Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einleitend sagen, daß ich mich trotz der Anerkennung der sicherlich bedeutsamen Wiederaufbauleistungen durch Staat und Wirtschaft auch auf kulturellem Gebiet — es ist hier von den schönen Schulbauten usw. gesprochen worden — doch nicht des Eindrucks erwehren kann, daß wir bei unserer Wiederaufbaurasanz und -betriebsamkeit, bei unserer Wirtschaftswunder- und Konjunkturemsigkeit und leider manchmal auch -seligkeit hinsichtlich Schule, Forschung und Wissenschaft doch ein wenig zurückgeblieben sind, daß diese Gebiete doch irgendwie ein Stiefkind in unserer Entwicklung darstellen. Dabei möchte ich unter wissenschaftlichen Gebieten nicht nur die heute hier vordringlich behandelten angesprochen wissen, sondern auch darauf hinweisen, daß auch die Geisteswissenschaften hier zweifellos zu kurz gekommen sind.
Bei dem Übergewicht von Außenpolitik, seit jüngster Zeit von Wehrpolitik, Finanz- und Wirtschaftsfragen und auch — ich sage das ganz offen, da wir ja sehr viel Wert auf die sozialpolitischen Dinge legen — von Sozialpolitik und natürlich bei
— von manchen Moneymakern und Managern aller Sorten und Arten recht robust forciertem
— Geldverdienertum sind, so möchte ich glauben, die kulturpolitischen, d. h. die Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungsfragen, zumindest relativ etwas zu kurz gekommen.
Wenn man sich auf Länderebene mit diesen Fragen beschäftigt, dann geschieht das meistens unter Aspekten, die keineswegs dem Gesamten sehr dienlich sind und kaum in die Kernprobleme dieser Fragen vorstoßen. Denken Sie nur an die vielen oft aus weltanschaulichen, konfessionellen und sonstigen Gründen getönten Streitfragen gerade im kulturpolitischen Feld in den einzelnen Länderparlamenten! Im Bayerischen Landtag, dem anzugehören ich die Ehre hatte, war Kulturpolitik immer jenes politische Feld, wo die meisten heißen Eisen in der Gegend herumlagen und wo sich die meisten fürchteten, solche heißen Eisen aufzunehmen.
Ich glaube also, daß wir bei aller Anerkennung der Leistungen von Staat und Wirtschaft nicht allgemein den Eindruck verwischen sollten, daß in diesem Feld, über das wir heute sprechen, doch gewisse Kehrseiten unserer Wirtschaftswundermedaille sichtbar werden und recht deutlich geworden sind.
Die Gründe dafür sind zum Teil begreiflicher, zum Teil, so möchte ich behaupten, unbegreiflicher, d. h. schuldhafter Natur. Begreiflich dadurch, daß natürlich nach der Katastrophe von 1945 durch die Teilung Deutschlands mit allen Folgen und Folgeerscheinungen nach innen und außen hin zu allererst Existenznöte und -sorgen, Sorgen um unsere Freiheit im Neubeginn unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens im Vordergrund stehen mußten. Aber schuldhaft und unbegreiflich ist und bleibt ein Tatbestand, den heute erfreulicherweise der sehr verehrte Kollege Dr. Friedensburg herausgestellt hat und auf den wohl alle Redner hingewiesen haben, nämlich daß wir in dieser Sparte unter einem überspitzt föderativen, partikularistischen Zwang leben, daß hier ein Neben-und Durcheinander entstanden ist, das nun langsam nach Abhilfe, nach vernünftiger Neuordnung ruft. Wir sind, glaube ich, wohl alle sehr dankbar, daß, wie es nicht nur der Herr Bundeskanzler in Stuttgart gesagt hat, sondern wie wir es heute auch vom Kollegen Dr. Friedensburg gehört haben, darüber neue Vorstellungen politischer Art auch innerhalb der CDU/CSU durchaus ventiliert werden.
Ein Zweites habe ich schon angedeutet, nämlich daß man sich in diesem Feld auf ganz spezielle Interessen verlegt hat, die wir angesichts der nothaften Zustände in diesem Sektor doch nicht als so vordringlich und so bedeutsam behandeln sollten. Es sind jene heißen Eisen, die bei diesen Fragen immer in den Landtagen ruhen, verschiedenes Gegen- und Widereinander also: Lehrerbildung und all das, was damit zusammenhängt. Sie ersparen es mir, deutlicher zu werden. Aber ich darf einmal ganz offen sagen: das sind Fragen, die mir und uns daheim, die wir im Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder in den Nachfolgestaaten groß geworden sind, erzogen und unterrichtet wurden, völlig unbekannt
waren. Denn unter der Apostolischen Majestät Osterreich-Ungarns — und die Nachfolgestaaten haben nichts geändert — sind diese Streitfragen, die heute so manche Politiker auf Landesebene so sehr zu erhitzen und auf die Barrikaden zu treiben geeignet sind, völlig unbekannt gewesen.
Ein Weiteres ist wohl, daß man erst langsam erkennt, daß wir auch im Sektor Schule, Erziehung, Bildung und Unterricht und Kulturpolitik eine neue Aufgabe übernehmen müssen, daß wir in eine neue Grenzlandfunktion eingerückt sind, die uns auch auf diesem Gebiet, auf dem kulturpolitischen Sektor also, neue Aufgaben stellt.
Ferner, glaube ich, geht man bei diesen Fragen, vor allem was Schule und Unterricht anbelangt, leider Gottes an wesentlichen Grundfragen, die schon lange im Raum stehen, vorbei, nämlich an der Grundfrage: Wie ist es überhaupt möglich, die Wissensdifferenzierung und das Spezialistentum unserer Tage, das sich aus dieser Differenzierung ergibt, mit einer vernünftigen Unterrichtsführung in Einklang zu bringen? Dieses Problem — das nicht neu ist — wird allüberall und in allen Unterrichtssparten angepackt werden müssen. Allüberall hat man allzu oft den Eindruck, daß wir den Übergang von der Neuzeit zur Neuestzeit in puncto Schule und Unterricht und Erziehung doch irgendwie verschlafen haben.
Dabei reicht die Misere von der Dorfschule mit ihrer Gebäude- und Raumnot, mit dem Schichtunterricht in überbelegten Klassen und ihrer Lehrernot über die höhere Schule bis, wie wir heute gesehen haben, zu den hohen Schulen hinauf.
In der höheren Schule ist das Abfangen, das Ableiten der andrängenden Schülerschaft nach den Mittel-, Berufs- und Fachschulen noch nicht geglückt, bzw. nur zum Teil gelungen, und es wird eine Frage sein, wie man etwa durch einen zweiten Bildungsweg einen neuen Anreiz schaffen kann, um dieses Problem zu lösen.
Ich möchte nicht von dem Problem der auf den Staat zukommenden kommunalen höheren Schulen sprechen; allüberall ist auch hier noch vieles zu tun!
Hinsichtlich der Hochschulen haben wir das meiste ja bereits gehört; angesichts der vorgeschrittenen Zeit will ich mich nicht in Wiederholungen ergehen. Aber der Ansturm der Studierenden, der mangelnde individuelle Kontakt zwischen Lehrern und Studenten, der Drang nach dem Brotstudium mit all seiner Hast und mit der, wie man so sagt, „Rentengesinnung" auch auf der Hochschule, die Unmöglichkeit, echte Forschung zu treiben — denken Sie an Mammutuniversitäten wie etwa München —, die betrübliche und erschreckende Tatsache, daß unsere Lehrkanzeln zum Teil zu Leer-Kanzeln werden — all das sind fraglos alarmierende Fakten. Wenn, wie ich in letzter Zeit las — ich glaube, der verehrte Herr Kollege Kahn-Ackermann hat es schon angedeutet —, an der Universität Heidelberg 22 Lehrkanzeln zu Leer-Kanzeln geworden sind, wenn es an einer Universität wie der Heidelberger gar keine slawistische Lehrkanzel mehr gibt, in einem Land wie dem unsern, da wir dem Osten und den slawischen Völkern gegenüberstehen, und an einer Universität von diesem Namen — denken Sie an den Klang, den er in Amerika hat —, so ist das ein Jammer; anders kann man das nicht bezeichnen.
Die finanzielle Misere betreffend Forschung, Wissenschaft und hohe Schulen ist nun einmal da, und es ist richtig, wenn in der Anfrage der SPD angedeutet ist, daß den Ländern finanziell einfach die Luft ausgeht, daß sie diese Fragen um Forschung und Wissenschaft heute einfach nicht mehr lösen können und daß hier der Bund eingreifen muß. Wer wollte leugnen, daß Mangelerscheinungen gerade in dieser Sparte erfahrungsgemäß nach allen Schul-, Erziehungs- und Bildungssparten ausstrahlen? Sie wirken sich bis in die letzte Volksschule aus. Wenn es oben an den hohen Schulen, an der Spitze sozusagen, nicht klappt, so gibt es unabsehbare Auswirkungen, und zwar nach allen Seiten hin.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Bayerischen Landtag ein kleines Loblied singen. Er hat mehr als jeder andere Landtag unserer Bundesrepublik in letzter Zeit in der Form eines Schrittmachers, so könnte man sagen, viele Fragen, die wir heute behandeln, angeschnitten. Nicht nur erschreckt durch das staatsbürgerliche Bildungsniveau von Beamtenanwärtern, von dem wir heute gehört haben, hat er gerade diese Frage, die heute im Vordergrund steht, nämlich die Förderung des technischen Nachwuchses, hervorragend debattiert und nach Möglichkeiten auf diesem Gebiet Ausschau gehalten. Er hat auch die politische Bildung unter die Lupe genommen, und sowohl die Vorschläge der bayerischen Koalition wie auch die der CSU-Opposition bemühen sich ernsthaft, gerade in dieser Sparte Zusätzliches zu tun. Nicht zuletzt hat auch das Land Bayern seine Grenzlandfunktion erkannt. Es hat viel für alle Fragen der Ostraumforschung und der Forschung bezüglich der slawischen Völker überhaupt getan und tut es auch weiterhin. Das soll hier rühmend und dankend anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, Möglichkeiten für einen Ausweg aus dieser Misere sind bereits vielfach erörtert worden, und zwar sowohl hinsichtlich des Bundes wie der Länder, vor allem aber mit dem eindeutigen Wunsch, daß hier der Bund mehr denn bisher koordinierend oder sogar durch finanzielle Hilfe einwirken soll. Auf jeden Fall ist eine Verstärkung der Stipendien — und ich möchte betonen: gerade für Studenten aus den Ländern jenseits des Eisernen Vorhanges — dringend notwendig. Wir danken zweifellos der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband, daß sie hier eingesprungen sind, aber es ist und bleibt doch wohl eine Aufgabe nicht nur der Länder, sondern auch des Bundes, hier mehr zu tun, will sagen: die finanziellen Mittel zu verstärken, damit der Wechsel von Universität zu Universität, das Studium im Ausland, der Austausch mit dem Ausland und die Erweiterung der Entsendung deutscher Wissenschaftler und Dozenten ins Ausland gewährleistet werden.
Hier handelt es sich um Gebiete, bei denen es sich zwar primär um kulturpolitische Anliegen handelt. Deren Erfüllung macht sich aber bezahlt und ist außenpolitisch wie wirtschaftspolitisch genau so wertvoll wie kulturpolitisch gewichtig. Besonders sichtbar und fühlbar macht sich dieses Nachhinken unsererseits gerade auf demjenigen Felde bemerkbar, wo die Entwicklung am schnellsten voranschreitet, nämlich im Bereiche von Technik und Naturwissenschaft. Darum heute das Problem des fehlenden technisch-naturwissenschaft-
lichen Nachwuchses, der 40 000 fehlenden Ingenieure, darum die Schwierigkeiten um die Numeri clausi an naturwissenschaftlichen Fakultäten, um die zu wenigen Ingenieurschulen, die zum Teil noch an mangelhaften Ausbildungsmöglichkeiten leiden. Ja, hier ist überall viel versäumt worden! Ich erinnere mich — gestatten Sie, daß ich diese kleine persönliche Erinnerung vorbringe —, als Soldat in Rußland oft kleine Fachschulen in ganz kleinen Dörfern mit unbekannten Namen besucht zu haben, in denen ich über die Ausgestaltung des Unterrichts- und Lehrmaterials ganz erstaunt war. Man war geradezu perplex ob des Umfangs der dortigen Bibliotheken, erstaunt über die vielfältige deutsche Literatur natur- und geisteswissenschaftlicher Art z. B., die man dort vorfand. Solches war zweifellos auf lange Sicht geplant und mit ganz bestimmten Zwecken verbunden. Aber hier haben wir schon damals lernen können, und ich glaube, daß wir diesbezüglich auch in der Zwischenzeit noch manches zusätzlich versäumt haben.
Es ist also notwendig, die Bemühungen der Länder in Zukunft zu koordinieren und diese Bemühungen durch den Bundeshaushalt finanziell zu unterstützen, um so Notständen abzuhelfen, von denen wir heute hier gehört haben und die uns erschreckend offenbar wurden. So wurde uns offenbar, daß wir hier schnell etwas 'tun müssen; nicht zuletzt im vergleichenden Hinblick auf die studierende Jugend in der sowjetisch besetzten Zone, in der Sowjetunion und den Satellitenstaaten.
Ich glaube, der Hauptnutzen unserer heutigen Aussprache liegt darin, daß wir einmal auf einem Feld, für das der Bund nicht unmittelbar zuständig ist, gesehen haben, daß es fünf Minuten vor zwölf ist. Wenn wir übrigens dieses Problem sinnvoll anpacken, vollbringen wir eine Wiedervereinigungs-, aber auch eine gesamteuropäische Leistung, die notwendig ist. Dabei möchte ich — auch das sei mir gestattet — am Rande sagen: Es gibt noch ein großes Reservoir von Menschen, die Erfahrung und Wissen um diese Dinge noch aus ihrer früheren Heimat in sich tragen und die hierbei herangezogen werden können. Dieses Potential wurde leider noch nicht genügend genutzt, meine Damen und Herren. Und wenn der verehrte Herr Bundesinnenminister sagte, diese auf der Straße oder am Rande der Entwicklung, sozusagen als Strandgut der Zeit hängengebliebenen Menschen
— das ist mein Ausdruck — seien nur — jetzt kommt I h r Ausdruck, Herr Bundesinnenminister
— ein statistisches Problem, so möchte ich sagen: es ist vor allem ein menschliches Problem.
Ferner, glaube ich, ist es auch ein berufliches Problem. Durch gewisse Umschulung oder Kenntniserweiterung könnte es zweifellos möglich gemacht werden, daß viele Menschen, die heute als Familienväter mit 45 oder 50 Jahren noch gut mit anpacken könnten, nicht „unter das alte Eisen geworfen werden" müssen, zumal wir sehen, welch großer Bedarf herrscht.
Dem Antrag der SPD auf Umdruck 614*), der die Erstellung statistischer Unterlagen und die
*) Siehe Anlage 2.
Beratung von koordinierenden und entwicklungsfördernden Maßnahmen vorsieht, stimmen meine politischen Freunde und ich zu. Ich glaube, daß auch die anderen Fraktionen gegen diesen Antrag wohl kaum etwas einzuwenden haben werden. Er dient letztlich dazu, uns Material dafür zu liefern, was wir heute besprechen und in Zukunft wohl auch regulierend und gestaltend in Angriff nehmen müssen und wollen.
Im ganzen begrüßen wir die heutigen Anfragen und die heutige Aussprache aus den schon angedeuteten Gründen. Wir knüpfen daran vor allem die Hoffnung, daß wir den Abbau aller Hemmungen, insbesondere den Abbau überspitzter föderalistischer Bremsen, mit dem guten Willen aller herbeiführen können und daß wir somit den Anschluß an eine Entwicklung, welche die neue Zeit auch auf diesem Gebiet von uns verlangt, nicht verpassen.