Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliereich dem Kollegen Johannes Singhammer nachträglichzu seinem 60. Geburtstag, den er in den vergangenen Ta-gen gefeiert hat. Alle guten Wünsche im Namen desganzen Hauses!
Für den am 12. Mai verstorbenen Kollegen Dr. MaxStadler ist der Kollege Gerhard Drexler nachgerückt.Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich den neuenKollegen sehr herzlich und wünsche eine gute Zusam-menarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell istvereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 52 abzuset-zen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a und 51 b auf:a) Abgabe einer Regierungserklärung durch denBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Re-aktorsicherheitNukleare Entsorgung im Konsens regelnb) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurSuche und Auswahl eines Standortes für einEndlager für Wärme entwickelnde radioak-tive Abfälle und zur Änderung anderer Ge-setze
– Drucksache 17/13471 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache im Anschluss an die Regierungserklärungeine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit, Peter Altmaier. Bitte schön.
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit derheutigen ersten Lesung des Standortauswahlgesetzes zurEndlagerung hochradioaktiver Abfälle schlagen wir einneues Kapitel in der langen und zugleich auch wechsel-vollen Kernenergiepolitik unseres Landes auf. Es wirdeines der letzten Kapitel sein. Wir wollen und wir wer-den dieses Kapitel gemeinsam gestalten.In Deutschland hat man sich frühzeitig, früher als invielen anderen Ländern, die Kernkraftwerke gebaut undbetrieben haben, mit der Frage der sicheren Entsorgungbeschäftigt. Der Standort Gorleben wurde nach den da-maligen Vorstellungen ausgewählt. Es wurde mit der Er-kundung des Salzstocks begonnen; aber ein Endlagerhaben wir bis zum heutigen Tage nicht. Die Entschei-dungen waren fachlich und politisch umstritten. Nie istes gelungen, einen Konsens, eine allgemein akzeptierteLösung zu gestalten. Damit gehört die 30-jährige De-batte über diese Frage zu den großen, aber nicht unbe-dingt zu den vorbildlichen Debatten in der Geschichteder alten Bundesrepublik und des wiedervereinigtenDeutschlands.Nach einem jahrzehntelangen Streit und gesellschaft-lichen Konflikten in der Frage, wo und wie radioaktiveAbfälle langzeitsicher entsorgt werden können, ist dernun erzielte Konsens ein historischer Durchbruch. Erfolgt dem breiten Konsens aus dem Jahre 2011 über denschrittweisen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung derKernenergie bis zum Jahre 2022. Damit geht das Zeital-ter der Kernenergie in Deutschland definitiv zu Ende.
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30520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
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Egal wie man in den letzten Jahren zur friedlichen Nut-zung der Kernenergie stand oder wie man heute dazusteht, egal welche Überzeugungen auf den unterschiedli-chen Seiten dieses Hauses vorherrschten: Es gibt heuteeinen breiten, einen soliden, einen parteiübergreifendenKonsens, dass die Kernenergie für die Energieversor-gung der Zukunft in Deutschland keine Option mehr dar-stellt. Es ist wichtig, dass wir diesen Konsens über allekontroversen Debatten hinweg aufrechterhalten undnach außen sichtbar machen.
Dies entspricht auch dem Wunsch der großen Mehr-heit der Menschen in Deutschland, wie Umfragen immerwieder zeigen. Ein jahrzehntelanger tiefer Konflikt inPolitik und Gesellschaft, vermutlich der größte undlängste in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, istdamit gelöst worden, ein Konflikt, der unsere Gesell-schaft auch gespalten und die Politik manchmal gera-dezu gelähmt hat, ein Konflikt, der mit heftigen Demon-strationen, großen Polizeiaufgeboten und leidermanchmal auch mit Gewalt und Verletzten einherging.Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben – alle hier im Saalwissen, wovon ich spreche. Deshalb liegt es mir am Be-ginn der Beratungen auch am Herzen, all den friedlichenDemonstranten, die jahre- und oftmals jahrzehntelangfür ihre Überzeugung gekämpft haben, aber auch denvielen Tausend Polizisten, die all die Jahre unter Einsatzihres Lebens und ihrer Gesundheit für Sicherheit undRechtsstaatlichkeit gesorgt haben, meinen Respekt undmeine Hochachtung auszusprechen. Herzlichen Dank!
Wenn wir uns die Dimension dieses Konfliktes vorAugen halten, dann wird klar, dass die Einigung in derEndlagerfrage, die wir am 9. April 2013 erzielt haben,mit Fug und Recht als Durchbruch bezeichnet werdendarf. Einige der Teilnehmer, die nicht meiner Partei an-gehören, sprachen sogar von einem historischen Durch-bruch. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das Erreichtehat nicht nur für die Gegenwart Bedeutung. Es wirkt vorallem für unsere Zukunft; denn Maßstab des politischenHandelns heute müssen Sicherheit und Lebensqualitätder nach uns kommenden Generationen sein. Darummuss die Generation, die das Problem verursacht hat, esauch lösen. Sie muss zumindest die Lösung auf den Wegbringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Problemder Endlagerung hochradioaktiver Abfälle heute für dieZukunft gemeinsam anpacken, und zwar partei- undfraktionsübergreifend.Im Übrigen: Wir haben diese Gespräche in einer Zeitgeführt, in der wir uns auch auf eine wichtige Wahlent-scheidung vorbereiten. Dass alle Beteiligten sehr kon-krete, aber zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungendarüber haben, wie diese Wahlentscheidung ausfallenwird, muss nicht negativ sein. Wahrscheinlich ist es so-gar positiv, wenn es darum geht, gemeinsam etwas aufdie Beine zu stellen, was die Wahlauseinandersetzungenübersteht.Die Herausforderung ist groß. Der Ministerpräsidentvon Baden-Württemberg, Herr MinisterpräsidentKretschmann, hat pointiert von einem Gesetz nicht fürdie nächsten drei, sondern für die nächsten 300 000Jahre gesprochen. Ich weiß nicht, ob wir ein Mandat ha-ben, das so weit reicht, und ich weiß nicht, ob man dieGeschichte so weit vorhersehen kann. Wir haben aberdie Verantwortung, heute Entscheidungen zu treffen, dieuns in den nächsten 300 000 Jahren keine Probleme ma-chen; wir, unsere Generation, müssen dieser Verantwor-tung gerecht werden.
Das haben wir übrigens mit dem Gesetz zur Be-schleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle ausder Schachtanlage Asse II, dem Asse-Gesetz, getan, dasam 25. April 2013 in Kraft getreten ist. Auch dort gehtes darum, eine schwärende Wunde in der Natur zu be-handeln und eines Tages hoffentlich zu schließen, sodasswir unserer Verpflichtung für künftige Generationen ge-recht werden. Ich möchte deshalb allen Beteiligten dan-ken, die diesen Konsens durch ihre konstruktive Mitwir-kung und ihre Kompromissbereitschaft ermöglichthaben. Wir setzen ein wichtiges Signal dafür, dass diePolitik trotz allen notwendigen Streites in elementarenFragen zusammenfinden und gemeinsam tragfähige undzukunftsfähige Lösungen zum Wohle der Bürgerinnenund Bürger beschließen kann.Die Bemühungen um ein Endlager reichen lange zu-rück, die Bemühungen um einen Konsens ebenfalls. Mirliegt daran, heute vor allen Dingen die Arbeit zu würdi-gen, die unmittelbar zu diesem Gesetzentwurf geführthat. Deshalb werden Sie verstehen, dass ich ganz beson-ders Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmannaus Baden-Württemberg und meinem unmittelbarenVorgänger, Norbert Röttgen, dafür danken möchte, dasssie im November 2011 die Initiative ergriffen haben, umin dieser so wichtigen Frage zu einer Lösung zu kom-men.
Auch wenn es länger gedauert hat, als damals einigeglaubten: Es war wichtig, dass Sie, lieber Herr Röttgen,und Sie, lieber Herr Kretschmann, den Mut hatten, auchin den eigenen Reihen für diesen Konsens zu werben,weil es ohne das Springen über den eigenen Schattennicht möglich gewesen wäre, zu einer Lösung zu kom-men, die für alle akzeptabel ist. Dafür ganz herzlichenDank!
Ich möchte mich bei meinen weiteren Vorgängernbedanken, bei Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin, mit de-nen ich in den Sommermonaten in manchen Gesprächenund Diskussionen versucht habe, das, was WinfriedKretschmann und Norbert Röttgen vorbereitet hatten, ineine konsensfähige finale Fassung zu bringen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30521
Bundesminister Peter Altmaier
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Ich möchte mich auch bei den Verantwortlichen desLandes Niedersachsen bedanken. Ich habe einmal ge-sagt, Niedersachsen sei ein Premiumpartner bei der Su-che nach einem Endlager; denn alle vorhandenen, ge-nehmigten und erkundeten möglichen Endlager befindensich in Niedersachsen: die Asse, Schacht Konrad undeben auch Gorleben. Deshalb war es wichtig, diese Ar-beit in enger Zusammenarbeit mit der NiedersächsischenLandesregierung voranzutreiben. Ich möchte mich fürdie sehr konstruktive Zusammenarbeit bei DavidMcAllister und Stefan Birkner bedanken. Ich habe michbemüht, diese Zusammenarbeit mit Stefan Wenzel undStephan Weil fortzusetzen, und bin froh und erleichtert,dass es gelungen ist, gerade auch in Niedersachsen Ver-ständnis für den Prozess zu finden, den wir vor über ei-nem Jahr auf die Schiene gesetzt haben.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch beiall denen bedanken, die in den letzten Jahrzehnten dafürgesorgt haben, dass die Kernkraftwerke in Deutschlanddie sichersten in der Welt waren und immer noch sind.Das hat der Bericht der Reaktor-Sicherheitskommissionnoch einmal bestätigt. Das ist kein Grund, sich zurück-zulehnen. Das ist kein Grund, in den Anstrengungennachzulassen. Aber es ist eine beeindruckende Leistung.Ich sage das, weil es mir wichtig ist, deutlich zu machen:Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet nicht, dassdie Lebensleistung all derer, die über Jahrzehnte für dieSicherheit von Kernanlagen gesorgt haben, nicht aner-kannt würde, ganz im Gegenteil. Ich schließe auch dieBergleute und die Wissenschaftler in Gorleben sowie dieBeschäftigten in den Kernkraftwerken in diesen Dankein. Ich weiß, vor uns allen liegen noch große und her-ausfordernde Aufgaben beim Rückbau der Anlagen.Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass beimUmgang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. Mit die-sem Kompass ist der Ausstieg bisher eine Erfolgsge-schichte. Wir haben acht Kernkraftwerke abgeschaltet.Parallel dazu ist ein nationaler Aktionsplan erarbeitetworden, um die Robustheit der noch laufenden Kern-kraftwerke zu erhöhen. Die Stromversorgung ist bishergesichert, weil wir eine solide Grundstruktur unsererklassischen Energieversorgung haben. Zugleich habenwir die erneuerbaren Energien in den letzten Jahrenschneller und deutlicher ausgebaut, als viele es für mög-lich gehalten hätten. Deutschland ist und bleibt ein Land,das Elektrizität exportiert, nicht importiert.Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass für dieEnergiewende; es ist aber auch der Kompass für dasStandortauswahlgesetz. Dabei leitet uns ein Grundsatz,der uns alle eint: Die in Deutschland angefallenen Ab-fälle müssen auch in Deutschland entsorgt werden; dasgebietet das Prinzip der nationalen Verantwortung. Des-halb haben wir bei der Erreichung unseres großen Kon-senses vereinbart, dass wir nach der Bundestagswahl beider Umsetzung der entsprechenden europäischen Richt-linie noch einmal ganz klar zum Ausdruck bringen wer-den, dass für uns eine Entsorgung dieser Abfälle im Aus-land nicht in Betracht kommt. Die Abfälle, für die wir inDeutschland verantwortlich sind, wollen und werden wirauch in Deutschland entsorgen.
Mit dem Standortauswahlgesetz wird ein Fahrplan fürdie Endlagersuche erstmals auf eine gesetzliche Grund-lage gestellt. Wir haben das Endlager noch nicht, wir su-chen es erst. Aber es ist ein Paradigmenwechsel, weil esbisher in vielen Fällen darum ging, ein Endlager zu ver-hindern. Jetzt geht es darum, ein Endlager zu finden. Da-mit haben sich die Voraussetzungen grundlegend geän-dert. Wir werden deshalb mit diesem Gesetz eingestuftes Standortauswahlverfahren neu einrichten. Wirwollen den bestmöglichen, bestgeeigneten Endlager-standort mit Blick auf die Sicherheit der Endlagerung,die Sicherheit der Menschen, die Sicherheit der Naturund der Umgebung erreichen.Die Standortsuche erfolgt nach dem Prinzip der wei-ßen Landkarte. Das heißt, es gibt keine Vorfestlegungenauf bestimmte Gesteinsformationen, aber auch nicht denAusschluss einzelner Standorte. Dies gilt für das Erkun-dungsbergwerk Gorleben. Das gilt aber auch für jedenanderen denkbaren Standort in der Republik.Die Endlagersuche ist zugleich demokratisch legiti-miert, transparent und nachvollziehbar. Sie erfolgt in ei-nem transparenten Prozess mit breiter Beteiligung derBürgerinnen und Bürger. Das ist mir besonders wichtig,und das habe ich zum Ausdruck gebracht, als ich am22. Januar im Wendland mit über 500 Bürgerinnen undBürgern, die zum Teil seit vielen Jahren in dieser Frageaktiv sind, einen ganzen Abend lang diskutiert habe. Mirist wichtig, dass wir Vertrauen und Akzeptanz dadurchschaffen, dass wir Transparenz herstellen und gewähr-leisten; denn wir müssen auch verloren gegangenes Ver-trauen wieder zurückgewinnen. Deshalb wollen wir mitdem Gesetz Lösungen erreichen, die, so weit es geht,den Belangen aller Betroffenen gerecht werden: denen,die sich im Wendland seit 30 Jahren mit dieser Frageauseinandersetzen, aber auch denen in allen anderen Tei-len der Republik, die sich Gedanken darüber machen, obeventuell demnächst in einigen Jahren bei ihnen konkretnach einem Standort für ein Endlager gesucht wird, dasdann vielleicht auch eines Tages gebaut werden soll.So wollen wir bis zum Ende des Jahres 2031 in einemschrittweise auf der Basis fachlich begründeter und wis-senschaftlicher Kriterien basierenden Prozess den Stand-ort für ein Endlager suchen. Es wird oft darüber disku-tiert, ob dieser Termin, 2031, zu lang oder zu kurzgegriffen ist. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemandwissen. Aber wenn es richtig ist, dass wir in unserer Ge-neration den Grundstein für eine Lösung der Endlager-frage legen wollen – das haben Sie eben alle mit IhremBeifall unterstützt –, dann können wir auch die Entschei-dung über den Endlagerstandort nicht beliebig lange voruns herschieben. Dann werden wir irgendwann um dieJahreswende 2030 zu einer solchen Entscheidung kom-men müssen. Wir werden sie übrigens umso eher treffenkönnen, je weniger das Verfahren angreifbar ist. Deshalbhabe ich mit Ministerpräsident Weil und mit Umwelt-
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30522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
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minister Wenzel in sehr intensiven persönlichen Gesprä-chen darüber diskutiert, wie man die Einbeziehung derÖffentlichkeit und die Transparenz so herstellen kann,dass wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und dasswir das Vertrauen in die Ergebnisoffenheit der Endlager-suche über jeden Zweifel erhaben stellen.Aus diesem Grund wollen wir die Standortsuchedurch eine 24-köpfige Bund-Länder-Kommission vor-bereiten. Sie wird zwei Jahre lang bis 2015 die Grund-fragen für die Entsorgung dieser Abfälle klären. Sie wirdsie diskutieren und Vorschläge machen. Das Gewichtdieser Vorschläge wird von der Autorität dieser Kom-mission maßgeblich abhängig sein. Deshalb ist es wich-tig, dorthin Persönlichkeiten zu entsenden, die kraft ihrerAutorität und Kompetenz imstande sind, diesen Debat-ten Gewicht und Autorität zu verleihen. Sie werden überAusschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwä-gungskriterien diskutieren sowie über unterschiedlicheLagerkonzepte und über die Anforderungen an dasSuchverfahren. Sie werden auch Vorschläge zur Evaluie-rung dieses Gesetzes machen. Der Deutsche Bundestagwird dann seine Arbeiten im Lichte der Kommissions-ergebnisse aufnehmen können. Möglicherweise wird dieKommission am Ende nicht zu einer Verzögerung, son-dern sogar zu einer Beschleunigung der Arbeiten beitra-gen.Die Entscheidung über die weiteren Schritte des Aus-wahlverfahrens, die über- und untertägige Erkundungsowie den abschließenden Standortvorschlag trifft derBundestag per Gesetz. Damit unterstreichen wir die Be-deutung dieser Aufgabe. Wir wollen aber nicht, dass da-durch Rechtswege verkürzt werden und dass einzelneBürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass sie we-niger Möglichkeiten haben, ihre Vorstellungen und Inte-ressen geltend zu machen. Auch dafür haben wir ge-meinsam eine gute Regelung gefunden.Mehr Transparenz bedeutet dabei auch: Die Entschei-dung über die unterirdisch zu erkundenden Standortewird so ausgestaltet, dass sie verwaltungsgerichtlichüberprüft werden kann. Für den dann gesetzlich festge-legten Standort wird es ein atomrechtliches Genehmi-gungsverfahren zur Sicherheitsprüfung geben, das wie-derum verwaltungsgerichtlich überprüfbar sein wird.Mit diesem am Kriterium der Sicherheit orientierten Ver-fahren setzen wir übrigens zusammen mit der Schweizauch international Maßstäbe.Um den wissenschaftsbasierten Such- und Auswahl-prozess und ein transparentes Verfahren zu gewährleis-ten, ist die Einrichtung eines Bundesamtes für kerntech-nische Entsorgung erforderlich, das die Tätigkeit desVorhabenträgers überwacht. So verwirklichen wir deninternational üblichen und auch von der EU vorgegebe-nen Grundsatz der Trennung zwischen Betreiber undAufsichtsbehörde. Das Bundesamt muss Erkundungs-programme und Prüfkriterien entwickeln und festlegen.Es muss die Standortentscheidung effizient und sachge-recht vorbereiten. Es muss die Öffentlichkeit aktiv undkorrekt unterrichten. Das Bundesamt für Strahlenschutzwird als Vorhabensträger eine entscheidende, eine ganzwichtige Rolle in diesem Prozess zu übernehmen haben.Wer über die Endlagersuche spricht, kann über dieKosten nicht schweigen. Für mich ist klar: Die Kostendes Auswahlverfahrens müssen von den Abfallverursa-chern getragen werden. Das ist die gesetzliche Regelung,und an dieser gesetzlichen Regelung halten wir fest.
Allerdings liegt mir daran – das sage ich mit gleicherBedeutung und Betonung –, dass wir in den Konsens,den wir zwischen den Parteien gefunden haben, die Um-weltverbände, die Bürgerinitiativen und die Zivilgesell-schaft, aber auch die Kernkraftwerksbetreiber einbezie-hen und dass wir in einem offenen Dialog mit allenBeteiligten dafür sorgen, dass das Gesetz, das wir hierbeschließen, die nötige Unterstützung in der Praxis undvor Ort erfährt. Deshalb bin ich in Gesprächen mit denKraftwerksbetreibern. Ich möchte sicherstellen, dass wiralle Entscheidungen unseres Kompromisses im vorgese-henen zeitlichen Rahmen und mit den vorgegebenenKonsequenzen tatsächlich durchsetzen können. Dazu ge-hört zentral auch die Frage, wie wir mit den Zwischenla-gern umgehen.Für mich war von Anfang an, seit dem ersten Tagmeiner Amtszeit, klar: Wenn wir zu einer ergebnisoffe-nen Suche kommen, wenn wir von dem Prinzip der wei-ßen Landkarte ausgehen, dann dürfen wir die Akzeptanzdes Ergebnisses nicht dadurch gefährden, dass in derFrage der Zwischenlagerung alles so weiter geht wie bis-her. Deshalb besteht die Herausforderung darin, dass wirdie 26 Behälter mit abgebrannten Kernbrennstäben, diewir in den nächsten Jahren nach der Wiederaufbereitungim Ausland zurücknehmen müssen, in anderen Zwi-schenlagern in der Republik sicher verwahren. Wir ha-ben Einigkeit zwischen allen Beteiligten, dass keine wei-teren Castortransporte nach Gorleben durchgeführtwerden.
Deshalb wollen wir vor der abschließenden zweiten unddritten Lesung und vor der Zustimmung durch den Bun-desrat Klarheit darüber schaffen, wohin diese Transportegehen, und dafür sorgen, dass die notwendigen Anträgegestellt werden.Ich danke denjenigen Ländern, die bereits jetzt ihrepolitische Bereitschaft für weitere Zwischenlagerstand-orte erklärt haben. Ich werde meine Gespräche mit denanderen Ländern fortsetzen. Ich werde keine öffentli-chen Ratschläge geben, weil es der Respekt vor dem Fö-deralismus verbietet. Ich will aber sagen, dass mich inallen Gesprächen dasjenige leitet, was mich von Anfangan geleitet hat, nämlich nicht die Frage nach irgendwel-chen parteipolitischen Farben und Präferenzen, sonderndie Frage, wie diese Transporte so sicher und verant-wortlich wie möglich durchgeführt werden können. Dasist eine Frage der technischen Vorrichtungen vor Ort,eine Frage der Transportwege, eine Frage der Sicherheitbei der Begleitung und vieles andere mehr. Ich bin auf-
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grund der geführten Gespräche optimistisch und über-zeugt, dass wir diese Frage nicht nur gemeinsam mit denBundesländern, sondern auch gemeinsam mit den Be-treibern in den nächsten Wochen klären können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird gro-ßer Anstrengungen bedürfen, um dieses Gesetz in diePraxis umzusetzen. Wir haben für die parlamentarischeBeratung großen Wert darauf gelegt – obwohl uns dieZeit am Ende knapp wurde –, dass wir ein Verfahren ha-ben, das ohne Fristverkürzungen auskommt, dass wir einVerfahren mit allen Anhörungen und Ausschussberatun-gen, die notwendig sind, haben. Wir haben uns gemein-sam darauf geeinigt, ein dreitägiges Symposium zur Ein-beziehung der Zivilgesellschaft durchzuführen, das EndeMai und Anfang Juni stattfinden wird.Für mich sind aber der Konsens und die Gemeinsam-keit mit der Verabschiedung des Endlagersuchgesetzesam 5. Juli im Bundesrat nicht beendet. Dann geht es erstwirklich los. Deshalb müssen sich alle Beteiligten inner-halb und außerhalb dieses Parlaments darüber im Klarensein, dass das, was wir erreicht haben, nämlich den par-tei- und fraktionsübergreifenden Konsens, ein hohes Gutist. Ich weiß, wie schwierig das manchmal für alle Seitenist. Schließlich sind bei vielen von uns noch die altenReflexe lebendig. So kommt es, dass sich manchmal dieEmotionen, nachdem die große Frage entschieden ist,bei kleinen Details entzünden. Diese Details sind wich-tig. Wir werden sie sorgfältig behandeln. Aber ich werbeund plädiere dafür, dass wir uns auch immer dessen be-wusst sind, dass wir gemeinsam das Signal geben müs-sen, dass wir dieses Problem lösen, dass wir es lösenkönnen, dass wir, egal wie die Bundestagswahl ausgeht,egal wie der Souverän entscheidet, auch nach der Bun-destagswahl alle wesentlichen Entscheidungen gemein-sam und im Konsens treffen wollen, weil wir damit diegroße Chance, die uns dieses Gesetz eröffnet, nutzen undwahrnehmen, die letzte große Herausforderung desKernenergiezeitalters geschlossen anzugehen und zu be-wältigen.Ich bitte Sie um Unterstützung für das weitere parla-mentarische Verfahren und für die Zeit darüber hinaus.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Ministerpräsident des Landes
Niedersachsen, Stephan Weil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Ge-setzesvorhaben, das der Deutsche Bundestag heute erst-mals berät. Ich kenne kein anderes Vorhaben, das seitsage und schreibe fast 40 Jahren umstritten ist – poli-tisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich. Ich kenne keinanderes Vorhaben, das für sage und schreibe fast 1 Mil-lion Jahre Sicherheit schaffen soll. Ich kenne kurzumkein anderes Vorhaben, wo Anspruch und Wirklichkeitbislang so weit auseinanderklaffen wie bei der Suchenach einem Endlager für den Atommüll. Das zeigt: Wirbrauchen dringend einen Neuanfang bei der Endlager-suche.
Als Niedersachse weiß ich, wovon ich da spreche. Füralle anderen Bundesländer ist die Endlagerdebatte ab-strakt; für uns ist sie konkret. In Niedersachsen tobt seitdreieinhalb Jahrzehnten der Streit um Gorleben. Bei je-dem neuen Castortransport hat es in unserem Land im-mer und immer wieder heftige Auseinandersetzungenauf den Straßen und den Schienen gegeben, und bei unsliegt der Salzstock Asse II, wo radioaktiver Müll in un-bekannter Menge in Fässern unbekannten Zustands anunbekannten Orten das Grundwasser zu verseuchendroht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer dieFolgen einer falschen Endlagerpolitik kennenlernenmöchte, der ist in Niedersachsen richtig; der wird in Nie-dersachsen fündig.
Wenn wir es künftig besser machen wollen, dannbrauchen wir einen Neustart. Wir brauchen eine ergeb-nisoffene Suche überall in Deutschland. Die Fixierungauf Gorleben war ein schwerer Fehler.
Wir brauchen Transparenz und Öffentlichkeit. Mit derEndlagerpolitik hinter verschlossenen Türen muss end-lich Schluss sein.
Deswegen betrachte ich die Bund-Länder-Kommissionzur Klärung der vielen offenen Fragen tatsächlich als ei-nen entscheidenden Fortschritt, der mit diesem Geset-zesvorhaben verbunden ist. Wir brauchen aber vor allemeines: Vertrauen. Ohne Vertrauen, dass es alle Beteilig-ten ernst meinen mit dem Konsens und dass alle – alle16 Bundesländer, die ganze Bundespolitik – diesen Kon-sens über viele Jahre hinweg durchhalten, wird es nichtswerden mit dem Neustart in der Endlagersuche.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sieuns offen reden! Schon bei seiner Einbringung steht die-ses Gesetzesvorhaben auf der Kippe. Die partei- undebenenübergreifende Verständigung vom 9. April warder erste und überaus wichtige Schritt – nicht mehr, aberauch nicht weniger. Jetzt folgt der erste Test auf die Be-lastbarkeit dieser Verständigung – nicht mehr, aber auchnicht weniger. Was heißt das? Das heißt, dass alle Punkteunserer Verständigung auch tatsächlich gesetzlich umge-setzt werden müssen. Da haben wir zum Beispiel bei derEnteignungsregelung noch Klärungsbedarf. Vor allemdarf es – da sind wir uns alle einig; der Bundesumwelt-minister hat es eben wiederholt – keine weiteren Castor-transporte nach Gorleben geben.
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30524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Ministerpräsident Stephan Weil
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Das ist wichtig und auch zwingend notwendig. KeinMensch würde sonst an eine ergebnisoffene Suche beider Endlagerung glauben.So weit, so gut. Aber der Bundesumweltministermuss auch die Frage beantworten, wohin die nächstenCastoren gehen sollen. Um ein in der Regierungskoali-tion geflügeltes Wort aufzugreifen, Herr MinisterAltmaier: Sie müssen liefern.
Es ist Aufgabe des Bundesumweltministers, ein verbind-liches Konzept für die weitere Zwischenlagerung aufden Tisch zu legen. Sie, Herr Minister Altmaier, müssenfür eine Verständigung mit den Energieversorgern sor-gen. Davon sind wir zur Stunde noch weit entfernt. Siemüssen eine Vereinbarung mit Schleswig-Holstein undmit Baden-Württemberg herbeiführen. Beide Länderverhalten sich sehr konstruktiv. Dafür gebührt ihnenDank und Anerkennung.
Aber es kann nicht nur die Aufgabe von rot-grün regier-ten Ländern sein, sich einer gemeinsamen nationalenHerausforderung zu stellen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss,um eine extrem schwierige Aufgabe gemeinsam meis-tern zu können, ein Kompromiss, den Niedersachsen un-ter Zurückstellung gewichtiger Argumente mitträgt – wirhalten bekanntlich Gorleben als Endlagerstandort für un-geeignet –, ein Kompromiss, den Niedersachsen aber ausÜberzeugung mitträgt. Dieser Kompromiss muss jetzt inallen – ich wiederhole: in allen – seinen Teilen umge-setzt werden. Die Verantwortung dafür trägt in erster Li-nie die Bundesregierung. Werden Sie dieser Verantwor-tung gerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine große Chancefür einen echten Neustart in der Endlagersuche. Sorgenwir gemeinsam dafür, dass wir diese Chance auch nut-zen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Angelika Brunkhorst für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! WenigeMonate nachdem wir in diesem Hause und im Bundesratden Beschluss über die Lex Asse fraktionsübergreifendbeschlossen haben, können wir heute wiederum frak-tionsübergreifend das Standortauswahlgesetz auf denWeg bringen. Ich bedanke mich vorab – Herr MinisterAltmaier hat sich schon bei allen bedankt – ganz herzlichbei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMU undbei Herrn Altmaier. Ich bedanke mich aber auch bei mei-nen Kollegen und Kolleginnen aus den Fraktionen. Wirhaben uns intensiv auseinandergesetzt und sehr stark ge-rungen, haben aber sehr konstruktiv zusammengearbei-tet. An dieser Stelle vielen Dank.
Bereits Umweltminister Röttgen hat im Dezember2011 in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, in derBund-Länder-Arbeitsgruppe, die wesentlichen Punkteeines Endlagergesetzes erarbeitet, hat einem Zeitplan zu-gestimmt. Auf Grundlage dieser Vereinbarung konntenwir im April dieses Jahres verkünden, dass wir unter derweisen Moderation von Bundesumweltminister Altmaierden Gesetzentwurf vorlegen können. Tatsächlich hatdiese christlich-liberale Regierung einen Kabinettsbe-schluss gefasst. Das ist besonders. Das haben die ande-ren Regierungen zuvor nicht geschafft. Auch das kannman hier erwähnen.Ich möchte noch einiges dazu sagen, was der Inhaltdieses Gesetzes sein wird.Für meine Fraktion ist ganz klar, dass wir die Ausfül-lung dieses Gesetzes mithilfe eines wissenschaftsbasier-ten Ansatzes angehen. Für uns ist wichtig, dass die Ein-haltung der strengen Maßstäbe des Atomgesetzes,nämlich Stand von Wissenschaft und Technik sowie füreinen langen Zeitraum Schadensvorsorge, für den neuenStandort, den wir finden wollen, hundertprozentig ge-währleistet sein muss.
Ich komme auf den Standort Gorleben, der langeThema war, zu sprechen. Wir haben bislang keinen geo-wissenschaftlichen Grund gefunden, der Gorleben alsStandort ausschließt.
Das bedeutet für uns, dass Gorleben im Topf bleibt.Selbst Gerhard Schröder und Herr Trittin haben im Rah-men ihres Atomkonsenses bestätigt,
dass dieser Standort weiterhin eignungshöffig ist.
Somit wird der Standort Gorleben im Topf landen. Erwird anhand der gleichen wissenschaftlichen Kriterienbewertet wie alle anderen möglichen Standorte auch.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30525
Angelika Brunkhorst
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Das heißt: Die Endlagerstandortsuche wird offen ge-führt.
Wir wollen alle gesellschaftlichen Gruppen in dieStandortsuche einbinden. Es soll Transparenz geschaffenwerden. Deshalb haben wir entschieden, dass es eineKommission geben wird, in der die eigentliche Geset-zesausfüllung vorbereitet wird. Diese Kommission wirdnoch zu bilden sein. Sie wird circa zwei Jahre arbeitenund dann eine wissenschaftsbasierte Empfehlung vorle-gen. Sie wird aus politisch legitimierten Vertretern ausBund und Ländern gebildet. Es werden Experten dazu-kommen. Es werden alle gesellschaftlich relevantenGruppen vertreten sein.Es gibt natürlich Kritiker, die sagen, man hätte ersteinmal abwarten müssen und erst dann das Gesetz aufden Weg bringen sollen. Das stimmt so nicht. Die Kriti-ker übersehen, dass dieses Gesetz ein Rahmen für dasSuchverfahren darstellen soll. Es handelt sich um einVerfahrensrahmengesetz. Es ist genau der richtige Zeit-punkt, dieses Gesetz jetzt auf den Weg zu bringen.
Wann hat es das letzte Mal einen großen umfassendengesellschaftlichen Konsens in der Entsorgungsfrage ge-geben? Das ist sage und schreibe 33 Jahre her. Es war imJahre 1979, als es einen solchen Konsens zum letztenMal gab.
Das ist für uns jetzt eine große Chance. Ich gehe davonaus, dass durch die Wissenschaftseinrichtungen, die Res-sortforschungseinrichtungen und die geologischenDienste der Länder sehr viel Expertise in diese Kommis-sion eingebracht wird. Ich hoffe, dass wir die bisherigenForschungsergebnisse nicht ausblenden werden. Dennwir haben bereits einen großen Fundus an Ergebnissen.Deutschland ist in der Endlagerforschung auch an vieleninternationalen Forschungsprojekten beteiligt und hatsehr viel geleistet.Zum eigentlichen Verfahren. Das BMU hat ein dreitä-giges Symposium vorbereitet, an dem Bürger und Wis-senschaftler, die sich mit diesem Thema befasst haben,die davon betroffen sind und die sich dafür interessieren,teilnehmen können. Wir laden alle herzlich ein, daranteilzunehmen, dort einen Beitrag abzugeben oder ebeneinfach nur als Gast dabei zu sein. Das Symposium wirdam 31. Mai 2013 sowie am 1. und 2. Juni 2013 hier inBerlin stattfinden. Darüber hinaus wird am 10. Juni 2013eine öffentliche Anhörung des Umweltausschusses desDeutschen Bundestages stattfinden, bevor das Gesetz indie zweite und dritte Lesung geht. Ich bitte alle Kritikerund all diejenigen, die interessiert sind, sich darum zukümmern, an dieser Anhörung teilnehmen zu können.Zur Castorfrage. Herr Weil, Sie haben angesprochen,dass das für Niedersachsen nicht verhandelbar gewesenist. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass auchdie vorherige Regierung unter Herrn McAllister unddem Landesumweltminister Birkner die Forderung ge-stellt hat, dass man die anderen Bundesländer doch bittean der Lastenverteilung beteiligt.
Sie haben darum gebeten, dass man auch andere Bun-desländer in diese gesamtstaatliche Aufgabe einbeziehenmöge.Ich möchte daran erinnern: Wir haben in der Sitzungim April gesagt, dass wir für die noch zurückzunehmen-den 26 Castoren kurze Wege brauchen. Daraus ergibtsich natürlich, dass vielleicht doch eher küstennaheStandpunkte geeignet sind.
Ich begrüße auf jeden Fall das Zugeständnis der beidenBundesländer Baden-Württemberg
– ja, gut – und Schleswig-Holstein, dass sie sich bereiterklären, darüber nachzudenken, ob es einen Weg gibt.
Es gibt noch viele offene Fragen und Probleme, aberich bin sehr zuversichtlich, dass die Gespräche, die be-reits sehr fruchtbar sind und einen guten Zwischenstandhaben, in den nächsten zwei oder drei Wochen zu einerLösung führen. Ich setze hohes Vertrauen in den Bun-desumweltminister Altmaier.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion
Die Linke.
Guten Morgen, Herr Präsident! Herr Minister! WerteKolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Gesetz-entwurf liegen drei Grundirrtümer zugrunde; ich möchtesie an dieser Stelle sehr deutlich benennen.Der erste Grundirrtum ist, die Zeit würde drängen.Planmäßig, nach jetziger Gesetzeslage, werden spätes-tens Silvester 2022 die Kernkraftwerke Isar 2, Neckar-westheim 2 und Emsland vom Netz gehen. Wir alle wis-sen, dass die Brennelemente dann noch vier Jahre in derAnlage, im Abklingbecken, und weitere 40 Jahre ober-irdisch abkühlen müssen. Das bedeutet, frühestens 2068werden die letzten Brennelemente überhaupt einer End-lagerung zugeführt werden können. Das ist ein Zeit-
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Dorothée Menzner
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punkt, von dem ich annehme, dass die meisten hier imHause ihn nicht mehr erleben werden. – So viel zu derFrage, wie sehr die Zeit drängt.
Zweiter Grundirrtum. Sie formulieren hier fraktions-übergreifend, es würde sich hier um einen Konsens han-deln. Es ist im besten Falle ein Kompromiss zwischen vierFraktionen. Es ist kein gesamtgesellschaftlicher Konsens,dem eine Meinungsbildung in der Gesellschaft, ein gesell-schaftlicher Dialog und eine Diskussion, die diesen Na-men verdienen würde, vorausgegangen wären. Jetzt kön-nen Sie einwenden: Über die Kommission sind nochVeränderungen möglich. – Richtig, aber dafür sind rela-tiv hohe Hürden gesetzt: Für Entscheidungen des Gre-miums ist eine Zweidrittelmehrheit der 24 Mitgliedernotwendig; neun Mitglieder bilden also eine Sperrmino-rität. Wenn man sich anschaut, wie sich die Kommissionzusammensetzt, kommt man sehr schnell zu demSchluss, dass es optimistisch ist, anzunehmen, dortkönnte es zu grundlegenden Veränderungen kommen.Denn in diesem Gremium sitzen nur zwei Vertreter vonUmweltverbänden, zwei Vertreter der Gewerkschaftenund zwei Vertreter von Religionsgemeinschaften; dasmacht insgesamt sechs. Somit wird es ganz schwierig,überhaupt neun Stimmen für eine Sperrminorität zusam-menzubekommen, selbst wenn sich diese drei gesell-schaftlichen Gruppen einig wären.Der dritte Grundirrtum ist, wir hätten gemeinsam ausden Fehlern der Vergangenheit gelernt. Abgeordnete allerFraktionen haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit undEnergie aufgewendet, um diese Fehler zu durchleuchten,sowohl im Untersuchungsausschuss „Asse“ des Nieder-sächsischen Landtags als auch im Untersuchungsaus-schuss „Gorleben“ hier im Bundestag; den entsprechen-den Bericht und die Voten der Fraktionen diskutieren wirnächste Woche, insgesamt über 1 000 Seiten. Ich wagedie Behauptung, dass nur wenige hier im Haus, die nichtselber in diesem Ausschuss saßen, bis heute das Themadurchdrungen, die Fehler realisiert und daraus Schluss-folgerungen gezogen haben.Der nächste Aspekt. Bis heute findet kaum eine wis-senschaftliche Aufarbeitung statt. Es ist nicht nur eineparlamentarische Aufarbeitung, sondern auch eine wis-senschaftliche Aufarbeitung der Fehler der Vergangen-heit notwendig.
Da ist relativ wenig zu sehen. Das Desaster bei der Asseist nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, das vermurksteVerfahren im Zusammenhang mit Gorleben auch nicht.Ich merke nur, dass für die Anhörung im Juni nun dieje-nigen Personen als Sachverständige gehandelt werden,die wir im Untersuchungsausschuss immer wieder alstreibende Kräfte auf wissenschaftlicher Seite gesehenhaben, die Probleme verursacht haben.Der letzte Punkt. Bei der juristischen Aufarbeitung istbis heute komplett Fehlanzeige.Es gibt einen weiteren Grundirrtum, von dem hier im-mer wieder ausgegangen worden ist. Es heißt: DiesesGesetz würde den gesellschaftlichen Großkonflikt be-frieden. Aber solange es keine ergebnisoffene Debattegibt, solange Gorleben nicht aus dem Topf ist, solangeÖffentlichkeit, Verbände und kritische Wissenschaftlernicht oder nur unzureichend einbezogen werden undnicht wissen, in welcher Form sie sich einbringen kön-nen und ob sie Gehör finden werden, wage ich die Pro-gnose, dass dieser gesellschaftliche Großkonflikt nichtzu befrieden ist.
Angesichts der Tatsache, dass es hier darum geht, atoma-ren Müll mindestens 1 Million Jahre sicher vor der Bio-sphäre abzuschirmen, ist mehr Sorgfalt, mehr Transpa-renz und mehr echte öffentliche Beteiligung notwendig.
Meine Fraktion hat dazu vor geraumer Zeit ein Fünf-Punkte-Konzept vorgelegt, das wir gemeinsam mit Anti-atominitiativen, Wissenschaftlern und Verbänden erar-beitet haben. Ich möchte diese fünf Punkte kurz benen-nen. Sie sind aus unserer Sicht die Grundvoraussetzungdafür, dass ein gesellschaftlicher Konsens zustande kom-men kann, der diesen Konflikt befriedet.Der erste und unabdingbare Punkt ist ein unverzügli-cher und unabkehrbarer Atomausstieg und die Aufarbei-tung der Fehler der Vergangenheit.
Wenn wir das nicht tun, können wir keine Lehren für dieZukunft ziehen. Das betrifft Gorleben, Asse, natürlichauch Morsleben und Schacht Konrad – der Standort, deraufzugeben ist –, und es betrifft auch mögliche Rechts-verstöße, die juristischer Aufarbeitung bedürfen. Wich-tig ist auch, dass endlich eine Kostenübernahme nachdem Verursacherprinzip eingeführt wird.
Zweitens ist es dringend notwendig, ein Verfahren zuentwickeln, das eine Einbeziehung der Öffentlichkeitüber Beirats- und Beraterstrukturen, über Volksabstim-mungen, aber auch über ein Klagerecht für Kommunenermöglicht.
Es muss transparent sein, und es muss von vornhereinklar sein, wo demokratisch legitimierte Stellen wie indas Verfahren eingreifen können.Erst dann kann – das ist der dritte Punkt – überhauptdie Suche nach einem Verwahrkonzept erfolgen. Es istnoch gar nicht klar: Was ist unser Konzept? Ist das, waswir jahrzehntelang postuliert haben, nämlich die Nicht-rückholbarkeit, überhaupt noch Stand der Wissenschaftund Technik? Es gilt, die Vor- und Nachteile abzuwägenund ethische Fragen – wir befinden uns in einem ethi-schen Dilemma – zu werten, um dann zu einem allge-mein akzeptierten Kompromiss zu kommen.Wenn das erfolgt ist, kann in einem vierten Schrittüberhaupt über eine Festlegung von standortunabhängi-
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Dorothée Menzner
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gen Kriterien nachgedacht werden. Sie können erst fest-gelegt werden, wenn wir wissen, nach welcher Methodewir lagern wollen.
Erst in einem fünften und letzten Schritt – das hat einegewisse Logik – kann es darum gehen, Standorte zu be-nennen und vergleichend zu untersuchen, um sich danneiner Entscheidung zu nähern.Als Fazit halte ich fest: Sie satteln hier heute ein totesPferd. Sie sagen, dass wir ganz schnell ans Ziel kommenmüssen. Deswegen haben Sie das erste Pferd genom-men, das Sie im Stall gefunden haben, leider ist es ein to-tes. Damit werden Sie nicht weit kommen. Sie müssennach dem besten Pferd im Stall suchen.Ich ahne, Sie wissen das, aber Sie haben die Hoff-nung, dass es bis zur Bundestagswahl keinem auffällt.Ich sage Ihnen: Es ist nicht gut, die Bürgerinnen undBürger für so doof zu halten.
Sie durchschauen das. Sie werden schon seit Jahrzehntenin der Frage der Atompolitik immer wieder an der Naseherumgeführt. Jetzt werden sie sich einmischen, sie wer-den mitdiskutieren, und sie werden sich wehren. Genauda ist der Platz der Linken.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Frau Kollegin Menzner: Schade! Es istschade, dass aus Ihrer Rede nur Verweigerungshaltunghervorgeht, weil ich Sie über weite Teile der Legislatur-periode anders kennengelernt habe, weil wir in den Ver-handlungen über die Asse sehr konstruktiv zusammen-gearbeitet haben, weil wir in den Verhandlungen, auchim Gorleben-Untersuchungsausschuss, äußerst kontro-vers und dennoch konstruktiv miteinander umgegangensind. Weil ich weiß, dass Sie in der nächsten Legislatur-periode diesem Bundestag nicht mehr angehören wer-den, möchte ich mich für diese Arbeit herzlich bedankenund Ihre Fraktion einladen, sich zu beteiligen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gorleben-Untersuchungsausschuss ist eben schon genannt worden.Er hat tatsächlich gezeigt, wie tief die Gräben zwischenden Fraktionen und in der Gesellschaft in Bezug auf dieVorgänge um Gorleben sind. Je nachdem, durch wessenBrille man denn schaut, wird ein und derselbe Vorganggänzlich unterschiedlich wahrgenommen und mit ge-radezu konträren Kommentaren versehen. Leider waraus diesem Grund noch nicht einmal ein gemeinsamerFeststellungsteil, also ein Konsens über die bloßeFaktenerhebung, möglich. Dass das bei der Wertungnicht möglich war – okay, geschenkt. Aber bei derFaktenerhebung? Das hat letztendlich gezeigt, wie tiefdie Gräben sind, wie groß das gegenseitige Misstrauenund wie notwendig ein Neuanfang ist.Wenn wir uns denn jetzt unserer gemeinsamen Ver-antwortung stellen wollen und uns nun, nach über40 Jahren der Stromproduktion aus Kernenergie, endlichder Endlagerung der hochradioaktiven, hochgiftigen Ab-fälle in unserem Land ergebnisorientiert annehmen wol-len, dann braucht es für diesen Neuanfang politischenMut. Es ist über all die Jahre so bequem gewesen, denSchwarzen Peter nach Niedersachsen zu schieben.Deshalb bedanke ich mich und adressiere meine aus-drücklich große Anerkennung an MinisterpräsidentKretschmann, an unseren ehemaligen Bundesumweltmi-nister Röttgen und auch an David McAllister, diese Ge-spräche wieder in Gang gebracht zu haben.Es ist doch klar, dass diese Gespräche kein Spazier-gang sind, dass immer wieder – wie möglicherweiseauch jetzt – Scheitern drohen kann. Dennoch hat derProzess den Ministerwechsel in Berlin zu Peter Altmaierund einen Regierungswechsel in Niedersachsen zuStephan Weil und Stefan Wenzel überstanden, nicht zu-letzt auch deshalb, weil die beiden ehemaligen Bundes-umweltminister Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel ihreFachkompetenz, vor allen Dingen aber auch ihren politi-schen Willen eingebracht haben, die Chance zur Eini-gung nicht verstreichen zu lassen.Wir haben uns am 9. April darauf verständigt, ein Ge-setz noch in dieser Legislaturperiode einzubringen undes im Deutschen Bundestag und im Bundesrat auch zuverabschieden. Diese Standortauswahl soll wissenschaft-lichen Kriterien genügen, in einem vergleichenden Ver-fahren den Standort mit der bestmöglichen Sicherheitfinden, in jedem Schritt von der Öffentlichkeit begleitetund dann vom Deutschen Bundestag schrittweise legiti-miert werden.Das Verfahren orientiert sich an den Ergebnissen desArbeitskreises Endlager, die bereits seit 2002 auf demTisch liegen. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass wirauf der einen Seite keine Vorfestlegungen treffen kön-nen, dass wir auf der anderen Seite aber auch keinenStandort von vornherein herausnehmen können. Deshalbbleibt Gorleben wie jeder andere Standort im Verfahren.Die bergmännische Erkundung in Gorleben bleibt be-endet, und auch auf die Errichtung eines Forschungsla-bors wird verzichtet. Das nimmt Druck aus dem Verfah-ren. Auf der anderen Seite möchte ich die Bundes- unddie Landesregierung aber bitten, alles dafür zu tun, diebergtechnische Expertise zu sichern und nicht zuletztden Bergleuten und ihren Familien eine berufliche Per-spektive zu bieten.
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Dr. Maria Flachsbarth
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Dem eigentlichen Standortauswahlverfahren wirdzunächst die Arbeit einer pluralistisch besetzten Bund-Länder-Kommission, bestehend aus 24 Mitgliedern, vor-ausgehen. Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Religions-gemeinschaften, Gewerkschaften und Umweltverbändesollen bis Ende 2015 das Auswahlverfahren bezüglichder Sicherheitsmindestanforderungen, der Ausschluss-und Auswahlkriterien und bezüglich des methodischenVorgehens vorbereiten. Wie gestern in einem Bericht-erstattergespräch klar wurde, gibt es nicht nur aus mei-ner Fraktion noch einige Anfragen zu Besetzung,Arbeitsweise und politischer Anbindung dieser Kom-mission. Das wird dann im parlamentarischen Verfahrenzu erörtern sein.In allen Phasen des Prozesses, aber auch in die Arbeitder Bund-Länder-Kommission wird die Öffentlichkeitintensiv einbezogen. Transparenz sowie Beteiligung derBürgerinnen und Bürger werden bei jedem Verfahrens-schritt notwendige Voraussetzungen sein. Die im Gesetz-entwurf festgeschriebene frühzeitige, umfassende, aberauch dynamische Öffentlichkeitsbeteiligung soll im wei-teren Verfahren im Sinne eines lernenden Systems fort-entwickelt werden.Die parlamentarische Beratung, die wir ja nun heutebeginnen, soll durch eine intensive öffentliche Diskus-sion begleitet werden. Das Bundesumweltministeriumveranstaltet deshalb ein Endlagersymposium. Vom31. Mai bis zum 2. Juni können sich interessierte Bürge-rinnen und Bürger beteiligen und sich mit eigenen Rede-beiträgen einbringen. Ihre Einlassungen werden dannauch in der Anhörung, die der Umweltausschuss desDeutschen Bundestages am 10. Juni 2013 durchführenwird, berücksichtigt.Zentraler Kern des Gesetzentwurfs sind demokratischlegitimierte, nachvollziehbare Entscheidungen. Über dieeinzelnen Schritte des Auswahlverfahrens entscheidetdas Parlament per Gesetz. Dazu gehören am Ende desVerfahrens die Beschlüsse über die Standorte für dieüber- und untertägige Erkundung sowie über den end-gültigen Standortvorschlag. Zwischendurch, also vor deruntertägigen Erkundung, soll über das Umwelt-Rechts-behelfsgesetz noch ein verwaltungsgerichtlicher Rechts-schutz gewährt werden. Dann kommt ein Planfeststel-lungsverfahren, sodass es ab dem Jahr 2031 an demStandort an die Errichtung eines Endlagers gehen kann.Außerdem haben sich alle Beteiligten darauf verstän-digt, dass die Castortransporte in das ZwischenlagerGorleben eingestellt werden sollen. In diesen Tagen wer-den die Voraussetzungen dafür mit den Energieversor-gungsunternehmen diskutiert. Die Gespräche machennach den Aussagen der Bundesregierung gegenüber denBerichterstatterinnen gestern gute Fortschritte. Herr Mi-nisterpräsident, ob die scharfen Töne aus Niedersachsen,die ein Scheitern des Gesetzentwurfs androhen, falls derBundesminister sich nicht endlich kümmere, nötig undhilfreich sind, wage ich zu bezweifeln.
Im Übrigen handelt es sich bei der Forderung nichtum eine Idee der rot-grünen Landesregierung, sondernbestenfalls um eine niedersächsische Forderung.
Ich darf auf einen Artikel auf Seite 1 der HannoverschenAllgemeinen Zeitung vom 5. November 2011 verweisen.Die Überschrift lautete damals:Schwarz-gelbe Castor-Gegner stellen sich quer.Damit sind der ehemalige niedersächsische Umwelt-minister Sander und ich gemeint. Wir fordern gemein-sam, dass keine weiteren Castoren nach Niedersachsenkommen,
weil die Menschen vor Ort das natürlich als weitere Vor-festlegung verstehen würden. Das hat mir in meiner ei-genen Fraktion übrigens nicht nur Freunde eingebracht,wie Sie sich vorstellen können.
Das Wegducken der anderen Länder – ich schließeSchleswig-Holstein und Baden-Württemberg ganz aus-drücklich aus – hat nichts mit Rot-Grün oder Schwarz-Gelb zu tun, sondern ist bestimmt durch das seit Jahr-zehnten bekannte Agieren aufgrund von Länderegois-men.
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns den Weg der Sachpoli-tik, der in diesem verminten Politikfeld nur im Konsenszu gehen ist, weitergehen. Es ist viel einfacher, sich inden Schützengräben einzumauern, als neue Wege zu wa-gen.
Der niedersächsischen Landesregierung sage ich– das sage ich als Niedersächsin –: Gerade wir Nieder-sachsen haben ein extremes Interesse daran, dass diesesGesetz gelingt;
denn sollte es scheitern, gilt der Status quo. Gorleben istder einzige Standort in Deutschland, der für ein Endlagerfür hochradioaktive Abfälle erkundet wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit derLex Asse, der kleinen Schwester dieses Vorhabens, ge-zeigt, dass Politik handlungsfähig sein kann und auchschwierige Fragen gelöst werden können, wenn der poli-tische Mut und der Wille dazu da sind. Beides wünscheich uns sehr.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30529
Dr. Maria Flachsbarth
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Das Wort hat nun Jürgen Trittin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befin-den uns in dieser Situation: Wir führen gemeinsam eineseit über 30 Jahren umstrittene Frage einem breiten Kon-sens, einer Lösung zu. Man hat sich vor 50 Jahren dafürentschieden, Atomkraftwerke zu betreiben, ohne dassman sich klar darüber war, was anschließend mit demAtommüll geschehen sollte. Man träumte von billigerEnergie, aber den Müll wollte niemand haben. Die Dis-kussionen waren von kleinlichen Kostenerwägungenund zum großen Teil bornierter Standortpolitik geprägt.Der Untersuchungsausschuss Asse in Niedersachsen undder Untersuchungsausschuss Gorleben legen beredtZeugnis von dieser Praxis ab.Wir in Niedersachsen haben es nicht nur mit dem ein-zigen genehmigten Endlager für schwach und mittel ra-dioaktiven Müll in Salzgitter zu tun. Wir haben auch dasForschungsendlager, die sogenannte Asse, und in unmit-telbarer Nähe das Endlager Morsleben, in dem Sie, liebeFrau Bundeskanzlerin, einst zusätzlichen Müll einlagernwollten. Darunter wird heute ein Schlussstrich gezogen.Frau Flachsbarth, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu:Diese Praxis, mit Atommüll umzugehen, beenden wirheute. Wir beenden damit auch die unselige Vorfestle-gung auf Gorleben. Dass wir das im Konsens gemein-sam tun können, ist eine gute Nachricht.
Wir gehen jetzt einen Weg, bei dem wir ausgehendvon wissenschaftlich festgelegten Kriterien, und zwarvorher festgelegten Kriterien – wir bestimmen die Krite-rien nicht anhand eines konkreten gewünschten Stand-ortes –, schauen, welche Standorte für eine solche Endla-gerung nicht geeignet sind. Dann schauen wir, welchegeeignet sein könnten, vergleichen diese miteinander– oberirdisch wie unterirdisch – und treffen am Endeeine Entscheidung. Die wesentlichen Entscheidungenhierzu werden nicht mehr, wie es einst bei Gorleben derFall gewesen ist, im Hinterzimmer von einem Kabinetts-ausschuss eines Landeskabinetts mit ein paar zugereistenBundesministern getroffen, sondern hier im DeutschenBundestag nach öffentlicher Anhörung und in öffentli-cher Debatte transparent für das gesamte deutsche Volk.Das ist der einzige Weg, angemessen mit den Problemender Entsorgung des sehr gefährlichen Atommülls umzu-gehen.
Wir stehen in der Endlagerfrage also vor einem Neu-start. Dieser Neustart hat auch viel damit zu tun, Ver-trauen zu schaffen. Wir haben viel Wert darauf gelegt,bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf, insbeson-dere auch nach den Erfahrungen im Gorleben-Untersu-chungsausschuss und durch die Arbeit von SylviaKotting-Uhl und Doro Steiner, für umfassende Beteili-gung zu sorgen.Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass gerade ein Minis-terpräsident, der für sich selbst die Politik des Gehört-werdens zum Motto gewählt hat, die Tür für dieseLösung aufgestoßen hat. Dadurch, dass WinfriedKretschmann gesagt hat: „Wir in Baden-Württembergentziehen uns nicht länger dieser Verantwortung“, hat erdies ermöglicht. Ich finde, es ist ein schönes Geburts-tagsgeschenk für ihn, dass wir heute dieses Gesetz bera-ten.
Transparenz und Vertrauen müssen aber immer wie-der erworben werden. Lieber Peter Altmaier, ich bin jabei Ihnen, wenn Sie sagen, dass wir uns nicht immerüber Petitessen echauffieren dürfen. Ich glaube aber,dass die Frage, wie man mit dem Vertrauen der Bürge-rinnen und Bürger umgeht, eben gerade keine Petitesseist. Ich vermute, Sie sehen das genauso. Die Frage, ob esin Gorleben als Folge der vorherigen Festlegung zu Ent-eignungen kommt oder nicht, ist entscheidend und keinePetitesse.
Wir wollen eine weiße Landkarte, und eine weiße Land-karte kennt weder schwarze Löcher noch Vorfestlegung.Jedwede Vorfestlegung muss rechtssicher – ich betonedas – beendet werden, wenn dieses Gesetz den Deut-schen Bundestag verlassen und den Bundesrat passierensoll.
Das gilt auch für die Frage des Umgangs mit denTransporten in die Zwischenlager. Wir haben inDeutschland mehrere Zwischenlager; diese hat damalsübrigens eine rot-grüne Bundesregierung genehmigt unddurchgesetzt. Wir werden praktisch zu entscheiden ha-ben, in welches dieser Zwischenlager wir die zusätzli-chen 26 Castoren bringen, die zurückzunehmen wir ver-pflichtet sind. Es ist unsere Pflicht, den Müll, der vonuns stammt, aus den anderen Ländern zurückzunehmen.Ich muss sagen, Frau Brunkhorst, ich hätte mir vonIhnen – ich weiß, wie Sie persönlich das sehen – klareWorte gewünscht. Wer regiert denn in Hessen mit?
Wer regiert in Bayern mit? Wollen Sie wirklich warten,bis wir Sie da im Herbst abgewählt haben, sodass daswieder eine grüne Regierung macht?
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Jürgen Trittin
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Oder: Was sagen Sie zu dem bekennenden Atomkraft-gegner Herrn Kubicki, der die Landesregierung inSchleswig-Holstein dafür beschimpft, dass sie im Sinneunseres gemeinsamen Konsenses hier Verantwortungübernimmt, und schon ankündigt, dass er sich an Sitz-blockaden beteiligen möchte?
Ich finde, so kann man das Vertrauen der Bürgerinnenund Bürger in einen solchen Prozess auch zerstören.
Wir legen heute gemeinsam einen Gesetzentwurf vor,der einen Neustart bei der Endlagersuche ermöglicht;mit diesem Gesetz soll wissenschaftlich fundiert, trans-parent und demokratisch legitimiert eine Grundlage da-für geschaffen werden, dass die Gefährdung künftigerGenerationen durch den von unserer Generation produ-zierten Atommüll so weit minimiert bzw. gemindertwird, wie es nach bestem Wissen und nach dem Standvon Wissenschaft und Technik möglich ist. Dass dies imKonsens heute möglich ist, das ist ein gutes Zeichen.
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist
heute ein guter Tag, nämlich ein Tag, an dem wir ein kla-
res Verfahren beschließen, wie wir ergebnisoffen einen
Endlagerstandort finden können. Heute sprechen wir
über das Verfahren. Damit ist aber das Problem noch
nicht gelöst; darüber sollten wir uns auch im Klaren sein.
Es wird im weiteren Verfahren genügend Gelegenheiten
geben, bei denen immer wieder die Gefahr besteht, dass
sich irgendjemand vom Acker macht und sagt: „Ich will
die Verantwortung dafür nicht übernehmen“, oder: „Gut,
wir haben ein Verfahren; aber in meinem Wahlkreis geht
das überhaupt nicht.“ – Es ist ja nicht das erste Mal, dass
wir nationale Aufgaben zu bewältigen haben, und immer
wieder haben wir den Reflex „In meinem Wahlkreis aber
nicht“ gesehen. Jeder, der dem Gesetzentwurf, den wir
heute einbringen, schließlich zustimmt, sollte sich auch
darüber im Klaren sein, dass es letztendlich auch seinen
eigenen Wahlkreis treffen kann. Auch dann muss man zu
dem, was man hier beschlossen hat, stehen. Ich glaube,
auch das gehört zur Wahrheit über die Konsensfindung
dazu.
Das gilt genauso, wenn es um die Castoren geht.
Auch hier müssen alle bereit sein, einen Beitrag zu leis-
ten. Aber, Herr Trittin, ich finde es schon ein bisschen
billig, wenn Sie sich hier hinstellen und auf Bayern und
Hessen einschlagen.
Ich komme ja selbst aus NRW. Aber ich habe noch nicht
gehört, dass der nordrhein-westfälische Umweltminister
geschrien hat: Bitte, bitte, gebt mir Castoren!
Herr Sailer dagegen sagt: Grundsätzlich sind alle Zwi-
schenlager geeignet. Das ist also eine billige parteipoliti-
sche Zuspitzung gewesen, die, glaube ich, an dieser
Stelle nicht der Sache dient.
Herr Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, das möchte ich jetzt nicht.
Deshalb, meine Damen und Herren: Wir wollen hier
einen Konsens finden. Diese Konsensorientierung soll-
ten wir auch im Umgang miteinander weiterhin beibe-
halten und nicht, wie es Herr Trittin heute im Fernsehen,
im Morgenmagazin, wieder einmal gemacht hat, versu-
chen, Haare in der Suppe zu finden, um sich dann ir-
gendwann doch vom Acker zu machen. Wer jetzt dem
Standortauswahlgesetz zustimmt, der muss auch im ge-
samten Verfahren zu dem stehen, was wir hier gemein-
sam vereinbaren.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Ute Vogt für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ge-schichte der Atomenergie in Deutschland ist eine Ge-schichte großer Irrtümer. Die einen haben diese Irrtümer
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Ute Vogt
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früher bemerkt, die anderen erst kürzlich. Es ist in derTat gut, dass wir uns in diesem Haus heute einig sind,dass wir es den nachfolgenden Generationen schuldigsind, mit dem Problem Atommüll so umzugehen, dass eszumindest in den nächsten Jahrzehnten – endgültig lösenkönnen wir es wohl nicht – gelöst werden kann.Um zu illustrieren, welchen Irrtümern man unterlag,will ich beispielhaft zitieren, was im Jahr 1969 zumThema Atommüll gesagt wurde:Ich habe mir … sagen lassen, daß der gesamteAtommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge,der ein Kubus von 20 m Seitenlänge ist. Wenn mandas gut versiegelt und verschließt und in ein Berg-werk steckt, dann wird man hoffen können, daßman damit dieses Problem gelöst hat.So Carl Friedrich von Weizsäcker, immerhin ein sehr re-nommierter Wissenschaftler, im Jahr 1969. Ich denke,das zeigt, in welchem Ausmaß man das Risiko, das vonhochstrahlendem Atommüll ausgeht, unterschätzt hat.Angesichts der Größe der Aufgabe, die vor uns liegt,sollten wir nicht unterschätzen, dass die Einigung, diewir gefunden haben, Herr Minister Altmaier, durchausfragil ist; denn die lange Vorphase bis zu dieser Einigungist gegenüber dem, was jetzt noch an Aufgaben auf unszukommt, vergleichsweise kurz. Wir haben in dieser Re-publik schon mehrfach erlebt, dass Anstrengungen un-ternommen worden sind, die Suche nach einem Standortfür ein atomares Endlager wieder aufzunehmen. Ich er-innere daran, dass zuletzt im Jahre 2006, also noch zuZeiten der Großen Koalition, der damalige Umwelt-minister Sigmar Gabriel eine erneute Endlagersuche aufden Weg bringen wollte. Das damalige Vorhaben ist anden Reihen der Union gescheitert, insbesondere an denLändern Baden-Württemberg und Bayern. Seinerzeitwaren Unionsregierungen, auch mit FDP-Beteiligung,nicht bereit, diese nationale Verantwortung zu überneh-men, obwohl sie selbst gut daran verdient haben, dassihre Länder Atomkraftwerksstandorte haben.
Herr Kollege Kauch, genau darum geht es in dieserDiskussion. Es geht nicht darum, dass man die Castorenbreit über Deutschland verteilt, sondern um zwei Dinge:zum einen, dass wir lange Wege möglichst vermeiden,denn jeder Transport ist mit Gefahren verbunden; zumanderen, dass die Länder, die noch Atomkraftwerks-standorte haben, an der Übernahme nationaler Verant-wortung beteiligt werden.
Deshalb sind auch Bayern und Hessen selbstverständlichgefordert, dazu beizutragen, Niedersachsen zu entlasten,das in der Tat schon viele Jahrzehnte für uns alle dieseVerantwortung getragen hat.Die Einigung über die Grundlinien, die wir in denBund-Länder-Verhandlungen unter Beteiligung derFraktionen jetzt gefunden haben, darf nicht darüber hin-wegtäuschen, dass wir im Gesetzesverfahren die ent-scheidende Arbeit noch leisten müssen. Ich bin froh,
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für uns ist es unabdingbar, dass klargestellt wird, dassdie Finanzierung dieser Lasten durch die Verursacher,nämlich durch die Betreiber, also durch die Energiever-sorgungsunternehmen, erfolgen muss.
Für uns ist es unabdingbar, dass in diesem Gesetz steht,dass, bevor die unterirdische Erkundung in Angriff ge-nommen wird, die Bürgerinnen und Bürger, insbeson-dere Betroffene, die Chance haben, eine Überprüfungder Rechtmäßigkeit des Vorgehens vornehmen zu lassen.Hierzu muss wahrscheinlich in den Gesetzestext nocheine vernünftige und rechtssichere Formulierung aufge-nommen werden.Und schließlich: Der Verbleib der Castoren ist nichtbeliebig, sondern ihm zugrunde liegt eine zentrale Zu-sage, die der Bundesminister gegeben hat. Deshalb er-warten wir, dass diese Zusage vor der Verabschiedungdieses Gesetzentwurfs eingehalten wird.
Wir haben im Gorleben-Untersuchungsausschuss er-fahren, wie es durch eine falsche Politik und ein sehrwillkürliches Vorgehen gelungen ist, im Grunde nichtnur die betroffenen Anwohner, sondern auch viele Men-schen aus der ganzen Bundesrepublik gegen das in Gor-leben geplante Endlager aufzubringen bzw. zumindestgegen die Art und Weise, wie man ohne wissenschaftli-che Expertise, zumindest unter Missachtung vieler wis-senschaftlicher Erkenntnisse schlichtweg aus politischenGründen eine Entscheidung getroffen und sie der Bevöl-kerung übergestülpt hat. Wir haben erfahren, dass mannicht etwa vorher Kriterien hatte, anhand derer man suk-zessive geprüft hat, ob das Bergwerk in Gorleben dieseKriterien erfüllt, sondern man hat umgekehrt im Grundejedes Mal, wenn man ein Untersuchungsergebnis hatte,die Kriterien entsprechend angepasst.Ich glaube an den Erfolg dieses Gesetzes, weil wirdieses Mal anders vorgehen, weil im Vorfeld Kriterienfestgelegt werden. Diese stehen von vornherein fest; siewerden nicht den Erkenntnissen aus der Erkundung an-gepasst, sondern unter Beteiligung auch kritischer Wis-senschaftler, liebe Frau Menzner, vorher festgelegt. Da-für werden wir sorgen. Es werden nicht nur diejenigenbeteiligt, die in den letzten Jahrzehnten einschlägig auf-gefallen sind – ich denke zum Beispiel an diejenigen imUmfeld des Atomforums –, sondern es werden auch die-jenigen einbezogen, die eine kritische Meinung habenund am Gorleben-Prozess beteiligt gewesen sind.Ich glaube, wenn man so vorgeht, dass man vorherdie Regeln festlegt und anschließend die verschiedenenStandorte miteinander vergleicht, dann wird es uns zwarnicht gelingen, das supersichere Endlager zu finden– denn wer von uns kann sagen, was in 1 Million Jahren
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30532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Ute Vogt
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sein wird? –, aber es wird uns jedenfalls gelingen, das si-cherstmögliche Endlager in Deutschland ausfindig zumachen.Ich bedanke mich bei allen, die konstruktiv an diesemProzess teilnehmen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dieHürden, die jetzt noch zu überwinden sind, auch vonsei-ten des Bundesumweltministers, zu überwinden, damitdieses große Gesetzesvorhaben auf den Weg gebrachtwerden kann. Ich hoffe, dass uns heute nicht nur die Ein-bringung des Gesetzentwurfes mit Freude erfüllt, son-dern möglichst noch in dieser Legislaturperiode auch dieVerabschiedung des Gesetzes erfolgt, damit keiner mehrhinter dieses Gesetz zurück kann.
Das Wort hat nun Andreas Jung für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieDebatte über die Suche nach einem Endlager für radio-aktive Abfälle führt uns in aller Deutlichkeit noch ein-mal zwei Dinge vor Augen. Sie zeigt uns zum einen,dass die Kernenergie eine Technologie ist, die Risikenmit sich bringt, und sie zeigt uns zum anderen, wenn wiruns die Kosten der Endlagersuche und die Kosten derErrichtung eines Endlagers vor Augen führen, dass dieKernenergie keine billige Form der Energieerzeugung istund dass unser gemeinsamer Weg, aus der Kernenergieauszusteigen und mit der Energiewende den Weg hin zuerneuerbaren Energien zu gehen, richtig ist. Deshalbkönnen wir heute betonen, welch große Bedeutung derEnergiekonsens von vor zwei Jahren für die Zukunft derEnergieversorgung hat.
Auf diesen Energiekonsens bauen wir jetzt mit demEndlagerkonsens auf. Ich begrüße diesen Konsens aus-drücklich. Ich schließe mich der Wortwahl von PeterAltmaier an, der gesagt hat: Es ist ein hohes Gut, dasswir diese wichtige Frage in einem möglichst breiten ge-sellschaftlichen und politischen Konsens lösen. – Esgeht hier eben nicht um Fragen mit Auswirkungen vonvier, acht oder zwölf Jahren, auch nicht von Jahrzehnten,sondern es geht um Fragen mit Auswirkungen von Jahr-hunderten und Jahrtausenden; so lange bringen dieseAbfälle noch Gefahren mit sich.Deshalb halte ich es für richtig, dass wir gemeinsamvoranschreiten und damit eine Diskussion überwinden,die Verhärtungen mit sich gebracht hat, die Verzögerun-gen mit sich gebracht hat und die von einem Gegenein-ander von Parteien, Bund und einzelnen Ländern ge-kennzeichnet war. Es ist gut, dass wir diesen Konsenserreichen. Wir wissen, dass es dafür notwendig war, voneiner alleinigen Erkundung von Gorleben abzurücken.Umgekehrt ist es aber genauso notwendig, dass Gorle-ben bei der Suche nach einem Endlagerstandort nichtvon vornherein ausgeschlossen wird.Die Suche muss nach wissenschaftlichen Kriterien er-folgen. Wir brauchen einen transparenten Vergleich. Esist richtig, dass wir dies im Konsens gemeinsam ange-hen.
Dabei kommt es darauf an, dass wir gemeinsam in denMittelpunkt stellen: Bei der Suche nach einem Endlager-standort soll nach wissenschaftlichen Kriterien vorge-gangen werden, entscheidend soll die bestmöglicheSicherheit sein. Ich finde, dagegen gibt es keine Argu-mente. Das ist die Diskussion, die wir jetzt zu führen ha-ben. Darüber soll eine Enquete-Kommission beraten,und der Deutsche Bundestag wird dann darüber beraten.Dass dieses Verfahren, wie Herr Trittin gesagt hat, ei-nen Neustart darstellt, trifft zu. Gleichwohl können wirbei den wissenschaftlichen Erkenntnissen an einen jahr-zehntelangen Diskurs anknüpfen. Sie, Herr Trittin, ha-ben den AK End eingesetzt, der Empfehlungen ausge-sprochen hat, was bei der Endlagersuche zuberücksichtigen ist: Es werden klare Anforderungen andie geologischen Gegebenheiten, aber auch an die Erd-bebensicherheit gestellt. Meine Auffassung ist, dass wirauf diesen Erkenntnissen aufbauen müssen und sie be-rücksichtigen müssen. Gerade nach Fukushima dürfenbeim Thema Erdbebensicherheit keine Kompromisse ge-macht werden, darf es keine Aufweichungen geben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Kon-text der Endlagersuche gehört natürlich auch die Frageder Zwischenlager. Ich will zunächst einmal vorausschi-cken, dass, nur weil wir in der Frage der Endlagersuchejetzt einen Konsens haben und diesen umsetzen, dieFrage der Zwischenlager und des Transports von Casto-ren an Sensibilität nichts verloren hat. Es gibt Ängste beiden betroffenen Menschen; diese Ängste müssen wirweiterhin ernst nehmen. Es ist klar, dass hier nicht überdie Köpfe der Menschen hinweg entschieden werdendarf. Wir brauchen auch im Hinblick auf die Zwischen-lager ein transparentes Verfahren. Die Bevölkerungmuss einbezogen werden, und die Länderparlamentemüssen einbezogen werden. Im Übrigen – das wurdehier mehrfach gefordert – müssen die Lasten gerechtverteilt werden.Deshalb will ich mich der Forderung, die hier mehr-fach erhoben wurde, anschließen: Weitere Länder müs-sen ihrer Verantwortung gerecht werden. Bisher habenBaden-Württemberg und Schleswig-Holstein angekün-digt, dass sie sich konstruktiv einbringen wollen. Aberauch andere Länder müssen sich konstruktiv einbringen.Es gibt – das sage ich völlig unabhängig von der partei-politischen Farbenlehre – weitere große Länder, die inder Vergangenheit Atommüll produziert haben und dies
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30533
Andreas Jung
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auch weiter tun. Wir erwarten, dass sich auch diese Län-der konstruktiv einbringen. Wir setzen darauf, dass PeterAltmaier, der diese Gespräche intensiv und mit Engage-ment führt, auch hier wesentliche Fortschritte erzielenwird.
Ich wünsche mir – das will ich zum Abschluss sagen –,dass auch die Diskussion über mögliche Zwischenlagerim Geiste dieses Konsenses geführt wird und nicht miteiner Rhetorik einseitiger Erwartungshaltungen. Gestat-ten Sie mir, Herr Ministerpräsident Weil, deshalb eineBemerkung: Wir betonen hier den Konsens. Sie wissen,dass es ohne die Beteiligung der betroffenen Ländernicht geht und der Bundesumweltminister niemandenzwingen kann, dass man nur durch konstruktive Gesprä-che weiterkommen kann. Daher war ich verwundert,Herr Weil, dass Sie hier zu der oben angesprochenenRhetorik gegriffen haben, indem Sie gesagt haben: „HerrMinister Altmaier: Sie müssen liefern.“
Diese Haltung ist nicht getragen von einem konstrukti-ven Miteinander. Ich jedenfalls bin der Meinung, dasswir konstruktiv weiterdiskutieren sollten, auch über dieFrage der Zwischenlager. In diesem Sinne wird sich dieUnionsfraktion auch einbringen.Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist Georg Nüßlein
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaubenicht, dass es Sinn macht, jetzt – am Ende der Debatte –Streitpunkte zu eröffnen, laut zu werden oder in größe-rem Ausmaß Zwischenrufe zu starten,
sosehr ich auch für mich in Anspruch nehme, dass ich inden Debatten im Deutschen Bundestag gerne Zurufe ma-che. Das wäre jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt unddem Thema nicht angemessen.Wir beraten jetzt in erster Lesung einen Gesetzent-wurf, der einen partei- und länderübergreifenden Kon-sens zu einem besonders wichtigen Thema markiert;aber ich sage auch ganz klar: „In erster Lesung“ heißt,dass wir kurz vor dem Ziel, aber noch nicht am Ziel sind.Genauso wichtig ist: Wir haben uns jetzt erst einmalüber ein Verfahren verständigt. Das ist ein großer Schritt,aber trotzdem sind wir eben leider noch nicht am Ende.Natürlich muss unser gemeinsames Vorgehen abbil-den, dass die Generationen, die die Kernenergie genutzthaben, verantwortlich mit der Entsorgung umgehenmüssen. Das liegt in ihrer Verantwortung. Ich möchte ander Stelle betonen: Genutzt haben sie alle, und über dieEinführung der Kernenergie in Deutschland haben auchalle damals etablierten Parteien im Konsens entschieden.Deshalb, Herr Ministerpräsident – da hat Andi Jung na-türlich recht –, muss nicht nur der Bundesumweltminis-ter liefern, sondern wir alle müssen liefern. Ich glaube,darüber gibt es hier gar keinen Streit.
Das sind die Prämissen des heute zu debattierendenEntwurfs, der Zeugnis einer über Partei- und Landes-grenzen hinweggehenden Konsensfindung ist. Ich sageauch ganz klar: Wer Parteipolitik kennt – alle hier sindfachkundig –, der weiß, wie schwierig so etwas ist unddass das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.Wir haben somit hier heute eine außerordentlich großeChance, gemeinsam Handlungsfähigkeit zu dokumentie-ren. Diese sollten wir nutzen und bei so einer Gelegen-heit auch einmal gemeinsam aufzeigen und nach drau-ßen tragen, dass Politik in Deutschland auch bei noch sostrittigen Themen handlungsfähig und einigungsfähigist.Es geht auf der einen Seite um die sichere Endlage-rung, aber auf der anderen Seite eben auch darum – dasmöchte ich am Schluss der Debatte noch einmal ganzklar herausstellen –, zu zeigen, dass wir im modernenRechtsstaat auch über besonders streitige und besonderswichtige gesellschaftspolitische Themen überparteilichverhandeln und am Ende auch im Konsens eine Lösungumsetzen können; denn das Umsetzen ist ja die eigentli-che Herausforderung.Herr Trittin, ich habe vorhin gesagt, dass ich gernestreite. Weil es hier nicht hineinpasst, verkneife ich miran dieser Stelle aber einen Spruch zu der von Ihnen an-gekündigten Regierungsübernahme durch die Grünen inBayern. Ich habe von Andi Jung ja gerade gehört, esgehe hier um Jahrhunderte, wenn nicht gar um Jahrtau-sende.
Unter dem Gesichtspunkt betrachte ich die zeitlicheSchiene, von der Sie da gesprochen haben.
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30534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Georg Nüßlein
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Wir debattieren hier in erster Lesung natürlich einenKompromiss. Im parlamentarischen Verfahren wird daseine oder andere Detail natürlich noch auszugestaltensein. Es gibt eine ganze Menge an Themen: die Frageder Zusammensetzung und des Vorsitzes der einzurich-tenden Enquete-Kommission, die Frage, wer das ganzeVerfahren bezahlt bzw. wie die Kosten verteilt werden,die Frage, wie diese Kommissionsarbeit letztendlich ab-gerechnet wird, und ähnliche Dinge. Verglichen mit derGrundsatzbedeutung, die dem Inhalt des Gesetzentwurfsbeizumessen ist, sind das aber nur Marginalien, die imregulären parlamentarischen Verfahren noch eingebrachtund verhandelt werden können. Ich will diesen Aspektendamit nicht ihre Bedeutung absprechen. Ein gutes Ge-setz muss natürlich bis ins letzte Detail durchdacht sein,aber alles hat seine Zeit. Diese Punkte können wir nochin Debatten, Anhörungen und Ausschüssen beraten. Wirsind nämlich Gott sei Dank so vorgegangen, dass jetztam Ende der Wahlperiode noch genügend Zeit ist, dasordentlich zu regeln; auch das möchte ich betonen. Dasist ein Verdienst all derjenigen, die das letztendlich mitangestoßen und mit organisiert haben.Weil heute insbesondere der Bundesumweltministerallen gedankt hat, möchte ich das an dieser Stelle aucheinmal umgekehrt tun, nämlich dem Bundesumweltmi-nister danken. Es war ein großer Kraftakt, den er hiervollzogen hat, und er hat das hervorragend gemacht. Lie-ber Peter Altmaier, vielen Dank! Großartige Leistung!
In der Thematik Gorleben muss man drei Dinge ganzklar festhalten:Erster Punkt. Um zu zeigen, dass wir es ernst meinen,ist es sinnvoll, darauf zu verzichten, jetzt zusätzlicheCastoren nach Gorleben zu transportieren, denn sonstwürden wir die Entscheidung für eine Standortsuche in-frage stellen, und dann würde der Eindruck entstehen:Die spielen mit uns, die meinen das nicht ernst.Zweiter Punkt. Genauso sinnvoll ist es, das Wissen,das wir bei der Erkundung erworben haben, jetzt nichtad acta zu legen.Dritter Punkt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, daraufzu achten, dass es bei der Endlagersuche auf der weißenLandkarte nicht von Anfang an einen schwarzen Fleckgibt, nämlich Gorleben. Auch das würde niemand ver-stehen.
– Es freut mich, dass der Kollege Trittin an dieser Stelleklatscht. – Wichtig ist auch – das muss sich bei den Lin-ken noch herumsprechen –: Ich kann nicht beschließen,mit der Suche neu zu beginnen, und dann einen Ort kom-plett ausschließen, nur weil es dort nachvollziehbareSchwierigkeiten mit der Bevölkerung gibt. Ich habe gro-ßes Verständnis für die Betroffenen vor Ort. Aber es gibtzum jetzigen Zeitpunkt, jedenfalls bei den Geologen,kein Argument, warum man Gorleben ausschließensollte. Es bringt auch politisch keinen Nutzen, die weißeLandkarte mit einem schwarzen Fleck zu versehen. Las-sen Sie uns wirklich von vorne anfangen.Das ist unser Anliegen. Nur so können wir nicht nureinen Konsens über das Verfahren schaffen, sondern amSchluss auch ein konsensfähiges Vorgehen erreichen. Indiesem Sinne: Glück auf für dieses Gesetz!Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 17/13471 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 53 a und 53 bsowie Zusatzpunkt 9 auf:53 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zum Vorschlag für eine Verordnung desRates zur Übertragung besonderer Aufgabenim Zusammenhang mit der Aufsicht über Kre-ditinstitute auf die Europäische Zentralbank– Drucksache 17/13470 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschussb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Abschirmung von Risiken und zur Pla-nung der Sanierung und Abwicklung von Kre-ditinstituten und Finanzgruppen– Drucksachen 17/12601, 17/13035 –Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksachen 17/13523, 17/13539 –Berichterstattung:Abgeordnete Ralph BrinkhausManfred ZöllmerBjörn SängerDr. Gerhard SchickZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zudem Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEin neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-märkte: Erpressungspotenzial verringern –Geschäfts- und Investmentbanking trennen– Drucksachen 17/12687, 17/13523, 17/13539 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30535
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Berichterstattung:Abgeordnete Ralph BrinkhausManfred ZöllmerBjörn SängerDr. Gerhard SchickNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-tarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort.H
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Wir haben in dieser Woche im Deutschen Bundestagüber wichtige Meilensteine im Hinblick auf einen stabi-len Finanzrahmen mit notwendiger Konsequenzziehungaus der Finanzmarktkrise debattiert. Heute werden wirüber einen weiteren Meilenstein für eine stabile Finanz-systemordnung in Europa und darüber hinaus debattie-ren, nämlich über die Schaffung einer einheitlichen EU-weiten Bankenaufsicht.Wir erinnern uns: Am 29. Juni des vergangenen Jah-res haben die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes in ihrer Gipfelerklärung den Weg füreinen einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsme-chanismus unter Beteiligung der Europäischen Zentral-bank politisch freigemacht. Das politische Hauptziel ist,dass durch einen solchen einheitlichen Aufsichtsmecha-nismus der Teufelskreis aus Banken und Staatsanleihendurchbrochen werden soll.
Wir wollen die gleiche Durchsetzung europäischer Auf-sichtsstandards in den an ihm teilnehmenden Mitglied-staaten. Damit soll das Vertrauen in unsere europäischeWährung und in ein stabiles Bankensystem in Europagefestigt werden.Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone ha-ben in ihrer Gipfelerklärung die Rechtsgrundlage fürdiesen einheitlichen Aufsichtsmechanismus klar vorge-geben: Art. 127 Abs. 6 des Vertrages über die Arbeits-weise der Europäischen Union. Darin ist vorgesehen,dass der Rat einstimmig durch Verordnung besondereAufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über dieEZB übertragen kann.Die Europäische Kommission hat dann am 12. Sep-tember des vergangenen Jahres einen Vorschlag für eineVerordnung des Rates vorgelegt. Diese Verordnung trägtden schönen Titel „Single Supervisory Mechanism“,kurz: SSM-Verordnung.Es folgten dann intensive Verhandlungen im Rat. Nurdrei Monate nachdem die Vorschläge vorgelegt wordenwaren, konnte am 13. September des vergangenen Jahresunter den 27 EU-Finanzministern eine erste einstimmigepolitische Einigung über Texte erreicht werden. Natür-lich war es wichtig und notwendig, auch das Europäi-sche Parlament in die Verhandlungen einzubeziehen.Jetzt haben wir einen Verordnungstext mit Datum vom18. April, mit dem die inhaltlichen Voraussetzungen füreine formelle Verabschiedung dieser Verordnung vorlie-gen.Mit dem heute eingebrachten Entwurf eines Zustim-mungsgesetzes soll der deutsche Vertreter im Rat er-mächtigt werden, dieser ausgehandelten Verordnungüber eine einheitliche europäische Aufsichtsstruktur imBankenwesen zuzustimmen. Durch die Verordnung sol-len besondere Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht,die bislang nur auf nationaler Ebene wahrgenommenwerden, auch auf die EZB verlagert werden.So wird die Europäische Zentralbank die zuständigeBehörde für die Überwachung der Einhaltung der Eigen-kapitalanforderungen und die Beaufsichtigung auf kon-solidierter Basis sein. Zudem wird sie die Einhaltungvon Bestimmungen zum Verschuldungsgrad und zurMindestliquiditätsquote überwachen und entsprechendeKapitalpuffer festlegen.Deutschland hat sich in den Verhandlungen über einegemeinsame europäische Bankenaufsichtsstruktur stetsund entschieden für eine klare Aufteilung der Aufgabenzwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden undfür die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eingesetzt.Wir konnten uns durchsetzen. Die direkte Aufsicht derEZB wird sich nur auf die bedeutenden Kreditinstituteder teilnehmenden Mitgliedstaaten konzentrieren. Krite-rien für die Bedeutsamkeit eines Kreditinstituts sind dieGröße,
seine Bedeutung für die Wirtschaft der EU oder des Mit-gliedstaates oder der Umfang der grenzüberschreitendenTätigkeit des Instituts. Zum Beispiel gelten Kreditinsti-tute mit einer Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euroals bedeutend.Unabhängig von diesen Kriterien soll die EZB min-destens
die drei bedeutendsten Kreditinstitute eines jeden teil-nehmenden Mitgliedstaates direkt beaufsichtigen.
– Lieber Herr Kollege Kahrs, Sie können nachher redenund Ihren Sachverstand zu diesem Sachverhalt in freierRede deutlich machen.
Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn – mit Unterstützungdes Präsidenten – Sie mich jetzt fortfahren lassen wür-den, lieber Kollege Kahrs.
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30536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
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– Ich wusste gar nicht, dass Sie bei diesem Thema sokompetent und engagiert sind.Jedenfalls kommt es darauf an, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir durch den heute zu verabschiedendenEntwurf des Zustimmungsgesetzes den Weg dafür frei-machen, dass im Hinblick auf die Situation der europäi-schen Bankenlandschaft mehr Stabilität eintritt. Wir ha-ben uns sehr dafür eingesetzt, dass es bei der striktenTrennung im Hinblick auf die Verantwortung der Euro-päischen Zentralbank, was die Geldwertstabilität in die-sen Aufsichtsfragen anbelangt, bleibt.Des Weiteren haben wir uns dafür eingesetzt, dass eszu einer abgestimmten Aufsichtsstruktur kommt. Die be-währten nationalen Aufsichtsstrukturen werden dienichtbedeutenden Kreditinstitute weiter überwachen.Die bedeutenden Kreditinstitute – ich habe die Defini-tion genannt – werden in Zukunft von der EuropäischenZentralbank überwacht werden. Wir werden natürlichauch genau darauf achten, dass die technischen Details,die jetzt noch auszuformulieren sind, auch unter Mitwir-kung sowohl des Europäischen Parlaments als auch dernationalen Parlamente ausformuliert werden.Die strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Auf-sicht war ein ganz entscheidender Punkt. Für uns ist esaber auch wichtig, dass eine Schlichtungsstelle ein-gerichtet wird, die im Falle eines Einspruchs des EZB-Rates gegenüber einem Entscheidungsvorschlag desAufsichtsgremiums die Meinungsverschiedenheiten bei-legen soll. Auch die Aufsichtstätigkeit bei der EZB solldurch Abgaben finanziert werden. Diese Abgaben wer-den von den beaufsichtigten Kreditinstituten zu zahlensein. Das heißt, es wird nicht zu Belastungen der öffent-lichen Haushalte durch diese neue Aufsichtsstrukturkommen.
– Ich weiß gar nicht, lieber Herr Kahrs, warum Sie ineine sachliche Debatte über ein wichtiges europäischesGesetzesvorhaben eine solch komische Stimmung hin-einbringen.
Ist Ihnen heute irgendetwas über die Leber gelaufen?
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin den Teufelskreis
aus Staatsfinanzen und Bankfinanzen beschrieben, der
durchbrochen werden soll. In der Erklärung der Regie-
rungschefs vom Juni 2012, die die Bundeskanzlerin mit
unterschrieben hat, wird auch die Öffnung des Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus für die Refinanzierung der
Banken genannt. Das heißt, der Staatsrettungsfonds wird
zu einem Bankenrettungsfonds. Sie haben bisher noch
nichts dazu gesagt. Ich möchte gern wissen, wann Sie
hier dem Haus den geänderten Gesetzentwurf dazu vor-
legen wollen; denn der Bundestag hat das ausgeschlos-
sen. Eine der Bedingungen für die Öffnung des ESM ist
– ich denke, die Bundesregierung steht bei ihren euro-
päischen Partnern im Wort – die Bankenaufsicht. Sind
Sie noch der Auffassung, dass der ESM die Rekapitali-
sierung der Banken, also die Schuldenübernahme, durch
europäisches Geld vornehmen soll, oder ist das jetzt
nicht mehr Ihr Punkt?
H
Lieber Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Schluss-folgerungen des Europäischen Rates aufmerksam ver-folgt haben, werden Sie festgestellt haben, dass dort eineklare Prioritätensetzung vorgenommen wurde. Jetzt gehtes darum, die Regeln für den einheitlichen Aufsichtsme-chanismus unter Dach und Fach zu bringen. Der nächsteSchritt ist der Abschluss der Bankenrestrukturierungs-richtlinie. Dann werden wir uns mit wirksamen Instru-menten einer möglichst gemeinsam abgestimmten euro-päischen Einlagensicherung beschäftigen. Danach wird– genau das sind die Schlussfolgerungen des Europäi-schen Rates – mit der Erarbeitung von Möglichkeiten ei-ner direkten, konditionierten Rekapitalisierung von Ban-ken durch den ESM begonnen werden. Alles schön derReihe nach, so wie es in den Schlussfolgerungen des Eu-ropäischen Rates festgelegt wurde.Ich gehe davon aus, lieber Herr Kollege Schneider,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,dass Sie dieses Gesamtwerk, das uns mehr Stabilität desFinanzsystems in Europa bringen soll, konstruktiv unter-stützen. Es wäre völlig falsch, hier die Schritte unkoordi-niert und nicht in der Reihenfolge, wie sie in denSchlussfolgerungen des Europäischen Rates vorgesehenist, zu unternehmen. Ich lade Sie dazu ein, dies konstruk-tiv zu begleiten. Darüber würde ich mich freuen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30537
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
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Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Interesse derOpposition und Deutschlands liegt, wenn wir uns zumBeispiel an das schwierige Thema der direkten Banken-rekapitalisierung durch den ESM wagen, ohne die ande-ren Grundvoraussetzungen, wie ich sie beschriebenhabe, deutlich darzulegen. Das müsste sogar der KollegeKahrs verstanden haben.
In diesem Sinne werden wir mit dem heute einge-brachten Entwurf eines Gesetzes, das die Zustimmungdes deutschen Ratsvertreters zu der Verordnung des Ra-tes ermöglichen soll, einen wichtigen Meilenstein aufden Weg bringen. Das zeigt übrigens auch, welch hohenGrad der Parlamentsbeteiligung wir in Deutschland ha-ben. Bevor der deutsche Vertreter im Rat zustimmenkann, holen wir die Zustimmung des Deutschen Bundes-tages durch dieses Gesetz ein.Wir werden uns heute in zweiter und dritter Lesungmit einem weiteren wichtigen Gesetz der Bundesregie-rung befassen, zu dem dann auch noch andere Kollegenaus den Koalitionsfraktionen Stellung nehmen werden.Ich will nur sehr deutlich sagen: Auch beim ThemaTrennbanken geht Deutschland wieder einmal voran,setzt Deutschland wieder einmal Zeichen. Wir haben dasbeim Thema Leerverkaufsverbot getan. Wir haben dasbeim Thema Hochfrequenzhandel getan. Wir haben dasbeim Thema Honorarberatung getan. Wir tun es jetzt – esgeht dabei um erste Konsequenzen aus dem Liikanen-Be-richt – durch das Gesetz, das man als Trennbankengesetzbezeichnen kann. Es wäre schön gewesen und wir hättenuns in Europa viel erspart, wenn Deutschland auch inden elf Jahren sozialdemokratischer Verantwortung imBundesfinanzministerium Schrittmacher für mehr undfür notwendige Regulierung auf europäischer Ebene ge-wesen wäre.
Diese Aufgabe hat diese Bundesregierung mit Bun-desfinanzminister Schäuble und der christlich-liberalenKoalition übernommen. Wir können am Ende dieser Le-gislaturperiode sagen, dass wir durch unseren entschie-denen Einsatz die richtigen Konsequenzen aus der Krisegezogen und die Finanzsysteme in Europa und damit un-sere gemeinsame Währung stabiler gemacht haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute über den wichtigsten Souveräni-tätstransfer, den es in der Europäischen Union bisher ge-geben hat,
und über ein – angebliches – Trennbankensystem, dasnicht trennt. Wir stellen fest, dass der Minister nicht daist. Ich kann nur sagen: Dies ist ein Armutszeugnis fürdiese Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, blicken wir nocheinmal zurück: Es war die Bundeskanzlerin, die auf ei-ner Ratssitzung im Juni letzten Jahres ihre Zustimmungdazu gab, dass Banken in Zukunft direkt aus dem ESMrekapitalisiert werden können, wenn eine gemeinsameBankenaufsicht eingerichtet ist. Wir haben von Anfangan gesagt, dass es ein großer politischer Fehler war, dendie Bundeskanzlerin da gemacht hat. Nun versucht dieBundesregierung krampfhaft, Nebelkerzen zu werfen,Chaos zu produzieren, um ihr politisches Versagen zuvertuschen.Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Zu-stimmung des Bundestages zu einer europäischen Ban-kenaufsicht einzuholen. Ja, eine europäische Bankenauf-sicht, eine Bankenunion in Europa, ist unserer Meinungnach notwendig; denn das europäische Bankensystem istnach wie vor marode. Es fehlen nach Meinung von Ex-perten mindestens 500 Milliarden bis 1 Billion Euro anKapital.Die Bankenkrise verschlimmert die Rezession imEuro-Raum massiv. In vielen Ländern gibt es eine dra-matische Kreditklemme. Die traditionelle Geldpolitikder Zentralbank wirkt in vielen Ländern nicht mehr. Mitder andauernden Rezession werden auch die Problemevieler Banken größer. Die Bankenunion soll helfen. Siemuss deshalb kommen.Man hat sich in Europa verständigt – der Herr Staats-sekretär hat das eben deutlich gemacht – auf eine ge-meinsame Bankenaufsicht bei der EZB. Wenn man so et-was kurzfristig einrichten will, dann kann man imMoment sicherlich keine andere Institution beauftragen,die in der Lage ist, dies in Europa fachkundig zu erledi-gen. Aber die Probleme liegen auf der Hand. Geldpolitikund Aufsicht lassen sich nicht wirklich trennen, auchwenn Sie, Herr Koschyk, hier eben etwas anderes darge-stellt haben.Nach den Gesetzen kann nur der EZB-Rat Entschei-dungen treffen. Die juristische Prüfung hat dies eindeu-tig ergeben. Interessengegensätze zwischen Geldpolitikund Aufsicht sind damit vorprogrammiert. Wie – dasfrage ich Sie – soll die EZB eine Bank beaufsichtigen,wenn sie gleichzeitig Geschäftspartner und Gläubigerist?
Wir fordern deshalb, die Übertragung der Aufsicht übersystemrelevante Institute an die EZB zeitlich zu begren-zen. Wir brauchen auf Dauer eine von der Geldpolitikunabhängige Institution, die diese Aufgabe übernimmt.
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30538 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Manfred Zöllmer
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Zur Bankenunion gehören notwendigerweise aucheine unabhängige europäische Abwicklungsbehörde, diedas Recht hat, Banken zu rekapitalisieren und auch ab-zuwickeln, und ein entsprechender Abwicklungsfonds,der aus den Beiträgen der Banken gespeist werden muss,so wie wir es hier vorgeschlagen haben, damit die Ban-ken selber und nicht die Steuerzahler die Risiken über-nehmen.
Jetzt wird es interessant: Der Bundesfinanzministerübt sich im Moment im Tarnen, Täuschen, Tricksen undVerzögern.
In einem Namensartikel der Financial Times geht er aufKonfrontation zur EZB und verkündet: Ohne Vertrags-änderung kein Abwicklungsfonds. Stattdessen will er einNetzwerk nationaler Behörden. Man überlege einmal:Selbst in Deutschland gibt es keinen entsprechendenFonds, der in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen. DieBankenabgabe, die Sie beschlossen haben, war doch vielzu gering. Da ist doch überhaupt nichts, was nationaleingebracht werden kann.
– Die Banken selber zahlen das.
Sie wollen die Banken doch immer schonen. Wir sagen:Die Banken müssen das selber bezahlen und nicht dieSteuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Mit seinem Vorstoß versucht der Minister, eine Ban-kenunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschie-ben. Damit würde automatisch die Zusage von FrauMerkel wieder gelten, dass sich Krisenbanken zukünftigaus dem ESM rekapitalisieren können. Das würde be-deuten: Nun ist dank dieser Bundesregierung wieder derSteuerzahler in der Haftung. Die nächste Pleitebank wirdvom Steuerzahler bezahlt. Sie darf sich bei dieser Bun-desregierung bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo bleibt eigentlichdie Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die Glaub-würdigkeit von Frau Merkel und Herrn Schäuble, wennderartig getrickst und getäuscht wird, wenn einem Juris-ten auf einmal einfällt, die Bankenaufsicht kann gemäßArt. 127 Abs. 6 AEUV problemlos eingerichtet werden,aber die Abwicklung nicht? Dann entsteht die Situation,dass die „lähmende Herrschaft der Zombie-Banken“, sohat es Herr Münchau auf Spiegel Online formuliert, fort-gesetzt wird.Auch die EZB und die Kommission haben sich ent-sprechend geäußert. In einem Artikel heißt es: EZB ge-gen zweistufige Bankenabwicklung; Asmussen hältnichts von Schäubles Idee. – Das ist auch nachvollzieh-bar; denn diese Idee wäre genauso unsinnig, wie es wäre,wenn die Polizei keine Knöllchen schreiben dürfte.
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum StichwortBankentrennung sagen. Bankentrennung? Schön wärees, wenn Banken tatsächlich getrennt würden. DieserGesetzentwurf trennt aber nichts. Der Kommentator aufder Wirtschaftsseite der Süddeutschen Zeitung nennt denGesetzentwurf völlig zu Recht „Blendwerk“. Warum?Die Idee einer Trennbank ist die Unterbindung derFinanzierung des Casinos durch die Kreditbank. Diesgelingt der Bundesregierung nicht. Die Abtrennung desrisikoreichen Geschäfts vom Kundengeschäft wird nichtwirklich vorgenommen. Das hat die Anhörung desFinanzausschusses eindeutig ergeben. Dies ist keinTrennbankensystem. Die Schwellenwerte sind viel zuhoch. In der Anhörung wurde klar: Weniger als 1 Pro-zent der Bankaktivitäten sind von der Trennungsvor-schrift betroffen. Herr Vickers hat das in der Anhörungals „befremdlich“ bezeichnet. Die Süddeutsche Zeitungformulierte: „… die Banken-Lobby hat ganze Arbeit ge-leistet.“ Man will dem Wähler signalisieren: Nie mehrmusst du für riskante Geschäfte der Banken zahlen.Doch erfüllt der Gesetzentwurf diese Hoffnung? Wohlkaum. Nein, das ist der Entwurf eines weiteren Placebo-gesetzes dieser Bundesregierung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemein-sam mit Bündnis 90/Die Grünen Vorschläge zur Ban-kentrennung in Form eines Holdingmodells vorgelegt.Wir werden dafür sorgen, dass das Zockergeschäft vomnormalen Kundengeschäft getrennt wird und diese toxi-schen Geschäfte nicht mehr durch Kundeneinlagenfinanziert werden können.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Frak-
tion.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Zunächst will ich bezogen auf dieRede von Herrn Kollegen Zöllmer festhalten: Als PeerSteinbrück Finanzminister war, haben die Steuerzahle-rinnen und Steuerzahler für die Restrukturierung vonBanken bezahlen müssen. Das zu ändern, ist unser Ziel.Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf auf den Wegbringen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und un-serer Politik.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30539
Dr. Volker Wissing
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Wenn man in dieser schwierigen Krise Vertrauen zu-rückgewinnen will, muss man den Menschen die Wahr-heit sagen.
Man muss sich bei der Regulierung auch an der Wahr-heit orientieren. Die Wahrheit ist: Nicht Universalban-ken haben diese Krise ausgelöst, sondern Spezialbanken.In Amerika waren es Investmentbanken. Die Banken,die in Deutschland als Erste umgefallen sind, warenebenfalls keine Universalbanken. Es waren Banken miteinem eindimensionalen spezifischen Bankengeschäft,beispielsweise Landesbanken oder auch die Hypo RealEstate.
Diese Banken waren keine Universalbanken. Deshalb istdie Botschaft, die Sie den Menschen wahrheitswidrigverkaufen, nämlich dass Universalbanken das Problemund Trennbanken die Lösung seien, falsch. Deswegenbefinden Sie sich bei der Finanzmarktregulierung auchnicht auf dem richtigen Weg.
Gleichwohl kann die Komplexität einer Bank zu ei-nem Problem werden. Sie darf nicht dazu führen, dassdie Restrukturierung im Krisenfall am Ende unhandelbarist, man die Bank dann nur noch im Ganzen retten kannund dafür so viel Geld braucht, dass nur der Staat ein-springen kann. Deswegen ist es richtig, dass man Vor-kehrungen in Form von Bankentestamenten trifft. Es istauch richtig, dass man die Geschäftsbereiche abtrennt,die von der Bank nicht verantwortet und auch nicht besi-chert werden können. Das bringen wir mit diesem Ge-setzentwurf auf den Weg. Das ist an der Wahrheit orien-tierte Finanzmarktregulierung spezifisch für unserennationalen Finanzplatz, der eine wichtige Funktion zurFinanzierung der deutschen Wirtschaft hat.Das, was Sie so lapidar und auch wahrheitswidrig alsüberflüssig toxisches Geschäft bezeichnen, dient inWahrheit der Industriefinanzierung in Deutschland undsichert unzählig viele Arbeitsplätze.
Auch das muss irgendjemand in Deutschland einmal klaraussprechen, weil die Sozialdemokratie offensichtlichnicht mehr ansteht, Finanzmarktpolitik für die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer zu machen.
Wie auch die Französische Republik streben wir eineLösung des Problems der Komplexität der Banken anund haben parallel mit Frankreich einen Entwurf ver-fasst. Deutschland geht zwar etwas weiter als HerrHollande, aber im Wesentlichen haben wir den gleichenWeg eingeschlagen. Wir machen das, was wir in dieserKrise von Anfang an gemacht haben:
Wir haben die Eckpunkte gesetzt, die wir für richtig undfür wichtig halten. Wir haben das frühzeitig vor den an-deren getan, um der Bundesregierung, auch auf europäi-scher Ebene, ein klares Verhandlungsmandat mitzuge-ben.Wenn man die Geschichte seit 2009 verfolgt, stelltman fest: Der Deutsche Bundestag war federführend.Wir haben vieles parallel mit der Assemblée Nationalein Frankreich auf den Weg gebracht – in vielen Fällen istdas gelungen – und dann mit klaren Vorgaben, mit einemklaren Mandat die Bundesregierung gebeten, das zumeuropäischen Standard zu machen. Das ist Schritt fürSchritt gelungen. So sieht seriöse und gute Finanzmarkt-regulierungspolitik aus.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick?
Ja. Bitte.
Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, dass das Pro-
blem in Deutschland eigentlich überhaupt nicht die Uni-
versalbanken gewesen seien. Das hat mich gewundert.
Denn die Sachsen LB hat sowohl Investmentbanking als
auch Kreditgeschäft betrieben. Die WestLB war im
Investmentbanking und im Kreditgeschäft tätig. Die
Commerzbank ist im Investmentbanking und im Kredit-
geschäft aktiv. Das zeigt, dass schon einmal drei wesent-
liche Problemfälle in Deutschland Universalbanken ge-
wesen sind. Die Frage ist, wie man das im Hinblick auf
jede einzelne Bank bewertet. Ich möchte dennoch ein-
mal nachfragen, ob Ihre Aussage, dass in Deutschland
nur Spezialbanken von den Rettungen betroffen waren,
generell richtig ist.
Bitte nehmen Sie außerdem zur Kenntnis, dass das
Hauptargument ein anderes ist, nämlich dass es eine
Quersubventionierung gibt. Dieses Argument wurde
auch von BaFin und Bundesbank in der Anhörung bestä-
tigt.
Herr Kollege Schick, meine Aussage war und ist rich-tig. Sie haben sie nur bewusst falsch verstanden undeben bewusst falsch wiedergegeben. Ich habe gesagt: Eswaren im Wesentlichen nicht Universalbanken, die dieseKrise verursacht haben, sondern es waren überwiegendSpezialbanken. Diese Aussage ist richtig, und sie steht
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30540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Volker Wissing
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auch nicht im Widerspruch zu dem, was Sie gesagt ha-ben.
Deswegen müssen wir hier gar keinen Popanz errichten,sondern können bei dem bleiben, was ich hier gesagthabe; denn es ist die Wahrheit. Es ist in der Tat notwen-dig, dass man reguliert; sonst würden wir dieses Gesetznicht machen. So einfach ist das. Man muss eben nursinnvoll regulieren und sich an der Wahrheit orientieren,und das tut die christlich-liberale Koalition.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch Teil derWahrheit, dass wir eine europäische Aufsicht brauchen.Der Deutsche Bundestag hat sich, wenn ich mich rechterinnere, schon im Jahr 2005 in einem Entschließungs-antrag dafür ausgesprochen, ein europäisches Aufsichts-regime zu schaffen. Wir waren damals in diesen Fragensehr weit voraus, übrigens fraktionsübergreifend. Natür-lich war es die Krise, die am Ende den Druck erhöht hat,aber es war auch die Erkenntnis, dass wir unbewusst be-reits Risiken in den Bilanzen von Banken tragen, die ih-ren Sitz in anderen Ländern unseres Währungsgebieteshaben. Das ist eine bittere Erfahrung auch der letztenMonate, und die Antwort darauf muss sein, dass manjetzt so schnell wie möglich eine europäische Banken-aufsicht auf den Weg bringt, weil es nicht verantwortbarist, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger Risiken tra-gen, aber keinen Einfluss auf die Behörden haben, diedie Banken kontrollieren und beaufsichtigen, bei denensich diese Risiken aufbauen. Deswegen: Danke schön andie Bundesregierung, dass sie zügig vorangeht, aber dasKind nicht mit dem Bade ausschüttet, sondern dies allesmit der notwendigen Sorgfalt und Präzision ausarbeitet.Nachdem die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebenedie Eckwerte verhandelt hatte, hat der Deutsche Bundes-tag schnell einen Entschließungsantrag angenommen undklargemacht: Für uns ist die Unabhängigkeit der EZB,aber auch die Trennung zwischen Geldpolitik und Auf-sichtspolitik wichtig. Jetzt haben wir eine sehr präzise,maßgenaue Regelung. Das Maximum dessen, was auf eu-ropäischer Ebene verhandelbar war, wurde ausgehandelt;das Maximum dessen wurde in der SSM-Verordnung nie-dergeschrieben. Wir können das voll und ganz unterstüt-zen.Herr Kollege Zöllmer, natürlich ist es wichtig, dasssich die Unabhängigkeit und die strikte Trennung zwi-schen geldpolitischer Verantwortung und Aufsichtsver-antwortung in der Praxis beweisen. Darauf werden wirein strenges Auge haben müssen. Aber Sie sehen schon,wie gut die SSM-Verordnung gelungen ist. Niemand, derbei der EZB geldpolitische Verantwortung trägt, darfdem Aufsichtsgremium angehören.
Haben Sie bitte auch ein Auge auf die Zeit.
Das ist der richtige Weg. Wir können auf das, was auf
den Weg gebracht worden ist, stolz sein. Wir vervoll-
ständigen Schritt für Schritt unser Werk einer guten Fi-
nanzmarktregulierung in Europa.
Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. – Nächster
Redner für die Fraktion Die Linke: unser Kollege
Dr. Axel Troost. Bitte schön, Kollege Dr. Axel Troost.
Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit der Verabschiedung des heute vorgelegtenGesetzentwurfs, dem nächsten Meilenstein – wir hörendas jetzt in jeder Debatte –,
soll der Bundestag der Bundesregierung die Erlaubnisgeben, im Europäischen Rat die Einrichtung einer euro-päischen Bankenaufsicht bei der EZB zu beschließen.Ich kann Ihnen diese Erlaubnis namens unserer Fraktionnicht erteilen.
Als Linke lehnen wir natürlich nicht die Idee ab, dassbei immer größer werdenden Banken eine Europäisie-rung der Aufsicht notwendig ist. Eine Europäisierung istaber kein Selbstzweck. Die übergeordnete Leitfragemuss vielmehr lauten: Wie wird die Bankenaufsicht ins-gesamt schärfer und handlungsfähiger und verhindertdamit Bankenkrisen besser als bisher? Eine verbesserteZusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinwegmuss hier natürlich ein wichtiger Aspekt sein. Sie mussaber mit dem politischen Bekenntnis verbunden sein, dieBanken nicht länger mit Samthandschuhen anzufassen.Genau dieses Bekenntnis vermissen wir aber.
Bei dieser Europäisierung droht insbesondere derVerlust der in Deutschland sehr erfolgreichen Allfinanz-aufsicht. Wir haben mit der BaFin bewusst eine Einrich-tung geschaffen, in der alle drei Säulen – Kreditinstitute,Versicherungswirtschaft und Börsen – in einzelnen Ab-teilungen beobachtet werden, aber auch die Vernetzungzwischen diesen Institutionen unter die Lupe genommenwird. Der Verwaltungsrat der BaFin ist gerade dabei,diese Vernetzung weiter zu verstärken. Mit dem, was Siehier jetzt vorschlagen, läuft es auf das Gegenteil hinaus:Gerade die besonders riskanten systemrelevanten Ban-ken werden sozusagen aus der deutschen Bankenaufsichtherausgenommen und der Aufsicht durch die EZB unter-stellt. Das ist aus unserer Sicht kontraproduktiv und wirddie Aufsicht eher verschlechtern statt verbessern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30541
Dr. Axel Troost
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Der zweite Grund für meine Befürchtung ist, dass dieRechtsgrundlage – das ist angesprochen worden – völligunklar ist. In allen Fraktionen im Finanzausschuss ist dieErkenntnis gewachsen, dass die juristische Konstruktioneiner einheitlichen europäischen Bankenaufsicht durchdie EZB über Art. 127 AEUV bestenfalls ein Behelf ist.Alle haben gesagt: Wenn wir eine schlagkräftige Auf-sicht haben wollen, müssen die EU-Verträge verändertwerden. Das gehen Sie aber nicht an.Ein dritter Grund für meine Skepsis ist, dass die Ban-kenaufsicht nicht besser sein kann als die Ausstattungund die Spielregeln, die sie zu überwachen hat. Die euro-päische Bankenaufsicht braucht Respekt. Die Großban-ken müssen wirklich Bammel haben, wenn wirklich eineVeränderung im Finanzsektor durchgesetzt werden soll.Auch heute, sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise,gibt es eine Menge Investmentbanker, die mit verächtli-cher Arroganz auf die Beamten der Finanzaufsicht her-unterschauen und sagen: Was will der oder die dennschon? Die verdienen im Jahr so viel, wie ich für einenSatz Reifen ausgebe. – Die jüngsten Schritte auf demWeg zur Finanzmarktregulierung – Ihre Meilensteinevon gestern, das beschlossene Paket zu Basel III – rei-chen bei weitem nicht aus, um einer europäischen Ban-kenaufsicht den nötigen Respekt zu verschaffen. Ohneeine entsprechende Regulierung wird es aber keine Ver-änderung geben.Damit komme ich zu dem zweiten Gesetzentwurf,dem Trennbankengesetz der Koalition. Dazu ist schoneine Menge vom Kollegen Zöllmer gesagt worden. Das,was eigentlich gemacht werden soll – das riskante Wert-papier- und Investmentgeschäft vom Rest des Bankge-schäftes zu isolieren –, nehmen Sie in einem viel zu ge-ringen Umfang in Angriff. Die Zocker-Banking-Teilebleiben in einer gemeinsamen Bankenholding.Das, was Sie ausgliedern wollen, ist in der Tat viel zugering. Denn Ihr Gesetz gilt nur für Banken, deren Ei-genhandel mehr als 20 Prozent ihrer Bilanzsumme odermehr als 100 Milliarden Euro ausmacht. Diese Regulie-rung ist viel zu gering. Eine Bank wie die pleitegegan-gene IKB wäre davon kaum betroffen gewesen.Auch die weiteren Definitionen laufen weitestgehendins Leere, weil die Verbindung zwischen den Bankteilenbestehen bleibt. Wenn dann eine Banksäule zusammen-bricht, wird das gemeinsame Dach auf Dauer nicht hal-ten, weil es auch auf die andere Banksäule einen Run ge-ben wird. Wir werden schon sehen, welche Problemesich daraus ergeben.Aus unserer Sicht müssen die Banken wesentlichkleiner, ihre Geschäfte müssen wesentlich einfacherwerden. Nur dann hat demokratische Politik überhaupteine Chance, den Bankensektor zu kontrollieren, Schief-lagen frühzeitig zu erkennen und die Gesellschaft vorSchaden zu bewahren.
Ich fasse zusammen: Ihr Trennbanken-Light-Gesetzist nicht nur theoretisch recht mutlos, sondern geht auchan den praktischen Problemen vorbei. Lassen Sie michdas sehr plastisch – das mache ich in meinen Vorträgensonst auch immer – am Beispiel der Deutschen Bankdeutlich machen, deren Zentrale in Frankfurt zwei großeTürme hat.
Im Prinzip gibt es drei verschiedene Modelle. Ihr Mo-dell lautet: Wir sortieren ein bisschen um, lassen aberletztlich alles zusammen, auch alle Verbindungen, unddann läuft alles so weiter. Das Modell von SPD und Grü-nen sieht vor: Wir führen eine wirkliche Trennung her-bei, der eine Turm bleibt eine Bank und der andere Turmwird als Spielbank umfirmiert; aber beide bleiben vollam Markt. Das Modell der Linken lautet: Wir sortierenum. Von den beiden Türmen schließen wir den einenTurm vollständig. Die Zockerei hört auf. Das gefährlicheGeschäft wird vom Markt genommen. Von einem Fi-nanz-TÜV wird nur noch das genehmigt, was für die Ge-sellschaft zur Finanzierung der Realwirtschaft sinnvollist. Alles andere muss unterbunden werden.Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Dr. Axel Troost. – NächsterRedner in unserer Aussprache für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen: unser Kollege Dr. Gerhard Schick.Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Warum ist es denn so wichtig, diese Trennung durchzu-führen, über die wir heute sprechen? Nun, es ist so: DieEinlagen der Kundinnen und Kunden sind ja über dieEinlagensicherung gesichert. Wenn das riskante Invest-mentbanking mit diesem Einlagengeschäft untrennbarverbunden ist, dann weitet sich der Schutz des Staates,der eigentlich nur für die Sparerinnen und Sparer geltensoll, auch noch auf die riskanten Aktivitäten aus. Das istder Grundgedanke, und der ist wichtig.Natürlich ist es im Interesse großer Banken, dass siediesen Schutz ausweiten können; denn dann können sieim Investmentbanking viel mehr Risiken eingehen, vielmehr Gewinne machen, weil ja im Zweifelsfall die staat-liche Sicherheit, die für die Einlagen gilt, auch für dieseAktivitäten gilt. Deswegen fordern wir seit langem, dasshier eine Trennung vorgenommen wird.
Allerdings ist der Grundgedanke, dass man diese Sub-ventionierung eines riskanten Bankgeschäfts abschaffensollte, im Finanzministerium lange nicht angekommen.Am 17. Oktober 2011 berichteten die Medien dann voneiner überraschenden Kehrtwende des Bundesfinanz-ministers auf Druck der Opposition beim Thema Trenn-bankensystem.
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30542 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Gerhard Schick
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Ich zitiere:Darüber sollte auf internationaler Ebene intensivdiskutiert werden.Also erst einmal international.Ein Jahr später, weil der Druck aus Opposition undÖffentlichkeit stärker geworden ist, macht sich dann imHerbst 2012 die Bundesregierung daran, ein nationalesGesetz schnell auf den Weg zu bringen, um im Wahl-kampf zu zeigen, man tue doch etwas – völlig getriebenund außerdem erst nach drei Jahren verlorener Zeit, beider Bankenregulierung wirklich etwas zu machen. Dasist die Antwort auf Ihre selbstgefällige Äußerung gesternzu angeblich vier tollen Jahren Bankenregulierung.
Sie haben entscheidende drei Jahre verloren.
Das könnte man ja noch in Kauf nehmen, wenn dannein anständiges Gesetz auf dem Tisch läge. Aber es istschon gesagt und in der Anhörung sehr deutlich gewor-den: Es kommt nicht zu einer wirklichen Trennung derAktivitäten. Sie fallen hinter das zurück, was auf euro-päischer Ebene im Liikanen-Report vorgeschlagen wor-den ist, und sind daher auf europäischer Ebene nichtVorreiter, sondern Bremser; denn Sie werden dazu bei-tragen, dass auch auf dieser Ebene kein handfestesTrennbankensystem durchkommt. Das sollten wir imBundestag nicht durchgehen lassen.
Warum ist das Gesetz schlecht? Zum einen wird dieTrennung nicht sinnvoll vollzogen. Man kann, so wie esdort vorgesehen ist, nicht das Market Making und dasEigenhandeln der Banken voneinander trennen, sondernman muss insgesamt zwischen dem einlagengesichertenGeschäft und dem marktnahen Investmentgeschäft tren-nen. Das tun Sie nicht. Die Schwellen sind wesentlich zuhoch.Es bestehen zum einen einige handwerkliche Fehler:so die Tatsache, dass die steuerlichen Regelungen nochnicht vorhanden sind und viele Experten sagen, da seinoch einiges, was man nachbessern müsse. Zum anderenmuss man feststellen: Mit diesem Gesetz sind vor allemzwei zufrieden, auf der einen Seite die Großbanken, weilsich nichts ändern wird, und auf der anderen Seite dieBundesregierung, weil sie so tun kann, als würde siehandeln, obwohl sie in Wirklichkeit nichts tut.
Genau deswegen müssen wir dieses Gesetz ablehnen. Esbringt nicht nur nichts; es ist auch schädlich, weil es aufeuropäischer Ebene falsche Impulse setzt.Zum zweiten Thema des heutigen Vormittags, zur eu-ropäischen Bankenaufsicht. Auch hier werfe ich einenBlick zurück: „Bankenaufsicht: Ohne uns!“ Dies ist einArtikel in der Zeit vom Juli 2010, wo sehr detailliertnachgewiesen wird, wie die Bundesregierung bei derGründung der drei europäischen Aufsichtsinstitute allesdarangesetzt hat, dass die europäische Bankenaufsichtkeinen wirklichen Durchgriff auf die nationalen Institutehat und ihrer Kontrollaufgabe nicht gerecht wird. Ichempfehle Ihnen den Artikel zur Lektüre, in dem nocheinmal genau dargelegt wird, wie die Beamten dieserBundesregierung auf Brüsseler Ebene alles getan haben,um eine effektive Bankenaufsicht auszubremsen.Jetzt, drei Jahre später, wird dieser Fehler endlich kor-rigiert. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Wennwir schon vor drei Jahren bei der Gründung der EBAeine wirklich knackige europäische Bankenaufsicht aufden Weg gebracht hätten, dann hätte man bereits bei denspanischen Cajas und den zypriotischen Banken von eu-ropäischer Ebene aus durchgreifen können, ebenso jetztbei den slowenischen Banken.
Daran sieht man: Das ist keine leichte Verzögerung, son-dern diese Verzögerung hat einen Milliardenschaden fürdie europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an-gerichtet.
Leider geht die Geschichte des Verzögerns und Aus-bremsens weiter. Nicht nur beim Trennbankensystem,nicht nur bei der Bankenaufsicht, sondern auch bei derAbwicklungsbehörde steht die Bundesregierung auf derBremse. Da gibt es ein paar fachliche Fragen, die zu klä-ren sind. Das muss man in aller Gründlichkeit tun – dazusind wir auch sehr gerne bereit –; der Punkt ist aber, dassSie diese Idee in den letzten Jahren stets abgelehnt habenund Sie den Prozess, das auf den Weg zu bringen, damitverhindert haben. Das Europäische Parlament und dieEuropäische Kommission haben schon 2009 und 2010ein europäisches Abwicklungsregime gefordert. DerBundesfinanzminister unterstützt diese Grundidee erstseit den letzten Tagen, gleichzeitig hat er aber so hoheHürden formuliert, dass klar ist, dass wir das nicht un-mittelbar umsetzen können.
Warum ist das so wichtig? Weil die Tatsache, dass wirkein europäisches Abwicklungsregime haben, dazu ge-führt hat, dass bei grenzüberschreitend tätigen Bankenimmer wieder der Steuerzahler einspringen musste, weilkeine Mechanismen vorhanden waren, um die Gläubigerheranzuziehen und die Banken abzuwickeln, zu schlie-ßen oder zu restrukturieren. Während in den USA seit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30543
Dr. Gerhard Schick
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Ausbruch dieser Krise über 400 Banken abgewickeltwurden, ohne dass Kosten für den Steuerzahler angefal-len sind, sind Banken gleicher Größe in Europa zulastender Steuerzahler gerettet worden. Das müssen wir end-lich korrigieren.Wir fordern Sie auf: Gehen Sie von der Bremse, undseien Sie auf europäischer Ebene endlich diejenigen, dieden Steuerzahler effektiv schützen. Das ist notwendig.Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. – Nächster
Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist der Kol-
lege Peter Aumer. Bitte schön, Kollege Peter Aumer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich bewundere die hellseherischen Fä-higkeiten des Herrn Dr. Schick. Ich glaube aber, verant-wortungsvolle Politik ist etwas anderes, als alle Dingeschlechtzureden, die wir in den letzten vier Jahren, diegerade in der Finanzpolitik gut für Deutschland waren,erarbeitet haben.
Die Opposition liefert heute beim Thema Finanzen eintrauriges Bild ab – und ich glaube, nicht nur in diesemBereich.Herr Dr. Troost, Sie sprachen von Meilensteinen. Ja,die heutigen Beschlüsse sind ein weiterer Meilenstein inder Finanzpolitik. Wir sind in Europa Vorreiter in derFinanzpolitik. Wir bringen Dinge auf den Weg, die inEuropa nach und nach zum Vorbild genommen werden
und manchmal noch strikter in Angriff genommen wer-den. Die deutsche Politik ist verantwortungsvoll; dies istdie Politik der christlich-liberalen Koalition.
Wir wollen funktionierende und stabile Finanzmärkte.Es ist Aufgabe der Gesetzgebung, sicherzustellen, dassdie Finanzmärkte ihre zentrale Funktion, der Realwirt-schaft zu dienen, wahrnehmen. Dieses Ziel haben wir inden vier Jahren, in denen wir die Regierung stellen, ver-folgt. Sie haben sehr wenig dazu beigetragen, dass wirdieses Ziel erreichen.
Unser Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor kur-zem in einer seiner Reden gesagt, dass funktionierendeFinanzmärkte Teil der öffentlichen Daseinsvorsorgesind. Wir, die Partei der sozialen Marktwirtschaft, hel-fen, diese Daseinsvorsorge zu sichern.
– Lieber Herr Dr. Troost, als wenn das immer so einfachwäre. Der Begriff „Zockerbuden“ trifft, glaube ich, aufSparkassen und Raiffeisenbanken nicht zu.
Man kann nicht alle in einen Topf schmeißen, wie Siedas tun.
Man muss bei diesem Thema differenzieren. Wir ma-chen das. Man kann nicht alles in einen Topf werfen, wiedie Opposition das macht.Wir sind Vorreiter – der Herr Staatssekretär hat dasvorhin schon gesagt –: Bei den ungedeckten Leerverkäu-fen, beim Restrukturierungsgesetz, beim Hochfrequenz-handel und vielen anderen Dingen haben wir Maßstäbein Europa gesetzt.
Das machen wir auch bei der Bankenaufsicht. Sehrgeehrter Herr Kollege Zöllmer, wir legen Wert darauf– Herr Wissing hat das vorhin schon angesprochen –,dass es eine klare Trennung zwischen Geldpolitik undAufsicht der EZB gibt.
Was Sie erzählen, ist einfach nicht wahr. Herr Zöllmer,das ist das, was wir als christlich-liberale Koalition inEuropa verhandelt haben. Verdrehen Sie die Wahrheitendoch nicht. Ich denke, das ist der SPD nicht würdig.
Wir wollen, dass die nationale Aufsicht gestärkt wirdund dass die Arbeit der EZB mit der der nationalen Auf-sicht verknüpft wird; sie sollen einheitliche, gemeinsameAufsichtsmechanismen bekommen. Das ist verantwor-tungsvolle Politik. Die großen Banken unterstehen derAufsicht der EZB und die anderen der nationalen Auf-sicht, wobei einheitliche Standards gelten. Das ist, denkeich, ein gutes Vorgehen.Zum Trennbankengesetz. Herr Zöllmer, Sie haben ge-sagt, dass das Trennbankengesetz nicht trennt.
Wir bringen diesen Gesetzentwurf zeit- und inhalts-gleich mit den französischen Kollegen ein. Das istzwischen Deutschland und Frankreich abgestimmt. Siesollten einmal mit Ihren sozialistischen Kollegen reden,wenn Sie der Meinung sind, dass keine Trennung er-folgt. Wir versuchen gemeinsam, etwas auf den Weg zubringen, was es so bisher in Europa nicht gibt.
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Peter Aumer
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Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen und nichtmit Ihren Parolen durch die Gegend laufen und Dingeverkünden, die nicht der Wahrheit entsprechen.
Wir wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren undauch meine sehr geehrte Kollegin der Linken – wennman im Finanzbereich nicht so fit ist, sollte man nichtdazwischen schreien –, verbesserte Abschirmungen vonRisiken aus spekulativen Geschäften vom Kundenge-schäft. Das ist unsere Aufgabe. Das bringen wir mit demTrennbankengesetz auf den Weg.
– Hätten Sie den Gesetzentwurf gelesen, lieber HerrKollege Binding, dann wüssten Sie, wie es funktioniert.
Wir bringen dies verantwortungsvoll für unser Landauf den Weg. Verantwortungsvolle Finanzmarktregulie-rung ist etwas, das Sie noch lernen müssen.Vorhin wurde angesprochen – ich glaube, von HerrnZöllmer –, dass der Minister nicht da ist.
Er hat sicherlich in diesem Kabinett die Aufgabe, we-sentliche Entscheidungen zu treffen. Ich frage mich, woIhr Kanzlerkandidat ist,
der sich die Finanzmärkte als großes Thema auf die Ta-gesordnung geschrieben hat. Er ist bei dieser wesentli-chen Debatte nicht da.
– Bei einer so entscheidenden Debatte zum Finanzmarkthat er Angst vor uns?
Das könnte durchaus sein. – Wir bringen etwas auf denWeg, das er nur in seinen Programmen beschreibt, abernicht in konkrete Politik für Deutschland umsetzen kann.Ich hoffe, dass die Regierung, die wir heute haben,die christlich-liberale Koalition, in die Zukunft geht.Denn wir machen nicht Wahlkampf,
wie Sie es in der letzten halben Stunde getan haben. Wirmachen verantwortungsvolle Politik für die Finanz-märkte.
Wir geben den Finanzmärkten in Deutschland den Regu-lierungsrahmen, den sie brauchen. Wir kämpfen auchdafür, dass das in Europa umgesetzt wird.
– Sehr geehrter Herr Poß, das ist verantwortungsvollePolitik. Das müssen Sie noch lernen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Peter Aumer. – Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege
Dr. Sieling.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kolle-gen der Koalition aus CDU/CSU und FDP können hierso oft, wie sie wollen, mit einem freundlichen Augenauf-schlag die Märchengeschichte erzählen, was sie alles er-bracht und geschafft hätten.
Die Wahrheit ist: Sie haben in dieser Legislaturperiodeverzögert und gezaudert. Das hat dazu geführt, dass wirhier im Bundestag erst jetzt zu diesen Fragen kommen.
Sie sind dafür verantwortlich, dass wichtige Maßnahmender Finanzmarktregulierung nicht stattgefunden haben.Das zeigt das Scheitern Ihrer Politik.
Ich will das einmal im Zusammenhang darstellen.Uns wird jetzt hier vorgeworfen – das sagt doch alles –,dass wir beklagen, dass der verantwortliche Bundes-finanzminister nicht anwesend ist.
Dass der Bundesfinanzminister zu dieser Zeit andereTermine hat, wird jetzt als Argument vorgetragen.
An diesem Punkt wird es richtig lächerlich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30545
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Trotzdem würde ich sagen: Der Kollege Dr. Carsten
Sieling hat das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Es sollte nicht so sein, dass der Redner stört. – Bitte
schön, Herr Dr. Sieling. Sprechen Sie weiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Diese Aufregungzeigt, dass die Betreffenden genau wissen, dass sie dane-benliegen. Es war Peer Steinbrück, der zu den Themen,über die wir heute diskutieren, im Herbst 2012 ein Pa-pier vorgelegt hat, über das wir hier gemeinsam disku-tiert haben. Das hat Sie erst geweckt.
Das war der Weckruf für Sie. Erst seitdem werden Sieaktiv. Reden Sie hier nicht so ein Zeug.
Es geht darum, dass wir in diesem Land etwas verändernwollen und dies auch angehen.
Ich will noch etwas anderes sagen. Man kann IhrePolitik in dieser Legislaturperiode in drei Phasen eintei-len. Von 2009 bis 2010 haben Sie leider zu denen gehört,die auf der europäischen Ebene blockiert haben; wir ha-ben im Finanzausschuss ganz oft erlebt, dass Sie ge-meinsam mit den Briten dafür gesorgt haben, dass nichtspassiert. Dann sind Sie aufgewacht und haben gemerkt,dass man etwas verändern muss; dazu kam es im Zusam-menhang mit der europäischen Krise und den ersten Ret-tungsmaßnahmen für Griechenland und andere Länder.Im letzten Jahr haben Sie gemerkt, dass Sie noch nichtsrichtig hinbekommen haben. Es folgten Wenden undHalsen.Kollege Schick hat das schöne Datum genannt, andem der Bundesfinanzminister plötzlich vom Sauluszum Paulus wurde, weil er gemerkt hat, dass man beimThema Trennbanken nicht mehr blockieren und Nein sa-gen kann. Nachdem das alles vorher die Hölle war, sagteman plötzlich, jetzt sei das der richtige Weg. Das ist auchgut und eine vernünftige Einsicht; das will ich deutlichsagen. Trotzdem sind die Vorschläge, die Sie uns hiervorlegen, völlig harmlos; sie werden nichts ändern. MitIhren Vorschlägen zum Trennbankensystem wird nur1 Prozent des Geschäftsvolumens der Banken erfasst.Das ist eine Trennung light.
– Das ist bei jeder Bank anders, richtig. Aber im Hin-blick auf die Banken, für die wir wirklich eine Lösungfinden müssen, ist das die geballte Harmlosigkeit. Diedeutschen Großbanken, die Privatbanken lassen Sie inRuhe. Da machen Sie es anders. Denn da wollen Sie ver-zögern. Diese Banken wollen Sie verschonen. Nichts an-deres haben Sie im Sinn.
Unser Vorschlag, auch der Vorschlag von PeerSteinbrück,
ist nahezu identisch mit dem, was die Kommission unterVorsitz von Herrn Liikanen vorgeschlagen hat. Das istder entscheidende Punkt: Wir sagen, dass von dieser Re-gelung alle Aktivitäten erfasst werden müssen, auch sol-che, die im Kundenauftrag stattfinden, wenn sie zuEigenhandel werden. Das schlägt auch Liikanen vor. Inden hier schon zitierten Kommentaren ist zu Recht ge-sagt worden, dass Ihre Trennungsvorschläge sozusageneine moralische Entscheidung der Banken verlangen.Würden wir unsere Vorschläge umsetzen, würden wirwirklich in ihr Geschäftsgebaren eingreifen.Sehr gut gefallen hat mir das Bild des Kollegen AxelTroost, der von den zwei Türmen der Deutschen Bankgesprochen hat. Das ist nämlich genau der Punkt, derIhre Politik und den Vorschlag von SPD und Grünencharakterisiert. Wir wollen die problematischen Ge-schäfte in einem der Türme bündeln. In der Denkweiseder Linkspartei hingegen gibt es einen Fehler:
Sie glauben, man müsse die Spielbank schließen. Das istaber ein Fehlgedanke. Unser Vorschlag würde dazu füh-ren, dass sich die Geschäfte, um die es dort geht, garnicht mehr lohnen und dass sie keinen Sinn mehr ma-chen würden.Ich will Ihnen sagen: Natürlich muss man gewisseGeschäfte verbieten. Wir waren immer dafür, eine ent-sprechende Regelung zu Rohstoffspekulationen undÄhnlichem zu treffen. Wir sind aber vor allem dafür,diese Dinge zu verteuern. Deshalb sind wir auch drin-gend für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer.Nach unseren Trennungsvorschlägen werden die Haf-tungsvorschriften für Geschäfte, die in dem einen Turmabgewickelt werden, so stark ausgeweitet und das Risikowird so groß, dass daraus eine Verteuerung resultiert, so-dass der Spielbankturm abgetragen werden muss, weilgar nicht mehr so viele hineingehen. Diejenigen, die dorttrotzdem aktiv sind, werden, falls es zu krisenhaften Ent-wicklungen kommt, selbst die Verantwortung dafür tra-gen müssen. Der Steuerzahler, die Einlagen der Sparkas-sen und Banken und die kleinen und größeren Einlegerwerden dafür nicht mehr in Anspruch genommen. Die-sen marktgesteuerten Mechanismus streben wir an. Ichhalte diesen Weg für richtiger, als schlicht und einfachzu sagen: Wir mauern die Tür dieses Turmes zu. – Dasist nicht nötig. SPD und Grüne machen einen Vorschlag,der funktionieren wird, meine Damen und Herren.
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30546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Carsten Sieling
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Zum Schluss möchte ich gerne die Vorschläge auf dereuropäischen Ebene und die Debatte, die der Bundes-finanzminister ausgelöst hat, ansprechen. Ich will nurganz kurz die Frage nach der Motivation aufgreifen. DieBundeskanzlerin hat erklärt, dass man Banken, wenn dieBankenunion steht, auch über den ESM rekapitalisierenkann und soll. Jetzt ist man auf diesem Weg und kann re-lativ schnell zu einem Ergebnis kommen. Mein Eindruckist: Dieser Zweistufenvorschlag ist nichts anderes alsTaktik. Da in Deutschland bald ein Entscheidungsterminansteht, ist dieser Vorschlag von der Absicht getrieben,die jetzt notwendige Entscheidung über diesen Terminhinaus zu verzögern, meine Damen und Herren.
Das ist sachlich nicht geboten. Es geht nämlich da-rum, dass wir jetzt ein Abwicklungsregime schaffen, dasden Steuerzahler nicht belastet und so ausgestaltet ist,dass der Finanzsektor selber in die Verantwortung ge-nommen wird. Die Umsetzung des Vorschlags vonHerrn Schäuble wird dazu führen, dass der Steuerzahlerweiterhin zuständig ist. Er macht ihn nur, damit man vorder Bundestagswahl keine Entscheidungen mehr treffenmuss, die einem nicht gefallen. Das halte ich für eine un-redliche Politik. Auch deshalb brauchen wir am 22. Sep-tember einen Wechsel.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. – Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn
Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Geschätzter Kollege Sieling, Sie haben eben erneutgesagt – das kommt ja in jeder Ihrer Reden vor –,
es gehe alles viel zu langsam; man zögere und zauderezu viel. Wenn ich jetzt etwas mehr Redezeit hätte, würdeich Ihnen die entsprechenden 32 Gesetzesvorhaben nocheinmal herunterleiern.
Aber ich bin ziemlich sicher: Das wird mein NachrednerIhnen noch einmal erklären. Er wird es so lange machen,bis Sie es verstanden haben. Insofern wird das meinesErachtens noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen.
Uns liegt heute ein Gesetz vor, das im Gegensatz zudem gestern beratenen vollkommen ohne Abkürzungenauskommt. Man hätte es auch nennen können: Gesetzzur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft. Die Grund-prinzipien unseres überlegenen Wirtschaftssystems brin-gen wir in den Finanzsektor zurück, in Ergänzung zumBankenrestrukturierungsgesetz, das wir im Übrigen be-reits 2010 hier auf die Schiene gesetzt haben.Meines Erachtens ist der wichtigste Teil in diesemGesetz der Bereich Abwicklung und Sanierung. Dasheißt: Banken müssen sich für den Ernstfall rüsten, wennsie in ein schwieriges Fahrwasser geraten und mögli-cherweise eine Insolvenz bevorsteht. Sie müssen einen,wie man so schön sagt, Living Will ausarbeiten. Siemüssen sich überlegen, welche Teile der Bank in wel-chem Bereich liegen und wie man sie im Ernstfall darausherauslösen kann. Darauf kommt es doch an: Wenn eineBank in Schwierigkeiten gerät, dann muss man sie abwi-ckeln können, ohne dass es zu Schäden für die Volks-wirtschaft kommt. Genau das würde die Verabschiedungdieses Gesetzentwurfs in Kombination mit dem Banken-restrukturierungsgesetz leisten.
Wir verabschieden ihn, um für den gesamten Finanz-sektor etwas zu tun. Davon ist keine Bank ausgenom-men; schließlich kann es jede Bank an irgendeiner Stelletreffen. Wir haben wieder mit Augenmaß gehandelt unddaher im Gesetzentwurf ein Proportionalitätsprinzip ver-ankert.Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammen-hang sind die Strafbarkeitsvorschriften. Natürlich gibt esin der Bevölkerung keine große Akzeptanz hinsichtlichdessen, was in der Krise passiert ist: Unternehmensfüh-rer haben großen volkswirtschaftlichen Schaden ange-richtet; allerdings hat eine aus Sicht der Bevölkerungverständlicherweise notwendige strafrechtliche Verfol-gung bislang noch nicht im erforderlichen Umfang statt-gefunden.Die Tatsache, dass jemand unternehmerisch falsch ge-handelt hat und in die Insolvenz geht, ist allein noch keinStrafgrund. Entscheidend ist doch: Hat er entsprechendeRegeln missachtet, hat er sich also rechtlich falsch ver-halten oder nicht? Insofern haben wir auch hier einerechtlich gute Lösung gefunden: Wenn eine Bank in dieInsolvenz geht und eine Anordnung der BaFin missach-tet hat, dann muss man damit rechnen, strafrechtlich ver-folgt zu werden. Das ist der richtige Weg. Denn nur dannist auch das Scheitern einer Bank möglich. Zumindestwir wollen schon, dass eine Bank von Persönlichkeitenmit unternehmerischen Fähigkeiten, von Bankiers gelei-tet wird, die natürlich auch scheitern können müssen,und nicht von Regulierungsjuristen, die jede einzelneEntscheidung am Gesetz ausrichten.
Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird derBaFin mehr Verantwortung geben, aber auch die Quali-tät des Aufsichtsdialogs verbessern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30547
Björn Sänger
(C)
(B)
Insofern trifft es die Charakterisierung als Gesetz zurStärkung der sozialen Marktwirtschaft ganz gut. Das istein weiterer Baustein in dem großen Konzert. Es warenvier gute Jahre für Deutschland.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Der letzte Red-
ner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. Bitte schön, Kol-
lege Ralph Brinkhaus.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Kolleginnenund Kollegen! Es war wieder einmal etwas pflichtschul-dig, was die Opposition hier geboten hat: Wir sitzen hier,wir müssen etwas kritisieren. – Es kam das übliche Ver-sprechen: höher, schneller, weiter. Wir haben es eher ge-wusst, wir hätten schneller gehandelt, wir hätten weiter-gehende Entscheidungen getroffen. – Aber im Prinzipsind Sie doch eigentlich einverstanden mit dem, was wirmachen. Das muss man an dieser Stelle einmal feststel-len.
Kommen wir zu den zwei Gesetzen, die wir heute– das erste schließen wir heute noch nicht ab – beraten.Es geht um die gemeinsame europäische Bankenauf-sicht. Herr Staatssekretär Koschyk hat das gerade aus-führlich vorgestellt. Wir als Union – ich glaube, ich spre-che auch für die Liberalen – finden es richtig, dassbedeutende Banken europäisch beaufsichtigt werden.
Entscheidend ist, dass es sich um bedeutende Bankenhandelt. Dafür hat sich diese Bundesregierung einge-setzt. Es soll nicht sein, dass bei der Sparkasse Versmoldoder der Volksbank in Kaunitz auf einmal ein europäi-scher Aufseher auftaucht. Wir wollen diese Trennung.Wir sind aber der Meinung, dass bedeutende Banken eu-ropäisch beaufsichtigt werden müssen. Die Bundesregie-rung hat einen guten Verhandlungserfolg in diesem Pro-zess erzielt.
Wir werden im weiteren parlamentarischen Verfahren– wir haben am 3. Juni eine Anhörung; wir werden unsim Ausschuss und auch im Plenum damit noch einmalbeschäftigen – auf drei Dinge ganz besonders achten.Erstens. Wie bekommt es die Europäische Zentral-bank hin – das hat Kollege Zöllmer schon angesprochen –,gleichzeitig Notenbank und Aufseher zu sein? Das isteine spannende Frage. Wir müssen genau hinschauen,wie das gelingen kann.Zweitens. Ganz wichtig ist, wie es eigentlich mit derdemokratischen Kontrolle der Europäischen Zentralbankaussieht. Bekommen unsere Kollegen im EuropäischenParlament, so wie es angedacht worden ist, das hin? Washaben die nationalen Parlamente in diesem Prozess ei-gentlich noch für eine Funktion? Ich denke, damit müs-sen wir uns sehr intensiv beschäftigen.Drittens. Die Europäische Zentralbank hat sich vielvorgenommen. Sie will innerhalb eines Jahres Struktu-ren errichten, mittels derer solche Tanker wie die Deut-sche Bank, die Bank Santander und ähnliche Bankenüberwacht werden können. Auch da werden wir genauhinschauen, ob das gelingen kann oder ob von der Ver-längerungsoption Gebrauch gemacht werden muss.Eine weitere Frage, die sich nicht unmittelbar auf die-sen Gesetzentwurf bezieht, die aber auch ganz wichtig ist,betrifft den anschließenden europäischen Restrukturie-rungsmechanismus. Dabei geht es knallhart auch umGeld. Es geht darum, wer wie viel einzahlt. Lieber Kol-lege Zöllmer, es wird nicht reichen, wenn nur die Bankeneinzahlen. Am Ende des Tages wird immer der Steuerzah-ler bluten. Wir müssen sicherstellen, dass der deutscheSteuerzahler nicht für eine verfehlte Politik – zum Bei-spiel Frankreichs – blutet, die dafür sorgt, dass in solchenLändern Banken unter Umständen gegen die Wand lau-fen. Das ist eine ganz wichtige Frage.
Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhangaufgeworfen wird, ist folgende: Es gibt Menschen inBrüssel, die der Idee verhaftet sind, wir brauchten eingemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem.
Diese Leute schielen mit sehr gierigen Augen auf diedeutschen Einlagensicherungstöpfe. Da sollten wir sehrvorsichtig sein. Ich halte es für eine Zumutung – es wirdauch schwierig sein, das den Menschen hier in Deutsch-land zu erklären –, dass die Einlagensicherung der Spar-kassen, Volksbanken und Privatbanken dafür benutztwerden soll, gegebenenfalls Banken in Griechenlandund Spanien zu sanieren. Wir sollten darauf achten, dassdas nicht passiert.
Der zweite Gesetzentwurf beschäftigt sich nicht nurmit Trennbanken, sondern auch – das ist ganz wichtig –mit Sanierungs- und Abwicklungsplänen und mit straf-rechtlichen Vorschriften für Banker. Darauf hat HerrKollege Sänger gerade hingewiesen. An diesem Gesetzzeigt sich, wie Finanzmarktpolitik hier in den letztenJahren abgelaufen ist.Während wir uns damit beschäftigt haben, wie es zu er-reichen ist, dass Banken weniger Fehler machen – durchbessere Verbriefungsvorschriften, durch bessere Vergü-tungsvorschriften, durch einen besseren Umgang mit Ra-
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tingagenturen und viele andere Dinge –, während wir unsdamit beschäftigt haben, wie es zu erreichen ist, dass dieFehlertragfähigkeit von Banken größer wird – beispiels-weise durch Eigenkapital- und Liquiditätsregeln, dadurchdass wir bestimmte Geschäfte wie Leerverkäufe aus demRennen genommen und sichere Derivatemärkte herge-stellt haben –, während wir uns damit beschäftigt haben,die Aufsichtsstrukturen zu verbessern – dadurch dass dieAufsicht überhaupt bessere Informationen erhält, durcheine bessere deutsche Aufsicht und eine bessere europäi-sche Aufsicht –, während wir uns damit beschäftigt ha-ben, hier in Deutschland den Restrukturierungsmechanis-mus aufzubauen, der auf europäischer Ebene seit dreiJahren nicht gelingt,
und während wir den finanziellen Verbraucherschutzhier gestärkt haben, hat sich die Opposition intellektuellgenau mit zwei Ideen beschäftigt: In der ersten Hälfteder Legislaturperiode war das die Finanztransaktion-steuer, und in der zweiten Hälfte der Legislaturperiodewaren es die Trennbanken.Das war mit einem Heilsversprechen verbunden,nämlich dem Versprechen, dass dann, wenn wir die Fi-nanztransaktionsteuer oder Trennbanken haben, alles gutwird, nichts mehr passieren kann und die Finanzmärktesicher sind.
Dann, meine Damen und Herren, kommt die Müheder Ebene. Es reicht nicht, eine Idee zu haben, sondernman muss die Idee auch umsetzen. Genau das hat dieBundesregierung gemacht:
Sie hat ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht. Dastellen sich dann – oh Wunder! – Fragen, die Sie nie be-antwortet haben, so zum Beispiel die Frage: WelcheBanken beziehen wir denn überhaupt in dieses Trenn-bankensystem ein? Ihnen, lieber Axel Troost, wäre eswahrscheinlich am liebsten, wenn wir folgendes Gesetzmachen würden: § 1: Die Deutsche Bank wird zerschla-gen; § 2: In Zweifelsfällen gilt § 1.
Das reicht aber nicht, meine Damen und Herren. Manmuss sich auch damit beschäftigen, wie man ein solchesTrennbankensystem organisiert.Im Wahlprogramm der SPD – das die SPD etwas am-bitioniert „Das Regierungsprogramm 2013–2017“ nennt,
steht: „Wir wollen … eine klare Trennung von Invest-ment- und Geschäftsbanken.“ Dazu muss ich Ihnen lei-der sagen: Investmentbanking findet sogar in Sparkassenstatt.
Sie müssen einmal erklären, was es bedeutet, das kom-plett zu trennen! Erklären Sie einmal einem Mittelständ-ler, der bei seiner Bank einen Firmenkundenkredit bean-tragt, dass er dann bei derselben Bank leider keineUnternehmensanleihe auflegen kann, dass er dann beiderselben Bank leider keine Sicherungsgeschäfte ma-chen kann, dass er dann bei derselben Bank seinenächste Unternehmensfusion nicht organisieren kann!Das ist die Wahrheit.
Genau deswegen haben wir Schwellenwerte eingeführtund eine vernünftige Abgrenzung vorgenommen.
Die zweite Frage, die Sie auch nie beantwortet haben:Was sind denn jetzt überhaupt diese schädlichen Ge-schäfte, wie grenzt man die ab? Sie wollen irgendwie al-les da mit hineinbringen: Market Making, alles, was mitEigenhandel zusammenhängt. Doch auch da liegt derTeufel im Detail, auch da muss man Regelungen treffen– die wir an dieser Stelle getroffen haben.
Herr Kollege Ralph Brinkhaus, Sie haben gesehen,
der Kollege Dr. Sieling möchte Ihnen eine Zwischen-
frage stellen?
Der Kollege Dr. Sieling will gleich mit mir noch zueiner Podiumsdiskussion. Deswegen machen wir mallieber weiter!
– Nein.Der dritte Punkt: Wenn man Banken aufspaltet, mussman sich auch überlegen, wie man das organisiert. Dashat Folgen gesellschaftsrechtlicher Art: Der Gläubigermuss jetzt mit einem anderen Institut Geschäfte machen.Das hat auch steuerrechtlich unglaublich komplizierteFolgen: Es betrifft zum Beispiel Ertragsteuern, Grunder-werbsteuern, Umwandlungssteuerrecht. Diese Fragenmüssen beantwortet werden.Ich sage Ihnen eines: Über all die Kritikpunkte, die Siehier momentan monieren, werden wir im europäischenProzess sehr intensiv diskutieren müssen. Das, was HerrnLiikanens Expertengruppe aufgeschrieben hat, warenIdeen, aber keine Umsetzung. Wenn Sie sich hier hinstel-len und behaupten, wir würden Liikanens Maßnahmennicht umsetzen, dann vergessen Sie, zu erwähnen, dassdie vorgeschlagenen Maßnahmen im Detail überhaupt
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Ralph Brinkhaus
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nicht ausgearbeitet sind. Das, meine Damen und Herren,ist Irreführung der Menschen in diesem Land.
Ich möchte die ganze Sache zusammenfassen: DieBankenunion mit einer Bankenaufsicht ist der richtigeWeg. Trennbanken, Sanierungs- und Abwicklungspläne,strafrechtliche Vorschriften, das ist auch alles richtig. Ichkann mich dem Kollegen Sänger nur anschließen: Dieletzten vier Jahre waren vier gute Jahre für die Finanz-marktregulierung in Deutschland, und wir werden weiter-machen.
Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. – Kollege
Brinkhaus war auch der letzte Redner in unserer Aus-
sprache, die ich nun damit schließe.
Wir sind bei Tagesordnungspunkt 53 a. Interfraktio-
nell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
che 17/13470 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir dies
gemeinsam so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 53 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Abschirmung von Risiken und zur
Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinsti-
tuten und Finanzgruppen. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksachen 17/13523 und 17/13539, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/12601
und 17/13035 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthal-
tungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen?
– Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Nun auch
wieder die Frage nach Enthaltungen. – Hier erhebt sich
niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.
Zusatzpunkt 9. Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck-
sachen 17/13523 und 17/13539 fort. Unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss
die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12687 mit
dem Titel „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-
märkte: Erpressungspotenzial verringern – Geschäfts-
und Investmentbanking trennen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen und die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Das sind
die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 54, den
ich damit auch aufrufe:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Hubertus
Heil , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahr-
hundert
– Drucksache 17/13476 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer gemeinsamen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Alle
sind damit einverstanden. Dann haben wir dies auch ge-
meinsam so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Sind alle bereit? – Die anschließenden Redner noch
nicht, wie ich gerade sehe. – Erste Rednerin in unserer
Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Frau Kerstin Tack. Bitte schön, Frau
Kollegin Tack.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeits-welt verändert sich – in den letzten Jahren ganz beson-ders schnell. Der demografische Wandel, die zuneh-mende Digitalisierung, die Arbeitsverdichtung und auchdie Finanz- und Wirtschaftskrise führen nicht zuletztdazu, dass wir auf der einen Seite eine Fachkräftelückehaben, auf der anderen Seite aber leider auch eine zuneh-mende Prekarisierung im Arbeitsleben. Ein tief gespalte-ner Arbeitsmarkt ist heute Wirklichkeit – nicht zuletztauch mit der Folge neuer Herausforderungen insbeson-dere für die Gesundheit am Arbeitsplatz.Bei diesen Entwicklungen dürfen die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer nicht auf der Strecke blei-ben. Die betriebliche Mitbestimmung ist ein besonderswichtiges Instrument zum Schutz der Beschäftigten, aberauch zur Mitgestaltung von Rahmenbedingungen und zurKontrolle. Momentan hinken die Mitbestimmungsrechteinhaltlich der aktuellen Situation und Entwicklung deut-lich hinterher. Fakt ist: Die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer müssen vor Machtmissbrauch durch Unter-nehmen geschützt werden. Um das sicherzustellen,brauchen wir eine funktionierende Mitbestimmung inden Unternehmen, und Änderungen des Arbeitsmarktesmüssen vom Mitbestimmungsrecht begleitet werden.Physisch und psychisch sind mit den neuen Bedin-gungen am Arbeitsmarkt Herausforderungen verbunden,die auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu-
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Kerstin Tack
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kommen. Der Arbeitsplatz muss so gestaltet sein – imZweifel so gestaltet werden –, dass er physischen undpsychischen Belastungen vorbeugt. Dabei müssen wirdie Menschen einzeln in den Blick nehmen.Heute nehmen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer die Last ihrer Arbeit mit nach Hause und mit indie Freizeit. Das müssen wir dringend ändern.
Auch das spezifische Leistungsvermögen älterer Be-schäftigter muss berücksichtigt werden. Ein 60-jährigerArbeitnehmer hat häufig ein anderes Leistungsvermögenals ein 25-jähriger. So etwas muss auch bei der Bereit-stellung des Arbeitsumfeldes stärker Berücksichtigungfinden.Betriebsräte brauchen daher auch in diesem Bereichein echtes Mitbestimmungsrecht. Gerade wenn es umpräventive Maßnahmen geht, wenn es darum geht, ge-sundheitlichen Risiken vorzubeugen, ist die Beteiligungunverzichtbar. Dazu müssen die Betriebe auch finanziellstärker mit in die Verantwortung genommen werden.Gesundheitlichen Verschleiß können und wollen wir unsam Arbeitsmarkt nicht leisten. Natürlich spielt auch derKostenfaktor eine Rolle. Aber entsprechende Maßnahmenbringen den Unternehmen im Ganzen einen Mehrwert,nämlich gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerund damit Stabilität für das Gesamtunternehmen.
Dasselbe gilt auch für den Bereich der betrieblichenWeiterbildung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernwird heute einiges abverlangt. Wir erwarten, dass siesich auch im fortgeschrittenen Berufsalter kontinuierlichfortbilden. Ein Informatiker, der seine Ausbildung vor30 Jahren abgeschlossen hat, steht heute vor ganz ande-ren Problemen als damals. Wir wollen Kontinuität in derFortbildung und in der Weiterbildung. Auch hierfür be-nötigen wir starke Betriebsräte mit echten Mitbestim-mungsrechten.
Außerdem halten wir es für geboten, dass ein Be-triebsrat auch Mitspracherechte zum Umfang und zurQualität von Angeboten der Fort- und Weiterbildung er-langen kann. Wir möchten dafür und auch für Freistel-lungs- und Rückkehrrechte ein Initiativrecht für den Be-triebsrat.
Auf Beschäftigtenseite sind heute neben betriebszu-gehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auchzunehmend Leiharbeiter oder Mitarbeiter mit Werkver-trägen zu finden. Natürlich wollen wir ihren Anteil aufdas Allernötigste begrenzen. Diese Herausforderung se-hen wir, denke ich, alle miteinander. Ein echtes Mitbe-stimmungsrecht brauchen die Betriebsräte aber geradeauch hinsichtlich der Anzahl, der Dauer der Überlassungund des Einsatzbereichs von Leiharbeiterinnen undLeiharbeitern. Die bestehenden Unterrichtungs- und In-formationspflichten des Arbeitgebers über die Personal-planung müssen deshalb auch im Hinblick auf Fremd-personal gelten. Der Betriebsrat muss schließlich überdie Beschäftigten insgesamt im Bilde sein, um seine Ar-beit allumfassend, ziel- und passgenau leisten zu kön-nen.
Das Betriebsverfassungsgesetz wurde vor zwölf Jah-ren zuletzt novelliert. Damals wurde es auf einen gutenStand gebracht. Damals hat Rot-Grün Vertrauen in mehrMitbestimmung gesetzt. Heute wissen wir: Das war rich-tig. Nun ist Zeit für den nächsten Schritt hin zu mehrMitbestimmung. Dafür steht die SPD. Übrigens, erin-nern wir uns: In der Krise waren die Betriebsräte solideund unverzichtbare Partnerinnen und Partner.So wichtig wie ein Arbeitsplatz ist, der gesundheitli-chem Verschleiß vorbeugt, so wichtig Fort- und Weiter-bildungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmersind, so wichtig Mitbestimmungs- und Gestaltungsmög-lichkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen sind, ge-nauso wichtig ist auch die Überarbeitung des Betriebs-verfassungsgesetzes. Darum bitten wir heute um IhreZustimmung. Lassen Sie uns gemeinsam an der Weiter-entwicklung arbeiten. Die Beschäftigten werden es unsdanken.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. – Nächster
Redner für die Fraktion von CDU und CSU Kollege
Peter Weiß.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ein Antrag wie der hier vorliegende mit dem Titel „Mo-derne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert“ – manfragt sich, warum nicht gleich geschrieben wird „für dasdritte Jahrtausend“ – weckt hohe Erwartungen. Bei den-jenigen, die die Mitbestimmungsdebatte in Deutschlandvielleicht schon über Jahrzehnte verfolgt haben, wecktdas natürlich Erinnerungen an die Vorgeschichte desMitbestimmungsgesetzes 1976.Eine entscheidende Rolle spielte damals Kurt Bieden-kopf; denn dieser hatte als fortschrittlicher und kreativerÖkonom erkannt, dass Mitbestimmung nicht allein dieRechte der Beschäftigten sichert, sondern auch den Be-trieben insgesamt gut bekommt.
Der Diskussionsprozess, der sich von 1968 bis 1976– das war ein langer Zeitraum – erstreckte, war sicher-lich der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas an-gemessen und führte am Ende dazu, dass das Mitbestim-mungsgesetz 1976 mit einer großen Mehrheit hier im
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Peter Weiß
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Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Jawohl,das deutsche Parlament steht voll und ganz hinter derIdee der betrieblichen Mitbestimmung. Das ist seit 1976immer wieder deutlich geworden.
Wir wissen auch, dass in der Folge nach 1976 nichtjeder und jede das Thema Mitbestimmung in Deutsch-land mit Begeisterung verfolgt hat.
Besonders bemerkenswert ist sicherlich die Äußerungdes damaligen Präsidenten des BDI Michael Rogowski,der 2004 – in der Regierungszeit von Gerhard Schröder –die Mitbestimmung als einen Irrtum der Geschichte be-zeichnete. Diese Auffassung ist, glaube ich, bei allen, diesolche oder ähnliche Äußerungen tätigten, durch das,was sie in der Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise2008, 2009 und 2010 erlebt haben, nachdrücklich korri-giert worden.Es ist schon erwähnt worden, dass Vorstände undAufsichtsräte der Unternehmen durch die Mitbestim-mung handlungsfähige und kompetente Ansprechpartnerauf der Arbeitnehmerseite gefunden haben und findenund dass sie mit diesen kompetenten Vertretern der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem den Be-triebsräten und den Vertretern der Arbeitnehmerseite inden Aufsichtsräten, kompetente Ansprechpartner haben,um wirtschaftliche Probleme ihrer Unternehmen einerLösung zuzuführen und auch die Kurzarbeitermodelle zurealisieren.Spätestens diese Krise hat gezeigt und bewiesen, dassunser Modell der Sozialpartnerschaft und zugleich auchunser Mitbestimmungsmodell ein echter Standortvorteilfür Gesamtdeutschland ist.
Für uns ist Mitbestimmung ein Kernelement einer sozia-len Marktwirtschaft. Deswegen darf ich auch erwähnen,dass die wesentlichen Grundlagen dafür unter einerCDU/CSU-geführten Bundesregierung gelegt wordensind, nämlich mit dem Montan-Mitbestimmungsgesetzvon 1951 und dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952,und es waren Christdemokraten wie Kurt Biedenkopf,die am Mitbestimmungsgesetz von 1976 maßgeblichmitbeteiligt waren.Nun zu dem Antrag: Findet sich in dem Antrag etwasgrundsätzlich Neues zum Thema Mitbestimmung?Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetztfast am Ende der Legislaturperiode. Wir haben noch dreiSitzungswochen des Parlaments vor uns. Jetzt, zumSchluss der Legislaturperiode, fällt den Sozialdemokra-ten ein, man könnte auch noch einen Antrag zum ThemaMitbestimmung einbringen. Sagenhaft, welch hohenStellenwert die Mitbestimmung bei den Sozialdemokra-ten hat!
– Doch, so ist es, und zwar deswegen, weil in dieser Le-gislaturperiode die Mitbestimmung durchaus auf derpolitischen Tagesordnung stand, nämlich mit diversenInitiativen auf europäischer Ebene, vor allen Dingen imGesellschaftsrecht Regelungen zu treffen, die geeignetgewesen wären, die bewährte deutsche Mitbestimmungteilweise auszuhebeln.Es war diese Koalition und es war diese Bundesregie-rung, die sich in Europa standhaft dagegen gewehrt ha-ben, dass wir Regelungen bekommen, die die deutscheMitbestimmung schwächen. Nein, wir haben in Europaeine starke Mitbestimmung mit allem, was uns zur Ver-fügung gestanden hat, verteidigt.
Deswegen hätte man von den Sozialdemokraten er-warten können, dass sie, wenn ihnen die Mitbestimmungam Herzen liegt, irgendwo in ihrem Antrag auf diese ak-tuelle Auseinandersetzung eingegangen wären. Das istaber nicht der Fall.Es ist ein Argument vorgetragen worden, nämlichdass wir in der Tat dringend einen qualitativen Sprungbeim betrieblichen Gesundheitsmanagement brauchen.Wir haben – ich glaube, in der nächsten Sitzungswoche –noch eine Debatte vor uns, in der wir uns vor allen Din-gen mit dem Thema der Zunahme psychischer Erkran-kungen im Arbeitsumfeld befassen.
– Auch wenn die Debattenbeiträge zu Protokoll gehen,Frau Kollegin Müller-Gemmeke, kann trotzdem jederseine Argumente vortragen, und die Rede wird auchnachzulesen sein.In der Tat ist es so, dass wir im technischen Arbeits-schutz – demzufolge man dort, wo es gefährlich ist, ei-nen Helm, Ohrstöpsel oder Sicherheitsschuhe tragenoder eine Maschine abstellen muss, bevor man mit derHand hineingreift, damit sie nicht etwa abgehackt wird –gut vorangekommen sind. Aber was die seelische Ge-sundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Be-trieben und die Gefährdung durch eine psychischeErkrankung angehen, stehen wir eigentlich noch am An-fang unserer Bemühungen. Deswegen ist es richtig: Wirbrauchen ein betriebliches Gesundheitsmanagement, dasschon präventiv darauf abstellt, dass psychische Erkran-kungen nicht zum Alltag in unseren Betrieben gehören,und vor allem dafür sorgt, dass der dramatische Anstiegder Zahl der Krankheitstage und der Frühverrentungsan-träge wegen psychischer Erkrankungen wieder einge-dämmt wird. Wir haben im Rahmen der GemeinsamenDeutschen Arbeitsschutzstrategie – das Bundesministe-rium für Arbeit und Soziales führt in diesem Jahr hierden Vorsitz – zusammen mit den Sozialpartnern Rege-lungen angestoßen, um das zu verstärken.Wir haben die Bundesforschungsministerin gebeten,die Forschung hinsichtlich psychischer Erkrankungenund ihrer Prävention zu verstärken. Sie hat einen großen
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Etatanteil dafür zur Verfügung gestellt. Wir haben außer-dem ein Präventionsgesetz vorgelegt, in dem wir denThemen Gesundheitsmanagement und Prävention zu-sätzliche Bedeutung geben. Es geht hier nicht um Mitbe-stimmungsregelungen. Vielmehr ist entscheidend, oballe Akteure einen gemeinsamen Weg einschlagen undob die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügunggestellt werden, um das Gesundheitsmanagement inRichtung Prävention psychischer Erkrankungen auszu-richten. Da haben wir gehandelt. Deshalb kommt derAntrag der SPD, das Gesundheitsmanagement im Rah-men der Mitbestimmung zu regeln, reichlich spät.
Ohnehin frage ich mich, was passieren würde, wennwir folgende Formulierung aus dem SPD-Antrag in dasBetriebsverfassungsgesetz aufnehmen würden – das istsicherlich ein wichtiges Thema –:Den Betriebsratsgremien wird ein echtes Mitbe-stimmungsrecht eingeräumt … hinsichtlich von Ar-beitsplätzen, die nicht ausreichend auf spezifischesLeistungsvermögen von Älteren Rücksicht neh-men …Oder was sind angemessene Mittel zur betrieblichenGesundheitsförderung? Das alles sind allgemeine For-mulierungen, die zuallererst einen tollen Juristenstreitund dann Prozesse auslösen werden, die uns in der Sacheaber nicht voranbringen. Da ist es mir lieber, dass wir einPräventionsgesetz machen, in dem wir klipp und klar sa-gen: Künftig müssen die Krankenkassen eine bestimmteSumme für betriebliches Gesundheitsmanagement undPrävention zur Verfügung stellen. – Genau das machenwir.
Mein Eindruck ist, dass die SPD den Antrag gestellthat nach dem Motto: Am Schluss der Legislaturperiodeist uns noch etwas eingefallen, was wir eigentlich ver-gessen hatten. – Im Übrigen folgt der Antrag dem für dieSozialdemokraten leider typischen allgemeinen Motto„Steine statt Brot“. Wir wollen Brot, Inhalte und Qualitätfür die Mitbestimmung in Deutschland.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächste Rednerin
in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke un-
sere Kollegin Frau Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Jutta Krellmann.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! DerAntrag der SPD trägt den Titel „Moderne Mitbestim-mung für das 21. Jahrhundert“. Wenn ich das lese, ergehtes mir ähnlich wie Herrn Weiß: Ich erwarte angesichtseines solchen Titels, dass die aktuellen Probleme der be-trieblichen Mitbestimmung aufgegriffen werden. Wei-tere aktuelle Entwicklungen des 21. Jahrhunderts wer-den allerdings im Antrag der SPD nicht aufgegriffen,beispielsweise die Notwendigkeit zur Stärkung von Be-triebsräten insgesamt. Ein Großteil der Betriebe hatüberhaupt keinen Betriebsrat, wie ich leider feststellenmuss. Dort, wo es welche gibt, herrscht nicht immer nurFreude und Sonnenschein. Es gibt Betriebe, in denen Be-triebsräte regelrecht gemobbt und in ihrer Existenz be-droht werden.Ich will Ihnen als Beispiel die Modekette H&M nen-nen, die in ganz Deutschland vertreten ist und landauf,landab bekannt ist. In Trier hat die dortige Geschäftslei-tung dem Betriebsratsvorsitzenden bereits vor Weih-nachten 2012 zum ersten Mal gekündigt. Mittlerweileliegt die dritte fristlose Kündigung auf dem Tisch. DerKollege muss sich gegen die erneute Kündigung durchseine Firma wieder vor dem Arbeitsgericht wehren. Wa-rum? Er macht eine engagierte Arbeit. Im Grunde hat ernur die Möglichkeiten genutzt, die das Betriebsverfas-sungsgesetz ihm bei den Punkten bietet, die er angepackthat. Aber das war der Firma anscheinend zu viel. Zuengagiert, zu sehr im Interesse der Beschäftigten, zukonsequent – solche Leute will man nicht haben.Die Begründung für die Kündigung vonseiten des Ar-beitgebers lautet jetzt auch: Der Betriebsrat hat alsBeisitzer der Einigungsstelle nicht die wirtschaftlichenInteressen der Firma vertreten. – Das ist Realität inDeutschland!
Betriebsräte werden schikaniert. Es wird versucht, ih-nen – und ihrer Familie gleich mit – mit einer Kündi-gung praktisch die Existenzgrundlage zu entziehen. Wirbrauchen eine Betriebsverfassung, die so etwas unterbin-det
und die es Firmen unmöglich macht, so zu handeln.
Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem sichFirmen wie H&M nicht trauen, sich so zu verhalten.
Die SPD schreibt in ihrem Antrag, dass auch die Ar-beitgeber ein Interesse an einer funktionierenden Mitbe-stimmung hätten. Ja, aber nur solange es nicht wehtutund es nichts kostet. Das ist die eine Seite.Aber es gibt noch eine weitere Seite. Ein systemati-scher Umbau vieler Unternehmen hat die Mitbestim-mung schleichend ausgehöhlt. Viele Unternehmen habenin den letzten Jahren ihre gesamte Unternehmensstrukturneu organisiert. Sie haben einzelne Betriebsteile ausge-gliedert, und dadurch wurde die Mitbestimmung ge-schwächt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30553
Jutta Krellmann
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Das zeigt das Beispiel Edeka. Gut 300 000 Beschäf-tigte arbeiten in Märkten unter dem Edeka-Logo. Fastdie Hälfte davon ist in ausgegliederten Betrieben ange-stellt; aber diese sind wirtschaftlich weiterhin Teil desEdeka-Verbunds. Die Ausgliederung ist ein Mittel zurTarifflucht und zur Aushöhlung der Mitbestimmung. Dieausgegliederten Beschäftigten werden nicht mehr vomKonzernbetriebsrat vertreten bzw. müssen zum Teil Be-triebsräte neu gründen, und sie bekommen bis zu 30 Pro-zent weniger Geld als vorher im Edeka-Verbund.
Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheitenausbauen, auch das ist in dem Antrag der SPD nicht ent-halten. Wir brauchen ein VW-Gesetz für alle. Bei VWhaben Betriebsräte im Aufsichtsrat ein Vetorecht bei In-vestitionsentscheidungen und Produktionsverlagerun-gen. Diese Regelungen sollten ausgebaut und auf alleBereiche übertragen werden.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich immer noch ineinem unglaublichen Umbauprozess. Betriebsräte undPersonalräte müssen in jedem Betrieb aktiven Einflussauf diese Entscheidungen nehmen können; sonst könnensie den Plänen des Managements nichts entgegensetzen.
Wir brauchen mehr Mitbestimmung und Demokratie.Genau das müssen wir wagen, und das geht nur mit ech-ter wirtschaftlicher Mitbestimmung.
Vielen Dank, Frau Kollegin Jutta Krellmann. –
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön,
Kollege Pascal Kober.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dievergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre fürDeutschland,
und die vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre fürdie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land.
Noch nie in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland gab es so viele Beschäftigte wie zurzeit.Nicht jede Beschäftigungsform ist genau die, die sich dieArbeitnehmerin/der Arbeitnehmer als ideale Beschäfti-gung wünscht; das ist richtig. Aber wir alle waren uns imletzten Jahrzehnt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikeinig, dass ein Arbeitsplatz eine Chance ist und dass eineArbeit besser ist als gar keine Arbeit. Sie, liebe Kollegin-nen und Kollegen von Rot-Grün, haben zu Ihrer Regie-rungszeit die Hartz-IV-Reformen auf den Weg gebracht,
um genau das zu erreichen, wovon wir heute sagen kön-nen, dass es glücklicherweise gelungen ist, nämlich dassso viele Menschen in Arbeit sind wie noch nie in der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist auch festzuhalten, dass dieser Aufwuchs an Be-schäftigung nicht zulasten sozialversicherungspflichtigerBeschäftigung gegangen ist.
Wir haben derzeit so viele sozialversicherungspflichtigBeschäftigte in Deutschland wie seit der deutschen Ein-heit nicht mehr.
Gleichzeitig ist die Zahl der Transferempfänger so weitzurückgegangen wie noch nie seit der Einführung desHartz-IV-Systems. Wir können zum Glück sagen, dasssich die Schere bei den Einkommen langsam wiederschließt. Das ist das Ergebnis von höheren Tarifab-schlüssen, die möglich sind. Das verdanken wir der Tat-sache, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerihre Rechte auch tatsächlich in die Verhandlungen ein-bringen und durchsetzen können. Das ist das Ergebniseiner guten Politik, die die Grundlage dafür geschaffenhat, dass wirtschaftliches Wachstum möglich ist unddass Arbeitsplätze entstehen können.
Das ist ganz wesentlich darauf zurückzuführen, dassdiese Regierungskoalition mit Finanzpolitikern wieVolker Wissing und mit Wirtschaftspolitikern wie ErnstBurgbacher eine gute weitsichtige Finanz- und Wirt-schaftspolitik gemacht hat, bei der Arbeitsplätze entstan-den sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern in Ih-rem Antrag beispielsweise eine Rückführung der Zeitar-
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30554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Pascal Kober
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beit in Deutschland. Sie verkennen an dieser Stelle, dassSie die Zeitarbeit bei der Reform des Arbeitsmarktes alseine Chance eingeführt haben, damit Menschen in Ar-beit kommen. Diese möchten Sie jetzt mit Ihrem Antragzurückführen.
– Herr Strengmann-Kuhn, was sind Sie denn so aufge-regt? Hören Sie doch einmal zu!
– Herr Strengmann-Kuhn, Sie müssen offensichtlichsehr nervös sein. Die gute Entwicklung auf dem Arbeits-markt scheint Ihnen keine Ruhe zu lassen.
Wir sind jetzt bei der Zeitarbeit.Das Volumen der Zeitarbeit soll durch die Maßnah-men, die in Ihrem Antrag formuliert worden sind, zu-rückgeführt werden. Das Ausmaß der Zeitarbeit gefälltIhnen nicht und ist Gegenstand vieler Anträge, die Siehier einbringen, so auch heute.
Deshalb komme ich, wie gesagt, zur Zeitarbeit. Sie ha-ben die Zeitarbeit flexibilisiert, damit mehr Menschendurch sie einen Job bekommen. Das ist gelungen. Wirhaben in unserer Regierungszeit an den entsprechendenStellen eingegriffen und bei der Zeitarbeit etwas nach-justiert und so den Missbrauch, der mitunter vorgekom-men ist, weil Sie es nicht richtig gemacht haben, be-kämpft und abgestellt.Am 19. Februar dieses Jahres haben Sie einen Antragin den Bundestag einbringen können, in dem Sie schrei-ben: „Bisher war unter anderem die Leiharbeit“ – Sienennen es Leiharbeit, richtiger wäre Zeitarbeit – ein be-liebtes Instrument zum Lohndumping.“ Sie haben alsoselber im Februar dieses Jahres erkannt, dass diese Bun-desregierung klug interveniert hat. Sie hat die Sozial-partner in der Zeitarbeit darauf hingewiesen, dass sie ih-rer Verantwortung nachkommen sollen. Wir haben alsokeine zusätzlichen gesetzliche Regelungen geschaffen,sondern angemahnt, dass dort etwas passieren muss. Da-durch ist es gelungen, dass über Branchentarifzuschlägein der Zeitarbeit das Lohnniveau steigt.
Das haben Sie in einem Ihrer Anträge selber doku-mentiert. Deshalb ist es eine kluge Politik, maßvoll andie Dinge heranzugehen und nicht das Kind mit demBade auszuschütten, wenn man Chancen für Menschenin Deutschland haben will. Insofern ist Ihre Politik einfrontaler Angriff auf die Chancen der Menschen in unse-rem Land.
Die Grünen beschlossen auf ihrem Parteitag einenFrontalangriff auf die Chancen der Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer in Deutschland. Sie fordern Steuer-erhöhungen, die die Substanz der Unternehmen besteu-ern.
Sie fordern Steuererhöhungen, obwohl die Arbeitgeberschon heute sagen, dass sie Hunderttausende von Ar-beitsplätzen kosten werden. Das wird am Ende die Mit-bestimmung schwächen; denn derjenige, der keinen Ar-beitsplatz hat, kann im Betrieb auch nicht mitbestimmen.Die Politik, die Sie machen, ist unverantwortlich.
Glücklicherweise gibt es in Ihrer Partei noch Vernünftigewie Boris Palmer und Winfried Kretschmann, die dieszumindest punktuell erkennen und kritisieren; zuletztwar es auch Christine Scheel. Ihre Politik ist eine verant-wortungslose Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer.Wir werden ab September diese Bundesregierung er-folgreich weiterführen im Sinne des Betriebsverfas-sungsgesetzes, das es schon seit 60 Jahren in Deutsch-land gibt. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass dieMenschen in unserem Land eine Chance auf Arbeits-plätze haben und dass sie gleichzeitig innerhalb desArbeitsmarktes Aufstiegschancen haben, um sich vomEinstieg in den Arbeitsmarkt in eine voll sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigung heraufzuarbeiten, wennsie es mögen. Die Voraussetzung dafür ist eine gute undkluge Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Grundlageeiner guten Bildungspolitik.
Deshalb kürzen wir keine Lehrerstellen, so wie Sie es inBaden-Württemberg unter Grün-Rot machen.
Diese Regierung wird auch die nächsten vier Jahreeine gute Politik machen. Auch die nächsten vier Jahrewerden gute vier Jahre für Deutschland sein.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30555
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Vielen Dank, Kollege Pascal Kober.Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen unsere Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. –Bitte schön, Frau Kollegin Müller-Gemmeke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Herr Kollege Kober, in sieben Minu-ten Redezeit nicht einmal das Wort „Mitbestimmung“ zunennen, ist schon eine Leistung.
Die Mitbestimmung ist ein hohes Gut. Zur sozialenMarktwirtschaft gehört eine starke Mitbestimmung.Ebenso gehört die Mitbestimmung zu unserer demokra-tischen Kultur. Die Betriebsräte achten darauf, dass esim Betrieb und bei der Entlohnung gerecht zugeht. Siesind auch das Sprachrohr für die Beschäftigten. Die Be-triebsräte verbinden also wirtschaftliche Ziele mit gutenArbeitsbedingungen und relativieren so den Gegensatzzwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeit-nehmern. Diese Möglichkeit muss es auch in Zukunftgeben, und zwar ausreichend.
Auch die Unternehmen profitieren von der Mitbe-stimmung.
Denn die Betriebsräte garantieren die interne Kom-munikation. Damit werden Entscheidungen transparentund auch nachvollziehbar. So entstehen auch bei schwie-rigen Entscheidungen Vertrauen und Akzeptanz in derBelegschaft. Mitbestimmung ist also Konfliktmanage-ment. Wenn das funktioniert, entstehen Zufriedenheitund Loyalität. Das ist wichtig; denn Unternehmen brau-chen engagierte und gute Belegschaften.Sehr geehrte Koalitionsfraktionen, wie sieht es mitder Mitbestimmung in der Realität aus? In Westdeutsch-land profitieren von der Mitbestimmung 48 Prozent, inOstdeutschland gerade noch 38 Prozent der Beschäftig-ten. Wir haben also immer mehr betriebsratsfreie und so-mit demokratiefreie Zonen. Sozialpartnerschaft sieht an-ders aus.
Die traditionell betrieblichen Strukturen lösen sichdurch befristet Beschäftigte, durch Leiharbeit und insbe-sondere durch Werkverträge in Stamm- und Randbeleg-schaft auf. In der Folge zersplittern die Belegschaften.Das schwächt nicht nur die betriebliche Interessensver-tretung, sondern auch die Tarifautonomie insgesamt.Diesen Wandel in der Arbeitswelt dürfen Sie nicht län-ger ignorieren. Handeln ist angesagt.
Wir Grünen begrüßen die heutige Debatte und denAntrag der SPD. Das Thema ist wichtig. Die Richtungstimmt. Denn wir brauchen wieder eine Mitbestimmung,und zwar auf Augenhöhe. Notwendig ist ein fairer In-teressensausgleich. Die Betriebsräte müssen bei Ver-änderungen im Unternehmen und beim Einsatz vonLeiharbeit und Werkverträgen mitreden können.Zu Recht verweist die SPD noch auf andere Stich-worte; gerade am Montag haben wir darüber in der An-hörung diskutiert: Mit Blick auf den demografischenWandel und den drohenden Fachkräftemangel sind al-ters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen dringendnotwendig. Dabei geht es um Strategien gegen Arbeits-verdichtung und entgrenzte Arbeitszeit. Es geht also umStress am Arbeitsplatz. Denn die Beschäftigten müssenbis zur Rente gesund arbeiten können.Das alles sind zentrale Themen und große Herausfor-derungen. Das schaffen die Unternehmen nur gemein-sam mit engagierten Belegschaften. Eine funktionie-rende und starke Mitbestimmung ist dafür unerlässlich.Ich bin mir sicher: Wer zukünftig ausreichend Fach-kräfte halten und auch gewinnen will, der muss auf Fair-ness und auf demokratische Strukturen setzen.
Wenn es um die Mitbestimmung geht, dann reagiertdie Arbeitgeberseite immer gleich: die Mitbestimmungwürde verzögern, sie würde behindern und verhindern.Die positiven Effekte werden nicht quantifiziert. DieKosten aber werden kritisiert. Die Lehren aus der letztenWirtschaftskrise sind jedoch eindeutig. Die Belegschaf-ten, die Betriebsräte und die Gewerkschaften haben ge-meinsam mit den Unternehmen nach tragfähigen Lösun-gen gesucht. Voreilige Entlassungen wurden verhindert.Arbeitszeitverkürzungen, Arbeitszeitkonten und Kurz-arbeitergeld waren erfolgreiche Strategien, und nur sokonnte Deutschland besser und schneller als vergleich-bare Länder durch die Krise kommen. Deshalb verstehenwir Grünen die Mitbestimmung als Chance und Stand-ortvorteil.
Sehr geehrte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, las-sen Sie sich auf eine konstruktive Diskussion ein undverzichten Sie einfach mal auf alte Reflexe. Nur in ei-nem fairen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beleg-schaft entsteht wirtschaftliche Dynamik. Nicht nur dieKunden sind die Partner eines Unternehmens, sondernauch die Beschäftigten. Vor allem ist die Mitbestimmungeine besondere Errungenschaft unserer Demokratie, unddamit müssen wir behutsam umgehen. Der Wandel in
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30556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Beate Müller-Gemmeke
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der Arbeitswelt erfordert eine Konstante, und das ist einestarke Mitbestimmung. Nur durch gleiche Augenhöheund Partizipation entstehen soziale Wertschätzung undZusammenhalt und in der Folge wirtschaftlicher Erfolg.Schalten Sie endlich Ihren Ruhemodus aus! Tun Sie et-was! Noch haben Sie die Zeit dafür.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke. –
Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist Kol-
lege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist sicherlich aller Anstrengungen des HohenHauses wert, miteinander über die betriebliche Mitbe-stimmung zu sprechen, darüber zu diskutieren und zuschauen, wo nachjustiert werden muss. Mitbestimmungist auf allen Ebenen, auf denen sie stattfindet, eine großesoziale Errungenschaft Deutschlands. Da kann ich nurdas unterstreichen, was zuletzt die Kollegin Müller-Gemmeke gesagt hat; da sind wir alle einer Meinung. Inder Tat: Betrieblicher Frieden ist wichtig.Peter Weiß hat auf die Ursprünge des aktuellen Be-triebsverfassungsgesetzes hingewiesen. Es hat Vorläuferaus den 50er-Jahren und den 20er-Jahren. Schon in derWeimarer Republik wurde erkannt, dass Demokratie,Rechtsstaat und Mitbestimmung nur dann erfolgreichgelingen können, wenn es auch auf betrieblicher Ebenegelingt, einen Ausgleich zwischen den Eigentümerinte-ressen des Unternehmers und den Interessen der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. Dasgelang in Deutschland schon in Weimarer Zeiten, gelingtaber auch in der bundesrepublikanischen Zeit in hervor-ragender Weise. Der betriebliche Frieden, den wir hierhaben, ist in der Tat ein hohes Gut, das wir alle schützensollten, zu dem wir uns bekennen sollten. Es ist ein Teildes Erfolgsmodells Deutschland.
Deswegen muss man Verschiebungen immer mitSorge sehen. Es fängt auf der Ebene der Tarifautonomiean. Ich will hier ausdrücklich sagen: Wir sind dafür, dasses starke Gewerkschaften, starke Tarifverträge und Flä-chentarifverträge gibt. Es ist nicht gut, wenn ein Unter-nehmen wie Karstadt meint, hier ausscheren zu müssen;das will ich ausdrücklich sagen. Es ist eine freie unter-nehmerische Entscheidung. Aber ich glaube, jeder trägteine Verantwortung für das Gemeinwohl; auch Unter-nehmer haben hier eine Verantwortung. Ich finde, dieEntscheidung ist insofern kein gutes Signal. Denn Unter-nehmer müssen erkennen, was in der Debatte schon ge-sagt worden ist: Manchmal müssen auch schwierige Ent-scheidungen getroffen werden. Gerade Karstadt hat daserleben müssen. Das Unternehmen entwickelt sich jetztpositiv, und zwar nur deshalb, weil Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer einen Teil dazu beigetragen haben,weil sie auf Gehalt verzichtet haben und es Gewerk-schafter gegeben hat, die ihnen das erklärt haben und siemitgenommen haben. Deswegen ist es aus meiner Sichtkeine Petitesse, zu sagen: Es geht uns wieder etwas bes-ser, jetzt brauchen wir Tarifverträge nicht mehr so sehr;wir haben schwierige Zeiten hinter uns, und jetzt ver-zichten wir darauf. –
Nein, Mitbestimmung braucht man in guten wie inschlechten Zeiten, und dazu gehören ein gutes Tarifver-tragssystem, aber auch funktionierende Betriebsräte inDeutschland.
Weil das unsere Auffassung ist, bin ich angesichts ei-ner gewissen Lieblosigkeit, mit der dieser Antrag zu-sammengeschrieben worden ist, in der Tat etwas ent-täuscht; das sage ich jetzt nicht in einer Reflexreaktion,die uns sozusagen schon vorher von der Opposition un-terstellt wurde. Meine sehr verehrten Damen und Her-ren, es fängt natürlich schon damit an, dass Sie diesenAntrag in einer der letzten Sitzungswochen dieser Legis-laturperiode stellen. Jetzt merken Sie, dass dringenderHandlungsbedarf besteht. Das ist nun wirklich sehr spät.Zudem beschreiben Sie diesen Handlungsbedarf in einerArt und Weise, die man natürlich nicht ganz ernst neh-men kann.
– Sie als Opposition fordern die Bundesregierung auf,einen Gesetzentwurf vorzulegen. Machen Sie es dochbitte selber! Wir sind die gesetzgebende Körperschaft.Setzen Sie sich hin! Sie haben kluge Juristen in Ihren ei-genen Reihen und in Ihrer Mitarbeiterschaft, fragen Siedie Gewerkschaften. Machen Sie konkrete Vorschlägezum Betriebsverfassungsgesetz:
– Herr Barthel, das werden wir wahrscheinlich gleichvon Ihnen hören. – Was soll in § 80, § 92, § 87 und § 99konkret textlich geändert werden, damit Ihre vermeintli-chen Anliegen durchgesetzt werden können? Sie bietengar nichts!Der vorliegende Antrag ist eine Enttäuschung – dasmuss ich Ihnen so sagen – und wird dem Anspruch mo-derner Mitbestimmung im 21. Jahrhundert nicht gerecht;
denn auf das Thema, das Sie angesprochen haben, näm-lich dass es zu wenig Betriebsräte gibt, wird überhauptnicht eingegangen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30557
Dr. Johann Wadephul
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Frau Krellmann, das hat im Übrigen nichts damit zutun, dass einzelne Betriebsräte auf Druck der Arbeitge-berseite immer wieder Kündigungen ausgesetzt sind.Das will ich nicht rechtfertigen, das ist nicht in Ordnung,dagegen muss man sich wehren, und ich habe Betroffeneschon arbeitsgerichtlich vertreten. Aber man darf nichtvergessen, dass sie in Deutschland einen einmaligenSchutz genießen. Suchen Sie einen entsprechendenSchutz im europäischen Ausland.Ich weiß nicht, was der Grund für die fristlose Kündi-gung bei H&M gewesen ist. Es ist auch nicht unsereAufgabe, darüber zu richten, ob die richtig oder falschwar. Das ist die Aufgabe der Arbeitsgerichte. Wir sorgenfür einen Schutzrahmen.Wir haben in Deutschland ein geltendes Betriebsver-fassungsgesetz, zu dem wir stehen. Es sorgt dafür, dassBetriebsräte einen Schutz genießen, wie ihn Betriebsrätein anderen Ländern Europas nicht haben. Das ist gut so.Dabei soll es bleiben.
– Frau Krellmann, das will ich Ihnen sagen: Wenn dieKündigung deshalb erfolgt sein sollte, weil der Betriebs-ratsvorsitzende sehr aktiv war, dann ist die Kündigungmit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam. Genau dassteht im Betriebsverfassungsgesetz. Vielleicht gibt esaber auch andere Gründe, darüber müssen die Arbeitsge-richte entscheiden. Sie sollten nicht generell die Arbeit-geber, die sich zu solchen Schritten genötigt fühlen, ver-urteilen.Ich will Sie abschließend auf einen zweiten Punkthinweisen, der für uns wichtig ist. Es gibt einen großenUnterschied zwischen den Tarifverträgen unterworfenenArbeitnehmern und denjenigen, die dem Betriebsrat un-terworfen sind.Im Übrigen gilt die Betriebsvereinbarung auch für be-fristet Beschäftigte. Diese werfen Sie in Ihrem Antragmit Leiharbeitnehmern in einen Topf. Man kann darüberreden, dass es in diesem Bereich Probleme gibt, aberTatsache ist: Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer istbei der Betriebsratswahl stimmberechtigt, und wenn eineBetriebsvereinbarung getroffen ist, dann ist er ihr unter-worfen. Ich weiß deshalb nicht, was befristete Arbeits-verhältnisse in Ihrem Antrag zu suchen haben; denn diespielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Auch dasist in Ihrer Begründung sehr unsubstanziell.Es gibt einen wichtigen Unterschied, zu dem wir ste-hen. Materielle Arbeitsbedingungen – Bezahlung, Dauerder Arbeitszeit – sollen die Gewerkschaften regeln, in-dem sie Tarifverträge schließen. Das sollen nicht die Be-triebsräte beschließen. Das steht im Betriebsverfas-sungsgesetz in § 77 Abs. 3. An diesem wichtigenUnterschied sollten wir festhalten.Es gibt zwei Seiten. Die eine Seite ist: Man kann sicheiner Betriebsvereinbarung als Arbeitnehmer nicht ent-ziehen. Jeder, der in einem Betrieb arbeitet, ist ihr auto-matisch unterworfen, sie wirkt wie ein Gesetz im Be-trieb. Die andere Seite ist: Der Betriebsangehörige kannnicht einfach streiken. Der Betriebsrat kann im Betriebkeinen Streik ausrufen. Das können nur Gewerkschaftenfür die Tarifunterworfenen machen, und ob man tarifun-terworfen sein will, kann man selbst entscheiden, indemman einer Gewerkschaft beitritt oder es eben lässt. Die-ser wichtige Unterschied wird in Ihrem Antrag nichtdeutlich. Es gibt diesen wichtigen Unterschied zwischendem Tarifvertragsbereich und dem Bereich, den wir imBetriebsverfassungsgesetz geregelt haben. Das Betriebs-verfassungsgesetz kann nur für den Betrieb gelten.Auf der Ebene des Betriebsverfassungsgesetzes kön-nen wir im Bereich der Leiharbeitnehmer nichts machen– man darf aber in der Tat nicht in einen Ruhemodus ver-fallen, sondern man sollte über Verbesserungen nach-denken –; denn sie gehören nicht zum Betrieb, sondernzum Betrieb des Verleihers. Diesen Konflikt haben Siein Ihrem Antrag völlig verkannt. Das finde ich bedauer-lich. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode si-cherlich mit mehr Substanz an das Thema herangehenmüssen.In wichtigen Punkten besteht Konsens.
Die betriebliche Mitbestimmung ist ein Kernbestandteildes sozialen Friedens in Deutschland, und Union undFDP werden auch in diesem Bereich weitere vier guteJahre regieren.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. – Letzter Redner
in dieser Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemo-
kraten unser Kollege Klaus Barthel. Bitte schön, Kollege
Klaus Barthel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser An-trag muss schon ganz gut sein, weil sich alle, die sich ir-gendwie kritisch dazu geäußert haben, zu allem Mögli-chen gesprochen haben, nur nicht zu dem Antrag. FrauMüller-Gemmeke war dabei eine löbliche Ausnahme;sie hat sich positiv darauf bezogen. Aber ansonsten ha-ben wir hier doch nur Nebelkerzen gesehen. Da hörenwir irgendetwas von Kündigungen von Betriebsratsvor-sitzenden, was jetzt schon verboten ist. Wir hören, dassHerr Wissing irgendetwas mit Mitbestimmung zu tun ha-ben soll.
Der Kollege Weiß erzählt uns hier etwas vom Präven-tionsgesetz. Da könnte man noch sagen – das hat er aber
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30558 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Klaus Barthel
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nicht erwähnt –, dass ein Präventionsgesetz auch nur beibetrieblicher Mitbestimmung sinnvoll umgesetzt werdenkann, weil man dafür Akteure und nicht einfach nurGeld braucht, das Krankenkassen zahlen.
Aber all das sei einmal dahingestellt.Außerdem ging es um den Zeitpunkt, zu dem wir die-sen Antrag einbringen. Wir wollen am Ende dieser Le-gislaturperiode, nachdem die Sozialdemokratie ja diePartei der Mitbestimmung ist, dies schon seit Jahren dis-kutiert und es auch in ihrem Wahlprogramm stehen hat,einfach einmal von den anderen hören, wie sie sich zurZukunft der Mitbestimmung stellen. Das ist doch legi-tim. Wenn man die Antworten hört, dann muss man sa-gen: Das ist doch erbärmlich.
Schon allein deswegen hat es sich gelohnt, diesen An-trag zu stellen.Es wurde schon gesagt: Ohne Mitbestimmung wärenwir nicht so gut durch die Krise gekommen. Interne Fle-xibilität mit Arbeitszeitkonten und mit Kurzarbeiterrege-lung geht nur mit Mitbestimmung. Auch der jetzt immerwieder gelobte hohe Industrieanteil in Deutschland hatetwas mit Mitbestimmung zu tun und eben nicht mit denRezepten von „hire and fire“, nicht mit Lohnsenkungen,nicht mit dem Herr-im-Hause-Standpunkt.Ein Zeitungsartikel vor einiger Zeit, übrigens nicht ineinem sozialistischen Blatt, enthielt die Aussage, dass Be-triebsräte, dass die Mitbestimmung – wörtliches Zitat –Bollwerke gegen Betriebsschließungen sind. Man mussdoch ganz klar sagen: Viele Betriebe, gerade in der Indus-trie, gäbe es ohne Mitbestimmung, ohne Betriebsräteheute überhaupt nicht mehr. Deshalb ist die Frage – An-kündigungen oder Lobhudeleien sind ja billig –: Was folgtdaraus?Den historischen Teil will ich mir schenken, weil HerrDr. Wadephul dankenswerterweise darauf hingewiesenhat, dass es keine Idee von Union und FDP war, Be-triebsräte einzuführen, sondern dass es sie seit 1918/19gibt und dass die Nazis sie aus gutem Grund vor ziem-lich genau 80 Jahren aus den Ämtern gejagt und ver-drängt haben, weil das eben ein Bollwerk der Demokra-tie ist.
1945 waren Betriebsräte die Ersten, die die Wirtschaftwieder ans Laufen gebracht haben, weil die Chefs teil-weise im Gefängnis saßen oder sich aus dem Staub ge-macht hatten. Dann waren sie als Getriebene durchStreiks der Gewerkschaften gezwungen, betrieblicheMitbestimmung einzuführen, und so ging es weiter. Allesubstanziellen Änderungen an der Mitbestimmung ha-ben Sozialdemokraten eingeführt,
beispielsweise beim Mitbestimmungsgesetz 1972, 1976und zuletzt 2001. Auch die erleichterte Wahl von Be-triebsräten war ein Fortschritt, der von der SPD zusam-men mit den Grünen durchgesetzt worden ist.
Das alles heißt aber nicht, dass wir uns zufrieden zu-rücklehnen können. Wir können es nicht, weil sich dieArbeitswelt und betriebliche Strukturen und damit auchdie Anforderungen an Betriebsrätinnen und Betriebsräteverändern. Wir erleben, dass durch Leiharbeit, durch diePraxis von Werkverträgen Menschen in den Betriebenbeschäftigt sind, die aber letzten Endes nicht von Be-triebsrätinnen und Betriebsräten vertreten werden kön-nen, weil die rechtliche Situation in diesem Punkt nichtklar ist.Es hat zwar jetzt hinsichtlich der Leiharbeit ein Bun-desarbeitsgerichtsurteil die Zuständigkeiten der Betriebs-räte verbessert. Aber wir brauchen hier klare gesetzlicheRegelungen, damit auch Werkauftragsnehmerinnen und-nehmer oder Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an demOrt, an dem sie arbeiten, geschützt werden können und esfür sie eine Kontrolle zum Beispiel bezüglich ihrer Ar-beitsbedingungen, Löhne, Arbeitszeiten usw. in dem Be-trieb, in dem sie arbeiten, gibt und nicht irgendwo, vonwo sie ausgeliehen werden. Wenn Sie das nicht hinbe-kommen, dann können Sie hier noch so viele heilige Re-den auf Mitbestimmung und Betriebsräte halten, aber inWahrheit entziehen Sie den Betriebsräten dann die Wir-kungsmöglichkeiten. Auch dadurch, dass es keine Frei-stellungen und zusätzlichen Mandate für Betriebsrätegibt, entziehen Sie ihnen die Arbeitsmöglichkeiten. Washier gemacht wird, ist ein bisschen eine Strategie des Zu-Tode-Lobens. Da muss man aufpassen.Wir brauchen – das ist der zweite Bereich, um den eshier geht – eine Zuständigkeitsausweitung für Betriebs-räte. Sie reden immer darüber, dass Sie die Rente mit 67wollen.
Wir hingegen wollen erst einmal dafür sorgen, dass dieLeute mit 65 gesund arbeiten und gesund in Rente gehenkönnen. Wenn Sie die Rente mit 67 wollen, dann müssenSie auch dafür sorgen, dass auf betrieblicher Ebene Stra-tegien zur Qualifizierung entwickelt und umgesetzt wer-den. Dafür brauchen die Betriebsräte Initiativrechte auchbeim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Diese Rechte ha-ben sie im Moment nicht. Das muss man betrieblichdurchsetzen, da helfen sonst die besten Gesetze nichts.Also: Wer Mitbestimmung auch in Zukunft will, wervernünftige Betriebsratsarbeit auch in Zukunft will, dermuss die Rechtsgrundlagen reformieren. Wir braucheneine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes.Im Übrigen sage ich: Wenn Sie alle der Meinung sind,dass die Mitbestimmung vorbildhaft und ein Export-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30559
Klaus Barthel
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schlager ist, dann sollten Sie dafür sorgen, dass die Ar-beitnehmerrechte im restlichen Europa gestärkt undnicht durch die Austeritätspolitik von Frau Merkel ka-puttgemacht werden.
Denken Sie einmal darüber nach! Vielleicht können Siedoch noch etwas Positives an unserem Antrag finden.Wir werden das in der nächsten Legislaturperiodeumsetzen. Sinn dieses Antrages ist ja auch, dass wir sa-gen, was wir ab September machen werden.
Vielen Dank, Kollege Klaus Barthel. – Der Kollege
Klaus Barthel war der letzte Redner in dieser Ausspra-
che, die ich damit schließe.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13476 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir gemein-
sam die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan
Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern
und Parteienfinanzierung transparenter ge-
stalten
– Drucksachen 17/9063, 17/13530 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Raju Sharma
Wolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind
alle damit einverstanden? – Dann haben wir das gemein-
sam so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser
Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unser
Kollege Ingo Wellenreuther. Bitte schön, Kollege Ingo
Wellenreuther.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Ich habe Verständnis, dass heute we-nige hier im Plenum sind, weil parallel die Trauerfeierfür den Kollegen Stadler stattfindet, an der auch ichgerne teilgenommen hätte; aber die Tagesordnung siehtvor, dass dieser Punkt jetzt behandelt wird. Mein Beileidnoch einmal an die Familie Stadler. Max Stadler war einsehr lieber Kollege, mit dem ich 13 Jahre lang sehr engzusammengearbeitet habe.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, Par-teien haben nach dem Grundgesetz den Anspruch, aberauch den Auftrag, an der politischen Willensbildung desVolkes mitzuwirken. Um dieser Aufgabe gerecht werdenzu können, haben sie einen berechtigten Finanzierungs-bedarf. In Deutschland haben wir uns bewusst gegeneine rein staatliche Alimentierung entschieden und diegesellschaftliche Verankerung als Wesenselement politi-scher Parteien definiert. Im Wesentlichen wird dieser Fi-nanzierungsbedarf durch Mitgliedsbeiträge, staatlicheZuwendungen und durch Spenden gedeckt. Spendensind zu Recht ein wichtiger Bestandteil der Finanzierungvon Parteien und haben verfassungsrechtliche Bedeu-tung. Das Grundgesetz sieht die Staatsfreiheit von Par-teien vor. Die staatliche Finanzierung darf deshalb nichtso weit gehen, dass sich Parteien nicht mehr um die fi-nanzielle Unterstützung durch ihre Mitglieder und durchihr nahestehende Bürger bemühen müssen.Umgekehrt ist das Spendenrecht des Bürgers Aus-druck seines Rechts auf Teilhabe an der politischen Wil-lensbildung. Im Gegenzug ergibt sich die Verpflichtung,dass die Parteien über die Herkunft und die Verwendungihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechen-schaft ablegen müssen. Das ist im Parteiengesetz so gere-gelt. Spenden über 10 000 Euro sind im Rechenschafts-bericht anzugeben, und Spenden über 50 000 Euro sinddem Bundestagspräsidenten zu melden, der diese binnen24 Stunden im Internet zu veröffentlichen hat. DieseTransparenzvorschriften haben sich bei Parteispenden inDeutschland sehr gut bewährt.Meine Damen und Herren von den Linken, Sie schla-gen jetzt in Ihrem Antrag fünf Maßnahmen vor, mit denenSie das Parteiengesetz ändern wollen. Damit wollen Sieangeblich die Demokratie stärken, Lobbyismus verhin-dern und die Parteienfinanzierung transparenter gestalten.Meines Erachtens betreiben Sie damit Etikettenschwin-del. Denn was Sie in Wahrheit wollen, ist, in Deutschlanddie Parteienfinanzierung diskreditieren, Spender verunsi-chern und sich damit Vorteile im politischen Wettbewerbverschaffen.
Ich werde Ihnen jetzt im Einzelnen erläutern, warum IhrAntrag nicht taugt – wenn Sie zuhören, verstehen Sie esauch –, um die von Ihnen benannten Ziele zu erreichen.Ich werde auch zeigen, welche Auswirkungen Ihre beab-sichtigten Gesetzesänderungen hätten.Sie wollen ein Spendenverbot für juristische Perso-nen.
Das heißt, Sie wollen, dass Unternehmen in der Rechts-form einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft, aberauch eingetragene Vereine nicht mehr Spenden an politi-sche Parteien leisten dürfen.
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30560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Ingo Wellenreuther
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Entgegen Ihrem im Antrag formulierten Ziel, die Demo-kratie dadurch stärken zu wollen, wäre dies im Gegenteileine demokratiefeindliche Maßnahme, weil Sie dadurchUnternehmen eine Teilnahme an der politischen Willens-bildung durch Unterstützung jener Partei,
die ihre eigenen politischen Interessen am besten vertritt,behindern würden.
Hierin liegt wiederum ein Etikettenschwindel, weil damitunsere Demokratie nicht gestärkt, sondern geschwächtwürde. Dies sieht auch das Verfassungsgericht so, das be-reits 1992 eindeutig erklärt hat, dass Spenden juristischerPersonen an politische Parteien in beliebiger Höhe zuläs-sig sind.Die politische Teilhabe äußert sich nämlich nicht al-lein in der Teilnahme an Wahlen, sie manifestiert sichauch dadurch, dass Organisationen, gesellschaftlicheGruppierungen, aber auch Unternehmen ihre Interessenwahrnehmen und sich an der politischen Willensbildungbeteiligen dürfen, auch mittels Spenden, die natürlich imEinklang mit unserer Rechtslage transparent gewährtwerden müssen. Berechtigterweise darf es auch juristi-schen Personen darauf ankommen, die politischen Zielevon Parteien zu unterstützen. Genau dies ist nach demGrundgesetz, dem Parteiengesetz und der Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts auch vorgesehen.Jetzt zu Ihrem Hauptargument: Wer nicht wählendarf, darf auch keinen Einfluss auf politische Parteiennehmen. Dies wird nicht nur von den Linken vertreten,sondern auch von Ihnen, Herr Beck; das habe ich gele-sen. Dieses Argument halte ich für entlarvend. Mit einerSpende erleichtern die Spender lediglich die politischeArbeit der Partei, die im politischen Meinungskampf ambesten ihre Interessen unterstützt. Sie nehmen dadurchgerade nicht inhaltlich Einfluss auf eine Partei oder einParteiprogramm.
Spenden zu leisten, ist im Übrigen die private Ent-scheidung der Bürger, aber auch der Unternehmen in un-serem Land, die dies gegenüber ihrem Aufsichtsrat, ih-rem Vorstand, ihren Aktionären, ihren Gesellschaftern,ihrer Belegschaft und gegenüber der Öffentlichkeit zurechtfertigen haben, sicherlich aber nicht gegenüber dempolitischen Gegner.Meine Damen und Herren von den Linken, wenn IhrePartei keine nennenswerten Spenden juristischer Perso-nen erhält, muss deshalb nicht das Parteiengesetz geän-dert werden – darauf hat Kollege Schuster schon hinge-wiesen –, Sie sollten sich vielmehr über die Inhalte IhresParteiprogramms Gedanken machen.
Auch Ihr zweiter Vorschlag, es zu verbieten, Spendennatürlicher Personen über 25 000 Euro anzunehmen,schadet dem Kern unserer Demokratie. Sie rücken Par-teispenden damit in die Nähe des Anrüchigen. Ich haltees – das muss ich ehrlich sagen – für unerträglich, dassSie damit in der Öffentlichkeit wiederholt und bewusstden Eindruck erwecken, man könne in Deutschland poli-tische Entscheidung kaufen.
Ein weiterer Grund für Ihren Vorschlag eines Verbotesvon Spenden über 25 000 Euro ist, dass die Partei der Lin-ken einfach keine größeren Einzelspenden erhält. Siehandeln deshalb nach dem Motto: Eine Regelung, die unsnicht nutzt, müssen wir abschaffen. Damit wollen Sie vorallem dem politischen Gegner schaden; denn andere Par-teien verzeichnen höhere Spendeneingänge. Wenn es da-rum ginge, anderen Parteien zu schaden, dann müsste dieUnion eigentlich fordern, dass Parteien keine Beteiligun-gen an Medienunternehmen halten dürfen.
Die Stichworte Neues Deutschland und Deutsche Druck-und Verlagsgesellschaft seien an dieser Stelle genannt.Das eigentliche Thema, das die Menschen in unseremLand beschäftigt, ist nicht die Höhe der Spende, sonderndie Transparenz; das heißt, dass man ab einer bestimm-ten Summe über die Herkunft und über die Spender Be-scheid wissen möchte. Dies ist in unserem bestehendenParteiengesetz ausreichend klar geregelt.Ihr dritter Vorschlag, den ich aufgreifen möchte, ist,dass Sie Parteiensponsoring verbieten wollen. Sponso-ring ist im Parteiengesetz nicht ausdrücklich geregelt.Eine gesetzliche Definition fehlt. Nach dem Sponsoring-erlass des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahre1998 handelt es sich um die Gewährung von Geld durchUnternehmen zur Förderung von Parteien, mit der unter-nehmensbezogene Werbung oder Öffentlichkeitsarbeitverbunden sind. So damals das Bundesfinanzministe-rium. Der Unterschied zur Spende – das ist schon mehr-fach angesprochen worden – liegt darin, dass die Parteieine Gegenleistung schuldet. Diese besteht – das möchteich auch für die Zuschauer ausdrücklich betonen – natür-lich nicht in der Gewährung eines politischen Vorteils,sondern in der Zurverfügungstellung von Werbemög-lichkeiten. Das ist der gegenseitige Vertrag, um den esbeim Sponsoring geht.Als Beispiel nennt die Linke in ihrem Antrag die Ver-mietung von Standflächen auf Parteitagen. Sie erwähnenin diesem Zusammenhang alle im Bundestag vertretenenParteien, außer übrigens sich selbst. Man weiß aber,dass, ich glaube, der Apothekerverband regelmäßig auchbei Ihnen gesichtet wird. Auch hier sage ich Ihnen: Blei-ben Sie bitte bei der Wahrheit.
– Das werden wir nachprüfen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30561
Ingo Wellenreuther
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Inhaltlich vertreten Sie mit der Forderung nach einemVerbot des Parteisponsorings eine absolute Mindermei-nung. Keiner der sieben Sachverständigen hat in der öf-fentlichen Anhörung des Innenausschusses im Juni 2010ein Verbot des Parteisponsorings für gut befunden. Dasüberrascht auch nicht; denn Sponsoring ist eine zulässigeForm der Finanzierung politischer Veranstaltungen. ImHinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz derStaatsfreiheit sind solche finanziellen Unterstützungenauch wünschenswert.Im Rechenschaftsbericht der Parteien sind Einnah-men aus Sponsoring als Einnahmen aus Veranstaltungenund sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeitanzuführen. Die Staatengruppe gegen Korruption,GRECO, der Deutschland gleich nach der Gründung1999 beigetreten ist, hat dazu Stellung genommen.GRECO hatte in dem Evaluierungsbericht vom Dezem-ber 2009 zu Deutschland empfohlen, zu klären, unterwelchen Bedingungen Parteisponsoring erlaubt ist undwelches Rechnungslegungs- und Finanzsystem geltensoll. Dieser Aufforderung sind wir nachgekommen.GRECO hat dementsprechend in seinem Umsetzungsbe-richt vom November 2012 diesen Punkt als umgesetztdeklariert. Ich sage ganz offen: Ich hätte nichts dagegen,wenn in Zukunft Sponsoringvorgänge in einem Erläute-rungsteil im Rechenschaftsbericht zusammengefasst dar-gestellt würden und damit für noch mehr Transparent ge-sorgt wäre.Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zu denBerichten von GRECO über die Transparenz der Partei-enfinanzierung machen. Die Linke erwähnt diese Be-richte in ihrem Antrag und erweckt den Eindruck, alshätten wir hier in Deutschland große Defizite. Ichmöchte zunächst einmal klarstellen, dass der Bericht vonGRECO aus dem Jahr 2009 die deutschen Rechtsvor-schriften zur politischen Finanzierung unmissverständ-lich gewürdigt hat. Wörtlich führt der Bericht aus, dassdas deutsche Parteiengesetz mindestens fünf unbestreit-bare Qualitäten besitzt:Erstens. Es ist eine der ältesten Rechtsgrundlagen indiesem Bereich auf dem europäischen Kontinent. Zwei-tens. Es ist dank der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts verfassungsrechtlich tief verwurzelt. Drit-tens. Es legt großen Wert auf die Transparenz derFinanzquellen der Parteien. Viertens. Es trägt zu einemintelligenten Gleichgewicht zwischen privater und staat-licher Finanzierung von Parteien bei, sodass diese nichtausschließlich auf staatliche Unterstützung angewiesensind. Fünftens. Es führt zu einer Konsolidierung der Par-teifinanzen.Im Grundsatz bescheinigt GRECO also, dass Deutsch-land hoch anerkannte, verfassungsfeste, vorbildliche undtransparente Regelungen zur Parteienfinanzierung be-sitzt. Das ist zunächst einmal eine ganz wichtige Bot-schaft, die Sie von den Linken eigentlich nicht hättenverschweigen sollen.Es ist zutreffend, dass GRECO aber auch zehn Ände-rungsempfehlungen abgegeben hat. In dem Umsetzungs-bericht vom Dezember 2012 werden drei davon als vonDeutschland zufriedenstellend umgesetzt bzw. zufrie-denstellend behandelt deklariert, sechs Empfehlungenwerden als teilweise und nur eine wird als nicht umge-setzt angesehen.Ich möchte an zwei Beispielen erläutern, dass wir hierkeineswegs wichtige Empfehlungen ignorieren, sonderndass wir in manchen Punkten inhaltlich anderer Auffas-sung sind als GRECO. GRECO hatte beispielsweiseempfohlen, die Grenze von 50 000 Euro für die unmit-telbare Berichterstattung und Veröffentlichung vonSpenden zu senken und anonyme Spenden zu verbieten.Diese Empfehlung ist zum einen von den gemeinsamenRegeln des Europarates gegen Korruption aus dem Jahre2003 nicht gedeckt, und sie verkennt zum anderen, dassSpenden nach dem deutschen Parteiengesetz nicht erstab 50 000 Euro, sondern schon ab 10 000 Euro mitSpendernamen im Rechenschaftsbericht veröffentlichtwerden. Eine weitere Herabsetzung erscheint uns vonder Union willkürlich. Eine zu niedrige Grenze würdeaußerdem zu einer Überfülle an Daten führen, was wie-derum der Transparenz und der Übersichtlichkeit abträg-lich wäre. Die Empfehlung, anonyme Spenden zu ver-bieten, widerspricht außerdem den gemeinsamen Regelndes Europarates, die nur heimliche Spenden vermeidenwollen und sogar anonyme Kleinspenden akzeptieren.Spenden unter 500 Euro erfolgen schon jetzt ohne Iden-tifizierung, sind aber öffentlich.Weitere Empfehlungen von GRECO gehen dahin,Spenden an Abgeordnete zumindest Rechenschafts- undOffenlegungspflichten aufzuerlegen, die denen der Par-teien vergleichbar sind, und wirksame Sanktionen beiVerstößen festzulegen.Auch hier wird die deutsche Rechtslage verkannt,nach der die Pflichten der Abgeordneten zum Umgangmit Spenden und etwaige Verstöße ganz klar geregeltsind. Erhalten nämlich Abgeordnete Spenden für ihrePartei, sind diese unverzüglich an das zuständige Partei-organ weiterzuleiten. Sie unterliegen dann den weiterenRegelungen des Parteiengesetzes. Verstöße gegen dieseWeiterleitungspflicht sind strafbewehrt. Bei den so-genannten Direktspenden für den Abgeordneten selbstbestehen nach dem Abgeordnetengesetz und den Ver-haltensregeln des Bundestages laut GeschäftsordnungPflichten zur gesonderten Rechnungsführung und zurAnzeige gegenüber dem Bundestagspräsidenten sowieeindeutige Annahmeverbote. Wenn dagegen verstoßenwird, gibt es ebenfalls wirksame Sanktionen. Insofernsind die genannten Empfehlungen von GRECO inDeutschland bereits vollkommen ausreichend geregelt.Zurück zum Antrag der Linken. Dazu möchte ich alsFazit sagen: Er ist insgesamt scheinheilig. Er nimmt esmit der Wahrheit nicht immer so ganz genau. Und vor al-lem: Er schwächt unsere Demokratie. Aus diesen Grün-den lehnen wir von der Union diesen Antrag ab.Danke schön.
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30562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemo-
kraten unsere Kollegin Frau Gabriele Fograscher. Bitte
schön, Frau Kollegin Gabriele Fograscher.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Zum wiederholten Mal diskutieren wir in dieser Legisla-turperiode Änderungen des Parteiengesetzes, und dasnicht nur hier im Plenum; wir haben darüber bereitsmehrfach auch im Innenausschuss diskutiert. Grundlagewaren verschiedene Anträge und immer wieder die Eva-luierungsberichte der zum Europarat gehörenden Staa-tengruppe gegen Korruption, GRECO.Nach all den Diskussionen lässt sich feststellen: DieLinksfraktion hat übertriebene Forderungen, und die Re-gierungskoalition will gar nichts ändern. Dabei würde esIhnen von den Regierungsfraktionen gut zu Gesicht ste-hen, sich einmal intensiv mit den Empfehlungen vonGRECO auseinanderzusetzen. Es ist einfach nur pein-lich, regelmäßig von GRECO aufgefordert zu werden,die Empfehlungen umzusetzen. Sie von der Koalitionwollen sich nicht festlegen und schieben zum Beispieldas Thema der Strafbarkeit von Abgeordnetenbeste-chung von Woche zu Woche und hoffen, sich so über dieLegislaturperiode retten zu können. Wir sehen durchausHandlungsbedarf und würden die Empfehlungen vonGRECO aufgreifen.Ich will trotzdem auch darauf hinweisen, dassDeutschland ein gutes Parteiengesetz hat, das die meis-ten Fragen der Parteienfinanzierung angemessen regelt.Ich zitiere aus dem GRECO-Bericht:Viele Bestimmungen des Parteiengesetzes zur Par-teienfinanzierung sind lobenswert: Es verlangt einekonsolidierte Rechnungslegung, welche alle territo-rialen und sonstigen Strukturen der Parteien bis zuruntersten Ebene sowie alle wirtschaftlichen Struk-turen erfasst, es nimmt eine klare Unterscheidungzwischen Parteien einerseits sowie Fraktionen undpolitischen Stiftungen andererseits vor, und es re-gelt Themen wie Sachspenden, freiwillige Arbeitund Sponsoring.Sie von der Linksfraktion vermitteln schon allein mitdem Titel Ihres Antrags ein völlig anderes Bild. Vor al-lem verspricht der Titel, was der Inhalt nicht hält. MehrDemokratie schaffen Sie mit Ihren Forderungen nicht,mehr Transparenz auch nicht. Mit der Verhinderung vonLobbyismus hat Ihr Antrag nichts zu tun. Um Lobbyis-mus einzudämmen, brauchen wir unter anderem einLobbyregister und klare Informationen und Regeln fürexterne Berater, vor allem in den Bundesministerien.Dazu sagt Ihr Antrag aber nichts.Sie fordern das Verbot von Unternehmensspenden.Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch dieKommission des Bundespräsidenten zur Reform der Par-teienfinanzierung haben Spenden von juristischen undnatürlichen Personen als zulässig angesehen. Entschei-dend sei dabei die Transparenz. Es muss durchschaubarsein, welche Unternehmen oder Personen die Parteienunterstützen und gegebenenfalls Einfluss nehmen wol-len. Mir ist es lieber, dass spendende Unternehmen inden Rechenschaftsberichten genannt werden und dieseZuwendungen nicht über Privatpersonen oder gar Stroh-männer erfolgen.
Das würde nämlich zu weniger Transparenz führen.
Professor Heinig erklärte in der Anhörung des Innen-ausschusses 2010:In einem freiheitlichen Parteienwesen bedürfenEinschränkungen der Finanzierungsfreiheit politi-scher Parteien einer besonderen Rechtfertigung.Kontrolle durch Öffentlichkeit hat Vorrang vor Ver-boten. Ein generelles parteiengesetzliches Verbot,Spenden juristischer Personen anzunehmen, sähesich beachtlichen verfassungsrechtlichen Anfragenausgesetzt. Es ist nicht zu empfehlen.Bei Spenden von Unternehmensverbänden allerdingsist die Transparenz nicht gegeben. Hier erfolgen Spen-den indirekt von Unternehmen über die Verbände, ohnedass die Unternehmen genannt werden. Oftmals wissendie einzelnen Mitglieder solcher Verbände gar nicht,dass sie an eine bestimmte Partei über ihre Mitgliedsbei-träge spenden. Deshalb fordern wir ein Verbot von Spen-den von Unternehmensverbänden.
Statt die Spendenobergrenze so restriktiv festzulegen,wie Sie es fordern, sollte die Grenze für die sofortigeVeröffentlichung von Spenden durch den Bundestags-präsidenten auf 25 000 Euro gesenkt werden. Zudemwürde eine Nennung von Spendern mit Namen undAdresse ab einer Jahresgesamtsumme von 5 000 Euroim Rechenschaftsbericht zu mehr Transparenz führen.
Sponsoring wollen Sie ganz verbieten, doch Sponso-ring von Parteiveranstaltungen ist parteienrechtlich er-laubt, ja sogar erwünscht. Auch dazu möchte ich nocheinmal Professor Heinig zitieren:Die Vermietung von Werbeflächen und andere For-men des Sponsorings von Parteiveranstaltungensind von der Parteienfreiheit nach Art. 21 Abs. 1 GGgeschützte und parteiengesetzlich zulässige Formender Parteienfinanzierung. Das Grundgesetz fordertvon den Parteien, dass sie eigene Einnahmen gene-rieren, und verbietet eine staatliche Vollfinanzie-rung …. Die Aktivitäten von Parteien zielen auf Öf-fentlichkeit. Sie erzeugen aber auch Öffentlichkeit.Wenn Parteien daraus Einnahmen erzielen …, istdas im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vor-gaben zur Parteienfinanzierung zunächst einmalnicht problematisch, sondern im Gegenteil er-wünscht. Denn wie Spenden bilden auch andereFormen der Förderung von Parteien einen gewissenIndikator für ihre Verwurzelung und gesellschaftli-che Akzeptanz …
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30563
Gabriele Fograscher
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Allerdings unterstützen wir auch die Forderung, dassSponsoring in Zukunft als gesonderte Einnahme in denRechenschaftsberichten ausgewiesen wird.Warum es Demokratie stärken oder mehr Transparenzherstellen soll, wenn Parteimitglieder, die für geleisteteArbeit eine Aufwandsentschädigung erhalten, diesenicht an die Partei spenden dürfen – das fordern Sie –,erschließt sich mir nicht. In der SPD ist die ehrenamtli-che Mitarbeit grundsätzlich unentgeltlich. Ein Kosten-ersatz ist jedoch möglich. Voraussetzung für die steuer-liche Anerkennung ist ein Vorstandsbeschluss, bevor diezum Aufwand führende Tätigkeit beginnt. Der Be-schluss darf nicht unter der Bedingung der Spende ge-fasst werden, der Aufwand muss im Einzelnen aufge-führt werden, und die Gliederung muss wirtschaftlichleistungsfähig sein, das heißt, sie muss diese Aufwands-entschädigung zahlen können.Im Innenausschuss haben Sie einen Änderungsantrageingebracht und damit einen völlig falschen Eindruck er-weckt. Sie werfen § 31 d Abs. 1 Satz 2 Parteiengesetz,den Sie streichen wollten, mit dem Begriff der Selbstan-zeige in der Abgabenordnung in einen Topf. § 31 dAbs. 1 regelt unter anderem, dass eine Partei straffreibleibt, wenn sie gegenüber dem Bundestagspräsidenteneine Fehlmeldung im Rechenschaftsbericht anzeigt undkorrigiert, bevor diese öffentlich wird.Die Rechenschaftsberichte werden bei uns von circa10 000 ehrenamtlichen Kassiererinnen und Kassierernmit hoher Verantwortung und gewissenhaft erstellt.Trotz aller Sorgfalt kann es zu Buchungsfehlern kom-men. Dass dies für die Partei dann nach Meldung undBerichtigung eine Strafe nach sich ziehen soll, ist nichteinzusehen. Ein anderer Fall wäre es, wenn ein Kassierervorsätzlich Spenden verschleiern oder unterschlagenwürde. Wenn dies dann die Partei aber richtigstellt, wirdsie nicht bestraft. Der Kassierer aber muss mit Konse-quenzen seitens der Partei rechnen. Das ist die geltendeRechtslage. Die derzeit viel diskutierte Straffreiheit beiSelbstanzeige wegen Steuerhinterziehung ist somit et-was völlig anderes als die Regelung des § 31 d Abs. 1Parteiengesetz.Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf,Änderungen vorzunehmen. Bisher war das die Angele-genheit des Parlaments, der Fraktionen, und so soll dasunserer Meinung nach auch bleiben. Wir sind jederzeitbereit, zum Beispiel über die Umsetzung der Empfeh-lungen von GRECO zu sprechen, und ich fordere vondieser Stelle die Koalitionsfraktionen nochmals auf, dieStrafbarkeit der Abgeordnetenbestechung noch in dieserWahlperiode zu regeln. Dem Antrag der Linken könnenwir nicht folgen.Danke schön.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Stefan
Ruppert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir kennen diesen Antrag aus der Vergangenheit– er ist sozusagen ein Wiedergänger –; leider ist er imLaufe seiner parlamentarischen Karriere nicht besser ge-worden. Es hat auch schon ein leichtes Geschmäckle,wenn im unmittelbaren Vorfeld einer Bundestagswahleine Fraktion einen Antrag ins Schaufenster stellt, indem es insbesondere darum geht, Spenden von juristi-schen Personen gänzlich zu verbieten.Wenn man sich die Parteienfinanzierung in Deutsch-land anschaut, stellt man fest, dass die Parteien inDeutschland höchst unterschiedlich finanziert sind. Dieeinen haben größeres Vermögen aus Beteiligungen anUnternehmen, wie etwa die SPD, andere ziehen ihreMitglieder und Mandatsträger stark heran, wieder anderebekommen Spenden von kleinen und mittleren Unter-nehmen aus gewissen Branchen, wie etwa die Grünen.Unsere Parteienfinanzierung ist sehr gut austariert.Sie beruht sowohl auf Beiträgen als auch auf Spendenvon juristischen und natürlichen Personen und auf einerstaatlichen Parteienfinanzierung. Das Bundesverfas-sungsgericht hat dieses Dreisäulenmodell immer wiederbestätigt. Dieses Modell ist gerade deswegen positiv,weil es die Parteien nicht abhängig macht vom Staate,die Parteien nicht zu reinen Staatsparteien werden, diedarauf angewiesen sind, dass der Staat sie alimentiert.Die Parteien müssen vielmehr dafür sorgen, dass sieauch aus anderen Quellen Einnahmen erzielen.
Eine dieser drei Säulen, nämlich die Spenden von ju-ristischen Personen, will die Linke nun beseitigen. Die-ser Vorschlag erstaunt nicht; denn die Linke selbst erhältkeine Spenden von juristischen Personen. Insofern ist esnicht ganz uneigennützig, wenn die Linke einen Tatbe-stand beseitigen will, der sie persönlich nicht betrifft. Al-lerdings würde allen anderen Parteien, die Spenden vonjuristischen Personen erhalten, ein Nachteil zugefügt.Das ist durchsichtig und findet nicht unsere Zustim-mung.Wir sind im Einzelfall durchaus gesprächsbereit, zumBeispiel was die Ausweisung von Sponsoring angeht.Auch wir sind dafür, dass in den Rechenschaftsberichtender Parteien ein Höchstmaß an Transparenz hergestelltwird. Es wäre denkbar, Sponsoringeinnahmen im Re-chenschaftsbericht durch eine eigene Kategorie schärferabzusetzen und so deutlicher zu dokumentieren, woherdie Einnahmen stammen. An Widerstand von uns solldas nicht scheitern. Unsere Partei ist in der Lage, aufEuro und Cent genau auszuweisen, woher die Einnah-men stammen, auch wenn die Abgrenzung nicht immerganz einfach ist. Die FDP wäre durchaus bereit, Sponso-ringeinnahmen und Spendeneinnahmen getrennt darzu-stellen. Darüber würden wir mit Ihnen und anderen gernins Gespräch kommen.Wir wollen nicht, dass Spenden von juristischen Per-sonen pauschal untersagt werden. Ich finde es gerade
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30564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Stefan Ruppert
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richtig, wenn Menschen und Firmen bzw. juristischePersonen der Auffassung sind, dass die Demokratie ih-nen eine Spende wert ist. Es wird ja häufig beklagt, dassUnternehmen und andere sich nicht ausreichend für dasGemeinwohl einsetzen. Eine Spende für die Politik, fürdie Demokratie ist nicht unehrenhaft oder in irgendeinerForm eine Spende zweiter Klasse und hat auch kein Ge-schmäckle. Sie ist vielmehr eine Beteiligung an der Par-teienfinanzierung und damit an der Demokratie. Deswe-gen sollten wir solche Spenden nicht pauschal verbieten.Ein Letztes. Die Linken verweisen immer wieder aufden GRECO-Bericht. Dazu ist zu sagen: Deutschlandhat die allermeisten Anforderungen aus dem GRECO-Bericht sicherlich besser und stringenter erfüllt als vieleLänder, die den GRECO-Bericht ebenfalls erhalten. Ichglaube, Deutschland hat ein Höchstmaß an Transparenzin der Parteienfinanzierung, was nicht heißt, dass daseine oder andere nicht noch weiter verbessert werdenkönnte. Die FDP will daran mitwirken. Den Antrag derLinken lehnen wir allerdings ab.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Raju Sharma für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun, daSie alle fleißig Ihre Vorurteile gepflegt haben, wollenwir einmal zu den Fakten kommen.
Gerade wurde bekannt, dass Parteien mehr Geld ausder staatlichen Teilfinanzierung bekommen werden. AlsSchatzmeister meiner Partei freut mich das natürlich.Andererseits löst eine solche Meldung immer gewisseReflexe und Diskussionen aus, ähnlich wie bei Partei-spendenskandalen. Manche fordern, dass die Parteienzukünftig gar keine staatlichen Mittel mehr bekommenund sich ausschließlich durch Spenden und Beiträge fi-nanzieren. Wieder andere fordern ein totales Verbot vonSpenden und wollen eine Parteienfinanzierung aus-schließlich aus Steuermitteln.Wie bei vielen anderen Themen ist die Linke auchhier die Partei des Ausgleichs und der Vernunft.
Wir stehen zu dem gemischten System der Parteienfi-nanzierung, und das aus guten Gründen – sie sind hierauch schon genannt worden –: Die teilweise Steuerfinan-zierung hat das Parteienspektrum demokratisiert, weil esnicht nur eine Frage des Geldbeutels ist und sein darf, obsich Interessen in Parteien organisieren können. Gleich-zeitig müssen die Parteien in der Bevölkerung um Unter-stützung werben – und das nicht nur am Wahltag –, weilsie freiwillige Spenden und Beiträge brauchen.Für uns ist nur Bedingung, dass die Parteienfinanzie-rung transparent, demokratisch und fair ist.
Das System muss sicherstellen, dass sich niemand einePartei oder einen Politiker und damit Einfluss im Parla-ment kaufen kann.
Es muss sicherstellen, dass die Parteienfinanzierungtransparent ist, dass also stets erkennbar ist, wer wen wo-für bezahlt hat. Außerdem muss die Parteienfinanzie-rung einen fairen demokratischen Wettbewerb der Par-teien gewährleisten und fördern.Das hört sich gut an, vielleicht zu gut, um wahr zusein. Stimmt; denn in der Tat gibt es einige Schwachstel-len, die behoben werden müssen. Das sehen nicht nurwir so; auch die Staatengruppe gegen Korruption,GRECO, und der Bundestagspräsident haben Vorschlägedazu unterbreitet. Diese sind allerdings sämtlich an derKoalition abgeprallt, wie auch heute, was wohl nicht an-ders zu erwarten war.
Doch zum Glück gibt es die Linke.
Wir haben diese und ähnliche Forderungen in einem An-trag zusammengefasst: Wir wollen keine Unternehmens-spenden an die Parteien. Wir wollen eine Spenden-höchstgrenze für natürliche Personen in Höhe von25 000 Euro pro Jahr.
Wir wollen Parteiensponsoring verbieten, und wir wol-len keine Barspenden über 1 000 Euro.
Das sind ein paar ganz einfache, verständliche und prak-tikable Vorschläge von uns, von der Linken, vonGRECO und vom Bundestagspräsidenten. Eigentlichsollte man meinen, niemandem würde ein Zacken ausder Krone brechen, wenn er dem zustimmt.
Zu unserem Antrag haben wir nun noch einen Ände-rungsantrag vorgelegt; denn im Zusammenhang mit derDebatte um die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuer-recht sind wir darauf aufmerksam gemacht worden, dasses auch im Parteiengesetz eine solche Regelung gibt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30565
Raju Sharma
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Kaum zu glauben, aber wahr! Nach § 31 d des Parteien-gesetzes kommt nämlich auch derjenige ohne Strafe da-von, der wissentlich und willentlich die Herkunft oderVerwendung von Parteigeldern verschleiert hat, um dieÖffentlichkeit zu täuschen. Es gibt also Straffreiheit fürabsichtlich falsche Rechenschaftslegung, Straffreiheitfür schweren Betrug.Frau Fograscher, ich empfehle Ihnen wirklich, das imParteiengesetz einfach noch einmal nachzulesen. Es gehteben nicht nur um die versehentlich falsche Darstellung.Wir kennen das auch. Es gibt genug ehrenamtlicheSchatzmeisterinnen und Schatzmeister, denen ein sol-cher Fehler einmal unterlaufen kann. Es ist richtig, dassman dies, sobald man es erkennt, berichtigen kann unddie Partei ohne Strafe davonkommt. Diese Regelungaber besagt, dass man auch dann ohne Strafe davon-kommt, wenn man das wissentlich, absichtlich macht.Richtig absurd ist Folgendes: Überlegen Sie sich ein-mal, wann diese Regelung ins Parteiengesetz aufgenom-men wurde! Das war just nach dem Spendenskandal umLeisler Kiep, Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl undRoland Koch. Alle Parteien in diesem Haus – mit Aus-nahme der PDS natürlich – haben für die Einfügung die-ser Regelung ins Gesetz gestimmt, um die absichtlicheVerschleierung der Herkunft und Verwendung von Par-teispenden zu ermöglichen. Das geht aus unserer Sichtüberhaupt nicht.
Wir fordern daher, genau diesen Passus zu streichen.Vorsätzliche Straftaten gehören geahndet und nicht mitStraffreiheit belohnt. Das gehört unserer Meinung nachim Parteienrecht nicht anders geregelt als im Steuer-recht.Diese Vorschläge verfolgen gemeinsame Ziele: dieVermeidung unerwünschter Verquickungen zwischenWirtschaft und Politik und die Sicherstellung, dass dieWählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme entscheidenund nicht Unternehmen und Lobbyisten mit dickenScheckbüchern. Union und FDP hätten hier ja einmaldarlegen können, warum sie das so engagiert blockieren.
Wir finden das falsch.Die Linke ist übrigens – das wurde schon gesagt –längst vorgeprescht und nimmt freiwillig und bewusstkeine Spenden von Unternehmen an.
Das kann übrigens auch Spaß machen. Vertreter vonGrünen und CSU zelebrieren im Moment wechselseitigihre persönliche Abneigung. Das kann man machen,muss man aber nicht machen. Wenn Sie es machen, dannkann ich Ihnen etwas empfehlen, was richtig lustig ist,um dem anderen eins mitzugeben.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Sie können einfach auf eine Plakatspende der Linken
zugreifen. Gehen Sie auf www.die-linke.de, geben Sie
dort die Adresse Ihres Lieblingsgegners ein, und lassen
Sie dann zum Beispiel Herrn Ramsauer oder Frau Roth
pünktlich vor der Bundestagswahl ein rotes Großflä-
chenplakat vor die Tür stellen. Was glauben Sie, wie die
sich freuen!
Schöne Pfingsten.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich findees gut, dass wir diese Debatte führen, und möchte, HerrRuppert, Ihr Angebot, über das Sponsoring und dieTransparenz in diesem Bereich zu reden, gerne aufgrei-fen. Unsere Fraktion hat keinen Antrag, sondern einenGesetzentwurf zur Parteienfinanzierung, das Transpa-renzgesetz, eingebracht – er liegt beim Innenausschuss –,in dem diese Dinge geregelt werden. Der Gesetzentwurfenthält auch Punkte, von denen ich erfahren habe, dassSie sie nicht mittragen wollen.Ich finde es grundsätzlich richtig, zu sagen, dass wireine Obergrenze für Spenden brauchen. Sie selber habenes in Ihrer Partei gesehen: Wenn jemand Millionen spen-det, dann bekommen die politischen Entscheider dasnicht mehr aus dem Kopf, selbst wenn es gar keine Un-rechtsvereinbarung gegeben hat. Es nimmt auf eine be-stimmte Art und Weise auf die Integrität parlamentari-scher Entscheidungen der Parteien Einfluss und schadetder Legitimität unseres gemeinsamen Handelns. Wir ha-ben das im Zusammenhang mit der Mövenpick-Affäreausführlich diskutiert. Dieses Problem sollten wir durcheine Spendenobergrenze angehen.
– Das gilt für alle. Aber diese sind von ihrer Spendentä-tigkeit her für uns nicht so relevant.Ich finde den Vorschlag der Linken richtig – wirhaben das ebenfalls in unserem Gesetzentwurf aufgegrif-fen –, die Möglichkeit der Spende auf natürliche Perso-nen zu beschränken; dann kann trotzdem jeder spenden.Ich finde das vernünftig. Schließlich dürfen Unterneh-men auch nicht an Wahlen teilnehmen, obwohl sie legi-time Interessen haben.
Wir wissen doch, dass inzwischen über juristische Perso-nen Geldflüsse verschleiert werden: Es wird an Vereineund an Berufsverbände gespendet, die dann an die Par-teien weiterspenden. Am Ende ist der Rechenschaftsbe-
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30566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Volker Beck
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richt nicht mehr wirklich transparent; denn man weißnicht, wer hier eigentlich wem Geld gegeben hat. Mit ei-ner solchen Regelung wäre klar: Jeder kann spenden.Auch der Unternehmer kann aus seinem versteuertenEinkommen an die Parteien spenden. Die ersten paarTausend Euro kann er von der Steuer absetzen, den Resteben nicht. Damit wäre allen Genüge getan.Wenn die Spenden in ihrer Höhe gedeckelt sind, sor-gen wir auch dafür, dass das Werben um Spenden für dieParteien wichtig bleibt. Ich würde die Grenze nicht bei25 000 Euro sehen; das wäre ein bisschen sehr niedrig.Aber man kann darüber reden, wo der Höchstbetrag lie-gen muss. Bei einem vernünftigen Betrag wäre jeden-falls sichergestellt, dass eine Einzelspende nicht dazuführt, dass sich die politische Willensbildung einer Parteian ihren Spendeneinnahmen orientiert.
– Ich wusste gar nicht, dass man von der Regierungs-bank aus Zwischenrufe machen darf.
Wenn wir hier jetzt nicht weiterkommen – wir sind jaam Ende der Wahlperiode –, wäre ich bereit, mit Ihnenzunächst einmal eine Regelung auf Grundlage unseresGesetzentwurfs zu treffen, damit wir wenigstens bei derTransparenz des Parteiensponsorings weiterkommen.Gegenwärtig ist es so, dass der Bürger, die Öffentlichkeitinsgesamt und auch die politische Konkurrenz gar nichtsdarüber erfährt, außer es gibt einen Skandal. Im allge-meinen Geschäftsbetrieb der Parteien wird das als Ein-nahme im Gesamtvolumen verbucht, ohne dass wir wis-sen, woher das Geld kommt. Übrigens kann auch derBundestagspräsident, wenn er keinen Hinweis bekommt,nicht feststellen, ob in einem Sponsoringvertrag Spen-den versteckt sind. Stichwort „marktübliche Preise“:Wenn 1 Million Euro für einen kleinen Infostand von2 Quadratmetern auf einem Parteitag bezahlt wird, dannist das kein marktgerechter Preis.
Dennoch muss meines Erachtens das Buchen vonStänden auf Parteitagen gegen Gebühr als Sponsoringgrundsätzlich zulässig sein. Deshalb halte ich Ihr Spon-soringverbot auch nicht für sachgerecht. Parteien müs-sen die Möglichkeit haben, zu sagen: Wir eröffnen einForum. Wer dabei sein will, muss den Standpreis bezah-len. – Der Preis muss sich aber an den üblichen Messe-preisen orientieren und darf davon nicht exorbitant ab-weichen; ansonsten wäre es eine verdeckte Spende.
Das alles sehen wir gegenwärtig noch nicht. Das soll-ten wir dringend regeln. Je mehr Transparenz wir ge-meinsam erreichen, desto mehr wird das Ansehen vonParlament und Parteiendemokratie gestärkt.
Da es hier immer wieder Nachfragen gibt – manche zuRecht, manche zu Unrecht –, sollten wir uns als politi-sche Parteien darum bemühen, hier einen Schritt voran-zukommen. Wir sollten nicht auf den nächsten Skandalwarten, sondern aus eigener Initiative handeln. Wir ha-ben bis Ende Juni noch ein paar Wochen Zeit. Unser Ge-setzentwurf liegt vor. Ich biete ihn als Träger für einesolche Regelung an, Herr Ruppert. Wenn wir dazu insGespräch kommen, würde ich mich freuen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Demokratie stärken,
Lobbyismus verhindern und Parteienfinanzierung trans-
parenter gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13530, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9063
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung beim Verkauf
der TLG
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Heidrun Bluhm von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politischkorrekt oder moralisch vertretbar. Dabei hat vor allemder Bund eine entsprechende Vorbildwirkung. Im Zu-sammenhang mit dem Verkauf der TLG Wohnen GmbHund auch der TLG Gewerbe GmbH haben wir überKleine Anfragen Dinge herausgefunden, die hier öffent-lich vorgetragen werden müssen.Meine Kritik geht im Wesentlichen in drei Richtun-gen. Der erste und für die Mieterinnen und Mieter si-cherlich wichtigste Punkt ist: Die vielgerühmte Sozial-charta, die mit der TAG Immobilien AG vereinbartworden ist, ist keinen Pfifferling wert.
Sie schützt vor allem nicht vor Mieterhöhungen. Wir se-hen schon jetzt an ganz konkreten Beispielen wie inDresden, dass eine Wohnung nach der Weitervermietung25 Prozent teurer ist, obwohl sich an der Wohnung sel-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30567
Heidrun Bluhm
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ber nichts verändert hat. Genau das wollten wir verhin-dern, als es um die Privatisierung ging; aber es ist nun soeingetreten. Das muss sich die Regierung vorwerfen las-sen.
Der zweite Punkt ist der Skandal um die Grunder-werbsteuer und die Verkaufserlöse. Der Bund hat offen-bar ganz bewusst
– so jedenfalls muss man das aus den Antworten derBundesregierung auf unsere Anfragen herauslesen – beibeiden Verkäufen Share Deals gewählt, um möglichstviel Geld zum Löcherstopfen für den Haushalt herauszu-schlagen, und zwar auf Kosten der ostdeutschen Bundes-länder, die um insgesamt 80 Millionen Euro Grunder-werbsteuer gebracht worden sind.
Die ostdeutschen Bundesländer werden also ein zwei-tes Mal über den Tisch gezogen. Denn nachdem sich dieBundesrepublik zum ersten Mal die Immobilien einver-leibt hat, ohne selber einen roten Heller dafür zu zahlen,wird sie jetzt ein zweites Mal ein Geschäft damit ma-chen, indem sie diese Verkaufsform gewählt, sich selbstdie Kassen gefüllt und die Bundesländer, die diese Woh-nungen als öffentliche Wohnungen verloren haben, um80 Millionen Euro geprellt hat.
Ob die Bundesregierung damit durchkommt, wird sichnoch zeigen.Der andere Teil dieses Skandals ist der Verkaufserlös.Die Bundesregierung hat die gewählte Art des Verkaufsauch damit begründet, dass man bei einem Unterneh-mensverkauf mehr erzielen könne als bei einer Immobi-lienveräußerung im Einzelnen. Was aber hat sie zuwegegebracht? Ein bewusstes Verschleudern von öffentli-chem Eigentum weit unterhalb des Verkehrswertes. DieBundesregierung hat den Verkehrswert bei der TLG Un-ternehmen mit insgesamt 1,858 Milliarden Euro angege-ben, bevor der Verkaufsvorgang in Angriff genommenwurde. Offenbar hat sie dabei mit dem Zwölffachen derjeweiligen Jahresmiete gerechnet. Verscherbelt hat siedas ganze Paket aber für 1,571 Milliarden Euro, also287 Millionen Euro unter dem Verkehrswert. Es warenaber keine Schrottimmobilien, die verkauft worden sind,sondern Wohn- und Gewerbeimmobilien zum großenTeil in besten Lagen, in gutem Zustand, mit einem hohenVermietungsstand und vor allem durchsaniert. Es be-stand also angesichts der Nachfragesituation auf demdeutschen Immobilienmarkt überhaupt keine Notwen-digkeit, private Investoren auf diese Weise zu beschen-ken.Da die Bundesregierung sich in dem ganzen Verfah-ren und in ihren Antworten auf unsere Kleinen Anfragenso gern auf das europäische Beihilferecht beruft, ist jetztnicht nur zu fragen, ob dieser Verkauf nach der Bundes-haushaltsordnung zulässig war, sondern auch, ob einVerstoß gegen das europäische Beihilferecht vorliegt.Das verbietet nämlich den Verkauf öffentlichen Eigen-tums unterhalb des Verkehrswertes.
Auch in der Bundeshaushaltsordnung heißt es in § 63Abs. 3 Satz 1, dass Beteiligungen des Bundes nur zu ih-rem vollen Verkehrswert veräußert werden dürfen.Der dritte Punkt – das ist der Punkt, den wir haupt-sächlich ankreiden – ist die offensichtliche Kungeleizwischen dem Finanzministerium, der Barclays Bankund der TAG. Die Bundesregierung heuerte die BarclaysCapital Bank als Transaktionsberaterin für die Privatisie-rung der TLG-Unternehmen an und honorierte sie dafür.Barclays versicherte dafür hoch und heilig, dass sie aus-schließlich für die Verkäuferseite handele und für nie-manden sonst. Das tat sie aber nicht. Die Barclays Bankverschaffte der TAG innerhalb des Bieterverfahrens diefinanziellen Mittel, damit sie sich überhaupt beteiligenkonnte. Eine Bank tut so etwas nicht umsonst, sondernlässt sich dafür ebenfalls honorieren. Aus einer Antwortder Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage gehtFolgendes hervor:Nur durch eine Beteiligung der Barclays Bank PLCan dem Bankenkonsortium war es den Erwerberge-sellschaften aus dem Konzern der TAG Immobilienmöglich, sich … gegenüber dem Bund zur Zahlungdes Kaufpreises zu verpflichten.Mit anderen Worten: Ohne diese Beteiligung der Bar-clays Bank hätte die TAG keine Transaktionssicherheitnachweisen können und hätte am Bieterverfahren nichtweiter teilnehmen dürfen. Die Bundesregierung hat vondiesem doppelten Spiel nicht nur gewusst. Sie hat esauch aktiv befördert.Zur Krönung des Ganzen will uns die Bundesregie-rung auch noch weismachen, dass dieses Geschäftsgeba-ren keine Verletzung der Prinzipien eines strukturiertenBieterverfahrens bedeutete, weil zwischen den Teamsinnerhalb der Barclays Bank eine sogenannte ChineseWall bestanden habe. Für wie dumm wollen Sie uns ei-gentlich verkaufen? Chinesische Mauern waren viel-leicht beeindruckend, als die Menschen noch mit Pfeilund Bogen aufeinander losgegangen sind und die Kom-munikation über Brieftauben und Rauchzeichen verlief.Aber heute? Kennen Sie eine Bank, die bei einem drei-stelligen Millionenengagement nicht ganz genau wissenwill, welche Farbe die Blümchen auf den Socken des Er-werbers haben?Dieser Verkaufsvorgang der TLG Immobilien magvielleicht rechtlich möglich gewesen sein. Aber ganz si-cher war er politisch nicht zu verantworten und gegen-über den mit verkauften Mieterinnen und Mietern mora-lisch nicht vertretbar.
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30568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Mein letzter Satz. – Jeder Privatperson hätten Sie die
Steuerfahndung auf den Hals gehetzt, wenn diese Glei-
ches getan hätte.
Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Norbert Brackmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die heutige Aktuelle Stunde mit dem Vorwurfirgendeiner Kungelei einzuleiten, finde ich sehr vermes-sen.
– Ja, bei der Wahrheit muss man bleiben. Liebe Kollegin-nen und Kollegen von der Linken, 28 Mitglieder IhrerFraktion haben die FAIRWOHNEN gegründet und woll-ten sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – unteranderem haben sie behauptet, sie hätten ein Finanzie-rungsmodell – am Verfahren zum Erwerb der TLG Immo-bilien beteiligen. Sie sind nicht zum Zuge gekommen,weil sich herausgestellt hat, dass die Finanzierung nichtsichergestellt ist. Sie haben uns im Haushaltsausschussjedes Mal über den aktuellen Stand ausfragen wollen, ob-wohl sie selbst einer der Bewerber waren. Wenn das nichtmoralisch anrüchig ist, dann weiß ich nicht, was Sie mitKungelei meinen.
So geht es weiter. Sie haben die heutige AktuelleStunde beantragt. Ich weiß nicht, was für Sie aktuell ist.Ist es für Sie noch aktuell, wenn es sich um einen Vor-gang aus diesem Jahr handelt? Sie weisen jedenfalls aufeine große Mieterhöhung hin. Ich habe noch gestern beiTAG Immobilien nachgefragt, ob es einen solchen Fallgibt. Unter den rund 11 500 Mietverträgen gibt es keineneinzigen Fall einer derartigen Mieterhöhung.
– Es gibt keinen einzigen Fall. – Sie spielen offenbar– deswegen übe ich Kritik an dieser Aktuellen Stunde –auf einen Fall vom 5. März in Report an. Damals ging esdarum, dass einem Neumieter ein Vertrag angebotenwurde, der eine Miete vorsah, die um 20 Prozent höherwar als die nach dem alten Vertrag.
Das mögen Sie und andere beklagen, aber das ist einganz anderer Fall. Es handelt sich nicht um einen Fallvon Mieterhöhung, in dem der Mieterschutz mit Füßengetreten wurde, wie Sie das suggerieren. Das Gegenteilist der Fall.Sie werden kaum einen anderen Verkaufsvertrag fin-den, der eine so komfortable Sozialcharta beinhaltet wieder hier infrage stehende.
– Was heißt „nichts wert“? – Es gibt bislang – auch dashabe ich gestern erfragt – keine einzige Klage eines Mie-ters, die dem Ombudsmann vorgetragen wurde. Wir alsVerkäufer finanzieren eine Ombudsstelle, die durchausin der Lage ist, den Mietern zu helfen, wenn diese esselbst nicht können. Ich frage Sie: Wo sonst gibt es einesolch soziale Verkaufspolitik, bei der man diesen Mieter-schutz auch noch nachträglich über mehrere Jahre anbie-tet? Dafür gibt es kein zweites Beispiel, meine sehr ver-ehrten Damen und Herren. Eine Bundespolitik, diedarauf gerichtet ist, den Mietern einen guten Mieter-schutz zu geben, sich selbst von Aufgaben zu trennen,die man nicht mehr braucht, im Nachhinein so sehr inMisskredit zu ziehen, das ist durch nichts zu rechtferti-gen.
Last, but not least finde ich es auch etwas vermessen,davon zu sprechen, hier seien die neuen Länder bei derGrunderwerbsteuerklausel über den Tisch gezogen wor-den. Es sind bei der Vorbereitung 20 Millionen Euro anGrundsteuer fällig geworden. Weil Sie, Frau KolleginBluhm, darauf verweisen, dass wir hier europäischesWettbewerbsrecht zu beachten haben, muss Ihnen ei-gentlich auch klar sein, dass der Bund als Verkäufer aufdie unternehmensrechtliche Gestaltung der Käufer – hierhat der Käufer die geltenden Rechtsvorschriften, wie sienun einmal sind, in der Weise ausgenutzt – überhauptkeinen Einfluss nehmen darf. Man kann die Vorschriftenbeklagen, aber man kann nicht beklagen, dass ein Käuferdas so gestaltet. Jedenfalls wir als Verkäufer hattenrechtlich überhaupt keine Chance, auf den Käufer einzu-wirken,
mit ihm zu kungeln – um Ihr Wort aufzugreifen –, umdas in der Form zu gestalten, wie Sie das hier heute an-sprechen. Das geht schon ein Stück in die falsche Rich-tung.Mit solch falschen Vorwürfen den Bund zu behelli-gen, ist nicht nur unmoralisch; es dient auch den Mieternnicht. Das hier ist offenkundig die Fortsetzung dessen,womit Sie diese Diskussion begonnen haben. Es ist derVersuch, als Linke einmal jemanden zu finden, der dieeigene Politik unterstützt.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30569
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Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker
von der SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Kollege Brackmann, es geht hier nichtdarum, die Position der Linken oder die Politik der Lin-ken im Allgemeinen zu unterstützen. Wir befassen unsmit einem gravierenden Vorgang. Ich finde, wir befassenuns hier heute mit einem Skandal. Das ist der Punkt.
Wir führen in diesem Hause seit einem halben Jahreine Diskussion zum beabsichtigten und jetzt vollzoge-nen Verkauf der TLG-Wohnungen. TLG Wohnen undTLG Immobilien, zwei Firmen, die abgespalten wordensind, beschäftigen uns seit über einem halben Jahr. DiePosition der Sozialdemokratie war immer, beim Verkaufdes Wohnungsbestandes auch lenkende Elemente, struk-turpolitische Elemente mit ins Spiel zu bringen,
nämlich zu überlegen: Was können wir in einer Situationtun, in der der Wohnungsmarkt in vielen Regionen ange-spannt ist? Suchen Sie in Berlin mal eine Wohnung! Ge-hen Sie mal am Wochenende los! Dann sehen Sie, wieviele Leute da jeweils stehen. Das ist in Hamburg, inStuttgart, in München und auch in anderen Städten so.
In einer solchen Situation die begrenzten Chancen einerSteuerung nicht zu nutzen, das ist wohnungspolitischnicht zu verantworten.
Sie wissen, dass Mieten und Nebenkosten steigen. Hierhätte ein Akzent gesetzt werden können, auch wenn essich nur um 11 500 Wohnungen handelt.Die SPD hat aus gutem Grund gesagt: Wir wollen die-sen Verkauf am Wohnungsmarkt nicht. Wir wollen, dassden Kommunen, den kommunalen Wohnungsgesell-schaften und den Wohnungsgenossenschaften Angebotegemacht werden. Im vorigen Jahr war das Jahr der Ge-nossenschaften. Ihre Bundeskanzlerin war beim Genos-senschaftstag und hat die Bedeutung der Genossenschaf-ten in Deutschland über den grünen Klee gelobt. Als ichdas gelesen habe, habe ich mich gefragt: Warum setzt siedas eigentlich nicht beim Verkauf der TLG-Wohnungenum? Da hätten wir einen schönen Akzent setzen können.
Zu dem gravierenden Fehler, dass die Steuerungs-möglichkeit durch den Verkauf an kommunale Unter-nehmen und Genossenschaften aufgegeben worden ist,kommt jetzt das Problem hinzu, dass Grunderwerbsteuerverloren gegangen ist. Das bringt die Diskussion heuteauf den Punkt.
– Im Bundesrat, Herr Staatssekretär, war in Verbindungmit dem Jahressteuergesetz eine von mehreren Forde-rungen, dass genau dieses Steuerschlupfloch geschlossenwird. Jetzt kommt der Bundesrat zum dritten Mal mit ei-nem Gesetzgebungsverfahren, bei dem es wieder gefor-dert wird. Wer hat das in diesem Haus blockiert? Daswaren die Kolleginnen und Kollegen auf der rechtenSeite des Hauses.
Wir hätten den Kompromiss des Vermittlungsausschus-ses beschließen können. Dann wäre das Steuerschlupf-loch geschlossen. Es wäre allerdings für den Verkauf imvorigen Jahr zu spät gewesen. Das muss ich dazusagen.Wir hätten den Verkauf aber anders abwickeln können.Deswegen sage ich an dieser Stelle: Sowohl struk-turpolitisch als auch steuerrechtlich ist es ein schwererFehler, Herr Staatssekretär. Das müssen Sie sich insStammbuch schreiben lassen. Ins Stammbuch schreibenlassen muss sich das auch das Bundesministerium fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung. Herr Bundesminis-ter Dr. Ramsauer ist heute nicht anwesend. HerrFerlemann, Sie müssen immer das ausbaden, was IhrMinister öffentlich verkündet und nicht einhält. Sie müs-sen immer Ihren Kopf hinhalten. Ich erinnere daran, dassder Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung, Dr. Ramsauer, Chef einer Taskforce ist, die BImA-Liegenschaften vermarkten soll.
Ich erinnere daran, dass Herr Dr. Ramsauer am Sonn-tagabend in seinem Wahlkreis anscheinend immer An-wandlungen bekommt, was man in Berlin machenkönnte. Von Dr. Ramsauer ist die Errichtung eines Kon-versionsfonds vorgeschlagen worden. Das war sicherlichkeine schlechte Idee. Hier hätte man strukturpolitisch et-was machen können, man hätte nicht generell Bundes-vermögen verschenken müssen, aber mit Einnahmen ausdem Konversionsprogramm gestalten können. DerMinister hat vorgeschlagen, aus BundeswehrkasernenStudentenwohnungen zu machen. Was ist aus dem Kon-versionsfonds geworden? Ich habe die Bundesregierungdazu befragt. Die Bundesregierung hat gesagt: Das wirdnicht verfolgt. Von Studentenwohnungen in Bundes-wehrkasernen tief im Walde – im Odenwald oder der Lü-neburger Heide – ist mir bisher noch nichts bekannt ge-worden.
Deswegen frage ich: Wozu haben wir einen Bundes-minister Ramsauer, der hierfür zuständig ist, wenn ersich dieser Thematik hier nicht stellt und keine konkre-ten Vorschläge vorlegt und diese dann umsetzt? In einer
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30570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Hans-Joachim Hacker
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Zeit, in der wir über Steuersünder-CDs, über Fälle vonbekannten Managern in Fußballklubs sprechen, sage ichauch, dass es eine schreiende Ungleichbehandlung zwi-schen großen Konzernen, die gewinnorientiert arbeiten,und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und -ge-nossenschaften gibt. Es ist noch viel mehr eine Un-gleichbehandlung gegenüber dem kleinen Häuslebauer,der in den Ländern natürlich fleißig seine 4 oder 5 oder5,5 Prozent Grunderwerbsteuer bezahlen muss und sichin kein Schlupfloch zurückziehen kann.Jetzt geht es darum – ich will die Forderungen zusam-menfassen –, dieses Steuerschlupfloch zu schließen. Dasliegt auch in der Verantwortung dieses Hauses. NutzenSie die Chance, den Schaden, den Sie für die Länder an-gerichtet haben, bei den Beratungen über die gesetzlicheRegelung zu den Ausgleichsmaßnahmen für den Woh-nungsbau in den neuen Ländern einzustellen. MachenSie endlich eine Politik, die zu mehr Wohnungsbauführt. Setzen Sie endlich eine Politik fort, die Steuerhin-terziehung, die Steuerschlupflöcher ausschließt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist meine Botschaft aus dieser Diskussion.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick
Kurth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ak-tuelle Stunde bietet sich an, noch einmal darzustellen,wer in diesem Land „Privat vor Staat“ repräsentiert undwer es anders sieht. Linke und Privatisierung – Teufelund Weihwasser. Jetzt muss auch die TLG dafür herhal-ten, die weltanschauliche Lehre darzustellen. Sie arbei-ten sich seit Monaten mit Kleinen Anfragen und Anträ-gen ab. Wenn es aber konkret wird, wenn Sie wirklichentscheiden könnten, dann tun Sie nichts. Sie glänzendurch Abwesenheit.Das Bundesfinanzierungsgremium tagte am 26. April.Ein Punkt auf der Tagesordnung war die Privatisierungder TLG. Abwesend: Die Linke. Kein ordentliches Mit-glied, kein stellvertretendes Mitglied. Schönes Wahl-kampffeuerwerk mit zum Teil aberwitzigen Vorwürfen,das Sie hier abfackeln.
– Herr Hacker, ich habe Sie gerade angesprochen. Gut,dass Sie hereinrufen, dann können wir das diskutieren.Gerade Sie haben eben behauptet – damit komme ich zumeinem ersten Punkt –, dass der Wohnungsmangel unddie starke Wohnungsnachfrage, zum Beispiel in Berlin,begrenzt werden könnten, indem man staatlichen Woh-nungsbau oder staatliches Wohneigentum forciert. Ge-rade hier in Berlin – das wissen Sie – sind es doch diestaatlich Verantwortlichen, die Nachbau, Umbau, Aus-bau und Neubau verhindern, die bremsen und dadurchdiesen Mangel herbeiführen.
Wenn Sie dann auch noch im Zusammenhang mitdem Thema, über das wir hier reden, von Stuttgart, Mün-chen und Hamburg sprechen, dann finde ich das einStück weit putzig. Ich sage Ihnen: Neben den genanntenGroßstädten gibt es eine ganze Menge kleinerer Regio-nen, Orte und Städte, die ebenfalls betroffen sind,
in denen es diesen Mangel nicht gibt. Wem sage ich das?Meine ostdeutschen Kollegen kennen den Sachverhalt.Denn gerade bei uns bestehen diese Probleme doch.
Zweiter Punkt. Die entgangene Grunderwerbsteuerkann man durchaus kritisch betrachten; das ist richtig. Esist doch aber ein rot-grünes Gesetz gewesen, in das dieseKlausel hineingeschrieben wurde. Dieses Gesetz wurdeim Jahr 2001 verabschiedet. Wir haben jetzt eine Bun-desregierung, die dieses Land seit vier Jahren gut regiert.Diese Bundesregierung will diese Rechtslage im Jahres-steuergesetz 2013 ändern. An wem scheitert es aber? AnRot-Grün im Bundesrat. So funktioniert es nun auchnicht.
– Werfen Sie uns nicht den Unsinn vor, den Sie selberverzapfen.
Dritter Punkt. Sie fordern gewissermaßen, den Ge-winner des Bieterverfahrens vorher auszusuchen. Das istin einem Bieterverfahren schwierig. Wie soll man es inrechtsstaatlicher und vertraglicher Hinsicht machen, sichvorher vorzustellen, wer denn der Gewinner sein kann?Bitte werfen Sie der Bundesregierung, die vier Jahre gutregiert hat, nicht vor, dass sie sich an Recht und Gesetzhält. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, ein Land zuregieren.Vierter Punkt. Es heißt, die Bundesregierung hätteVolksvermögen unter Wert verschleudert. Erst einmalmuss man fragen: Was ist denn ein Verkehrswert? Selbstdie, die diesen Verkehrswert ermitteln, sind manchmalsehr unterschiedlicher Auffassung. Meistens gibt es ebenkeinen festen Marktpreis.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30571
Patrick Kurth
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– Ich will es ja nur sagen. – Den Endverbrauchspreis hat-ten wir lange. Er hat sich aber eben nicht bewährt. DieBundesregierung versucht, darauf zu verzichten. Sie darfeinen staatlich festgelegten Verkaufspreis in einem Bie-terwettbewerb auch gar nicht in irgendeiner Weise einfü-gen. Wie soll das funktionieren? Es ist quasi unmöglich,im Bieterwettbewerb einen Preis festzulegen.Folgendes muss gesagt werden: Der Preis, der erzieltwurde, ist nicht niedrig. Es handelt sich nicht um einekleine Summe. Es wurde ein ordentlicher Preis gezahlt.Ich weiß nicht, was Sie persönlich in Ihrer Preisbewer-tung vorgesehen oder was Sie sich erhofft haben. Ichkann nur sagen: Der Preis ist in Ordnung.Fünfter Punkt. Sie sagen, die Mieter seien Opfer. Sieschüren Ängste und sprechen zum Teil von Heuschre-cken und Ähnlichem. Die Bundesregierung hat vierJahre lang Verantwortung getragen. Das hat sie gut ge-macht.
In die Verkaufsverträge wurde die sogenannte Sozial-charta aufgenommen, auch mit Blick auf die Mieterhö-hungen. Es wurde außerdem eine vom Bund finanzierteOmbudstelle eingerichtet. Wie viele Mieter haben dennjetzt Verstöße gemeldet? Wissen Sie das? – Keiner.
Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein weiterer guterGrund, warum diese Bundesregierung dieses Land of-fensichtlich vier Jahre sehr gut regiert hat.Unterm Strich: Die Vorwürfe sind haltlos. Die Erfah-rung zeigt – das sehen Sie an Dresden; Dresden ist durcheben einen solchen Verkauf schuldenfrei geworden –: Esfunktioniert.
Manchmal ist Privat vor Staat besser. Dieser Teil desHauses, die Bundesregierung und die Koalition, wird esweitere vier Jahre für Deutschland gut machen.Herzlichen Dank.
Für das Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Daniela Wagner.
Herr Kurth, ob Dresden hier ein leuchtendes Beispielist, sei dahingestellt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befas-sen uns schon seit Monaten mit dem Vorgang der Pri-vatisierung der bundeseigenen TLG Wohnen GmbH.Obwohl wir im Parlament versucht haben, den Verkaufs-prozess so intensiv wie möglich zu begleiten, kommenimmer wieder neue Informationen ans Licht. Sie habenuns Parlamentarier nicht ausreichend informiert und tundas bis heute nicht wirklich. Die Fraktion Die Linke undwir haben mittlerweile jeweils zwei Kleine Anfragen ge-stellt, die SPD eine, und aus den Antworten ergeben sichimmer wieder nur neue Fragen. Das ist eine Salami-taktik, und dieses Verhalten ist nicht nur in Bezug auf dieAbgeordneten des Deutschen Bundestages äußerst be-denklich, sondern auch und gerade in Bezug auf dieMieterinnen und Mieter der Wohnungen aus dem bun-deseigenen Bestand der TLG Wohnen.
Sie wissen nämlich eigentlich gar nicht mehr, welcheFirma eigentlich ihr Vermieter ist und wer oder was sicheigentlich hinter all diesen verschachtelten Konstruktenverbirgt: Wem gegenüber können sie ihre Rechte einkla-gen und die Regelung der Sozialcharta gegebenenfallsgeltend machen? Wer genau ist eigentlich bei einem der-art verschachtelten Konstrukt der Ansprechpartner, derden Mietern gegenüber Rechenschaft schuldig ist?Auch Sie scheinen den Überblick längst verloren zuhaben. Immerhin geben Sie zu, dass Ihnen nicht bewusstwar, dass die Barclays Capital Bank zumindest zeitweise9,3 Prozent der Stimmanteile an der TAG ImmobilienAG gehalten hat. Was wussten Sie denn bei dem Vor-gang noch alles nicht?Zudem verfolgen Sie eine Doppelstrategie: Zum ei-nen sah der Entwurf des Jahressteuergesetzes noch 2012vor, die sogenannten Share Deals und die entsprechen-den Regelungen abzuschaffen. Auf der anderen Seiteentschieden Sie sich für einen Anbieter, der die RETT-Blocker-Struktur, also eine Strategie zur Vermeidung derZahlung der Grunderwerbsteuer, gewählt hat. Damitsind den Ländern Grunderwerbsteuern in Millionenhöheentgangen; hier ist von 20 Millionen Euro oder von80 Millionen Euro die Rede. Sie wollen uns gar nicht sogenaue Angaben machen. Angesichts der Schulden-bremse und der absolut notwendigen Haushaltskonsoli-dierung können wir uns diese Strategie keineswegs leis-ten.
Geht man davon aus, dass der Staat bei einer Privati-sierung wie ein privater Unternehmensveräußerer han-delt, dann muss er das höchste Gebot wählen. Aber derStaat ist eben nicht ein gewinnmaximierender Akteur,sondern übernimmt in seinem Regierungshandeln Ver-antwortung, vor allem für die Folgen seines Handelns.Das muss er umso mehr tun, wenn es sich bei der„Ware“ um vermietete Wohnungen handelt. Damit Mie-terinnen und Mieter nicht verunsichert werden, muss
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30572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Daniela Wagner
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größtmögliche Transparenz gewährleistet sein. Dochwas hier bleibt, ist ein ziemlich fader Beigeschmack, ins-besondere was die Rolle der Barclays Bank betrifft.
Die Barclays Bank sollte für die TAG Immobilien AG30 Millionen Aktien verkaufen, damit genügend Kapitalfür den Kauf der bundeseigenen TLG Wohnen GmbHzur Verfügung steht. Wenn das nicht ausreichte, ermög-lichte die Barclays Bank der TAG eine Brückenfinanzie-rung über einen Kredit in Höhe von 200 Millionen Euro.Zwischenzeitlich übernahm sie sogar 9,3 Prozent derStimmanteile der TAG. Auch auf der Verkäuferseitespielt die Barclays Bank mit: Sie wird zum Transak-tionsberater für das Bundesfinanzministerium.Sogenannte Chinese Walls sollten den Informations-austausch verhindern. Dass das keineswegs funktioniert,wissen Sie so gut wie ich. Es stellt sich also die Frage:Wer kontrolliert das überhaupt? Vor allem im Hinblickauf den Prozess der Erstellung der Sozialcharta ist frag-lich, welche Rolle die Barclays Bank da gespielt hat. Hatsie tatsächlich nur als Transaktionsberater fungiert? Wa-rum konnte sie als Dritte an der Erstellung der Sozial-charta beteiligt sein, nicht aber der Mieterbund? DieBarclays Bank war in ihrer Rolle als Käufer und Trans-aktionsberater beteiligt, aber andere Berater, zum Bei-spiel der Mieterbund, nicht. – All das sind Fragen, dievöllig ungeklärt sind. Das ist nicht hinzunehmen.In Ihrer Antwort auf die Frage 21 unserer KleinenAnfrage schreiben Sie:Stattdessen ist die letztendlich vereinbarte „Sozial-charta“ das Ergebnis von bilateralen Verhandlungenmit dem Erwerber .In einer vorhergehenden Antwort schreiben Sie aber,dass die Barclays Bank auch als Transaktionsberater be-teiligt war. Das, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, kann so nicht sein.Angesichts dieser Konstruktion wird mir immer kla-rer – ich verstehe es immer besser –, weswegen die Bun-desregierung nie ein ernsthaftes Interesse daran gehabthat, die Wohnungen direkt an kleine kommunale Woh-nungsunternehmen oder an Genossenschaften zu verkau-fen, obwohl dies wohnungspolitisch in dieser Situationdas einzig Vernünftige gewesen wäre:
Die Barclays Bank war für Sie der perfekte Dienstleister,sowohl für die Käufer- als auch für die Verkäuferseite.Die Frage bleibt nur – sie wird auch heute wieder nichtbeantwortet werden –: Ist das tatsächlich auch die per-fekte Situation für die Mieterinnen und Mieter? – Ichkann ihnen heute schon sagen: Das wird sie nicht sein.Wir werden feststellen, dass sich dort genau die Prozesseabspielen werden, die sich bei Privatisierungen andererArt, übrigens auch in Dresden, abgespielt haben, als zumSchluss die Einhaltung der Sozialcharta auf dem Rechts-weg erstritten werden musste. Das kann es ja wohl nichtsein.
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauWagner, Herr Hacker, ich möchte zu Beginn die Fragestellen, ob wir einen Vorgang wie diesen tatsächlich aufder Basis sachfremder Mutmaßungen und irreführenderVorwürfe diskutieren wollen.
Diese Diskussion dient aus meiner Sicht nicht der Sache.Ich weiß auch nicht, welches Anliegen Sie – bei der Lin-ken ist es mir eher klar – damit verfolgen.Vielleicht hilft es dem Verständnis, wenn ich nocheinmal in Erinnerung rufe, dass die TLG Immobilien sei-nerseits aus der Treuhandgesellschaft hervorgegangen istund damit die Aufgabe hatte, die gewerblichen Liegen-schaften und Wohnobjekte bzw. ihre Beteiligungsunter-nehmen aus dem ehemaligen Volksvermögen der DDRnach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu ver-werten, zu verwalten und zu entwickeln.
Diese Aufgabe – hier scheint möglicherweise ein Miss-verständnis vorzuliegen – ist seit dem Jahr 2000 im We-sentlichen abgeschlossen.Seit diesem Jahr ist die TLG Immobilien GmbH inOstdeutschland auf der Basis geltenden Rechts ein ge-winnorientiertes Immobilienunternehmen. Es hat sich imMarkt entwickelt, übrigens mit jährlichen Gewinnmar-gen im zweistelligen Bereich und einem ansehnlichenBestand sowohl an Gewerbeimmobilien als auch an ver-walteten Wohneinheiten. Daraus hat sich ein attraktivesPortfolio gebildet.
– Das Betreiben eines Immobilienunternehmens ist nichtdie Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30573
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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Die Bundeshaushaltsordnung – ich verweise auf § 63 derBundeshaushaltsordnung – verpflichtet die Bundesregie-rung seit 2000 zur Privatisierung dieses Unternehmens.Ich war mir in meiner Funktion als Beauftragter fürdie neuen Länder immer bewusst, dass das eine sehr sen-sible Entscheidung ist, gerade auch, weil es vorher einePhase gab, in der es einen klaren Entwicklungsauftraggegeben hat. Ich habe mich deshalb mehrmals darum ge-kümmert, zu erfahren, wie es mit den Entscheidungensteht. Insbesondere mit dem Finanzministerium habe ichintensiven Kontakt gesucht.Weil das so gewesen ist und weil ich mich als Beauf-tragter für die neuen Länder wiederholt damit auseinan-dergesetzt habe, möchte ich heute ausdrücklich aus mei-ner Funktion heraus den beteiligten Häusern attestieren,dass sie die Privatisierungsentscheidungen verantwor-tungsbewusst im Rahmen des geltenden Rechts vorge-nommen haben und dadurch die Interessen der Mieterin-nen und Mieter im Blick gehabt haben.
– Sie mögen ein politisches Interesse haben, die Dingeganz anders darzustellen,
aber lassen Sie mir bitte, als demjenigen, der versuchthat, die Interessenlage der Betroffenen im Blick zu be-halten, die Möglichkeit, mein Ergebnis der bisherigenÜberprüfung hier öffentlich mitzuteilen.
Meine Damen und Herren, dafür sprechen nun Ent-scheidungen wie die Entscheidung der Sozialcharta fürden Mieterschutz. Ich muss wahrscheinlich, da Sie dieDinge alle aus dem Fachausschuss kennen, hier nichtnoch einmal die einzelnen Punkte zitieren; aber viel-leicht ist es ja auch für andere Zuhörer wichtig. Dies sindder Schutz vor Kündigung wegen Eigenbedarfs und we-gen einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung fürdie Dauer von fünf Jahren, der Schutz vor Mieterhöhungwegen Luxussanierung für die Dauer von zehn Jahrensowie der Schutz vor Kündigung für ältere Bestandsmie-ter. Den Mietern und deren Angehörigen wird im Falledes Verkaufs einzelner Wohnungen ein weitreichendesVorkaufsrecht eingeräumt.
Bereits erwähnt wurde die vom Verkäufer finanzierteEinrichtung eines Ombudsmanns, bei dem bis heute –dieser Umstand müsste Ihnen doch zu denken geben –
nicht eine einzige Klage aus der Mieterperspektive ein-gegangen ist.
Ich rede jetzt im Moment noch gar nicht von den Zuge-ständnissen an die TLG-Beschäftigten, die in diesem Zu-sammenhang ebenfalls gemacht wurden.Was nun den Kaufpreis betrifft, so kann ich an dieserStelle nur mit einer gewissen Verwunderung feststellen,dass Sie auf der einen Seite Anlass dafür sehen, zu sa-gen, hier sei Volksvermögen an irgendeinen Investorverschleudert worden, aber auf der anderen Seite dochdie große Sorge haben, die öffentliche Hand habe hier-mit im Grunde genommen unter dem Gesichtspunkt derGewinnmaximierung etwas aus der Hand gegeben, fürdas sie eigentlich eine soziale Vorsorge hätte treffen sol-len. Beides passt nicht zusammen.
– Auf die Steuerrechtsfrage muss ich jetzt nach dem,was gesagt wurde, wahrscheinlich überhaupt nicht mehreingehen.
Im Interesse der Menschen in den neuen Bundeslän-dern kann ich Sie nur auffordern, an diesem Punkte nichtmit Unterstellungen und mit diffamierenden Mutmaßun-gen zu arbeiten. Wir haben allen Grund, dies als eineverantwortbare Entscheidung darzustellen.
Dazu fordere ich Sie herzlich auf.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Andrea Wicklein.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sie von der Bundesregierung, HerrStaatssekretär Bergner, müssen sich den Vorwurf gefal-len lassen: Sie haben 11 500 ostdeutsche Wohnungenverscherbelt und verjubelt.
Dabei machen wir einen ganz klaren Unterschied zwi-schen Gewerbeimmobilien und Wohnungen.
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30574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Andrea Wicklein
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Sie haben dafür gesorgt, dass der TLG-Wohnungsbe-stand an die Börse geht, dass am Ende Aktionärsinteres-sen über die Interessen der Mieterinnen und Mieter ge-stellt werden und dass sich die Mietenspirale weiterungebremst dreht. Wir als SPD haben Sie davor immergewarnt. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die TLG-Wohnungen an die Kommunen zu übertragen,
weil wir wussten, dass dort die Mieterinteressen amehesten geschützt werden und gut aufgehoben sind.
Dieser Vorschlag wurde von Ihnen, von der Regierungs-koalition, zurückgewiesen. Sie haben die Bedenken ein-fach in den Wind geschlagen.Ich frage Sie: Erinnern Sie sich noch daran, dass esauf der anderen Seite möglich war, die bundeseigenenSeen an die Länder zu übertragen?
Dafür haben wir doch gemeinsam ein sehr gutes Modellgefunden.
Warum war es nach EU-Recht bei den Seen möglich,und warum musste es bei den TLG-Wohnungen ein bör-sennotiertes Unternehmen sein? Das kann ich nicht be-greifen,
das kann ich nicht nachvollziehen. Hier fallen die Mieterund die Mieterinnen hinten herunter.Über den Deal mit Barclays will ich jetzt nichts mehrsagen. Dazu wurde heute schon genug gesagt.Sie haben mit der sogenannten Sozialcharta und einerOmbudsstelle im Bundesfinanzministerium den Miete-rinnen und Mietern eine Beruhigungspille verabreicht.Hier sagen Sie, es sei ja alles in Ordnung, dort seiennoch gar keine Beschwerden angekommen. Haben Sieeinmal auf Ihrer Homepage geguckt, ob Sie da eine Tele-fonnummer finden? Ich habe das gemacht und gar keinesolche Nummer gefunden. Vielleicht wissen die Miete-rinnen und Mieter einfach gar nicht, wie sie dieseOmbudsstelle erreichen können,
und vielleicht liegen deshalb keine Beschwerden vor.
Das ist nicht das, was wir uns unter einer Politik vorstel-len, die den Mieterinteressen zugute kommt.
Sie hinterlassen am Ende einen Wohnungsbestand,der nur noch den Marktinteressen folgt. Das ist ein fata-les Signal nicht nur an die Mieterinnen und Mieter,
sondern es diskreditiert Politik insgesamt. Während dieMieterinnen und Mieter vor massiven Problemen stehen,haben Sie nichts Besseres zu tun, als auch noch die Mie-terrechte per Gesetz abzubauen. Auch diesen Punktmuss man an dieser Stelle nennen. Auch diesbezüglichhaben Sie unsere Vorschläge außer Acht gelassen undauch die des Deutschen Mieterbundes ignoriert.Wir haben in Potsdam gezeigt, dass es anders geht.Dort vermieten die Kommunen ihre eigenen Wohnungenin vernünftiger Weise. Die SPD hat dort die Mieterrechtefür den kommunalen Wohnungsbestand gestärkt: Wirhaben bei Neuvermietung eine sogenannte Mieten-bremse von 10 Prozent eingezogen, wir haben die Miet-steigerung auf 15 Prozent in vier Jahren begrenzt, undwir haben die Umlage der Kosten sämtlicher Moderni-sierungsmaßnahmen auf die Miete auf 9 Prozent be-schränkt.Ich sage Ihnen: Ihre unsoziale Mietenpolitik werdenwir nach der Bundestagswahl wieder rückgängig ma-chen. Wir werden dafür sorgen, dass die Mieterinnenund Mieter wieder bezahlbaren Wohnraum finden kön-nen. Wir Sozialdemokraten werden gegen Wuchermie-ten und gegen Wohnungsmangel vorgehen. Mit uns gibtes eine klare Alternative zu Ihrer unsozialen Mietenpoli-tik. Wir werden gemeinsam mit den Ländern und Kom-munen, den Mieter- und Sozialverbänden, der Bau- undWohnungswirtschaft und den Gewerkschaften ein Ak-tionsprogramm für eine solidarische Stadt und fürbezahlbares Wohnen initiieren. Wir werden auch dafürsorgen, dass der Bund wieder mehr Geld für Wohnungs-neubau und für Modernisierungen zur Verfügung stellt.
Damit werden wir den Wohnungsmarkt entlasten undauch denjenigen die Möglichkeit geben, eine vernünftigeWohnung zu finden, die kein dickes Portemonnaie ha-ben. Es muss Schluss damit sein, dass Wohnen zur Lu-xussache wird. Wir werden dafür sorgen.Ganz herzlichen Dank.
Jetzt hat das Wort der Kollege Steffen Bockhahn von
der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Ich finde, dass diese Aktuelle Stundebisher wunderbar gezeigt hat, dass die Regierung keine
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30575
Steffen Bockhahn
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einzige Antwort auf die offenen Fragen hat, die im Zu-sammenhang mit diesem Transaktionsverfahren auf demTisch liegen.
Sie drücken sich die ganze Zeit davor, auf die konkretenFragen zu antworten. Sie kommen hier mit irgendwel-chen scheinheiligen Argumenten, Behauptungen oderKlassenkampftheorien der FDP, aber Sie antworten aufkeine einzige der gestellten Fragen.Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, was ei-ner der größten Skandale in diesem Geschäft ist: DieBundesregierung beauftragt eine Bank, Barclays, sie ob-jektiv in einem Verkaufsverfahren mit großer Sensibilitätzu begleiten. Dafür zahlt sie an Barclays. Dieses Unter-nehmen betreut das Unternehmen, das kaufen will. Einund dasselbe Unternehmen kassiert also als Verkaufsbe-rater und als Käuferfinanzierer. Es hat am gleichen Ge-schäft zweimal verdient, und die Bundesregierung findetdas in Ordnung. Ich nicht.
Und dann werden wir damit vertröstet, dass man Bar-clays mitgeteilt habe, es hätte eine Chinese Wall gebenmüssen. Uns wird auch mitgeteilt, dass das aber nichtkontrolliert worden ist, weil man sich darauf verlassenhabe. Wissen Sie, meine Damen und Herren, ich bin imVerwaltungsrat einer größeren Sparkasse. Ich habe malnachgefragt, wie man das dort sieht, ob sie daran glau-ben würden, dass man sich an so eine Chinese Wall hält.Alle haben mir gesagt: Na ja, das Gegenteil ist schlechtzu beweisen; aber: nein.
Ich kann nur feststellen: Diese Sparkasse funktioniertsehr gut. Deswegen habe ich Vertrauen zu dieser Spar-kasse. Zur Barclays-Bank und zur Bundesregierung habeich es an dieser Stelle nicht, und das aus gutem Grunde.
Die Frage: „Warum haben Sie die Wohnungen nichtden kommunalen Genossenschaften oder den Kommu-nen angeboten?“, ist natürlich ganz interessant. Die Bun-desregierung antwortet tatsächlich immer wieder, dasssie sie angeboten hätte. Die Nummer geht so weit, dassman sagt, es hätten sich ja kommunale Wohnungsgesell-schaften zusammenschließen und ein gemeinsames An-gebot unterbreiten können.
Dazu muss man allerdings wissen, Herr KollegeKampeter, dass die meisten Kommunalverfassungen unddie meisten landesrechtlichen Regelungen es verbieten,dass ein kommunales Wohnungsunternehmen außerhalbder eigenen Kommune tätig wird.
Insofern hätten solche Gemeinschaften gar nicht gebildetwerden können. Ich helfe Ihnen aber immer wiedergerne nach im Bereich Kommunalpolitik. Immer wiedergerne!
Das heißt, Sie haben ein Angebot unterbreitet, das sogar nicht angenommen werden konnte, weil Sie nur dasPaket verkaufen wollten. Sie haben nie darüber nachge-dacht, die Wohnungsbestände in den Kommunen zu be-lassen und an die Kommunen zu übergeben. Das habenSie auch deswegen nicht gemacht, weil Sie sich der Ge-sellschaft in Gänze entledigen wollten, weil Sie sichauch des Personals entledigen wollten. Wenn dann vor-hin von den Zugeständnissen an die Beschäftigten ge-sprochen wurde, frage ich mich natürlich ganz interes-siert, was das für Zugeständnisse sein sollen. Etwa, dassweiterhin der Tarif der Wohnungswirtschaft gezahlt wirdoder dass nicht sofort alle entlassen werden, obwohl mansie sowieso braucht? Was für Zugeständnisse sind das?Hier tauchen schon wieder die nächsten Fragen auf.Zu sagen, es habe bisher keine einzige Änderung ge-geben, ist nur die halbe Wahrheit. Wir haben nie behaup-tet, dass es im Bestand Mieterhöhungen gegeben hätte.Aber richtig ist, dass bei Neuvermietungen, ohne dassauch nur eine Sache an der gesamten Wohnung geändertwurde, 20 bis 25 Prozent aufgeschlagen werden.
Das ist auch nicht verboten. Wir kritisieren jedoch, dassSie einen solchen Verkauf machen, sich aber überhauptkeine Gedanken über Gentrifizierungsprozesse in ange-spannten Wohnungsmärkten machen. Sie laden Käufernoch regelrecht dazu ein, solche Prozesse zu befördern.Somit machen Sie ganze Quartiere kaputt. Das ist IhrVersagen.
Sie zerstören damit auch das soziale Gefilde in solchenGebieten.Ich sage Ihnen noch etwas. Die Ombudsstelle ist nochsehr neu. Dass noch nicht alle Mieterinnen und Mieterdarüber Bescheid wissen, muss man verstehen. Vielewerden sich auch fragen: Warum soll ich mir diesenStress jetzt antun, ich verliere doch sowieso? Denn manerlebt es immer wieder, dass man nicht gewinnt.Ich nenne Ihnen ganz konkret ein Beispiel. Obwohl inder Sozialcharta nichts dazu steht, obwohl Sie den Miete-rinnen und Mietern versprochen haben, dass sich für sienichts ändern werde, gibt es Änderungen. Diese sindzwar laut BGB zulässig, aber sie waren nicht eingeplant.Kleinstreparaturen werden inzwischen offenkundigdurch die Mieterinnen und Mieter der TAG selbst be-zahlt. Das ist zulässig. Es war aber vorher anders, und Siehatten versprochen, dass sich für die Mieterinnen undMieter nichts ändert. Dieses Versprechen ist gebrochen.
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30576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Steffen Bockhahn
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Ich will Ihnen noch einen Satz zu unserem Finanzie-rungsmodell sagen, das Sie immer wieder angesprochenhaben. Sie können sich gerne weiter das Maul darüberzerreißen, ob wir ein seriöses Angebot unterbreitet hat-ten oder nicht. Das hat übrigens mit den Fragen, über diewir hier diskutieren, gar nichts zu tun. Ich kann Ihnennur sagen: Die Wohnungsgenossenschaft, die mitgebo-ten hat, hatte ein sehr seriös finanziertes Angebot. Siealle kennen denjenigen – ich nenne den Namen jetztnicht –, der uns da unterstützt hat. Dem sollten Sie Li-quidität nicht absprechen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Eckhardt Rehberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn SPD, Linke und Grüne hier davon reden,dass mit den 11 300 Wohnungen in den neuen Bundes-ländern Strukturpolitik, Stadtentwicklungspolitik hättegemacht werden können,
muss man erst einmal die Frage stellen, ob Sie sich hierim Deutschen Bundestag überhaupt anmaßen sollten,uns auf solche Dinge hinzuweisen und diese anzuspre-chen.
Sie haben im letzten Jahrzehnt Zehntausende, Hun-derttausende Wohnungen in Berlin, in Dresden, in ganzDeutschland unter Rot-Grün – Steinmeier und Steinbrückwaren in der Verantwortung – privatisiert.
Sie haben Hunderttausende Wohnungen an private In-vestoren verkauft. Deswegen können Sie hier heute nichtmit dem Finger auf uns zeigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Berlinunter Rot-Rot wurde die GSW privatisiert. UnterSteinmeiers Verantwortung wurden 200 000 Wohnungender Eisenbahner privatisiert, unter Steinbrück 86 000Wohnungen der BfA. Grün-Rot in Baden-Württembergprivatisiert aktuell 22 000 Wohnungen, die der Landes-bank Baden-Württemberg gehört haben. Die 11 300Wohnungen sind im Vergleich dazu strukturpolitisch fürganz Deutschland gesehen Peanuts.
Wenn Ihre Forderung, es zuerst Kommunen anzubie-ten, umgesetzt worden wäre, dann wäre bestimmt einewahnsinnige Rosinenpickerei vonstattengegangen. Dasheißt, die Kommunen hätten sich die Rosinen herausge-pickt und die Preise ohne Ende gedrückt,
und die TLG, das heißt wir, der Bund – wir sind Bundes-politiker und haben Verantwortung für das Bundesvermö-gen –, wären auf dem Rest sitzen geblieben. Dann hättenSie sich hier hingestellt, Frau Kollegin Bluhm, und unterHinweis darauf, dass der Verkehrswert 1,8 Milliarden Eurobeträgt, während wir vielleicht nur 500 oder 600 MillionenEuro Erlös erzielt hätten, hätten Sie uns vorgeworfen,dass wir mehr als 1 Milliarde Euro verschwendet hätten.Das wäre nach der Bundeshaushaltsordnung und nachmeinem Verständnis als Haushaltspolitiker politisch ver-antwortungslos gewesen.
Wenn Sie, Kollege Hacker, sagen, man hätte andereAkzente setzen sollen,
man hätte das Ganze anders abwickeln sollen, dann istdoch wirklich die Frage zu stellen, ob Sie sich einmaldamit auseinandergesetzt haben, wie ein rechtssicheres,diskriminierungsfreies Bieterverfahren abläuft.Frau Kollegin Bluhm, über Verkehrswerte im Immo-bilienbereich kann man sich trefflich streiten. Dort, woich wohne, fallen die Immobilienpreise gerade massiv,weil es in der Nähe drei Windparks gibt.
Das haben wir gemerkt, da mehrere ältere Leute ihreHäuser an junge Leute verkauft haben, weil sie sie nichtmehr bewirtschaften konnten. Da guckt man sich um,wie fix der Daumen bei den Käufern um eine Etage ge-senkt wird.Wenn Sie sich das Portfolio der 11 300 Wohnungenansehen, stellen Sie fest: In manchen Gegenden Meck-lenburg-Vorpommerns, zum Beispiel in Rostock, beträgtdie Leerstandsquote bei den Wohnungen 3 Prozent. Aberim Rest des Landes beträgt sie 6 Prozent. Ich behaupte,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30577
Eckhardt Rehberg
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dass der Verkehrswert der Wohnungen in Rostock auf-grund einer Leerstandsquote von 3 Prozent höher ist alsder Verkehrswert von Wohnungen in Gegenden mit einerLeerstandsquote von 6 Prozent. Insoweit: Nur vom Ver-kehrswert auszugehen, halte ich an dieser Stelle für völ-lig daneben.
Jetzt komme ich zu der Aktion FAIRWOHNEN. Wis-sen Sie: Sie haben mit den 51 Euro pro Quadratmeter,die Sie in Genossenschaftsanteile umwandeln wollten,nicht einmal ansatzweise die Chance gehabt, eine ver-nünftige und sinnvolle Eigenkapitalquote aufzubringen.
– Lieber Kollege Bockhahn, warum sind Sie, wenn esdiesen ominösen Finanzier denn wirklich gegeben hat,schon in der ersten Runde herausgeflogen, weil Siekeine Finanzierung aufbieten konnten?
Wenn Sie die Kriterien doch erfüllt haben, meine sehrverehrten Damen und Herren, frage ich Sie – trotz all desTheaters und des politischen Klamauks, den Sie hier aneinem Freitagnachmittag veranstalten –:
Warum beschreiten Sie nicht den Rechtsweg? Warumklagen Sie nicht? Wenn Sie meinen, dass gekungelt wor-den ist, dass das nicht rechtsstaatlich sauber und rechts-sicher abgelaufen ist, dann haben Sie in einem Rechts-staat die Chance, dagegen zu klagen.
Solange Sie den Rechtsweg nicht beschreiten, sind Sieaus meiner Sicht den Beweis schuldig, dass hier irgend-etwas nicht sauber abgelaufen ist und dass gekungeltworden ist.Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis für den Bund, fürdie Sozialpartner und für die Mieter.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Iris Gleicke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man konnte aus den Reden der Koalitionsabgeordnetenund des Vertreters der Bundesregierung sehr deutlich dasHerumgeeiere heraushören.
Natürlich hat es Privatisierungen gegeben, HerrRehberg; ganz klar. Durchgeführt wurden sie in einer Si-tuation, in der es Wohnungsüberschüsse gab, in der wirStadtumbau betrieben und Wohnungen abgerissen ha-ben. Heute gibt es in diesen Orten drängende Wohnungs-probleme.
Es geht um die Abläufe, Herr Rehberg. Diese Woh-nungsprivatisierung hat nicht nur ein Geschmäckle, son-dern sie stinkt zum Himmel.
500 Millionen Euro für knapp 12 000 Wohnungen,das bedeutet, dass pro Wohnung im Durchschnitt42 000 Euro geflossen sind.
Wo in Dresden, im Berliner Umland, in Potsdam, inHalle/Leipzig bekommt man denn eine 70-Quadratme-ter-Wohnung für unter 100 000 Euro? Das ist doch wirk-lich abenteuerlich! Alle Branchenkenner, die sagen, dassdie 500 Millionen Euro für die TAG ein echter Schnäpp-chenpreis waren, haben recht.
Zu den anderen Fakten. Das Umgehen der Grunder-werbsteuer beim Verkauf halte ich für genauso skandalöswie den Kaufpreis an sich. Diese Umgehung der Steuer-pflicht hat etwas mit der – na ja, sagen wir es freundlich– kreativen Gestaltung der Unternehmenskonstruktionzu tun.
Warum hat die TAG den Kauf denn über ihre beidenTochterfirmen, die kurz vorher gegründet worden sind,abgewickelt? Doch nur, um genau diese Möglichkeitauszunutzen.Herr Kurth, es ist einfach nicht richtig, was Sie hiergesagt haben.
Wir haben damals tatsächlich für kleine Immobilienfir-men die Möglichkeit geschaffen, Wohnraum zu erwer-ben. Wir haben das aber gemacht, um gerade Kommunen
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30578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Iris Gleicke
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zu helfen. Damals gründeten sich zahlreiche Mieterge-nossenschaften.
Um dieses Schlupfloch zu stopfen, hat der Bundesratden Vermittlungsausschuss angerufen, und es hat ein Ver-mittlungsausschussverfahren gegeben. In diesem Verfah-ren ist eine Einigung erzielt worden.
Diese Einigung haben Sie als Koalitionsfraktionen mitIhrer Mehrheit hier abgelehnt. Das ist die Wahrheit.
Zur Barclays Capital ist schon etwas gesagt worden.Diese Vorgänge sind genau so anrüchig, wie hier darge-stellt worden ist. Hinzu kommt, dass diese Bank nichtnur die Bundesregierung als Verkäufer vertreten hat,sondern auch für die Käufer tätig geworden ist. Wennman dann noch weiß, dass diese Bank die Sozialchartamit ausgehandelt hat, während der Mieterbund darannicht beteiligt war, dann bleibt einem doch – Entschuldi-gung! – echt die Spucke weg.
Die Liste der Ungereimtheiten zieht sich wie Kau-gummi durch das gesamte Verkaufs- bzw. – das sollteich vielleicht besser sagen – Schenkungsverfahren.
Vieles haben wir gehört, und genauso vieles deutet da-rauf hin.Was mich aber besonders wurmt, ist, dass hier gegenden Willen der Kommunalpolitik, gegen den Willen derLänder und der Mieterinnen und Mieter skrupellos vor-gegangen worden ist.
Zum Angebotstext des Bundes hieß es – das mussman sich wirklich einmal anschauen –:Es kommen keine Erwerber zum Zug, die nur einenschnellen Euro machen wollen.Klar ist nur: Diese Bundesregierung wollte hier einenschnellen Euro machen.
Es ist auch ökonomisch absurd und deshalb Verschleu-derung von Volksvermögen. Die Treuhand Liegen-schaftsgesellschaft hat nämlich in den Jahren 2009 und2010 jährlich 30 Millionen Euro an den Bundeshaushaltabgeführt. Das heißt, wir, der Bund, haben dort Einnah-men erzielt. Hätten Sie dieses Geld in den sozialen Woh-nungsbau investiert, hätten Sie es in Kindergärten oderin Ganztagsschulen investiert, dann wäre es sinnvoll an-gelegt gewesen.
Sie haben für die Wohnungsknappheit in Dresden undin anderen Städten in Ostdeutschland gesorgt.
Sie haben den Stadtumbau Ost geschleift. Sie haben dasProgramm „Die soziale Stadt“ geschleift. Sie haben indie soziale Wohnraumförderung eingegriffen.
Sie haben bei dieser Privatisierung die Chance vertan,den Kommunen tatsächlich zu helfen. Ihre Kürzungspro-gramme sind mit eine Ursache für die Wohnraumver-knappung. Daher sage ich ganz klar: Es ist nichts los mitder sozialen Verantwortung dieser Bundesregierung.
Ich will Ihnen noch etwas sagen; das geht insbeson-dere an die Adresse von Herrn Staatssekretär Bergner.Wir Ostdeutschen gehen mit dem Thema Privatisierungnach all den Erfahrungen mit der Treuhand sehr sensibelum.
Die Betrugsfälle bzw. die Verkäufe an dubiose Geschäf-temacher oder sogenannte Entflechtungen von Unter-nehmen haben sich bei vielen von uns Ostdeutschen bisheute tief ins Bewusstsein gegraben. Ich will Ihnen ausdieser Zeit – auch damals haben Sie, Schwarz-Gelb, re-giert – zwei Beispiele in Erinnerung rufen:Da war die Leuna-Raffinerie, bei deren Verkauf zu-sammen mit der sehr profitablen Minol Schmiergeldzah-lungen geflossen sind.
Außerdem war da das Kombinat Schiffbau, bei des-sen Privatisierung 900 Millionen D-Mark EU-Förder-mittel für die Sanierung der ostdeutschen Werften be-stimmt waren. Diese Mittel sind in die Sanierung derStammbetriebe der Bremer Vulkan umgelenkt worden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30579
Iris Gleicke
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Das sind Vorgänge, die in Ihrer Regierungszeit stattge-funden haben.Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Nach all dem, waswir zum Verkauf der TLG-Wohnungen und -Immobilienbisher gelesen haben, könnte es sein, dass damit ein wei-teres Kapitel zu all den dubiosen Geschichten hinzu-kommt. Deshalb sage ich Ihnen: Mir reicht kein Testateines Mitglieds der Bundesregierung gegenüber einemanderen Mitglied der Bundesregierung, das sei alles sau-ber gelaufen.
Ich will hier eine ordentliche Aufklärung. Denn wir wis-sen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.Schönen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Michael Luther das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich hätte nicht geglaubt, dass heute, so kurzvor Pfingsten, noch so viel Emotionalität aufkommenkann.
Ich will an dieser Stelle Folgendes festhalten, meineliebe Frau Kollegin Gleicke: Wenn Sie schon den Vor-wurf erheben, dass geltende Steuergesetze von jeman-dem angewendet werden, und sich darüber beschweren,dass das zu einem bestimmten Ergebnis führt, also dieGrundsteuer jetzt nicht fließt, dann sollten Sie wenigs-tens auch sagen, woran das liegt. Wer hat diese Steuerge-setzgebung eingeführt? Ich denke, das war Rot-Grün.
Sie waren in der Regierungsverantwortung. Wenn Siesich über das beschweren, was Sie selber gemacht ha-ben, dann ist das nicht besonders glaubwürdig.
Das Thema der Aktuellen Stunde ist der Verkauf derTLG-Immobilien. „Aktuelle Stunde“ springt einem alserstes Wort ins Auge. Ich habe mir die Frage gestellt, umwas es eigentlich geht. Es geht um einen Verkauf ausdem Jahre 2012.
Ich weiß nicht, warum das so besonders aktuell ist.
Ich habe mir also die Frage gestellt, warum wir darüberheute diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass wir deshalbheute darüber diskutieren, weil die Mieter kurz vor demWahlkampf verrückt gemacht werden sollen und dieLinken gerne glauben machen möchten, dass sie die Ein-zigen sind, die überhaupt noch Mieterinteressen inDeutschland vertreten. Ich glaube, das entlarvt zum Teil,warum die Aktuelle Stunde heute stattfindet.Noch bemerkenswerter finde ich den Umstand, dassdie Aktuelle Stunde durch unsere Kollegin Frau HeidrunBluhm eröffnet worden ist, die Aufsichtsratsvorsitzendevon FAIRWOHNEN ist, einer Genossenschaft, die sicham Bieterverfahren beteiligt hat.
Klar geht das. Sie dürfen das natürlich machen. Sie dür-fen auch die Funktion ausüben.
– Genau. In der vorhergehenden Debatte ging es genauum dieses Thema.
Hier wird nämlich eine Macht ausgenutzt, die man alsParlamentarier hat, um auf den Umstand hinzuweisen,dass man in einem Bieterverfahren, das Sie im Nachhi-nein nicht kritisiert haben, der zweite Gewinner war. DasVerfahren fand 2012 statt. Sie haben versucht, daran teil-zunehmen, waren aber nicht erfolgreich. Wenn Sie da-mals der Meinung gewesen wären, dass das alles recht-lich nicht in Ordnung ist, hätten Sie damals auf dieInstrumente des Rechtsstaats zurückgreifen können, diees heute gibt. Vielleicht haben Sie das schon vergessen.
Sie haben das nicht gemacht. Ich glaube, das entlarvt,was Sie wollen.
Auch Ihre Sorge, dass die Wohnungen jetzt mögli-cherweise in die Hand böser Privateigentümer gelangen,
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30580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013
Dr. Michael Luther
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könnte ein Grund für diese Aktuelle Stunde gewesensein.
Ich will einmal feststellen: Es gibt Zehntausende vonprivaten Vermietern in Deutschland und natürlich ent-sprechend viele Mietverhältnisse.
Es gibt eine rechtliche Grundlage in diesem Land.
Ich glaube, dieses Land hat sich mit dieser rechtlichenKonstruktion gut entwickelt.
Ich habe keine Angst vor Privateigentum, und ichhabe auch keine Angst davor, dass sich ein Wohnungs-markt entwickelt und dass sich auch Mietpreise ent-wickeln. Das muss so sein. Das, wovor ich Angst habe,ist Volkseigentum. Das habe ich erlebt.
Damals gab es nämlich eine Mietpreisbindung, die einbestimmtes Ergebnis hatte, das in der DDR mit dem ge-flügelten Wort umschrieben wurde: Ruinen schaffenohne Waffen.
Es wurde nicht mehr saniert, die Gebäude sind verfallen.Wir können uns noch gut daran erinnern, auch Sie viel-leicht noch. Aus diesem Grunde sollte man das Privat-eigentum nicht verteufeln; denn das ist eine der wesent-lichen Grundlagen unseres Landes.
Müssen Mieter Angst haben? Auch das ist hier schonmehrfach deutlich angesprochen worden. Das, was dieBundesrepublik tun konnte – Sozialcharta, Ombuds-mann –, hat sie getan. All das sind Instrumente, um letzt-endlich zu helfen, dass der Übergang gelingt. Man kannsich an öffentliche Stellen wenden und erfährt Unterstüt-zung. Wenn das bislang nicht der Fall gewesen ist, sollteman das überprüfen. Vielleicht gibt es Ursachen dafür,dass es nicht in jedem Fall dazu gekommen ist. Aber esgibt diese Möglichkeit.Sie haben ja mit vielen Mietern Kontakt gehabt. Siehaben versucht, sie in die FAIRWOHNEN zu bringen.Wenn es Ungerechtigkeiten gegeben hätte, dann hättenSie schon längst auf den Ombudsmann hingewiesen.Dann wären schon längst Klagen erfolgt. Aber das istnicht der Fall.
Am Anfang habe ich mich gefragt, ob diese AktuelleStunde wirklich sein muss. Jetzt, am Ende, sage ich: Esist gut, dass sie stattgefunden hat, weil sie sehr deutlichgemacht hat, mit welcher Motivation Sie in diesem Landagieren und für wen oder was Sie eintreten. Das sind aufjeden Fall nicht die Mieterinteressen.Danke schön.
Als letzte Rednerin des heutigen Tages hat das Wort
die Kollegin Stefanie Vogelsang für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident, vielen Dank. – Meine Damen undHerren! Wenn man als letzte Rednerin in einer AktuellenStunde ans Rednerpult treten darf, kann man sich vor-nehmen, die Ergebnisse der Debatte zusammenzufassenund zu würdigen, dass man eine Stunde miteinander dis-kutiert hat. Voraussetzung ist allerdings, dass man ir-gendwelche Erkenntnisse gewonnen hat.
Das gilt gerade für Ihren Beitrag, Frau Gleicke! Wasmeinen Sie eigentlich, für wen Sie geredet haben? Fürdie Kollegen hier im Raum? Diese haben gemerkt, dassSie in jedem zweiten Satz Dinge durcheinandergebrachthaben,
dass Sie viele Dinge, die Sie selber beschlossen haben,Beschlüsse, für die Sie Ihre eigene Stimme abgegebenhaben,
jetzt als große Schande verkaufen wollen. Die Bürgerin-nen und Bürger draußen verstehen diesen großen Zu-sammenhang aber gar nicht; für die hätten Sie in etwaseinfacheren Worten, in etwas verständlicherer Form he-rüberbringen müssen, was Ihr Anliegen ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30581
Stefanie Vogelsang
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Ich habe die ganze Zeit überlegt: Was will uns die SPDdamit sagen? Ich glaube, es ging einfach nur darum, indieser Aktuellen Stunde auf Verlangen der Linken einenBeitrag zu leisten. – Wo sind übrigens Ihre Kolleginnenund Kollegen?
Warum ist in dieser Aktuellen Stunde, die auf Antrag derFraktion Die Linke auf die Tagesordnung gesetzt wurde,kaum jemand anwesend?
Frau Gleicke, es wäre positiv gewesen, wenn Sie etwasdazu gesagt hätten.
Lieber Kollege Bockhahn und liebe Kollegin Bluhm,spätestens Anfang 2012 war auch für Sie klar, dass fürdie Fraktion Die Linke die große Gefahr besteht, demnächsten Deutschen Bundestag nicht wieder anzugehö-ren.
Daraufhin haben Sie sich dann überlegt: Wie können wirgroße Aktionen machen? Wie gewinnen wir ein großesPotenzial an Zustimmung?
Dann haben Sie sich dickegetan und gesagt: Wir gehenin den Wohnungsmarkt, wir werden selber zur Genos-senschaft, wir übernehmen. – Das hat dann nicht ge-klappt: Ihre Träume sind alle geplatzt, Sie sind wiederauf dem Boden angekommen.
Ich glaube, an der aktiven Politik, die die Partei DieLinke betrieben hat, wenn sie wie zum Beispiel hier inBerlin – der Kollege Rehberg hat das vorhin umfang-reich dargestellt – an der Regierung beteiligt war, kön-nen die Leute ganz genau sehen, wie Sie agieren, wennSie denn die Möglichkeit des Handelns haben. Wenn ichan die Machtübernahme hier in der Hauptstadt denke – –
– Entschuldigung! „Machtübernahme“ ist vielleicht einetwas unglücklicher Ausdruck.
Ich nehme das zurück.
Wenn ich an die Regierungsübernahme in Berlin durchSPD und Linke im Jahre 2001 denke, muss ich feststel-len: Sie haben die Politik sofort verändert. Sie haben dieStrukturen in Berlin auf schrumpfende Stadt gesetzt, ha-ben Wohnungsbauförderung gestrichen,
haben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ge-molken,
sind zu nichts anderem gekommen, als die GSW zu ver-kaufen, und haben zum Beispiel in Neukölln – einem so-zialen Ballungsraum – 5 000 Wohneinheiten an einenHedgefonds verkauft, ohne auf einer Sozialcharta zu be-stehen.
Es hat Sie nicht interessiert, wie es den Mieterinnen undMietern ergeht. Sie haben sich nicht eingesetzt für dieEinrichtung einer Ombudsstelle, in der die Mieterinnenund Mieter einen Ansprechpartner und Unterstützunggefunden hätten. Das ist das Ergebnis Ihres Regierungs-handelns.
Wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt, und wirhaben das Pfingstfest vor uns. Manchmal denke ich mir,der Heilige Geist müsste ein bisschen öfter
zu Ihnen kommen, damit auch Sie ein bisschen erleuch-tet werden.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. Juni 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ein schönes Pfingstfest!