Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um unseren Antrag auf Drucksache 228, der sich auf einige Punkte bezieht, die mit der schon angenommenen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten verbunden sind. Diese Konvention ist im Jahre 1950 in Straßburg von der Beratenden Versammlung des Europarates ausgearbeitet und in Zusammenarbeit mit dem Ministerkomitee des Europarates nach Bereinigung einiger Meinungsverschiedenheiten vollendet worden. Sie enthält die gemeinsamen Grundsätze, die die in Straßburg vertretenen 14 europäischen Länder als Grundsätze ihres gesellschaftlichen und politischen Lebens teilen. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in dieser Konvention nicht nur deklaratorisch erklärt werden, wie das noch in der entsprechenden Erklärung der Vereinten Nationen geschehen ist, sondern daß sie darauf ausgeht, eine institutionelle Sicherung dieser Freiheiten und Rechte auf europäischer Grundlage zu erreichen, so daß diese Rechte auch durch einen übernationalen Schutz gesichert werden können.
In dieser Konvention sind zwei Institutionen vorgesehen, an die sich Staaten oder unter Umständen auch Einzelpersonen um Schutz dieser Rechte und Freiheiten wenden können: eine Kommission und ein Gerichtshof. Was die Kommission anlangt, so legt der Art. 25 der Konvention fakultativ fest, daß auch Einzelpersonen diese übernationale, will sagen: europäische Institution zum Schutze ihrer Rechte und Freiheiten notfalls in Anspruch nehmen können, wobei Sicherheiten gegen Mißbrauch und auch Sicherheiten der Art geschaffen sind, daß solche Eingaben an die europäische Kommission nicht gemacht werden können, wenn nicht erst alle Möglichkeiten innerhalb des betreffenden Staates selber ausgeschöpft sind. Damit dieses Recht der Individuen, sich an die europäische Kommission zu wenden, in Kraft treten kann, müssen sich zunächst sechs Staaten dieser Fakultativklausel unterworfen haben. Soviel ich weiß, haben es bisher vier getan: Schweden, Irland, Dänemark und wohl auch Belgien.
Was den Gerichtshof anlangt, so tritt der Art. 46, der die Gerichtsbarkeit in Fragen der Auslegung
und Anwendung dieser Konvention obligatorisch macht, in Kraft, wenn acht Staaten dieser Vorschrift zugestimmt haben. Meines Wissens haben es bisher drei getan: Irland, Dänemark und wohl auch Belgien.
Der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 10. Juni 1953 diese Konvention zum Gesetz erhoben. Er hat überdies bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung ausdrücklich ermächtigt, die erweiterte Zuständigkeit der Kommission und ebenso die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anzuerkennen. Bis heute hat die Bundesregierung diesem Wunsch des Bundestages nicht stattgegeben. Auf eine Anfrage meiner Fraktion unter Drucksache 129 hat die Bundesregierung eine Antwort erteilt, die unter dem 12. Januar dieses Jahres auf Drucksache 174 zu finden ist. Ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß ich diese Antwort für einigermaßen unbefriedigend halte. Ich muß dem das weitere Bedauern hinzufügen, daß, soweit ich sehe, das federführende Ressort, wie schon öfter, es nicht für nötig gehalten hat, sich bei dieser Gelegenheit in diesem Hause vertreten zu lassen.
Reisen sind keine Entschuldigung, nicht an dem Orte zu sein, wo man sein muß, wenn man die Dinge tun soll, die zu tun man berufen ist.
— Ich spreche von dem Staatssekretär — wenn Sie das mißverstanden haben sollten —, dessen Aufgaben hier an diesem Orte und nicht in der übrigen Welt sind.
Vielleicht haben Sie einen anderen Bezug angenommen, Herr Kollege Krone. Ich freue mich, dann die Gelegenheit zu haben, das richtigzustellen und genau zu sagen, was ich gemeint habe.
Die Antwort der Bundesregierung bewegt sich meiner Ansicht nach in einigermaßen antiquierten und bürokratischen Überlegungen. Ich finde es schwierig, sie mit den Zielen der Europapolitik in Übereinstimmung zu bringen, zu denen sich der ganze Bundestag im Prinzip und, wie wir wissen, auch die Bundesregierung bekennt. Diese Art der Antwort findet, wie mir scheint, ihren Ausdruck darin, daß die Antwort sich zunächst darauf zurückzieht, daß das Verfahren neuartig sei. Ich vermag überhaupt nicht einzusehen, wie man in der Europapolitik Fortschritte erzielen will, wenn man nicht bereit ist, sich neuartiger Wege zu bedienen.
Weiterhin gibt die Antwort als Grund dafür, daß die Bundesregierung von der ihr durch den Bundestag gegebenen Ermächtigung bisher keinen Gebraucht gemacht hat, an, daß keine Eile bestehe. Ich bin jedoch der Meinung, daß ein Land, das in der Vergangenheit so nahe und direkte Berührung mit totalitären Regimes gehabt hat und, wenn wir an die sowjetisch besetzte Zone denken, auch in der Gegenwart noch hat, Veranlassung hätte, mit allem Ernst und auch mit Eile alle Wege zu gehen, die dazu führen können, daß die Grundrechte und die menschlichen Freiheiten nach Möglichkeit und so weit wie möglich gefestigt und gesichert werden. Hier wäre doch im übrigen eine Gelegenheit, wirklich die europäische Gesinnung, die die Bundesregierung so oft zeigt, zu betätigen und in die Tat umzusetzen.
Das letzte Argument, das in der Antwort der Regierung zu finden ist, ist ein für mich nicht ganz verständlicher Bezug darauf, daß man zunächst abwarten wolle, wie sich die Gerichtsbarkeit der geplanten europäischen politischen Gemeinschaft gestalten werde. Niemals habe ich bisher verstanden, daß die Planungen wegen einer europäischen politischen Gemeinschaft der sechs Staaten hindern sollten, solche Wege innerhalb des Rahmens der in Straßburg sich zusammenfindenden 14 Staaten zu gehen, die einen engeren Zusammenschluß und eine Festigung ihres sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens erreichen könnten. Bisher ist doch wohl der Grundsatz unbestritten, daß die sechs Staaten, die sich unter Umständen in einer europäischen politischen Gemeinschaft zusammenzuschließen planen — noch immer planen, auch ein Teil der größeren Gemeinschaft bleiben sollten, die im Europarat zusammengeschlossen ist. Bisher ist, soviel ich weiß, doch niemals davon die Rede gewesen, daß die Pläne der sechs Staaten die Vollendung umfassenderer Werke — nämlich umfassend im Sinne der vierzehn Staaten — hindern oder verzögern sollten. Die Arbeit an der Verfassung der sechs ist doch niemals als ein Vorwand gedacht gewesen, um die Verwirklichung von Beschlüssen der vierzehn Staaten zu hindern oder aufzuschieben.
Falls die europäische politische Gemeinschaft zustande kommen sollte, wird sie, jedenfalls soweit ich sehen kann, eine Verfassungsgerichtsbarkeit haben. Aber die Möglichkeit eines Kompetenzkonflikts, die in der Antwort der Bundesregierung angedeutet ist, nämlich eines Kompetenzkonflikts zwischen dem Verfassungsgerichtshof der geplanten politischen Gemeinschaft und den Gerichtshöfen und Kommissionen, die im Rahmen der Europäischen Konvention über Menschenrechte und Grundfreiheiten eingerichtet werden sollen, ist doch wohl nicht gegeben; es sei denn, man solle zu der Annahme gezwungen werden, es gebe Prinzipien, die im Rahmen der sechs anders formuliert worden wären, als es in der Konvention, mit der wir es zu tun haben, geschehen ist.
Sollte etwa der Minister für Familienangelegenheiten Sorge gehabt haben, daß der Art. 12 der Europäischen Konvention nicht in Ordnung sei, der doch nichts anderes besagt, als daß mit der Erreichung des Heiratsalters Männer und Frauen das Recht hätten, eine Ehe und eine Familie nach den nationalen Gesetzen zu gründen?
Meine Damen und Herren! Im August 1950 hat der damalige englische Delegierte in der Straßburger Beratenden Versammlung, Mr. Maxwell Fyfe, der ein großes Verdienst um das Zustandekommen dieser Konvention gehabt hat, in seiner Schlußansprache die Beratende Versammlung in Straßburg — ich darf das verlesen, Herr Präsident — wie folgt angesprochen:
Es sei mir gestattet, noch einmal kurz darauf hinzuweisen, weshalb wir so sehr wünschen, daß diese Konvention verabschiedet wird. Zunächst manifestiert sie unseren Glauben an die Menschenrechte, und zwar nicht als unbestimmte Allgemeinheiten, sondern in Bestimmungen, die vor einem Gerichtshof durchgesetzt werden können. Das sind die Regeln unserer Gemeinschaft, durch die wir gebunden sein wollen.
Zweitens gibt es immer einen Augenblick im Ansturm des Totalitarismus, in dem manche Äußerungen der Würde des Lebens verschwunden sind, während andere noch weiter bestehen können, in denen der demokratische Geist immer noch vorhanden ist. Der internationale Beistand, die internationalen Untersuchungen, die Mobilmachung der öffentlichen Meinung, die an die Freiheit glaubt, können die Situation retten. Sie wird allerdings nur gerettet werden, wenn sich Europa mit machtvoller Stimme zugunsten der Vorherrschaft des Rechts ausspricht.
Und drittens wäre nach meiner Meinung eine solche Konvention ein Leuchtzeichen für unsere Freunde, die sich jetzt in der Finsternis des Totalitarismus befinden. Sie wäre schließlich auch eine Art Paß für die Rückkehr ihrer Länder in unsere Gemeinschaft.
Ich glaube, wir haben Veranlassung, uns dieser Worte zu erinnern, wenn wir uns mit dem Antrag meiner Fraktion, der jetzt in Drucksache 228 vorliegt, beschäftigen. Wir sollten diese Worte wahr machen, so gut und so weitgehend, wie wir können. Alle deutschen Delegierten haben im Jahre 1950 in der Beratenden Versammlung der Konvention zugestimmt, und es war die Meinung der Versammlung, daß sowohl die Fakultativklausel nach Art. 25 wie die obligatorische Gerichtsbarkeit nach Art. 48 der Konvention von allen Staaten angenommen werden sollten. Es war eine unserer ersten Handlungen als deutsche Delegierte in Straßburg in der Beratenden Versammlung des Europarats, daß wir dieser Konvention zugestimmt haben. So hoffe ich, daß ich im Sinne des ganzen Hauses sprechen darf, wenn ich die Bundesregierung auffordere, eine europäische Tat in diesem Falle zu
tun und entsprechend der vom Bundestag schon gegebenen Ermächtigung sowohl der Fakultativklausel nach Art. 25 wie der obligatorischen Gerichtsbarkeit nach Art. 48 nunmehr zuzustimmen und unter diesen Bedingungen ihren Beitritt zur Konvention zu erweitern.
Ich bitte um einmütige Annahme unseres Antrages, wonach also auch Einzelpersönlichkeiten im letzten Zuge das Recht auf Eingaben an die europäische Kommission haben und wonach die Entscheidungen des Gerichtshofs als verbindlich auch von der Bundesrepublik anerkannt werden sollen.