Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, daß die antragstellende Fraktion, die CDU/CSU, auf eine Begründung dieses Gesetzentwurfs verzichtet.
Es ist die gleiche Einstellung, die diese Fraktion
in der gleichen Angelegenheit auch vor Mona-
*) Siehe Anlage 1 Seite 663
ten in der ersten Legislaturperiode eingenommen hat. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU — Drucksache 189 — sagt, daß Kinderbeihilfen von Einrichtungen von Wirtschafts- und Berufsgruppen oder Teilen solcher steuer- und beitragsfrei sein sollen. Die gleiche Regelung war sowohl in dem Initiativgesetzentwurf der SPD über die Gewährung von allgemeinen Kinderbeihilfen — Drucksache Nr. 774 aus dem Jahre 1950 — wie auch in dem ein Jahr später eingereichten Gesetzentwurf der CDU vorgesehen. Hätten wir diese Gesetze zur Gewährung von Kinderbeihilfen realisiert, wäre dieses Sondergesetz nicht nötig.
Für die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von Kinderbeihilfen war die SPD-Fraktion schon immer und wird es auch in Zukunft sein.
Im Gesetzentwurf der CDU sind eine Menge Voraussetzungen vorgesehen, die erfüllt sein müssen, bis der Arbeiter oder Angestellte eine Kinderbeihilfe steuerfrei erhält. Diese Voraussetzungen sind letzten Endes das Entscheidende. Zunächst einmal darf die Kinderbeihilfe je Kind und Monat 20 DM nicht übersteigen. Warum? Darf ein Arbeitgeber oder dürfen Tarifkontrahenten oder darf der Gesetzgeber nicht eine höhere Kinderbeihilfe festsetzen, wie sie bei den Beamten des öffentlichen Dienstes, wie sie bei den Arbeitern und Angestellten bei Eisenbahn und Post und Gemeinden usw. durch Tarifvertrag festgelegt und gezahlt wird? Warum soll diese höhere Kinderbeihilfe dann nicht steuerfrei sein? Warum soll dann der Arbeitnehmer von dieser höheren Kinderbeihilfe Steuern abgezogen bekommen? Nur wenn sie 20 DM nicht übersteigt, meine Herren von der CDU, dann soll und darf sie nach Ihrem Entwurf steuerfrei sein!
Zweitens müssen die Arbeitgeber, die Kinderbeihilfe an ihre Arbeitnehmer zahlen wollen — so sagen Sie in Ihrem Entwurf so nett, in der patriarchalischen Ausdrucksweise, wie sie früher üblich war: an „ihre" Arbeitnehmer — Familienausgleichskassen unterhalten. Ja, meine Damen und Herren, wenn nun ein Arbeitgeber Kinderbeihilfen zahlt, dann muß er extra eine Familienausgleichskasse errichten, um die Steuerfreiheit zu erreichen.
— Ja bitte, so steht es in Ihrem Entwurf, Herr Kollege Winkelheide.
Dann lesen Sie Ihren Entwurf nach, und dann werden Sie mir das bestätigen. Hätten Sie Ihren Entwurf begründet, dann hätten Sie das sogar dem Hohen Hause unterbreiten müssen. Ein Konto, genannt Kinderbeihilfen, genügt doch für diesen Fall. Warum hier extra die Gründung einer Familienausgleichskasse?
Zum dritten setzten Sie als Voraussetzung für die Steuerfreiheit fest, daß nur vom dritten Kind ab Kinderbeihilfe gewährt wird. Wenn der Arbeitgeber also schon vom zweiten oder ersten Kind ab Kinderbeihilfe gewähren will, wie das in einer Menge von Tarifverträgen zwischen den Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart ist, dann muß für das erste und zweite Kind Lohnsteuer abgezogen werden. Diese Kinderbeihilfen sind dann nicht steuerfrei, denn erst vom dritten Kind ab wird die Steuerfreiheit gewährt. Wenn Sie das für
besonders sozial halten, — bitte, ich überlasse Ihnen die Entscheidung darüber.
Wir jedenfalls lehnen eine derartige Einstellung, da wir sie nicht für sozial halten können, mit aller Entschiedenheit ab.
Es heißt weiter, daß die Kinderbeihilfen auf Grund von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder sonstigen Regelungen gezahlt werden. Zum Schluß erwähnen Sie noch, daß für Nichtarbeitnehmer, die Angehörige einer Wirtschafts- oder Berufsgruppe sind, auch Familienausgleichskassen gebildet werden können. Wenn also Angehörige derartiger Berufsgruppen — sagen wir, der freien Berufe, der Handwerker, Landwirte — eine Familienausgleichskasse bilden, dann — nur dann! —sind die Leistungen, die für die Kinder gewährt werden, steuerfrei. Wenn sie keine Familienausgleichskasse bilden, wenn sie die Kinderbeihilfe aus einem sonstigen Fonds oder über eine sonstige Einrichtung zahlen, dann ist sie nicht steuerfrei.
Es handelt sich hier um die Kinder und nicht um das Prinzip oder um die Art, mit welchem Apparat man eine solche Beihilfe leistet. Es geht nicht darum, wie man den Apparat nennt, ob Familienausgleichskasse oder sonstwie. Warum alle diese Vorschriften? Warum die Begrenzung auf 20 DM? Warum die Auszahlung der Kinderbeihilfe durch die Arbeitgeber, die doch die Aufbringung der Mittel über Geschäftsunkosten laufen lassen? Jeder weiß, daß eine Aktiengesellschaft, wenn sie Steuerfreiheit bekommt, in Wirklichkeit nur 30 % der Mittel aufzubringen hat, daß zirka 70 % der Mittel infolge der Steuerermäßigung praktisch von der Allgemeinheit aufgebracht werden.
Warum haben Sie nicht vorgesehen, daß die Kinderbeihilfen auch im Falle der Krankheit, der Arbeitslosigkeit. der Berufsunfähigkeit, der Geschäftsaufgabe eines Selbständigen, des Konkurses oder auch eines Streiks gezahlt werden? Meine Damen und Herren, wir wollen die Sache beim Namen nennen.
All das ist durch Ihr System, das Sie uns unterbreiten, praktisch ausgeschaltet. Weiter ist die Möglichkeit ausgeschaltet, daß die Handwerker und die Landwirte, also die Selbständigen, in Zukunft Kinderbeihilfen erhalten. In einem Schreiben der' Bundesvereinigung der 'deutschen Arbeitgeberverbände an den Herrn Bundesarbeitsminister vom 6. Juni 1953 über Kinderbeihilfen, das uns in der vorigen Legislaturperiode unterbreitet wurde - es ist also kein Geheimnis —, wird zum Ausdruck gebracht, daß Handwerk und Landwirtschaft den Standpunkt vertreten, der Ausgleich der Familienlasten solle auf dem Wege einer steuerpolitischen Regulierung erfolgen. Diese Kreise weisen darauf hin, daß es ihnen infolge der besonderen Struktur ihrer Wirtschaftszweige und der hohen Zahl der Selbständigen im Vergleich zu den Unselbständigen nicht möglich ist, die erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufzubringen. Das sind Fakten.
Wenn Sie vom dritten Kind an die Steuerfreiheit gewähren, für wie viele Kinder setzen Sie sich dann ein? Nach den Schätzungen haben wir insgesamt 12,5 Millionen Kinder. Davon werden ab drittem Kind 1,9 Millionen in Frage kommen. Wenn man dann die Zahl der Kinder abzieht, die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst usw. ab drittem
Kind haben, werden es noch weniger. Es werden höchstens eineinhalb Millionen Kinder in den Genuß von Beihilfen kommen, wenn die Arbeitgeber sie auf Grund der Tatsache, daß sie steuerfrei sind, einführen. Eineinhalb Millionen von insgesamt 121/2 Millionen Kindern! Das ist keine Großtat, das möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen.
Da wäre mir schon viel wichtiger, wenn wir uns überlegen würden, ob nicht der Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministers abgewartet werden soll; denn aus allen Presseerklärungen der letzten Monate — und die sind sehr häufig abgegeben worden — geht hervor, daß der Herr Bundesarbeitsminister bereit und in der Lage ist, pünktlich im Frühjahr, wie es hier weiter heißt, den Gesetzentwurf über Kinderbeihilfe vorzulegen. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, ob er gut oder schlecht ist, ob er schon ab zweitem Kind die Kinderbeihilfe einführt, aus welchen Mitteln sie gezahlt werden soll, wie hoch sie ist und derartiges mehr. Das ist aber auch nicht das Entscheidende. Vielmehr wird damit die Grundlage einer allgemeinen Kinderbeihilfe auch für die Bundesrepublik Deutschland gelegt, während mit dem vorliegenden Gesetzentwurf lediglich die Steuerfreiheit der Kinderbeihilfe vorgesehen ist.
Wenn es nun zutreffend ist, daß die SPD, wie Sie j a aus dem Rundfunk und der Presse wohl zu Ihrer Freude heute morgen entnehmen konnten, dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf unterbreiten wird, und wenn es weiter zutreffend sein sollte, daß, wie man in der Presse lesen konnte, auch die CDU einen Gesetzentwurf über Gewährung von Kinderbeihilfen einbringt, und der Bundesarbeitsminister sein Versprechen pünktlich im Frühjahr hält, dann haben wir drei Gesetzentwürfe. Ich glaube, dann wird sicherlich etwas Gutes dabei herauskommen,
dann wird sicherlich die Bundesrepublik Deutschland als letzter europäischer Staat endlich die allgemeine Kinderbeihilfe auf gesetzlicher Basis einführen und somit auch eine Verpflichtung erfüllen, wie sie in den internationalen Übereinkommen des Internationalen Arbeitsamtes von Genf festgelegt ist. Deshalb bin ich der Auffassung, daß es viel wichtiger ist, die Gesetzentwürfe beschleunigt im Bundestag zu beraten und durchzubringen, als diesem — nehmen Sie mir das nicht übel — in seiner Wirkung tatsächlich kümmerlichen Antrag der CDU eine ernsthafte Bedeutung beizumessen.