Protokoll:
17241

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 241

  • date_rangeDatum: 17. Mai 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:24 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/241 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 241. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Johannes Singhammer . . . . . . . . . . . . Begrüßung des neuen Abgeordneten Gerhard Drexler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 52 . . . Tagesordnungspunkt 51: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit: Nukleare Entsorgung im Konsens regeln . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Suche und Auswahl ei- nes Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Ab- fälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) (Drucksache 17/13471) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Altmaier, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Weil, Ministerpräsident (Niedersachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 53: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertra- gung besonderer Aufgaben im Zusam- menhang mit der Aufsicht über Kreditin- stitute auf die Europäische Zentralbank (Drucksachen 17/13470, 17/13523, 17/13539) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen (Drucksachen 17/12601, 17/13035, 17/13523, 17/13539) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Fraktio- nen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial ver- ringern – Geschäfts- und Investmentban- king trennen (Drucksachen 17/12687, 17/13523, 17/13539) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . 30519 A 30519 A 30519 B 30519 B 30519 B 30519 C 30523 B 30524 C 30525 D 30527 B 30529 A 30530 B 30530 D 30532 A 30533 B 30534 C 30534 D 30534 B 30535 A 30536 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 54: Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert (Drucksache 17/13476) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 55: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan Korte, Agnes Alpers, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie stärken, Lobbyismus verhin- dern und Parteienfinanzierung transparen- ter gestalten (Drucksachen 17/9063, 17/13530) . . . . . . . . . Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung beim Verkauf der TLG . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30537 B 30538 D 30539 D 30540 C 30541 D 30543 A 30544 C 30546 B 30548 D 30549 C 30549 D 30550 D 30552 B 30553 B 30555 A 30556 A 30557 D 30559 A 30559 B 30562 A 30563 C 30564 A 30565 C 30566 C 30566 D 30568 A 30569 A 30570 B 30571 B 30572 C 30573 D 30574 D 30576 A 30577 C 30579 B 30580 C 30581 D 30582 A 30583 A 30583 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30519 (A) (C) (D)(B) 241. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    30582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) (C) (D)(B) Berichtigung 240. Sitzung, Seite 30158 D, vierter Absatz, der Zwi- schenruf des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ist wie folgt zu lesen:„ Unter Kohl lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent!“ Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30583 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Abschaffung des Branntweinmonopols (Branntweinmonopolabschaffungsgesetz) – Gesetz zur Änderung des Finanz- und Personal- statistikgesetzes – Gesetz zur Änderung des Telekommunikations- gesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdaten- auskunft Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 17.05.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 17.05.2013 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.05.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 17.05.2013 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 17.05.2013 Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 17.05.2013 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 17.05.2013 Dr. Gambke, Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.05.2013 Glos, Michael CDU/CSU 17.05.2013 Golze, Diana DIE LINKE 17.05.2013 Groneberg, Gabriele SPD 17.05.2013 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 17.05.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 17.05.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 17.05.2013 Hintze, Peter CDU/CSU 17.05.2013 Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 17.05.2013 Humme, Christel SPD 17.05.2013 Koch, Harald DIE LINKE 17.05.2013 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 17.05.2013* Laurischk, Sibylle FDP 17.05.2013 Leutert, Michael DIE LINKE 17.05.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.05.2013 Mücke, Jan FDP 17.05.2013 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 17.05.2013 Pflug, Johannes SPD 17.05.2013* Pieper, Cornelia FDP 17.05.2013 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.05.2013 Roth (Esslingen), Karin SPD 17.05.2013 Roth (Heringen), Michael SPD 17.05.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 17.05.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 17.05.2013 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 17.05.2013* Schulte-Drüggelte, Bernhard CDU/CSU 17.05.2013 Schwanitz, Rolf SPD 17.05.2013 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 17.05.2013 Spatz, Joachim FDP 17.05.2013* Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.05.2013 Dr. Westerwelle, Guido FDP 17.05.2013 Zylajew, Willi CDU/CSU 17.05.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 30584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zur Neuregelung der Professorenbesol- dung und zur Änderung weiterer dienstrecht- licher Vorschriften (Professorenbesoldungsneu- regelungsgesetz) – … Strafrechtsänderungsgesetz – Beschränkung der Möglichkeit zur Strafmilderung bei Aufklä- rungs- und Präventionshilfe (… StrÄndG) – Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) – Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr – Gesetz zur Änderung seeverkehrsrechtlicher und sonstiger Vorschriften mit Bezug zum Seerecht – Gesetz über Intelligente Verkehrssysteme im Stra- ßenverkehr und deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (Intelligente Verkehrssysteme Gesetz – IVSG) – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von Nairobi von 2007 über die Beseitigung von Wracks – Gesetz zu dem Abkommen vom 3. Mai 2012 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Korea über die Seeschifffahrt – Gesetz zu dem Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Ko- lumbien und Peru andererseits Ferner hat der Bundesrat die folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Stillstand der WTO-Verhandlungen die Tendenz zu bilate- ralen Freihandelsabkommen zunimmt. Er hält grundsätzlich weltweite, multilaterale, an klare Standards und kontrollierbare Regeln gebundene Abkommen für sinnvoller als ein Geflecht bilate- raler Vereinbarungen. Weltweiter Handel schließt immer eine arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitische Dimension ein, die beim Abschluss von Freihandelsabkommen vollum- fänglich berücksichtigt werden muss. Dies muss auch für EU-Handelsabkommen und sogenannte Gemischte Abkommen mit Drittstaaten gelten. 2. Der Bundesrat bedauert, dass das Freihandelsab- kommen mit Kolumbien und Peru nicht dem re- gionalen Integrationsansatz der EU folgt und neue Schranken zwischen den Staaten der Region errichtet. Es steht somit auch im Widerspruch zur Lateinamerika-Strategie der Bundesregierung, die regionale Integration zu fördern. 3. Der Bundesrat begrüßt das grundsätzliche Bemü- hen, mit dem Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaa- ten einerseits sowie Kolumbien und Peru anderer- seits an historische und kulturelle Verbindungen anzuknüpfen und eine Öffnung der Märkte unter anderem für Waren, Dienstleistungen, Öffentli- ches Beschaffungswesen und Investitionen sowie die Förderung der wirtschaftlichen Integration zwischen den Parteien zu erreichen, welche die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen und auf diese Weise auch den Menschen in den be- troffenen Ländern zugutekommen soll. 4. Der Bundesrat kritisiert jedoch, dass das Freihan- delsabkommen zwar verbindliche Verpflich- tungen zur Marktöffnung im industriellen und agrarischen Bereich, zur Liberalisierung vieler Bereiche der Daseinsvorsorge und Infrastruktu- ren, des öffentlichen Beschaffungswesens um- fasst und einen Eingriff in das Alltagsleben und die sozialen und politischen Verhältnisse der Menschen darstellt, dass aber diesen Verpflich- tungen keine flankierenden arbeits-, sozial-, um- welt-, rechts- und verbraucherpolitischen Rege- lungen mit entsprechender Verbindlichkeit und Kontroll- und Eingriffsmechanismen innerhalb des eigentlichen Abkommens an die Seite gestellt sind. 5. Der Bundesrat kritisiert zudem, dass die im Han- delsabkommen vereinbarten Liberalisierungen der Finanzmärkte die Bemühungen zur Regulie- rung des internationalen Finanzsektors erschwe- ren und Geldwäsche und Steuerhinterziehung erleichtern können. So könnten Finanzakteure riskante Geschäfte machen, ohne ausreichend von einer der Vertragsparteien kontrolliert zu sein. Das Abkommen schützt nur unzureichend das Recht der Vertragsparteien, Kapitalflüsse zu kontrollieren. 6. Der Bundesrat erkennt an, dass der erste Artikel des Handelsübereinkommens auch umfassende Bestimmungen enthält, die den Schutz der Men- schenrechte einfordern. Es ist zu begrüßen, dass sich die Achtung der demokratischen Grundsätze und der grundlegenden Menschenrechte sowie des Grundsatzes der Rechtstaatlichkeit in den in- nenpolitischen Maßnahmen und der internationa- len Politik der Vertragsparteien spiegeln muss und dass die Missachtung dieses wesentlichen Bestandteils des Übereinkommens zur Ergreifung angemessener Maßnahmen führen kann, unter anderem zur möglichen Beendigung bzw. zur Aussetzung eines Teils oder des gesamten Über- einkommens. 7. Der Bundesrat betont aber, dass es im Falle Ko- lumbiens und Perus wichtig gewesen wäre, den allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus auch bei Verstößen gegen die Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmer-, Menschen- und Umweltrech- ten anzuwenden, damit auch solche Verstöße in dafür vorgesehenen Verfahren im Rahmen des Abkommens sanktioniert werden können. Dabei hätte sichergestellt werden müssen, dass insbe- sondere auch Beschwerden von Seiten der Zivil- gesellschaft direkt zu entsprechenden Verfahren hätten führen können. Im Abkommen stellt Arti- kel 285 Absatz 5 explizit klar, dass der Streitbei- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30585 (A) (C) (D)(B) legungsmechanismus für das Nachhaltigkeitska- pitel nicht zur Anwendung kommt. 8. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass das Europäische Parlament erstmalig ein Handelsabkommen mit einer Reso- lution zu Menschen- und Arbeitnehmerrechten sowie zu den Umweltstandards ergänzt und von den souveränen Regierungen Kolumbiens und Perus einen konkreten Fahrplan zur Verbesserung der Situation von Gewerkschaftern sowie zur Verbesserung von Sozial- und Umweltstandards eingefordert hat. Beide Länder sind auf die For- derung des Europäischen Parlaments eingegan- gen und haben im Oktober 2012 entsprechende Fahrpläne vorgelegt. Damit verpflichtet sich etwa die kolumbianische Regierung öffentlich unter anderem dazu, die Zivilgesellschaft in die Umset- zung des Abkommens einzubeziehen, eine neue „Fachgruppe für Handelsabkommen und Men- schenrechte“ einzurichten, das Budget für das Schutzprogramm für Gewerkschafter aufzusto- cken und die Anzahl der Arbeitsinspektionen deutlich zu erhöhen. Ebenso soll in Zusammen- arbeit mit der Zivilgesellschaft ein neues System zur strafrechtlichen Ermittlung aufgebaut wer- den, um das Problem der hohen Straflosigkeit an- zugehen. Der Bundesrat begrüßt, dass durch die entschlossene Haltung des Europäischen Parla- ments erreicht werden konnte, dass die Umset- zung vereinbarter Nachhaltigkeitsstandards in Kolumbien und Peru von der Kommission und dem Europäischen Parlament überprüft wird. 9. Der Bundesrat erkennt an, dass mit dem ausge- handelten Nachhaltigkeitskapitel, der Menschen- rechtsklausel sowie den eingegangenen arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpoliti- schen Verpflichtungen die Europäische Union Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Situa- tion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Umwelt und der Menschenrechte in Kolum- bien und Peru erhalten soll. 10. Der Bundesrat sieht gleichwohl, dass trotz der er- heblichen Anstrengungen, die sowohl Kolumbien als auch Peru in den letzten Jahren zur Verbesse- rung der allgemeinen Lebensbedingungen ihrer Bürgerinnen und Bürger einschließlich der Men- schen- und Arbeitnehmerrechte unternommen haben, zur vollständigen Verwirklichung der fest- gelegten und von einzelnen Bürgern, zivilgesell- schaftlichen Organisationen, den Oppositionspar- teien und der Regierung geforderten hohen Standards sowohl in Kolumbien als auch in Peru noch weitere erhebliche Anstrengungen unter- nommen werden müssen. Dies gilt insbesondere für die seit langem bestehenden Probleme wie Armut, Gewalt und Korruption, einen internen bewaffneten Konflikt (im Falle Kolumbiens mehr als 50 Jahre), illegale bewaffnete Gruppen, Dro- genhandel, Straflosigkeit, Vertreibung, Landent- eignung und Missachtung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen. 11. Der Bundesrat betont, dass der erfolgten Verein- barung neuer innerstaatlicher Mechanismen und eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft, auch schon bei nur vorläufiger Anwendung des Ab- kommens, nun eine entschlossene Umsetzung folgen muss, welche getroffene Verabredungen zügig mit Leben erfüllt. Er ermutigt in diesem Zusammenhang die zivilgesellschaftlichen Orga- nisationen in den Andenstaaten und in der Euro- päischen Union, die neue Möglichkeiten der Ein- flussnahme zu nutzen, und fordert die beteiligten Regierungen auf, die Umsetzung der arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpoliti- schen Verpflichtungen entschlossen anzugehen und dabei auch eine umfangreiche Informations- und Werbekampagne vorzusehen, um möglichst viele der interessierten Gruppen oder Personen für eine Beteiligung an dem Kontrollrahmen des zivilgesellschaftlichen Mechanismus zu gewin- nen. Alle diese Schritte sind auch schon bei nur vorläufiger Anwendung des Abkommens mög- lich. 12. Der Bundesrat begrüßt, dass der Handelsaus- schuss des Europäischen Parlaments erstmalig eine Monitoring-Gruppe eingesetzt hat, die die Umsetzung arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischer Verpflichtungen und des in dem Abkommen enthaltenen Nachhaltigkeits- kapitels bereits seit dem Zeitpunkt der vorläufi- gen Anwendung des Abkommens überwachen wird. 13. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Implementation der von Kolumbien und Peru eingegangenen arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtungen auch schon im Rahmen der vorläufigen Anwendung des Abkommens eng zu begleiten und auch auf natio- naler und europäischer Ebene auf Strukturen hin- zuwirken, die eine Implementation sicherstellen und ein wirkungsvolles Monitoring garantieren. 14. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung zu- dem dazu auf, bei der Erteilung eines Verhand- lungsmandats für EU-Handelsabkommen an die Kommission die Einbeziehung von Nachhaltig- keitsaspekten sowie die Wahrung von Sozial-, Menschenrechts-, Umwelt- und Verbraucher- schutzstandards und Belangen des Klimaschutzes im jeweiligen Abkommen und unter dem allge- meinen Streitbeilegungsmechanismus einzufor- dern. Die vereinbarten arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtun- gen mit Kolumbien und Peru, die die Entschlie- ßung des Europäischen Parlaments veranlasst hat, weisen in die richtige Richtung und stellen unmit- telbare Verbesserungen gegenüber dem Status quo dar. Zur wirksamen und dauerhaften Absi- cherung dieser Standards ist aber die Einführung umfangreicher, verbindlicher und durch entspre- chende Streitbeilegungsmechanismen durchsetz- barer Regelungen innerhalb zukünftiger Abkom- men nötig. 30586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) – Elftes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis- sionsschutzgesetzes – Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortent- wicklung des Städtebaurechts Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Zu Artikel 1 Nummer 16 Buchstabe b (§ 35 Absatz 4 BauGB) Der Bundesrat bedauert, dass das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz einen neuen Begüns- tigungstatbestand in § 35 Absatz 4 BauGB enthält. Wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 21. September 2012, vergleiche BR-Drucksache 474/12 (Beschluss), zu dem Gesetzentwurf der Bun- desregierung verdeutlicht hat, führt dieser neue Tatbe- stand zu einer Intensivierung und Verfestigung der Nutzung des Außenbereichs und widerspricht damit dem erklärten Ziel des Gesetzes, die Innenentwick- lung zu stärken und die Neuinanspruchnahme von Flächen zu vermeiden. Nach Auffassung des Bundesrates bietet die bereits derzeit gültige Fassung des § 35 Absatz 4 BauGB ausreichende Möglichkeiten, nicht mehr für die Land- wirtschaft genutzte Bestandsbauten einer anderen zweckmäßigen Nutzung zuzuführen. Gegebenenfalls käme – sofern öffentliche Belange von einer Neu- errichtung nicht beeinträchtigt werden – auch die Zu- lassung eines Vorhabens über § 35 Absatz 2 BauGB in Betracht. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher ent- sprechend seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf vom 21. September 2012 erneut auf, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Erweiterung des § 35 Absatz 4 BauGB wieder gestrichen wird. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Evaluierung des Nachweises einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz – Sprachlern- und Sprachtestange- bote, Visumverfahren – Drucksachen 17/3090, 17/4118 Nr. 1.1 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht der Bundesregierung über die Entwick- lung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirt- schaft in Deutschland – Drucksachen 17/12567 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologi- scher Leistungsfähigkeit Deutschlands 2011 und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 17/8226 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologi- scher Leistungsfähigkeit 2012 – Drucksachen 17/8872 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2012 – Drucksachen 17/9680 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologi- scher Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 – Drucksachen 17/12611 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland – Bilanz und Perspektiven hier: Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutach- ten zu Forschung, Innovation und technologischer Leis- tungsfähigkeit Deutschlands 2013 – Drucksachen 17/13075 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/13183 Nr. A.1 EuB-BReg 21/2013 Drucksache 17/13183 Nr. A.2 EuB-BReg 22/2013 Drucksache 17/13183 Nr. A.3 Ratsdokument 5128/13 Drucksache 17/13340 Nr. A.2 EuB-BReg 23/2013 Drucksache 17/13340 Nr. A.3 EuB-BReg 24/2013 Innenausschuss Drucksache 17/11242 Nr. A.3 Ratsdokument 14230/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.13 Ratsdokument 17680/12 Rechtsausschuss Drucksache 17/4927 Nr. A.12 Ratsdokument SEK-Nr.(2011)173 endg. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/2994 Nr. A.34 EuB-BReg 115/2010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2013 30587 (A) (C) (D)(B) Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/12911 Nr. A.4 Ratsdokument 6380/13 Drucksache 17/12911 Nr. A.5 Ratsdokument 6671/13 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 17/3135 Nr. A.6 Ratsdokument 13216/10 Drucksache 17/4338 Nr. A.16 EuB-EP 2087 Drucksache 17/7423 Nr. A.34 Ratsdokument 14556/11 Drucksache 17/11108 Nr. A.17 Ratsdokument 13707/12 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/11617 Nr. A.13 Ratsdokument 15627/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.17 Ratsdokument 15984/12 Drucksache 17/12449 Nr. A.10 Ratsdokument 5600/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.16 Ratsdokument 5864/13 Drucksache 17/12783 Nr. A.10 Ratsdokument 6186/13 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/11439 Nr. A.17 Ratsdokument 14869/12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/9797 Nr. A.11 Ratsdokument 9170/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.21 Ratsdokument 14854/12 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 17/10710 Nr. A.86 Ratsdokument 12558/12 241. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 51Regierungserklärung zur nuklearen Entsorgung TOP 53, ZP 9 Bankenaufsicht und Bankenabwicklung TOP 54Moderne Mitbestimmung TOP 55Lobbyismus und Parteienfinanzierung ZP 10 Aktuelle Stunde zum Verkauf der TLG - Wohnungen Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere
ich dem Kollegen Johannes Singhammer nachträglich
zu seinem 60. Geburtstag, den er in den vergangenen Ta-
gen gefeiert hat. Alle guten Wünsche im Namen des
ganzen Hauses!


(Beifall)


Für den am 12. Mai verstorbenen Kollegen Dr. Max
Stadler ist der Kollege Gerhard Drexler nachgerückt.
Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich den neuen
Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute Zusam-
menarbeit.


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 52 abzuset-
zen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a und 51 b auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit

Nukleare Entsorgung im Konsens regeln

b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Suche und Auswahl eines Standortes für ein
Endlager für Wärme entwickelnde radioak-
tive Abfälle und zur Änderung anderer Ge-
setze (Standortauswahlgesetz – StandAG)


– Drucksache 17/13471 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, Peter Altmaier. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der
heutigen ersten Lesung des Standortauswahlgesetzes zur
Endlagerung hochradioaktiver Abfälle schlagen wir ein
neues Kapitel in der langen und zugleich auch wechsel-
vollen Kernenergiepolitik unseres Landes auf. Es wird
eines der letzten Kapitel sein. Wir wollen und wir wer-
den dieses Kapitel gemeinsam gestalten.

In Deutschland hat man sich frühzeitig, früher als in
vielen anderen Ländern, die Kernkraftwerke gebaut und
betrieben haben, mit der Frage der sicheren Entsorgung
beschäftigt. Der Standort Gorleben wurde nach den da-
maligen Vorstellungen ausgewählt. Es wurde mit der Er-
kundung des Salzstocks begonnen; aber ein Endlager
haben wir bis zum heutigen Tage nicht. Die Entschei-
dungen waren fachlich und politisch umstritten. Nie ist
es gelungen, einen Konsens, eine allgemein akzeptierte
Lösung zu gestalten. Damit gehört die 30-jährige De-
batte über diese Frage zu den großen, aber nicht unbe-
dingt zu den vorbildlichen Debatten in der Geschichte
der alten Bundesrepublik und des wiedervereinigten
Deutschlands.

Nach einem jahrzehntelangen Streit und gesellschaft-
lichen Konflikten in der Frage, wo und wie radioaktive
Abfälle langzeitsicher entsorgt werden können, ist der
nun erzielte Konsens ein historischer Durchbruch. Er
folgt dem breiten Konsens aus dem Jahre 2011 über den
schrittweisen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
Kernenergie bis zum Jahre 2022. Damit geht das Zeital-
ter der Kernenergie in Deutschland definitiv zu Ende.





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


Egal wie man in den letzten Jahren zur friedlichen Nut-
zung der Kernenergie stand oder wie man heute dazu
steht, egal welche Überzeugungen auf den unterschiedli-
chen Seiten dieses Hauses vorherrschten: Es gibt heute
einen breiten, einen soliden, einen parteiübergreifenden
Konsens, dass die Kernenergie für die Energieversor-
gung der Zukunft in Deutschland keine Option mehr dar-
stellt. Es ist wichtig, dass wir diesen Konsens über alle
kontroversen Debatten hinweg aufrechterhalten und
nach außen sichtbar machen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies entspricht auch dem Wunsch der großen Mehr-
heit der Menschen in Deutschland, wie Umfragen immer
wieder zeigen. Ein jahrzehntelanger tiefer Konflikt in
Politik und Gesellschaft, vermutlich der größte und
längste in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, ist
damit gelöst worden, ein Konflikt, der unsere Gesell-
schaft auch gespalten und die Politik manchmal gera-
dezu gelähmt hat, ein Konflikt, der mit heftigen Demon-
strationen, großen Polizeiaufgeboten und leider
manchmal auch mit Gewalt und Verletzten einherging.
Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben – alle hier im Saal
wissen, wovon ich spreche. Deshalb liegt es mir am Be-
ginn der Beratungen auch am Herzen, all den friedlichen
Demonstranten, die jahre- und oftmals jahrzehntelang
für ihre Überzeugung gekämpft haben, aber auch den
vielen Tausend Polizisten, die all die Jahre unter Einsatz
ihres Lebens und ihrer Gesundheit für Sicherheit und
Rechtsstaatlichkeit gesorgt haben, meinen Respekt und
meine Hochachtung auszusprechen. Herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir uns die Dimension dieses Konfliktes vor
Augen halten, dann wird klar, dass die Einigung in der
Endlagerfrage, die wir am 9. April 2013 erzielt haben,
mit Fug und Recht als Durchbruch bezeichnet werden
darf. Einige der Teilnehmer, die nicht meiner Partei an-
gehören, sprachen sogar von einem historischen Durch-
bruch. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das Erreichte
hat nicht nur für die Gegenwart Bedeutung. Es wirkt vor
allem für unsere Zukunft; denn Maßstab des politischen
Handelns heute müssen Sicherheit und Lebensqualität
der nach uns kommenden Generationen sein. Darum
muss die Generation, die das Problem verursacht hat, es
auch lösen. Sie muss zumindest die Lösung auf den Weg
bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Problem
der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle heute für die
Zukunft gemeinsam anpacken, und zwar partei- und
fraktionsübergreifend.

Im Übrigen: Wir haben diese Gespräche in einer Zeit
geführt, in der wir uns auch auf eine wichtige Wahlent-
scheidung vorbereiten. Dass alle Beteiligten sehr kon-
krete, aber zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen
darüber haben, wie diese Wahlentscheidung ausfallen
wird, muss nicht negativ sein. Wahrscheinlich ist es so-
gar positiv, wenn es darum geht, gemeinsam etwas auf
die Beine zu stellen, was die Wahlauseinandersetzungen
übersteht.

Die Herausforderung ist groß. Der Ministerpräsident
von Baden-Württemberg, Herr Ministerpräsident
Kretschmann, hat pointiert von einem Gesetz nicht für
die nächsten drei, sondern für die nächsten 300 000
Jahre gesprochen. Ich weiß nicht, ob wir ein Mandat ha-
ben, das so weit reicht, und ich weiß nicht, ob man die
Geschichte so weit vorhersehen kann. Wir haben aber
die Verantwortung, heute Entscheidungen zu treffen, die
uns in den nächsten 300 000 Jahren keine Probleme ma-
chen; wir, unsere Generation, müssen dieser Verantwor-
tung gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das haben wir übrigens mit dem Gesetz zur Be-
schleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle aus
der Schachtanlage Asse II, dem Asse-Gesetz, getan, das
am 25. April 2013 in Kraft getreten ist. Auch dort geht
es darum, eine schwärende Wunde in der Natur zu be-
handeln und eines Tages hoffentlich zu schließen, sodass
wir unserer Verpflichtung für künftige Generationen ge-
recht werden. Ich möchte deshalb allen Beteiligten dan-
ken, die diesen Konsens durch ihre konstruktive Mitwir-
kung und ihre Kompromissbereitschaft ermöglicht
haben. Wir setzen ein wichtiges Signal dafür, dass die
Politik trotz allen notwendigen Streites in elementaren
Fragen zusammenfinden und gemeinsam tragfähige und
zukunftsfähige Lösungen zum Wohle der Bürgerinnen
und Bürger beschließen kann.

Die Bemühungen um ein Endlager reichen lange zu-
rück, die Bemühungen um einen Konsens ebenfalls. Mir
liegt daran, heute vor allen Dingen die Arbeit zu würdi-
gen, die unmittelbar zu diesem Gesetzentwurf geführt
hat. Deshalb werden Sie verstehen, dass ich ganz beson-
ders Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann
aus Baden-Württemberg und meinem unmittelbaren
Vorgänger, Norbert Röttgen, dafür danken möchte, dass
sie im November 2011 die Initiative ergriffen haben, um
in dieser so wichtigen Frage zu einer Lösung zu kom-
men.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch wenn es länger gedauert hat, als damals einige
glaubten: Es war wichtig, dass Sie, lieber Herr Röttgen,
und Sie, lieber Herr Kretschmann, den Mut hatten, auch
in den eigenen Reihen für diesen Konsens zu werben,
weil es ohne das Springen über den eigenen Schatten
nicht möglich gewesen wäre, zu einer Lösung zu kom-
men, die für alle akzeptabel ist. Dafür ganz herzlichen
Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte mich bei meinen weiteren Vorgängern
bedanken, bei Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin, mit de-
nen ich in den Sommermonaten in manchen Gesprächen
und Diskussionen versucht habe, das, was Winfried
Kretschmann und Norbert Röttgen vorbereitet hatten, in
eine konsensfähige finale Fassung zu bringen.





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


Ich möchte mich auch bei den Verantwortlichen des
Landes Niedersachsen bedanken. Ich habe einmal ge-
sagt, Niedersachsen sei ein Premiumpartner bei der Su-
che nach einem Endlager; denn alle vorhandenen, ge-
nehmigten und erkundeten möglichen Endlager befinden
sich in Niedersachsen: die Asse, Schacht Konrad und
eben auch Gorleben. Deshalb war es wichtig, diese Ar-
beit in enger Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen
Landesregierung voranzutreiben. Ich möchte mich für
die sehr konstruktive Zusammenarbeit bei David
McAllister und Stefan Birkner bedanken. Ich habe mich
bemüht, diese Zusammenarbeit mit Stefan Wenzel und
Stephan Weil fortzusetzen, und bin froh und erleichtert,
dass es gelungen ist, gerade auch in Niedersachsen Ver-
ständnis für den Prozess zu finden, den wir vor über ei-
nem Jahr auf die Schiene gesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch bei
all denen bedanken, die in den letzten Jahrzehnten dafür
gesorgt haben, dass die Kernkraftwerke in Deutschland
die sichersten in der Welt waren und immer noch sind.
Das hat der Bericht der Reaktor-Sicherheitskommission
noch einmal bestätigt. Das ist kein Grund, sich zurück-
zulehnen. Das ist kein Grund, in den Anstrengungen
nachzulassen. Aber es ist eine beeindruckende Leistung.
Ich sage das, weil es mir wichtig ist, deutlich zu machen:
Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet nicht, dass
die Lebensleistung all derer, die über Jahrzehnte für die
Sicherheit von Kernanlagen gesorgt haben, nicht aner-
kannt würde, ganz im Gegenteil. Ich schließe auch die
Bergleute und die Wissenschaftler in Gorleben sowie die
Beschäftigten in den Kernkraftwerken in diesen Dank
ein. Ich weiß, vor uns allen liegen noch große und her-
ausfordernde Aufgaben beim Rückbau der Anlagen.

Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass beim
Umgang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. Mit die-
sem Kompass ist der Ausstieg bisher eine Erfolgsge-
schichte. Wir haben acht Kernkraftwerke abgeschaltet.
Parallel dazu ist ein nationaler Aktionsplan erarbeitet
worden, um die Robustheit der noch laufenden Kern-
kraftwerke zu erhöhen. Die Stromversorgung ist bisher
gesichert, weil wir eine solide Grundstruktur unserer
klassischen Energieversorgung haben. Zugleich haben
wir die erneuerbaren Energien in den letzten Jahren
schneller und deutlicher ausgebaut, als viele es für mög-
lich gehalten hätten. Deutschland ist und bleibt ein Land,
das Elektrizität exportiert, nicht importiert.

Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass für die
Energiewende; es ist aber auch der Kompass für das
Standortauswahlgesetz. Dabei leitet uns ein Grundsatz,
der uns alle eint: Die in Deutschland angefallenen Ab-
fälle müssen auch in Deutschland entsorgt werden; das
gebietet das Prinzip der nationalen Verantwortung. Des-
halb haben wir bei der Erreichung unseres großen Kon-
senses vereinbart, dass wir nach der Bundestagswahl bei
der Umsetzung der entsprechenden europäischen Richt-
linie noch einmal ganz klar zum Ausdruck bringen wer-
den, dass für uns eine Entsorgung dieser Abfälle im Aus-
land nicht in Betracht kommt. Die Abfälle, für die wir in

Deutschland verantwortlich sind, wollen und werden wir
auch in Deutschland entsorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem Standortauswahlgesetz wird ein Fahrplan für
die Endlagersuche erstmals auf eine gesetzliche Grund-
lage gestellt. Wir haben das Endlager noch nicht, wir su-
chen es erst. Aber es ist ein Paradigmenwechsel, weil es
bisher in vielen Fällen darum ging, ein Endlager zu ver-
hindern. Jetzt geht es darum, ein Endlager zu finden. Da-
mit haben sich die Voraussetzungen grundlegend geän-
dert. Wir werden deshalb mit diesem Gesetz ein
gestuftes Standortauswahlverfahren neu einrichten. Wir
wollen den bestmöglichen, bestgeeigneten Endlager-
standort mit Blick auf die Sicherheit der Endlagerung,
die Sicherheit der Menschen, die Sicherheit der Natur
und der Umgebung erreichen.

Die Standortsuche erfolgt nach dem Prinzip der wei-
ßen Landkarte. Das heißt, es gibt keine Vorfestlegungen
auf bestimmte Gesteinsformationen, aber auch nicht den
Ausschluss einzelner Standorte. Dies gilt für das Erkun-
dungsbergwerk Gorleben. Das gilt aber auch für jeden
anderen denkbaren Standort in der Republik.

Die Endlagersuche ist zugleich demokratisch legiti-
miert, transparent und nachvollziehbar. Sie erfolgt in ei-
nem transparenten Prozess mit breiter Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger. Das ist mir besonders wichtig,
und das habe ich zum Ausdruck gebracht, als ich am
22. Januar im Wendland mit über 500 Bürgerinnen und
Bürgern, die zum Teil seit vielen Jahren in dieser Frage
aktiv sind, einen ganzen Abend lang diskutiert habe. Mir
ist wichtig, dass wir Vertrauen und Akzeptanz dadurch
schaffen, dass wir Transparenz herstellen und gewähr-
leisten; denn wir müssen auch verloren gegangenes Ver-
trauen wieder zurückgewinnen. Deshalb wollen wir mit
dem Gesetz Lösungen erreichen, die, so weit es geht,
den Belangen aller Betroffenen gerecht werden: denen,
die sich im Wendland seit 30 Jahren mit dieser Frage
auseinandersetzen, aber auch denen in allen anderen Tei-
len der Republik, die sich Gedanken darüber machen, ob
eventuell demnächst in einigen Jahren bei ihnen konkret
nach einem Standort für ein Endlager gesucht wird, das
dann vielleicht auch eines Tages gebaut werden soll.

So wollen wir bis zum Ende des Jahres 2031 in einem
schrittweise auf der Basis fachlich begründeter und wis-
senschaftlicher Kriterien basierenden Prozess den Stand-
ort für ein Endlager suchen. Es wird oft darüber disku-
tiert, ob dieser Termin, 2031, zu lang oder zu kurz
gegriffen ist. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand
wissen. Aber wenn es richtig ist, dass wir in unserer Ge-
neration den Grundstein für eine Lösung der Endlager-
frage legen wollen – das haben Sie eben alle mit Ihrem
Beifall unterstützt –, dann können wir auch die Entschei-
dung über den Endlagerstandort nicht beliebig lange vor
uns herschieben. Dann werden wir irgendwann um die
Jahreswende 2030 zu einer solchen Entscheidung kom-
men müssen. Wir werden sie übrigens umso eher treffen
können, je weniger das Verfahren angreifbar ist. Deshalb
habe ich mit Ministerpräsident Weil und mit Umwelt-





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


minister Wenzel in sehr intensiven persönlichen Gesprä-
chen darüber diskutiert, wie man die Einbeziehung der
Öffentlichkeit und die Transparenz so herstellen kann,
dass wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und dass
wir das Vertrauen in die Ergebnisoffenheit der Endlager-
suche über jeden Zweifel erhaben stellen.

Aus diesem Grund wollen wir die Standortsuche
durch eine 24-köpfige Bund-Länder-Kommission vor-
bereiten. Sie wird zwei Jahre lang bis 2015 die Grund-
fragen für die Entsorgung dieser Abfälle klären. Sie wird
sie diskutieren und Vorschläge machen. Das Gewicht
dieser Vorschläge wird von der Autorität dieser Kom-
mission maßgeblich abhängig sein. Deshalb ist es wich-
tig, dorthin Persönlichkeiten zu entsenden, die kraft ihrer
Autorität und Kompetenz imstande sind, diesen Debat-
ten Gewicht und Autorität zu verleihen. Sie werden über
Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwä-
gungskriterien diskutieren sowie über unterschiedliche
Lagerkonzepte und über die Anforderungen an das
Suchverfahren. Sie werden auch Vorschläge zur Evaluie-
rung dieses Gesetzes machen. Der Deutsche Bundestag
wird dann seine Arbeiten im Lichte der Kommissions-
ergebnisse aufnehmen können. Möglicherweise wird die
Kommission am Ende nicht zu einer Verzögerung, son-
dern sogar zu einer Beschleunigung der Arbeiten beitra-
gen.

Die Entscheidung über die weiteren Schritte des Aus-
wahlverfahrens, die über- und untertägige Erkundung
sowie den abschließenden Standortvorschlag trifft der
Bundestag per Gesetz. Damit unterstreichen wir die Be-
deutung dieser Aufgabe. Wir wollen aber nicht, dass da-
durch Rechtswege verkürzt werden und dass einzelne
Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass sie we-
niger Möglichkeiten haben, ihre Vorstellungen und Inte-
ressen geltend zu machen. Auch dafür haben wir ge-
meinsam eine gute Regelung gefunden.

Mehr Transparenz bedeutet dabei auch: Die Entschei-
dung über die unterirdisch zu erkundenden Standorte
wird so ausgestaltet, dass sie verwaltungsgerichtlich
überprüft werden kann. Für den dann gesetzlich festge-
legten Standort wird es ein atomrechtliches Genehmi-
gungsverfahren zur Sicherheitsprüfung geben, das wie-
derum verwaltungsgerichtlich überprüfbar sein wird.
Mit diesem am Kriterium der Sicherheit orientierten Ver-
fahren setzen wir übrigens zusammen mit der Schweiz
auch international Maßstäbe.

Um den wissenschaftsbasierten Such- und Auswahl-
prozess und ein transparentes Verfahren zu gewährleis-
ten, ist die Einrichtung eines Bundesamtes für kerntech-
nische Entsorgung erforderlich, das die Tätigkeit des
Vorhabenträgers überwacht. So verwirklichen wir den
international üblichen und auch von der EU vorgegebe-
nen Grundsatz der Trennung zwischen Betreiber und
Aufsichtsbehörde. Das Bundesamt muss Erkundungs-
programme und Prüfkriterien entwickeln und festlegen.
Es muss die Standortentscheidung effizient und sachge-
recht vorbereiten. Es muss die Öffentlichkeit aktiv und
korrekt unterrichten. Das Bundesamt für Strahlenschutz
wird als Vorhabensträger eine entscheidende, eine ganz
wichtige Rolle in diesem Prozess zu übernehmen haben.

Wer über die Endlagersuche spricht, kann über die
Kosten nicht schweigen. Für mich ist klar: Die Kosten
des Auswahlverfahrens müssen von den Abfallverursa-
chern getragen werden. Das ist die gesetzliche Regelung,
und an dieser gesetzlichen Regelung halten wir fest.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Allerdings liegt mir daran – das sage ich mit gleicher
Bedeutung und Betonung –, dass wir in den Konsens,
den wir zwischen den Parteien gefunden haben, die Um-
weltverbände, die Bürgerinitiativen und die Zivilgesell-
schaft, aber auch die Kernkraftwerksbetreiber einbezie-
hen und dass wir in einem offenen Dialog mit allen
Beteiligten dafür sorgen, dass das Gesetz, das wir hier
beschließen, die nötige Unterstützung in der Praxis und
vor Ort erfährt. Deshalb bin ich in Gesprächen mit den
Kraftwerksbetreibern. Ich möchte sicherstellen, dass wir
alle Entscheidungen unseres Kompromisses im vorgese-
henen zeitlichen Rahmen und mit den vorgegebenen
Konsequenzen tatsächlich durchsetzen können. Dazu ge-
hört zentral auch die Frage, wie wir mit den Zwischenla-
gern umgehen.

Für mich war von Anfang an, seit dem ersten Tag
meiner Amtszeit, klar: Wenn wir zu einer ergebnisoffe-
nen Suche kommen, wenn wir von dem Prinzip der wei-
ßen Landkarte ausgehen, dann dürfen wir die Akzeptanz
des Ergebnisses nicht dadurch gefährden, dass in der
Frage der Zwischenlagerung alles so weiter geht wie bis-
her. Deshalb besteht die Herausforderung darin, dass wir
die 26 Behälter mit abgebrannten Kernbrennstäben, die
wir in den nächsten Jahren nach der Wiederaufbereitung
im Ausland zurücknehmen müssen, in anderen Zwi-
schenlagern in der Republik sicher verwahren. Wir ha-
ben Einigkeit zwischen allen Beteiligten, dass keine wei-
teren Castortransporte nach Gorleben durchgeführt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Deshalb wollen wir vor der abschließenden zweiten und
dritten Lesung und vor der Zustimmung durch den Bun-
desrat Klarheit darüber schaffen, wohin diese Transporte
gehen, und dafür sorgen, dass die notwendigen Anträge
gestellt werden.

Ich danke denjenigen Ländern, die bereits jetzt ihre
politische Bereitschaft für weitere Zwischenlagerstand-
orte erklärt haben. Ich werde meine Gespräche mit den
anderen Ländern fortsetzen. Ich werde keine öffentli-
chen Ratschläge geben, weil es der Respekt vor dem Fö-
deralismus verbietet. Ich will aber sagen, dass mich in
allen Gesprächen dasjenige leitet, was mich von Anfang
an geleitet hat, nämlich nicht die Frage nach irgendwel-
chen parteipolitischen Farben und Präferenzen, sondern
die Frage, wie diese Transporte so sicher und verant-
wortlich wie möglich durchgeführt werden können. Das
ist eine Frage der technischen Vorrichtungen vor Ort,
eine Frage der Transportwege, eine Frage der Sicherheit
bei der Begleitung und vieles andere mehr. Ich bin auf-





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


grund der geführten Gespräche optimistisch und über-
zeugt, dass wir diese Frage nicht nur gemeinsam mit den
Bundesländern, sondern auch gemeinsam mit den Be-
treibern in den nächsten Wochen klären können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird gro-
ßer Anstrengungen bedürfen, um dieses Gesetz in die
Praxis umzusetzen. Wir haben für die parlamentarische
Beratung großen Wert darauf gelegt – obwohl uns die
Zeit am Ende knapp wurde –, dass wir ein Verfahren ha-
ben, das ohne Fristverkürzungen auskommt, dass wir ein
Verfahren mit allen Anhörungen und Ausschussberatun-
gen, die notwendig sind, haben. Wir haben uns gemein-
sam darauf geeinigt, ein dreitägiges Symposium zur Ein-
beziehung der Zivilgesellschaft durchzuführen, das Ende
Mai und Anfang Juni stattfinden wird.

Für mich sind aber der Konsens und die Gemeinsam-
keit mit der Verabschiedung des Endlagersuchgesetzes
am 5. Juli im Bundesrat nicht beendet. Dann geht es erst
wirklich los. Deshalb müssen sich alle Beteiligten inner-
halb und außerhalb dieses Parlaments darüber im Klaren
sein, dass das, was wir erreicht haben, nämlich den par-
tei- und fraktionsübergreifenden Konsens, ein hohes Gut
ist. Ich weiß, wie schwierig das manchmal für alle Seiten
ist. Schließlich sind bei vielen von uns noch die alten
Reflexe lebendig. So kommt es, dass sich manchmal die
Emotionen, nachdem die große Frage entschieden ist,
bei kleinen Details entzünden. Diese Details sind wich-
tig. Wir werden sie sorgfältig behandeln. Aber ich werbe
und plädiere dafür, dass wir uns auch immer dessen be-
wusst sind, dass wir gemeinsam das Signal geben müs-
sen, dass wir dieses Problem lösen, dass wir es lösen
können, dass wir, egal wie die Bundestagswahl ausgeht,
egal wie der Souverän entscheidet, auch nach der Bun-
destagswahl alle wesentlichen Entscheidungen gemein-
sam und im Konsens treffen wollen, weil wir damit die
große Chance, die uns dieses Gesetz eröffnet, nutzen und
wahrnehmen, die letzte große Herausforderung des
Kernenergiezeitalters geschlossen anzugehen und zu be-
wältigen.

Ich bitte Sie um Unterstützung für das weitere parla-
mentarische Verfahren und für die Zeit darüber hinaus.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100100

Das Wort erhält nun der Ministerpräsident des Landes

Niedersachsen, Stephan Weil.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1724100200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Ge-
setzesvorhaben, das der Deutsche Bundestag heute erst-
mals berät. Ich kenne kein anderes Vorhaben, das seit
sage und schreibe fast 40 Jahren umstritten ist – poli-
tisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich. Ich kenne kein
anderes Vorhaben, das für sage und schreibe fast 1 Mil-
lion Jahre Sicherheit schaffen soll. Ich kenne kurzum

kein anderes Vorhaben, wo Anspruch und Wirklichkeit
bislang so weit auseinanderklaffen wie bei der Suche
nach einem Endlager für den Atommüll. Das zeigt: Wir
brauchen dringend einen Neuanfang bei der Endlager-
suche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Als Niedersachse weiß ich, wovon ich da spreche. Für
alle anderen Bundesländer ist die Endlagerdebatte ab-
strakt; für uns ist sie konkret. In Niedersachsen tobt seit
dreieinhalb Jahrzehnten der Streit um Gorleben. Bei je-
dem neuen Castortransport hat es in unserem Land im-
mer und immer wieder heftige Auseinandersetzungen
auf den Straßen und den Schienen gegeben, und bei uns
liegt der Salzstock Asse II, wo radioaktiver Müll in un-
bekannter Menge in Fässern unbekannten Zustands an
unbekannten Orten das Grundwasser zu verseuchen
droht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die
Folgen einer falschen Endlagerpolitik kennenlernen
möchte, der ist in Niedersachsen richtig; der wird in Nie-
dersachsen fündig.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir es künftig besser machen wollen, dann
brauchen wir einen Neustart. Wir brauchen eine ergeb-
nisoffene Suche überall in Deutschland. Die Fixierung
auf Gorleben war ein schwerer Fehler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Transparenz und Öffentlichkeit. Mit der
Endlagerpolitik hinter verschlossenen Türen muss end-
lich Schluss sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen betrachte ich die Bund-Länder-Kommission
zur Klärung der vielen offenen Fragen tatsächlich als ei-
nen entscheidenden Fortschritt, der mit diesem Geset-
zesvorhaben verbunden ist. Wir brauchen aber vor allem
eines: Vertrauen. Ohne Vertrauen, dass es alle Beteilig-
ten ernst meinen mit dem Konsens und dass alle – alle
16 Bundesländer, die ganze Bundespolitik – diesen Kon-
sens über viele Jahre hinweg durchhalten, wird es nichts
werden mit dem Neustart in der Endlagersuche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns offen reden! Schon bei seiner Einbringung steht die-
ses Gesetzesvorhaben auf der Kippe. Die partei- und
ebenenübergreifende Verständigung vom 9. April war
der erste und überaus wichtige Schritt – nicht mehr, aber
auch nicht weniger. Jetzt folgt der erste Test auf die Be-
lastbarkeit dieser Verständigung – nicht mehr, aber auch
nicht weniger. Was heißt das? Das heißt, dass alle Punkte
unserer Verständigung auch tatsächlich gesetzlich umge-
setzt werden müssen. Da haben wir zum Beispiel bei der
Enteignungsregelung noch Klärungsbedarf. Vor allem
darf es – da sind wir uns alle einig; der Bundesumwelt-
minister hat es eben wiederholt – keine weiteren Castor-
transporte nach Gorleben geben.





Ministerpräsident Stephan Weil (Niedersachsen)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist wichtig und auch zwingend notwendig. Kein
Mensch würde sonst an eine ergebnisoffene Suche bei
der Endlagerung glauben.

So weit, so gut. Aber der Bundesumweltminister
muss auch die Frage beantworten, wohin die nächsten
Castoren gehen sollen. Um ein in der Regierungskoali-
tion geflügeltes Wort aufzugreifen, Herr Minister
Altmaier: Sie müssen liefern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist Aufgabe des Bundesumweltministers, ein verbind-
liches Konzept für die weitere Zwischenlagerung auf
den Tisch zu legen. Sie, Herr Minister Altmaier, müssen
für eine Verständigung mit den Energieversorgern sor-
gen. Davon sind wir zur Stunde noch weit entfernt. Sie
müssen eine Vereinbarung mit Schleswig-Holstein und
mit Baden-Württemberg herbeiführen. Beide Länder
verhalten sich sehr konstruktiv. Dafür gebührt ihnen
Dank und Anerkennung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber es kann nicht nur die Aufgabe von rot-grün regier-
ten Ländern sein, sich einer gemeinsamen nationalen
Herausforderung zu stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Patrick Döring [FDP] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie war das denn in Niedersachsen?)


Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss,
um eine extrem schwierige Aufgabe gemeinsam meis-
tern zu können, ein Kompromiss, den Niedersachsen un-
ter Zurückstellung gewichtiger Argumente mitträgt – wir
halten bekanntlich Gorleben als Endlagerstandort für un-
geeignet –, ein Kompromiss, den Niedersachsen aber aus
Überzeugung mitträgt. Dieser Kompromiss muss jetzt in
allen – ich wiederhole: in allen – seinen Teilen umge-
setzt werden. Die Verantwortung dafür trägt in erster Li-
nie die Bundesregierung. Werden Sie dieser Verantwor-
tung gerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine große Chance
für einen echten Neustart in der Endlagersuche. Sorgen
wir gemeinsam dafür, dass wir diese Chance auch nut-
zen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100300

Das Wort hat nun Angelika Brunkhorst für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1724100400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige

Monate nachdem wir in diesem Hause und im Bundesrat
den Beschluss über die Lex Asse fraktionsübergreifend
beschlossen haben, können wir heute wiederum frak-
tionsübergreifend das Standortauswahlgesetz auf den
Weg bringen. Ich bedanke mich vorab – Herr Minister
Altmaier hat sich schon bei allen bedankt – ganz herzlich
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMU und
bei Herrn Altmaier. Ich bedanke mich aber auch bei mei-
nen Kollegen und Kolleginnen aus den Fraktionen. Wir
haben uns intensiv auseinandergesetzt und sehr stark ge-
rungen, haben aber sehr konstruktiv zusammengearbei-
tet. An dieser Stelle vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bereits Umweltminister Röttgen hat im Dezember
2011 in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, in der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die wesentlichen Punkte
eines Endlagergesetzes erarbeitet, hat einem Zeitplan zu-
gestimmt. Auf Grundlage dieser Vereinbarung konnten
wir im April dieses Jahres verkünden, dass wir unter der
weisen Moderation von Bundesumweltminister Altmaier
den Gesetzentwurf vorlegen können. Tatsächlich hat
diese christlich-liberale Regierung einen Kabinettsbe-
schluss gefasst. Das ist besonders. Das haben die ande-
ren Regierungen zuvor nicht geschafft. Auch das kann
man hier erwähnen.

Ich möchte noch einiges dazu sagen, was der Inhalt
dieses Gesetzes sein wird.

Für meine Fraktion ist ganz klar, dass wir die Ausfül-
lung dieses Gesetzes mithilfe eines wissenschaftsbasier-
ten Ansatzes angehen. Für uns ist wichtig, dass die Ein-
haltung der strengen Maßstäbe des Atomgesetzes,
nämlich Stand von Wissenschaft und Technik sowie für
einen langen Zeitraum Schadensvorsorge, für den neuen
Standort, den wir finden wollen, hundertprozentig ge-
währleistet sein muss.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme auf den Standort Gorleben, der lange
Thema war, zu sprechen. Wir haben bislang keinen geo-
wissenschaftlichen Grund gefunden, der Gorleben als
Standort ausschließt.


(Lachen bei der LINKEN)


Das bedeutet für uns, dass Gorleben im Topf bleibt.
Selbst Gerhard Schröder und Herr Trittin haben im Rah-
men ihres Atomkonsenses bestätigt,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte zitieren Sie richtig!)


dass dieser Standort weiterhin eignungshöffig ist.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht widerlegt!)


Somit wird der Standort Gorleben im Topf landen. Er
wird anhand der gleichen wissenschaftlichen Kriterien
bewertet wie alle anderen möglichen Standorte auch.





Angelika Brunkhorst


(A) (C)



(D)(B)


Das heißt: Die Endlagerstandortsuche wird offen ge-
führt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen alle gesellschaftlichen Gruppen in die
Standortsuche einbinden. Es soll Transparenz geschaffen
werden. Deshalb haben wir entschieden, dass es eine
Kommission geben wird, in der die eigentliche Geset-
zesausfüllung vorbereitet wird. Diese Kommission wird
noch zu bilden sein. Sie wird circa zwei Jahre arbeiten
und dann eine wissenschaftsbasierte Empfehlung vorle-
gen. Sie wird aus politisch legitimierten Vertretern aus
Bund und Ländern gebildet. Es werden Experten dazu-
kommen. Es werden alle gesellschaftlich relevanten
Gruppen vertreten sein.

Es gibt natürlich Kritiker, die sagen, man hätte erst
einmal abwarten müssen und erst dann das Gesetz auf
den Weg bringen sollen. Das stimmt so nicht. Die Kriti-
ker übersehen, dass dieses Gesetz ein Rahmen für das
Suchverfahren darstellen soll. Es handelt sich um ein
Verfahrensrahmengesetz. Es ist genau der richtige Zeit-
punkt, dieses Gesetz jetzt auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der FDP)


Wann hat es das letzte Mal einen großen umfassenden
gesellschaftlichen Konsens in der Entsorgungsfrage ge-
geben? Das ist sage und schreibe 33 Jahre her. Es war im
Jahre 1979, als es einen solchen Konsens zum letzten
Mal gab.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus diesem Grund haben wir uns gegründet! Das war kein Konsens!)


Das ist für uns jetzt eine große Chance. Ich gehe davon
aus, dass durch die Wissenschaftseinrichtungen, die Res-
sortforschungseinrichtungen und die geologischen
Dienste der Länder sehr viel Expertise in diese Kommis-
sion eingebracht wird. Ich hoffe, dass wir die bisherigen
Forschungsergebnisse nicht ausblenden werden. Denn
wir haben bereits einen großen Fundus an Ergebnissen.
Deutschland ist in der Endlagerforschung auch an vielen
internationalen Forschungsprojekten beteiligt und hat
sehr viel geleistet.

Zum eigentlichen Verfahren. Das BMU hat ein dreitä-
giges Symposium vorbereitet, an dem Bürger und Wis-
senschaftler, die sich mit diesem Thema befasst haben,
die davon betroffen sind und die sich dafür interessieren,
teilnehmen können. Wir laden alle herzlich ein, daran
teilzunehmen, dort einen Beitrag abzugeben oder eben
einfach nur als Gast dabei zu sein. Das Symposium wird
am 31. Mai 2013 sowie am 1. und 2. Juni 2013 hier in
Berlin stattfinden. Darüber hinaus wird am 10. Juni 2013
eine öffentliche Anhörung des Umweltausschusses des
Deutschen Bundestages stattfinden, bevor das Gesetz in
die zweite und dritte Lesung geht. Ich bitte alle Kritiker
und all diejenigen, die interessiert sind, sich darum zu
kümmern, an dieser Anhörung teilnehmen zu können.

Zur Castorfrage. Herr Weil, Sie haben angesprochen,
dass das für Niedersachsen nicht verhandelbar gewesen
ist. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass auch

die vorherige Regierung unter Herrn McAllister und
dem Landesumweltminister Birkner die Forderung ge-
stellt hat, dass man die anderen Bundesländer doch bitte
an der Lastenverteilung beteiligt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber geheim!)


Sie haben darum gebeten, dass man auch andere Bun-
desländer in diese gesamtstaatliche Aufgabe einbeziehen
möge.

Ich möchte daran erinnern: Wir haben in der Sitzung
im April gesagt, dass wir für die noch zurückzunehmen-
den 26 Castoren kurze Wege brauchen. Daraus ergibt
sich natürlich, dass vielleicht doch eher küstennahe
Standpunkte geeignet sind.


(Lachen der Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Ich begrüße auf jeden Fall das Zugeständnis der beiden
Bundesländer Baden-Württemberg


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Küstennah? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, Bodenseeküste!)


– ja, gut – und Schleswig-Holstein, dass sie sich bereit
erklären, darüber nachzudenken, ob es einen Weg gibt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sonst noch irgendeine Forderung an irgendein Bundesland?)


Es gibt noch viele offene Fragen und Probleme, aber
ich bin sehr zuversichtlich, dass die Gespräche, die be-
reits sehr fruchtbar sind und einen guten Zwischenstand
haben, in den nächsten zwei oder drei Wochen zu einer
Lösung führen. Ich setze hohes Vertrauen in den Bun-
desumweltminister Altmaier.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100500

Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724100600

Guten Morgen, Herr Präsident! Herr Minister! Werte

Kolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Gesetz-
entwurf liegen drei Grundirrtümer zugrunde; ich möchte
sie an dieser Stelle sehr deutlich benennen.

Der erste Grundirrtum ist, die Zeit würde drängen.
Planmäßig, nach jetziger Gesetzeslage, werden spätes-
tens Silvester 2022 die Kernkraftwerke Isar 2, Neckar-
westheim 2 und Emsland vom Netz gehen. Wir alle wis-
sen, dass die Brennelemente dann noch vier Jahre in der
Anlage, im Abklingbecken, und weitere 40 Jahre ober-
irdisch abkühlen müssen. Das bedeutet, frühestens 2068
werden die letzten Brennelemente überhaupt einer End-
lagerung zugeführt werden können. Das ist ein Zeit-





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)


punkt, von dem ich annehme, dass die meisten hier im
Hause ihn nicht mehr erleben werden. – So viel zu der
Frage, wie sehr die Zeit drängt.


(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt in der Zeit viel zu tun!)


Zweiter Grundirrtum. Sie formulieren hier fraktions-
übergreifend, es würde sich hier um einen Konsens han-
deln. Es ist im besten Falle ein Kompromiss zwischen vier
Fraktionen. Es ist kein gesamtgesellschaftlicher Konsens,
dem eine Meinungsbildung in der Gesellschaft, ein gesell-
schaftlicher Dialog und eine Diskussion, die diesen Na-
men verdienen würde, vorausgegangen wären. Jetzt kön-
nen Sie einwenden: Über die Kommission sind noch
Veränderungen möglich. – Richtig, aber dafür sind rela-
tiv hohe Hürden gesetzt: Für Entscheidungen des Gre-
miums ist eine Zweidrittelmehrheit der 24 Mitglieder
notwendig; neun Mitglieder bilden also eine Sperrmino-
rität. Wenn man sich anschaut, wie sich die Kommission
zusammensetzt, kommt man sehr schnell zu dem
Schluss, dass es optimistisch ist, anzunehmen, dort
könnte es zu grundlegenden Veränderungen kommen.
Denn in diesem Gremium sitzen nur zwei Vertreter von
Umweltverbänden, zwei Vertreter der Gewerkschaften
und zwei Vertreter von Religionsgemeinschaften; das
macht insgesamt sechs. Somit wird es ganz schwierig,
überhaupt neun Stimmen für eine Sperrminorität zusam-
menzubekommen, selbst wenn sich diese drei gesell-
schaftlichen Gruppen einig wären.

Der dritte Grundirrtum ist, wir hätten gemeinsam aus
den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Abgeordnete aller
Fraktionen haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit und
Energie aufgewendet, um diese Fehler zu durchleuchten,
sowohl im Untersuchungsausschuss „Asse“ des Nieder-
sächsischen Landtags als auch im Untersuchungsaus-
schuss „Gorleben“ hier im Bundestag; den entsprechen-
den Bericht und die Voten der Fraktionen diskutieren wir
nächste Woche, insgesamt über 1 000 Seiten. Ich wage
die Behauptung, dass nur wenige hier im Haus, die nicht
selber in diesem Ausschuss saßen, bis heute das Thema
durchdrungen, die Fehler realisiert und daraus Schluss-
folgerungen gezogen haben.

Der nächste Aspekt. Bis heute findet kaum eine wis-
senschaftliche Aufarbeitung statt. Es ist nicht nur eine
parlamentarische Aufarbeitung, sondern auch eine wis-
senschaftliche Aufarbeitung der Fehler der Vergangen-
heit notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Da ist relativ wenig zu sehen. Das Desaster bei der Asse
ist nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, das vermurkste
Verfahren im Zusammenhang mit Gorleben auch nicht.
Ich merke nur, dass für die Anhörung im Juni nun dieje-
nigen Personen als Sachverständige gehandelt werden,
die wir im Untersuchungsausschuss immer wieder als
treibende Kräfte auf wissenschaftlicher Seite gesehen
haben, die Probleme verursacht haben.

Der letzte Punkt. Bei der juristischen Aufarbeitung ist
bis heute komplett Fehlanzeige.

Es gibt einen weiteren Grundirrtum, von dem hier im-
mer wieder ausgegangen worden ist. Es heißt: Dieses
Gesetz würde den gesellschaftlichen Großkonflikt be-
frieden. Aber solange es keine ergebnisoffene Debatte
gibt, solange Gorleben nicht aus dem Topf ist, solange
Öffentlichkeit, Verbände und kritische Wissenschaftler
nicht oder nur unzureichend einbezogen werden und
nicht wissen, in welcher Form sie sich einbringen kön-
nen und ob sie Gehör finden werden, wage ich die Pro-
gnose, dass dieser gesellschaftliche Großkonflikt nicht
zu befrieden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts der Tatsache, dass es hier darum geht, atoma-
ren Müll mindestens 1 Million Jahre sicher vor der Bio-
sphäre abzuschirmen, ist mehr Sorgfalt, mehr Transpa-
renz und mehr echte öffentliche Beteiligung notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Fraktion hat dazu vor geraumer Zeit ein Fünf-
Punkte-Konzept vorgelegt, das wir gemeinsam mit Anti-
atominitiativen, Wissenschaftlern und Verbänden erar-
beitet haben. Ich möchte diese fünf Punkte kurz benen-
nen. Sie sind aus unserer Sicht die Grundvoraussetzung
dafür, dass ein gesellschaftlicher Konsens zustande kom-
men kann, der diesen Konflikt befriedet.

Der erste und unabdingbare Punkt ist ein unverzügli-
cher und unabkehrbarer Atomausstieg und die Aufarbei-
tung der Fehler der Vergangenheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir das nicht tun, können wir keine Lehren für die
Zukunft ziehen. Das betrifft Gorleben, Asse, natürlich
auch Morsleben und Schacht Konrad – der Standort, der
aufzugeben ist –, und es betrifft auch mögliche Rechts-
verstöße, die juristischer Aufarbeitung bedürfen. Wich-
tig ist auch, dass endlich eine Kostenübernahme nach
dem Verursacherprinzip eingeführt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens ist es dringend notwendig, ein Verfahren zu
entwickeln, das eine Einbeziehung der Öffentlichkeit
über Beirats- und Beraterstrukturen, über Volksabstim-
mungen, aber auch über ein Klagerecht für Kommunen
ermöglicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss transparent sein, und es muss von vornherein
klar sein, wo demokratisch legitimierte Stellen wie in
das Verfahren eingreifen können.

Erst dann kann – das ist der dritte Punkt – überhaupt
die Suche nach einem Verwahrkonzept erfolgen. Es ist
noch gar nicht klar: Was ist unser Konzept? Ist das, was
wir jahrzehntelang postuliert haben, nämlich die Nicht-
rückholbarkeit, überhaupt noch Stand der Wissenschaft
und Technik? Es gilt, die Vor- und Nachteile abzuwägen
und ethische Fragen – wir befinden uns in einem ethi-
schen Dilemma – zu werten, um dann zu einem allge-
mein akzeptierten Kompromiss zu kommen.

Wenn das erfolgt ist, kann in einem vierten Schritt
überhaupt über eine Festlegung von standortunabhängi-





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)


gen Kriterien nachgedacht werden. Sie können erst fest-
gelegt werden, wenn wir wissen, nach welcher Methode
wir lagern wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Erst in einem fünften und letzten Schritt – das hat eine
gewisse Logik – kann es darum gehen, Standorte zu be-
nennen und vergleichend zu untersuchen, um sich dann
einer Entscheidung zu nähern.

Als Fazit halte ich fest: Sie satteln hier heute ein totes
Pferd. Sie sagen, dass wir ganz schnell ans Ziel kommen
müssen. Deswegen haben Sie das erste Pferd genom-
men, das Sie im Stall gefunden haben, leider ist es ein to-
tes. Damit werden Sie nicht weit kommen. Sie müssen
nach dem besten Pferd im Stall suchen.

Ich ahne, Sie wissen das, aber Sie haben die Hoff-
nung, dass es bis zur Bundestagswahl keinem auffällt.
Ich sage Ihnen: Es ist nicht gut, die Bürgerinnen und
Bürger für so doof zu halten.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer macht denn das?)


Sie durchschauen das. Sie werden schon seit Jahrzehnten
in der Frage der Atompolitik immer wieder an der Nase
herumgeführt. Jetzt werden sie sich einmischen, sie wer-
den mitdiskutieren, und sie werden sich wehren. Genau
da ist der Platz der Linken.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100700

Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1724100800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Frau Kollegin Menzner: Schade! Es ist
schade, dass aus Ihrer Rede nur Verweigerungshaltung
hervorgeht, weil ich Sie über weite Teile der Legislatur-
periode anders kennengelernt habe, weil wir in den Ver-
handlungen über die Asse sehr konstruktiv zusammen-
gearbeitet haben, weil wir in den Verhandlungen, auch
im Gorleben-Untersuchungsausschuss, äußerst kontro-
vers und dennoch konstruktiv miteinander umgegangen
sind. Weil ich weiß, dass Sie in der nächsten Legislatur-
periode diesem Bundestag nicht mehr angehören wer-
den, möchte ich mich für diese Arbeit herzlich bedanken
und Ihre Fraktion einladen, sich zu beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gorleben-
Untersuchungsausschuss ist eben schon genannt worden.
Er hat tatsächlich gezeigt, wie tief die Gräben zwischen
den Fraktionen und in der Gesellschaft in Bezug auf die
Vorgänge um Gorleben sind. Je nachdem, durch wessen
Brille man denn schaut, wird ein und derselbe Vorgang

gänzlich unterschiedlich wahrgenommen und mit ge-
radezu konträren Kommentaren versehen. Leider war
aus diesem Grund noch nicht einmal ein gemeinsamer
Feststellungsteil, also ein Konsens über die bloße
Faktenerhebung, möglich. Dass das bei der Wertung
nicht möglich war – okay, geschenkt. Aber bei der
Faktenerhebung? Das hat letztendlich gezeigt, wie tief
die Gräben sind, wie groß das gegenseitige Misstrauen
und wie notwendig ein Neuanfang ist.

Wenn wir uns denn jetzt unserer gemeinsamen Ver-
antwortung stellen wollen und uns nun, nach über
40 Jahren der Stromproduktion aus Kernenergie, endlich
der Endlagerung der hochradioaktiven, hochgiftigen Ab-
fälle in unserem Land ergebnisorientiert annehmen wol-
len, dann braucht es für diesen Neuanfang politischen
Mut. Es ist über all die Jahre so bequem gewesen, den
Schwarzen Peter nach Niedersachsen zu schieben.
Deshalb bedanke ich mich und adressiere meine aus-
drücklich große Anerkennung an Ministerpräsident
Kretschmann, an unseren ehemaligen Bundesumweltmi-
nister Röttgen und auch an David McAllister, diese Ge-
spräche wieder in Gang gebracht zu haben.

Es ist doch klar, dass diese Gespräche kein Spazier-
gang sind, dass immer wieder – wie möglicherweise
auch jetzt – Scheitern drohen kann. Dennoch hat der
Prozess den Ministerwechsel in Berlin zu Peter Altmaier
und einen Regierungswechsel in Niedersachsen zu
Stephan Weil und Stefan Wenzel überstanden, nicht zu-
letzt auch deshalb, weil die beiden ehemaligen Bundes-
umweltminister Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel ihre
Fachkompetenz, vor allen Dingen aber auch ihren politi-
schen Willen eingebracht haben, die Chance zur Eini-
gung nicht verstreichen zu lassen.

Wir haben uns am 9. April darauf verständigt, ein Ge-
setz noch in dieser Legislaturperiode einzubringen und
es im Deutschen Bundestag und im Bundesrat auch zu
verabschieden. Diese Standortauswahl soll wissenschaft-
lichen Kriterien genügen, in einem vergleichenden Ver-
fahren den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit
finden, in jedem Schritt von der Öffentlichkeit begleitet
und dann vom Deutschen Bundestag schrittweise legiti-
miert werden.

Das Verfahren orientiert sich an den Ergebnissen des
Arbeitskreises Endlager, die bereits seit 2002 auf dem
Tisch liegen. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass wir
auf der einen Seite keine Vorfestlegungen treffen kön-
nen, dass wir auf der anderen Seite aber auch keinen
Standort von vornherein herausnehmen können. Deshalb
bleibt Gorleben wie jeder andere Standort im Verfahren.

Die bergmännische Erkundung in Gorleben bleibt be-
endet, und auch auf die Errichtung eines Forschungsla-
bors wird verzichtet. Das nimmt Druck aus dem Verfah-
ren. Auf der anderen Seite möchte ich die Bundes- und
die Landesregierung aber bitten, alles dafür zu tun, die
bergtechnische Expertise zu sichern und nicht zuletzt
den Bergleuten und ihren Familien eine berufliche Per-
spektive zu bieten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)


Dem eigentlichen Standortauswahlverfahren wird
zunächst die Arbeit einer pluralistisch besetzten Bund-
Länder-Kommission, bestehend aus 24 Mitgliedern, vor-
ausgehen. Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Religions-
gemeinschaften, Gewerkschaften und Umweltverbände
sollen bis Ende 2015 das Auswahlverfahren bezüglich
der Sicherheitsmindestanforderungen, der Ausschluss-
und Auswahlkriterien und bezüglich des methodischen
Vorgehens vorbereiten. Wie gestern in einem Bericht-
erstattergespräch klar wurde, gibt es nicht nur aus mei-
ner Fraktion noch einige Anfragen zu Besetzung,
Arbeitsweise und politischer Anbindung dieser Kom-
mission. Das wird dann im parlamentarischen Verfahren
zu erörtern sein.

In allen Phasen des Prozesses, aber auch in die Arbeit
der Bund-Länder-Kommission wird die Öffentlichkeit
intensiv einbezogen. Transparenz sowie Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger werden bei jedem Verfahrens-
schritt notwendige Voraussetzungen sein. Die im Gesetz-
entwurf festgeschriebene frühzeitige, umfassende, aber
auch dynamische Öffentlichkeitsbeteiligung soll im wei-
teren Verfahren im Sinne eines lernenden Systems fort-
entwickelt werden.

Die parlamentarische Beratung, die wir ja nun heute
beginnen, soll durch eine intensive öffentliche Diskus-
sion begleitet werden. Das Bundesumweltministerium
veranstaltet deshalb ein Endlagersymposium. Vom
31. Mai bis zum 2. Juni können sich interessierte Bürge-
rinnen und Bürger beteiligen und sich mit eigenen Rede-
beiträgen einbringen. Ihre Einlassungen werden dann
auch in der Anhörung, die der Umweltausschuss des
Deutschen Bundestages am 10. Juni 2013 durchführen
wird, berücksichtigt.

Zentraler Kern des Gesetzentwurfs sind demokratisch
legitimierte, nachvollziehbare Entscheidungen. Über die
einzelnen Schritte des Auswahlverfahrens entscheidet
das Parlament per Gesetz. Dazu gehören am Ende des
Verfahrens die Beschlüsse über die Standorte für die
über- und untertägige Erkundung sowie über den end-
gültigen Standortvorschlag. Zwischendurch, also vor der
untertägigen Erkundung, soll über das Umwelt-Rechts-
behelfsgesetz noch ein verwaltungsgerichtlicher Rechts-
schutz gewährt werden. Dann kommt ein Planfeststel-
lungsverfahren, sodass es ab dem Jahr 2031 an dem
Standort an die Errichtung eines Endlagers gehen kann.

Außerdem haben sich alle Beteiligten darauf verstän-
digt, dass die Castortransporte in das Zwischenlager
Gorleben eingestellt werden sollen. In diesen Tagen wer-
den die Voraussetzungen dafür mit den Energieversor-
gungsunternehmen diskutiert. Die Gespräche machen
nach den Aussagen der Bundesregierung gegenüber den
Berichterstatterinnen gestern gute Fortschritte. Herr Mi-
nisterpräsident, ob die scharfen Töne aus Niedersachsen,
die ein Scheitern des Gesetzentwurfs androhen, falls der
Bundesminister sich nicht endlich kümmere, nötig und
hilfreich sind, wage ich zu bezweifeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Angelika Brunkhorst [FDP])


Im Übrigen handelt es sich bei der Forderung nicht
um eine Idee der rot-grünen Landesregierung, sondern
bestenfalls um eine niedersächsische Forderung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Kurzfristig entdeckt!)


Ich darf auf einen Artikel auf Seite 1 der Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung vom 5. November 2011 verweisen.
Die Überschrift lautete damals:

Schwarz-gelbe Castor-Gegner stellen sich quer.

Damit sind der ehemalige niedersächsische Umwelt-
minister Sander und ich gemeint. Wir fordern gemein-
sam, dass keine weiteren Castoren nach Niedersachsen
kommen,


(Ulrich Kelber [SPD]: Spät kamen sie, aber sie kamen wenigstens!)


weil die Menschen vor Ort das natürlich als weitere Vor-
festlegung verstehen würden. Das hat mir in meiner ei-
genen Fraktion übrigens nicht nur Freunde eingebracht,
wie Sie sich vorstellen können.


(Ulrich Kelber [SPD]: Heldin des Widerstands!)


Das Wegducken der anderen Länder – ich schließe
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ganz aus-
drücklich aus – hat nichts mit Rot-Grün oder Schwarz-
Gelb zu tun, sondern ist bestimmt durch das seit Jahr-
zehnten bekannte Agieren aufgrund von Länderegois-
men.


(Ulrich Kelber [SPD]: Es geht erst einmal um die Länder, die AKW betreiben!)


Deshalb sage ich: Lassen Sie uns den Weg der Sachpoli-
tik, der in diesem verminten Politikfeld nur im Konsens
zu gehen ist, weitergehen. Es ist viel einfacher, sich in
den Schützengräben einzumauern, als neue Wege zu wa-
gen.


(Beifall der Abg. Ewa Klamt [CDU/CSU])


Der niedersächsischen Landesregierung sage ich
– das sage ich als Niedersächsin –: Gerade wir Nieder-
sachsen haben ein extremes Interesse daran, dass dieses
Gesetz gelingt;


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn sollte es scheitern, gilt der Status quo. Gorleben ist
der einzige Standort in Deutschland, der für ein Endlager
für hochradioaktive Abfälle erkundet wird.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit der
Lex Asse, der kleinen Schwester dieses Vorhabens, ge-
zeigt, dass Politik handlungsfähig sein kann und auch
schwierige Fragen gelöst werden können, wenn der poli-
tische Mut und der Wille dazu da sind. Beides wünsche
ich uns sehr.

Herzlichen Dank.





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724100900

Das Wort hat nun Jürgen Trittin für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724101000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befin-

den uns in dieser Situation: Wir führen gemeinsam eine
seit über 30 Jahren umstrittene Frage einem breiten Kon-
sens, einer Lösung zu. Man hat sich vor 50 Jahren dafür
entschieden, Atomkraftwerke zu betreiben, ohne dass
man sich klar darüber war, was anschließend mit dem
Atommüll geschehen sollte. Man träumte von billiger
Energie, aber den Müll wollte niemand haben. Die Dis-
kussionen waren von kleinlichen Kostenerwägungen
und zum großen Teil bornierter Standortpolitik geprägt.
Der Untersuchungsausschuss Asse in Niedersachsen und
der Untersuchungsausschuss Gorleben legen beredt
Zeugnis von dieser Praxis ab.

Wir in Niedersachsen haben es nicht nur mit dem ein-
zigen genehmigten Endlager für schwach und mittel ra-
dioaktiven Müll in Salzgitter zu tun. Wir haben auch das
Forschungsendlager, die sogenannte Asse, und in unmit-
telbarer Nähe das Endlager Morsleben, in dem Sie, liebe
Frau Bundeskanzlerin, einst zusätzlichen Müll einlagern
wollten. Darunter wird heute ein Schlussstrich gezogen.
Frau Flachsbarth, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu:
Diese Praxis, mit Atommüll umzugehen, beenden wir
heute. Wir beenden damit auch die unselige Vorfestle-
gung auf Gorleben. Dass wir das im Konsens gemein-
sam tun können, ist eine gute Nachricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir gehen jetzt einen Weg, bei dem wir ausgehend
von wissenschaftlich festgelegten Kriterien, und zwar
vorher festgelegten Kriterien – wir bestimmen die Krite-
rien nicht anhand eines konkreten gewünschten Stand-
ortes –, schauen, welche Standorte für eine solche Endla-
gerung nicht geeignet sind. Dann schauen wir, welche
geeignet sein könnten, vergleichen diese miteinander
– oberirdisch wie unterirdisch – und treffen am Ende
eine Entscheidung. Die wesentlichen Entscheidungen
hierzu werden nicht mehr, wie es einst bei Gorleben der
Fall gewesen ist, im Hinterzimmer von einem Kabinetts-
ausschuss eines Landeskabinetts mit ein paar zugereisten
Bundesministern getroffen, sondern hier im Deutschen
Bundestag nach öffentlicher Anhörung und in öffentli-
cher Debatte transparent für das gesamte deutsche Volk.
Das ist der einzige Weg, angemessen mit den Problemen
der Entsorgung des sehr gefährlichen Atommülls umzu-
gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Das reicht aber nicht!)


Wir stehen in der Endlagerfrage also vor einem Neu-
start. Dieser Neustart hat auch viel damit zu tun, Ver-
trauen zu schaffen. Wir haben viel Wert darauf gelegt,
bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf, insbeson-
dere auch nach den Erfahrungen im Gorleben-Untersu-
chungsausschuss und durch die Arbeit von Sylvia
Kotting-Uhl und Doro Steiner, für umfassende Beteili-
gung zu sorgen.

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass gerade ein Minis-
terpräsident, der für sich selbst die Politik des Gehört-
werdens zum Motto gewählt hat, die Tür für diese
Lösung aufgestoßen hat. Dadurch, dass Winfried
Kretschmann gesagt hat: „Wir in Baden-Württemberg
entziehen uns nicht länger dieser Verantwortung“, hat er
dies ermöglicht. Ich finde, es ist ein schönes Geburts-
tagsgeschenk für ihn, dass wir heute dieses Gesetz bera-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Transparenz und Vertrauen müssen aber immer wie-
der erworben werden. Lieber Peter Altmaier, ich bin ja
bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass wir uns nicht immer
über Petitessen echauffieren dürfen. Ich glaube aber,
dass die Frage, wie man mit dem Vertrauen der Bürge-
rinnen und Bürger umgeht, eben gerade keine Petitesse
ist. Ich vermute, Sie sehen das genauso. Die Frage, ob es
in Gorleben als Folge der vorherigen Festlegung zu Ent-
eignungen kommt oder nicht, ist entscheidend und keine
Petitesse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen eine weiße Landkarte, und eine weiße Land-
karte kennt weder schwarze Löcher noch Vorfestlegung.
Jedwede Vorfestlegung muss rechtssicher – ich betone
das – beendet werden, wenn dieses Gesetz den Deut-
schen Bundestag verlassen und den Bundesrat passieren
soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das gilt auch für die Frage des Umgangs mit den
Transporten in die Zwischenlager. Wir haben in
Deutschland mehrere Zwischenlager; diese hat damals
übrigens eine rot-grüne Bundesregierung genehmigt und
durchgesetzt. Wir werden praktisch zu entscheiden ha-
ben, in welches dieser Zwischenlager wir die zusätzli-
chen 26 Castoren bringen, die zurückzunehmen wir ver-
pflichtet sind. Es ist unsere Pflicht, den Müll, der von
uns stammt, aus den anderen Ländern zurückzunehmen.

Ich muss sagen, Frau Brunkhorst, ich hätte mir von
Ihnen – ich weiß, wie Sie persönlich das sehen – klare
Worte gewünscht. Wer regiert denn in Hessen mit?


(Zuruf von der SPD: Noch!)


Wer regiert in Bayern mit? Wollen Sie wirklich warten,
bis wir Sie da im Herbst abgewählt haben, sodass das
wieder eine grüne Regierung macht?





Jürgen Trittin


(A) (C)



(D)(B)



(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, träumen Sie weiter! – Angelika Brunkhorst [FDP]: Ja, warten wir es ab! – Gisela Piltz [FDP]: Was ist denn mit Ahaus, NordrheinWestfalen?)


Oder: Was sagen Sie zu dem bekennenden Atomkraft-
gegner Herrn Kubicki, der die Landesregierung in
Schleswig-Holstein dafür beschimpft, dass sie im Sinne
unseres gemeinsamen Konsenses hier Verantwortung
übernimmt, und schon ankündigt, dass er sich an Sitz-
blockaden beteiligen möchte?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gute Idee!)


Ich finde, so kann man das Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger in einen solchen Prozess auch zerstören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir legen heute gemeinsam einen Gesetzentwurf vor,
der einen Neustart bei der Endlagersuche ermöglicht;
mit diesem Gesetz soll wissenschaftlich fundiert, trans-
parent und demokratisch legitimiert eine Grundlage da-
für geschaffen werden, dass die Gefährdung künftiger
Generationen durch den von unserer Generation produ-
zierten Atommüll so weit minimiert bzw. gemindert
wird, wie es nach bestem Wissen und nach dem Stand
von Wissenschaft und Technik möglich ist. Dass dies im
Konsens heute möglich ist, das ist ein gutes Zeichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Helga Daub [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724101100

Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1724101200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist

heute ein guter Tag, nämlich ein Tag, an dem wir ein kla-
res Verfahren beschließen, wie wir ergebnisoffen einen
Endlagerstandort finden können. Heute sprechen wir
über das Verfahren. Damit ist aber das Problem noch
nicht gelöst; darüber sollten wir uns auch im Klaren sein.
Es wird im weiteren Verfahren genügend Gelegenheiten
geben, bei denen immer wieder die Gefahr besteht, dass
sich irgendjemand vom Acker macht und sagt: „Ich will
die Verantwortung dafür nicht übernehmen“, oder: „Gut,
wir haben ein Verfahren; aber in meinem Wahlkreis geht
das überhaupt nicht.“ – Es ist ja nicht das erste Mal, dass
wir nationale Aufgaben zu bewältigen haben, und immer
wieder haben wir den Reflex „In meinem Wahlkreis aber
nicht“ gesehen. Jeder, der dem Gesetzentwurf, den wir
heute einbringen, schließlich zustimmt, sollte sich auch
darüber im Klaren sein, dass es letztendlich auch seinen
eigenen Wahlkreis treffen kann. Auch dann muss man zu
dem, was man hier beschlossen hat, stehen. Ich glaube,
auch das gehört zur Wahrheit über die Konsensfindung
dazu.

Das gilt genauso, wenn es um die Castoren geht.
Auch hier müssen alle bereit sein, einen Beitrag zu leis-
ten. Aber, Herr Trittin, ich finde es schon ein bisschen
billig, wenn Sie sich hier hinstellen und auf Bayern und
Hessen einschlagen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme ja selbst aus NRW. Aber ich habe noch nicht
gehört, dass der nordrhein-westfälische Umweltminister
geschrien hat: Bitte, bitte, gebt mir Castoren!


(Ulrich Kelber [SPD]: NRW ist auch vor 30 Jahren ausgestiegen aus der Atomenergie! Gegen euren Willen!)


Herr Sailer dagegen sagt: Grundsätzlich sind alle Zwi-
schenlager geeignet. Das ist also eine billige parteipoliti-
sche Zuspitzung gewesen, die, glaube ich, an dieser
Stelle nicht der Sache dient.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Vielleicht sagen Sie das einmal den Produzenten von Atommüll!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724101300

Herr Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1724101400

Nein, das möchte ich jetzt nicht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wäre ja auch rausgekommen, dass es in Ahaus nicht geht! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja auch falsch, Herr Kauch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Warum nicht?)


Deshalb, meine Damen und Herren: Wir wollen hier
einen Konsens finden. Diese Konsensorientierung soll-
ten wir auch im Umgang miteinander weiterhin beibe-
halten und nicht, wie es Herr Trittin heute im Fernsehen,
im Morgenmagazin, wieder einmal gemacht hat, versu-
chen, Haare in der Suppe zu finden, um sich dann ir-
gendwann doch vom Acker zu machen. Wer jetzt dem
Standortauswahlgesetz zustimmt, der muss auch im ge-
samten Verfahren zu dem stehen, was wir hier gemein-
sam vereinbaren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724101500

Das Wort hat nun Ute Vogt für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1724101600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ge-
schichte der Atomenergie in Deutschland ist eine Ge-
schichte großer Irrtümer. Die einen haben diese Irrtümer





Ute Vogt


(A) (C)



(D)(B)


früher bemerkt, die anderen erst kürzlich. Es ist in der
Tat gut, dass wir uns in diesem Haus heute einig sind,
dass wir es den nachfolgenden Generationen schuldig
sind, mit dem Problem Atommüll so umzugehen, dass es
zumindest in den nächsten Jahrzehnten – endgültig lösen
können wir es wohl nicht – gelöst werden kann.

Um zu illustrieren, welchen Irrtümern man unterlag,
will ich beispielhaft zitieren, was im Jahr 1969 zum
Thema Atommüll gesagt wurde:

Ich habe mir … sagen lassen, daß der gesamte
Atommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000
vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge,
der ein Kubus von 20 m Seitenlänge ist. Wenn man
das gut versiegelt und verschließt und in ein Berg-
werk steckt, dann wird man hoffen können, daß
man damit dieses Problem gelöst hat.

So Carl Friedrich von Weizsäcker, immerhin ein sehr re-
nommierter Wissenschaftler, im Jahr 1969. Ich denke,
das zeigt, in welchem Ausmaß man das Risiko, das von
hochstrahlendem Atommüll ausgeht, unterschätzt hat.

Angesichts der Größe der Aufgabe, die vor uns liegt,
sollten wir nicht unterschätzen, dass die Einigung, die
wir gefunden haben, Herr Minister Altmaier, durchaus
fragil ist; denn die lange Vorphase bis zu dieser Einigung
ist gegenüber dem, was jetzt noch an Aufgaben auf uns
zukommt, vergleichsweise kurz. Wir haben in dieser Re-
publik schon mehrfach erlebt, dass Anstrengungen un-
ternommen worden sind, die Suche nach einem Standort
für ein atomares Endlager wieder aufzunehmen. Ich er-
innere daran, dass zuletzt im Jahre 2006, also noch zu
Zeiten der Großen Koalition, der damalige Umwelt-
minister Sigmar Gabriel eine erneute Endlagersuche auf
den Weg bringen wollte. Das damalige Vorhaben ist an
den Reihen der Union gescheitert, insbesondere an den
Ländern Baden-Württemberg und Bayern. Seinerzeit
waren Unionsregierungen, auch mit FDP-Beteiligung,
nicht bereit, diese nationale Verantwortung zu überneh-
men, obwohl sie selbst gut daran verdient haben, dass
ihre Länder Atomkraftwerksstandorte haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Herr Kollege Kauch, genau darum geht es in dieser
Diskussion. Es geht nicht darum, dass man die Castoren
breit über Deutschland verteilt, sondern um zwei Dinge:
zum einen, dass wir lange Wege möglichst vermeiden,
denn jeder Transport ist mit Gefahren verbunden; zum
anderen, dass die Länder, die noch Atomkraftwerks-
standorte haben, an der Übernahme nationaler Verant-
wortung beteiligt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb sind auch Bayern und Hessen selbstverständlich
gefordert, dazu beizutragen, Niedersachsen zu entlasten,
das in der Tat schon viele Jahrzehnte für uns alle diese
Verantwortung getragen hat.

Die Einigung über die Grundlinien, die wir in den
Bund-Länder-Verhandlungen unter Beteiligung der

Fraktionen jetzt gefunden haben, darf nicht darüber hin-
wegtäuschen, dass wir im Gesetzesverfahren die ent-
scheidende Arbeit noch leisten müssen. Ich bin froh,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1724101700

Für uns ist es unabdingbar, dass klargestellt wird, dass
die Finanzierung dieser Lasten durch die Verursacher,
nämlich durch die Betreiber, also durch die Energiever-
sorgungsunternehmen, erfolgen muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns ist es unabdingbar, dass in diesem Gesetz steht,
dass, bevor die unterirdische Erkundung in Angriff ge-
nommen wird, die Bürgerinnen und Bürger, insbeson-
dere Betroffene, die Chance haben, eine Überprüfung
der Rechtmäßigkeit des Vorgehens vornehmen zu lassen.
Hierzu muss wahrscheinlich in den Gesetzestext noch
eine vernünftige und rechtssichere Formulierung aufge-
nommen werden.

Und schließlich: Der Verbleib der Castoren ist nicht
beliebig, sondern ihm zugrunde liegt eine zentrale Zu-
sage, die der Bundesminister gegeben hat. Deshalb er-
warten wir, dass diese Zusage vor der Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs eingehalten wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben im Gorleben-Untersuchungsausschuss er-
fahren, wie es durch eine falsche Politik und ein sehr
willkürliches Vorgehen gelungen ist, im Grunde nicht
nur die betroffenen Anwohner, sondern auch viele Men-
schen aus der ganzen Bundesrepublik gegen das in Gor-
leben geplante Endlager aufzubringen bzw. zumindest
gegen die Art und Weise, wie man ohne wissenschaftli-
che Expertise, zumindest unter Missachtung vieler wis-
senschaftlicher Erkenntnisse schlichtweg aus politischen
Gründen eine Entscheidung getroffen und sie der Bevöl-
kerung übergestülpt hat. Wir haben erfahren, dass man
nicht etwa vorher Kriterien hatte, anhand derer man suk-
zessive geprüft hat, ob das Bergwerk in Gorleben diese
Kriterien erfüllt, sondern man hat umgekehrt im Grunde
jedes Mal, wenn man ein Untersuchungsergebnis hatte,
die Kriterien entsprechend angepasst.

Ich glaube an den Erfolg dieses Gesetzes, weil wir
dieses Mal anders vorgehen, weil im Vorfeld Kriterien
festgelegt werden. Diese stehen von vornherein fest; sie
werden nicht den Erkenntnissen aus der Erkundung an-
gepasst, sondern unter Beteiligung auch kritischer Wis-
senschaftler, liebe Frau Menzner, vorher festgelegt. Da-
für werden wir sorgen. Es werden nicht nur diejenigen
beteiligt, die in den letzten Jahrzehnten einschlägig auf-
gefallen sind – ich denke zum Beispiel an diejenigen im
Umfeld des Atomforums –, sondern es werden auch die-
jenigen einbezogen, die eine kritische Meinung haben
und am Gorleben-Prozess beteiligt gewesen sind.

Ich glaube, wenn man so vorgeht, dass man vorher
die Regeln festlegt und anschließend die verschiedenen
Standorte miteinander vergleicht, dann wird es uns zwar
nicht gelingen, das supersichere Endlager zu finden
– denn wer von uns kann sagen, was in 1 Million Jahren





Ute Vogt


(A) (C)



(D)(B)


sein wird? –, aber es wird uns jedenfalls gelingen, das si-
cherstmögliche Endlager in Deutschland ausfindig zu
machen.

Ich bedanke mich bei allen, die konstruktiv an diesem
Prozess teilnehmen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die
Hürden, die jetzt noch zu überwinden sind, auch vonsei-
ten des Bundesumweltministers, zu überwinden, damit
dieses große Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht
werden kann. Ich hoffe, dass uns heute nicht nur die Ein-
bringung des Gesetzentwurfes mit Freude erfüllt, son-
dern möglichst noch in dieser Legislaturperiode auch die
Verabschiedung des Gesetzes erfolgt, damit keiner mehr
hinter dieses Gesetz zurück kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724101800

Das Wort hat nun Andreas Jung für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1724101900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Debatte über die Suche nach einem Endlager für radio-
aktive Abfälle führt uns in aller Deutlichkeit noch ein-
mal zwei Dinge vor Augen. Sie zeigt uns zum einen,
dass die Kernenergie eine Technologie ist, die Risiken
mit sich bringt, und sie zeigt uns zum anderen, wenn wir
uns die Kosten der Endlagersuche und die Kosten der
Errichtung eines Endlagers vor Augen führen, dass die
Kernenergie keine billige Form der Energieerzeugung ist
und dass unser gemeinsamer Weg, aus der Kernenergie
auszusteigen und mit der Energiewende den Weg hin zu
erneuerbaren Energien zu gehen, richtig ist. Deshalb
können wir heute betonen, welch große Bedeutung der
Energiekonsens von vor zwei Jahren für die Zukunft der
Energieversorgung hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf diesen Energiekonsens bauen wir jetzt mit dem
Endlagerkonsens auf. Ich begrüße diesen Konsens aus-
drücklich. Ich schließe mich der Wortwahl von Peter
Altmaier an, der gesagt hat: Es ist ein hohes Gut, dass
wir diese wichtige Frage in einem möglichst breiten ge-
sellschaftlichen und politischen Konsens lösen. – Es
geht hier eben nicht um Fragen mit Auswirkungen von
vier, acht oder zwölf Jahren, auch nicht von Jahrzehnten,
sondern es geht um Fragen mit Auswirkungen von Jahr-
hunderten und Jahrtausenden; so lange bringen diese
Abfälle noch Gefahren mit sich.

Deshalb halte ich es für richtig, dass wir gemeinsam
voranschreiten und damit eine Diskussion überwinden,
die Verhärtungen mit sich gebracht hat, die Verzögerun-
gen mit sich gebracht hat und die von einem Gegenein-
ander von Parteien, Bund und einzelnen Ländern ge-
kennzeichnet war. Es ist gut, dass wir diesen Konsens
erreichen. Wir wissen, dass es dafür notwendig war, von
einer alleinigen Erkundung von Gorleben abzurücken.

Umgekehrt ist es aber genauso notwendig, dass Gorle-
ben bei der Suche nach einem Endlagerstandort nicht
von vornherein ausgeschlossen wird.

Die Suche muss nach wissenschaftlichen Kriterien er-
folgen. Wir brauchen einen transparenten Vergleich. Es
ist richtig, dass wir dies im Konsens gemeinsam ange-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] und Angelika Brunkhorst [FDP])


Dabei kommt es darauf an, dass wir gemeinsam in den
Mittelpunkt stellen: Bei der Suche nach einem Endlager-
standort soll nach wissenschaftlichen Kriterien vorge-
gangen werden, entscheidend soll die bestmögliche
Sicherheit sein. Ich finde, dagegen gibt es keine Argu-
mente. Das ist die Diskussion, die wir jetzt zu führen ha-
ben. Darüber soll eine Enquete-Kommission beraten,
und der Deutsche Bundestag wird dann darüber beraten.

Dass dieses Verfahren, wie Herr Trittin gesagt hat, ei-
nen Neustart darstellt, trifft zu. Gleichwohl können wir
bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen an einen jahr-
zehntelangen Diskurs anknüpfen. Sie, Herr Trittin, ha-
ben den AK End eingesetzt, der Empfehlungen ausge-
sprochen hat, was bei der Endlagersuche zu
berücksichtigen ist: Es werden klare Anforderungen an
die geologischen Gegebenheiten, aber auch an die Erd-
bebensicherheit gestellt. Meine Auffassung ist, dass wir
auf diesen Erkenntnissen aufbauen müssen und sie be-
rücksichtigen müssen. Gerade nach Fukushima dürfen
beim Thema Erdbebensicherheit keine Kompromisse ge-
macht werden, darf es keine Aufweichungen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Kon-
text der Endlagersuche gehört natürlich auch die Frage
der Zwischenlager. Ich will zunächst einmal vorausschi-
cken, dass, nur weil wir in der Frage der Endlagersuche
jetzt einen Konsens haben und diesen umsetzen, die
Frage der Zwischenlager und des Transports von Casto-
ren an Sensibilität nichts verloren hat. Es gibt Ängste bei
den betroffenen Menschen; diese Ängste müssen wir
weiterhin ernst nehmen. Es ist klar, dass hier nicht über
die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden
darf. Wir brauchen auch im Hinblick auf die Zwischen-
lager ein transparentes Verfahren. Die Bevölkerung
muss einbezogen werden, und die Länderparlamente
müssen einbezogen werden. Im Übrigen – das wurde
hier mehrfach gefordert – müssen die Lasten gerecht
verteilt werden.

Deshalb will ich mich der Forderung, die hier mehr-
fach erhoben wurde, anschließen: Weitere Länder müs-
sen ihrer Verantwortung gerecht werden. Bisher haben
Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angekün-
digt, dass sie sich konstruktiv einbringen wollen. Aber
auch andere Länder müssen sich konstruktiv einbringen.
Es gibt – das sage ich völlig unabhängig von der partei-
politischen Farbenlehre – weitere große Länder, die in
der Vergangenheit Atommüll produziert haben und dies





Andreas Jung (Konstanz)



(A) (C)



(D)(B)


auch weiter tun. Wir erwarten, dass sich auch diese Län-
der konstruktiv einbringen. Wir setzen darauf, dass Peter
Altmaier, der diese Gespräche intensiv und mit Engage-
ment führt, auch hier wesentliche Fortschritte erzielen
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD] und Angelika Brunkhorst [FDP])


Ich wünsche mir – das will ich zum Abschluss sagen –,
dass auch die Diskussion über mögliche Zwischenlager
im Geiste dieses Konsenses geführt wird und nicht mit
einer Rhetorik einseitiger Erwartungshaltungen. Gestat-
ten Sie mir, Herr Ministerpräsident Weil, deshalb eine
Bemerkung: Wir betonen hier den Konsens. Sie wissen,
dass es ohne die Beteiligung der betroffenen Länder
nicht geht und der Bundesumweltminister niemanden
zwingen kann, dass man nur durch konstruktive Gesprä-
che weiterkommen kann. Daher war ich verwundert,
Herr Weil, dass Sie hier zu der oben angesprochenen
Rhetorik gegriffen haben, indem Sie gesagt haben: „Herr
Minister Altmaier: Sie müssen liefern.“


(Ulrich Kelber [SPD]: Aber Herr Jung, Sie haben Ihre Region schon in einer Pressemitteilung als Standort für ein Endlager ausgeschlossen! So etwas dann zu Herrn Weil zu sagen, ist doch unehrlich! Soll ich Ihnen die Pressemitteilung vorlesen? Ich habe sie hier!)


Diese Haltung ist nicht getragen von einem konstrukti-
ven Miteinander. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
wir konstruktiv weiterdiskutieren sollten, auch über die
Frage der Zwischenlager. In diesem Sinne wird sich die
Unionsfraktion auch einbringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Ich kann Ihnen die Presseerklärung zeigen, in der Sie Ihren Wahlkreis als Standort ausschließen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724102000

Letzter Redner in dieser Debatte ist Georg Nüßlein

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt sagst du mal, dass Bayern auch Castoren aufnimmt! Das wäre doch mal was für die Debatte! Komm, Georg!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1724102100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube

nicht, dass es Sinn macht, jetzt – am Ende der Debatte –
Streitpunkte zu eröffnen, laut zu werden oder in größe-
rem Ausmaß Zwischenrufe zu starten,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Herr Kelber kann nicht leise!)


sosehr ich auch für mich in Anspruch nehme, dass ich in
den Debatten im Deutschen Bundestag gerne Zurufe ma-

che. Das wäre jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt und
dem Thema nicht angemessen.

Wir beraten jetzt in erster Lesung einen Gesetzent-
wurf, der einen partei- und länderübergreifenden Kon-
sens zu einem besonders wichtigen Thema markiert;
aber ich sage auch ganz klar: „In erster Lesung“ heißt,
dass wir kurz vor dem Ziel, aber noch nicht am Ziel sind.
Genauso wichtig ist: Wir haben uns jetzt erst einmal
über ein Verfahren verständigt. Das ist ein großer Schritt,
aber trotzdem sind wir eben leider noch nicht am Ende.

Natürlich muss unser gemeinsames Vorgehen abbil-
den, dass die Generationen, die die Kernenergie genutzt
haben, verantwortlich mit der Entsorgung umgehen
müssen. Das liegt in ihrer Verantwortung. Ich möchte an
der Stelle betonen: Genutzt haben sie alle, und über die
Einführung der Kernenergie in Deutschland haben auch
alle damals etablierten Parteien im Konsens entschieden.
Deshalb, Herr Ministerpräsident – da hat Andi Jung na-
türlich recht –, muss nicht nur der Bundesumweltminis-
ter liefern, sondern wir alle müssen liefern. Ich glaube,
darüber gibt es hier gar keinen Streit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sind die Prämissen des heute zu debattierenden
Entwurfs, der Zeugnis einer über Partei- und Landes-
grenzen hinweggehenden Konsensfindung ist. Ich sage
auch ganz klar: Wer Parteipolitik kennt – alle hier sind
fachkundig –, der weiß, wie schwierig so etwas ist und
dass das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.
Wir haben somit hier heute eine außerordentlich große
Chance, gemeinsam Handlungsfähigkeit zu dokumentie-
ren. Diese sollten wir nutzen und bei so einer Gelegen-
heit auch einmal gemeinsam aufzeigen und nach drau-
ßen tragen, dass Politik in Deutschland auch bei noch so
strittigen Themen handlungsfähig und einigungsfähig
ist.

Es geht auf der einen Seite um die sichere Endlage-
rung, aber auf der anderen Seite eben auch darum – das
möchte ich am Schluss der Debatte noch einmal ganz
klar herausstellen –, zu zeigen, dass wir im modernen
Rechtsstaat auch über besonders streitige und besonders
wichtige gesellschaftspolitische Themen überparteilich
verhandeln und am Ende auch im Konsens eine Lösung
umsetzen können; denn das Umsetzen ist ja die eigentli-
che Herausforderung.

Herr Trittin, ich habe vorhin gesagt, dass ich gerne
streite. Weil es hier nicht hineinpasst, verkneife ich mir
an dieser Stelle aber einen Spruch zu der von Ihnen an-
gekündigten Regierungsübernahme durch die Grünen in
Bayern. Ich habe von Andi Jung ja gerade gehört, es
gehe hier um Jahrhunderte, wenn nicht gar um Jahrtau-
sende.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nur nicht in seinem Wahlkreis!)


Unter dem Gesichtspunkt betrachte ich die zeitliche
Schiene, von der Sie da gesprochen haben.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hatte eigentlich an den 15. September 2013 gedacht, Herr Nüßlein!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Wir debattieren hier in erster Lesung natürlich einen
Kompromiss. Im parlamentarischen Verfahren wird das
eine oder andere Detail natürlich noch auszugestalten
sein. Es gibt eine ganze Menge an Themen: die Frage
der Zusammensetzung und des Vorsitzes der einzurich-
tenden Enquete-Kommission, die Frage, wer das ganze
Verfahren bezahlt bzw. wie die Kosten verteilt werden,
die Frage, wie diese Kommissionsarbeit letztendlich ab-
gerechnet wird, und ähnliche Dinge. Verglichen mit der
Grundsatzbedeutung, die dem Inhalt des Gesetzentwurfs
beizumessen ist, sind das aber nur Marginalien, die im
regulären parlamentarischen Verfahren noch eingebracht
und verhandelt werden können. Ich will diesen Aspekten
damit nicht ihre Bedeutung absprechen. Ein gutes Ge-
setz muss natürlich bis ins letzte Detail durchdacht sein,
aber alles hat seine Zeit. Diese Punkte können wir noch
in Debatten, Anhörungen und Ausschüssen beraten. Wir
sind nämlich Gott sei Dank so vorgegangen, dass jetzt
am Ende der Wahlperiode noch genügend Zeit ist, das
ordentlich zu regeln; auch das möchte ich betonen. Das
ist ein Verdienst all derjenigen, die das letztendlich mit
angestoßen und mit organisiert haben.

Weil heute insbesondere der Bundesumweltminister
allen gedankt hat, möchte ich das an dieser Stelle auch
einmal umgekehrt tun, nämlich dem Bundesumweltmi-
nister danken. Es war ein großer Kraftakt, den er hier
vollzogen hat, und er hat das hervorragend gemacht. Lie-
ber Peter Altmaier, vielen Dank! Großartige Leistung!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Thematik Gorleben muss man drei Dinge ganz
klar festhalten:

Erster Punkt. Um zu zeigen, dass wir es ernst meinen,
ist es sinnvoll, darauf zu verzichten, jetzt zusätzliche
Castoren nach Gorleben zu transportieren, denn sonst
würden wir die Entscheidung für eine Standortsuche in-
frage stellen, und dann würde der Eindruck entstehen:
Die spielen mit uns, die meinen das nicht ernst.

Zweiter Punkt. Genauso sinnvoll ist es, das Wissen,
das wir bei der Erkundung erworben haben, jetzt nicht
ad acta zu legen.

Dritter Punkt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, darauf
zu achten, dass es bei der Endlagersuche auf der weißen
Landkarte nicht von Anfang an einen schwarzen Fleck
gibt, nämlich Gorleben. Auch das würde niemand ver-
stehen.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Es freut mich, dass der Kollege Trittin an dieser Stelle
klatscht. – Wichtig ist auch – das muss sich bei den Lin-
ken noch herumsprechen –: Ich kann nicht beschließen,
mit der Suche neu zu beginnen, und dann einen Ort kom-
plett ausschließen, nur weil es dort nachvollziehbare
Schwierigkeiten mit der Bevölkerung gibt. Ich habe gro-
ßes Verständnis für die Betroffenen vor Ort. Aber es gibt
zum jetzigen Zeitpunkt, jedenfalls bei den Geologen,
kein Argument, warum man Gorleben ausschließen
sollte. Es bringt auch politisch keinen Nutzen, die weiße

Landkarte mit einem schwarzen Fleck zu versehen. Las-
sen Sie uns wirklich von vorne anfangen.

Das ist unser Anliegen. Nur so können wir nicht nur
einen Konsens über das Verfahren schaffen, sondern am
Schluss auch ein konsensfähiges Vorgehen erreichen. In
diesem Sinne: Glück auf für dieses Gesetz!

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724102200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/13471 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 53 a und 53 b
sowie Zusatzpunkt 9 auf:

53 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Vorschlag für eine Verordnung des
Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben
im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kre-
ditinstitute auf die Europäische Zentralbank

– Drucksache 17/13470 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Abschirmung von Risiken und zur Pla-
nung der Sanierung und Abwicklung von Kre-
ditinstituten und Finanzgruppen

– Drucksachen 17/12601, 17/13035 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 17/13523, 17/13539 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-
märkte: Erpressungspotenzial verringern –
Geschäfts- und Investmentbanking trennen

– Drucksachen 17/12687, 17/13523, 17/13539 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort.

H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1724102300


Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in dieser Woche im Deutschen Bundestag
über wichtige Meilensteine im Hinblick auf einen stabi-
len Finanzrahmen mit notwendiger Konsequenzziehung
aus der Finanzmarktkrise debattiert. Heute werden wir
über einen weiteren Meilenstein für eine stabile Finanz-
systemordnung in Europa und darüber hinaus debattie-
ren, nämlich über die Schaffung einer einheitlichen EU-
weiten Bankenaufsicht.

Wir erinnern uns: Am 29. Juni des vergangenen Jah-
res haben die Staats- und Regierungschefs des Euro-
Währungsgebietes in ihrer Gipfelerklärung den Weg für
einen einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsme-
chanismus unter Beteiligung der Europäischen Zentral-
bank politisch freigemacht. Das politische Hauptziel ist,
dass durch einen solchen einheitlichen Aufsichtsmecha-
nismus der Teufelskreis aus Banken und Staatsanleihen
durchbrochen werden soll.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wie geht das?)


Wir wollen die gleiche Durchsetzung europäischer Auf-
sichtsstandards in den an ihm teilnehmenden Mitglied-
staaten. Damit soll das Vertrauen in unsere europäische
Währung und in ein stabiles Bankensystem in Europa
gefestigt werden.

Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone ha-
ben in ihrer Gipfelerklärung die Rechtsgrundlage für
diesen einheitlichen Aufsichtsmechanismus klar vorge-
geben: Art. 127 Abs. 6 des Vertrages über die Arbeits-
weise der Europäischen Union. Darin ist vorgesehen,
dass der Rat einstimmig durch Verordnung besondere
Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über die
EZB übertragen kann.

Die Europäische Kommission hat dann am 12. Sep-
tember des vergangenen Jahres einen Vorschlag für eine
Verordnung des Rates vorgelegt. Diese Verordnung trägt
den schönen Titel „Single Supervisory Mechanism“,
kurz: SSM-Verordnung.

Es folgten dann intensive Verhandlungen im Rat. Nur
drei Monate nachdem die Vorschläge vorgelegt worden
waren, konnte am 13. September des vergangenen Jahres
unter den 27 EU-Finanzministern eine erste einstimmige
politische Einigung über Texte erreicht werden. Natür-
lich war es wichtig und notwendig, auch das Europäi-
sche Parlament in die Verhandlungen einzubeziehen.
Jetzt haben wir einen Verordnungstext mit Datum vom
18. April, mit dem die inhaltlichen Voraussetzungen für

eine formelle Verabschiedung dieser Verordnung vorlie-
gen.

Mit dem heute eingebrachten Entwurf eines Zustim-
mungsgesetzes soll der deutsche Vertreter im Rat er-
mächtigt werden, dieser ausgehandelten Verordnung
über eine einheitliche europäische Aufsichtsstruktur im
Bankenwesen zuzustimmen. Durch die Verordnung sol-
len besondere Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht,
die bislang nur auf nationaler Ebene wahrgenommen
werden, auch auf die EZB verlagert werden.

So wird die Europäische Zentralbank die zuständige
Behörde für die Überwachung der Einhaltung der Eigen-
kapitalanforderungen und die Beaufsichtigung auf kon-
solidierter Basis sein. Zudem wird sie die Einhaltung
von Bestimmungen zum Verschuldungsgrad und zur
Mindestliquiditätsquote überwachen und entsprechende
Kapitalpuffer festlegen.

Deutschland hat sich in den Verhandlungen über eine
gemeinsame europäische Bankenaufsichtsstruktur stets
und entschieden für eine klare Aufteilung der Aufgaben
zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden und
für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eingesetzt.
Wir konnten uns durchsetzen. Die direkte Aufsicht der
EZB wird sich nur auf die bedeutenden Kreditinstitute
der teilnehmenden Mitgliedstaaten konzentrieren. Krite-
rien für die Bedeutsamkeit eines Kreditinstituts sind die
Größe,


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wo ist denn überhaupt Herr Schäuble?)


seine Bedeutung für die Wirtschaft der EU oder des Mit-
gliedstaates oder der Umfang der grenzüberschreitenden
Tätigkeit des Instituts. Zum Beispiel gelten Kreditinsti-
tute mit einer Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euro
als bedeutend.

Unabhängig von diesen Kriterien soll die EZB min-
destens


(Johannes Kahrs [SPD]: Können Sie auch was anderes als ablesen? Abgelesene Reden funktionieren hier nicht, Herr Staatssekretär!)


die drei bedeutendsten Kreditinstitute eines jeden teil-
nehmenden Mitgliedstaates direkt beaufsichtigen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Herr Staatssekretär, in der Geschäftsordnung steht: frei reden, nicht ablesen!)


– Lieber Herr Kollege Kahrs, Sie können nachher reden
und Ihren Sachverstand zu diesem Sachverhalt in freier
Rede deutlich machen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das tue ich meistens, und nicht so schlecht!)


Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn – mit Unterstützung
des Präsidenten – Sie mich jetzt fortfahren lassen wür-
den, lieber Kollege Kahrs.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber nicht ablesen! Lesen Sie die Geschäftsordnung! Freie Rede! – Gegenruf des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Unverschämtheit dahinten! Unglaublich!)






Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) (C)



(D)(B)


– Ich wusste gar nicht, dass Sie bei diesem Thema so
kompetent und engagiert sind.

Jedenfalls kommt es darauf an, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir durch den heute zu verabschiedenden
Entwurf des Zustimmungsgesetzes den Weg dafür frei-
machen, dass im Hinblick auf die Situation der europäi-
schen Bankenlandschaft mehr Stabilität eintritt. Wir ha-
ben uns sehr dafür eingesetzt, dass es bei der strikten
Trennung im Hinblick auf die Verantwortung der Euro-
päischen Zentralbank, was die Geldwertstabilität in die-
sen Aufsichtsfragen anbelangt, bleibt.

Des Weiteren haben wir uns dafür eingesetzt, dass es
zu einer abgestimmten Aufsichtsstruktur kommt. Die be-
währten nationalen Aufsichtsstrukturen werden die
nichtbedeutenden Kreditinstitute weiter überwachen.
Die bedeutenden Kreditinstitute – ich habe die Defini-
tion genannt – werden in Zukunft von der Europäischen
Zentralbank überwacht werden. Wir werden natürlich
auch genau darauf achten, dass die technischen Details,
die jetzt noch auszuformulieren sind, auch unter Mitwir-
kung sowohl des Europäischen Parlaments als auch der
nationalen Parlamente ausformuliert werden.

Die strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Auf-
sicht war ein ganz entscheidender Punkt. Für uns ist es
aber auch wichtig, dass eine Schlichtungsstelle ein-
gerichtet wird, die im Falle eines Einspruchs des EZB-
Rates gegenüber einem Entscheidungsvorschlag des
Aufsichtsgremiums die Meinungsverschiedenheiten bei-
legen soll. Auch die Aufsichtstätigkeit bei der EZB soll
durch Abgaben finanziert werden. Diese Abgaben wer-
den von den beaufsichtigten Kreditinstituten zu zahlen
sein. Das heißt, es wird nicht zu Belastungen der öffent-
lichen Haushalte durch diese neue Aufsichtsstruktur
kommen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das glaubt doch kein Mensch! Kein Wunder, dass der Minister nicht da ist! So einen Unsinn hätte der nie erzählt!)


– Ich weiß gar nicht, lieber Herr Kahrs, warum Sie in
eine sachliche Debatte über ein wichtiges europäisches
Gesetzesvorhaben eine solch komische Stimmung hin-
einbringen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Weil Sie nur ablesen!)


Ist Ihnen heute irgendetwas über die Leber gelaufen?


(Beifall des Abg. Peter Aumer Wahrscheinlich ist Ihnen wirklich etwas über die Leber gelaufen; denn der Sachverhalt, lieber Herr Kahrs, mit dem wir uns heute auseinandersetzen, erfordert doch ein wenig Ernsthaftigkeit und Seriosität und nicht plumpe Pöbelei. Vielleicht versuchen Sie jetzt, der Debatte ein bisschen angemessener zu folgen. Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine vermutlich sachliche Zwischenfrage des Kollegen Schneider? H Ja. Der Kollege Schneider zeichnet sich immer durch sachliche Beiträge und Zwischenfragen aus. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es sei denn, ihm ist etwas über die Leber gelaufen!)


(Johannes Kahrs [SPD]: Ja, Ihre Rede!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724102400
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1724102500


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1724102600

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin den Teufelskreis

aus Staatsfinanzen und Bankfinanzen beschrieben, der
durchbrochen werden soll. In der Erklärung der Regie-
rungschefs vom Juni 2012, die die Bundeskanzlerin mit
unterschrieben hat, wird auch die Öffnung des Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus für die Refinanzierung der
Banken genannt. Das heißt, der Staatsrettungsfonds wird
zu einem Bankenrettungsfonds. Sie haben bisher noch
nichts dazu gesagt. Ich möchte gern wissen, wann Sie
hier dem Haus den geänderten Gesetzentwurf dazu vor-
legen wollen; denn der Bundestag hat das ausgeschlos-
sen. Eine der Bedingungen für die Öffnung des ESM ist
– ich denke, die Bundesregierung steht bei ihren euro-
päischen Partnern im Wort – die Bankenaufsicht. Sind
Sie noch der Auffassung, dass der ESM die Rekapitali-
sierung der Banken, also die Schuldenübernahme, durch
europäisches Geld vornehmen soll, oder ist das jetzt
nicht mehr Ihr Punkt?

H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1724102700


Lieber Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Schluss-
folgerungen des Europäischen Rates aufmerksam ver-
folgt haben, werden Sie festgestellt haben, dass dort eine
klare Prioritätensetzung vorgenommen wurde. Jetzt geht
es darum, die Regeln für den einheitlichen Aufsichtsme-
chanismus unter Dach und Fach zu bringen. Der nächste
Schritt ist der Abschluss der Bankenrestrukturierungs-
richtlinie. Dann werden wir uns mit wirksamen Instru-
menten einer möglichst gemeinsam abgestimmten euro-
päischen Einlagensicherung beschäftigen. Danach wird
– genau das sind die Schlussfolgerungen des Europäi-
schen Rates – mit der Erarbeitung von Möglichkeiten ei-
ner direkten, konditionierten Rekapitalisierung von Ban-
ken durch den ESM begonnen werden. Alles schön der
Reihe nach, so wie es in den Schlussfolgerungen des Eu-
ropäischen Rates festgelegt wurde.

Ich gehe davon aus, lieber Herr Kollege Schneider,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
dass Sie dieses Gesamtwerk, das uns mehr Stabilität des
Finanzsystems in Europa bringen soll, konstruktiv unter-
stützen. Es wäre völlig falsch, hier die Schritte unkoordi-
niert und nicht in der Reihenfolge, wie sie in den
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vorgesehen
ist, zu unternehmen. Ich lade Sie dazu ein, dies konstruk-
tiv zu begleiten. Darüber würde ich mich freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Interesse der
Opposition und Deutschlands liegt, wenn wir uns zum
Beispiel an das schwierige Thema der direkten Banken-
rekapitalisierung durch den ESM wagen, ohne die ande-
ren Grundvoraussetzungen, wie ich sie beschrieben
habe, deutlich darzulegen. Das müsste sogar der Kollege
Kahrs verstanden haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In diesem Sinne werden wir mit dem heute einge-
brachten Entwurf eines Gesetzes, das die Zustimmung
des deutschen Ratsvertreters zu der Verordnung des Ra-
tes ermöglichen soll, einen wichtigen Meilenstein auf
den Weg bringen. Das zeigt übrigens auch, welch hohen
Grad der Parlamentsbeteiligung wir in Deutschland ha-
ben. Bevor der deutsche Vertreter im Rat zustimmen
kann, holen wir die Zustimmung des Deutschen Bundes-
tages durch dieses Gesetz ein.

Wir werden uns heute in zweiter und dritter Lesung
mit einem weiteren wichtigen Gesetz der Bundesregie-
rung befassen, zu dem dann auch noch andere Kollegen
aus den Koalitionsfraktionen Stellung nehmen werden.
Ich will nur sehr deutlich sagen: Auch beim Thema
Trennbanken geht Deutschland wieder einmal voran,
setzt Deutschland wieder einmal Zeichen. Wir haben das
beim Thema Leerverkaufsverbot getan. Wir haben das
beim Thema Hochfrequenzhandel getan. Wir haben das
beim Thema Honorarberatung getan. Wir tun es jetzt – es
geht dabei um erste Konsequenzen aus dem Liikanen-Be-
richt – durch das Gesetz, das man als Trennbankengesetz
bezeichnen kann. Es wäre schön gewesen und wir hätten
uns in Europa viel erspart, wenn Deutschland auch in
den elf Jahren sozialdemokratischer Verantwortung im
Bundesfinanzministerium Schrittmacher für mehr und
für notwendige Regulierung auf europäischer Ebene ge-
wesen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Aufgabe hat diese Bundesregierung mit Bun-
desfinanzminister Schäuble und der christlich-liberalen
Koalition übernommen. Wir können am Ende dieser Le-
gislaturperiode sagen, dass wir durch unseren entschie-
denen Einsatz die richtigen Konsequenzen aus der Krise
gezogen und die Finanzsysteme in Europa und damit un-
sere gemeinsame Währung stabiler gemacht haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724102800

Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Aber nicht ablesen!)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1724102900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

diskutieren heute über den wichtigsten Souveräni-
tätstransfer, den es in der Europäischen Union bisher ge-
geben hat,


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber der Minister ist nicht da!)


und über ein – angebliches – Trennbankensystem, das
nicht trennt. Wir stellen fest, dass der Minister nicht da
ist. Ich kann nur sagen: Dies ist ein Armutszeugnis für
diese Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, blicken wir noch
einmal zurück: Es war die Bundeskanzlerin, die auf ei-
ner Ratssitzung im Juni letzten Jahres ihre Zustimmung
dazu gab, dass Banken in Zukunft direkt aus dem ESM
rekapitalisiert werden können, wenn eine gemeinsame
Bankenaufsicht eingerichtet ist. Wir haben von Anfang
an gesagt, dass es ein großer politischer Fehler war, den
die Bundeskanzlerin da gemacht hat. Nun versucht die
Bundesregierung krampfhaft, Nebelkerzen zu werfen,
Chaos zu produzieren, um ihr politisches Versagen zu
vertuschen.

Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Zu-
stimmung des Bundestages zu einer europäischen Ban-
kenaufsicht einzuholen. Ja, eine europäische Bankenauf-
sicht, eine Bankenunion in Europa, ist unserer Meinung
nach notwendig; denn das europäische Bankensystem ist
nach wie vor marode. Es fehlen nach Meinung von Ex-
perten mindestens 500 Milliarden bis 1 Billion Euro an
Kapital.

Die Bankenkrise verschlimmert die Rezession im
Euro-Raum massiv. In vielen Ländern gibt es eine dra-
matische Kreditklemme. Die traditionelle Geldpolitik
der Zentralbank wirkt in vielen Ländern nicht mehr. Mit
der andauernden Rezession werden auch die Probleme
vieler Banken größer. Die Bankenunion soll helfen. Sie
muss deshalb kommen.

Man hat sich in Europa verständigt – der Herr Staats-
sekretär hat das eben deutlich gemacht – auf eine ge-
meinsame Bankenaufsicht bei der EZB. Wenn man so et-
was kurzfristig einrichten will, dann kann man im
Moment sicherlich keine andere Institution beauftragen,
die in der Lage ist, dies in Europa fachkundig zu erledi-
gen. Aber die Probleme liegen auf der Hand. Geldpolitik
und Aufsicht lassen sich nicht wirklich trennen, auch
wenn Sie, Herr Koschyk, hier eben etwas anderes darge-
stellt haben.

Nach den Gesetzen kann nur der EZB-Rat Entschei-
dungen treffen. Die juristische Prüfung hat dies eindeu-
tig ergeben. Interessengegensätze zwischen Geldpolitik
und Aufsicht sind damit vorprogrammiert. Wie – das
frage ich Sie – soll die EZB eine Bank beaufsichtigen,
wenn sie gleichzeitig Geschäftspartner und Gläubiger
ist?


(Beifall bei der SPD)


Wir fordern deshalb, die Übertragung der Aufsicht über
systemrelevante Institute an die EZB zeitlich zu begren-
zen. Wir brauchen auf Dauer eine von der Geldpolitik
unabhängige Institution, die diese Aufgabe übernimmt.





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


Zur Bankenunion gehören notwendigerweise auch
eine unabhängige europäische Abwicklungsbehörde, die
das Recht hat, Banken zu rekapitalisieren und auch ab-
zuwickeln, und ein entsprechender Abwicklungsfonds,
der aus den Beiträgen der Banken gespeist werden muss,
so wie wir es hier vorgeschlagen haben, damit die Ban-
ken selber und nicht die Steuerzahler die Risiken über-
nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt wird es interessant: Der Bundesfinanzminister
übt sich im Moment im Tarnen, Täuschen, Tricksen und
Verzögern.


(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Er ist ja nicht mal da!)


In einem Namensartikel der Financial Times geht er auf
Konfrontation zur EZB und verkündet: Ohne Vertrags-
änderung kein Abwicklungsfonds. Stattdessen will er ein
Netzwerk nationaler Behörden. Man überlege einmal:
Selbst in Deutschland gibt es keinen entsprechenden
Fonds, der in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen. Die
Bankenabgabe, die Sie beschlossen haben, war doch viel
zu gering. Da ist doch überhaupt nichts, was national
eingebracht werden kann.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer zahlt denn das?)


– Die Banken selber zahlen das.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Kunde!)


Sie wollen die Banken doch immer schonen. Wir sagen:
Die Banken müssen das selber bezahlen und nicht die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei den Banken kommt das Geld doch nicht vom Himmel! Das muss doch jemand zahlen!)


Mit seinem Vorstoß versucht der Minister, eine Ban-
kenunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschie-
ben. Damit würde automatisch die Zusage von Frau
Merkel wieder gelten, dass sich Krisenbanken zukünftig
aus dem ESM rekapitalisieren können. Das würde be-
deuten: Nun ist dank dieser Bundesregierung wieder der
Steuerzahler in der Haftung. Die nächste Pleitebank wird
vom Steuerzahler bezahlt. Sie darf sich bei dieser Bun-
desregierung bedanken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo bleibt eigentlich
die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die Glaub-
würdigkeit von Frau Merkel und Herrn Schäuble, wenn
derartig getrickst und getäuscht wird, wenn einem Juris-
ten auf einmal einfällt, die Bankenaufsicht kann gemäß
Art. 127 Abs. 6 AEUV problemlos eingerichtet werden,
aber die Abwicklung nicht? Dann entsteht die Situation,
dass die „lähmende Herrschaft der Zombie-Banken“, so
hat es Herr Münchau auf Spiegel Online formuliert, fort-
gesetzt wird.

Auch die EZB und die Kommission haben sich ent-
sprechend geäußert. In einem Artikel heißt es: EZB ge-
gen zweistufige Bankenabwicklung; Asmussen hält
nichts von Schäubles Idee. – Das ist auch nachvollzieh-
bar; denn diese Idee wäre genauso unsinnig, wie es wäre,
wenn die Polizei keine Knöllchen schreiben dürfte.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt wird der Asmussen gelobt, oder wie?)


Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Stichwort
Bankentrennung sagen. Bankentrennung? Schön wäre
es, wenn Banken tatsächlich getrennt würden. Dieser
Gesetzentwurf trennt aber nichts. Der Kommentator auf
der Wirtschaftsseite der Süddeutschen Zeitung nennt den
Gesetzentwurf völlig zu Recht „Blendwerk“. Warum?
Die Idee einer Trennbank ist die Unterbindung der
Finanzierung des Casinos durch die Kreditbank. Dies
gelingt der Bundesregierung nicht. Die Abtrennung des
risikoreichen Geschäfts vom Kundengeschäft wird nicht
wirklich vorgenommen. Das hat die Anhörung des
Finanzausschusses eindeutig ergeben. Dies ist kein
Trennbankensystem. Die Schwellenwerte sind viel zu
hoch. In der Anhörung wurde klar: Weniger als 1 Pro-
zent der Bankaktivitäten sind von der Trennungsvor-
schrift betroffen. Herr Vickers hat das in der Anhörung
als „befremdlich“ bezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung
formulierte: „… die Banken-Lobby hat ganze Arbeit ge-
leistet.“ Man will dem Wähler signalisieren: Nie mehr
musst du für riskante Geschäfte der Banken zahlen.
Doch erfüllt der Gesetzentwurf diese Hoffnung? Wohl
kaum. Nein, das ist der Entwurf eines weiteren Placebo-
gesetzes dieser Bundesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemein-
sam mit Bündnis 90/Die Grünen Vorschläge zur Ban-
kentrennung in Form eines Holdingmodells vorgelegt.
Wir werden dafür sorgen, dass das Zockergeschäft vom
normalen Kundengeschäft getrennt wird und diese toxi-
schen Geschäfte nicht mehr durch Kundeneinlagen
finanziert werden können.

Vielen Dank.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724103000

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724103100

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Zunächst will ich bezogen auf die
Rede von Herrn Kollegen Zöllmer festhalten: Als Peer
Steinbrück Finanzminister war, haben die Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler für die Restrukturierung von
Banken bezahlen müssen. Das zu ändern, ist unser Ziel.
Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg
bringen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und un-
serer Politik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


Wenn man in dieser schwierigen Krise Vertrauen zu-
rückgewinnen will, muss man den Menschen die Wahr-
heit sagen.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Da haben Sie ja schon mal ganz schlecht angefangen!)


Man muss sich bei der Regulierung auch an der Wahr-
heit orientieren. Die Wahrheit ist: Nicht Universalban-
ken haben diese Krise ausgelöst, sondern Spezialbanken.
In Amerika waren es Investmentbanken. Die Banken,
die in Deutschland als Erste umgefallen sind, waren
ebenfalls keine Universalbanken. Es waren Banken mit
einem eindimensionalen spezifischen Bankengeschäft,
beispielsweise Landesbanken oder auch die Hypo Real
Estate.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sachsen LB ist keine Universalbank?)


Diese Banken waren keine Universalbanken. Deshalb ist
die Botschaft, die Sie den Menschen wahrheitswidrig
verkaufen, nämlich dass Universalbanken das Problem
und Trennbanken die Lösung seien, falsch. Deswegen
befinden Sie sich bei der Finanzmarktregulierung auch
nicht auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleichwohl kann die Komplexität einer Bank zu ei-
nem Problem werden. Sie darf nicht dazu führen, dass
die Restrukturierung im Krisenfall am Ende unhandelbar
ist, man die Bank dann nur noch im Ganzen retten kann
und dafür so viel Geld braucht, dass nur der Staat ein-
springen kann. Deswegen ist es richtig, dass man Vor-
kehrungen in Form von Bankentestamenten trifft. Es ist
auch richtig, dass man die Geschäftsbereiche abtrennt,
die von der Bank nicht verantwortet und auch nicht besi-
chert werden können. Das bringen wir mit diesem Ge-
setzentwurf auf den Weg. Das ist an der Wahrheit orien-
tierte Finanzmarktregulierung spezifisch für unseren
nationalen Finanzplatz, der eine wichtige Funktion zur
Finanzierung der deutschen Wirtschaft hat.

Das, was Sie so lapidar und auch wahrheitswidrig als
überflüssig toxisches Geschäft bezeichnen, dient in
Wahrheit der Industriefinanzierung in Deutschland und
sichert unzählig viele Arbeitsplätze.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auch das muss irgendjemand in Deutschland einmal klar
aussprechen, weil die Sozialdemokratie offensichtlich
nicht mehr ansteht, Finanzmarktpolitik für die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zu machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Blödsinn!)


Wie auch die Französische Republik streben wir eine
Lösung des Problems der Komplexität der Banken an
und haben parallel mit Frankreich einen Entwurf ver-
fasst. Deutschland geht zwar etwas weiter als Herr
Hollande, aber im Wesentlichen haben wir den gleichen
Weg eingeschlagen. Wir machen das, was wir in dieser
Krise von Anfang an gemacht haben:


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt! Das ist richtig!)


Wir haben die Eckpunkte gesetzt, die wir für richtig und
für wichtig halten. Wir haben das frühzeitig vor den an-
deren getan, um der Bundesregierung, auch auf europäi-
scher Ebene, ein klares Verhandlungsmandat mitzuge-
ben.

Wenn man die Geschichte seit 2009 verfolgt, stellt
man fest: Der Deutsche Bundestag war federführend.
Wir haben vieles parallel mit der Assemblée Nationale
in Frankreich auf den Weg gebracht – in vielen Fällen ist
das gelungen – und dann mit klaren Vorgaben, mit einem
klaren Mandat die Bundesregierung gebeten, das zum
europäischen Standard zu machen. Das ist Schritt für
Schritt gelungen. So sieht seriöse und gute Finanzmarkt-
regulierungspolitik aus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724103200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schick?


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724103300

Ja. Bitte.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Der hat doch nachher noch Redezeit!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, dass das Pro-
blem in Deutschland eigentlich überhaupt nicht die Uni-
versalbanken gewesen seien. Das hat mich gewundert.
Denn die Sachsen LB hat sowohl Investmentbanking als
auch Kreditgeschäft betrieben. Die WestLB war im
Investmentbanking und im Kreditgeschäft tätig. Die
Commerzbank ist im Investmentbanking und im Kredit-
geschäft aktiv. Das zeigt, dass schon einmal drei wesent-
liche Problemfälle in Deutschland Universalbanken ge-
wesen sind. Die Frage ist, wie man das im Hinblick auf
jede einzelne Bank bewertet. Ich möchte dennoch ein-
mal nachfragen, ob Ihre Aussage, dass in Deutschland
nur Spezialbanken von den Rettungen betroffen waren,
generell richtig ist.

Bitte nehmen Sie außerdem zur Kenntnis, dass das
Hauptargument ein anderes ist, nämlich dass es eine
Quersubventionierung gibt. Dieses Argument wurde
auch von BaFin und Bundesbank in der Anhörung bestä-
tigt.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724103400

Herr Kollege Schick, meine Aussage war und ist rich-

tig. Sie haben sie nur bewusst falsch verstanden und
eben bewusst falsch wiedergegeben. Ich habe gesagt: Es
waren im Wesentlichen nicht Universalbanken, die diese
Krise verursacht haben, sondern es waren überwiegend
Spezialbanken. Diese Aussage ist richtig, und sie steht





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


auch nicht im Widerspruch zu dem, was Sie gesagt ha-
ben.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt nur eine Universalbank in Deutschland! Die heißt Deutsche Bank!)


Deswegen müssen wir hier gar keinen Popanz errichten,
sondern können bei dem bleiben, was ich hier gesagt
habe; denn es ist die Wahrheit. Es ist in der Tat notwen-
dig, dass man reguliert; sonst würden wir dieses Gesetz
nicht machen. So einfach ist das. Man muss eben nur
sinnvoll regulieren und sich an der Wahrheit orientieren,
und das tut die christlich-liberale Koalition.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch Teil der
Wahrheit, dass wir eine europäische Aufsicht brauchen.
Der Deutsche Bundestag hat sich, wenn ich mich recht
erinnere, schon im Jahr 2005 in einem Entschließungs-
antrag dafür ausgesprochen, ein europäisches Aufsichts-
regime zu schaffen. Wir waren damals in diesen Fragen
sehr weit voraus, übrigens fraktionsübergreifend. Natür-
lich war es die Krise, die am Ende den Druck erhöht hat,
aber es war auch die Erkenntnis, dass wir unbewusst be-
reits Risiken in den Bilanzen von Banken tragen, die ih-
ren Sitz in anderen Ländern unseres Währungsgebietes
haben. Das ist eine bittere Erfahrung auch der letzten
Monate, und die Antwort darauf muss sein, dass man
jetzt so schnell wie möglich eine europäische Banken-
aufsicht auf den Weg bringt, weil es nicht verantwortbar
ist, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger Risiken tra-
gen, aber keinen Einfluss auf die Behörden haben, die
die Banken kontrollieren und beaufsichtigen, bei denen
sich diese Risiken aufbauen. Deswegen: Danke schön an
die Bundesregierung, dass sie zügig vorangeht, aber das
Kind nicht mit dem Bade ausschüttet, sondern dies alles
mit der notwendigen Sorgfalt und Präzision ausarbeitet.

Nachdem die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene
die Eckwerte verhandelt hatte, hat der Deutsche Bundes-
tag schnell einen Entschließungsantrag angenommen und
klargemacht: Für uns ist die Unabhängigkeit der EZB,
aber auch die Trennung zwischen Geldpolitik und Auf-
sichtspolitik wichtig. Jetzt haben wir eine sehr präzise,
maßgenaue Regelung. Das Maximum dessen, was auf eu-
ropäischer Ebene verhandelbar war, wurde ausgehandelt;
das Maximum dessen wurde in der SSM-Verordnung nie-
dergeschrieben. Wir können das voll und ganz unterstüt-
zen.

Herr Kollege Zöllmer, natürlich ist es wichtig, dass
sich die Unabhängigkeit und die strikte Trennung zwi-
schen geldpolitischer Verantwortung und Aufsichtsver-
antwortung in der Praxis beweisen. Darauf werden wir
ein strenges Auge haben müssen. Aber Sie sehen schon,
wie gut die SSM-Verordnung gelungen ist. Niemand, der
bei der EZB geldpolitische Verantwortung trägt, darf
dem Aufsichtsgremium angehören.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724103500

Haben Sie bitte auch ein Auge auf die Zeit.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724103600

Das ist der richtige Weg. Wir können auf das, was auf

den Weg gebracht worden ist, stolz sein. Wir vervoll-
ständigen Schritt für Schritt unser Werk einer guten Fi-
nanzmarktregulierung in Europa.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724103700

Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. – Nächster

Redner für die Fraktion Die Linke: unser Kollege
Dr. Axel Troost. Bitte schön, Kollege Dr. Axel Troost.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724103800

Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit der Verabschiedung des heute vorgelegten
Gesetzentwurfs, dem nächsten Meilenstein – wir hören
das jetzt in jeder Debatte –,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es ist ja so! Es ist die Wahrheit!)


soll der Bundestag der Bundesregierung die Erlaubnis
geben, im Europäischen Rat die Einrichtung einer euro-
päischen Bankenaufsicht bei der EZB zu beschließen.
Ich kann Ihnen diese Erlaubnis namens unserer Fraktion
nicht erteilen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja schade!)


Als Linke lehnen wir natürlich nicht die Idee ab, dass
bei immer größer werdenden Banken eine Europäisie-
rung der Aufsicht notwendig ist. Eine Europäisierung ist
aber kein Selbstzweck. Die übergeordnete Leitfrage
muss vielmehr lauten: Wie wird die Bankenaufsicht ins-
gesamt schärfer und handlungsfähiger und verhindert
damit Bankenkrisen besser als bisher? Eine verbesserte
Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg
muss hier natürlich ein wichtiger Aspekt sein. Sie muss
aber mit dem politischen Bekenntnis verbunden sein, die
Banken nicht länger mit Samthandschuhen anzufassen.
Genau dieses Bekenntnis vermissen wir aber.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was heißt denn das: „mit Samthandschuhen“?)


Bei dieser Europäisierung droht insbesondere der
Verlust der in Deutschland sehr erfolgreichen Allfinanz-
aufsicht. Wir haben mit der BaFin bewusst eine Einrich-
tung geschaffen, in der alle drei Säulen – Kreditinstitute,
Versicherungswirtschaft und Börsen – in einzelnen Ab-
teilungen beobachtet werden, aber auch die Vernetzung
zwischen diesen Institutionen unter die Lupe genommen
wird. Der Verwaltungsrat der BaFin ist gerade dabei,
diese Vernetzung weiter zu verstärken. Mit dem, was Sie
hier jetzt vorschlagen, läuft es auf das Gegenteil hinaus:
Gerade die besonders riskanten systemrelevanten Ban-
ken werden sozusagen aus der deutschen Bankenaufsicht
herausgenommen und der Aufsicht durch die EZB unter-
stellt. Das ist aus unserer Sicht kontraproduktiv und wird
die Aufsicht eher verschlechtern statt verbessern.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)


Der zweite Grund für meine Befürchtung ist, dass die
Rechtsgrundlage – das ist angesprochen worden – völlig
unklar ist. In allen Fraktionen im Finanzausschuss ist die
Erkenntnis gewachsen, dass die juristische Konstruktion
einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht durch
die EZB über Art. 127 AEUV bestenfalls ein Behelf ist.
Alle haben gesagt: Wenn wir eine schlagkräftige Auf-
sicht haben wollen, müssen die EU-Verträge verändert
werden. Das gehen Sie aber nicht an.

Ein dritter Grund für meine Skepsis ist, dass die Ban-
kenaufsicht nicht besser sein kann als die Ausstattung
und die Spielregeln, die sie zu überwachen hat. Die euro-
päische Bankenaufsicht braucht Respekt. Die Großban-
ken müssen wirklich Bammel haben, wenn wirklich eine
Veränderung im Finanzsektor durchgesetzt werden soll.
Auch heute, sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise,
gibt es eine Menge Investmentbanker, die mit verächtli-
cher Arroganz auf die Beamten der Finanzaufsicht her-
unterschauen und sagen: Was will der oder die denn
schon? Die verdienen im Jahr so viel, wie ich für einen
Satz Reifen ausgebe. – Die jüngsten Schritte auf dem
Weg zur Finanzmarktregulierung – Ihre Meilensteine
von gestern, das beschlossene Paket zu Basel III – rei-
chen bei weitem nicht aus, um einer europäischen Ban-
kenaufsicht den nötigen Respekt zu verschaffen. Ohne
eine entsprechende Regulierung wird es aber keine Ver-
änderung geben.

Damit komme ich zu dem zweiten Gesetzentwurf,
dem Trennbankengesetz der Koalition. Dazu ist schon
eine Menge vom Kollegen Zöllmer gesagt worden. Das,
was eigentlich gemacht werden soll – das riskante Wert-
papier- und Investmentgeschäft vom Rest des Bankge-
schäftes zu isolieren –, nehmen Sie in einem viel zu ge-
ringen Umfang in Angriff. Die Zocker-Banking-Teile
bleiben in einer gemeinsamen Bankenholding.

Das, was Sie ausgliedern wollen, ist in der Tat viel zu
gering. Denn Ihr Gesetz gilt nur für Banken, deren Ei-
genhandel mehr als 20 Prozent ihrer Bilanzsumme oder
mehr als 100 Milliarden Euro ausmacht. Diese Regulie-
rung ist viel zu gering. Eine Bank wie die pleitegegan-
gene IKB wäre davon kaum betroffen gewesen.

Auch die weiteren Definitionen laufen weitestgehend
ins Leere, weil die Verbindung zwischen den Bankteilen
bestehen bleibt. Wenn dann eine Banksäule zusammen-
bricht, wird das gemeinsame Dach auf Dauer nicht hal-
ten, weil es auch auf die andere Banksäule einen Run ge-
ben wird. Wir werden schon sehen, welche Probleme
sich daraus ergeben.

Aus unserer Sicht müssen die Banken wesentlich
kleiner, ihre Geschäfte müssen wesentlich einfacher
werden. Nur dann hat demokratische Politik überhaupt
eine Chance, den Bankensektor zu kontrollieren, Schief-
lagen frühzeitig zu erkennen und die Gesellschaft vor
Schaden zu bewahren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Ihr Trennbanken-Light-Gesetz
ist nicht nur theoretisch recht mutlos, sondern geht auch
an den praktischen Problemen vorbei. Lassen Sie mich

das sehr plastisch – das mache ich in meinen Vorträgen
sonst auch immer – am Beispiel der Deutschen Bank
deutlich machen, deren Zentrale in Frankfurt zwei große
Türme hat.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Vorträge dort macht Herr Steinbrück!)


Im Prinzip gibt es drei verschiedene Modelle. Ihr Mo-
dell lautet: Wir sortieren ein bisschen um, lassen aber
letztlich alles zusammen, auch alle Verbindungen, und
dann läuft alles so weiter. Das Modell von SPD und Grü-
nen sieht vor: Wir führen eine wirkliche Trennung her-
bei, der eine Turm bleibt eine Bank und der andere Turm
wird als Spielbank umfirmiert; aber beide bleiben voll
am Markt. Das Modell der Linken lautet: Wir sortieren
um. Von den beiden Türmen schließen wir den einen
Turm vollständig. Die Zockerei hört auf. Das gefährliche
Geschäft wird vom Markt genommen. Von einem Fi-
nanz-TÜV wird nur noch das genehmigt, was für die Ge-
sellschaft zur Finanzierung der Realwirtschaft sinnvoll
ist. Alles andere muss unterbunden werden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724103900

Vielen Dank, Kollege Dr. Axel Troost. – Nächster

Redner in unserer Aussprache für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen: unser Kollege Dr. Gerhard Schick.
Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum ist es denn so wichtig, diese Trennung durchzu-
führen, über die wir heute sprechen? Nun, es ist so: Die
Einlagen der Kundinnen und Kunden sind ja über die
Einlagensicherung gesichert. Wenn das riskante Invest-
mentbanking mit diesem Einlagengeschäft untrennbar
verbunden ist, dann weitet sich der Schutz des Staates,
der eigentlich nur für die Sparerinnen und Sparer gelten
soll, auch noch auf die riskanten Aktivitäten aus. Das ist
der Grundgedanke, und der ist wichtig.

Natürlich ist es im Interesse großer Banken, dass sie
diesen Schutz ausweiten können; denn dann können sie
im Investmentbanking viel mehr Risiken eingehen, viel
mehr Gewinne machen, weil ja im Zweifelsfall die staat-
liche Sicherheit, die für die Einlagen gilt, auch für diese
Aktivitäten gilt. Deswegen fordern wir seit langem, dass
hier eine Trennung vorgenommen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings ist der Grundgedanke, dass man diese Sub-
ventionierung eines riskanten Bankgeschäfts abschaffen
sollte, im Finanzministerium lange nicht angekommen.
Am 17. Oktober 2011 berichteten die Medien dann von
einer überraschenden Kehrtwende des Bundesfinanz-
ministers auf Druck der Opposition beim Thema Trenn-
bankensystem.


(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


Ich zitiere:

Darüber sollte auf internationaler Ebene intensiv
diskutiert werden.

Also erst einmal international.

Ein Jahr später, weil der Druck aus Opposition und
Öffentlichkeit stärker geworden ist, macht sich dann im
Herbst 2012 die Bundesregierung daran, ein nationales
Gesetz schnell auf den Weg zu bringen, um im Wahl-
kampf zu zeigen, man tue doch etwas – völlig getrieben
und außerdem erst nach drei Jahren verlorener Zeit, bei
der Bankenregulierung wirklich etwas zu machen. Das
ist die Antwort auf Ihre selbstgefällige Äußerung gestern
zu angeblich vier tollen Jahren Bankenregulierung.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Die elf Jahre vorher, die der SPD-Führung, spielen keine Rolle?)


Sie haben entscheidende drei Jahre verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Unter Rot-Grün nichts! Gar nichts!)


Das könnte man ja noch in Kauf nehmen, wenn dann
ein anständiges Gesetz auf dem Tisch läge. Aber es ist
schon gesagt und in der Anhörung sehr deutlich gewor-
den: Es kommt nicht zu einer wirklichen Trennung der
Aktivitäten. Sie fallen hinter das zurück, was auf euro-
päischer Ebene im Liikanen-Report vorgeschlagen wor-
den ist, und sind daher auf europäischer Ebene nicht
Vorreiter, sondern Bremser; denn Sie werden dazu bei-
tragen, dass auch auf dieser Ebene kein handfestes
Trennbankensystem durchkommt. Das sollten wir im
Bundestag nicht durchgehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum ist das Gesetz schlecht? Zum einen wird die
Trennung nicht sinnvoll vollzogen. Man kann, so wie es
dort vorgesehen ist, nicht das Market Making und das
Eigenhandeln der Banken voneinander trennen, sondern
man muss insgesamt zwischen dem einlagengesicherten
Geschäft und dem marktnahen Investmentgeschäft tren-
nen. Das tun Sie nicht. Die Schwellen sind wesentlich zu
hoch.

Es bestehen zum einen einige handwerkliche Fehler:
so die Tatsache, dass die steuerlichen Regelungen noch
nicht vorhanden sind und viele Experten sagen, da sei
noch einiges, was man nachbessern müsse. Zum anderen
muss man feststellen: Mit diesem Gesetz sind vor allem
zwei zufrieden, auf der einen Seite die Großbanken, weil
sich nichts ändern wird, und auf der anderen Seite die
Bundesregierung, weil sie so tun kann, als würde sie
handeln, obwohl sie in Wirklichkeit nichts tut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Genau deswegen müssen wir dieses Gesetz ablehnen. Es
bringt nicht nur nichts; es ist auch schädlich, weil es auf
europäischer Ebene falsche Impulse setzt.

Zum zweiten Thema des heutigen Vormittags, zur eu-
ropäischen Bankenaufsicht. Auch hier werfe ich einen
Blick zurück: „Bankenaufsicht: Ohne uns!“ Dies ist ein
Artikel in der Zeit vom Juli 2010, wo sehr detailliert
nachgewiesen wird, wie die Bundesregierung bei der
Gründung der drei europäischen Aufsichtsinstitute alles
darangesetzt hat, dass die europäische Bankenaufsicht
keinen wirklichen Durchgriff auf die nationalen Institute
hat und ihrer Kontrollaufgabe nicht gerecht wird. Ich
empfehle Ihnen den Artikel zur Lektüre, in dem noch
einmal genau dargelegt wird, wie die Beamten dieser
Bundesregierung auf Brüsseler Ebene alles getan haben,
um eine effektive Bankenaufsicht auszubremsen.

Jetzt, drei Jahre später, wird dieser Fehler endlich kor-
rigiert. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Wenn
wir schon vor drei Jahren bei der Gründung der EBA
eine wirklich knackige europäische Bankenaufsicht auf
den Weg gebracht hätten, dann hätte man bereits bei den
spanischen Cajas und den zypriotischen Banken von eu-
ropäischer Ebene aus durchgreifen können, ebenso jetzt
bei den slowenischen Banken.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Der weiß alles!)


Daran sieht man: Das ist keine leichte Verzögerung, son-
dern diese Verzögerung hat einen Milliardenschaden für
die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an-
gerichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Leider geht die Geschichte des Verzögerns und Aus-
bremsens weiter. Nicht nur beim Trennbankensystem,
nicht nur bei der Bankenaufsicht, sondern auch bei der
Abwicklungsbehörde steht die Bundesregierung auf der
Bremse. Da gibt es ein paar fachliche Fragen, die zu klä-
ren sind. Das muss man in aller Gründlichkeit tun – dazu
sind wir auch sehr gerne bereit –; der Punkt ist aber, dass
Sie diese Idee in den letzten Jahren stets abgelehnt haben
und Sie den Prozess, das auf den Weg zu bringen, damit
verhindert haben. Das Europäische Parlament und die
Europäische Kommission haben schon 2009 und 2010
ein europäisches Abwicklungsregime gefordert. Der
Bundesfinanzminister unterstützt diese Grundidee erst
seit den letzten Tagen, gleichzeitig hat er aber so hohe
Hürden formuliert, dass klar ist, dass wir das nicht un-
mittelbar umsetzen können.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir sind Vorreiter in Europa bei dem ganzen Thema! Erzählen Sie doch nicht so einen Blödsinn!)


Warum ist das so wichtig? Weil die Tatsache, dass wir
kein europäisches Abwicklungsregime haben, dazu ge-
führt hat, dass bei grenzüberschreitend tätigen Banken
immer wieder der Steuerzahler einspringen musste, weil
keine Mechanismen vorhanden waren, um die Gläubiger
heranzuziehen und die Banken abzuwickeln, zu schlie-
ßen oder zu restrukturieren. Während in den USA seit





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


Ausbruch dieser Krise über 400 Banken abgewickelt
wurden, ohne dass Kosten für den Steuerzahler angefal-
len sind, sind Banken gleicher Größe in Europa zulasten
der Steuerzahler gerettet worden. Das müssen wir end-
lich korrigieren.

Wir fordern Sie auf: Gehen Sie von der Bremse, und
seien Sie auf europäischer Ebene endlich diejenigen, die
den Steuerzahler effektiv schützen. Das ist notwendig.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724104000

Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. – Nächster

Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist der Kol-
lege Peter Aumer. Bitte schön, Kollege Peter Aumer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1724104100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich bewundere die hellseherischen Fä-
higkeiten des Herrn Dr. Schick. Ich glaube aber, verant-
wortungsvolle Politik ist etwas anderes, als alle Dinge
schlechtzureden, die wir in den letzten vier Jahren, die
gerade in der Finanzpolitik gut für Deutschland waren,
erarbeitet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Opposition liefert heute beim Thema Finanzen ein
trauriges Bild ab – und ich glaube, nicht nur in diesem
Bereich.

Herr Dr. Troost, Sie sprachen von Meilensteinen. Ja,
die heutigen Beschlüsse sind ein weiterer Meilenstein in
der Finanzpolitik. Wir sind in Europa Vorreiter in der
Finanzpolitik. Wir bringen Dinge auf den Weg, die in
Europa nach und nach zum Vorbild genommen werden


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein falsches Vorbild, Herr Aumer!)


und manchmal noch strikter in Angriff genommen wer-
den. Die deutsche Politik ist verantwortungsvoll; dies ist
die Politik der christlich-liberalen Koalition.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen funktionierende und stabile Finanzmärkte.
Es ist Aufgabe der Gesetzgebung, sicherzustellen, dass
die Finanzmärkte ihre zentrale Funktion, der Realwirt-
schaft zu dienen, wahrnehmen. Dieses Ziel haben wir in
den vier Jahren, in denen wir die Regierung stellen, ver-
folgt. Sie haben sehr wenig dazu beigetragen, dass wir
dieses Ziel erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP])


Unser Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor kur-
zem in einer seiner Reden gesagt, dass funktionierende
Finanzmärkte Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge

sind. Wir, die Partei der sozialen Marktwirtschaft, hel-
fen, diese Daseinsvorsorge zu sichern.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber doch nicht Zockerbanden! Es geht um Daseinsvorsorge!)


– Lieber Herr Dr. Troost, als wenn das immer so einfach
wäre. Der Begriff „Zockerbuden“ trifft, glaube ich, auf
Sparkassen und Raiffeisenbanken nicht zu.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: So ist es!)


Man kann nicht alle in einen Topf schmeißen, wie Sie
das tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man muss bei diesem Thema differenzieren. Wir ma-
chen das. Man kann nicht alles in einen Topf werfen, wie
die Opposition das macht.

Wir sind Vorreiter – der Herr Staatssekretär hat das
vorhin schon gesagt –: Bei den ungedeckten Leerverkäu-
fen, beim Restrukturierungsgesetz, beim Hochfrequenz-
handel und vielen anderen Dingen haben wir Maßstäbe
in Europa gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das machen wir auch bei der Bankenaufsicht. Sehr
geehrter Herr Kollege Zöllmer, wir legen Wert darauf
– Herr Wissing hat das vorhin schon angesprochen –,
dass es eine klare Trennung zwischen Geldpolitik und
Aufsicht der EZB gibt.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Aber wo gibt es die denn?)


Was Sie erzählen, ist einfach nicht wahr. Herr Zöllmer,
das ist das, was wir als christlich-liberale Koalition in
Europa verhandelt haben. Verdrehen Sie die Wahrheiten
doch nicht. Ich denke, das ist der SPD nicht würdig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen, dass die nationale Aufsicht gestärkt wird
und dass die Arbeit der EZB mit der der nationalen Auf-
sicht verknüpft wird; sie sollen einheitliche, gemeinsame
Aufsichtsmechanismen bekommen. Das ist verantwor-
tungsvolle Politik. Die großen Banken unterstehen der
Aufsicht der EZB und die anderen der nationalen Auf-
sicht, wobei einheitliche Standards gelten. Das ist, denke
ich, ein gutes Vorgehen.

Zum Trennbankengesetz. Herr Zöllmer, Sie haben ge-
sagt, dass das Trennbankengesetz nicht trennt.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Richtig!)


Wir bringen diesen Gesetzentwurf zeit- und inhalts-
gleich mit den französischen Kollegen ein. Das ist
zwischen Deutschland und Frankreich abgestimmt. Sie
sollten einmal mit Ihren sozialistischen Kollegen reden,
wenn Sie der Meinung sind, dass keine Trennung er-
folgt. Wir versuchen gemeinsam, etwas auf den Weg zu
bringen, was es so bisher in Europa nicht gibt.





Peter Aumer


(A) (C)



(D)(B)


Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen und nicht
mit Ihren Parolen durch die Gegend laufen und Dinge
verkünden, die nicht der Wahrheit entsprechen.


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Wir wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren und
auch meine sehr geehrte Kollegin der Linken – wenn
man im Finanzbereich nicht so fit ist, sollte man nicht
dazwischen schreien –, verbesserte Abschirmungen von
Risiken aus spekulativen Geschäften vom Kundenge-
schäft. Das ist unsere Aufgabe. Das bringen wir mit dem
Trennbankengesetz auf den Weg.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wie geht das denn? Wie machen Sie das?)


– Hätten Sie den Gesetzentwurf gelesen, lieber Herr
Kollege Binding, dann wüssten Sie, wie es funktioniert.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das habe ich! Deshalb weiß ich, dass es nicht stimmt, was Sie sagen!)


Wir bringen dies verantwortungsvoll für unser Land
auf den Weg. Verantwortungsvolle Finanzmarktregulie-
rung ist etwas, das Sie noch lernen müssen.

Vorhin wurde angesprochen – ich glaube, von Herrn
Zöllmer –, dass der Minister nicht da ist.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ja!)


Er hat sicherlich in diesem Kabinett die Aufgabe, we-
sentliche Entscheidungen zu treffen. Ich frage mich, wo
Ihr Kanzlerkandidat ist,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Der kommt nie!)


der sich die Finanzmärkte als großes Thema auf die Ta-
gesordnung geschrieben hat. Er ist bei dieser wesentli-
chen Debatte nicht da.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Der hat Angst vor uns! Der kommt nie zu Finanzdebatten!)


– Bei einer so entscheidenden Debatte zum Finanzmarkt
hat er Angst vor uns?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja! – Genau!)


Das könnte durchaus sein. – Wir bringen etwas auf den
Weg, das er nur in seinen Programmen beschreibt, aber
nicht in konkrete Politik für Deutschland umsetzen kann.

Ich hoffe, dass die Regierung, die wir heute haben,
die christlich-liberale Koalition, in die Zukunft geht.
Denn wir machen nicht Wahlkampf,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein! Gar nicht!)


wie Sie es in der letzten halben Stunde getan haben. Wir
machen verantwortungsvolle Politik für die Finanz-
märkte.


(Beifall des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])


Wir geben den Finanzmärkten in Deutschland den Regu-
lierungsrahmen, den sie brauchen. Wir kämpfen auch
dafür, dass das in Europa umgesetzt wird.


(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])


– Sehr geehrter Herr Poß, das ist verantwortungsvolle
Politik. Das müssen Sie noch lernen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724104200

Vielen Dank, Kollege Peter Aumer. – Nächster

Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege
Dr. Sieling.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1724104300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kolle-
gen der Koalition aus CDU/CSU und FDP können hier
so oft, wie sie wollen, mit einem freundlichen Augenauf-
schlag die Märchengeschichte erzählen, was sie alles er-
bracht und geschafft hätten.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)


Die Wahrheit ist: Sie haben in dieser Legislaturperiode
verzögert und gezaudert. Das hat dazu geführt, dass wir
hier im Bundestag erst jetzt zu diesen Fragen kommen.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihre Finanzminister haben nichts getan! Gar nichts! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir sind wieder die Ersten in Europa! Erzählen Sie keinen Unsinn!)


Sie sind dafür verantwortlich, dass wichtige Maßnahmen
der Finanzmarktregulierung nicht stattgefunden haben.
Das zeigt das Scheitern Ihrer Politik.


(Beifall bei der SPD)


Ich will das einmal im Zusammenhang darstellen.
Uns wird jetzt hier vorgeworfen – das sagt doch alles –,
dass wir beklagen, dass der verantwortliche Bundes-
finanzminister nicht anwesend ist.


(Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär: Er hat andere Termine!)


Dass der Bundesfinanzminister zu dieser Zeit andere
Termine hat, wird jetzt als Argument vorgetragen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Warum kommt Steinbrück nie zu Finanzdebatten, Herr Sieling? Der kommt nie!)


An diesem Punkt wird es richtig lächerlich.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Wahlkämpfer zu dem Thema kommt nie! – Gegenruf des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]: Das stimmt nicht! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Weil er Schiss in der Büx hat!)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724104400

Trotzdem würde ich sagen: Der Kollege Dr. Carsten

Sieling hat das Wort.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1724104500

Vielen Dank, Herr Präsident.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724104600

Es sollte nicht so sein, dass der Redner stört. – Bitte

schön, Herr Dr. Sieling. Sprechen Sie weiter.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1724104700

Vielen Dank, Herr Präsident. – Diese Aufregung

zeigt, dass die Betreffenden genau wissen, dass sie dane-
benliegen. Es war Peer Steinbrück, der zu den Themen,
über die wir heute diskutieren, im Herbst 2012 ein Pa-
pier vorgelegt hat, über das wir hier gemeinsam disku-
tiert haben. Das hat Sie erst geweckt.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat 90 Prozent abgeschrieben!)


Das war der Weckruf für Sie. Erst seitdem werden Sie
aktiv. Reden Sie hier nicht so ein Zeug.


(Beifall bei der SPD)


Es geht darum, dass wir in diesem Land etwas verändern
wollen und dies auch angehen.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Großsprecher! Ohne Handlung!)


Ich will noch etwas anderes sagen. Man kann Ihre
Politik in dieser Legislaturperiode in drei Phasen eintei-
len. Von 2009 bis 2010 haben Sie leider zu denen gehört,
die auf der europäischen Ebene blockiert haben; wir ha-
ben im Finanzausschuss ganz oft erlebt, dass Sie ge-
meinsam mit den Briten dafür gesorgt haben, dass nichts
passiert. Dann sind Sie aufgewacht und haben gemerkt,
dass man etwas verändern muss; dazu kam es im Zusam-
menhang mit der europäischen Krise und den ersten Ret-
tungsmaßnahmen für Griechenland und andere Länder.
Im letzten Jahr haben Sie gemerkt, dass Sie noch nichts
richtig hinbekommen haben. Es folgten Wenden und
Halsen.

Kollege Schick hat das schöne Datum genannt, an
dem der Bundesfinanzminister plötzlich vom Saulus
zum Paulus wurde, weil er gemerkt hat, dass man beim
Thema Trennbanken nicht mehr blockieren und Nein sa-
gen kann. Nachdem das alles vorher die Hölle war, sagte
man plötzlich, jetzt sei das der richtige Weg. Das ist auch
gut und eine vernünftige Einsicht; das will ich deutlich
sagen. Trotzdem sind die Vorschläge, die Sie uns hier
vorlegen, völlig harmlos; sie werden nichts ändern. Mit
Ihren Vorschlägen zum Trennbankensystem wird nur
1 Prozent des Geschäftsvolumens der Banken erfasst.
Das ist eine Trennung light.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch bei jeder Bank anders!)


– Das ist bei jeder Bank anders, richtig. Aber im Hin-
blick auf die Banken, für die wir wirklich eine Lösung
finden müssen, ist das die geballte Harmlosigkeit. Die

deutschen Großbanken, die Privatbanken lassen Sie in
Ruhe. Da machen Sie es anders. Denn da wollen Sie ver-
zögern. Diese Banken wollen Sie verschonen. Nichts an-
deres haben Sie im Sinn.


(Beifall bei der SPD)


Unser Vorschlag, auch der Vorschlag von Peer
Steinbrück,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist der denn mit Sigmar Gabriel abgesprochen, oder streiten die sich wieder?)


ist nahezu identisch mit dem, was die Kommission unter
Vorsitz von Herrn Liikanen vorgeschlagen hat. Das ist
der entscheidende Punkt: Wir sagen, dass von dieser Re-
gelung alle Aktivitäten erfasst werden müssen, auch sol-
che, die im Kundenauftrag stattfinden, wenn sie zu
Eigenhandel werden. Das schlägt auch Liikanen vor. In
den hier schon zitierten Kommentaren ist zu Recht ge-
sagt worden, dass Ihre Trennungsvorschläge sozusagen
eine moralische Entscheidung der Banken verlangen.
Würden wir unsere Vorschläge umsetzen, würden wir
wirklich in ihr Geschäftsgebaren eingreifen.

Sehr gut gefallen hat mir das Bild des Kollegen Axel
Troost, der von den zwei Türmen der Deutschen Bank
gesprochen hat. Das ist nämlich genau der Punkt, der
Ihre Politik und den Vorschlag von SPD und Grünen
charakterisiert. Wir wollen die problematischen Ge-
schäfte in einem der Türme bündeln. In der Denkweise
der Linkspartei hingegen gibt es einen Fehler:


(Björn Sänger [FDP]: In deren Denkweise gibt es mehrere Fehler, nicht nur einen!)


Sie glauben, man müsse die Spielbank schließen. Das ist
aber ein Fehlgedanke. Unser Vorschlag würde dazu füh-
ren, dass sich die Geschäfte, um die es dort geht, gar
nicht mehr lohnen und dass sie keinen Sinn mehr ma-
chen würden.

Ich will Ihnen sagen: Natürlich muss man gewisse
Geschäfte verbieten. Wir waren immer dafür, eine ent-
sprechende Regelung zu Rohstoffspekulationen und
Ähnlichem zu treffen. Wir sind aber vor allem dafür,
diese Dinge zu verteuern. Deshalb sind wir auch drin-
gend für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer.
Nach unseren Trennungsvorschlägen werden die Haf-
tungsvorschriften für Geschäfte, die in dem einen Turm
abgewickelt werden, so stark ausgeweitet und das Risiko
wird so groß, dass daraus eine Verteuerung resultiert, so-
dass der Spielbankturm abgetragen werden muss, weil
gar nicht mehr so viele hineingehen. Diejenigen, die dort
trotzdem aktiv sind, werden, falls es zu krisenhaften Ent-
wicklungen kommt, selbst die Verantwortung dafür tra-
gen müssen. Der Steuerzahler, die Einlagen der Sparkas-
sen und Banken und die kleinen und größeren Einleger
werden dafür nicht mehr in Anspruch genommen. Die-
sen marktgesteuerten Mechanismus streben wir an. Ich
halte diesen Weg für richtiger, als schlicht und einfach
zu sagen: Wir mauern die Tür dieses Turmes zu. – Das
ist nicht nötig. SPD und Grüne machen einen Vorschlag,
der funktionieren wird, meine Damen und Herren.





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei Ihnen hat doch noch nie etwas funktioniert!)


Zum Schluss möchte ich gerne die Vorschläge auf der
europäischen Ebene und die Debatte, die der Bundes-
finanzminister ausgelöst hat, ansprechen. Ich will nur
ganz kurz die Frage nach der Motivation aufgreifen. Die
Bundeskanzlerin hat erklärt, dass man Banken, wenn die
Bankenunion steht, auch über den ESM rekapitalisieren
kann und soll. Jetzt ist man auf diesem Weg und kann re-
lativ schnell zu einem Ergebnis kommen. Mein Eindruck
ist: Dieser Zweistufenvorschlag ist nichts anderes als
Taktik. Da in Deutschland bald ein Entscheidungstermin
ansteht, ist dieser Vorschlag von der Absicht getrieben,
die jetzt notwendige Entscheidung über diesen Termin
hinaus zu verzögern, meine Damen und Herren.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Das ist sachlich nicht geboten. Es geht nämlich da-
rum, dass wir jetzt ein Abwicklungsregime schaffen, das
den Steuerzahler nicht belastet und so ausgestaltet ist,
dass der Finanzsektor selber in die Verantwortung ge-
nommen wird. Die Umsetzung des Vorschlags von
Herrn Schäuble wird dazu führen, dass der Steuerzahler
weiterhin zuständig ist. Er macht ihn nur, damit man vor
der Bundestagswahl keine Entscheidungen mehr treffen
muss, die einem nicht gefallen. Das halte ich für eine un-
redliche Politik. Auch deshalb brauchen wir am 22. Sep-
tember einen Wechsel.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724104800

Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. – Nächster

Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn
Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1724104900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Geschätzter Kollege Sieling, Sie haben eben erneut
gesagt – das kommt ja in jeder Ihrer Reden vor –,


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Weil es die Wahrheit ist!)


es gehe alles viel zu langsam; man zögere und zaudere
zu viel. Wenn ich jetzt etwas mehr Redezeit hätte, würde
ich Ihnen die entsprechenden 32 Gesetzesvorhaben noch
einmal herunterleiern.


(Joachim Poß [SPD]: Das macht der Herr Brinkhaus gleich!)


Aber ich bin ziemlich sicher: Das wird mein Nachredner
Ihnen noch einmal erklären. Er wird es so lange machen,
bis Sie es verstanden haben. Insofern wird das meines
Erachtens noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wenn wir nachzählen, werden es keine 30!)


Uns liegt heute ein Gesetz vor, das im Gegensatz zu
dem gestern beratenen vollkommen ohne Abkürzungen
auskommt. Man hätte es auch nennen können: Gesetz
zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft. Die Grund-
prinzipien unseres überlegenen Wirtschaftssystems brin-
gen wir in den Finanzsektor zurück, in Ergänzung zum
Bankenrestrukturierungsgesetz, das wir im Übrigen be-
reits 2010 hier auf die Schiene gesetzt haben.

Meines Erachtens ist der wichtigste Teil in diesem
Gesetz der Bereich Abwicklung und Sanierung. Das
heißt: Banken müssen sich für den Ernstfall rüsten, wenn
sie in ein schwieriges Fahrwasser geraten und mögli-
cherweise eine Insolvenz bevorsteht. Sie müssen einen,
wie man so schön sagt, Living Will ausarbeiten. Sie
müssen sich überlegen, welche Teile der Bank in wel-
chem Bereich liegen und wie man sie im Ernstfall daraus
herauslösen kann. Darauf kommt es doch an: Wenn eine
Bank in Schwierigkeiten gerät, dann muss man sie abwi-
ckeln können, ohne dass es zu Schäden für die Volks-
wirtschaft kommt. Genau das würde die Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs in Kombination mit dem Banken-
restrukturierungsgesetz leisten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir verabschieden ihn, um für den gesamten Finanz-
sektor etwas zu tun. Davon ist keine Bank ausgenom-
men; schließlich kann es jede Bank an irgendeiner Stelle
treffen. Wir haben wieder mit Augenmaß gehandelt und
daher im Gesetzentwurf ein Proportionalitätsprinzip ver-
ankert.

Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammen-
hang sind die Strafbarkeitsvorschriften. Natürlich gibt es
in der Bevölkerung keine große Akzeptanz hinsichtlich
dessen, was in der Krise passiert ist: Unternehmensfüh-
rer haben großen volkswirtschaftlichen Schaden ange-
richtet; allerdings hat eine aus Sicht der Bevölkerung
verständlicherweise notwendige strafrechtliche Verfol-
gung bislang noch nicht im erforderlichen Umfang statt-
gefunden.

Die Tatsache, dass jemand unternehmerisch falsch ge-
handelt hat und in die Insolvenz geht, ist allein noch kein
Strafgrund. Entscheidend ist doch: Hat er entsprechende
Regeln missachtet, hat er sich also rechtlich falsch ver-
halten oder nicht? Insofern haben wir auch hier eine
rechtlich gute Lösung gefunden: Wenn eine Bank in die
Insolvenz geht und eine Anordnung der BaFin missach-
tet hat, dann muss man damit rechnen, strafrechtlich ver-
folgt zu werden. Das ist der richtige Weg. Denn nur dann
ist auch das Scheitern einer Bank möglich. Zumindest
wir wollen schon, dass eine Bank von Persönlichkeiten
mit unternehmerischen Fähigkeiten, von Bankiers gelei-
tet wird, die natürlich auch scheitern können müssen,
und nicht von Regulierungsjuristen, die jede einzelne
Entscheidung am Gesetz ausrichten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird der
BaFin mehr Verantwortung geben, aber auch die Quali-
tät des Aufsichtsdialogs verbessern.





Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)


Insofern trifft es die Charakterisierung als Gesetz zur
Stärkung der sozialen Marktwirtschaft ganz gut. Das ist
ein weiterer Baustein in dem großen Konzert. Es waren
vier gute Jahre für Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724105000

Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Der letzte Red-

ner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. Bitte schön, Kol-
lege Ralph Brinkhaus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1724105100

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Kolleginnen

und Kollegen! Es war wieder einmal etwas pflichtschul-
dig, was die Opposition hier geboten hat: Wir sitzen hier,
wir müssen etwas kritisieren. – Es kam das übliche Ver-
sprechen: höher, schneller, weiter. Wir haben es eher ge-
wusst, wir hätten schneller gehandelt, wir hätten weiter-
gehende Entscheidungen getroffen. – Aber im Prinzip
sind Sie doch eigentlich einverstanden mit dem, was wir
machen. Das muss man an dieser Stelle einmal feststel-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die müssen über ihren Schatten springen!)


Kommen wir zu den zwei Gesetzen, die wir heute
– das erste schließen wir heute noch nicht ab – beraten.
Es geht um die gemeinsame europäische Bankenauf-
sicht. Herr Staatssekretär Koschyk hat das gerade aus-
führlich vorgestellt. Wir als Union – ich glaube, ich spre-
che auch für die Liberalen – finden es richtig, dass
bedeutende Banken europäisch beaufsichtigt werden.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das finden alle hier richtig!)


Entscheidend ist, dass es sich um bedeutende Banken
handelt. Dafür hat sich diese Bundesregierung einge-
setzt. Es soll nicht sein, dass bei der Sparkasse Versmold
oder der Volksbank in Kaunitz auf einmal ein europäi-
scher Aufseher auftaucht. Wir wollen diese Trennung.
Wir sind aber der Meinung, dass bedeutende Banken eu-
ropäisch beaufsichtigt werden müssen. Die Bundesregie-
rung hat einen guten Verhandlungserfolg in diesem Pro-
zess erzielt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden im weiteren parlamentarischen Verfahren
– wir haben am 3. Juni eine Anhörung; wir werden uns
im Ausschuss und auch im Plenum damit noch einmal
beschäftigen – auf drei Dinge ganz besonders achten.

Erstens. Wie bekommt es die Europäische Zentral-
bank hin – das hat Kollege Zöllmer schon angesprochen –,
gleichzeitig Notenbank und Aufseher zu sein? Das ist
eine spannende Frage. Wir müssen genau hinschauen,
wie das gelingen kann.

Zweitens. Ganz wichtig ist, wie es eigentlich mit der
demokratischen Kontrolle der Europäischen Zentralbank
aussieht. Bekommen unsere Kollegen im Europäischen
Parlament, so wie es angedacht worden ist, das hin? Was
haben die nationalen Parlamente in diesem Prozess ei-
gentlich noch für eine Funktion? Ich denke, damit müs-
sen wir uns sehr intensiv beschäftigen.

Drittens. Die Europäische Zentralbank hat sich viel
vorgenommen. Sie will innerhalb eines Jahres Struktu-
ren errichten, mittels derer solche Tanker wie die Deut-
sche Bank, die Bank Santander und ähnliche Banken
überwacht werden können. Auch da werden wir genau
hinschauen, ob das gelingen kann oder ob von der Ver-
längerungsoption Gebrauch gemacht werden muss.

Eine weitere Frage, die sich nicht unmittelbar auf die-
sen Gesetzentwurf bezieht, die aber auch ganz wichtig ist,
betrifft den anschließenden europäischen Restrukturie-
rungsmechanismus. Dabei geht es knallhart auch um
Geld. Es geht darum, wer wie viel einzahlt. Lieber Kol-
lege Zöllmer, es wird nicht reichen, wenn nur die Banken
einzahlen. Am Ende des Tages wird immer der Steuerzah-
ler bluten. Wir müssen sicherstellen, dass der deutsche
Steuerzahler nicht für eine verfehlte Politik – zum Bei-
spiel Frankreichs – blutet, die dafür sorgt, dass in solchen
Ländern Banken unter Umständen gegen die Wand lau-
fen. Das ist eine ganz wichtige Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhang
aufgeworfen wird, ist folgende: Es gibt Menschen in
Brüssel, die der Idee verhaftet sind, wir brauchten ein
gemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Genau!)


Diese Leute schielen mit sehr gierigen Augen auf die
deutschen Einlagensicherungstöpfe. Da sollten wir sehr
vorsichtig sein. Ich halte es für eine Zumutung – es wird
auch schwierig sein, das den Menschen hier in Deutsch-
land zu erklären –, dass die Einlagensicherung der Spar-
kassen, Volksbanken und Privatbanken dafür benutzt
werden soll, gegebenenfalls Banken in Griechenland
und Spanien zu sanieren. Wir sollten darauf achten, dass
das nicht passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Es gibt doch einen Richtlinienentwurf, dessen Verabschiedung bisher verzögert worden ist! Warum eigentlich?)


Der zweite Gesetzentwurf beschäftigt sich nicht nur
mit Trennbanken, sondern auch – das ist ganz wichtig –
mit Sanierungs- und Abwicklungsplänen und mit straf-
rechtlichen Vorschriften für Banker. Darauf hat Herr
Kollege Sänger gerade hingewiesen. An diesem Gesetz
zeigt sich, wie Finanzmarktpolitik hier in den letzten
Jahren abgelaufen ist.

Während wir uns damit beschäftigt haben, wie es zu er-
reichen ist, dass Banken weniger Fehler machen – durch
bessere Verbriefungsvorschriften, durch bessere Vergü-
tungsvorschriften, durch einen besseren Umgang mit Ra-





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


tingagenturen und viele andere Dinge –, während wir uns
damit beschäftigt haben, wie es zu erreichen ist, dass die
Fehlertragfähigkeit von Banken größer wird – beispiels-
weise durch Eigenkapital- und Liquiditätsregeln, dadurch
dass wir bestimmte Geschäfte wie Leerverkäufe aus dem
Rennen genommen und sichere Derivatemärkte herge-
stellt haben –, während wir uns damit beschäftigt haben,
die Aufsichtsstrukturen zu verbessern – dadurch dass die
Aufsicht überhaupt bessere Informationen erhält, durch
eine bessere deutsche Aufsicht und eine bessere europäi-
sche Aufsicht –, während wir uns damit beschäftigt ha-
ben, hier in Deutschland den Restrukturierungsmechanis-
mus aufzubauen, der auf europäischer Ebene seit drei
Jahren nicht gelingt,


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Bundesregierung auf der Bremse stand!)


und während wir den finanziellen Verbraucherschutz
hier gestärkt haben, hat sich die Opposition intellektuell
genau mit zwei Ideen beschäftigt: In der ersten Hälfte
der Legislaturperiode war das die Finanztransaktion-
steuer, und in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode
waren es die Trennbanken.

Das war mit einem Heilsversprechen verbunden,
nämlich dem Versprechen, dass dann, wenn wir die Fi-
nanztransaktionsteuer oder Trennbanken haben, alles gut
wird, nichts mehr passieren kann und die Finanzmärkte
sicher sind.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Blödsinn! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann, meine Damen und Herren, kommt die Mühe
der Ebene. Es reicht nicht, eine Idee zu haben, sondern
man muss die Idee auch umsetzen. Genau das hat die
Bundesregierung gemacht:


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ultraleicht!)


Sie hat ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht. Da
stellen sich dann – oh Wunder! – Fragen, die Sie nie be-
antwortet haben, so zum Beispiel die Frage: Welche
Banken beziehen wir denn überhaupt in dieses Trenn-
bankensystem ein? Ihnen, lieber Axel Troost, wäre es
wahrscheinlich am liebsten, wenn wir folgendes Gesetz
machen würden: § 1: Die Deutsche Bank wird zerschla-
gen; § 2: In Zweifelsfällen gilt § 1.


(Beifall des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Das reicht aber nicht, meine Damen und Herren. Man
muss sich auch damit beschäftigen, wie man ein solches
Trennbankensystem organisiert.

Im Wahlprogramm der SPD – das die SPD etwas am-
bitioniert „Das Regierungsprogramm 2013–2017“ nennt,


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: So wird es werden!)


steht: „Wir wollen … eine klare Trennung von Invest-
ment- und Geschäftsbanken.“ Dazu muss ich Ihnen lei-

der sagen: Investmentbanking findet sogar in Sparkassen
statt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt bringen Sie alles durcheinander!)


Sie müssen einmal erklären, was es bedeutet, das kom-
plett zu trennen! Erklären Sie einmal einem Mittelständ-
ler, der bei seiner Bank einen Firmenkundenkredit bean-
tragt, dass er dann bei derselben Bank leider keine
Unternehmensanleihe auflegen kann, dass er dann bei
derselben Bank leider keine Sicherungsgeschäfte ma-
chen kann, dass er dann bei derselben Bank seine
nächste Unternehmensfusion nicht organisieren kann!
Das ist die Wahrheit.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Blödsinn!)


Genau deswegen haben wir Schwellenwerte eingeführt
und eine vernünftige Abgrenzung vorgenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Schutzwälle für große Banken!)


Die zweite Frage, die Sie auch nie beantwortet haben:
Was sind denn jetzt überhaupt diese schädlichen Ge-
schäfte, wie grenzt man die ab? Sie wollen irgendwie al-
les da mit hineinbringen: Market Making, alles, was mit
Eigenhandel zusammenhängt. Doch auch da liegt der
Teufel im Detail, auch da muss man Regelungen treffen
– die wir an dieser Stelle getroffen haben.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724105200

Herr Kollege Ralph Brinkhaus, Sie haben gesehen,

der Kollege Dr. Sieling möchte Ihnen eine Zwischen-
frage stellen?


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1724105300

Der Kollege Dr. Sieling will gleich mit mir noch zu

einer Podiumsdiskussion. Deswegen machen wir mal
lieber weiter!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Also darf ich oder darf ich nicht?)


– Nein.

Der dritte Punkt: Wenn man Banken aufspaltet, muss
man sich auch überlegen, wie man das organisiert. Das
hat Folgen gesellschaftsrechtlicher Art: Der Gläubiger
muss jetzt mit einem anderen Institut Geschäfte machen.
Das hat auch steuerrechtlich unglaublich komplizierte
Folgen: Es betrifft zum Beispiel Ertragsteuern, Grunder-
werbsteuern, Umwandlungssteuerrecht. Diese Fragen
müssen beantwortet werden.

Ich sage Ihnen eines: Über all die Kritikpunkte, die Sie
hier momentan monieren, werden wir im europäischen
Prozess sehr intensiv diskutieren müssen. Das, was Herrn
Liikanens Expertengruppe aufgeschrieben hat, waren
Ideen, aber keine Umsetzung. Wenn Sie sich hier hinstel-
len und behaupten, wir würden Liikanens Maßnahmen
nicht umsetzen, dann vergessen Sie, zu erwähnen, dass
die vorgeschlagenen Maßnahmen im Detail überhaupt





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


nicht ausgearbeitet sind. Das, meine Damen und Herren,
ist Irreführung der Menschen in diesem Land.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Waren Sie bei der Anhörung nicht dabei?)


Ich möchte die ganze Sache zusammenfassen: Die
Bankenunion mit einer Bankenaufsicht ist der richtige
Weg. Trennbanken, Sanierungs- und Abwicklungspläne,
strafrechtliche Vorschriften, das ist auch alles richtig. Ich
kann mich dem Kollegen Sänger nur anschließen: Die
letzten vier Jahre waren vier gute Jahre für die Finanz-
marktregulierung in Deutschland, und wir werden weiter-
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Pfeifen im dunklen Walde!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724105400

Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. – Kollege

Brinkhaus war auch der letzte Redner in unserer Aus-
sprache, die ich nun damit schließe.

Wir sind bei Tagesordnungspunkt 53 a. Interfraktio-
nell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
che 17/13470 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir dies
gemeinsam so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 53 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Abschirmung von Risiken und zur
Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinsti-
tuten und Finanzgruppen. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksachen 17/13523 und 17/13539, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/12601
und 17/13035 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthal-
tungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen?
– Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Nun auch
wieder die Frage nach Enthaltungen. – Hier erhebt sich
niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.

Zusatzpunkt 9. Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck-
sachen 17/13523 und 17/13539 fort. Unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss
die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12687 mit
dem Titel „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-
märkte: Erpressungspotenzial verringern – Geschäfts-
und Investmentbanking trennen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-

nen und die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Das sind
die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 54, den
ich damit auch aufrufe:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Hubertus
Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahr-
hundert

– Drucksache 17/13476 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer gemeinsamen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Alle
sind damit einverstanden. Dann haben wir dies auch ge-
meinsam so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Sind alle bereit? – Die anschließenden Redner noch
nicht, wie ich gerade sehe. – Erste Rednerin in unserer
Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Frau Kerstin Tack. Bitte schön, Frau
Kollegin Tack.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1724105500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeits-
welt verändert sich – in den letzten Jahren ganz beson-
ders schnell. Der demografische Wandel, die zuneh-
mende Digitalisierung, die Arbeitsverdichtung und auch
die Finanz- und Wirtschaftskrise führen nicht zuletzt
dazu, dass wir auf der einen Seite eine Fachkräftelücke
haben, auf der anderen Seite aber leider auch eine zuneh-
mende Prekarisierung im Arbeitsleben. Ein tief gespalte-
ner Arbeitsmarkt ist heute Wirklichkeit – nicht zuletzt
auch mit der Folge neuer Herausforderungen insbeson-
dere für die Gesundheit am Arbeitsplatz.

Bei diesen Entwicklungen dürfen die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer nicht auf der Strecke blei-
ben. Die betriebliche Mitbestimmung ist ein besonders
wichtiges Instrument zum Schutz der Beschäftigten, aber
auch zur Mitgestaltung von Rahmenbedingungen und zur
Kontrolle. Momentan hinken die Mitbestimmungsrechte
inhaltlich der aktuellen Situation und Entwicklung deut-
lich hinterher. Fakt ist: Die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer müssen vor Machtmissbrauch durch Unter-
nehmen geschützt werden. Um das sicherzustellen,
brauchen wir eine funktionierende Mitbestimmung in
den Unternehmen, und Änderungen des Arbeitsmarktes
müssen vom Mitbestimmungsrecht begleitet werden.

Physisch und psychisch sind mit den neuen Bedin-
gungen am Arbeitsmarkt Herausforderungen verbunden,
die auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu-





Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)


kommen. Der Arbeitsplatz muss so gestaltet sein – im
Zweifel so gestaltet werden –, dass er physischen und
psychischen Belastungen vorbeugt. Dabei müssen wir
die Menschen einzeln in den Blick nehmen.

Heute nehmen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer die Last ihrer Arbeit mit nach Hause und mit in
die Freizeit. Das müssen wir dringend ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das spezifische Leistungsvermögen älterer Be-
schäftigter muss berücksichtigt werden. Ein 60-jähriger
Arbeitnehmer hat häufig ein anderes Leistungsvermögen
als ein 25-jähriger. So etwas muss auch bei der Bereit-
stellung des Arbeitsumfeldes stärker Berücksichtigung
finden.

Betriebsräte brauchen daher auch in diesem Bereich
ein echtes Mitbestimmungsrecht. Gerade wenn es um
präventive Maßnahmen geht, wenn es darum geht, ge-
sundheitlichen Risiken vorzubeugen, ist die Beteiligung
unverzichtbar. Dazu müssen die Betriebe auch finanziell
stärker mit in die Verantwortung genommen werden.
Gesundheitlichen Verschleiß können und wollen wir uns
am Arbeitsmarkt nicht leisten. Natürlich spielt auch der
Kostenfaktor eine Rolle. Aber entsprechende Maßnahmen
bringen den Unternehmen im Ganzen einen Mehrwert,
nämlich gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und damit Stabilität für das Gesamtunternehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dasselbe gilt auch für den Bereich der betrieblichen
Weiterbildung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
wird heute einiges abverlangt. Wir erwarten, dass sie
sich auch im fortgeschrittenen Berufsalter kontinuierlich
fortbilden. Ein Informatiker, der seine Ausbildung vor
30 Jahren abgeschlossen hat, steht heute vor ganz ande-
ren Problemen als damals. Wir wollen Kontinuität in der
Fortbildung und in der Weiterbildung. Auch hierfür be-
nötigen wir starke Betriebsräte mit echten Mitbestim-
mungsrechten.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem halten wir es für geboten, dass ein Be-
triebsrat auch Mitspracherechte zum Umfang und zur
Qualität von Angeboten der Fort- und Weiterbildung er-
langen kann. Wir möchten dafür und auch für Freistel-
lungs- und Rückkehrrechte ein Initiativrecht für den Be-
triebsrat.


(Beifall des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Auf Beschäftigtenseite sind heute neben betriebszu-
gehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch
zunehmend Leiharbeiter oder Mitarbeiter mit Werkver-
trägen zu finden. Natürlich wollen wir ihren Anteil auf
das Allernötigste begrenzen. Diese Herausforderung se-
hen wir, denke ich, alle miteinander. Ein echtes Mitbe-
stimmungsrecht brauchen die Betriebsräte aber gerade
auch hinsichtlich der Anzahl, der Dauer der Überlassung
und des Einsatzbereichs von Leiharbeiterinnen und
Leiharbeitern. Die bestehenden Unterrichtungs- und In-

formationspflichten des Arbeitgebers über die Personal-
planung müssen deshalb auch im Hinblick auf Fremd-
personal gelten. Der Betriebsrat muss schließlich über
die Beschäftigten insgesamt im Bilde sein, um seine Ar-
beit allumfassend, ziel- und passgenau leisten zu kön-
nen.


(Beifall bei der SPD)


Das Betriebsverfassungsgesetz wurde vor zwölf Jah-
ren zuletzt novelliert. Damals wurde es auf einen guten
Stand gebracht. Damals hat Rot-Grün Vertrauen in mehr
Mitbestimmung gesetzt. Heute wissen wir: Das war rich-
tig. Nun ist Zeit für den nächsten Schritt hin zu mehr
Mitbestimmung. Dafür steht die SPD. Übrigens, erin-
nern wir uns: In der Krise waren die Betriebsräte solide
und unverzichtbare Partnerinnen und Partner.

So wichtig wie ein Arbeitsplatz ist, der gesundheitli-
chem Verschleiß vorbeugt, so wichtig Fort- und Weiter-
bildungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sind, so wichtig Mitbestimmungs- und Gestaltungsmög-
lichkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen sind, ge-
nauso wichtig ist auch die Überarbeitung des Betriebs-
verfassungsgesetzes. Darum bitten wir heute um Ihre
Zustimmung. Lassen Sie uns gemeinsam an der Weiter-
entwicklung arbeiten. Die Beschäftigten werden es uns
danken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724105600

Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. – Nächster

Redner für die Fraktion von CDU und CSU Kollege
Peter Weiß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1724105700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ein Antrag wie der hier vorliegende mit dem Titel „Mo-
derne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert“ – man
fragt sich, warum nicht gleich geschrieben wird „für das
dritte Jahrtausend“ – weckt hohe Erwartungen. Bei den-
jenigen, die die Mitbestimmungsdebatte in Deutschland
vielleicht schon über Jahrzehnte verfolgt haben, weckt
das natürlich Erinnerungen an die Vorgeschichte des
Mitbestimmungsgesetzes 1976.

Eine entscheidende Rolle spielte damals Kurt Bieden-
kopf; denn dieser hatte als fortschrittlicher und kreativer
Ökonom erkannt, dass Mitbestimmung nicht allein die
Rechte der Beschäftigten sichert, sondern auch den Be-
trieben insgesamt gut bekommt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Der Diskussionsprozess, der sich von 1968 bis 1976
– das war ein langer Zeitraum – erstreckte, war sicher-
lich der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas an-
gemessen und führte am Ende dazu, dass das Mitbestim-
mungsgesetz 1976 mit einer großen Mehrheit hier im





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Jawohl,
das deutsche Parlament steht voll und ganz hinter der
Idee der betrieblichen Mitbestimmung. Das ist seit 1976
immer wieder deutlich geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wissen auch, dass in der Folge nach 1976 nicht
jeder und jede das Thema Mitbestimmung in Deutsch-
land mit Begeisterung verfolgt hat.


(Klaus Barthel [SPD]: Ja! In der Tat!)


Besonders bemerkenswert ist sicherlich die Äußerung
des damaligen Präsidenten des BDI Michael Rogowski,
der 2004 – in der Regierungszeit von Gerhard Schröder –
die Mitbestimmung als einen Irrtum der Geschichte be-
zeichnete. Diese Auffassung ist, glaube ich, bei allen, die
solche oder ähnliche Äußerungen tätigten, durch das,
was sie in der Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise
2008, 2009 und 2010 erlebt haben, nachdrücklich korri-
giert worden.

Es ist schon erwähnt worden, dass Vorstände und
Aufsichtsräte der Unternehmen durch die Mitbestim-
mung handlungsfähige und kompetente Ansprechpartner
auf der Arbeitnehmerseite gefunden haben und finden
und dass sie mit diesen kompetenten Vertretern der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem den Be-
triebsräten und den Vertretern der Arbeitnehmerseite in
den Aufsichtsräten, kompetente Ansprechpartner haben,
um wirtschaftliche Probleme ihrer Unternehmen einer
Lösung zuzuführen und auch die Kurzarbeitermodelle zu
realisieren.

Spätestens diese Krise hat gezeigt und bewiesen, dass
unser Modell der Sozialpartnerschaft und zugleich auch
unser Mitbestimmungsmodell ein echter Standortvorteil
für Gesamtdeutschland ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für uns ist Mitbestimmung ein Kernelement einer sozia-
len Marktwirtschaft. Deswegen darf ich auch erwähnen,
dass die wesentlichen Grundlagen dafür unter einer
CDU/CSU-geführten Bundesregierung gelegt worden
sind, nämlich mit dem Montan-Mitbestimmungsgesetz
von 1951 und dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952,
und es waren Christdemokraten wie Kurt Biedenkopf,
die am Mitbestimmungsgesetz von 1976 maßgeblich
mitbeteiligt waren.

Nun zu dem Antrag: Findet sich in dem Antrag etwas
grundsätzlich Neues zum Thema Mitbestimmung?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt
fast am Ende der Legislaturperiode. Wir haben noch drei
Sitzungswochen des Parlaments vor uns. Jetzt, zum
Schluss der Legislaturperiode, fällt den Sozialdemokra-
ten ein, man könnte auch noch einen Antrag zum Thema
Mitbestimmung einbringen. Sagenhaft, welch hohen
Stellenwert die Mitbestimmung bei den Sozialdemokra-
ten hat!


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wollen wir nicht einmal kommentieren, so billig ist das!)


– Doch, so ist es, und zwar deswegen, weil in dieser Le-
gislaturperiode die Mitbestimmung durchaus auf der
politischen Tagesordnung stand, nämlich mit diversen
Initiativen auf europäischer Ebene, vor allen Dingen im
Gesellschaftsrecht Regelungen zu treffen, die geeignet
gewesen wären, die bewährte deutsche Mitbestimmung
teilweise auszuhebeln.

Es war diese Koalition und es war diese Bundesregie-
rung, die sich in Europa standhaft dagegen gewehrt ha-
ben, dass wir Regelungen bekommen, die die deutsche
Mitbestimmung schwächen. Nein, wir haben in Europa
eine starke Mitbestimmung mit allem, was uns zur Ver-
fügung gestanden hat, verteidigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen hätte man von den Sozialdemokraten er-
warten können, dass sie, wenn ihnen die Mitbestimmung
am Herzen liegt, irgendwo in ihrem Antrag auf diese ak-
tuelle Auseinandersetzung eingegangen wären. Das ist
aber nicht der Fall.

Es ist ein Argument vorgetragen worden, nämlich
dass wir in der Tat dringend einen qualitativen Sprung
beim betrieblichen Gesundheitsmanagement brauchen.
Wir haben – ich glaube, in der nächsten Sitzungswoche –
noch eine Debatte vor uns, in der wir uns vor allen Din-
gen mit dem Thema der Zunahme psychischer Erkran-
kungen im Arbeitsumfeld befassen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht zu Protokoll! Super!)


– Auch wenn die Debattenbeiträge zu Protokoll gehen,
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, kann trotzdem jeder
seine Argumente vortragen, und die Rede wird auch
nachzulesen sein.

In der Tat ist es so, dass wir im technischen Arbeits-
schutz – demzufolge man dort, wo es gefährlich ist, ei-
nen Helm, Ohrstöpsel oder Sicherheitsschuhe tragen
oder eine Maschine abstellen muss, bevor man mit der
Hand hineingreift, damit sie nicht etwa abgehackt wird –
gut vorangekommen sind. Aber was die seelische Ge-
sundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Be-
trieben und die Gefährdung durch eine psychische
Erkrankung angehen, stehen wir eigentlich noch am An-
fang unserer Bemühungen. Deswegen ist es richtig: Wir
brauchen ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das
schon präventiv darauf abstellt, dass psychische Erkran-
kungen nicht zum Alltag in unseren Betrieben gehören,
und vor allem dafür sorgt, dass der dramatische Anstieg
der Zahl der Krankheitstage und der Frühverrentungsan-
träge wegen psychischer Erkrankungen wieder einge-
dämmt wird. Wir haben im Rahmen der Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie – das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales führt in diesem Jahr hier
den Vorsitz – zusammen mit den Sozialpartnern Rege-
lungen angestoßen, um das zu verstärken.

Wir haben die Bundesforschungsministerin gebeten,
die Forschung hinsichtlich psychischer Erkrankungen
und ihrer Prävention zu verstärken. Sie hat einen großen





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


Etatanteil dafür zur Verfügung gestellt. Wir haben außer-
dem ein Präventionsgesetz vorgelegt, in dem wir den
Themen Gesundheitsmanagement und Prävention zu-
sätzliche Bedeutung geben. Es geht hier nicht um Mitbe-
stimmungsregelungen. Vielmehr ist entscheidend, ob
alle Akteure einen gemeinsamen Weg einschlagen und
ob die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung
gestellt werden, um das Gesundheitsmanagement in
Richtung Prävention psychischer Erkrankungen auszu-
richten. Da haben wir gehandelt. Deshalb kommt der
Antrag der SPD, das Gesundheitsmanagement im Rah-
men der Mitbestimmung zu regeln, reichlich spät.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ohnehin frage ich mich, was passieren würde, wenn
wir folgende Formulierung aus dem SPD-Antrag in das
Betriebsverfassungsgesetz aufnehmen würden – das ist
sicherlich ein wichtiges Thema –:

Den Betriebsratsgremien wird ein echtes Mitbe-
stimmungsrecht eingeräumt … hinsichtlich von Ar-
beitsplätzen, die nicht ausreichend auf spezifisches
Leistungsvermögen von Älteren Rücksicht neh-
men …

Oder was sind angemessene Mittel zur betrieblichen
Gesundheitsförderung? Das alles sind allgemeine For-
mulierungen, die zuallererst einen tollen Juristenstreit
und dann Prozesse auslösen werden, die uns in der Sache
aber nicht voranbringen. Da ist es mir lieber, dass wir ein
Präventionsgesetz machen, in dem wir klipp und klar sa-
gen: Künftig müssen die Krankenkassen eine bestimmte
Summe für betriebliches Gesundheitsmanagement und
Prävention zur Verfügung stellen. – Genau das machen
wir.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es um Arbeitsschutz!)


Mein Eindruck ist, dass die SPD den Antrag gestellt
hat nach dem Motto: Am Schluss der Legislaturperiode
ist uns noch etwas eingefallen, was wir eigentlich ver-
gessen hatten. – Im Übrigen folgt der Antrag dem für die
Sozialdemokraten leider typischen allgemeinen Motto
„Steine statt Brot“. Wir wollen Brot, Inhalte und Qualität
für die Mitbestimmung in Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724105800

Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächste Rednerin

in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke un-
sere Kollegin Frau Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Jutta Krellmann.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724105900

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der

Antrag der SPD trägt den Titel „Moderne Mitbestim-
mung für das 21. Jahrhundert“. Wenn ich das lese, ergeht
es mir ähnlich wie Herrn Weiß: Ich erwarte angesichts

eines solchen Titels, dass die aktuellen Probleme der be-
trieblichen Mitbestimmung aufgegriffen werden. Wei-
tere aktuelle Entwicklungen des 21. Jahrhunderts wer-
den allerdings im Antrag der SPD nicht aufgegriffen,
beispielsweise die Notwendigkeit zur Stärkung von Be-
triebsräten insgesamt. Ein Großteil der Betriebe hat
überhaupt keinen Betriebsrat, wie ich leider feststellen
muss. Dort, wo es welche gibt, herrscht nicht immer nur
Freude und Sonnenschein. Es gibt Betriebe, in denen Be-
triebsräte regelrecht gemobbt und in ihrer Existenz be-
droht werden.

Ich will Ihnen als Beispiel die Modekette H&M nen-
nen, die in ganz Deutschland vertreten ist und landauf,
landab bekannt ist. In Trier hat die dortige Geschäftslei-
tung dem Betriebsratsvorsitzenden bereits vor Weih-
nachten 2012 zum ersten Mal gekündigt. Mittlerweile
liegt die dritte fristlose Kündigung auf dem Tisch. Der
Kollege muss sich gegen die erneute Kündigung durch
seine Firma wieder vor dem Arbeitsgericht wehren. Wa-
rum? Er macht eine engagierte Arbeit. Im Grunde hat er
nur die Möglichkeiten genutzt, die das Betriebsverfas-
sungsgesetz ihm bei den Punkten bietet, die er angepackt
hat. Aber das war der Firma anscheinend zu viel. Zu
engagiert, zu sehr im Interesse der Beschäftigten, zu
konsequent – solche Leute will man nicht haben.

Die Begründung für die Kündigung vonseiten des Ar-
beitgebers lautet jetzt auch: Der Betriebsrat hat als
Beisitzer der Einigungsstelle nicht die wirtschaftlichen
Interessen der Firma vertreten. – Das ist Realität in
Deutschland!


(Beifall bei der LINKEN)


Betriebsräte werden schikaniert. Es wird versucht, ih-
nen – und ihrer Familie gleich mit – mit einer Kündi-
gung praktisch die Existenzgrundlage zu entziehen. Wir
brauchen eine Betriebsverfassung, die so etwas unterbin-
det


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das tut sie!)


und die es Firmen unmöglich macht, so zu handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Es gibt Kündigungsschutz für die Betriebsratsmitglieder, Frau Krellmann!)


Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem sich
Firmen wie H&M nicht trauen, sich so zu verhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Die SPD schreibt in ihrem Antrag, dass auch die Ar-
beitgeber ein Interesse an einer funktionierenden Mitbe-
stimmung hätten. Ja, aber nur solange es nicht wehtut
und es nichts kostet. Das ist die eine Seite.

Aber es gibt noch eine weitere Seite. Ein systemati-
scher Umbau vieler Unternehmen hat die Mitbestim-
mung schleichend ausgehöhlt. Viele Unternehmen haben
in den letzten Jahren ihre gesamte Unternehmensstruktur
neu organisiert. Sie haben einzelne Betriebsteile ausge-
gliedert, und dadurch wurde die Mitbestimmung ge-
schwächt.





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)


Das zeigt das Beispiel Edeka. Gut 300 000 Beschäf-
tigte arbeiten in Märkten unter dem Edeka-Logo. Fast
die Hälfte davon ist in ausgegliederten Betrieben ange-
stellt; aber diese sind wirtschaftlich weiterhin Teil des
Edeka-Verbunds. Die Ausgliederung ist ein Mittel zur
Tarifflucht und zur Aushöhlung der Mitbestimmung. Die
ausgegliederten Beschäftigten werden nicht mehr vom
Konzernbetriebsrat vertreten bzw. müssen zum Teil Be-
triebsräte neu gründen, und sie bekommen bis zu 30 Pro-
zent weniger Geld als vorher im Edeka-Verbund.


(Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Sauerei!)


Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten
ausbauen, auch das ist in dem Antrag der SPD nicht ent-
halten. Wir brauchen ein VW-Gesetz für alle. Bei VW
haben Betriebsräte im Aufsichtsrat ein Vetorecht bei In-
vestitionsentscheidungen und Produktionsverlagerun-
gen. Diese Regelungen sollten ausgebaut und auf alle
Bereiche übertragen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die deutsche Wirtschaft befindet sich immer noch in
einem unglaublichen Umbauprozess. Betriebsräte und
Personalräte müssen in jedem Betrieb aktiven Einfluss
auf diese Entscheidungen nehmen können; sonst können
sie den Plänen des Managements nichts entgegensetzen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber im Antrag!)


Wir brauchen mehr Mitbestimmung und Demokratie.
Genau das müssen wir wagen, und das geht nur mit ech-
ter wirtschaftlicher Mitbestimmung.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106000

Vielen Dank, Frau Kollegin Jutta Krellmann. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön,
Kollege Pascal Kober.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1724106100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre für
Deutschland,


(Beifall bei der FDP)


und die vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-
land.


(Beifall bei der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal eine neue Schallplatte!)


Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gab es so viele Beschäftigte wie zurzeit.
Nicht jede Beschäftigungsform ist genau die, die sich die
Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer als ideale Beschäfti-
gung wünscht; das ist richtig. Aber wir alle waren uns im
letzten Jahrzehnt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

einig, dass ein Arbeitsplatz eine Chance ist und dass eine
Arbeit besser ist als gar keine Arbeit. Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von Rot-Grün, haben zu Ihrer Regie-
rungszeit die Hartz-IV-Reformen auf den Weg gebracht,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die falsche Rede aus der Schublade geholt!)


um genau das zu erreichen, wovon wir heute sagen kön-
nen, dass es glücklicherweise gelungen ist, nämlich dass
so viele Menschen in Arbeit sind wie noch nie in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht das Thema!)


Es ist auch festzuhalten, dass dieser Aufwuchs an Be-
schäftigung nicht zulasten sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung gegangen ist.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Mitbestimmung!)


Wir haben derzeit so viele sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte in Deutschland wie seit der deutschen Ein-
heit nicht mehr.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch alles mit dem Thema nichts zu tun! – Klaus Barthel [SPD]: Lassen Sie sich einmal eine neue Rede geben! Die habe ich schon gehört!)


Gleichzeitig ist die Zahl der Transferempfänger so weit
zurückgegangen wie noch nie seit der Einführung des
Hartz-IV-Systems. Wir können zum Glück sagen, dass
sich die Schere bei den Einkommen langsam wieder
schließt. Das ist das Ergebnis von höheren Tarifab-
schlüssen, die möglich sind. Das verdanken wir der Tat-
sache, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ihre Rechte auch tatsächlich in die Verhandlungen ein-
bringen und durchsetzen können. Das ist das Ergebnis
einer guten Politik, die die Grundlage dafür geschaffen
hat, dass wirtschaftliches Wachstum möglich ist und
dass Arbeitsplätze entstehen können.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema und dem Antrag zu tun? Reden Sie doch einmal zum Antrag und zum Thema!)


Das ist ganz wesentlich darauf zurückzuführen, dass
diese Regierungskoalition mit Finanzpolitikern wie
Volker Wissing und mit Wirtschaftspolitikern wie Ernst
Burgbacher eine gute weitsichtige Finanz- und Wirt-
schaftspolitik gemacht hat, bei der Arbeitsplätze entstan-
den sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden am Thema vorbei!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern in Ih-
rem Antrag beispielsweise eine Rückführung der Zeitar-





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


beit in Deutschland. Sie verkennen an dieser Stelle, dass
Sie die Zeitarbeit bei der Reform des Arbeitsmarktes als
eine Chance eingeführt haben, damit Menschen in Ar-
beit kommen. Diese möchten Sie jetzt mit Ihrem Antrag
zurückführen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die falsche Rede! Sie haben das falsche Manuskript! Gucken Sie doch einmal, ob ein anderes Manuskript auf dem Platz liegt!)


– Herr Strengmann-Kuhn, was sind Sie denn so aufge-
regt? Hören Sie doch einmal zu!


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin etwas verwirrt! Es geht überhaupt nicht um den Arbeitsmarkt!)


– Herr Strengmann-Kuhn, Sie müssen offensichtlich
sehr nervös sein. Die gute Entwicklung auf dem Arbeits-
markt scheint Ihnen keine Ruhe zu lassen.


(Beifall bei der FDP)


Wir sind jetzt bei der Zeitarbeit.

Das Volumen der Zeitarbeit soll durch die Maßnah-
men, die in Ihrem Antrag formuliert worden sind, zu-
rückgeführt werden. Das Ausmaß der Zeitarbeit gefällt
Ihnen nicht und ist Gegenstand vieler Anträge, die Sie
hier einbringen, so auch heute.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Mitbestimmung!)


Deshalb komme ich, wie gesagt, zur Zeitarbeit. Sie ha-
ben die Zeitarbeit flexibilisiert, damit mehr Menschen
durch sie einen Job bekommen. Das ist gelungen. Wir
haben in unserer Regierungszeit an den entsprechenden
Stellen eingegriffen und bei der Zeitarbeit etwas nach-
justiert und so den Missbrauch, der mitunter vorgekom-
men ist, weil Sie es nicht richtig gemacht haben, be-
kämpft und abgestellt.

Am 19. Februar dieses Jahres haben Sie einen Antrag
in den Bundestag einbringen können, in dem Sie schrei-
ben: „Bisher war unter anderem die Leiharbeit“ – Sie
nennen es Leiharbeit, richtiger wäre Zeitarbeit – ein be-
liebtes Instrument zum Lohndumping.“ Sie haben also
selber im Februar dieses Jahres erkannt, dass diese Bun-
desregierung klug interveniert hat. Sie hat die Sozial-
partner in der Zeitarbeit darauf hingewiesen, dass sie ih-
rer Verantwortung nachkommen sollen. Wir haben also
keine zusätzlichen gesetzliche Regelungen geschaffen,
sondern angemahnt, dass dort etwas passieren muss. Da-
durch ist es gelungen, dass über Branchentarifzuschläge
in der Zeitarbeit das Lohnniveau steigt.


(Beifall bei der FDP)


Das haben Sie in einem Ihrer Anträge selber doku-
mentiert. Deshalb ist es eine kluge Politik, maßvoll an
die Dinge heranzugehen und nicht das Kind mit dem
Bade auszuschütten, wenn man Chancen für Menschen
in Deutschland haben will. Insofern ist Ihre Politik ein

frontaler Angriff auf die Chancen der Menschen in unse-
rem Land.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Steuer! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Heute geht es um Mitbestimmung!)


Die Grünen beschlossen auf ihrem Parteitag einen
Frontalangriff auf die Chancen der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie fordern Steuer-
erhöhungen, die die Substanz der Unternehmen besteu-
ern.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt alles nicht, was Sie sagen! Das ist schlicht falsch!)


Sie fordern Steuererhöhungen, obwohl die Arbeitgeber
schon heute sagen, dass sie Hunderttausende von Ar-
beitsplätzen kosten werden. Das wird am Ende die Mit-
bestimmung schwächen; denn derjenige, der keinen Ar-
beitsplatz hat, kann im Betrieb auch nicht mitbestimmen.
Die Politik, die Sie machen, ist unverantwortlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Glücklicherweise gibt es in Ihrer Partei noch Vernünftige
wie Boris Palmer und Winfried Kretschmann, die dies
zumindest punktuell erkennen und kritisieren; zuletzt
war es auch Christine Scheel. Ihre Politik ist eine verant-
wortungslose Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer.

Wir werden ab September diese Bundesregierung er-
folgreich weiterführen im Sinne des Betriebsverfas-
sungsgesetzes, das es schon seit 60 Jahren in Deutsch-
land gibt. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die
Menschen in unserem Land eine Chance auf Arbeits-
plätze haben und dass sie gleichzeitig innerhalb des
Arbeitsmarktes Aufstiegschancen haben, um sich vom
Einstieg in den Arbeitsmarkt in eine voll sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung heraufzuarbeiten, wenn
sie es mögen. Die Voraussetzung dafür ist eine gute und
kluge Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Grundlage
einer guten Bildungspolitik.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie auch was zur Bildungspolitik!)


Deshalb kürzen wir keine Lehrerstellen, so wie Sie es in
Baden-Württemberg unter Grün-Rot machen.


(Beifall bei der FDP)


Diese Regierung wird auch die nächsten vier Jahre
eine gute Politik machen. Auch die nächsten vier Jahre
werden gute vier Jahre für Deutschland sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die falsche Rede zum falschen Zeitpunkt! Nicht zum Thema!)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106200

Vielen Dank, Kollege Pascal Kober.

Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. –
Bitte schön, Frau Kollegin Müller-Gemmeke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Kollege Kober, in sieben Minu-
ten Redezeit nicht einmal das Wort „Mitbestimmung“ zu
nennen, ist schon eine Leistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht! – Pascal Kober [FDP]: Lesen Sie es mal im Protokoll nach, Frau Müller-Gemmeke! Ich habe eindeutig gesagt, dass Sie den größten Frontalangriff auf die Mitbestimmung machen!)


Die Mitbestimmung ist ein hohes Gut. Zur sozialen
Marktwirtschaft gehört eine starke Mitbestimmung.
Ebenso gehört die Mitbestimmung zu unserer demokra-
tischen Kultur. Die Betriebsräte achten darauf, dass es
im Betrieb und bei der Entlohnung gerecht zugeht. Sie
sind auch das Sprachrohr für die Beschäftigten. Die Be-
triebsräte verbinden also wirtschaftliche Ziele mit guten
Arbeitsbedingungen und relativieren so den Gegensatz
zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeit-
nehmern. Diese Möglichkeit muss es auch in Zukunft
geben, und zwar ausreichend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Richtig!)


Auch die Unternehmen profitieren von der Mitbe-
stimmung.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ja!)


Denn die Betriebsräte garantieren die interne Kom-
munikation. Damit werden Entscheidungen transparent
und auch nachvollziehbar. So entstehen auch bei schwie-
rigen Entscheidungen Vertrauen und Akzeptanz in der
Belegschaft. Mitbestimmung ist also Konfliktmanage-
ment. Wenn das funktioniert, entstehen Zufriedenheit
und Loyalität. Das ist wichtig; denn Unternehmen brau-
chen engagierte und gute Belegschaften.

Sehr geehrte Koalitionsfraktionen, wie sieht es mit
der Mitbestimmung in der Realität aus? In Westdeutsch-
land profitieren von der Mitbestimmung 48 Prozent, in
Ostdeutschland gerade noch 38 Prozent der Beschäftig-
ten. Wir haben also immer mehr betriebsratsfreie und so-
mit demokratiefreie Zonen. Sozialpartnerschaft sieht an-
ders aus.


(Pascal Kober [FDP]: Was soll das mit der demokratiefreien Zone? Das ist völlig abwegig!)


Die traditionell betrieblichen Strukturen lösen sich
durch befristet Beschäftigte, durch Leiharbeit und insbe-
sondere durch Werkverträge in Stamm- und Randbeleg-
schaft auf. In der Folge zersplittern die Belegschaften.

Das schwächt nicht nur die betriebliche Interessensver-
tretung, sondern auch die Tarifautonomie insgesamt.
Diesen Wandel in der Arbeitswelt dürfen Sie nicht län-
ger ignorieren. Handeln ist angesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grünen begrüßen die heutige Debatte und den
Antrag der SPD. Das Thema ist wichtig. Die Richtung
stimmt. Denn wir brauchen wieder eine Mitbestimmung,
und zwar auf Augenhöhe. Notwendig ist ein fairer In-
teressensausgleich. Die Betriebsräte müssen bei Ver-
änderungen im Unternehmen und beim Einsatz von
Leiharbeit und Werkverträgen mitreden können.

Zu Recht verweist die SPD noch auf andere Stich-
worte; gerade am Montag haben wir darüber in der An-
hörung diskutiert: Mit Blick auf den demografischen
Wandel und den drohenden Fachkräftemangel sind al-
ters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen dringend
notwendig. Dabei geht es um Strategien gegen Arbeits-
verdichtung und entgrenzte Arbeitszeit. Es geht also um
Stress am Arbeitsplatz. Denn die Beschäftigten müssen
bis zur Rente gesund arbeiten können.

Das alles sind zentrale Themen und große Herausfor-
derungen. Das schaffen die Unternehmen nur gemein-
sam mit engagierten Belegschaften. Eine funktionie-
rende und starke Mitbestimmung ist dafür unerlässlich.
Ich bin mir sicher: Wer zukünftig ausreichend Fach-
kräfte halten und auch gewinnen will, der muss auf Fair-
ness und auf demokratische Strukturen setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn es um die Mitbestimmung geht, dann reagiert
die Arbeitgeberseite immer gleich: die Mitbestimmung
würde verzögern, sie würde behindern und verhindern.
Die positiven Effekte werden nicht quantifiziert. Die
Kosten aber werden kritisiert. Die Lehren aus der letzten
Wirtschaftskrise sind jedoch eindeutig. Die Belegschaf-
ten, die Betriebsräte und die Gewerkschaften haben ge-
meinsam mit den Unternehmen nach tragfähigen Lösun-
gen gesucht. Voreilige Entlassungen wurden verhindert.
Arbeitszeitverkürzungen, Arbeitszeitkonten und Kurz-
arbeitergeld waren erfolgreiche Strategien, und nur so
konnte Deutschland besser und schneller als vergleich-
bare Länder durch die Krise kommen. Deshalb verstehen
wir Grünen die Mitbestimmung als Chance und Stand-
ortvorteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sehr geehrte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, las-
sen Sie sich auf eine konstruktive Diskussion ein und
verzichten Sie einfach mal auf alte Reflexe. Nur in ei-
nem fairen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beleg-
schaft entsteht wirtschaftliche Dynamik. Nicht nur die
Kunden sind die Partner eines Unternehmens, sondern
auch die Beschäftigten. Vor allem ist die Mitbestimmung
eine besondere Errungenschaft unserer Demokratie, und
damit müssen wir behutsam umgehen. Der Wandel in





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


der Arbeitswelt erfordert eine Konstante, und das ist eine
starke Mitbestimmung. Nur durch gleiche Augenhöhe
und Partizipation entstehen soziale Wertschätzung und
Zusammenhalt und in der Folge wirtschaftlicher Erfolg.
Schalten Sie endlich Ihren Ruhemodus aus! Tun Sie et-
was! Noch haben Sie die Zeit dafür.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106300

Vielen Dank, Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke. –

Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist Kol-
lege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1724106400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist sicherlich aller Anstrengungen des Hohen
Hauses wert, miteinander über die betriebliche Mitbe-
stimmung zu sprechen, darüber zu diskutieren und zu
schauen, wo nachjustiert werden muss. Mitbestimmung
ist auf allen Ebenen, auf denen sie stattfindet, eine große
soziale Errungenschaft Deutschlands. Da kann ich nur
das unterstreichen, was zuletzt die Kollegin Müller-
Gemmeke gesagt hat; da sind wir alle einer Meinung. In
der Tat: Betrieblicher Frieden ist wichtig.

Peter Weiß hat auf die Ursprünge des aktuellen Be-
triebsverfassungsgesetzes hingewiesen. Es hat Vorläufer
aus den 50er-Jahren und den 20er-Jahren. Schon in der
Weimarer Republik wurde erkannt, dass Demokratie,
Rechtsstaat und Mitbestimmung nur dann erfolgreich
gelingen können, wenn es auch auf betrieblicher Ebene
gelingt, einen Ausgleich zwischen den Eigentümerinte-
ressen des Unternehmers und den Interessen der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. Das
gelang in Deutschland schon in Weimarer Zeiten, gelingt
aber auch in der bundesrepublikanischen Zeit in hervor-
ragender Weise. Der betriebliche Frieden, den wir hier
haben, ist in der Tat ein hohes Gut, das wir alle schützen
sollten, zu dem wir uns bekennen sollten. Es ist ein Teil
des Erfolgsmodells Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen muss man Verschiebungen immer mit
Sorge sehen. Es fängt auf der Ebene der Tarifautonomie
an. Ich will hier ausdrücklich sagen: Wir sind dafür, dass
es starke Gewerkschaften, starke Tarifverträge und Flä-
chentarifverträge gibt. Es ist nicht gut, wenn ein Unter-
nehmen wie Karstadt meint, hier ausscheren zu müssen;
das will ich ausdrücklich sagen. Es ist eine freie unter-
nehmerische Entscheidung. Aber ich glaube, jeder trägt
eine Verantwortung für das Gemeinwohl; auch Unter-
nehmer haben hier eine Verantwortung. Ich finde, die
Entscheidung ist insofern kein gutes Signal. Denn Unter-
nehmer müssen erkennen, was in der Debatte schon ge-
sagt worden ist: Manchmal müssen auch schwierige Ent-

scheidungen getroffen werden. Gerade Karstadt hat das
erleben müssen. Das Unternehmen entwickelt sich jetzt
positiv, und zwar nur deshalb, weil Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer einen Teil dazu beigetragen haben,
weil sie auf Gehalt verzichtet haben und es Gewerk-
schafter gegeben hat, die ihnen das erklärt haben und sie
mitgenommen haben. Deswegen ist es aus meiner Sicht
keine Petitesse, zu sagen: Es geht uns wieder etwas bes-
ser, jetzt brauchen wir Tarifverträge nicht mehr so sehr;
wir haben schwierige Zeiten hinter uns, und jetzt ver-
zichten wir darauf. –


(Klaus Barthel [SPD]: Ihr Wort in Gottes Gehörgang!)


Nein, Mitbestimmung braucht man in guten wie in
schlechten Zeiten, und dazu gehören ein gutes Tarifver-
tragssystem, aber auch funktionierende Betriebsräte in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil das unsere Auffassung ist, bin ich angesichts ei-
ner gewissen Lieblosigkeit, mit der dieser Antrag zu-
sammengeschrieben worden ist, in der Tat etwas ent-
täuscht; das sage ich jetzt nicht in einer Reflexreaktion,
die uns sozusagen schon vorher von der Opposition un-
terstellt wurde. Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, es fängt natürlich schon damit an, dass Sie diesen
Antrag in einer der letzten Sitzungswochen dieser Legis-
laturperiode stellen. Jetzt merken Sie, dass dringender
Handlungsbedarf besteht. Das ist nun wirklich sehr spät.
Zudem beschreiben Sie diesen Handlungsbedarf in einer
Art und Weise, die man natürlich nicht ganz ernst neh-
men kann.


(Kerstin Tack [SPD]: Was?)


– Sie als Opposition fordern die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Machen Sie es doch
bitte selber! Wir sind die gesetzgebende Körperschaft.
Setzen Sie sich hin! Sie haben kluge Juristen in Ihren ei-
genen Reihen und in Ihrer Mitarbeiterschaft, fragen Sie
die Gewerkschaften. Machen Sie konkrete Vorschläge
zum Betriebsverfassungsgesetz:


(Klaus Barthel [SPD]: Wir haben ein Mindestlohngesetz vorgelegt! Was ist daraus geworden?)


– Herr Barthel, das werden wir wahrscheinlich gleich
von Ihnen hören. – Was soll in § 80, § 92, § 87 und § 99
konkret textlich geändert werden, damit Ihre vermeintli-
chen Anliegen durchgesetzt werden können? Sie bieten
gar nichts!

Der vorliegende Antrag ist eine Enttäuschung – das
muss ich Ihnen so sagen – und wird dem Anspruch mo-
derner Mitbestimmung im 21. Jahrhundert nicht gerecht;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


denn auf das Thema, das Sie angesprochen haben, näm-
lich dass es zu wenig Betriebsräte gibt, wird überhaupt
nicht eingegangen.





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)


Frau Krellmann, das hat im Übrigen nichts damit zu
tun, dass einzelne Betriebsräte auf Druck der Arbeitge-
berseite immer wieder Kündigungen ausgesetzt sind.
Das will ich nicht rechtfertigen, das ist nicht in Ordnung,
dagegen muss man sich wehren, und ich habe Betroffene
schon arbeitsgerichtlich vertreten. Aber man darf nicht
vergessen, dass sie in Deutschland einen einmaligen
Schutz genießen. Suchen Sie einen entsprechenden
Schutz im europäischen Ausland.

Ich weiß nicht, was der Grund für die fristlose Kündi-
gung bei H&M gewesen ist. Es ist auch nicht unsere
Aufgabe, darüber zu richten, ob die richtig oder falsch
war. Das ist die Aufgabe der Arbeitsgerichte. Wir sorgen
für einen Schutzrahmen.

Wir haben in Deutschland ein geltendes Betriebsver-
fassungsgesetz, zu dem wir stehen. Es sorgt dafür, dass
Betriebsräte einen Schutz genießen, wie ihn Betriebsräte
in anderen Ländern Europas nicht haben. Das ist gut so.
Dabei soll es bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


– Frau Krellmann, das will ich Ihnen sagen: Wenn die
Kündigung deshalb erfolgt sein sollte, weil der Betriebs-
ratsvorsitzende sehr aktiv war, dann ist die Kündigung
mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam. Genau das
steht im Betriebsverfassungsgesetz. Vielleicht gibt es
aber auch andere Gründe, darüber müssen die Arbeitsge-
richte entscheiden. Sie sollten nicht generell die Arbeit-
geber, die sich zu solchen Schritten genötigt fühlen, ver-
urteilen.

Ich will Sie abschließend auf einen zweiten Punkt
hinweisen, der für uns wichtig ist. Es gibt einen großen
Unterschied zwischen den Tarifverträgen unterworfenen
Arbeitnehmern und denjenigen, die dem Betriebsrat un-
terworfen sind.

Im Übrigen gilt die Betriebsvereinbarung auch für be-
fristet Beschäftigte. Diese werfen Sie in Ihrem Antrag
mit Leiharbeitnehmern in einen Topf. Man kann darüber
reden, dass es in diesem Bereich Probleme gibt, aber
Tatsache ist: Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer ist
bei der Betriebsratswahl stimmberechtigt, und wenn eine
Betriebsvereinbarung getroffen ist, dann ist er ihr unter-
worfen. Ich weiß deshalb nicht, was befristete Arbeits-
verhältnisse in Ihrem Antrag zu suchen haben; denn die
spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Auch das
ist in Ihrer Begründung sehr unsubstanziell.

Es gibt einen wichtigen Unterschied, zu dem wir ste-
hen. Materielle Arbeitsbedingungen – Bezahlung, Dauer
der Arbeitszeit – sollen die Gewerkschaften regeln, in-
dem sie Tarifverträge schließen. Das sollen nicht die Be-
triebsräte beschließen. Das steht im Betriebsverfas-
sungsgesetz in § 77 Abs. 3. An diesem wichtigen
Unterschied sollten wir festhalten.

Es gibt zwei Seiten. Die eine Seite ist: Man kann sich
einer Betriebsvereinbarung als Arbeitnehmer nicht ent-
ziehen. Jeder, der in einem Betrieb arbeitet, ist ihr auto-
matisch unterworfen, sie wirkt wie ein Gesetz im Be-

trieb. Die andere Seite ist: Der Betriebsangehörige kann
nicht einfach streiken. Der Betriebsrat kann im Betrieb
keinen Streik ausrufen. Das können nur Gewerkschaften
für die Tarifunterworfenen machen, und ob man tarifun-
terworfen sein will, kann man selbst entscheiden, indem
man einer Gewerkschaft beitritt oder es eben lässt. Die-
ser wichtige Unterschied wird in Ihrem Antrag nicht
deutlich. Es gibt diesen wichtigen Unterschied zwischen
dem Tarifvertragsbereich und dem Bereich, den wir im
Betriebsverfassungsgesetz geregelt haben. Das Betriebs-
verfassungsgesetz kann nur für den Betrieb gelten.

Auf der Ebene des Betriebsverfassungsgesetzes kön-
nen wir im Bereich der Leiharbeitnehmer nichts machen
– man darf aber in der Tat nicht in einen Ruhemodus ver-
fallen, sondern man sollte über Verbesserungen nach-
denken –; denn sie gehören nicht zum Betrieb, sondern
zum Betrieb des Verleihers. Diesen Konflikt haben Sie
in Ihrem Antrag völlig verkannt. Das finde ich bedauer-
lich. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode si-
cherlich mit mehr Substanz an das Thema herangehen
müssen.

In wichtigen Punkten besteht Konsens.


(Klaus Barthel [SPD]: Wo denn? – Kerstin Tack [SPD]: Wo?)


Die betriebliche Mitbestimmung ist ein Kernbestandteil
des sozialen Friedens in Deutschland, und Union und
FDP werden auch in diesem Bereich weitere vier gute
Jahre regieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da haben viele Angst vor!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106500

Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. – Letzter Redner

in dieser Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemo-
kraten unser Kollege Klaus Barthel. Bitte schön, Kollege
Klaus Barthel.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Jetzt kommt der Ausputzer!)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1724106600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser An-

trag muss schon ganz gut sein, weil sich alle, die sich ir-
gendwie kritisch dazu geäußert haben, zu allem Mögli-
chen gesprochen haben, nur nicht zu dem Antrag. Frau
Müller-Gemmeke war dabei eine löbliche Ausnahme;
sie hat sich positiv darauf bezogen. Aber ansonsten ha-
ben wir hier doch nur Nebelkerzen gesehen. Da hören
wir irgendetwas von Kündigungen von Betriebsratsvor-
sitzenden, was jetzt schon verboten ist. Wir hören, dass
Herr Wissing irgendetwas mit Mitbestimmung zu tun ha-
ben soll.


(Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Kollege Weiß erzählt uns hier etwas vom Präven-
tionsgesetz. Da könnte man noch sagen – das hat er aber





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)


nicht erwähnt –, dass ein Präventionsgesetz auch nur bei
betrieblicher Mitbestimmung sinnvoll umgesetzt werden
kann, weil man dafür Akteure und nicht einfach nur
Geld braucht, das Krankenkassen zahlen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber all das sei einmal dahingestellt.

Außerdem ging es um den Zeitpunkt, zu dem wir die-
sen Antrag einbringen. Wir wollen am Ende dieser Le-
gislaturperiode, nachdem die Sozialdemokratie ja die
Partei der Mitbestimmung ist, dies schon seit Jahren dis-
kutiert und es auch in ihrem Wahlprogramm stehen hat,
einfach einmal von den anderen hören, wie sie sich zur
Zukunft der Mitbestimmung stellen. Das ist doch legi-
tim. Wenn man die Antworten hört, dann muss man sa-
gen: Das ist doch erbärmlich.


(Beifall bei der SPD)


Schon allein deswegen hat es sich gelohnt, diesen An-
trag zu stellen.

Es wurde schon gesagt: Ohne Mitbestimmung wären
wir nicht so gut durch die Krise gekommen. Interne Fle-
xibilität mit Arbeitszeitkonten und mit Kurzarbeiterrege-
lung geht nur mit Mitbestimmung. Auch der jetzt immer
wieder gelobte hohe Industrieanteil in Deutschland hat
etwas mit Mitbestimmung zu tun und eben nicht mit den
Rezepten von „hire and fire“, nicht mit Lohnsenkungen,
nicht mit dem Herr-im-Hause-Standpunkt.

Ein Zeitungsartikel vor einiger Zeit, übrigens nicht in
einem sozialistischen Blatt, enthielt die Aussage, dass Be-
triebsräte, dass die Mitbestimmung – wörtliches Zitat –
Bollwerke gegen Betriebsschließungen sind. Man muss
doch ganz klar sagen: Viele Betriebe, gerade in der Indus-
trie, gäbe es ohne Mitbestimmung, ohne Betriebsräte
heute überhaupt nicht mehr. Deshalb ist die Frage – An-
kündigungen oder Lobhudeleien sind ja billig –: Was folgt
daraus?

Den historischen Teil will ich mir schenken, weil Herr
Dr. Wadephul dankenswerterweise darauf hingewiesen
hat, dass es keine Idee von Union und FDP war, Be-
triebsräte einzuführen, sondern dass es sie seit 1918/19
gibt und dass die Nazis sie aus gutem Grund vor ziem-
lich genau 80 Jahren aus den Ämtern gejagt und ver-
drängt haben, weil das eben ein Bollwerk der Demokra-
tie ist.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Die CDU hat es damals noch gar nicht gegeben! Aber das Zentrum hat sich darum gekümmert!)


1945 waren Betriebsräte die Ersten, die die Wirtschaft
wieder ans Laufen gebracht haben, weil die Chefs teil-
weise im Gefängnis saßen oder sich aus dem Staub ge-
macht hatten. Dann waren sie als Getriebene durch
Streiks der Gewerkschaften gezwungen, betriebliche
Mitbestimmung einzuführen, und so ging es weiter. Alle
substanziellen Änderungen an der Mitbestimmung ha-
ben Sozialdemokraten eingeführt,


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Herr Kollege Barthel, aber nur im freien Teil Deutschlands! Sagen Sie mal etwas zur DDR!)


beispielsweise beim Mitbestimmungsgesetz 1972, 1976
und zuletzt 2001. Auch die erleichterte Wahl von Be-
triebsräten war ein Fortschritt, der von der SPD zusam-
men mit den Grünen durchgesetzt worden ist.


(Beifall bei der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war kein Fortschritt!)


Das alles heißt aber nicht, dass wir uns zufrieden zu-
rücklehnen können. Wir können es nicht, weil sich die
Arbeitswelt und betriebliche Strukturen und damit auch
die Anforderungen an Betriebsrätinnen und Betriebsräte
verändern. Wir erleben, dass durch Leiharbeit, durch die
Praxis von Werkverträgen Menschen in den Betrieben
beschäftigt sind, die aber letzten Endes nicht von Be-
triebsrätinnen und Betriebsräten vertreten werden kön-
nen, weil die rechtliche Situation in diesem Punkt nicht
klar ist.

Es hat zwar jetzt hinsichtlich der Leiharbeit ein Bun-
desarbeitsgerichtsurteil die Zuständigkeiten der Betriebs-
räte verbessert. Aber wir brauchen hier klare gesetzliche
Regelungen, damit auch Werkauftragsnehmerinnen und
-nehmer oder Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an dem
Ort, an dem sie arbeiten, geschützt werden können und es
für sie eine Kontrolle zum Beispiel bezüglich ihrer Ar-
beitsbedingungen, Löhne, Arbeitszeiten usw. in dem Be-
trieb, in dem sie arbeiten, gibt und nicht irgendwo, von
wo sie ausgeliehen werden. Wenn Sie das nicht hinbe-
kommen, dann können Sie hier noch so viele heilige Re-
den auf Mitbestimmung und Betriebsräte halten, aber in
Wahrheit entziehen Sie den Betriebsräten dann die Wir-
kungsmöglichkeiten. Auch dadurch, dass es keine Frei-
stellungen und zusätzlichen Mandate für Betriebsräte
gibt, entziehen Sie ihnen die Arbeitsmöglichkeiten. Was
hier gemacht wird, ist ein bisschen eine Strategie des Zu-
Tode-Lobens. Da muss man aufpassen.

Wir brauchen – das ist der zweite Bereich, um den es
hier geht – eine Zuständigkeitsausweitung für Betriebs-
räte. Sie reden immer darüber, dass Sie die Rente mit 67
wollen.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Herr Barthel! Das ist Gesetz!)


Wir hingegen wollen erst einmal dafür sorgen, dass die
Leute mit 65 gesund arbeiten und gesund in Rente gehen
können. Wenn Sie die Rente mit 67 wollen, dann müssen
Sie auch dafür sorgen, dass auf betrieblicher Ebene Stra-
tegien zur Qualifizierung entwickelt und umgesetzt wer-
den. Dafür brauchen die Betriebsräte Initiativrechte auch
beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Diese Rechte ha-
ben sie im Moment nicht. Das muss man betrieblich
durchsetzen, da helfen sonst die besten Gesetze nichts.
Also: Wer Mitbestimmung auch in Zukunft will, wer
vernünftige Betriebsratsarbeit auch in Zukunft will, der
muss die Rechtsgrundlagen reformieren. Wir brauchen
eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes.

Im Übrigen sage ich: Wenn Sie alle der Meinung sind,
dass die Mitbestimmung vorbildhaft und ein Export-





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)


schlager ist, dann sollten Sie dafür sorgen, dass die Ar-
beitnehmerrechte im restlichen Europa gestärkt und
nicht durch die Austeritätspolitik von Frau Merkel ka-
puttgemacht werden.


(Zurufe von der CDU: Oh!)


Denken Sie einmal darüber nach! Vielleicht können Sie
doch noch etwas Positives an unserem Antrag finden.

Wir werden das in der nächsten Legislaturperiode
umsetzen. Sinn dieses Antrages ist ja auch, dass wir sa-
gen, was wir ab September machen werden.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106700

Vielen Dank, Kollege Klaus Barthel. – Der Kollege

Klaus Barthel war der letzte Redner in dieser Ausspra-
che, die ich damit schließe.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13476 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir gemein-
sam die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan
Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern
und Parteienfinanzierung transparenter ge-
stalten

– Drucksachen 17/9063, 17/13530 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Raju Sharma
Wolfgang Wieland

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind
alle damit einverstanden? – Dann haben wir das gemein-
sam so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser
Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unser
Kollege Ingo Wellenreuther. Bitte schön, Kollege Ingo
Wellenreuther.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Ingo Wellenreuther (CDU):
Rede ID: ID1724106800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich habe Verständnis, dass heute we-
nige hier im Plenum sind, weil parallel die Trauerfeier
für den Kollegen Stadler stattfindet, an der auch ich
gerne teilgenommen hätte; aber die Tagesordnung sieht
vor, dass dieser Punkt jetzt behandelt wird. Mein Beileid

noch einmal an die Familie Stadler. Max Stadler war ein
sehr lieber Kollege, mit dem ich 13 Jahre lang sehr eng
zusammengearbeitet habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, Par-
teien haben nach dem Grundgesetz den Anspruch, aber
auch den Auftrag, an der politischen Willensbildung des
Volkes mitzuwirken. Um dieser Aufgabe gerecht werden
zu können, haben sie einen berechtigten Finanzierungs-
bedarf. In Deutschland haben wir uns bewusst gegen
eine rein staatliche Alimentierung entschieden und die
gesellschaftliche Verankerung als Wesenselement politi-
scher Parteien definiert. Im Wesentlichen wird dieser Fi-
nanzierungsbedarf durch Mitgliedsbeiträge, staatliche
Zuwendungen und durch Spenden gedeckt. Spenden
sind zu Recht ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung
von Parteien und haben verfassungsrechtliche Bedeu-
tung. Das Grundgesetz sieht die Staatsfreiheit von Par-
teien vor. Die staatliche Finanzierung darf deshalb nicht
so weit gehen, dass sich Parteien nicht mehr um die fi-
nanzielle Unterstützung durch ihre Mitglieder und durch
ihr nahestehende Bürger bemühen müssen.

Umgekehrt ist das Spendenrecht des Bürgers Aus-
druck seines Rechts auf Teilhabe an der politischen Wil-
lensbildung. Im Gegenzug ergibt sich die Verpflichtung,
dass die Parteien über die Herkunft und die Verwendung
ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechen-
schaft ablegen müssen. Das ist im Parteiengesetz so gere-
gelt. Spenden über 10 000 Euro sind im Rechenschafts-
bericht anzugeben, und Spenden über 50 000 Euro sind
dem Bundestagspräsidenten zu melden, der diese binnen
24 Stunden im Internet zu veröffentlichen hat. Diese
Transparenzvorschriften haben sich bei Parteispenden in
Deutschland sehr gut bewährt.

Meine Damen und Herren von den Linken, Sie schla-
gen jetzt in Ihrem Antrag fünf Maßnahmen vor, mit denen
Sie das Parteiengesetz ändern wollen. Damit wollen Sie
angeblich die Demokratie stärken, Lobbyismus verhin-
dern und die Parteienfinanzierung transparenter gestalten.
Meines Erachtens betreiben Sie damit Etikettenschwin-
del. Denn was Sie in Wahrheit wollen, ist, in Deutschland
die Parteienfinanzierung diskreditieren, Spender verunsi-
chern und sich damit Vorteile im politischen Wettbewerb
verschaffen.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Jetzt wird es richtig albern!)


Ich werde Ihnen jetzt im Einzelnen erläutern, warum Ihr
Antrag nicht taugt – wenn Sie zuhören, verstehen Sie es
auch –, um die von Ihnen benannten Ziele zu erreichen.
Ich werde auch zeigen, welche Auswirkungen Ihre beab-
sichtigten Gesetzesänderungen hätten.

Sie wollen ein Spendenverbot für juristische Perso-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das heißt, Sie wollen, dass Unternehmen in der Rechts-
form einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft, aber
auch eingetragene Vereine nicht mehr Spenden an politi-
sche Parteien leisten dürfen.





Ingo Wellenreuther


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sie haben es verstanden!)


Entgegen Ihrem im Antrag formulierten Ziel, die Demo-
kratie dadurch stärken zu wollen, wäre dies im Gegenteil
eine demokratiefeindliche Maßnahme, weil Sie dadurch
Unternehmen eine Teilnahme an der politischen Willens-
bildung durch Unterstützung jener Partei,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


die ihre eigenen politischen Interessen am besten vertritt,
behindern würden.


(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Hierin liegt wiederum ein Etikettenschwindel, weil damit
unsere Demokratie nicht gestärkt, sondern geschwächt
würde. Dies sieht auch das Verfassungsgericht so, das be-
reits 1992 eindeutig erklärt hat, dass Spenden juristischer
Personen an politische Parteien in beliebiger Höhe zuläs-
sig sind.

Die politische Teilhabe äußert sich nämlich nicht al-
lein in der Teilnahme an Wahlen, sie manifestiert sich
auch dadurch, dass Organisationen, gesellschaftliche
Gruppierungen, aber auch Unternehmen ihre Interessen
wahrnehmen und sich an der politischen Willensbildung
beteiligen dürfen, auch mittels Spenden, die natürlich im
Einklang mit unserer Rechtslage transparent gewährt
werden müssen. Berechtigterweise darf es auch juristi-
schen Personen darauf ankommen, die politischen Ziele
von Parteien zu unterstützen. Genau dies ist nach dem
Grundgesetz, dem Parteiengesetz und der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts auch vorgesehen.

Jetzt zu Ihrem Hauptargument: Wer nicht wählen
darf, darf auch keinen Einfluss auf politische Parteien
nehmen. Dies wird nicht nur von den Linken vertreten,
sondern auch von Ihnen, Herr Beck; das habe ich gele-
sen. Dieses Argument halte ich für entlarvend. Mit einer
Spende erleichtern die Spender lediglich die politische
Arbeit der Partei, die im politischen Meinungskampf am
besten ihre Interessen unterstützt. Sie nehmen dadurch
gerade nicht inhaltlich Einfluss auf eine Partei oder ein
Parteiprogramm.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wer es glaubt!)


Spenden zu leisten, ist im Übrigen die private Ent-
scheidung der Bürger, aber auch der Unternehmen in un-
serem Land, die dies gegenüber ihrem Aufsichtsrat, ih-
rem Vorstand, ihren Aktionären, ihren Gesellschaftern,
ihrer Belegschaft und gegenüber der Öffentlichkeit zu
rechtfertigen haben, sicherlich aber nicht gegenüber dem
politischen Gegner.

Meine Damen und Herren von den Linken, wenn Ihre
Partei keine nennenswerten Spenden juristischer Perso-
nen erhält, muss deshalb nicht das Parteiengesetz geän-
dert werden – darauf hat Kollege Schuster schon hinge-
wiesen –, Sie sollten sich vielmehr über die Inhalte Ihres
Parteiprogramms Gedanken machen.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch Ihr zweiter Vorschlag, es zu verbieten, Spenden
natürlicher Personen über 25 000 Euro anzunehmen,
schadet dem Kern unserer Demokratie. Sie rücken Par-

teispenden damit in die Nähe des Anrüchigen. Ich halte
es – das muss ich ehrlich sagen – für unerträglich, dass
Sie damit in der Öffentlichkeit wiederholt und bewusst
den Eindruck erwecken, man könne in Deutschland poli-
tische Entscheidung kaufen.


(Raju Sharma [DIE LINKE]: Und Zustimmung bekommen in der Öffentlichkeit!)


Ein weiterer Grund für Ihren Vorschlag eines Verbotes
von Spenden über 25 000 Euro ist, dass die Partei der Lin-
ken einfach keine größeren Einzelspenden erhält. Sie
handeln deshalb nach dem Motto: Eine Regelung, die uns
nicht nutzt, müssen wir abschaffen. Damit wollen Sie vor
allem dem politischen Gegner schaden; denn andere Par-
teien verzeichnen höhere Spendeneingänge. Wenn es da-
rum ginge, anderen Parteien zu schaden, dann müsste die
Union eigentlich fordern, dass Parteien keine Beteiligun-
gen an Medienunternehmen halten dürfen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie auch schon mal gefordert!)


Die Stichworte Neues Deutschland und Deutsche Druck-
und Verlagsgesellschaft seien an dieser Stelle genannt.

Das eigentliche Thema, das die Menschen in unserem
Land beschäftigt, ist nicht die Höhe der Spende, sondern
die Transparenz; das heißt, dass man ab einer bestimm-
ten Summe über die Herkunft und über die Spender Be-
scheid wissen möchte. Dies ist in unserem bestehenden
Parteiengesetz ausreichend klar geregelt.

Ihr dritter Vorschlag, den ich aufgreifen möchte, ist,
dass Sie Parteiensponsoring verbieten wollen. Sponso-
ring ist im Parteiengesetz nicht ausdrücklich geregelt.
Eine gesetzliche Definition fehlt. Nach dem Sponsoring-
erlass des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahre
1998 handelt es sich um die Gewährung von Geld durch
Unternehmen zur Förderung von Parteien, mit der unter-
nehmensbezogene Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit
verbunden sind. So damals das Bundesfinanzministe-
rium. Der Unterschied zur Spende – das ist schon mehr-
fach angesprochen worden – liegt darin, dass die Partei
eine Gegenleistung schuldet. Diese besteht – das möchte
ich auch für die Zuschauer ausdrücklich betonen – natür-
lich nicht in der Gewährung eines politischen Vorteils,
sondern in der Zurverfügungstellung von Werbemög-
lichkeiten. Das ist der gegenseitige Vertrag, um den es
beim Sponsoring geht.

Als Beispiel nennt die Linke in ihrem Antrag die Ver-
mietung von Standflächen auf Parteitagen. Sie erwähnen
in diesem Zusammenhang alle im Bundestag vertretenen
Parteien, außer übrigens sich selbst. Man weiß aber,
dass, ich glaube, der Apothekerverband regelmäßig auch
bei Ihnen gesichtet wird. Auch hier sage ich Ihnen: Blei-
ben Sie bitte bei der Wahrheit.


(Raju Sharma [DIE LINKE]: Das stimmt überhaupt nicht! Das ist einfach falsch! Bitte bleiben Sie bei der Wahrheit! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Er meint den kubanischen Apothekerverband!)


– Das werden wir nachprüfen.





Ingo Wellenreuther


(A) (C)



(D)(B)


Inhaltlich vertreten Sie mit der Forderung nach einem
Verbot des Parteisponsorings eine absolute Mindermei-
nung. Keiner der sieben Sachverständigen hat in der öf-
fentlichen Anhörung des Innenausschusses im Juni 2010
ein Verbot des Parteisponsorings für gut befunden. Das
überrascht auch nicht; denn Sponsoring ist eine zulässige
Form der Finanzierung politischer Veranstaltungen. Im
Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der
Staatsfreiheit sind solche finanziellen Unterstützungen
auch wünschenswert.

Im Rechenschaftsbericht der Parteien sind Einnah-
men aus Sponsoring als Einnahmen aus Veranstaltungen
und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit
anzuführen. Die Staatengruppe gegen Korruption,
GRECO, der Deutschland gleich nach der Gründung
1999 beigetreten ist, hat dazu Stellung genommen.
GRECO hatte in dem Evaluierungsbericht vom Dezem-
ber 2009 zu Deutschland empfohlen, zu klären, unter
welchen Bedingungen Parteisponsoring erlaubt ist und
welches Rechnungslegungs- und Finanzsystem gelten
soll. Dieser Aufforderung sind wir nachgekommen.
GRECO hat dementsprechend in seinem Umsetzungsbe-
richt vom November 2012 diesen Punkt als umgesetzt
deklariert. Ich sage ganz offen: Ich hätte nichts dagegen,
wenn in Zukunft Sponsoringvorgänge in einem Erläute-
rungsteil im Rechenschaftsbericht zusammengefasst dar-
gestellt würden und damit für noch mehr Transparent ge-
sorgt wäre.

Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zu den
Berichten von GRECO über die Transparenz der Partei-
enfinanzierung machen. Die Linke erwähnt diese Be-
richte in ihrem Antrag und erweckt den Eindruck, als
hätten wir hier in Deutschland große Defizite. Ich
möchte zunächst einmal klarstellen, dass der Bericht von
GRECO aus dem Jahr 2009 die deutschen Rechtsvor-
schriften zur politischen Finanzierung unmissverständ-
lich gewürdigt hat. Wörtlich führt der Bericht aus, dass
das deutsche Parteiengesetz mindestens fünf unbestreit-
bare Qualitäten besitzt:

Erstens. Es ist eine der ältesten Rechtsgrundlagen in
diesem Bereich auf dem europäischen Kontinent. Zwei-
tens. Es ist dank der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts verfassungsrechtlich tief verwurzelt. Drit-
tens. Es legt großen Wert auf die Transparenz der
Finanzquellen der Parteien. Viertens. Es trägt zu einem
intelligenten Gleichgewicht zwischen privater und staat-
licher Finanzierung von Parteien bei, sodass diese nicht
ausschließlich auf staatliche Unterstützung angewiesen
sind. Fünftens. Es führt zu einer Konsolidierung der Par-
teifinanzen.

Im Grundsatz bescheinigt GRECO also, dass Deutsch-
land hoch anerkannte, verfassungsfeste, vorbildliche und
transparente Regelungen zur Parteienfinanzierung be-
sitzt. Das ist zunächst einmal eine ganz wichtige Bot-
schaft, die Sie von den Linken eigentlich nicht hätten
verschweigen sollen.

Es ist zutreffend, dass GRECO aber auch zehn Ände-
rungsempfehlungen abgegeben hat. In dem Umsetzungs-

bericht vom Dezember 2012 werden drei davon als von
Deutschland zufriedenstellend umgesetzt bzw. zufrie-
denstellend behandelt deklariert, sechs Empfehlungen
werden als teilweise und nur eine wird als nicht umge-
setzt angesehen.

Ich möchte an zwei Beispielen erläutern, dass wir hier
keineswegs wichtige Empfehlungen ignorieren, sondern
dass wir in manchen Punkten inhaltlich anderer Auffas-
sung sind als GRECO. GRECO hatte beispielsweise
empfohlen, die Grenze von 50 000 Euro für die unmit-
telbare Berichterstattung und Veröffentlichung von
Spenden zu senken und anonyme Spenden zu verbieten.
Diese Empfehlung ist zum einen von den gemeinsamen
Regeln des Europarates gegen Korruption aus dem Jahre
2003 nicht gedeckt, und sie verkennt zum anderen, dass
Spenden nach dem deutschen Parteiengesetz nicht erst
ab 50 000 Euro, sondern schon ab 10 000 Euro mit
Spendernamen im Rechenschaftsbericht veröffentlicht
werden. Eine weitere Herabsetzung erscheint uns von
der Union willkürlich. Eine zu niedrige Grenze würde
außerdem zu einer Überfülle an Daten führen, was wie-
derum der Transparenz und der Übersichtlichkeit abträg-
lich wäre. Die Empfehlung, anonyme Spenden zu ver-
bieten, widerspricht außerdem den gemeinsamen Regeln
des Europarates, die nur heimliche Spenden vermeiden
wollen und sogar anonyme Kleinspenden akzeptieren.
Spenden unter 500 Euro erfolgen schon jetzt ohne Iden-
tifizierung, sind aber öffentlich.

Weitere Empfehlungen von GRECO gehen dahin,
Spenden an Abgeordnete zumindest Rechenschafts- und
Offenlegungspflichten aufzuerlegen, die denen der Par-
teien vergleichbar sind, und wirksame Sanktionen bei
Verstößen festzulegen.

Auch hier wird die deutsche Rechtslage verkannt,
nach der die Pflichten der Abgeordneten zum Umgang
mit Spenden und etwaige Verstöße ganz klar geregelt
sind. Erhalten nämlich Abgeordnete Spenden für ihre
Partei, sind diese unverzüglich an das zuständige Partei-
organ weiterzuleiten. Sie unterliegen dann den weiteren
Regelungen des Parteiengesetzes. Verstöße gegen diese
Weiterleitungspflicht sind strafbewehrt. Bei den so-
genannten Direktspenden für den Abgeordneten selbst
bestehen nach dem Abgeordnetengesetz und den Ver-
haltensregeln des Bundestages laut Geschäftsordnung
Pflichten zur gesonderten Rechnungsführung und zur
Anzeige gegenüber dem Bundestagspräsidenten sowie
eindeutige Annahmeverbote. Wenn dagegen verstoßen
wird, gibt es ebenfalls wirksame Sanktionen. Insofern
sind die genannten Empfehlungen von GRECO in
Deutschland bereits vollkommen ausreichend geregelt.

Zurück zum Antrag der Linken. Dazu möchte ich als
Fazit sagen: Er ist insgesamt scheinheilig. Er nimmt es
mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau. Und vor al-
lem: Er schwächt unsere Demokratie. Aus diesen Grün-
den lehnen wir von der Union diesen Antrag ab.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724106900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in

unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemo-
kraten unsere Kollegin Frau Gabriele Fograscher. Bitte
schön, Frau Kollegin Gabriele Fograscher.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1724107000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zum wiederholten Mal diskutieren wir in dieser Legisla-
turperiode Änderungen des Parteiengesetzes, und das
nicht nur hier im Plenum; wir haben darüber bereits
mehrfach auch im Innenausschuss diskutiert. Grundlage
waren verschiedene Anträge und immer wieder die Eva-
luierungsberichte der zum Europarat gehörenden Staa-
tengruppe gegen Korruption, GRECO.

Nach all den Diskussionen lässt sich feststellen: Die
Linksfraktion hat übertriebene Forderungen, und die Re-
gierungskoalition will gar nichts ändern. Dabei würde es
Ihnen von den Regierungsfraktionen gut zu Gesicht ste-
hen, sich einmal intensiv mit den Empfehlungen von
GRECO auseinanderzusetzen. Es ist einfach nur pein-
lich, regelmäßig von GRECO aufgefordert zu werden,
die Empfehlungen umzusetzen. Sie von der Koalition
wollen sich nicht festlegen und schieben zum Beispiel
das Thema der Strafbarkeit von Abgeordnetenbeste-
chung von Woche zu Woche und hoffen, sich so über die
Legislaturperiode retten zu können. Wir sehen durchaus
Handlungsbedarf und würden die Empfehlungen von
GRECO aufgreifen.

Ich will trotzdem auch darauf hinweisen, dass
Deutschland ein gutes Parteiengesetz hat, das die meis-
ten Fragen der Parteienfinanzierung angemessen regelt.
Ich zitiere aus dem GRECO-Bericht:

Viele Bestimmungen des Parteiengesetzes zur Par-
teienfinanzierung sind lobenswert: Es verlangt eine
konsolidierte Rechnungslegung, welche alle territo-
rialen und sonstigen Strukturen der Parteien bis zur
untersten Ebene sowie alle wirtschaftlichen Struk-
turen erfasst, es nimmt eine klare Unterscheidung
zwischen Parteien einerseits sowie Fraktionen und
politischen Stiftungen andererseits vor, und es re-
gelt Themen wie Sachspenden, freiwillige Arbeit
und Sponsoring.

Sie von der Linksfraktion vermitteln schon allein mit
dem Titel Ihres Antrags ein völlig anderes Bild. Vor al-
lem verspricht der Titel, was der Inhalt nicht hält. Mehr
Demokratie schaffen Sie mit Ihren Forderungen nicht,
mehr Transparenz auch nicht. Mit der Verhinderung von
Lobbyismus hat Ihr Antrag nichts zu tun. Um Lobbyis-
mus einzudämmen, brauchen wir unter anderem ein
Lobbyregister und klare Informationen und Regeln für
externe Berater, vor allem in den Bundesministerien.
Dazu sagt Ihr Antrag aber nichts.

Sie fordern das Verbot von Unternehmensspenden.
Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die
Kommission des Bundespräsidenten zur Reform der Par-
teienfinanzierung haben Spenden von juristischen und
natürlichen Personen als zulässig angesehen. Entschei-

dend sei dabei die Transparenz. Es muss durchschaubar
sein, welche Unternehmen oder Personen die Parteien
unterstützen und gegebenenfalls Einfluss nehmen wol-
len. Mir ist es lieber, dass spendende Unternehmen in
den Rechenschaftsberichten genannt werden und diese
Zuwendungen nicht über Privatpersonen oder gar Stroh-
männer erfolgen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig!)


Das würde nämlich zu weniger Transparenz führen.


(Beifall bei der SPD)


Professor Heinig erklärte in der Anhörung des Innen-
ausschusses 2010:

In einem freiheitlichen Parteienwesen bedürfen
Einschränkungen der Finanzierungsfreiheit politi-
scher Parteien einer besonderen Rechtfertigung.
Kontrolle durch Öffentlichkeit hat Vorrang vor Ver-
boten. Ein generelles parteiengesetzliches Verbot,
Spenden juristischer Personen anzunehmen, sähe
sich beachtlichen verfassungsrechtlichen Anfragen
ausgesetzt. Es ist nicht zu empfehlen.

Bei Spenden von Unternehmensverbänden allerdings
ist die Transparenz nicht gegeben. Hier erfolgen Spen-
den indirekt von Unternehmen über die Verbände, ohne
dass die Unternehmen genannt werden. Oftmals wissen
die einzelnen Mitglieder solcher Verbände gar nicht,
dass sie an eine bestimmte Partei über ihre Mitgliedsbei-
träge spenden. Deshalb fordern wir ein Verbot von Spen-
den von Unternehmensverbänden.


(Beifall bei der SPD)


Statt die Spendenobergrenze so restriktiv festzulegen,
wie Sie es fordern, sollte die Grenze für die sofortige
Veröffentlichung von Spenden durch den Bundestags-
präsidenten auf 25 000 Euro gesenkt werden. Zudem
würde eine Nennung von Spendern mit Namen und
Adresse ab einer Jahresgesamtsumme von 5 000 Euro
im Rechenschaftsbericht zu mehr Transparenz führen.


(Beifall der Abg. Petra Ernstberger [SPD])


Sponsoring wollen Sie ganz verbieten, doch Sponso-
ring von Parteiveranstaltungen ist parteienrechtlich er-
laubt, ja sogar erwünscht. Auch dazu möchte ich noch
einmal Professor Heinig zitieren:

Die Vermietung von Werbeflächen und andere For-
men des Sponsorings von Parteiveranstaltungen
sind von der Parteienfreiheit nach Art. 21 Abs. 1 GG
geschützte und parteiengesetzlich zulässige Formen
der Parteienfinanzierung. Das Grundgesetz fordert
von den Parteien, dass sie eigene Einnahmen gene-
rieren, und verbietet eine staatliche Vollfinanzie-
rung …. Die Aktivitäten von Parteien zielen auf Öf-
fentlichkeit. Sie erzeugen aber auch Öffentlichkeit.
Wenn Parteien daraus Einnahmen erzielen …, ist
das im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vor-
gaben zur Parteienfinanzierung zunächst einmal
nicht problematisch, sondern im Gegenteil er-
wünscht. Denn wie Spenden bilden auch andere
Formen der Förderung von Parteien einen gewissen
Indikator für ihre Verwurzelung und gesellschaftli-
che Akzeptanz …





Gabriele Fograscher


(A) (C)



(D)(B)


Allerdings unterstützen wir auch die Forderung, dass
Sponsoring in Zukunft als gesonderte Einnahme in den
Rechenschaftsberichten ausgewiesen wird.

Warum es Demokratie stärken oder mehr Transparenz
herstellen soll, wenn Parteimitglieder, die für geleistete
Arbeit eine Aufwandsentschädigung erhalten, diese
nicht an die Partei spenden dürfen – das fordern Sie –,
erschließt sich mir nicht. In der SPD ist die ehrenamtli-
che Mitarbeit grundsätzlich unentgeltlich. Ein Kosten-
ersatz ist jedoch möglich. Voraussetzung für die steuer-
liche Anerkennung ist ein Vorstandsbeschluss, bevor die
zum Aufwand führende Tätigkeit beginnt. Der Be-
schluss darf nicht unter der Bedingung der Spende ge-
fasst werden, der Aufwand muss im Einzelnen aufge-
führt werden, und die Gliederung muss wirtschaftlich
leistungsfähig sein, das heißt, sie muss diese Aufwands-
entschädigung zahlen können.

Im Innenausschuss haben Sie einen Änderungsantrag
eingebracht und damit einen völlig falschen Eindruck er-
weckt. Sie werfen § 31 d Abs. 1 Satz 2 Parteiengesetz,
den Sie streichen wollten, mit dem Begriff der Selbstan-
zeige in der Abgabenordnung in einen Topf. § 31 d
Abs. 1 regelt unter anderem, dass eine Partei straffrei
bleibt, wenn sie gegenüber dem Bundestagspräsidenten
eine Fehlmeldung im Rechenschaftsbericht anzeigt und
korrigiert, bevor diese öffentlich wird.

Die Rechenschaftsberichte werden bei uns von circa
10 000 ehrenamtlichen Kassiererinnen und Kassierern
mit hoher Verantwortung und gewissenhaft erstellt.
Trotz aller Sorgfalt kann es zu Buchungsfehlern kom-
men. Dass dies für die Partei dann nach Meldung und
Berichtigung eine Strafe nach sich ziehen soll, ist nicht
einzusehen. Ein anderer Fall wäre es, wenn ein Kassierer
vorsätzlich Spenden verschleiern oder unterschlagen
würde. Wenn dies dann die Partei aber richtigstellt, wird
sie nicht bestraft. Der Kassierer aber muss mit Konse-
quenzen seitens der Partei rechnen. Das ist die geltende
Rechtslage. Die derzeit viel diskutierte Straffreiheit bei
Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung ist somit et-
was völlig anderes als die Regelung des § 31 d Abs. 1
Parteiengesetz.

Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf,
Änderungen vorzunehmen. Bisher war das die Angele-
genheit des Parlaments, der Fraktionen, und so soll das
unserer Meinung nach auch bleiben. Wir sind jederzeit
bereit, zum Beispiel über die Umsetzung der Empfeh-
lungen von GRECO zu sprechen, und ich fordere von
dieser Stelle die Koalitionsfraktionen nochmals auf, die
Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung noch in dieser
Wahlperiode zu regeln. Dem Antrag der Linken können
wir nicht folgen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724107100

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Stefan

Ruppert das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1724107200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir kennen diesen Antrag aus der Vergangenheit
– er ist sozusagen ein Wiedergänger –; leider ist er im
Laufe seiner parlamentarischen Karriere nicht besser ge-
worden. Es hat auch schon ein leichtes Geschmäckle,
wenn im unmittelbaren Vorfeld einer Bundestagswahl
eine Fraktion einen Antrag ins Schaufenster stellt, in
dem es insbesondere darum geht, Spenden von juristi-
schen Personen gänzlich zu verbieten.

Wenn man sich die Parteienfinanzierung in Deutsch-
land anschaut, stellt man fest, dass die Parteien in
Deutschland höchst unterschiedlich finanziert sind. Die
einen haben größeres Vermögen aus Beteiligungen an
Unternehmen, wie etwa die SPD, andere ziehen ihre
Mitglieder und Mandatsträger stark heran, wieder andere
bekommen Spenden von kleinen und mittleren Unter-
nehmen aus gewissen Branchen, wie etwa die Grünen.

Unsere Parteienfinanzierung ist sehr gut austariert.
Sie beruht sowohl auf Beiträgen als auch auf Spenden
von juristischen und natürlichen Personen und auf einer
staatlichen Parteienfinanzierung. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat dieses Dreisäulenmodell immer wieder
bestätigt. Dieses Modell ist gerade deswegen positiv,
weil es die Parteien nicht abhängig macht vom Staate,
die Parteien nicht zu reinen Staatsparteien werden, die
darauf angewiesen sind, dass der Staat sie alimentiert.
Die Parteien müssen vielmehr dafür sorgen, dass sie
auch aus anderen Quellen Einnahmen erzielen.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am besten durch viele Mitglieder!)


Eine dieser drei Säulen, nämlich die Spenden von ju-
ristischen Personen, will die Linke nun beseitigen. Die-
ser Vorschlag erstaunt nicht; denn die Linke selbst erhält
keine Spenden von juristischen Personen. Insofern ist es
nicht ganz uneigennützig, wenn die Linke einen Tatbe-
stand beseitigen will, der sie persönlich nicht betrifft. Al-
lerdings würde allen anderen Parteien, die Spenden von
juristischen Personen erhalten, ein Nachteil zugefügt.
Das ist durchsichtig und findet nicht unsere Zustim-
mung.

Wir sind im Einzelfall durchaus gesprächsbereit, zum
Beispiel was die Ausweisung von Sponsoring angeht.
Auch wir sind dafür, dass in den Rechenschaftsberichten
der Parteien ein Höchstmaß an Transparenz hergestellt
wird. Es wäre denkbar, Sponsoringeinnahmen im Re-
chenschaftsbericht durch eine eigene Kategorie schärfer
abzusetzen und so deutlicher zu dokumentieren, woher
die Einnahmen stammen. An Widerstand von uns soll
das nicht scheitern. Unsere Partei ist in der Lage, auf
Euro und Cent genau auszuweisen, woher die Einnah-
men stammen, auch wenn die Abgrenzung nicht immer
ganz einfach ist. Die FDP wäre durchaus bereit, Sponso-
ringeinnahmen und Spendeneinnahmen getrennt darzu-
stellen. Darüber würden wir mit Ihnen und anderen gern
ins Gespräch kommen.

Wir wollen nicht, dass Spenden von juristischen Per-
sonen pauschal untersagt werden. Ich finde es gerade





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)


richtig, wenn Menschen und Firmen bzw. juristische
Personen der Auffassung sind, dass die Demokratie ih-
nen eine Spende wert ist. Es wird ja häufig beklagt, dass
Unternehmen und andere sich nicht ausreichend für das
Gemeinwohl einsetzen. Eine Spende für die Politik, für
die Demokratie ist nicht unehrenhaft oder in irgendeiner
Form eine Spende zweiter Klasse und hat auch kein Ge-
schmäckle. Sie ist vielmehr eine Beteiligung an der Par-
teienfinanzierung und damit an der Demokratie. Deswe-
gen sollten wir solche Spenden nicht pauschal verbieten.

Ein Letztes. Die Linken verweisen immer wieder auf
den GRECO-Bericht. Dazu ist zu sagen: Deutschland
hat die allermeisten Anforderungen aus dem GRECO-
Bericht sicherlich besser und stringenter erfüllt als viele
Länder, die den GRECO-Bericht ebenfalls erhalten. Ich
glaube, Deutschland hat ein Höchstmaß an Transparenz
in der Parteienfinanzierung, was nicht heißt, dass das
eine oder andere nicht noch weiter verbessert werden
könnte. Die FDP will daran mitwirken. Den Antrag der
Linken lehnen wir allerdings ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724107300

Das Wort hat jetzt der Kollege Raju Sharma für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724107400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun, da

Sie alle fleißig Ihre Vorurteile gepflegt haben, wollen
wir einmal zu den Fakten kommen.


(Lachen des Abg. Ingo Wellenreuther [CDU/ CSU])


Gerade wurde bekannt, dass Parteien mehr Geld aus
der staatlichen Teilfinanzierung bekommen werden. Als
Schatzmeister meiner Partei freut mich das natürlich.
Andererseits löst eine solche Meldung immer gewisse
Reflexe und Diskussionen aus, ähnlich wie bei Partei-
spendenskandalen. Manche fordern, dass die Parteien
zukünftig gar keine staatlichen Mittel mehr bekommen
und sich ausschließlich durch Spenden und Beiträge fi-
nanzieren. Wieder andere fordern ein totales Verbot von
Spenden und wollen eine Parteienfinanzierung aus-
schließlich aus Steuermitteln.

Wie bei vielen anderen Themen ist die Linke auch
hier die Partei des Ausgleichs und der Vernunft.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt er, ohne zu lächeln!)


Wir stehen zu dem gemischten System der Parteienfi-
nanzierung, und das aus guten Gründen – sie sind hier
auch schon genannt worden –: Die teilweise Steuerfinan-
zierung hat das Parteienspektrum demokratisiert, weil es
nicht nur eine Frage des Geldbeutels ist und sein darf, ob
sich Interessen in Parteien organisieren können. Gleich-

zeitig müssen die Parteien in der Bevölkerung um Unter-
stützung werben – und das nicht nur am Wahltag –, weil
sie freiwillige Spenden und Beiträge brauchen.

Für uns ist nur Bedingung, dass die Parteienfinanzie-
rung transparent, demokratisch und fair ist.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Genau!)


Das System muss sicherstellen, dass sich niemand eine
Partei oder einen Politiker und damit Einfluss im Parla-
ment kaufen kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es muss sicherstellen, dass die Parteienfinanzierung
transparent ist, dass also stets erkennbar ist, wer wen wo-
für bezahlt hat. Außerdem muss die Parteienfinanzie-
rung einen fairen demokratischen Wettbewerb der Par-
teien gewährleisten und fördern.

Das hört sich gut an, vielleicht zu gut, um wahr zu
sein. Stimmt; denn in der Tat gibt es einige Schwachstel-
len, die behoben werden müssen. Das sehen nicht nur
wir so; auch die Staatengruppe gegen Korruption,
GRECO, und der Bundestagspräsident haben Vorschläge
dazu unterbreitet. Diese sind allerdings sämtlich an der
Koalition abgeprallt, wie auch heute, was wohl nicht an-
ders zu erwarten war.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, Ihr Antrag ist abgeprallt!)


Doch zum Glück gibt es die Linke.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was für ein Glück!)


Wir haben diese und ähnliche Forderungen in einem An-
trag zusammengefasst: Wir wollen keine Unternehmens-
spenden an die Parteien. Wir wollen eine Spenden-
höchstgrenze für natürliche Personen in Höhe von
25 000 Euro pro Jahr.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es ist ja schon mal gut, dass das nicht 25 000 Rubel sind! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ausgenommen Goldbarren!)


Wir wollen Parteiensponsoring verbieten, und wir wol-
len keine Barspenden über 1 000 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind ein paar ganz einfache, verständliche und prak-
tikable Vorschläge von uns, von der Linken, von
GRECO und vom Bundestagspräsidenten. Eigentlich
sollte man meinen, niemandem würde ein Zacken aus
der Krone brechen, wenn er dem zustimmt.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das, was Sie sagen, ist nicht GRECO!)


Zu unserem Antrag haben wir nun noch einen Ände-
rungsantrag vorgelegt; denn im Zusammenhang mit der
Debatte um die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuer-
recht sind wir darauf aufmerksam gemacht worden, dass
es auch im Parteiengesetz eine solche Regelung gibt.





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


Kaum zu glauben, aber wahr! Nach § 31 d des Parteien-
gesetzes kommt nämlich auch derjenige ohne Strafe da-
von, der wissentlich und willentlich die Herkunft oder
Verwendung von Parteigeldern verschleiert hat, um die
Öffentlichkeit zu täuschen. Es gibt also Straffreiheit für
absichtlich falsche Rechenschaftslegung, Straffreiheit
für schweren Betrug.

Frau Fograscher, ich empfehle Ihnen wirklich, das im
Parteiengesetz einfach noch einmal nachzulesen. Es geht
eben nicht nur um die versehentlich falsche Darstellung.
Wir kennen das auch. Es gibt genug ehrenamtliche
Schatzmeisterinnen und Schatzmeister, denen ein sol-
cher Fehler einmal unterlaufen kann. Es ist richtig, dass
man dies, sobald man es erkennt, berichtigen kann und
die Partei ohne Strafe davonkommt. Diese Regelung
aber besagt, dass man auch dann ohne Strafe davon-
kommt, wenn man das wissentlich, absichtlich macht.

Richtig absurd ist Folgendes: Überlegen Sie sich ein-
mal, wann diese Regelung ins Parteiengesetz aufgenom-
men wurde! Das war just nach dem Spendenskandal um
Leisler Kiep, Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl und
Roland Koch. Alle Parteien in diesem Haus – mit Aus-
nahme der PDS natürlich – haben für die Einfügung die-
ser Regelung ins Gesetz gestimmt, um die absichtliche
Verschleierung der Herkunft und Verwendung von Par-
teispenden zu ermöglichen. Das geht aus unserer Sicht
überhaupt nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern daher, genau diesen Passus zu streichen.
Vorsätzliche Straftaten gehören geahndet und nicht mit
Straffreiheit belohnt. Das gehört unserer Meinung nach
im Parteienrecht nicht anders geregelt als im Steuer-
recht.

Diese Vorschläge verfolgen gemeinsame Ziele: die
Vermeidung unerwünschter Verquickungen zwischen
Wirtschaft und Politik und die Sicherstellung, dass die
Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme entscheiden
und nicht Unternehmen und Lobbyisten mit dicken
Scheckbüchern. Union und FDP hätten hier ja einmal
darlegen können, warum sie das so engagiert blockieren.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Da hätten Sie zuhören müssen! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das haben wir gerade gemacht!)


Wir finden das falsch.

Die Linke ist übrigens – das wurde schon gesagt –
längst vorgeprescht und nimmt freiwillig und bewusst
keine Spenden von Unternehmen an.


(Beifall bei der LINKEN)


Das kann übrigens auch Spaß machen. Vertreter von
Grünen und CSU zelebrieren im Moment wechselseitig
ihre persönliche Abneigung. Das kann man machen,
muss man aber nicht machen. Wenn Sie es machen, dann
kann ich Ihnen etwas empfehlen, was richtig lustig ist,
um dem anderen eins mitzugeben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724107500

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724107600

Sie können einfach auf eine Plakatspende der Linken

zugreifen. Gehen Sie auf www.die-linke.de, geben Sie
dort die Adresse Ihres Lieblingsgegners ein, und lassen
Sie dann zum Beispiel Herrn Ramsauer oder Frau Roth
pünktlich vor der Bundestagswahl ein rotes Großflä-
chenplakat vor die Tür stellen. Was glauben Sie, wie die
sich freuen!

Schöne Pfingsten.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724107700

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724107800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde

es gut, dass wir diese Debatte führen, und möchte, Herr
Ruppert, Ihr Angebot, über das Sponsoring und die
Transparenz in diesem Bereich zu reden, gerne aufgrei-
fen. Unsere Fraktion hat keinen Antrag, sondern einen
Gesetzentwurf zur Parteienfinanzierung, das Transpa-
renzgesetz, eingebracht – er liegt beim Innenausschuss –,
in dem diese Dinge geregelt werden. Der Gesetzentwurf
enthält auch Punkte, von denen ich erfahren habe, dass
Sie sie nicht mittragen wollen.

Ich finde es grundsätzlich richtig, zu sagen, dass wir
eine Obergrenze für Spenden brauchen. Sie selber haben
es in Ihrer Partei gesehen: Wenn jemand Millionen spen-
det, dann bekommen die politischen Entscheider das
nicht mehr aus dem Kopf, selbst wenn es gar keine Un-
rechtsvereinbarung gegeben hat. Es nimmt auf eine be-
stimmte Art und Weise auf die Integrität parlamentari-
scher Entscheidungen der Parteien Einfluss und schadet
der Legitimität unseres gemeinsamen Handelns. Wir ha-
ben das im Zusammenhang mit der Mövenpick-Affäre
ausführlich diskutiert. Dieses Problem sollten wir durch
eine Spendenobergrenze angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Bei Ihnen sind es die Erneuerbaren!)


– Das gilt für alle. Aber diese sind von ihrer Spendentä-
tigkeit her für uns nicht so relevant.

Ich finde den Vorschlag der Linken richtig – wir
haben das ebenfalls in unserem Gesetzentwurf aufgegrif-
fen –, die Möglichkeit der Spende auf natürliche Perso-
nen zu beschränken; dann kann trotzdem jeder spenden.
Ich finde das vernünftig. Schließlich dürfen Unterneh-
men auch nicht an Wahlen teilnehmen, obwohl sie legi-
time Interessen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir wissen doch, dass inzwischen über juristische Perso-
nen Geldflüsse verschleiert werden: Es wird an Vereine
und an Berufsverbände gespendet, die dann an die Par-
teien weiterspenden. Am Ende ist der Rechenschaftsbe-





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


richt nicht mehr wirklich transparent; denn man weiß
nicht, wer hier eigentlich wem Geld gegeben hat. Mit ei-
ner solchen Regelung wäre klar: Jeder kann spenden.
Auch der Unternehmer kann aus seinem versteuerten
Einkommen an die Parteien spenden. Die ersten paar
Tausend Euro kann er von der Steuer absetzen, den Rest
eben nicht. Damit wäre allen Genüge getan.

Wenn die Spenden in ihrer Höhe gedeckelt sind, sor-
gen wir auch dafür, dass das Werben um Spenden für die
Parteien wichtig bleibt. Ich würde die Grenze nicht bei
25 000 Euro sehen; das wäre ein bisschen sehr niedrig.
Aber man kann darüber reden, wo der Höchstbetrag lie-
gen muss. Bei einem vernünftigen Betrag wäre jeden-
falls sichergestellt, dass eine Einzelspende nicht dazu
führt, dass sich die politische Willensbildung einer Partei
an ihren Spendeneinnahmen orientiert.


(Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär: 50 000 oder 100 000?)


– Ich wusste gar nicht, dass man von der Regierungs-
bank aus Zwischenrufe machen darf.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Nur, wenn es nötig ist!)


Wenn wir hier jetzt nicht weiterkommen – wir sind ja
am Ende der Wahlperiode –, wäre ich bereit, mit Ihnen
zunächst einmal eine Regelung auf Grundlage unseres
Gesetzentwurfs zu treffen, damit wir wenigstens bei der
Transparenz des Parteiensponsorings weiterkommen.
Gegenwärtig ist es so, dass der Bürger, die Öffentlichkeit
insgesamt und auch die politische Konkurrenz gar nichts
darüber erfährt, außer es gibt einen Skandal. Im allge-
meinen Geschäftsbetrieb der Parteien wird das als Ein-
nahme im Gesamtvolumen verbucht, ohne dass wir wis-
sen, woher das Geld kommt. Übrigens kann auch der
Bundestagspräsident, wenn er keinen Hinweis bekommt,
nicht feststellen, ob in einem Sponsoringvertrag Spen-
den versteckt sind. Stichwort „marktübliche Preise“:
Wenn 1 Million Euro für einen kleinen Infostand von
2 Quadratmetern auf einem Parteitag bezahlt wird, dann
ist das kein marktgerechter Preis.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Bei uns schon!)


Dennoch muss meines Erachtens das Buchen von
Ständen auf Parteitagen gegen Gebühr als Sponsoring
grundsätzlich zulässig sein. Deshalb halte ich Ihr Spon-
soringverbot auch nicht für sachgerecht. Parteien müs-
sen die Möglichkeit haben, zu sagen: Wir eröffnen ein
Forum. Wer dabei sein will, muss den Standpreis bezah-
len. – Der Preis muss sich aber an den üblichen Messe-
preisen orientieren und darf davon nicht exorbitant ab-
weichen; ansonsten wäre es eine verdeckte Spende.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das kann er nach geltendem Recht schon jetzt! – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Das gilt bereits!)


Das alles sehen wir gegenwärtig noch nicht. Das soll-
ten wir dringend regeln. Je mehr Transparenz wir ge-
meinsam erreichen, desto mehr wird das Ansehen von
Parlament und Parteiendemokratie gestärkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da es hier immer wieder Nachfragen gibt – manche zu
Recht, manche zu Unrecht –, sollten wir uns als politi-
sche Parteien darum bemühen, hier einen Schritt voran-
zukommen. Wir sollten nicht auf den nächsten Skandal
warten, sondern aus eigener Initiative handeln. Wir ha-
ben bis Ende Juni noch ein paar Wochen Zeit. Unser Ge-
setzentwurf liegt vor. Ich biete ihn als Träger für eine
solche Regelung an, Herr Ruppert. Wenn wir dazu ins
Gespräch kommen, würde ich mich freuen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724107900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Demokratie stärken,
Lobbyismus verhindern und Parteienfinanzierung trans-
parenter gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13530, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9063
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Haltung der Bundesregierung beim Verkauf
der TLG

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Heidrun Bluhm von der
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724108000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch
korrekt oder moralisch vertretbar. Dabei hat vor allem
der Bund eine entsprechende Vorbildwirkung. Im Zu-
sammenhang mit dem Verkauf der TLG Wohnen GmbH
und auch der TLG Gewerbe GmbH haben wir über
Kleine Anfragen Dinge herausgefunden, die hier öffent-
lich vorgetragen werden müssen.

Meine Kritik geht im Wesentlichen in drei Richtun-
gen. Der erste und für die Mieterinnen und Mieter si-
cherlich wichtigste Punkt ist: Die vielgerühmte Sozial-
charta, die mit der TAG Immobilien AG vereinbart
worden ist, ist keinen Pfifferling wert.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie schützt vor allem nicht vor Mieterhöhungen. Wir se-
hen schon jetzt an ganz konkreten Beispielen wie in
Dresden, dass eine Wohnung nach der Weitervermietung
25 Prozent teurer ist, obwohl sich an der Wohnung sel-





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)


ber nichts verändert hat. Genau das wollten wir verhin-
dern, als es um die Privatisierung ging; aber es ist nun so
eingetreten. Das muss sich die Regierung vorwerfen las-
sen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist der Skandal um die Grunder-
werbsteuer und die Verkaufserlöse. Der Bund hat offen-
bar ganz bewusst


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Auf Steuereinnahmen verzichtet! Ganz bewusst!)


– so jedenfalls muss man das aus den Antworten der
Bundesregierung auf unsere Anfragen herauslesen – bei
beiden Verkäufen Share Deals gewählt, um möglichst
viel Geld zum Löcherstopfen für den Haushalt herauszu-
schlagen, und zwar auf Kosten der ostdeutschen Bundes-
länder, die um insgesamt 80 Millionen Euro Grunder-
werbsteuer gebracht worden sind.


(Zuruf von der LINKEN: Skandal!)


Die ostdeutschen Bundesländer werden also ein zwei-
tes Mal über den Tisch gezogen. Denn nachdem sich die
Bundesrepublik zum ersten Mal die Immobilien einver-
leibt hat, ohne selber einen roten Heller dafür zu zahlen,
wird sie jetzt ein zweites Mal ein Geschäft damit ma-
chen, indem sie diese Verkaufsform gewählt, sich selbst
die Kassen gefüllt und die Bundesländer, die diese Woh-
nungen als öffentliche Wohnungen verloren haben, um
80 Millionen Euro geprellt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist ja unglaublich! Das war Land, das die SED enteignet hat!)


Ob die Bundesregierung damit durchkommt, wird sich
noch zeigen.

Der andere Teil dieses Skandals ist der Verkaufserlös.
Die Bundesregierung hat die gewählte Art des Verkaufs
auch damit begründet, dass man bei einem Unterneh-
mensverkauf mehr erzielen könne als bei einer Immobi-
lienveräußerung im Einzelnen. Was aber hat sie zuwege
gebracht? Ein bewusstes Verschleudern von öffentli-
chem Eigentum weit unterhalb des Verkehrswertes. Die
Bundesregierung hat den Verkehrswert bei der TLG Un-
ternehmen mit insgesamt 1,858 Milliarden Euro angege-
ben, bevor der Verkaufsvorgang in Angriff genommen
wurde. Offenbar hat sie dabei mit dem Zwölffachen der
jeweiligen Jahresmiete gerechnet. Verscherbelt hat sie
das ganze Paket aber für 1,571 Milliarden Euro, also
287 Millionen Euro unter dem Verkehrswert. Es waren
aber keine Schrottimmobilien, die verkauft worden sind,
sondern Wohn- und Gewerbeimmobilien zum großen
Teil in besten Lagen, in gutem Zustand, mit einem hohen
Vermietungsstand und vor allem durchsaniert. Es be-
stand also angesichts der Nachfragesituation auf dem
deutschen Immobilienmarkt überhaupt keine Notwen-
digkeit, private Investoren auf diese Weise zu beschen-
ken.

Da die Bundesregierung sich in dem ganzen Verfah-
ren und in ihren Antworten auf unsere Kleinen Anfragen
so gern auf das europäische Beihilferecht beruft, ist jetzt
nicht nur zu fragen, ob dieser Verkauf nach der Bundes-
haushaltsordnung zulässig war, sondern auch, ob ein
Verstoß gegen das europäische Beihilferecht vorliegt.
Das verbietet nämlich den Verkauf öffentlichen Eigen-
tums unterhalb des Verkehrswertes.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr richtig!)


Auch in der Bundeshaushaltsordnung heißt es in § 63
Abs. 3 Satz 1, dass Beteiligungen des Bundes nur zu ih-
rem vollen Verkehrswert veräußert werden dürfen.

Der dritte Punkt – das ist der Punkt, den wir haupt-
sächlich ankreiden – ist die offensichtliche Kungelei
zwischen dem Finanzministerium, der Barclays Bank
und der TAG. Die Bundesregierung heuerte die Barclays
Capital Bank als Transaktionsberaterin für die Privatisie-
rung der TLG-Unternehmen an und honorierte sie dafür.
Barclays versicherte dafür hoch und heilig, dass sie aus-
schließlich für die Verkäuferseite handele und für nie-
manden sonst. Das tat sie aber nicht. Die Barclays Bank
verschaffte der TAG innerhalb des Bieterverfahrens die
finanziellen Mittel, damit sie sich überhaupt beteiligen
konnte. Eine Bank tut so etwas nicht umsonst, sondern
lässt sich dafür ebenfalls honorieren. Aus einer Antwort
der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage geht
Folgendes hervor:

Nur durch eine Beteiligung der Barclays Bank PLC
an dem Bankenkonsortium war es den Erwerberge-
sellschaften aus dem Konzern der TAG Immobilien
möglich, sich … gegenüber dem Bund zur Zahlung
des Kaufpreises zu verpflichten.

Mit anderen Worten: Ohne diese Beteiligung der Bar-
clays Bank hätte die TAG keine Transaktionssicherheit
nachweisen können und hätte am Bieterverfahren nicht
weiter teilnehmen dürfen. Die Bundesregierung hat von
diesem doppelten Spiel nicht nur gewusst. Sie hat es
auch aktiv befördert.

Zur Krönung des Ganzen will uns die Bundesregie-
rung auch noch weismachen, dass dieses Geschäftsgeba-
ren keine Verletzung der Prinzipien eines strukturierten
Bieterverfahrens bedeutete, weil zwischen den Teams
innerhalb der Barclays Bank eine sogenannte Chinese
Wall bestanden habe. Für wie dumm wollen Sie uns ei-
gentlich verkaufen? Chinesische Mauern waren viel-
leicht beeindruckend, als die Menschen noch mit Pfeil
und Bogen aufeinander losgegangen sind und die Kom-
munikation über Brieftauben und Rauchzeichen verlief.
Aber heute? Kennen Sie eine Bank, die bei einem drei-
stelligen Millionenengagement nicht ganz genau wissen
will, welche Farbe die Blümchen auf den Socken des Er-
werbers haben?

Dieser Verkaufsvorgang der TLG Immobilien mag
vielleicht rechtlich möglich gewesen sein. Aber ganz si-
cher war er politisch nicht zu verantworten und gegen-
über den mit verkauften Mieterinnen und Mietern mora-
lisch nicht vertretbar.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724108100

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724108200

Mein letzter Satz. – Jeder Privatperson hätten Sie die

Steuerfahndung auf den Hals gehetzt, wenn diese Glei-
ches getan hätte.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724108300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Norbert Brackmann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Norbert Brackmann (CDU):
Rede ID: ID1724108400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde mit dem Vorwurf
irgendeiner Kungelei einzuleiten, finde ich sehr vermes-
sen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei der Wahrheit muss man bleiben!)


– Ja, bei der Wahrheit muss man bleiben. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Linken, 28 Mitglieder Ihrer
Fraktion haben die FAIRWOHNEN gegründet und woll-
ten sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – unter
anderem haben sie behauptet, sie hätten ein Finanzie-
rungsmodell – am Verfahren zum Erwerb der TLG Immo-
bilien beteiligen. Sie sind nicht zum Zuge gekommen,
weil sich herausgestellt hat, dass die Finanzierung nicht
sichergestellt ist. Sie haben uns im Haushaltsausschuss
jedes Mal über den aktuellen Stand ausfragen wollen, ob-
wohl sie selbst einer der Bewerber waren. Wenn das nicht
moralisch anrüchig ist, dann weiß ich nicht, was Sie mit
Kungelei meinen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


So geht es weiter. Sie haben die heutige Aktuelle
Stunde beantragt. Ich weiß nicht, was für Sie aktuell ist.
Ist es für Sie noch aktuell, wenn es sich um einen Vor-
gang aus diesem Jahr handelt? Sie weisen jedenfalls auf
eine große Mieterhöhung hin. Ich habe noch gestern bei
TAG Immobilien nachgefragt, ob es einen solchen Fall
gibt. Unter den rund 11 500 Mietverträgen gibt es keinen
einzigen Fall einer derartigen Mieterhöhung.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


– Es gibt keinen einzigen Fall. – Sie spielen offenbar
– deswegen übe ich Kritik an dieser Aktuellen Stunde –
auf einen Fall vom 5. März in Report an. Damals ging es
darum, dass einem Neumieter ein Vertrag angeboten
wurde, der eine Miete vorsah, die um 20 Prozent höher
war als die nach dem alten Vertrag.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist schon nach dem Wucherparagrafen im Mietrecht verboten!)


Das mögen Sie und andere beklagen, aber das ist ein
ganz anderer Fall. Es handelt sich nicht um einen Fall
von Mieterhöhung, in dem der Mieterschutz mit Füßen
getreten wurde, wie Sie das suggerieren. Das Gegenteil
ist der Fall.

Sie werden kaum einen anderen Verkaufsvertrag fin-
den, der eine so komfortable Sozialcharta beinhaltet wie
der hier infrage stehende.


(Zuruf von der LINKEN)


– Was heißt „nichts wert“? – Es gibt bislang – auch das
habe ich gestern erfragt – keine einzige Klage eines Mie-
ters, die dem Ombudsmann vorgetragen wurde. Wir als
Verkäufer finanzieren eine Ombudsstelle, die durchaus
in der Lage ist, den Mietern zu helfen, wenn diese es
selbst nicht können. Ich frage Sie: Wo sonst gibt es eine
solch soziale Verkaufspolitik, bei der man diesen Mieter-
schutz auch noch nachträglich über mehrere Jahre anbie-
tet? Dafür gibt es kein zweites Beispiel, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren. Eine Bundespolitik, die
darauf gerichtet ist, den Mietern einen guten Mieter-
schutz zu geben, sich selbst von Aufgaben zu trennen,
die man nicht mehr braucht, im Nachhinein so sehr in
Misskredit zu ziehen, das ist durch nichts zu rechtferti-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Last, but not least finde ich es auch etwas vermessen,
davon zu sprechen, hier seien die neuen Länder bei der
Grunderwerbsteuerklausel über den Tisch gezogen wor-
den. Es sind bei der Vorbereitung 20 Millionen Euro an
Grundsteuer fällig geworden. Weil Sie, Frau Kollegin
Bluhm, darauf verweisen, dass wir hier europäisches
Wettbewerbsrecht zu beachten haben, muss Ihnen ei-
gentlich auch klar sein, dass der Bund als Verkäufer auf
die unternehmensrechtliche Gestaltung der Käufer – hier
hat der Käufer die geltenden Rechtsvorschriften, wie sie
nun einmal sind, in der Weise ausgenutzt – überhaupt
keinen Einfluss nehmen darf. Man kann die Vorschriften
beklagen, aber man kann nicht beklagen, dass ein Käufer
das so gestaltet. Jedenfalls wir als Verkäufer hatten
rechtlich überhaupt keine Chance, auf den Käufer einzu-
wirken,


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr! – Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das stimmt auch nicht!)


mit ihm zu kungeln – um Ihr Wort aufzugreifen –, um
das in der Form zu gestalten, wie Sie das hier heute an-
sprechen. Das geht schon ein Stück in die falsche Rich-
tung.

Mit solch falschen Vorwürfen den Bund zu behelli-
gen, ist nicht nur unmoralisch; es dient auch den Mietern
nicht. Das hier ist offenkundig die Fortsetzung dessen,
womit Sie diese Diskussion begonnen haben. Es ist der
Versuch, als Linke einmal jemanden zu finden, der die
eigene Politik unterstützt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724108500

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1724108600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Kollege Brackmann, es geht hier nicht
darum, die Position der Linken oder die Politik der Lin-
ken im Allgemeinen zu unterstützen. Wir befassen uns
mit einem gravierenden Vorgang. Ich finde, wir befassen
uns hier heute mit einem Skandal. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir führen in diesem Hause seit einem halben Jahr
eine Diskussion zum beabsichtigten und jetzt vollzoge-
nen Verkauf der TLG-Wohnungen. TLG Wohnen und
TLG Immobilien, zwei Firmen, die abgespalten worden
sind, beschäftigen uns seit über einem halben Jahr. Die
Position der Sozialdemokratie war immer, beim Verkauf
des Wohnungsbestandes auch lenkende Elemente, struk-
turpolitische Elemente mit ins Spiel zu bringen,


(Iris Gleicke [SPD]: So ist es!)


nämlich zu überlegen: Was können wir in einer Situation
tun, in der der Wohnungsmarkt in vielen Regionen ange-
spannt ist? Suchen Sie in Berlin mal eine Wohnung! Ge-
hen Sie mal am Wochenende los! Dann sehen Sie, wie
viele Leute da jeweils stehen. Das ist in Hamburg, in
Stuttgart, in München und auch in anderen Städten so.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: SPD-regiert!)


In einer solchen Situation die begrenzten Chancen einer
Steuerung nicht zu nutzen, das ist wohnungspolitisch
nicht zu verantworten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wissen, dass Mieten und Nebenkosten steigen. Hier
hätte ein Akzent gesetzt werden können, auch wenn es
sich nur um 11 500 Wohnungen handelt.

Die SPD hat aus gutem Grund gesagt: Wir wollen die-
sen Verkauf am Wohnungsmarkt nicht. Wir wollen, dass
den Kommunen, den kommunalen Wohnungsgesell-
schaften und den Wohnungsgenossenschaften Angebote
gemacht werden. Im vorigen Jahr war das Jahr der Ge-
nossenschaften. Ihre Bundeskanzlerin war beim Genos-
senschaftstag und hat die Bedeutung der Genossenschaf-
ten in Deutschland über den grünen Klee gelobt. Als ich
das gelesen habe, habe ich mich gefragt: Warum setzt sie
das eigentlich nicht beim Verkauf der TLG-Wohnungen
um? Da hätten wir einen schönen Akzent setzen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu dem gravierenden Fehler, dass die Steuerungs-
möglichkeit durch den Verkauf an kommunale Unter-
nehmen und Genossenschaften aufgegeben worden ist,

kommt jetzt das Problem hinzu, dass Grunderwerbsteuer
verloren gegangen ist. Das bringt die Diskussion heute
auf den Punkt.


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Wer hat denn das im Bundesrat blockiert?)


– Im Bundesrat, Herr Staatssekretär, war in Verbindung
mit dem Jahressteuergesetz eine von mehreren Forde-
rungen, dass genau dieses Steuerschlupfloch geschlossen
wird. Jetzt kommt der Bundesrat zum dritten Mal mit ei-
nem Gesetzgebungsverfahren, bei dem es wieder gefor-
dert wird. Wer hat das in diesem Haus blockiert? Das
waren die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten
Seite des Hauses.


(Beifall bei der SPD – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)


Wir hätten den Kompromiss des Vermittlungsausschus-
ses beschließen können. Dann wäre das Steuerschlupf-
loch geschlossen. Es wäre allerdings für den Verkauf im
vorigen Jahr zu spät gewesen. Das muss ich dazusagen.
Wir hätten den Verkauf aber anders abwickeln können.

Deswegen sage ich an dieser Stelle: Sowohl struk-
turpolitisch als auch steuerrechtlich ist es ein schwerer
Fehler, Herr Staatssekretär. Das müssen Sie sich ins
Stammbuch schreiben lassen. Ins Stammbuch schreiben
lassen muss sich das auch das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Herr Bundesminis-
ter Dr. Ramsauer ist heute nicht anwesend. Herr
Ferlemann, Sie müssen immer das ausbaden, was Ihr
Minister öffentlich verkündet und nicht einhält. Sie müs-
sen immer Ihren Kopf hinhalten. Ich erinnere daran, dass
der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Dr. Ramsauer, Chef einer Taskforce ist, die BImA-
Liegenschaften vermarkten soll.


(Iris Gleicke [SPD]: Das nennt man den Bock zum Gärtner machen!)


Ich erinnere daran, dass Herr Dr. Ramsauer am Sonn-
tagabend in seinem Wahlkreis anscheinend immer An-
wandlungen bekommt, was man in Berlin machen
könnte. Von Dr. Ramsauer ist die Errichtung eines Kon-
versionsfonds vorgeschlagen worden. Das war sicherlich
keine schlechte Idee. Hier hätte man strukturpolitisch et-
was machen können, man hätte nicht generell Bundes-
vermögen verschenken müssen, aber mit Einnahmen aus
dem Konversionsprogramm gestalten können. Der
Minister hat vorgeschlagen, aus Bundeswehrkasernen
Studentenwohnungen zu machen. Was ist aus dem Kon-
versionsfonds geworden? Ich habe die Bundesregierung
dazu befragt. Die Bundesregierung hat gesagt: Das wird
nicht verfolgt. Von Studentenwohnungen in Bundes-
wehrkasernen tief im Walde – im Odenwald oder der Lü-
neburger Heide – ist mir bisher noch nichts bekannt ge-
worden.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht einmal in der Großstadt!)


Deswegen frage ich: Wozu haben wir einen Bundes-
minister Ramsauer, der hierfür zuständig ist, wenn er
sich dieser Thematik hier nicht stellt und keine konkre-
ten Vorschläge vorlegt und diese dann umsetzt? In einer





Hans-Joachim Hacker


(A) (C)



(D)(B)


Zeit, in der wir über Steuersünder-CDs, über Fälle von
bekannten Managern in Fußballklubs sprechen, sage ich
auch, dass es eine schreiende Ungleichbehandlung zwi-
schen großen Konzernen, die gewinnorientiert arbeiten,
und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und -ge-
nossenschaften gibt. Es ist noch viel mehr eine Un-
gleichbehandlung gegenüber dem kleinen Häuslebauer,
der in den Ländern natürlich fleißig seine 4 oder 5 oder
5,5 Prozent Grunderwerbsteuer bezahlen muss und sich
in kein Schlupfloch zurückziehen kann.

Jetzt geht es darum – ich will die Forderungen zusam-
menfassen –, dieses Steuerschlupfloch zu schließen. Das
liegt auch in der Verantwortung dieses Hauses. Nutzen
Sie die Chance, den Schaden, den Sie für die Länder an-
gerichtet haben, bei den Beratungen über die gesetzliche
Regelung zu den Ausgleichsmaßnahmen für den Woh-
nungsbau in den neuen Ländern einzustellen. Machen
Sie endlich eine Politik, die zu mehr Wohnungsbau
führt. Setzen Sie endlich eine Politik fort, die Steuerhin-
terziehung, die Steuerschlupflöcher ausschließt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724108700

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1724108800

Das ist meine Botschaft aus dieser Diskussion.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724108900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick

Kurth das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1724109000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ak-

tuelle Stunde bietet sich an, noch einmal darzustellen,
wer in diesem Land „Privat vor Staat“ repräsentiert und
wer es anders sieht. Linke und Privatisierung – Teufel
und Weihwasser. Jetzt muss auch die TLG dafür herhal-
ten, die weltanschauliche Lehre darzustellen. Sie arbei-
ten sich seit Monaten mit Kleinen Anfragen und Anträ-
gen ab. Wenn es aber konkret wird, wenn Sie wirklich
entscheiden könnten, dann tun Sie nichts. Sie glänzen
durch Abwesenheit.

Das Bundesfinanzierungsgremium tagte am 26. April.
Ein Punkt auf der Tagesordnung war die Privatisierung
der TLG. Abwesend: Die Linke. Kein ordentliches Mit-
glied, kein stellvertretendes Mitglied. Schönes Wahl-
kampffeuerwerk mit zum Teil aberwitzigen Vorwürfen,
das Sie hier abfackeln.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht doch nicht um die Linke! Es geht um den TLG-Verkauf!)


– Herr Hacker, ich habe Sie gerade angesprochen. Gut,
dass Sie hereinrufen, dann können wir das diskutieren.
Gerade Sie haben eben behauptet – damit komme ich zu

meinem ersten Punkt –, dass der Wohnungsmangel und
die starke Wohnungsnachfrage, zum Beispiel in Berlin,
begrenzt werden könnten, indem man staatlichen Woh-
nungsbau oder staatliches Wohneigentum forciert. Ge-
rade hier in Berlin – das wissen Sie – sind es doch die
staatlich Verantwortlichen, die Nachbau, Umbau, Aus-
bau und Neubau verhindern, die bremsen und dadurch
diesen Mangel herbeiführen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch billig! Das ist zu billig!)


Wenn Sie dann auch noch im Zusammenhang mit
dem Thema, über das wir hier reden, von Stuttgart, Mün-
chen und Hamburg sprechen, dann finde ich das ein
Stück weit putzig. Ich sage Ihnen: Neben den genannten
Großstädten gibt es eine ganze Menge kleinerer Regio-
nen, Orte und Städte, die ebenfalls betroffen sind,


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Allerdings!)


in denen es diesen Mangel nicht gibt. Wem sage ich das?
Meine ostdeutschen Kollegen kennen den Sachverhalt.
Denn gerade bei uns bestehen diese Probleme doch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das stimmt nicht! Gucken Sie doch mal nach Dresden!)


Zweiter Punkt. Die entgangene Grunderwerbsteuer
kann man durchaus kritisch betrachten; das ist richtig. Es
ist doch aber ein rot-grünes Gesetz gewesen, in das diese
Klausel hineingeschrieben wurde. Dieses Gesetz wurde
im Jahr 2001 verabschiedet. Wir haben jetzt eine Bun-
desregierung, die dieses Land seit vier Jahren gut regiert.
Diese Bundesregierung will diese Rechtslage im Jahres-
steuergesetz 2013 ändern. An wem scheitert es aber? An
Rot-Grün im Bundesrat. So funktioniert es nun auch
nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch Unsinn! Lesen Sie doch die Protokolle durch!)


– Werfen Sie uns nicht den Unsinn vor, den Sie selber
verzapfen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Lesen Sie die Protokolle!)


Dritter Punkt. Sie fordern gewissermaßen, den Ge-
winner des Bieterverfahrens vorher auszusuchen. Das ist
in einem Bieterverfahren schwierig. Wie soll man es in
rechtsstaatlicher und vertraglicher Hinsicht machen, sich
vorher vorzustellen, wer denn der Gewinner sein kann?
Bitte werfen Sie der Bundesregierung, die vier Jahre gut
regiert hat, nicht vor, dass sie sich an Recht und Gesetz
hält. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, ein Land zu
regieren.

Vierter Punkt. Es heißt, die Bundesregierung hätte
Volksvermögen unter Wert verschleudert. Erst einmal
muss man fragen: Was ist denn ein Verkehrswert? Selbst
die, die diesen Verkehrswert ermitteln, sind manchmal
sehr unterschiedlicher Auffassung. Meistens gibt es eben
keinen festen Marktpreis.





Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)



(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Den haben Sie aber angegeben!)


– Ich will es ja nur sagen. – Den Endverbrauchspreis hat-
ten wir lange. Er hat sich aber eben nicht bewährt. Die
Bundesregierung versucht, darauf zu verzichten. Sie darf
einen staatlich festgelegten Verkaufspreis in einem Bie-
terwettbewerb auch gar nicht in irgendeiner Weise einfü-
gen. Wie soll das funktionieren? Es ist quasi unmöglich,
im Bieterwettbewerb einen Preis festzulegen.

Folgendes muss gesagt werden: Der Preis, der erzielt
wurde, ist nicht niedrig. Es handelt sich nicht um eine
kleine Summe. Es wurde ein ordentlicher Preis gezahlt.
Ich weiß nicht, was Sie persönlich in Ihrer Preisbewer-
tung vorgesehen oder was Sie sich erhofft haben. Ich
kann nur sagen: Der Preis ist in Ordnung.

Fünfter Punkt. Sie sagen, die Mieter seien Opfer. Sie
schüren Ängste und sprechen zum Teil von Heuschre-
cken und Ähnlichem. Die Bundesregierung hat vier
Jahre lang Verantwortung getragen. Das hat sie gut ge-
macht.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nicht zu viel Selbstlob! Es geht um die TLG-Wohnungen!)


In die Verkaufsverträge wurde die sogenannte Sozial-
charta aufgenommen, auch mit Blick auf die Mieterhö-
hungen. Es wurde außerdem eine vom Bund finanzierte
Ombudstelle eingerichtet. Wie viele Mieter haben denn
jetzt Verstöße gemeldet? Wissen Sie das? – Keiner.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht doch nur um den Verkauf und die Steuerproblematik!)


Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein weiterer guter
Grund, warum diese Bundesregierung dieses Land of-
fensichtlich vier Jahre sehr gut regiert hat.

Unterm Strich: Die Vorwürfe sind haltlos. Die Erfah-
rung zeigt – das sehen Sie an Dresden; Dresden ist durch
eben einen solchen Verkauf schuldenfrei geworden –: Es
funktioniert.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist ja das verkehrte Beispiel! Gerade Dresden!)


Manchmal ist Privat vor Staat besser. Dieser Teil des
Hauses, die Bundesregierung und die Koalition, wird es
weitere vier Jahre für Deutschland gut machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Gerade Dresden ist der Skandal, Herr Kurth, gerade Dresden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724109100

Für das Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die

Kollegin Daniela Wagner.


Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724109200

Herr Kurth, ob Dresden hier ein leuchtendes Beispiel

ist, sei dahingestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befas-
sen uns schon seit Monaten mit dem Vorgang der Pri-
vatisierung der bundeseigenen TLG Wohnen GmbH.
Obwohl wir im Parlament versucht haben, den Verkaufs-
prozess so intensiv wie möglich zu begleiten, kommen
immer wieder neue Informationen ans Licht. Sie haben
uns Parlamentarier nicht ausreichend informiert und tun
das bis heute nicht wirklich. Die Fraktion Die Linke und
wir haben mittlerweile jeweils zwei Kleine Anfragen ge-
stellt, die SPD eine, und aus den Antworten ergeben sich
immer wieder nur neue Fragen. Das ist eine Salami-
taktik, und dieses Verhalten ist nicht nur in Bezug auf die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages äußerst be-
denklich, sondern auch und gerade in Bezug auf die
Mieterinnen und Mieter der Wohnungen aus dem bun-
deseigenen Bestand der TLG Wohnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie wissen nämlich eigentlich gar nicht mehr, welche
Firma eigentlich ihr Vermieter ist und wer oder was sich
eigentlich hinter all diesen verschachtelten Konstrukten
verbirgt: Wem gegenüber können sie ihre Rechte einkla-
gen und die Regelung der Sozialcharta gegebenenfalls
geltend machen? Wer genau ist eigentlich bei einem der-
art verschachtelten Konstrukt der Ansprechpartner, der
den Mietern gegenüber Rechenschaft schuldig ist?

Auch Sie scheinen den Überblick längst verloren zu
haben. Immerhin geben Sie zu, dass Ihnen nicht bewusst
war, dass die Barclays Capital Bank zumindest zeitweise
9,3 Prozent der Stimmanteile an der TAG Immobilien
AG gehalten hat. Was wussten Sie denn bei dem Vor-
gang noch alles nicht?

Zudem verfolgen Sie eine Doppelstrategie: Zum ei-
nen sah der Entwurf des Jahressteuergesetzes noch 2012
vor, die sogenannten Share Deals und die entsprechen-
den Regelungen abzuschaffen. Auf der anderen Seite
entschieden Sie sich für einen Anbieter, der die RETT-
Blocker-Struktur, also eine Strategie zur Vermeidung der
Zahlung der Grunderwerbsteuer, gewählt hat. Damit
sind den Ländern Grunderwerbsteuern in Millionenhöhe
entgangen; hier ist von 20 Millionen Euro oder von
80 Millionen Euro die Rede. Sie wollen uns gar nicht so
genaue Angaben machen. Angesichts der Schulden-
bremse und der absolut notwendigen Haushaltskonsoli-
dierung können wir uns diese Strategie keineswegs leis-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Geht man davon aus, dass der Staat bei einer Privati-
sierung wie ein privater Unternehmensveräußerer han-
delt, dann muss er das höchste Gebot wählen. Aber der
Staat ist eben nicht ein gewinnmaximierender Akteur,
sondern übernimmt in seinem Regierungshandeln Ver-
antwortung, vor allem für die Folgen seines Handelns.
Das muss er umso mehr tun, wenn es sich bei der
„Ware“ um vermietete Wohnungen handelt. Damit Mie-
terinnen und Mieter nicht verunsichert werden, muss





Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)


größtmögliche Transparenz gewährleistet sein. Doch
was hier bleibt, ist ein ziemlich fader Beigeschmack, ins-
besondere was die Rolle der Barclays Bank betrifft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Barclays Bank sollte für die TAG Immobilien AG
30 Millionen Aktien verkaufen, damit genügend Kapital
für den Kauf der bundeseigenen TLG Wohnen GmbH
zur Verfügung steht. Wenn das nicht ausreichte, ermög-
lichte die Barclays Bank der TAG eine Brückenfinanzie-
rung über einen Kredit in Höhe von 200 Millionen Euro.
Zwischenzeitlich übernahm sie sogar 9,3 Prozent der
Stimmanteile der TAG. Auch auf der Verkäuferseite
spielt die Barclays Bank mit: Sie wird zum Transak-
tionsberater für das Bundesfinanzministerium.

Sogenannte Chinese Walls sollten den Informations-
austausch verhindern. Dass das keineswegs funktioniert,
wissen Sie so gut wie ich. Es stellt sich also die Frage:
Wer kontrolliert das überhaupt? Vor allem im Hinblick
auf den Prozess der Erstellung der Sozialcharta ist frag-
lich, welche Rolle die Barclays Bank da gespielt hat. Hat
sie tatsächlich nur als Transaktionsberater fungiert? Wa-
rum konnte sie als Dritte an der Erstellung der Sozial-
charta beteiligt sein, nicht aber der Mieterbund? Die
Barclays Bank war in ihrer Rolle als Käufer und Trans-
aktionsberater beteiligt, aber andere Berater, zum Bei-
spiel der Mieterbund, nicht. – All das sind Fragen, die
völlig ungeklärt sind. Das ist nicht hinzunehmen.

In Ihrer Antwort auf die Frage 21 unserer Kleinen
Anfrage schreiben Sie:

Stattdessen ist die letztendlich vereinbarte „Sozial-
charta“ das Ergebnis von bilateralen Verhandlungen
mit dem Erwerber (und den anderen Bietern).

In einer vorhergehenden Antwort schreiben Sie aber,
dass die Barclays Bank auch als Transaktionsberater be-
teiligt war. Das, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, kann so nicht sein.

Angesichts dieser Konstruktion wird mir immer kla-
rer – ich verstehe es immer besser –, weswegen die Bun-
desregierung nie ein ernsthaftes Interesse daran gehabt
hat, die Wohnungen direkt an kleine kommunale Woh-
nungsunternehmen oder an Genossenschaften zu verkau-
fen, obwohl dies wohnungspolitisch in dieser Situation
das einzig Vernünftige gewesen wäre:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)


Die Barclays Bank war für Sie der perfekte Dienstleister,
sowohl für die Käufer- als auch für die Verkäuferseite.
Die Frage bleibt nur – sie wird auch heute wieder nicht
beantwortet werden –: Ist das tatsächlich auch die per-
fekte Situation für die Mieterinnen und Mieter? – Ich
kann ihnen heute schon sagen: Das wird sie nicht sein.
Wir werden feststellen, dass sich dort genau die Prozesse
abspielen werden, die sich bei Privatisierungen anderer
Art, übrigens auch in Dresden, abgespielt haben, als zum
Schluss die Einhaltung der Sozialcharta auf dem Rechts-

weg erstritten werden musste. Das kann es ja wohl nicht
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Es ist manchmal im Rechtsstaat so, dass das gerichtlich gemacht wird! Das ist nichts Schlimmes!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724109300

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parla-

mentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1724109400


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Wagner, Herr Hacker, ich möchte zu Beginn die Frage
stellen, ob wir einen Vorgang wie diesen tatsächlich auf
der Basis sachfremder Mutmaßungen und irreführender
Vorwürfe diskutieren wollen.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ja! Mal eine Antwort! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Steuerverlust! Ihre Klarstellung!)


Diese Diskussion dient aus meiner Sicht nicht der Sache.
Ich weiß auch nicht, welches Anliegen Sie – bei der Lin-
ken ist es mir eher klar – damit verfolgen.

Vielleicht hilft es dem Verständnis, wenn ich noch
einmal in Erinnerung rufe, dass die TLG Immobilien sei-
nerseits aus der Treuhandgesellschaft hervorgegangen ist
und damit die Aufgabe hatte, die gewerblichen Liegen-
schaften und Wohnobjekte bzw. ihre Beteiligungsunter-
nehmen aus dem ehemaligen Volksvermögen der DDR
nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu ver-
werten, zu verwalten und zu entwickeln.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist unstrittig!)


Diese Aufgabe – hier scheint möglicherweise ein Miss-
verständnis vorzuliegen – ist seit dem Jahr 2000 im We-
sentlichen abgeschlossen.

Seit diesem Jahr ist die TLG Immobilien GmbH in
Ostdeutschland auf der Basis geltenden Rechts ein ge-
winnorientiertes Immobilienunternehmen. Es hat sich im
Markt entwickelt, übrigens mit jährlichen Gewinnmar-
gen im zweistelligen Bereich und einem ansehnlichen
Bestand sowohl an Gewerbeimmobilien als auch an ver-
walteten Wohneinheiten. Daraus hat sich ein attraktives
Portfolio gebildet.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Aber warum verkaufen Sie es? – Sören Bartol [SPD]: Warum verkaufen Sie es, wenn es so erfolgreich ist, Herr Bergner?)


– Das Betreiben eines Immobilienunternehmens ist nicht
die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland.


(Sören Bartol [SPD]: Doch!)






Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner


(A) (C)



(D)(B)


Die Bundeshaushaltsordnung – ich verweise auf § 63 der
Bundeshaushaltsordnung – verpflichtet die Bundesregie-
rung seit 2000 zur Privatisierung dieses Unternehmens.

Ich war mir in meiner Funktion als Beauftragter für
die neuen Länder immer bewusst, dass das eine sehr sen-
sible Entscheidung ist, gerade auch, weil es vorher eine
Phase gab, in der es einen klaren Entwicklungsauftrag
gegeben hat. Ich habe mich deshalb mehrmals darum ge-
kümmert, zu erfahren, wie es mit den Entscheidungen
steht. Insbesondere mit dem Finanzministerium habe ich
intensiven Kontakt gesucht.

Weil das so gewesen ist und weil ich mich als Beauf-
tragter für die neuen Länder wiederholt damit auseinan-
dergesetzt habe, möchte ich heute ausdrücklich aus mei-
ner Funktion heraus den beteiligten Häusern attestieren,
dass sie die Privatisierungsentscheidungen verantwor-
tungsbewusst im Rahmen des geltenden Rechts vorge-
nommen haben und dadurch die Interessen der Mieterin-
nen und Mieter im Blick gehabt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Meine Güte! Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie sind doch nicht der Bundesrechnungshof!)


– Sie mögen ein politisches Interesse haben, die Dinge
ganz anders darzustellen,


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Herr Bergner, Sie sind nicht der Bundesrechnungshof!)


aber lassen Sie mir bitte, als demjenigen, der versucht
hat, die Interessenlage der Betroffenen im Blick zu be-
halten, die Möglichkeit, mein Ergebnis der bisherigen
Überprüfung hier öffentlich mitzuteilen.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist die Geschichte mit der einen und der anderen Krähe! – HansJoachim Hacker [SPD]: Gehen Sie auf das Steueraufkommen ein!)


Meine Damen und Herren, dafür sprechen nun Ent-
scheidungen wie die Entscheidung der Sozialcharta für
den Mieterschutz. Ich muss wahrscheinlich, da Sie die
Dinge alle aus dem Fachausschuss kennen, hier nicht
noch einmal die einzelnen Punkte zitieren; aber viel-
leicht ist es ja auch für andere Zuhörer wichtig. Dies sind
der Schutz vor Kündigung wegen Eigenbedarfs und we-
gen einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung für
die Dauer von fünf Jahren, der Schutz vor Mieterhöhung
wegen Luxussanierung für die Dauer von zehn Jahren
sowie der Schutz vor Kündigung für ältere Bestandsmie-
ter. Den Mietern und deren Angehörigen wird im Falle
des Verkaufs einzelner Wohnungen ein weitreichendes
Vorkaufsrecht eingeräumt.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Wovon denn?)


Bereits erwähnt wurde die vom Verkäufer finanzierte
Einrichtung eines Ombudsmanns, bei dem bis heute –
dieser Umstand müsste Ihnen doch zu denken geben –


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht doch um die Steuerproblematik!)


nicht eine einzige Klage aus der Mieterperspektive ein-
gegangen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das kommt ja alles noch!)


Ich rede jetzt im Moment noch gar nicht von den Zuge-
ständnissen an die TLG-Beschäftigten, die in diesem Zu-
sammenhang ebenfalls gemacht wurden.

Was nun den Kaufpreis betrifft, so kann ich an dieser
Stelle nur mit einer gewissen Verwunderung feststellen,
dass Sie auf der einen Seite Anlass dafür sehen, zu sa-
gen, hier sei Volksvermögen an irgendeinen Investor
verschleudert worden, aber auf der anderen Seite doch
die große Sorge haben, die öffentliche Hand habe hier-
mit im Grunde genommen unter dem Gesichtspunkt der
Gewinnmaximierung etwas aus der Hand gegeben, für
das sie eigentlich eine soziale Vorsorge hätte treffen sol-
len. Beides passt nicht zusammen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie haben den Ländern Steuern entzogen, ganz einfach!)


– Auf die Steuerrechtsfrage muss ich jetzt nach dem,
was gesagt wurde, wahrscheinlich überhaupt nicht mehr
eingehen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Herr Bergner, das ist der Kern der Sache!)


Im Interesse der Menschen in den neuen Bundeslän-
dern kann ich Sie nur auffordern, an diesem Punkte nicht
mit Unterstellungen und mit diffamierenden Mutmaßun-
gen zu arbeiten. Wir haben allen Grund, dies als eine
verantwortbare Entscheidung darzustellen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Was ist mit der Steuerproblematik?)


Dazu fordere ich Sie herzlich auf.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Neun Minuten heiße Luft! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie waren doch mal Ministerpräsident!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724109500

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Andrea Wicklein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1724109600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sie von der Bundesregierung, Herr
Staatssekretär Bergner, müssen sich den Vorwurf gefal-
len lassen: Sie haben 11 500 ostdeutsche Wohnungen
verscherbelt und verjubelt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei machen wir einen ganz klaren Unterschied zwi-
schen Gewerbeimmobilien und Wohnungen.





Andrea Wicklein


(A) (C)



(D)(B)


Sie haben dafür gesorgt, dass der TLG-Wohnungsbe-
stand an die Börse geht, dass am Ende Aktionärsinteres-
sen über die Interessen der Mieterinnen und Mieter ge-
stellt werden und dass sich die Mietenspirale weiter
ungebremst dreht. Wir als SPD haben Sie davor immer
gewarnt. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die TLG-
Wohnungen an die Kommunen zu übertragen,


(Iris Gleicke [SPD]: Das wäre sehr klug!)


weil wir wussten, dass dort die Mieterinteressen am
ehesten geschützt werden und gut aufgehoben sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Vorschlag wurde von Ihnen, von der Regierungs-
koalition, zurückgewiesen. Sie haben die Bedenken ein-
fach in den Wind geschlagen.

Ich frage Sie: Erinnern Sie sich noch daran, dass es
auf der anderen Seite möglich war, die bundeseigenen
Seen an die Länder zu übertragen?


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Genau so! Das war die gleiche Terz mit dieser Koalition!)


Dafür haben wir doch gemeinsam ein sehr gutes Modell
gefunden.


(Beifall bei der SPD)


Warum war es nach EU-Recht bei den Seen möglich,
und warum musste es bei den TLG-Wohnungen ein bör-
sennotiertes Unternehmen sein? Das kann ich nicht be-
greifen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


das kann ich nicht nachvollziehen. Hier fallen die Mieter
und die Mieterinnen hinten herunter.

Über den Deal mit Barclays will ich jetzt nichts mehr
sagen. Dazu wurde heute schon genug gesagt.

Sie haben mit der sogenannten Sozialcharta und einer
Ombudsstelle im Bundesfinanzministerium den Miete-
rinnen und Mietern eine Beruhigungspille verabreicht.
Hier sagen Sie, es sei ja alles in Ordnung, dort seien
noch gar keine Beschwerden angekommen. Haben Sie
einmal auf Ihrer Homepage geguckt, ob Sie da eine Tele-
fonnummer finden? Ich habe das gemacht und gar keine
solche Nummer gefunden. Vielleicht wissen die Miete-
rinnen und Mieter einfach gar nicht, wie sie diese
Ombudsstelle erreichen können,


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört! Das ist nicht sehr sinnvoll!)


und vielleicht liegen deshalb keine Beschwerden vor.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr transparent! So hat man sich das vorgestellt!)


Das ist nicht das, was wir uns unter einer Politik vorstel-
len, die den Mieterinteressen zugute kommt.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Da müsste man einmal die Nummer von Herrn Bergner ange ben! – Heiterkeit bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Handynummer!)


Sie hinterlassen am Ende einen Wohnungsbestand,
der nur noch den Marktinteressen folgt. Das ist ein fata-
les Signal nicht nur an die Mieterinnen und Mieter,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sondern es diskreditiert Politik insgesamt. Während die
Mieterinnen und Mieter vor massiven Problemen stehen,
haben Sie nichts Besseres zu tun, als auch noch die Mie-
terrechte per Gesetz abzubauen. Auch diesen Punkt
muss man an dieser Stelle nennen. Auch diesbezüglich
haben Sie unsere Vorschläge außer Acht gelassen und
auch die des Deutschen Mieterbundes ignoriert.

Wir haben in Potsdam gezeigt, dass es anders geht.
Dort vermieten die Kommunen ihre eigenen Wohnungen
in vernünftiger Weise. Die SPD hat dort die Mieterrechte
für den kommunalen Wohnungsbestand gestärkt: Wir
haben bei Neuvermietung eine sogenannte Mieten-
bremse von 10 Prozent eingezogen, wir haben die Miet-
steigerung auf 15 Prozent in vier Jahren begrenzt, und
wir haben die Umlage der Kosten sämtlicher Moderni-
sierungsmaßnahmen auf die Miete auf 9 Prozent be-
schränkt.

Ich sage Ihnen: Ihre unsoziale Mietenpolitik werden
wir nach der Bundestagswahl wieder rückgängig ma-
chen. Wir werden dafür sorgen, dass die Mieterinnen
und Mieter wieder bezahlbaren Wohnraum finden kön-
nen. Wir Sozialdemokraten werden gegen Wuchermie-
ten und gegen Wohnungsmangel vorgehen. Mit uns gibt
es eine klare Alternative zu Ihrer unsozialen Mietenpoli-
tik. Wir werden gemeinsam mit den Ländern und Kom-
munen, den Mieter- und Sozialverbänden, der Bau- und
Wohnungswirtschaft und den Gewerkschaften ein Ak-
tionsprogramm für eine solidarische Stadt und für
bezahlbares Wohnen initiieren. Wir werden auch dafür
sorgen, dass der Bund wieder mehr Geld für Wohnungs-
neubau und für Modernisierungen zur Verfügung stellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit werden wir den Wohnungsmarkt entlasten und
auch denjenigen die Möglichkeit geben, eine vernünftige
Wohnung zu finden, die kein dickes Portemonnaie ha-
ben. Es muss Schluss damit sein, dass Wohnen zur Lu-
xussache wird. Wir werden dafür sorgen.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724109700

Jetzt hat das Wort der Kollege Steffen Bockhahn von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Steffen Bockhahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724109800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich finde, dass diese Aktuelle Stunde
bisher wunderbar gezeigt hat, dass die Regierung keine





Steffen Bockhahn


(A) (C)



(D)(B)


einzige Antwort auf die offenen Fragen hat, die im Zu-
sammenhang mit diesem Transaktionsverfahren auf dem
Tisch liegen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Sie drücken sich die ganze Zeit davor, auf die konkreten
Fragen zu antworten. Sie kommen hier mit irgendwel-
chen scheinheiligen Argumenten, Behauptungen oder
Klassenkampftheorien der FDP, aber Sie antworten auf
keine einzige der gestellten Fragen.

Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, was ei-
ner der größten Skandale in diesem Geschäft ist: Die
Bundesregierung beauftragt eine Bank, Barclays, sie ob-
jektiv in einem Verkaufsverfahren mit großer Sensibilität
zu begleiten. Dafür zahlt sie an Barclays. Dieses Unter-
nehmen betreut das Unternehmen, das kaufen will. Ein
und dasselbe Unternehmen kassiert also als Verkaufsbe-
rater und als Käuferfinanzierer. Es hat am gleichen Ge-
schäft zweimal verdient, und die Bundesregierung findet
das in Ordnung. Ich nicht.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und dann werden wir damit vertröstet, dass man Bar-
clays mitgeteilt habe, es hätte eine Chinese Wall geben
müssen. Uns wird auch mitgeteilt, dass das aber nicht
kontrolliert worden ist, weil man sich darauf verlassen
habe. Wissen Sie, meine Damen und Herren, ich bin im
Verwaltungsrat einer größeren Sparkasse. Ich habe mal
nachgefragt, wie man das dort sieht, ob sie daran glau-
ben würden, dass man sich an so eine Chinese Wall hält.
Alle haben mir gesagt: Na ja, das Gegenteil ist schlecht
zu beweisen; aber: nein.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Ich kann nur feststellen: Diese Sparkasse funktioniert
sehr gut. Deswegen habe ich Vertrauen zu dieser Spar-
kasse. Zur Barclays-Bank und zur Bundesregierung habe
ich es an dieser Stelle nicht, und das aus gutem Grunde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Frage: „Warum haben Sie die Wohnungen nicht
den kommunalen Genossenschaften oder den Kommu-
nen angeboten?“, ist natürlich ganz interessant. Die Bun-
desregierung antwortet tatsächlich immer wieder, dass
sie sie angeboten hätte. Die Nummer geht so weit, dass
man sagt, es hätten sich ja kommunale Wohnungsgesell-
schaften zusammenschließen und ein gemeinsames An-
gebot unterbreiten können.


(Iris Gleicke [SPD]: Das durften die gar nicht!)


Dazu muss man allerdings wissen, Herr Kollege
Kampeter, dass die meisten Kommunalverfassungen und
die meisten landesrechtlichen Regelungen es verbieten,
dass ein kommunales Wohnungsunternehmen außerhalb
der eigenen Kommune tätig wird.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist das!)


Insofern hätten solche Gemeinschaften gar nicht gebildet
werden können. Ich helfe Ihnen aber immer wieder
gerne nach im Bereich Kommunalpolitik. Immer wieder
gerne!


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt, Sie haben ein Angebot unterbreitet, das so
gar nicht angenommen werden konnte, weil Sie nur das
Paket verkaufen wollten. Sie haben nie darüber nachge-
dacht, die Wohnungsbestände in den Kommunen zu be-
lassen und an die Kommunen zu übergeben. Das haben
Sie auch deswegen nicht gemacht, weil Sie sich der Ge-
sellschaft in Gänze entledigen wollten, weil Sie sich
auch des Personals entledigen wollten. Wenn dann vor-
hin von den Zugeständnissen an die Beschäftigten ge-
sprochen wurde, frage ich mich natürlich ganz interes-
siert, was das für Zugeständnisse sein sollen. Etwa, dass
weiterhin der Tarif der Wohnungswirtschaft gezahlt wird
oder dass nicht sofort alle entlassen werden, obwohl man
sie sowieso braucht? Was für Zugeständnisse sind das?
Hier tauchen schon wieder die nächsten Fragen auf.

Zu sagen, es habe bisher keine einzige Änderung ge-
geben, ist nur die halbe Wahrheit. Wir haben nie behaup-
tet, dass es im Bestand Mieterhöhungen gegeben hätte.
Aber richtig ist, dass bei Neuvermietungen, ohne dass
auch nur eine Sache an der gesamten Wohnung geändert
wurde, 20 bis 25 Prozent aufgeschlagen werden.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist es!)


Das ist auch nicht verboten. Wir kritisieren jedoch, dass
Sie einen solchen Verkauf machen, sich aber überhaupt
keine Gedanken über Gentrifizierungsprozesse in ange-
spannten Wohnungsmärkten machen. Sie laden Käufer
noch regelrecht dazu ein, solche Prozesse zu befördern.
Somit machen Sie ganze Quartiere kaputt. Das ist Ihr
Versagen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Nein! Das kann man so nicht sagen!)


Sie zerstören damit auch das soziale Gefilde in solchen
Gebieten.

Ich sage Ihnen noch etwas. Die Ombudsstelle ist noch
sehr neu. Dass noch nicht alle Mieterinnen und Mieter
darüber Bescheid wissen, muss man verstehen. Viele
werden sich auch fragen: Warum soll ich mir diesen
Stress jetzt antun, ich verliere doch sowieso? Denn man
erlebt es immer wieder, dass man nicht gewinnt.

Ich nenne Ihnen ganz konkret ein Beispiel. Obwohl in
der Sozialcharta nichts dazu steht, obwohl Sie den Miete-
rinnen und Mietern versprochen haben, dass sich für sie
nichts ändern werde, gibt es Änderungen. Diese sind
zwar laut BGB zulässig, aber sie waren nicht eingeplant.
Kleinstreparaturen werden inzwischen offenkundig
durch die Mieterinnen und Mieter der TAG selbst be-
zahlt. Das ist zulässig. Es war aber vorher anders, und Sie
hatten versprochen, dass sich für die Mieterinnen und
Mieter nichts ändert. Dieses Versprechen ist gebrochen.





Steffen Bockhahn


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein!)


Ich will Ihnen noch einen Satz zu unserem Finanzie-
rungsmodell sagen, das Sie immer wieder angesprochen
haben. Sie können sich gerne weiter das Maul darüber
zerreißen, ob wir ein seriöses Angebot unterbreitet hat-
ten oder nicht. Das hat übrigens mit den Fragen, über die
wir hier diskutieren, gar nichts zu tun. Ich kann Ihnen
nur sagen: Die Wohnungsgenossenschaft, die mitgebo-
ten hat, hatte ein sehr seriös finanziertes Angebot. Sie
alle kennen denjenigen – ich nenne den Namen jetzt
nicht –, der uns da unterstützt hat. Dem sollten Sie Li-
quidität nicht absprechen.


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Wicklein [SPD]: Das war mir jetzt zu kryptisch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724109900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Eckhardt Rehberg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1724110000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wenn SPD, Linke und Grüne hier davon reden,
dass mit den 11 300 Wohnungen in den neuen Bundes-
ländern Strukturpolitik, Stadtentwicklungspolitik hätte
gemacht werden können,


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat keiner gesagt! – Zuruf der Abg. Andrea Wicklein [SPD])


muss man erst einmal die Frage stellen, ob Sie sich hier
im Deutschen Bundestag überhaupt anmaßen sollten,
uns auf solche Dinge hinzuweisen und diese anzuspre-
chen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das müssen wir! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Sie haben im letzten Jahrzehnt Zehntausende, Hun-
derttausende Wohnungen in Berlin, in Dresden, in ganz
Deutschland unter Rot-Grün – Steinmeier und Steinbrück
waren in der Verantwortung – privatisiert.


(Iris Gleicke [SPD]: Da hatten wir Wohnungsüberschüsse! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Sie haben Hunderttausende Wohnungen an private In-
vestoren verkauft. Deswegen können Sie hier heute nicht
mit dem Finger auf uns zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Aber selbstverständlich! Wir haben saubere Geschäfte gemacht! – Zuruf des Abg. Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Berlin
unter Rot-Rot wurde die GSW privatisiert. Unter
Steinmeiers Verantwortung wurden 200 000 Wohnungen

der Eisenbahner privatisiert, unter Steinbrück 86 000
Wohnungen der BfA. Grün-Rot in Baden-Württemberg
privatisiert aktuell 22 000 Wohnungen, die der Landes-
bank Baden-Württemberg gehört haben. Die 11 300
Wohnungen sind im Vergleich dazu strukturpolitisch für
ganz Deutschland gesehen Peanuts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Ihre Forderung, es zuerst Kommunen anzubie-
ten, umgesetzt worden wäre, dann wäre bestimmt eine
wahnsinnige Rosinenpickerei vonstattengegangen. Das
heißt, die Kommunen hätten sich die Rosinen herausge-
pickt und die Preise ohne Ende gedrückt,


(Iris Gleicke [SPD]: Quatsch! – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Also haben Sie die doch nicht angeboten, oder was?)


und die TLG, das heißt wir, der Bund – wir sind Bundes-
politiker und haben Verantwortung für das Bundesvermö-
gen –, wären auf dem Rest sitzen geblieben. Dann hätten
Sie sich hier hingestellt, Frau Kollegin Bluhm, und unter
Hinweis darauf, dass der Verkehrswert 1,8 Milliarden Euro
beträgt, während wir vielleicht nur 500 oder 600 Millionen
Euro Erlös erzielt hätten, hätten Sie uns vorgeworfen,
dass wir mehr als 1 Milliarde Euro verschwendet hätten.
Das wäre nach der Bundeshaushaltsordnung und nach
meinem Verständnis als Haushaltspolitiker politisch ver-
antwortungslos gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man darf also nur an Private verschenken! – Iris Gleicke [SPD]: 1 Milliarde geschenkt an private Aktiengesellschaft!)


Wenn Sie, Kollege Hacker, sagen, man hätte andere
Akzente setzen sollen,


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ja, hätte man! Ganz konkret den Ländern anbieten! Wie bei den Seen!)


man hätte das Ganze anders abwickeln sollen, dann ist
doch wirklich die Frage zu stellen, ob Sie sich einmal
damit auseinandergesetzt haben, wie ein rechtssicheres,
diskriminierungsfreies Bieterverfahren abläuft.

Frau Kollegin Bluhm, über Verkehrswerte im Immo-
bilienbereich kann man sich trefflich streiten. Dort, wo
ich wohne, fallen die Immobilienpreise gerade massiv,
weil es in der Nähe drei Windparks gibt.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha!)


Das haben wir gemerkt, da mehrere ältere Leute ihre
Häuser an junge Leute verkauft haben, weil sie sie nicht
mehr bewirtschaften konnten. Da guckt man sich um,
wie fix der Daumen bei den Käufern um eine Etage ge-
senkt wird.

Wenn Sie sich das Portfolio der 11 300 Wohnungen
ansehen, stellen Sie fest: In manchen Gegenden Meck-
lenburg-Vorpommerns, zum Beispiel in Rostock, beträgt
die Leerstandsquote bei den Wohnungen 3 Prozent. Aber
im Rest des Landes beträgt sie 6 Prozent. Ich behaupte,





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


dass der Verkehrswert der Wohnungen in Rostock auf-
grund einer Leerstandsquote von 3 Prozent höher ist als
der Verkehrswert von Wohnungen in Gegenden mit einer
Leerstandsquote von 6 Prozent. Insoweit: Nur vom Ver-
kehrswert auszugehen, halte ich an dieser Stelle für völ-
lig daneben.


(Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir brauchen einen soliden Eigentümer!)


Jetzt komme ich zu der Aktion FAIRWOHNEN. Wis-
sen Sie: Sie haben mit den 51 Euro pro Quadratmeter,
die Sie in Genossenschaftsanteile umwandeln wollten,
nicht einmal ansatzweise die Chance gehabt, eine ver-
nünftige und sinnvolle Eigenkapitalquote aufzubringen.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Und das legen Sie fest, oder was? Kennen Sie unser Angebot?)


– Lieber Kollege Bockhahn, warum sind Sie, wenn es
diesen ominösen Finanzier denn wirklich gegeben hat,
schon in der ersten Runde herausgeflogen, weil Sie
keine Finanzierung aufbieten konnten?


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Stimmt nicht! Wir sind in der zweiten herausgeflogen!)


Wenn Sie die Kriterien doch erfüllt haben, meine sehr
verehrten Damen und Herren, frage ich Sie – trotz all des
Theaters und des politischen Klamauks, den Sie hier an
einem Freitagnachmittag veranstalten –:


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Alles Behauptungen!)


Warum beschreiten Sie nicht den Rechtsweg? Warum
klagen Sie nicht? Wenn Sie meinen, dass gekungelt wor-
den ist, dass das nicht rechtsstaatlich sauber und rechts-
sicher abgelaufen ist, dann haben Sie in einem Rechts-
staat die Chance, dagegen zu klagen.


(Zurufe von der LINKEN)


Solange Sie den Rechtsweg nicht beschreiten, sind Sie
aus meiner Sicht den Beweis schuldig, dass hier irgend-
etwas nicht sauber abgelaufen ist und dass gekungelt
worden ist.

Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis für den Bund, für
die Sozialpartner und für die Mieter.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Was ist mit den Steuern der Länder, Rehberg? – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Gysis Goldbarren, das ist die Finanzierung der Linken!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724110100

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Iris Gleicke.


(Beifall bei der SPD)



Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1724110200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man konnte aus den Reden der Koalitionsabgeordneten
und des Vertreters der Bundesregierung sehr deutlich das
Herumgeeiere heraushören.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was? Vorsicht!)


Natürlich hat es Privatisierungen gegeben, Herr
Rehberg; ganz klar. Durchgeführt wurden sie in einer Si-
tuation, in der es Wohnungsüberschüsse gab, in der wir
Stadtumbau betrieben und Wohnungen abgerissen ha-
ben. Heute gibt es in diesen Orten drängende Wohnungs-
probleme.


(Lachen bei der CDU/CSU – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ja, weil Sie die Wohnungen verkauft haben! Deswegen!)


Es geht um die Abläufe, Herr Rehberg. Diese Woh-
nungsprivatisierung hat nicht nur ein Geschmäckle, son-
dern sie stinkt zum Himmel.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


500 Millionen Euro für knapp 12 000 Wohnungen,
das bedeutet, dass pro Wohnung im Durchschnitt
42 000 Euro geflossen sind.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist eine Frechheit!)


Wo in Dresden, im Berliner Umland, in Potsdam, in
Halle/Leipzig bekommt man denn eine 70-Quadratme-
ter-Wohnung für unter 100 000 Euro? Das ist doch wirk-
lich abenteuerlich! Alle Branchenkenner, die sagen, dass
die 500 Millionen Euro für die TAG ein echter Schnäpp-
chenpreis waren, haben recht.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Weitere Zurufe des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU])


Zu den anderen Fakten. Das Umgehen der Grunder-
werbsteuer beim Verkauf halte ich für genauso skandalös
wie den Kaufpreis an sich. Diese Umgehung der Steuer-
pflicht hat etwas mit der – na ja, sagen wir es freundlich
– kreativen Gestaltung der Unternehmenskonstruktion
zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Nur damit!)


Warum hat die TAG den Kauf denn über ihre beiden
Tochterfirmen, die kurz vorher gegründet worden sind,
abgewickelt? Doch nur, um genau diese Möglichkeit
auszunutzen.

Herr Kurth, es ist einfach nicht richtig, was Sie hier
gesagt haben.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Doch, doch!)


Wir haben damals tatsächlich für kleine Immobilienfir-
men die Möglichkeit geschaffen, Wohnraum zu erwer-
ben. Wir haben das aber gemacht, um gerade Kommunen





Iris Gleicke


(A) (C)



(D)(B)


zu helfen. Damals gründeten sich zahlreiche Mieterge-
nossenschaften.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Altschuldenhilfe!)


Um dieses Schlupfloch zu stopfen, hat der Bundesrat
den Vermittlungsausschuss angerufen, und es hat ein Ver-
mittlungsausschussverfahren gegeben. In diesem Verfah-
ren ist eine Einigung erzielt worden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat eigentlich dieses Schlupfloch gemacht, Frau Kollegin?)


Diese Einigung haben Sie als Koalitionsfraktionen mit
Ihrer Mehrheit hier abgelehnt. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat eigentlich dieses Steuerschlupfloch eingeführt? Rot-grüne Steuerpolitik war das!)


Zur Barclays Capital ist schon etwas gesagt worden.
Diese Vorgänge sind genau so anrüchig, wie hier darge-
stellt worden ist. Hinzu kommt, dass diese Bank nicht
nur die Bundesregierung als Verkäufer vertreten hat,
sondern auch für die Käufer tätig geworden ist. Wenn
man dann noch weiß, dass diese Bank die Sozialcharta
mit ausgehandelt hat, während der Mieterbund daran
nicht beteiligt war, dann bleibt einem doch – Entschuldi-
gung! – echt die Spucke weg.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Gleicke, Sie haben dieses Steuerschlupfloch selber gemacht!)


Die Liste der Ungereimtheiten zieht sich wie Kau-
gummi durch das gesamte Verkaufs- bzw. – das sollte
ich vielleicht besser sagen – Schenkungsverfahren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Vieles haben wir gehört, und genauso vieles deutet da-
rauf hin.

Was mich aber besonders wurmt, ist, dass hier gegen
den Willen der Kommunalpolitik, gegen den Willen der
Länder und der Mieterinnen und Mieter skrupellos vor-
gegangen worden ist.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Rot-grüne Privatisierungen in hunderttausendfacher Form sind richtig! Aber wenn Zehntausende Wohnungen verkauft werden, ist das falsch! Es ist unglaublich!)


Zum Angebotstext des Bundes hieß es – das muss
man sich wirklich einmal anschauen –:

Es kommen keine Erwerber zum Zug, die nur einen
schnellen Euro machen wollen.

Klar ist nur: Diese Bundesregierung wollte hier einen
schnellen Euro machen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Gleicke, das ist doch unter Ihrem Niveau, was Sie hier vortragen!)


Es ist auch ökonomisch absurd und deshalb Verschleu-
derung von Volksvermögen. Die Treuhand Liegen-
schaftsgesellschaft hat nämlich in den Jahren 2009 und
2010 jährlich 30 Millionen Euro an den Bundeshaushalt
abgeführt. Das heißt, wir, der Bund, haben dort Einnah-
men erzielt. Hätten Sie dieses Geld in den sozialen Woh-
nungsbau investiert, hätten Sie es in Kindergärten oder
in Ganztagsschulen investiert, dann wäre es sinnvoll an-
gelegt gewesen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Entschuldet!)


Sie haben für die Wohnungsknappheit in Dresden und
in anderen Städten in Ostdeutschland gesorgt.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Sie haben den Stadtumbau Ost geschleift. Sie haben das
Programm „Die soziale Stadt“ geschleift. Sie haben in
die soziale Wohnraumförderung eingegriffen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich! – Weiterer Zuruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU])


Sie haben bei dieser Privatisierung die Chance vertan,
den Kommunen tatsächlich zu helfen. Ihre Kürzungspro-
gramme sind mit eine Ursache für die Wohnraumver-
knappung. Daher sage ich ganz klar: Es ist nichts los mit
der sozialen Verantwortung dieser Bundesregierung.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist schon unerträglich! – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Moos nix los!)


Ich will Ihnen noch etwas sagen; das geht insbeson-
dere an die Adresse von Herrn Staatssekretär Bergner.
Wir Ostdeutschen gehen mit dem Thema Privatisierung
nach all den Erfahrungen mit der Treuhand sehr sensibel
um.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wofür Ihre Rede kein Beleg ist!)


Die Betrugsfälle bzw. die Verkäufe an dubiose Geschäf-
temacher oder sogenannte Entflechtungen von Unter-
nehmen haben sich bei vielen von uns Ostdeutschen bis
heute tief ins Bewusstsein gegraben. Ich will Ihnen aus
dieser Zeit – auch damals haben Sie, Schwarz-Gelb, re-
giert – zwei Beispiele in Erinnerung rufen:

Da war die Leuna-Raffinerie, bei deren Verkauf zu-
sammen mit der sehr profitablen Minol Schmiergeldzah-
lungen geflossen sind.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sprechen doch gerade von Sensibilität!)


Außerdem war da das Kombinat Schiffbau, bei des-
sen Privatisierung 900 Millionen D-Mark EU-Förder-
mittel für die Sanierung der ostdeutschen Werften be-
stimmt waren. Diese Mittel sind in die Sanierung der
Stammbetriebe der Bremer Vulkan umgelenkt worden.





Iris Gleicke


(A) (C)



(D)(B)



(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was hat das jetzt mit 11 000 Wohnungen zu tun? Was hat das hier zu suchen? – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Der Vorstandschef hat Ihr Parteibuch, SPD! Das ist ein schlechtes Beispiel, was Sie da erzählen! Verantwortlich dafür war ein Sozialdemokrat!)


Das sind Vorgänge, die in Ihrer Regierungszeit stattge-
funden haben.

Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Nach all dem, was
wir zum Verkauf der TLG-Wohnungen und -Immobilien
bisher gelesen haben, könnte es sein, dass damit ein wei-
teres Kapitel zu all den dubiosen Geschichten hinzu-
kommt. Deshalb sage ich Ihnen: Mir reicht kein Testat
eines Mitglieds der Bundesregierung gegenüber einem
anderen Mitglied der Bundesregierung, das sei alles sau-
ber gelaufen.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Stimmt!)


Ich will hier eine ordentliche Aufklärung. Denn wir wis-
sen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein völlig unsachlicher Beitrag! Unter Ihrem Niveau, Frau Gleicke!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724110300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Dr. Michael Luther das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1724110400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich hätte nicht geglaubt, dass heute, so kurz
vor Pfingsten, noch so viel Emotionalität aufkommen
kann.


(Iris Gleicke [SPD]: Herr Luther, Sie kennen mich doch schon lange!)


Ich will an dieser Stelle Folgendes festhalten, meine
liebe Frau Kollegin Gleicke: Wenn Sie schon den Vor-
wurf erheben, dass geltende Steuergesetze von jeman-
dem angewendet werden, und sich darüber beschweren,
dass das zu einem bestimmten Ergebnis führt, also die
Grundsteuer jetzt nicht fließt, dann sollten Sie wenigs-
tens auch sagen, woran das liegt. Wer hat diese Steuerge-
setzgebung eingeführt? Ich denke, das war Rot-Grün.


(Iris Gleicke [SPD]: Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie genau das gehört!)


Sie waren in der Regierungsverantwortung. Wenn Sie
sich über das beschweren, was Sie selber gemacht ha-
ben, dann ist das nicht besonders glaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Ich habe das gesagt! Netter Versuch!)


Das Thema der Aktuellen Stunde ist der Verkauf der
TLG-Immobilien. „Aktuelle Stunde“ springt einem als
erstes Wort ins Auge. Ich habe mir die Frage gestellt, um
was es eigentlich geht. Es geht um einen Verkauf aus
dem Jahre 2012.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sehr aktuell!)


Ich weiß nicht, warum das so besonders aktuell ist.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ja, die Steuerproblematik, Herr Kollege! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die Linke ist von gestern!)


Ich habe mir also die Frage gestellt, warum wir darüber
heute diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass wir deshalb
heute darüber diskutieren, weil die Mieter kurz vor dem
Wahlkampf verrückt gemacht werden sollen und die
Linken gerne glauben machen möchten, dass sie die Ein-
zigen sind, die überhaupt noch Mieterinteressen in
Deutschland vertreten. Ich glaube, das entlarvt zum Teil,
warum die Aktuelle Stunde heute stattfindet.

Noch bemerkenswerter finde ich den Umstand, dass
die Aktuelle Stunde durch unsere Kollegin Frau Heidrun
Bluhm eröffnet worden ist, die Aufsichtsratsvorsitzende
von FAIRWOHNEN ist, einer Genossenschaft, die sich
am Bieterverfahren beteiligt hat.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ist ja unglaublich! Die ist befangen!)


Klar geht das. Sie dürfen das natürlich machen. Sie dür-
fen auch die Funktion ausüben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie hätte bei der Lobbyismusdebatte vorhin zuhören sollen!)


– Genau. In der vorhergehenden Debatte ging es genau
um dieses Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hier wird nämlich eine Macht ausgenutzt, die man als
Parlamentarier hat, um auf den Umstand hinzuweisen,
dass man in einem Bieterverfahren, das Sie im Nachhi-
nein nicht kritisiert haben, der zweite Gewinner war. Das
Verfahren fand 2012 statt. Sie haben versucht, daran teil-
zunehmen, waren aber nicht erfolgreich. Wenn Sie da-
mals der Meinung gewesen wären, dass das alles recht-
lich nicht in Ordnung ist, hätten Sie damals auf die
Instrumente des Rechtsstaats zurückgreifen können, die
es heute gibt. Vielleicht haben Sie das schon vergessen.


(Heiterkeit des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/ CSU] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hier wird der Parlamentarismus von der Linken für eigene wirtschaftliche Interessen missbraucht!)


Sie haben das nicht gemacht. Ich glaube, das entlarvt,
was Sie wollen.


(Zurufe von der LINKEN)


Auch Ihre Sorge, dass die Wohnungen jetzt mögli-
cherweise in die Hand böser Privateigentümer gelangen,





Dr. Michael Luther


(A) (C)



(D)(B)


könnte ein Grund für diese Aktuelle Stunde gewesen
sein.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Privateigentümer müssen nicht böse sein!)


Ich will einmal feststellen: Es gibt Zehntausende von
privaten Vermietern in Deutschland und natürlich ent-
sprechend viele Mietverhältnisse.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von denen reden wir doch gar nicht!)


Es gibt eine rechtliche Grundlage in diesem Land.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden von Firmen und nicht von Kleinvermietern!)


Ich glaube, dieses Land hat sich mit dieser rechtlichen
Konstruktion gut entwickelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Aber nicht mit Heuschrecken!)


Ich habe keine Angst vor Privateigentum, und ich
habe auch keine Angst davor, dass sich ein Wohnungs-
markt entwickelt und dass sich auch Mietpreise ent-
wickeln. Das muss so sein. Das, wovor ich Angst habe,
ist Volkseigentum. Das habe ich erlebt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die haben die Verhältnisse umgedreht! – Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Sie brauchen aber keine Angst vor Genossenschaften haben!)


Damals gab es nämlich eine Mietpreisbindung, die ein
bestimmtes Ergebnis hatte, das in der DDR mit dem ge-
flügelten Wort umschrieben wurde: Ruinen schaffen
ohne Waffen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es wurde nicht mehr saniert, die Gebäude sind verfallen.
Wir können uns noch gut daran erinnern, auch Sie viel-
leicht noch. Aus diesem Grunde sollte man das Privat-
eigentum nicht verteufeln; denn das ist eine der wesent-
lichen Grundlagen unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Heuschrecken wird doch gar nicht investiert!)


Müssen Mieter Angst haben? Auch das ist hier schon
mehrfach deutlich angesprochen worden. Das, was die
Bundesrepublik tun konnte – Sozialcharta, Ombuds-
mann –, hat sie getan. All das sind Instrumente, um letzt-
endlich zu helfen, dass der Übergang gelingt. Man kann
sich an öffentliche Stellen wenden und erfährt Unterstüt-
zung. Wenn das bislang nicht der Fall gewesen ist, sollte
man das überprüfen. Vielleicht gibt es Ursachen dafür,
dass es nicht in jedem Fall dazu gekommen ist. Aber es
gibt diese Möglichkeit.

Sie haben ja mit vielen Mietern Kontakt gehabt. Sie
haben versucht, sie in die FAIRWOHNEN zu bringen.

Wenn es Ungerechtigkeiten gegeben hätte, dann hätten
Sie schon längst auf den Ombudsmann hingewiesen.
Dann wären schon längst Klagen erfolgt. Aber das ist
nicht der Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine Aktuelle Stunde über das Scheitern linker Wirtschaftspolitik!)


Am Anfang habe ich mich gefragt, ob diese Aktuelle
Stunde wirklich sein muss. Jetzt, am Ende, sage ich: Es
ist gut, dass sie stattgefunden hat, weil sie sehr deutlich
gemacht hat, mit welcher Motivation Sie in diesem Land
agieren und für wen oder was Sie eintreten. Das sind auf
jeden Fall nicht die Mieterinteressen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724110500

Als letzte Rednerin des heutigen Tages hat das Wort

die Kollegin Stefanie Vogelsang für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])



Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1724110600

Herr Präsident, vielen Dank. – Meine Damen und

Herren! Wenn man als letzte Rednerin in einer Aktuellen
Stunde ans Rednerpult treten darf, kann man sich vor-
nehmen, die Ergebnisse der Debatte zusammenzufassen
und zu würdigen, dass man eine Stunde miteinander dis-
kutiert hat. Voraussetzung ist allerdings, dass man ir-
gendwelche Erkenntnisse gewonnen hat.


(Iris Gleicke [SPD]: Geht es Ihnen also auch wie uns? Haben Sie auch keine Erkenntnisse gewonnen?)


Das gilt gerade für Ihren Beitrag, Frau Gleicke! Was
meinen Sie eigentlich, für wen Sie geredet haben? Für
die Kollegen hier im Raum? Diese haben gemerkt, dass
Sie in jedem zweiten Satz Dinge durcheinandergebracht
haben,


(Lachen der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nette Zusammenfassung!)


dass Sie viele Dinge, die Sie selber beschlossen haben,
Beschlüsse, für die Sie Ihre eigene Stimme abgegeben
haben,


(Iris Gleicke [SPD]: Wenn Sie mir zugehört hätten, wüssten Sie, worum es geht! Schade!)


jetzt als große Schande verkaufen wollen. Die Bürgerin-
nen und Bürger draußen verstehen diesen großen Zu-
sammenhang aber gar nicht; für die hätten Sie in etwas
einfacheren Worten, in etwas verständlicherer Form he-
rüberbringen müssen, was Ihr Anliegen ist.


(Iris Gleicke [SPD]: Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht so dumm, wie Sie meinen! Ich glaube, dass die Menschen mich sehr richtig verstanden haben!)






Stefanie Vogelsang


(A) (C)



(D)(B)


Ich habe die ganze Zeit überlegt: Was will uns die SPD
damit sagen? Ich glaube, es ging einfach nur darum, in
dieser Aktuellen Stunde auf Verlangen der Linken einen
Beitrag zu leisten. – Wo sind übrigens Ihre Kolleginnen
und Kollegen?


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Sie sind hier! – Iris Gleicke [SPD]: Bei Ihnen fehlen auch ein paar!)


Warum ist in dieser Aktuellen Stunde, die auf Antrag der
Fraktion Die Linke auf die Tagesordnung gesetzt wurde,
kaum jemand anwesend?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die hat Frau Gleicke alle aus dem Saal geredet!)


Frau Gleicke, es wäre positiv gewesen, wenn Sie etwas
dazu gesagt hätten.


(Iris Gleicke [SPD]: Bei Ihnen fehlen auch ein paar! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ihr habt diese Aktuelle Stunde beantragt, nicht wir! – Gegenruf des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]: Die Vertreter der Regierung müssen sich bei Ihnen mit dazusetzen, damit überhaupt jemand da ist!)


Lieber Kollege Bockhahn und liebe Kollegin Bluhm,
spätestens Anfang 2012 war auch für Sie klar, dass für
die Fraktion Die Linke die große Gefahr besteht, dem
nächsten Deutschen Bundestag nicht wieder anzugehö-
ren.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Daraufhin haben Sie sich dann überlegt: Wie können wir
große Aktionen machen? Wie gewinnen wir ein großes
Potenzial an Zustimmung?


(Iris Gleicke [SPD]: Hochmut kommt vor dem Fall, Frau Kollegin!)


Dann haben Sie sich dickegetan und gesagt: Wir gehen
in den Wohnungsmarkt, wir werden selber zur Genos-
senschaft, wir übernehmen. – Das hat dann nicht ge-
klappt: Ihre Träume sind alle geplatzt, Sie sind wieder
auf dem Boden angekommen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Genau, wir haben nur unser Ernährermodell vorbereitet! Absurd!)


Ich glaube, an der aktiven Politik, die die Partei Die
Linke betrieben hat, wenn sie wie zum Beispiel hier in
Berlin – der Kollege Rehberg hat das vorhin umfang-
reich dargestellt – an der Regierung beteiligt war, kön-
nen die Leute ganz genau sehen, wie Sie agieren, wenn
Sie denn die Möglichkeit des Handelns haben. Wenn ich
an die Machtübernahme hier in der Hauptstadt denke – –


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: „Machtübernahme“, das war aber eine Wortwahl! „Regierungswechsel“ ist üblich!)


– Entschuldigung! „Machtübernahme“ ist vielleicht ein
etwas unglücklicher Ausdruck.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ein bisschen!)


Ich nehme das zurück.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Auf jeden Fall war es keine Revolution!)


Wenn ich an die Regierungsübernahme in Berlin durch
SPD und Linke im Jahre 2001 denke, muss ich feststel-
len: Sie haben die Politik sofort verändert. Sie haben die
Strukturen in Berlin auf schrumpfende Stadt gesetzt, ha-
ben Wohnungsbauförderung gestrichen,


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wer hat denn den Haushalt geplündert?)


haben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ge-
molken,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wer hat denn die Schule in Neukölln dichtgemacht?)


sind zu nichts anderem gekommen, als die GSW zu ver-
kaufen, und haben zum Beispiel in Neukölln – einem so-
zialen Ballungsraum – 5 000 Wohneinheiten an einen
Hedgefonds verkauft, ohne auf einer Sozialcharta zu be-
stehen.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Hört! Hört! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das sind die Linken!)


Es hat Sie nicht interessiert, wie es den Mieterinnen und
Mietern ergeht. Sie haben sich nicht eingesetzt für die
Einrichtung einer Ombudsstelle, in der die Mieterinnen
und Mieter einen Ansprechpartner und Unterstützung
gefunden hätten. Das ist das Ergebnis Ihres Regierungs-
handelns.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist sozialistische Wohnungspolitik! – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das wart ihr doch! Ihr habt diesen Haushalt ruiniert!)


Wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt, und wir
haben das Pfingstfest vor uns. Manchmal denke ich mir,
der Heilige Geist müsste ein bisschen öfter


(Iris Gleicke [SPD]: Oh ja!)


zu Ihnen kommen, damit auch Sie ein bisschen erleuch-
tet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724110700

Die Aktuelle Stunde ist beendet.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider, Herr Präsident!)


Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. Juni 2013, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ein schönes Pfingstfest!