Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 18. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Lange , Schriftführer: Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Erler für sechs Wochen, Frau Dr. Kuchtner für sechs Wochen, Vizepräsident Dr. Schmid für fünf Wochen, Dr. Böhm (Frankfurt) für fünf Wochen, alle wegen dienstlicher Inanspruchnahme; Dr. Baade für fünf Wochen, Dr. Maier (Stuttgart) für zwei Wochen, Frau Beyer (Frankfurt) für zwei Wochen und Voß für zwei Wochen wegen Krankheit.
Ich unterstelle, meine Damen und Herren, daß der Urlaub genehmigt ist.
Lange , Schriftführer: Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Ollenhauer, Franke, Diekmann, Hilbert und Wagner (Ludwigshafen). Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Bausch, Lulay, Gockeln, Dr. Orth, Caspers und Brockmann (Rinkerode).
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung
haben wir des Todes eines Abgeordneten zu gedenken. Am 7. März ist nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren der Bundestagsabgeordnete und das Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses, Herr Ernst Winter, verstorben. Er ist am 13. August 1888 in Aerzen bei Hameln geboren, arbeitete zunächst im Ruhrgebiet, ging dann nach Hannover und war dort in der Gewerkschaft und in der Sozialdemokratischen Partei tätig. Von 1920 bis 1929 war er Betriebsratsvorsitzender in der Hanomag. Dann wurde er Sekretär des Deutschen Metallarbeiterverbandes und wurde während der Hitlerzeit aus diesem Amte entlassen. Er ist dann Handelsvertreter gewesen, 1945 wieder Betriebsratsvorsitzender der Hanomag geworden und hat gleichzeitig seine Tätigkeit in der SPD
und der Gewerkschaft wieder aufgenommen. Er hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Hanomag nicht demontiert wurde und weiterarbeiten durfte. Nach dem Tode von Dr. Kurt Schumacher ist er als Abgeordneter des Wahlkreises Stadt Hannover in den 1. Deutschen Bundestag gewählt worden; in den 2. Deutschen Bundestag ist er über die Landesergänzungsliste Niedersachsen gewählt worden.
Meine Damen und Herren, wir gedenken auch dieses Kollegen, der in langer Krankheit bis zu seinem Tode viel Not erlitten hat, herzlich und sprechen seinen Angehörigen und seiner Fraktion unser aufrichtiges Beileid aus. — Sie haben sich zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe Geburtstagsglückwünsche auszusprechen zum 65. Geburtstag am 7. März dem Herrn Abgeordneten Dr. Baron Manteuffel-Szoege,
zum 64. Geburtstag am 8. März dem Herrn Abgeordneten Albers
und zum 60. Geburtstag am 28. Februar dem Herrn Abgeordneten Wagner .
Ich habe bekanntzugeben, daß der Bundesrat in seiner Sitzung vom 19. Februar gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wiederholt zu einigen Vorlagen Stellung genommen hat, deren erster Durchgang beim Bundesrat vor dem September 1953 lag. Ich verweise auf die Ihnen vorliegende Drucksache 307. Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung wird mit Ausnahme des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den vier Genfer RotkreuzAbkommen vom 12. August 1949, dessen erste Beratung von der Tagesordnung der 10. Sitzung abgesetzt wurde, von einer erneuten ersten Lesung dieser Vorlagen im 2. Bundestag Abstand genommen. — Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Regelung, die das Verfahren vereinfacht, einverstanden ist.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. Februar 1954 die Kleine Anfrage 32 der Fraktion der SPD betreffend Nachuntersuchung von Kriegsbeschädigten des ersten Weltkrieges — Drucksache 249 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 297 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 6. März 1954 die Kleine Anfrage 31 der Abgeordneten Kahn, Höcherl und Genossen betreffend Wiederinstandsetzung besatzungsgeschädigter Hotels in Ostbayern — Drucksache 262 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 308 vervielfältigt.
Die Fraktion der FDP hat unter dem 4. Februar 1954 ihren Antrag betreffend Freifahrten für Spätheimkehrer — Drucksache 41 — zurückgezogen.
Ich rufe dann auf den Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Wir beginnen sie um 9 Uhr 10. Ich weise darauf hin, daß die heute nicht erledigten Fragen in der für morgen angesetzten Fragestunde behandelt werden.
Zur Frage 1 Herr Abgeordneter Dr. Rinke. Bitte schön!
Was ist von der Bundesregierung getan worden, um die deutsche Öffentlichkeit auf die irreführende Bezeichnung „Ostzone" für die sowjetische Besatzungszone Deutschlands hinzuweisen? Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um in Zukunft solchen Hinweisen breiteste Wirkung zu verschaffen?
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich begrüße diese Anfrage des Kollegen Dr. Rinke. Dadurch ist mir die Möglichkeit gegeben, auch vor dem Deutschen Bundestag zum Ausdruck zu bringen, für wie wichtig ich eine zutreffende Bezeichnung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands halte.
Bereits im April 1950 hat sich das Kabinett auf Grund einer Vorlage des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen mit der Bezeichnung der Sowjetzone Deutschlands beschäftigt. Der deutschen Öffentlichkeit muß bewußt bleiben, daß nicht die Sowjetzone der Osten Deutschlands ist. Spricht man von „deutschen Ostgebieten", so kann man nur an das deutsche Land jenseits der Oder und Neiße denken.
Die „sowjetische Besatzungszone" ist Mitteldeutschland. Deshalb ist es sachlich und ist es politisch unrichtig, dieses Gebiet als „Ostzone" zu bezeichnen.
Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hat in den vergangenen Jahren wiederholt Gelegenheit genommen, auf die Notwendigkeit der richtigen Bezeichnung des sowjetischen Besatzungsgebiets hinzuweisen. Im Dezember 1952 ist das Bundesministerium des Innern gebeten worden, einen Runderlaß an die Länder herauszugeben. Diese haben sich ihrerseits aufklärend an alle nachgeordneten und sonstigen Dienststellen gewandt. Durch diese Bemühungen ist erreicht worden, daß im Amtssprachgebrauch die Bezeichnung „Ostzone" immer mehr zurückgetreten ist.
Auch die Bevölkerung selbst ist fortlaufend angesprochen worden, insbesondere auch über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen selbst verwendet in allen seinen Veröffentlichungen seit Jahren nur die Bezeichnung „Sowjetzone" oder ,,sowjetisch besetzte Zone Deutschlands" und übt dadurch entsprechenden Einfluß auf die Öffentlichkeit aus.
Wir haben auch in zahllosen Einzelfällen, im mündlichen und im schriftlichen Verkehr mit Organisationen, Einzelpersonen, bei Lehrgängen usw. jede Gelegenheit benutzt, um auf die richtige Bezeichnung hinzuwirken. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen wird fortfahren, auf die Bezeichnung „Sowjetzone Deutschlands" oder „sowjetisch besetzte Zone Deutschlands" an Stelle des Begriffes „Ostzone" zu drängen.
Auch die Jugend muß noch eingehender aufgeklärt werden. Ich kann nur wünschen, daß die Bezeichnungen für die einzelnen Gebiete Deutschlands, die noch getrennt voneinander gehalten werden, mit Sorgfalt und Genauigkeit angewandt werden. Durch zutreffende und durch anschauliche Bezeichnungen müssen der Welt und unserem Volk die Zerrissenheit unseres Landes und der Wille zu seiner Wiedervereinigung zum Ausdruck gebracht werden.
Damit ist die zweite Frage meines Erachtens noch nicht hinreichend beantwortet:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um in Zukunft solchen Hinweisen breiteste Wirkung zu verschaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, ich habe schon genügend deutlich zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Rinke: ich werde im Sinne meiner Erklärung weiter wirken, auch hier im Hause.
Damit ist Frage 1 erledigt.
Die Fragen 2 und 3 sind zurückgezogen worden. Zur Frage 4 Herr Abgeordneter Walter!
Ich frage:
Ist die Bundesregierung bereit, die Arbeitsbehörden der Länder anzuweisen, daß eine fachärztliche Untersuchung zum Zwecke der Feststellung einer Erwerbsminderung bei Rentenempfängern über 65 Jahre nicht mehr vorgenommen wird?
Der Herr Bundesminister für Arbeit!
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten folgendes sagen: In den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen" ist unter B Nr. 25 gesagt:
Beschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, werden im allgemeinen von Amts wegen nicht mehr nachuntersucht.
Das ist eine ganz klare Anweisung, die nach draußen gegangen ist. Wenn es jetzt Beschädigte gibt, die ihre Beschädigung im zweiten Weltkrieg erlitten haben und deren Akten noch kein ärztliches Formular enthalten — wie das in der überstürzten Form der Erledigung der Anträge in Bayern teilweise vorgekommen ist —, muß zur Vervollständigung der Akten diese ärztliche Untersuchung jetzt allerdings vorgenommen und muß der ärztliche Fragebogen nachträglich in die Akten eingefügt werden.
Mir ist mitgeteilt worden, daß Beschädigte von vor dem ersten Weltkrieg noch immer nachuntersucht werden. Ist die Bundesregierung bereit, solche Fälle, wenn sie eingetreten sind, zu bereinigen und den Arbeitsbehörden die entsprechenden Anweisungen zu geben?
Ich wäre dem Herrn Abgeordneten sehr dankbar, wenn er mir einen oder zwei konkrete Fälle mitteilte, damit ich die Akten prüfen und mich auf Grund der Prüfungsergebnisse an die Landesbehörden wenden kann.
Das wird umgehend geschehen. Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. Zu Frage 5 Herr Abgeordneter Freidhof!
Ich frage den Herrn Bundesminister für Arbeit:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Krankenkassen der Sowjetzone ein gegenseitiges Abkommen zu treffen, daß die §§ 219, 220 der Reichsversicherungsordnung wieder in Kraft gesetzt werden können?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte!
Zwischen der Ostzone und der Bundesrepublik — —
Zwischen der Sowjetzone und der Bundesrepublik ist ein Abkommen hinsichtlich der Sozialversicherung leider nicht abgeschlossen worden. Die Bundesregierung sieht auch keine Möglichkeit, mit den dortigen Versicherungsträgern in irgendeine Verhandlung zu kommen. Ich muß Ihnen deshalb leider sagen, daß ich für die nächste Zukunft keine Möglichkeit für derartige Abkommen sehe.
Eine Zusatzfrage: Ist die Bundesregierung bereit, für kranke Personen aus der Sowjetzone, die sich gegenwärtig in der Bundesrepublik aufhalten, eine entsprechende Unterstützung zu gewähren?
Soweit die Leute als Flüchtlinge zu uns kommen, haben sie
3) ja den Flüchtlingsschutz. Diejenigen, die — daran denken Sie wahrscheinlich — aus familiären Gründen zu uns herüberkommen, werden im allgemeinen über die Wohlfahrtsbehörden ausreichend versorgt.
Die Frage ist erledigt. Zu Frage 6 Herr Abgeordneter Ritzel!
Ich frage den Herrn Bundespostminister:
Sind der Deutschen Bundespost die für die Kunden der Post sehr angenehmen Streifbänder mit eingedruckten Marken für den Versand von Drucksachen sowie Zehnerblocks mit Postkarten bekannt, wie sie von der schweizerischen Bundespost ohne Zuschlag ausgegeben werden?
Aus welchen Gründen hat die Deutsche Bundespost von dieser vorbildlichen Einrichtung bisher keinen Gebrauch gemacht?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erwähnte Einrichtung in der Schweiz bezieht sich nur auf Streifbänder zu 5 Rappen und auf Postkarten. Die Bundespost hat abgesehen von den mit Wertaufdruck ohne Aufschlag lieferbaren Postkarten über die schweizerische Einrichtung hinaus noch größere Möglichkeiten für die Kundschaft. Diese Einrichtungen sind in der Postordnung Anlage 39 aufgeführt. Sie bezieht sich auf die Bedingungen für das Aufdrucken von Postwertstempeln auf Postkarten, Briefumschläge, Kartenbriefe, Streifbänder und Drucksachenkarten. Allerdings berechnet die Bundesdruckerei für derartige Aufträge die Druckkosten. Für die Kunden der Bundespost dürfte diese Einrichtung keine große Bedeutung mehr haben, weil nach den Wertstempeln die sogenannten Freistempler eingeführt wurden. Mit dieser Einrichtung wird das angeschnittene Problem für den Absender wirtschaftlicher gelöst. Nach Kenntnis der Bundespost besteht ein Interesse für die Wertstempelaufdrucke hauptsächlich bei Philatelisten, insbesondere den Ganzsachensammlern. Die Einrichtung für den Wertstempelaufdruck steht jedenfalls den Postkunden zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage, bitte! Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte schön.
Da die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, daß nicht die Briefmarkensammler an Einrichtungen wie solchen Streifbändern interessiert sind, sondern die Masse der Postkunden, frage ich den Herrn Bundesminister, wann die Post bereit ist, in gleicher kostenloser Weise von den Einrichtungen und Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die der Herr Bundespostminister hier selbst als gegeben bezeichnet. Es kommt entscheidend darauf an, daß die Masse der Kunden so bedient wird, daß sie in der Lage ist, eine derartige Einrichtung Tag um Tag, und zwar zehntausendfach. benutzen zu können. Wann darf damit gerechnet werden, daß die Post aus den schweizerischen Erfahrungen lernt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Möglichkeit für die Postkundschaft, diese Einrichtung zu benutzen, ist gegeben. Ich habe hier Zahlen über die Benutzung dieser Einrichtung. Im Höchstfall ist im vorigen Jahr ein Auftrag über 4000 Stück erteilt worden. Das Bedürfnis scheint eben wegen der Freistempler tatsächlich bei der Postkundschaft nicht sehr groß zu sein.
Eine zweite Zusatzfrage! Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
Ist dem Herrn Postminister bekannt, daß es hier in den breiten Massen d :s Volkes unbekannt ist, daß eine solche Einrichtung überhaupt besteht, und daß sie erst geliefert werden kann, wenn sie extra bestellt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe auf Grund Ihrer Anfrage Veranlassung genommen, die Kunden der Post noch einmal in geeigneter Weise auf diese bestehende Einrichtung hinzuweisen.
Ich danke sehr!
Damit ist die Frage 6 erledigt.
Zur Frage 7 Herr Abgeordneter Dr. Brühler.
Ich frage den Herrn Bundesjustizminister:
Wann beabsichtigt der Herr Bundesminister der Justiz den im November 1951 vom Deutschen Autorenverband erbetenen Gesetzentwurf zur Reform des Urheberrechts, der nach
den Angaben des Bundesjustizministeriums im Laufe des Sommers 1952 veröffentlicht werden sollte, beim Bundestag einzubringen?
Der Herr Bundesminister der Justiz, bitte!
Der Entwurf wird voraussichtlich im März 1955 dem Bundestag vorgelegt werden.
Keine Zusatzfrage; offenbar ist die Frage damit erledigt.
Ist dem Herrn Bundesminister für Arbeit bekannt, daß zur Geltendmachung ihrer Entschädigungsansprüche nach Deutschland zurückkommende Deutsche, die während des „Dritten Reiches" ins Ausland gegangen waren, beim Arbeitsamt keine Stelle erhalten, sobald sie über 40 Jahre alt sind? Können diese Heimkehrer bevorzugt behandelt werden, um auch noch in fortgeschrittenem Alter Stellungen zu erhalten?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte!
Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 haben sowohl die Besatzungsmächte als auch die Länder in der Bundesrepublik Anordnungen getroffen, die den Arbeitsämtern die bevorzugte Arbeitsvermittlung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zur besonderen Pflicht auferlegt haben. Diese Vorschriften gelten heute noch.
Eine Zusatzfrage! Kann das Arbeitsministerium irgend etwas dazu beitragen, daß die Arbeitsämter diese Vorschrift wirklich befolgen?
Wenn Sie mir irgendwelche Einzelfälle mitteilen, kann ich mich natürlich mit dem Herrn Präsidenten der Bundesanstalt in Verbindung setzen und ihm an Hand der Unterlagen für einen Fall die Frage vorlegen, warum diese Anordnungen, die heute noch für ihn bindend sind, nicht durchgeführt werden.
Danke schön!
Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. von Buchka.
Beabsichtigt die Bundesregierung, in verstärktem Ausmaße Zuschüsse oder Darlehen zu geben, um Altwohnungen vor endgültigem Verfall zu bewahren?
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Die Erhaltung des Wohnungsbestandes durch Förderung von Instandsetzungsmaßnahmen gehört nach wie vor zur wohnungspolitischen Zielsetzung der Bundesregierung. Erst vor etwa zehn Tagen sind noch aus Haushaltsmitteln des Jahres 1953
weitere 32 Millionen D-Mark für diese Zwecke an. die Länder verteilt worden. Damit sind seit 1952 jetzt 72 Millionen D-Mark an Bundesmitteln eingesetzt worden, die zusammen mit den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Landesmitteln und Mitteln des freien Kapitalmarktes nicht unerhebliche Instandsetzungsmaßnahmen haben durchführen lassen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin für die Bereitstellung von Bundesmitteln sorgen, solange nicht durch eine zusätzliche Möglichkeit der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Altbestandes eine stärkere Instandsetzungsaktion gefördert werden kann. Aus dem Haushalt 1954, der Ihnen zur Beratung vorliegt, sollen weitere 17 Millionen D-Mark für die Instandsetzung von Wohngebäuden vorgesehen werden.
Dr. von Buchka Eine Zusatzfrage. Liegen bereits Erfahrungen über die Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen vor?
Die Erfahrungen sind etwas unterschiedlich, da je nach dem gewählten Verfahren, in dem die einzelnen Länder völlig frei waren, ein schnellerer oder langsamerer Abfluß der Mittel vor sich gegangen ist. Die Maßnahmen sind in den Ländern, in denen sich ein langsamerer Abfluß infolge zu hoher Sicherheitsforderungen eingestellt hatte, in der letzten Zeit verbessert worden.
Danke sehr. Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
Zur Frage 10 ebenfalls Herr Abgeordneter Dr. von Buchka.
Was ist der Bundesregierung über das Schicksal der Insassen des Zuchthauses Waldheim bekannt, und welche Möglichkeiten sieht sie, ihnen zu helfen?
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Zuchthaus Waldheim in der Sowjetzone ist im Jahre 1950 durch die Verurteilung von rund 3500 Deutschen aus den ehemaligen sowjetischen Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen zu einer unsagbar traurigen Berühmtheit gelangt. Auf Grund eines Erlasses des Leiters der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, General Tschuikow, vom 14. Januar 1950 sind diese Deutschen damals in völlig unzulänglichen Gerichtsverfahren von den Strafkammern des Landgerichts Chemnitz ohne individuellen Schuldnachweis, zumeist wegen angeblicher Kollektivschuld, zu Zuchthausstrafen zwischen 6 und 25 Jahren oder zum Tode verurteilt worden. 28 dieser Verurteilten sollen hingerichtet sein.
Der Bundesregierung liegen eingehende Berichte über diese Verfahren vor, die zwei in die Bundesrepublik geflohene Protokollantinnen erstattet haben. Sie sind in der Schrift des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen „Unrecht als System" auf Seite 67 veröffentlicht.
Die Bundesregierung ist zwar nicht im einzelnen über das Schicksal der Verurteilten von Waldheim unterrichtet. Sie kennt aber das Leid und die
Not, in denen sich diese Gefangenen seit 1950 befunden haben und zum Teil noch befinden.
Der Bundesregierung liegen mehrere eingehende Berichte darüber vor. Nachdem erstmals im Frühjahr und Sommer 1952 einige wenige dieser Häftlinge auf Grund von sogenannten Gnadenerlassen aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen worden waren, erlangten im Herbst 1952 auf Grund der sowjetzonalen Amnestie vom 7. Oktober 1952 rund 1200 Verurteilte die Freiheit. Seitdem sind weitere Entlassungen nicht erfolgt.
Bereits unter dem 4. September 1950 haben der Bundesminister der Justiz und der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen eine gemeinsame Erklärung zu den Waldheim-Prozessen abgegeben. In dieser Erklärung ist festgestellt, daß die Verurteilungen durch die Strafkammern des Landgerichts in Chemnitz gegen die Kontrollratsproklamation Nr. 3 und gegen Art. 134 der sowjetzonalen Verfassung verstoßen. Es ist bekannt, daß den Angeklagten weder Wahlverteidiger noch ausreichendes rechtliches Gehör zugestanden worden sind. Die Urteile waren weitgehend schon vor der Verhandlung festgelegt. Sie sind deshalb als Nicht-Urteile anzusehen. Dies gilt, wie in einer weiteren gemeinsamen Erklärung vom 8. November 1952 festgestellt worden ist, auch für die Urteile, die gegen die ursprünglich nicht verhandlungsfähigen 30 Häftlinge im Juni 1952 ergangen sind.
Die Bundesregierung hat wiederholt die Alliierte Hohe Kommission auf den Ernst des Problems der politischen Häftlinge in der sowjetischen Besatzungszone hingewiesen. In dieser Hinsicht wird auf die Note des Herrn Bundeskanzlers an den geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten ) Hohen Kommission vom 18. August 1953 Bezug genommen. In dieser Note wurde die Alliierte Hohe Kommission gebeten, bei den sowjetischen Besatzungsbehörden auf eine grundsätzliche Überprüfung der gegen die politischen Häftlinge ergangenen Urteile hinzuwirken. Die Alliierte Hohe Kommission hat ihrerseits die Bundesregierung davon in Kenntnis gesetzt, daß die drei Hohen Kommissare mehrfach in dieser Richtung bei der sowjetischen Hohen Kommission vorstellig geworden sind.
Die Bundesregierung widmet der Not der Gefangenen von Waldheim ihre besondere Aufmerksamkeit. Für deren Angehörige im Bundesgebiet gilt das Gesetz über die Unterhaltshilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 30. April 1952. Damit sind sie den Angehörigen von Kriegsgefangenen gleichgestellt.
Angaben über Maßnahmen zugunsten der Häftlinge in Waldheim glaubt die Bundesregierung insbesondere mit Rücksicht auf die noch in Waldheim Inhaftierten nicht machen zu können. Der Bundestag darf aber überzeugt sein, daß alles getan wird, um das Los der Gefangenen zu erleichtern und ihre Freilassung zu erwirken.
Meine Damen und Herren! Es kann kein Zweifel bestehen, daß die willkürliche Freiheitsberaubung in der Sowjetzone mit zu den schwersten Belastungen der 18 Millionen gehört. Die sowjetische Besatzungsmacht hat zwar eine Teilamnestie erlassen; wir können nur hoffen, daß die Freilassung raschestens auf alle Gefangenen ausgedehnt wird. Das sollte sich insbesondere auch das sowjetzonale System sagen lassen: Es wirkt ja geradezu als Hohn, wenn dort von gesamtdeutschen Komitees, z. B. für kulturelle Beziehungen,
geredet wird, während Tausende von Deutschen widerrechtlich in Zuchthäusern und in Lagern gefangengehalten werden. Kultur beginnt bei Recht und bei Gerechtigkeit.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen? Ist ungefähr zu übersehen, wie groß die Zahl derer ist, die zur Zeit noch im Zuchthaus Waldheim festgehalten werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine genaue Angabe darüber sind wir leider nicht zu geben in der Lage.
Danke sehr.
Damit ist die Frage 10 erledigt.
Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Welskop.
Ich frage den Herrn Bundesjustizminister:
Wann gedenkt die Bundesregierung die Bundesrechtsanwaltsordnung einzubringen?
Der Herr Bundesminister der Justiz!
Ich hoffe, die Bundesrechtsanwaltsordnung im Entwurf dem Kabinett Anfang April vorlegen zu können.
Danke sehr. Präsident D. Dr. Ehlers: Keine Zusatzfrage.
Zur Frage 12 ebenfalls Herr Abgeordneter Dr. Welskop.
Ich frage den Herrn Bundesjustizminister:
Wann gedenkt die Bundesregierung ein Gesetz über die Altersversorgung der Rechtsanwälte einzubringen?
Hierzu darf ich folgendes bemerken. Bereits dem ersten Bundestag lag ein Initiativantrag Drucksache Nr. 3966 vor. Dieser Entwurf konnte in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht verabschiedet werden, zumal die ersten Beratungen im Ausschuß für Geld und Kredit und auch im Rechtsausschuß erkennen ließen, daß der Entwurf doch einer wesentlichen Umgestaltung bedurfte. Das Bundesjustizministerium hat es nun übernommen, einen neuen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Diese Arbeiten sind sogleich in Angriff genommen worden. Sie können naturgemäß nur in engem Zusammenwirken mit den Vertretungen der Anwaltschaft durchgeführt werden. Das Bundesjustizministerium steht deshalb in ständiger Verbindung mit der Kommission für die Altersversorgung, die die Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet und der Deutsche Anwaltverein gebildet haben und die bereits sehr wertvolle Vorarbeiten geleistet und wichtiges Material zusammengetragen hat. Diese Kommission hat inzwischen weitere Ermittlungen über die Altersschichtung und die Einkommensverhältnisse der Rechtsanwälte durchgeführt. Es hat sich gezeigt, daß die bisherigen Unterlagen noch keine zuverlässige2.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 15. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 623
Grundlage für die Beurteilung der grundsätzlichen Frage bilden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beiträge zur Altersversorgung in einer für den einzelnen Rechtsanwalt erträglichen Höhe gehalten werden können. Die Kommission hat vor kurzem einen Vorentwurf fertiggestellt und der Arbeitsgemeinschaft der Kammervorstände zugeleitet. Die Arbeitsgemeinschaft wird über diesen Vorentwurf auf ihrer nächsten Sitzung vom 11. bis 13. März voraussichtlich Beschluß fassen. Der Entwurf wird dann dem Bundesjustizministerium zugeleitet werden. Die Prüfung der allerdings sehr schwierigen verfassungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Fragen, welche die geplante Regelung aufwirft, wird beschleunigt zu Ende geführt werden. Dann soll den gesetzgebenden Körperschaften ein Entwurf möglichst bald zugeleitet werden. Einen Zeitpunkt hierfür kann ich allerdings bei der Schwierigkeit der Materie im Augenblick noch nicht mit Sicherheit in Aussicht stellen.
Ich danke sehr. Keine Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, die Fragen 13, 19 und 34 können heute und morgen leider nicht beantwortet werden, da der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erkrankt ist und der Herr Staatssekretär auch nicht zur Verfügung stehen kann.
Zur Frage 14 Herr Abgeordneter Dr. Preller!
Ich frage den Herrn Bundesarbeitsminister:
Ist es zutreffend, daß an Arbeitskräften, die im Kasseler Gebiet beheimatet sind, für das Bundesarbeitsgericht lediglich ein Kassenangestellter und eine Stenotypistin, also zwei von insgesamt vierundzwanzig vorgesehenen Kräften, und für das Bundessozialgericht lediglich ein Schwerbeschädigter und eine Stenotypistin, also ebenfalls zwei von hier einundfünfzig vorgesehenen Arbeitskräften, sowie gegebenenfalls noch ein Blinder als Telefonist für beide Gerichte eingestellt werden sollen?
Was gedenkt der Herr Bundesminister für Arbeit zu tun, um den begreiflichen Wunsch der Kasseler Bevölkerung zu erfüllen, aus diesem von Arbeitslosigkeit bekanntlich stark betroffenen Gebiet anteilig mehr Arbeitskräfte bei den beiden Gerichten angestellt zu sehen?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte!
Herr Professor, zur Zeit werden in Kassel als Vortrupp für die beiden obersten Gerichte insgesamt 14 Personen beschäftigt. Davon sind gut die Hälfte Beamte, die nach Kassel versetzt worden sind oder wenigstens vorübergehend dort Dienst tun. Von den Angestellten sind zwei von auswärts zugezogen, und die anderen sind aus dem Kasseler Raum. Wir haben die ausdrückliche Anweisung gegeben, für die Beschaffung der Arbeitskräfte für das oberste Arbeits- und für das oberste Sozialgericht sich mit dem Kasseler Arbeitsamt in Verbindung zu setzen. Wir haben alle Bewerbungen von Angestellten und Arbeitern, die von auswärts bei uns eingegangen sind, zurückgewiesen und haben erklärt, daß wir diese Menschen, soweit das möglich ist, aus dem Kasseler Raum zu nehmen gedenken.
Ich danke sehr. Darf ich zusätzlich nur noch fragen: Können Sie bereits eine Angabe machen, bis wann etwa der Aufbau der beiden Gerichte so vollendet ist, daß mit der Einstellung der übrigen Arbeitnehmer gerechnet werden kann?
Das oberste Arbeitsgericht wird Anfang nächsten Monats in einer feierlichen Sitzung eröffnet werden. Es ist ganz klar, daß im Anschluß daran dieses oberste Arbeitsgericht seine Arbeit in vollem Umfange aufnimmt. Daß natürlich der organisatorische Aufbau noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wissen wir alle. Vor allen Dingen muß sehr darauf gesehen werden, daß dort die Kräfte eingestellt werden, die auch in der Lage sind, die Arbeit bei einem obersten Gericht zu verrichten.
Soweit das oberste Sozialgericht in Frage kommt, werden wir uns in sehr kurzer Zeit im Richterwahlausschuß mit der Wahl der Richter zu beschäftigen haben. Dann werden wir in der schnellstmöglichen Form auch dieses oberste Sozialgericht wirksam werden lassen.
Ich danke sehr!
Meine Damen und Herren! Darf ich nur den Vorschlag machen, daß wir uns auch in dieser Frage der Terminologie des Grundgesetzes anschließen. Es gibt nach Art. 95 nur ein Oberstes Bundesgericht; das existiert noch nicht. Im übrigen gibt es obere Bundesgerichte. Ich wäre dankbar, wenn wir diese Ausdrücke — damit in der Öffentlichkeit keine Mißverständnisse entstehen — auch hier verwendeten.
Zur Frage 15 Herr Abgeordneter Dr. Höck.
Ich möchte den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen fragen:
Gedenkt der Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen, die drei Fernsprechortsnetze der Stadt Salzgitter im Sinne des Beschlusses des 1. Deutschen Bundestages vom 28. Juli 1950 betr. Watenstedt-Salzgitter zu einem Ortsnetz zusammenzufassen, oder beabsichtigt er, die Ortsgesprächsgebühr für das gesamte Stadtgebiet als Ausnahmeregelung nach dem 1. Juni 1954 einzuräumen?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Problem ist sowohl durch diese Anfrage wie durch eine Vorstellung des Herrn Oberbürgermeisters der Gemeinde Watenstedt-Salzgitter an das Bundespostministerium erneut herangetragen worden. Eine eingehende Nachprüfung der Verhältnisse hat folgendes ergeben.
Der 1. Deutsche Bundestag hat in seiner 81. Sitzung am 28. Juli 1950 gemäß Punkt 4 des Antrags des Ausschusses für Wirtschaftspolitik unter anderem beschlossen, „das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen zu beauftragen, das Fernmeldewesen im gesamten Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter einheitlich zusammenzufassen".
Das Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter wurde am 1. April 1942 aus 29 selbständigen, örtlich nicht zusammenhängenden Gemeinden der Kreise Wolfenbüttel und Goslar gebildet. Es besitzt eine Größe von 209 qkm mit zur Zeit rund 100 000 Einwohnern. In diesem Gebiet befanden sich zur Zeit des Beschlusses des ersten Deutschen Bundestages 7 Fernsprechvermittlungsstellen mit nicht ganz 2 000 Fernsprechteilnehmern, das entspricht zwei Hauptanschlüssen auf je 100 Einwohner und 9,6 Hauptanschlüssen auf 1 qkm. Beide Zahlen liegen unter dem Bundesdurchschnitt und beträchtlich unter denen vergleichbarer Städte größerer räumlicher Ausdehnung. In voller Würdigung des besonderen Notstandes im Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter und in Beachtung des Beschlusses des Deutschen Bundestages hat das Bundespostministerium die Zahl der Fernsprechortsnetze im Stadtgebiet auf drei von sieben herabgesetzt und gleichzeitig den Selbstwählferndienst zwischen diesen drei Ortsnetzen eingeführt. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik des ersten Deutschen Bundestages hat der Auffassung des Bundespostministeriums, daß hierdurch dem Beschluß des Plenums voll Rechnung getragen sei, nicht widersprochen.
Für die vorgeschilderten Maßnahmen wurden von der Deutschen Bundespost im Rechnungsjahr 1951 1,5 Millionen DM aus dem Haushalt aufgewendet. Für Investitionszwecke im Fernmeldewesen waren damals insgesamt nur 57 Millionen DM verfügbar. Dringender Nachhol- und Wiederaufbaubedarf im Bundesgebiet wurde zugunsten des besonderen Notstandes in Watenstedt-Salzgitter zurückgestellt. Neben diesen Aufwendungen für Investitionen und über den Beschluß des Bundestages hinausgehend hat sich das Bundespostministerium zur Behebung der Notlage in Watenstedt-Salzgitter von sich aus bereit gefunden, für die Gespräche zwischen den drei Ortsnetzen auf die Erhebung der Ferngesprächsgebühren für die Dauer von zwei Jahren — das ist bis zum 31. Mai 1954 — zu verzichten und nur die Ortsgesprächsgebühr zu erheben. Dies bedeutet einen jährlichen Einnahmeverlust in Höhe von rund 225 000 DM für die Bundespost, also in diesen beiden Jahren von insgesamt 450 000 DM. Eine Zusammenfassung der drei Ortsnetze zu einem Ortsnetz würde weitere 500 000 DM für neue Investitionen erfordern, wobei der jährliche Einnahmeverlust in gleicher Höhe fortbestehen würde.
Die Finanzlage der Deutschen Bundespost erlaubt es nicht, derartig hohe einmalige und laufende Zuschüsse aus dem Posthaushalt im Gebiet von Watenstedt-Salzgitter zu leisten. Bei den Finanzschwierigkeiten der Deutschen Bundespost kann ich es nicht vertreten — und ich befinde mich dabei in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Postverwaltungsgesetzes —, im Gebiet einer politischen Gemeinde Zugeständnisse aufrechtzuerhalten, die einer örtlich wirksamen Gebührenermäßigung gleichkommen.
Nachdem dem Beschluß des 1. Deutschen Bundestags durch die Bildung von drei Ortsnetzen und die Einführung des Selbstwählferndienstes Rechnung getragen ist und von der Deutschen Bundespost bisher 2 Millionen DM aufgebracht worden sind, um dem Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter in der Bekämpfung des Notstandes Hilfe zu leisten, sehe ich numehr die Möglichkeiten der Deutschen Bundespost als erschöpft an. Es ist daher beabsichtigt, am 1. Januar 1955 für den Fernsprechverkehr der drei Ortsnetze untereinander die bestimmungsmäßigen Ferngesprächsgebühren, nämlich den sogenannten Knotenamtstarif einzuführen. Das heißt: eine Verlängerung der bisherigen Regelung über den 31. Dezember statt 31. Mai 1954 hinaus ist leider nicht möglich.
Danke.
Die Frage ist damit erledigt.
Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Dr. Menzel! Dr. Menzel :
Ist dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau und dem Herrn Bundesminister für Familienangelegenheiten bekannt, daß sich Hauseigentümer in zunehmendem Maße weigern, Familien — auch wenn sie nur ein oder zwei Kinder haben — in frei gewordene Wohnungen aufzunehmen? Was gedenken sie gegen dieses familienfeindliche Verhalten solcher Hauseigentümer zu unternehmen?
Der Bundesminister für Wohnungsbau, bitte.
Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau. Herr Abgeordneter Menzel, Sie haben mit Ihrer Frage ein sehr ernstes Problem angerührt. Die Durchführung der öffentlichen Wohnraumbewirtschaftung gehört nach den Bestimmungen des Grundgesetzes zum Aufgabenbereich der Länder. Verwertbares, konkretes Material über die behauptete Entwicklung, daß sich Hauseigentümer bereits bei Familien mit nur einem oder zwei Kindern gegen eine Aufnahme sträuben, liegt bei der Bundesregierung bisher nicht vor. Wohl aber ist der Bundesregierung bekannt, welche Schwierigkeiten sich bei der Aufnahme von ausgesprochen kinderreichen Familien ergeben.
Soweit jedoch die von Ihnen angeführte Entwicklung zutrifft, muß eindeutig festgestellt werden, daß in diesen Fällen das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz vom 31. März 1951 von den Wohnungsbehörden der Länder nicht sinngemäß angewendet wird. Nach dem Wohnraumbewirtschaftungsgesetz hat zwar der Verfügungsberechtigte grundsätzlich das Recht, zunächst die Zuteilung im Wege einer Benutzungsgenehmigung an einen von ihm vorgeschlagenen Mieter zu verlangen. Ein solcher Antrag darf aber nur dann Erfolg versprechen, wenn der vorgeschlagene Mieter mit seiner Familie den Wohnraum in vollem Umfang nach den gegebenen Bestimmungen auslastet und wenn obendrein nicht Fälle von größerer Dringlichkeit vorliegen. Die Wohnungsbehörden können die Benutzungsgenehmigung nach § 14 Abs. 1 ablehnen, wenn Wohnraum aus gewichtigen Gründen der Wohnraumbewirtschaftung einem anderen als dem vorgeschlagenen Wohnungsuchenden zuzuteilen ist. Sie können nach § 15 Abs. 6 auch ohne Gewährung eines Auswahlrechtes die Zuteilung an einen bestimmten Wohnungsuchenden verlangen, wenn ganz besonders dringende Gründe der Wohnraumbewirtschaftung eine solche Zuteilung erforderlich machen. Das wäre also eine Voraussetzung, deren Vorliegen insbesondere bei den kinderreichen Familien anzunehmen ist.
Das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz gibt also als solches bei richtiger Anwendung durchaus die Möglichkeit, die berechtigten Belange der Familien,
insbesondere der mit ein oder zwei Kindern, zu berücksichtigen.
Ich bin bereits seit meinem Amtsantritt mit den Ländern in einen Erfahrungsaustausch über den Vollzug des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes eingetreten. Dabei wird insbesondere geprüft, ob die derzeitige Regelung der Wohnraumbewirtschaftung zu einer Benachteiligung der Familien mit Kindern führt. Auch mit der Organisation des Haus- und Grundbesitzes habe ich mich aus der gleichen Sorge schon seit einiger Zeit ins Benehmen gesetzt.
Aber ich bin mir über eines völlig klar: Eine wirklich wirksame Hilfe zur Überwindung des Problems der Unterbringung der kinderreichen und auch der Familien mit nur ein und zwei Kindern wird sich nur durch eine wesentliche Verstärkung und Beschleunigung des Neubaus von Wohnungen ermöglichen lassen.
Wenn dieses Schwergewicht auf den Neubau von Wohnungen gelegt wird, muß ebenso Vorsorge getroffen werden, daß die kinderreichen Familien dann auch in der Lage sind, die Mieten der größeren Wohnungen, die für sie errichtet werden, aufzubringen. Hierfür will die Bundesregierung in den in Kürze dem Bundestag vorzulegenden Gesetzen in verschiedener Hinsicht Sorge tragen. Schon die Große Steuerreform — darüber wird der Herr Bundesfinanzminister anschließend eine Regierungserklärung abgeben — wird mit ihren Tarifsenkungen gerade den kinderreichen Familien eine Entlastung bringen wollen. In der im Bundesministerium für Wohnungsbau in Vorbereitung befindlichen Novelle zum Wohnungsbaugesetz wird u. a. die Gewährung von Zusatzdarlehen für kinderreiche Familien in allen Fällen vorgeschlagen, in denen diese Familien sich ein Eigenheim oder eine Kleinsiedlung schaffen oder als Kaufeigentum erwerben wollen. Weiter wird in dieser Novelle vorgeschlagen werden, daß bei Wohnungen, die für minderbemittelte Kreise bestimmt sind, das Fordern von verlorenen Baukostenzuschüssen von den Wohnungsuchenden selbst gänzlich verboten wird. Hier lag zweifellos eine Benachteiligung gerade der Familienväter mit Kindern vor, die zum Teil, weil sie eben nur ein niedriges Einkommen besaßen, nicht in erfolgreichen Wettbewerb mit Kinderlosen treten konnten. Auch in weiteren Vorschriften anderer Gesetze soll noch versucht werden, dieses Problem besser zu lösen.
Das entscheidende Schwergewicht wird aber, um es noch einmal zusammenzufassen, erstens bei der Verstärkung des Neubaus und zum zweiten bei den Folgerungen liegen, die aus dem Erfahrungsaustausch mit den Ländern gezogen werden müssen, damit die Bestimmungen des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes wirklich so angewendet werden, wie es der vom Bundestag beschlossene und vom Bundespräsidenten verkündete Wortlaut des Gesetzes vorsieht.
Danke.
Zur Frage 17 Herr Abgeordneter Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erlaube mir, die folgende Frage zu stellen:
Ist damit zu rechnen, daß der Bau der für das Paderborner Land so wichtigen Autobahn Hamm—Kassel nun wirklich bald begonnen
wird, und ungefähr mit welcher Bauzeit wird dann gerechnet werden können?
Der Herr Bundesminister für Verkehr.
Nach dem Bau der Autobahn Hamm—Kassel bin ich hier bereits am 21. Januar 1954 vom Herrn Kollegen Platner gefragt worden. Ich kann meine damalige Antwort nur im wesentlichen wiederholen, da sich neue Gesichtspunkte inzwischen nicht ergeben haben.
Die Autobahnstrecke Kassel—Hamm war im Vorkriegsplan der Reichsautobahnen vorgesehen. Sie sollte eine direkte Verbindung über Autobahn zwischen dem sächsisch-thüringischen Industriegebiet und dem Ruhrgebiet schaffen. Sie ist in das Autobahn-Ausbauprogramm der Bundesregierung übernommen worden, gehört jedoch zu den Strecken zweiter Dringlichkeit, da sie ihren Verkehrswert erst erhält, wenn ein freizügiger Verkehr über die Zonengrenze — wie wir hoffen, recht bald — wieder möglich ist.
Ein zweibahniger Ausbau der Strecke Hamm—Kassel wird rund 370 Millionen DM kosten. Über die Dauer des Baues kann heute unter diesen Verhältnissen noch nichts gesagt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Keine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Lindenberg zur Frage 18!
Ich frage den Herrn Verkehrsminister:
Ist — wie zugesagt — fest damit zu rechnen, daß die Bundesstraße 241 auf der Strecke zwischen Heiligenstock und Freiheit im Kreise Osterode in diesem Frühjahr entsprechend den bereits ausgearbeiteten Plänen verlegt wird, um die Unerträglichkeit der dortigen Straßenverhältnisse und ihre ungünstigen Rückwirkungen auf den Fremdenverkehr zu beseitigen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Die ungünstige Führung der Bundesstraße 241 zwischen Heiligenstock und Osterode läßt sich bekanntlich nur durch eine Verlegung der Straße beseitigen. Die Planung der niedersächsischen Straßenbaudirektion ist aber noch nicht abgeschlossen. Es läßt sich schon jetzt übersehen, daß die Gesamtkosten etwa 31/2 bis 4 Millionen DM betragen werden. Die für den Straßenbau zur Verfügung stehenden geringen Mittel gestatten es nur, dieses Bauvorhaben in vier Etappen durchzuführen. Im Rechnungsjahr 1954 soll deshalb zunächst die Söse-Brücke bei Osterode wiederhergestellt werden, wobei der Bund von den Gesamtkosten 85 000 DM übernehmen wird. Die anderen Bauabschnitte — das Teilstück westlich Osterode bis zur Söse-Brücke, das Teilstück von der Söse-Brücke bis zur alten Harzstraße und der Ausbau der alten Harzstraße bis Heiligenstock — können dann erst im Laufe der nächsten Jahre nach und nach durchgeführt werden.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, bitte!
Verträgt sich die Verteilung des Ausbaus auf mehrere Jahre mit den Zusagen der Bundesregierung bezüglich des Zonengrenzprogramms?
Bitte, Herr Bundesminister!
Es kann niemand mehr Geld ausgeben — insbesondere beim Straßenbau —, als der Bundestag und die entsprechenden Institutionen bewilligen.
Danke.
Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Frehsee!
Ich frage den Herrn Bundesminister für Arbeit:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer in den ehemaligen Ländern Baden und Württemberg-Hohenzollern keinerlei Arbeitslosenversicherungsschutz genießen und in Württemberg-Hohenzollern auch keine Arbeitslosenfürsorgeunterstützung erhalten, wenn sie arbeitslos sind?
Wann gedenkt die Bundesregierung die zur Herstellung der Rechtseinheit auf diesem Gebiet erforderliche Novelle zum AVAVG vorzulegen?
Der Herr Bundesminister für Arbeit!
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Abgeordneter, daß die Novelle zum AVAVG schon seit über einem halben Jahr in meinem Hause fertiggestellt vorliegt. Wir haben aber geglaubt, eine derartige grundsätzliche Neuordnung und einheitliche Neuausrichtung in der Arbeitslosenversicherung in der engsten Verbindung mit den Selbstverwaltungsorganen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vornehmen zu sollen. Dadurch sind die Dinge sehr lange im Hintergrund geblieben. Ich kann Ihnen aber sagen: Innerhalb der nächsten zwei Monate wird diese Novelle zum AVAVG von der Bundesregierung verabschiedet sein und diesem Hohen Hause zugeleitet werden.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen? Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
Herr Bundesminister, wird in dieser Novelle auch die Klärung der von mir angesprochenen Fragen erfolgen?
Das ist ja ganz klar. Wenn wir eine Novelle zum AVAVG machen, dann hat das doch den Hauptzweck, die Rechtsungleichheit, die uns durch das Besatzungsrecht 'in den einzelnen Besatzungsgebieten auferlegt worden ist, wieder zu beseitigen. Wir müssen doch auf all diesen Gebieten zu einem Recht kommen, ,das für jeden deutschen Menschen in der Bundesrepublik — gleichgültig ob er in Freiburg oder in Hamburg lebt — Geltung hat.
Ich danke Ihnen sehr.
Bitte schön!
Zur Frage 21 Herr Abgeordneter Menzel!
Stimmt es, daß der Deutsche Botschafter in Kairo auf Weisung der Bundesregierung bei der Regierung des Landes Ägypten vorstellig geworden ist, den Marschallstab des früheren Feldmarschalls von Brauchitsch nicht zu versteigern, sondern in deutschen Besitz zurückzuführen? Worauf beruht das besondere Interesse der deutschen Bundesregierung, das sie zu diesem Schritt veranlaßt hat?
Der Herr Bundesminister des Innern, bitte.
Für den Herrn Bundesminister des Auswärtigen darf ich die Frage wie folgt beantworten. Der Marschallstab des ehemaligen Generalfeldmarschalls von Brauchitsch ist seinem Eigentümer im August 1945 in offensichtlich nicht einwandfreier Weise weggenommen worden und später auf einem Wege, über den sich nichts feststellen läßt, in die Sammlungen des früheren ägyptischen Königs Faruk gelangt.
Als bekanntwurde, daß er mit anderen Gegenständen aus diesen Sammlungen in Kairo öffentlich versteigert werden sollte, wandte sich die Witwe des im Oktober 1948 verstorbenen Generalfeldmarschalls an das Auswärtige Amt mit der Bitte, ihr zur Wiedererlangung des wertvollen Erinnerungsstückes behilflich zu sein. Nach Prüfung der Rechtsfrage erhielt der Botschafter der Bundesrepublik in Kairo Weisung, sich in geeigneter Form für diese Wünsche zu verwenden. Seine Darlegungen fanden bei der ägyptischen Regierung volles Verständnis und Entgegenkommen. Die Zurückziehung des Marschallstabs aus der Versteigerung wurde alsbald angeordnet.
Grundlage der dem Botschafter erteilten Weisung war die allgemeine Aufgabe der Bundesregierung, sich der Interessen deutscher Staatsbürger im Ausland anzunehmen. Außerdem schien es richtig, sich dafür einzusetzen, daß ein deutscher Marschallstab nicht in eine öffentliche Versteigerung gerate.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ist die Bundesregierung bereit, sich mit der gleichen Intensität auch für die Rückführung der im „Dritten Reich" ins Ausland verschleuderten Kunstgegenstände einzusetzen?
Herr Kollege, ich kann zu dieser Frage, wie Sie verstehen werden, nichts Abschließendes sagen. Ich möchte aber sagen, daß die Frage, wenn sie unter dem hier aufgestellten Prinzip positiv zu beant-
worten ist, selbstverständlich im selben Sinne beantwortet werden wird.
Zur Frage 22 Herr Abgeordneter Dr. Bucher.
Sind die Pressemeldungen richtig, wonach die Einstellung und Beförderung von Beamten in den Bundesministerien, um die konfessionelle Parität herzustellen oder zu wahren, unter anderem von der Frage abhängig gemacht wird, welcher Konfession der betreffende Bewerber angehört?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Die von dem Herrn Abgeordneten in seiner Anfrage erwähnten Pressemeldungen sind nicht richtig.
Das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 schreibt im § 8 vor, daß die Auslese der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauung, Herkunft oder Beziehung vorzunehmen ist. Diese Grundsätze sind für die Personalpolitik der Bundesministerien allein maßgeblich.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Bitte!
Werden bei Stellenbewerbungen, insbesondere in Fragebogen, von einzelnen Ministerien Angaben über die Konfession des Bewerbers und eventuell seiner Ehefrau verlangt, und was hat diese Maßnahme für einen Sinn?
Der Fragebogen, der den personellen Bewerbungen zugrunde gelegt wird, ist in diesem Hause bereits Gegenstand der Erörterung gewesen. Die Frage nach der religiösen Zugehörigkeit braucht nicht beantwortet zu werden.
Im Fragebogen ist ausdrücklich gesagt, daß die Antwort freigestellt ist.
Damit ist diese Frage erledigt.
Zur Frage 23 Herr Abgeordneter Dr. Bucher! Dr. Bucher :
Trifft es zu, daß in sämtlichen Bundesministerien der Leiter der Personalabteilung oder der Personalreferent für die höheren Beamten heute katholischer Konfession ist?
Die in der Anfrage des Herrn Abgeordneten enthaltene Vermutung trifft nicht zu.
Zur Frage 24 Herr Abgeordneter Dr. Bucher.
Warum ist im Bundesinnenministerium für die allgemeinen Angelegenheiten, die im früheren Reichsinnenministerium von einem Personalreferenten, einem Bürodirektor und zwei Amtsräten erledigt wurden, eine ganze Abteilung Z mit einer eigenen Unterabteilung „Haushalt und Organisation" erforderlich, und wie hoch ist der Kostenaufwand für diese Abteilung Z?
Der Herr Bundesminister des Innern!
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Es ist unrichtig, daß im Reichsministerium des Innern die allgemeinen Angelegenheiten von einem Personalreferenten, einem Bürodirektor und zwei Amtsräten erledigt worden sind. Richtig ist, daß bereits in der Weimarer Zeit im Reichsministerium des Innern in den vergleichbaren Arbeitsgebieten nicht weniger Kräfte tätig waren als heute in der Zentralabteilung des Bundesministeriums des Innern.
Im übrigen ist diese Abteilung im Laufe der letzten vier Jahre entsprechend dem ständig wachsenden Umfang der Aufgaben dieses Ressorts mit Zustimmung des Herrn Bundesministers der Finanzen und des Haushaltsausschusses des Bundestages auf den jetzigen Stand von einem Abteilungsleiter, einem Unterabteilungsleiter für Haushalt und Organisation und neun Referenten gebracht worden. Der Kostenaufwand für diese Abteilung, in der alle allgemeinen Angelegenheiten des Ressorts bearbeitet werden, beträgt noch nicht einmal 1/10 % des Haushalts meines Ressorts.
Ich danke.
Zur Frage 25 Herr Abgeordneter Krammig.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich in Abwesenheit des Herrn Abgeordneten Lulay folgende Frage an den Herrn Bundesminister der Finanzen richten:
Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich der Bundesminister der Finanzen, wenn er
a) bei den aus dem Landesdienst gemäß § 36 des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 in den Bundesdienst übergetretenen bzw. übernommenen Beamten die Berichtigung des ADA nach der Verordnung über die Festsetzung des allgemeinen Dienstalters der Beamten des einfachen, des mittleren und des gehobenen Dienstes vom 14. November 1939 noch nicht vorgenommen hat, obwohl die Abgabeländer inzwischen den Rechtszustand nach der genannten Verordnung wiederhergestellt haben, und
b) bei den unmittelbar in den Bundesdienst wiedereingestellten Beamten, die aus dem Versorgungsanwärterstand hervorgegangen
sind, bei der Festsetzung des ADA gleichfalls die unter a) genannte Verordnung nicht anwendet?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Die Verordnung über die Festsetzung des allgemeinen Dienstalters der Beamten des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes vom 14. November 1939, Reichsgesetzblatt I, Seite 2317, gehört zu den zahlreichen Maßnahmen des „Dritten Reiches", die vor dem Krieg und während des Krieges erlassen wurden, um einen erhöhten Anreiz für die zwölfjährige Dienstverpflichtung in der Wehrmacht zu geben und dem Nachwuchsmangel an Unteroffizieren zu begegnen. Diese kriegsbedingte Regelung, die insbesondere für den Militäranwärter eine Vergünstigung bedeutete, wird in der gesamten Bundesverwaltung, also nicht nur bei der Bundesfinanzverwaltung, sondern auch bei der Bundesbahn und Bundespost, nicht mehr angewendet. Dem entspricht auch die überwiegende Praxis der Länder seit dem Zusammenbruch. Nur in wenigen Ländern — Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz - wird die Verordnung nochangewendet und hier fast 'ausschließlich in der Länderfinanzverwaltung. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß der Herr Bundesminister des Innern beabsichtigt, auf der Grundlage des Bundesbeamtengesetzes das allgemeine Dienstalter neu zu regeln. Bei dieser Neuregelung wird insbesondere geprüft werden, inwieweit etwaige auf Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft beruhende Verzögerungen in der Anstellung der Beamten berücksichtigt werden können.
Ich danke dem Herrn Minister.
Meine Damen und Herren, damit ist die für die Fragestunde vorgesehene Zeit 'abgelaufen. Die Fragen ab Frage 26 werden morgen in der Fragestunde erledigt, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß ich bitte, die Drucksache 267 morgen wieder mitzubringen, da sie nicht noch einmal verteilt werden kann.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Tatsache, daß heute zum erstenmal die Bundesregierung die Öffentlichkeit von der Tribüne des Bundestags über die Grundzüge eines geplanten Gesetzes unterrichtet, hat nicht den Sinn, den im Grundgesetz vorgeschriebenen Weg der Gesetzgebung abzuändern. Es ist der Wunsch der Bundesregierung gewesen — den sich der Ältestenrat zu eigen gemacht hat —, der oft aufgetretenen Erscheinung, daß die Öffentlichkeit, zum Teil auch durch die Beratung im Bundesrat, über Gesetzentwürfe unterrichtet wurde, ehe der Bundestag selber davon Kenntnis hatte, in diesem Falle dadurch zu begegnen, daß die Öffentlichkeit von der Tribüne des Bundestags aus über solche wesentlichen Gesetzentwürfe zuerst unterrichtet wird.
Da es keine Durchbrechung des Weges der Gesetzgebung sein soll, hat sich der Ältestenrat dahin geeinigt, daß eine allgemeine Aussprache im Anschluß
an die Regierungserklärung nicht stattfinden soll. Wir wollen an der Übung, die allgemeine Aussprache erst anläßlich der ersten Beratung stattfinden zu lassen, festhalten. Ich weise ausdrücklich darauf hin.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend dem Gesetzgebungsweg, wie ihn Art. '76 des Grundgesetzes vorsieht, leitet die Bundesregierung dem Bundesrat heute Gesetzentwürfe über eine Steuerreform zu. Sie wird dem Bundesrat außerdem bis zum 18. März auch die Gesetzentwürfe über eine Finanzreform zuleiten, die sich auf die Ermächtigung des Art. 107 des Grundgesetzes stützt. Die letztgenannten Gesetzentwürfe sind im Kabinett bereits grundsätzlich genehmigt; sie sollen aber noch in ihrer Wortfassung einer letzten Überprüfung in den allernächsten Tagen unterzogen werden. Sobald sämtliche Gesetzentwürfe samt ihren Begründungen im Druck vorliegen, werden sie informativ auch den Mitgliedern dieses Hauses zugeleitet.
Die Bundesregierung benützt diese Gelegenheit, dem Deutschen Bundestag durch mich den wesentlichen Inhalt dieser Gesetzentwürfe, ihre Beweggründe und Ziele darzulegen. Es ist das erste Mal, daß die Bundesregierung die Form einer Regierungserklärung wählt, um den Deutschen Bundestag über den Inhalt von Gesetzentwürfen zu verständigen, noch bevor sie im Weg der ordentlichen Gesetzgebung dem Deutschen Bundestag zugehen.
Es handelt sich um Gesetzentwürfe von außergewöhnlicher Bedeutung nicht nur in yolks- und finanzwirtschaftlicher Hinsicht, sondern wohl auch für die Verfassungsentwicklung der deutschen Bundesrepublik. Gesetzentwürfe von solch außergewöhnlicher Bedeutung können in den vorbereitenden Verhandlungen nicht auf dem öffentlichen Markt besprochen werden. Sie sind nur verständlich, wenn man das ganze Werk, das Ineinandergreifen aller Teile kennt und jeden Teil nach seinem Zusammenhang mit dem Grundgedanken des ganzen Gesetzgebungswerkes verstehen kann. Es würde störend wirken, wenn Stück für Stück in der öffentlichen Erörterung ohne diese Kenntnis zerpflückt würde, insbesondere wenn in dem Zeitraum der Vorbereitung und Überlegung einzelne Gedanken, die vielleicht noch gar keine feste und endgültige Form gefunden haben, aus dem Zusammenhang gerissen, erörtert und nur vom Standpunkt des unmittelbar Beteiligten aus beurteilt würden. Eine Erörterung in der Öffentlichkeit läßt sich aber von dem Tag an nicht mehr vermeiden, wo entsprechend unserem in Art. 76 des Grundgesetzes vorgesehenen Gesetzgebungsweg Gesetzesvorschläge dem Bundesrat und damit einem breiten Kreis innerhalb des ganzen Bundesgebietes zugehen.
Der Bundesregierung sind früher schon Klagen aus den Reihen des Bundestags vorgetragen worden, die Abgeordneten würden über den Inhalt wichtigster Gesetzentwürfe durch die Presse und Interessentenverbände verständigt, bevor dem Bundestag selber das ganze Gesetzgebungswerk zur Kenntnis gebracht sei und er die Möglichkeit habe, vom Gesichtspunkt des Ganzen aus zu den Fragen Stellung zu nehmen, die an ihn von Beteiligten Stück für Stück herangetragen werden. Die Achtung vor dem Bundestag als gesetzgebender Körper-
schaft hat deshalb die Bundesregierung veranlaßt, die Stunde, in der diese neuen großen Gesetzeswerke der Öffentlichkeit doch bekanntwerden, zu benützen, um dem Bundestag die Grundgedanken, Beweggründe und Ziele dieses Gesetzgebungswerkes unmittelbar und nicht auf dem Wege über die Presse mitzuteilen.
Selbstverständlich kann es in diesem Fall nicht die Aufgabe sein, auf die Einzelheiten der Gesetzesvorschläge einzugehen. Das muß der Stunde vorbehalten bleiben, in der die Gesetzesvorlagen entsprechend Art. 76 des Grundgesetzes samt der Stellungnahme des Bundesrates dem Bundestag durch die Bundesregierung mit einer eigenen Stellungnahme zu den Anregungen des Bundesrates vorgelegt werden. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß sie damit einen ersten Versuch unternimmt, der vielleicht, wenn er sich als fruchtbar erweist, bei kommenden Gesetzgebungsarbeiten von außergewöhnlicher Bedeutung ebenfalls eingehalten werden kann.
Um Gesetzgebungswerke von wahrhaft großer, j a vielleicht geschichtlicher Bedeutung handelt es sich hier. Wir haben zwei Gesetzgebungswerke, davon eines über eine Finanzreform in der Bundesrepublik. Es setzt sich zusammen aus je einem Gesetz über die Finanzverfassung, über die Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die Finanzverfassung und über den inneren Finanzausgleich unter den Ländern. Es gibt außerdem die Ermächtigung zum Erlaß eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Letztere ist das Bindeglied zum zweiten der beiden Gesetzgebungswerke, nämlich demjenigen über die Steuerreform. Das Gesetzgebungswerk über die Steuerreform enthält einen Gesetzentwurf zur Neuordnung von Steuern — das sind Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Wohnungsbauprämiengesetz, Gewerbesteuer und Erbschaftsteuer —, ferner ein Gesetz zur weiteren Erhebung der Abgabe Notopfer Berlin, ein Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und endlich das Gesetz über die erwähnte neue Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer auf Grund der Ermächtigung, die in dem Gesetz über die Finanzverfassung hierzu enthalten ist.
Ich beginne mit dem Gesetzgebungswerk über die Finanzreform. Ziel der beiden Gesetzgebungswerke ist erstens, das Verantwortungsbewußtsein in Bund und Ländern für die Verwendung der aufgebrachten Steuermittel möglichst zu steigern. Es soll dem Bund wie den Ländern eine hinreichend dauerhafte Grundlage für die Erfüllung ihrer Aufgaben geboten werden. Bund und Länder sollen zur eigenen verantwortlichen Wahrnehmung der ihnen verfassungsmäßig zukommenden Aufgaben befähigt und verpflichtet werden. Es soll damit das Verantwortungsbewußtsein für eine zweckmäßige und sparsame Finanzgebarung in Bund und Ländern gestärkt werden. Es soll der Wille geweckt werden, den Wirkungsgrad der Verwaltungsleistungen zu steigern und damit zur Senkung des Steuerbedarfs der öffentlichen Gesamtverwaltung beizutragen. Zweitens ist es das Ziel, die nach den Zeitverhältnissen mögliche Stetigkeit auf finanziellem Gebiet für die Bundesrepublik zu erreichen. Drittens: Soll aber eine finanzielle Stetigkeit erreicht werden, so muß dies verbunden werden mit einer Überprüfung unserer gesamten Steuergesetzgebung. Es soll für eine menschlich voraussehbare Zeit eine steuerliche Stetigkeit gewonnen werden, ohne diese Stetigkeit zu einem Hindernis und einer Fessel des wirklichen Lebens werden zu lassen. Das Leben entwickelt sich ja ständig weiter. Es ist die Aufgabe jeder Verfassungsgesetzgebung, das Leben nicht zu drosseln, damit das Leben nicht die Verfassung sprengt, sondern die Gesetze so beweglich zu gestalten, daß die Anpassung an das Leben im Rahmen und in Beachtung der Verfassung wirklich möglich ist.
Diese Leitgedanken der Reform sind in der Begründung der Gesetzgebungswerke ausführlich dargelegt. Ich bitte, sich durch den Umfang dieser Begründung nicht davor abschrecken zu lassen, sie wirklich zu studieren.
Sie ist, insbesondere die Begründung zu den Gesetzen der Finanzreform, eine eingehende Arbeit über die Entwicklung des Finanzwesens in Deutschland seit dem Jahre 1871 geworden. Sie schildert das Verhältnis zwischen Reich und Bund einerseits, den Staaten und Ländern andererseits seit 1871. Sie gibt dem Leser einen Überblick über die Schwierigkeiten und die für das ganze Leben der Nation entscheidende Bedeutung der Regelung dieses Finanzwesens in unserem Vaterland, das zur kaiserlichen Zeit und in der Weimarer Republik und in den Tagen der Bundesrepublik ein föderativer Staat, in den unglückseligen Tagen Hitlers ein zentralistisch gelenkter Staat gewesen ist.
Ich darf mich kurz auf eine zum Verständnis notwendige grundsätzliche Bemerkung zur Entwicklung des Finanzwesens seit Errichtung der Bundesrepublik beschränken.
Dem Gesetzgeber des Grundgesetzes war auch die Aufgabe gestellt, das Finanzwesen der Bundesrepublik zu regeln. Er hat dies in Abschnitt X des Grundgesetzes getan, insbesondere hat er in Art. 106 des Grundgesetzes die Verteilung des Aufkommens an allen Steuern vorgenommen. Er teilt in Art. 106 des Grundgesetzes die Zölle, den Ertrag der Finanzmonopole, die Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer, die Beförderungsteuer, die Umsatzsteuer und die Vermögensabgaben, die einmaligen Zwecken dienen, dem Bund zu; die Biersteuer, die Verkehrsteuern — mit Ausnahme der Beförderungsteuer und der Umsatzsteuer —, die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis teilt er den Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeinden und Gemeindeverbänden zu. Der Verfassunggeber des Jahres 1949 mußte dabei nicht nur von den Grundsätzen ausgehen, die er für den föderativen Aufbau der Bundesrepublik in den übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes festgelegt hatte, nämlich von der verfassungsrechtlich gesicherten Eigenstaatlichkeit der Länder — Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes —, von dem Grundsatz der gemeindlichen Selbstverwaltung — Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes —; er mußte nicht nur bedenken, daß erst durch eine entsprechende Finanzordnung diese Grundsätze klar umrissen ins Leben treten können, sondern er mußte insbesondere auch überlegen, ob die Verteilung der Steuerquellen dem Bund und seinen Ländern die Erfüllung der Aufgaben ermöglicht, die ihnen das Grundgesetz zuweist.
In Art. 120 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber dem Bund die Aufwendungen für Besatzungskosten, die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten und die Zuschüsse zu den Lasten aus der Sozialversicherung neben den dem Bund natürlich zustehenden Aufgabengebieten besonders zugewiesen.
In Art. 30 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben als Sache der Länder erklärt.
Der Grundgesetzgeber des Jahres 1949 konnte einen ausreichenden Überblick über die Entwicklung der kommenden Jahre, über die Größenordnung für die einzelnen Aufgaben nicht haben. Er hat deshalb in Art. 106 Abs. 3 zunächst festgesetzt, daß der Bund durch Bundesgesetz einen Teil der Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Deckung seiner Ausgaben in Anspruch nehmen kann, soweit diese Ausgaben nicht durch andere Einkünfte des Bundes gedeckt werden können. Er hat diese Ermächtigung aber gekettet an die Zustimmung des Bundesrates. Der Bund benötigt also zur Anwendung dieser Ermächtigung die Zustimmung derer, die auf ihre Einkünfte aus Einkommen- und Körperschaftsteuer zu seinen Gunsten teilweise zu verzichten haben.
Das Grundgesetz hat außerdem den Grundsatz ausgesprochen — Art. 106 Abs. 2 und 3 —, daß der Bund die Leistungsfähigkeit auch der schwächeren Länder zu sichern und eine unterschiedliche Belastung der Länder mit Ausgaben auszugleichen hat. Es hat in diesen Bestimmungen vorgesehen, daß der Bund Zuschüsse gewähren kann und daß durch Bundesgesetz bestimmt wird, welche Steuern der
Länder hierbei herangezogen werden und mit welchen Beträgen und nach welchen Schlüsseln die Zuschüsse an die empfangsberechtigten Länder verteilt werden.
Der Grundgesetzgeber war sich aber gleichzeitig bewußt, daß er eine Sicherheit nicht geben kann, daß dieses von ihm geschaffene System sich auch für die Dauer bewähren würde. Er hat deshalb hier die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht mit endgültiger Verfassungskraft versehen, sondern hat im Art. 107 des Grundgesetzes ausdrücklich bestimmt, daß die endgültige Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder durch einfaches Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, später erfolgen könne. Später, das hieß zunächst bis zum 31. Dezember 1952. Dieser Termin ist inzwischen bis zum 31. Dezember 1954 verlängert worden.
Eine etwaige Neuverteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder, so wie sie Art. 107 des Grundgesetzes vorsieht, sollte dabei jedem Teil einen gesonderten Anspruch auf bestimmte Steuern oder Steueranteile entsprechend seinen Aufgaben einräumen. Das Grundgesetz ging also davon aus, daß die Aufgabenverteilung und damit der Finanzbedarf der einzelnen Teile auch die Grundlage für die endgültige Verteilung dieser Steuern sein soll. Für die Bundesregierung ergab sich die Frage, ob sie von der Bestimmung des Art. 107 des Grundgesetzes Gebrauch machen soll. Die Bundesregierung bejaht diese Frage, und zwar aus folgenden Gründen:
Die Aufgaben, die dem Bund durch die Verfassung zugewiesen sind, insbesondere die im Art. 120 des Grundgesetzes bezeichneten Aufgaben der Aufwendungen für Besatzungskosten und sonstige innere und äußere Kriegsfolgelasten, wozu auch Verteidigungsbeitrag, Verzinsung und Tilgung der Auslandsschulden gehören, und die Aufwendungen für die sozialen Lasten, die sich aus dem Zusammenbruch des Jahres 1945 ergeben, haben ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß der Bundeshaushalt insgesamt im Jahre 1950 einen Umfang von 16,2 Milliarden DM gehabt und im Jahre 1954 einen Umfang von 27,1 Milliarden DM erreicht hat. Hand in Hand damit mußte das Steueraufkommen gehen, wenn der Schutz der Währung und die finanzielle Ordnung aufrechterhalten werden sollten. Die Steuerbelastung hat damit ein Ausmaß erreicht, das uns zwingt, nicht nur von jeder weiteren Erhöhung der Steuern abzusehen, sondern diese Steuern möglichst zu senken.
Nachdem der Bund ganz überwiegend auf die Einkünfte aus indirekten Steuern angewiesen ist und die indirekten Steuern nicht ein Maß erreichen dürfen, das die Belastung des Verbrauchers als ungerecht erscheinen läßt, ist dem Bund bei den ihm eigenen Steuereinkünften eine volkswirtschaftliche und soziale Grenze gezogen. Er war daher bisher schon darauf angewiesen, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen, die Art. 106 Abs. 3 gibt, d. h. für seine nicht gedeckten Ausgaben einen Teil der Einkommen- und Körperschaftsteuer, die den Ländern zufließt, für sich in Anspruch nehmen. Es ist menschlich an sich schon verständlich, daß die Zustimmung von den im Bundesrat vertretenen Ländern, die j a damit auf eigene Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben verzichten müssen, nicht leicht gegeben wird. Es wird dies aber noch dadurch erschwert, daß die Finanzstärke sich unter den deutschen Ländern ungleich verteilt und daß die Steuerkraft der einzelnen Länder stark schwankt. Nach einer Vorausschau für das Jahr 1955 würden die Steuereinnahmen für Staat und Gemeinden in den einzelnen Ländern schwanken zwischen 137,7 % und 53,9 %des Bundesdurchschnitts, und wenn die Stadtstaaten Hamburg und Bremen außer Betracht bleiben, zwischen 113,7 % und 53,9 % des Bundesdurchschnitts.
Die natürlichen Schwierigkeiten, die sich immer dann ergeben, wenn die Zustimmung der Länder dazu erholt werden soll, daß der Bund seine nicht gedeckten Ausgaben durch Inanspruchnahme eines Teils des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaftsteuer deckt, steigern sich infolgedessen dadurch, daß einzelne Länder, nämlich die finanzschwachen, tatsächlich nur schwer in der Lage sind, auf diese Einnahmen und Einkünfte zu verzichten. Die bisherigen Versuche, im Wege eines inneren — horizontalen — Ausgleichs unter den Ländern eine Annäherung der Steuerkraft der Länder zu erreichen, sind steigend Schwierigkeiten begegnet und haben bis heute zu einem genügenden Ausgleich nicht geführt. Es ist wohl ein Verdienst der vergangenen Jahre, daß bisher offene Konflikte auf diesem Gebiet vermieden wurden und wenigstens dei notwendigste Ausgleich geschaffen werden konnte Der Bundesanteil, der anfänglich 27 % des Aufkommens an der Einkommen- und Körperschaftsteuei betragen hat, ist im Vorjahr auf 38 % festgesetzt worden, aber nach hartem Ringen und mit einem für den Bund ungenügenden Ergebnis. Wenn da: Haushaltsjahr 1953 für den Bund mit einem Fehlbetrag abschließen wird, so liegt das mit daran, daß
der Weg des Art. 106 Abs. 3 nicht den Erfolg gehabt hat, daß der Bund die Zustimmung des Bundesrats zu einer Inanspruchnahme an Einkommen- und Körperschaftsteuer hätte erreichen können, wie sie notwendig gewesen wäre, um einen Ausgleich des Bundeshaushalts herbeizuführen.
Man muß sich darüber klar sein, daß eine beträchtliche weitere Steigerung des Bundesanteils an Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der verfassungsmäßig vorgesehenen Zustimmung des Bundesrats, wenn die jetzige Regelung des Finanzwesens zwischen Bund und Ländern bliebe, künftig immer mehr Schwierigkeiten begegnen wird. Schon für das nächste Jahr würde sich nach menschlicher Voraussicht bei den heutigen Verhältnissen ein notwendiger Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer errechnen, der die Zustimmung des Bundesrats voraussichtlich nicht finden würde und bei der Finanzschwäche einzelner Länder vielleicht gar nicht finden könnte. Es ist feste Überzeugung des Bundesfinanzministers, der ja die Pflicht der Vorausschau hat, daß wir mit der Anwendung des Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes — die Festsetzung des Bundesanteils — allmählich an der Grenze dessen angelangt sind, was politisch überhaupt erreichbar ist.
Es könnte aber nicht verantwortet werden, daß der Gesetzgeber über die Steuern des Bundes allein unter dem Gesichtspunkt, daß eine Erhöhung des Bundesanteils in ausreichendem Maße nicht mehr möglich wäre, dazu gezwungen würde, auf das Gebiet der indirekten Steuern, insbesondere durch Erhöhung der Umsatzsteuer und der Verbrauchsteuern, auszuweichen und damit den Verbraucher, d. h. die breiten Volksschichten, übermäßig zu belasten, während die Ungleichheit und Ungleichmäßigkeit in der Steuerkraft der einzelnen Länder dazu führt, daß gleichzeitig die einen zu wenig Einkünfte, andere Länder aber reichliche Einkünfte erzielen. Es ist nicht nur nach dem Geist und Wortlaut des Grundgesetzes, sondern auch gerade aus diesem Grunde Aufgabe des Bundes, einen Ausgleich zwischen steuerschwächeren und steuerstärkeren Ländern zu finden. Würde der Ausgleich nicht gefunden, so würden wir auch mehr und mehr auf einen Weg gedrängt, der jetzt schon unheilvoll begonnen hat, nämlich den Weg, Aufgaben, die volkswirtschaftlich notwendig sind, wie die Förderung unseres Wirtschaftslebens in den verschiedensten Zweigen, und die an sich nach dem Grundgesetz in den Aufgabenbereich der Länder gehören, nur deswegen für das ganze Bundesgebiet auf den Bund zu übernehmen, weil einzelne Länder vielleicht aus finanzieller Schwäche nicht in der Lage sind, auf diesen Gebieten das zu leisten, was um der allgemeinen deutschen Volkswirtschaft willen geleistet werden muß. Entweder führt dieser Weg dazu, daß der Grundsatz des Art. 30 des Grundgesetzes, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, auf dem Umweg über finanzpolitische und Haushaltsmaßnahmen immer mehr ausgehöhlt wird, oder dazu, daß immer mehr Bundesgelder ohne unmittelbare Einflußnahme des Bundes von anderen Stellen, Ländern und Gemeinden, verwaltet und bewirtschaftet werden und damit die Zweckmäßigkeit in der Verwendung dieser Gelder nicht mehr gesichert ist. Schon heute werden Milliarden Bundesgelder von Stellen verwaltet, auf die der Bund einen unmittelbaren Einfluß nicht ausüben kann. Sollten deshalb in der künftigen Entwicklung steigende Schwierigkeiten und sollte die Gefahr eines Verfassungskonfliktes vermieden werden, so mußte daran gegangen werden, von der Bestimmung des Art. 107 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen. Es ist eine sittliche Pflicht jeder Regierung, vorausschauend alles Mögliche zu tun, um staatspolitische Erschütterungen, Verfassungskonflikte zu vermeiden. Es ist auch die besondere Aufgabe der Finanzpolitik eines Staates, vorausschauend die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um unzweckmäßige und unnötige Belastungen des Steuerzahlers, insbesondere Belastungen der breiten Massen, zu vermeiden. Dieses Ziel strebt der Gesetzentwurf über die Finanzreform an.
Das Finanzverfassungsgesetz sieht dabei vor, daß die Bestimmung des Art. 106 des Grundgesetzes durch neue Bestimmungen ersetzt wird. Es geht zunächst davon aus, daß der Bund Ausgaben, die zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforderlich sind, soweit die Wahrnehmung dieser Aufgaben und Befugnisse Sache des Bundes ist, und die in Art. 120 Abs. 1 des Grundgesetzes bezeichneten Ausgaben selbst trägt; daß andererseits die Länder die Ausgaben tragen, die zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben der Länder erforderlich sind. Damit ist der Grundsatz, der sich heute schon dem Sinn nach aus dem Grundgesetz ergibt, klar umschrieben. Er bedeutet nicht ohne weiteres eine sofortige Änderung des jetzigen, nicht in allem erfreulichen Zustandes. Diese Bestimmung soll aber Richtlinie für die Zukunft sein. Sie ist geboren aus dem Geiste der eigenen Verantwortung für die Finanzgebarung in Bund und Ländern.
Die Regelung des inneren Verhältnisses zwischen Ländern und Gemeinden kann im Weg des Art. 107 des Grundgesetzes nicht gefunden werden.
Dazu wäre ein besonderes verfassungänderndes Gesetz notwendig.
— Aber nicht auf Grund des Art. 107. — Der Gesetzentwurf enthält eine Richtlinie, die sich im Rahmen der jetzigen Verfassung hält, indem er in Anlehnung an den jetzigen Art. 106 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt, daß durch die Landesgesetzgebung zu regeln ist, ob und inwieweit Steuereinnahmen, die den Ländern zustehen, den Gemeinden zufließen.
Die vorgesehenen Bestimmungen teilen weiter die verschiedenen Steuern zwischen Bund und Ländern auf. Eine grundsätzliche Änderung des jetzigen Zustandes sehen sie bei dieser Steuerverteilung nicht vor. Insbesondere ist auch von den Ländern der Gedanke einer Beteiligung der Länder an der Umsatzsteuer des Bundes aufgegeben worden. Umgekehrt wurde davon abgesehen, gewisse Verkehrsteuern, die ihrer Natur nach nicht regional bedingt sind, wie z. B. Versicherungsteuer, Kapitalverkehrsteuer und Wechselsteuer, etwa dem Bund zu übertragen. Das Schwergewicht liegt darin, daß die Verteilung des Aufkommens an Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern künftig endgültig geregelt wird. Das Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer soll künftig dem Bund zu 40% und den Ländern zu 60% zustehen. Vom Standpunkt des Bundes aus wäre es wünschenswert gewesen, einen höheren Anteil des Bundes vorzusehen. Dies hätte aber sicherlich außerhalb des politisch Erreichbaren gelegen.
Dem Gedanken, den Ländern ein Zuschlagsrecht für Einkommen- und Körperschaftsteuer zu gewähren, um, wie es hieß, eine Erstarrung der Einkünfte der Länder zu vermeiden, ist in der Regierungsvorlage nicht Rechnung getragen. Tatsächlich würde das nur dazu führen, daß die steuerschwachen Länder wirtschaftlich noch mehr getroffen würden;
denn sie wären die ersten, die von einem solchen Zuschlagsrecht Gebrauch machen müßten. Das Wirtschaftsleben in den steuerschwachen Ländern wäre dadurch noch mehr als bisher im Vergleich zu den steuerkräftigeren Ländern gedrosselt und getroffen. Es wäre mit einer Abwanderung gerade gewinnbringender, weil leistungsfähiger Betriebe aus den steuerschwachen Ländern zu rechnen, wenn von diesem Zuschlagsrecht Gebrauch gemacht würde, und es würde gerade das verhindert, was das Grundgesetz als Aufgabe des Bundes bezeichnet: nämlich die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder zu sichern.
Eine Erstarrung der Einkünfte und finanziellen Bewegungsfreiheit der Länder tritt dadurch — abgesehen davon, daß ihnen reichliche andere Einnahmequellen noch zur Verfügung stehen — nicht ein. Die Länder können im allgemeinen damit rechnen, daß ihre Aufgaben und Ausgaben in dem Verhältnis wachsen, in dem unser gesamtes Wirtschaftsleben wächst, also etwa entsprechend dem Wachsen des Bruttosozialprodukts. Steigt das Bruttosozialprodukt aber, so wird auch das Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer steigen, und die Länder haben also schon unter diesem Gesichtspunkt damit zu rechnen, daß dem Steigen ihrer Aufgaben auch, wenn vielleicht auch in einem geringen zeitlichen Abstand, ein Steigen ihrer Einkünfte aus ihrem Anteil an Einkommen-
und Körperschaftsteuer entspricht.
Ganz anders liegen die Verhältnisse beim Bund, der, wie die Vergangenheit leider reichlich bewiesen hat, als Träger der Lasten, die sich aus den Verpflichtungen des deutschen Volkes gegenüber dem Ausland ergeben, und als Träger der Lasten, die sich als innere und äußere Kriegsfolgen gerade auf sozialem Gebiet ergeben, einer häufig sehr starken stoßweisen Mehrbelastung ausgesetzt ist. Der Bund braucht Bewegungsfreiheit in weitaus höherem Maße als die Länder, um sich den jeweiligen neuen Lasten anzupassen. Ich habe schon dargelegt, daß nach meiner Überzeugung der jetzige Rechtszustand ihm diese Bewegungsfreiheit nicht mehr gewährt, weil die Erhöhung des Bundesanteils an Einkommen- und Körperschaftsteuer. solange er an die Zustimmung der Länder gebunden ist und solange er sich auch an die Leistungskraft der finanzschwachen Länder anpassen muß, heute schon eine Grenze erreicht hat, die mir nicht mehr sehr steigerungsfähig erscheint. Es mußte deshalb ein anderer Weg gegangen werden. Der Bund muß die Möglichkeit haben, gerade in Notzeiten einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer aus eigenem Recht und ohne an die Zustimmung des Bundesrates gebunden zu sein, zu erheben.
Deshalb ist in dem Finanzverfassungsgesetz auf Grund des Art. 107 des Grundgesetzes eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer vorgesehen, deren Erträgnis ausschließlich dem Bund zufließt. Die Haushaltslage des Bundes macht es notwendig — ich werde vor Besprechung des Gesetzentwurfs über die Steuerreform noch darauf zu reden kommen —, von
dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen. Sie soll in der auf das geringstmögliche Maß beschränkten Höhe, nämlich mit 2,5 v. H. der Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld, erhoben werden. Dadurch ist dem Bund eine gewisse finanzielle Bewegungsfreiheit gesichert, die bei dem jetzigen Rechtszustand nicht gesichert ist. Auf diesem Wege könnte auch erreicht werden, daß der jährliche Streit über die Höhe des Bundesanteils zwischen Bund und Ländern entfällt. Er ist nach meiner Überzeugung zum Schaden beider Teile gewesen.
Es mußte noch einem weiteren Gedankengang Rechnung getragen werden. Auch das Gesetz, das nach Art. 107 des Grundgesetzes geschaffen wird und das die von dem Grundgesetzgeber nicht geschaffene endgültige Verteilung der Steuern auf Bund und Länder vornimmt, erhält Verfassungskraft. Wir haben in unserer finanzpolitischen Entwicklung zwar einen gewissen Abschnitt erreicht. Wir können wohl annehmen, daß die vergangenen Jahre die Jahre des Wiederaufbaus gewesen sind und daß wir uns jetzt den Jahren nähern, in denen wirtschaftlich und finanzpolitisch statt der unruhevollen und stürmischen Bewegung der letzten Jahre — wenn außen politisch die Ziele erreicht werden, die die Bundesregierung anstrebt — Jahre einer ruhigeren Entwicklung kommen. Jahre, in denen wir mit ganz festen und sicheren Verhältnissen rechnen können, wird unsere Generation schwerlich mehr erleben. Aber es ist unsere Aufgabe, daß wir alles mögliche tun, um die wirtschaftliche, soziale und finanzpolitische Entwicklung in ruhige Bahnen zu lenken.
Eine Verfassung muß auch nichtvoraussehbaren Verhältnissen gegenüber die Möglichkeit einer Anpassung ohne Verfassungskonflikt bieten. Das Finanzverfassungsgesetz enthält deshalb auch eine Revisionsklausel, die bei den bisherigen Besprechungen zwischen den Vertretern des Bundes einerseits, den Vertretern der Länder andererseits Gegenstand von besonders eingehenden Erörterungen war. Der Gedanke, daß der Grundsatz der Steuerverteilung nicht nur für die jetzigen Steuern, sondern auch für etwa spätere gleichartige Steuern gilt, ist dabei selbstverständlich. Es mußte aber auch Vorsorge dafür getroffen werden, daß entweder in den Aufgaben zwischen Bund und Ländern künftig eine vorläufig nicht voraussehbare Verschiebung eintritt oder daß sich die Einnahmen in einer Art entwickeln, die nicht vorausgesehen werden kann. Gerade auf finanzpolitischem Gebiet hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung schon ausgesprochen, daß bei voller Anerkennung des Grundsatzes des Art. 109 der Verfassung, der in der Haushaltswirtschaft Bund und Länder selbständig und unabhängig voneinander stellt, doch Bund und Länder ihre Haushalte der Bevölkerung der Bundesrepublik gegenüber als eine Einheit zu betrachten haben und daß die Länder sie unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue, der Bund sie unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des föderativen Aufbaus des Grundgesetzes zu handhaben haben. Das ist eine Richtlinie, die auch bei der Gesetzgebung zu beachten ist, und zwar nicht nur für eine Regelung gegenwärtiger Verhältnisse, sondern vorsorglich auch für spätere, am heutigen Tag nicht voraussehbare Entwicklungen.
Das Finanzverfassungsgesetz sieht deshalb für beide Teile vor, daß auch ohne Verfassungsänderung eine Anpassung des in dem Finanzverfassungsgesetz vorgesehenen Beteiligungsverhältnisses
an der Einkommen- und Körperschaftsteuer erfolgen kann und soll, wenn andernfalls der Bund oder die Länder auch bei Ausschöpfung aller ihnen sonst gegebenen Möglichkeiten ohne ihr Verschulden nicht mehr in der Lage wären, ihre Aufgaben zum Wohl des Volkes zu erfüllen.
Durch diese neuen Bestimmungen des Finanzverfassungsgesetzes betreffend Art. 106 des Grundgesetzes wird der sogenannte vertikale Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern festgelegt. Wie ich schon betont habe, steht der vertikale Finanzausgleich, d. h. die Aufteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern und die Festlegung des Bundesanteils, in innerem, unmittelbarem Zusammenhang mit dem horizontalen Finanzausgleich, dem Finanzausgleich unter den Ländern. Der horizontale Finanzausgleich muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein vertikaler Finanzausgleich überhaupt zweckmäßig gestaltet werden kann. Denn, wie ich schon im Vorhergehenden betont habe, es bestimmt die Finanzlage gerade des schwächsten Gliedes, also des steuerärmsten Landes, ob und wie weit bei der Regelung des vertikalen Finanzausgleichs gegangen werden kann. Der vertikale Finanzausgleich kann also nur dann wirklich seine Aufgabe erfüllen, wenn er zwischen dem Bund und Ländern erfolgt, die in ihrer Steuerkraft nicht zu sehr verschieden sind.
Das Gesetz über den Länderfinanzausgleich sucht das zu sichern und gleichzeitig den sich sonst auch jährlich wiederholenden Streit über den horizontalen Finanzausgleich zu vermeiden. Sein Ziel ist, entsprechend den Bestimmungen des Grundgesetzes die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder zu gewährleisten und deshalb einen angemessenen finanziellen Ausgleich zwischen den leistungsfähigen und leistungsschwachen Ländern sicherzustellen. Deshalb werden eine Steuerkraftmeßzahl und eine Ausgleichsmeßzahl berechnet. Die Steuerkraftmeßzahl stellt die wirkliche Steuerkraft des einzelnen Landes fest. Die Ausgleichsmeßzahl stellt fest, in welchem Verhältnis diese individuelle Steuerkraft des einzelnen Landes zu der Steuerkraft aller Länder im Bundesdurchschnitt steht. Die Begründung des Gesetzentwurfs enthält in sehr unterrichtenden Tabellen die rechnerischen Grundlagen für die Berechnung dieses Schlüssels und stellt in einer Tabelle auch das Ergebnis fest. Das Ergebnis ist, daß, während heute das Land mit der höchsten Steuerkraft 137,7 % des Bundesdurchschnitts hat und das Land mit der niedrigsten nur 53,9 %, nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleichs das Land mit der höchsten Steuerkraft 117,6 %, das Land mit der niedrigsten Steuerkraft 89,9 % der Bundesdurchschnittszahl für die Steuerkraft der Länder bekommt. Es ist zwar keine Nivellierung erreicht — sie war auch bewußt nicht angestrebt —, aber es ist eine Annäherung unter den Ländern erreicht.
Natürlich gibt es hier Gegensätze unter den Ländern, zwischen denen, die geben, und denen, die nehmen. Ich darf aber nach der grundsätzlichen Seite hin betonen, daß dieser innere Ausgleich unter den Ländern eine notwendige Folge des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik ist. Als der Staat Preußen noch bestand, war es selbstverständlich, daß die — auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet — höheren Steuerleistungen einzelner Gebietsteile in die allgemeinen Staatskassen flossen und dazu benützt wurden, die Steuerschwäche anderer Gebietsteile des Staates Preußen auszugleichen. Oder, um ein Beispiel zu sagen: die schon damals gegebene höhere Steuerkraft der Gebietsteile, die heute z. B. im Land Nordrhein-Westfalen zusammengefaßt sind, hat dazu beitragen müssen, den Bedarf der steuerschwächeren Gebietsteile des Staates Preußen, wie Ostpreußen, Westpreußen, Pommern usw., zu decken. Diese Folgewirkung, die sich aus der zentralistischen Struktur des Staates Preußen ergeben hat, muß heute im Wege gegenseitiger Zustimmung durch Gesetzgebung gelöst werden. Sie muß gelöst werden nicht nur für die Gebiete des früheren Staates Preußen, sondern für das gesamte Bundesgebiet. Das setzt einen demokratischen Geist und den Geist der brüderlichen Zusammenarbeit aller Gliedstaaten des Bundes voraus.
Ich habe aus den bisherigen Verhandlungen den Eindruck, daß auf dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Weg, auch wenn die Länder im Bundesrat sich vielleicht noch auf gewisse Abänderungen des Schlüssels selbst einigen, doch der Grundsatz dieses Ausgleichs gefunden ist. Unter dieser Voraussetzung dürften die beiden Gesetzentwürfe über die Finanzverfassung, also der Gesetzentwurf über den vertikalen Finanzausgleich — das Finanzverfassungsgesetz — wie der über den Länderfinanzausgleich, als ein Sieg des demokratischen und brüderlichen Gedankens innerhalb der föderativen Bundesrepublik gewertet werden.
Sie dürfen gewertet werden als ein Unterpfand, das die Entwicklung unserer Verfassung den Konfliktsgefahren, die sich aus den derzeitigen finanzpolitischen Bestimmungen des Grundgesetzes ergeben könnten, entrückt und einen wesentlichen Beitrag für den inneren Frieden der Bundesrepublik leistet.
Auf Grund des Art. 107 des Grundgesetzes besteht nunmehr auch die Möglichkeit, die Zuschüsse an die steuerschwachen Länder diesen nicht mehr unmittelbar zu überweisen, wie es Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes bisher vorgeschrieben hat, sondern den horizontalen und den vertikalen Finanzausgleich miteinander zu verbinden. Die Leistungen der gebenden Länder werden in der Form erhoben, daß der Anteil, den sie aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer an den Bund abzuführen haben, erhöht wird, während bei den steuerschwächeren Ländern der Anteil, den sie an den Bund abzuführen haben, entsprechend ermäßigt wird. Es kann sich infolgedessen künftig ergeben, daß das eine Land aus seinem Aufkommen an Einkommen-
und Körperschaftsteuer mehr als 40 % zu entrichten hat, während ein anderes Land bedeutend weniger, im extremen Fall ein besonders steuerschwaches Land vielleicht gar nichts zu entrichten hat.
Das ist nicht nur eine Vereinfachung der Verwaltung, es ist auch eine Sicherung dafür, daß die Ausgleichszahlungen tatsächlich und fortlaufend sofort mit dem Aufkommen von Einkommen- und Körperschaftsteuer entrichtet werden. Dies macht besonders sinnfällig, daß es der Bund ist, der den Ausgleich unter den steuerkräftigeren und steuerschwächeren Ländern vorzunehmen hat. Über die Auswirkungen für die einzelnen Länder wird dann zu reden sein, wenn diese Gesetzentwürfe dem Bundestag nach Beratung im Bundesrat vorgelegt und zur Entscheidung unterbreitet werden.
Das Finanzanpassungsgesetz ist ein Gesetz, das die Gedanken des Finanzverfassungsgesetzes und des Länderfinanzausgleichs bereits für die Gegenwart vollzieht. Finanzverfassungsgesetz und Länderfinanzausgleichsgesetz beruhen auf dem Gedanken der Verteilung der Steuerquellen entsprechend der Verteilung der Aufgaben und Ausgaben auf den Bund und die einzelnen Länder. Das Finanzanpassungsgesetz geht von dem Grundsatz aus, daß jeder Teil die zur Ausübung der ihm obliegenden staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der ihm obliegenden staatlichen Aufgaben erforderlichen Ausgaben trägt. Es will den Grundsatz, daß die Eigenverantwortung gestärkt wird, schon für die Gegenwart in die Tat umsetzen.
Es bestimmt zunächst, daß bei Ausführung von Bundesgesetzen dann, wenn die Landesbehörden hierbei an Weisungen von Bundesbehörden gebunden sind, deren Vollzug den Ländern oder Gemeinden erhebliche Mehrausgaben verursacht, bestimmt werden kann, daß der Bund Zuschüsse zu diesen Ausgaben leistet. Es bestimmt andererseits, daß die Entschädigung für Verwaltung von Steuern und sonstigen Einkünften des Bundes durch die Länder künftig ganz wegfällt und umgekehrt eine Entschädigung der Länder für die Verwaltung von Steuern durch den Bund, wie das bei der Biersteuer der Fall ist, ebenfalls entfällt. Die Zuschüsse in Höhe von 410 Millionen DM, die der Bund und die Länder bisher an den Lastenausgleich leisten, werden jedoch künftig voll auf den Bund übernommen.
Bezüglich der Kriegsfolgenhilfe wird ein neuer Grundsatz eingeführt. Bisher wurden die sehr hohen Ausgaben für Kriegsfolgelasten vom Bund getragen und von den Ländern verwaltet. Damit bestand die Gefahr, daß die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bei der Verwaltung dieser Gelder in den Hintergrund treten, da es menschlich ist, daß die Sorgfalt bei der Ausgabe fremden Geldes geringer ist als die Sorgfalt bei der Verwaltung eigenen Geldes, für das man eine eigene Verantwortung trägt. Es wird daher für einen großen Teil dieser Ausgaben ein Pauschalsystem festgelegt. Das heißt, der Bund zahlt im wesentlichen einen Pauschbetrag, der den nachgewiesenen Ausgaben des Jahres 1953 entspricht.
Die verwaltenden Stellen, Länder und Gemeinden, haben also den Vorteil, bei sorgsamer und zweckmäßiger Verwaltung der Gelder ohne Aufwand eigener Mittel höhere Leistungen vollbringen zu können; sie haben den Nachteil, daß sie bei wenig sorgfältiger und wenig zweckmäßiger Verwendung der Gelder mit einem Zuschuß aus eigenen Mitteln zur Erfüllung der Aufgabe rechnen müssen. Die Gesamtverwaltung hat den Vorteil, daß die Pauschalierung zu einer beträchtlichen Rationalisierung des behördlichen Apparats führt. Bei der Kriegsfolgehilfe ist das Pauschalierungssystem so gewählt, daß es von Jahr zu Jahr prozentual sinkt, um ab 1. 4. 1965 wegzufallen.
Im Jahre 1965 sind wir zwanzig Jahre vom Ende des Krieges entfernt, und wie schon heute die Aufwendungen für Kriegsfolgen im Verhältnis zu den Aufwendungen für allgemeine Fürsorge von 63,8 % im Jahre 1949 auf 43,7 % der Gesamtaufwendungen gesunken sind, so muß damit gerechnet werden, daß sie noch weiter Jahr für Jahr sinken, um zwanzig Jahre nach Kriegsende, also fast im Laufe einer Generation, wegzufallen.
Soweit eine Pauschalierung nicht erfolgt, bleibt es bei dem bisherigen System der Interessenquote, die aber von 15 auf 25 % gesteigert wird, um ihre Wirkung noch zu vermehren.
Die Entlastungen, die der Bundeshaushalt einerseits erfährt, und die Entlastungen, die die Länderhaushalte auf der anderen Seite erfahren, gleichen sich bei diesem System fast aus. Es tritt für die Länderhaushalte nur eine geringe, in der Wirkung kaum beachtliche Mehrbelastung ein. — Damit habe ich die Betrachtung der Vorschläge für die Finanzreform abgeschlossen.
Ich darf nun übergehen zu den Vorschlägen für die Steuerreform. Ziel der Finanzreform war die Stetigkeit der Einnahmen und Ausgaben von Bund und Ländern und damit die Möglichkeit, für beide Teile eine vorausschauende Haushaltspolitik zu treiben. Diese war bisher dadurch gestört, daß der Bund bei Aufstellung seines Haushalts nie sicher damit rechnen konnte, den im Bundeshaushalt eingesetzten Bundesanteil an Einkommen- und Körperschaftsteuer wirklich zu erhalten. Die Länder wußten bei der gleichzeitigen Aufstellung ihrer Haushalte nicht, ob sie vom Bund zu einem höheren Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer herangezogen würden, als sie bei der Aufstellung des Haushalts zugrunde gelegt hatten. Ziel ist weiter, Verschiebungen in den Aufgaben und Ausgaben zu vermeiden und damit das Gesamtverhältnis zwischen Bund und Ländern zu stabilisieren. Die Stetigkeit in den Einnahmen und Ausgaben von Bund und Ländern verlangt aber gebieterisch auch eine Stetigkeit in der Steuergesetzgebung von Bund und Ländern, sie verlangt, daß im Rahmen des Möglichen alles getan wird, um die ständige Unruhe in der Steuergesetzgebung, die auch eine Beunruhigung der Wirtschaft ist, künftig zu vermeiden.
Die Bundesregierung setzt damit ihre Politik fort, die sie schon bisher verfolgt hat. Ihr Ziel war, die ihr anvertraute junge Währung vor Erschütterungen zu bewahren, die finanzielle Ordnung im Staatshaushalt aufrechtzuerhalten. Ihr Ziel war, das zu erreichen und trotzdem die aus den Jahren, als die Besatzungsmacht die deutschen Steuergesetze erlassen hatte, übernommene Überbelastung des deutschen Steuerzahlers möglichst zu ermäßigen und tragbar zu gestalten und die wirtschaftlich lähmenden Folgen einer Überbelastung des Steuerzahlers zu vermeiden.
Wir haben aus diesem Grunde in den letzten Jahren die Steuerreformen der Jahre 1951 und 1953 durchgeführt. Die Bundesregierung setzt ihren Weg fort. Sollte das Ziel der Stetigkeit der Steuergesetzgebung erreicht werden, so mußte zunächst das gesamte Steuersystem daraufhin überprüft werden, ob ein Anlaß zu einer grundsätzlichen Änderung des Steuersystems besteht oder ob das Steuersystem grundsätzlich beibehalten werden kann mit den notwendigen Anpassungen an die Forderung unserer Zeit, nämlich es so zu gestalten, daß die Steuern dauernd getragen werden können.
Zu diesem Zweck haben sich verschiedene Gutachterkreise mit der Überprüfung des gesamten Steuersystems befaßt. Der Öffentlichkeit sind die Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums, die Vorschläge des In-
stituts für Steuern und Wirtschaft und die Vorschläge der Sachverständigen der Länder, die sogenannten „Diskussionsbeiträge", zugegangen.
Alle Gutachten sind zu einer gemeinsamen Erkenntnis gekommen, daß nämlich von einer grundlegenden Änderung und einem grundlegenden Umbau unseres Steuersystems abgesehen werden soll. Die Vorschläge, etwa Einkommen- und Körperschaftsteuer ganz oder doch überwiegend abzuschaffen und durch eine Erhöhung der Umsatzsteuer auszugleichen, also grundsätzlich an Stelle der Besteuerung nach Einkommen und Gewinn und damit nach der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen eine Besteuerung nach dem Verbrauch des einzelnen zu setzen und damit den Umsatz an lebensnotwendigen Waren zum Steuermaßstab zu machen, sind abgelehnt worden.
Auch die Bundesregierung muß eine Gesetzgebung ablehnen, die sich auf solche Gedanken aufbauen und den kleinen Verbraucher, insbesondere auch die kinderreiche Familie, mehr belasten würde als Kreise, die ein hohes Einkommen oder hohen Gewinn erzielen und bei denen der der allgemeinen Besteuerung unterliegende Lebensverbrauch im Gegensatz zum Durchschnitt der Bevölkerung nur einen kleinen Teil ihrer Lebenshaltungskosten überhaupt ausmacht.
Das Verhältnis der direkten zur indirekten Besteuerung im Bundesgebiet ist heute etwa 50 zu 50. Dieses Verhältnis ist gesund. Es besteht kein Anlaß, hier durch die Gesetzgebung Änderungen grundsätzlicher Art vorzunehmen.
Auch die Wünsche auf grundsätzlichen inneren Umbau der Umsatzsteuer, wie sie von manchen Wissenschaftlern vorgelegt worden sind, sind nicht übernommen worden, zumal die Durchführung dieser Vorschläge eine erneute starke Beunruhigung in das Leben unserer Wirtschaft getragen hätten, die nun einmal in allen Berechnungen und wirtschaftlichen Kalkulationen auf dem jetzigen System der Umsatzsteuer aufbaut.
Die Bundesregierung hat sich daher entschlossen, an dem bestehenden Steuersystem grundsätzlich festzuhalten und die Änderungen zu treffen, die ihr notwendig erscheinen, um eine Steuerbelastung zu erreichen, von der anzunehmen ist, daß sie von unserer Wirtschaft für längere Dauer getragen werden kann.
Die Steuerreform bringt infolgedessen eine neue, beträchtliche Ermäßigung der Steuerlast. Auf der anderen Seite sucht sie das schon in der Steuerreform 1953 verfolgte Ziel aufrechtzuerhalten und weiterzuführen, die Steuergesetzgebung zu vereinfachen und zu diesem Zweck die Steuervergünstigungen möglichst einzuschränken. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Steuervergünstigungen seinerzeit deshalb eingeführt worden sind, weil die Steuertarife in den Jahren, als die Gesetzgebung in den Händen der Besatzungsmacht lag, nicht so ermäßigt werden konnten, wie sie hätten ermäßigt werden müssen, und daß deshalb damals eine ganze Reihe von Steuervergünstigungen geschaffen wurden, damit die größten Schäden einer Überbelastung der Wirtschaft durch Steuern vermieden werden konnten.
Es soll infolgedessen eine erhöhte Gleichmäßigkeit der Besteuerung erreicht werden. Während
die bisherigen individuellen Steuervergünstigungen mit Subventionscharakter eine verschiedenartige Steuerbelastung ergeben, die in erster Linie besonders geschickten und gerade zahlungskräftigen Personen zugute gekommen ist,
soll jetzt im Zusammenhang mit einer allgemeinen Tarifsenkung auch durch einen völlig gleichmäßigen Tarif die höchstmögliche Gleichmäßigkeit gewonnen werden.
Die Steuerbelastung soll auch den Grad, der angesichts der Not, die durch den Krieg geschaffen worden ist, unbedingt erforderlich ist, nicht übersteigen. Das soll geschehen einmal durch Anpassung der Freibeträge an die heutige Auffassung, was als Mindesteinkommen zu betrachten ist, und dann durch einen gleichmäßigen Aufbau der Progression in der Belastung bei Einkommen- und Erbschaftsteuer. Die Steuerbelastung soll weiter die Gefahr vermeiden, daß das wirtschaftliche Verhalten des einzelnen sich nicht danach richtet, was er nach wirtschaftlicher Vernunft und nach den volkswirtschaftlichen Gesetzen zu tun hätte, sondern danach, wie er sich dem Zugriff der Steuer möglichst entziehen kann.
Bei dieser Steuerreform ist das Ziel angestrebt worden, dem Großteil der Steuerzahler das Gefühl zu belassen, daß ihm auf alle Fälle auch nach Abzug seiner Einkommen- und Körperschaftsteuer mehr bleibt, als der Steuerträger an sich nimmt. Das Einkommen und der Gewinn, den er durch zweckmäßige wirtschaftliche Gestaltung seiner Arbeit erworben hat, soll ihm auch überwiegend verbleiben. Der Anreiz, volkswirtschaftlich unnötige Ausgaben der Steuer wegen zu machen, soll gemindert, gesundes wirtschaftliches Denken geweckt werden. Dadurch soll sich eine für die gesamte deutsche Volkswirtschaft nützliche Wirkung ergeben, weil das wirtschaftliche und zweckmäßige Verhalten aller Steuerzahler zusammen der Volkswirtschaft dient und das Bruttosozialprodukt stärkt.
Niemand kann daneben mit mehr innerer Überzeugung und Wärme denn der Finanzminister selbst als Ziel einer solchen Steuerreform noch den Wunsch aussprechen, daß die Steuergesetzgebung vereinfacht und auch für den Steuerzahler verständlicher gemacht wird; denn niemand weiß besser als er, wie unter dieser unruhevollen, wechselnden, unverständlichen und unübersichtlichen Gesetzgebung gerade die Steuerverwaltung bei der Einhebung der Steuern leidet.
Das Gesetz über die Neuordnung der Steuern enthält Vorschriften über die Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, über Änderungen im Wohnungsbauprämiengesetz, in der Gewerbe-
und Erbschaftsteuer. Außerdem wird Ihnen vorgelegt werden ein Gesetz bezüglich der Beibehaltung des Berliner Notopfers und ein Gesetz über die Änderung des Umsatzsteuergesetzes, ferner das von mir schon erwähnte Gesetz über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, das ja das innere Bindeglied zu den Vorschlägen für die Finanzreform darstellt. Ich darf die kleineren Gesetze vorausnehmen.
Das Wohnungsbauprämiengesetz enthält im wesentlichen eine Anpassung der Bestimmungen dieses Gesetzes an die übrigen Gesetze und Einzelheiten, über die bei der Einbringung der Gesetz-
entwürfe, nicht aber heute zu sprechen ist. Heute genügt die Feststellung, daß das Wohnungsbauprämiengesetz im wesentlichen unverändert beibehalten wird.
Das gleiche gilt von dem Abschnitt über die Änderung der Gewerbesteuer. Auch diese enthält im wesentlichen Anpassungen an die Änderung des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes.
Der Gesetzentwurf über die Änderung der Erbschaftsteuer enthält dagegen wesentliche Milderungen der Steuersätze. Auf der einen Seite werden die Freibeträge erhöht, auf der andern Seite wird der Tarif so umgestaltet, daß eine erhebliche Senkung der Erbschaftsteuer eintritt. Die Erhöhung der Freibeträge wirkt sich als Entlastung gegenüber der jetzt bestehenden Steuer hauptsächlich bei kleineren und mittleren Nachlässen aus und wird die Zahl der Fälle mehren, in denen überhaupt keine Steuer erhoben wird. Die Umgestaltung des Tarifs kommt hauptsächlich größeren Nachlässen zugute. Für die Steuerklassen I und II, also Vererbung auf Kinder und Ehegatten, werden wieder die Freibeträge von 1934 eingeführt. Bei den Steuerklassen III und IV werden die Freibeträge wesentlich erhöht. Als Beispiel sei festgestellt, daß bei einem Erwerb eines einzelnen Erben im Wert von 30 000 DM in der Steuerklasse I künftig keine Steuer mehr zu zahlen ist, während die Steuer bisher 400 DM betrug. Bei einem Erwerb von 60 000 DM durch den einzelnen Erben beträgt nach dem neuen Tarif die Erbschaftsteuer 1600 DM statt bisher 2800 DM. Bei einem Erwerb in Höhe von 600 000 DM beträgt sie nach dem neuen Tarif 78 600 DM statt bisher 104 400 DM. Auf die Einzelheiten ist einzugehen, wenn das Gesetz nach Durchgang im Bundesrat dem Bundestag vorgelegt wird.
Zu dem Gesetzgebungswerk über die Steuerreform gehört auch ein Gesetzentwurf zur Erhebung der Abgabe „Notopfer Berlin". Eine wesentliche Änderung des bisherigen Zustands wird durch diesen Gesetzentwurf nicht angestrebt. Die durch die Bundesregierung zu entscheidende grundsätzliche Frage war, ob diese Abgabe beizubehalten ist und ob sie unter dem alten Namen der Abgabe „Notopfer Berlin" beizubehalten ist. Die Abgabe hat derzeit bereits ein Erträgnis von mehr als 800 Millionen DM im Jahr. Sie ist finanzwirtschaftlich unentbehrlich. Ihr Wegfall hätte es unmöglich gemacht, die starke Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer, die vorgesehen ist, wirklich zu machen. Sie muß auch ihrer Natur nach beibehalten werden und konnte nicht in die Einkommen- und Körperschaftsteuer eingebaut werden, weil sie ja sonst zu einer Steuer geworden wäre, deren Ertrag Bund und Ländern im Verhältnis von 40 zu 60 zufließen würde. Sie muß das bleiben, was sie bisher war: eine Abgabe, die der Bund, d. h. die Bevölkerung des gesamten Bundesgebietes in ihrem Treueverhältnis zur Stadt Berlin leistet. Unsere Hoffnungen und Wünsche, die sich an die Berliner Konferenz geknüpft haben, die Stadt Berlin möge wieder zu einer deutschen Stadt im Gebiet eines einheitlichen deutschen Staates werden, sind noch nicht in Erfüllung gegangen. Wir müssen dieser Stadt, die zum Symbol des freien deutschen Geistes im Kampf gegen eine Welt der Unterdrückung geworden ist, auch weiterhin unsere Treue besonders bekunden.
Deshalb ist nicht nur die Abgabe als solche, sondern
auch der Name „Notopfer Berlin" beibehalten worden als Hinweis und als stete Erinnerung für jeden einzelnen Deutschen an seine Brüder in Westberlin. Westberlin soll die Überzeugung behalten, daß die Bevölkerung des deutschen Bundesgebiets das ihr Mögliche tut, um Wirtschaft und Sozialleben der Stadt Berlin auf dem gleichen Stand wie im übrigen deutschen Bundesgebiet zu halten.
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes bringt ebenfalls keine sehr wesentliche Änderung. Das Bundesfinanzministerium hätte zwar gewünscht, daß das Wesen der Umsatzsteuer stärker hätte betont werden können. Die Umsatzsteuer ist eine Steuer, die vom Entgelt erhoben wird und die grundsätzlich abwälzbar ist. Sie ist deshalb eine Steuer, die an sich auf Gesichtspunkte wie Gemeinnützigkeit, Wohltätigkeit etc. keinerlei Rücksicht nehmen könnte. Die Bundesregierung hat aber unter den heutigen Verhältnissen noch davon abgesehen, diesen Wesenszug der Steuer etwa dadurch zu betonen, daß die entsprechenden Befreiungsvorschriften in dem heutigen Gesetz beseitigt worden wären. Sie bleiben. Der Bundesfinanzminister möchte aber doch die gesetzgebenden Körperschaften bitten, auf diese Wesensart der Umsatzsteuer bei kommender Gesetzgebung besonders Rücksicht zu nehmen.
Der starke Ausfall an Einnahmen, den die Senkung der Tarife bei Einkommen- und Körperschaftsteuer auch für den Bundeshaushalt bedeuten wird, hat es notwendig gemacht, bei der Umsatzsteuer in einem Punkt eine Erhöhung des Steuersatzes vorzuschlagen. Das ist die Erhöhung des Steuersatzes für den Großhandel von bisher 1 auf 1,50/o. Die sich daraus errechnende Mehreinnahme ist unbedingt notwendig, um das haushaltswirtschaftliche Risiko der großen Steuersenkung erträglich zu gestalten. Dieser Steuersatz bleibt dann immer noch unter dem, was in anderen Ländern, die das deutsche System der Umsatzsteuer haben, beim Umsatz im Großhandel erhoben wird. Die Erhöhung von 1/2% ist auch sicherlich nicht von einer solchen Bedeutung, daß sie vom Großhandel nicht ohne Schaden für die Wirtschaft abgewälzt oder allenfalls getragen werden könnte.
Daneben sieht der Gesetzentwurf eine Anpassung sowohl zugunsten des Steuerpflichtigen wie zuungunsten der Steuerpflichtigen bei der Lieferung von Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme vor. Es sollen damit gleiche Wettbewerbsverhältnisse unter den öffentlich-rechtlichen und privaten Betrieben geschaffen werden.
Damit darf ich nun zu dem Teil des Gesetzentwurfs über die Neuordnung von Steuern übergehen, der die öffentliche Anteilnahme wohl besonders erweckt. Es sind das die geplanten Änderungen in der Gesetzgebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Schon bei der Steuerreform des Jahres 1953 war es das Ziel, eine Senkung der Steuerlast durch eine Senkung der Tarife zu erstreben und gleichzeitig durch Wegfall der früher sehr zahlreich festgelegten Vergünstigungen eine Vereinfachung der Gesetzgebung und innere Gerechtigkeit der Steuergesetze zu erreichen. Der neue Gesetzentwurf hält an diesem Ziel fest. An dem Wegfall der Vergünstigungen, der in dem Gesetz des Jahres 1953 festgelegt ist, wird festgehalten. Infolgedessen fallen auch zu dem bereits im Gesetz vom Jahre 1953 vorgesehenen Termin die Vergünstigungen des § 7 c
und des § 7 d des Einkommensteuergesetzes weg. Um eine Schädigung des Wohnungsbaus zu vermeiden, hat sich die Bundesregierung entschlossen, vorzuschlagen, in der Neufassung des Wohnungsbauprämiengesetzes eine Bestimmung vorzusehen, die sachlich zur Folge hat, daß die Leistungen des Bundeshaushalts für den Wohnungsbau um jährlich bis zu 60 Millionen DM erhöht werden. Die Bundesregierung hat sich auch entschlossen, bei der Beratung des Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Zeit vorliegenden Gesetzes über die Förderung des Kapitalmarktes für eine längere Beibehaltung der Steuerfreiheit der sozialen Pfandbriefe einzutreten und die dazu notwendigen weiteren Änderungen in diesem Gesetz zu befürworten. Sie glaubt, daß damit die Voraussetzungen geschaffen werden, um trotz Wegfalls des § 7 c den Wohnungsbau in dem notwendigen und geplanten Umfang fortführen zu können.
Der neue Gesetzentwurf sieht daneben den Wegfall einzelner kleinerer Vergünstigungen vor. Jedoch hat sich die Bundesregierung — wenn auch nicht leichten Herzens — entschlossen, den Freibetrag des § 13 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von 1000 DM für die nichtbuchführenden Landwirte vorerst beizubehalten.
Die Bundesregierung macht in dem Gesetzentwurf Vorschläge in der seinerzeit viel umstrittenen Frage der gemeinsamen Besteuerung von Ehegatten, von denen sie hofft, daß sie nunmehr auf Verständnis in der Öffentlichkeit stoßen. Diese Frage erhält j a durch die Senkung der Tarife ein ganz neues Gesicht, und, ohne ironisch zu werden, darf ich betonen, daß die neue Regelung auch dem Gedanken der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau besser entspricht.
Auf die übrigen Bestimmungen, die zum Großteil auch technischer Natur sind und den Zweck der Vereinfachung haben, brauche ich hier, wo es sich nur um die Darlegung der Grundgedanken handelt, nicht einzugehen.
Das Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Neugestaltung der Tarife. Wir haben bereits im Jahre 1953 eine Senkung der Tarife um rund 15% vorgenommen. Wenn ich heute rückschauend, soweit das bereits möglich ist, die haushaltswirtschaftliche Auswirkung dieser Steuersenkung des Jahres 1953 betrachte, so darf ich feststellen, daß nach dem Ergebnis von heute die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums sich als richtig erwiesen haben.
Wir hatten zunächst für das Jahr 1953 mit einem Aufkommen von 4200 Millionen DM aus Lohnsteuer im Bundesgebiet gerechnet. Wir haben dann unter Berücksichtigung der vorgesehenen Steuerreform diesen Ansatz auf 3650 Millionen DM heruntergesetzt. Dieser so berechnete Ansatz wird durch das tatsächliche Aufkommen des Jahres 1953/54 bestätigt.
Von den verschiedenen Arten der Einkommensteuer läßt sich ein klares Bild für die Entwicklung nur bei der Lohnsteuer zeichnen.
Die Lohnsteuer hat im ersten Rechnungsvierteljahr 1953 eine Zunahme gegenüber dem gleichen Rechnungsvierteljahr 1952 um 14,1 % gebracht. Die Lohnsummen sind im gleichen Vierteljahr gegenüber dem entsprechenden Vierteljahr 1952 um 11,6% gestiegen. Das Lohnsteueraufkommen stieg also damals stärker als die Lohnsumme, was eine Folge des progressiven Aufbaus der Lohnsteuer ist.
Mit Beginn des zweiten Vierteljahrs haben sich die Auswirkungen der Tarifsenkungen der kleinen
Steuerreform des Jahres 1953 gezeigt. Während die Lohnsumme im zweiten Rechnungsvierteljahr gegenüber dem gleichen Vierteljahr 1952 um 10 % weiter zunahm, ist das Lohnsteueraufkommen um 5,8% gesunken. Im dritten Rechnungsvierteljahr 1953 stieg die Lohnsumme gegenüber dem gleichen Vierteljahr 1952 um 13,1%, während das Lohnsteueraufkommen um 4,2% gesunken ist. Im vierten Rechnungsvierteljahr 1953 ist das Lohnsteueraufkommen — einschließlich des Monats März, für den nur eine Vorschätzung vorliegen kann — um 2,4% gegenüber dem gleichen Vierteljahr des Jahres 1952 gesunken. Die Lohnsumme des vierten Rechnungsvierteljahres 1953 liegt noch nicht vor.
Für die veranlagte Einkommensteuer können Zahlen heute nicht gegeben werden. Das Bild ist bei der veranlagten Einkommensteuer deshalb nicht klar, weil hier die Nachzahlungen früherer Jahre nach den früheren Tarifen eine große Rolle spielen.
Der Bundesminister der Finanzen darf wohl, nachdem sich die Berechnungen über den Steuerausfall bei der kleinen Steuerreform als richtig erwiesen haben, annehmen, daß auch die Berechnungen für den Ausfall, der infolge der neuen Senkung der Tarife zu erwarten ist, richtig sind.
Die neue Senkung der Tarife hat, wie bereits betont, das Ziel, die wirtschaftliche Initiative zu steigern und dazu beizutragen, die Betriebsausgaben nur nach den Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft, nicht nach dem Grundsatz der Steuerflucht zu gestalten. Sie hat damit auch das Ziel einer Besserung der Steuermoral. Es kann bei tragbaren Tarifen von jedem Steuerzahler verlangt werden und muß verlangt werden, daß er seine Steuerverpflichtungen nach dem Gesetz ehrlich und redlich erfüllt. Die Senkung der Tarife hat weiterhin das Ziel, in noch stärkerem Maße als bisher auch den breiten Schichten die Möglichkeit zu geben, entweder ihren Verbrauch zu steigern oder zu einer stärkeren Bildung von Ersparnissen beizutragen. Sie will in den Willensentschluß des einzelnen Verbrauchers dabei nicht eingreifen. Sie hofft aber, daß die Milliardenbeträge, die den Steuerzahlern künftig verbleiben, zum großen Teil zu einer stärkeren Bildung von Ersparnissen führen und insbesondere damit auch zu einer Belebung des Kapitalmarkts. Die Bundesregierung hofft, daß infolge der Belebung des Kapitalmarkts mehr und mehr nicht nur im Bund, sondern insbesondere auch in den Ländern die öffentlichen Investitionen nicht mehr durch Steuergelder gedeckt werden müssen,
sondern daß sie auf dem Weg über den Kapitalmarkt durch Anleihen bestritten werden können, zu deren Verzinsung und Bildung auch die kommenden Generationen mitzutragen haben, denen die Frucht dieser Investitionen zugute kommt.
Sie hofft, damit für die weitere Zukunft eine Entlastung des öffentlichen Haushalts zu erreichen, die das Wagnis, das in der Tarifsenkung liegt, rechtfertigt.
Sie hofft, daß der Anreiz, Betriebsausgaben künftig nicht unter dem Gedanken der Steuerflucht, sondern nach den Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft zu gestalten, dazu beiträgt, das Erträgnis der Volkswirtschaft zu steigern und damit auch die Steuerkraft der Gesamtheit zu steigern.
Ich darf aber bemerken, daß allen diesen Bemühungen Grenzen gezogen sind. Die eine Grenze liegt zunächst schon darin, daß ein Volk, dessen Regierung, wenn sie auch eine Regierung von Verbrechern gewesen ist, einen Krieg begonnen und diesen Krieg mit einem Zusammenbruch hat enden lassen, ein Volk, das infolgedessen heute in vielem noch auf Hilfe und Unterstützung anderer großherziger Völker angewiesen ist, in seiner Steuerbelastung nicht unter der Belastung der Siegerstaaten liegen kann.
Ich weiß und niemand braucht das zu betonen, daß Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht die einzigen Steuerlasten sind, die die deutsche Wirtschaft trägt. Ich weiß, daß wir daneben nicht nur die Last der indirekten Steuern, insbesondere der Umsatzsteuer, tragen, die in diesem Umfang das Ausland vielfach nicht kennt.
Ich weiß, daß auf dem Gebiet der direkten Steuern neben Einkommen- und Körperschaftsteuer noch das Berliner Notopfer, die Ergänzungsabgabe und insbesondere die Vermögensabgaben für den Lastenausgleich zu berücksichtigen sind.
Ich kann deshalb feststellen, daß die gesamte Steuerlast, die die deutsche Bevölkerung trägt, immer noch über der Steuerlast anderer Völker liegt; aber trotzdem muß damit gerechnet werden, daß bei gleichen Steuerarten, die in allen Ländern das Hauptstück der Besteuerung darstellen, das Ausland Tarif zu Tarif vergleicht, und ich darf mit einer gewissen Mahnung betonen, daß, wenn die neuen Tarife Gesetz werden, die deutschen Tarife zum Teil unter den Sätzen liegen, die in anderen, reichen Ländern heute noch erhoben werden. Wenn man dabei darauf hinweist, daß wir gleichzeitig die Steuervergünstigungen aufheben, während andere Länder z. B. das sogenannte splitting haben, das in seiner Wirkung eine wesentliche Ermäßigung der Tarife für Verheiratete bedeutet, so ist das wohl richtig, schließt aber die Gefahr eines falschen Vergleichs nur von Tarif zu Tarif nicht aus. Es ist daher bei der Tarifgestaltung auch auf die internationale Betrachtung Wert zu legen, und ich muß betonen, daß allein schon unter diesem Gesichtspunkt die neuen Tarife die äußerste Grenze dessen darstellen, was möglich erscheint.
Sie stellen auch die äußerste Grenze dessen dar, was haushaltswirtschaftlich möglich ist. Der Bundesfinanzminister weiß, welche Schwierigkeiten sich schon für das Rechnungsjahr 1954 ergeben haben, den Bundeshaushalt abgeglichen vorzulegen, und welche Schwierigkeiten sich noch ergeben werden, diese Abgleichung des Bundeshaushalts durchzuhalten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich betonen, daß der Bundeshaushalt irgendwelche versteckten Kapitalien nicht kennt. Der deutsche Bundesminister der Finanzen legt der Öffentlichkeit monatlich auf Mark und Pfennig die Ausweise über seine Ausgaben und seine Einnahmen vor. Er weist auf Mark und Pfennig aus, wie der Kassenstand im einzelnen Monat und Vierteljahr ist, und jeder weiß, daß die rückständigen Besatzungskosten in ihrer Höhe den Kassenbeständen des Bundes fast gleichkommen und daß diese rückständigen Besatzungskosten leider Gottes, wie verschiedentlich in der Öffentlichkeit auf Grund von Erklärungen der Besatzungsmacht betont werden mußte,
dem Bundeshaushalt nicht zur Verfügung stehen, sondern durch Verpflichtungen, die die Besatzungsmächte bereits eingegangen sind, restlos verfügt und täglich fällig sind.
Der Bundesminister der Finanzen hat sich pflichtgemäß auch Gedanken darüber gemacht, ob das haushaltswirtschaftliche Wagnis einer Tarifsenkung in dem Umfang, wie sie vorgenommen wird, auch getragen werden kann. Er muß hier offen gestehen, daß unter diesem Gesichtspunkt das Wagnis ihm ein sehr großes erscheint. Selbst wenn sich für den Bundeshaushalt 1955 keine Mehrausgaben ergeben als die, die heute schon als sicher vorausgesehen werden können, so muß der Bundesminister der Finanzen heute schon feststellen, daß die Abgleichung des Haushalts 1955/56 noch wesentlich höheren Schwierigkeiten begegnen wird, als es heim Haushalt 1954/55 bereits der Fall gewesen ist.
Die Steuersenkung wird einen verstärkten Appell an die Öffentlichkeit erfordern, dem Staat nicht mehr Ausgaben zuzumuten, als unbedingt notwendig sind, und sie wird im Staatswesen den Zwang zur Sparsamkeit noch mehr verstärken müssen,
als dies bisher der Fall gewesen ist.
Unter diesem Gesichtspunkt muß ich erklären, daß die vorgenommene Senkung der Tarife das äußerst Mögliche ist, was die Bundesregierung wagen kann, und daß ich nur die Hoffnung aussprechen darf, daß dieses Wagnis nicht durch vielleicht unvernünftige Forderungen einzelner Beteiligter ins Unverantwortliche gesteigert wird.
Der neue Steuertarif für die Einkommensteuer unterscheidet sich schon in seinem Aufbau von den bisherigen Steuertarifen. Er ist seinem Wesen nach — wie bisher — progressiv. Das entspricht dem Grundsatz der Gerechtigkeit, da bei hohen Einkommen der für den Lebensbedarf notwendige Teil einen geringeren Hundertsatz des Gesamteinkommens bedeutet als bei niedrigen Einkommen. Der neue Steuertarif ist ein sogenannter Formeltarif, er ist nach einer mathematischen Formel aufgestellt mit dem Ziel, Sprünge und Brüche zu vermeiden und die Progression automatisch von Mark zu Mark Mehreinkommen steigen zu lassen. Während alle bisherigen Tarife gewisse Ausbuchtungen zeigten zugunsten und zuungunsten irgendwelcher Einkommensschichten, folgt der neue Tarif stetig der mathematischen Regelmäßigkeit, stellt also keine willkürlich gewählte Kurve mehr dar.
Zu dem neuen Steuertarif treten Erhöhungen der Freibeträge. Die Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben sind unverändert geblieben. Die Freibeträge sind dagegen erhöht worden, und zwar gerade unter dem Gesichtspunkt der Begünstigung kinderreicher Familien.
Ich habe, als ich einmal im Kreise der Länderfinanzminister saß und dort einen Bericht über das Gutachten der Sachverständigen der Länder hörte, ein Scherzwort vernommen. Der Berichterstatter hat erklärt, daß es sich um einen von Sachverständigen aufgestellten Bericht handle, der, wie alles, was von guten Sachverständigen bearbeitet wird. in nüchternem Ton gehalten sei; nur an einer Stelle
werde dieser Bericht fast lyrisch, nämlich an der Stelle, wo die Sachverständigen über die Notwendigkeit sprechen, die kinderreiche Familie in der Steuergesetzgebung zu berücksichtigen und zu begünstigen.
Die Bundesregierung hat vielleicht nicht den lyrischen Ton,
aber doch den Grundgedanken dieses Sachverständigengutachtens auch hier übernommen. Es war ihr Bestreben, bei den Freibeträgen gerade mit Rücksicht auf die kinderreiche Familie soweit zu gehen, als nur möglich erschien.
Die Freibeträge für den Steuerpflichtigen und
seine Ehefrau werden erhöht von 800 auf 900 DM.
Die Freibeträge für die Kinder werden erhöht von bisher 600 DM für das erste und zweite Kind auf 720 DM und vom dritten Kind an auf 1440 DM.
Es werden daher künftig Familien mit drei Kindern zur Lohnsteuer überhaupt nur herangezogen, wenn sie ein Einkommen von mehr als 5600 DM haben,
Familien mit vier Kindern erst dann, wenn sie ein Einkommen von mehr als 7000 DM haben,
Familien mit fünf Kindern erst dann, wenn sie ein Einkommen von mehr als 8500 DM haben.
Die Steuersätze, mit denen sie herangezogen werden, beginnen bei Überschreitung dieser Einkommen dann natürlich sehr gering.
Die Tarife des Jahres 1949 kannten Höchstsätze von 94 %. Der Tarif 1951 kannte noch einen Höchstsatz von rund 80 %. Der Tarif des Gesetzentwurfs für das Jahr 1954 kennt nurmehr einen höchsten Durchschnittssatz von 55 %. Dieser Tarifsatz von 55 % beginnt erst bei einem Einkommen von über 600 0000 DM. Die große Masse aller Steuerzahler, auch der sogenannten großen Steuerzahler, wird daher künftig Tarifsätze unter 50 % im Durchschnitt zu tragen haben.
Das ist der psychologische Punkt, bei dem jeder einzelne sich sagen muß, daß unnötige Ausgaben, die er macht, nicht mehr zum größeren Teil vom Finanzamt, sondern nunmehr zum größeren Teil aus seiner eigenen Tasche und auf Kosten seiner eigenen Lebenshaltung und Ersparnisbildung zu tragen sind.
Wenn ich die Tarife nun vergleiche mit den Tarifen der früheren Jahre, so darf ich zunächst ausgehen von einem Vergleich mit dem Jahr 1951. Denn die Einkommensteuerreform des Jahres 1954 muß als Einheit betrachtet werden mit der sogenannten kleinen Steuerreform des Jahres 1953. Ich vergleiche also zunächst die Steuerermäßigung, die der Gesetzentwurf vorsieht, gegenüber dem Einkommensteuertarif 1951. Sie beträgt in Steuerklasse III 1 bei einem Einkommen von über 3000 DM 61,5 %,
bei einem Einkommen von über 4000 DM 35,4 %,
bei einem Einkommen von über 5000 DM 26,6 %,
von 6000 DM ab 23,7 %, von 8000 DM ab 25,3 %,
- der gesamten Steuer natürlich;
ich weiß nicht, was man, wen man über eine Steuerermäßigung spricht, anderes erlassen kann als die Steuern -,
bei einem Einkommen von über 10 000 DM 28,2 %, über 12 000 DM 30,6 %, über 15 000 DM 31,4 %, über 20 000 DM 30,3 %, über 25 000 DM 29,9 %, über 30 000 DM 29,2 %, über 40 000 DM 29,1 %, über 60 000 DM 29,4 %, über 80 000 DM 31,4 %, über 100 000 DM 32,9 %, über 500 000 DM 33,5 %, über 1 Million DM 31,3 %.
Vergleiche ich die Senkung der Tarife bei der Einkommensteuer nach dem vorliegenden Gesetzentwurf mit den Steuersätzen, wie sie die kleine Steuerreform im Jahre 1953 vorgesehen hat, so ergibt sich folgende Tabelle:
Die neue Ermäßigung ist bei Einkommen
über 3 000 DM 41,6 %
„ 4 000 DM 12,8 %
5 000 DM 7,1 %
„ 6 000 DM 6,4 %
„ 8 000 DM 9,9 %
„ 10 000 DM 13,9 %
„ 12 000 DM 17,0 %
„ 15 000 DM 18,8 %
„ 20 000 DM 19,1 %
„ 25 000 DM 18,9 %
„ 30 000 DM 18,2 %
„ 40 000 DM 17,2 %
„ 60 000 DM 16,6 %
„ 80 000 DM 17,9 %
„ 100 000 DM 18,9 %
„ 500 000 DM 24,0 %
„ 1 Mio DM 21,5 %
Die Verschiedenartigkeit in der Auswirkung der Senkung erklärt sich natürlicherweise einerseits aus dem System der Freibeträge und andererseits daraus, daß der neue Tarif, wie ich betont habe, ein Tarif ist, der stetig nach mathematischen Gesetzen die Progression in allen Einkommensschichten durchführt und die Ausbuchtungen der Kurve, die in dem alten Tarif noch enthalten waren, mit beseitigt. Wieweit die Steuersenkungen, auch verglichen mit der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, gerade für die kleinen Einkommen gehen, beweist die Tatsache, daß die Steuerpflichtigen mit einem Einkommen bis rund 4 500 DM
infolge der gesamten Steuerpolitik der Bundesregierung seit dem Jahre 1949 prozentual und absolut künftig weniger zu zahlen haben als in den Jahren vor dem Krieg.
Im Zusammenhang mit dem Tarif der Einkommensteuer muß der Steuersatz der Körperschaftsteuer stehen. Der Tarif der Körperschaftsteuer ist notwendigerweise geringer, als der höchste Durchschnittssatz bei der Einkommensteuer ist. Der höchste Durchschnittssatz bei der Einkommensteuer ist, wie ich betont habe, 55 %. Es werden in der Öffentlichkeit viele Worte, manchmal auch törichte Worte, über die sogenannte Doppelbesteuerung durch Körperschaftsteuer einerseits, Besteuerung des Einkommens der Gesellschafter andererseits gesprochen. Man sollte nicht vergessen, daß der Körperschaftsteuersatz ganz bewußt so festgelegt ist, daß er durch einen geringeren Satz — verglichen mit der Einkommensteuer — diese Tatsache der Doppelbesteuerung, wenn man das Wort überhaupt gebrauchen soll, ausgleicht. Es darf nicht vergessen werden, daß die Steuerpolitik zum Ziele haben muß, in das Wirtschaftsleben möglichst wenig einzugreifen. Sie darf unter keinen Umständen dahin wirken, daß der persönliche Unternehmer, der mit seinem ganzen Vermögen für den Erfolg oder Mißerfolg seines Unternehmens einsteht, steuerlich schlechter behandelt wird
als die anonyme Körperschaft, bei der der einzelne Gesellschafter nur mit einem beschränkten, manchmal recht geringen Teil seines Vermögens für den Erfolg und Mißerfolg der Gesellschaft haftet.
Unsere Volkswirtschaft braucht den persönlichen Unternehmer, und es wäre eine falsche Steuerpolitik, die den persönlichen Unternehmer veranlaßt, sein Unternehmen rein aus steuerlichen Gründen in eine Körperschaft mit einer beschränkten Haftung umzuwandeln.
Infolgedessen muß zwischen dem höchsten Durchschnittssatz der Einkommensteuer, die der persönliche Unternehmer zu tragen hat, und zwischen dem Satz der Steuer für die anonyme Körperschaft ein Unterschied bestehen, der die Besteuerung unter Berücksichtigung des Umstandes, daß bei der anonymen Körperschaft der ausgeschüttete Gewinn beim Gesellschafter wiederum besteuert wird, möglichst gleichmäßig für beide Teile festsetzt. Es besteht weitgehend Übereinstimmung darin, daß der Unterschied zwischen dem höchsten Durchschnittssatz der Einkommensteuer und dem Körperschaftsteuersatz etwa 10 Punkte betragen sollte. Aus dieser Erwägung heraus schlägt die Bundesregierung für die Körperschaften, die bisher einen Satz von 60 % zu tragen hatten, neuerdings einen Satz von 45 % vor, was also eine Senkung um ein Viertel, um 25 %, bedeutet. Aus Gründen der Pflege des Kapitalmarktes hat sich die Bundesregierung außerdem entschlossen, die Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns, der bekanntlich jetzt nur mit 30 % Steuersatz belegt ist, vorerst weiter zu behalten. Sie hat dies getan, obwohl sie an dem Grundsatz festhält, in die wirtschaftlichen Verhältnisse möglichst wenig einzugreifen und insbesondere keinen Anreiz zur Umwandlung persönlicher Unternehmen in anonyme Körperschaften zu geben.
Die Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns erfolgt nur unter dem Gesichtspunkt der Pflege des Kapitalmarktes und ist daher zeitbedingt.
Die Bundesregierung hat sich weiter entschlossen, diese Steuertarife bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer — nicht die übrigen Bestimmungen der Einkommen- und Körperschaftsteuer, insbesondere nicht die Bestimmungen der früheren Gesetze für den Wegfall von Vergünstigungen — womöglich bereits zum 1. Oktober 1954 in Kraft treten zu lassen. Dies ist allerdings von Voraussetzungen abhängig. Die Vorverlegung des Termins auf den 1. Oktober 1954 wird Auswirkungen für den Haushalt nicht nur der Länder, sondern auch des Bundes haben. Der Bundeshaushalt muß nach den Vorschriften der Verfassung abgeglichen gehalten werden. Die für den Bundeshaushalt entstehende Deckungslücke muß in irgendeiner Form geschlossen werden. Die Bundesregierung wird dem Bundestag rechtzeitig die entsprechenden Vorschläge unterbreiten.
Außerdem muß ich pflichtgemäß darauf hinweisen, daß nach allen bisherigen Erfahrungen bei Änderungen von Tarifen und Steuergesetzen sich ein Zeitraum von etwa zwei Monaten nach Verkündung der Gesetze als notwendig erwiesen hat, um den Arbeitgebern und daneben auch der Verwaltung die Möglichkeit zu geben, den Vollzug der Gesetze vorzubereiten.
Ich muß nun auf die schon früher erwähnte Ergänzungsabgabe hinweisen. Die Einführung einer Ergänzungsabgabe ist in den Gesetzen über die Finanzreform vorgesehen. Sie ist unvermeidlich. Sie ist unvermeidlich aus dem allgemeinen Gesichtspunkt, den ich vorhin erwähnt habe. Der Bund muß eine Bewegungsfreiheit auch künftig behalten, um anpassungsfähig für Fälle neuer, heute noch nicht voraussehbarer notwendiger Ausgaben des Bundes zu sein.
Er darf nicht gezwungen werden, in der Zukunft allein auf das Gebiet der indirekten Steuern auszuweichen und damit die Belastung des Verbrauches der breiten Massen über das Erträgliche und Gerechte hinaus zu steigern. Er ist aber auch zeitlich gezwungen, von der Ermächtigung, eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer einzuführen, Gebrauch zu machen. Die Bundesregierung und der Bundesminister der Finanzen haben sich dabei auf das unerläßliche, geringstmögliche Maß beschränkt.
Der Gesetzentwurf über die Ergänzungsabgabe sieht eine solche in Höhe von 2,5 % des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaftsteuer vor. Das bedeutet also, daß etwa 10 % der Steuersenkung durch die notwendige Ergänzungsabgabe wieder aufgeholt werden. Ich darf die Hoffnung aussprechen, daß die Gesetzentwürfe nicht vom Standpunkt des öffentlichen Haushalts aus im Laufe der Beratungen eine weitere Verschlechterung erfahren, weil sonst dieser Satz von 2,5 % Ergänzungsabgabe kaum gehalten werden könnte.
Ich habe vorhin grundsätzlich von dem hauswirtschaftlichen Wagnis gesprochen. Ich darf hier die Zahlen geben: Die Entlastung des Steuerzahlers durch die Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer wird im Kalenderjahr insgesamt etwa 2300 Millionen DM betragen. Damit diese Zahl richtig gewürdigt wird, darf ich dem gegenüberstellen, daß das gesamte Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer im Jahre 1950 überhaupt nur 5,4 Milliarden DM betragen hat.
Selbstverständlich ist ein entsprechender Ausfall für die öffentlichen Haushalte in Bund und Ländern damit verbunden.
Ich bemerke ausdrücklich, daß bei dieser Berechnung die möglichen günstigen Auswirkungen der Steuersenkung bereits berücksichtgit sind. Diesen Berechnungen ist insbesondere zugrunde gelegt, daß sie es der deutschen Wirtschaft ermöglichen, auch im Jahre 1955 das Bruttosozialprodukt um weitere 5 % zu steigern, also um einen Satz, mit dem kein anderes Land in Europa zur Zeit zu rechnen wagt.
Das mag kühn erscheinen. Es ist aber ein Beweis dafür, welches Vertrauen die Bundesregierung in das deutsche Volk setzt. Die Bundesregierung bemüht sich, auf dem finanzpolitischen Gebiet und dem der Steuergesetzgebung eine Stetigkeit zu schaffen. Sie entlastet den Steuerzahler bis zum äußerst Möglichen von den übermäßigen Lasten, die er bisher zu tragen hatte. Sie gibt dem wirtschaftenden deutschen Volk nicht nur Bewegungsfreiheit, sondern will ihm auch Vertrauen in die weitere stetige Entwicklung des deutschen Volkes geben. Sie übernimmt damit bewußt ein großes Wagnis in der Hoffnung, daß Vertrauen mit Vertrauen erwidert wird.
Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß das deutsche Volk dieses Vertrauen erwidert mit Fleiß, Tüchtigkeit, Sparsamkeit und Ehrlichkeit gegenüber dem Staat. Staat und Volk sind eine Einheit, und Staat und Volk haben ein Schicksal. Die Bundesregierung ist bemüht, alles zu tun, auf daß dieses Schicksal von Staat und Volk sich weiter zum Guten wende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers ist der Punkt 2 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Herr Abgeordneter Dr. Lütkens hat mich gebeten, bevor ich den Punkt 3 aufrufe, bekanntzugeben, daß die Sitzung des kleinen Ausschusses der Europaratsdelegierten um 16 Uhr in dem Zimmer stattfinden wird, in dem die geplante Sitzung des Auswärtigen Ausschusses statfinden sollte.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 3 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Verordnung über die baupolizeiliche Behandlung von öffentlichen Bauten .
Es ist im Ältestenrat vereinbart worden, daß weder begründet werden noch eine Debatte stattfinden soll. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Ich schlage vor 'Überweisung
an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen federführend und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen sowie an den Ausschuß für Verkehrswesen.
— Also, wenn ich richtig verstanden habe, der Ausschuß für Kommunalpolitik federführend und alle anderen von mir aufgerufenen Ausschüsse mitberatend. Ist das Haus damit einverstanden?
— Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 4 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes .
Auf die Einbringung wird verzichtet, auch auf Debatte. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Heimatvertriebene. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Es ist so beschlossen; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 5 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dietz, Ruf, Bausch und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung zum Schutze der Wirtschaft .
Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Niemand. Auch keine Debatte. Dann schließe ich die erste Beratung.
Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
— Gut, ich komme gleich zur Abstimmung. Die Freien Demokraten behalten sich vor, zu diesem Punkt eine Schriftliche Erklärung*) zu Protokoll zu geben.
Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ,als federführenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die steuerliche Behandlung von Leistungen im Rahmen des Familienausgleichs .
Ich höre eben, daß auf die Begründung verzichtet werden soll. Ich rufe auf zur ersten Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, daß die antragstellende Fraktion, die CDU/CSU, auf eine Begründung dieses Gesetzentwurfs verzichtet.
Es ist die gleiche Einstellung, die diese Fraktion
in der gleichen Angelegenheit auch vor Mona-
*) Siehe Anlage 1 Seite 663
ten in der ersten Legislaturperiode eingenommen hat. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU — Drucksache 189 — sagt, daß Kinderbeihilfen von Einrichtungen von Wirtschafts- und Berufsgruppen oder Teilen solcher steuer- und beitragsfrei sein sollen. Die gleiche Regelung war sowohl in dem Initiativgesetzentwurf der SPD über die Gewährung von allgemeinen Kinderbeihilfen — Drucksache Nr. 774 aus dem Jahre 1950 — wie auch in dem ein Jahr später eingereichten Gesetzentwurf der CDU vorgesehen. Hätten wir diese Gesetze zur Gewährung von Kinderbeihilfen realisiert, wäre dieses Sondergesetz nicht nötig.
Für die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von Kinderbeihilfen war die SPD-Fraktion schon immer und wird es auch in Zukunft sein.
Im Gesetzentwurf der CDU sind eine Menge Voraussetzungen vorgesehen, die erfüllt sein müssen, bis der Arbeiter oder Angestellte eine Kinderbeihilfe steuerfrei erhält. Diese Voraussetzungen sind letzten Endes das Entscheidende. Zunächst einmal darf die Kinderbeihilfe je Kind und Monat 20 DM nicht übersteigen. Warum? Darf ein Arbeitgeber oder dürfen Tarifkontrahenten oder darf der Gesetzgeber nicht eine höhere Kinderbeihilfe festsetzen, wie sie bei den Beamten des öffentlichen Dienstes, wie sie bei den Arbeitern und Angestellten bei Eisenbahn und Post und Gemeinden usw. durch Tarifvertrag festgelegt und gezahlt wird? Warum soll diese höhere Kinderbeihilfe dann nicht steuerfrei sein? Warum soll dann der Arbeitnehmer von dieser höheren Kinderbeihilfe Steuern abgezogen bekommen? Nur wenn sie 20 DM nicht übersteigt, meine Herren von der CDU, dann soll und darf sie nach Ihrem Entwurf steuerfrei sein!
Zweitens müssen die Arbeitgeber, die Kinderbeihilfe an ihre Arbeitnehmer zahlen wollen — so sagen Sie in Ihrem Entwurf so nett, in der patriarchalischen Ausdrucksweise, wie sie früher üblich war: an „ihre" Arbeitnehmer — Familienausgleichskassen unterhalten. Ja, meine Damen und Herren, wenn nun ein Arbeitgeber Kinderbeihilfen zahlt, dann muß er extra eine Familienausgleichskasse errichten, um die Steuerfreiheit zu erreichen.
— Ja bitte, so steht es in Ihrem Entwurf, Herr Kollege Winkelheide.
Dann lesen Sie Ihren Entwurf nach, und dann werden Sie mir das bestätigen. Hätten Sie Ihren Entwurf begründet, dann hätten Sie das sogar dem Hohen Hause unterbreiten müssen. Ein Konto, genannt Kinderbeihilfen, genügt doch für diesen Fall. Warum hier extra die Gründung einer Familienausgleichskasse?
Zum dritten setzten Sie als Voraussetzung für die Steuerfreiheit fest, daß nur vom dritten Kind ab Kinderbeihilfe gewährt wird. Wenn der Arbeitgeber also schon vom zweiten oder ersten Kind ab Kinderbeihilfe gewähren will, wie das in einer Menge von Tarifverträgen zwischen den Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart ist, dann muß für das erste und zweite Kind Lohnsteuer abgezogen werden. Diese Kinderbeihilfen sind dann nicht steuerfrei, denn erst vom dritten Kind ab wird die Steuerfreiheit gewährt. Wenn Sie das für
besonders sozial halten, — bitte, ich überlasse Ihnen die Entscheidung darüber.
Wir jedenfalls lehnen eine derartige Einstellung, da wir sie nicht für sozial halten können, mit aller Entschiedenheit ab.
Es heißt weiter, daß die Kinderbeihilfen auf Grund von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder sonstigen Regelungen gezahlt werden. Zum Schluß erwähnen Sie noch, daß für Nichtarbeitnehmer, die Angehörige einer Wirtschafts- oder Berufsgruppe sind, auch Familienausgleichskassen gebildet werden können. Wenn also Angehörige derartiger Berufsgruppen — sagen wir, der freien Berufe, der Handwerker, Landwirte — eine Familienausgleichskasse bilden, dann — nur dann! —sind die Leistungen, die für die Kinder gewährt werden, steuerfrei. Wenn sie keine Familienausgleichskasse bilden, wenn sie die Kinderbeihilfe aus einem sonstigen Fonds oder über eine sonstige Einrichtung zahlen, dann ist sie nicht steuerfrei.
Es handelt sich hier um die Kinder und nicht um das Prinzip oder um die Art, mit welchem Apparat man eine solche Beihilfe leistet. Es geht nicht darum, wie man den Apparat nennt, ob Familienausgleichskasse oder sonstwie. Warum alle diese Vorschriften? Warum die Begrenzung auf 20 DM? Warum die Auszahlung der Kinderbeihilfe durch die Arbeitgeber, die doch die Aufbringung der Mittel über Geschäftsunkosten laufen lassen? Jeder weiß, daß eine Aktiengesellschaft, wenn sie Steuerfreiheit bekommt, in Wirklichkeit nur 30 % der Mittel aufzubringen hat, daß zirka 70 % der Mittel infolge der Steuerermäßigung praktisch von der Allgemeinheit aufgebracht werden.
Warum haben Sie nicht vorgesehen, daß die Kinderbeihilfen auch im Falle der Krankheit, der Arbeitslosigkeit. der Berufsunfähigkeit, der Geschäftsaufgabe eines Selbständigen, des Konkurses oder auch eines Streiks gezahlt werden? Meine Damen und Herren, wir wollen die Sache beim Namen nennen.
All das ist durch Ihr System, das Sie uns unterbreiten, praktisch ausgeschaltet. Weiter ist die Möglichkeit ausgeschaltet, daß die Handwerker und die Landwirte, also die Selbständigen, in Zukunft Kinderbeihilfen erhalten. In einem Schreiben der' Bundesvereinigung der 'deutschen Arbeitgeberverbände an den Herrn Bundesarbeitsminister vom 6. Juni 1953 über Kinderbeihilfen, das uns in der vorigen Legislaturperiode unterbreitet wurde - es ist also kein Geheimnis —, wird zum Ausdruck gebracht, daß Handwerk und Landwirtschaft den Standpunkt vertreten, der Ausgleich der Familienlasten solle auf dem Wege einer steuerpolitischen Regulierung erfolgen. Diese Kreise weisen darauf hin, daß es ihnen infolge der besonderen Struktur ihrer Wirtschaftszweige und der hohen Zahl der Selbständigen im Vergleich zu den Unselbständigen nicht möglich ist, die erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufzubringen. Das sind Fakten.
Wenn Sie vom dritten Kind an die Steuerfreiheit gewähren, für wie viele Kinder setzen Sie sich dann ein? Nach den Schätzungen haben wir insgesamt 12,5 Millionen Kinder. Davon werden ab drittem Kind 1,9 Millionen in Frage kommen. Wenn man dann die Zahl der Kinder abzieht, die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst usw. ab drittem
Kind haben, werden es noch weniger. Es werden höchstens eineinhalb Millionen Kinder in den Genuß von Beihilfen kommen, wenn die Arbeitgeber sie auf Grund der Tatsache, daß sie steuerfrei sind, einführen. Eineinhalb Millionen von insgesamt 121/2 Millionen Kindern! Das ist keine Großtat, das möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen.
Da wäre mir schon viel wichtiger, wenn wir uns überlegen würden, ob nicht der Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministers abgewartet werden soll; denn aus allen Presseerklärungen der letzten Monate — und die sind sehr häufig abgegeben worden — geht hervor, daß der Herr Bundesarbeitsminister bereit und in der Lage ist, pünktlich im Frühjahr, wie es hier weiter heißt, den Gesetzentwurf über Kinderbeihilfe vorzulegen. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, ob er gut oder schlecht ist, ob er schon ab zweitem Kind die Kinderbeihilfe einführt, aus welchen Mitteln sie gezahlt werden soll, wie hoch sie ist und derartiges mehr. Das ist aber auch nicht das Entscheidende. Vielmehr wird damit die Grundlage einer allgemeinen Kinderbeihilfe auch für die Bundesrepublik Deutschland gelegt, während mit dem vorliegenden Gesetzentwurf lediglich die Steuerfreiheit der Kinderbeihilfe vorgesehen ist.
Wenn es nun zutreffend ist, daß die SPD, wie Sie j a aus dem Rundfunk und der Presse wohl zu Ihrer Freude heute morgen entnehmen konnten, dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf unterbreiten wird, und wenn es weiter zutreffend sein sollte, daß, wie man in der Presse lesen konnte, auch die CDU einen Gesetzentwurf über Gewährung von Kinderbeihilfen einbringt, und der Bundesarbeitsminister sein Versprechen pünktlich im Frühjahr hält, dann haben wir drei Gesetzentwürfe. Ich glaube, dann wird sicherlich etwas Gutes dabei herauskommen,
dann wird sicherlich die Bundesrepublik Deutschland als letzter europäischer Staat endlich die allgemeine Kinderbeihilfe auf gesetzlicher Basis einführen und somit auch eine Verpflichtung erfüllen, wie sie in den internationalen Übereinkommen des Internationalen Arbeitsamtes von Genf festgelegt ist. Deshalb bin ich der Auffassung, daß es viel wichtiger ist, die Gesetzentwürfe beschleunigt im Bundestag zu beraten und durchzubringen, als diesem — nehmen Sie mir das nicht übel — in seiner Wirkung tatsächlich kümmerlichen Antrag der CDU eine ernsthafte Bedeutung beizumessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Gräfin Finckenstein.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion stimmt der Gesetzesvorlage zu, denn sie begrüßt jede Beseitigung einer Notlage und ganz besonders die Beseitigung der Notlage einer kinderreichen Familie. Aber sie tut es ohne große Begeisterung, denn dieser Gesetzentwurf bezieht sich nur auf einen Teil aller kinderreichen Familien. Er beinhaltet lediglich eine Steuererleichterung für freiwillige Kinderbeihilfen, die Arbeitgeber an Arbeitnehmer zahlen wollen. Alle Selbständigen, alle
Handwerker, alle freiberuflich Schaffenden und die kinderreichen Familien in der Landwirtschaft sind von dieser Gesetzesvorlage ausgenommen.
Die dankenswerte Initiative einzelner besonders fortschrittlich gesinnter Firmen und ganzer Wirtschaftszweige, die heute freiwillig Kinderbeihilfen zahlen, soll hier voll anerkannt und in keiner Weise geschmälert werden. Aber wir halten eine solche Regelung der Notlage in den kinderreichen Familien für nicht ausreichend. Diese Gesetzesvorlage bleibt ein Flickwerk. Sie schafft Gegensätze vorwiegend zu denjenigen Firmen, die nicht in der Lage sind, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen,
und zu denjenigen Wirtschaftszweigen, die sich nicht in einer so günstigen Lage befinden, daß sie allgemein als Wirtschaftsgruppe daran denken können, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen. Auch die Kinderbeihilfen an Beamte sind nicht steuerfrei. Hier wird also durch diese Gesetzesvorlage ebenfalls ein Gegensatz geschaffen.
Die 35 Mark Kinderbeihilfe etwa, die ein höherer Beamter für ein älteres Kind bekommt, sind netto nur 20 Mark. Bei einem mittleren Beamtengehalt wären es etwa 25 Mark. Die 20 Mark Beihilfe für ein kleines Kind eines höheren Beamten sind netto nur 11 Mark, bei einem mittleren Beamtengehalt etwa 13,50 Mark. Dieser Gesetzentwurf bringt also eine weitere Ungerechtigkeit mit sich und schafft eine Verschiedenheit zwischen Empfängern von Kinderbeihilfen.
Meine Fraktion hält die staatliche Kinderbeihilfe für unbedingt notwendig.
In 33 Ländern der Erde werden heute Kinderbeihilfen gezahlt, und in 21 Ländern werden sie vom ersten Kind an gezahlt. Daneben fallen einem sofort die beiden großen Ausnahmen von dieser Regelung nach 1946 in der gesamten Welt auf. Die eine Ausnahme sind die USA, die die Nichteinführung einer staatlichen Kinderbeihilfe mit dem hohen Lebensstandard in den Vereinigten Staaten begründen. Diese Begründung kann für die Bundesrepublik nicht angeführt werden. Der Vertriebenenminister Professor Oberländer hat neulich ausgerechnet, daß 3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik ein Einkommen von weniger als 120 Mark haben. Von einem hohen Lebensstandard kann man also bei uns sicherlich nicht sprechen, am wenigsten in bezug auf kinderreiche Familien.
Die Jugend ist der kostbarste Schatz einer Nation, und unsere Jugend hat in den furchtbaren Kriegsjahren, vor allen Dingen in den Jahren nach dem Krieg große gesundheitliche Schäden erleiden müssen. Daher bedarf gerade unsere Jugend in der Bundesrepublik ganz besonderer Pflege und Förderung. Es handelt sich hier doch um das einfachste Problem, das es überhaupt gibt. Um die Jugend besser zu pflegen, muß man ihr besser zu essen geben; und um ihr besser zu essen zu geben, braucht man mehr Geld, und zwar Bargeld, und möglichst zahlbar an die Mutter, wie es in vielen Ländern geschieht, die eine staatliche Kinderbeihilfe zahlen. So begrüßenswert die Steuerermäßigungen sind, von denen uns der Herr Bundesfinanzminister soeben Kunde gegeben hat, und so erfreulich sie für die kinderreichen Familien sind, sie sind nie dasselbe wie eine Zuwendung in barem
Geld an die kinderreiche Familie, möglichst an die Mutter.
Wir wollen nicht von dem französischen Beispiel sprechen, weil es außerordentlich weitgehend ist. Es soll hier nur erwähnt werden, daß jede französische Mutter — die arme, die reiche und auch die uneheliche französische Mutter — für ihr erstes Kind vom Staate 42,50 DM nach deutschem Geld erhält, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen. Mit einem Betrag von 42,50 DM im Monat kann man wirklich ein Baby aufziehen. Allen unseren Entwürfen liegt leider nur der sehr geringe Zuschußbetrag von 20 DM im Monat pro Kind zugrunde. Dabei darf festgestellt werden, daß niemand mit 20 DM im Monat ein Kind aufziehen kann.
Im 1. Bundestag ist es in der Frage der Kinderbeihilfe leider nicht zu einer Einigung gekommen. Für den 2. Bundestag haben wir die lebhafte Hoffnung, daß möglichst bald etwas zustande kommt. Wir hörten heute morgen - wie schon mein verehrter Vorredner gesagt hat —, daß sowohl SPD wie CDU einen Gesetzenwurf über die Kinderbeihilfen angekündigt oder eingebracht haben. Wir warten alle mit großer Sehnsucht auf den angekündigten Gesetzentwurf des Herrn Bundesarbeitsministers. Meine Fraktion wird keinen eigenen Gesetzentwurf einbringen, weil wir glauben, daß wir der kinderreichen Familie nicht durch eine Vielzahl von Gesetzentwürfen, sondern nur dadurch helfen können, daß einer dieser Gesetzentwürfe, und zwar möglichst bald, angenommen wird.
Ich darf hier im Namen vieler kinderreicher Mütter in der Bundesrepublik sprechen, weil ich selber sieben Kinder habe. Ich möchte an Sie alle eindringlich appellieren, recht bald zu einem Ergebnis zu kommen, zu der Annahme eines dieser Gesetzentwürfe,
über die wir in der Bundesrepublik jetzt fast fünf
Jahre beraten, obwohl gerade wir in der Bundesrepublik den allergrößten Anlaß hätten, unseren
Kindern von Staats wegen eine Hilfe zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es sehr, daß unsere Kollegen von der CDU, die die Antragsteller sind, diesen Antrag über die steuerliche Behandlung von Kinderzulagen nicht begründet haben.
— Das hätten Sie vorher machen sollen, Herr Kollege Winkelheide, dann hätten wir auf Ihre Begründung eingehen können.
Es ist nämlich leider nicht ganz verständlich, warum Sie diesen Antrag heute einbringen, nachdem uns der Herr Bundesfinanzminister in so ausgezeichneter Weise dargelegt hat, welche steuerlichen Maßnahmen er gerade für die Kinderreichen geplant hat. Damit will ich durchaus nicht etwa sagen, daß ich mit allem nach dieser Richtung hin schon zufriedengestellt bin. Meine Fraktion wird zu gegebener Zeit noch das eine oder andere zu sagen haben.
Aber immerhin kommt dieser Antrag in einem Augenblick, in dem Ihnen ein wenig schon der Wind aus den Segeln genommen ist.
— Herr Kollege Winkelheide, vielleicht bedienen Sie sich des Mikrophons, damit die andern Ihre Zwischenrufe auch hören! —
Im Prinzip sind wir mit steuerlichen Vergünstigungen für kinderreiche Familien durchaus einverstanden. Erinnern Sie sich bitte an die erste Diskussion zur Steuerreform. Da haben wir Freien Demokraten den Freibetrag schon für das erste Kind als nicht ausreichend empfunden. Als ich heute die Rede des Herrn Bundesfinanzministers hörte, habe ich mich gefreut, daß er unserem Antrag entsprechend — vielleicht hat er sich dessen erinnert — auch den Freibetrag schon für das erste Kind erhöhen will.
Wir müssen einmal zu einer gewissen Steuergleichheit kommen. Nach dem Antrag, den Sie hier vorlegen, wird doch wieder nur eine bestimmte Personengruppe, nämlich die, die Kinderbeihilfe durch Familienausgleichskassen oder private Arbeitgeber erhält, herausgenommen, wie von meinen Vorrednern schon betont wurde. Weder die Beamten noch die Bauern noch Personen, die im freien Beruf stehen, werden steuerlich in irgendeiner Form begünstigt, weil bei ihnen diese Voraussetzungen nicht bestehen. Die Arbeiter und Angestellten der öffentlichen Betriebe — denken Sie an die Bundesbahn und an die Bundespost — fallen auch nicht unter die Kategorie derjenigen, die hiernach steuerlich begünstigt werden. Das dürfte doch unbillig sein.
— Ich kann Sie leider nicht verstehen, Herr Kollege. Wir haben doch jetzt die Mikrophone. Bitte, sagen Sie das doch durch das Mikrophon, dann könnte ich Ihnen erwidern; aber so kann ich Sie leider nicht verstehen, ich bedaure sehr.
— Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Warum wollen wir es nicht schon beim ersten Kind tun, warum wollen wir da nicht eine Hilfe schaffen, damit wir auch die Freude der Eltern am Kind und, sagen wir einmal, den Mut zum Kind wecken? Da sind wir ganz einer Meinung, Herr Kollege.
— Seit langem. Wenn Sie unsere ersten Ausführungen zur Steuerreform gehört oder hinterher im Protokoll aufmerksam gelesen hätten, hätten Sie unsere Forderung schon damals kennengelernt. Ich bedaure, daß Ihnen das entgangen ist.
Wir müssen jetzt wieder — das hat auch der Herr Finanzminister in seiner heutigen Rede gesagt — zu einer Steuergerechtigkeit kommen und dürfen nicht nur eine bestimmte Kategorie bevorzugen.
Wenn Sie heute eine Steuerermäßigung für Zahlungen von Betrieben direkt und über Familien-
ausgleichskassen beantragen, so muß dieses Problem sehr sorgfältig durchdacht werden, damit nicht nach dieser Richtung hin vielleicht eine gewisse Ungleichheit und Ungerechtigkeit entsteht. Dazu wird sich der Herr Finanzminister selber vielleicht noch äußern müssen. Der Herr Arbeitsminister und der Herr Finanzminister werden sich dazu äußern müssen, wieweit es tragbar ist, daß wir auch eine Sonderregelung für diesen Personenkreis treffen, weil dieser insoweit dann auch von den Soziallasten freigestellt wird. Da geht eine ganze Menge an Geld für die Invalidenversicherung, für die Arbeitslosenversicherung verloren, weil die Beiträge sich senken. Es muß überlegt werden, ob da nicht zugunsten eines relativ kleinen Kreises eine Belastung für die Gesamtheit eintritt. Ich glaube, wir werden diesen Antrag, wenn er an den Ausschuß kommt, sehr sorgfältig beraten müssen, damit nicht ein Schaden für das Ganze zum Vorteil eines kleinen Personenkreises eintritt. Im Prinzip sind wir jedoch mit jeder Begünstigung einverstanden, die zugunsten der Kinderreichen eintritt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich einen Irrtum richtigstellen. Es ist keine Feigheit von uns — oder was Sie annehmen mögen —, daß wir diesen Gesetzentwurf nicht begründet haben, sondern das beruht auf einem echten Mißverständnis, das gestern sicher im Altestenrat zustande gekommen ist. Sonst hätte ich den Gesetzentwurf begründet.
Grundsätzlich möchte ich folgendes sagen, Herr Kollege Richter. Man kann alles klein machen.
Das deutsche Volk, der deutsche Wähler hat auch eine Partei klein gehalten!
Was hinter diesem Gesetzentwurf, der klein in der Form ist, steht, das ist gar nichts anderes, um es schlicht und recht zu sagen, als die staatliche Hilfe für die Selbsthilfe, die die Wirtschaft auf dem Sektor der Kinderzulage ausgelöst hat.
— Das ist kein konfuses Zeug! Sie müssen sich einmal mit der Frage beschäftigen, und überdies hätten Sie ja auch im 1. Bundestag Gelegenheit gehabt, die Dinge über die Bühne zu ziehen;
denn es gab keinen Vorschlag im 1. Bundestag —das muß einmal klar herausgestellt werden —, der finanziell mehr unterbaut war als unser Vorschlag, der Vorschlag der CDU.
Aber wir haben die Zustimmung — auf beiden Seiten des Hauses — nicht gefunden. Da kann man heute, Frau Kollegin Ilk, nicht von „Ungerechtigkeit" sprechen. Ja, ich möchte sagen, in den Augen der Arbeiter, die keine Kinderzulage empfangen, ist es eine Ungerechtigkeit, daß auf der anderen Seite die Beamten die Kinderzulagen bekommen; das muß man auch einmal herausstellen.
Da kann man doch nicht jetzt mit diesem Entwurf diese Ungerechtigkeit verewigen!
Wir wollen mit diesem Entwurf weiter nichts, als daß die bisherigen Regelungen, die freiwillig eingeführt worden sind, steuerlich begünstigt werden, daß erstens das Kindergeld, das gezahlt wird, in voller Höhe und in voller Wirkung tatsächlich fühlbar und sichtbar dem Empfänger oder der Empfängerin gegeben wird. Zweitens wollen wir erreichen, daß es kein Entgelt ist im Sinne der Sozialversicherung, und drittens, daß, wenn diese Wirkung der Steuerfreiheit eintritt, sie genehmigungspflichtig ist. Es müssen Familienausgleichskassen usw. sein, und auch sonstige Regelungen können anerkannt werden, damit es nicht drunter und drüber geht und damit nicht der kinderreiche Familienvater im Vergleich zu anderen innerhalb eines Betriebes gefährdet ist. Darum drängen wir nach Familienausgleichskassen, Herr Kollege Richter!
Herr Kollege Richter, nun muß ich Ihnen sagen: wenn Sie das klein machen und diesen Entwurf ablehnen, dann schaden Sie, um nur eine Zahl zu nennen, jenen 43 600 Kindern im Ruhrbergbau, die bereits seit einem Jahr das Kindergeld erhalten. Die IG Bergbau wird Ihnen dazu etwas anderes sagen!
Warum wollen wir das jetzt tun? Wir haben dieses Gesetz seit langer Zeit eingebracht, es ist aber dreimal abgesetzt worden. Ich muß Ihnen sagen, daß ich kein Verständnis dafür gehabt habe. Wir haben uns vor Wochen über die Frage der Gleichberechtigung unterhalten. Gut und schön! Aber da hätten wir — dieses Gesetz stand auf der Tagesordnung — es beraten können, dann hätten wir Erfolge erzielt.
Herr Kollege Winkelheide, ich habe eine Frage an Sie. Warum hat denn Ihre Fraktion nicht einen Gesetzentwurf über Familienausgleichskassen vorgelegt, sondern nur diesen Gesetzentwurf über die steuerliche Behandlung? Die Familienausgleichskassen sind doch nach Ihrer eigenen Auffassung viel wichtiger! Warum zögern Sie dann so mit ihrem Gesetzentwurf?
Herr Kollege Schellenberg, seien Sie beruhigt! Der Gesetzentwurf ist eingebracht und kann in etwa vierzehn Tagen diskutiert werden.
Wir haben diesen kleinen Entwurf über die steuerliche Behandlung vorgezogen, weil das nachher die Beratung unseres großen Entwurfs erleichtert, weil dieser Entwurf ja auch Bestandteil des großen Entwurfs ist und wir möglichst zum 1. April die Empfänger des Kindergeldes — das ist eine gute Tat — in den Genuß der Steuerfreiheit bringen wollen.
Wir können doch die Dinge nicht auf den Kopf stellen, Herr Kollege Richter. Ich wende mich dagegen, daß dann bei Ihnen so ein Unterton mitspricht: „Ach, was habt Ihr denn schon getan! Was ist das überhaupt! Das ist so eine kleine Geschichte!"
Wir haben mit dem alten Entwurf im 1. Bundestag eine Grundlage für die Finanzierung gezeigt, und die Wirtschaft war dazu bereit. Sie hätten nur ja zu sagen brauchen!
Nun will ich mich vorweg einem anderen Problem zuwenden. Sie machen alles mürbe und alles madig, was so nach eigener Initiative aussieht.
Sie machen es sich einfach, indem Sie sagen: „Das muß der Staat machen!" Ich warne vor dem Gedanken, daß dieser Staat Kinderzulagen geben soll.
Damit die Menschen nicht noch abhängiger werden und die Familie nicht zum Empfänger der Fürsorgeleistungen des Staates wird, warne ich vor staatlichen Einrichtungen.
Der Familienvater muß wieder ein natürliches Anrecht gegenüber der Wirtschaft haben, nicht gegenüber dem Staat.
— Da reden wir nicht darum herum. Wenn Sie das nicht verstehen, — — nein, Sie können es auch nicht verstehen, weil Ihr Ordnungsbild von der Familie und Ihr Ordnungsbild von der Freiheit ein ganz anderes ist als unser Ordnungsbild.
Sicher, meine Damen und Herren, hat dieser Entwurf einige kleine Lücken und einige Unschönheiten. Aber letzten Endes können wir nicht alles auf einmal erreichen. Ich glaube aber, wir sollten uns darin einig sein in diesem 2. Deutschen Bundestag, daß wir zunächst eine Frage einmal grundsätzlich lösen, nämlich die der Steuerfreiheit der Kinderzulagen, die bereits gezahlt werden;
daß wir das alles hinterher in weiteren Gesetzen tun wollen und tun werden, dafür können Sie die Garantie von uns übernehmen, daß wir angesichts der Tatsache, daß auch ein Familienministerium existiert,
das dynamische Kraft entwickelt,
nicht ruhen und rasten, bis die Gesetzentwürfe kommen.
— Ja, ich bin eben ermahnt worden von Frau Kollegin Ilk, ich müßte lauter sprechen, damit sie es versteht.
— Manchmal muß man laut sprechen, damit man es versteht.
Ich darf zum Abschluß im Namen unserer Fraktion danken für die freiwillige Initiative der Wirtschaft, danken all den Kräften, die die Einführung ermöglicht haben durch ihre Mitwirkung, die also bisher das Geld zahlten. Wir wollen die Dinge weiter ausbauen, indem wir mit diesem Entwurf der Selbsthilfe der Wirtschaft die staatliche Stütze geben.
Ich bitte, daß dieser Entwurf dem Finanz- und Steuerausschuß und zur Mitberatung dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen wird. Über all die anderen Probleme werden wir uns in 14 Tagen unterhalten, wenn unser Entwurf hier vorliegt.
Er wird aber den Vorzug der echten Grundlage und der echten Finanzierung haben, das darf ich Ihnen heute schon sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, das Wort hat noch einmal der Abgeordnete Richter und dann Frau Abgeordnete Dr. Ilk. Ich möchte aber die Redner bitten, in Anbetracht der Tatsache, daß wir noch 11 Punkte auf der heutigen Tagesordnung haben, sich doch kurz zu fassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, dem Wunsche des Herrn Präsidenten entsprechend mich der Kürze zu befleißigen. Aber einige Ausführungen des Herrn Kollegen Winkelheide geben mir doch Veranlassung, darauf zu erwidern. Ich möchte es nicht in dem Tone der Erregung tun, verehrter Herr Kollege Winkelheide,
und ich bedaure sehr, wenn ich Sie zu dieser Erregung gebracht habe.
Aber zur Sache selbst. Sie haben eben wiederholt erwähnt — wörtlich, das Protokoll wird es ausweisen —, daß Sie für alle bestehenden Kinderbeihilfen die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit einführen wollen. In Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren von der CDU, ist nur von Einrichtungen von Wirtschafts- und Berufsgruppen oder Teilen solcher die Rede, nicht davon, daß diese Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit auch für den gesamten öffentlichen Dienst gewährt werden soll. Der Eisenbahner, der Postbedienstete, der in der Kommune Tätige usw. erhält vom ersten Kind ab Kinderbeihilfe. Durch Ihren Entwurf schließen Sie für diesen Personenkreis die Steuerfreiheit für alle Kinder, auch vom dritten Kind ab, aus. Ich bin der Auffassung, daß das nicht gerecht ist.
Ich möchte auch in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, Herr Kollege Winkelheide, daß ich mit keiner Silbe erklärt habe, die SPD sei gegen Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von Kinderbeihilfen. Im Gegenteil, ich habe auf unseren Gesetzentwurf Drucksache 774 von 1950 hingewiesen, der in § 3 — ich habe ihn hier vor mir — die Bestimmung über Unpfändbarkeit und Steuerfreiheit enthält und der zum Ausdruck bringt, daß die Kinderbeihilfe, die nach diesem Gesetz zu zahlen wäre, steuerfrei und beitragsfrei ist. Es gibt also im Grundsätzlichen gar keinen Unterschied. Die Frage ist nur, ob nicht durch diesen Gesetzentwurf draußen in der Praxis bei den kinderreichen Familien in bezug auf die Einstellung usw. Schwie-
rigkeiten entstehen könnten. Es wird verschiedentlich gut gehen. Eine Zeit geht es der Wirtschaft gut; eine Zeit geht es einem Beruf gut; eine Zeit geht es einem Betrieb gut. Aber dann kommt eine Krise, und mögen es auch die besten Menschen sein, die Verhältnisse sind manchmal stärker als der gute soziale Wille. Gegen all das ist in Ihrem Gesetzentwurf keine Sicherung enthalten. Das Risiko ist nicht über einen Betrieb, über eine Wirtschaftsgruppe hinaus auf die gesamte Wirtschaft, auf unser gesamtes Volk aufgeteilt.
Uns ist die Gewährung von Kinderbeihilfen so bedeutungsvoll, daß wir sie ohne Risiko durchführen wollen.
Meine Damen und Herren, nach Ihrem Entwurf könnte die Kinderbeihilfe, die vom Arbeitgeber gewährt wird, bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, bei Streik, bei Aussperrung, und was weiß ich sonst alles, in Wegfall kommen. Bei der Deutschen Kohlenbergbauleitung gab es eine schlechte Bestimmung, wonach ein Arbeitnehmer, der länger als vier Wochen krank war, keinen Anspruch auf Weiterzahlung der Kinderbeihilfe mehr hatte.
Sie besteht nicht mehr, aber sie war doch furchtbar. Bedenken Sie doch, wie der Haushalt des Kumpels aussieht, der länger als vier Wochen krank ist und für den diese 20 DM pro Kind für das dritte, vierte, fünfte Kind wegfallen; denn das Krankengeld ist ja schon geringer als der Lohn, und eine Weiterzahlung des Lohnes kennt der gewerbliche Arbeiter doch nicht. Das sind die Sorgen, die wir haben.
Nun will ich Ihnen auch die letzte Sorge in aller Offenheit sagen. Es besteht die Gefahr, daß bei Durchführung dieses Gesetzentwurfs eine allgemeine gesetzliche Regelung der Kinderbeihilfen zumindest verzögert, wenn nicht auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird.
— Jawohl, die sage ich Ihnen! Oder wollen Sie sie aus dem Schreiben der Arbeitgeber vorgelesen haben? Die Begründung ist ganz einfach. Die Arbeitgeber stehen nämlich auf dem Standpunkt: Höchstens ein Rahmengesetz, aber alles andere ist unsere Angelegenheit; wir wollen alles tun, wir sind doch so sozial! — All das geht aus dem Inhalt dieses Schreibens hervor.
Aber der Herr Präsident hat mich gebeten, mich kurz zu fassen. Ich will deshalb auf Einzelheiten nicht eingehen. Ich will nur zum Schluß Sie, Herr Winkelheide, und die Damen und Herren von der CDU darauf aufmerksam machen, daß wir noch in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf Drucksache Nr. 4562 über die Gewährung von Beihilfen für Familien mit Kindern eingebracht haben. Darin haben wir den Grundsatz der Familienausgleichskassen festgelegt und verlangt, daß vom dritten Kind an, nach kurzer Zeit vom zweiten Kind an —und nach und nach wollten wir bis zum ersten Kind kommen — eine Kinderbeihilfe gewährt wird. Ich glaube, es waren 46 Änderungsanträge, die zu diesem Gesetzentwurf von Ihnen, Herr Kollege Horn, und Ihren Freunden im Ausschuß gestellt wurden.
Damit wurde erreicht, daß dieser Gesetzentwurf
im Sozialpolitischen Ausschuß nicht abschließend
behandelt werden konnte, daß er in die Versenkung geraten ist und daß wir erst jetzt, nachdem wir bereits über ein halbes Jahr in der zweiten Legislaturperiode zusammenarbeiten, endlich zum Start kommen. Ich hoffe, daß wir auch zum Ziele kommen, zu einer gesetzlichen Regelung einer allgemeinen Kinderbeihilfe für die Bundesrepublik Deutschland als letztes europäisches Land, das eine solche Regelung noch nicht hat. Das sollten wir uns vor Augen halten.
Wir sind für die Ausschußüberweisung, aber nicht wie Herr Winkelheide vorschlug; federführend sollte nach meiner Auffassung der Sozialpolitische Ausschuß sein und mitberatend der Finanz- und Steuerausschuß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Winkelheide, Sie haben mit Ihren temperamentvollen Ausführungen weithin offene Türen bei uns eingerannt.
Wenn vor vier Wochen dieser Antrag behandelt worden wäre, hätte die ganze Sache ein völlig anderes Gesicht bekommen als jetzt nach den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers.
— Das weiß ich nicht; ich war nicht im Ältestenrat. Aber Sie, meine Herren und Damen, schieben jetzt die Sache im wesentlichen auf das Gleis der Familienausgleichskassen. Ich denke, daß wir dieses Thema sehr ausführlich diskutieren werden, wenn es wieder auf der Tagesordnung steht.
Wir sollten uns jetzt auf den Antrag, so wie Sie ihn uns hier vorgelegt haben, sachlich beschränken und dabei im wesentlichen die steuerliche Seite hervorheben, auf die Sie abzielen. Ich bin infolgedessen — ich wiederhole es — der Meinung, daß dieser Antrag nicht ausreicht, weil er eben nicht von der Steuergleichheit ausgeht. Aber er sollte eben darum, weil er eine Steuerfrage betrifft, in erster Linie im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen behandelt, d. h. zur Federführung an ihn überwiesen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Winkelheide hat schon darauf hingewiesen, es sei lediglich auf ein Mißverständnis zurückzuführen, wenn wir vorhin die zehn Minuten Begründungszeit nicht ausgenutzt haben. Wir waren informiert, der Ältestenrat sei übereingekommen, auf Begründung und Debatte zu verzichten.
Nun gestatten Sie mir, daß ich zu dem, was sich jetzt hier abgespielt hat, folgendes sage. Unser Antrag trägt das Datum vom 14. Januar 1954. Inzwischen zählen wir ungefähr den 14. März. Es ist, um das hier ganz ausdrücklich zu sagen, eben nicht unsere Schuld, daß dieser Antrag aus den bekannten Gründen drei- oder viermal von der Tagesordnung abgesetzt worden bzw. nicht zum
Zuge gekommen ist. Wenn wir nun erst im März darüber reden, dann rücken wir natürlich jetzt angesichts der neueren Vorgänge in der Steuerreform dem Zeitpunkt erheblich näher, an dem wir die erste Lesung über die eingereichten Gesetzentwürfe abzuhalten haben. Aus diesen Gedankengängen heraus hatte ich mich neulich mit dem Kollegen Richter in Verbindung gesetzt und bei ihm angeregt, wir sollten bei der ersten Lesung dieser Vorlage auf jegliche Debatte verzichten.
Ich habe das nicht zuletzt deshalb getan, weil ich mir persönlich darüber klar war, daß man, wenn wir hier eine Debatte über diese kleine steuerliche Angelegenheit führen, dann zwangsläufig versuchen wird, das ganze Thema Familienausgleichskassen an diesem schwachen Nagel aufzuhängen
und dann in der Form zu behandeln, wie wir es durch diesen Anschauungsunterricht hier eben erfahren haben.
Wenn ich das Datum 14. Januar noch einmal nenne, dann nur aus dem Grunde, weil wir uns gesagt haben: Bis zur Verabschiedung des Gesetzes über die Familienausgleichskassen oder Kinderbeihilfen vergehen immerhin noch diverse Monate. Wir wollten, daß den Menschen, die heute die Kinderbeihilfe schon beziehen, mit Wirkung ab 1. Januar auch die steuerlichen und in bezug auf die Sozialversicherungsbeiträge vorgesehenen Vergünstigungen zugute kommen, die sowohl die SPD als auch wir und überhaupt wohl das ganze
Haus im Rahmen der Kinderbeihilfen sichergestellt sehen möchten.
Wenn also die Dinge so liegen, dann hätten Sie, verehrter Herr Kollege Richter — das muß ich doch auch noch einmal sagen —, es unterlassen sollen, von „diesem kümmerlichen Gesetzentwurf" zu sprechen; denn wir sollten uns doch absolut klar sein, um was es hier geht. Wenn der Herr Kollege Dr. Miessner diese Dinge richtig verstanden hätte, dann hätte er auch den Zwischenruf, daß hier konfuses Zeug geredet worden sei, unterlassen.
Ich will keine Untersuchung darüber anstellen, von wem hier gelegentlich konfuseres Zeug geredet worden ist als von dem Kollegen Winkelheide.
Darauf möchte ich meine kurzen Ausführungen beschränken. Es ging mir darum, vor der Öffentlichkeit klarzustellen, daß dieser kleine Gesetzentwurf kein Sich-Herumdrücken um die eigentliche Kernfrage ist, sondern daß wir hier schon einige Monate vorher Vergünstigungen sicherstellen wollten, die das kommende Gesetz sowieso vorsieht. Wenn unserem Gesetzentwurf der Nachteil zugesprochen wird — und wenn Sie wollen, ist es vielleicht einer —, daß er eben nur diesen kleinen Ausschnitt hier berücksichtigt, dann ist dabei immer zu beachten, daß es nur eine V o r w e g -n a hm e aus dem kommenden Gesetz ist. Über die Frage, ob auch sonstige Kinderbeihilfen und Zuschläge behandelt werden müssen wie diese, wird zu diskutieren sein. Dabei wird wahrscheinlich
auch der Herr Bundesfinanzminister noch ein Wort mitzusprechen haben.
Das noch zur kurzen Klarstellung. Im übrigen sehen wir uns bei der ersten Lesung auf diesem Felde der Ehre wieder.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung zu Drucksache 189.
Im Ältestenrat war, Herr Kollege Richter, allgemeine Übereinstimmung erzielt worden, diese Drucksache an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — federführend — und an den Ausschuß für Sozialpolitik — mitberatend — zu überweisen.
Ich bin der Meinung, wir sollten darum nicht kämpfen. Nehmen Sie Ihren Antrag zurück?
— Gut! Es wird also vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen
— federführend — und an den Ausschuß für Sozialpolitik, mitberatend. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe dann Punkt 7 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts .
Auf Begründung und Debatte soll verzichtet werden. Ich schließe die Beratung und schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen Nr. 63 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20. Juni 1938 über Statistiken der Löhne und der Arbeitszeit in den hauptsächlichsten Zweigen des Bergbaus und des verarbeitenden Gewerbes einschließlich des Baugewerbes sowie in der Landwirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 258). (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Herrn Abgeordneten Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen Nr. 63 der Internationalen Arbeitsorganisation vom
20. Juni 1938 über Statistiken der Löhne und der Arbeitszeit — Drucksache 126 — wurde in der 10. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am
21. Januar 1954 an den Ausschuß für Arbeit überwiesen. Dieser Ausschuß hat die Vorlage in seiner
Sitzung vom 5. Februar 1954 behandelt. Er war einstimmig der Auffassung, das Hohe Haus möge dem vorliegenden Gesetzentwurf seine Zustimmung geben.
Meine Damen und Herren, mit der vorgeschlagenen Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 63 übernimmt die deutsche Bundesregierung die Verpflichtung, in regelmäßigen Zeitabständen Statistiken a) über den durchschnittlichen Verdienst und die tatsächliche Arbeitszeit im Bergbau und im verarbeitenden Gewerbe, b) über die Zeitlohnsätze und die gewöhnliche Arbeitszeit im Bergbau und im verarbeitenden Gewerbe sowie über die Löhne in der Landwirtschaft zu führen und deren Ergebnisse dem Internationalen Arbeitsamt mitzuteilen.
Die wichtigsten dieser Statistiken bestehen in der Bundesrepublik bereits. Es sind allerdings einige Ergänzungen des derzeitigen Programms notwendig, vor allem der Aufbau einer Tariflohnstatistik und die Einführung einer laufenden Statistik über die Verdienste in der Landwirtschaft. Diese Ergänzungen werden auch von den Sozialpartnern und den zuständigen Behörden schon seit längerer Zeit gewünscht. Die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit sind ebenfalls einhellig der Ansicht, daß diese Erweiterung der bestehenden Statistiken im deutschen Interesse liegt.
Der Bundesrat hat in seiner 116. Sitzung vom 27. November 1953 gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes beschlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Wort zur Internationalen Arbeitsorganisation überhaupt. Die Internationale Arbeitsorganisation wurde im Jahre 1919 als eine autonome, aber mit den Völkern verbundene Organisation gegründet. Sie besteht nunmehr 35 Jahre und ist jetzt eine den Vereinten Nationen angeschlossene Organisation. Deutschland gehörte bis 1933 dieser internationalen Organisation an. Im Jahre 1933 kam die Unterbrechung. Erst seit 1951 ist die Bundesrepublik wieder Mitglied. Daß wir diese Feststellung über die Mitgliedschaft bei der Internationalen Arbeitsorganisation treffen können, dürfte für uns erfreulich sein, dürfte zu begrüßen sein; denn wir wissen, daß die Internationale Arbeitsorganisation sich zum Ziel gesetzt hat, in allen Ländern der Welt eine soziale Fortentwicklung zu unterstützen, die allen Menschen den höchstmöglichen Lebensstandard sichern soll. Ihre Aufgabe besteht also darin, die Arbeits- und Lebensbedingungen in der ganzen Welt zu verbessern, um dadurch einen allgemeinen und dauernden Frieden mit sichern zu helfen.
Die Internationale Arbeitsorganisation ist eine Organisation von Staaten. Sie wird durch Beiträge der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten finanziert. Im Gegensatz zu anderen internationalen Organisationen zeichnet sie sich dadurch aus, daß ihr Organvertreter nichtamtlicher Organisationen, und zwar der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, gleichberechtigt mit den Vertretern der Regierungen angehören, um die Politik, die Programme und die Beschlüsse der Internationalen Arbeitsorganisation zu beeinflussen. Die Beschlüsse der Internationalen Arbeitsorganisation, die durch bindende Konventionen und Empfehlungen eine internationale Arbeitsordnung herbeiführen, werden von den grundsätzlich alljährlich stattfindenden internationalen Arbeitskonferenzen
gefaßt. Diese bestehen aus Delegationen der Mitgliedstaaten. Jede Delegation setzt sich aus zwei Regierungsvertretern, einem Arbeitnehmer- und einem Arbeitgebervertreter zusammen. Die wichtigsten Funktionen der Konferenzen bestehen darin, internationale Mindestnormen für Arbeits- und Lebensbedingungen zu formulieren. Diese Mindestnormen finden ihren Niederschlag in Konventionen und Empfehlungen. Für ihre Annahme ist je eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten notwendig. Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Organisation haben die Verpflichtung, die Konvention ihren zuständigen nationalen Körperschaften zwecks Entscheidung über ihre Ratifizierung vorzulegen. Die beschlossenen Konventionen werden dann allen Mitgliedstaaten zur Ratifikation übermittelt. Jeder Mitgliedstaat hat die Verpflichtung, spätestens innerhalb eines Jahres nach Abschluß der Arbeitskonferenz, auf der die Konvention angenommen wurde, oder, wenn es wegen außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist, 18 Monate nach Beendigung der Konferenz die Konvention den gesetzgebenden Körperschaften zwecks Erlaß entsprechender Gesetze oder Einleitung anderer Maßnahmen vorzulegen.
Ergänzend möchte ich noch sagen: Während der Mitgliedschaft des Deutschen Reiches in der Internationalen Arbeitsorganisation bis 1933 haben die internationalen Arbeitskonferenzen 40 Konventionen beschlossen. Von ihnen hat das deutsche Reich 17 ratifiziert. Die Verpflichtungen aus diesen vom Deutschen Reich ratifizierten Konventionen hat die Bundesrepublik Deutschland bei ihrer Aufnahme in die Internationale Arbeitsorganisation im Jahre 1951 insoweit übernommen, als diese Verpflichtungen im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind oder entstehen. Die Beschränkung ergibt sich zwingend aus der veränderten staatsrechtlichen Lage Deutschlands.
Im vergangenen Jahr, und zwar vom 4. bis 25. Juni 1953, fand in Genf die 36. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz statt, auf der die deutsche Delegation durch den Herrn Bundesminister für Arbeit und seinen Staatssekretär Sauerborn vertreten war. Ebenso waren als Delegierte vertreten die Herren Dr. Winkler und Kollege Richter. Die Bundesrepublik nimmt an den Arbeiten der Internationalen Arbeitsorganisation jetzt wieder regen Anteil. Diese Zusammenarbeit auf internationaler Grundlage ist nicht nur notwendig, sondern, ich möchte sagen, sehr bedeutsam im Hinblick auf die Aufgabenstellung bei der Zusammenarbeit aller Staaten in der Internationalen Arbeitsorganisation.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, daß der Arbeitsausschuß dem Hohen Hause einstimmig empfiehlt, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe nunmehr in der zweiten Beratung, und zwar in der Einzelberatung, auf Art. 1 des Gesetzes. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung in der zweiten Lesung. Wer dem Art. 1 in der vorgeschlagenen Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe in der Einzelberatung auf den Art. 2. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung. Wer dem Art. 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Art. 3. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Art. 3 des aufgerufenen Gesetzes in der vorgeschlagenen Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe in der Einzelberatung Art. 4 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe sie. Wer dem Art. 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 5 auf. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung. Wer Art. 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 5 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe in der zweiten Beratung Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe nunmehr zur
dritten Lesung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Die Behandlung der drei Ratifizierungsgesetze gibt Veranlassung, einige allgemeine Bemerkungen zum Internationalen Arbeitsamt zu machen. Wir begrüßen selbstverständlich — und mit uns, wie ich annehme, das ganze Hohe Haus — den Wiederbeitritt der deutschen Bundesrepublik zu dem Internationalen Arbeitsamt. Wir setzen uns dafür ein, daß wir uns mit aller Intensität an diesen Arbeiten beteiligen. Um dabei zu einer wirklich guten Arbeit zu kommen, wäre es wünschenswert, daß wir außer dem Regierungssitz auch in dem Verwaltungsrat je einen Sitz für die Arbeitnehmer- und für die Arbeitgebervertreter bekämen.
Wir müssen bei dieser Gelegenheit auch einen gewissen Einfluß auf das Klima nehmen, das sich in dieser Organisation noch nicht in allen Dingen zugunsten der deutschen Bundesrepublik gewendet hat. Ich erinnere daran, daß in einer der letzten Mitteilungen der ILO-Nachrichten — in Nr. 20 — eine völlig irreführende Darstellung über die Lohn-und Einkommensverhältnisse in der Bundesrepublik gegeben worden ist.
Wie weiter bei dieser Gelegenheit zu bemerken ist, ist es auch erforderlich, daß wir darauf achten, als deutsche Bundesrepublik keine Bindungen einzugehen, die sich nicht mit unserer allgemeinen Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsform und auch mit der Lage unserer Sozialversicherung vertragen. Dabei möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundesregierung, insbesondere des Herrn Bundesarbeitsministers, schon auf das Übereinkommen Nr. 102 lenken, das demnächst einmal von diesem Hause verabschiedet werden soll. Ich glaube, daß darin doch einige Punkte enthalten sind, die nicht ohne weiteres die Billigung dieses Hohen Hauses finden werden.
Es handelt sich hier ja um Ratifizierungsabkommen, die vom Bundestag nur entweder angenommen oder abgelehnt werden können. Infolgedessen sollte sich die Bundesregierung vorher der Tatsache vergewissern, daß sie ihre Annahme auch durchsetzen kann, weil sonst ein wenig erfreulicher Zustand bezüglich dieser internationalen Vereinbarungen eintreten würde.
Bei den heute zur Debatte stehenden Verträgen habe ich zwar einige Bedenken — gerade bei dieser Drucksache 126 —, ob nicht doch erhebliche finanzielle Belastungen aus den zusätzlichen Statistiken für die Bundesrepublik entstehen können und ob nicht auch sehr ins Gewicht fallende zusätzliche arbeitsmäßige Anforderungen an die beteiligten Kreise gestellt werden. Wir haben aber trotzdem diesem Vertrag unsere Zustimmung gegeben und werden auch den beiden anderen, die als nächste Punkte auf der Tagesordnung stehen, zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus beschäftigt sich heute mit drei Übereinkommen, die auf der internationalen Arbeitskonferenz beschlossen wurden. Meine Fraktion wird diesen drei Vorlagen zustimmen.
Der Herr Berichterstatter Kollege Scheppmann hat schon in sehr netten Ausführungen auf die Bedeutung und die Arbeitsmethode des Internationalen Arbeitsamtes verwiesen. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß wir seit dem Juni 1951 wiederum Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation sind. Ich weiß, daß diese Tatsache in der Öffentlichkeit allgemein begrüßt wurde. Aber wir müssen uns fragen: Was haben wir seit dieser Zeit geleistet, seitdem wir Mitglied sind, also gewisse Verpflichtungen übernommen haben? Bei 103 Übereinkommen und 97 Empfehlungen wurde in Wirklichkeit nur ein Übereinkommen ratifiziert, und zwar das Übereinkommen Nr. 99, welches das Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft behandelt. Die Ratifikation dieses Übereinkommens hat Jahre gedauert. Es wurde vor zwei Jahren von der Bundesregierung unterbreitet und dann im Bundestag behandelt. Nachdem es bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht war, hat es sieben Monate gedauert, bis es in Genf hinterlegt wurde. Sieben Monate hat die Reise von der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt bis zum Internationalen Arbeitsamt in Genf gedauert. Von da ab ist es, international gesehen, erst rechtsgültig und verpflichtet uns erst. Eine so lange Zeit ist auf die Dauer gesehen einfach unmöglich. Wir bitten die Bundesregierung dringend, dafür besorgt zu sein, daß das Verfahren der Ratifizierung von internationalen Übereinkommen, soweit der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung zuständig sind, beschleunigt wird.
Wir bitten ebenso dringend, daß uns die Bundesregierung außer diesen drei Übereinkommen, die uns heute vorgelegt sind, in aller Kürze weitere, und zwar bedeutsame Übereinkommen unterbreitet; wir haben nämlich festgestellt, daß der größte Teil der Übereinkommen ohne Änderung der diesbezüglichen deutschen Gesetze ratifiziert werden kann. Deshalb ist es der Bundesregierung sehr leicht möglich, uns die Vorlagen zu unterbreiten.
Wir sollten Wert darauf legen, daß wir im Juni, wenn die Arbeitskonferenz wiederum beginnt und über die Übereinkommen, die inzwischen ratifiziert worden sind, Bericht erstattet wird, mit mehr als einem Übereinkommen erwähnt werden, daß wir bis dahin von den restlichen Übereinkommen einen erheblichen Teil ratifiziert haben und daß das im Bericht des Generaldirektors des Internationalen Arbeitsamts zum Ausdruck kommen kann.
Bereits im Dezember 1951 hat der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Bundesregierung eine Denkschrift unterbreitet, in der er darauf hinwies, welche Übereinkommen nach seiner Meinung ohne Änderungen der diesbezüglichen deutschen arbeits- oder sozialrechtlichen Bestimmungen ratifiziert werden könnten, und hat die Bundesregierung gebeten, dies zu tun. Wir bitten dringend, das Hohe Haus möge die Bundesregierung ersuchen, dieser Bitte der Gewerkschaften, der Repräsentation der Arbeitnehmerschaft, zu entsprechen; denn diese Übereinkommen sind ja letzten Endes für die Regelung der Verhältnisse der deutschen Arbeitnehmerschaft maßgebend. Deshalb legen wir allen Wert darauf, daß beschleunigt verfahren wird. Es genügt nicht, jedes Jahr zur Internationalen Arbeitskonferenz zu fahren, verehrter Herr Bundesarbeitsminister Storch, und dort eine nette Rede zu halten, wie Sie das jedes Jahr getan haben, was ich hier gerne anerkenne; es ist auch nicht genügend, daß wir mitberatend mit den Vertretern der anderen Nationen, der Regierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, zusammenarbeiten; wir müssen auch die Tat folgen lassen, die diese Vorarbeiten doch schließlich erfordern. Die Tat aber besteht in der Vorlage und Ratifikation weiterer und auch bedeutsamer Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ursprünglich war keine Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt vorgesehen. Nachdem aber nun die Aussprache begonnen worden ist, erscheint es mir notwendig, auch von unserer Seite etwas zu diesen Problemen zu sagen.
Herr Kollege A t z e n r o t h hat gefragt: Ist diese Regelung, die hier zur Diskussion steht, unbedingt notwendig; wie sind die Kosten dieser Regelung? Dazu möchte ich folgendes sagen. Die Statistik, die verlangt wird, ist nicht nur für das Internationale Arbeitsamt wichtig. Ich glaube, auch uns im eigenen Land fehlt diese Grundlage, die wir benötigen, um daraus Schlußfolgerungen ziehen zu können. Ich weiß, daß man bei Statistiken maßhalten soll und daß das auch in Unfug ausarten kann. Aber ich glaube, zur Beurteilung mancher Tatbestände sind wir auf Erhebungen dieser Art angewiesen. In den Beratungen im Ausschuß ist uns von den Vertretern der Bundesregierung gesagt worden, die entstehenden Kosten seien minimal. Deshalb brauchen wir darum meines Erachtens nicht sonderlich besorgt zu sein.
Lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Auch ich möchte die Gelegenheit benutzen, zu sagen, daß wir die internationale Zusammenarbeit im sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Raum für dringend notwendig erachten. Ich glaube, es ist unser gemeinsames Wollen, auch in
diesem Bereich zu einer guten Zusammenarbeit zu kommen. Durch diese Arbeit wollen wir Anregungen empfangen und Anregungen geben. Das kann wirklich allen Völkern nur sehr dienlich sein. Ich möchte also die Gelegenheit benutzen, unser positives Bekenntnis zu dieser internationalen Zusammenarbeit auch hier noch einmal auszusprechen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung in dritter Beratung. Ich rufe auf die Art. 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Artikeln einschließlich Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen. Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen Nr. 88 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Juli 1948 über die Organisation der Arbeitsmarktverwaltung ,
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 259).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Übereinkommen Nr. 88 der Internationalen Arbeitskonferenz — Bundestagsdrucksache 127 — verpflichtet die ratifizierenden Staaten, eine öffentliche und unentgeltliche Arbeitsmarktverwaltung zu unterhalten. Ihre Hauptaufgabe soll in der bestmöglichen Organisation des Arbeitsmarktes liegen, da man hierin einen wesentlichen Teil des staatlichen Programms zur Erzielung und Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung sowie zur Entwicklung und Nutzung der produktiven Hilfsquellen sieht.
Die Arbeitsmarktverwaltung soll unter Leitung einer zentralen Dienststelle stehen und über ein ausreichendes Netz von Arbeitsämtern verfügen, welches das ganze Land umfaßt. Durch Einsetzung zentraler, soweit nötig, auch regionaler und örtlicher Ausschüsse, sollen Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Mitarbeit bei der Organisation und Tätigkeit der Arbeitsmarktverwaltung und beim Ausbau der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen herangezogen werden. Das Übereinkommen enthält Grundsätze über die Einrichtung, die technische Ausgestaltung und die Handhabung des Arbeitsvermittlungsdienstes, die zu treffenden Maßnahmen für Berufsberatung und Zusammenwirken mit der Arbeitslosenhilfe.
Das Übereinkommen kann nach einhelliger Meinung des Ausschusses ratifiziert werden, da der Aufbau der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und deren ganzes System den Grundsätzen des Übereinkommens entsprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich darf daran erinnern, daß vereinbart ist, bei den Punkten 8 bis 11 der Tagesordnung eine Aussprache erst bei der dritten Lesung durchzuführen, soweit sie überhaupt gewünscht wird.
Ich rufe darum in zweiter Lesung zur Abstimmung auf die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Ich rufe auf die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das übereinkommen Nr. 96 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung (Drucksache 128);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 260).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Übereinkommen Nr. 96 in der Fassung von 1949 über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung ist an die Stelle eines früheren Übereinkommens vom Jahre 1933 getreten. Das Übereinkommen hat in den Bestimmungen seines Teils II, die durch das vorliegende Gesetz von der Bundesrepublik angenommen werden sollen, die fortschreitende Aufhebung der auf Gewinn gerichteten Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung zum Gegenstand und enthält weiterhin Vorschriften für die nicht gewerbsmäßigen Einrichtungen zur Arbeitsvermittlung. Das Übereinkommen kann von der deutschen Bundesrepublik ratifiziert werden, da die Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung vom 5. November 1935 sowie die hierzu ergangenen Durchführungsverordnungen in Verbindung mit den von der früheren Reichsanstalt erlassenen Vorschriften über die Durchführung der gewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung — für Artisten-, Konzert- und Bühnenvermittlungen — den Grundsätzen des Übereinkommens entsprechen. Dementsprechend hat der Ausschuß einstimmig empfohlen, dem Gesetzenwurf zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß entsprechend der Drucksache 260 die Drucksache 128 geändert wird, und mit dieser Änderung aufrufen die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich trete in die Abstimmung ein und rufe auf die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Eine Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Arbeitslosenversicherung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 261). (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Drucksache 164 liegt dem Hohen Hause für die zweite und dritte Lesung ein weiteres internationales Abkommen zur Beschlußfassung vor. Es ist der Entwurf eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Arbeitslosenversicherung. Das Abkommen wurde in Rom am 5. Mai 1953 von den Vertragspartnern unterzeichnet. Die Verhandlungen der Delegationen der beiden Staaten fanden vom 9. bis zum 23. März 1953 in Bonn und vom 2. bis zum 5. Mai 1953 in Rom statt.
Dieses Abkommen bezieht sich auf die Gesetzgebungen der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge in der Bundesrepublik und über die Arbeitslosenversicherung einschließlich der Bestimmungen über die außerordentliche Fürsorge für Arbeitslose in der Italienischen Republik. Es bestimmt, daß deutsche Staatsangehörige in der Italienischen Republik und italienische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland der genannten Gesetzgebung unterliegen. Es erwachsen ihnen dadurch die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten, wie sie die Angehörigen des Vertragsstaates in dessen Gebiet besitzen. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Abkommens befinden sich annähernd 5000 Deutsche in Italien und die annähernd gleiche Zahl von Italienern in der Bundesrepublik, die durch ihr Arbeitsverhältnis unter die Auswirkungen dieses Abkommens fallen. Die Versicherungspflicht und die Versicherungsleistung richtet sich auf Grund dieses Abkommens nach den geltenden Vorschriften des Beschäftigungsortes und den Vorschriften des Vertragsstaates. Eine Überweisung von Leistungen an zahlungsberechtigte Angehörige eines Arbeitslosen, die im Gebiet des anderen Vertragsstaates wohnen, kann auf Grund dieses Abkommens bewilligt werden.
Ein zu beachtender wesentlicher Umstand in diesem Abkommen ist, daß eine Verrechnung und Erstattung der Leistungen zwischen den beiderseitigen Versicherungsträgern zu erfolgen hat. Ich betone dies besonders, da bei gleichen Abkommen,
die die Bundesrepublik bereits mit Österreich und
den Niederlanden abgeschlossen hat, diese Verpflichtung der Leistungserstattung nicht besteht.
Das Abkommen wird für die Dauer eines Jahres nach dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens geschlossen. Es gilt als stillschweigend von Jahr zu Jahr verlängert, sofern es nicht von der Regierung eines der beiden Vertragsstaaten spätestens drei Monate vor Ablauf der Jahresfrist schriftlich gekündigt wird.
Das vorliegende Gesetz soll auch im Lande Berlin gelten, wenn das Land Berlin dieses Gesetz beschließt.
Der Ausschuß für Arbeit hat dem vorliegenden Gesetz einstimmig zugestimmt und empfiehlt dem Plenum gleichfalls die Annahme.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift und bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung und rufe auf: Art. 1, — 2, — 3, — 4,— Einleitung und Überschrift und bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Hypotheken- und Schiffsbankrechts sowie über Ausnahmen von § 247 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Drucksache 255).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Welskop.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch das Gesetz vom 5. August 1950 erhielten die Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken die bis zum 31. Dezember 1953 befristete Möglichkeit, ihre Geschäfte zu erweitern und Globaldarlehen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei anderen Kapitalsammelstellen aufzunehmen. Damals, im Sommer 1950, war der Kapitalmarkt noch so schwach, daß es nicht möglich war, langfristiges Sparkapital in dem erwünschten Ausmaß durch Ausgabe von Pfandbriefen aufzubringen. Auf der anderen Seite war man jedoch davon überzeugt, daß es zur Förderung des Wohnungsbaus und des Schiffsbaus langfristiger Kredite in weitem Umfange bedürfe und daß dazu auch die Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken berufen seien.
Bei der Beschlußfassung des Gesetzes vom 5. August 1950 ging man von der Erwartung aus, daß sich die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt
bis Ende 1953 so bessern würden, daß die Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken den notwendigen Bedarf an langfristigem Kapital durch Ausgabe von Pfandbriefen beschaffen könnten. Diese Erwartungen haben sich jedoch nicht erfüllt. Der Pfandbriefabsatz ist bis heute nicht so gestiegen, daß Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken auf die im Gesetz vom 5. August 1950 vorgesehene anderweitige Möglichkeit zur Kapitalbeschaffung verzichten könnten. Im Interesse der weiteren Förderung des Wohnungsbaus und des Schiffsbaus ist daher eine Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes vom 5. August 1950 notwendig. Die Bundesregierung hat demgemäß mit der Drucksache 195 den Entwurf eines Gesetzes über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Hypotheken-
und Schiffsbankrechts eingebracht. Dieser Entwurf hat dem Bundesrat, dem Ausschuß für Geld und Kredit und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht vorgelegen.
Der Bundesrat hat beantragt, die Eingangsformel wie folgt zu fassen:
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bun-
desrates das folgende Gesetz beschlossen.
Die beiden Ausschüsse sind jedoch mit der Bundesregierung der Ansicht, daß der Gesetzentwurf nach dem Grundgesetz nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Es ist zwar richtig, daß das Gesetz vom 5. August 1950 als Zustimmungsgesetz verkündet worden ist, nachdem der Bundesrat diesem Gesetz ausdrücklich nach Art. 78 des Grundgesetzes zugestimmt hatte. Ob diese Zustimmung notwendig war, mag dahingestellt bleiben. Die in
§ 1 des vorliegenden Entwurfs vorgesehene Änderung des Gesetzes vom 5. August 1950 enthält
jedenfalls keine zustimmungsbedürftige Regelung.
§ 2 Abs. 4 letzter Satz des Entwurfs regelt nicht das Verfahren der Aufsichtsbehörde, sondern stellt lediglich klar, daß die Befugnisse der Aufsichtsbehörde, eine teilweise Gewinnausschüttungssperre im Wege der Rechtsverordnung zu verhängen, nicht berührt werden.
Hiernach ist festzustellen, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Damit entfällt auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung des § 2 Abs. 4 Satz 3 des Entwurfs, da der Entwurf gemäß den obigen Ausführungen nicht zustimmungsbedürftig ist.
Auf Vorschlag des Bundesrates ist in § 5 der folgende neue Abs. 2 eingefügt:
Rechtsverordnungen, die auf Grund der in diesem Gesetz enthaltenen Ermächtigung erlassen werden, gelten im Lande Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 .
Gegenüber dieser Änderung, die lediglich eine andere Fassung der Berlin-Klausel vorsieht, werden von der Bundesregierung und den beiden Ausschüssen Bedenken nicht erhoben. Der ursprüngliche Entwurf ist insoweit abgeändert.
Es bestehen keine Bedenken, daß die Änderung des § 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 5. August 1950 infolge ihrer Rückwirkung aus verfassungsmäßigen Gründen zulässig ist. Die Bundesregierung und der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sind einstimmig derselben Ansicht.
Der Ausschuß für Geld und Kredit hat die Frist für die Erhöhung des Grundkapitals auf den 1. Januar 1954 verlegt. Entscheidend dafür war,
daß in einer von der Landesregierung unterstützten Eingabe von Kollegen aus Baden-Württemberg mitgeteilt worden war, daß der Württembergische Kreditverein. Stuttgart, die Kapitalerhöhung zwar vor dem 1. Okober 1953 beschlossen, aber bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt hatte. Ein zweiter Fall wurde aus Bremen bekannt. Nach Anhörung der Regierungsvertreter sah der Ausschuß für Geld und Kredit keinen Hinderungsgrund, die Frist vom 1. Oktober 1953 auf den 1. Januar 1954 auszudehnen. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hatte ebenfalls keine Bedenken.
In § 5 Abs. 1 wurde auf Antrag der Vertretung Berlins beim Bund die Berlin-Klausel geändert, da das zugrunde liegende Gesetz von 1950 vor dem Dritten Überleitungsgesetz ergangen ist und dessen Bestimmungen daher nicht zitiert werden können.
Als Abs. 1 a wurde der Änderungsvorschlag des Bundesrats unter Nr. 3 a eingefügt.
In Abs. 3 wurde dem Änderungsvorschlag des Bundesrats unter 3 c Rechnung getragen.
Auf Grund der notwendigen rückwirkenden Erstreckung des § 1 des Gesetzentwurfs mußte § 6 neu gefaßt werden.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht empfiehlt dem Hohen Hause die Annahme seines Antrages:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf — Drucksache 195 — mit den aus der Drucksache 255 ersichtlichen Änderungen, im übrigen unverändert nach der Vorlage, anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Da zu dem vorgelegten Gesetzentwurf Änderungsanträge nicht eingereicht sind, schlage ich Ihnen vor, daß wir Beratung und Abstimmung auch in zweiter Lesung bei den §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift miteinander verbinden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wird zu den aufgerufenen Paragraphen das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1, — § 2,
— § 3, — § 4, — § 5, — § 6, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Ich rufe auf zur Abstimmung: § 1, — § 2, — § 3, — § 4, — § 5,
— § 6, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!
Wir kommen zur Schlußabstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes .
Herr Abgeordneter Seither zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Sortieren von Obst und Gemüse sowie das Marktfähigmachen von Kartoffeln ist ein wesentlicher Teil der Qualitätsförderung in diesen Sektoren. Es ist bis jetzt nicht möglich gewesen, in den bäuerlichen Betrieben diese Sortierung durchzuführen, weil die technischen Voraussetzungen dort nicht gegeben sind. Diese Betriebe sind darauf angewiesen, die Sortierung im Handel und in den Großgenossenschaften und Genossenschaften durchführen zu lassen.
Die heutige Umsatzsteuerregelung allerdings hat zur Folge, daß bei der Sortierung von Obst und Gemüse die Umsatzsteuer anfällt. Leider ist es bisher nicht gelungen. eine Änderung dieser Regelung zu erreichen. Schon vor einem Jahr ist ein dementsprechender Antrag eingebracht worden. Er ist damals in die Ausschüsse verwiesen worden. In den Ausschüssen ist die Sache befürwortet worden. Sie lag dem Bundestag in der 280. Sitzung zur Beschlußfassung vor. Der Bundestag hat die vom Ausschuß in Drucksache Nr. 4630 beantragte Entschließung angenommen. Bislang ist aber von der Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz nicht vorgelegt worden. Wir haben uns deshalb veranlaßt gesehen, von unserer Fraktion aus einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes vorsieht.
Wir bitten Sie, diesem von uns vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes zuzustimmen.
Das Wort zur Aussprache hat der Abgeordnete Eberhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei stimmt dem Antrag zu, und zwar deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß durch die Steuerbefreiung hinsichtlich der Sortierung und Verpackung ein Steuerausfall überhaupt nicht eintritt. Denn daß Sortierung und Verpackung bislang eine erhöhte Umsatzsteuer, d. h. eine Mehrung um 3% verursachten, hatte zur Folge, daß sie vom Großhandel oder von den Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaften überhaupt nicht vorgenommen wurden. Wenn wir also dem Gesetz die Zustimmung geben, so bedeutet das fiskalisch gesehen keinerlei Ausfall; im Gegenteil, wir gewähren damit dem Erzeuger von Obst und Gemüse den Vorteil, daß er sehr wahrscheinlich einen besseren Preis erzielen wird. Die Hausfrau kauft ja nicht nur nach wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch mit dem Auge, d. h. wenn ausländisches Obst und Gemüse bevorzugt gekauft wurde, so nur deshalb, weil eben das Auge gekauft hat, was hinsichtlich der deutschen Erzeugnisse nicht möglich war, da eine Sortierung und Verpackung nicht vorgenommen wurden.
Für die Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaften — und dies gilt insbesondere für den Großhandel — hätte die Sortierung und Verpakkung nach den bisherigen Bestimmungen zur Folge gehabt, daß sie nicht nur ihre Vermittlerprovision,
d. h. ihre Maklerprovision, als Umsatz zu versteuern gehabt hätten, sondern den Gesamterlös. Ich denke hierbei an eine Verbrauchergenossenschaft der Pfalz, die im Schnitt einen Jahresumsatz von etwa 2 Millionen DM hat. Die Vermittlerprovision beträgt 5 %, das sind 100 000 DM. Hiervon hat die Verbrauchergenossenschaft eine Umsatzsteuer von 4 % zu bezahlen, was einen Betrag von 4000 DM ausmacht. Würde nach dem jetzt bestehenden Recht von der Verbrauchergenossenschaft eine Sortierung und Verpackung durchgeführt werden, dann hätte das zur Folge, daß diese Genossenschaft nicht ihre Vermittlerprovision von 100 000 DM mit 4 % als Umsatz versteuern müßte, sondern den Gesamterlös von 2 Millionen DM, was einen Betrag von 80 000 DM, mithin eine Mehrung von 76 000 DM ausmachen würde.
Wenn wir uns das alles vergegenwärtigen, dann glaube ich, daß kaum jemand im Hause anwesend sein dürfte, der diesem Antrag gemäß Drucksache 199 seine Zustimmung versagen wird. Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch darauf hinweisen — mein Vorredner hat bereits daran erinnert —, daß schon im letzten Bundestag der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen an dieses Hohe Haus die Empfehlung gerichtet hatte, dieser Gesetzesänderung die Zustimmung zu geben. Leider ist dies vermutlich wegen der Überfülle an Arbeit, die auf den 1. Deutschen Bundestag insbesondere zum Schluß der Legislaturperiode zugekommen ist, nicht mehr zum Tragen gekommen.
Ich bitte abschließend, davon Kenntnis zu nehmen, daß meine Fraktion dieser Gesetzesänderung zustimmen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion stimmt der Tendenz dieses Antrags in vollem Umfang zu. Ich beantrage aber, diesen Antrag dem Ausschuß für Steuer- und Finanzwesen und dem Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. Seitens meiner Freunde liegt nämlich noch ein Antrag vor, der leider infolge eines Versehens des Büros nicht zeitig genug ins Plenum gekommen ist. Er greift noch andere Dinge auf diesem Gebiete auf, die genau so liegen wie die Verpackung bei Obst und Gemüse. Diese ganze Frage können wir dann im Rahmen einer Ausschußberatung bereinigen. Ich bitte, dem von mir gestellten Antrag zuzustimmen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf zu überweisen federführend an den Ausschuß für Finanz-
und Steuerfragen sowie außerdem an den Ausschuß für Geld und Kredit und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; es ist also beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 14:
a) Beratung des Entwurfs einer Dreizehnten Verordnung über Zollsatzänderungen ;
b) Beratung des Entwurfs einer Vierzehnten Verordnung über Zollsatzänderungen ;
c) Beratung des Entwurfs einer Fünfzehnten Verordnung über Zollsatzänderungen .
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nehme an, daß der Entwurf Drucksache 227 an den Ausschuß für Außenhandelsfragen und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß und daß der Entwurf Drucksache 221 an den Ausschuß für Außenhandelsfragen sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen wird. Zu dem Entwurf Drucksache 221 möchte ich bemerken, daß hierzu von einer Reihe meiner Freunde Bedenken geäußert werden, die im Ausschuß noch näher geprüft werden müssen, weil der Einbruch in das Zollsystem mit Zolländerungen immer eine schwerwiegende Angelegenheit ist, nachdem wir die Vereinbarung mit dem sogenannten GATT haben. Man wird sich also über die Angelegenheit unterhalten müssen. Ich will dazu keine weiteren Bemerkungen machen, weil auf der einen Seite auch das Bedürfnis vorliegt, vielleicht in einem gewissen Umfang Nutzvieh zur Aufstockung der Viehbestände in Anspruch zu nehmen. Aber das Bedenkliche sind immer die Zollsatzänderungen.
Wesentliche Bedenken sind dagegen gegenüber dem Entwurf Drucksache 269 vorhanden. Der Bundesrat hat sich heute in seinem Agrarausschuß auch mit der Angelegenheit beschäftigt. Dabei sind, wie mir Informationen zugekommen sind, eine ganze Reihe von Ländern mit erheblichen Bedenken gegen diese Verordnung hervorgetreten. Sie wissen ja, daß ich voriges Jahr — es wird so im März oder April gewesen sein als die Käseliberalisierung durchgeführt wurde, hier im Plenum gegen dieses Vorgehen mit besonderem Nachdruck Stellung genommen habe. Ich habe damals gesagt, die Käseliberalisierung sei ein schwerer Fehler gewesen, weil man einseitig einen Teil der Milchverarbeitung herausgenommen und der Liberalisierung unterworfen habe. Später haben sich dann im Gefolge der Liberalisierung Nachteile bemerkbar gemacht. Als ich damals auf die Wirkungen hingewiesen hatte, die sich daraus ergehen können, habe ich von dem Vizekanzler Blücher ein längeres Telegramm bekommen. Darin erwiderte er, man nehme an, daß keine besondere Erhöhung der Käseeinfuhr stattfinden werde. Das ist überholt, die Käseeinfuhr hat sich erhöht. Man hat weiterhin zugesichert, daß man im Falle einer Erhöhung der Käseeinfuhr besondere Maßnahmen ergreifen werde, um die heimische Milchwirtschaft und die Käsereien entsprechend zu schützen. Über all das wird noch zu sprechen sein.
Wir sind nach wie vor der Meinung — auch nach den Ausführungen, die der Herr Bundesernährungsminister Lübke in der Öffentlichkeit gemacht hat —, daß alle Fragen der Milchwirtschaft einer besonders eingehenden und zusammenhängenden Prüfung bedürfen. Dazu gehört die Verordnung über Zollsatzänderungen auf dem Gebiet des sogenannten Almkäses, des Bergkäses — das ist ein Käse, der in etwa mit dem Emmentaler Käse zu vergleichen ist; da gibt es verschiedene Qualitäten —
— Na ja, ich wohne da unten, ich werde doch Bescheid wissen, worum es sich handelt.
— Sie sind mir ja freundlich, Herr Kriedemann. Es freut mich ganz besonders, daß wir endlich einmal einen vernünftigen Bundesgenossen haben.
Das erleichtert uns die Lage, es erschwert sie nicht.
Aber auch für mich ist das eine besondere Aufgabe, die mir gar nicht so leicht fällt.
Ich wohne an der bayrisch-österreichischen Grenze und bin sonst gewohnt, mit unseren österreichischen Freunden nachbarlich-freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Dafür können Sie ja Verständnis haben. Aber da, wo die gegenseitigen Wirtschaftsinteressen nicht übereinstimmen, sondern sich überschneiden, da sind die Verhältnisse unter den besonderen sachlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, die hier zutreffen. Das ist leider immer so.
Nun zum Text der Verordnung. Die Bundesregierung ist gar nicht vertreten; die hat sich selber eingeschmolzen, während wir über den Schmelzkäse reden.
Mindestens einer sollte doch da sein, aber da ist gar keiner da. Schön ist das auch nicht im demokratischen Staat,
wenn sich der Bundesrat heute vormittag mit der Angelegenheit beschäftigt und das Bundesernährungsministerium überhaupt gar nicht vertreten ist. Gestatten Sie, daß ich das moderato so vortrage.
Es wird ihr auch zu Gehör gebracht werden, auch wenn sie nicht da ist.
Die Fassung dieser Verordnung über Zolländerungen ist, entschuldigen Sie, sehr liederlich. Da heißt es:
Der Zollsatz des Zolltarifs für die nachstehend bezeichnete Ware wird bis auf weiteres wie folgt geändert.
Lesen Sie den Text nur nach: „bis auf weiteres". Dann steht unten, daß hier gewisse Konzessionen bezüglich einer Höchstmenge von 1000 t bis zum 31. Dezember 1954 gemacht werden sollen. Also das stimmt nicht miteinander überein.
Das Gefährliche an der Verordnung ist nämlich, daß man plötzlich eine vollständig zollfreie Einfuhr zugesteht. Woher das gekommen ist, wissen wir alle. Da besuchen sich die hohen Herren gegenseitig, und da werden natürlich manche Wünsche ausgetauscht, und da war der Käse auch mit dabei.
Infolgedessen haben wir uns hier über den Käse zu unterhalten.
Das weitere Gefährliche an der Angelegenheit liegt im ganzen GATT-System, im ganzen Zollsystem. Das muß man wissen. Wenn wir einem
Staat eine solche Zollfreiheit für ein Kontingent zugestehen, wirkt das auf andere Staaten zurück. Deswegen steht in der Begründung drin:
Die Zollfreiheit im Rahmen des Zollkontingentes von 1000 t bis zum 31. Dezember 1954 kommt vielmehr dem Almkäse aus allen Ländern zugute.
Da haben wir ja Glück, daß es in Schweden und Dänemark keine Almen gibt.
Aber die gibt es in der Schweiz. Also soweit das möglich ist, kommt es auch anderen Ländern zugute.
Deswegen ist die Sache so bedenklich. Wir haben auf der einen Seite die Käseliberalisierung, die durchgehend gilt, und auf der anderen Seite die Zugeständnisse eines besonderen Zollkontingents. Ich bitte das zu unterscheiden; es kommt hier auf „zollfrei" an. Sonst hätte das „zollfrei" gar keinen Sinn. Hier wird für ein besonderes Kontingent eine Zollfreiheit zugestanden. Im übrigen greift aber die Liberalisierung Platz, besonders mit verfehlten Maßnahmen bei der Käseliberalisierung. So ist der Tatbestand.
Für uns im Süden ist das keine rein bayerische Frage; da kommen auch die Württemberger dazu. Es handelt sich also um das bayrisch-württembergische Allgäu. Wir sind hier den gleichen Bedingungen unterworfen wie der ganze Grönlandgürtel im Süden — auf den kommt es ja an —, wo die Käseerzeugung eine besondere Rolle spielt. Die Frage ist für uns im Süden deswegen so brennend, weil wir dort unten die größten Schwierigkeiten haben und andererseits gleichzeitig die unmittelbaren Nachbarn dieser Staaten sind. 1000 t Käse ist auch etwas anderes als 1000 t Getreide. 1000 t Käse bringen uns, wenn der Markt überfüllt und die Preise rückläufig sind, in eine schwierige Situation.
Ursprünglich wollte ich beantragen, gleich die ganze Sache abzulehnen.
Soweit will ich aber gar nicht gehen. Wir wollen uns doch wenigstens über die Geschichte unterhalten und die Verhältnisse überprüfen. Ich habe aber die ernstesten Bedenken anzumelden und möchte so weit gehen, zu sagen, daß große Teile derer, die davon betroffen sind, dieser Verordnung nicht zustimmen können. Das ist die Lage, die sich da ergibt.
Wir wollen aber die Frage prüfen. Deswegen beantrage ich unter Anmeldung ernstester Bedenken Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich hoffe, daß wir dann zu Ergebnissen kommen, bei denen etwaige Gefahren
für unsere Käseerzeuger im bayerischen und württembergischen Allgäu vermieden werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Horlacher war, gemessen an sonstigen hier erlebten temperamentvollen Ausbrüchen, heute verhältnismäßig zurückhaltend.
Ich habe dafür Verständnis; denn es handelt sich
um die Vorlage der Regierung, der seine Partei maßgebend angehört. Ich muß sagen, ich beneide ihn nicht um die Situation, in der er sich gegenüber seinen Kollegen im Allgäu befindet. Wir werden sehen, ob diese Vorlage den von Herrn Horlacher angekündigten Weg geht. Zunächst befinden wir uns ja in der ersten Lesung.
Die Angelegenheit hat aber, wie ich meine, noch eine andere, sehr ernste Seite, die dieses Haus angeht. Wir haben uns hier sehr oft über Zollaussetzungen unterhalten, vor allen Dingen im 1. Bundestag. Meistens handelte es sich um Vorlagen der sozialdemokratischen Fraktion, die dann Zollaussetzung beantragt hat, wenn bei wichtigen Nahrungsmitteln eine ernste Mangellage und damit erhebliche Preissteigerungen eingetreten waren. Leider hat das Hohe Haus unseren diesbezüglichen Anträgen nur bei den seltensten Gelegenheiten zugestimmt.
Heute handelt es sich um eine Vorlage, die eine Zollaussetzung für ein Produkt vorsieht, an dem wir wahrlich keinen Mangel haben, sondern bei dem wir uns in einer ernsten Absatzkrise befinden. Das ist, glaube ich, der sachliche Tatbestand.
Ich möchte darüber hinaus allerdings ebenso wie der Herr Kollege Horlacher meinen, daß die Vorlage weniger unter der Überschrift „Verordnung über Zollsatzänderungen" als vielmehr unter der „Diplomatische Geschenke" erscheinen sollte; denn darin liegt doch die wirkliche Ursache für das Zustandekommen. Wenn unser Kollege Horlacher bei dieser Gelegenheit nach „vernünftigen" Bundesgenossen sucht, so möchte ich beinahe meinen, daß diejenigen, die die Vorlage gemacht haben, nicht zu den vernünftigen gehören; diesen Schluß muß man daraus ziehen.
— Ja, Herr Kollege, das haben Sie selber festgestellt, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt.
Wir möchten jedenfalls meinen: Es hat in diesem Hause schon so viele Debatten über die Situation der Milchwirtschaft gegeben, daß diese Auseinandersetzung nicht spurlos an den Ohren auch des Herrn Bundeskanzlers — wir wollen das einmal ganz deutlich sagen — hätte vorbeigehen sollen; dann hätte es zu dieser Vorlage nicht kommen können.
Es heißt hier, handelspolitische Gründe seien für die Vorlage ausschlaggebend gewesen. Ich erinnere mich einer Situation, da gab es wirklich handelspolitische Gründe und zudem eine echte Mangellage in der Bundesrepublik. Das war, als wir die Aussetzung des Butterzolls beantragten und die Schweden ernsthaft handelspolitische Schwierigkeiten machten. Es gab weder bei der Regierung noch im Bundestag Verständnis dafür. In diesem Fall scheint es so ähnlich zu sein wie damals, als der Herr Bundeskanzler gelegentlich einer Italienreise vorübergehend die Aussetzung bzw. Verkürzung der Sperrfristen auch gewissermaßen als diplomatisches Geschenk dargebracht hat.
Nun, Sie sind j a immer so stolz auf Ihre große Mehrheit im Hause, wie es wieder heute vormittag durch den Herrn Kollegen Winkelheide zum Ausdruck gekommen ist. Es steht einwandfrei fest, daß die CDU/CSU allein in der Lage ist, diese Zollaussetzungen zu verhindern. Ich hoffe sehr, daß Sie bei Ihren Bauernversammlungen, bei denen Sie sich
jedesmal mit der Lage der Käsewirtschaft, der Liberalisierung und ihren Folgen auseinandersetzen, künftig in Ihrem eigenen Interesse auch darauf aufmerksam machen können, daß Sie, obwohl der Herr Bundeskanzler dieses diplomatische Geschenk versprochen hat, die Ausführung dieses Geschenks verhindert haben. Einer von beiden wird auf alle Fälle in Schwierigkeiten geraten.
Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
Gestatten Sie auch mir ein paar kurze Bemerkungen. Ich will nicht darüber reden, ob es, wenn es sich wirklich um ein politisches Freundschaftsgeschenk gehandelt hat, nicht besser gewesen wäre, wenn man dem, der ein Geschenk haben wollte, sagen wir, ein Meißener Porzellan geschenkt hätte, als auf Kosten der Landwirtschaft ein zweifelhaftes Geschenk zu machen. Im allgemeinen ist es doch wohl so: Wenn man schon Geschenke zusichert, ist es am besten, man gibt sie gleich; sonst könnten die Leute, denen man sie versprochen hat, gar nicht mehr im Amt sein, wie in diesem Fall.
Aber nun zur Sache. Frau Strobel, Sie benutzen die günstige Gelegenheit, jetzt mal Ihr landwirtschaftliches Herz zu entdecken und hier vor aller Öffentlichkeit zu sagen, daß Sie gegen eine Zollherabsetzung sind. Sie haben recht, ich würde es an Ihrer Stelle auch tun.
Aber in Wirklichkeit ist es so: Die Lage der Milchwirtschaft ist im Spätherbst hier sehr gründlich behandelt worden. Ich muß schon sagen, Konsequenzen wurden bis heute in dieser Hinsicht absolut keine gezogen. Sie erinnern sich an die Debatte über die Restmilchverwertung, zu der auch die Käseherstellung gehört. Der damalige Bundesernährungsminister hatte keine Bedenken gegen die Liberalisierung des Handels mit Käse. Tatsache ist aber folgendes. Seit dem Zeitpunkt der Liberalisierung, nämlich seit dem 1. April, ist die Einfuhr um 33 % gestiegen. Kein Mensch wird glauben, daß die deutsche Bevölkerung ausgerechnet im Jahre 1953 um 33 % mehr Käse gegessen hat als je zuvor. Ganz klar: der Markt ist völlig überlastet, und das hat zu dem Zusammenbruch des Käsemarktes im November, Dezember geführt, den Sie alle noch in Erinnerung haben und der damals auch in diesem Hause besprochen worden ist. Dieser Zusammenbruch hat zur Folge gehabt, daß die Milchpreise im Werkmilchgebiet, im württembergischen Allgäu, in jener Zeit von 28 bis auf 20 Pf heruntergesunken sind, also weit, weit unter die Gestehungskosten, und daß der Durchschnittspreis, der im Jahre 1953 im Weichkäsegebiet gezahlt wurde, um ganze zwei Pfennig niedriger war als im vorvergangenen Jahr, und im Emmentaler Gebiet um mehr als drei Pfennig. Nun werden Sie sagen: Ja, an sich eine kleine Angelegenheit; was können diese 1000 t nun schon machen? Man weiß, daß unser Hartkäseproduktionsgebiet heute so in Schwierigkeiten ist, daß es sich um eine Ausfuhr bemüht. Es ist nun endlich gelungen, nach Frankreich, das den Käseimport nicht liberalisiert hat, 850 t auszuführen, und die Freude ist nun groß, wenigstens einen kleinen Ab
ratz ins Ausland zu haben. Aber dieser Erfolg wird völlig zerschlagen durch die 1000 t, die von draußen — und nun auch noch völlig zollfrei — hereinkommen sollen.
Aber es hat auch noch andere Folgen. Der schweizerische Gesandte hat sich bereits gemeldet und hat gesagt, das wäre eine gewisse Unfreundlichkeit gegenüber seinem Land, der Schweiz. Zwischen der Schweiz und uns besteht nämlich ein Handelsvertrag, der für uns durchaus günstig ist. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Solcher Bergkäse wird nicht nur in der Schweiz hergestellt, sondern auch in Italien und in Frankreich, und wir werden erleben, daß alle diese Staaten mit ihren Forderungen kommen.
Ich bitte Sie also, diese Sache im Interesse der Milchwirtschaft abzulehnen. Wenn aber ein Teil der Mitglieder dieses Hauses glaubt, die Angelegenheit im Ausschuß nochmals durchdiskutieren zu sollen, dann habe ich nichts dagegen.
Ich darf vielleicht noch einen kurzen Hinweis geben. 1000 t sind nach der Vorlage vorgesehen. Die Österreicher haben nach meinen Informationen im Augenblick überhaupt nicht mehr als 150 t auf Lager, so daß gar keine Notwendigkeit besteht. In Vorarlberg soll bereits eine Anordnung ergangen sein, nunmehr die Frischmilchlieferungen nach Wien einzustellen und Bergkäse herzustellen, falls die heutige Vorlage durchgeht. Sie sehen also, es besteht absolut keine Notwendigkeit für unsere Freunde in Österreich, und für uns entsteht nur ein weiterer Schaden, indem die Milchverwertung noch mehr heruntergeht.
Wenn man also glaubt, die Sache noch diskutieren zu sollen, dann bitte ich, sich dem Antrag des Herrn Dr. Horlacher anzuschließen und die Vorlage federführend dem Außenhandelsausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft überweisen zu wollen.
Wird zur Sachdebatte noch das Wort gewünscht? — Dann kann ich die Sachdebatte schließen.
Wir kommen zur Frage der Ausschußüberweisung. Vom Ältestenrat ist vorgeschlagen, die Drucksache 227 — die Dreizehnte Verordnung über Zollsatzänderungen — an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Erhebt sich hiergegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist beschlossen.
Dann ist vorgeschlagen, die Drucksache 221 — Entwurf einer Vierzehnten Verordnung über Zollsatzänderungen — unter Punkt 14 b der heutigen Tagesordnung und unter c die Drucksache 269, den Entwurf einer Fünfzehnten Verordnung über Zollsatzänderungen, jeweils an den Ausschuß für Außenhandelsfragen federführend und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend zu überweisen.
Hierzu wünscht der Abgeordnete Bender das Wort. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Worte zur zweckmäßigen Behandlung. Es handelt sich nicht in erster Linie um ein ernährungspolitisches Problem, es handelt sich auch nicht um ein innerwirtschaftliches Problem, sondern es handelt sich darum, ob
eine Zusage, die die Bundesregierung vorbehaltlich der Sanktionierung durch dieses Haus gegeben hat, eingelöst werden soll oder nicht. Man kann sich im Ausschuß darüber unterhalten, ob das Ja oder das Nein zweckmäßiger ist; aber man muß sich so schnell wie möglich darüber unterhalten.
Herr Kollege Horlacher, ich habe nicht die volle Sicherheit, daß dieses schnelle Tempo bei einem Teil Ihrer Kollegen angestrebt wird. Deswegen schlage ich vor, daß die Herren des Ernährungsausschusses, die an dem Problem interessiert sind, heute nachmittag um 15 Uhr an der Sitzung des Ausschusses für Außenhandelsfragen teilnehmen und daß wir die Angelegenheit dann in einer gemeinsamen Sitzung behandeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es sich um eine Angelegenheit handelt, die den Ernährungsausschuß angeht und mit der er sich wegen der verschiedenen Seiten des Problems beschäftigen muß, kann, glaube ich, auch unter dem Gesichtspunkt irgendeiner Dringlichkeit nicht bestritten werden. Wir wissen schon sehr lange, daß es diese Vorlage gibt, daß sie schmort. Bei allem Verständnis dafür, daß man diese peinliche Angelegenheit möglichst sang
und klanglos über die Bühne bringen möchte, glaube ich doch, daß sich der Ernährungsausschuß damit befassen muß. Er kann es auch nicht ohne weiteres in einer gemeinsamen Sitzung mit einem anderen Ausschuß tun. Der Ernährungsausschuß hat heute nachmittag eine Sitzung, und man kann ihm sicherlich nicht vorwerfen, daß er bisher kein Verständnis für eilbedürftige Angelegenheiten gehabt hat. Ich sehe nicht ein, warum man das auf einmal unterstellen sollte.
Ich unterstütze also mit allem Nachdruck den Antrag auf Überweisung an den Ernährungsausschuß. Das wäre noch das beste, was dieser Vorlage passieren könnte. Viel gescheiter wäre es gewesen, man hätte beantragt, diese Vorlage ohne Ausschußüberweisung gleich in der ersten Lesung abzulehnen. Wenn Sie das nicht provozieren wollen, dann lassen Sie es bitte bei der Überweisung an den Ernährungsausschuß.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei dieser Vorlage nicht darum, ob ein Ja oder Nein zu einem Versprechen ausgesprochen wird, das angeblich als diplomatische Freundlichkeit gegeben worden ist, sondern es handelt sich hierbei um die Prüfung einer echten landwirtschaftlichen Frage. Ich stimme dem Wunsch des Herrn Kollegen Kriedemann zu, daß dieser Vorschlag in den Außenhandelsausschuß und in den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kommt. Wenn der Herr Kollege, der glaubt, daß es Leute gibt, die solche Dinge gerne schmoren lassen, im letzten Bundestag gewesen wäre, dann wüßte er, daß gerade im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Schmorapparat nie in Tätigkeit getreten ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es sind also die Anträge gestellt worden, die Vierzehnte und die Fünfzehnte Verordnung über Zollsatzänderungen, die unter Punkt 14 b und e aufgeführt sind, an den Ausschuß für Außenhandelsfragen als federführenden zu überweisen. Das ist unbestritten. Ich darf darum darüber zuerst abstimmen lassen. Wer dem zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen.
Es besteht ferner der Antrag, die beiden Zollsatzänderungsverordnungen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist also beschlossen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung abgeschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15:
a) Beratung der Anträge des Bundesministers der Finanzen auf nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben in den Bundeshaushaltsrechnungen für das Rechnungsjahr 1949 und für das Rechnungsjahr 1950 (Drucksache 270);
b) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben in der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1951 .
Begründung und Aussprache sind nicht vorgesehen. Die beiden Anträge sollen dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist also beschlossen.
Ich komme zu Punkt 16:
Beratung des Antrags der Fraktion der
SPD betreffend Vereinfachung der Grenzformalitäten für Reisende .
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum Jahre 1914 konnte man sich auf eine Weltreise begeben, ohne sich mit mehr Ausweispapieren als einer Visitenkarte ausrüsten zu müssen.
— Nein, die Visitenkarte genügte bis 1914. Es gab allerdings einige Ausnahmen, und diese waren charakteristischerweise die Polizeistaaten wie Rußland, China und die Türkei. Für die übrigen Staaten genügte tatsächlich die Visitenkarte. Seit jener Zeit haben sich die Bürger auch der freien Staaten daran gewöhnt, von der eigenen und der ausländischen Polizei gründlich kontrolliert zu werden. Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist der Versuch einer Rebellion gegen diesen Zustand, der Versuch, ein Stück von jener Freiheit zurückzugewinnen.
Für uns Deutsche war es nach 1945 besonders schwer, wieder einmal ins Ausland zu kommen. Sie besinnen sich vielleicht, wie schwer der Kampf war, den Visumzwang loszuwerden. Jahrelang mußten wir versuchen, vergeblich versuchen, den Visumzwang durch gegenseitige Abmachungen wegfallen zu lassen. Erst als die Bundesregierung sich auf Vorschlag meiner Fraktion dazu entschloß, einseitig auf den Visumzwang zu verzichten, setzte die Befreiung vom Visumzwang auch für Deutsche ein. Diese einseitige Methode ist ein voller Erfolg gewesen, vor allem auf dem Gebiete des Fremdenverkehrs. Im August des Vorjahres erfolgten mehr als doppelt so viele Grenzübertritte als im August des Jahres 1952. Wir hatten über ein Viertel mehr Ausländerübernachtungen in der Bundesrepublik als im Jahre davor. Das bedeutete, daß wir etwa 100 Millionen DM mehr Deviseneinnahmen und Einnahmen aus dem Fremdenverkehr als im Vorjahr hatten. Gerade dadurch, daß sich die Einseitigkeit wirtschaftlich und devisenmäßig so günstig für Deutschland auswirkte, wurden die anderen Staaten veranlaßt, nachzuziehen und den Visumzwang auch für uns aufzuheben. Es bleiben jetzt einige Staaten, die sehr zäh sind und uns nicht ohne diesen Sonderstempel in ihr Land lassen wollen. Zu diesen Staaten gehören Frankreich und England.
Unser Antrag schlägt vor, einen zweiten Schachzug zu tun und jetzt erstens einmal generell auf alle Visen für alle westlichen Staaten zu verzichten, auch für Reisen längerer Dauer als drei Monate. Er schlägt dann weiter vor, auch auf den Paß zu verzichten. Die Menschen sollen zu uns reisen können mit dem Ausweispapier, das sie zu Hause besitzen. Die meisten haben einen Personalausweis, so wie wir einen haben. Wenn sie keinen haben, dann sollten wir ein anderes amtliches Ausweispapier, das sie besitzen, als ausreichend anerkennen. Der Paß, meine Damen und Herren, kostet nicht nur viel Geld, er kostet sehr viel mehr Zeit und Arger. Wir haben es gut hier im Hause: wenn wir einen Paß brauchen, gehen wir zu einer Dienststelle, und die tut alles für uns. Der Mann draußen muß dafür 8 Mark zahlen und wenigstens zwei Arbeitstage verlieren, bis er in den Besitz dieses Dokuments kommt.
— Nun, lassen Sie sich's erzählen, wie es in vielen Fällen geht! — Wenn wir so verfahren, dann wird das zur Folge haben, daß der Fremdenverkehr erneut überdurchschnittlich ansteigt und ein neuer Druck auf die anderen Staaten ausgeübt wird, die uns bisher mit Stempeln belästigen, diese Stempelbelästigung fallenzulassen. Die Absicht dabei soll natürlich sein, zu erreichen, daß auch die anderen Staaten uns ohne Paß, nur auf Grund unseres deutschen Personalausweises, in ihr Land einreisen lassen.
Dieser Vorschlag ist nicht etwa revolutionär. Es gibt in den westlichen Staaten diese Einrichtung. Ein Belgier etwa kann mit seinem Personalausweis nach Holland, Luxemburg, Frankreich und in die Schweiz einreisen, also ohne Paß. Wir wollen den Versuch machen, uns da einzuschalten, und im Verkehr mit möglichst vielen europäischen Staaten auch diesen überflüssigen Paß zum Verschwinden bringen. Neuartig ist an unserem Vorschlag wieder nur, daß wir das nicht auf Grund eines Gegenseitigkeitsabkommens tun wollen. Wir woben vielmehr, wie beim Visum, einseitig verfahren und es zunächst den anderen erlauben, in unser Staatsgebiet ohne Paß einzureisen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Antrag auf eine Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarats zurückgeht. In Straßburg werden manchmal sehr schöne europäische Reden gehalten. Wenn die Abgeordneten dann aber in ihre diversen Hauptstädte zurückkehren, haben sie ver-
gessen, was sie da vorgeschlagen haben. Ich meine, das sollten wir nicht tun. Wenn wir in Straßburg für bestimmte Maßnahmen stimmen, dann sollten wir uns auch in unseren Heimatparlamenten für sie einsetzen. Die Empfehlung des Europarats enthält auch andere Punkte in bezug auf die Grenzkontrolle, z. B. Devisen- und Zollfragen, auf die ich hier nicht eingehen will. Auch da möchten wir der Bundesregierung empfehlen, mit einseitigen Maßnahmen voranzugehen. Sie soll von sich aus das tun, was vernünftig ist, und das beseitigen, was nur Schikane ist, Ausfluß einer Neurose, in die unsere westliche Welt seit dem ersten Weltkrieg hineingekommen ist.
Besonders hinweisen möchte ich auf den letzten Punkt unseres Antrages, in dem verlangt wird, daß die Registrierkarten, die von Ausländern an der Grenze ausgefüllt werden müssen, verschwinden. Das ist die einzige Schikane, der die Ausländer in bezug auf Ausweispapiere bei uns noch ausgesetzt sind. Sie stammt nicht von uns, sondern von den Besatzungsmächten. Sie ist ein Überbleibsel jener Kontrollmaßnahmen der Besatzungsmächte, die sich ursprünglich vor allem gegen uns, allerdings auch gegen ihre eigenen Staatsangehörigen richteten,
die nach Deutschland einreisen wollten. Alle Fachleute sind sich darüber einig, daß dieser kolossale Aufwand von vielen Millionen von Zählkarten unsinnig ist, daß der Erfolg minimal ist. Wir sollten uns entschieden dagegen wehren, daß weiterhin dieser Unfug getrieben wird. Wir sollten uns auch generell dagegen wehren, daß man, weil die Polizei hinter einem Missetäter her ist, tausend anständige Leute, die uns willkommen sind, mit solchen Scherereien und Schreibereien belästigt. Ich hoffe, daß es im Ausschuß Einstimmigkeit geben wird und wir zur Abschaffung dieser letzten Schikane für Ausländer, die zu uns kommen, gelangen können.
Der Antrag der SPD-Fraktion bedeutet, daß wir wieder etwas mehr Freiheit in diesen Dingen bekommen sollen und daß wir etwas von der Polizeistaatlichkeit, die sich in der Welt breitgemacht hat, abbauen. Im übrigen ist er auch ein Stück praktischer und unpathetischer Europapolitik. Ich bitte, den Antrag dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und zur Mitberatung dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Der Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der vorgerückten Stunde möchte ich mich kurz fassen. Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion betrifft eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen, insbesondere die Aufhebung der durch § 1 des Paßgesetzes begründeten Verpflichtung, sich beim Grenzübergang durch einen Paß auszuweisen. Weiter werden durch den Antrag allgemeine Fragen der öffentlichen Sicherheit, des Fremdenrechts und der Beziehungen zu ausländischen Staaten, insbesondere auch den westlichen Besatzungsmächten, berührt.
Ich möchte ganz allgemein sagen, daß viele der Gesichtspunkte, die Herr Kollege Mommer hier
vorgetragen hat, eine sehr positive Resonanz bei uns finden. Ich glaube aber — und er hat selber schon den Vorschlag gemacht —, daß es richtig sein wird, ausführlicher darüber im Ausschuß zu sprechen. Ich schließe mich daher seinem Antrag auf Ausschußüberweisung an.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt, den Antrag unter Punkt 16 an den Ausschuß für Angelegenheiten der Inneren Verwaltung — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Lütkens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um unseren Antrag auf Drucksache 228, der sich auf einige Punkte bezieht, die mit der schon angenommenen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten verbunden sind. Diese Konvention ist im Jahre 1950 in Straßburg von der Beratenden Versammlung des Europarates ausgearbeitet und in Zusammenarbeit mit dem Ministerkomitee des Europarates nach Bereinigung einiger Meinungsverschiedenheiten vollendet worden. Sie enthält die gemeinsamen Grundsätze, die die in Straßburg vertretenen 14 europäischen Länder als Grundsätze ihres gesellschaftlichen und politischen Lebens teilen. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in dieser Konvention nicht nur deklaratorisch erklärt werden, wie das noch in der entsprechenden Erklärung der Vereinten Nationen geschehen ist, sondern daß sie darauf ausgeht, eine institutionelle Sicherung dieser Freiheiten und Rechte auf europäischer Grundlage zu erreichen, so daß diese Rechte auch durch einen übernationalen Schutz gesichert werden können.
In dieser Konvention sind zwei Institutionen vorgesehen, an die sich Staaten oder unter Umständen auch Einzelpersonen um Schutz dieser Rechte und Freiheiten wenden können: eine Kommission und ein Gerichtshof. Was die Kommission anlangt, so legt der Art. 25 der Konvention fakultativ fest, daß auch Einzelpersonen diese übernationale, will sagen: europäische Institution zum Schutze ihrer Rechte und Freiheiten notfalls in Anspruch nehmen können, wobei Sicherheiten gegen Mißbrauch und auch Sicherheiten der Art geschaffen sind, daß solche Eingaben an die europäische Kommission nicht gemacht werden können, wenn nicht erst alle Möglichkeiten innerhalb des betreffenden Staates selber ausgeschöpft sind. Damit dieses Recht der Individuen, sich an die europäische Kommission zu wenden, in Kraft treten kann, müssen sich zunächst sechs Staaten dieser Fakultativklausel unterworfen haben. Soviel ich weiß, haben es bisher vier getan: Schweden, Irland, Dänemark und wohl auch Belgien.
Was den Gerichtshof anlangt, so tritt der Art. 46, der die Gerichtsbarkeit in Fragen der Auslegung
und Anwendung dieser Konvention obligatorisch macht, in Kraft, wenn acht Staaten dieser Vorschrift zugestimmt haben. Meines Wissens haben es bisher drei getan: Irland, Dänemark und wohl auch Belgien.
Der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 10. Juni 1953 diese Konvention zum Gesetz erhoben. Er hat überdies bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung ausdrücklich ermächtigt, die erweiterte Zuständigkeit der Kommission und ebenso die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anzuerkennen. Bis heute hat die Bundesregierung diesem Wunsch des Bundestages nicht stattgegeben. Auf eine Anfrage meiner Fraktion unter Drucksache 129 hat die Bundesregierung eine Antwort erteilt, die unter dem 12. Januar dieses Jahres auf Drucksache 174 zu finden ist. Ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß ich diese Antwort für einigermaßen unbefriedigend halte. Ich muß dem das weitere Bedauern hinzufügen, daß, soweit ich sehe, das federführende Ressort, wie schon öfter, es nicht für nötig gehalten hat, sich bei dieser Gelegenheit in diesem Hause vertreten zu lassen.
Reisen sind keine Entschuldigung, nicht an dem Orte zu sein, wo man sein muß, wenn man die Dinge tun soll, die zu tun man berufen ist.
— Ich spreche von dem Staatssekretär — wenn Sie das mißverstanden haben sollten —, dessen Aufgaben hier an diesem Orte und nicht in der übrigen Welt sind.
Vielleicht haben Sie einen anderen Bezug angenommen, Herr Kollege Krone. Ich freue mich, dann die Gelegenheit zu haben, das richtigzustellen und genau zu sagen, was ich gemeint habe.
Die Antwort der Bundesregierung bewegt sich meiner Ansicht nach in einigermaßen antiquierten und bürokratischen Überlegungen. Ich finde es schwierig, sie mit den Zielen der Europapolitik in Übereinstimmung zu bringen, zu denen sich der ganze Bundestag im Prinzip und, wie wir wissen, auch die Bundesregierung bekennt. Diese Art der Antwort findet, wie mir scheint, ihren Ausdruck darin, daß die Antwort sich zunächst darauf zurückzieht, daß das Verfahren neuartig sei. Ich vermag überhaupt nicht einzusehen, wie man in der Europapolitik Fortschritte erzielen will, wenn man nicht bereit ist, sich neuartiger Wege zu bedienen.
Weiterhin gibt die Antwort als Grund dafür, daß die Bundesregierung von der ihr durch den Bundestag gegebenen Ermächtigung bisher keinen Gebraucht gemacht hat, an, daß keine Eile bestehe. Ich bin jedoch der Meinung, daß ein Land, das in der Vergangenheit so nahe und direkte Berührung mit totalitären Regimes gehabt hat und, wenn wir an die sowjetisch besetzte Zone denken, auch in der Gegenwart noch hat, Veranlassung hätte, mit allem Ernst und auch mit Eile alle Wege zu gehen, die dazu führen können, daß die Grundrechte und die menschlichen Freiheiten nach Möglichkeit und so weit wie möglich gefestigt und gesichert werden. Hier wäre doch im übrigen eine Gelegenheit, wirklich die europäische Gesinnung, die die Bundesregierung so oft zeigt, zu betätigen und in die Tat umzusetzen.
Das letzte Argument, das in der Antwort der Regierung zu finden ist, ist ein für mich nicht ganz verständlicher Bezug darauf, daß man zunächst abwarten wolle, wie sich die Gerichtsbarkeit der geplanten europäischen politischen Gemeinschaft gestalten werde. Niemals habe ich bisher verstanden, daß die Planungen wegen einer europäischen politischen Gemeinschaft der sechs Staaten hindern sollten, solche Wege innerhalb des Rahmens der in Straßburg sich zusammenfindenden 14 Staaten zu gehen, die einen engeren Zusammenschluß und eine Festigung ihres sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens erreichen könnten. Bisher ist doch wohl der Grundsatz unbestritten, daß die sechs Staaten, die sich unter Umständen in einer europäischen politischen Gemeinschaft zusammenzuschließen planen — noch immer planen, auch ein Teil der größeren Gemeinschaft bleiben sollten, die im Europarat zusammengeschlossen ist. Bisher ist, soviel ich weiß, doch niemals davon die Rede gewesen, daß die Pläne der sechs Staaten die Vollendung umfassenderer Werke — nämlich umfassend im Sinne der vierzehn Staaten — hindern oder verzögern sollten. Die Arbeit an der Verfassung der sechs ist doch niemals als ein Vorwand gedacht gewesen, um die Verwirklichung von Beschlüssen der vierzehn Staaten zu hindern oder aufzuschieben.
Falls die europäische politische Gemeinschaft zustande kommen sollte, wird sie, jedenfalls soweit ich sehen kann, eine Verfassungsgerichtsbarkeit haben. Aber die Möglichkeit eines Kompetenzkonflikts, die in der Antwort der Bundesregierung angedeutet ist, nämlich eines Kompetenzkonflikts zwischen dem Verfassungsgerichtshof der geplanten politischen Gemeinschaft und den Gerichtshöfen und Kommissionen, die im Rahmen der Europäischen Konvention über Menschenrechte und Grundfreiheiten eingerichtet werden sollen, ist doch wohl nicht gegeben; es sei denn, man solle zu der Annahme gezwungen werden, es gebe Prinzipien, die im Rahmen der sechs anders formuliert worden wären, als es in der Konvention, mit der wir es zu tun haben, geschehen ist.
Sollte etwa der Minister für Familienangelegenheiten Sorge gehabt haben, daß der Art. 12 der Europäischen Konvention nicht in Ordnung sei, der doch nichts anderes besagt, als daß mit der Erreichung des Heiratsalters Männer und Frauen das Recht hätten, eine Ehe und eine Familie nach den nationalen Gesetzen zu gründen?
Meine Damen und Herren! Im August 1950 hat der damalige englische Delegierte in der Straßburger Beratenden Versammlung, Mr. Maxwell Fyfe, der ein großes Verdienst um das Zustandekommen dieser Konvention gehabt hat, in seiner Schlußansprache die Beratende Versammlung in Straßburg — ich darf das verlesen, Herr Präsident — wie folgt angesprochen:
Es sei mir gestattet, noch einmal kurz darauf hinzuweisen, weshalb wir so sehr wünschen, daß diese Konvention verabschiedet wird. Zunächst manifestiert sie unseren Glauben an die Menschenrechte, und zwar nicht als unbestimmte Allgemeinheiten, sondern in Bestimmungen, die vor einem Gerichtshof durchgesetzt werden können. Das sind die Regeln unserer Gemeinschaft, durch die wir gebunden sein wollen.
Zweitens gibt es immer einen Augenblick im Ansturm des Totalitarismus, in dem manche Äußerungen der Würde des Lebens verschwunden sind, während andere noch weiter bestehen können, in denen der demokratische Geist immer noch vorhanden ist. Der internationale Beistand, die internationalen Untersuchungen, die Mobilmachung der öffentlichen Meinung, die an die Freiheit glaubt, können die Situation retten. Sie wird allerdings nur gerettet werden, wenn sich Europa mit machtvoller Stimme zugunsten der Vorherrschaft des Rechts ausspricht.
Und drittens wäre nach meiner Meinung eine solche Konvention ein Leuchtzeichen für unsere Freunde, die sich jetzt in der Finsternis des Totalitarismus befinden. Sie wäre schließlich auch eine Art Paß für die Rückkehr ihrer Länder in unsere Gemeinschaft.
Ich glaube, wir haben Veranlassung, uns dieser Worte zu erinnern, wenn wir uns mit dem Antrag meiner Fraktion, der jetzt in Drucksache 228 vorliegt, beschäftigen. Wir sollten diese Worte wahr machen, so gut und so weitgehend, wie wir können. Alle deutschen Delegierten haben im Jahre 1950 in der Beratenden Versammlung der Konvention zugestimmt, und es war die Meinung der Versammlung, daß sowohl die Fakultativklausel nach Art. 25 wie die obligatorische Gerichtsbarkeit nach Art. 48 der Konvention von allen Staaten angenommen werden sollten. Es war eine unserer ersten Handlungen als deutsche Delegierte in Straßburg in der Beratenden Versammlung des Europarats, daß wir dieser Konvention zugestimmt haben. So hoffe ich, daß ich im Sinne des ganzen Hauses sprechen darf, wenn ich die Bundesregierung auffordere, eine europäische Tat in diesem Falle zu
tun und entsprechend der vom Bundestag schon gegebenen Ermächtigung sowohl der Fakultativklausel nach Art. 25 wie der obligatorischen Gerichtsbarkeit nach Art. 48 nunmehr zuzustimmen und unter diesen Bedingungen ihren Beitritt zur Konvention zu erweitern.
Ich bitte um einmütige Annahme unseres Antrages, wonach also auch Einzelpersönlichkeiten im letzten Zuge das Recht auf Eingaben an die europäische Kommission haben und wonach die Entscheidungen des Gerichtshofs als verbindlich auch von der Bundesrepublik anerkannt werden sollen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Lütkens hat gerügt, daß heute das zuständige Ressort, das Auswärtige Amt, nicht vertreten sei. Ich glaube, es ist dem Hohen Hause bekannt, daß der Herr Bundeskanzler zusammen mit Herrn Staatssekretär Hallstein eine politische Reise nach Griechenland und
der Türkei unternommen hat. Wenn nun behauptet wird, der Platz
des Staatssekretärs sei hier, und das sei wichtiger als eine politische Reise, dann möchte ich die Beurteilung dieser Frage getrost dem Hohen Hause überlassen,
der Frage nämlich, ob es richtiger und wichtiger ist, eine politische Reise nach Griechenland und der Türkei zu unternehmen, oder hier zu einem Antrag Stellung zu nehmen, der genau so gut in vierzehn Tagen beantwortet werden kann.
Ich nehme an, daß der Antrag der Sozialdemokratischen Partei den zuständigen Ausschüssen überwiesen wird. Die Bundesregierung wird dann im Ausschuß zu dem Antrag Stellung nehmen.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Es ist beantragt, den Antrag der Sozialdemokratischen Partei an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich darf auf den Umdruck 13*) Bezug nehmen. Wer der Ausschußüberweisung zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, daß die Sitzung des Petitionsausschusses heute ausfällt.
Außerdem hat der Vorsitzende des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht gebeten, dem Plenum bekanntzugeben, daß die heutige Sitzung des Rechtsausschusses nicht um 15 Uhr, sondern erst um 17 Uhr stattfindet.
Meine Damen und Herren! Ich berufe die nächste, die 19. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 12. März 1954, 9 Uhr, und schließe die 18. Sitzung des Deutschen Bundestages.