Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum Jahre 1914 konnte man sich auf eine Weltreise begeben, ohne sich mit mehr Ausweispapieren als einer Visitenkarte ausrüsten zu müssen.
— Nein, die Visitenkarte genügte bis 1914. Es gab allerdings einige Ausnahmen, und diese waren charakteristischerweise die Polizeistaaten wie Rußland, China und die Türkei. Für die übrigen Staaten genügte tatsächlich die Visitenkarte. Seit jener Zeit haben sich die Bürger auch der freien Staaten daran gewöhnt, von der eigenen und der ausländischen Polizei gründlich kontrolliert zu werden. Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist der Versuch einer Rebellion gegen diesen Zustand, der Versuch, ein Stück von jener Freiheit zurückzugewinnen.
Für uns Deutsche war es nach 1945 besonders schwer, wieder einmal ins Ausland zu kommen. Sie besinnen sich vielleicht, wie schwer der Kampf war, den Visumzwang loszuwerden. Jahrelang mußten wir versuchen, vergeblich versuchen, den Visumzwang durch gegenseitige Abmachungen wegfallen zu lassen. Erst als die Bundesregierung sich auf Vorschlag meiner Fraktion dazu entschloß, einseitig auf den Visumzwang zu verzichten, setzte die Befreiung vom Visumzwang auch für Deutsche ein. Diese einseitige Methode ist ein voller Erfolg gewesen, vor allem auf dem Gebiete des Fremdenverkehrs. Im August des Vorjahres erfolgten mehr als doppelt so viele Grenzübertritte als im August des Jahres 1952. Wir hatten über ein Viertel mehr Ausländerübernachtungen in der Bundesrepublik als im Jahre davor. Das bedeutete, daß wir etwa 100 Millionen DM mehr Deviseneinnahmen und Einnahmen aus dem Fremdenverkehr als im Vorjahr hatten. Gerade dadurch, daß sich die Einseitigkeit wirtschaftlich und devisenmäßig so günstig für Deutschland auswirkte, wurden die anderen Staaten veranlaßt, nachzuziehen und den Visumzwang auch für uns aufzuheben. Es bleiben jetzt einige Staaten, die sehr zäh sind und uns nicht ohne diesen Sonderstempel in ihr Land lassen wollen. Zu diesen Staaten gehören Frankreich und England.
Unser Antrag schlägt vor, einen zweiten Schachzug zu tun und jetzt erstens einmal generell auf alle Visen für alle westlichen Staaten zu verzichten, auch für Reisen längerer Dauer als drei Monate. Er schlägt dann weiter vor, auch auf den Paß zu verzichten. Die Menschen sollen zu uns reisen können mit dem Ausweispapier, das sie zu Hause besitzen. Die meisten haben einen Personalausweis, so wie wir einen haben. Wenn sie keinen haben, dann sollten wir ein anderes amtliches Ausweispapier, das sie besitzen, als ausreichend anerkennen. Der Paß, meine Damen und Herren, kostet nicht nur viel Geld, er kostet sehr viel mehr Zeit und Arger. Wir haben es gut hier im Hause: wenn wir einen Paß brauchen, gehen wir zu einer Dienststelle, und die tut alles für uns. Der Mann draußen muß dafür 8 Mark zahlen und wenigstens zwei Arbeitstage verlieren, bis er in den Besitz dieses Dokuments kommt.
— Nun, lassen Sie sich's erzählen, wie es in vielen Fällen geht! — Wenn wir so verfahren, dann wird das zur Folge haben, daß der Fremdenverkehr erneut überdurchschnittlich ansteigt und ein neuer Druck auf die anderen Staaten ausgeübt wird, die uns bisher mit Stempeln belästigen, diese Stempelbelästigung fallenzulassen. Die Absicht dabei soll natürlich sein, zu erreichen, daß auch die anderen Staaten uns ohne Paß, nur auf Grund unseres deutschen Personalausweises, in ihr Land einreisen lassen.
Dieser Vorschlag ist nicht etwa revolutionär. Es gibt in den westlichen Staaten diese Einrichtung. Ein Belgier etwa kann mit seinem Personalausweis nach Holland, Luxemburg, Frankreich und in die Schweiz einreisen, also ohne Paß. Wir wollen den Versuch machen, uns da einzuschalten, und im Verkehr mit möglichst vielen europäischen Staaten auch diesen überflüssigen Paß zum Verschwinden bringen. Neuartig ist an unserem Vorschlag wieder nur, daß wir das nicht auf Grund eines Gegenseitigkeitsabkommens tun wollen. Wir woben vielmehr, wie beim Visum, einseitig verfahren und es zunächst den anderen erlauben, in unser Staatsgebiet ohne Paß einzureisen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Antrag auf eine Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarats zurückgeht. In Straßburg werden manchmal sehr schöne europäische Reden gehalten. Wenn die Abgeordneten dann aber in ihre diversen Hauptstädte zurückkehren, haben sie ver-
gessen, was sie da vorgeschlagen haben. Ich meine, das sollten wir nicht tun. Wenn wir in Straßburg für bestimmte Maßnahmen stimmen, dann sollten wir uns auch in unseren Heimatparlamenten für sie einsetzen. Die Empfehlung des Europarats enthält auch andere Punkte in bezug auf die Grenzkontrolle, z. B. Devisen- und Zollfragen, auf die ich hier nicht eingehen will. Auch da möchten wir der Bundesregierung empfehlen, mit einseitigen Maßnahmen voranzugehen. Sie soll von sich aus das tun, was vernünftig ist, und das beseitigen, was nur Schikane ist, Ausfluß einer Neurose, in die unsere westliche Welt seit dem ersten Weltkrieg hineingekommen ist.
Besonders hinweisen möchte ich auf den letzten Punkt unseres Antrages, in dem verlangt wird, daß die Registrierkarten, die von Ausländern an der Grenze ausgefüllt werden müssen, verschwinden. Das ist die einzige Schikane, der die Ausländer in bezug auf Ausweispapiere bei uns noch ausgesetzt sind. Sie stammt nicht von uns, sondern von den Besatzungsmächten. Sie ist ein Überbleibsel jener Kontrollmaßnahmen der Besatzungsmächte, die sich ursprünglich vor allem gegen uns, allerdings auch gegen ihre eigenen Staatsangehörigen richteten,
die nach Deutschland einreisen wollten. Alle Fachleute sind sich darüber einig, daß dieser kolossale Aufwand von vielen Millionen von Zählkarten unsinnig ist, daß der Erfolg minimal ist. Wir sollten uns entschieden dagegen wehren, daß weiterhin dieser Unfug getrieben wird. Wir sollten uns auch generell dagegen wehren, daß man, weil die Polizei hinter einem Missetäter her ist, tausend anständige Leute, die uns willkommen sind, mit solchen Scherereien und Schreibereien belästigt. Ich hoffe, daß es im Ausschuß Einstimmigkeit geben wird und wir zur Abschaffung dieser letzten Schikane für Ausländer, die zu uns kommen, gelangen können.
Der Antrag der SPD-Fraktion bedeutet, daß wir wieder etwas mehr Freiheit in diesen Dingen bekommen sollen und daß wir etwas von der Polizeistaatlichkeit, die sich in der Welt breitgemacht hat, abbauen. Im übrigen ist er auch ein Stück praktischer und unpathetischer Europapolitik. Ich bitte, den Antrag dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und zur Mitberatung dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen.