voll respektierten Kulturhoheit der Länder Aufgabe auch des Bundes ist, für den naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchs einiges zu tun. Ich meine, man müßte bei dieser Materie so etwas wie einen Plan aufstellen, der die Maßnahmen -der Länder koordiniert, so daß meinetwegen in Bayern diese Art von Schulen, in Nordrhein-Westfalen jene Art von Schulen verstärkt wird, damit man bei den geringen Mitteln nicht noch die Kräfte verzettelt. Aber ein solcher gemeinsamer Plan setzt voraus, daß wir sehr konkrete Unterlagen haben. Aus diesem Grunde haben wir einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bun-
desregierung bitten, die notwendigen statistischen Erhebungen über den gegenwärtigen und über den künftigen Bedarf an Naturwissenschaftlern und Ingenieuren anzustellen. Entsprechend den Ergebnissen dieser Erhebungen müssen wir dann den Ausbau der Institute und des Schulwesens forcieren.
Weiterhin ist es notwendig, daß wir — wieder durch Erhebungen — ein ganz klares Bild auch darüber erhalten, welchen Bedarf unsere Forschungseinrichtungen an Apparaturen und Instrumenten haben. Nur auf Grund solcher einwandfreier Erhebungen werden wir in der Lage sein, einen sinnvollen Ausbau unseres Forschungswesens voranzutreiben.
Es wird sich nicht umgehen lassen, die Kapazität der Ingenieurschulen zu erweitern. Der Verein Deutscher Ingenieure ist der Auffassung, daß die Kapazität um mindestens 50 % erweitert werden muß. Eine Erweiterung der Kapazität um 50 % bedeutet grob überschlagen einen Aufwand von etwa 125 bis 150 Millionen DM. Wenn wir bedenken, daß die Länder hier durch die Personalkosten belastet werden, wäre es, meine ich, eine dankenswerte Sache für den Bund, den Ländern hier bei den Baumitteln unter die Arme zu greifen.
Sicherlich ist es notwendig, auch auf dem Gebiete des Ingenieurschulwesens einiges zu reformieren. Wir müssen endlich einmal dazu kommen, daß wir in der Bundesrepublik einheitliche Zulassungsbedingungen haben, daß wir für gleiche Fachrichtungen einheitliche Lehrpläne haben, daß wir einigermaßen einheitliche Prüfungsordnungen haben. Wir wollen ja auch einem jungen Menschen die Möglichkeit geben, einmal von einer Schule an die andere zu wechseln. Vielleicht muß er es sogar, wenn sein Vater aus irgendeinem Grunde den Wohnsitz wechselt.
Es ist ganz sicher, daß sich, je stärker die Spezialisierung in der Technik zunimmt, um so mehr die Aufgabe der Schule auf die Ausbildung in den Grundlagenfächern beschränken muß.
Hier, glaube ich, gibt es noch einiges zu tun. Wir müssen den jungen Menschen vor allen Dingen auch Gelegenheit geben, wirklich zu studieren. An einigen Ingenieurschulen umfaßt der Unterricht noch 40 Wochenstunden. Wenn man denselben Umrechnungsschlüssel wie bei den Dozenten nimmt, pro Unterrichtsstunde eine Vorbereitungsstunde, dann heißt das, daß unsere Studenten auf 80 oder 100 Arbeitsstunden in der Woche kommen. Wenn man die jungen Leute beobachtet, dann sieht man, daß sie mit Wissensstoff überfüttert werden und wegen dieser zeitlichen Bedrängung zu einem wirklichen Studium nicht kommen können.
In dem Zusammenhang ein Wort zu der Großen Anfrage der Abgeordneten der CSU. Ich bin nicht der Meinung, daß wir die Einrichtung großer Abendkurse an den technischen Schulen anstreben sollten. Ich sehe darin — —
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort zur Begründung Ihrer Anfrage und nicht zur allgemeinen Aussprache. Ich bitte das also bis zur allgemeinen Aussprache zurückzustellen.
Dr. Ratzel , Anfragender: Jawohl. Ich werde also dieses Thema fallenlassen. Ich habe noch einige wenige Dinge zu sagen und möchte Sie nicht mehr allzulange aufhalten. Eine Reduzierung der Wochenstundenzahl ist also dringend erforderlich.
Nun komme ich zu dem Problem der Lehrkräfte. Wenn wir an den technischen Schulen eine gute Lehrkraft haben wollen, dann soll der betreffende Dozent nicht nur ein guter Fachmann, sondern auch ein guter Lehrer sein. Wir verlangen zwei Dinge von ihm, und dafür wird er dann entsprechend schlechter bezahlt. Ich glaube, daß wir in der Zukunft nur dann fähige Lehrkräfte bekommen, die wir im Interesse der Sache brauchen, wenn man der Bezahlung der Lehrkräfte etwas mehr Aufmerksamkeit widmet. Wenn, wie wir hoffen, sehr bald die Altersversorgung der Angestellten verbessert wird, dann wird einer der wenigen Anreize, noch in den Lehrberuf hineinzugehen, für solche Ingenieure und Techniker wegfallen.
Nun noch ein Punkt, der mit der Besoldung zusammenhängt! Es ist in Deutschland so — ich glaube, da sind wir uns einig —, daß die wissenschaftlich-technische Tätigkeit viel zuwenig geachtet wird. Der Staat insbesondere schenkt der technischen Arbeit, der Arbeit des Ingenieurs im besonderen, zu wenig Beachtung. Ich meine, es ist eine dringliche Angelegenheit, daß in dem Bundesbesoldungsgesetz der Entwicklung, die auf dem Ingenieurgebiet stattgefunden hat, Rechnung getragen wird, daß man also die Ingenieure auch entsprechend ihrer Tätigkeit besoldet.
Das hat ja nicht nur damit zu tun, daß es sich um eine gerechte Entlohnung handelt, sondern wir müssen auch daran denken, wieviel Geld des Staates und auch der Gemeinden durch die Hände der Ingenieure geht. Bei ungenügender Bezahlung durch den Staat können nur die schlechtesten Ingenieure für ihn engagiert werden. Wenn ein junger Mensch mit 22, 23 Jahren vom Vater Staat 350 Mark geboten bekommt — die Bundesbahn zahlt ihm, glaube ich, überhaupt nur 170 Mark Ausbildungsbeihilfe nach dreijährigem Studium —, und er bekommt auf der anderen Seite von einer Großfirma 550 Mark im Monat geboten, dann ist es ganz klar, daß die Industrie allein den Rahm abschöpft und daß in Zukunft nur noch die Schlechtesten zum Staat gehen.
Wenn wir bedenken, daß auf dem Gebiet des Verkehrswesens in den nächsten zehn Jahren 20 oder 25 Milliarden ausgegeben werden sollen, dann erkennt man, wie wichtig es doch ist, daß wir tüchtige Ingenieure haben, die diese Milliardenbeträge sinnvoll anlegen. Deshalb, meine ich, sollten wir darauf achten, daß das, was im Besoldungsgesetzentwurf des Finanzministeriums noch nicht enthalten ist, verwirklicht wird: eine Entlohnung der Ingenieure, die ihrer Tätigkeit entspricht.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zum Schluß meiner Ausführungen. Ich meine, daß es sich bei der Aufgabe, die uns hier gestellt ist, nicht um die Aufgabe einer Partei allein handelt, sondern daß es sich um die Aufgabe des ganzen deutschen Volkes handelt, hier mitzuhelfen, damit Deutschland auf dem naturwissenschaftlich-technischen Sektor wieder das wird, was es in den Jahren vor 1933 war. Deshalb
würden wir uns freuen, wenn alle Fraktionen dieses Hauses unserem Antrag zustimmen würden.
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage unter Buchstabe c hat der Abgeordnete Dr. Graf .
Dr. Graf (CDU/CSU), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage bezweckt im ersten Teil eine umfassende Information des Hauses über die Fragen des technischen Nachwuchses, besonders über zahlenmäßige Daten dazu.
Die Frage der Bereitstellung des technischen Nachwuchses für die Wirtschaft ist ja heute nicht etwa ein deutsches Problem oder ein europäisches Problem, sie ist ein internationales Problem, man kann sagen, ein globales Problem. Es ist ein Problem, das sich in den Ländern, die heute erst industrialisiert werden, genauso stellt wie in den hochindustrialisierten Ländern, wo bereits die Ansätze einer zweiten industriellen Revolution sichtbar werden.
Wie wird nun die Frage der Bereitstellung des technischen Nachwuchses in den einzelnen Ländern gelöst? Da muß man feststellen, daß zwischen Ost und West erhebliche, man muß sagen, besorgniserregende Unterschiede sind. Ich will dem Hause nur ein paar Tatsachen unterbreiten. 1954 wurden in den Vereinigten Staaten von Arnerika 26 000 Ingenieure ausgebildet, im gleichen Zeitraum in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken mehr als doppelt soviel, nämlich 53 000. Im Zeitraum von 1928 bis 1954 wurden in den USA 480 000 Ingenieure, in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken 688 000 Ingenieure ausgebildet. Rußland hat die Zahl seiner technischen Hochschulen und technischen Ausbildungsstätten in den 40 Jahren seit der Zarenzeit verzwölffacht. Der russische Fünfjahresplan von 1956 bis 1960 sieht allein die Ausbildung von 4 Millionen Technikern, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern vor. Ich möchte dieser Gegenüberstellung von Ost und West im großen Maßstab auch einige Zahlen kleineren Maßstabs hinzufügen und die Zahlen der Studenten des Maschinenbaus und der Elektrotechnik in der Bundesrepublik und in der sowjetisch besetzten Zone einander gegenüberstellen. In der sowjetisch besetzten Zone, in diesem relativ kleinen Gebiet, gibt es 10 000 Studenten dieser Fachrichtung, in der Bundesrepublik und in Westberlin ganze 13 000.
Das sind Zahlen, die natürlich nicht kritiklos und nicht vorbehaltlos entgegengenommen werden sollen; aber es sind Zahlen, die doch in etwa eine Ahnung davon geben, wie das Problem des technischen Nachwuchses in Ost und West verschiedenartig gehandhabt wird und die Weltentwicklung auf diesem Gebiet verschiedenartig verläuft. Man kann vielleicht sagen, es ist heute schon so, daß an Stelle des Technikerexports, wie er im 19. Jahrhundert etwa von England in die ganze Welt gegangen ist, heute bereits Ansätze eines Technikerexports aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in die unterentwickelten Länder sichtbar werden. Das sind Anfänge einer Entwicklung, die zu denken gibt und die man sich vergegenwärtigen muß, wenn man die Fragen des deutschen technischen Nachwuchses einer näheren Betrachtung unterzieht.
Wir haben in Deutschland noch keine umfassende regierungsamtliche Feststellung und Untersuchung auf diesem Gebiet. Eine derartige Untersuchung hat es vor einiger Zeit in Großbritannien gegeben. Dort hat das Unterrichtsministerium eine Statistik veröffentlicht, aus der folgendes hervorgeht: Auf je 1 Million Einwohner entfallen jährlich an Studenten der technischen Richtung in Großbritannien 57, in der Bundesrepublik 86, in den USA 136 und in der Sowjetunion 280. Die englische Öffentlichkeit und das englische Parlament haben aus diesen Zahlen und Untersuchungen auch die entsprechende Schlußfolgerung gezogen. In den nächsten fünf Jahren sollen in den englischen Haushalten 5 Milliarden DM allein für den Aufbau neuer Ingenieurschulen bereitgestellt werden. Dadurch soll erreicht werden, daß die Zahl der Fachstudenten um rund 2/3 des früheren Bestandes erhöht werden kann.
Und nun Deutschland! Mein Herr Vorredner hat bereits viele Einzelheiten ausgeführt, so daß ich mich kurz fassen kann. Umfassende Untersuchungen, die man in Parallele zu den Untersuchungen in anderen Ländern setzen könnte, haben wir in Deutschland noch nicht. Private Schätzungen, beispielsweise von Verbänden, sprechen von einem Fehlbestand von 40- bis 50 000 Ingenieuren. Dabei muß aber festgestellt werden — was mein Herr Vorredner bereits betont hat —, daß wir zu gleicher Zeit in einzelnen Bereichen Arbeitslosigkeit haben und, was noch nicht erwähnt wurde, daß wir sogar zur Zeit eine Abwanderung von Ingenieuren aus Deutschland haben, d. h. wir sind Ingenieur-Exportland, obwohl wir selber einen großen Bedarf auf diesem Gebiet haben.
Wir kennen den genauen Zusammenhang zwischen dem Fehlbestand an Ingenieuren und dem Fehlbestand an Studierenden bzw. dem Fehlbestand an Ausbildungsplätzen noch nicht. Hier sind die Relationen noch unklar. Unsere Große Anfrage bezweckt, die Regierung zu ersuchen, dieses Problem zu prüfen und darüber dem Hohen Hause Aufschluß zu geben. Der Verein Deutscher Ingenieure spricht als Schlußfolgerung seiner Untersuchungen den Satz aus: „Die Zahl der Ingenieurschulabsolventen muß um die Hälfte gesteigert werden, ohne daß die Güte der Ausbildung absinkt."
In der Öffentlichkeit ist über dieses Problem sehr viel gesagt und geschrieben worden, und — ich spreche das bewußt aus — es besteht auch eine gewisse Gefahr der Dramatisierung und damit interessentenbedingter Fehlmaßnahmen. Wir können deshalb dieses Problem in Deutschland, in der Bundesrepublik nur bewältigen, wenn wir uns einen zahlenmäßig, wissenschaftlich fundierten Überblick verschaffen, ähnlich wie es in England geschehen ist. Deshalb fordert beispielsweise die Deutsche Angestelltengewerkschaft eingehende berufsstatistische Erhebungen, und deswegen ist die Kultusministerkonferenz, die dieses Problem vor kurzem auch behandelt hat, in ihrer Verlautbarung zu folgendem Schluß gelangt: „Die Kultusministerkonferenz ist sich darüber im klaren, daß es hier einer wohlüberlegten Planung für eine organische Ausweitung der notwendigen Einrichtungen bedarf."
Daher ersuchen wir die Bundesregierung, dieser Frage ihre Aufmerksamkeit zu widmen, dieses Haus und darüber hinaus die deutsche Öffentlich-
keit mit den Ergebnissen der Erhebungen vertraut zu machen, auf daß auch wir hier in der Bundesrepublik in der Lage sind, unseren Beitrag zur Lösung dieser weltweiten Aufgabe zu leisten.
Zur Beantwortung der drei Großen Anfragen hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden drei Großen Anfragen sind sehr umfangreich und ins einzelne gehend. Sie bewegen sich ganz überwiegend auf Gebieten, für die dem Bund leider nur eine minimale Zuständigkeit gegeben ist und auf denen daher seine Betätigungsmöglichkeit äußerst beschränkt ist.
— Sie erlauben mir, daß ich das ein bißchen auseinandersetze. — Die Bundesregierung weiß aber, daß diese Fragen ohne Rücksicht auf die Zuständigkeit des Bundes ein nationales und nicht nur ein regionales Interesse finden. Sie ist daher selbstverständlich gern bereit, den Gegenstand intensiv und freimütig zu behandeln, weil sie ungeachtet gewisser Erschwerungen in der Rechtslage ihren übergeordneten Verpflichtungen gerecht werden möchte.
Ich habe dem Hohen Haus nach Eingang der drei Großen Anfragen mitgeteilt, daß eine wirklich befriedigende und erschöpfende Beantwortung aller Fragen mehr Vorbereitungszeit erfordern würde, als bis heute zur Verfügung stand. Ich muß daher darum bitten, meine Ausführungen mit dem Vorbehalt entgegenzunehmen, daß die für eine umfassende Stellungnahme notwendigen Tatsachenfeststellungen noch nicht abschließend getroffen werden konnten. Das gilt insbesondere auch für die Abstimmung mit den Ländern, auf deren verfassungsmäßige Zuständigkeit für die meisten hier aufgeworfenen Fragen ich pflichtgemäß hinweisen muß. Ich bitte, mir daher zu erlauben, daß ich mich darauf beschränke, die allgemeinen kulturpolitischen Aspekte der angeschnittenen Fragen darzulegen und aufzuzeigen, in welcher Richtung eine Lösung gesucht werden kann.
Die drei Anfragen befassen sich mit fünf Komplexen, die ich einmal folgendermaßen systematisieren möchte: Schulraumnot und Erziehungsfragen, allgemeine Nachwuchsfragen, technischer Nachwuchs, deutsche Forscher und Lehrkräfte im Ausland und schließlich Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Ich werde auf die Fragen in dieser Reihenfolge eingehen.
Zunächst zur Schulraumnot und den Erziehungsfragen. Der Bundesregierung ist die Schulraumnot mit ihren nachteiligen Folgen bekannt. Da jedoch der Bund für die Schulen nicht zuständig ist, kann er nicht unmittelbar eingreifen. Deshalb kann auch keine Hilfe des Bundes durch zweckgebundene Kredite an die Schullastträger gegeben werden. Ein zinsloser oder zinsverbilligter Kredit wäre schon ein indirekter Zuschuß des Bundes zu den Schullasten der Länder. Ich brauche, meine verehrten Damen und Herren, nicht erst näher auszuführen, daß jede Hilfe des Bundes an die Schullastträger das überaus schwierige Problem der Verteilung des Steueraufkommens und der Lasten zwischen Bund und Ländern neu aufrollen würde.
Von diesem Grundsatz gibt es allerdings eine Ausnahme: die Förderung von Schulhausbauten in gefährdeten Grenzgebieten und im Zonenrandgebiet. Dafür stehen im Haushaltsjahr 1956 9,2 Millionen DM zur Verfügung, und es sind seit 1951 für diesen Zweck rund 36 Millionen DM ausgegeben worden.
Auch der staatsbürgerliche Unterricht in den Schulen ist nach den Bestimmungen des Grundgesetzes dem Einfluß des Bundes entzogen. Die Bundesregierung hält es allerdings für dringend erforderlich, daß hier alle Anstrengungen gemacht werden, um den demokratischen Gedanken in der deutschen Jugend Wurzel schlagen zu lassen und diese Jugend zu praktischem demokratischem Handeln zu erziehen. Um diese staatspolitisch vordringliche Aufgabe bemüht sich außerhalb der Schule ganz besonders die Bundeszentrale für Heimatdienst in Zusammenarbeit mit den Landeszentralen.
Ich komme zu dem Problem der allgemeinen Nachwuchsfragen. Im Bereich der Nachwuchsförderung befassen sich die Anfragen mit der Begabtenförderung, der Anerkennung ausländischer Diplome und Studienzeiten und schließlich mit den ausländischen Studenten.
Zunächst zur Frage der Begabtenförderung. Über die Begabtenförderung, meine Damen und Herren, hat sich die Bundesregierung bereits am 23. Februar dieses Jahres zu der Großen Anfrage der Fraktion der Sozialdemokraten in der Drucksache 1968 eingehend geäußert. In der Bundesrepublik werden 17 % der Studentenschaft ganz und 10 % teilweise aus öffentlichen Mitteln gefördert. Von der genannten Vollförderung werden rund 85 % aus Bundesmitteln getragen wie die Erziehungsbeihilfen nach den Kriegsfolgegesetzen, d. h. 14 % der gesamten Studentenschaft werden aus Bundesmitteln gefördert. In der Anfrage wird von nur 3 % gesprochen. Ich möchte aber ausdrücklich feststellen, daß nicht 3 %, sondern 14 % der gesamten Studentenschaft aus Bundesmitteln gefördert werden.
Die Förderung der Studenten durch Stipendien ist, so glauben wir, nach Umfang und Methode noch unzureichend. Insbesondere sollte mit jeder Förderung auch eine Auslese der Begabungen verbunden werden. Hierzu hat die Hochschulreformkonferenz in Honnef im Oktober 1955 bemerkenswerte Vorschläge unterbreitet. Unter Mitwirkung von Vertretern meines Hauses wurde das Modell einer hochschulgerechten Förderung entwickelt. Die Länder haben jetzt über dessen Annahme zu entscheiden.
Mit Einverständnis der Länder hat sich der Bund an der Förderung von Hochbegabten in der Studienstiftung des deutschen Volkes beteiligt. Der Zuschuß von 763 000 Mark im Rechnungsjahr 1955 wurde auf etwa 1,5 Millionen Mark im Rechnungsjahr 1956, also auf rund das Doppelte erhöht. Von diesem Betrag ist eine Teilsumme von 520 500 DM so lange gesperrt, bis feststeht, daß die Länder den gleichen Zuschuß leisten werden. Die Bundesregierung kann über die Zuschüsse an die Studienstiftung und über die schon erwähnten Erziehungsbeihilfen nach den Kriegsfolgegesetzen hinaus keine Vollförderung für Studenten im Inland durchführen oder die unterschiedliche Förderung in den einzelnen Bundesländern ausgleichen.
Im Interesse der kulturellen Beziehungen zum Ausland stellt das Auswärtige Amt Stipendien für
das Studium deutscher Studenten im Ausland zur Verfügung. Hierfür sind im Rechnungsjahr 1956 285 000 DM vorgesehen.
Zur Frage der Anrechnung von Studienzeiten im Ausland und der Anerkennung der ausländischen Diplome: Die Bundesregierung begrüßt alle Maßnahmen, die das Studium von Deutschen im Ausland erleichtern. Die Anrechnung von Studiensemestern im Ausland und die Anerkennung dort abgelegter Prüfungen sind eine solche Erleichterung. Zur Zeit werden in der Bundesrepublik grundsätzlich zwei Auslandssemester angerechnet. Im Europarat wird eine Konvention vorbereitet, nach der die Vertragsstaaten für die Studierenden der lebenden Sprachen die in einem anderen Vertragsstaat verbrachten Semester anrechnen werden. Sie sollen eine ähnliche Regelung für die Studierenden der übrigen Fächer, insbesondere auf technischem Gebiet, wohlwollend prüfen bzw. ihren Universitäten empfehlen. Die Anerkennung von Diplomen und Prüfungen im Ausland ist zur Zeit Gegenstand von Verhandlungen.
Zur Frage der ausländischen Studenten: Die Zahl der ausländischen Studenten in Deutschland beträgt gegenwärtig etwa 7000. Hier wurde vorhin von 5000 gesprochen. 1927 studierten im Reichsgebiet etwa 6000 ausländische Studenten und 1937 — wohlgemerkt: im Reichsgebiet! — weniger als 5000. Demnach studieren heute in dem Gebiet der Bundesrepublik mehr Ausländer als 1927 und 1937 im Reichsgebiet.
Die Zahl der ausländischen Studenten hat sich seit 1951 nahezu verdreifacht. Die Zahlen der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion sind also, wie ich leider sagen muß, unrichtig.
Von diesen Studenten erhalten zur Zeit 580 Vollstipendien durch das Auswärtige Amt. Hinzu kommen 540 weitere Stipendien, die das Bundesministerium des Innern und die Länder gemeinsam den Hochschulen für ausländische Studenten zur Verfügung stellen. Damit wird etwa jeder sechste ausländische Student aus Bundesmitteln ganz oder teilweise gefördert.
Eine weitere Förderung mit mindestens 180 Stipendien ist bereits im Bundeshaushalt vorgesehen und vom Haushaltsausschuß des Bundestages beschlossen. Sehr verehrter Herr Kollege Schmid, ich muß sagen, daß diese letztgenannten Zahlen, verglichen mit den Zahlen der Jahre 1927 und 1937, doch einen erfreulichen Fortschritt darstellen.
— Lieber Herr Kollege Schmid, wenn die Verhältnisse in unserem Vaterland derzeit erschwert sind, so hat das Ursachen, die wir hier nicht weiter zu erörtern brauchen.
Die Mittel zum Studium von Ausländern in Deutschland waren bisher auf Studenten an deutschen Hochschulen beschränkt. Neuerdings sind aus Mitteln des Auswärtigen Amts 40 Fachschulstudierende durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst eingeladen worden. Ferner steht ein erheblicher Betrag des Bundesministeriums für Wirtschaft für Stipendien und Beihilfen zur praktischen und theoretischen Ausbildung und Weiterbildung von Angehörigen entwicklungsfähiger Länder zur Verfügung. Die Bundesregierung weiß, daß die Ausbildung an deutschen Fachschulen und Instituten, die keinen Hochschulcharakter haben, für die ausländische Jugend von großer Bedeutung ist. Die Erweiterung des Kreises zu fördernder Ausländer wird geprüft.
Ich komme zu den Fragen des technischen Nachwuchses. Der technische Nachwuchs wird für seine Aufgaben als Facharbeiter, Techniker, Ingenieure oder Diplomingenieure auf den Berufsschulen, Berufsfachschulen, Ingenieurschulen oder Technischen Hochschulen ausgebildet. Die Zuständigkeit für alle diese Ausbildungsstätten liegt bei den Ländern. Ein Ausbau dieser Ausbildungsstätten, insbesondere der Ingenieurschulen, ist auch nach Meinung der Bundesregierung dringend notwendig. Diese Aufgabe liegt jedoch außerhalb der Möglichkeiten der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist im übrigen gern bereit, in Gremien mitzuwirken, in denen Maßnahmen zur Förderung des technischen Nachwuchses erörtert werden.
Für das Fehlen qualifizierter Naturwissenschaftler und Ingenieure auf dem Gebiet der Kerntechnik sind die der deutschen Forschung nach Kriegsende auferlegten Beschränkungen verantwortlich. Die Bundesregierunig hat im Rahmen der von ihr der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel einen nicht unerheblichen Beitrag zur Ausbildung von Nachwuchs auf dem Gebiet der Kernenergie geleistet. Sie ist willens, auf dem Wege der Förderung der Kernforschung und Kerntechnik fortzufahren. Hier wird insbesondere die Errichtung des Bundesministeriums für Atomfragen einen erheblichen Beitrag dazu leisten können, den Rückstand auf diesem Gebiet beschleunigt aufzuholen. Ich darf darauf hinweisen, daß in dem Haushalt des Bundesministeriums für Atomfragen für 1956 für den genannten Zweck Gesamtmittel von über 40 Millionen DM vorgesehen sind.
Zur Frage der deutschen Forscher und Lehrkräfte im Ausland. Der Bundesregierung ist bekannt, daß der Mangel an Lehrkräften und Hochschullehrern es zur Zeit nicht gestattet, den vielfachen und begrüßenswerten Wünschen des Auslandes nach kulturellem Austausch so zu entsprechen, wie wir es wünschen. Wir wissen, daß vielfach die mangelnde Sicherung im Falle der Rückkehr Gelehrte veranlaßt hat, auf eine Berufung an ausländische Hochschulen zu verzichten. Das hat bereits dazu geführt, daß verschiedentlich Lehrstühle an Auslandsuniversitäten, die bisher von deutschen Professoren besetzt waren, an Vertreter anderer Nationen übergegangen sind. Ich habe dies zum Anlaß genommen, um mich im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt dafür einzusetzen, daß für die ins Ausland gehenden deutschen Gelehrten eine materielle Sicherung geschaffen wird. Es besteht grundsätzliches Einverständnis zwischen dem Herrn Bundesminister der Finanzen und mir, daß eine solche Sicherung im Interesse der Bundesrepublik liegt. Ich habe schon jetzt die Möglichkeit, deutschen Gelehrten bei Rückkehr aus dem Ausland in besonderen Fällen eine Überbrückungshilfe zu gewähren.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder hat ihrerseits kürzlich empfohlen, daß im Beamtenverhältnis stehenden Hochschullehrern, wissenschaftlichen Assistenten und sonstigen wissenschaftlichen Beamten zur Aufnahme einer Lehr- und Forschungstätigkeit im Ausland Urlaub bis zu zwei Jahren, im Höchstfall bis zu drei Jahren gewährt werden soll. Sie hat ferner angeregt, in Ausnahmefällen besondere Planstellen einzurichten, aus denen unbegrenzt Urlaub gewährt werden kann.
Schließlich zur Frage der Förderung der Forschung. Die Bundesregierung hat für das Jahr 1956 rund 95 Millionen DM für die Förderung der Forschung im Haushalt eingesetzt. Sie ist grundsätzlich bereit, zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, weitere Mittel für überregionale Forschungsaufgaben zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Länder ihrerseits im Rahmen des Königsteiner Abkommens überregionale Forschungseinrichtungen, darunter die Max-Planck-Gesellschaft, fördern. Die dafür aufgewendete Summe beträgt im Rechnungsjahr 1956 47 Millionen DM. Angesichts der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern kann die Bundesregierung den hier vorgebrachten Anliegen im wesentlichen nur dadurch entsprechen, daß sie die Forschung noch stärker fördert, wenn es ihr im Rahmen ihrer Gesamtaufgaben und des Bundeshaushalts möglich ist und, meine Damen und Herren, was ein entscheidender Punkt ist, wenn sie dafür die Unterstützung dieses Hohen Hauses findet.
Ich möchte abschließend folgendes bemerken. Die heutige Debatte wird die zahlreichen Fragen, die sie aufwirft, sicher nicht endgültig lösen können. Sie müßte eigentlich gleichzeitig in einer vereinigten Bundes- und Länderversammlung stattfinden unter der Voraussetzung, daß eine solche Versammlung gesetzgeberische und finanzielle Kompetenzen hätte. Eine derartige Institution haben wir nicht und werden wir wohl auch kaum bekommen. Ich möchte aber doch hoffen, daß diese Debatte einen nachhaltigen Erfolg hat: in ganz Deutschland ohne Rücksicht auf die Zuständigkeiten einen starken Impuls auszulösen, die Aufgaben der Erziehung, Ausbildung und Forschung mit großem Nachdruck und mit besonderem Vorrang zu behandeln.
Das Haus hat die Antwort des Herrn Bundesministers des Innern entgegengenommen. Ich unterstelle, daß eine Aussprache stattfinden soll. — Das Wort hat der Abgeordnete Bender.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Unterzeichner der Großen Anfrage Drucksache 2374 obliegt es mir, zunächst dem Herrn Bundesinnenminister zu danken für das, was er uns berichtet hat. Es war mehr, als wir erwartet hatten. Es war in einem Sinne aber auch etwas weniger. Es ist zweifellos eine der fundamentalen Pflichten eines deutschen Bundesministers, den föderativen Aufbau der Bundesrepublik zu achten. Ich möchte Sie aber fragen, Herr Minister Dr. Schröder: Glauben Sie nicht, daß die Länder offene Ohren und offene
Arme, Sie zu empfangen, haben werden, wenn Sie das bringen, was mit den drei Großen Anfragen ja letzten Endes begehrt wird, nämlich den Zutritt zu den Bundesmitteln?
Ich weiß, daß Sie das nicht gewähren können, daß Sie aber ein Fürsprecher dafür sein können, daß sich Ihr Kollege Schäffer vielleicht etwas offenherzig für diese Probleme zeigt.
Es war den Unterzeichnern der Anfrage Drucksache 2374 selbstverständlich klar, daß es Ihnen in der kurzen Zeit, innerhalb deren Sie unsere Anfrage schon beantwortet haben, nicht möglich war, die umfassenden Recherchen anzustellen, zu denen Sie auch die Hilfe der Länder benötigen. Aber vielleicht können Sie diese Möglichkeit, die Recherchen zu beenden, auch dadurch beschleunigen, daß Sie den Ländern, wie es etwa Ihr Kollege Strauß getan hat, gleichzeitig durch einen mitgebrachten Reaktor oder ähnliche Dinge die Antworten entwinden, die Sie und uns interessieren. Ich bin nicht bös darüber, daß Sie die Große Anfrage nicht völlig haben beantworten können, und zwar deshalb nicht, weil auf diese Weise das Gespräch bleibt. Sie werden sie uns später beantworten. Sie werden die einzelnen konkreten Angaben über Fehlbedarf an Ingenieuren, Fehlbedarf an Ausbildungsstätten, die wir erbeten haben, zweifellos emsig zusammentragen und werden uns das eines Tages bringen. Sie werden aus der heutigen Debatte, dessen bin ich sicher, für Ihre Recherchen noch viele Gesichtspunkte mitnehmen, die Ihnen bisher in der kurzen Form, die die Geschäftsordnung für eine Große Anfrage vorschreibt, nicht nahegebracht werden konnten.
Es ist bereits gesagt worden, daß es kein Länderproblem ist, daß es auch kein Bundesproblem ist, worum wir uns kümmern, sondern daß es wahrscheinlich nur auf europäischer oder westlicher Ebene gelöst werden kann. Schließlich ist doch die Gefahr für die ganze westliche Welt aufgekommen, die der erste Mann der Atomkommission der Vereinigten Staaten, Herr Lewis Strauss, mit dem Schlagwort „kalter Krieg der Hörsäle" bezeichnet hat.
Was uns jetzt am nächsten liegt und uns nur beschäftigen kann, ist die Situation der Bundesrepublik und die Bannung der Gefahr, daß in unserem sogenannten Wirtschaftswunder der Wurm sitzt, wenn wir über der Konjunktur von heute die Maßnahmen für morgen und übermorgen nicht schnell und rechtzeitig zu treffen verstehen.
Ich will Ihnen um Gottes willen keinen Russenschreck einjagen. Selbstverständlich wird letzten Endes auch in der Sowjetunion und in der Sowjetzone nur mit Wasser gekocht. Es ist auch nicht sicher, daß es sich im Westen und in der Sowjetunion um vergleichbare Ausbildungsqualitäten der Techniker handelt. Allerdings haben die Amerikaner in einem eigens für diese Zwecke errichteten Hochschulinstitut Untersuchungen angestellt, die in einem Buch „Soviet Professional Manpower" niedergelegt sind und die kaum einen Zweifel darüber lassen, daß mindestens die Hochschulabsolventen durchaus mit dem westlichen Format vergleichbar sind. Dieses Buch hat in der amerikanischen Öffentlichkeit bis zu den höchsten Regierungsstellen, aber auch in England und in anderen westlichen Ländern alarmierend gewirkt und hat
mindestens zu einem Erwachen in bezug auf Verhältnisse geführt, über die man sich bisher hinweggetäuscht hat.
In der westlichen Welt muß Entscheidendes auf diesem Gebiet ohne Verzug geschehen, wenn man sich nicht mit einem Versagen des demokratischen Prinzips abfinden will. In den westlichen Demokratien hat man Jahrzehnte früher erfaßt, worum es geht. Es ist bloß nichts geschehen. Die Russen haben es vor wenigen Jahren erkannt und haben in einer geradezu imponierenden Weise das Steuer herumgeworfen, unter Einsatz von staatlichen Geldmitteln, die vergleichsweise zu unseren Ausgaben geradezu astronomisch klingen. Es ist wirklich nicht mehr Minuten, sondern Sekunden vor zwölf.
Aber nicht nur Geld haben die Russen in das Geschäft gesteckt, sondern auch akquisitorische Mittel ganz besonderer Art. Studierende der Ingenieurwissenschaften und die Ingenieure selbst sind nahezu völlig vom Militärdienst befreit und werden kaum mit politischen Schulungen belästigt. Der Ingenieur hat in der Sowjetunion eine hohe gesellschaftliche Position und zählt zu den relativ höchsten Einkommensklassen. Die Sowjetunion ist in der Lage, ihre Wirtschaftsbeziehungen und ihren Export dadurch zu unterstützen, daß sie ihre Exportländer mit russischen Ingenieuren durchsetzt und in großem Umfang Studienplätze für Ausländer freihält. Wie diese Methode den Export erleichtert, wissen wir in der Bundesrepublik genau; und wir sind froh darüber, daß in dem Unterausschuß für die sogenannten Stützungsländer jetzt ein Betrag von mindestens 50 Millionen DM einmal eingesetzt worden ist, der hoffentlich durch die Haushaltsdebatte mit heiler Haut durchkommt. Dieser Betrag wird es unserer Wirtschaft unter Umständen ermöglichen, in ganz verschwindendem Umfang das gleiche zu tun, was die Russen tun.
Werfen wir einen Blick in die Sowjetzone. An der Technischen Hochschule Dresden studieren heute allein 10 000 Studenten, sämtlich ohne Studiengelder bei freier Verpflegung und freier Wohnung in neuerbauten Studentenheimen. Darüber hinaus bekommen die bedürftigen Studenten noch besondere Barvergütungen. Die Institute sind auf das modernste eingerichtet, die Professoren bestens dotiert. Die Etats, die die Institute für Anschaffungen haben und die in Westmark bereitgestellt werden, übersteigen die unseren um das Zehn- bis Zwanzigfache. In den letzten Jahren wurde an die Technische Hochschule Dresden eine aus vier großen Gebäudekomplexen bestehende Luftfahrtakademie angegliedert. Das neue Mathematisch-Physikalische Institut besteht ebenfalls aus vier großen Blöcken. Dazu kommen ein neues Verkehrstechnisches Institut, ein neues Physikalisches Institut usw.
Der Nachwuchs an Studierenden kommt nicht nur von den höheren Lehranstalten, er kommt auch von den sogenannten Bauern- und Arbeiterakademien, die es besonders qualifizierten Jungarbeitern und Bauern ermöglichen, das Abitur nachzumachen.
Jedenfalls gibt es in der Sowjetzone wohl kaum Studierende, die in der Zwangslage sind, sich durch einen Haupt- oder Nebenberuf, durch Nacht- oder Ferienarbeit ihr Studium zu verdienen,
wie dies bei uns noch bei mehr als der Hälfte aller Studierenden nötig ist. Wir wissen alle, daß dadurch das Selbständigkeitsgefühl, die Konzentration und die Gesundheit der Studierenden nicht gebessert wird.
Aber Gott sei Dank ist auch in der westlichen Welt einiges im Aufbruch. Den Erfolg sehen wir zum Teil in England. Die englische Regierung will zur Förderung der Ausbildung von Technikern in den nächsten fünf Jahren 80 Millionen Pfund zusätzlich ausgeben, und zwar für den Bau von neuen Technical Colleges. Die Regierung hat es ferner in die Hand genommen, Aufklärungsmaßnahmen für die Eltern und die gesamte Öffentlichkeit einzuleiten, damit die Begabten die neugeschaffenen Möglichkeiten auch wirklich ausnutzen. Sie appelliert dabei an die Industrie, daß immer mehr gute Mitarbeiter für eine zeitweise Lehrtätigkeit beurlaubt werden.
Ich glaube, Ihnen mit meinen Vorrednern dargetan zu haben, daß ein neuer großer Schritt kommen muß und daß die Lösung solcher Lebensfragen nur mit ganz außergewöhnlichen Mitteln möglich sein wird. Wohin kommen wir, wenn die Tatsachen nur erkannt und keine Folgerungen daraus gezogen werden! Wenn bei einer kürzlichen Zusammenkunft der deutschen Gießerei-Industrie resigniert festgestellt wurde, daß einem ungedeckten Bedarf von 550 Gießerei-Ingenieuren in der Bundesrepublik nur 60 Angebote gegenüberstanden. also 60 verfügbare Ingenieure, dann müssen wir uns doch wohl überlegen: Wohin kommen ganze Industriezweige, wenn sie keinen technischen Nachwuchs bekommen, der sie wirklich fördern kann?
Wir wissen auch, daß die Zahl der Ingenieure wesentlich schneller ansteigen muß als die Zahl der Bevölkerung und fast so schnell wie die Produktion von Gas und Strom. Es wurde vorhin schon gesagt, daß, je arbeitsteiliger, je moderner, je rationalisierter eine Wirtschaft ist, um so stärker die Spanne zwischen Handarbeiter und Ingenieur zusammenschrumpft. Wir werden vielleicht einmal das Verhältnis 1 : 1 haben müssen, daß ein Handarbeiter und ein Ingenieur sich gegenüberzustehen haben. Es ist also falsch, bloß die Schulentlassenen zu zählen und die übrigen Disziplinen auf der einen Seite und auf der anderen den technischen Bedarf zu sehen. Der Bedarf an technischem Nachwuchs steigt in einer ganz anderen Proportion als die Zahl der Bevölkerung und die Zahl der Schulentlassenen.
Der Nachholbedarf, der sehr schwer abzuschätzen ist — wahrscheinlich einige Tausend — muß also von Jahr zu Jahr eine Steigerung um etwa 4 % erfahren. So ist es nach den Errechnungen des Vereins Deutscher Ingenieure. Man kann, abgesehen von dem Nachholbedarf, mit einem jährlichen Fehlbedarf von nahezu 5000 Ingenieure rechnen. Wo wir dann in zehn Jahren stehen, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Wir können noch nicht ermessen. ob nicht unsere bisherigen, sehr vorsichtigen Bedarfsprognosen wesentlich durch ein immer radikaleres Vordringen der Mechanisierung und Automatisierung der Arbeitsvorgänge gestört werden. Wir können auch schwer Prognosen über den Bedarf an ReaktorIngenieuren machen, einen Bedarf, der allein für England auf 8000 Menschen geschätzt wird. Wir können nicht klar übersehen, welcher Ingenieurbedarf bei der Wehrmacht oder einer eventuellen
Rüstungsindustrie zusätzlich auftritt und wie viele durch die wiederaufzubauende Zivilluftfahrt gebunden werden; aber auch hier kann man sicher von Tausenden sprechen. Wir wissen noch nicht, ob die schüchternen Versuche der Abwerbung deutscher Ingenieure zur ausländischen Konkurrenz, die heute auch schon erwähnt wurden, Erfolg haben werden. Wir hoffen, daß die Gegenmaßnahmen, die Herr Minister Schröder erwähnte, auf jeden Fall auf diejenigen einwirken, die schon gegangen sind.
Man muß nicht einmal Pessimist sein, wenn man für die Bundesrepublik voraussieht, daß die zur Zeit noch konstante jährliche Absolvenz von Ingenieuren sich sogar nach unten entwickeln könnte. So weit darf es aber nicht kommen. Die Kurve muß mit allen nur denkbaren Mitteln energisch nach oben gebogen werden.
Darf ich Ihnen kurz vor Schluß noch acht Punkte in Stichworten nahebringen, die meiner Ansicht nach zusätzlich zu den Punkten der Großen Anfragen der Beachtung bedürfen.
1. Es ist Sache des Staates, dafür zu sorgen, daß alle Begabten studieren können, auch wenn im Elternhaus die Mittel fehlen, auch dann, wenn das Elternhaus fehlt.
2. Für unsere Exportförderung und unsere Exportfähigkeit ist es von größter Wichtigkeit, daß möglichst viele Ausländer bei uns studieren, vor allem aus den sogenannten unterentwickelten Ländern, die ja unsere Kunden der Zukunft sein werden, wenn wir es geschickt anfangen und wenn wir ihnen mit den Maschinen die Menschen liefern, die diese Maschinen zu bedienen verstehen.
3. Zur Erleichterung des Studiums und zur Ausbildung dessen, was die Engländer den common sense nennen, muß mit der Schaffung neuer Studienplätze die Schaffung von neuzeitlichen Studentenwohnheimen parallel laufen.
4. Ohne viele Kosten läßt sich heute schon folgendes durchführen. Vor allem die Hochschulen sollten sich vom ersten bis zum letzten Semester auf eine fundierte Grundlagenausbildung konzentrieren bei voller Wiederherstellung der akademischen Freiheit, der Möglichkeit der Persönlichkeitsentfaltung und der Erweiterung der Allgemeinbildung. Daraus ergibt sich, daß man die Vermittlung von speziellen Erfahrungen ganz der Praxis überläßt und die jungen Menschen nach Abschluß der normalen Ingenieur- oder Hochschulprüfung so bald wie möglich in eine echte Verantwortung in der Praxis stellt.
5. Die Zahl der Studienrichtungen muß begrenzt werden. Man überfordert die Studenten, wenn man ihnen nach Vollendung des halben Studiums die Wahl zwischen X Studienrichtungen zumutet, deren Chancen in der Zukunft sie gar nicht beurteilen können. Es ist ein Unding, wenn Technische Hochschulen für Maschinen-Ingenieure bis zu zehn Studienrichtungen anbieten.
6. Es wäre ein Unding, mit zunehmender naturwissenschaftlicher Erkenntnis und deren technischer Anwendung die Studienzeit proportional anwachsen zu lassen. Man kann große Teile dessen, was heute über Kernphysik populärwissenschaftlich verbreitet wird, in den höheren Schulen oder in den letzten Klassen der Grundschulen bereits vermitteln. Damit braucht man nicht die Universität zu belasten. Man muß auch darauf sehen, daß
die Studenten die beste und leistungsfähigste Zeit 1 ihres Lebens — die geht nur bis zum 35. Lebensjahre! — entsprechend ausnutzen. Es ist erschrekkend, daß die Statistiken großer Firmen und auch des VDI nachweisen, daß die technisch-erfinderische Fähigkeit des Menschen bis zum 35. Lebensjahr ansteigt und dann absinkt. Was hat es für einen Sinn, wenn man jemand zehn oder fünfzehn Jahre oder mit der Grundschule zusammen 22 oder 25 Jahre nur rezeptiv tätig sein läßt, so daß dann die Klimax seiner Fähigkeiten bereits in die Zeit fällt, wo er endlich der Praxis dienstbar sein kann.
7. Mit Hilfe der Berufsberatung, der Presse, des Rundfunks und des Werbefilms müßten ein ausreichender Zustrom zu den technischen Berufen und die entsprechenden Studienmöglichkeiten propagiert werden.
8. Meine Herren von der Sozialdemokratie, seien Sie mir nicht böse; ich meine es wirklich gut. Das, was Ihre Gewerkschaften für die Handarbeiter geleistet haben, das müßte einmal jemand in genau so straff organisierter Form für die geistigen Arbeiter tun.
— Ich sehe mit Freuden, daß Sie mir zunicken. Es besteht ja tatsächlich kein Anreiz mehr, die Investitionen für ein Studium oder auch nur für eine Lehre aufzuwenden, da der Angelernte leicht zu ähnlichen Einkommensbedingungen gelangt, ohne irgendein Studium oder eine Lehre durchgemacht zu haben. Die Dotierung der geistigen Berufe muß also entnivelliert werden, und die Begabten und Einsatzfreudigen sollten in möglichst jungen Jahren Einkommen erreichen, die ihnen auch die Befriedigung ihrer kulturellen Lebensbedürfnisse und die Ausweitung ihres Spektrums durch Reisen usw. ermöglichen.
Hierzu gehört auch eine Neugestaltung der Tarifordnungen, die zwar praktisch heute vielfach überschritten werden, aber doch dokumentieren, daß die geistige Arbeit geringer, jedenfalls nicht höher bewertet wird als die Handarbeit. Hierzu gehört vor allem aber auch die Elite der Erziehenden. Der Beruf des Lehrers, gleichgültig ob an der Volksschule, an der Mittelschule, in der höheren Berufsausbildung, der Universität oder der Hochschule, muß materiell so reizvoll werden, daß die Besten unseres Volkes sich das Lehren, oft verbunden mit der Forschung, als befriedigende Lebensarbeit wählen.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem Schlußwort, das an die Anfangsworte meines Kollegen G r a f anknüpft. Herr Graf hat Ihnen an Hand von arithmetischen Ziffern ein Kurvenpaar entwickelt. Er hat Ihnen dargelegt, wie sich die Zahlen der Absolventen des Studiums der technischen Wissenschaften vor allem in der UdSSR und den USA zueinander verhalten. Ich habe dieses Kurvenpaar hier graphisch vor mir. Man sieht da, daß die Zahlenkurve der Absolventen der Technischen Hochschulen Amerikas in der Zeit von 1950 bis 1955 von links oben nach rechts unten verläuft. In der gleichen Zeit verläuft die Kurve der Absolventen der technischen Institute der UdSSR von links unten nach rechts oben. Die amerikanische Neigung zu den technischen Berufen geht abwärts, und die russische geht aufwärts. Die beiden Kurven kreuzen sich ungefähr im Jahre 1953.
Meine Freunde und ich sind nicht der Meinung, das zwischen Kultur und Technik unmittelbar begriffliche Interdependenzen bestehen. Es hat lange Zeiten menschlicher Kultur gegeben, in denen von der Technik noch nichts bekannt war. Wir glauben aber wohl, daß ein gewisser Volkswohlstand, ein gewisser zivilisatorischer Unterbau notwendig ist, damit in unserer hochtechnisierten Zeit Kultur überhaupt existieren kann. In diesem Sinne möchte ich sagen: Sorgen wir in diesem Hause von allen Fraktionen dafür, daß dieses Kurvenkreuz, das ich Ihnen eben darzustellen versuchte, nicht zum Symbol werde für den dann wirklich unentrinnbaren Untergang des Abendlandes mit all dem, was wir lieben und verehren und was unser Leben lebenswert macht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den ausführlichen und unserer Ansicht nach in der Hauptsache zutreffenden Begründungen zu den Großen Anfragen kann ich mich auf einige allgemeine Bemerkungen beschränken. Wir haben mit Genugtuung gehört, Herr Minister, daß die Bundesregierung für das hier bestehende sehr ernste und wichtige Problem Verständnis hat und sich im Rahmen ihrer leider recht beschränkten Zuständigkeit bemüht, den ihr gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Wir haben auch gern Kenntnis genommen von den einen oder anderen Berichtigungen der von den Vorrednern genannten Zahlen. Selbstverständlich wäre es sinnlos, sich einer Panikstimmung hinzugeben. Ich darf vielleicht aus meiner Kenntnis auch noch hinzufügen, daß es nicht ganz unbedenklich ist, statistische Zahlen aus dem einen Land ohne weiteres mit statistischen Zahlen aus anderen Ländern zu vergleichen. An einem mir naheliegenden Beispiel möchte ich zeigen, daß etwa die Absolventen unserer Bergschule in Bochum, die nicht zu den hohen Schulen rechnet, was die allgemeine und fachliche Bildung anlangt, durchaus mit den Absolventen vieler ausländischer Hochschulen, namentlich amerikanischer und sowjetischer Hochschulen, verglichen werden könnten, ohne daß sie statistisch in einen Vergleich gezogen werden können.
Aber ich bin weit davon entfernt, den Ernst des hier aufgeworfenen Problems zu unterschätzen, und ich freue mich, daß wir durch diese Debatte die öffentliche Meinung und die Bundesregierung in ihrem Bemühen, für die leider vorhandenen Mißstände Abhilfe zu schaffen, ganz anders unterstützen, als das bisher geschehen ist. Alles, was wir gehört haben, und all die sehr erfreulichen Ziffern, die uns der Herr Minister angeführt hat, täuschen uns nicht darüber hinweg, daß zwischen dem Aufwand unseres Volkes für zahllose andere Dinge, auch für Genußmittel, auch für Unterhaltung billiger Art, und den Aufwendungen für Bildung und Unterricht ein schmerzliches Mißverhältnis besteht, ein Mißverhältnis, das angesichts der Tradition unseres Volkes, angesichts der Bedeutung, die unser Volk in der allgemein menschlichen Kultur einnimmt, und angesichts der Bedeutung, die Bildung und Unterricht für das Fortbestehen unserer Stellung in der Welt haben werden, fast beschämend ist.
Ich habe mir die Zahlen für 1954 — sie sind ja wohl hin und wieder schon bekanntgeworden; aber es kann nicht schaden, sie auch einmal von dieser Tribüne aus zu nennen — noch einmal herausgesucht. Wir haben in der Bundesrepublik im Jahre 1954 ein Sozialprodukt von 145 Milliarden DM gehabt und davon 12,7 Milliarden DM allein für Genußmittel ausgegeben, während die Ausgaben des Bundes und der Länder für Bildung und Unterricht, Herr Minister, ganze 600 Millionen DM betragen haben. Da ist ein Mißverhältnis, das wir auf die Dauer nicht ruhig hinnehmen sollten!
Natürlich können wir sagen: das Wirtschaftswunder ist zustande gekommen auf Grund der alten guten traditionellen Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technik und Kaufmannstum in unserem Volke. Aber es wäre gefährlich, sich durch diese beispiellose Leistung der letzten Jahre darüber hinwegzutäuschen, daß die eigentliche Prüfung noch bevorsteht. In einer weiteren allgemeinen weltwirtschaftlichen Expansion ist es für ein Volk, das arbeiten kann und arbeiten will, nicht so schwer, sich zu behaupten, ja sich sogar einen hervorragenden Platz zu erobern. Aber wenn der eigentliche Wettbewerb kommen wird — und er wird eines Tages kommen —, dann wird sich zeigen, wo die besseren Fundamente geistiger, bildungsmäßiger, technischer Natur geschaffen worden sind, und da werden wahrscheinlich all die Umstände, die hier sehr zutreffend angeführt worden sind, ins Spiel geführt werden müssen.
Wir sind auch hinsichtlich des Wirtschaftswunders heute in der Sorge, ob wir nicht gewissermaßen die Kapazitätsgrenze erreichen. In diesem Zustand geziemt es uns, uns zu überlegen, ob wir von den hier gegebenen gewaltigen materiellen Möglichkeiten den ausreichenden Gebrauch machen, um diese Leistung auch für eine fernere Zukunft zu sichern. Ich glaube, wir sind uns völlig klar darüber, daß das nicht geschehen ist und daß es großer Anstrengungen von uns allen, nicht nur unserer Bundesregierung, sondern von uns allen, von allen Teilen des deutschen Volkes bedürfen wird, um das nachzuholen.
Wir haben schmerzliche Lücken festzustellen, die durch die Kriegszeit entstanden sind. Es ist heute schon einmal angeklungen, was der Krieg und die nationalsozialistische Episode für uns bedeuten. Meine Damen und Herren, sind wir uns klar, daß in der Zeit der Weimarer Republik die deutsche Wissenschaft bei der Verteilung etwa der Nobelpreise weitaus an erster Stelle gestanden hat!
— Während der Weimarer Republik, sagte ich.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir durch die Vertreibung und die Austilgung eines großen Teils der Menschen, denen wir diese beispielhafte Leistung und Auszeichnung verdanken, auf absehbare Zeit den Anspruch verloren haben, diesen Rang wieder einzunehmen. Das sind Schäden, die auch gar nicht ohne weiteres wiedergutgemacht werden können. Dazu kommt die ganze Abschneidung von der Welt, die wir damals planmäßig betrieben haben. Dazu kommt der Verlust von unzähligen hervorragenden Leuten, gerade geistig hervorragenden Leuten, durch die Kriegsereig-
nisse. Wenn ich mir überlege, was aus meinem Freundeskreis übriggeblieben ist, was der Henker, die Emigration, die Selbstmorde und alles das, was sich in den letzten Jahren ereignet hat, mir von meinem Freundeskreis übriggelassen haben, so ist es, muß ich sagen, geradezu erschütternd, zu sehen, wie die Generation, die eigentlich die heutige Zeit tragen sollte, durch diese Zeit dezimiert worden ist. Es bedarf ungeheurer Anstrengungen von uns allen, um diese Lücken wieder auszufüllen.
Mir liegt heute noch ganz besonders an einer Frage. Das ist die Frage der internationalen Beziehungen. Sie ist schon wiederholt angeschnitten worden, aber sie bedarf einer besonderen Vertiefung.
Wir sind uns heute klar, daß ein Fortbestehen unserer Zivilisation einen engen Zusammenschluß der Völker namentlich unseres Erdteils erfordert, wobei ich ja, wie Sie wissen, die Grenze durchaus nicht etwa an der Elbe zu ziehen wünsche, sondern wünsche, daß wir uns dabei auf die alte europäische Gemeinschaft in viel weiterem Sinne besinnen. Aber wer in der praktischen Arbeit auf diesem Gebiet steht wie ich, der sieht immer wieder, welche Schwierigkeiten allein die Sprache bedeutet und wie jammervoll die Schulbildung heute in diesem Punkte nicht nur hinter dem zurückbleibt, was wir früher geleistet haben, sondern auch dem, was wir heute brauchen, um die internationale Gemeinschaft überhaupt pflegen zu können. Ich leite ein verhältnismäßig großes Institut mit 30 jungen Akademikern. Ja, meine jungen Leute sind alle nicht mehr imstande, französische Fachliteratur zu lesen! Denken Sie einmal daran, was das praktisch bedeutet, wenn wir uns schon im akademischen Kreise nicht mehr verstehen können.
Ich freue mich sehr über die vielen Reisen, die heute unsere Jugend — zum großen Teil mit Unterstützung öffentlicher und privater Stellen —unternehmen kann. Aber manchmal habe ich das Gefühl, daß das ein bißchen sehr planlos erfolgt und daß gerade dort, wo es besonders notwendig wäre, nämlich im Interesse der wirklichen wissenschaftlichen Weiterbildung, längst nicht genug geleistet werden kann und daß wir längst nicht genug Möglichkeiten haben, Freunde von außerhalb zu uns zu bekommen.
Ich habe mich sehr gefreut, die Zahlen über das Studium der Ausländer zu hören. Es mag sein, daß es besser ist als vor dem Kriege. Ich habe diese Zahlen nicht ganz ohne Überraschung gehört, aber jedenfalls mit großer Befriedigung und Genugtuung. Aber, Herr Minister, hinter dem tatsächlichen Bedürfnis auf diesem Gebiete bleiben diese Zahlen weit. weit zurück. Es sind doch eben heute in vielen Ländern Ausbildungsbedürfnisse entstanden, von denen wir noch vor 20 oder 30 Jahren keine Vorstellung gehabt haben. Heute wollen die jungen Leute aus Indonesien, aus Iran, aus Indien usw. nach Europa kommen. und Deutschland hat Chancen, wie es sie sich früher gar nicht hat träumen lassen können. Da wäre es ein Jammer, wenn wir infolge Sparsamkeit am falschen Flecke diese ganz unabsehbaren Möglichkeiten nicht vernünftig ausnutzen könnten.
— Ja, schön, es werden aber leider, verehrte Frau Kollegin, dem Herrn Minister nicht genug Mittel an die Hand gegeben.
Wer wie ich viel im Ausland reist, der weiß, welche gewaltigen Möglichkeiten heute dort dem jungen deutschen Wissenschaftler und dem jungen deutschen Ingenieur offenstehen. Aber auch da sehe ich bei meinen eigenen Mitarbeitern, wie schwer sie sich entschließen können, ins Ausland zu gehen, weil die Frage der Rückkehr — und zwar ganz zwangsläufig — nicht mit Sicherheit geregelt werden kann. Auch da wird es nicht bloß gelegentlicher Aushilfen, sondern es wird einer systematischen und gründlichen Hilfe bedürfen, um hier im Interesse der deutschen Stellung im Ausland — aber ich will das gar nicht unter dem Gesichtspunkt des nationalen Egoismus alleine sehen —, auch aus einer vernünftigen brüderlichen Gesinnung zwischen den Völkern heraus einen ganz anderen Austausch von Bildung und Wissen zu ermöglichen.
Nicht mit Freude hören wir — sicherlich nicht zum ersten Male —, welche Schwierigkeiten die Zuständigkeitsregelung mit sich bringt. Lassen Sie mich sagen — gerade auch als jemand, der der Christlich-Demokratischen/Christlich-Sozialen Union angehört —, daß wir diesen Zustand nun nicht als gottgegeben für alle Zeiten hinnehmen wollen und hinnehmen können.
Wenn wir erkennen, daß unsere großen vaterländischen Aufgaben bei der bisherigen Struktur unseres Staatswesens nicht gelöst werden können, wären wir doch Toren und Narren, wenn wir dann nicht Konsequenzen ziehen wollten.
Wir waren uns doch klar, daß manches an dieser überspitzten föderalistischen Struktur, wie sie uns das Grundgesetz beschert hat, nicht aus einer vernünftigen, ruhigen, nüchternen Erwägung und aus dem Abwägen der auf allen Seiten bestehenden Kräfte entstanden ist, sondern aus einer kriegsbedingten Psychologie und nicht zuletzt unter dem Einfluß bestimmter damaliger Feinde und Siegermächte, die Deutschland möglichst klein und geteilt halten wollten wie im 17. und 18. Jahrhundert.
— Gerade Ihre Fraktion hat neulich einem meiner Freunde entgegengehalten: Im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, denn über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Ich bin also gern bereit, hier vor versammelter Mannschaft diese Buße anzutreten. Ich möchte mich jedenfalls nicht mit der jetzigen Regelung einverstanden erklären, und ich bin gewiß, keiner meiner politischen Freunde in diesem Hause ist bereit, sich mit dem zu identifizieren, was in den Jahren 1948/1949 unter gänzlich anderen äußeren und inneren Umständen geschaffen worden ist. Und, verehrter Herr Kollege Schmid, ich habe umgekehrt ebenfalls Kummer mit Ihren politischen Freunden gehabt. Ich glaube, es hat niemand das föderalistische Prinzip so überspitzt wie der damalige bayerische Ministerpräsident, Herr Dr. Hoegner, der ja heute wieder bayerischer Ministerpräsident ist. Ich erinnere mich noch, wie uns in der alten Reichshauptstadt vor neun Jahren seine Auffassungen von der deutschen Struktur geschmerzt haben.
— Mit der Umkehr! Aber jeder soll vor seiner Tür kehren; ich glaube, Herr Kollege Schmid, da sind wir uns einig!
Jedenfalls möchte ich hier von mir aus sagen — es ist bisher keine Abstimmung darüber zwischen meinen politischen Freunden erfolgt —: wenn sich für die Erfüllung dieser großen, wichtigen Aufgaben der Gegensatz zwischen den Ländern und dem Bund als ernste Schwierigkeit erweist, dann werden wir uns allmählich überlegen müssen, ob da nicht etwas geändert werden muß. Ich höre, daß im Haushaltsausschuß die Gewährung eines Zuschusses für die wissenschaftlichen Assistenten, also für eine ganz besonders dringende praktische Aufgabe auf dem Gebiet unseres Bildungswesens, daran gescheitert ist, daß zwischen Ländern und Bund keine Einigung erfolgt ist. Es wäre doch ein Jammer, wenn die Assistenten auf der Strecke bleiben, weil sich die hohen Instanzen nicht über ihre Zuständigkeiten haben einigen können.
Jedenfalls sind wir uns einig, daß das hier behandelte Problem unser aller Aufmerksamkeit und des Einsatzes von uns allen bedarf und daß wir hierbei auch nötigenfalls vor rückhaltlosen und umfassenden Maßnahmen nicht zurückschrecken sollten, wenn wir diese Aufgabe miteinander lösen wollen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte doch auf einiges, was in der Debatte gesagt worden ist, gleich eingehen, um manches bei einer Schlußbetrachtung nicht untergehen zu lassen.
Ich darf mich zunächst dem Kollegen KahnAckermann zuwenden. Er hat — Herr Kollege Friedensburg ist in anderem Zusammenhang darauf zurückgekommen — von dem Wirtschaftswunder und den Schulen gesprochen. Der Herr Kollege Kahn-Ackermann hat das schon ein bißchen eingeschränkt. Ich möchte Ihnen aber sagen: ich glaube, es gibt wenig Zeiten in der deutschen Geschichte, in denen so viele und auch so schöne und so moderne und praktische Schulen gebaut worden sind, wie wir das in diesen Jahren getan haben.
Das sollte man als eine gemeinsame Leistung unseres Volkes in diesen Jahren doch herausstellen.
Erlauben Sie mir, eine Bemerkung zu machen, die Sie hoffentlich nicht als allzu persönlich empfinden. Sie haben von Ihren drei schulpflichtigen Kindern gesprochen, die leider noch im Schichtunterricht ausgebildet werden müßten. Nun, ich habe auch drei schulpflichtige Kinder, die bisher dasselbe Schicksal hatten. Aber, Herr Kollege Kahn-Ackermann, ich kann Ihnen die Mitteilung machen: es hat sich jetzt gebessert, und meine Kinder werden inzwischen in einer Schicht erzogen. Ich habe den herzlichen Wunsch, daß das bei Ihnen auch recht bald der Fall sein kann.
— Es waren keine besonderen Beziehungen, Herr Kollege Schmid; nicht daß Sie auf irgendwelche falschen Gedanken dabei kommen!
Es ist etwas zur Statistik gesagt worden dahin, daß bei uns der Prozentsatz von Studenten, die aus Arbeiterkreisen kommen, offenbar in einem Mißverhältnis zur Gesamtzahl steht. Nach unseren Beobachtungen ist es tatsächlich so, daß in der Berufsangabe zu statistischen Zwecken manchmal eine gewisse Aufwertung stattfindet, so daß das exakte Bild bisweilen schwer zu ermitteln ist. Ich empfehle in diesem Zusammenhang das englische Vorbild: in England hat neulich ein Junge, dessen Vater Admiral war, den Beruf als „Seemann" bezeichnet, was mir auch eine ganz ausreichende Charakterisierung des Berufs zu sein scheint.
Was die Zahl der 6000 angeblich unbeschäftigten Ingenieure angeht, so glaube ich, daß das angesichts der Nachfrage in der Tat mehr ein statistisches Problem und nicht ein Problem echter, auf diesem Gebiet verwertbarer Arbeitskraft ist.
Ich möchte mich nun dem Herrn Kollegen Friedensburg zuwenden, der Relationen aufgemacht hat, wie man sie zwar oft hört, die aber vielleicht doch keine ganz gerechten Relationen sind. Herr Kollege Friedensburg hat den privaten Aufwand für Lebens- und Genußmittel aller Art, der an sich recht hoch ist — wie sollte es anders sein —, in Relation gesetzt zu den staatlichen Kulturausgaben. Herr Kollege Friedensburg, eine gerechte Relation könnte man nur dann herstellen, wenn man auch den gesamten privaten Kulturaufwand zu dem staatlichen hinzurechnete. Ich werde mich dieses Problems noch einmal besonders annehmen und habe vielleicht einmal Gelegenheit, dem Hohen Hause darüber einen internationalen Vergleich vorzulegen. Ich wage die Behauptung, daß wir in dem staatlichen kulturellen Aufwand nicht unter dem Durchschnitt der freien westlichen Völker bleiben. Aber ich hoffe das demnächst beweisen zu können. Ich stimme Ihnen jedoch darin völlig zu, daß jeder Appell für Aufwendungen auf diesem Gebiet stark unterstützt werden sollte. Ich möchte an dieser Stelle dankbar hervorheben, daß z. B. gerade der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft außerordentlich Positives geleistet hat.
Ich teile Ihre Auffassung, daß der Ausbildungsbedarf in der ganzen Welt größer geworden ist und daß wir damit eigentlich die Chance hätten, einen größeren Prozentsatz ausländischer Studenten — über das hinaus, was uns bisher gelungen ist — auf uns zu ziehen. Wir wollen unsere Anstrengungen in dieser Richtung sicherlich noch verstärken. Aber ich möchte dieses Hohe Haus und über dieses Hohe Haus hinaus das ganze Volk auf ein wichtiges Problem aufmerksam machen: Ich bin neulich von ausländischer Seite darauf hingewiesen worden, daß bei uns offensichtlich der Kontakt der ganzen Bevölkerung mit den ausländischen Studenten nicht so eng sei, wie es zu wünschen- wäre. Ich möchte mit Nachdruck unterstreichen, daß hier eine unserer wesentlichsten Aufgaben liegen könnte: ausländische Studenten nicht nur zur reinen Wissensausbildung hierherzubekommen, sondern die Chance zu nutzen, in dieser Weise einen großen Beitrag auch für die richtige Geltung unseres Vaterlandes im Ausland zu schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pusch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Kollege Bender hat es
vorhin für nötig gehalten, sich an meine Fraktion zu wenden, als er einen Ratschlag an die Adresse der Gewerkschaften geben wollte. Er sagte, die Gewerkschaften sollten sich doch mit derselben Kraft für die geistigen Berufe einsetzen, die sie für die Handarbeiter aufgewendet haben. Dazu wäre zweierlei zu sagen. Erstens wäre es notwendig, daß sich die Ingenieure und die anderen Vertreter geistiger Berufe in demselben Maße organisieren, wie es die Handarbeiter getan haben. Zweitens möchte ich dem Herrn Kollegen den Rat geben, sich mit der gleichen Bitte an den Herrn Bundeskanzler zu wenden. Er hat wiederholt energische Hilfe für die geistigen Berufe versprochen. Es wäre nun also an der Zeit, daß diesen Versprechungen Taten folgen.
Wenn der Herr Minister des Innern sagte, daß die Schulbauleistungen, die sehr groß waren, anerkannt werden müßten, so tun wir das um so lieber, als sie ja zum großen Teil in Ländern erfolgt sind, die unter der Führung sozialdemokratischer Politiker gestanden haben.
— Sie wollen das doch wohl nicht bestreiten?
— Ich will damit doch nicht sagen, daß sie nur in solchen Ländern, sondern, daß sie zum großen Teil auch in Ländern gebaut worden sind, wo Sozialdemokraten regiert haben.
Wir teilen uns alle gemeinsam in dieses Verdienst. Anders will ich es nicht verstanden wissen.
Es bleibt aber die Tatsache, daß trotz der Leistungen im Schulbau noch immer ein großer Mangel besteht. Auch die Klassengrößen sind immer noch so, daß ein ersprießlicher Unterricht gefährdet ist.
Wir begrüßen auch, was der Herr Bundesinnenminister darüber sagte, daß man Kontakt mit den ausländischen Studenten suchen soll. Dazu sind Vorschläge gemacht worden, und auch sie laufen letzten Endes darauf hinaus, daß man so etwas organisieren und dafür auch Mittel bereitstellen muß.
Wir freuen uns darüber, daß der Bundestag der Behandlung der hier angesprochenen Probleme nicht mit dem Hinweis ausweichen will, daß die Kultur Ländersache ist; denn auf manchen Gebieten besteht sowieso eine verfassungsmäßige Zuständigkeit, und diese müssen wir wahrnehmen. Wir müssen unsere Aufgaben im Bunde voll erfüllen. Darüber hinaus befreit uns niemand von der Verantwortung, darüber nachzudenken,. wie wir den Ländern helfen können, ihre großen Lasten zu tragen. Das alles kann geschehen, ohne daß man gegen Geist und Wortlaut des Grundgesetzes verstößt.
Der Herr Minister hat einige der Zahlen korrigiert bzw. angezweifelt, die hier von meinem Freund Kahn-Ackermann genannt worden sind. Nun, diese Zahlen stammen zum Teil aus dem letzten Jahrbuch der Bundesregierung, zum Teil aus dem Jahrbuch 1955 des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft. Die Zahlen über Ausländer
in Deutschland stammen aus den Unterlagen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Wir freuen uns jedenfalls, daß wir von dem Herrn Minister die neuesten Zahlen bekommen haben. Wir waren ja darauf angewiesen, die Zahlen zu nehmen, die aus den bisherigen Veröffentlichungen zu erhalten waren.
Wir haben es bedauert, daß der Herr Minister glaubte sagen zu müssen, daß Bauhilfen des Bundes für den Schulhausbau schon aus verfassungsmäßigen Gründen schwierig seien. Wenn man allerdings bedenkt, daß dieses Prinzip schon durchbrochen ist, indem ja Schulen in den Grenz- und Zonenrandgebieten gefördert werden, so können wir nicht recht einsehen, warum man, wenn eine dringende Not vorliegt, nicht auch auf anderen Gebieten Hilfen des Bundes geben sollte. Das Problem ist jedenfalls da, und wir müssen uns damit beschäftigen.
Die Schulraumnot ist in allen Zweigen unseres Schulwesens vorhanden. Sie ist z. B. an den höheren Schulen nicht geringer als bei der Volksschule. Ich habe selber vor drei Jahren noch an einem Gymnasium unterrichtet, in einer Schule, die in vier auseinanderliegenden Gebäuden untergebracht war. Lehrer und Schüler übten sozusagen ihr Gewerbe im Umherziehen aus.
Mehrere Klassen hatten überhaupt keine eigenen Klassenzimmer. Ich will nicht davon reden, daß es an modernen Räumen für Physik, Chemie usw. fehlte, und ich will ganz schweigen von Werkräumen, die eine moderne Pädagogik für unerläßlich hält. Ich habe unterrichtet in einer vierten Klasse, in einer Untertertia, mit über 50 Schülern. Sie wissen, was das heißt. Es bedeutet, daß man schon sehr viel Aufwand braucht, um die äußere Ordnung aufrechtzuerhalten, daß man wenig Gelegenheit hat, den einzelnen Schüler anzusprechen und zu fördern und daß man leider den Lehrplan oft schematisch abarbeiten muß. Man muß oft hinwegsehen über die zahlreichen Lücken, die bei einzelnen Schülern auftauchen, weil nicht die Zeit vorhanden ist, sich jedem zu widmen.
Ich habe vor fünf Jahren Gelegenheit gehabt, Schulen in Schweden zu besichtigen, also in einem kleinen Land, wenigstens nach der Einwohnerzahl. Was ich da gesehen habe, ist so weit entfernt von dem, was wir gewohnt sind, daß ich Ihnen einen kleinen Einblick geben will. Es gab dort Chemiesäle, wo jeder Schüler einen Experimentiertisch hatte, Physikräume mit riesigen Sammlungen modernster Geräte, einen Hörsaal für Geographie und Geschichte, wo man drei Landkarten gleichzeitig aufhängen und rasch wechseln konnte. Außerdem war ein Projektionsapparat vorhanden und die Möglichkeit, Filme vorzuführen. Für den Literaturunterricht und für Schulfeiern war eine Bühne mit Kulissen und allem Zubehör in der Schule vorhanden. Es waren Werkräume da mit Drehbänken für Holz und Metall, eine Schmiede und eine Fülle von Werkzeugen. Es waren auch Küchen da, wo die Buben und die Mädchen kochen lernten, und die Lehrerinnen erzählten uns, daß sich im allgemeinen die Buben dabei sogar geschickter angestellt hätten als die Mädchen.
Vielleicht können unsere maßgebenden Stellen einmal Studienreisen ins Ausland organisieren, um
sich darüber zu unterrichten, was man in der Ausstattung moderner Schulhäuser noch tun könnte. Auf alle Fälle brauchen wir viel mehr Klassenräume und eine bessere Ausstattung unserer Schulhäuser. Ein interfraktioneller Antrag zur Hilfe für den Schulhausbau ist unterwegs. Ich freue mich, daß in diesem Punkte über die Parteien hinweg Einigkeit herrscht. Im übrigen würden kleinere und zahlreichere Klassen auch dazu führen, daß der junge Mensch, der vor der Berufswahl steht, nicht mehr ein Grauen vor dem Beruf des Lehrers und seinen Belastungen hat. Auch von dieser Seite, nicht nur vom Gehalt her, muß man den Nachwuchsmangel im Lehrerberuf bekämpfen.
Was die Berufsschule angeht, so besteht ein besonderes Problem darin, daß das Gros der Lehrlinge im Handwerk ausgebildet wird, daß später aber zwei Drittel dieser Lehrlinge in die Industrie abwandern. Die Lehrlinge bekommen also eine Ausbildung in der Berufsschule, die ihnen später nicht sehr viel nützt.
— Auch der Bau von Berufsschulen ist ein ernstes Problem.
Die Folgerung daraus muß sein, daß die Schulen besser ausgerüstet sind, mehr Material, Maschinen und Geräte haben und so eine umfassende Ausbildung geben können, die auch die spätere Abwanderung in die Industrie berücksichtigt.
Ein großes Problem der Berufsschulen ist der Lehrermangel. Es fehlen heute bei 6 Wochenstunden etwa 20 % der Lehrer. Wenn man auf die erstrebten 12 Wochenstunden kommen wollte, fehlen 50 %. Es wäre zu überlegen, wie man einen Anreiz schaffen kann, diesen Beruf zu ergreifen. Ausbildungshilfe, gute Bezahlung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen wären hier nötig. Das alles bedeutet natürlich eine große Belastung für die Länder, und es ist unsere Aufgabe, uns zu überlegen, wie wir auf dem einen oder dem anderen Gebiet den Ländern helfen können.
Die Begabtenförderung, die heute schon mehrfach angesprochen wurde, muß schon vor dem Besuch der Hochschule beginnen. Wirtschaft und Verwaltung — das wurde bereits gesagt — haben einen großen Bedarf an qualifizierten Kräften. Wir müssen deshalb schon unter den Kindern Ausschau halten und müssen sie mit allen Mitteln fördern, damit nicht ungünstige äußere Umstände ihre Ausbildung unmöglich machen.
Es ist bekannt, daß nur ein Bruchteil der Schüler der höheren Schulen die Schule ganz durchläuft. Von etwa 130 000, die eintreten, machen nur etwa 25 000 das Abitur; das sind 20 %. Auch hier sollte in allen Fällen geholfen werden, wo aus materiellen Gründen, aus Geldmangel, die Schullaufbahn vorzeitig abgebrochen werden muß. Es gibt viele solcher Fälle — mir selber sind solche bekannt —, wo hochbegabte Schüler das Abitur nicht machen konnten, weil die wirtschaftliche Lage der Eltern es nicht zuließ. Wir können uns das nicht leisten. Ein Schüler der höheren Schule kostet den Steuerzahler fast 1000 DM im Jahr.
Wir verschleudern also unser Geld, wenn wir nicht mit allen Kräften dafür sorgen, daß die Ausbildung eines begabten Kindes auch zu Ende geführt wird. Die Mittel für die Begabtenförderung stammen nicht alle aus den Länderhaushalten, sondern es sind zum Teil auch Bundesmittel darunter; insofern geht auch uns das Problem etwas an. Wir sind der Meinung, daß die aufgewendeten Mittel vervielfacht werden müßten.
Die Konferenz in Bad Honnef im Oktober des vorigen Jahres hat die Maßnahmen zur Studentenförderung kritisiert und festgestellt, daß keine gerechten allgemeinen Maßstäbe angelegt werden, daß 17 verschiedene Stellen die Anträge entgegennehmen und vieles andere, unter anderem auch — das ist wichtig —, daß die Bedürftigkeitsgrenze zu niedrig angesetzt ist. Es sind also auch hier wesentlich erhöhte Geldmittel notwendig. Bedenken Sie bitte, daß die Vereinigten Staaten 56 Dollar pro Kopf und Jahr für das öffentliche Bildungswesen ausgeben, während es bei der Bundesrepublik nur etwa 16 Dollar sind.
Was das Studium von Ausländern in der Bundesrepublik angeht, so hat die Evangelische Akademie in Bad Boll beherzigenswerte Empfehlungen veröffentlicht. Darin heißt es z. B., daß die erhöhten Studiengebühren für Ausländer vielfach als eine Ungerechtigkeit empfunden werden, daß man den ausländischen Studenten bei der Bücherbeschaffung helfen müßte und daß man auch dafür sorgen müßte, daß sie nach dem Kolleg mit Assistenten sprechen können, weil sie manchmal doch sprachliche Schwierigkeiten haben. Unter Punkt 11 dieser Empfehlungen aus Bad Boll heißt es wieder: Es sind mehr Geldmittel nötig.
Sie fragen uns vielleicht, wie das alles bezahlt werden soll, wie wir dieser Forderung nach mehr Geldmitteln für alle Gebiete nachkommen wollen. Meine Freunde und ich sehen da keine so sehr große Schwierigkeit. Wir sind jederzeit bereit, den Wehretat um die notwendigen Mittel zu kürzen.
Um von der Größenordnung einen Begriff zu geben, möchte ich Ihnen sagen: Ein Student kostet die Öffentlichkeit pro Jahr 1800 DM; ein Soldat soll nach den vorliegenden Plänen den Staat 18 000 DM kosten.
Eine weitere Frage, die in der Großen Anfrage angeschnitten ist, betrifft die politische Bildung. Es genügt nicht, daß wir junge Menschen zu qualifizierten Fachleuten mit großem Wissen erziehen. Letzten Endes bleibt der Staat davon abhängig, daß seine Bürger verantwortungsbewußt und treu zu ihm halten. Krisen sind immer möglich. Wie sie überwunden werden, hängt von dem politischen Bewußtsein der Bürger ab. Es muß ein rechtes Maß zwischen Gesinnung und Wissen gefunden werden. Gesinnung ohne Wissen neigt zum Fanatismus, Wissen ohne Gesinnung birgt die Gefahr einer asozialen Haltung in sich. Die Schulen müssen zur politischen Bildung entscheidend beitragen. Es ist mitunter zu spüren, daß sich die Berufskollegen nicht gern dem Fach der politischen Bildung zuwenden. Das ist eine Folge der Entnazifizierung, zum Teil aber auch eine, die auf ältere Vorgänge der deutschen Geschichte zurückgeht. Man könnte sagen, daß einem früheren Obrigkeitsstaat der
Untertanengeist und der Mangel an Zivilcourage gegenüberstehen.
— Ich komme gleich darauf.
Es muß also, wie wir alle einstimmig glauben, etwas Besonderes getan werden, um die staatsbürgerliche Gesinnung zu fördern. Die Rektorenkonferenz hat empfohlen, Lehrstühle für die Wissenschaft von der Politik zu errichten. Da die Förderung der wissenschaftlichen Forschung nach Art 74 des Grundgesetzes dem Bund zusteht, ist hier wieder ein Gebiet, auf dem der Bund tätig werden kann. Denn von den Universitäten über die Lehrerbildungsanstalten über die Schulen geht der Weg der politischen Erziehung. Wir sind der Meinung, daß auch an den Hochschulen für Lehrerbildung die politische Bildung zum ordentlichen Lehrfach erhoben werden sollte. Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen hat einmal festgestellt, daß sich die Schule noch nicht aus den alten obrigkeitsstaatlichen Formen gelöst habe. Sorgen wir dafür, daß das recht bald geschieht. Und wenn wir einige Zeit, einige Jahrzehnte friedlicher Entwicklung und ruhiger Erziehungsarbeit vor uns haben, erreichen wir es vielleicht doch, daß wir eines Tages zu einem wirklichen Volk von Staatsbürgern werden.
Meine Damen und Herren, ich befinde mich leider in der sehr unangenehmen Situation, bei einem so wichtigen Thema - denn wem läge die Kultur nicht am Herzen; aber es bleibt mir gar nichts anderes übrig
— an die Redner aller Fraktionen dringend appellieren zu müssen, doch um Gottes Willen kürzer zu sprechen.
Ich bitte ausdrücklich, darin nicht eine Kritik an den seitherigen Rednern zu erblicken, sondern einfach einen Blick auf die Tagesordnung zu werfen und zu bedenken, daß wir, wenn ich mich recht erinnere, heute noch das Holding-Gesetz zu verhandeln haben und daß das auch noch eine lange Debatte gibt. Also bitte, meine Damen und Herren, tun Sie dem Haus den Gefallen, so kurz und so prägnant wie möglich zu sprechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einleitend sagen, daß ich mich trotz der Anerkennung der sicherlich bedeutsamen Wiederaufbauleistungen durch Staat und Wirtschaft auch auf kulturellem Gebiet — es ist hier von den schönen Schulbauten usw. gesprochen worden — doch nicht des Eindrucks erwehren kann, daß wir bei unserer Wiederaufbaurasanz und -betriebsamkeit, bei unserer Wirtschaftswunder- und Konjunkturemsigkeit und leider manchmal auch -seligkeit hinsichtlich Schule, Forschung und Wissenschaft doch ein wenig zurückgeblieben sind, daß diese Gebiete doch irgendwie ein Stiefkind in unserer Entwicklung darstellen. Dabei möchte ich unter wissenschaftlichen Gebieten nicht nur die heute hier vordringlich behandelten angesprochen wissen, sondern auch darauf hinweisen, daß auch die Geisteswissenschaften hier zweifellos zu kurz gekommen sind.
Bei dem Übergewicht von Außenpolitik, seit jüngster Zeit von Wehrpolitik, Finanz- und Wirtschaftsfragen und auch — ich sage das ganz offen, da wir ja sehr viel Wert auf die sozialpolitischen Dinge legen — von Sozialpolitik und natürlich bei
— von manchen Moneymakern und Managern aller Sorten und Arten recht robust forciertem
— Geldverdienertum sind, so möchte ich glauben, die kulturpolitischen, d. h. die Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungsfragen, zumindest relativ etwas zu kurz gekommen.
Wenn man sich auf Länderebene mit diesen Fragen beschäftigt, dann geschieht das meistens unter Aspekten, die keineswegs dem Gesamten sehr dienlich sind und kaum in die Kernprobleme dieser Fragen vorstoßen. Denken Sie nur an die vielen oft aus weltanschaulichen, konfessionellen und sonstigen Gründen getönten Streitfragen gerade im kulturpolitischen Feld in den einzelnen Länderparlamenten! Im Bayerischen Landtag, dem anzugehören ich die Ehre hatte, war Kulturpolitik immer jenes politische Feld, wo die meisten heißen Eisen in der Gegend herumlagen und wo sich die meisten fürchteten, solche heißen Eisen aufzunehmen.
Ich glaube also, daß wir bei aller Anerkennung der Leistungen von Staat und Wirtschaft nicht allgemein den Eindruck verwischen sollten, daß in diesem Feld, über das wir heute sprechen, doch gewisse Kehrseiten unserer Wirtschaftswundermedaille sichtbar werden und recht deutlich geworden sind.
Die Gründe dafür sind zum Teil begreiflicher, zum Teil, so möchte ich behaupten, unbegreiflicher, d. h. schuldhafter Natur. Begreiflich dadurch, daß natürlich nach der Katastrophe von 1945 durch die Teilung Deutschlands mit allen Folgen und Folgeerscheinungen nach innen und außen hin zu allererst Existenznöte und -sorgen, Sorgen um unsere Freiheit im Neubeginn unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens im Vordergrund stehen mußten. Aber schuldhaft und unbegreiflich ist und bleibt ein Tatbestand, den heute erfreulicherweise der sehr verehrte Kollege Dr. Friedensburg herausgestellt hat und auf den wohl alle Redner hingewiesen haben, nämlich daß wir in dieser Sparte unter einem überspitzt föderativen, partikularistischen Zwang leben, daß hier ein Neben-und Durcheinander entstanden ist, das nun langsam nach Abhilfe, nach vernünftiger Neuordnung ruft. Wir sind, glaube ich, wohl alle sehr dankbar, daß, wie es nicht nur der Herr Bundeskanzler in Stuttgart gesagt hat, sondern wie wir es heute auch vom Kollegen Dr. Friedensburg gehört haben, darüber neue Vorstellungen politischer Art auch innerhalb der CDU/CSU durchaus ventiliert werden.
Ein Zweites habe ich schon angedeutet, nämlich daß man sich in diesem Feld auf ganz spezielle Interessen verlegt hat, die wir angesichts der nothaften Zustände in diesem Sektor doch nicht als so vordringlich und so bedeutsam behandeln sollten. Es sind jene heißen Eisen, die bei diesen Fragen immer in den Landtagen ruhen, verschiedenes Gegen- und Widereinander also: Lehrerbildung und all das, was damit zusammenhängt. Sie ersparen es mir, deutlicher zu werden. Aber ich darf einmal ganz offen sagen: das sind Fragen, die mir und uns daheim, die wir im Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder in den Nachfolgestaaten groß geworden sind, erzogen und unterrichtet wurden, völlig unbekannt
waren. Denn unter der Apostolischen Majestät Osterreich-Ungarns — und die Nachfolgestaaten haben nichts geändert — sind diese Streitfragen, die heute so manche Politiker auf Landesebene so sehr zu erhitzen und auf die Barrikaden zu treiben geeignet sind, völlig unbekannt gewesen.
Ein Weiteres ist wohl, daß man erst langsam erkennt, daß wir auch im Sektor Schule, Erziehung, Bildung und Unterricht und Kulturpolitik eine neue Aufgabe übernehmen müssen, daß wir in eine neue Grenzlandfunktion eingerückt sind, die uns auch auf diesem Gebiet, auf dem kulturpolitischen Sektor also, neue Aufgaben stellt.
Ferner, glaube ich, geht man bei diesen Fragen, vor allem was Schule und Unterricht anbelangt, leider Gottes an wesentlichen Grundfragen, die schon lange im Raum stehen, vorbei, nämlich an der Grundfrage: Wie ist es überhaupt möglich, die Wissensdifferenzierung und das Spezialistentum unserer Tage, das sich aus dieser Differenzierung ergibt, mit einer vernünftigen Unterrichtsführung in Einklang zu bringen? Dieses Problem — das nicht neu ist — wird allüberall und in allen Unterrichtssparten angepackt werden müssen. Allüberall hat man allzu oft den Eindruck, daß wir den Übergang von der Neuzeit zur Neuestzeit in puncto Schule und Unterricht und Erziehung doch irgendwie verschlafen haben.
Dabei reicht die Misere von der Dorfschule mit ihrer Gebäude- und Raumnot, mit dem Schichtunterricht in überbelegten Klassen und ihrer Lehrernot über die höhere Schule bis, wie wir heute gesehen haben, zu den hohen Schulen hinauf.
In der höheren Schule ist das Abfangen, das Ableiten der andrängenden Schülerschaft nach den Mittel-, Berufs- und Fachschulen noch nicht geglückt, bzw. nur zum Teil gelungen, und es wird eine Frage sein, wie man etwa durch einen zweiten Bildungsweg einen neuen Anreiz schaffen kann, um dieses Problem zu lösen.
Ich möchte nicht von dem Problem der auf den Staat zukommenden kommunalen höheren Schulen sprechen; allüberall ist auch hier noch vieles zu tun!
Hinsichtlich der Hochschulen haben wir das meiste ja bereits gehört; angesichts der vorgeschrittenen Zeit will ich mich nicht in Wiederholungen ergehen. Aber der Ansturm der Studierenden, der mangelnde individuelle Kontakt zwischen Lehrern und Studenten, der Drang nach dem Brotstudium mit all seiner Hast und mit der, wie man so sagt, „Rentengesinnung" auch auf der Hochschule, die Unmöglichkeit, echte Forschung zu treiben — denken Sie an Mammutuniversitäten wie etwa München —, die betrübliche und erschreckende Tatsache, daß unsere Lehrkanzeln zum Teil zu Leer-Kanzeln werden — all das sind fraglos alarmierende Fakten. Wenn, wie ich in letzter Zeit las — ich glaube, der verehrte Herr Kollege Kahn-Ackermann hat es schon angedeutet —, an der Universität Heidelberg 22 Lehrkanzeln zu Leer-Kanzeln geworden sind, wenn es an einer Universität wie der Heidelberger gar keine slawistische Lehrkanzel mehr gibt, in einem Land wie dem unsern, da wir dem Osten und den slawischen Völkern gegenüberstehen, und an einer Universität von diesem Namen — denken Sie an den Klang, den er in Amerika hat —, so ist das ein Jammer; anders kann man das nicht bezeichnen.
Die finanzielle Misere betreffend Forschung, Wissenschaft und hohe Schulen ist nun einmal da, und es ist richtig, wenn in der Anfrage der SPD angedeutet ist, daß den Ländern finanziell einfach die Luft ausgeht, daß sie diese Fragen um Forschung und Wissenschaft heute einfach nicht mehr lösen können und daß hier der Bund eingreifen muß. Wer wollte leugnen, daß Mangelerscheinungen gerade in dieser Sparte erfahrungsgemäß nach allen Schul-, Erziehungs- und Bildungssparten ausstrahlen? Sie wirken sich bis in die letzte Volksschule aus. Wenn es oben an den hohen Schulen, an der Spitze sozusagen, nicht klappt, so gibt es unabsehbare Auswirkungen, und zwar nach allen Seiten hin.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Bayerischen Landtag ein kleines Loblied singen. Er hat mehr als jeder andere Landtag unserer Bundesrepublik in letzter Zeit in der Form eines Schrittmachers, so könnte man sagen, viele Fragen, die wir heute behandeln, angeschnitten. Nicht nur erschreckt durch das staatsbürgerliche Bildungsniveau von Beamtenanwärtern, von dem wir heute gehört haben, hat er gerade diese Frage, die heute im Vordergrund steht, nämlich die Förderung des technischen Nachwuchses, hervorragend debattiert und nach Möglichkeiten auf diesem Gebiet Ausschau gehalten. Er hat auch die politische Bildung unter die Lupe genommen, und sowohl die Vorschläge der bayerischen Koalition wie auch die der CSU-Opposition bemühen sich ernsthaft, gerade in dieser Sparte Zusätzliches zu tun. Nicht zuletzt hat auch das Land Bayern seine Grenzlandfunktion erkannt. Es hat viel für alle Fragen der Ostraumforschung und der Forschung bezüglich der slawischen Völker überhaupt getan und tut es auch weiterhin. Das soll hier rühmend und dankend anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, Möglichkeiten für einen Ausweg aus dieser Misere sind bereits vielfach erörtert worden, und zwar sowohl hinsichtlich des Bundes wie der Länder, vor allem aber mit dem eindeutigen Wunsch, daß hier der Bund mehr denn bisher koordinierend oder sogar durch finanzielle Hilfe einwirken soll. Auf jeden Fall ist eine Verstärkung der Stipendien — und ich möchte betonen: gerade für Studenten aus den Ländern jenseits des Eisernen Vorhanges — dringend notwendig. Wir danken zweifellos der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband, daß sie hier eingesprungen sind, aber es ist und bleibt doch wohl eine Aufgabe nicht nur der Länder, sondern auch des Bundes, hier mehr zu tun, will sagen: die finanziellen Mittel zu verstärken, damit der Wechsel von Universität zu Universität, das Studium im Ausland, der Austausch mit dem Ausland und die Erweiterung der Entsendung deutscher Wissenschaftler und Dozenten ins Ausland gewährleistet werden.
Hier handelt es sich um Gebiete, bei denen es sich zwar primär um kulturpolitische Anliegen handelt. Deren Erfüllung macht sich aber bezahlt und ist außenpolitisch wie wirtschaftspolitisch genau so wertvoll wie kulturpolitisch gewichtig. Besonders sichtbar und fühlbar macht sich dieses Nachhinken unsererseits gerade auf demjenigen Felde bemerkbar, wo die Entwicklung am schnellsten voranschreitet, nämlich im Bereiche von Technik und Naturwissenschaft. Darum heute das Problem des fehlenden technisch-naturwissenschaft-
lichen Nachwuchses, der 40 000 fehlenden Ingenieure, darum die Schwierigkeiten um die Numeri clausi an naturwissenschaftlichen Fakultäten, um die zu wenigen Ingenieurschulen, die zum Teil noch an mangelhaften Ausbildungsmöglichkeiten leiden. Ja, hier ist überall viel versäumt worden! Ich erinnere mich — gestatten Sie, daß ich diese kleine persönliche Erinnerung vorbringe —, als Soldat in Rußland oft kleine Fachschulen in ganz kleinen Dörfern mit unbekannten Namen besucht zu haben, in denen ich über die Ausgestaltung des Unterrichts- und Lehrmaterials ganz erstaunt war. Man war geradezu perplex ob des Umfangs der dortigen Bibliotheken, erstaunt über die vielfältige deutsche Literatur natur- und geisteswissenschaftlicher Art z. B., die man dort vorfand. Solches war zweifellos auf lange Sicht geplant und mit ganz bestimmten Zwecken verbunden. Aber hier haben wir schon damals lernen können, und ich glaube, daß wir diesbezüglich auch in der Zwischenzeit noch manches zusätzlich versäumt haben.
Es ist also notwendig, die Bemühungen der Länder in Zukunft zu koordinieren und diese Bemühungen durch den Bundeshaushalt finanziell zu unterstützen, um so Notständen abzuhelfen, von denen wir heute hier gehört haben und die uns erschreckend offenbar wurden. So wurde uns offenbar, daß wir hier schnell etwas 'tun müssen; nicht zuletzt im vergleichenden Hinblick auf die studierende Jugend in der sowjetisch besetzten Zone, in der Sowjetunion und den Satellitenstaaten.
Ich glaube, der Hauptnutzen unserer heutigen Aussprache liegt darin, daß wir einmal auf einem Feld, für das der Bund nicht unmittelbar zuständig ist, gesehen haben, daß es fünf Minuten vor zwölf ist. Wenn wir übrigens dieses Problem sinnvoll anpacken, vollbringen wir eine Wiedervereinigungs-, aber auch eine gesamteuropäische Leistung, die notwendig ist. Dabei möchte ich — auch das sei mir gestattet — am Rande sagen: Es gibt noch ein großes Reservoir von Menschen, die Erfahrung und Wissen um diese Dinge noch aus ihrer früheren Heimat in sich tragen und die hierbei herangezogen werden können. Dieses Potential wurde leider noch nicht genügend genutzt, meine Damen und Herren. Und wenn der verehrte Herr Bundesinnenminister sagte, diese auf der Straße oder am Rande der Entwicklung, sozusagen als Strandgut der Zeit hängengebliebenen Menschen
— das ist mein Ausdruck — seien nur — jetzt kommt I h r Ausdruck, Herr Bundesinnenminister
— ein statistisches Problem, so möchte ich sagen: es ist vor allem ein menschliches Problem.
Ferner, glaube ich, ist es auch ein berufliches Problem. Durch gewisse Umschulung oder Kenntniserweiterung könnte es zweifellos möglich gemacht werden, daß viele Menschen, die heute als Familienväter mit 45 oder 50 Jahren noch gut mit anpacken könnten, nicht „unter das alte Eisen geworfen werden" müssen, zumal wir sehen, welch großer Bedarf herrscht.
Dem Antrag der SPD auf Umdruck 614*), der die Erstellung statistischer Unterlagen und die
*) Siehe Anlage 2.
Beratung von koordinierenden und entwicklungsfördernden Maßnahmen vorsieht, stimmen meine politischen Freunde und ich zu. Ich glaube, daß auch die anderen Fraktionen gegen diesen Antrag wohl kaum etwas einzuwenden haben werden. Er dient letztlich dazu, uns Material dafür zu liefern, was wir heute besprechen und in Zukunft wohl auch regulierend und gestaltend in Angriff nehmen müssen und wollen.
Im ganzen begrüßen wir die heutigen Anfragen und die heutige Aussprache aus den schon angedeuteten Gründen. Wir knüpfen daran vor allem die Hoffnung, daß wir den Abbau aller Hemmungen, insbesondere den Abbau überspitzter föderalistischer Bremsen, mit dem guten Willen aller herbeiführen können und daß wir somit den Anschluß an eine Entwicklung, welche die neue Zeit auch auf diesem Gebiet von uns verlangt, nicht verpassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich muß noch einmal darauf hinweisen: wenn wir weiter so verhandeln, kommen wir zu dem Punkt 2 — wohlgemerkt: erst zum Punkt 2! — der Tagesordnung genau um 19 Uhr. Das ist ein völlig unmöglicher Zustand bei der totalen Arbeitsüberlastung des Bundestags. Wir haben bis zu den Parlamentsferien noch ein Riesenprogramm vor uns und müssen mit unserer Zeit haushalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gaul.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aussprache, die wir jetzt führen, werden wir in einigen wenigen Wochen wiederholen müssen, wenn die Anträge der Deutschen Partei auf Drucksache 621 und Drucksache 622 — der erste betreffend Änderung des Grundgesetzes, der zweite betreffend Errichtung eines Bundesunterrichtsministeriums — hier abschließend zur Behandlung kommen werden. Dazu ist der Kulturpolitische Ausschuß des Bundestages seit einem halben Jahr an der Arbeit. Er hat diese Arbeit sehr gründlich und nachdrücklich vorgenommen. Er hat z. B. zuerst die Zuständigkeit der Länder und die Zuständigkeit des Bundes in Schul- und Kulturfragen abgesteckt. Sodann hat er ausgezeichnete Referate über den Stand der Dinge an den Hochschulen, über eine Hochschulreform, über den Stand der Dinge bei den Volksschulen, den Mittelschulen, den Berufsschulen und den höheren Schulen gehört. Er hat ein Referat über die politische Bildung, ein anderes über Ost-West-Fragen in der Erziehung gehört, und zuletzt hat er ein Referat gehört, das diese Dinge verbinden sollte.
Was geschieht nun hier bei uns? Wir werden Ihnen demnächst, wenn wir mit unseren Beratungen so weit am Ende sind, Anträge und Empfehlungen vorlegen, die hier entweder angenommen oder abgelehnt werden, und dabei wird, glaube ich, die ganze Frage noch einmal viel breiter behandelt werden müssen.
Ich will zunächst nur ein paar Bemerkungen zu der Großen Anfrage auf Drucksache 2326 machen. Ich hätte diese Anfrage in zwei Teile geteilt. Der Herr Bundesinnenminister hat das Ganze in fünf
Teile geteilt. Ich hätte den ersten Teil unter die Überschrift gesetzt: „Förderung der wissenschaftlichen Forschung". Dafür ist der Bund zuständig. Ich hätte gesagt: Will die Bundesregierung uns Geld geben, möglichst viel, beispielsweise — erschrecken Sie nicht! — eine Milliarde für die Forschung? Dann hätte uns der Herr Bundesinnenminister gesagt: So viel können wir nicht geben, aber wir tun alles, und: Wartet die Entwicklung ab! Damit wäre diese erste Frage nach meiner Meinung beantwortet. Unter die zweite Frage hätte ich alles andere gebracht — und das hat der Herr Kollege Kahn-Ackermann getan —, was nicht direkt zur Förderung der Forschung gehört. Man muß diesen Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes schon sehr, sehr großzügig auslegen.
Aber da ist alles hineingepackt worden. Lieber Herr Kollege Kahn-Ackermann, natürlich ist der Forscher, ist der Student, ist der Dozent und ist der Assistent einmal in der höheren Schule gewesen. Er muß das Abitur haben. Er muß auch einmal entweder vier oder sechs Jahre in der Grundschule gesessen haben. Also das kann ich auch noch — aber doch mit einigem Zwang — da mit hineinpacken. Und das ist hier geschehen.
Meine Damen und Herren, die Frage ist doch ganz einfach. Der Bundesinnenminister wird gefragt: Wollen Sie hier Geld geben? Angenommen, er sagt ja. Dann kommt hinterher die Frage: aber habe ich, hat der Bund denn hier irgendwelche Zuständigkeit? Die hat er nicht! Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern. Meine Damen und Herren, nehmen Sie es mir nicht übel, ich halte das alles für Theorie, solange man nicht das tut, was der
Kollege Dr. Friedensburg angeregt hat. Wollen wir nicht doch einmal ganz gründlich nachdenken und eine Entscheidung darüber fällen, ob wir die Zuständigkeit des Bundes in Schul- und Kulturfragen verstärken sollten? Darum geht es.
Die Anträge der Deutschen Partei, über die wir demnächst abschließend zu entscheiden haben, stellen uns vor die Frage: Wollen wir das Grundgesetz ändern und wollen wir ein Bundesunterrichtsministerium errichten oder nicht. Ich bin gar nicht darauf versessen, diese Instanz etwa „Bundeskultusministerium" oder „Bundesunterrichtsministerium" zu nennen, oder wie sie sonst heißen soll. Aber ich möchte eine solche Stelle errichten helfen, der ich dann so viel Zuständigkeit geben möchte, daß ich nachher auch etwas von ihr verlangen kann.
Wenn die Regierung Mittel gibt — hoffentlich tut sie es —, dann muß sie auch über die Verwendung dieser Mittel mit verfügen. Sie muß nachher auch eine bestimmte Kontrolle ausüben. Ohne eine bestimmte Zuständigkeit kommen wir nicht zurecht.
Herr Kollege Kahn-Ackermann hat an den Bildungslücken in unserer Schule Kritik geübt. Meine Damen und Herren, so weit gehe ich nicht. Ich weiß aus meiner früheren Tätigkeit und auch auf Grund der Verbindung, die ich heute noch zu unseren deutschen Schulen, den Lehrerinnen und Lehrern habe, daß dieser Tiefstand, wie er sich nach seinen Ausführungen ergab, doch nicht überall vorhanden ist.
Diese Behauptung darf nicht — es ist kein gutes
Wort, ich brauche es nicht gern — im Raume
stehenbleiben. Ich möchte aber, daß dieses Wort an
dieser Stelle gesagt wird, wenn man von Bildungslöcken spricht. Geschichtlich ist es eine Tatsache: da schimpfen die Mittelschulen und die höheren Schulen über schlecht vorbereitete Volksschüler, da schimpft die Universität über schlecht vorbereitete Schüler aus den höheren Schulen; früher schimpfte auch das Militär über die Analphabeten. Das wird zunächst einmal so bleiben. Wenn man aber heute von Bildungslücken unserer Kinder spricht, dann soll man doch auch darauf hinweisen, mit welchen furchtbaren Schwierigkeiten es unsere Lehrerschaft 1945 und in den weiteren Jahren zu tun hatte.
Da gab es keine Häuser, da gab es zuwenig Schulräume, da fehlten die Lehr- und die Lernmittel, da waren die Kinder unterernährt, und wir hatten zuwenig Lehrer. Dessen, was da in unseren Schulen geleistet worden ist — der fleißigen, redlichen Arbeit unserer deutschen Erzieherschaft in allen Schulen — sollten wir doch einmal an dieser Stelle, vor dem Deutschen Bundestag gedenken.
Meine Damen und Herren, es ist doch tatsächlich — die Logik beweist es — bei uns gearbeitet worden und wird gearbeitet, und ein Teil des Fleißes unseres deutschen Volkes, das mit Kopf und Herz und Hand an die Arbeit geht, kommt doch auf die gute Erziehung im Elternhaus und auf die Habenseite unserer deutschen Lehrer.
Nun noch ein paar Bemerkungen zu den beiden anderen Großen Anfragen. Darüber wird der Fachmann — ein Techniker von uns — nachher noch etwas mehr reden. Ich will mich hier auf folgende einfache Bemerkungen beschränken. ç
Zunächst zur Großen Anfrage Drucksache 2374 Ziffer 2. Der Herr Kollege Dr. Graf hat hier gesagt: Die Zahl der Etatstellen für Dozenten und Assistenten hat sich nach Inhalt und Umfang der Lehraufgaben zu richten. Völlig einverstanden, Herr Kollege Dr. Graf! Aber an dieser Stelle hätte ich gewünscht, daß Sie das auf alle Schulen ausgedehnt hätten; denn die Studenten — ich sagte es schon —, die Dozenten und die Assistenten müssen einmal durch die höhere Schule gelaufen sein — auch durch die Grundschule —, und heute noch ist es in vielen Ländern so — ich weiß es —, daß eine willkürlich angenommene sogenannte Meßzahl benutzt wird. Das heißt: die Zahl der Schüler wird durch eine Meßzahl — etwa durch 55 — dividiert, und wenn diese Rechenaufgabe richtig gelöst worden ist, bedeutet das Ergebnis: Mehr Lehrer bekommen Sie nicht. So darf es nicht sein. In allen Schulen — auch unten in der Volksschule, die neben der Berufsschule immer noch die einzige Schule ist, in der 85 bis 90 % unserer Kinder sind — darf die Zahl der Lehrer nicht mit einer willkürlich angenommenen Meßzahl berechnet werden, sondern nach dem Unterrichtsbedürfnis.
Herr Kollege Dr. Graf, gelegentlich erzählen Sie uns etwas darüber, was Sie sich unter Punkt 5, einer „echten Bedeutung der mittleren Reife", gedacht haben.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch einige Bemerkungen zu einem Absatz aus der Großen Anfrage der SPD Drucksache 2330 — da ist es die Frage 2 — und aus der Großen Anfrage vom Herrn Kollegen Dr. Graf; hier ist es Punkt 7. Da
wird vorgeschlagen, zur Lösung, Planung, Vorbereitung aller dieser Maßnahmen, die ergriffen werden sollen, ein Gremium, das sich aus sachkundigen und führenden Menschen zusammensetzt, zu bilden. In der SPD-Anfrage wird vorgeschlagen, die Bundesregierung möge sich mit den Herren Ministerpräsidenten ins Benehmen setzen. An dieser Stelle sage ich Ihnen: Vor diesem letzten Weg habe ich — entschuldigen Sie — etwas gemäßigten Respekt, und zwar deswegen, weil ich infolge jüngster Erfahrungen genau Bescheid weiß. Vor einem Jahr, am 17. Februar 1955, haben die Ministerpräsidenten in Düsseldorf ein Schulabkommen getroffen. Dieses Schulabkommen ist von allen Ministerpräsidenten, auch von dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten unterschrieben worden. In diesem Abkommen steht folgende Bestimmung: Alle Länder der Bundesrepublik haben zukünftig das Schuljahr zum zeitlich gleichen Termin anzufangen und zu beenden. Und das soll nun mal, weil die neun im Frühjahr saßen, auch für Bayern das Frühjahr sein. Gerade gestern haben wir aber in der Presse gelesen, daß der Kulturpolitische Ausschuß des Bayerischen Landtags zum zweitenmal seinem Plenum vorschlägt, bei dem Herbstanfang zu bleiben.
Meine Damen und Herren, ich persönlich will an dieser Stelle nicht untersuchen, ob der Anfang im Frühjahr oder Herbst pädagogisch der richtige ist. Dazu müßte man Eltern, Erzieher hören. Wir müßten auch mal in das Ausland hinübergucken, wie es dort gemacht wird. Meinetwegen kann der Schulanfang im Frühjahr oder Herbst liegen; aber es sollte doch für alle zeitlich der gleiche Anfang sein. Nun ist dieses Düsseldorfer Abkommen doch da, und in Art. 17 Ziffer 2 dieses Abkommens steht: Wenn in einem Lande durch eine gesetzliche Regelung irgend etwas anderes beschlossen wird, dann gilt das ganze Abkommen für dieses Land nicht. — Herr Kollege Dr. Graf, Sie erzählen das einmal in Bayern! Ich nehme nämlich nicht an, daß die neun anderen Länder sich dann nach Bayern richten und von diesem Abkommen abgehen werden.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, daß wir in diesem Hause einmal über schul- und kulturpolitische Fragen sprechen konnten.
Ich hoffe, daß das noch öfter geschehen kann. Denn über das, war wir hier wollen, könnten wir uns von ganz rechts bis ganz links einig sein. Worum geht es? In jedem Land sitzt ein Finanzminister und darüber ein Rechnungshof, — in Ordnung! Im Bund sitzt ein Finanzminister und darüber ein Rechnungshof, — in Ordnung! Für die Verwaltung der Finanzen, was dringend notwendig ist, haben wir die Stelle, und für die Betreuung unserer besten Devisen, unserer Kinder, fehlt diese Stelle, und diese möchte ich geschaffen haben. Ich hoffe, daß — wie Kollege Schmid und Kollege Friedensburg vorhin schon sagten — uns alle helfen werden, daß der Bund hier zuständig wird und daß wir dann eine Schule schaffen, auf deren Leistungen wir wieder stolz sein können.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident, ich habe Ihren Wunsch erfüllt und bin als Lehrer mit dem Rotstift in meiner eigenen Fleißaufgabe herumspaziert und habe darin gewütet.
Dafür danke ich Ihnen sehr!
Ich möchte kurz und im Telegrammstil zwei Anliegen vorbringen, von denen ich glaube, daß sie heute etwas zu kurz gekommen sind. Ich möchte von unten her beginnen: mit den Nöten der Volksschulen und der allgemeinbildenden Schulen. Ich glaube, es ist unbestritten, daß die Schulraumnot ungeachtet der Verfassung — die ich, Herr Minister, voll respektiere, die aber kein Dauerzustand sein muß — am ehesten dadurch behoben werden kann, daß wir normale Verhältnisse besonders in den Volksschulen herstellen. Dabei möchte ich mich von keiner Optik leiten lassen. Es gibt natürlich wunderbare Schulen, in die ich gern selber noch zurückkehren möchte, als Schüler oder auch als Lehrer. Aber es gibt auch noch Schulen mit dumpfem Geruch, dumpf und dunkel. Unter diesen Verhältnissen muß die Leistung der Lehrer und auch der Schüler besonders anerkannt werden. Der Volksschüler von heute ist der Bürger von morgen.
Das ist ein wichtiger Ausgangspunkt. Die Art und die Güte des Unterrichts und der Zustand unserer Lehrer und der Lehrerbildung entscheiden später einmal über das Ausmaß und die Fähigkeit des Urteils der Schüler über soziale, wirtschaftliche, kulturelle und allgemeine Fragen. 5 140 000 Schüler gehen in der Bundesrepublik in die Volksschulen, und diese 5 Millionen Schüler werden in 132 000 Klassen von 127 000 Lehrern unterrichtet. Wir wissen, daß wir neben Landschulen mit 15 bis 25 Schülern in einer Klasse in den größeren Städten überfüllte Klassen mit 50 bis 60 Schülern haben. Daher die allgemeine Forderung an den Bund, auch an uns, an die Bundestagsabgeordneten, mitzuwirken. Die Möglichkeit gibt es. Daraus ergibt sich eine Forderung, nämlich daß eine Klasse, die eine bestimmte Höchstzahl überschritten hat, geteilt werden muß.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister hat sich am 17. und 18. Mai mit den Fragen des Schulhausbaus und mit den Grundsätzen für die Volksschulen beschäftigt. Ich glaube, wir können den Auffassungen der Ständigen Konferenz im allgemeinen zustimmen. Aber es sollte nicht so geschehen wie dort, wo man sagt: Es muß was geschehen!, und dann erklärt: Da kann man halt nichts machen, das läßt sich nicht ändern. Es läßt sich eben ändern! Wenn wir in dem Zusammenhang den Schichtunterricht, die Schulraumnot und den Gesundheitszustand eines großen Teiles der Volksschüler und die Untersuchungen von Ärzten und das Urteil von Medizinern berücksichtigen — ich erinnere nur an die Untersuchungen des Herrn Dr. Niels Thomsen, an die Berichte der Hamburger Lehrer-Zeitung, an die Ergebnisse in Augsburg, wo man 70 bis 80 % Haltungsschäden festgestellt hat —, dann wird natürlich der Ruf nach einer Ordnung dieser Dinge immer stärker und notwendiger.
Ich will nicht von den Mängeln der Ernährung und der Fehlernährung sprechen. Bessere Schlaf-und Wohnverhältnisse sind ebenfalls nötig, auch eine bessere körperliche Betätigung; daher die Forderung nach Turn- und Sportanlagen.
Abschließend — ich bin, Herr Präsident, bald am Ende; ich komme Ihrer Empfehlung nach - glaube ich, wir alle erkennen unsere gemeinsame Pflicht, daß die Jugend ein Recht auf geistige und leibliche Gesundheit und Tüchtigkeit hat, daß wir der Schule, der Volksschule helfen müssen. Wir können ihr am besten helfen, indem wir neue Schulen bauen. Herr Bundesinnenminister, trotz der Kompetenz, die wir genau kennen, glaube ich, daß eine solche Möglichkeit über einen Hilfsfonds oder auch über eine neue Schullastenverteilung — über den Finanzausgleich der Länder — besteht. Wir müssen diese Möglichkeit wahrnehmen, wenn wir nicht nur mit Gesprächen im Raum stehen wollen. Aber diese Maßnahmen — Beseitigung der Raumnot, Schulbauten, Aufhebung des Schichtunterrichts und weitere Förderungsmaßnahmen — können nicht losgelöst werden von der Frage der Volksschullehrerbildung, der Volksschullehrerbesoldung und des Volksschullehrernachwuchses. Der schönste, modernste Schulbau kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Schulbildung unlösbar mit der Lehrerbildung verbunden ist. Daher müssen wir uns bei der nächsten Debatte auch mit den Problemen der Lehrerbildung und Lehrerbesoldung beschäftigen.
Wir sollten die Forderungen der Lehrer anerkennen, respektieren und unterstützen. Der Lehrer muß eine Ausbildung erhalten, die der Bedeutung seiner Aufgabe und seiner gesellschaftlichen Stellung gerecht wird und die ihn befähigt, seine Aufgabe in eigener Verantwortung zu erfüllen. Die Lehrerbildung auf einen neuen Boden stellen, neue Schulen bauen, das sind wichtige Probleme neben der allgemeinen Wehrmobilisation. Diese Aufgabe der pädagogischen Mobilisation sollte auch ein Anliegen des Bundestages sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Drechsel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versichere Ihnen, daß ich mich an den Appell des Herrn Präsidenten halten werde. Aber nachdem die Debatte so gelaufen ist, daß die Hauptgründe und die Hauptvorgänge, die hier vorgetragen worden sind, sich weniger an das Hohe Haus als die gesetzgebende Körperschaft, sondern an die Öffentlichkeit richten, scheint es mir doch erforderlich zu sein, hier noch einige Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
Ich bin der Auffassung, daß man an den Staat appellieren muß, die technische Ausbildung zu fördern. Aber ich vermisse etwas den Appell auch an die Wirtschaft. Es ist sehr wohl möglich, daß von der Wirtschaft aus verschiedenes getan werden kann, um dem Mangel an Nachwuchskräften abzuhelfen. Allerdings würde dazu wieder eine gewisse Unterstützung von seiten der Hochschulen und der technischen Schulen erforderlich sein. Ich weiß, daß in Großbritannien bei solchen Nachwuchsschwierigkeiten die Industrie ganz schnell zugegriffen und in ihren eigenen Unternehmen eine Ausbildung durchgeführt hat, der dann eine Ablegung von Prüfungen an den technischen Lehranstalten oder an den Hochschulen folgte. Das ist bisher bei uns in Deutschland nicht möglich.
Ich bin der Auffassung: bei uns in Deutschland ist die Ausbildung — vor allen Dingen an den Hochschulen — viel zu sehr spezialisiert. Die Studenten werden überfordert. Jeder Student soll möglichst schon im zweiten Semester wissen, in welchen Beruf er geht, um sein Spezialstudium danach auszurichten. Das ist gänzlich unmöglich. Normalerweise weiß ein Student noch nicht einmal nach Abschluß seines Studiums, in welchen Beruf, in welche Branche er kommt. Wenn er mit einer allgemeinen Grundausbildung ins Berufsleben tritt, kann er nach meiner Auffassung in jedem technischen Werk seinen Mann stehen. Wir sollten nicht immer allzusehr an die Ausbildung von Spezialisten denken. Dafür sollten wir aber einem solchen Mann, wenn er in seinem Beruf ein oder zwei Jahre tätig gewesen ist, wieder die Möglichkeit geben, an einer Hochschule oder an einem wissenschaftlichen Institut eine Spezialausbildung in seinem eigentlichen Fach durchzumachen. Dazu könnte auch die Wirtschaft helfen.
Der Herr Bundesminister hat mit Recht erklärt, daß die Möglichkeiten des Bundes zu einer finanziellen Förderung der Forschung und der Ausbildung gemäß unseren Wünschen auf diesem Gebiet noch sehr beschränkt sind. Ich meine, daß etwas zu machen wäre, wenn man das Königsteiner Abkommen etwas modifizierte. Es ist doch die eigentliche Aufgabe des Bundes — und nach dem Grundgesetz bestehen da auch gar keine Schwierigkeiten oder Hemmungen —, die Forschung zu finanzieren. Nehmen Sie den Ländern etwas von den Forschungsaufgaben, die nach dem Königsteiner Abkommen auf die Länder fallen, weg! Übernehmen Sie diese Forschungsaufgaben und die Mittel für diese Forschungen zum größeren Teil auf den Bund, und lassen Sie dafür den Ländern die Möglichkeit, mit diesen frei werdenden Mitteln ihre Lehrer und ihre Institute stärker zu finanzieren und besser zu fördern! Das scheint mir der richtige Weg zu sein.
Deshalb bin ich persönlich — in Parenthese gesetzt — gar nicht so glücklich, daß an dem Atomreaktor, der in Karlsruhe gebaut wird, ein Land beteiligt ist. Ich bin auch hier der Auffassung, daß das als eine nationale Forschungsaufgabe allein Angelegenheit des Bundes ist und daß man ein einzelnes Land nicht mit einer solchen Spezialaufgabe belasten darf, einen Forschungsreaktor zu bauen und zu finanzieren. Das nebenbei.
Wenn man also diesen Weg ginge, die Industrie anzueifern, in ihren eigenen Kreisen eine gewisse Fortbildung durchzuführen, und die Technischen Hochschulen und die Technischen Lehranstalten dazu veranlaßte, nach einem gewissen Kursus, den die Leute dann dort zu absolvieren hätten, nach Lehrgängen, die an sich nicht in ihren Schulen durchgeführt werden, eine Prüfung für die Schüler vorzunehmen, so würde man schneller über den Engpaß hinwegkommen, den wir zweifellos auf dem Gebiete der technischen Nachwuchskräfte haben.
Der folgende Gedanke ist aber heute noch gar nicht so recht zum Ausdruck gekommen. Wir wollen ja keine Technikerfabriken errichten und Techniker unter allen Umständen möglichst zahlreich herausholen. Was wir in der Wirtschaft brauchen, sind natürlich Fachkräfte. Aber was dabei nicht vergessen werden darf, sind die Menschen, die diese Fachkräfte darstellen. Der beste Fachmann in einem Betrieb nutzt überhaupt nichts, wenn er charakterlich oder menschlich nicht einwandfrei ist, wenn er nicht über die Grundausbildung verfügt, die notwendig ist, um sich mit seinen Mitarbeitern zu verstehen und noch mehr für seine Untergebenen das nötige Verständnis zu haben. Deshalb warne ich davor, daß man nur immer von
dem technischen Ausbildungsgang ausgeht. Man sollte die Grundausbildung ja nicht vernachlässigen. Man sollte die menschlichen Eigenschaften immer und immer wieder im Auge haben. Jeder Betrieb leidet mehr Schaden, wenn man ihm einen charakterlich oder menschlich nicht einwandfreien Mann als Betriebsleiter hinsetzt, als wenn man einen nicht so ganz besonders hervorragenden Fachmann, aber mit guten Führungseigenschaften, vielleicht nur im mittleren Ausbildungsstand an seine Spitze setzt. Das sind die Warnungen, die ich aussprechen möchte.
Ich freue mich, daß sich in der Debatte wenigstens ergeben hat, daß ein Ausbau des beruflichen Ausbildungswesens notwendig ist. Ich möchte wiederholen, was einer der Herren Vorredner — ich weiß nicht, wer es gewesen ist — schon gesagt hat. Auch ich bin der Überzeugung, daß wir, wenn wir jetzt nicht die Mittel bereitstellen, wesentlich mehr Schaden in der Volkswirtschaft und in den Haushalten des Bundes und der Länder haben werden, wenn sich später herausstellen sollte, daß unsere Wirtschaft nicht mehr auf dem modernen Stand und nicht mehr in der Lage ist, auf den Exportmärkten ihren Mann zu stehen. Das wird uns dann wesentlich mehr kosten, als wenn wir jetzt über Bund und Länder Mittel dafür bereitstellen, diese technischen Nachwuchskräfte zu fördern und die zweifellos vorhandenen Lücken auszufüllen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vietje.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige ganz kurze Worte, um etwas richtigzustellen, was durch die bisherigen Darlegungen vielleicht in eine falsche Sicht gekommen sein könnte. Es ist von der Gesetzgebung des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung gesprochen worden. Dieser Teil der gesetzgeberischen Maßnahmen gehört zur konkurrierenden Gesetzgebung, also nicht in den ausschließlichen Bereich des Bundes. Weitere Ausführungen darüber brauche ich nicht zu machen.
Aber ein anderes möchte ich bekanntgeben, das zu hören vielleicht sehr interessant ist. Gerade heute morgen haben wir in einem Gespräch von Mitgliedern des Kulturpolitischen Ausschusses mit mehreren amerikanischen Wissenschaftlern gehört: daß man sich in den USA seit etwa 20 Jahren bemüht, eine stärkere Angleichung der Schularten und des gesamten Unterrichtssystems zu erreichen, daß das bisher aber noch nicht gelungen ist. Unter den 48 Staaten der USA herrscht, wie uns heute morgen dargelegt wurde, eine wesentlich größere Verschiedenheit als bei uns im Bundesgebiet. Aber man hat es einfach nicht erreicht. Man hat zum Teil auch eingesehen, daß es nicht geht oder nur schwer geht und daß es selbst nicht einmal gut wäre.
Ich möchte dem noch etwas hinzufügen, was vielleicht auch von Interesse ist: daß die Schulraumnot, die einen besonderen Anlaß zu unserer heutigen Debatte gebildet hat, in den USA auch groß und, nach den Darlegungen von heute morgen zu urteilen, kaum geringer ist als im Bundesgebiet, obwohl es in den USA keine zerstörten Schulen gibt. Das ist für uns sehr aufschlußreich gewesen.
Außerdem habe ich in einem Artikel der „Südwestdeutschen Schulblätter" Nr. 5, Jahrgang 1955,
unter dem Titel „Fahnenflucht der Elite" gelesen, daß man auch in Frankreich den Bedarf an wissenschaftlich qualifiziertem Nachwuchs nicht mehr decken kann, so daß man die Frage stellt: Wird Frankreich aus Mangel an Lehrern seine kulturelle Aufgabe verfehlen? Zwar hat Frankreich auch unter den Kriegsfolgen zu leiden. Aber immerhin sehen wir, daß andere Länder die gleichen Schwierigkeiten haben, nicht nur auf diesem Gebiete der Erziehung und der Schule. Wenn das eine Weltnot ist, dann kann man nicht gut sagen — ich bin Herrn Gaul für seine Worte, die er für die Lehrerschaft und die Erzieherschaft gefunden hat, sehr dankbar —, wie es Herr Kollege Kahn-Ackermann heute mittag getan hat, man habe sich nicht ausreichend um die Schulen gekümmert. Ich muß für die gesamte Erzieherschaft sämtlicher Schularten sagen, daß das nicht zutrifft, sondern daß es ein ehrliches Bemühen gewesen ist, auf diesem Gebiete so viel zu leisten, wie man nur konnte.
Dann weiß ich weiter, daß es auch die Lehrerverbände sind, — —
— Ich bin noch nicht fertig!
— Lassen Sie mich bitte ausreden!
— Ich weiß, was ich zu sagen habe. Hören Sie bitte zu, vielleicht ist das noch etwas Zusätzliches für Sie! — Es ist auch nicht so, als hätten unsere Länderparlamentarier oder die Kultusministerien das nicht gesehen. Aber wir dürfen nicht einfach sagen: Man hat sich nicht ausreichend um die Schulen gekümmert, und daher heute der Schaden! Die Gründe will ich im einzelnen gar nicht anführen, sie sind teilweise von Herrn Gaul mit erwähnt worden. Das ist das, was ich hierzu richtigstellen möchte.
Dann möchte ich noch etwas zu den Worten von Herrn Dr. Friedensburg bemerken. Der Herr Kollegen Dr. Friedensburg hat, als er auf seinen Platz ging, gesagt, er habe seine Meinung gesagt. Es gibt in der CDU/CSU wesentlich andere Meinungen — ich darf das hier bekanntgeben —, und man weiß das auch. In den Beratungen unseres Kulturpolitischen Ausschusses, in denen die Vertreter der CDU/CSU sehr aktiv mitgearbeitet haben, ist mehr als einmal deutlich geworden, daß wir in der Zentralisierung der Kulturpolitik nicht nur nicht eine wünschenswerte und erstrebenswerte Angelegenheit sehen, sondern daß wir sie sogar nicht einmal für möglich halten.
Ich bin dem Herrn Kollegen Dr. Drechsel sehr dankbar, daß er auf das hingewiesen hat, was in der heutigen Debatte fast überdeckt wurde, so daß man den Eindruck bekommen könnte, als hätten wir unsere Unterstützung für die Errichtung von Schulbauten usw. nur mit besonderer Sicht auf die Förderung des technischen Nachwuchses zu sehen. Auch der Mensch darf nicht vergessen werden. Nicht eine fachliche Ausbildung soll das letzte Ziel in dem gesamten Schul-, Erziehungs- und Bildungswesen sein, sondern die Erziehung und die Bildung
schlechthin. Wenn das der Fall ist, dann wird auch das eintreten, was wir alle anstreben; dann wird vieles an Nöten in unserem deutschen Volk beseitigt werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 614*). Der Antrag ist begründet. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag auf Umdruck 614 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! —
— Verzeihung, ich habe keine Notiz hier. An welchen Ausschuß soll überwiesen werden?
Der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß geht vor. Wer mit der Überweisung an den Ausschuß für Kulturpolitik einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jamens aller Fraktionen des Hauses darf ich beantragen, den Punkt 2 a) und b)
— betreffend Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke — von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Bei allem Respekt vor dem Wert und der Bedeutung von Großen Anfragen scheint es, nachdem die Debatte über die jetzt behandelten Großen Anfragen so lange gedauert hat, sinnvoll zu sein, daß wir jetzt zur Beratung der Gesetze übergehen.
Ich nehme an, daß niemand weiter dazu das Wort wünscht. Ich frage, ob der Absetzung des Punktes 2 zugestimmt wird. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 2387, Umdrucke 613, 617).
Wird das Wort zur mündlichen Berichterstattung gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vor*) Siehe Anlage 2.
liegende Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmungen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie wurde von dem federführenden Ausschuß für Arbeit in zwei Lesungen beraten, und es wurden entsprechende Beschlüsse gefaßt. Dem Ausschuß lagen zwei Entwürfe zur Beratung vor, erstens der Entwurf der Abgeordneten Sabel und Genossen — Drucksache 842 —, zweitens der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf, Drucksache 986. Mitberatend war der Ausschuß für Wirtschaftspolitik, der seine Beratungen am 25. Mai 1955 beendete und sich grundsätzlich für den Regierungsentwurf aussprach. Er machte jedoch mehrere Änderungsvorschläge, die zum Teil in die Ausschußbeschlüsse einbezogen wurden.
Der beteiligte Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht schloß seine Beratung erst am 14. Dezember 1955 ab und stellte fest, daß der Regierungsentwurf weder eine Vergesellschaftung im Sinne des Art. 15 noch eine entschädigungspflichtige Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetz beinhaltet. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht stimmte jedoch ohne Änderungsanträge dem Regierungsentwurf zu. Damit hatten beide mitberatenden Ausschüsse den Entwurf Sabel und Genossen, Drucksache 842, abgelehnt.
Auch der federführende Ausschuß, der Ausschuß für Arbeit, hat seine Beratungen demnach auf der Grundlage des Regierungsentwurfs Drucksache 986 durchgeführt. Vom Ausschuß wurde zunächst beschlossen, daß an den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes vom 21. Mai 1951 nichts geändert werden soll.
Ich möchte in kurzen Zügen die Gründe dafür anführen, warum sich die gesetzgebende Körperschaft, das Hohe Haus, erneut mit einem Mitbestimmungsgesetz beschäftigen muß und heute in zweiter und dritter Lesung das Ergänzungsgesetz zum Mitbestimmungsgesetz verabschieden soll. Die Notwendigkeit eines solchen Ergänzungsgesetzes ist dadurch gegeben, daß sich im Laufe der letzten Jahre Montan-Obergesellschaften gebildet haben. Als das Montan-Mitbestimmungsgesetz für die Produktionsgesellschaften im Jahre 1951 beraten und verabschiedet wurde, gab es solche Dachgesellschaften nicht; vielmehr waren sie in der damaligen Zeit verboten. Aus wirtschaftlichen Überlegungen und aus Zweckmäßigkeitsgründen bemühte man sich um die Bildung solcher Obergesellschaften. Das konnte allerdings nur geschehen, wenn beide Sozialpartner gemeinsam die Angelegenheit unterstützten. Die Gewerkschaften widersetzten sich der Bildung dieser Obergesellschaften nicht, sondern waren mit der Wiederherstellung der Verbundwirtschaft einverstanden. Sie anerkannten ihre wirtschaftliche und technische Notwendigkeit, vertraten aber die Auffassung, daß in diesen zu bildenden Obergesellschaften die gleichen Bestimmungen aus dem Mitbestimmungsgesetz für die Montanindustrie Anwendung finden müßten.
Solche Montan-Obergesellschaften sind dann ab 1952 gebildet worden. Zwischen den Sozialpartnern wurden Vereinbarungen getroffen, nach denen auch die Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes Anwendung fanden; das heißt, daß der Aufsichtsrat bei den Obergesellschaften paritätisch zusammen-
gesetzt wurde und ein Vertreter der Arbeitnehmer als Vorstandsmitglied in den Vorstand dieser Obergesellschaft hineinkam. Es sei besonders vermerkt, daß auch nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes weitere vier solcher Obergesellschaften gebildet wurden und daß hierbei ebenfalls die Vorschriften aus dem Mitbestimmungsgesetz für die Montanindustrie Anwendung fanden. Lediglich in einem Konzern waren die Anteilseigner anderer Meinung, und es kam hier zu dem berühmten Mannesmann-Prozeß. Der Ausgang dieses Prozesses war vorauszusehen, weil ja in dem Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahre 1951 von Obergesellschaften nicht gesprochen wurde, also die Voraussetzungen dafür fehlten. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen.
Daß die Frage der Mitbestimmung in den Holdinggesellschaften der Montanindustrie dringend einer Lösung bedarf, wird von keiner Seite bestritten. Das gilt sowohl für die Arbeitnehmer, die eine Minderung ihrer Rechte in den Produktionsgesellschaften befürchten, und wohl auch, so darf ich sagen, für manchen Vorstand der betreffenden Konzerne, der sich in gewissen Schwierigkeiten den Anteilseignern gegenüber befindet.
Der Ausschuß für Arbeit hat sich der Mühe unterzogen, dieses schwierige Problem zu lösen. Er hat aus beiden Entwürfen und den Vorschlägen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses einen Entwurf erarbeitet, der dem Hohen Hause mit den Beschlüssen des Ausschusses für Arbeit in der Drucksache 2387 vorliegt. Hierzu darf gesagt werden, daß es dem Ausschuß in erster Linie darauf ankam, den Besitzstand zu wahren, daß auf der andern Seite aber auch keine Ausweitungen vorkommen sollten. Daß bei einem solchen Kompromiß nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, dürfte an sich klar sein. Immerhin darf festgestellt werden, daß der Ausschuß in einigen Fragen einstimmig, in allen übrigen Punkten mit beachtlicher Mehrheit die Beschlüsse gefaßt hat. Es kam darauf an, dem Hohen Hause einen brauchbaren Entwurf vorzulegen. Ich glaube, sagen zu dürfen, daß dieses wohl als gelungen anzusehen ist.
Ich habe als Berichterstatter des Ausschusses für Arbeit dem Hohen Hause einen Schriftlichen Bericht*) vorgelegt. In diesem Schriftlichen Bericht ist zu den einzelnen Paragraphen jeweils eine, wie ich glaube, hinreichende Erklärung gegeben. Es ist eine Gegenüberstellung, so daß man leicht die Regierungsvorlage und die Beschlüsse des Ausschusses unterscheiden kann. Ich möchte daher zu den einzelnen Paragraphen keine besonderen Ausführungen machen und verweise hierzu auf den Schriftlichen Bericht.
Ich bitte das Hohe Haus, der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen, und bitte weiter, den von den Abgeordneten Sabel und Genossen eingebrachten Gesetzentwurf — Drucksache 842 — als erledigt abzulehnen.
Damit möchte ich meine Ausführungen als Berichterstatter schließen. Ich glaube, daß in der Aussprache genügend Raum ist, die einzelnen Punkte noch näher anzusprechen.
*) Siehe Anlage 3.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten ein in die zweite Beratung. Es ist die Frage, ob wir die allgemeine Aussprache, die normalerweise vor dem Eintritt in die dritte Beratung stattfinden soll, die aber nach unserer Geschäftsordnung auch in der zweiten Beratung erfolgen kann, schon jetzt in der zweiten Beratung halten wollen. Wie ist die Meinung der Fraktionen?
— In der dritten Beratung.
Dann rufe ich § 1 auf. Hier ist ein Änderungsantrag angekündigt. Sie finden ihn auf Umdruck 613 Ziffer 1**). Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Berichterstatter hat bereits darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der Unternehmensformen an der Ruhr sehr deutlich zur Ausbildung großer Unternehmenszusammenschlüsse und damit zur Schaffung großer Konzerne führt. Infolgedessen hat die grundlegende Bestimmung des § 1 der uns vorliegenden Novelle ihre besondere Bedeutung.
Der Antrag, den meine Fraktion gestellt hat, geht darauf hinaus, im Abs. 2 dieses § 1 die Worte „auf Vereinbarung beruhendes" zu streichen. Dieser Antrag ist darin begründet, daß nach unserer Auffassung die Formulierung, die vom Ausschuß beschlossen wurde, den tatsächlichen Verhältnissen in den Großunternehmungen an der Ruhr nicht gerecht wird. Ich glaube, man muß darauf hinweisen, daß die Großunternehmungen, diese Unternehmenszusammenschlüsse oder Konzerne, wie wir sie zu nennen pflegen, ungeachtet ihrer formaljuristischen Ausgestaltung wirtschaftliche Einheiten sind, die über eine einheitliche Finanz-, Investitions-, Produktions- und Absatzpolitik, insbesondere auch über eine einheitliche Personalpolitik, nach einheitlichen Gesichtspunkten gesteuert werden.
Diese Einheit des Unternehmens ist unabhängig davon, ob der Einheit ein Vertrag, eine Vereinbarung oder eine sonstige vertragsartige Regelung zugrunde liegt; die ganze innere Organisation dieser Großunternehmungen, ihre personelle Verzahnung, die sachliche Abgrenzung der Arbeitsbereiche und die einheitliche Finanzgewalt führen zwangsläufig zu einer einheitlichen Leitung dieser Unternehmungen. Dieses Beherrschungsverhältnis ist ein Tatbestand, der völlig unabhängig ist von einer vertraglichen Fixierung.
Ich darf darauf hinweisen, daß auch das Aktienrecht diesen Tatbestand des Konzerns kennt und in § 15 eine Begriffsbestimmung des Konzerns gibt. Es ist sehr bemerkenswert, daß das Aktienrecht nicht daran gedacht hat, die Tatsache des Beherrschungsverhältnisses, die Tatsache, daß ein Konzern vorliegt, davon abhängig zu machen, ob eine formelle, sei es schriftlich oder mündlich geschlossene, Vereinbarung zugrunde liegt, weil eben dieser Konzerntatbestand ein Tatbestand ist, der keiner rechtlichen Vereinbarung bedarf.
Es wäre das Richtige gewesen, wenn man den Bestimmungen dieser Novelle den Tatbestand des § 15 des Aktiengesetzes zugrunde gelegt hätte. Leider ist das in den Beratungen des Ausschusses abgelehnt worden. Der Ausschuß hat zurückgegriffen
**) Siehe Anlage 4.
auf das steuerliche Organschaftsverhältnis. Das steuerliche Organschaftsverhältnis hat seine Bedeutung nur dort, wo innerhalb eines Konzerns das Bedürfnis besteht, Gewinne und Verluste der verschiedenen Unternehmungen gegeneinander auszugleichen. Aber mir scheint wiederum interessant zu sein, daß auch das Steuerrecht das Vorliegen eines solchen Organschaftsverhältnisses, also eines Beherrschungsverhältnisses, nicht von dem Vorliegen eines Vertrags oder einer Vereinbarung abhängig macht.
Der Ausschuß hat sich zunächst diesen unseren Einwendungen nicht verschließen können und im Absatz 1 des § 1 von einem Organschaftsverhältnis gesprochen. Wir bedauern sehr, daß er auf dem Umwege über den Abs. 2 nunmehr doch wieder ein Organschaftsverhältnis nur dann als vorliegend ansehen will, wenn eine Vereinbarung zugrunde gelegt wird.
Meine Damen und Herren! Wenn man weiß, daß das Beherrschungsverhältnis im Konzern ganz andere Grundlagen hat als vertragliche Vereinbarungen, kann eine solche Bestimmung sehr leicht als Einladung angesehen werden, sich den Konsequenzen des Mitbestimmungsrechts zu entziehen. Die Unternehmungen haben zahlreiche Möglichkeiten, ihre Gewinne und ihre Verluste so zu manipulieren, daß sie die steuerliche Organschaft und einen entsprechenden Organschaftsvertrag nicht brauchen. Ich bedauere daher, daß diese formale Bestimmung in das Gesetz aufgenommen worden ist, die völlig verkennt, daß nicht einmal eine mündliche Vereinbarung für ein Beherrschungsverhältnis erforderlich ist. Das Konzernverhältnis schafft aus der Natur der Sache heraus gegenseitige Abhängigkeiten, die das einzelne Glied der Gesamtunternehmung nur als Glied wirksam sein lassen, das in seiner Wirksamkeit von der einheitlichen Führung des Gesamtunternehmens abhängt.
Wer wirklich der Auffassung ist, daß bei echten Beherrschungsverhältnissen, wie wir sie an der Ruhr finden, das Mitbestimmungsgesetz Anwendung finden sollte, der dürfte nicht solche formalrechtlichen Hemmungen einbauen, die nur einer Umgehung der Gesetzesbestimmungen Vorschub leisten können. Ich darf Sie daher bitten, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen.
Das . Wort hat der Abgeordnete Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD hat offenbar zum Ziele, die verstärkte Mitbestimmung in der Obergesellschaft stets dann Platz greifen zu lassen, wenn ein irgendwie geartetes tatsächliches Beherrschungsverhältnis vorliegt, d. h. wenn die Voraussetzung des Konzernbegriffs nach § 15 des Aktiengesetzes gegeben ist. Mit einer solchen Änderung aber würde die Grundlage des Gesetzes, das uns im Entwurf vorliegt, völlig verlassen werden. Soweit nämlich ein Beherrschungsverhältnis auf den üblichen aktienrechtlichen Mitteln beruht, d. h. auf der Stärke der Beteiligung am Kapital und der daraus resultierenden Vertretung der Obergesellschaft im Aufsichtsrat und im Vorstand, wird diesem Kapitaleinfluß in den seither mitbestimmten Gesellschaften Rechnung getragen durch die Herstellung der Parität im Aufsichtsrat und durch die Bestellung des bekannten Arbeitsdirektors im Vorstand.
Dabei ist es grundsätzlich gleichgültig, ob die Kapitalseite durch eine einzige Obergesellschaft repräsentiert ist oder durch eine Vielheit von Aktionären. Durch die Beteiligung einer Obergesellschaft am Kapital der Untergesellschaft und die hierauf beruhende Bildung eines Konzerns allein wird also das Mitbestimmungsrecht nicht ausgehöhlt. Dies geschieht erst dann, wenn zu den eben genannten aktienrechtlichen Beherrschungsmöglichkeiten der Organschaftsvertrag tritt, der übrigens völlig formlos abgeschlossen sein kann. Dieser Organschaftsvertrag nimmt dem abhängigen Unternehmen seinen freien Willen, so daß dieses zumindest theoretisch nichts mehr zu bestimmen hat. Dadurch wird die Mitbestimmung ausgehöhlt — das erkennen wir an —; denn wo nichts zu bestimmen ist, kann auch nicht mitbestimmt werden.
Da es nicht Sinn des neuen Gesetzes sein kann, zu einer Ausweitung der Mitbestimmung über den Bereich hinaus, in dem sie bereits eingeführt ist, zu führen, sondern es nur die Aushöhlung der Mitbestimmung vermeiden und gleichzeitig den bestehenden, von den Sozialpartnern vereinbarten Zustand nunmehr gesetzlich legalisieren soll, kann dem Antrag der SPD nicht entsprochen werden. Die Fraktion der CDU/CSU bittet Sie deshalb, den Antrag der SPD abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 613 Ziffer 1 zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über § 1 und § 2 in der Ausschußfassung ab. Wer diesen Vorschriften zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu § 3 ist ein weiterer Änderungsantrag angekündigt. Sie finden ihn ebenfalls auf Umdruck 613, und zwar unter Nr. 2. Dabei möchte ich bemerken, daß die beiden nächsten Änderungsanträge unter Ziffer 3 und Ziffer 4 in ihrem Schicksal von dem Schicksal der Ziffer 2 abhängig sind. Wenn Ziffer 2 abgelehnt wird, sind die beiden anderen Anträge gegenstandslos; wird sie angenommen, dann müßten logischerweise Ziffer 3 und Ziffer 4 ebenfalls angenommen werden.
Das Wort zur Begründung hat der Abgordnete Sträter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, sich im Schriftlichen Bericht des Herrn Berichterstatters anzusehen, was dort auf Seite 2 zu dem § 3 ausgeführt ist. Ich will damit etwas deutlicher machen, als es sonst geschehen würde, um welche Probleme es sich hier handelt.
Die Mitbestimmung gilt den schaffenden Menschen im Betrieb. Beim Lesen der Begründung des Herrn Berichterstatters zu § 3 werden Sie finden, daß schon ein sehr großes Rechenkunststück dazu gehört, um feststellen zu können, geschweige um kontrollieren zu können, wie die Umsatzziffern zustande gekommen sind. Sie sollen bekanntlich durch einen Prüfer festgestellt werden. Die Umsätze sollen dann noch einmal bezüglich der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe modifiziert werden. Wir verstehen eigentlich nicht, weshalb man diesen komplizierten Weg geht, wenn es auf der anderen
Seite möglich ist, zu einfacheren Formulierungen zu kommen, und zwar solcher Art, wie wir sie in unserem Antrag zum Ausdruck gebracht haben. Maßgebend soll danach die Summe der Löhne und Gehälter sein. Wenn sie über 50 % in den mitbestimmten Betrieben liegt, soll diese Novelle Anwendung finden. Wir sind der Auffassung, daß kein Grund dafür vorliegt, die komplizierte Rechnung in das Gesetz hineinzuschreiben, nicht zuletzt deshalb, weil auch von der Mehrheit des Ausschusses selbst, die diese Beschlüsse gefaßt hat, zugegeben werden muß, daß im Endeffekt fast dasselbe dabei herauskommt. Es steckt also darin gar nichts an materiellen Plus- oder Minuspunkten.
Ich bitte deshalb, in diesem Punkt dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bürkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 3 Abs. 1 des uns jetzt vorliegenden Entwurfs soll das Holding-Mitbestimmungsgesetz dann angewandt werden, wenn der Unternehmenszweck des Konzerns durch die Konzernunternehmungen gekennzeichnet ist, die unter das Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" fallen. Der § 3 Abs. 2 des Ausschußentwurfs bestimmt in Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf, daß der Unternehmenszweck dann durch die unter das Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" fallenden Konzernunternehmen gekennzeichnet ist, wenn diese Konzernunternehmen mehr als die Hälfte der Umsätze sämtlicher Konzernunternehmen erzielen, und zwar unter Abzug der Kosten für Hilfs-, Roh- und Betriebsstoffe usw.
Wie Sie eben gehört haben, wünscht die Fraktion der SPD in ihrem Änderungsantrag, daß als Abgrenzungsmerkmal nicht der Umsatz, sondern die Löhne herangezogen werden. Begründung: es handele sich hier um das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer; außerdem sei diese Berechnungsmethode einfacher. Daß die Berechnungsmethode einfacher ist, ist zuzugestehen. Aber leider kann man nicht immer nur das tun, was einfach ist, sondern man muß das tun, was richtig ist. Um auf das Richtige zu kommen, ist es notwendig, den Sinn und den Zweck der Holding-Novelle zu betrachten. Diese Holding-Novelle will eine Lücke schließen, die zwischen dem Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" und dem Betriebsverfassungsgesetz durch die Gründung der Holding-Gesellschaf ten entstanden ist. Der Entwurf will einmal verhindern, daß das Mitbestimmungsrecht „Kohle und Eisen" ausgehöhlt wird. Auf der anderen Seite will er aber auch verhindern, daß das Mitbestimmungsrecht „Kohle und Eisen" auf die Konzernunternehmen ausgedehnt wird, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterliegen.
Will man dieses Ziel erreichen, dann muß man auf die Abgrenzungsmerkmale zurückgehen, die das Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" festgelegt hat. Im Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" sind nämlich die gleichen Probleme der Abgrenzung schon aufgetaucht, und § 1 des Mitbestimmungsgesetzes geht auch davon aus, daß der überwiegende Betriebszweck die Förderung von Kohle, die Aufbereitung, die Verkokung, Verschwelung usw. sein muß. Also auch dieses Gesetz spricht schon vom „überwiegenden Betriebszweck".
Aus dem Ausschußprotokoll und den Sitzungsprotokollen zum Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" geht aber hervor, daß der Gesetzgeber es seinerzeit auf die wirtschaftliche Leistung des Unternehmens abgestellt wissen wollte, d. h. also auf den Wert der Umsätze der Bergbaubetriebe im Verhältnis zu den Betrieben, die dem Gesamtunternehmen im übrigen angehören. Auch sämtliche Kommentatoren zum Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" sind der Ansicht, daß nicht die Größe der Belegschaft für den Betriebszweck entscheidend ist, sondern daß es auf die wirtschaftliche Tätigkeit ankommt. Unter anderem wird diese Ansicht auch vom Kollegen Dr. Schöne vertreten, der Erläuterungen zu diesem Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen" herausgegeben hat.
Sollen aber im Holdinggesetz die Rechte der Arbeitnehmer in den mitbestimmten Betrieben geschützt und soll eine Ausdehnung auf die übrigen Betriebe verhindert werden, dann muß man im Holdinggesetz die gleichen Abgrenzungsmerkmale anwenden wie beim Mitbestimmungsgesetz „Kohle und Eisen", d. h. beim Konzern muß auch die wirtschaftlich beherrschende Tätigkeit entscheidend sein.
Es ist verständlich, daß die Opposition wünscht, es auf die Löhne und Gehälter abzustellen. Denn nach den Erfahrungen sind gerade die mitbestimmten Betriebe, wie Kohle und Eisen, besonders lohnintensiv, so daß also ein Vergleich in den Holdings zwischen den mitbestimmten und den nichtmitbestimmten Betrieben nur zugunsten der mitbestimmten Betriebe ausfallen würde. Das heißt also, daß sich die Anwendung der Holdingnovelle verbreitern würde. Das aber wollte der Ausschuß gerade nicht.
Das wird Ihnen einleuchten, wenn ich Ihnen hierfür ein Beispiel angebe. Nehmen Sie einen Energieversorgungsbetrieb. Zu diesem Energieversorgungsbetrieb als Holding können gehören ein Braunkohlenbergwerk, eine Talsperre, ein Kraftwerk, ein umfangreiches Hochspannungsnetz und dergleichen mehr. Ist die Talsperre einmal eingerichtet, steht das Hochspannungsnetz und läuft das Kraftwerk, dann sind in diesen äußerst kapitalintensiven Betriebsabteilungen oder Betriebsteilen wenig Belegschaftsmitglieder tätig. Im Braunkohlenbergbau dagegen, der an sich für den Betriebszweck eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle spielt, ist eine große Anzahl von Belegschaftsmitgliedern tätig. Würde man es bei dieser Holding — einer Energieversorgung — auf die Belegschaftszahl oder auf die Löhne und Gehälter abstellen, dann würde diese Holding dem Holding-Gesetz unterstellt werden. Aber das wollte der Ausschuß gerade nicht. Infolgedessen ist es notwendig, daß die Abgrenzung nicht auf die Löhne und Gehälter, sondern auf die Umsätze abgestellt wird.
Ausgehend davon, daß also die überwiegende wirtschaftliche Tätigkeit maßgebend ist, ist der Ausschuß auch der Ansicht, daß es sich um die Wertschöpfung der einzelnen Konzernunternehmen handeln muß. Der Ausschuß glaubt, daß man dieser Wertschöpfung dann nahekommt, wenn die Kosten für Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe und Fremdleistungen von den Umsätzen abgezogen werden. Wir kommen dann zu einem Nettoproduktionswert. der die Wertschöpfung darstellt.
Von der Fraktion der SPD ist in den Ausschußsitzungen eingewandt worden, daß bei dieser Berechnung verschiedene Fehler unterlaufen seien. Z. B. ist gefragt worden, was mit Lieferungen von
Dr. Bürkel)
Fertigwaren auf Lager und beim Verkauf vom Lager geschehe oder aber wie die Abschreibungen gehandhabt werden müßten. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß man diese Verfeinerungen fehlen lassen kann, weil nämlich der vom Ausschuß gefundene Schlüssel ausreicht, um das Verhältnis zwischen der Wertschöpfung der einzelnen Konzernunternehmen richtig festzustellen. Er ist der Ansicht, daß dieses Verhältnis und diese Feststellung ausreichen, um den Charakter des Unternehmens zu bestimmen. Im übrigen ist der Ausschuß der Ansicht, daß auch diese Betriebskosten und die Absetzungen verhältnismäßig leicht durch den Wirtschaftsprüfer festgestellt werden können, so daß die Schwierigkeiten, die hier dagegen geltend gemacht worden sind, nicht bestehen.
Wir bitten daher, Ziffer 2 des Änderungsantrags der SPD-Fraktion abzulehnen. Wie der Herr Präsident eben ausführte, ergibt sich dann, daß die Ziffern 3 und 4 ebenfalls abgelehnt werden müssen, da sie in innerem Zusammenhang mit der Ziffer 2 stehen.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über Umdruck 613 Ziffer 2*). Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben zu wiederholen. Wer dafür ist, der möge sich erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, wegen der sehr verschiedenen Dichte der Besetzung des Hauses auf beiden Seiten ist es dem Präsidium unmöglich, festzustellen, wo die Mehrheit liegt. Wir müssen zum Hammelsprung schreiten.
— Meine Damen und Herren, ich bitte den Saal zu räumen. Wir haben noch eine ziemlich lange Tagesordnung zu erledigen.
Ich bitte die Türen zu schließen. — Sind die Türen richtig besetzt? — Dann bitte ich mit der Auszählung zu beginnen.
Die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis der Abstimmung: An der Abstimmung haben sich beteiligt 322 Mitglieder des Hauses; mit Ja haben gestimmt 129 Mitglieder des Hauses, mit Nein 193. Der Antrag ist abgelehnt. Damit wird auch der Antrag unter Ziffer 3 gegenstandslos.
Wir haben aber zunächst abzustimmen über den § 3 in der Ausschußfassung. Wer diesem Paragraphen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Auf Ziffer 3 des Antrags Umdruck 613 wird seitens der Antragsteller verzichtet; habe ich Sie recht verstanden?
Ziffer 4 bleibt doch noch insofern von Interesse, als, wie ich festgestellt habe noch ein Unterschied gegenüber der Vorlage besteht: In § 3 a Abs. 5 der Ausschußfassung heißt es „entsendungsberechtigten Spitzenorganisationen", während es in dem Änderungsantrag heißt „vorschlagsberechtigten Spitzenorganen". Dieser Unterschied bleibt also. Trotz der
1 Siehe Anlage 4.
Ablehnung von Ziffer 2 ist Ziffer 4 insoweit noch zu bescheiden.
Zur Begründung und gleichzeitig 'zur Begründung der Ziffern 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13 und 14 des Umdrucks 613 hat das Wort der Abgeordnete Bergmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 3 a Abs. 5 wird zum erstenmal mit entschieden, ob das Mitbestimmungsgesetz im Holdinggesetz angewandt werden soll. Diese Frage steht, wie schon vom Präsidenten gesagt, in engstem Zusammenhang mit den Ziffern 5 bis 14 mit Ausnahme der Ziffer 11 unseres Antrags. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß auch im Holdinggesetz das Mitbestimmungsgesetz von 1951 Anwendung finden soll. Schon die Regierungsvorlage sah vor, daß sich der Aufsichtsrat in der Holding nach dem Vorbild des Mitbestimmungsgesetzes zusammensetzen soll. Leider hat der Ausschuß für Arbeit mit Mehrheit zwei wichtige Änderungen gegenüber dem Mitbestimmungsgesetz beschlossen, und zwar erstens: Der sogenannte fünfte Mann wird durch einen weiteren Vertreter der Belegschaft ersetzt, und zweitens: Die Wahl der Arbeitnehmervertreter aus den Betrieben soll über die Wahl von Wahlmännern durchgeführt werden. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß die Grundsätze des Mitbestimmungsgesetzes für die Wahl des Aufsichtsrats in der Holding beschlossen werden sollten. Es besteht auch gar keine Veranlassung, den sogenannten fünften Mann fallenzulassen. Im Gegenteil, als unabhängiger Mann vertrat er die öffentlichen Interessen. Aus der bisherigen Praxis wird nur Gutes berichtet, und auch die Vertreter der Unternehmerseite haben dies mehrfach bestätigt.
Wir haben die Verpflichtung, die Entwicklung der Mitbestimmung zu beachten und zu würdigen. Schon mit Wirksamwerden der Mitbestimmung 1946 bis 1947, also vor der gesetzlichen Regelung, wurde von den verantwortlichen Konzernvertretern großer Wert darauf gelegt, daß Vertreter aus dem öffentlichen Bereich im Aufsichtsrat vertreten sind. Alle waren sich darüber einig, daß die Leitung der Werke und der Aufsichtsrat dem Gedanken der paritätischen Besetzung entsprechen müßten. Fünf Aufsichtsratsmitglieder vertraten die Interessen der Unternehmer. Davon wurden drei Mitglieder von den Konzernen vorgeschlagen. Ein weiteres der Unternehmerseite nahestehendes Mitglied kam aus dem Bereich des öffentlichen Lebens und der fünfte Vertreter aus der Leitung eines entflochtenen Werkes. Zu den fünf Vertretern der Arbeitnehmerseite gehörte ebenfalls ein Vertreter aus dem öffentlichen Bereich.
Die Erfahrungen, die mit dieser Art der Zusammensetzung des Aufsichtsrats gemacht wurden, waren gut und führten auch bei den Beratungen des Mitbestimmungsgesetzes vom 21. Mai 1951 dazu, wieder Vertreter aus dem öffentlichen Bereich in den Aufsichtsrat hineinzunehmen. Auch hier liegen die guten Erfahrungen vor. Der Betriebsratsvorsitzende eines großen Mitbestimmungsbetriebs formulierte vor kurzem: Wir sehen aus der bisherigen Praxis des Aufsichtsrates keinen Anlaß, die Art der Verteilung der Aufsichtsratssitze zu ändern.
Das Aufsichtsratsmitglied aus dem öffentlichen Leben dokumentierte eindeutig den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und unserem gesamten
öffentlichen Leben. Mit der Beseitigung des sogenannten fünften Mannes würde die Rolle, die jedes Unternehmen, insbesondere die hier zur Erörterung stehenden großen Unternehmen der Montanindustrie, im öffentlichen Leben spielt, verkannt, und die betriebsegoistischen Tendenzen würden verstärkt werden. Die besonderen wirtschaftlichen, technischen und sozialen Belange der Betriebe wurden bisher von den beiden betriebsgebundenen Arbeitnehmervertretern aus dem Blickfeld der Belegschaft verantwortlich und wirksam vertreten. Sie- wurden dabei durch die von den Gewerkschaften und ihren Spitzenorganisationen benannten außerbetrieblichen Arbeitnehmervertreter unterstützt. Die drei im Mitbestimmungsgesetz sogenannten „weiteren Mitglieder" auf der Anteilseigner- und auf der Arbeitnehmerseite, der sogenannte fünfte Mann sowie der elfte Mann, sind betriebsunabhängige Persönlichkeiten. In der Praxis wurden für das Amt des fünften Mannes gewöhnlich Männer vorgeschlagen, die sich bereits in der Wirtschaft oder im öffentlichen Leben besonders bewährt haben, und zwar überwiegend Beamte des öffentlichen Dienstes, Juristen und Bankfachleute. Gerade die Tatsache, daß je ein unabhängiges Mitglied von der Anteilseigner- und von der Arbeitnehmerseite benannt werden muß, gewährleistet neben dem Ausgleich der Interessen von Kapital und Arbeit die Berücksichtigung des öffentlichen Wohles. Ich sagte schon, auch einsichtige Vertreter der Unternehmerseite haben sich für die Beibehaltung der bisherigen Regelung ausgesprochen. Es geht doch darum, betriebsunabhängige und fachkundige Mitglieder zu benennen, die über den betrieblichen Bereich hinaus die größeren Zusammenhänge besser beurteilen können, z. B. bei den schwierigen Fragen der Finanzierung, der Investitionspolitik und bei allen Bilanzfragen. Eine Änderung der bisherigen Zusammensetzung des Aufsichtsrates würde die Möglichkeit, von seiten der Arbeitnehmer solche fachkundigen Vertreter zu entsenden, in bedauerlicher Weise einschränken.
Nun zu unserem zweiten großen Bedenken. Der Ausschuß für Arbeit hat mit Mehrheit beschlossen, die Wahl der Arbeitnehmervertreter aus den Betrieben durch ein Wahlmännerverfahren durchzuführen. Wir sehen die Notwendigkeit des Wahlmännersystems nicht ein und sind der Auffassung, daß auch hier die Grundsätze des Mitbestimmungsgesetzes verwirklicht werden sollten. Es ist doch eine Tatsache, daß die in Frage kommenden Holdinggesellschaften, typische Großunternehmungen mit Tausenden von Arbeitnehmern verschiedener fachlicher und wirtschaftlicher Qualität, die über weit entfernt liegende Betriebe und Betriebsteile verstreut sind, das Wahlmännersystem als unpraktisch erscheinen lassen. Demgegenüber hat die im Mitbestimmungsgesetz vorgeschlagene Wahl durch die Betriebsräte den Vorzug, daß die Betriebsräte als die berufenen Vertreter der Belegschaft über die erforderlichen sachlichen und personellen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und damit in der Lage sind, die für die Tätigkeit im Aufsichtsrat eines großen Unternehmens geeigneten Persönlichkeiten auszuwählen.
Es besteht auch keine Veranlassung, gerade im Bereich der wirtschaftlichen Großunternehmungen von dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie abzugehen, den das Grundgesetz sogar für den politischen Raum vorsieht. Auch die stärkere Berücksichtigung der einzelnen Arbeitsgruppen und Betriebe wird durch das Wahlmännersystem nicht gefördert. Es wird erforderlich sein, daß man sich,
wie bisher, im Betrieb darüber verständigt, wie beide Gruppen im Aufsichtsrat vertreten sein können. Aber eine solche Verständigung kann doch nur durch die Betriebsräte vorgenommen werden, und darum sollte man den Betriebsräten das Wahlrecht geben. Das hat außerdem noch den Vorzug der Einfachheit.
Ich weiß, es kann eingeworfen werden, daß ein vergleichbares Gewicht der Stimmen bei der Wahl nicht herbeigeführt werden kann. Aber bei jeder der vorgeschlagenen Lösungen bleiben Mängel zurück. Desto mehr haben wir die Verpflichtung, die bisher gemachten Erfahrungen zu beachten. Bedenken Sie außerdem, daß eine gemeinsame Meinungsbildung der Arbeitnehmer, ja sogar die Aufstellung geeigneter Vorschlagslisten nicht erreicht werden kann, da in der Regel die Betriebe der in Frage kommenden Konzerne weit auseinander liegen.
Den Vorschlag, die Wahlmänner nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen, können wir nicht unterstützen. Es steht doch fest, daß die Verhältniswahl sehr leicht zu einer Politisierung der Betriebe führt. Daran kann doch keiner interessiert sein, und das ist auch nicht Sinn der Mitbestimmung. Sie erschwert weiter die notwendige fachliche Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder. Auch sehen wir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ein, warum das Entsendungsrecht für den Aufsichtsrat gespalten werden soll. Das wäre eine Durchbrechung des Prinzips der Gleichbehandlung, die in der Praxis zu einer Diskriminierung dieser Aufsichtsratsmitglieder führte. Solange nicht eine Aktienrechtsreform eine Klärung des gesamten Aktienrechts gebracht hat, fordern z. B. die Gewerkschaften zur Vermeidung der unterschiedlichen Stellung und Behandlung der Mitglieder des Aufsichtsrats die Wahl aller Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung. Auch die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei schließt sich dieser Auffassung an.
Ich bitte im Auftrag meiner Fraktion das Hohe Haus, unseren Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat sich damit beschäftigt, wie die Zusammensetzung des Aufsichtsrates aussehen soll. Er hat dabei das Verhältnis 2 : 2 : 1 erwähnt und auch das Wahlmännerverfahren sowie die Entsendung durch die Spitzenorganisationen der Gewerkschaften angesprochen.
Ich möchte zu diesen Ausführungen Stellung nehmen. Vorweg möchte ich betonen. daß die Damen und Herren der SPD-Fraktion, die dem Ausschuß für Arbeit angehören, sehr wohl wissen, wie wir uns gerade wegen dieses Problems auseinandergesetzt haben, und daß sie auch sehr wohl die Ansicht und Meinung meiner politischen Freunde kennen. Wir haben, um dieses Problem in etwa gerecht zu lösen — das werden Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, wissen —, den Aufsichtsrat in den Montanobergesellschaften auf 15 Personen festgesetzt. So können also Vorschläge, die von den Gewerkschaften gemacht werden, in keiner Weise reduziert werden.
Zu der Sache selbst möchte ich folgendes sagen. Die Annahme des Änderungsantrages würde zu
einer völligen Umgestaltung des vom Ausschuß für Arbeit erarbeiteten Entwurfs führen und praktisch das gleiche System der Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei den Obergesellschaften bringen, das nach dem Mitbestimmungsgesetz in seinem bisherigen Geltungsbereich gilt. Insbesondere würde die Zahl der von den Arbeitnehmern der Betriebe zu wählenden Vertreter geringer sein als die von den Spitzenorganisationen vorzuschlagenden. Dem können wir nicht zustimmen, und zwar deshalb nicht, weil bei der Regelung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats dieser Obergesellschaften nicht nur die Grundzüge des Mitbestimmungsgesetzes für Kohle und Eisen, sondern auch die des Betriebsverfassungsgesetzes zu berücksichtigen sind, denn ein nicht unerheblicher Teil der Unternehmungen, die in diesen Konzernen zusammengefaßt sind, fällt hinsichtlich der Zusammensetzung ihres Aufsichtsrats unter das Betriebsverfassungsgesetz. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz aber werden sämtliche Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Belegschaften gewählt.
Ein weiterer Grund für die Erhöhung der Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer liegt darin, daß es auf diese Weise möglich ist, die Vielgestaltigkeit der Belegschaft dieser Großkonzerne besser zu berücksichtigen. Diese Konzerne haben nämlich in der Regel Betriebe des Kohlenbergbaus, der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie und der Metall verarbeitenden Industrie, so daß es notwendig sein wird, schon deswegen drei Arbeitervertreter in den Aufsichtsräten zu haben. Dazu kommt dann ein Vertreter der Angestellten, auf den auch nicht verzichtet werden kann.
Der Ausschuß glaubt, auf die Bestellung des von den Spitzenorganisationen vorzuschlagenden weiteren Mitgliedes, d. h. eines Mitgliedes, das eine teilweise Unparteilichkeit aufweisen soll, verzichten und den Sitz dieses Mitgliedes den Arbeitnehmern der Betriebe zuweisen zu können.
Eine weitere Auswirkung des Änderungsantrages der Fraktion der SPD wäre, daß die Arbeitnehmervertreter auf Vorschlag der Betriebsräte bzw. der Spitzenorganisationen durch die Hauptversammlung gewählt würden. Auch dem können meine politischen Freunde nicht zustimmen. Auch hier muß der Grundgedanke des Betriebsverfassungsgesetzes berücksichtigt werden, wonach Arbeitnehmer das Recht haben, ihre Vertreter in dem Aufsichtsrat ohne Mitwirkung der Kapitalseite zu bestimmen.
Die in dem Mitbestimmungsgesetz Kohle und Eisen enthaltenen Bestimmungen über die Wahl durch die Hauptversammlung haben nur sehr geringe Bedeutung. Es ist Ihnen wohl bekannt, daß im Schrifttum weitgehend von einer Scheinwahl gesprochen wird. Da die Arbeitnehmer das Recht haben, in der weitaus größeren Zahl der Aktiengesellschaften, die ja unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen, ihre Vertreter frei zu wählen, so besteht kein vernünftiger Grund, hiervon bei dem neuen Gesetz abzuweichen, selbst wenn aus anderen Gründen darauf verzichtet wurde, das Mitbestimmungsgesetz in seinem seitherigen Geltungsbereich zu ändern.
Wenn die Opposition ausführt, daß sich die Wahl durch die Hauptversammlung im Hinblick auf die Vorschriften des Aktiengesetzes empfehle, so muß dem entgegengehalten werden, daß seit Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes die Wahl von Arbeitnehmervertretern durch die Belegschaften durchaus nichts Ungewöhnliches mehr ist, da eben das Aktienrecht in diesem Sinne tatsächlich bereits geändert ist.
Gute Gründe haben auch dafür gesprochen, daß die Arbeitnehmervertreter aus den Betrieben nicht nur durch die Betriebsräte, sondern auch durch Wahlmänner gewählt werden. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß der Gedanke der Wahl durch Wahlmänner bereits in § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes gesetzgeberisch niedergelegt ist, so daß auch hier nichts absolut Neues in Angriff genommen wurde. Der Vorzug der Wahl durch die Wahlmänner besteht darin, daß den Arbeitnehmern durch diesen besonderen Wahlgang die Bedeutung ihrer Vertretung im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens sinnfällig vor Augen geführt wird.
Ein weiterer Vorzug besteht darin, daß zwar der Wahlkörper nicht wesentlich größer ist als eine Vollversammlung der Betriebsräte, daß aber die Minderheiten bedeutend besser berücksichtigt werden als bei einer Wahl durch die Betriebsräte. Das gleiche gilt für Großbetriebe, denen nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Betriebsratsmitgliedern zuerkannt werden soll.
Wenn man die Fassung des Ausschußentwurfs und die Anträge der Opposition einmal genau abwägt, dann muß man, glaube ich, zu der Erkenntnis kommen, daß die Vorlage, wie sie der Ausschuß erarbeitet hat, durchaus den Verhältnissen entspricht. Meine politischen Freunde stimmen den Änderungsanträgen, die hier unter Ziffer 5 gestellt sind, nicht zu. Ich bitte Sie, diese Änderungsanträge abzulehnen.
Wollen Sie nicht auch gleich zu den anderen Änderungsanträgen sprechen, die hier begründet worden sind? Herr Bergmann hat doch sämtliche Änderungsanträge begründet.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst ab über den Antrag Umdruck 613*) Ziffer 4, der sich nunmehr wie folgt reduziert: an Stelle des Wortes „entsendungsberechtigten Spitzenorganisationen" zu setzen „vorschlagsberechtigten Spitzenorganisationen". Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den Änderungsantrag Umdruck 613 Ziffer 5. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 613 Ziffer 6, mit dem beantragt wird, die §§ 5, 5 a und 5 b zu streichen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Ziffer 7 des gleichen Umdrucks, der sich mit § 5 c beschäftigt. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ziffer 8. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
*) Siehe Anlage 4.
Ziffer 9. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffer 10. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die noch nicht abgestimmten Paragraphen des Ausschußberichts bis einschließlich § 8.
— Wollen Sie dazu das Wort?
— Dann stimmen wir nur ab bis § 7 einschließlich. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen nach dem Vorschlag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nunmehr § 8 auf. Dazu ist in Ziffer 10 des Umdrucks 613 der Antrag gestellt, § 8 zu streichen. Sie wollen aber noch einen Eventualantrag stellen.
— Dann stellen Sie jetzt den Eventualantrag. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Sie vorhin unsere Änderungsanträge, die sich im großen und ganzen auf die Regelung des ersten Mitbestimmungsgesetzes bei der Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat bezogen, abgelehnt haben, möchten wir den letzten Versuch machen, in § 8
— es handelt sich um die Unternehmungen mit mehr als 50 Millionen DM Gesellschaftskapital — den zweiten Satz zu ändern. Wir beantragen, diesem Satz folgende Fassung zu geben:
Die §§ 4 bis 7 finden sinngemäß Anwendung mit der Maßgabe, daß von den Arbeitnehmern vier Arbeiter und ein Angestellter zu wählen und von den Spitzenorganisationen fünf Mitglieder zu entsenden sind.
Ich brauche nicht in allen Einzelheiten zu begründen, warum wir das wollen. Mein Kollege Bergmann hat schon darauf hingewiesen, wie wertvoll sich die Zusammensetzung der Aufsichtsräte unter Heranziehung von Menschen, die aus dem öffentlichen Leben kommen, erwiesen hat. Nachdem Sie nun diese Anträge abgelehnt haben, möchten wir den Versuch unternehmen, wenigstens eine gleich starke Vertretung von betriebsgebundenen und von außerhalb des Betriebes stehenden Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zu erreichen.
Daß die bisherige Übung sich bewährt hat, kann, glaube ich. auch von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht bestritten werden. Sehr viele von Ihnen sind in den Aufsichtsräten der verschiedensten Gesellschaften tätig und haben sich immer wieder für die Berücksichtigung der Menschen aus dem öffentlichen Leben, aus den Kommunen usw. ausgesprochen. Herr Kollege Scheppmann, da wir uns auf dieser Ebene früher eigentlich immer verständigt haben und da Sie hinsichtlich der Zusammensetzung in gewerkschaftlichen wie auch in sonstigen Räumen dieselbe Auffassung wie wir vertreten haben, bewundere ich eigentlich den Mut, mit dem Sie heute von dieser Auffassung glauben sich abwenden zu müssen.
Ich glaube nicht, meine Damen und Herren und besonders Sie, meine Herren aus der CDU, soweit Sie aus dem gewerkschaftlichen Raum kommen, daß es Ihre innerste Überzeugung ist,
wenn Sie von der bisherigen Übung abgehen. Dafür werden vielleicht andere Gründe bei Ihnen maßgebend sein; denn ansonsten müßte, was gestern noch wahr gewesen ist, sich heute in das Umgekehrte gewandelt haben.
Ich glaube also, meine Damen und Herren, daß Sie diesem Eventualantrag, den ich im Auftrage meiner Fraktion stelle und der ein Kompromiß darstellt, doch zustimmen könnten, dem Antrag also, zu bestimmen, daß fünf Mitglieder aus dem Betrieb zu wählen und fünf von der Gewerkschaft zu benennen sind, um ein gerechtes Gleichgewicht herbeizuführen. Ich weiß, daß das ein letzter Versuch ist. Ich bin auf Grund Ihrer bisherigen Haltung nicht sehr hoffnungsvoll; ich bitte Sie aber im Hinblick auf den sozialen Frieden in den davon betroffenen Betrieben, unserer Forderung Rechnung zu tragen und unserem Eventualantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Dannebom veranlassen mich, etwas Grundsätzliches zu diesem ganzen Problem zu sagen. Die Damen und Herren, die sich im ersten Deutschen Bundestag mit den Problemen der Mitbestimmung beschäftigt haben, wissen, daß wir zu jeder Zeit die Auffassung vertreten haben, daß im Bereich der Mitbestimmung auf der betrieblichen Ebene das Hauptgewicht auf die Menschen zu legen ist, die im Betrieb stehen.
Das war immer unser Anliegen. Sie wissen, daß wir auch 1951 bei der Schaffung des Montanmitbestimmungsgesetzes dieses Anliegen vertreten haben und daß wir nachher nur um eines Kompromisses willen davon abgewichen sind.
Wir haben dieses Problem bereits bei § 5 diskutiert und haben dort im Sinne der Ausschußvorlage entschieden. Danach entfallen im 15er-Aufsichtsrat von den sieben Arbeitnehmervertretern vier auf die Belegschaft und drei auf die Gewerkschaften. Hier soll nun praktisch das gleiche Verhältnis gelten: sechs Vertreter der Belegschaften und vier Vertreter der Gewerkschaften. Ich stimme dem Kollegen Dannebom zu, daß auch die Mitwirkung anderer Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben wertvoll war; aber ich glaube, dafür ist bei den Möglichkeiten, die jetzt verbleiben, Raum gegeben. Wenn nun bei den großen Unternehmen, die in § 8 angesprochen sind, das Gewicht der Aufsichtsratsmitglieder aus der Belegschaft
vergrößert worden ist, dann auch deshalb, weil — Sie wissen es genau so gut wie ich — es sich hier eben um eine große Zahl zusammengefaßter Unternehmen handelt und ein echtes Bedürfnis besteht, auch die einzelnen Teile entsprechend zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich muß mich mit Entschiedenheit dagegen wehren, daß eine solche Regelung eine Störung des sozialen Friedens bedeuten könnte.
Es ist nicht beabsichtigt, den Anteil der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zu reduzieren, sondern es geht nur um die interne Aufteilung. Meine Damen und Herren, ich sage in aller Offenheit: mit diesem Vorschlag werden wir bestimmt draußen bei den Arbeitnehmern bestehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dannebom hat geglaubt, mich hier zitieren zu müssen, und hat das, was ich hier vorgetragen habe, und meine innere Einstellung angezweifelt. Ich möchte dazu folgendes sagen, Kollege Dannebom. Ich habe eingangs meiner Ausführungen, als ich meine Begründung gab, sehr deutlich gesagt, daß der Aufsichtsrat in den Montanobergesellschaften 15 Personen umfaßt und daß der Teil, der auf die Gewerkschaften entfällt, in keiner Weise reduziert ist. Wenn nun eine Vergrößerung des Aufsichtsrates in Frage kommt, dann sollen nach dem Standpunkt, den ich vertreten habe, diejenigen Vertreter der Arbeitnehmer, die zusätzlich in den Aufsichtsrat zu entsenden sind, aus den Betrieben kommen. Das ist meine innere Auffassung, das möchte ich hier einmal ganz offen sagen. Ich bin der Meinung, daß bei diesen großen Konzernen, denen 50-, 60- und 70 000 Menschen angehören, das Verhältnis 4 zu 3 berechtigt ist. Wenn ich hier für diese großen Konzerne ein Verhältnis von 4 zu 3 — d. h. 4 aus den Betrieben und 3 von den Gewerkschaften — vorschlage und vertrete, so ist das meine persönliche Auffassung, und ich stehe dazu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen zu den Worten, die der Herr Kollege Sabel vorhin an mich gerichtet hat. Mit Ihnen gemeinsam sind wir für das Mitbestimmungsrecht der in den Betrieben beschäftigten Menschen. Darüber gibt es zwischen uns sicher keine Meinungsverschiedenheit. Meinungsverschiedenheit gibt es nur über die Gewichtsverteilung.
Denn in den großen Gesellschaften werden Probleme, über die der Aufsichtsrat zu entscheiden hat, zur Debatte stehen, die nicht nur durch die betriebliche Brille gesehen werden dürfen.
Aus diesen Überlegungen heraus glaubten wir, auch Menschen beteiligen zu müssen, die außerhalb des Betriebs stehen.
Dazu einige Zahlen. In den Aufsichtsräten der Betriebe, die bisher der Mitbestimmung unterlagen, waren von 574 Vertretern der mitbestimmten Unternehmungen 234 Arbeitnehmer aus den Betrieben. Das sind immerhin 41 %. Von der Anteilseignerseite aber dürften rund 98 % außerhalb der Betriebe Stehende in den Aufsichtsräten sitzen.
— Sicher, aber sie stehen nicht mit den Betrieben in einem direkten Zusammenhang! Wir kommen den Aufgaben, die nun von den Holding-Gesellschaften zu bewältigen sind, näher, wenn wir ein Gleichgewicht der Kräfte herstellen und fünf Vertreter aus den Betrieben und fünf von der Gewerkschaft benennen lassen. Das wollte ich nur noch zur Erläuterung sagen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen ab über den Eventualantrag, der soeben begründet worden ist und den Sie nicht auf dem Umdruck 613 finden. Ich brauche ihn wohl nicht besonders zu verlesen; er ist ja genügend begründet worden. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den § 8 in der Ausschußfassung. Wer ihn annehmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zum Antrag Umdruck 613 Ziffer 11 hat das Wort der Herr Abgeordnete Sträter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat für § 8 a eine Formulierung vorgeschlagen, die Sie auf Umdruck 613 Ziffer 11 finden.
Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß alle Vorstandsmitglieder in den Obergesellschaften nach § 75 des Aktiengesetzes mit der Maßgabe gewählt werden sollen und auch wieder abberufen werden können, daß eine Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat vorhanden sein muß. In der Debatte über diese Frage, die schon im Lande herumschwirrte, als die Novelle noch in den Verhandlungsgremien steckte, findet man sehr viele Stimmen, allerdings in der Regel von Nichtbeteiligten, die die Auffassung vertreten, der Arbeitsdirektor nach dem Mitbestimmungsgesetz Kohle und Stahl sei deswegen minderer Persönlichkeit, weil er nach einem anderen Wahlsystem als die Kaufleute und die Techniker gewählt worden sei. Bekanntlich müssen zwei Drittel der Arbeitnehmer mit für den Arbeitsdirektor stimmen. Man tut heute in der Diskussion so, als wenn damals bei der Schaffung des Gesetzes über diese Frage überhaupt nichts ausgesagt worden wäre oder als ob sich dabei niemand etwas gedacht hätte.
Ich habe hier vor mir liegen einen Kommentar von Gerhard Boldt „Mitbestimmungsgesetz Eisen und Kohle" und finde auf Seite 141 einen Protokollvermerk zu dieser Frage:
Zu Ziff. 1
— das ist die Frage, wie der Vorstand gewählt werden soll —erklären sich im Hinblick auf die von der Unternehmerseite vorgetragenen Gesichtspunkte zu der Frage der 2/3-Mehrheit die Vertreter des DGB bereit, diese Frage noch einmal mit den zuständigen Stellen des DGB zu behandeln. Hierfür wird von der Unternehmerseite
— ich bitte das festzustellen: von der Unternehmerseite —
folgende Formulierung vorgeschlagen:
Der Arbeitsdirektor kann nicht gegen die Mehrheit der Stimmen der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat zum Vorstand berufen werden.
Das Erfordernis der 2/3-Mehrheit für die Berufung der Vorstandsmitglieder käme dann in Wegfall.
Heute versucht man in der öffentlichen Debatte, in der Presse usw., offenbar, die Rollen zu vertauschen. Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß die vom Ausschuß vorgelegte Formulierung, nach der der Arbeitsdirektor in der Obergesellschaft anders gewählt werden soll als in den mitbestimmten Tochterbetrieben, eine Verschlechterung des bisherigen Rechts bedeutet. Ich beziehe mich hier auf die Ausführungen meines verehrten Kollegen Scheppmann, der von einem Erhalten des Besitzstandes gesprochen hat.
Wir würden diese Änderung hinnehmen können, wenn das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit des Aufsichtsrats für alle Vorstandsmitglieder Geltung hätte. Wir legen deswegen Wert darauf, weil wir
— ich weiß nicht, ob wir da übereinstimmen — die Meinung vertreten, daß ein Vorstandsmitglied oder Arbeitsdirektor, wie man ihn nennen mag — im Gesetz wird er Arbeitsdirektor genannt —, mindestens ein Mann sein muß, der sich mit dem Fühlen und dem Denken der in den Betrieben beschäftigten und in den Gewerkschaften organisierten Menschen im Einklang befindet. Es geht hier keineswegs darum — wie man aus der Rederei im Lande entnehmen könnte —, daß hier irgendeiner Weisungen erteilen will. Ich weiß, daß die Herren, soweit sie Techniker oder Kaufleute sind, in vielen Diskussionen für sich in Anspruch nehmen, daß sie auch immer soziales Verständnis haben. Das will ich in der Generallinie in keiner Weise bestreiten. Wir sind aber der Auffassung, daß hier eine klare Regelung getroffen werden muß, und nach der Fassung des Ausschusses besteht die Möglichkeit, daß in den Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied oder ein Arbeitsdirektor gewählt wird, der unseren Vorstellungen nicht entspricht. Es müßte mindestens sichergestellt sein — wie es die Arbeitgeber nach dem zitierten Protokoll der damaligen Verhandlungen über die Mitbestimmung selbst angeregt haben —, daß dieser Vorschlag von der Arbeitnehmerseite des Aufsichtsrats kommt und nicht umgekehrt.
Die Regelung dieser Frage ist für uns sehr wesentlich. Es wird öfter auch gesagt, die Arbeitsdirektoren hätten zwei Seelen in ihrer Brust. Gleich kommt der Herr Dr. Pohle hier ans Rednerpult, und ich will ihn jetzt schon mal fragen, wieviel Seelen denn die Herren Techniker und Kaufleute haben. Nach dem Aktiengesetz ist doch eindeutig klar, daß der Vorstand eine kollegiale Unternehmensleitung einschließlich Arbeitsdirektor darstellt. Alle Vorstandsmitglieder haben nach dem Aktiengesetz a) für das Wohl des Betriebs zu sorgen, b) für das Wohl der Belegschaft zu sorgen und c) sich auch für den gemeinen Nutzen von Volk und Staat einzusetzen, alle, denn das bezieht sich nicht bloß auf den Arbeitsdirektor.
Wir legen also auf diese Frage entscheidenden Wert, und ich würde doch herzlichst bitten — ich will nicht untersuchen, wie groß oder weniger groß meine Hoffnungen sind, hier noch eine Änderung zu bekommen —, sich das doch noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und unserem Antrag, wie ich ihn zitiert habe, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Seelen wohnen auch in meiner Brust, Kollege Sträter, die eine will sich von der anderen trennen. Meine Damen und Herren, erlassen Sie mir das weitere Zitat aus Faust. Ich mache dem Arbeitsdirektor keinen Vorwurf, daß auch in seiner Brust zwei Seelen wohnen.
Lassen Sie mich das, was ich zu sagen habe, nach einer anderen Seite hin beleuchten. Ich habe hier die Auffassung der Mehrheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses und des Rechtsausschusses vorzutragen, die sich gleichfalls mit der Materie beschäftigt haben. Ich möchte deshalb auf den Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion hier nicht eingehen, sondern das dem Kollegen Sabel überlassen, der dazu nachher das Wort ergreifen wird.
Aber ich möchte doch einige Bemerkungen zu der Frage des Arbeitsdirektors in der Obergesellschaft machen, einem, wie Sie wissen, der neuralgischen Punkte, an dem wir nun angekommen sind. Die verstärkte Mitbestimmung für Kohle und Eisen ist 1951 für große Betriebseinheiten in Kohle und Eisen, reine Produktionsgesellschaften vorgesehen worden, in denen außergewöhnlich große Belegschaften zu Tausenden zusammen arbeiteten. Heute handelt es sich ausschließlich um die Frage, ob und in welcher Form diese für große Produktionseinheiten gedachte Mitbestimmung auf reine Verwaltungsspitzen, die sogenannten Obergesellschaften oder Holding-Gesellschaften, übertragen werden soll, in denen — das wird jeder zugeben müssen — normalerweise keine Arbeiter, sondern nur einige Hundert meist sehr qualifizierter Angestellter beschäftigt werden.
Diese Verwaltungsspitzen als sogenannte Obergesellschaften vereinen in sich außer den Kohle-und Eisenbetrieben zumeist eine große Zahl von weiterverarbeitenden Betrieben der Eisenindustrie, des Stahlbaus, der Verkehrswirtschaft, der Schifffahrt, des Kohlenhandels, des Eisenhandels usw. Auf alle diese zuletzt genannten Gesellschaften findet nach übereinstimmender Ansicht aller das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung, und nach übereinstimmender Ansicht aller — das darf man wohl sagen — soll das Mitbestimmungsgesetz für Eisen und Kohle auf diese Art von Betrieben nicht übertragen werden.
Hieraus ergibt sich, daß die jetzt vorgesehene Regelung für die sogenannten Obergesellschaften sicherlich insoweit eine Ausdehnung des verstärkten Mitbestimmungsrechts bedeutet. Denn die Wesensmerkmale dieses verstärkten Mitbestimmungsrechts sind erstens der paritätisch besetzte Aufsichtsrat und zweitens der Arbeitsdirektor im Vorstand. Würde man das Mitbestimmungsgesetz in vollem Umfange auf die reinen Obergesellschaften übertragen, würde das somit ein Übergreifen der für zwei bestimmte Wirtschaftsbereiche gedachten verstärkten Mitbestimmung auf die verarbeitende Industrie und alle anderen Wirtschaftsbereiche gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz bedeuten. Hierin liegt die Ausdehnung; die Hoffnung mancher, die Abneigung anderer — —
— Ich komme gleich auf diese Behauptung zurück, Herr Kollege Sträter!
Würde andererseits die Holding-Gesellschaft ohne die Institution der verstärkten Mitbestimmung, also ohne paritätisch besetzten Aufsichtsrat und ohne Arbeitsdirektor gebildet werden, so befürchten manche — das ist heute in verschiedenen Reden schon zum Ausdruck gekommen — die Minderung der Rechte der Arbeitnehmer in den Produktionsgesellschaften von Kohle und Eisen.
Ich will hier nicht darauf eingehen, ob diese Befürchtung zu Recht besteht oder nicht. Ich will auch nicht auf die sehr schwierige Frage eingehen, ob eine derartige Aushöhlung selbst bei Bestehen eines Organschaftsvertrags möglich ist. Ich will es einmal unterstellen. Wäre es so, läge also eine Gefährdung der Arbeitnehmerrechte hier tatsächlich vor, so würde doch übrigbleiben, daß gleichzeitig eine Schmälerung der Rechte des anderen Sozialpartners in den weiterverarbeitenden und gleichartigen Betrieben der Holding, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterliegen, einträte. Der andere Sozialpartner — das darf ich am Rande bemerken, und ich glaube, wir sind uns alle in diesem Hause darüber einig — ist in gleicher Weise eine notwendige Stütze unserer Wirtschafts- und Sozialordnung.
Wenn ich namens meiner Freunde vom Wirtschaftspolitischen und vom Rechtsausschuß auch die Fassung der Vorlage des Ausschusses für Arbeit im vorliegenden § 8 a ablehne, also dagegen stimmen werde, dann kommt das praktisch darauf hinaus, daß ich mich in diesem Punkte für den Regierungsentwurf einsetze, der darüber schweigt, also eine derartige Bestimmung nicht kennt, d. h. keinen Arbeitsdirektor vorsieht.
Der Regierungsentwurf hat versucht, zwischen den beiden verschiedenen Polen, die ich eben aufgezeigt habe, ein Kompromiß zu finden; er hat nämlich die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats auch für Obergesellschaften, in denen sich eisenverarbeitende Betriebe befinden, aus dem Gesetz für Kohle und Eisen übernommen und dafür den Arbeitsdirektor gestrichen. Das geschah aus vielen Gründen, auch aus dem Grunde, daß nach Meinung der Regierung — die ich teile — der Arbeitsdirektor in einer reinen Verwaltungsspitze keinen — ich will Ihnen sehr weit entgegenkommen — solchen Aufgabenbereich hat wie zweifellos ein Arbeitsdirektor, dem Tausende von Belegschaftsmitgliedern in Hütte und Bergwerk unterstehen. Wenn man diesem Argument damit begegnen will, daß man ausführt, dann könne der Arbeitsdirektor auch andere Aufgaben übernehmen, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß das erst recht eine Ausdehnung des Mitbestimmungsgesetzes Eisen und Kohle bedeutet.
Ich will von mir aus gern zugeben, daß ich mich zunächst dagegen ausgesprochen habe, daß überhaupt ein gesetzgeberisches Bedürfnis für die Regelung dieser Frage vorliegt. Ich habe mich aber angesichts der Vorgänge des Jahres 1951 davon überzeugt, daß der Gesetzgeber eine gewisse Verpflichtung zur Regelung dieser Dinge übernommen hat. Ich muß allerdings sagen: er hat keine Verpflichtung dafür übernommen, das Mitbestimmungsgesetz Eisen und Kohle nun in Bausch und Bogen auf derartige Holdinggesellschaften zu übertragen. Das ist auch, soweit ich festgestellt habe, in der damaligen Debatte im Bundestag in dieser Form niemals behauptet worden.
Weiter aber als der Regierungsentwurf kann man meines Erachtens nicht gehen. Der Regierungsentwurf schafft oder sanktioniert nunmehr die paritätisch besetzten Aufsichtsräte in allen Holdinggesellschaften. Das bedeutet: es gibt keine wesentliche Investition, keine Anschaffung irgendeiner wesentlichen Betriebsanlage, keine Aufnahme einer Anleihe, keine Einstellung eines Prokuristen oder leitenden Angestellten ohne Genehmigung des paritätisch besetzten Aufsichtsrates in der Obergesellschaft. Alle derartigen Geschäftsvorfälle, die nicht zum täglichen Ablauf des Geschäftes gehören, sind in der Praxis — das wissen wir alle — nach den Statuten der großen Aktiengesellschaften, die in diesem Punkte niemals geändert werden, genehmigungspflichtige Vorgänge. Keine Bilanz, auch keine konsolidierte Bilanz der Obergesellschaft kann künftig ohne den paritätisch besetzten Aufsichtsrat festgestellt und der Hauptversammlung vorgeschlagen werden. — Das ist in der Tat eine sehr gewaltige Erstreckung des Mitbestimmungsgesetzes Eisen und Kohle in den Bereich der eisenverarbeitenden Industrie und in alle anderen Bereiche hinein, die an sich nur dem Betriebsverfassungsgesetz und nicht dem Mitbestimmungsgesetz Eisen und Kohle unterworfen sind. Den einzigen Ausgleich der Interessen nach der anderen Seite findet nun der Regierungsentwurf in dem Verzicht auf den Arbeitsdirektor in der Obergesellschaft. Für meine Begriffe ist das wirklich nicht zuviel verlangt. Denn man kann doch nicht ohne weiteres die Schaffung oder Sanktionierung paritätisch besetzter Aufsichtsräte als selbstverständlich voraussetzen.
Nun komme ich zum Einwand des Kollegen Sträter. Herr Sträter hat gesagt — das ist immer wieder behauptet worden —, eine Mitbestimmung von der Art, wie sie heute beschlossen werden soll, wie sie also auch nach dem vorliegenden § 8 a und im paritätisch besetzten Aufsichtsrat zum Zuge kommt, sei bereits praktiziert worden. Richtig ist, daß 1951 Vereinbarungen zwischen den Gewerkschaften und den amtierenden, damals noch von den Entflechtungstreuhändern eingesetzten Vorständen getroffen wurden, die eine solche Regelung vorsahen. Möglich, daß solche Vereinbarungen auch noch nach dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes abgeschlossen wurden. Dies ist aber meines Erachtens gar nicht der entscheidende
Punkt. Entscheidend ist vielmehr, daß zu jener Zeit die eigentlichen Eigentümer der Gesellschaften, nämlich die Aktionäre und die Hauptversammlung, noch gar nicht in Funktion waren. Alle diese Obergesellschaften sind nämlich 1952 ganz neu gegründet worden. Um die Hauptversammlung überhaupt wieder in Funktion treten zu lassen, war ein äußerst langwieriger Aktientausch erforderlich. Dieser Tausch war frühestens 1953, in den meisten Fällen 1954 und 1955 vollzogen. Erst zu dieser Zeit konnten die Aktionäre überhaupt wieder eingreifen. In den Fällen, die von den Gerichten entschieden wurden — der Herr Kollege Scheppmann hat vorhin den Fall erwähnt —, sind die Aktionäre tätig geworden und nicht die Verwaltung. In anderen Fällen wurden mit Rücksicht auf die bereits laufenden gesetzgeberischen Arbeiten dieser Legislaturperiode bis zum Abschluß dieser Arbeiten provisorische Lösungen gefunden. Das galt hinsichtlich der paritätisch besetzten Aufsichtsräte. Bei den Arbeitsdirektoren muß man berücksichtigen, daß sie nach dem Aktiengesetz seit 1952 ihre Fünfjahresverträge haben.
Wenn man das Fazit aus meinen Ausführungen zieht, muß man sagen, daß der Regierungsentwurf bereits einen weitgehenden Kompromiß gefunden hat. Für meine Begriffe liegt kein Anlaß vor, hier noch weiterzugehen. Damit auch in diesem Hohen Hause keine falschen Begriffe aufkommen, möchte ich betonen: Die paritätisch besetzten Aufsichtsräte und me Arbeitsdirektoren in sämtlichen Untergesellschaften Eisen und Kohle bleiben in vollem Umfang bestehen. Eine Obergesellschaft beispielsweise, die vier Untergesellschaften mit erweiterter Mitbestimmung und eine große Anzahl weiterverarbeitender Betriebe umfaßt, behält künftig vier Arbeitsdirektoren in diesen Untergesellschaften und 20 Arbeitnehmervertreter aus den vier Aufsichtsräten. Dazu bekommt sie nach dem Regierungsentwurf außerdem einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat, der wiederum sieben Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter enthält. Meine Damen und Herren, wo liegt denn hier eigentlich die Benachteiligung? Ich muß Ihnen mit Deutlichkeit diese Frage stellen. Liegt hier nicht eine gewisse Überspannung vor, wenn man nun auch noch den Arbeitsdirektor in der Holding fordert, den einzigen Kompromißpunkt der verschiedenen aufeinander zukommenden Interessen, den letzten Endes der Regierungsentwurf gefunden hat? Wenn man das nicht will, entkleidet man den Regierungsentwurf überhaupt dieser tragenden Kompromißstütze und nimmt ihm damit den Wert eines echten Kompromisses.
Der Kollege Dannebom hat meines Erachtens völlig zu Recht gesagt, daß niemand in diesem Hause an die Mitbestimmung ,der Arbeitnehmer rühren will. Es handle sich lediglich um die Frage der Gewichtigkeit, um die Frage, wo diese Mitbestimmung am besten anzusetzen ist. Diese Ansicht mache ich auch zur meinigen. Ich möchte mir hier völlig versagen, auf die Frage einzugehen, ob der Arbeitsdirektor sich bewährt oder nicht bewährt hat. Meine Damen und Herren, die Zeit der Erprobung dieses Sozialverfassungssystems war jedoch zu kurz. Es sind überall Zweifel entstanden, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Diese Zweifel sind sowohl bei der Aktienrechtsreform wie auch bei den betriebssoziologischen Untersuchungen aufgekommen. Wir bemühen uns alle gleichmäßig, den richtigen Weg zu finden, die beiden Sozialpartner, die Unternehmer wie die Arbeitnehmer. Deshalb kann ich aber von mir aus meine Zustimmung nicht geben, das noch nicht bis zur Evidenz erprobte Institut des Arbeitsdirektors auf diesem Wege institutionell — und das unterscheidet mich auch vom Vorschlag des Ausschusses für Arbeit — in einer Obergesellschaft zu verankern, die gleichzeitig sehr weitgehende Gebiete der Verarbeitung erfaßt.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mit Recht gesagt worden, daß dieser Punkt, an dem wir angelangt sind, der entscheidende Streitpunkt bei diesem Gesetzentwurf, den wir zu beraten haben, ist. Lassen Sie mich zunächst zu den Ausführungen meines Fraktionskollegen Dr. Pohle Stellung nehmen. Ich bin der Meinung, daß hier vom Ausschuß versucht wurde, einen rechten Kompromiß unter den verschiedenen vertretenen Auffassungen zu finden. Ich kann ihn in diesem Punkt in der Regierungsvorlage nicht sehen, und ich darf doch darauf hinweisen, daß daran weder die Sozialpartner noch das Parlament beteiligt waren. Es war Aufgabe des Parlaments, nun hier eine Regelung zu finden, die den verschiedenen Auffassungen möglichst gerecht wird.
Eine Bemerkung zur Frage der Notwendigkeit des Arbeitsdirektors, oder sagen wir vielleicht klarer: des von diesem einen Partner entsandten Mitglieds im Vorstand der Holdinggesellschaft. Es geht hier wirklich um die Verhinderung der Reduzierung der Mitbestimmungsrechte. Sie wissen, daß für die Dachgesellschaften, für die Holdinggesellschaften, Organschaftsverträge abgeschlossen sind, und Sie wissen, daß in all diesen Verträgen eine Weisungsbefugnis enthalten ist. Das heißt, daß eben die Holding das Recht hat, den angeschlossenen Tochtergesellschaften verbindliche Weisungen zu geben. Würde man nun hier in einer der Institutionen, die wir im Montan-Mitbestimmungsgesetz geschaffen haben, im paritätisch besetzten Aufsichtsrat oder im Vorstand, den einen Teil, den Arbeitnehmerteil benachteiligen, müßten wir tatsächlich von einer beachtlichen Reduzierung des Mitbestimmungsrechtes reden. Das soll nun durch den Vorschlag, den Ihnen der Ausschuß macht, verhindert werden.
Ich glaube, Herr Kollege Pohle, man verkennt die Aufgabe dieses Vorstandsmitgliedes, wenn man jetzt hier auf die in der Holding vorhandene geringe Zahl der Beschäftigten Bezug nimmt. Das ist ja nicht seine entscheidende Aufgabe, für die meinetwegen 30, 40, 50 oder 100 Beschäftigten in der Dachgesellschaft zu sorgen, sondern seine Aufgabe ist die, sich um all die Probleme zu kümmern, die insbesondere den Arbeitnehmer in den angeschlossenen Tochtergesellschaften angehen. Ich glaube, so muß man die Dinge sehen. Dann bekommt die ganze Sache doch ein anderes Gewicht.
Es ist zur Frage der Ausdehnung oder Einengung gesprochen worden. Ich sage noch einmal: Der Ausschuß hat sich wirklich bemüht, so weit das möglich ist, eine Ausweitung oder Einengung zu verhindern. Das ist natürlich auf Grund der Sachlage nicht ganz möglich, denn es ist ja praktisch
so: Wenn die Montanteile das Übergewicht in einer Holdinggesellschaft haben, dann gilt das erweiterte Mitbestimmungsrecht, das dann natürlich gewisse Ausstrahlungen auch für die verarbeitenden Teile in einer Holding hat, für die an sich nur das Betriebsverfassungsgesetz Geltung hat. Im umgekehrten Falle, in dem die verarbeitenden Teile das Übergewicht haben und die Montanteile in der Minderheit sind, gilt nicht das erweiterte Mitbestimmungsrecht, sondern da gilt das Betriebsverfassungsgesetz, und da ist tatsächlich eine Einengung für die Montanteile gegeben. Also so präzise läßt sich das nicht machen. Aber ich sage Ihnen in aller Offenheit: hier ist versucht worden, den vernünftigen Mittelweg zu gehen.
Ich möchte mich nicht weiter mit der Entwicklung beschäftigen, es ist im Bericht des Berichterstatters auf sie hingewiesen, und sie ist heute zum Teil auch schon angedeutet worden. Ich möchte allerdings sagen: Wir haben doch in den bisher getroffenen Vereinbarungen auch die Anerkennung des Vorstandsmitgliedes, das von der Arbeitnehmerseite bestellt wird, und ich darf betonen, daß tatsächlich die größere Zahl der Vereinbarungen dieser Art nach der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes im Sommer des Jahres 1952 getroffen worden sind. Wenn man erklärt, die Aktionäre seien darum nicht befragt worden, zu einer Zeit, zu der sie noch nicht ihr volles Recht hatten, so ist demgegenüber zu sagen, daß die Beratungen und Verhandlungen gepflogen worden sind mit Personen, die man doch wohl als die Vertreter der Anteilseigner ansprechen muß. Ich darf Sie doch bitten, sich die Namen zu merken; dann wird weiß Gott niemand zu der Auffassung
kommen, daß das nicht die Vertreter der Anteilseigner seien. Ich könnte ja auch hier einige Personen nennen. Also ich glaube, man kann wohl davon reden, daß zwischen den Beteiligten solche Vereinbarungen getroffen worden sind. Es kommt nun darauf an, den Inhalt dieser Vereinbarungen auch im Gesetz zu verankern, weil eben Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind; ich erinnere an den Streit bei Mannesmann.
Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen machen zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD und zu den Ausführungen des Kollegen Sträter. Der Antrag der Opposition hat mit der vorliegenden Fassung des Ausschusses gemeinsam, daß eine besonders qualifizierte Mehrheit für die Bestellung des Arbeitsdirektors nicht mehr vorgesehen ist. Nach ihm sollen sämtliche Vorstandsmitglieder mit einer Zweidrittelmehrheit bestellt werden. Damit würde die bis jetzt nur bezüglich des Arbeitsdirektors bestehende Besonderheit im Bestellungsverfahren praktisch auf sämtliche Vorstandsmitglieder ausgedehnt. Wir müssen uns über die Konsequenzen einer solchen Lösung klar sein. Es wäre dann unmöglich, im Falle einer unglücklichen Verhärtung der Fronten mit der Stimme des 15. Mannes die Wahl der notwendigen Vorstandsmitglieder vorzunehmen. Eine solche Verhärtung der Fronten ist nicht zu erwarten. Aber der Gesetzgeber darf eine solche Möglichkeit nicht außer acht lassen. Ich weiß, hinter dem Antrag der Opposition steht die Sorge, daß, wenn nicht bei der Bestellung sämtlicher Vorstandsmitglieder Einigung erzielt wird und ein Kompromiß zwischen Arbeitnehmern und der Kapitalseite herbeigeführt werden muß, als Arbeitsdirektor eine Person bestellt werden könnte, die für die Arbeitnehmerseite unannehmbar sein könnte. Wir haben bei den Beratungen im Ausschuß immer darauf hingewiesen: wir glauben, daß eine solche Gefahr nicht besteht und daß man sich im Interesse beider Teile gemeinsam bemüht, für die Unternehmen zu rechten und zu gesunden Regelungen zu kommen. Wir glauben nicht, daß ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat unabhängig von dem Willen der Arbeitnehmer Arbeitsdirektoren bestellt, um die Arbeitnehmer dadurch zu brüskieren. Man wird kaum eine solche Situation heraufbeschwören.
Da diese Besorgnis nicht besteht, sind wir der Meinung, daß es nicht notwendig ist, das Verfahren für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern anders zu regeln, als es im Aktiengesetz vorgesehen ist. Wenn die Ausschußvorlage akzeptiert wird, haben wir die Gleichartigkeit der Bestellung aller Vorstandsmitglieder, d. h. der technische Direktor und der kaufmännische Direktor werden ebenso wie der Arbeitsdirektor vom gesamten Aufsichsrat mit Stimmenmehrheit bestellt. Wir haben hier dann eine gleich starke Einwirkungsmöglichkeit der Arbeitnehmerseite auf die Bestellung des technischen, des kaufmännischen und sonstigen Direktors und ebenso eine gleich starke Einwirkungsmöglichkeit der anderen Seite auf die Bestellung des Arbeitsdirektors. Ich glaube, wir sollten Vertrauen zu einer solchen Regelung haben. Beide Seiten müssen zusammenarbeiten, um zu einer vernünftigen Zusammensetzung des Vorstandes zu kommen.
Wenn diese Regelung von der des Mitbestimmungsgesetzes für die Montanindustrie begrenzt abweicht, so ist auch das begründet. Sie wissen, daß hier die Unternehmen ganz anders sind als die, die unter dem Geltungsbereich des Montanmitbestimmungsgesetzes fallen. Hier haben wir es mit einer Mischung von Montanbetrieben und Verarbeitungsbetrieben zu tun, d. h. einer Mischung von Unternehmen, die unter das Montanmitbestimmungsgesetz fallen, und Unternehmen, die unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen. Deswegen glaube ich, daß dieses Kompromiß vertretbar ist. Ich möchte noch einmal sagen, ich glaube, daß hier ein echtes Kompromiß vorliegt. Ich möchte Sie herzlich bitten, dem Ausschußantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen zu den Darlegungen unseres Kollegen Pohle. Ich glaube, daß er die Tatbestände, die in den großen Unternehmungen gegeben sind, nicht ganz so zu Gehör gebracht hat, wie sie wirklich vorliegen. Die Bedeutung dieser Großunternehmungen, dieser Konzerne, ist nicht eine Angelegenheit, die man damit abtun kann, daß ja die Aufsichtsräte in den Tochtergesellschaften ihr Mitbestimmungsrecht behielten und dort auch Arbeitsdirektoren seien und infolgedessen eigentlich gar nichts Entscheidendes geschehe, wenn man in der Muttergesellschaft den Arbeitsdirektor beseitige.
Die Zusammenballung zu den Großunternehmungen und der Machtwille, der sich in solchen Unternehmungen naturgemäß herausbildet, bedeutet, daß alle grundlegenden Entscheidungen in der Obergesellschaft, in der Spitze getroffen werden. Das hat mit den formalrechtlichen Verhältnis-
sen, mit der formalen Selbständigkeit der Tochtergesellschaften nicht das Mindeste zu tun.
Et
Ich möchte fragen: Wozu würden denn Konzerngesellschaften gebildet, wenn sie nicht den Zweck hätten, diese einheitliche Entscheidung in der Spitze sicherzustellen?!
Ich glaube, das muß man sehen, wenn man die Dinge nicht allzusehr versimpeln will.
Eine zweite Bemerkung, Herr Kollege Pohle! Natürlich hat der Arbeitsdirektor in der Muttergesellschaft einen anderen Arbeitsbereich als der Arbeitsdirektor in einer Tochtergesellschaft, und dieser Unterschied besteht auch bei seinem technischen Kollegen und bei seinem kaufmännischen Kollegen. Auch das technische Vorstandsmitglied in der Holding, in der Spitze hat nichts mit dem täglichen Geschäft im Betrieb, mit der täglichen Produktion zu tun, sondern hat sich um die Leitung, Lenkung und Koordinierung im Gesamtbereich des Konzerns zu kümmern. Das gleiche gilt für den Kaufmann in der Spitze, und das gleiche gilt für den Arbeitsdirektor in der Spitze.
Es steht überhaupt nur eine Frage zur Entscheidung, nämlich die Frage, ob Sie dem Problem der menschlichen Beziehungen den gleichen Rang einer Vorstandsangelegenheit geben wie dem technischen und dem kaufmännischen Bereich, für die Sie Vorstandsposten in der Zentrale schaffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein kurzes Wort zur Klarstellung.
Der Kollege D r. Pohle hat sich — gewissermaßen zur Bekräftigung seiner Darlegungen —unter anderem auf die Meinung der Mehrheit im Rechtsausschuß berufen. Soweit ich eben feststellen konnte, ist im Rechtsausschuß eine förmliche Meinungsbildung — Herr Kollege Hoogen, Sie werden es sicherlich bestätigen können — nur zu den verfassungsrechtlichen Problemen — Art. 14, Art. 15 — erfolgt. Im übrigen hat es eine formale Feststellung von Mehrheits- und Minderheitsauffassung nicht gegeben.
Es ist deshalb mißverständlich, wenn sich der Kollege Pohle hier auf eine gewissermaßen ausdrücklich festgestellte Mehrheitsauffassung beruft.
Ich wollte das nur zur Klarstellung sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Böhm.
— Er verzichtet.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wittrock, ich darf darauf verweisen, was Herr Kollege Scheppmann in seinem Bericht über die Tätigkeit des Rechtsausschusses bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes gesagt hat. Es heißt hier:
— Ich glaube es klargestellt zu haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen über den Antrag Umdruck 613 Ziffer 11*) ab. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über § 8 a und § 9. Wer für diese beiden Paragraphen in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Gegenstimmen angenommen.
Nunmehr Ziffer 12 des Änderungsantrags Umdruck 613. Außerdem liegt ein Antrag Umdruck 617**) des Abgeordneten Dr. Elbrächter vor. Die beiden Anträge sind insoweit sehr schwer in Übereinstimmung zu bringen, als man nicht gut sagen kann, der eine sei das Negativ des andern, sondern es geht durcheinander. Ich werden Ihnen, wenn die Anträge begründet sind, einen Vorschlag machen, der kompliziert aussieht, der aber, glaube ich, der einzige ist, der der Sache gerecht wird.
Zunächst hat zur Begründung der Abgeordnete Elbrächter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Antrag zielt darauf ab, den Vorschlag, den der Wirtschaftspolitische Ausschuß mit seiner Mehrheit beschlossen und dem federführenden Ausschuß mitgeteilt hat, wieder in das Gesetz einzuführen. Der federführende Ausschuß ist den Vorstellungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses nicht gefolgt. Wir halten das aber für eine sehr wesentliche Angelegenheit, und ich darf Ihnen die Vorstellungen der Mehrheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses in aller Kürze vortragen.
Nach allgemeinen Grundsätzen werden die Anteilsrechte der Obergesellschaft in der Hauptversammlung der Untergesellschaft durch den Vor-
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 5.
stand der Obergesellschaft ausgeübt. Der Vorstand einer solchen Gesellschaft ist aber, wenn er von einem Aufsichtsrat bestellt wird, in dem Arbeitnehmer ein qualifiziertes Mitbestimmungsrecht haben, durch den paritätisch besetzten Aufsichtsrat bestellt, von dem er auch abberufen werden kann. Könnte ein solcher Vorstand in der Hauptversammlung der Untergesellschaft nach seinem Belieben und unter naturgemäßer Bindung an den mitbestimmten Aufsichtsrat der Obergesellschaft handeln, so würde der Einfluß der Arbeitnehmer in den bereits mitbestimmten Untergesellschaften unzulässig verstärkt werden. Die Arbeitnehmer wären dann nicht nur im Vorstand und Aufsichtsrat der Untergesellschaften vertreten, wie es das Montan-Mitbestimmungsgesetz schon vorschreibt, sondern auf die oben dargestellte mittelbare Weise auch in der Hauptversammlung der Untergesellschaft. Diese Hauptversammlung soll aber nach unserem Aktienrecht gerade die Vertretung der Eigentümer, d. h. der Aktionäre, sein. Insoweit hat auch das Mitbestimmungsrecht an den Grundlagen des Aktienrechts nichts geändert. Es handelt sich also, wenn die Obergesellschaft durch ihren Vorstand in der Hauptversammlung der Untergesellschaft auftritt, ausschließlich um Befugnisse aus dem Eigentum. Dann ist es folgerichtig und notwendig, die Ausübung aller dieser Anteilseigenrechte an die Zustimmung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Obergesellschaft zu binden. Nur so wird ein Einbruch in die Eigentumsrechte verhindert. Es ist daher nicht gerechtfertigt, wenn der Regierungsentwurf die Bindung an die Zustimmung der Aktionärvertreter nur für bestimmte Beschlüsse der Hauptversammlung vorsieht.
Ich darf darauf hinweisen, daß dieses ganze Problem nur dort entsteht, wo die Untergesellschaften eine selbständige Rechtsform haben, nicht dort, wo sie in Form von unselbständigen Betriebsabteilungen bestehen.
Da wir es für notwendig halten, daß die Rechte der Anteilseigner in dieser Weise gewahrt werden, bitte ich das Hohe Haus, hier meinem Antrage zu folgen.
Wird seitens der sozialdemokratischen Fraktion gewünscht, ihren Antrag Ziffer 12 noch zu begründen?
— Nicht weiter.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will sehr kurz auf die Begründung erwidern, die Herr Kollege Dr. Elbrächter eben zu seinem Antrag gegeben hat.
Es geht in § 10 um die Frage der Potenzierungsverhinderung. Der Antrag Elbrächter würde, wenn er angenommen würde, noch eine Reduzierung, eine Einengung über den Regierungsentwurf hinaus bedeuten. Hier werden bestimmte Tatbestände der Mitentscheidung durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat generell entzogen, während in der Vorlage der Bundesregierung diese bestimmten Tatbestände aufgezählt werden.
Der Ausschuß für Arbeit hat aus der Regierungsvorlage einen Tatbestand herausgenommen, und zwar den Tatbestand der Eingehung einer Gewinngemeinschaft. Er war der Meinung, daß ein echtes Bedürfnis besteht, bei solchen Entscheidungen den Arbeitnehmerteil im Aufsichtsrat mit zu berücksichtigen.
Ich darf Sie bitten, dem Änderungsantrag nicht Ihre Zustimmung zu geben.
Gleichfalls bitte ich, den Änderungsvorschlag der SPD-Fraktion abzulehnen. Der § 4 Abs. 2, um den es hier geht, - -
Herr Abgeordneter Sabel, eben sagt mir Herr Deist, das sei erledigt.
Das ist erledigt? — Gut!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann dem Hause mitteilen, daß die sozialdemokratische Fraktion ihre Anträge Ziffern 12, 13 und 14 auf Umdruck 613*) als durch die vorhergehende Abstimmung erledigt ansieht, so daß wir darüber nicht mehr abzustimmen brauchen. Damit vereinfacht sich die Abstimmung zu § 10. Wir haben nur noch über den Änderungsantrag Dr. Elbrächter abzustimmen.
Wer den Antrag Dr. Elbrächter annehmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die große Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über die §§ 10, 11, 12, 13, 14, 14 a, 15, 16, 17, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Wer diesen Paragraphen zustimmen will, der gebe das Handzeichem - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit, meine Damen und Herren, ist die zweite Beratung erledigt. Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort zur allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der zweiten Lesung könnte den Eindruck erwecken, es handle sich bei der Verabschiedung dieser Novelle zum Mitbestimmungsgesetz um Fragen, die am Rande des großen Geschehens liegen, es handle sich mehr darum, einige technische Probleme der Zusammensetzung der Verwaltungsorgane in Holdinggesellschaften zu regeln. Der Verlauf der Abstimmungen, in denen alle unsere Anträge abgelehnt wurden, mag schon deutlich gemacht haben, daß wir diesem Vorgang, der Behandlung des Mitbestimmungsgesetzes eine entscheidende Bedeutung beilegen. Der Entwurf, wie er uns jetzt nach den Beschlüssen zweiter Lesung vorliegt, erfüllt uns mit schweren Bedenken gegenüber der weiteren Entwicklung. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einiges über die Bedeutung sagen, die meine Fraktion dem Gesetz über die Mitbestimmung in den Holdinggesellschaften beimißt. Diese Bedeutung hängt damit zusammen, daß die strukturellen Veränderungen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Großwirtschaft vor sich gegangen sind, nach unserer Auffassung dringend eine neue Ordnung der inneren Verhältnisse dieser Unternehmungen notwendig machen.
1 Siehe Anlage 4.
Meine Damen und Herren, in der Weimarer Republik ist einmal eine große Wirtschaftsenquete durchgeführt worden.
Meine Damen und Herren, das kann jedem von uns passieren.
Wir sollten mehr Nachsicht miteinander haben.
Ich danke für dieses Wohlwollen, insbesondere das Wohlwollen des Herrn Präsidenten.
Ich bedarf dieser Ihrer Nachsicht auch manchmal.
Ich möchte einschalten, daß es bedauerlich ist, daß wir solche grundsätzlichen Untersuchungen der strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft nach 1945 niemals in Angriff genommen haben. Die Wirtschaftsenquete der Weimarer Republik hat in einem Generalbericht vom Jahre 1930 einige sehr interessante Feststellungen über die Bedeutung des Einzelaktionärs in der modernen großen Aktiengesellschaft getroffen. In diesem Bericht heißt es:
Der Einzelaktionär fühlt sich auch heute nicht als der verantwortliche Mitinhaber der Gesellschaft, deren Geschicke er durch seine Verwaltungsrechte mitbestimmen soll; vielmehr führt die Entwicklung dahin, daß der Einzelaktionär in erster Linie auf seine Beteiligung am Betriebsgewinn Gewicht legt und das Stimmrecht wenigstens bei normalem Geschäftsgang der Gesellschaft als nebensächlich ansieht.
Und dann kommt ein wichtiger Satz:
Es entspricht dem allgemeinen Zug der gegenwärtigen Entwicklung, daß der Einzelaktionär immer mehr die Stellung eines Obligationärs einnimmt.
Meine Damen und Herren! Wer einen der letzten Geschäftsberichte der Mannesmann-AG vornimmt, der wird darin feststellen können, daß sich etwa 40 % der Aktionäre aus Beamten, Angestellten, Rentnern, Pensionären und Hausfrauen zusammensetzen; sicherlich ein sehr ehrenwerter Kreis von Einzelaktionären, aber sicherlich keiner, der weiß, was in seinem Unternehmen vorgeht, und mit seiner Aktie die Geschicke seines Unternehmens bestimmen möchte. In Wirklichkeit ist es doch so, daß heute die Masse der Aktionäre zwangsläufig bei der Kompliziertheit der wirtschaftlichen Tatbestände an der Verwaltung eines Unternehmens, von dem man eine Aktie besitzt, und ihrer Kontrolle nicht interessiert ist und deshalb in der Hauptversammlung nicht erscheint. Daher kommt es, daß die Hauptversammlung der großen Gesellschaften sich heute zu 70 bis 80 % des Kapitals aus Vertretern der Großbanken zusammensetzt, bei denen die Aktionäre ihre Aktien deponiert haben.
Eine ganz unverdächtige Quelle, die Wertpapierschutzvereinigung, also die Vertretung der Aktionäre, hat in einem Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß das Depotrecht der Banken nicht abgeschafft werden könne, und zwar mit folgender Begründung:
Die Abschaffung des Bankenstimmrechts wird zur Folge haben, daß die Kleinaktionäre überhaupt nicht mehr vertreten und die Hauptversammlungen Zufallsmehrheiten ausgeliefert wären.
Das spricht nicht gerade für eine lebhafte Aktivität der Aktionäre. Es ist sehr bezeichnend, daß keine einzige der großen Aktiengesellschaften an Rhein und Ruhr in den letzten Jahren eine klare Analyse der Zusammensetzung ihrer Hauptversammlung vorgenommen hat, obwohl das, solange wir Namensaktien hatten, jedenfalls in gewissem Umfange möglich war.
Wer die Aktiengesellschaft richtig und kritisch sieht, der weiß, daß das Wesen der Aktie heute nicht darin gesehen wird — auch nicht vom Aktionär —, daß es ihm Eigentumsrechte, Verfügungsrechte über Unternehmungen gibt, sondern darin, daß die Aktie ihm einen Sachwert garantiert, der nicht nur jede Geldentwertung übersteht, sondern in der Regel sogar gestärkt aus ihr hervorgeht.
Meine Damen und Herren, daß muß man so real sehen, wie es ist. Daraus ergibt sich auch, daß das moderne Aktienrecht dem Aktionär, dem sogenannten Eigentümer, nur ganz blasse Rechte gibt, Rechte, die gar nichts mehr mit dem Eigentum zu tun haben, das ich z. B. an einem Hause oder irgendeinem andern Gegenstand habe. Er hat nur einige formale Rechte; er kann den Aufsichtsrat bestellen, er hat gewisse sonstige Entscheidungen, und er hat über die Gewinnverteilung zu entscheiden. Aber er bestimmt nur über die Verteilung; der Gewinn selbst, die Höhe des Gewinns wird vorher durch Aufsichtsrat und Vorstand ohne Beteiligung der Aktionäre festgestellt.
Das Ergebnis dieser Strukturveränderungen in den großen Aktiengesellschaften ist für die Frage der Mitbestimmung von entscheidender Bedeutung. Das Ergebnis ist nämlich, daß die innere Ordnung der Aktiengesellschaft völlig abseits vom Einfluß der Masse der Klein- und Mittelaktionäre auf einem Zusammenspiel der Vorstände und der Vertreter der Großbanken in den Aufsichtsräten und vielleicht des einen oder andern Großaktionärs, soweit vorhanden, beruht.
Damit ist die Pyramide der Aktiengesellschaft, wie sie sich nach dem Aktienrecht darstellt, geradezu auf den Kopf gestellt. Es ist nicht die breite Masse der Aktionäre, die in geradezu demokratischer Abstimmung in der Hauptversammlung den Aufsichtsrat bestellt, der dann in Unabhängigkeit den Vorstand wählt und später zu kontrollieren hat. Vielmehr steht, bevor die Hauptversammlung stattfindet, fest, wer in den Aufsichtsrat gewählt wird und wie die Hauptversammlung ablaufen wird. Damit verfügt eine kleine Gruppe wichtiger Leiter der Unternehmungen, die man heute mit einem modernen Wort als Manager zu bezeichnen pflegt, über Millionenwerte von Sachkapital und über Zehntausende von Arbeitern, ohne daß eine echte Legitimation aus dem nicht mehr funktionsfähigen Eigentum der Aktionäre abgeleitet werden kann, und ohne jede echte Kontrolle durch ein Aufsichtsorgan, das von diesen leitenden Männern unabhängig ist.
So stellt sich die Aufgabe, eine Konstruktion für die innere Ordnung dieser Unternehmungen zu f in-den, die dieser neuen Unternehmensstruktur angemessen ist. Es stellt sich die Aufgabe, die rechtliche Ordnung dem völlig veränderten soziologischen Tatbestand anzugleichen.
Damit hängen zwei Probleme zusammen. Das eine ist das Problem, das wir z. B. auch bei allen Ordnungsgesetzen, wie dem Kartellgesetz, vor uns sehen: das Problem wirtschaftlicher Macht. Die Lenker und Leiter solcher Unternehmen verfügen nicht nur in ihren Unternehmungen über ein erhebliches Wirtschaftspotential und große Kader menschlicher Arbeitskräfte. Ihr Einfluß reicht über die Zugehörigkeit ihrer Unternehmungen zu Verbänden und Vereinigungen wesentlich weiter, zu Verbänden und Vereinigungen, deren Bedeutung nicht in der Mitgliedschaft bedeutender Persönlichkeiten liegt, sondern in der Tatsache, daß ihnen Unternehmungen mit einer erheblichen Kapitalkraft und einer erheblichen Wirtschaftsmacht angehören. Über die Politik der Unternehmungen und über die Verbandspolitik beeinflußt hier eine, wie ich vorhin darlegte, unkontrollierte und letzten Endes nicht echt legitimierte Gruppe von Männern der Wirtschaft schließlich die Güterversorgung, die Preisgestaltung und damit in entscheidendem Umfang den Gesamtablauf der Wirtschaft. Die letzten Jahrzehnte haben im übrigen deutlich gemacht, daß diese wirtschaftlichen Machtpositionen zugleich gesellschaftliche und politische Macht bedeuten.
In den letzten Monaten und Wochen brauchten wir nur in der Presse nachzulesen, wer bei den wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen den Bundeskanzler und den Wirtschaftsminister laufend besuchte, um zu wissen, welche Gruppen welchen Einfluß auf den politischen Ablauf nehmen.
Damit stellt sich für die Mitbestimmung das Problem, die Vorstände als die Träger solcher Machtstellung in der Wirtschaft unter eine echte Kontrolle zu bringen, nachdem die aktienrechtliche Konstruktion überholt ist und der Aktionär nicht mehr in der Lage ist, seine ihm nach dem Aktienrecht zustehenden Funktionen wahrzunehmen. Wenn eine solche Legitimation nicht besteht, dann kann es heute nur den Weg geben, eine Lösung dieses Problems einer echten Legitimation und Kontrolle der Unternehmensleitungen aus dem Geiste demokratischer Lebensformen zu finden. Meine Damen und Herren, wenn die Mitbestimmung in das Unternehmensrecht die Organisationen der Arbeitnehmerschaft als wichtige Elemente des Wirtschaftslebens und gewissermaßen als Wahlkörper für die Verwaltungsorgane der Unternehmen einführt, dann ist das ein Versuch, an die Stelle autoritärer, praktisch unkontrollierter Wirtschaftsmacht eine demokratische Legitimation und eine demokratische Kontrolle zu setzen.
Damit ergibt sich ein zweites Problem. Ich schneide es an, nicht weil es sich darum handelt, daß wir uns darüber streiten, ob die Belegschaften oder die Gewerkschaften mehr Einfluß haben sollen und die Mehrheit auf der einen oder auf der andern Seite liegen soll, sondern weil es sich darum handelt, für diese Aufgaben, die den Verwaltungsorganen gestellt sind, eine sinnvolle Konstruktion zu finden, damit diese Aufgaben erfüllt werden können.
Im modernen Massenstaat stellt sich das Problem der Demokratie, wie wir doch auf Grund zahlloser Erfahrungen wissen, völlig neu. Es ist heute modern geworden, den Vermassungsprozeß als eine gefährliche und schlechte Entwicklung darzustellen, vielleicht sogar so zu tun, als wenn eigentlich die moderne Arbeiterbewegung an diesem Vermassungsprozeß schuld sei. Tatsache ist doch, daß diese Vermassungserscheinungen, die zur Ausbildung großer Organisationen geführt haben. das Ergebnis des ungeheuren Rationalisierungsprozesses sind, den die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat, daß Vermassung und Organisation Ausdruck und Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung sind, ob wir sie begrüßen oder ob wir sie verdammen, und daß dies das Schicksal ist, mit dem wir fertigwerden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die äußeren Erscheinungsformen dieses Vermassungsprozesses sind das ständige Anwachsen der Apparatur, das ständige Anwachsen großer bürokratischer Apparate mit ungeheuren technischen Einrichtungen. Mir scheint nun für die Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft wichtig zu sein, daß diese Bürokratisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens sich nicht auf Staat, Länder und Gemeinden beschränkt, sondern daß sie sich in gleicher Weise auf die großen Organisationen der Wirtschaft ebenso wie auf die großen Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auswirkt. Das entscheidende Problem, das vor uns steht, ist, eine Auflockerung dieser bürokratisierten Apparatur herbeizuführen. Im Grunde genommen ist es heute so, daß in den Großkonzernen in einem stärkeren Ausmaß, als wir alle das ahnen können, die Apparatur herrscht und der Mensch verhältnismäßig wenig bedeutet. Der Chefreporter der „Welt" hat nach einer Reise durch das Ruhrgebiet am 20. Dezember des vergangenen Jahres hierfür ein Beispiel angeführt. Er hat nämlich — in der „Welt" veröffentlicht — ausgeführt:
Ich fand Direktoren, die sich lobend über die Mitbestimmung äußerten, aber um keinen Preis diese ihre Meinung in der Presse sehen wollten.
Meine Damen und Herren, das ist die Abhängigkeit der Einzelpersönlichkeit von der Apparatur dieser großen Organisationen, wo der Einzelmensch mit seiner Meinung nichts bedeutet!
Meine Damen und Herren, ich spreche nicht von dem Kaufmann, ich spreche nicht von dem Techniker, ich spreche nicht von dem Arbeitsdirektor, ich spreche auch nicht nur von Unternehmerorganisationen, sondern ich spreche davon, daß diese Bürokratisierung ein entscheidendes Strukturelement unserer gesamten gesellschaftlichen Ordnung ist und daß wir Wege finden müssen, hier demokratische Auflockerung und demokratische Kontrolleinrichtungen zu schaffen.
Wenn für uns die Mitbestimmung eine Bedeutung hat, dann ist es die, daß im Rahmen der Montanwirtschaft ein erster ernsthafter Versuch gemacht worden ist, zulängliche Voraussetzungen für die Auflockerung der Apparaturen dieser Großunternehmungen durch Elemente der Selbstbestimmung zu schaffen. Ich fühlte mich verpflichtet, das heute hier auszuführen, weil ich nicht möchte, daß diese Debatte über das Mitbestimmungsrecht endet, ohne daß man auch nur einen Hauch davon verspürt, daß es hier um grundlegende Probleme der sozialen Neugestaltung in der Großwirtschaft geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will gerne anerkennen, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten versucht hat, brauchbare Lösungen zu finden. Aber die Begrenztheit dieser Lösungsversuche und der Vorschläge seiner Freunde zeigte doch sehr deutlich, wie eng der Rahmen für eine sozial fortschrittliche Gestaltung der Unternehmensorganisation in diesem Bundestage ist.
Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich unsere Stellungnahme zum Mitbestimmungsgesetz zu sehen. Aus dieser Verantwortung für die soziale Neugestaltung der Wirtschaft haben wir unsere Anträge gestellt. Wir sind nämlich überzeugt, daß wesentlichen Gesichtspunkten, die für diese Aufgabenstellung der Mitbestimmung von Bedeutung sind, durch die jetzige Fassung des Ausschusses nicht Rechnung getragen wird. Wir kennen die Situation im Bundestag heute. Wir sehen daher davon ab, in der dritten Lesung die Anträge, die sämtlich in der zweiten Lesung abgelehnt worden sind, zu wiederholen. Wir wissen auch, welche schwere, folgenreiche Bedeutung es hätte, wenn der Übergangszustand, der Unsicherheitszustand, der an der Ruhr herrscht, weil bisher keine gesetzliche Regelung für die Holding-Gesellschaften getroffen ist, noch weiter andauerte. Wir werden uns daher ungeachtet unserer schweren Bedenken, die ich hier noch einmal zum Ausdruck gebracht habe, der Zustimmung zu diesem Gesetz nicht versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der dritten Lesung zu den sehr ernsten Ausführungen unseres Kollegen Herrn Dr. Deist nicht Stellung nehmen. Wir werden zur gegebenen Zeit die Möglichkeit haben, auch dazu einiges zu sagen. Ich möchte nur zwei Bemerkungen machen.
Wenn wir alle unter dem Druck der Apparatur stehen, sollten wir dieses Ergebnis nicht als Schuld einer Seite ansehen;
denn wir wissen, daß wir leider in allen Bereichen sehr viel Apparatur haben.
Wir haben mit Ihnen Sorge, daß dabei die Persönlichkeit manchmal zu kurz kommt.
Lassen Sie mich eine andere Bemerkung machen. Sie sagten, daß der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister gerade ständig von den,
sagen wir, Managern besucht würden. Herr Dr. Deist, ab und zu lese ich auch Zeitungen, und da habe ich gerade dieser Tage gelesen, daß auch die Vertreter der Gewerkschaften in den letzten Tagen sowohl beim Bundeskanzler als auch beim Bundeswirtschaftsminister waren.
— Ich habe keine besonderen Beziehungen zu den Vorzimmern der genannten Herren, so daß ich Ihnen die Besucherquoten nicht mitteilen kann. Ich wollte nur diese Tatsache feststellen.
— Ich habe den Zwischenruf nicht verstanden. — War nicht interessant? Gut!
— Nein, ich wollte nur eine Feststellung treffen, Herr Kollege Schröter.
Aber nun einige Schlußbemerkungen. Ich möchte meiner Freude über die sachliche Diskussion heute im Plenum und auch bei den Ausschußberatungen Ausdruck geben. Wir wollen nicht verkennen, dieses Gesetz ist ein heißes Eisen. Es war gar nicht selbstverständlich, daß die Debatten so leidenschaftslos vor sich gingen. Ich glaube, das ist gut. Das Gesetz war zum Teil umstritten, bei einigen im ganzen, bei einigen in Teilen, und stellt einen Kompromiß dar. Ich möchte noch einmal sagen: wir sehen in ihm eine Verankerung des Status quo, keine Einengung, keine Ausweitung der Mitbestimmung. Wir waren der Meinung, daß eine Klärung des Rechtszustandes im Interesse beider Teile notwendig sei. Sie wissen, daß die bestehenden Verhältnisse durch Gerichtsentscheidungen fragwürdig geworden sind. So war es an der Zeit, zu einer wirklichen Rechtsgrundlage zu kommen. Die Schwierigkeit der Materie war schuld daran, daß die Beratung des Gesetzes eine beachtlich lange Zeit in Anspruch genommen hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit der Verabschiedung dieses Gesetzes zum Anlaß nehmen, an dieser Stelle eine gute Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Unternehmern zu empfehlen.
Im Interesse des sozialen Fortschrittes ist es notwendig, Spannungen nach Möglichkeit zu überwinden. Sie zu leugnen, wäre töricht. Aber es ist wertvoll, sich um die Bereinigung der Spannungen zu kümmern. Wir alle sollten einsehen, daß es notwendig ist, diese Zusammenarbeit zu fördern, ich sage noch einmal, im Interesse aller Beteiligten.
Ich möchte die Gelegenheit auch benutzen, hier einen Appell an diejenigen zu richten, die das Gesetz, das heute beschlossen werden soll, auszuführen haben, den Appell, auch hier für eine gute Zusammenarbeit zu sorgen, auch unter den Arbeitnehmern. Ich möchte einen Appell auch an die Gewerkschaften richten, dafür zu sorgen, daß die neuen Rechte, die hier verankert werden, auch den Minderheiten in den Betrieben und Unternehmen zugute kommen.
Ich darf diesen Appell besonders unterstreichen und darf Sie bitten, dem Gesetz in der Schlußabstimmung Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe im Namen meiner Fraktion zu diesem Gesetz und zu seiner Verabschiedung folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei hat das Gesetz über die Mitbestimmung in den Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie am 10. April 1951 abgelehnt, weil es nach ihrer Überzeugung nicht geeignet ist, eine gesunde Sozialpartnerschaft der in den Betrieben tätigen Arbeitnehmer und Unternehmer zu verwirklichen. Die Erfahrungen bei der praktischen Durchführung des Gesetzes in den vergangenen fünf Jahren waren nicht geeignet, unsere Bedenken zu widerlegen.
Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz bedeutet nichts anderes als die konsequente Ausdehnung der damals von uns als unrichtig erkannten Gedanken auf die Holding-Gesellschaften.
Die Freien Demokraten werden aufrichtig jeder gesetzlichen Regelung und Initiative zustimmen, die geeignet ist, eine wirkliche Partnerschaft im Betrieb zu fördern und zu einer wirklichen Beteiligung der Arbeitnehmer am Betriebsergebnis zu führen. Dem vorliegenden Gesetzentwurf jedoch vermögen wir unsere Zustimmung nicht zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Sabel hat mit Recht festgestellt, daß die heutige Debatte sachlich und in Ruhe stattgefunden hat. Wenn ich daran denke — ich hatte damals noch nicht die Ehre, diesem Hause anzugehören —, mit welcher Hochspannung nicht nur in diesem Hause, sondern im gesamten deutschen Volk die Verabschiedung des ersten Mitbestimmungsgesetzes verfolgt wurde und welche Hoffnungen sich daran knüpften, so ziehe ich allerdings aus dieser Ruhe einen ganz anderen Schluß als Herr Kollege Sabel. Es ist vielleicht gut, in dieser Stunde daran zu erinnern, wie denn in der deutschen Arbeiterschaft der Wunsch nach Mitbestimmung entstanden ist. Ich glaube, es ist im wesentlichen das Nachkriegserlebnis gewesen, das, als der Arbeiter zusammen mit seinem Unternehmen den Aufbau leistete und in dieser großen Zeit etwas sichtbar wieder geschaffen wurde, Menschen zusammengeführt hat, die — Gott sei es geklagt — sich in einer langen Epoche auseinandergelebt hatten. Das liegt sicherlich zum Teil daran, daß wir, wie Herr Kollege Deist gesagt hat, in einem Prozeß begriffen sind, den er als „Bürokratisierung" bezeichnet hat. Aber dieses elementare Erlebnis des Aufbaues fand nun Ausdruck in dem Wunsch der Arbeiterschaft, das Geschaffene gemeinsam zu leiten, damit das verhütet wurde, was
den Zusammenbruch jener Jahre verschuldet hat: eine Fehlleitung politischer und wirtschaftlicher Macht. Das ist zumindest eine der Quellen und die wesentliche Wurzel des Wunsches, den die deutsche Arbeiterschaft hatte und der sich in der Forderung nach der Mitbestimmung konkretisierte. Sicherlich gab es eine andere Wurzel. Das ist das, was Herr Kollege Deist sehr deutlich gemacht hat: daß es Kräfte im deutschen Volk gibt und gab, die auf einen gesellschaftlichen Umbau abzielen. Wir müssen diese beiden Wurzeln sehen.
Nun glaube ich doch die Frage stellen zu müssen, ob sich dieses Gesetz denn bewährt hat. Ich komme jetzt ganz konkret auf eine Äußerung, die Kollege Deist gemacht hat, indem er den Chefredakteur der „Welt" zitierte: die verantwortlichen Unternehmensführer wagten es nicht, pro Mitbestimmungsrecht zu sprechen. Lieber Kollege Deist, ich habe die Sache etwas anders gehört. Ich habe gerade in jenen Tagen, als durch die etwas unglückliche Äußerung eines bekannten Industriellen ein Streit entfesselt war, einmal Gelegenheit gehabt, mit einigen anderen Industriellen aus jenem Bereich zu sprechen. Da wurde mir gesagt: „Wenn Sie mir hoch und heilig versprechen, daß nie mein Name genannt wird, dann sage ich Ihnen: es funktioniert nicht gut. Nur, wenn wir das öffentlich sagen, dann kostet uns das pro Tag Streik rund eine Million. Infolgedessen sagen wir nichts und nehmen lieber hin, daß manches nicht funktioniert, daß nämlich durch den paritätisch besetzten Aufsichtsrat gewisse Entscheidungen nicht gefällt werden." Es wäre irreal, wenn wir das nicht auch einmal so sähen. Mag sein, daß die Meinungen verschieden sind. Ich darf aber doch, Herr Kollege Deist, darauf hinweisen, daß in der Öffentlichkeit von sehr bekannten Wirtschaftsführern — ich brauche die Namen gar nicht zu nennen — auch Stimmen für die Mitbestimmung laut geworden sind, aber aus Gründen, die vielleicht doch anders liegen, nämlich weil man ihnen vielleicht nicht die richtigen Verhältnisse geschildert hat.
Nun haben wir die Frage zu stellen: Hat sich denn das Mitbestimmungsrecht so ausgewirkt, wie Kollege Deist es gerne sehen möchte, als eine Auflockerung der Bürokratisierung? Ich will jetzt gar nicht einmal meine eigene Meinung vortragen, sondern möchte Ihnen einen, wie ich hoffe, unverdächtigen Wissenschaftler zitieren. Ich habe zufälligerweise im letzten Heft der „Universitas" — das ist ja eine Zeitschrift, die vielleicht bekannt ist — einen Aufsatz von Helmut Schelsky gefunden. Darin zitiert er das Ergebnis zweier junger Gelehrter, hinter die er sich stellt; denn er sagt, sie hätten recht. Diese stellen fest,
daß die Arbeiterschaft heute im wesentlichen noch dichotomisch denkt, d. h. ihre betriebliche, aber auch die allgemein wirtschaftliche und politische Wirklichkeit mit dem Dualismus ,wir gegenüber den anderen erfaßt. Aber die Inhalte dieses dualistischen Sozialverständnisses beginnen sich merkbar zu verschieben. Während das wir immer deutlicher ,die mit mir die gleiche Arbeit Tuenden' bedeutet, rücken in den Gegenpol, an die Stelle des Kapitalisten oder der Bourgoisie, mehr und mehr die anonymen Kräfte aller Arten von großbürokratischen Organisationen oder deren Funktionäre.
Bis dahin völlige Übereinstimmung mit Kollegen Deist. Nun weiter:
So werden allmählich auch die eigene Arbeitsorganisation und deren Funktionärbürokratie für den einzelnen Arbeiter zum System und damit auf die andere Seite des Dualismus gerechnet.
— Ich glaube doch, wir sollten die Untersuchung von namhaften Soziologen nicht so abtun, wie das hier geschieht.
— Aber schön, die Meinungen sind geteilt.
Nun lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es ist gesagt worden, daß mit der Einführung der Mitbestimmung der soziale Friede gewährleistet ist. Ich glaube, die große Sachlichkeit, die Unbeteiligtheit, die die Öffentlichkeit gegenüber der heutigen Sitzung zeigt, ist einfach damit begründet, daß eine sehr große Ernüchterung in dieser Frage eingetreten ist. Der Arbeiter — und andere Untersuchungen als diese bestätigen das — weiß ja zum großen Teil noch gar nicht, welche Auswirkungen das hat. Ich will das hier nicht alles zitieren; wir wollen zum Schluß kommen. Aber ich persönlich bin der Meinung, daß dieser Einbruch in die Eigentumsrechte nicht gut ist. Meine politischen Freunde werden daher diesem Gesetz ihre Zustimmung verweigern.
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Abstimmung über den § 8 a zu meinen Ungunsten ausgefallen ist — es gibt auch ehrliche Verlierer —, möchte ich darüber kein Wort mehr verlieren. Sie werden verstehen, daß ich diesem Gesetz nicht zustimmen kann. Ich werde mich bei der Schlußabstimmung der Stimme enthalten.
Aber Ihnen dies mitzuteilen ist nicht der eigentliche Grund, warum ich hier rede, sondern der Grund, warum ich noch einige wenige Bemerkungen machen will, ist die Rede meines Freundes
— leider nicht Fraktionsfreundes — Deist. Ich möchte nämlich einige Passagen dieser Rede genau so wenig hier im Raum stehen lassen wie mein Freund Sabel. Herr Deist hat sehr eingehende Ausführungen über die Reform des Aktienrechts gemacht. Ich gebe zu, daß sich darüber streiten läßt. Er hat einige Gedanken beigesteuert. Ich könnte andere Gedanken beisteuern. Aber Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß das Aktienrecht nicht abends um 9 Uhr im Handgalopp durchgenommen werden kann.
Ich kann also weder auf das Depotstimmrecht noch auf die Frage der sogenannten Entvölkerung der Hauptversammlungen noch auf etwas anderes eingehen. Ich möchte aber doch bemerken, daß Herr Deist, wenn er die Aktionäre als ein Gremium bezeichnet hat, das ohnehin keine Rechte hat, doch offenbar nicht so weit hat gehen wollen, zu sagen:
Deshalb müssen wir beispielsweise die Bilanzfeststellung den Aktionären übertragen, damit sie mehr zu tun und mehr Verantwortlichkeit haben. Ich glaube, so weit will er nicht gehen. Wenn man aber auf der anderen Seite berücksichtigt, daß sich ein zunehmendes Interesse gerade der Aktionäre an der Gestaltung ihrer Gesellschaft in den großen Hauptversammlungen zeigt, daß vielfach Tausende von Aktionären anwesend sind, die dort auch ihre Meinung zu bekunden wissen, dann möchte ich doch sagen, daß hier eine gewisse Wandlung auch hinsichtlich des alten Fürstenbergschen Grundsatzes eingetreten ist, daß der Aktionär eben nur dumm und frech sei. Der Aktionär will auch mit raten, genau so wie Herr Deist und seine Freunde das mit mir auch für die Belegschaft in Anspruch nehmen. Aber das ist ein sehr tiefgründiges Thema. Lassen Sie uns in Ruhe, sine ira et studio, diese Dinge in jenen Gremien verfolgen, in denen sie zur Zeit verfolgt werden. Lassen Sie uns die Diskussion nicht noch durch die ganze Frage der Neugestaltung des Unternehmensrechts erschweren.
Ein anderer Punkt. Herr Deist hat den Unternehmer zitiert — ich glaube, Herr Elbrächter hat darauf schon einige Worte gefunden — aus der „Welt", der gesagt hat: Ich war zwar dagegen oder dafür, aber um Gottes willen, erwähnen Sie das nicht! — Meine Damen und Herren, es muß ganz klar ausgesprochen werden — denn ich habe das am eigenen Leibe verspürt —, daß es nicht gerade anreizend für einen Unternehmer ist, sich in der Öffentlichkeit zu äußern, wenn bei jeder Äußerung, auch bei wohlgemeinten Äußerungen, unmittelbar hinterher das Wort von einem möglichen Streikdruck fällt. Ich habe voriges Jahr in einem Gremium eine wirklich sehr wohlabgewogene Unterhaltung gehabt, und mir ist dann Ähnliches vorgehalten worden nur deshalb, weil ich gesagt habe: Die Mitbestimmung muß aufgefaßt werden als das Erlebnis des Arbeitnehmers im Betrieb, und ich bin bereit, jeden Weg mitzugehen, der zu diesem Ziel führt. Dann muß man aber auch einer öffentlichen Diskussion die Möglichkeiten lassen und darf nicht gleich sagen: Dort ist ein böser Mann aufgestanden; wir erinnern an Hermann Reusch!
Die tragende Idee von Herrn Deists Ausführungen war: Wir müssen über dieses anonyme Gebilde, diese Manager, eine Kontrolle schaffen!
— Meine Damen und Herren, die Kontrolle hat nun einmal der Staat, und niemand von uns wird sich einer staatlichen Kontrolle entziehen. Wen wollen Sie denn als Kontrollorgan dort hinsetzen? Herr Deist hat gesagt: Auflockerung der bürokratisierten Apparatur.
— Lassen Sie mich bitte den Satz zu Ende sprechen! — Wollen Sie sagen, daß diese bürokratisierte Apparatur durch eine andere ersetzt werden soll, und welche? — Bitte sehr, Herr Deist!
Herr Dr. Pohle, ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich der Auffassung sind, daß es gut wäre, wenn die Unternehmen der Eisen-und Stahlindustrie einer öffentlichen Kontrolle durch den Staat unterworfen würden. Das wäre eine völlig neue Version von Ihrer Seite.
Herr Dr. Deist, zwischen einer sozialisierten Wirtschaft
und einer Kontrolle ist ein großer Unterschied. Ich kann nur nicht anerkennen — um es ganz offen zu sagen und auf Ihre konkrete Frage zu antworten, Herr Deist —, daß eine Kontrolle durch einen Sozialpartner ausgeübt wird und nicht durch den Staat, dem alle angehören, und darauf wollen Sie doch sehr stark hinaus.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen: auch der Unternehmer — und ich darf ruhig sagen, daß ich mich mit Stolz zu dieser Kategorie rechne, während Herr Deist zu jenen rechnet, die den Unternehmer in den Aufsichtsräten kontrollieren; ich unterliege also insofern seiner Kontrolle —
hat nicht nur dafür zu sorgen, daß die erforderlichen Kapitalien vorhanden sind, sondern er hat auch für das Wohl der Belegschaft dazusein, und zwar nicht nur deshalb, weil das in § 70 Abs. 1 des Aktiengesetzes steht. Der Unternehmer, gerade auch der Unternehmer der großen Aktiengesellschaften, hat, auch schon bevor diese Bestimmung vorhanden war, sehr wohl seine soziale Sendung gesehen und — dieses Recht muß ich für mich und die anderen Unternehmer in Anspruch nehmen — erfüllt.
Ich muß Ihnen weiter sagen, daß die unternehmerische Sendung gerade darin besteht, daß der Unternehmer sich an sozialem Gefühl und an sozialer Einstellung von niemandem übertreffen läßt.
Wir sind uns nur darüber uneinig, auf welchem Wege das zu erreichen ist. Wenn ich diese Einstellung nicht hätte, dann wüßte ich nicht, warum ich in diesem Hause unter Ihnen stehe. Ich bin hier nichts anderes als Sie, und wir alle ringen um das gleiche Ziel.
Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Beratung hat uns vor allen Dingen in aller Deutlichkeit wieder einmal die Entwicklung in den letzten Jahren und damit die Tätigkeit und die große Verantwortung des Arbeitnehmers vor Augen geführt. Wir haben uns bei der Beratung dieses Gesetzes immer wieder von dem Gedanken leiten lassen, daß der Arbeitnehmer der war, der entscheidend und verantwortungsbewußt beim Aufbau und beim Wiederaufbau so manchen Betriebes mitgeholfen hat.
Auf Grund der Tatsache, daß der Arbeitnehmer in dieser Verantwortung stand, ist es uns immer leicht gefallen, die Berechtigung der Mitbestimmung abzuleiten. Ich persönlich hatte das Glück, an der Beratung des Gesetzes im Ausschuß beteiligt zu sein, und ich war immer sehr beeindruckt von der Gründlichkeit und der Gewissenhaftigkeit, mit der die Beratungen durchgeführt wurden.
Wir alle, glaube ich — insbesondere darf ich das für meine politischen Freunde in Anspruch nehmen —, haben uns bei all diesen Entscheidungen vor allem von dem Gedanken leiten lassen, daß der Mensch Mittelpunkt aller Dinge sein muß. Wir haben deshalb alle Möglichkeiten benutzt, die Teilnahme des Arbeitnehmers an der ganzen Produktion zu erweitern und zu sichern. Wir sind der Auffassung, daß, wenn die Anteilseigner, also der Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, sich der vollen Verantwortung bewußt sind, die Mitbestimmung sich zum Wohle unseres ganzen Volkes auswirken muß. Der Abschluß unserer Beratung hat meine politischen Freunde in der Überzeugung bestärkt, daß das Wirken des Arbeitnehmers sich so stark durchsetzen konnte, daß heute ein Gesetzentwurf verabschiedet werden kann, auf Grund dessen diese Kreise wiederum stärker an die gesamte Verantwortung herangeführt werden. Wir werden deshalb dem Gesetzentwurf zustimmen, wenn er auch nach unserer Auffassung da und dort noch einige Schönheitsfehler hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Berg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Rücksicht auf die weit vorgeschrittene Zeit nur drei Sätze, wirklich nur drei.
Die Demokratische Arbeitsgemeinschaft lehnt das Gesetz aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
Die beiden Mitbestimmungsgesetze beruhen im Grund auf kollektivistischen Vorstellungen
— lassen Sie mich bitte meine drei Sätze aussprechen —, die nach unserer Meinung eine echte Lösung des Problems nicht bringen können. Wir sehen eine solche Lösung nach wie vor in der Schaffung individuellen Eigentums. Wir möchten gerne so viel wie möglich Arbeitnehmer als Aktionäre sehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock. — Herr Abgeordneter Wittrock, ich habe Ihnen das Wort erteilt.
— Er verzichtet nicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht hier Veranlassung, noch ein Wort zu sagen, und zwar auch zur Klarstellung
— Sie wissen schon, worum es sich handelt —, weil hier schwarz auf weiß ein Protokoll vorliegt und uns daran gelegen ist, daß dieses Protokoll keiner Fehlinterpretation unterworfen wird.
Sie erinnern sich, daß in der zweiten Beratung die Frage eine gewisse Rolle spielte — ich gebe zu, am Rande —, ob der Rechtsausschuß zu der Frage der Arbeitsdirektoren Stellung genommen habe. Herr Kollege Hoogen glaubte das aus dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Scheppmann folgern zu können. Dem Kollegen Hoogen ist dabei ein Irrtum unterlaufen. Der Ausschuß hat zunächst
eine Grundsatzdebatte geführt und sich dann auf Grund einer Erklärung des Vorsitzenden darüber geeinigt, daß ausschließlich die verfassungsrechtlichen Fragen geprüft werden sollen. Der Vorsitzende, der Kollege Hoogen, hat weiterhin gesagt, daß eine Überprüfung weiterer rechtlicher Punkte erst dann erfolgen solle, wenn in dem federführenden Ausschuß eine Entscheidung darüber gefallen sei, welchem Entwurf der Vorzug gegeben werden solle. Dann hat zum Abschluß der Beratung der Kollege Hoogen ausdrücklich festgestellt - ich zitiere wörtlich aus dem Protokoll -, daß der Entwurf Sabel im Ausschuß nicht zur Diskussion gestanden habe.
Das ist deshalb erfolgt, meine Damen und Herren, weil sich der Ausschuß eben ausschließlich auf die verfassungsrechtliche Problematik beschränken und die zusätzlichen Rechtsprobleme, die sich aus dem Entwurf Sabel ergeben hätten, bis zur Entscheidung des federführenden Ausschusses ausklammern wollte.
Der vorliegende Bericht kann also nicht in der Weise interpretiert werden, wie es der Kollege Hoogen und wohl auch der Kollege Pohle getan haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen, da keine Änderungsanträge angekündigt sind, nunmehr zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als einem Ganzen zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abzustimmen, wonach eine Reihe von Entwürfen für erledigt erklärt werden soll.
Wer diesem Antrage des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir nunmehr für heute schließen. Die morgige Sitzung wird zunächst mit den Anträgen des Vermittlungsausschusses beginnen. Dann werden wir mit den Punkten 5, 6 und 7 der heutigen Tagesordnung fortfahren.
Ich berufe die nächste, die 149. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 8. Juni, vormittags 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.