Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich möchte einschalten, daß es bedauerlich ist, daß wir solche grundsätzlichen Untersuchungen der strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft nach 1945 niemals in Angriff genommen haben. Die Wirtschaftsenquete der Weimarer Republik hat in einem Generalbericht vom Jahre 1930 einige sehr interessante Feststellungen über die Bedeutung des Einzelaktionärs in der modernen großen Aktiengesellschaft getroffen. In diesem Bericht heißt es:
Der Einzelaktionär fühlt sich auch heute nicht als der verantwortliche Mitinhaber der Gesellschaft, deren Geschicke er durch seine Verwaltungsrechte mitbestimmen soll; vielmehr führt die Entwicklung dahin, daß der Einzelaktionär in erster Linie auf seine Beteiligung am Betriebsgewinn Gewicht legt und das Stimmrecht wenigstens bei normalem Geschäftsgang der Gesellschaft als nebensächlich ansieht.
Und dann kommt ein wichtiger Satz:
Es entspricht dem allgemeinen Zug der gegenwärtigen Entwicklung, daß der Einzelaktionär immer mehr die Stellung eines Obligationärs einnimmt.
Meine Damen und Herren! Wer einen der letzten Geschäftsberichte der Mannesmann-AG vornimmt, der wird darin feststellen können, daß sich etwa 40 % der Aktionäre aus Beamten, Angestellten, Rentnern, Pensionären und Hausfrauen zusammensetzen; sicherlich ein sehr ehrenwerter Kreis von Einzelaktionären, aber sicherlich keiner, der weiß, was in seinem Unternehmen vorgeht, und mit seiner Aktie die Geschicke seines Unternehmens bestimmen möchte. In Wirklichkeit ist es doch so, daß heute die Masse der Aktionäre zwangsläufig bei der Kompliziertheit der wirtschaftlichen Tatbestände an der Verwaltung eines Unternehmens, von dem man eine Aktie besitzt, und ihrer Kontrolle nicht interessiert ist und deshalb in der Hauptversammlung nicht erscheint. Daher kommt es, daß die Hauptversammlung der großen Gesellschaften sich heute zu 70 bis 80 % des Kapitals aus Vertretern der Großbanken zusammensetzt, bei denen die Aktionäre ihre Aktien deponiert haben.
Eine ganz unverdächtige Quelle, die Wertpapierschutzvereinigung, also die Vertretung der Aktionäre, hat in einem Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß das Depotrecht der Banken nicht abgeschafft werden könne, und zwar mit folgender Begründung:
Die Abschaffung des Bankenstimmrechts wird zur Folge haben, daß die Kleinaktionäre überhaupt nicht mehr vertreten und die Hauptversammlungen Zufallsmehrheiten ausgeliefert wären.
Das spricht nicht gerade für eine lebhafte Aktivität der Aktionäre. Es ist sehr bezeichnend, daß keine einzige der großen Aktiengesellschaften an Rhein und Ruhr in den letzten Jahren eine klare Analyse der Zusammensetzung ihrer Hauptversammlung vorgenommen hat, obwohl das, solange wir Namensaktien hatten, jedenfalls in gewissem Umfange möglich war.
Wer die Aktiengesellschaft richtig und kritisch sieht, der weiß, daß das Wesen der Aktie heute nicht darin gesehen wird — auch nicht vom Aktionär —, daß es ihm Eigentumsrechte, Verfügungsrechte über Unternehmungen gibt, sondern darin, daß die Aktie ihm einen Sachwert garantiert, der nicht nur jede Geldentwertung übersteht, sondern in der Regel sogar gestärkt aus ihr hervorgeht.
Meine Damen und Herren, daß muß man so real sehen, wie es ist. Daraus ergibt sich auch, daß das moderne Aktienrecht dem Aktionär, dem sogenannten Eigentümer, nur ganz blasse Rechte gibt, Rechte, die gar nichts mehr mit dem Eigentum zu tun haben, das ich z. B. an einem Hause oder irgendeinem andern Gegenstand habe. Er hat nur einige formale Rechte; er kann den Aufsichtsrat bestellen, er hat gewisse sonstige Entscheidungen, und er hat über die Gewinnverteilung zu entscheiden. Aber er bestimmt nur über die Verteilung; der Gewinn selbst, die Höhe des Gewinns wird vorher durch Aufsichtsrat und Vorstand ohne Beteiligung der Aktionäre festgestellt.
Das Ergebnis dieser Strukturveränderungen in den großen Aktiengesellschaften ist für die Frage der Mitbestimmung von entscheidender Bedeutung. Das Ergebnis ist nämlich, daß die innere Ordnung der Aktiengesellschaft völlig abseits vom Einfluß der Masse der Klein- und Mittelaktionäre auf einem Zusammenspiel der Vorstände und der Vertreter der Großbanken in den Aufsichtsräten und vielleicht des einen oder andern Großaktionärs, soweit vorhanden, beruht.
Damit ist die Pyramide der Aktiengesellschaft, wie sie sich nach dem Aktienrecht darstellt, geradezu auf den Kopf gestellt. Es ist nicht die breite Masse der Aktionäre, die in geradezu demokratischer Abstimmung in der Hauptversammlung den Aufsichtsrat bestellt, der dann in Unabhängigkeit den Vorstand wählt und später zu kontrollieren hat. Vielmehr steht, bevor die Hauptversammlung stattfindet, fest, wer in den Aufsichtsrat gewählt wird und wie die Hauptversammlung ablaufen wird. Damit verfügt eine kleine Gruppe wichtiger Leiter der Unternehmungen, die man heute mit einem modernen Wort als Manager zu bezeichnen pflegt, über Millionenwerte von Sachkapital und über Zehntausende von Arbeitern, ohne daß eine echte Legitimation aus dem nicht mehr funktionsfähigen Eigentum der Aktionäre abgeleitet werden kann, und ohne jede echte Kontrolle durch ein Aufsichtsorgan, das von diesen leitenden Männern unabhängig ist.
So stellt sich die Aufgabe, eine Konstruktion für die innere Ordnung dieser Unternehmungen zu f in-den, die dieser neuen Unternehmensstruktur angemessen ist. Es stellt sich die Aufgabe, die rechtliche Ordnung dem völlig veränderten soziologischen Tatbestand anzugleichen.
Damit hängen zwei Probleme zusammen. Das eine ist das Problem, das wir z. B. auch bei allen Ordnungsgesetzen, wie dem Kartellgesetz, vor uns sehen: das Problem wirtschaftlicher Macht. Die Lenker und Leiter solcher Unternehmen verfügen nicht nur in ihren Unternehmungen über ein erhebliches Wirtschaftspotential und große Kader menschlicher Arbeitskräfte. Ihr Einfluß reicht über die Zugehörigkeit ihrer Unternehmungen zu Verbänden und Vereinigungen wesentlich weiter, zu Verbänden und Vereinigungen, deren Bedeutung nicht in der Mitgliedschaft bedeutender Persönlichkeiten liegt, sondern in der Tatsache, daß ihnen Unternehmungen mit einer erheblichen Kapitalkraft und einer erheblichen Wirtschaftsmacht angehören. Über die Politik der Unternehmungen und über die Verbandspolitik beeinflußt hier eine, wie ich vorhin darlegte, unkontrollierte und letzten Endes nicht echt legitimierte Gruppe von Männern der Wirtschaft schließlich die Güterversorgung, die Preisgestaltung und damit in entscheidendem Umfang den Gesamtablauf der Wirtschaft. Die letzten Jahrzehnte haben im übrigen deutlich gemacht, daß diese wirtschaftlichen Machtpositionen zugleich gesellschaftliche und politische Macht bedeuten.
In den letzten Monaten und Wochen brauchten wir nur in der Presse nachzulesen, wer bei den wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen den Bundeskanzler und den Wirtschaftsminister laufend besuchte, um zu wissen, welche Gruppen welchen Einfluß auf den politischen Ablauf nehmen.
Damit stellt sich für die Mitbestimmung das Problem, die Vorstände als die Träger solcher Machtstellung in der Wirtschaft unter eine echte Kontrolle zu bringen, nachdem die aktienrechtliche Konstruktion überholt ist und der Aktionär nicht mehr in der Lage ist, seine ihm nach dem Aktienrecht zustehenden Funktionen wahrzunehmen. Wenn eine solche Legitimation nicht besteht, dann kann es heute nur den Weg geben, eine Lösung dieses Problems einer echten Legitimation und Kontrolle der Unternehmensleitungen aus dem Geiste demokratischer Lebensformen zu finden. Meine Damen und Herren, wenn die Mitbestimmung in das Unternehmensrecht die Organisationen der Arbeitnehmerschaft als wichtige Elemente des Wirtschaftslebens und gewissermaßen als Wahlkörper für die Verwaltungsorgane der Unternehmen einführt, dann ist das ein Versuch, an die Stelle autoritärer, praktisch unkontrollierter Wirtschaftsmacht eine demokratische Legitimation und eine demokratische Kontrolle zu setzen.
Damit ergibt sich ein zweites Problem. Ich schneide es an, nicht weil es sich darum handelt, daß wir uns darüber streiten, ob die Belegschaften oder die Gewerkschaften mehr Einfluß haben sollen und die Mehrheit auf der einen oder auf der andern Seite liegen soll, sondern weil es sich darum handelt, für diese Aufgaben, die den Verwaltungsorganen gestellt sind, eine sinnvolle Konstruktion zu finden, damit diese Aufgaben erfüllt werden können.
Im modernen Massenstaat stellt sich das Problem der Demokratie, wie wir doch auf Grund zahlloser Erfahrungen wissen, völlig neu. Es ist heute modern geworden, den Vermassungsprozeß als eine gefährliche und schlechte Entwicklung darzustellen, vielleicht sogar so zu tun, als wenn eigentlich die moderne Arbeiterbewegung an diesem Vermassungsprozeß schuld sei. Tatsache ist doch, daß diese Vermassungserscheinungen, die zur Ausbildung großer Organisationen geführt haben. das Ergebnis des ungeheuren Rationalisierungsprozesses sind, den die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat, daß Vermassung und Organisation Ausdruck und Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung sind, ob wir sie begrüßen oder ob wir sie verdammen, und daß dies das Schicksal ist, mit dem wir fertigwerden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die äußeren Erscheinungsformen dieses Vermassungsprozesses sind das ständige Anwachsen der Apparatur, das ständige Anwachsen großer bürokratischer Apparate mit ungeheuren technischen Einrichtungen. Mir scheint nun für die Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft wichtig zu sein, daß diese Bürokratisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens sich nicht auf Staat, Länder und Gemeinden beschränkt, sondern daß sie sich in gleicher Weise auf die großen Organisationen der Wirtschaft ebenso wie auf die großen Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auswirkt. Das entscheidende Problem, das vor uns steht, ist, eine Auflockerung dieser bürokratisierten Apparatur herbeizuführen. Im Grunde genommen ist es heute so, daß in den Großkonzernen in einem stärkeren Ausmaß, als wir alle das ahnen können, die Apparatur herrscht und der Mensch verhältnismäßig wenig bedeutet. Der Chefreporter der „Welt" hat nach einer Reise durch das Ruhrgebiet am 20. Dezember des vergangenen Jahres hierfür ein Beispiel angeführt. Er hat nämlich — in der „Welt" veröffentlicht — ausgeführt:
Ich fand Direktoren, die sich lobend über die Mitbestimmung äußerten, aber um keinen Preis diese ihre Meinung in der Presse sehen wollten.
Meine Damen und Herren, das ist die Abhängigkeit der Einzelpersönlichkeit von der Apparatur dieser großen Organisationen, wo der Einzelmensch mit seiner Meinung nichts bedeutet!
Meine Damen und Herren, ich spreche nicht von dem Kaufmann, ich spreche nicht von dem Techniker, ich spreche nicht von dem Arbeitsdirektor, ich spreche auch nicht nur von Unternehmerorganisationen, sondern ich spreche davon, daß diese Bürokratisierung ein entscheidendes Strukturelement unserer gesamten gesellschaftlichen Ordnung ist und daß wir Wege finden müssen, hier demokratische Auflockerung und demokratische Kontrolleinrichtungen zu schaffen.
Wenn für uns die Mitbestimmung eine Bedeutung hat, dann ist es die, daß im Rahmen der Montanwirtschaft ein erster ernsthafter Versuch gemacht worden ist, zulängliche Voraussetzungen für die Auflockerung der Apparaturen dieser Großunternehmungen durch Elemente der Selbstbestimmung zu schaffen. Ich fühlte mich verpflichtet, das heute hier auszuführen, weil ich nicht möchte, daß diese Debatte über das Mitbestimmungsrecht endet, ohne daß man auch nur einen Hauch davon verspürt, daß es hier um grundlegende Probleme der sozialen Neugestaltung in der Großwirtschaft geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will gerne anerkennen, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten versucht hat, brauchbare Lösungen zu finden. Aber die Begrenztheit dieser Lösungsversuche und der Vorschläge seiner Freunde zeigte doch sehr deutlich, wie eng der Rahmen für eine sozial fortschrittliche Gestaltung der Unternehmensorganisation in diesem Bundestage ist.
Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich unsere Stellungnahme zum Mitbestimmungsgesetz zu sehen. Aus dieser Verantwortung für die soziale Neugestaltung der Wirtschaft haben wir unsere Anträge gestellt. Wir sind nämlich überzeugt, daß wesentlichen Gesichtspunkten, die für diese Aufgabenstellung der Mitbestimmung von Bedeutung sind, durch die jetzige Fassung des Ausschusses nicht Rechnung getragen wird. Wir kennen die Situation im Bundestag heute. Wir sehen daher davon ab, in der dritten Lesung die Anträge, die sämtlich in der zweiten Lesung abgelehnt worden sind, zu wiederholen. Wir wissen auch, welche schwere, folgenreiche Bedeutung es hätte, wenn der Übergangszustand, der Unsicherheitszustand, der an der Ruhr herrscht, weil bisher keine gesetzliche Regelung für die Holding-Gesellschaften getroffen ist, noch weiter andauerte. Wir werden uns daher ungeachtet unserer schweren Bedenken, die ich hier noch einmal zum Ausdruck gebracht habe, der Zustimmung zu diesem Gesetz nicht versagen.