Rede von
Werner
Pusch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Kollege Bender hat es
vorhin für nötig gehalten, sich an meine Fraktion zu wenden, als er einen Ratschlag an die Adresse der Gewerkschaften geben wollte. Er sagte, die Gewerkschaften sollten sich doch mit derselben Kraft für die geistigen Berufe einsetzen, die sie für die Handarbeiter aufgewendet haben. Dazu wäre zweierlei zu sagen. Erstens wäre es notwendig, daß sich die Ingenieure und die anderen Vertreter geistiger Berufe in demselben Maße organisieren, wie es die Handarbeiter getan haben. Zweitens möchte ich dem Herrn Kollegen den Rat geben, sich mit der gleichen Bitte an den Herrn Bundeskanzler zu wenden. Er hat wiederholt energische Hilfe für die geistigen Berufe versprochen. Es wäre nun also an der Zeit, daß diesen Versprechungen Taten folgen.
Wenn der Herr Minister des Innern sagte, daß die Schulbauleistungen, die sehr groß waren, anerkannt werden müßten, so tun wir das um so lieber, als sie ja zum großen Teil in Ländern erfolgt sind, die unter der Führung sozialdemokratischer Politiker gestanden haben.
— Sie wollen das doch wohl nicht bestreiten?
— Ich will damit doch nicht sagen, daß sie nur in solchen Ländern, sondern, daß sie zum großen Teil auch in Ländern gebaut worden sind, wo Sozialdemokraten regiert haben.
Wir teilen uns alle gemeinsam in dieses Verdienst. Anders will ich es nicht verstanden wissen.
Es bleibt aber die Tatsache, daß trotz der Leistungen im Schulbau noch immer ein großer Mangel besteht. Auch die Klassengrößen sind immer noch so, daß ein ersprießlicher Unterricht gefährdet ist.
Wir begrüßen auch, was der Herr Bundesinnenminister darüber sagte, daß man Kontakt mit den ausländischen Studenten suchen soll. Dazu sind Vorschläge gemacht worden, und auch sie laufen letzten Endes darauf hinaus, daß man so etwas organisieren und dafür auch Mittel bereitstellen muß.
Wir freuen uns darüber, daß der Bundestag der Behandlung der hier angesprochenen Probleme nicht mit dem Hinweis ausweichen will, daß die Kultur Ländersache ist; denn auf manchen Gebieten besteht sowieso eine verfassungsmäßige Zuständigkeit, und diese müssen wir wahrnehmen. Wir müssen unsere Aufgaben im Bunde voll erfüllen. Darüber hinaus befreit uns niemand von der Verantwortung, darüber nachzudenken,. wie wir den Ländern helfen können, ihre großen Lasten zu tragen. Das alles kann geschehen, ohne daß man gegen Geist und Wortlaut des Grundgesetzes verstößt.
Der Herr Minister hat einige der Zahlen korrigiert bzw. angezweifelt, die hier von meinem Freund Kahn-Ackermann genannt worden sind. Nun, diese Zahlen stammen zum Teil aus dem letzten Jahrbuch der Bundesregierung, zum Teil aus dem Jahrbuch 1955 des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft. Die Zahlen über Ausländer
in Deutschland stammen aus den Unterlagen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Wir freuen uns jedenfalls, daß wir von dem Herrn Minister die neuesten Zahlen bekommen haben. Wir waren ja darauf angewiesen, die Zahlen zu nehmen, die aus den bisherigen Veröffentlichungen zu erhalten waren.
Wir haben es bedauert, daß der Herr Minister glaubte sagen zu müssen, daß Bauhilfen des Bundes für den Schulhausbau schon aus verfassungsmäßigen Gründen schwierig seien. Wenn man allerdings bedenkt, daß dieses Prinzip schon durchbrochen ist, indem ja Schulen in den Grenz- und Zonenrandgebieten gefördert werden, so können wir nicht recht einsehen, warum man, wenn eine dringende Not vorliegt, nicht auch auf anderen Gebieten Hilfen des Bundes geben sollte. Das Problem ist jedenfalls da, und wir müssen uns damit beschäftigen.
Die Schulraumnot ist in allen Zweigen unseres Schulwesens vorhanden. Sie ist z. B. an den höheren Schulen nicht geringer als bei der Volksschule. Ich habe selber vor drei Jahren noch an einem Gymnasium unterrichtet, in einer Schule, die in vier auseinanderliegenden Gebäuden untergebracht war. Lehrer und Schüler übten sozusagen ihr Gewerbe im Umherziehen aus.
Mehrere Klassen hatten überhaupt keine eigenen Klassenzimmer. Ich will nicht davon reden, daß es an modernen Räumen für Physik, Chemie usw. fehlte, und ich will ganz schweigen von Werkräumen, die eine moderne Pädagogik für unerläßlich hält. Ich habe unterrichtet in einer vierten Klasse, in einer Untertertia, mit über 50 Schülern. Sie wissen, was das heißt. Es bedeutet, daß man schon sehr viel Aufwand braucht, um die äußere Ordnung aufrechtzuerhalten, daß man wenig Gelegenheit hat, den einzelnen Schüler anzusprechen und zu fördern und daß man leider den Lehrplan oft schematisch abarbeiten muß. Man muß oft hinwegsehen über die zahlreichen Lücken, die bei einzelnen Schülern auftauchen, weil nicht die Zeit vorhanden ist, sich jedem zu widmen.
Ich habe vor fünf Jahren Gelegenheit gehabt, Schulen in Schweden zu besichtigen, also in einem kleinen Land, wenigstens nach der Einwohnerzahl. Was ich da gesehen habe, ist so weit entfernt von dem, was wir gewohnt sind, daß ich Ihnen einen kleinen Einblick geben will. Es gab dort Chemiesäle, wo jeder Schüler einen Experimentiertisch hatte, Physikräume mit riesigen Sammlungen modernster Geräte, einen Hörsaal für Geographie und Geschichte, wo man drei Landkarten gleichzeitig aufhängen und rasch wechseln konnte. Außerdem war ein Projektionsapparat vorhanden und die Möglichkeit, Filme vorzuführen. Für den Literaturunterricht und für Schulfeiern war eine Bühne mit Kulissen und allem Zubehör in der Schule vorhanden. Es waren Werkräume da mit Drehbänken für Holz und Metall, eine Schmiede und eine Fülle von Werkzeugen. Es waren auch Küchen da, wo die Buben und die Mädchen kochen lernten, und die Lehrerinnen erzählten uns, daß sich im allgemeinen die Buben dabei sogar geschickter angestellt hätten als die Mädchen.
Vielleicht können unsere maßgebenden Stellen einmal Studienreisen ins Ausland organisieren, um
sich darüber zu unterrichten, was man in der Ausstattung moderner Schulhäuser noch tun könnte. Auf alle Fälle brauchen wir viel mehr Klassenräume und eine bessere Ausstattung unserer Schulhäuser. Ein interfraktioneller Antrag zur Hilfe für den Schulhausbau ist unterwegs. Ich freue mich, daß in diesem Punkte über die Parteien hinweg Einigkeit herrscht. Im übrigen würden kleinere und zahlreichere Klassen auch dazu führen, daß der junge Mensch, der vor der Berufswahl steht, nicht mehr ein Grauen vor dem Beruf des Lehrers und seinen Belastungen hat. Auch von dieser Seite, nicht nur vom Gehalt her, muß man den Nachwuchsmangel im Lehrerberuf bekämpfen.
Was die Berufsschule angeht, so besteht ein besonderes Problem darin, daß das Gros der Lehrlinge im Handwerk ausgebildet wird, daß später aber zwei Drittel dieser Lehrlinge in die Industrie abwandern. Die Lehrlinge bekommen also eine Ausbildung in der Berufsschule, die ihnen später nicht sehr viel nützt.
— Auch der Bau von Berufsschulen ist ein ernstes Problem.
Die Folgerung daraus muß sein, daß die Schulen besser ausgerüstet sind, mehr Material, Maschinen und Geräte haben und so eine umfassende Ausbildung geben können, die auch die spätere Abwanderung in die Industrie berücksichtigt.
Ein großes Problem der Berufsschulen ist der Lehrermangel. Es fehlen heute bei 6 Wochenstunden etwa 20 % der Lehrer. Wenn man auf die erstrebten 12 Wochenstunden kommen wollte, fehlen 50 %. Es wäre zu überlegen, wie man einen Anreiz schaffen kann, diesen Beruf zu ergreifen. Ausbildungshilfe, gute Bezahlung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen wären hier nötig. Das alles bedeutet natürlich eine große Belastung für die Länder, und es ist unsere Aufgabe, uns zu überlegen, wie wir auf dem einen oder dem anderen Gebiet den Ländern helfen können.
Die Begabtenförderung, die heute schon mehrfach angesprochen wurde, muß schon vor dem Besuch der Hochschule beginnen. Wirtschaft und Verwaltung — das wurde bereits gesagt — haben einen großen Bedarf an qualifizierten Kräften. Wir müssen deshalb schon unter den Kindern Ausschau halten und müssen sie mit allen Mitteln fördern, damit nicht ungünstige äußere Umstände ihre Ausbildung unmöglich machen.
Es ist bekannt, daß nur ein Bruchteil der Schüler der höheren Schulen die Schule ganz durchläuft. Von etwa 130 000, die eintreten, machen nur etwa 25 000 das Abitur; das sind 20 %. Auch hier sollte in allen Fällen geholfen werden, wo aus materiellen Gründen, aus Geldmangel, die Schullaufbahn vorzeitig abgebrochen werden muß. Es gibt viele solcher Fälle — mir selber sind solche bekannt —, wo hochbegabte Schüler das Abitur nicht machen konnten, weil die wirtschaftliche Lage der Eltern es nicht zuließ. Wir können uns das nicht leisten. Ein Schüler der höheren Schule kostet den Steuerzahler fast 1000 DM im Jahr.
Wir verschleudern also unser Geld, wenn wir nicht mit allen Kräften dafür sorgen, daß die Ausbildung eines begabten Kindes auch zu Ende geführt wird. Die Mittel für die Begabtenförderung stammen nicht alle aus den Länderhaushalten, sondern es sind zum Teil auch Bundesmittel darunter; insofern geht auch uns das Problem etwas an. Wir sind der Meinung, daß die aufgewendeten Mittel vervielfacht werden müßten.
Die Konferenz in Bad Honnef im Oktober des vorigen Jahres hat die Maßnahmen zur Studentenförderung kritisiert und festgestellt, daß keine gerechten allgemeinen Maßstäbe angelegt werden, daß 17 verschiedene Stellen die Anträge entgegennehmen und vieles andere, unter anderem auch — das ist wichtig —, daß die Bedürftigkeitsgrenze zu niedrig angesetzt ist. Es sind also auch hier wesentlich erhöhte Geldmittel notwendig. Bedenken Sie bitte, daß die Vereinigten Staaten 56 Dollar pro Kopf und Jahr für das öffentliche Bildungswesen ausgeben, während es bei der Bundesrepublik nur etwa 16 Dollar sind.
Was das Studium von Ausländern in der Bundesrepublik angeht, so hat die Evangelische Akademie in Bad Boll beherzigenswerte Empfehlungen veröffentlicht. Darin heißt es z. B., daß die erhöhten Studiengebühren für Ausländer vielfach als eine Ungerechtigkeit empfunden werden, daß man den ausländischen Studenten bei der Bücherbeschaffung helfen müßte und daß man auch dafür sorgen müßte, daß sie nach dem Kolleg mit Assistenten sprechen können, weil sie manchmal doch sprachliche Schwierigkeiten haben. Unter Punkt 11 dieser Empfehlungen aus Bad Boll heißt es wieder: Es sind mehr Geldmittel nötig.
Sie fragen uns vielleicht, wie das alles bezahlt werden soll, wie wir dieser Forderung nach mehr Geldmitteln für alle Gebiete nachkommen wollen. Meine Freunde und ich sehen da keine so sehr große Schwierigkeit. Wir sind jederzeit bereit, den Wehretat um die notwendigen Mittel zu kürzen.
Um von der Größenordnung einen Begriff zu geben, möchte ich Ihnen sagen: Ein Student kostet die Öffentlichkeit pro Jahr 1800 DM; ein Soldat soll nach den vorliegenden Plänen den Staat 18 000 DM kosten.
Eine weitere Frage, die in der Großen Anfrage angeschnitten ist, betrifft die politische Bildung. Es genügt nicht, daß wir junge Menschen zu qualifizierten Fachleuten mit großem Wissen erziehen. Letzten Endes bleibt der Staat davon abhängig, daß seine Bürger verantwortungsbewußt und treu zu ihm halten. Krisen sind immer möglich. Wie sie überwunden werden, hängt von dem politischen Bewußtsein der Bürger ab. Es muß ein rechtes Maß zwischen Gesinnung und Wissen gefunden werden. Gesinnung ohne Wissen neigt zum Fanatismus, Wissen ohne Gesinnung birgt die Gefahr einer asozialen Haltung in sich. Die Schulen müssen zur politischen Bildung entscheidend beitragen. Es ist mitunter zu spüren, daß sich die Berufskollegen nicht gern dem Fach der politischen Bildung zuwenden. Das ist eine Folge der Entnazifizierung, zum Teil aber auch eine, die auf ältere Vorgänge der deutschen Geschichte zurückgeht. Man könnte sagen, daß einem früheren Obrigkeitsstaat der
Untertanengeist und der Mangel an Zivilcourage gegenüberstehen.
— Ich komme gleich darauf.
Es muß also, wie wir alle einstimmig glauben, etwas Besonderes getan werden, um die staatsbürgerliche Gesinnung zu fördern. Die Rektorenkonferenz hat empfohlen, Lehrstühle für die Wissenschaft von der Politik zu errichten. Da die Förderung der wissenschaftlichen Forschung nach Art 74 des Grundgesetzes dem Bund zusteht, ist hier wieder ein Gebiet, auf dem der Bund tätig werden kann. Denn von den Universitäten über die Lehrerbildungsanstalten über die Schulen geht der Weg der politischen Erziehung. Wir sind der Meinung, daß auch an den Hochschulen für Lehrerbildung die politische Bildung zum ordentlichen Lehrfach erhoben werden sollte. Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen hat einmal festgestellt, daß sich die Schule noch nicht aus den alten obrigkeitsstaatlichen Formen gelöst habe. Sorgen wir dafür, daß das recht bald geschieht. Und wenn wir einige Zeit, einige Jahrzehnte friedlicher Entwicklung und ruhiger Erziehungsarbeit vor uns haben, erreichen wir es vielleicht doch, daß wir eines Tages zu einem wirklichen Volk von Staatsbürgern werden.