Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, dem Wunsche des Herrn Präsidenten entsprechend mich der Kürze zu befleißigen. Aber einige Ausführungen des Herrn Kollegen Winkelheide geben mir doch Veranlassung, darauf zu erwidern. Ich möchte es nicht in dem Tone der Erregung tun, verehrter Herr Kollege Winkelheide,
und ich bedaure sehr, wenn ich Sie zu dieser Erregung gebracht habe.
Aber zur Sache selbst. Sie haben eben wiederholt erwähnt — wörtlich, das Protokoll wird es ausweisen —, daß Sie für alle bestehenden Kinderbeihilfen die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit einführen wollen. In Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren von der CDU, ist nur von Einrichtungen von Wirtschafts- und Berufsgruppen oder Teilen solcher die Rede, nicht davon, daß diese Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit auch für den gesamten öffentlichen Dienst gewährt werden soll. Der Eisenbahner, der Postbedienstete, der in der Kommune Tätige usw. erhält vom ersten Kind ab Kinderbeihilfe. Durch Ihren Entwurf schließen Sie für diesen Personenkreis die Steuerfreiheit für alle Kinder, auch vom dritten Kind ab, aus. Ich bin der Auffassung, daß das nicht gerecht ist.
Ich möchte auch in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, Herr Kollege Winkelheide, daß ich mit keiner Silbe erklärt habe, die SPD sei gegen Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von Kinderbeihilfen. Im Gegenteil, ich habe auf unseren Gesetzentwurf Drucksache 774 von 1950 hingewiesen, der in § 3 — ich habe ihn hier vor mir — die Bestimmung über Unpfändbarkeit und Steuerfreiheit enthält und der zum Ausdruck bringt, daß die Kinderbeihilfe, die nach diesem Gesetz zu zahlen wäre, steuerfrei und beitragsfrei ist. Es gibt also im Grundsätzlichen gar keinen Unterschied. Die Frage ist nur, ob nicht durch diesen Gesetzentwurf draußen in der Praxis bei den kinderreichen Familien in bezug auf die Einstellung usw. Schwie-
rigkeiten entstehen könnten. Es wird verschiedentlich gut gehen. Eine Zeit geht es der Wirtschaft gut; eine Zeit geht es einem Beruf gut; eine Zeit geht es einem Betrieb gut. Aber dann kommt eine Krise, und mögen es auch die besten Menschen sein, die Verhältnisse sind manchmal stärker als der gute soziale Wille. Gegen all das ist in Ihrem Gesetzentwurf keine Sicherung enthalten. Das Risiko ist nicht über einen Betrieb, über eine Wirtschaftsgruppe hinaus auf die gesamte Wirtschaft, auf unser gesamtes Volk aufgeteilt.
Uns ist die Gewährung von Kinderbeihilfen so bedeutungsvoll, daß wir sie ohne Risiko durchführen wollen.
Meine Damen und Herren, nach Ihrem Entwurf könnte die Kinderbeihilfe, die vom Arbeitgeber gewährt wird, bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, bei Streik, bei Aussperrung, und was weiß ich sonst alles, in Wegfall kommen. Bei der Deutschen Kohlenbergbauleitung gab es eine schlechte Bestimmung, wonach ein Arbeitnehmer, der länger als vier Wochen krank war, keinen Anspruch auf Weiterzahlung der Kinderbeihilfe mehr hatte.
Sie besteht nicht mehr, aber sie war doch furchtbar. Bedenken Sie doch, wie der Haushalt des Kumpels aussieht, der länger als vier Wochen krank ist und für den diese 20 DM pro Kind für das dritte, vierte, fünfte Kind wegfallen; denn das Krankengeld ist ja schon geringer als der Lohn, und eine Weiterzahlung des Lohnes kennt der gewerbliche Arbeiter doch nicht. Das sind die Sorgen, die wir haben.
Nun will ich Ihnen auch die letzte Sorge in aller Offenheit sagen. Es besteht die Gefahr, daß bei Durchführung dieses Gesetzentwurfs eine allgemeine gesetzliche Regelung der Kinderbeihilfen zumindest verzögert, wenn nicht auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird.
— Jawohl, die sage ich Ihnen! Oder wollen Sie sie aus dem Schreiben der Arbeitgeber vorgelesen haben? Die Begründung ist ganz einfach. Die Arbeitgeber stehen nämlich auf dem Standpunkt: Höchstens ein Rahmengesetz, aber alles andere ist unsere Angelegenheit; wir wollen alles tun, wir sind doch so sozial! — All das geht aus dem Inhalt dieses Schreibens hervor.
Aber der Herr Präsident hat mich gebeten, mich kurz zu fassen. Ich will deshalb auf Einzelheiten nicht eingehen. Ich will nur zum Schluß Sie, Herr Winkelheide, und die Damen und Herren von der CDU darauf aufmerksam machen, daß wir noch in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf Drucksache Nr. 4562 über die Gewährung von Beihilfen für Familien mit Kindern eingebracht haben. Darin haben wir den Grundsatz der Familienausgleichskassen festgelegt und verlangt, daß vom dritten Kind an, nach kurzer Zeit vom zweiten Kind an —und nach und nach wollten wir bis zum ersten Kind kommen — eine Kinderbeihilfe gewährt wird. Ich glaube, es waren 46 Änderungsanträge, die zu diesem Gesetzentwurf von Ihnen, Herr Kollege Horn, und Ihren Freunden im Ausschuß gestellt wurden.
Damit wurde erreicht, daß dieser Gesetzentwurf
im Sozialpolitischen Ausschuß nicht abschließend
behandelt werden konnte, daß er in die Versenkung geraten ist und daß wir erst jetzt, nachdem wir bereits über ein halbes Jahr in der zweiten Legislaturperiode zusammenarbeiten, endlich zum Start kommen. Ich hoffe, daß wir auch zum Ziele kommen, zu einer gesetzlichen Regelung einer allgemeinen Kinderbeihilfe für die Bundesrepublik Deutschland als letztes europäisches Land, das eine solche Regelung noch nicht hat. Das sollten wir uns vor Augen halten.
Wir sind für die Ausschußüberweisung, aber nicht wie Herr Winkelheide vorschlug; federführend sollte nach meiner Auffassung der Sozialpolitische Ausschuß sein und mitberatend der Finanz- und Steuerausschuß.