Rede von
Eva Gräfin
Finckenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion stimmt der Gesetzesvorlage zu, denn sie begrüßt jede Beseitigung einer Notlage und ganz besonders die Beseitigung der Notlage einer kinderreichen Familie. Aber sie tut es ohne große Begeisterung, denn dieser Gesetzentwurf bezieht sich nur auf einen Teil aller kinderreichen Familien. Er beinhaltet lediglich eine Steuererleichterung für freiwillige Kinderbeihilfen, die Arbeitgeber an Arbeitnehmer zahlen wollen. Alle Selbständigen, alle
Handwerker, alle freiberuflich Schaffenden und die kinderreichen Familien in der Landwirtschaft sind von dieser Gesetzesvorlage ausgenommen.
Die dankenswerte Initiative einzelner besonders fortschrittlich gesinnter Firmen und ganzer Wirtschaftszweige, die heute freiwillig Kinderbeihilfen zahlen, soll hier voll anerkannt und in keiner Weise geschmälert werden. Aber wir halten eine solche Regelung der Notlage in den kinderreichen Familien für nicht ausreichend. Diese Gesetzesvorlage bleibt ein Flickwerk. Sie schafft Gegensätze vorwiegend zu denjenigen Firmen, die nicht in der Lage sind, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen,
und zu denjenigen Wirtschaftszweigen, die sich nicht in einer so günstigen Lage befinden, daß sie allgemein als Wirtschaftsgruppe daran denken können, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen. Auch die Kinderbeihilfen an Beamte sind nicht steuerfrei. Hier wird also durch diese Gesetzesvorlage ebenfalls ein Gegensatz geschaffen.
Die 35 Mark Kinderbeihilfe etwa, die ein höherer Beamter für ein älteres Kind bekommt, sind netto nur 20 Mark. Bei einem mittleren Beamtengehalt wären es etwa 25 Mark. Die 20 Mark Beihilfe für ein kleines Kind eines höheren Beamten sind netto nur 11 Mark, bei einem mittleren Beamtengehalt etwa 13,50 Mark. Dieser Gesetzentwurf bringt also eine weitere Ungerechtigkeit mit sich und schafft eine Verschiedenheit zwischen Empfängern von Kinderbeihilfen.
Meine Fraktion hält die staatliche Kinderbeihilfe für unbedingt notwendig.
In 33 Ländern der Erde werden heute Kinderbeihilfen gezahlt, und in 21 Ländern werden sie vom ersten Kind an gezahlt. Daneben fallen einem sofort die beiden großen Ausnahmen von dieser Regelung nach 1946 in der gesamten Welt auf. Die eine Ausnahme sind die USA, die die Nichteinführung einer staatlichen Kinderbeihilfe mit dem hohen Lebensstandard in den Vereinigten Staaten begründen. Diese Begründung kann für die Bundesrepublik nicht angeführt werden. Der Vertriebenenminister Professor Oberländer hat neulich ausgerechnet, daß 3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik ein Einkommen von weniger als 120 Mark haben. Von einem hohen Lebensstandard kann man also bei uns sicherlich nicht sprechen, am wenigsten in bezug auf kinderreiche Familien.
Die Jugend ist der kostbarste Schatz einer Nation, und unsere Jugend hat in den furchtbaren Kriegsjahren, vor allen Dingen in den Jahren nach dem Krieg große gesundheitliche Schäden erleiden müssen. Daher bedarf gerade unsere Jugend in der Bundesrepublik ganz besonderer Pflege und Förderung. Es handelt sich hier doch um das einfachste Problem, das es überhaupt gibt. Um die Jugend besser zu pflegen, muß man ihr besser zu essen geben; und um ihr besser zu essen zu geben, braucht man mehr Geld, und zwar Bargeld, und möglichst zahlbar an die Mutter, wie es in vielen Ländern geschieht, die eine staatliche Kinderbeihilfe zahlen. So begrüßenswert die Steuerermäßigungen sind, von denen uns der Herr Bundesfinanzminister soeben Kunde gegeben hat, und so erfreulich sie für die kinderreichen Familien sind, sie sind nie dasselbe wie eine Zuwendung in barem
Geld an die kinderreiche Familie, möglichst an die Mutter.
Wir wollen nicht von dem französischen Beispiel sprechen, weil es außerordentlich weitgehend ist. Es soll hier nur erwähnt werden, daß jede französische Mutter — die arme, die reiche und auch die uneheliche französische Mutter — für ihr erstes Kind vom Staate 42,50 DM nach deutschem Geld erhält, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen. Mit einem Betrag von 42,50 DM im Monat kann man wirklich ein Baby aufziehen. Allen unseren Entwürfen liegt leider nur der sehr geringe Zuschußbetrag von 20 DM im Monat pro Kind zugrunde. Dabei darf festgestellt werden, daß niemand mit 20 DM im Monat ein Kind aufziehen kann.
Im 1. Bundestag ist es in der Frage der Kinderbeihilfe leider nicht zu einer Einigung gekommen. Für den 2. Bundestag haben wir die lebhafte Hoffnung, daß möglichst bald etwas zustande kommt. Wir hörten heute morgen - wie schon mein verehrter Vorredner gesagt hat —, daß sowohl SPD wie CDU einen Gesetzenwurf über die Kinderbeihilfen angekündigt oder eingebracht haben. Wir warten alle mit großer Sehnsucht auf den angekündigten Gesetzentwurf des Herrn Bundesarbeitsministers. Meine Fraktion wird keinen eigenen Gesetzentwurf einbringen, weil wir glauben, daß wir der kinderreichen Familie nicht durch eine Vielzahl von Gesetzentwürfen, sondern nur dadurch helfen können, daß einer dieser Gesetzentwürfe, und zwar möglichst bald, angenommen wird.
Ich darf hier im Namen vieler kinderreicher Mütter in der Bundesrepublik sprechen, weil ich selber sieben Kinder habe. Ich möchte an Sie alle eindringlich appellieren, recht bald zu einem Ergebnis zu kommen, zu der Annahme eines dieser Gesetzentwürfe,
über die wir in der Bundesrepublik jetzt fast fünf
Jahre beraten, obwohl gerade wir in der Bundesrepublik den allergrößten Anlaß hätten, unseren
Kindern von Staats wegen eine Hilfe zu geben.