Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz! – Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich eröffne unsere Sitzung und
gratuliere zu Beginn der Kollegin Lukrezia Jochimsen,
die heute ihren 77. Geburtstag feiert und der ich die
Glückwünsche des ganzen Hauses übermitteln möchte.
Es gibt heute noch ein anderes bedeutendes Jubiläum:
Jakob Mierscheid wird 80 Jahre alt.
Ich möchte ihm ebenfalls im Namen des ganzen Hauses
herzlich gratulieren. Dieser geschätzte, gelegentlich ver-
zweifelt gesuchte Kollege hat schon im Jahre 1979 in der
Nachfolge von Carlo Schmid seine denkwürdige Tätig-
keit im Deutschen Bundestag aufgenommen. Er hat sich
für die heutige Sitzung aus zwingenden Gründen ent-
schuldigen müssen,
was vermutlich die Spekulationen befördern wird, es
gäbe ihn gar nicht.
Das ist allerdings durch zahlreiche Fundstellen in der Li-
teratur eindeutig widerlegt: Im Protokoll des Deutschen
Bundestages taucht er zum ersten Mal am 25. April 1980
auf, interessanterweise angesprochen von einem Vertre-
ter der Bundesregierung. Seine bisher denkwürdigste
Leistung ist die Formulierung des sogenannten
Mierscheid’schen Gesetzes über den Zusammenhang
von deutscher Rohstahlproduktion und Wahlergebnis-
sen der SPD bei Bundestagswahlen;
davon werden wir in den kommenden Monaten vermut-
lich noch mehrfach zu hören bekommen.
Ich hoffe sehr, dass uns der Kollege Mierscheid auch in
der nächsten Legislaturperiode erhalten bleibt.
Die naheliegende Aufgabe, die konstituierende Sitzung
als Alterspräsident zu eröffnen, würde allerdings voraus-
setzen, dass er persönlich anwesend ist.
Wir kommen nun zur Tagesordnung und haben zu-
nächst einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, die
zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebenten
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – das
ist der Tagesordnungspunkt 36 – von der heutigen Tages-
ordnung abzusetzen. Wird dazu das Wort gewünscht? –
Kollege Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sollIhnen allen freundliche Grüße vom AbgeordnetenMierscheid überbringen. Seine Auffassung zum Leis-tungsschutzrecht wird im Geleitwort zur nächsten Aus-gabe der Zeitschrift des Taubenzüchterverbands nachzu-lesen sein – sozusagen als persönliche Erklärung.
Nun zum Ernst der Sache: Wir beantragen die Abset-zung der Debatte über das Leistungsschutzrecht von derTagesordnung, und zwar aus drei Gründen: Zunächsteinmal sind verfassungs- und europarechtliche Fragennicht geklärt. Zweitens ist im Wesentlichen unklar, wasdurch den Gesetzentwurf der Koalition in der durch denAusschuss geänderten Fassung nun eigentlich bewirktwerden soll; das gestehen die Autoren auch ein. ZumDritten gab es bei der Beschlussfassung im federführen-den Ausschuss, im Rechtsausschuss, Verfahrensfehler,durch die die Minderheitenrechte der Opposition verletztwurden.
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28218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Volker Beck
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Mich erinnert der ganze Vorgang daran, wie Sie da-mals im Umweltausschuss den Wiedereinstieg in dieAtomkraft unter Verletzung der Oppositionsrechtedurchgepeitscht haben. Erinnern Sie sich daran? Auf soetwas ruht kein Segen. Ihr Gesetz hatte am Ende des Ta-ges keinen Bestand. Es ist also kein gutes Omen, so mitder Geschäftsordnung und der Opposition umzugehen.
Nun im Einzelnen:Der Ausschussvorsitzende, Siegfried Kauder, hatnoch in der letzten Woche über dieses Gesetzesvorhabengesagt, es sei ein rechtspolitischer Eiertanz. Außerdembemängelte der Rechtsexperte, so schreibt SpiegelOnline, dass die Regierung den Gesetzentwurf nicht inBrüssel vorgelegt hat, damit andere EU-Staaten ihnkommentieren, und es sei dringend notwendig, dass Ver-fassungsrechtler einmal darüberschauten. Das sehen wirauch so. Deshalb haben wir eine Anhörung im Aus-schuss beantragt.
Sie haben im Ausschuss beantragt, sogenannte Snip-pets jetzt nicht mehr in die Regelung aufzunehmen, al-lerdings mit einer Formulierung, bei der keiner weiß,was sie bedeutet. Dort steht: Einzelne Wörter und Text-ausschnitte dürfen auftauchen. – Wie viele einzelneWörter? „Ab wann ist kurz schon lang?“, fragen sich dieLeute, und die Koalitionsabgeordneten stehen ganz offendazu. Herr Krings sagt: Die Nachricht darf erkennbarsein, der Kontext nicht. Wir überlassen es aber den Ver-lagen und den Konzernen, zu entscheiden, wann das derFall ist.
Herr Thomae sagt: So what? Dafür, dass man das vorGericht ausficht, ist der Rechtsstaat da. – Das heißt doch,Sie schicken die Unternehmen, sowohl die Presseverlageals auch die Suchmaschinenbetreiber und Content-An-bieter, vor die Gerichte. Das können sich aber nur dieUnternehmen leisten, die eine große Rechtsabteilung ha-ben und es aushalten, auf diese Rechtsfrage erst in fünfJahren eine Antwort vom BGH und dann die Rechnungdarüber zu bekommen, wie viel sie an wen zahlen müs-sen. Damit führen Sie eine Marktbereinigung zugunstenvon Google durch; denn kein anderes Internetunterneh-men wird sich diesen Spaß leisten können.
Ihre eigene Netz-Arbeitsgruppe bescheinigt Ihnen,die Regelung zur Verwendung von Snippets biete weiter-hin einen zu großen Interpretationsspielraum.
– Ja, ich habe drei Gründe genannt:
erstens verfassungsrechtlich nicht klar, zweitens recht-lich unbestimmt und drittens – dazu komme ich jetzt –Bruch der Oppositionsrechte.
Aber Herr Kollege Beck, erstens dass und zweitens
warum Sie das gerne absetzen möchten, hat jetzt ja jeder
verstanden. Es würde der Beschleunigung unseres Ver-
fahrens sehr dienen, wenn Sie jetzt zum Schluss kämen.
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, jetzt zur en-
geren geschäftsordnungsrechtlichen Frage zu kommen.
Grundlage für die Frage, wann ein Oppositionsrecht
auf Anhörung im Ausschuss gegeben ist, ist eine Ent-
scheidung des Geschäftsordnungsausschusses vom
7. November 1985: Wenn nichts Wesentliches geändert
würde, ist das Anhörungsrecht verwirkt. Wenn ein neuer
Tatbestand hinzutritt, ist das Recht insoweit nicht ver-
braucht. Wenn unklar ist, ob das der Fall ist, muss der
Ausschuss über diese Frage einen gesonderten Beschluss
fassen. – Das ist in diesem Fall nicht erfolgt.
Ich will Ihnen sagen: Der Änderungsantrag, den Sie
im Ausschuss gestellt haben, führt zu einer wesentlichen
Änderung des Gesetzes, und damit liegt heute ein Aliud
auf dem Tisch.
Herr Grosse-Brömer, Sie schütteln den Kopf. Ich kann
Ihnen das anhand Ihrer eigenen Dokumente nachweisen.
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es – –
Nein, Herr Kollege Beck. Dazu haben Sie jetzt ers-
tens keine Zeit mehr, und zweitens bin ich sehr zuver-
sichtlich, dass mehrere Redner in der folgenden Debatte
aus dem Gesetzentwurf auskömmlich zitieren werden.
Herr Präsident, wenn ich noch vier Sätze sagen
dürfte!
Nein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28219
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In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, es
werde das BGH-Urteil „Metall auf Metall“ vom 22. No-
vember 2008 in Anspruch genommen;
in der Begründung zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses heißt es, genau dieses Urteil solle keine An-
wendung finden. Wenn das kein Aliud ist, weiß ich es
nicht.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Grosse-Brömer das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Absetzungsantrag der Grünen kann kei-
nen Erfolg haben, weil er in keinem der drei genannten
Punkte überzeugend ist. Ich weise darauf hin, dass die
Frage, inwieweit Urheberrechte auch in Abgrenzung zu
Informationsfreiheitsrechten gesetzlich geregelt wer-
den, Gegenstand wichtiger sachpolitischer Entscheidun-
gen ist.
Was ich sehr bedauere, ist, dass man nach intensiven
Beratungen im Rechtsausschuss, nach Anhörungen, die
im Übrigen genau diese Punkte, die Herr Beck schon an-
gesprochen hat, auch umfasst haben,
nicht bereit ist, demokratische Diskussionsprozesse und
Mehrheiten anzuerkennen, sondern permanent versucht,
hier durch Filibustern, durch Geschäftsordnungsanträge
normale, demokratisch mehrheitlich gefasste Entschei-
dungen infrage zu stellen.
Ich will kurz darauf hinweisen, dass der Rechtsaus-
schuss am 30. Januar eine öffentliche Anhörung durch-
geführt hat –
im Übrigen auch zu europarechtlichen Fragen, zu verfas-
sungsrechtlichen Fragen. Ich weise darauf hin, dass eine
Anhörung im Unterausschuss „Neue Medien“ des Aus-
schusses für Kultur und Medien stattgefunden hat. Da
wurden noch technische Fragen behandelt.
Infolgedessen kann ich Ihnen eines sagen: Es ist ausführ-
lich auch zu dem gesamten Gesetzentwurf Stellung ge-
nommen worden.
Es hat keine gravierenden Änderungen an diesem Ge-
setzentwurf gegeben. Das ist alles umfangreich disku-
tiert worden.
Es besteht auch in rechtlicher Hinsicht keinerlei An-
lass, darüber nachzudenken, dass hier eine Änderung er-
folgt wäre, die Minderheitsrechte beeinflusst. Ganz im
Gegenteil! Ihren Ansprüchen, Ihren Minderheitsrechten
ist sehr umfänglich Rechnung getragen worden, und es
wäre schön, wenn Sie einfach dem Weg der demokrati-
schen Auseinandersetzung und nicht permanent dem der
Geschäftsordnungsdebatte und -auseinandersetzung fol-
gen würden.
Herzlichen Dank.
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weißnicht, ob wir gegen die Geschäftsordnung verstoßen,wenn wir heute eine Entscheidung über dieses Gesetztreffen. Aber ich bin absolut davon überzeugt, dass esnicht vernünftig wäre, ein so weitreichendes Gesetz,
das auf der einen Seite den grundsätzlich legitimen undberechtigten Anspruch der Verleger betrifft, eine Vergü-tung für publizistische Leistungen zu bekommen,
und das auf der anderen Seite den Informationsanspruch,die Informationsfreiheit, die nach dem Grundgesetz ge-schützt wird, betrifft, heute zu verabschieden.
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28220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
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Denn dieses weitreichende Gesetz ist in letzter Minutegravierend geändert worden.
In einer solchen Situation wäre es besser, noch einmaleine Anhörung zu machen.
Wir bieten Ihnen an: Wir führen in der nächsten Wocheeine Anhörung durch und entscheiden in der übernächs-ten Woche über dieses Gesetz. – Ich glaube, das Gesetzwird dann besser.
Denn hier sind in letzter Minute Begriffe in das Gesetzgekommen, die überhaupt niemand definieren kann.Dieses Gesetz ist ein verunglücktes Gesetz. Es ist einArbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte, unddas dürfen wir als Bundestag nicht beschließen.
Gehen Sie noch einmal in sich! Jakob Mierscheidkann heute nicht da sein. Aber eines kann ich Ihnen sa-gen: Einem solchen Verfahren hätte Jakob Mierscheidniemals zugestimmt, und schon gar nicht an seinem80. Geburtstag.
Der Kollege van Essen hat nun für die FDP-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ImGegensatz zu all meinen Vorrednern war ich bei allenBeratungen dabei, nämlich sowohl im Rechtsausschussals auch im Geschäftsordnungsausschuss als auch imÄltestenrat.
Wenn man diese Beratungen mitgemacht hat, dannkommt man ganz schnell zu einer Feststellung: Es gibtkeinen Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Punkt!
Ich kann das, wie ich finde, ganz schnell und auchüberzeugend begründen. Es gibt eine Auslegungsent-scheidung – sie ist hier vom Kollegen Beck schon zitiertworden –, die besagt: Das Minderheitenrecht der Oppo-sition auf Beantragung einer erneuten Anhörung ist dannverwirkt, wenn es keine wesentliche Änderung der ur-sprünglichen Vorlage gibt.
– Die gibt es nicht,
und zwar deshalb nicht, weil alles das, was geändertworden ist – dass geändert werden kann, ist ganz selbst-verständlich; deswegen macht man ja Anhörungen; manwill wissen, ob man gegebenenfalls noch was ändernmuss –,
Gegenstand der vorherigen Anhörungen war.
Beispielsweise ist das, was hier angesprochen wordenist – die Schnipsel, die Snippets –, von zwei Sach-verständigen, die von der Opposition benannt wordenwaren, ausdrücklich in die Beratungen eingeführt wor-den. Von daher hat es keine Änderung zu irgendeinemGegenstand gegeben, der nicht auch in der Anhörung be-sprochen werden konnte. Deshalb gibt es keinen Verstoßgegen die Geschäftsordnung.
Sie haben gestern versucht, im Geschäftsordnungs-ausschuss eine Beschlussfassung herbeizuführen. Wirhaben dort festgestellt, dass in dieser Auslegungsent-scheidung klar festgelegt worden ist, dass die Sachent-scheidung der Fachausschuss zu treffen hat, und die hater am Mittwoch getroffen.
– Herr Beck, Sie waren doch gar nicht dabei, als wir imRechtsausschuss darüber diskutiert haben.
– Herr Montag, Sie waren dabei. Ich habe gesagt: HerrBeck war nicht dabei. – Sie, Herr Montag, ja.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28221
Jörg van Essen
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Im Gegensatz zu dem von mir gerade angesprochenenKollegen Beck sind Sie ja ein hervorragender Jurist undauch quer durch alle Fraktionen sehr geschätzt.
Deshalb, lieber Herr Kollege Montag, hätten Sie michschwer enttäuscht, wenn Sie nicht auf die Minderheiten-rechte hingewiesen hätten. Das haben Sie natürlich, undSie haben es auch begründet, wie immer übrigens – dasdarf ich Ihnen durchaus zugestehen – in einer nachvoll-ziehbaren und auch mich nachdenklich machendenWeise.Aber ich sage, dass wir Ihre Argumente klar widerlegthaben. Ich weise noch einmal darauf hin: Sachverstän-dige haben beispielsweise die Snippets, um die es beson-ders ging, in die Anhörung mit eingeführt. Von daher istder Geschäftsordnung also Genüge getan worden. DerFachausschuss hat entschieden. Der Fachausschuss hatsich mit der Frage, ob das Minderheitenrecht verwirkt istoder nicht, befasst. Von daher sollten wir auch soentscheiden, dass wir heute in der Sache abstimmenkönnen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, HerrKollege van Essen, es geht um nicht mehr und nicht we-niger als um die Rechte von Minderheiten in diesem Par-lament. Darüber reden wir hier auch in dieser Debatte.Diese Rechte haben Sie, meine Damen und Herren derKoalition, mit Füßen getreten.
Denn Sie haben kraft Ihrer Wassersuppe, quasi kraftIhrer Mehrheit im Rechtsausschuss, entschieden: Es gibtkeine zweite Anhörung, basta – howgh, wir haben ge-sprochen.
Dabei ist schon klar: Es gab eine Anhörung. Es gabnach dieser Anhörung einen Änderungsantrag. Was strit-tig ist, ist die Frage: Geht es tatsächlich um gravierendeÄnderungen im Gesetz?
Viele Sachverständige, die Opposition, viele in der Öf-fentlichkeit sagen: Ja, das sind gravierende Änderungenim Gesetz.
Sie als Koalition behaupten: Wir sehen keine gravieren-den Änderungen.Genau darum wäre es aber in einer zweiten Anhörunggegangen. Dort hätte man die Auswirkungen dieser Ver-änderungen genau geprüft hinsichtlich ihrer Verfas-sungsmäßigkeit, möglicherweise aber auch hinsichtlichihrer Praktikabilität. Das wäre Gegenstand einer zweitenAnhörung gewesen. Dieser ernsthaften Prüfung habenSie sich verweigert. Das nehmen wir nicht hin.
Es entstand sowieso schon vorher der Eindruck, dassSie dieses umstrittene Gesetz möglichst schnell von derTagesordnung haben wollen. Ursprünglich war geplant,von der Opposition Fristverzicht zu erbitten.
Dem haben wir nicht zugestimmt. Deswegen steht dasheute auf der Tagesordnung.Ich denke, Sie sind sich selbst nicht sicher, ob diesesGesetz für die Zukunft überhaupt Bestand haben wird.
Nun behaupten Sie also, das alles sei in der Anhörungbereits besprochen worden; Weiteres sei nicht notwen-dig. Eigentlich ist mit dem Änderungsantrag aber genaudas Gegenteil erreicht worden. Es bleibt Rechtsunsicher-heit. Sollen denn künftig wirklich Gerichte darüberentscheiden, wie viele Zeichen – ich zitiere einmal –„einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ sind,wann also Snippets tatsächlich lizenzfrei sind? Das istdoch absurd. Ich bitte Sie!
Im Gesetz bleibt die Blockade von Innovationen.Neue Informationsdienstleister werden kaum eineChance haben, in Verhandlungen um Lizenzverträge ge-gen große Medienkonzerne zu bestehen. Innovation wirdalso künftig so nicht mehr stattfinden, wird von Ihnenverhindert.Es bleibt eine klare Benachteiligung von Journalistin-nen und Journalisten.
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28222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Dagmar Enkelmann
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– Ich weiß, dass Ihnen das nicht passt. Das kann ich mirvorstellen.
Das heißt, künftig werden Verlage das Recht am Produkthaben, das eigentlich den Produzenten, also den Journa-listinnen und Journalisten, zusteht.Lieber Kollege Lindner, all das hätten wir in einerzweiten Anhörung mit Sachverständigen klären können.
So gehen Sie mit Sachverständigen um! Das ist typisch.Das betrifft nicht nur dieses Gesetz.
Lieber Kollege Grosse-Brömer, es geht hier nicht umFilibustern,
sondern es geht um eine seriöse Gesetzgebungsarbeit.Dieser seriösen Arbeit haben Sie sich verweigert.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Arroganzder Macht. Eines verspreche ich Ihnen aber: Das wirdSie sehr schnell wieder einholen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäfts-
ordnungsantrag.
Wer stimmt für die beantragte Absetzung des Tages-
ordnungspunktes 36? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Geschäftsordnungsantrag
abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sieben-
ten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechts-
gesetzes
– Drucksache 17/11470 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/12534 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis
Ansgar Heveling
Burkhard Lischka
Stephan Thomae
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen
Gesetzentwurf später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Stephan Thomae für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Nach rund dreijähriger Beratungszeitschließt die Koalition heute ein sehr strittiges Gesetzes-vorhaben ab, nämlich das Leistungsschutzrecht für Pres-severlage. Das ist ein technisch und rechtlich ausgespro-chen anspruchsvolles Gesetzesvorhaben, das auch vielWiderspruch ausgelöst hat, wie wir gerade in der GO-Debatte festgestellt haben.Dieser Widerspruch basierte und basiert im Wesentli-chen auf Befürchtungen wie zum Beispiel die, dass dieSuche nach Zeitungsartikeln im Internet nicht mehr wiegewohnt kostenlos möglich sein werde, dass Suchma-schinen ihren Dienst einstellen müssten oder dass – umes einmal zuzuspitzen – das gesamte Internet nicht mehrso funktioniere, wie wir es gewohnt sind.Nun muss man etwas klarstellen. Leistungsschutz-rechte sind dem Urheberrecht nicht unbekannt. Es gibtsie auch für Fotografen und ausübende Künstler, fürTonträgerhersteller und Sendeunternehmen, für Daten-bankhersteller und für Filmproduzenten, also für dieWerkvermittler von geistigen Schöpfungen, hinter denenein Urheber steht und wo ein Werkvermittler bereitsteht,um das Werk zu verbreiten. Es ist also ein Investitions-schutzrecht. Für Presseerzeugnisse, also für Vermittlerjournalistischer Werke, gibt es so etwas bislang nicht.Wir haben beschlossen, dies einzuführen.Vor zweieinhalb, drei Jahren kursierten erste Ent-würfe, die nicht aus den Reihen des Parlaments oder derRegierung stammten, die eine breite Ablehnung, vor al-lem im Netz, hervorgerufen haben. Wie es manchmal soist, hat sich diese erste Ablehnung verfestigt, obwohl dieersten Entwürfe mit dem heute vorliegenden Gesetzent-wurf kaum mehr etwas zu tun haben; denn es gibt dreiganz wesentliche Unterschiede zu dem ursprünglichenEntwurf.
Zum Ersten sieht der heute zu beschließende Gesetz-entwurf nicht gesetzlich zwingend Verwertungsgesell-schaften vor. Zum Zweiten sieht er nicht vor, dass ge-setzliche Vergütungsansprüche entstehen. Es ist einreiner Unterlassungsanspruch. Zum Dritten – jetztkommt ein wichtiger neuer Punkt; das ist Ausfluss deröffentlichen Anhörungen im Rechtsausschuss und im
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28223
Stephan Thomae
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Unterausschuss „Neue Medien“ – sind es die sogenann-ten Snippets. Dem liegt der Gedanke zweier BGH-Ent-scheidungen zur Bildersuche zugrunde. Worum geht es?Wenn ich in einer Suchmaschine nach Bildern suche,dann erscheint als Treffer, als Ergebnis meiner Suchan-frage ein verkleinertes Abbild des gesuchten Bildes.Dazu sagt der BGH in seinen Entscheidungen: Wie solleine Suchmaschine einen Treffer anders darstellen alsdurch eine verkleinerte Wiedergabe des Bildes? – Esgibt, glaube ich, eine Zwischenfrage.
Der Kollege Montag möchte, soll und darf eine Zwi-
schenfrage stellen. Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege
Thomae, da Sie jetzt in Ihrer Rede auf die Interpretation
von BGH-Entscheidungen eingehen, möchte ich Sie zu-
nächst etwas Grundsätzliches fragen. Sie haben gerade
dargestellt, dass es Leistungsschutzrechte im Urheber-
recht gibt. Das ist evident richtig. Das neue Leistungs-
schutzrecht soll, wenn man den Gesetzeswortlaut und
die Begründung zusammennimmt, die Leistung der Ver-
leger schützen. Das kann ich auch nachvollziehen. Die
Verlage erbringen eine Leistung.
– Nein, die Verlage erbringen eine Leistung. – Man kann
sich sehr wohl überlegen, ob man sie schützen soll oder
nicht.
Der Gesetzentwurf in der Fassung, die Sie jetzt vorge-
legt haben, erklärt, dass jeder Mann und jede Frau – je-
der! – die Leistung von Verlagen öffentlich zugänglich
machen kann. Es ist für alle erlaubt.
Nur eine Gruppe nehmen Sie aus, nämlich die Suchma-
schinenbetreiber. Dazu haben Sie noch gar nichts gesagt.
Mich interessiert: Warum gerade nur die Suchmaschi-
nenbetreiber?
Hier wird Ihr Änderungsantrag evident. In der ersten
Fassung des Gesetzentwurfes war es klar; Sie wollten
auf die Snippets und das Internet abstellen. Jetzt behaup-
ten Sie, Sie wollten dies gar nicht.
Warum nehmen Sie dann die Suchmaschinenbetreiber
als Einzige völlig willkürlich aus der Schar von allen,
die veröffentlichen könnten, heraus und machen sie
lizenzpflichtig?
Lassen Sie mich klarstellen, dass es nicht einfach nurum Suchmaschinenbetreiber geht. Es geht auch umDienste, die dazu übergehen, eine Sammlung von jour-nalistischen Texten anzulegen – Newsaggregatoren,Harvester –, die zum Beispiel einen Überblick überdas gesamte journalistische Erscheinungsbild eines be-stimmten Tages verschaffen. Wenn ich ein aktuelles Er-eignis oder ein bestimmtes Thema recherchieren will,kann ich mir über solche Newsaggregatoren und Harves-ter-Suchmachinen eine Liste von aktuellen Meldungenanzeigen lassen, die die Lektüre einzelner Artikel über-flüssig macht, weil ich ein Gesamtbild über die Publika-tionen erhalte. Das ist in der Qualität schon etwas ande-res, als wenn ich als Privatperson einen bestimmtenArtikel wiedergebe, zum Beispiel zu ihm verlinke, wasimmer zulässig ist, oder ihn zitiere, was auch zulässigist. So stellt die Trefferliste, die systematische Samm-lung, die eine Suchanfrage in einer Suchmaschine, in ei-nem Newsaggregator und in Harvestern auslöst, in derQualität etwas anderes dar als die private Wiedergabe ei-nes Artikels, in dem zum Beispiel Sie oder ich zitiertwerden und den wir vielleicht aus persönlichen Gründenbei uns veröffentlichen oder auf den wir verlinken. Diesist also in der Tat etwas anderes, nämlich etwas, was diejournalistische und verlegerische Tätigkeit ganz andersbetrifft als einzelne sozusagen private Veröffentlichun-gen etwa im Rahmen einer privaten oder Firmenhome-page.
Lassen Sie mich fortfahren. Ich habe die beidenEntscheidungen des BGH zur Bildersuche zitiert unddeutlich gemacht, dass ein verkleinertes Abbild denTreffer nach einer Bildersuchanfrage wiedergibt, alsoeine Miniatur des Bildes. Da sagt der BGH: Wer ein Bildins Internet einstellt, der ist doch offensichtlich damiteinverstanden, dass es auch gefunden wird. Warum soller es sonst ins Netz einstellen?Nun ist unsere Frage: Wie übertragen wir das aufjournalistische Texte, auf Erzeugnisse von Pressever-lagen? Auch da muss es doch im Ergebnis möglich sein,eine verkleinerte Wiedergabe des Presseartikels, alsoeine Miniatur, abzubilden, und das sind die sogenanntenTextausschnitte, Textausrisse, auch Schnipsel oder Snip-pets genannt.
Ein solcher Snippet kann ganz unterschiedlich lang sein.Es kann kurze und lange Schnipsel geben.Wir sagen nun: Die Wiedergabe von kleinen Textaus-schnitten, die einfach nur notwendig sind, um das Such-ergebnis zu beschreiben, es in einen Kontext zu stellen,soll erlaubt, soll frei sein. Denn wie will man denn eineSuchanfrage, ein Suchergebnis, einen Presseartikel an-ders darstellen als durch eine kleine Wiedergabe desTextes? Ein Beispiel: Wenn ich „Golf“ eingebe, erhalteich Treffer zu einer Meeresströmung, zu einem Fahr-zeugtyp und zu einer Sportart. Damit also der Suchendeerkennt: „Habe ich jetzt etwas gefunden, was in diesenKontext passt?“, muss man ein bisschen dazuliefern. Das
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28224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Stephan Thomae
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sind diese kleinsten Textausschnitte oder einzelne Wör-ter. Sie sind vom Schutzumfang ausgenommen.Wir tragen mit der Änderung des ursprünglichen Ge-setzes dazu bei, die wesentlichen Lotsenfunktionen derSuchmaschinen im Internet zu erhalten, sodass wir amEnde, so meine ich – damit bin ich leider schon am Endemeiner Redezeit angelangt –, einen Entwurf eines ausge-wogenen, ausbalancierten Gesetzes vorlegen, das auf dereinen Seite die Erzeugnisse von Presseverlagen schützenund auf der anderen Seite wichtige Funktionen des Inter-nets erhalten wird. Deswegen meine ich, dass diesemGesetzentwurf beruhigt zugestimmt werden kann.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Zypries für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wenn esnicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist esnotwendig, kein Gesetz zu machen.“
Diesen Satz von Montesquieu kennen Sie alle. Da außerder Regierungskoalition und dem BDZV niemand meint,dass es eines solchen Gesetzes bedürfte, wäre es am bes-ten gewesen, Sie hätten es gelassen. Aber wenn manschon ein Gesetz macht, dann muss es doch zumindestdem Gebot der Normenklarheit entsprechen.
Sie wissen: Normenbestimmtheit und Normenklar-heit – das sind die Grundsätze, die das Bundesverfas-sungsgericht von den deutschen Gesetzen verlangt; dennwir wollen schließlich, dass die Bürgerinnen und Bürgerin der Lage sind, die Gesetze auch zu verstehen. Aberdiesen Anforderungen werden Sie mit diesem Gesetz-entwurf nicht gerecht. Daran ändert auch nichts, dass Sieden Entwurf des Gesetzes vor drei Tagen aufgrund dermassiven Proteste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaftund der Netzgemeinde noch einmal geändert haben.
– Dadurch ist er aber nicht besser geworden, Frau Kolle-gin Rößner.
Im Gegenteil, jetzt ist klar: Die Urheber, also die Journa-listen, die ihre geistigen Produkte an die Verleger zurVeröffentlichung geben, werden nicht geschützt.Deshalb haben gestern auch die Freischreiber und derDeutsche Journalistenverband in einer Pressemitteilungklar erklärt, dass sie dieses Gesetz ablehnen. Sie wissen,meine Damen und Herren: Gerade den Schutz der Jour-nalisten, der Urheber, wollten wir immer. Die Union hatimmer behauptet, dass der Schutz durch dieses Gesetzerzielt würde. Jetzt sagen die Journalisten aber: Voneuch, von eurem Gesetzentwurf, fühlen wir uns nichtvertreten.
Im Gegenteil: Sie fürchten eine eindeutige Verschlechte-rung. Ich glaube auch, dass durch das Gesetz in der Tateine Verschlechterung eintreten wird.Das wirklich Schwierige ist, dass Sie dieses Leis-tungsschutzrecht als ein Verbotsrecht ausgestaltet haben.Herr Kollege Thomae, es ist ja richtig: Die Urheberkönnen ihre Produkte weiter ins Netz einstellen. DasProblem ist nur: Suchmaschinen dürfen nicht auf sie ver-linken; Suchmaschinen dürfen die Produkte nicht mehrzugänglich machen, wenn keine Lizenz erteilt wurde.Das heißt konkret: Jeder gewerbliche Anbieter inDeutschland, der seine Produkte auffinden lassen undzur Verwertung bringen möchte – das gilt dann auch fürviele kleine Anbieter und nicht nur für die großen Tages-zeitungen –, muss Lizenzverträge abschließen, wenn erdenn über Suchmaschinen im World Wide Web gefun-den werden will. Wenn ich das richtig sehe, gilt daswegen des EU-Vertrags und wegen einer fehlendenRegelung im Gesetz auch für alle Presseverlage der Eu-ropäischen Union.Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, der auchnur ein bisschen vom Internet versteht, weiß, dass dasein völliges Unding ist. Wie will man heutzutage imWorld Wide Web überhaupt noch irgendetwas ohneSuchmaschinen finden?
Deswegen ist die Verpflichtung für Presseverleger, einesolche Lizenz abzuschließen, für meine Begriffe einkomplett unverhältnismäßiger Eingriff in ihre Grund-rechte.
Sie können das von den Menschen in der Wirtschaftnicht verlangen.Darüber hinaus sind im Hinblick auf die Normenklar-heit zahlreiche andere Punkte zu berücksichtigen:Es ist völlig unklar, meine Damen und Herren, abwann denn jemand Presseverleger ist. Ist man als Betrei-ber eines Blogs mit periodisch erscheinenden Einträgenschon Presseverleger? Ist man es ab der dritten Veröf-fentlichung eines Blogeintrags oder ab der fünften Ver-öffentlichung?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28225
Brigitte Zypries
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Und wenn man ab der fünften Veröffentlichung Presse-verleger ist, ist man es dann auch rückwirkend bei denersten vier?Was ist denn überhaupt ein Presseerzeugnis? DieBlogs fallen sicherlich darunter. Aber die Frage, ob dieWebseiten der Bundestagsabgeordneten mit ihren Infor-mationsangeboten darunterfallen, das konnte in keinereinzigen Sitzung, an der ich teilgenommen habe, beant-wortet werden.
– Ja. Ich war aber in anderen Ausschüssen, im Aus-schuss für Kultur und Medien und im Unterausschuss„Neue Medien“, wo diese Frage, Herr Kollege, auch einThema war und das zuständige Ministerium leider keinebelastbare Antwort geben konnte.
Durch die Gesetzesänderung, meine Damen und Her-ren, sind jetzt „einzelne Wörter und kleinste Textaus-schnitte“ vom Leistungsschutzrecht ausgenommen; da-rüber sprachen wir eben schon. Zu der Frage, wie es sichmit Bildern verhält, Herr Thomae, habe ich keine Rege-lung gefunden. Ich weiß also nicht, ob nach wie vor dieBGH-Rechtsprechung gilt oder Sie das mit diesem Ge-setz ändern. Vielleicht kann einer der Koalitionsrednernachher dazu eine Auskunft geben; Herr Dr. Krings, daswäre freundlich.Einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte – mankann darüber rätseln, was das ist. Bei heise online kannman nachlesen, dass die FDP eine Länge von 160 Zei-chen festschreiben wollte. Das steht nun aber so nicht imGesetzentwurf. Jetzt fragt man sich natürlich: Wasschließen wir daraus? Müssen es weniger als 160 Zei-chen sein, oder dürfen es eben auch mehr sein?
Wie definiert man den Begriff „kleinster Textaus-schnitt“? Steht die erlaubte Länge jetzt im Verhältnis zurLänge des gesamten Textes des Beitrags? Hat also einText von zehn Seiten einen anderen kleinsten Text-ausschnitt als ein Text von einer Seite? Oder reden wirvon einer absoluten Größe? Darf eigentlich „Bayern ge-gen Dortmund 1 : 0“ – oder „Dortmund gegen Bayern1 : 0“ – lizenzfrei bleiben oder nicht?
Was dürfen also Suchmaschinen lizenzfrei anzeigen?Meine Damen und Herren, Sie sehen: Dieser Gesetz-entwurf erfüllt die Ansprüche des Bundesverfassungsge-richts an die Normenklarheit und des Bestimmtheits-grundsatzes in keiner Weise. Die Schutzlücke, die, wiees die Union immer behauptet, geschlossen werden soll,wird nicht geschlossen. Denn ich garantiere Ihnen: Vorallem Gerichte werden sich mit dem Leistungsschutz-recht befassen, bevor auch nur irgendein Verlag Geld fürsein Angebot im Internet bekommt.Zuvor allerdings, meine Damen und Herren, wird sichdie EU-Kommission noch um dieses Gesetz kümmern.In der Süddeutschen Zeitung können wir heute schon le-sen, dass die Kommission beim BMJ angefragt hat, wiees sich hier eigentlich mit der Notifizierungspflicht ver-halte.Seit drei Jahren, meine Damen und Herren, diskutie-ren wir jetzt das Leistungsschutzrecht. Das, was heutevorliegt, ist allerdings von dem, was ursprünglich einmalgeplant war, weit entfernt.Ich glaube nicht, dass das Gesetz dazu dient, dieVerleger im Internetzeitalter zu schützen. Dabei wäre esnotwendig gewesen, die Diskussion darüber zu führen.In der Tat sind Anstrengungen nötig, um sich damit aus-einanderzusetzen, wie sich die Zeitungslandschaft inDeutschland vor allen Dingen durch das Internet verän-dert. Wir von der SPD haben dazu einen Entschließungs-antrag vorgelegt. Da können Sie unsere Vorschlägesehen. Wir glauben, dass das alles besser gewesen wäreals das, was Sie hier heute präsentieren.
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Günter Krings
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wie schwach die Argumente der Opposition inder Sache waren und sind, haben wir eben schon in derGeschäftsordnungsdebatte erlebt. Sie wollen der Diskus-sion ausweichen.
Sie haben sich diese Diskussion nicht zugetraut: Siewollten den Punkt absetzen, wir wollen in der Sachedebattieren – im Interesse aller, die hier oder an denFernsehgeräten zuschauen und wissen wollen, wie dieSachargumente sind und wie der Bundestag abstimmt.
Sie wollen sich der Diskussion nicht stellen und wolltendeshalb den Tageordnungspunkt absetzen.
Mit dem heute zu beschließenden Leistungsschutz-recht für Presseverlage geht es nicht um mehr, aber auchnicht um weniger als die Schließung einer Lücke im Ur-
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heberrecht. Die Grundprinzipien dieses Urheberrechtssind ganz einfach. Das können durchaus auch einige vonIhnen verstehen. Es geht darum: Der Urheber hat einUrheberrecht, der Leistungsschutzinhaber – der Werk-mittler –, der zwischen dem Urheber und dem Nutzersteht, hat ein Leistungsschutzrecht. Diese Leistungs-schutzrechte gibt es seit Jahrzehnten im Urheberrecht fürHersteller von Tonträgern, Rundfunksendeunterneh-men, Filmhersteller, Schauspieler und viele andere.Dieses Leistungsschutzrecht ist jedenfalls immerdann notwendig, wenn der Werkmittler nicht mehr dieHerrschaft über den Vertriebsweg hat. Zu der Zeit, alsZeitungen noch rein in Printform erschienen, war dasnicht notwendig. Da war der Vertriebsweg in der Herr-schaft des Verlegers. Heute ist das eben nicht mehr so.Zeitungen werden – das werden Sie vielleicht wissen –auch online gelesen. Deswegen ist die Notwendigkeit ei-nes Leistungsschutzrechts offensichtlich begründet.
Wer es für falsch hält, dass Presseverlage – wie es bis-her ist – ihre Inhalte im Netz verschenken müssen, undwer es – wie wir – als fair ansieht, dass sie nicht nur amKiosk, sondern auch im Netz ihre Inhalte verkaufen dür-fen, der muss diesem Gesetz zustimmen.Manche Attacke aus der Opposition gegen die Ideedes Leistungsschutzrechts – das war es nämlich: Siehaben letztlich maßgeblich immer gegen die Idee desLeistungsschutzrechts als solches argumentiert –
hat wirklich viele, auch Kulturschaffende, in Deutsch-land zutiefst verunsichert.Sie sollten jetzt endlich einmal diese Debatte heutezum Anlass nehmen und hier deutlich machen, dass Siesich – jedenfalls grundsätzlich – zur Idee des Leistungs-schutzrechts bekennen. Sie werden das wahrscheinlichnicht tun, und ich sage Ihnen auch, warum nicht. Wersich grundsätzlich zur Idee des Leistungsschutzrechts inden anderen Bereichen bekennt, hat kein ernsthaftes Ar-gument mehr, genau dieses Leistungsschutzrecht nichtanzuerkennen.
Oder ist Ihr Problem vielleicht, dass es sich bei die-sem Leistungsschutzrecht speziell um ein Leistungs-schutzrecht handelt, das sich auf das Internet bezieht? –Dann sagen Sie doch offen, dass unsere Rechtsordnungund ihre gut begründeten Rechtsprinzipien im Internetaus Ihrer Sicht nicht gelten sollen.Die christliche-liberale Koalition steht dafür, dass ge-rade ein freies Internet einen fairen und verbindlichenRechtsrahmen braucht. Nur so können die Interessenvon Kreativen, Verlagen, Nutzern und der Internetwirt-schaft zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden.Begünstigte des Leistungsschutzrechts für Pressever-lage sind nicht nur Verlage, sondern auch Journalisten.Das haben wir so klar in den Entwurf des Gesetzes ge-schrieben. Aus dem Grunde setze ich – übrigens gemein-sam mit dem Deutschen Journalistenverband – darauf,dass sich eine Verwertungsgesellschaft dieses Themasannehmen wird. Nötigenfalls können wir als Gesetzge-ber hier auch noch einmal Druck machen. Wir wollen,dass die Arbeitsleistung von Journalisten und Verlagenangemessen vergütet wird.Das Internet ist ein hocheffizientes Medium zur Ver-breitung und Aggregation von Informationen. Mit Such-maschinen finden wir Inhalte natürlich besondersschnell. Aber die abgespeicherten und gefundenen In-halte schreiben sich eben nicht von selbst. Wir wollen,dass sich Leistung lohnt – auch im journalistischen undverlegerischen Bereich. Leistung kann sich aber nur loh-nen, wenn sie einen Preis hat. Einen Preis kann sie nurbekommen, wenn man ein Recht hat, auf das man sichberufen kann. Dieses Recht wird in diesem Bereich dasLeistungsschutzrecht sein.
Selbst eine Bezahlschranke, die manche Verlage auf-bauen wollen, ist zurzeit juristisch unwirksam, weil sieohne ein Leistungsschutzrecht juristisch nicht durchsetz-bar ist. Sie verhindern damit Innovation. Sie verhindernneue Bezahlangebote im Netz, wenn Sie gegen das Leis-tungsschutzrecht stimmen.Ein Geschäftsmodell, bei dem ein immer aufwendigerwerdender, kostenloser Onlinebereich quersubventio-niert wird von einem immer kleiner werdenden Printbe-reich, stößt an seine Grenzen. Das ist übrigens auch einwesentlicher Grund dafür, dass sich das Zeitungssterbenin Deutschland fortsetzt: Frankfurter Rundschau, Finan-cial Times Deutschland und manche Regionalzeitung.Das liegt nicht daran, dass die Menschen keine Zeitungmehr lesen wollen, sondern das liegt daran, dass wir keinangemessenes Bezahlsystem aufgebaut haben. Das Leis-tungsschutzrecht allein wird die Pressevielfalt inDeutschland nicht sicherstellen. Aber es ist ein wichtigerBeitrag für den Erhalt einer lebendigen Presselandschaftin unserem Land.Wir führen die Diskussion schon seit drei Jahren.Frau Zypries, Sie haben darauf hingewiesen, vielenDank für den Hinweis. Es ist zu Recht oft betont wor-den, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, den Kuchenzwischen Internetwirtschaft und Verlagen aufzuteilen.
Aber der Staat hat für faire Wettbewerbsbedingungen zusorgen, und darum geht es bei diesem Gesetz.Aus guten Gründen gibt es in Deutschland für Presse-und Medienunternehmen ein sehr strenges Medienkon-zentrationsrecht. Es soll verhindern, dass eine demokra-tiegefährdende Marktmacht entsteht. Diese Regelunggilt natürlich nicht für Internetsuchmaschinen, obwohles in diesem Bereich einen Marktführer mit 95 ProzentMarktanteil gibt. Es ist festzustellen, dass Google allein
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in Deutschland Werbeeinnahmen erzielt, deren Höhe dasübersteigt, was alle Zeitungsverlage gemeinsam in derOnlinewerbung erzielen können.
Von Anfang an ist es uns wichtig gewesen, dass die-ses Gesetz nicht für ein bestimmtes einzelnes Unterneh-men gemacht wird. Es geht auch darum, dass es News-Aggregatoren gibt – Harvester wurden genannt –, die insehr intensiver Weise die Inhalte fremder Webseiten ab-fischen. Die Inhalte werden dem Nutzer dann als eigenesAngebot mit eigenem Werbepartner unterbreitet, und sowird Geld auf Kosten anderer verdient.
Gerade in diesem Bereich ist die Erhebung von Lizenz-gebühren gerechtfertigt.Das Gesetz war nie als eine Lex Google gedacht. Beider Ausnahme, die wir am Mittwoch im Rechtsaus-schuss beschlossen haben, geht es nicht darum, dassSuchmaschinen insgesamt herausfallen. Für mich war eseine wichtige Klarstellung; denn wir wollten von vorn-herein ein schlankes Leistungsschutzrecht. Aber zur Be-ruhigung: Aufgrund der Änderung vom Mittwoch undder eingefügten Klarstellung unterfallen sogenannteSchnipselangebote von Suchmaschinen – man kann esauch auf Deutsch sagen, was sonst als Snippet bezeich-net wird – dann dem Leistungsschutzrecht, wenn derTreffer über die Überschrift und einige Wörter hinaus-geht.Es ist ein ermutigendes Ergebnis dieses Gesetzge-bungsverfahrens, dass auch Weltkonzerne des Internetsdie deutschen Gesetze beachten müssen, dass sie nichtüber dem Gesetz in Deutschland stehen. Das entsprichtjedenfalls unserer Auffassung, Ihrer offenbar nicht.
Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage ha-ben wir ein sachgerechtes Konzept zur Stützung derPressevielfalt und des Qualitätsjournalismus in Deutsch-land vorgelegt.Gestatten Sie mir einen kurzen Blick darauf, was dieOpposition vorschlägt. Kurz vor Toresschluss des Ver-fahrens haben alle Oppositionsfraktionen plötzlich nochEntschließungsanträge zum Thema Pressevielfalt vorge-legt. Kurz vor Ende gab es also noch ein wenig Bewe-gung, das klang auch schon in ein paar Wortmeldungenan.Zusammenfassend kann man sagen: Die SPD bewun-dert das Problem der Presseverlage, macht aber vor-sichtshalber keinen wirklichen Vorschlag in der Sache.
Sie fordert lieber die Bundesregierung auf, einen neuenGesetzentwurf vorzulegen. Auch die Linke hat eine Idee,was man machen könnte.
Man könnte nicht nur Runde Tische einberufen, sondernman könnte auch – so las ich in der Presse – staatlicheSubventionen für die Presse einführen. Durch staatlicheSubventionen könnte man letztlich – wenn man das zuEnde denkt – eine Staatspresse aufbauen. Aus Ihrer Sichtwurden damit ja ordentliche Erfahrungen gemacht.
Die Grünen fordern zu diesem Thema einen RundenTisch, auch das ist ein sehr origineller Vorschlag.Man kann zusammenfassen: Wir wollen mit demLeistungsschutzrecht ein Instrument schaffen, das dieberechtigten Interessen von Verlagen und Journalistengegenüber Internetunternehmen schützt. Sie wollenRunde Tische und Steuergelder für die Presse. Sie pala-vern, wir handeln. Ich bitte um Zustimmung für unserenGesetzentwurf.
Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Medi-enkonzern Springer ruft, und fast das ganze Regierungs-lager springt – wie die Lemminge ins schwarze Loch.Zur Vorgeschichte: Bereits seit Jahren rühren die gro-ßen deutschen Presseverlage die Trommel dafür, dassdieses Gesetz auf den Weg gebracht wird. Im Herbst2009 ist es ihnen dann endlich gelungen: Das Leistungs-schutzrecht stand im Koalitionsvertrag von Union undFDP.So viel zum Thema „Machtverschiebung zwischen Me-dien und Politik“, so viel zum Thema „Erpressbarkeitvon Politik durch die Macht der Medienkonzerne“.
Ziel des Leistungsschutzrechts war es, Informations-dienstleistern im Internet, allen voran Suchmaschinen,nur noch gegen Genehmigung, aber insbesondere gegenBezahlung zu erlauben, dass sie Verlagsinhalte, alsoPressetexte, im Internet auffindbar machen. Allerdings– das haben wir immer wieder gehört – sind Onlineange-bote der Verlage ohne Suchmaschinen und andere Infor-mationsdienstleister im Internet gar nicht systematischauffindbar. Noch vor einem Monat sprach der Vorstands-vorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, ineinem Interview von bis zu 80 Prozent der Leser, die al-lein über Google bei den Angeboten seines Verlages lan-den und ihm so sozusagen die Chance geben, Geld zuverdienen. Es gibt also nüchtern betrachtet überhauptkeinen stichhaltigen Grund für dieses Gesetz. Das wirderst recht deutlich, wenn man bedenkt, dass die Bundes-regierung überhaupt keine belastbaren Daten besitzt, umAuskunft darüber geben zu können, wie viel Suchma-
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Dr. Petra Sitte
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schinen oder ähnliche Dienste direkt mit Verlagsinhaltenverdienen. Diesen Offenbarungseid musste sie abgeben,als sie auf eine Kleine Anfrage der Linken zu antwortenhatte.Das Leistungsschutzrecht ist aber nicht nur unnötig,es ist auch schädlich:Erstens. Im Text ist überhaupt nicht klar definiert, weralles als Verlag anzusehen ist. Die Interpretationsbreiteist groß. Das Gesetz wird mehr Verwirrung als Klarheitstiften. Das ist aber nicht die Aufgabe von Gesetzen,wenn ich mich recht erinnere.
Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, was genau ge-schützt werden soll und warum. Es geht nun einmal umPressetexte, und diese sind durch das Urheberrecht klarvor unerlaubter Nutzung geschützt. Der neue Schutz, sosagen jetzt Verlage, soll nun für verlagstypische Eigen-leistungen bestehen. Jetzt fragen wir uns natürlich: Wo-rin sollen die bestehen, wenn es ausschließlich um dieAnzeige von Texten durch Informationsdienstleister imInternet geht? Das ist ebenso schleierhaft. Sie schaffenalso ein Recht für Verlage an etwas, was eigentlich denUrheberinnen und Urhebern zustünde, falls es dennüberhaupt einen stichhaltigen Grund für das Gesetz gibt.
Nun steht zur Beruhigung in dem Gesetzentwurf, dassVerlage Urheberinnen und Urheber an den möglichenEinnahmen angemessen beteiligen müssen. Wie die an-gemessene Beteiligung aussehen soll und wie die Betei-ligung ausgehandelt werden soll, steht aber nicht in demGesetzentwurf. Damit überlassen Sie das dem freienSpiel der Kräfte. Aber wir haben in der parallel laufen-den Debatte zum Urhebervertragsrecht ja längst erlebt,was dann passiert: Bisher klappt dabei gar nichts ver-nünftig. Sie geben also den Medienkonzernen einen wei-teren Machtvorteil gegenüber Journalistinnen und Jour-nalisten. Ich gratuliere zu dieser Leistung.Drittens. Es bleibt ungeregelt, wie sich Suchmaschi-nen und Co. mit der durch das Gesetz nicht klar definier-ten Gruppe der Verlage über Nutzungsgenehmigungenund Nutzungsgebühren einigen sollen. Das ist völlig of-fen. Unzählige Onlineanbieter müssten mit TausendenVerlagen Verhandlungen führen. Das sind Dinge, diesich nur große Konzerne mit vollen Kriegskassen undgroßen Rechtsabteilungen leisten können.
Kleinere und mittelständische Unternehmen, regional tä-tige Verlage oder Internet-Start-ups kommen da schlichtund ergreifend gar nicht mit, die können sich das näm-lich nicht leisten.
Sie schaffen hier also ein Gesetz aus lauter Rechtsun-sicherheiten. Damit stärken Sie das Recht des Stärkerenund schwächen dazu noch die Schwachen. Dazu kannich nur sagen: Das ist Wahnsinn mit Methode.
Als wäre das alles nicht schon genug, kamen Sie amDienstag – am Dienstag dieser Woche, wohlgemerkt –wie Kai aus der Kiste mit einem neuen Änderungsan-trag. Jetzt soll es den Informationsdienstleistern und denInformationsdienstleisterinnen im Internet wieder ge-nehmigungsfrei möglich sein, einzelne Wörter und ein-zelne Textausschnitte, die sogenannten Snippets, weiter-zuverwenden. Nun wird die ganze Sache endgültigabsurd: Erst legte die schwarz-gelbe Bundesregierungeinen Gesetzentwurf vor und begründet ihn mit genaudiesen Snippets:
Diese Snippets würden den Verlagen schaden. Dann ka-men die Regierungsfraktionen und änderten den Gesetz-entwurf so ab, dass genau diese Snippets jetzt ausge-nommen sind. Das heißt, der Hauptgrund der Kritik istentfallen. Jetzt frage ich mich: Ist damit nicht auch derHauptgrund des Gesetzes entfallen?
Um die Verwirrung dann noch weiter aufzuschäumen,definieren Sie kein Stück klar, was Sie eigentlich unterdiesen einzelnen Snippets verstehen, wie lang die seindürfen. Da kann ich aus der Erfahrung der letzten Jahrenur sagen: Ich sehe schon vor meinem geistigen Auge,wie sich Abmahnanwälte die Hände reiben und über einneues Geschäftsfeld freuen.
Meine Damen und Herren, Sie drehen also die ur-sprüngliche Intention des Gesetzes ins Gegenteil, undSie führen weitere Rechtsunsicherheiten ein. Das istnicht logisch, könnte man jetzt sagen – aber für schwarz-gelbe Großhirne schon. Okay, machen Sie es!Wenn wir aber einmal wohlwollend annehmen, dassauch mit der Änderung das Leistungsschutzrecht die ge-wohnte Artikelvorschau, wie wir sie jetzt im Internetvorfinden, in Suchmaschinen erlaubt, was bitte kanndann das Gesetz noch bewirken? Zunächst einmal – zudiesem Thema ist schon alles gesagt – Rechtsunsicher-heiten zuhauf. Solange diese bestehen, weiß niemand,was genau im Internet an Informationsweitergabe durchSuchmaschinen und ähnliche Dienstleister überhauptmöglich sein wird.Am Ende werden Suchmaschinen dann wahrschein-lich gar keine größeren Veränderungen erfahren. Verlagewerden von diesen kein neues Geld einnehmen. Aberimmerhin werden sie ein Recht haben, das eigentlich denUrheberinnen und Urhebern zusteht, und all die neuenApps, Programme und Dienste, die es heute jenseits vonSuchmaschinen so spannend und bequem machen, alsNetznutzerin die unterschiedlichsten Nachrichten, Arti-kel und Reportagen zu entdecken, werden in Deutsch-land nicht möglich sein – außer sie werden dann wiede-rum von Springer oder von Burda angeboten. Meine
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Dr. Petra Sitte
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Damen und Herren, Vielfalt und Innovation stelle ichmir anders vor.
Konstantin von Notz ist der nächste Redner für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Kollege Thomae, wenn manIhnen hier so zuhört, gewinnt man den Eindruck, Sieverstünden die ganze Aufregung nicht. Der KollegeKrings spricht von einem mutigen Verfahren.Das letzte Mal, als Sie hier mit einem ganz ähnlichenVorgehen die Regelungen zum Melderecht in der letztenKurve geändert haben, haben Sie ein datenschutzrecht-liches Eigentor sondergleichen geschossen, was wir jetztgerade erst im Vermittlungsausschuss mühsam korrigie-ren mussten. Heute stellen Sie sich hier hin und schießensofort das nächste Eigentor.Dabei wissen Sie es besser. Ihr schlechtes Gewissenin Sachen Leistungsschutzrecht dokumentieren Siedurch bizarre Pressekonferenzen. Da lädt der Vorsit-zende des Rechtsausschusses, der Kollege Kauder, einund erklärt sachkundig die mannigfaltigen verfassungs-rechtlichen Probleme, von Art. 5 GG bis hin zum nichterfolgten Notifizierungsverfahren. Gestern nun der Ver-such, auf einer neuen Pressekonferenz die Wogen zuglätten: Sie versuchten den Eindruck zu erwecken, manhabe das Gesetz völlig entschärft.Tatsächlich haben Sie das ganze Ding in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Büro des Kollegen Heveling er-heblich verschlimmbessert. Mit vagen, gänzlich unbe-stimmten Rechtsbegriffen helfen Sie keinem Verlag, Siehelfen keiner Journalistin und keinem Journalisten. Siesetzen hier auf ein Beschäftigungsprogramm für Juris-ten, meine Damen und Herren.
Sie sind nicht imstande, den Grundwiderspruch IhrerArgumentation, Herr Kollege Heveling, hier aufzulösen.Auf der einen Seite sagen Sie: Wir brauchen ein Leis-tungsschutzrecht; der Status quo ist untragbar. Ebennoch hat das der Kollege Krings gesagt. Auf der anderenSeite beschwichtigen Sie und sagen: Keine Aufregung!Wir ändern ja nichts am Status quo. – Das ist hoch wi-dersprüchlich, und es ist falsch. Die Wahrheit ist: Sie ha-ben keinen blassen Schimmer, was Sie mit diesem Ge-setz anstellen.Dreieinhalb Jahre haben Sie im rechtspolitischen Ne-bel herumgestochert, was das Leistungsschutzrecht soll,was es könnte, ob es überhaupt trägt. Jetzt liefern Siehier bewusst nur ein Schlagwort aus dem Koalitionsver-trag ab. Den Rest sollen andere klären: die Anwälte, dieGerichte, der Bundesrat, vielleicht demnächst der Ver-mittlungsausschuss. Das ist nicht nur politisch unterir-disch, meine Damen und Herren, es ist auch eine Ver-kennung des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Wir alsGesetzgeber müssen die Gesetze hinreichend bestimmtformulieren. Wir können die Probleme nicht einfach andie Rechtsprechung outsourcen.
Sie sagen gern, Herr Kollege Krings, die Oppositionversucht, dieses Thema hochzuziehen. Ich sage Ihneneinmal, wer dieses Thema noch alles hochzieht: der BDI,die Unternehmensverbände von BITKOM und eco, dasMax-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wett-bewerbsrecht, der Deutsche Journalisten-Verband ge-nauso wie der Berufsverband freier Journalistinnen undJournalisten und der Chaos Computer Club. Alle sindgegen Ihren Gesetzentwurf. Das gilt auch für namhafteVerfassungsrechtler und so gut wie alle Urheberrechts-experten dieses Landes, alle Jugendorganisationen derParteien, den ehemaligen Chef der Monopolkommis-sion, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Ihreneigenen Reihen, darunter auch die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär, die hier netzpolitischeinmal goldrichtig liegt. Schließlich ist auch die gesamteZivilgesellschaft dagegen, die aller Voraussicht nach miteiner neuen Abmahnwelle überzogen werden wird. Dasist keine hochgezogene Kritik. Dieses Gesetz ist eines,das keiner will und keinem nutzt.
Das ganze Unternehmen hat nur einen einzigen Sinn:die Gesichtswahrung Ihrer Kanzlerin, die im letztenBundestagswahlkampf den großen Verlagen ein solchesGesetz versprochen hat. Wir sind aber als Parlamentnicht dazu da, irgendwelche hanebüchenen schwarz-gelben Koalitionsvereinbarungen zu erfüllen.Justus Haucap hat völlig recht: Das Gesetz, Ihr ganzesVorgehen ist ein einziges Fiasko. Sie stehen vor einemScherbenhaufen.
Sie haben in der Netzpolitik nichts zustande gebracht,und das kleine bisschen Vertrauen, das Sie mit der En-quete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“vorne für sich hochgepuzzelt haben, reißen Sie jetzt mitdem Hintern wieder ein.Wissen Sie, gerade fährt Ihr Wirtschaftsminister insSilicon Valley und staunt. Kaum ist er wieder zu Hause,verabschieden Sie hier ein Gesetz, das es in keinem an-deren Land dieser Welt gibt und das den IT-StandortDeutschland um Jahre zurückwirft, ein Gesetz, das fatalan ein großes netzpolitisches Vorhaben am Ende derletzten Legislatur erinnert, nämlich das verfassungs-rechtlich ebenfalls hoch umstrittene Zugangserschwe-rungsgesetz, das heute zum Glück Geschichte ist.
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Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Die Größe, sich Ihr eigenes Scheitern einzugestehen,
haben Sie nicht. Das ist sehr bedauerlich.
Ganz herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Manuel
Höferlin das Wort.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich habe manchmal den Eindruck, hierwird noch über eine alte Version des Gesetzentwurfs ge-sprochen.
Kollege von Notz, manche Dinge, die Sie gesagt haben,treffen vielleicht auf die Vorvorvorversion oder auf ei-nen Referentenentwurf zu, aber nicht auf das, über daswir heute diskutieren.Grundsätzlich finde ich es interessant, dass sich dieSPD und die Linke fast dahin gehend geäußert haben,dass wir zu wenig geregelt haben. Sie hätten gerne nochviel mehr.
Das habe ich im Vorfeld anders gehört. Bei der SPDmuss man ja bedenken, inwieweit Sie aufgrund Ihrervielen Verlage betroffen sind. Bei einer Sitzung in einemGemeinderat müssen Betroffene, wenn es zum Beispielum Bauprojekte geht, rausgehen. Aber hier im Bundes-tag dürfen Sie, obwohl Sie betroffen sind, mitdiskutie-ren.
Deswegen muss man sich genau anschauen, wie Sie hierdazu stehen.Lassen Sie mich kurz auf die Sache eingehen. Wir ha-ben einen langen Weg hinter uns. Über drei Jahre habenwir über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ge-redet. Uns wurde hier vorgeworfen, es gäbe einenWunschzettel. Sie von der Linken haben gesagt, dieSpringers hätten einen Wunschzettel abgegeben, und wirwären gesprungen.
Das ist genauso absurd, als würde ich sagen: Google hatbei Ihnen angerufen, und Sie sind gesprungen. – DerWunschzettel entspricht inzwischen längst nicht mehrdem, über das wir heute diskutieren.Wir haben keine Lesegebühr, wir haben keine zwin-gende Umverteilung von Geldern. Es geht in dem Ge-setzentwurf überhaupt nicht um Gelder, sondern es gehtum eine Rechtsposition. Kollege Krings hat sehr gut dar-gelegt, dass wir eine Lücke haben. Selbst HerrOppermann hat vorhin gesagt: Es gibt einen grundsätz-lich legitimen Anspruch der Verleger. So haben Sie esvorhin gesagt. Von daher ist das wohl mehrheitlich hierim Haus die Überzeugung.Jetzt komme ich zu den Kritikpunkten. Einer ist derunbestimmte Rechtsbegriff, den wir im Änderungsantrageingebracht haben. Übrigens ist der ÄnderungsantragAusfluss von zwei Anhörungen, einer Anhörung imRechtsausschuss und einer im Unterausschuss „NeueMedien“. Darüber wurde intensiv diskutiert.
Ein unbestimmter Rechtsbegriff wie zum Beispiel„kleinste Teile“ ist im Urheberrecht völlig gängig. ZumBeispiel ist in § 87 b des Urheberrechtsgesetzes bei denDatenbanken – da geht es auch um Leistungsschutz-rechte – von wesentlichen Bestandteilen die Rede. Ichhabe nicht gehört, dass es bei Datenbanken – die sind inder Netzwelt nun wirklich sehr verbreitet – jetzt eine rie-sige Abmahnwelle gäbe oder eine große Prozesslawineoder dass dies eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme fürAnwälte wäre. Von daher ist es durchaus normal undvöllig systemkonform, einen unbestimmten Rechtsbe-griff zu verwenden.
Die abstrakt generelle Regelung ist auch angemessen,weil es darum geht, auf der einen Seite eine Leistung zuschützen und auf der anderen Seite – das ist Ausfluss derAnhörung – das Bedürfnis der Netznutzer zu befriedi-gen, auf Suchanfragen qualifizierte Ergebnisse zu be-kommen, mit denen man auch etwas anfangen kann.Dies soll weiterhin gewährleistet sein.Diese Abgrenzung ist durch den Änderungsantragentstanden. Wir reden nicht über ein völlig neues Gesetz,wir reden nicht über einen völlig anderen Regelungs-charakter, sondern wir haben aufgrund der Anhörungs-ergebnisse erkannt: Es gibt die Befürchtung – und daswar genau der Kritikpunkt –, dass Informationsfreiheitmöglicherweise gefährdet sei. Genau diesen Punkt ha-ben wir aufgegriffen, und genau diesen Punkt haben wirminimalinvasiv verändert mit der Maßgabe, dieses frei-zustellen.Mehr ist immer noch möglich. Es ist schlichtwegfalsch, dass Suchmaschinen oder Aggregatoren nichtmehr arbeiten könnten.
Es ist schlichtweg falsch, Frau Kollegin, dass man keineApps mehr kriegen kann.
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Manuel Höferlin
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Nach dieser Rechtsposition ist es nur so, dass man denEigentümer des Inhalts vorher fragen muss.
– Ja, aber es ist doch Aufgabe der Marktteilnehmer, sichzu überlegen – auch wenn es tausend sind –, ob sie sichvielleicht zusammentun möchten. Wir schreiben ja nichtins Gesetz: Es darf keine Verwertungsgesellschaft ge-ben.
Wir sehen eine auf freiwilliger Vereinbarung zustandegekommene Verwertungsgesellschaft vor, und das ist einwesentlicher Unterschied und vielleicht auch eine wich-tige Feinheit.Deswegen ist es klug und richtig, einen Ausgleichzwischen dem Recht von Verlegern und Verwertern, ihreInhalte auch weiterhin zu verteilen und die Kontrolledarüber zu haben, und denjenigen zu schaffen, die imNetz suchen und qualifizierte Suchergebnisse im Netzhaben wollen. Wer mehr nutzen möchte als kleinsteTextausschnitte, der muss den Eigentümer vorher fragen.
Wenn der dann sagt: „Ja, meine Inhalte könnt ihr in un-beschränktem Maße nutzen“, dann ist das auch in Ord-nung. Das entspricht genau dem, wie wir Urheberrechtverstehen. Das ist der Ausgleich zwischen zwei Rechts-positionen, ohne dass es zur Umverteilung kommt, ohnedass wir ein bürokratisches System aufbauen.
Es geht vielmehr um ein eigenes Recht der Verlage, zubestimmen, was mit ihrem Eigentum geschieht und wasnicht.Herzlichen Dank.
Lars Klingbeil erhält nun für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich gebe zu, ich habe nicht mehr daran ge-glaubt, dass wir uns hier heute in der zweiten und drittenLesung mit dem Leistungsschutzrecht beschäftigen müs-sen. Zu klar waren die vielen Argumente gegen diesesLeistungsschutzrecht, das heute auf den Weg gebrachtwerden soll, und zu deutlich und zu groß war der Wider-stand, den es aus allen gesellschaftlich relevanten Grup-pen gegen dieses Leistungsschutzrecht gegeben hat.Wenn man sich den gesamten Weg dieses Leistungs-schutzrechts anschaut, dann ist klar: Dieses Gesetz stehtexemplarisch für den politischen Verfall dieser schwarz-gelben Koalition.
Es war ein unwürdiges Schauspiel, das wir an vielenStellen erlebt haben. Wenn man ein Gesetz zwei Tagevor der zweiten und dritten Lesung so maßgeblich verän-dert, was ja auch Redner aus dem schwarz-gelben Lagerzugegeben haben, und wenn man das Ganze dann hierim Eilverfahren durchdrückt, dann ist das ein Programmfür die Steigerung von Politikverdrossenheit. Es gibtviele Menschen, die wollen erklärt haben, was hier ei-gentlich passiert. Diese Erklärungen wurden in der heu-tigen Diskussion nicht geliefert.
Mehr als drei Jahre lang wurde diskutiert. Das Gesetzwurde in den letzten Wochen aufgesetzt, und es wurdeabgesetzt. Wir haben zwei Tage vor der entscheidendenAbstimmung eine gravierende Änderung bekommen,und heute soll das Gesetz im Eiltempo durchgeboxtwerden.Die Anhörung im Rechtsausschuss und im Unteraus-schuss „Neue Medien“ – da war ich dabei – habenteilweise vernichtende Kritik am Leistungsschutzrechterbracht. Wir haben gesehen, es gibt schon heute techni-sche Möglichkeiten, es gibt große rechtliche Bedenken.Ich frage mich: Wie sollen wir als Parlamentarier eigent-lich damit umgehen?Siegfried Kauder, der Vorsitzende des Rechtsaus-schusses, hat erklärt, er habe verfassungs- und europa-rechtliche Bedenken – ich zitiere –:Wir stehen vor dem Dilemma, dass wir einengroßen Teil unserer Hausaufgaben nicht gemachthaben.Da hat Herr Kauder recht, und deswegen wäre es auchrichtig gewesen, die Entscheidung heute zu verschiebenund uns Zeit zu nehmen, uns das Leistungsschutzrechtnoch einmal genau anzuschauen.Wenn Herr Kauder von verfassungsrechtlichen Be-denken geredet hat, dann frage ich mich: Sind die eigent-lich in den letzten beiden Tagen ausgeräumt worden?Oder ich verweise auf den Kollegen Peter Tauber, ei-nen geschätzten Kollegen aus der Enquete-Kommission,der ja erklärt hat, warum er heute gegen das Leistungs-schutzrecht stimmt. Da frage ich mich: Wie kann es ei-gentlich sein, dass diejenigen, die von der CDU/CSU indie Enquete-Kommission geschickt werden, diejenigen,denen man sagt: „Ihr seid unsere Netzexperten, und ihrvertretet uns da“, zum großen Teil das Leistungsschutz-recht ablehnen, das aber trotzdem ohne Relevanz in derschwarz-gelben Regierung bleibt?Außerhalb des Parlaments gibt es ein großes Bündnis:Wirtschaftsverbände wie BDI, BITKOM und eco,Jugendverbände der Parteien wie Jusos, Grüne Jugendund Junge Union sowie der Chaos Computer Club, siealle sprechen sich gegen dieses Leistungsschutzrechtaus. Ich sage Ihnen: Es gibt nicht viele Momente, indenen es ein solch großes Bündnis gibt. Auch alle nam-haften Urheberrechtsexperten haben sich gegen das
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28232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Lars Klingbeil
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Leistungsschutzrecht ausgesprochen. Gestern hat sichauch der Deutsche Journalisten-Verband klar positioniertund uns aufgefordert, diesem Gesetzentwurf heute nichtzuzustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derschwarz-gelben Seite, was muss denn eigentlich noch al-les passieren, damit Sie merken: „Dieses Leistungs-schutzrecht brauchen wir nicht“?
Herr Kollege Klingbeil, darf der Kollege Höferlin
eine Zwischenfrage stellen?
Nein, momentan nicht. Sie haben eine weitere Anhö-rung abgelehnt; dann lasse ich auch keine Zwischenfra-gen zu.
Wirtschaftsminister Rösler hat einen Beirat „JungeDigitale Wirtschaft“ gegründet. Reden Sie doch einmalmit denjenigen, die in diesem Beirat sitzen! Alle dortlehnen das Leistungsschutzrecht ab. Ich sage Ihnen: Fürviele Menschen steht hinter der Frage, warum derGesetzentwurf zum Leistungsschutzrecht so schnell ver-abschiedet werden soll, ein großes Fragezeichen. Ersthandelte es sich um eine Lex Google. Dann wurde ver-ändert. Jetzt heißt es: Einzelne Wörter und kleinste Text-ausschnitte sind ausgenommen. Sie schaffen damit vageund unklare Rechtsbegriffe. Sie überlassen die Aus-legung dieses Gesetzes ganz offen Gerichten.
Ich habe vorhin schon gesagt: Das ist eine Arbeitsbe-schaffungsmaßnahme für Anwaltskanzleien. Gerichtemüssen nachher klären, wie es mit diesem Leistungs-schutzrecht weitergeht. Sie schaffen Rechtsunsicherheit,und ich sage Ihnen: Sie verhindern auch Innovationen.Google war lange Zeit die Zielscheibe dieses Gesetzes.Aber jetzt werden es kleine Unternehmen, Mittelständlerund innovative Unternehmen sein, die hier am deutschenMarkt erfolgreich sein sollten; das wäre unser Wunsch.Aber Sie würgen diese Innovationen ab.
Die SPD hat sich intensiv mit dem Leistungsschutz-recht auseinandergesetzt – das wissen Sie –, wir habeneigene Gutachten auf den Weg gebracht, und wir habendiskutiert. Aber wir sind zu dem Entschluss gekommen:Ein Leistungsschutzrecht in Deutschland ist nicht not-wendig. Auch wir sagen: Ja, es gibt Probleme. Es gibtProbleme bei den Verlagen, um die wir uns kümmernwollen. Wenn Sie sich den Entschließungsantrag, denwir eingebracht haben, anschauen, dann stellen Sie fest,dass wir sagen: Es ist beispielsweise problematisch,wenn heute geschäftsmodellmäßig auf die Archive derSüddeutschen Zeitung zurückgegriffen wird, wenn dortherauskopiert wird, wenn etwas daraus unautorisiert ver-wendet wird. Aber das ist eine Problematik im Urheber-recht, für die wir kein neues Schutzrecht brauchen.
Deswegen noch einmal das Angebot: Ziehen Sie diesenGesetzentwurf zurück, und lassen Sie uns gemeinsamauf einen vernünftigen Weg kommen! Dann finden wireine Lösung, die keine Rechtsunsicherheit schafft undInnovationen nicht abwürgt.
Der Journalismus wandelt sich, liebe Kolleginnen undKollegen. Er ist dezentraler, er ist partizipativer, er istschneller geworden. Wir Sozialdemokraten haben unsviele Gedanken gemacht, wie wir Qualitätsjournalismussichern können. Wir haben im Jahr 2012 einen Antragzur Sicherung der Freiheit, der Vielfalt und der Qualitätund zur Finanzierung des Journalismus eingebracht, derüber 20 Vorschläge enthalten hat, was wir machen kön-nen, um Qualitätsjournalismus auch in Zeiten des digita-len Umbruchs zu gestalten. Dieser Antrag ist abgelehntworden, Herr Krings. Wenn Sie sich heute hier hinstellenund sagen: „Die Sozialdemokraten haben keine Ideen“,
dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sichden Antrag an, den wir eingebracht und den Sie abge-lehnt haben! Ihre Antwort auf die Herausforderungendes digitalen Wandels ist das Leistungsschutzrecht. Wirhaben darauf umfassendere Antworten gegeben. Wirhelfen Ihnen gerne weiter.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb,das Urheberrecht hat unter Ihnen dreieinhalb Jahre keineVeränderung erfahren. Sie haben die Züge aufeinanderzufahren lassen. Sie stehen mit offenem Mund vor denHerausforderungen, die das Urheberrecht mit sichbringt. Das Einzige, was in dieser Legislaturperiode amUrheberrecht geändert wird, ist das Leistungsschutz-recht. Das ist eine magere Bilanz. Ich sage Ihnen: Wirwerden diesen Gesetzentwurf, der heute verabschiedetwird, im Bundesrat stoppen. Dann können wir mit derDiskussion noch einmal von vorne anfangen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28233
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Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Höferlin
das Wort.
Herr Kollege Klingbeil, am Ende haben Sie Ihren An-
trag kurz erwähnt und gesagt, Sie hätten gute Vorschläge
gemacht. Wenn ich Ihren Antrag lese, dann stelle ich
fest: Im Kern sagen Sie, man sollte eine Beweislastum-
kehr einführen. Ist das Ihre Vorstellung von einem eige-
nen Recht für Presseverlage, so wie Sie es offensichtlich
– wie es auch geäußert wurde – für richtig halten?
Lieber Kollege Höferlin, vielen Dank für die Nach-
frage und auch dafür, dass Sie jetzt in der zweiten und
dritten Lesung anfangen, sich mit unseren Vorschlägen,
die schon die ganze Zeit im parlamentarischen Verfahren
sind, zu beschäftigen.
Ich habe es gerade gesagt: Wir sehen ein Problem da-
rin, wenn zum Beispiel auf das Archiv der Süddeutschen
Zeitung zugegriffen wird, vollständige Artikel unautori-
siert für Pressespiegel verwendet werden und daraus Ge-
schäftsmodelle entstehen. Das hat aber nichts mit dem
Leistungsschutzrecht zu tun. Darüber wären wir mit Ih-
nen ins Gespräch gekommen, wenn Sie nicht im Hau-
ruckverfahren das Leistungsschutzrecht durchgeprügelt
hätten.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Ansgar Heveling für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eskommt nicht oft vor, dass ein Thema aus dem BereichUrheberrecht einen so prominenten Debattenplatz wieheute bekommt. Es freut mich natürlich, wenn so dasThemenspektrum Urheberrecht und geistiges Eigentumnoch mehr Interesse wecken kann.Andererseits wurde in der Diskussion um die Einfüh-rung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage ausvielem mehr gemacht, als tatsächlich zur Debatte steht.Denn mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, treffenwir schlichtweg eine ordnungspolitische Entscheidung.Ebenso wie andere Werkmittler erbringen Pressever-leger eine wirtschaftliche und organisatorische Leistung.Viele andere Werkmittler wie zum Beispiel Tonträger-hersteller haben bereits ein Leistungsschutzrecht. Auchdie Urheber selbst, also im Fall der Presse die Journalis-ten, die einen Artikel verfassen, verfügen mit dem klas-sischen Urheberrecht über einen Schutz ihrer Leistun-gen.Presseverlegern, die Zeitungen und Zeitschriften inder Print- wie in der Onlineversion herstellen, steht einsolches Recht unmittelbar nicht zur Verfügung. Deswe-gen schaffen wir nun ein Leistungsschutzrecht für sie.Das bedeutet: Wir erfinden heute das Leistungs-schutzrecht nicht, und wir erfinden es schon gar nichtneu. Seit vielen Jahrzehnten – also auch schon lange vordem Zeitalter der Digitalisierung – haben wir einen bun-ten Strauß ganz unterschiedlicher Leistungsschutzrechteim Urheberrechtsgesetz. Insofern fügt sich das Leis-tungsschutzrecht für Presseverlage nahtlos in die soge-nannten verwandten Schutzrechte des Urheberrechts ein.Und wir gestalten dieses Leistungsschutzrecht aus.So kennt das Urheberrecht bei Werken etwa dasRecht, kleine Teile eines Werkes zu nutzen. Das Zitat-recht etwa vermittelt uns diese Befugnis. Durch die„Metall auf Metall“-Entscheidung hat nun der Bundes-gerichtshof, also die Rechtsprechung, festgestellt, dassdurch Leistungsschutzrechte auch bereits der kleinsteTeil eines Werkes geschützt ist.Als Gesetzgeber treffen wir nun die Entscheidung,dass es beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage eineuntere Grenze geben soll. Einzelne Wörter und kleinsteTextausschnitte eines Presseerzeugnisses, wie es im Ge-setzentwurf heißt, sollen vom Leistungsschutzrecht nichterfasst sein.
Mit dieser Festlegung treffen wir mithin eine Rege-lung, die gut in die Systematik des Urheberrechts passt.Dass wir die untere Grenze nicht in Zahlen genau fest-schreiben, ist dem Urheberrecht im Besonderen und un-seren Gesetzen im Allgemeinen nicht fremd. Unbe-stimmte Rechtsbegriffe gehören zum Alltag unsererRechtstradition, und sie tragen auch gerade der dynami-schen Entwicklung in der digitalen Welt Rechnung.Der Änderungsantrag beim Leistungsschutzrecht ent-hält nun einen einzigen unbestimmten Rechtsbegriff: diekleinsten Textausschnitte. Zum Beispiel in § 87 b Abs. 1des Urheberrechtsgesetzes – der Kollege Höferlin hateben schon darauf hingewiesen; das ist der Schutz desDatenbankherstellers – wimmelt es nur so von unbe-stimmten Rechtsbegriffen. Darin ist von wesentlichenTeilen einer Datenbank, die unwesentlichen Teilen einerDatenbank gleichstehen, die Rede. Das ist alles ausleg-bar. Doch die Datenbankhersteller stehen nicht jedenTag in den Schlagzeilen, weil es Probleme mit § 87 b desUrheberrechtsgesetzes gibt.
Insofern ist es offensichtlich möglich, mit unbestimmtenRechtsbegriffen umzugehen.
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28234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Ansgar Heveling
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Das gilt für die Praxis wie auch für die Rechtspre-chung. Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben gesagt:CDU/CSU und FDP überlassen die Auslegung den Ge-richten. – Ich bin froh, dass wir die Auslegung von Ge-setzen den Gerichten überlassen. Das nennt man nämlichGewaltenteilung.
Alles andere haben wir nach dem Zeitalter des Absolu-tismus schon hinter uns gelassen.
Die Praxis wie die Rechtsprechung werden mit dem Ge-setz umgehen können, und das wird für sie auch nichtsUngewohntes sein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den öffentlichenAnhörungen hat sich gezeigt, dass das Leistungsschutz-recht sowohl verfassungsrechtlich als auch technisch un-bedenklich ist. Das Verlinken von Presseartikeln bleibtauch in Zukunft frei. Auch die sozialen Netzwerke wer-den nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst. In der An-hörung im Unterausschuss „Neue Medien“ hat sogar dervon der Opposition benannte Sachverständige – er ist si-cherlich eher unverdächtig, für das Leistungsschutzrechtzu sein – ganz klar gesagt, dass die sozialen Netzwerkedurch das Gesetz nicht erfasst werden.Deshalb, meine Damen und Herren, ist die Informa-tionsfreiheit im Internet entgegen mancher Behauptungnicht beeinträchtigt. Von Beginn an war es nie das Ziel,durch die Einführung eines Leistungsschutzrechts fürPresseverlage den Informationsfluss im Internet zu be-hindern. Daher war auch verfassungsrechtlich von Be-ginn an klar: Das im Grundgesetz festgeschriebeneRecht auf Meinungsäußerung und Information wirddurch die Regelungen nicht berührt.
Beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage geht esnicht um Informationsfreiheit oder gar um die Freiheitinsgesamt – es geht darum, einen fairen Wettbewerb zuermöglichen und dafür Regeln aufzustellen, ganz genauso, wie wir das in der realen Welt als Gesetzgeber auchtun.
Wenn ich morgens am Kiosk eine Zeitung kaufen will,kann ich ja auch nicht unter Berufung auf die Informa-tionsfreiheit sagen: Lieber Kioskbesitzer, gib mir dieZeitung kostenlos!
Ich muss dafür selbstverständlich bezahlen, und daskann im Internet auch nicht anders sein.Wenn wir den Gesetzentwurf für ein Leistungsschutz-recht für Presseverlage heute beschließen, zeigen wir,dass wir als Gesetzgeber einer unserer wichtigsten Auf-gaben nachkommen: für einen sorgfältigen Ausgleichder verschiedenen Interessen zu sorgen und die Regelnunserer sozialen Marktwirtschaft sicherzustellen.
In unserem Nachbarland Frankreich kann man sehen,wie es auf keinen Fall gehen sollte. Aus meiner Sicht istdas, was in Frankreich auf diesem Gebiet geschehen ist,der Worst Case. Wenn in Frankreich ein Internetunter-nehmen, in diesem Fall Google, eine Einigung mit denVerlegern – in Form einer einmaligen Abschlagszahlungin Höhe von 60 Millionen Euro an den Staat – im Bei-sein des Staatspräsidenten feiert, dann ist das aus meinerSicht kein gutes Signal, weder an die Verleger noch andie Journalisten noch an die Nutzer noch an diejenigen,die mit guten und legalen Geschäftsmodellen im InternetGeld verdienen möchten. Es ist vielmehr das bedenkli-che Signal, dass die Politik vor der strukturellen und fi-nanziellen Macht einzelner Konzerne, eines großenPlayers im digitalen Raum, kapituliert.
Genau das tun wir heute nicht.
Wir kommen unserer Aufgabe nach und sorgen für denordnungs- und rechtspolitischen Rahmen, der gebotenist.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Tabea Rößner, Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Endeschlecht, alles schlecht. Seit drei Jahren murkst die Ko-alition an diesem Gesetz herum. Es wurde hoch und run-ter diskutiert und in den unterschiedlichsten Entwürfenvorgelegt. Alle renommierten Experten waren sich vonAnfang an einig: Dieses Gesetz verfehlt nicht nur dasZiel, es ist der größte Schwachsinn aller Zeiten; deshalbist es abzulehnen.
Drei Jahre Diskussion, und dann legen Sie uns dieseWoche einen völlig neuen Entwurf vor und behauptenallen Ernstes, Sie hätten das Problem erst jetzt richtigverstanden? Also, wir lassen uns nicht an der Nase her-umführen. Ihnen ist doch angesichts schwindenderMehrheiten der Hintern auf Glatteis gegangen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28235
Tabea Rößner
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Das heißt aber leider nicht, dass Sie zur Vernunft gekom-men wären; dann hätten Sie das Gesetz nämlich beerdi-gen müssen. Stattdessen stimmen wir heute über denScherbenhaufen Ihrer Verlags-Bauchpinseln-Politik ab.Denn Ihre Kanzlerin hat es versprochen.Niemand weiß, was genau vor wem geschützt werdensoll. Sie haben mir noch keinen deutschen Dienst ge-nannt, vor dem das Leistungsschutzrecht schützen soll.Gerade mit der Änderung der Koalition besteht völligeRechtsunsicherheit. Das hilft weder Journalisten nochVerlagen noch Informationsdiensten. Die einzigen Profi-teure werden Anwälte sein; das Leistungsschutzrechtwird Anwalts Liebling. Ist das politische Unfähigkeitoder dreiste Klientelpolitik?
Kollege Krings, Kollege Silberhorn, Sie haben ges-tern in einer Pressekonferenz gesagt, die Journalistenwollten dieses Gesetz und würden den jetzigen Entwurfbegrüßen. Alle drei großen Journalistenverbände, DJV,DJU und Freischreiber, haben sich zu Ihrem neuen Ent-wurf geäußert, begrüßt hat ihn aber niemand. Alle leh-nen diesen Unsinn ab. Von welchen Journalisten spre-chen Sie? Von Kai Diekmann? Niemand außer ein paargroßen Verlagschefs will das Leistungsschutzrecht –nicht die Journalisten, nicht die Wirtschaft, nicht dieWissenschaft und schon gar nicht das Netz.Kollege Krings, die Herrschaft über den Vertriebsweghaben die Verleger an dem Tag abgegeben, an dem sieihre Inhalte kostenfrei ins Netz gestellt haben. Sie wol-len also doch die Zahnpasta zurück in die Tube drücken,die die Verleger vorher herausgedrückt haben.
Wir wollen, dass Journalismus finanzierbar bleibt unddass gerade auch freie Journalisten von ihrem Job lebenkönnen. Wir sehen, dass einige Presseverlage inDeutschland in einer schwierigen Lage sind. Wie aberJournalismus zukünftig finanziert werden kann, beant-worten Sie nicht. Das Leistungsschutzrecht ist jedenfallsnicht die Lösung.
Wir fordern andere Instrumente, um die Situation vonVerlagen und Journalisten zu verbessern. Dazu brauchtman aber erst einmal valide Daten zum Pressemarkt. Sieregulieren hier wild herum, ohne zu wissen, wo es wel-chen Bedarf gibt. Dass ausgerechnet der Axel-Springer-Verlag eine Leistungsschutz-Infusion braucht, um seineJournalisten anständig zu bezahlen, kann ich mir bei ei-nem Gewinn von 590 Millionen Euro alleine 2011 nurschwer vorstellen.Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wollendas Leistungsschutzrecht für Presseverlage nur, weil esim Koalitionsvertrag steht. Hauptsache, der Name stehtdrüber, egal was drin steht! Das zeigen die zum Teil sehrkonträren Gesetzentwürfe.Das Gesetz wird heute allein zur Gesichtswahrungverabschiedet. Ich hoffe, das reicht, um sich bis auf dieKnochen zu blamieren.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird noch immer bestritten, dass es einen Handlungsbe-
darf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage gibt.
Ich rate den Kritikern, einmal nach Frankreich zu
schauen; denn die Lösung, die man dort gefunden hat, ist
heute noch gar nicht angesprochen worden. Sie belegt
aber, dass unbestreitbar ein Handlungsbedarf besteht.
Anfang Februar hat sich der Chef von Google mit
dem französischen Staatspräsidenten geeinigt und ein
Abkommen unterzeichnet, nach dem die Firma Google
60 Millionen Euro für die Nutzung von Verlagsinhalten
in der Vergangenheit – –
Einen Augenblick, Herr Kollege. – Ich darf die Kolle-
ginnen und Kollegen, die zur Abstimmung freundlicher-
weise in den Plenarsaal kommen, bitten, Platz zu neh-
men und dem letzten Redner zuzuhören. – Helfen Sie
mal da hinten! – Herr Kollege Schockenhoff, es gibt
noch hinreichend Plätze, um das Ende dieser Debatte ge-
ordnet zu verfolgen. – Bitte schön, Herr Kollege
Silberhorn.
Vielen Dank. – Der Chef von Google und der franzö-sische Staatspräsident François Hollande haben AnfangFebruar ein Abkommen unterzeichnet, nach dem Googlefür die Nutzung von Verlagsinhalten in der Vergangen-heit 60 Millionen Euro in einen Fonds für Onlinepro-jekte von Verlagen und Redaktionen einzahlt. Dafür ver-zichtet Frankreich auf eine gesetzliche Regelung.Google ist kein Wohlfahrtsverband, sondern ein ge-winnorientiertes Wirtschaftsunternehmen,
wie die Verlage übrigens auch.
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28236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Thomas Silberhorn
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Google hätte doch keinerlei Grund gehabt, einen solchenDeal einzugehen, wenn nicht klar wäre, dass hier verle-gerische Leistungen genutzt werden, die einen eigenenwirtschaftlichen Wert haben. Deswegen ist unbestreitbar,dass hier Handlungsbedarf besteht. Deshalb schaffen wirdas Leistungsschutzrecht in Deutschland.Das Zustandekommen dieser Vereinbarung in Frank-reich lässt übrigens viele Fragen offen. Es gibt einenzweiten Teil des Abkommens, der der Öffentlichkeitnicht mitgeteilt worden ist. Zeitungen zufolge soll es ei-nen privilegierten Zugang von Verlagen zu den Plattfor-men der Firma Google geben, also eine geldwerte Leis-tung. Die Umstände dieses Vertragsschlusses, dass derGeschäftsführer nur eines großen Unternehmens mitdem Staatspräsidenten eines Landes verhandelt und dassdie Vertragsdetails nicht offengelegt werden, führen unsvor Augen, dass es sich hier um ein wenig transparentesVerfahren handelt, das eher an einen orientalischen Ba-sar erinnert.
Nun ist ein orientalischer Basar ein spannendes Mo-dell, aber kein Vorbild für unsere Gesetzgebung.
Wir haben einen anderen Weg gewählt. Wir schaffen einLeistungsschutzrecht für alle Verlage und beziehen alleBeteiligten auch aufseiten der Suchmaschinenbetreiberund der News-Aggregatoren ein. Wir schaffen damit ei-nen transparenten Ordnungsrahmen für alle Beteiligten.Wir schützen verlagstypische Leistungen, die im Internetzu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich ge-macht werden. Insofern fügt sich das Leistungsschutz-recht homogen in das bestehende System der Leistungs-schutzrechte im Urheberrecht ein.Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wenn hier be-hauptet wird, dass die gesamte Zivilgesellschaft gegendiesen Vorschlag wäre. Vor dem Brandenburger Tordemonstrieren derzeit 10 bis 15 Demonstranten gegendiesen Gesetzentwurf, insbesondere von der Piraten-partei.
Ich will aber doch ernst nehmen, wenn Blogger undJournalisten immer noch die Sorge äußern, dass sie inZukunft Gefahr laufen könnten, wegen einer Verletzungvon Leistungsschutzrechten abgemahnt oder verklagt zuwerden.Im Gesetzentwurf wird das Leistungsschutzrecht be-schränkt auf gewerbliche Anbieter von Suchmaschinenund gewerbliche Anbieter von Diensten, die fremdeInhalte entsprechend aufbereiten. Das bedeutet für Blog-ger oder Journalisten: Wer auf seiner Homepage einWerbebanner setzt, unterliegt damit nicht dem Leis-tungsschutzrecht; denn die gewerbliche Nutzung musssich auf das Aufbereiten fremder Inhalte beziehen. Um-gekehrt wird ein Schuh daraus. Ein Blogger oder einJournalist, der selber als Verleger auftritt, kann auch In-haber des Leistungsschutzrechts werden.Wir haben den Anwendungsbereich des Leistungs-schutzrechts durch einen Änderungsvorschlag noch ein-mal klargestellt. Danach sind einzelne Wörter oderkleinste Textausschnitte vom Schutzbereich des Leis-tungsschutzrechts ausgenommen. Auch ohne diese Prä-zisierung bliebe natürlich das Zitatrecht erhalten undblieben bloße Verlinkungen nicht betroffen.Inwieweit die Betreiber von Suchmaschinen von die-sem Leistungsschutzrecht tangiert sind, hängt davon ab,was genau sie in ihren Trefferlisten anzeigen. Entschei-dend für den Anwendungsbereich des Leistungsschutz-rechts ist zunächst nicht die konkrete Länge des Textaus-schnitts; maßgeblich ist vielmehr, ob das Suchergebnisauf die verlagstypische Leistung der Presseverlage unddamit auf den wirtschaftlichen Wert dieser Leistungzugreift. Dort, wo Inhalte Dritter angezeigt werden – undseien es nur ein oder zwei Zeilen –, wird eine verlags-typische Leistung eines anderen Anbieters genutzt, unddort greift das Leistungsschutzrecht. Wenn aber nur ein-zelne Wörter, kleinste Textausschnitte angezeigt werden,die beschreibender Natur sind, die lediglich das Auffin-den des gewünschten Suchbegriffs ermöglichen sollen,dann handelt es sich um die originäre Leistung der Such-maschine. Das liegt nicht im Anwendungsbereich desLeistungsschutzrechts. Deswegen ist es richtig, dass wiruns hier für eine abstrakt generelle Regelung entschie-den haben, die auf den Einzelfall abstellt und nicht denFehler macht, durch starre Zeichenbeschränkungen un-gerechte Ergebnisse hervorzubringen.Im Übrigen haben auch die Anhörungen ergeben,dass die Praxis ohne Weiteres in der Lage sein wird, injedem Einzelfall sicher zu klären, was verlagstypischeLeistung ist. Wir schaffen damit den Spagat zwischendem Schutz der verlegerischen Leistung einerseits, ohneandererseits die Auffindbarkeit von Suchergebnissenund die Informationsfreiheit zu beeinträchtigen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir habendieses Thema in den vergangenen drei Jahren in allerAusführlichkeit diskutiert. Wir hatten drei umfangreicheAnhörungen im Rechtsausschuss, im Ausschuss für Kul-tur und Medien und im Unterausschuss „Neue Medien“des Deutschen Bundestages. Jetzt liegt es an den Such-maschinenbetreibern und News-Aggregatoren, aberauch an den Verlagen und Urhebern, sich zusammenzu-setzen und über die Ausgestaltung der Lizenzierung zureden. In diesem Rahmen wird sich dann zeigen, ob etwaSuchmaschinenbetreiber ihr Angebot auf ein Maß be-grenzen, das nicht vom Leistungsschutzrecht umfasst ist.Es mag sicher auch Suchmaschinenbetreiber geben, dieihren Nutzern verlagstypische Inhalte anbieten wollen;aber dafür müssen sie dann auch Lizenzen erwerben.Diese Fragen wird der Markt regeln, und er soll sie auchregeln. Das gilt ebenso für die Frage, ob zur Lizenzie-rung und zur Ausschüttung von Erlösen eine Verwer-tungsgesellschaft herangezogen werden soll oder nicht.Es wird aber keine Abmahnwelle geben, und es wirdauch keine Prozesswelle geben. Vielmehr sorgen wir mitdiesem Gesetz dafür, dass jetzt verhandelt werden kann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28237
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– und zwar auf Augenhöhe – zwischen den Suchmaschi-nenbetreibern und den News-Aggregatoren auf der einenSeite und den Verlagen einschließlich der Autoren aufder anderen Seite. Das ist ein großer Schritt für das Leis-tungsschutzrecht in Deutschland. Es sichert die Vielfaltder Presselandschaft in unserem Land, und es stärkt diegesamte Kreativwirtschaft. Deswegen bitte ich Sie umIhre Zustimmung.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Urheberrechtsgesetzes. Der Rechtsaus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf derDrucksache 17/12534, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 17/11470 in der Ausschuss-fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthältsich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungangenommen.Bevor wir zur dritten Beratung und somit zur nament-lichen Abstimmung kommen, möchte ich daran erin-nern, dass wir bei dem folgenden Tagesordnungspunktzwei weitere namentliche Abstimmungen durchführenwerden.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Auf Verlangen der FraktionBündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Gesetz-entwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-men. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das istder Fall. Ich eröffne die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung gebenwir später bekannt.1)Ich darf nun um Aufmerksamkeit und Mitwirkung beider Abstimmung über die Entschließungsanträge bitten.Wir stimmen zunächst ab über den Entschließungsantragder SPD-Fraktion auf Drucksache 17/12546. Wer stimmtfür diesen Entschließungsantrag? – Das scheint nur einekleine Minderheit der Antragsteller zu sein.
– Nach unserer Geschäftsordnung ist es unerheblich, fürwie viele Sie stehen. Entscheidend ist vielmehr, wieviele sich an der Abstimmung beteiligen, die wir indiesem Fall auf Antrag der SPD-Fraktion durchgeführthaben und vielleicht besser wiederholen.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion? – Na also, es geht doch. Es wird nur nichtreichen. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – DerEntschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.Nun probieren wir das Gleiche mit dem Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache17/12547. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istdieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der Fraktionder SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eben-falls mehrheitlich abgelehnt.Schließlich stimmen wir über den Entschließungsan-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 17/12548 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Auch dieser Entschließungsantrag ist mehrheitlich abge-lehnt.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 37 a und b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MatthiasW. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKERiester-Förderung in die gesetzliche Renteüberführen– Drucksache 17/12436 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWiederherstellung eines Lebensstandard si-chernden und strukturell armutsfestenRentenniveaus– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKERente erst ab 67 sofort vollständig zurückneh-men– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKERisiko der Erwerbsminderung besser absi-chern– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE1) Ergebnis Seite 28240 D
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28238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose wie-der einführen– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEKindererziehung in der Rente besser berück-sichtigen– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKERente nach Mindestentgeltpunkten entfristen– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEEine solidarische Rentenversicherung für alleErwerbstätigen– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEAltersarmut wirksam bekämpfen – Solidari-sche Mindestrente einführen– Drucksachen 17/10990, 17/10991, 17/10992,17/10993, 17/10994, 17/10995, 17/10997,17/10998, 17/12474 –Berichterstattung:Abgeordneter Frank HeinrichIch weise noch einmal darauf hin, dass wir über dieBeschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit undSoziales später namentlich abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache 90 Minuten dauern. – Dazu höre ich keinenWiderspruch. Dann bitte ich diejenigen, die an der De-batte teilnehmen wollen, die dafür vorgesehenen Plätzeeinzunehmen, und diejenigen, die das nicht können oderwollen, ihre sonstigen Staatsgespräche außerhalb desPlenarsaals fortzuführen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenGregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ren-tenrasur in Deutschland wurde zunächst durchgeführtvon Union und FDP, dann allerdings ab 2001 von SPDund Grünen verschärft. Das führte zu einem Paradig-menwechsel bei der Alterssicherung, mit dem wir esheute zunehmend zu tun bekommen.Das Rentenniveau wurde von 53 Prozent auf 43 Pro-zent des durchschnittlichen Nettolohns im Jahr 2030 ge-senkt. Man überlege sich einmal, wie viel Geringverdie-nende wir haben, und schaue sich die Zahl derNormalverdienenden an. Angesichts dessen ist das eineskandalöse Absenkung, die Sie damals beschlossenhaben.
Die Anrechnungszeiten für die Kindererziehung unddie eigene Ausbildung wurden gekürzt. Die Rente wurdedurch die Einführung einer Rente erst ab 67 Jahren umzwei Jahre gekürzt. Das hat mit den gesellschaftlichenRealitäten übrigens nichts zu tun. Ich staune, dass Siediese nicht zur Kenntnis nehmen. Ich nenne Ihnen nurein Beispiel: Im Juni 2011 hatten von allen 64-Jährigenin Deutschland 9,9 Prozent einen Vollzeitjob. Konkretwaren das 14,1 Prozent der Männer und 5,9 Prozent derFrauen. Den anderen sagen Sie, sie sollen zwei Jahrelänger arbeiten. Ich frage Sie: Wo denn? Bei wem?
Die Erwerbsminderungsrenten haben Sie ebenfallsgekürzt. Die Unternehmen wurden teilweise aus derparitätischen Finanzierung entlassen, indem Sie denArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt haben,sie sollen private oder betriebliche Vorsorge treffen. Beider privaten Vorsorge sind Sie dann auf die Idee mit derRiester-Rente gekommen. Dafür zahlen die Leute selbst,dann gibt es noch staatliche Zuschüsse, und die Unter-nehmen sind von jedem Beitrag befreit. Um nichts ande-res ging es Ihnen ja auch. Das heißt, für Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer kam wieder weniger Netto vomBrutto heraus. Die staatlichen Zuschüsse bekommen janicht die Leute, sondern die Versicherungsunternehmen.Von 2002 bis 2011 waren das 16,6 Milliarden Euro. Des-halb spendet die Allianz jedes Jahr an Union, SPD, FDPund Grüne, nur an die Linke nicht. Man kann sich aus-rechnen, woran das liegt.
Ich nenne Ihnen drei Beispiele. – Erstes Beispiel.Zwei Arbeitnehmerinnen haben seit ihrem 35. Lebens-jahr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt.Beide verdienen 1 790 Euro netto im Monat. Das sindkeine Geringverdienenden. Das ist fast der Durchschnitt;ich will nur daran erinnern. Die eine zahlt bei Riesterein, und die andere sagt: Ich möchte den Beitrag nichtbezahlen; ich möchte mir lieber mal ein hübsches T-Shirtkaufen. Ich verzichte darauf. – Beide werden am selbenTag Rentnerinnen. Was kommt bei ihnen heraus? Dieeine Arbeitnehmerin bekommt eine Rente von 500 Euro,die andere eine Rente von 640 Euro. Beide können da-von nicht leben. Beide erfüllen die Voraussetzungen füreine Grundsicherung und beantragen sie. Dann bekommtdie eine, um auf die durchschnittliche Grundsicherung inHöhe von 707 Euro zu kommen, einen Zuschuss von207 Euro und die andere von 67 Euro. Sie hat also jahre-lang Beiträge gezahlt, um dann den gleichen Betrag zurVerfügung zu haben wie die andere. Sie ändern nichtsdaran, auch wenn die FDP es will. Gelegentlich sagt dasauch die Union; aber Sie machen nichts.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28239
Dr. Gregor Gysi
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Zweites Beispiel. Frau Schäfer, Rentnerin, ist70 Jahre alt. Sie hat drei Kinder aufgezogen. Sie hatJahrzehnte als Verkäuferin und Kassiererin gearbeitet.Sie bekommt heute eine Rente von 599 Euro. Sie könnteGrundsicherung beantragen; das macht sie aber nicht.Sie will das nicht. Sie sagt, dass es sie demütigt.
Viele, die es könnten, machen es nicht. Bei der Beantra-gung der Grundsicherung muss man auch die Vorausset-zungen im Blick haben: Man darf keine Eigentumswoh-nung oder kein Grundstück ab einer bestimmten Größebesitzen.
Der Höhepunkt aber ist: Man darf nur ein Sparguthabenin Höhe von 2 600 Euro haben. Das ist weniger, alsselbst ein Hartz-IV-Beziehender haben darf. – Sie musserst einmal das Geld ausgeben, bevor sie die Grund-sicherung beantragen kann. Indiskutabel!
Deshalb muss diese 70-jährige Frau bis an ihr Lebens-ende in einem Minijob arbeiten, nicht, weil sie es soklasse findet, sondern um überhaupt existieren zukönnen.436 000 Menschen beziehen Grundsicherung imAlter. 925 000 Personen könnten sie beantragen, tun esaber nicht. Zwei Drittel der Personen verzichten auf ih-ren Rechtsanspruch, weil er so demütigend organisiertist.Drittes Beispiel: die irrsinnige Lebenserwartung. EineFrau, die vor zehn Jahren im Alter von 35 Jahren einenRiester-Rentenvertrag abschloss, muss knapp 80 Jahrealt werden, bis sie als Rentnerin alle Beiträge wieder he-rausbekommen hat. Wenn sie aber davon träumt, einekleine Rendite von 2,5 Prozent zu erhalten, dann musssie 90 Jahre alt werden. Wenn sie die dreiste Vorstellunghat, eine Rendite von 5 Prozent zu bekommen, dannmuss sie 128 Jahre alt werden. Das erklären Sie einmalden Leuten. Die Riester-Rente ist ein Hohn. Sie mussüberwunden werden.
Was hat damals Bundesminister Riester gesagt? Ichzitiere:Wir haben das Ziel, das Versorgungsniveau imAlter insgesamt zu erhöhen. In Zukunft soll die ge-setzliche Rente als Basis durch eine zusätzlicheRente ergänzt werden.So ein Mist ist bei alledem herausgekommen, um es ein-mal deutlich zu sagen. Die Geringverdienenden „ries-tern“ sowieso nicht. Sie können es sich gar nicht leisten.Zurück zur gesetzlichen Rente. Wer heute in Rentegeht und 40 Jahre ununterbrochen gearbeitet hat, niearbeitslos war, muss pro Stunde 10,80 Euro verdienthaben, um das Grundsicherungsniveau von 707 Euro zuerreichen. Wenn er nur 35 Beitragsjahre hat, dannmüsste er durchschnittlich 13 Euro pro Stunde verdienthaben. Schauen Sie sich doch einmal die Realität in un-serer Gesellschaft an! Wir laufen auf eine dramatischeAltersarmut zu.
Die Grünen haben den Paradigmenwechsel immerdamit begründet, dass sie gesagt haben, sie wollten diejunge Generation schützen, damit sie nicht so hoheBeiträge zahlen muss. Die damals Jungen gehen jetzt indie Altersarmut.
Wechseln Sie doch einmal Ihre Position! Nicht dieDemografieentwicklung ist entscheidend, sondern dieProduktivitätsentwicklung. Darauf müssen wir setzen.
Wir haben 3,3 Millionen Selbstständige, die über-haupt keine Altersvorsorge haben. Was soll eigentlichaus denen im Alter werden? Auch dazu machen Sie sichkeine Gedanken.Wenn wir die Altersarmut wirksam bekämpfen wol-len, brauchen wir gute Löhne, gute Arbeit und als Ersteseinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von10 Euro pro Stunde.
Wir müssen die ganze prekäre Beschäftigung, den Nie-driglohnsektor, die Aufstockerei, die Leiharbeit, denMissbrauch der Werkverträge und die befristete Be-schäftigung endlich überwinden. Anders können wir dieAltersarmut nicht wirksam bekämpfen.
Ich muss der SPD einmal sagen – sonst bin ich janicht so kleinlich –: Sie sind nicht die Erfinderin desflächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns.
Das sind nun wirklich wir. Unseren Antrag vom25. April 2002 haben Sie noch kategorisch abgelehnt.
Ich finde es gut, dass Sie sich korrigieren; aber Sie könn-ten es auch einmal erwähnen, wollte ich nur sagen.
Um darüber hinaus Altersarmut zu verhindern und dieWürde der Menschen im Alter zu wahren, damit sie denLebensstandard einigermaßen halten können, brauchenwir folgende Schritte:
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28240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Gregor Gysi
(C)
(B)
Erstens. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Pro-zent des Durchschnittseinkommens erhöht werden; an-ders geht es nicht.
Zweitens. Die Kürzungsfaktoren, also Riesterfaktor,Nachholfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor, müssen gestri-chen werden.
Drittens. Die Rente erst ab 67 Jahren muss zurück-genommen werden. Das können wir heute hier entschei-den. Ein entsprechender Antrag liegt vor.
Viertens. 23 Jahre nach der deutschen Einheit mussjetzt endlich einmal eine Rentenangleichung, eine An-gleichung der Rentenwerte Ost an West, geschehen.
Es muss eine gleiche Rente für gleiche Lebensleistungengeben. Ich verstehe nicht, dass Union und FDP dies erstin den Koalitionsvertrag aufnehmen und es dann einfachaufkündigen. Das ist für die ostdeutschen Rentnerinnenund Rentner nicht hinnehmbar.
Die Lücken und Benachteiligungen bei der Rentenüber-leitung müssen beseitigt werden.Fünftens. Wir brauchen endlich eine Anrechnung derKindererziehungszeiten auch für Kinder, die vor 1992geboren sind.
Erklären Sie doch einmal einem Kind, wieso es wenigerwert ist, nur weil es einen Monat früher geboren ist alsein anderes Kind! Das ist nicht nachvollziehbar, um daseinmal ganz klar zu sagen.
Auch dazu liegt heute ein Antrag vor. Auch darüber kön-nen wir namentlich entscheiden.Weiter müssen die Abschläge auf Erwerbsminde-rungsrenten gestrichen werden. Es müssen wieder Ren-tenbeiträge für die Hartz-IV-Beziehenden eingeführtwerden. Da die Riester-Rente gescheitert ist, muss sieauslaufen. Wir wollen jetzt die Möglichkeit schaffen,dass Leute, die einen Riester-Rentenvertrag abgeschlos-sen haben, alle Beiträge und die Zuschläge des Staates indie gesetzliche Rente überführen können, ohne dass ih-nen Kosten entstehen. Das wäre immerhin ein Ausweg.Denken Sie einmal darüber nach!
Des Weiteren brauchen wir Lösungen für die Selbst-ständigen. Dazu haben wir Vorschläge unterbreitet.Darüber hinaus brauchen wir in Deutschland eine solida-rische Mindestrente von 1 050 Euro. Dann haben wirauch keine Altersarmut.
Jetzt zu der Frage, wie wir das alles finanzierenkönnen; mich wundert, dass die SPD unseren Weg nichtmitgeht.
Wir müssen der neuen Generation sagen: Erstens. AlleErwerbstätigen müssen von sämtlichen Erwerbseinkom-men einen Beitrag an die gesetzliche Rentenversiche-rung zahlen, auch Abgeordnete, auch Rechtsanwälte,auch Beamte.
Beamte müssen dann allerdings einen Ausgleich erhal-ten, damit sie nicht schlechtergestellt sind. Zweitens.Wir müssen die Beitragsbemessungsgrenzen aufgeben.Dann müssen die neuen Ackermänner, also die Acker-männer der nächsten Generation, einen bestimmtenProzentsatz von ihrem gesamten Einkommen in die ge-setzliche Rentenversicherung einzahlen.
Der damit verbundene Rentenanstieg – das sehen auchwir – muss abgeflacht werden. Dies erlaubt auch dasBundesverfassungsgericht.Dann brauchen wir nicht mehr über Altersarmut zudiskutieren, dann ist sie überwunden. Dann gilt endlichder Grundsatz, der auch in der Schweiz gilt: Die Millio-näre benötigen zwar keine gesetzliche Rente – das istrichtig –; aber die gesetzliche Rentenversicherung benö-tigt die Millionäre. Genau das müssen wir durchsetzen.
Als Letztes: Wir brauchen nicht weitere Kürzungen;wir brauchen einen anderen Weg. Fassen Sie einmalMut! Lassen Sie uns alle gemeinsam
etwas für die Rentnerinnen und Rentner der Zukunft indiesem Lande tun!Danke schön.
Bevor Frau von der Leyen für die Bundesregierungdas Wort erhält, möchte ich das von den Schriftführerin-nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-lichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bun-desregierung zur Änderung des Urheberrechtsgesetzesbekannt geben: abgegebene Stimmen 539. Mit Ja habengestimmt 293, mit Nein haben gestimmt 243, enthaltenhaben sich 3 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist derGesetzentwurf angenommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28241
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 539;davonja: 293nein: 243enthalten: 3JaCDU/CSUIlse AignerPeter AumerNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannMichaela NollFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerLothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzLena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleErnst BurgbacherMarco BuschmannHelga DaubReiner DeutschmannBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckDr. Christel Happach-KasanManuel HöferlinBirgit HomburgerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. Kolb
Metadaten/Kopzeile:
28242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
(B)
Gudrun KoppSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Oliver LuksicPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundHagen ReinholdDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinCDU/CSUDorothee BärDr. Peter TauberSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannHubertus Heil
Wolfgang HellmichRolf HempelmannGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Dr. Eva HöglChristel HummeOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaKirsten LühmannCaren MarksHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Marlene Rupprecht
Annette SawadeBernd ScheelenMarianne Schieder
Ulla Schmidt
Carsten Schneider
Swen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesFDPSebastian BlumenthalDr. h. c. Jürgen KoppelinFrank SchäfflerJimmy SchulzDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothée MenznerNiema MovassatThomas NordPetra PauYvonne PloetzPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerJohanna VoßHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAgnes BruggerViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringBritta HaßelmannBettina HerlitziusPriska Hinz
Dr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzSusanne KieckbuschSven-Christian Kindler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28243
Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
(B)
Maria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarDr. Tobias LindnerNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann E. OttBrigitte PothmerTabea RößnerKrista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerBeate Walter-RosenheimerArfst Wagner
Wolfgang WielandJosef Philip WinklerfraktionsloserAbgeordneterWolfgang NeškovićEnthaltenCDU/CSUThomas JarzombekDagmar G. WöhrlSPDHans-Ulrich KloseNun hat die Frau Bundesministerin das Wort.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi,kein einziges Ihrer Worte kann ich im Grundsatz unter-schreiben. Aber in einem Punkt haben Sie recht: bei dervon ihnen genannten Höhe der Stundenlöhne, die not-wendig ist, um in Zukunft – im Jahr 2030, 2035, 2040 –eine Rente über Grundsicherungsniveau zu erreichen.Bei 35 Beitragsjahren benötigt man hierfür einen Stun-denlohn von gut 13 Euro. Das ist Fakt; das ist richtig.Die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, sind abervöllig andere. Das Sinken des Rentenniveaus war wegender demografischen Entwicklung nötig.
Ihr Vorschlag, das Rentenniveau zu steigern, bedeutet ja:Alle Renten gehen rauf, auch die mittleren und diehohen Renten.
Ein Rentenniveau von 53 Prozent verursacht allein 2030Zusatzlasten in Höhe von 40 Milliarden Euro für diejunge Generation. Das ist typisch für Sie. Sie sagen:Nach mir die Sintflut; Hauptsache, ich habe meineSchäfchen im Trockenen. – Das können wir den jungenLeuten nicht zumuten.
Ich komme zur zweiten Lösung, die die Linke anbie-tet. Ich habe eben gehört und habe es mir aufgeschrie-ben, dass Sie gefordert haben: gleiche Rente für gleicheLebensleistung. In Ihren Papieren steht aber: 900 EuroRente für alle, ganz egal, ob man einen einzigen Tag ge-arbeitet hat oder 40 Jahre lang.
Das ist Ihre Vorstellung von Leistung. Ich weiß, dass Ih-nen Leistung schon immer suspekt gewesen ist; aber dasist nicht unsere Vorstellung. Leistung muss sich auchlohnen.
Warum führen wir heute diese Debatte? – Wir führenheute diese Debatte, weil wir zurückblickend sagen müs-sen: Man muss den Leuten erklären, was am Schluss beiden notwendigen Reformen, die umgesetzt wurden, tat-sächlich herauskommt. Vor mehr als zehn Jahren ist dieRente von Rot-Grün reformiert worden. Sie haben dasRentenniveau abgesenkt bzw. lassen es langsam sinken.Dies verbirgt sich hinter Worten wie „Nachhaltigkeits-faktor“ und „Riester-Treppe“. Sie haben die private Vor-sorge als freiwillige Säule der Altersvorsorge eingeführt.Sie haben der Versicherungswirtschaft das Produkt derRiester-Rente gegeben. Sie haben einige Jahre später dieHartz-Reformen umgesetzt und den Niedriglohnsektorausgebaut. Auch das ist richtig; denn es ist besser, manhat Arbeit, als dass man arbeitslos ist.
Sie haben aber Folgendes nicht bedacht: Die Kombi-nation der beiden Dinge, das Sinken des Niveaus der ge-setzlichen Rente und der Ausbau des Niedriglohnsek-tors, führt, wenn wir nichts machen, dazu, dassGeringverdiener keine Chance haben, am Ende desTages eine auskömmliche Rente über Grundsicherungs-niveau zu erhalten.
Es bedurfte der schwarz-gelben Bundesregierung, umdiese Gerechtigkeitslücke aufzudecken, und wir werdenda etwas ändern, meine Damen und Herren.
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28244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
(C)
(B)
Das Interessante ist, dass außer der Linken alle– SPD, Grüne, Union, FDP – Modelle vorgelegt haben,die eine Ähnlichkeit aufweisen. Das zeigt, dass die Dia-gnose, die ich gerade gestellt habe, stimmt. Wenn Siesich die Lebensleistungsrente anschauen,
wenn Sie sich die Solidarrente anschauen, wenn Sie sichdie Garantierente anschauen, dann erkennen Sie, dassdie Konzepte in den Grundzügen übereinstimmen: Siefolgen dem Grundprinzip der Rente nach Mindest-entgeltpunkten. Es geht in den Konzepten um ein Auf-werten der kleinen Renten langjähriger Beitragszahler,damit sie am Ende des Tages nicht zum Grundsiche-rungsamt gehen müssen – das Ganze steuerfinanziertund bis zu einem Niveau von maximal 30 Entgeltpunk-ten, was zurzeit knapp 850 Euro entspricht. Das steht inden drei Konzepten.Im Detail der Zugangsmöglichkeiten liegt vor allemder Unterschied, und ich glaube, es lohnt sich, darüberzu diskutieren: Die Grünen fordern, schon nach 30 Ver-sicherungsjahren Zugang zur Garantierente zu haben. Istes wirklich Ihr Ernst, dass man nicht einmal 10 JahreBeiträge als Erwerbstätiger zahlen muss, aber daraus be-reits eine Garantierente für 10, 15, 20 oder 25 Jahre be-ziehen kann? – Ich glaube, Generationengerechtigkeitsieht anders aus.
Bei der SPD ist es besser. Da sind 30 Beitragsjahreund 40 Versicherungsjahre gefordert. Aber die SPD ver-zichtet darauf, eine Einkommensprüfung durchzuführen.Das heißt: Sie stocken einem Vermögenden, der von sei-nen Zinsen im Alter sehr gut leben kann und sich außer-dem eine kleine gesetzliche Rente erarbeitet hat, tatsäch-lich die Rente auf. Gleichzeitig nehmen Sie aber denFacharbeitern mehr Steuern ab, denn es soll ja steuer-finanziert sein. Auch das ist eine Mogelpackung, dieman so nicht wirklich umsetzen kann.
Wir wollen die Lebensleistungsrente. Da gilt das glei-che Prinzip: Aufstockung bei Geringverdienern, diejahrzehntelang – wir legen 40 Beitragsjahre zugrunde –eingezahlt haben. Ja, die Lebensleistungsrente wird ei-nem nicht geschenkt. Erst nach 40 Jahren Beitragszah-lung findet eine Aufstockung der Rente durch die Le-bensleistungsrente statt. Aber vor dem Hintergrund derGenerationengerechtigkeit und der Tatsache, dass wir in-zwischen eine sehr viel längere Lebenserwartung haben,dass die Babyboomer zahlreich in Rente gehen werdenund dass unsere Kinder das alles finanzieren müssen, istdas meines Erachtens ausgewogen. Da ist Solidarität mitGenerationengerechtigkeit, die eine verantwortungsvolleReform berücksichtigen sollte, verknüpft.
Frau Kollegin von der Leyen, würden Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Birkwald von den Linken ak-
zeptieren?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, FrauMinisterin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ichdanke Ihnen auch dafür, dass Sie gerade mitgeteilt ha-ben, dass die Konzepte von SPD und von den Grünensowie auch das Ihrige sehr ähnlich sind. Es geht bei Ih-nen allen um 850 Euro. Sie müssten aber dazusagen:brutto. Und das sind dann 764 Euro netto. Bei einerdurchschnittlichen Grundsicherung im Alter von 707Euro sind das noch nicht einmal 60 Euro mehr. Und fürdas, was Sie ganz zynisch Lebensleistungsrente nennenund die anderen Garantierente oder Solidarrente, sollendie Leute dann auch noch 30 Beitragsjahre und später35, 40 oder 45 Versicherungsjahre vorweisen und oben-drein auch noch privat vorsorgen, bevor sie sie bekom-men. – Das sind alles Armutsrenten, egal wie sie heißen.Wir brauchen vielmehr eine Nettorente, die oberhalb derArmutsrisikogrenze liegt, um Altersarmut zu verhindern.Deswegen haben wir vorgeschlagen, mit 900 Euroeinzusteigen und das auf 1 050 Euro zu steigern. Wiefinden Sie diesen Vorschlag, um Armut wirklich bei al-len zu verhindern und nicht im Alter die Menschen inwürdige und unwürdige Alte aufzuspalten?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Sie haben übersehen, dass wir nach wie vor gemein-sam die Vorstellung haben, dass ein generationengerech-tes, aber auch demografiefestes Rentensystem zwei Säu-len hat. Das ist einerseits die umlagefinanzierte Renteund andererseits die private Vorsorge, zum Beispiel Be-triebs- oder Riester-Renten.Deshalb sagen wir: Es gibt in der Umlage die Lebens-leistungsrente mit 30 Entgeltpunkten. Das sind zurzeitknapp 850 Euro. Dieser Betrag steigt, wenn die Renteninsgesamt steigen. Zusätzlich kann man das, was manprivat vorgesorgt hat – also zum Beispiel die Betriebs-rente oder die Riester-Rente –, ohne Abschlag behalten,ohne dass es angerechnet wird. Das hebt die Rente überden Grenzbetrag der Grundsicherung. Und das bringtden Menschen, die lebenslang gearbeitet und ihren Bei-trag geleistet haben, eine auskömmliche Rente.Was ich an Ihrem Konzept nicht schätze, sind die900 Euro für jeden, ganz egal, ob man sein Leben langBalalaika vor der Friedenskirche gespielt oder aber40 Jahre eingezahlt hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28245
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
(C)
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Sie schalten alle Leute gleich.
Das ist aber das Prinzip, das Sie immer verfolgen. Daskennen wir von Ihnen. Das lehnen wir aber ab.
Wir debattieren heute natürlich auch – das kam schonbei Herrn Gysi vor –, dass die Rente immer ein Spiegeldes Erwerbslebens ist. Das ist richtig. Deshalb ist esauch gut, dass wir in dieser Legislaturperiode dafür ge-sorgt haben, dass es inzwischen zwölf branchenspezifi-sche Mindestlöhne gibt, dass wir die Zeitarbeit reguliertund damit sozialer gemacht haben. Wir haben also genaudie Arbeitsverhältnisse besser geregelt, bei denen manaufpassen muss, dass sie nicht prekär werden.Ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen, die mirwichtig sind. Diejenigen, die in dieser Situation der Ren-tenversicherung in Verbindung mit dem Niedriglohnsek-tor am stärksten in die Gerechtigkeitsfalle geraten, sindvor allem Frauen, die Kinder erzogen haben.
Deshalb sieht unser Konzept die Variante vor:
Wenn Kindererziehungszeiten oder Pflegezeiten vorge-wiesen werden können, dann wird nicht um 50 Prozent,sondern um 150 Prozent aufgewertet.
Das betrifft genau die Frauen, deren Kinder in der Ver-gangenheit Teilzeitschulen und Teilzeitkindergärten be-sucht haben. Der Rest der Welt hat ja Ganztagsschulenund Ganztagskindergärten,
in Deutschland gab es vor allem Teilzeit. Ich stimme Ih-nen allerdings zu, wenn Sie sagen: Das sind die Frauen,die durch das Recht auf Teilzeit überhaupt eine Chanceerhalten haben, am Erwerbsleben teilzunehmen.Mit Blick auf die Zukunft müssen wir dafür sorgen,dass es im Erwerbsleben auch das Rückkehrrecht inVollzeitbeschäftigung gibt.
Im Bereich Teilzeit ist es oft so: einmal Teilzeit, immerTeilzeit, Sackgasse, Abstellgleis, die Frauen kommen danicht mehr raus. Deshalb möchte ich den Vorschlag un-terbreiten, das Rückkehrrecht auf Vollzeitbeschäftigungim Teilzeitrecht einzuführen.
Arbeitgeber und Beschäftigte sollen, wenn sie Teilzeitverabreden, gleichzeitig planen, wann wieder eine Voll-zeitbeschäftigung aufgenommen werden kann, wann derWeg zurück in die Vollzeitbeschäftigung möglich ist.
Das lohnt sich für beide Seiten. Das sorgt für Planungs-sicherheit und Verlässlichkeit. Vor allem erhalten dieFrauen die Chance, auch in Teilzeitarbeit in die Karrierezu investieren.
Dadurch könnte Teilzeit auch für Männer interessanterwerden. Daran wollen wir arbeiten.
Mein zweiter und letzter Punkt: Mindestlöhne. Dieentsprechende Debatte dazu findet heute im Bundesratstatt. Die Einführung eines Mindestlohns ist meiner Mei-nung nach notwendig, aber er wird das Problem bei derRente nicht lösen.
Ein Mindestlohn von 8,50 Euro – das ist der Vorschlagvon SPD und Grünen – wird das Problem nicht lösen.Auch ein Mindestlohn von 10 Euro – der Vorschlag derLinken – wird das Problem nicht lösen. Es ist gut, dassdie Arbeitslosenquote so gering ist, es ist gut, dass wirRekordbeschäftigung haben. Auch der Mindestlohnhilft, aber er wird das Problem bei der Rente nicht lösen.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir einen Mindest-lohn brauchen.Nach unserer Auffassung sollten wir eine Kommis-sion einsetzen,
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28246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
(C)
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in der Arbeitgeber und Gewerkschaften einen Mindest-lohn aushandeln, und zwar ohne Vorgaben. Sie wollenTarifautonomie, aber gleichzeitig sagen Sie den Tarif-partnern: Wir trauen euch nicht zu, dass ihr das schafft,deshalb führen wir einen Mindestlohn von 8,50 Eurooder einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnein. Wenn Sie daran festhalten, sind wir nicht bei Ihnen.Wir sind der Meinung, Tarifautonomie ist ein kostba-res Gut. Wir wollen Arbeitgeber und Gewerkschaften indie Lage versetzen, einen Mindestlohn auszuhandeln.
Wir wollen deshalb eine Kommission, die den Mindest-lohn aushandelt. Das ist unser Vorschlag. Damit wollenwir uns durchsetzen.Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Matthias Birkwald von der Fraktion Die Linke.
Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben eben wie-
derholt falsche Informationen über die Position der Lin-
ken gegeben. Deswegen möchte ich Ihnen hier klar und
deutlich sagen: Die Linke ist gegen eine Grundrente, und
die Linke ist auch gegen eine Einheitsrente.
Wir haben nicht gefordert, jedem oder jeder eine Min-
destrente in einer bestimmten Höhe zu zahlen.
Unser Konzept einer Mindestrente sorgt dafür, dass
niemand in Armut fällt. Wir wollen vor allen Dingen die
Sicherung des Lebensstandards durch die Rente wieder-
herstellen. Das heißt, wir wollen gute Arbeit, gute
Löhne, die dann für eine gute Rente sorgen. Das bedeu-
tet, wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der möglichst
niemand auf eine solidarische Mindestrente – oder wie
immer man das nennen will – angewiesen ist. Diejeni-
gen, die darauf angewiesen sind, sollten nur einen mög-
lichst kleinen Zuschlag benötigen; denn wir wollen, dass
sich alle Menschen mit ihrer eigenen Hände oder Köpfe
Arbeit einen Rentenanspruch im Äquivalenzsystem „ge-
setzliche Rentenversicherung“ erarbeiten können.
Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen: Unser Kon-
zept für eine solidarische Mindestrente ist einkommens-
und vermögensgeprüft. Es geht darum, dass niemand im
Alter in Armut leben muss. Alle anderen Konzepte, die
auf dem Tisch liegen, lassen die Menschen in der Armut.
Sie spalten die Gruppe der Alten in diejenigen, die ein-
gezahlt haben und 10 oder 15 Euro über dem Niveau der
jetzt sogenannten Grundsicherung im Alter liegen, und
in diejenigen, die noch nicht einmal das bekommen. Wir
möchten, dass Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde
des Menschen ist unantastbar“, in unserem Land auch
für die Menschen über 65 gilt.
Wollen Sie antworten?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Gerne. Ganz kurz.
Bitte schön, Frau von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Herr Birkwald, das, was Sie gerade vorgetragen ha-
ben, ist entlarvend. Zuerst haben Sie gesagt: Bei uns gibt
es Differenzierungen und man erhält nicht ohne Vorleis-
tungen 900 Euro. Aber dann wurden Ihre Äußerungen
total schwammig. Ich habe nichts von Versicherungs-
jahren gehört. Ich habe auch nichts von Beitragsjahren
gehört. Ich habe nichts von einem Deckel gehört.
Ich habe nur gehört: Wir wollen, dass im Prinzip alle im
Alter eine Rente erhalten. Genau das ist unser Vorwurf,
nämlich dass Sie eine Rente für alle unabhängig von der
Vorleistung versprechen.
Finanzieren kann man das sowieso nicht. Sie müssten
dann den Jungen sagen, dass sie das alles zusammentra-
gen sollen. Unser Vorwurf an Sie lautet also, dass Sie das
nebulös in den Raum stellen, aber nicht konkret werden,
nicht einmal in einer Kurzintervention. Damit kommen
Sie nicht durch.
Jetzt hat die Kollegin Petra Hinz von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Frau von der Leyen, Sie sprachen von„aufdecken“, davon, uns einen Spiegel vorzuhalten, undsagten, wir sollten tun. Was meinen Sie damit? Sie sinddoch in der Regierung und kein anderer. Sie haben drei-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28247
Petra Hinz
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einhalb Jahre lang nichts getan. – Doch, Sie haben etwasgetan: Sie haben angekündigt. Erinnern wir uns an denArmuts- und Reichtumsbericht. Was haben wir gelernt?Der Armuts- und Reichtumsbericht ist nicht verändert,manipuliert worden, nein, er hat eine redaktionelle Er-gänzung aus einem anderen Ressort erfahren. Ich mussIhnen schon sagen: Mehr als anzukündigen und aufzude-cken haben Sie in der Tat nicht getan. Da Sie den Men-schen einen Spiegel vorhalten wollten, wollen auch wirIhnen einen Spiegel vorhalten: Diese Regierungsleis-tung, das, was Sie hier auf den Tisch gelegt haben, warmehr als ungenügend.
Ich möchte zur Frage des Mindestlohns Folgendesdeutlich sagen: Reden Sie doch einmal über das, was Siemöchten. Sie möchten eine Lohnuntergrenze; das ist et-was ganz anderes. Wir wollen einen Mindestlohn vonmindestens 8,50 Euro haben.
Darüber wird heute zeitgleich im Bundesrat beraten.Also, liebe Frau von der Leyen: Reden Sie nicht!Handeln Sie! Sie hatten die Zeit. Sie haben die Chancevertan. Sie haben nichts getan, weder für die Frauennoch für die jetzige Rentnergeneration noch für die zu-künftigen Rentnergenerationen.Wie haben Sie sich am Arbeitsmarkt verhalten? Siehaben nichts getan, damit Menschen eine Chance erhal-ten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Im Gegen-teil: Sie haben die Gelder für entsprechende Maßnahmengekürzt, und zwar ganz massiv, um 40 Milliarden Euro.Das sind die Dinge, die Sie auf den Weg gebracht haben.Es geht heute aber auch um die Forderung der Linken,die Risiken der Riester-Rente offenzulegen, bzw. denAntrag der Linken mit dem Titel „Riester-Förderung indie gesetzliche Rente überführen“. Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen von den Linken, ich denke, Siekönnen uns nicht absprechen, dass wir genau wie Siemöchten, dass jeder sein Lebensmodell leben kann, dassjeder ein auskömmliches Gehalt bzw. einen auskömmli-chen Lohn bekommt und dass jeder im Alter von seinerRente leben kann.
Ich bitte Sie, endlich einmal davon Abstand zu nehmen,hier etwas aufzubauschen, was nicht stimmt.Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen:Wir fordern einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Was sa-gen Sie jetzt? Mindestens 10 Euro! In Ihrem Antragsteht, dass das Rentenniveau auf 73 Prozent festge-schrieben werden muss.
– Entschuldigung, 53 Prozent. – Meine Frage lautet: Wa-rum nicht 55 Prozent? Warum nicht 60 Prozent?
Wir zum Beispiel sagen in unserem Rentenkonzept:Mindestens 50 Prozent, und da soll gedeckelt werden; dawollen wir hin. Warum fordern Sie jetzt 53 Prozent?
Ist diese Strategie nicht ein bisschen durchsichtig?
Zum Thema Riestern. Sie fordern, dass diese Förde-rung in die gesetzliche Altersvorsorge zurück überführtwird. Ich möchte die Rechnung, die Sie hier immer ver-schweigen, weil Sie hier zwar viele Dinge ansprechen,aber nicht konkret werden, einmal aufmachen: Wir hat-ten – das belegen die offiziellen Statistiken – Mitte 2012rund 20,6 Millionen Rentner
und 34 Millionen Erwerbstätige, die dementsprechend indie Rentenkasse eingezahlt haben.
Rechnen wir das einmal durch – ein Schreiben dazuhaben wir vom Staatssekretär erhalten –: Bei denRiester-Verträgen sind im Augenblick maximal2 100 Euro anrechenbar, die also jetzt angespart werden.Rechnet man die steuerliche Förderung bzw. die, wie wirsie nennen, Steuermindereinnahmen – rund 600 Millio-nen Euro – auf jeden einzelnen Rentner um, so machtdas für jeden 30 Euro im Jahr aus. Das sind im Monat2,50 Euro. Dafür hat Herr Gysi hier gerade so einen lan-gen Bericht abgegeben! 2,50 Euro sind sicherlich vielGeld für eine Rentnerin oder einen Rentner, die bzw. dermit 500 Euro auskommen muss. Aber nennen Sie docheinmal die tatsächlichen Nettozahlen, was unterm Strichjeder einzelne Punkt, den Sie fordern, für die Rentnerinoder den Rentner ausmacht!
Aber die Steuervorteile für die jungen Familien, fürdie, bei denen Kinderzuschläge und all das zu berück-sichtigen sind, nennen Sie nicht. Denn das wollen Sieletzten Endes aufgeben. Sagen Sie den jungen Familien,was Sie ihnen unterm Strich an Leistungen streichenwollen! Alles andere ist de facto unehrlich.
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Petra Hinz
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Ich wiederhole es: Die Förderleistung im Rahmenvon Steuermindereinnahmen beträgt nach dem Schrei-ben des Finanzministeriums 600 Millionen Euro. Diesmacht pro Rentner aufs Jahr umgerechnet 30 Euro bzw.2,50 Euro im Monat aus. Darüber reden wir.
Wir können darüber reden – da gebe ich Ihnen recht –,dass die Koalition sich bei der Nachbesserung im Rah-men des Altersvorsorgegesetzes leider ausschließlich aufdie Rürup-Rente, den Wohn-Riester und dergleichenkonzentriert und es versäumt hat, die Riester-Rente stär-ker zu fördern. Davon wären nämlich zwischen 15 und16 Millionen Verträge betroffen gewesen.
– Das habe ich gesagt. – Durch eine solche Verstärkungder Förderung hätten wir die dritte Säule, das dritteStandbein der Altersvorsorge stützen können.
Ich gebe Ihnen aber recht: Zu einem schlüssigen Ren-tenkonzept gehört wesentlich mehr, und zwar auch dieBekämpfung der Armut von Erwerbstätigen, also imUmkehrschluss faire und gerechte Löhne.
Wenn wir uns darum bemühen, sollten Sie aber nicht– was Sie immer wieder tun – populistisch Halbwahrhei-ten aussprechen. Wenn wir hier einen großen Konsensbekommen können – flächendeckender Mindestlohn von8,50 Euro –: Warum stimmen Sie dem nicht zu? Warumwollen Sie dann noch eine Kelle drauflegen und fordern10 Euro?
Angenommen, wir sagen: 10 Euro. Dann sagen Sieschlussendlich: 11 Euro.
Das ist Ihre Strategie. Seien wir doch einmal ehrlich!
Frau Kollegin Hinz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst von der Linken?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr Ernst.
Frau Kollegin, danke, dass Sie die Zwischenfrage und
die Bemerkung zulassen.
Sind Sie erstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die 10 Euro, die wir fordern, im Gegensatz zu den
8,50 Euro, die Sie fordern, dazu führen würden, dass die
Rente, die ein zu diesem Stundenlohn Beschäftigter bis
an sein Lebensende kriegt, tatsächlich über dem Niveau
der Grundsicherung liegen würde? Bei Ihrem Konzept
würde sie darunter liegen.
Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass wir schon einmal ein Rentensicherungsniveau von
53 Prozent hatten – Sie haben ja gefragt, woher unsere
53 Prozent kommen – und dass diese 53 Prozent insbe-
sondere durch die Maßnahmen der rot-grünen Regierung
drastisch abgesenkt wurden, was bis zum Jahr 2030
letztendlich zu einer Kürzung um 10 Prozent führen
könnte? Sind Sie deshalb auch bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir, wenn wir ein Rentensicherungsniveau
von 53 Prozent in die Welt setzen, damit eigentlich nur
wieder auf das alte Niveau zurückgehen, das unter einer
früheren Regierung, unter Blüm, einmal üblich war?
Danke, Herr Ernst, für Ihre Frage bzw. Ihren Kom-mentar.
Ich nähme gerne zur Kenntnis, dass ich recht habe.Wenn wir hier gemeinsam einen flächendeckenden Min-destlohn von mindestens – ich sage: mindestens –8,50 Euro beschließen würden, dann würden wir ge-meinsam etwas auf den Weg bringen. Ihre permanenteVerhinderungstaktik,
immer etwas mehr zu fordern, statt einen Konsens fürdie Menschen, für die Rentnerinnen und Rentner und fürdie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu finden,nehme ich zur Kenntnis. Mögen Sie zur Kenntnis neh-men, dass wir Sie einladen, unser Rentenkonzept mit aufden Weg zu bringen, um etwas für die Menschen drau-ßen zu tun!
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Würden Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin
Golze entgegennehmen?
Ja, gerne. Natürlich.
Bitte schön.
– Ich sage aber: Das war jetzt auch die letzte Zwischen-
frage, die ich zulasse.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen, und vielen Dank, Frau Kollegin, dass
auch Sie dies tun. – Ich möchte Sie einfach nur fragen,
ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ge-
rade heute im Bundesrat eine Abstimmung über einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt, dem
auch das Bundesland Brandenburg – bekanntlich regiert
von SPD und Linken – zustimmen wird, weil wir natür-
lich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
gemeinsam durchsetzen wollen. Aber wir wollen eben
nicht bei 8,50 Euro aufhören, sondern sagen gleich, in
welche Richtung es gehen soll.
Natürlich ist die Linke für einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn, und dies nicht erst seit heute,
wie mein Kollege Gysi vorhin bereits ausgeführt hat.
Vielen Dank. Auch ich habe hier gerade bereits deut-lich gemacht, dass zeitgleich im Bundesrat das Thema„flächendeckender Mindestlohn“ beraten wird. Insofernhabe ich es zur Kenntnis genommen. Ich nehme es gernenoch einmal zur Kenntnis. Ferner nehme ich gerne zurKenntnis, dass Sie in der Koalition in Brandenburg unse-rem Vorschlag im Bundesrat zustimmen werden, dasswir also die Einführung eines gemeinsamen flächende-ckenden Mindestlohns beschließen werden. Wenn ich esheute Morgen richtig verstanden habe, soll eine Kom-mission eingesetzt werden,
die den Betrag entsprechend festlegt. Ich habe das alleszur Kenntnis genommen.
Ich freue mich, dass Sie mir die Gelegenheit geben, hiernoch einmal zu sagen, dass wir heute aufgrund derMehrheit der sozialdemokratisch geführten Länder inunterschiedlichen Koalitionen die Chance haben, imBundesrat die Einführung eines Mindestlohns gemein-sam zu beschließen.
Insofern ganz herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage.Ich habe es zur Kenntnis genommen.Zur Sicherung des Auskommens im Alter gehört we-sentlich mehr. Das beginnt bereits bei der Bildung undgeht weiter bei der Ausbildung. Danach muss man aucheinen Arbeitsvertrag bekommen, nicht nur permanentbefristete Verträge, nicht nur Praktikastellen, sonderntatsächlich vernünftige Arbeitsverhältnisse.Ich fand es bezeichnend, dass Herr Blüm Familienmi-nisterin Schröder in einer Talkshow am Sonntag ein „un-genügend“ in ihr Zeugnis, um einmal in dieser Sprachezu bleiben, geschrieben hat. Er hat ganz klar gesagt, dassdiese Regierung nichts getan hat. Sie hat weder das Pro-blem der befristeten Verträge gelöst, noch ist sie dasThema der Praktika angegangen noch das Thema Frau-enförderung, und noch hat sie dafür gesorgt, dass fürgleiche Arbeit gleich viel Geld gezahlt wird. Dies alleshat Norbert Blüm in dieser Sendung gesagt. Wer ist inder Verantwortung? Sie sind in der Verantwortung.
Damit hat er Ihnen ganz klar gesagt, dass Sie eine fehl-geleitete Politik machen.Wir stehen für eine Solidarrente.
Wir stehen dafür, dass die Brücke ins Rentenalter ausge-baut werden soll. Auch die Frage des Rentenniveaus unddie Frage der Beitragsentwicklung sind wir in unseremRentenkonzept angegangen. Seien wir doch einmal ehr-lich. Was hat die Bundesregierung zuletzt gemacht? Siehat den Beitrag von 19,6 auf 18,9 Prozent gesenkt.
Das ist zwar kurzfristig wunderbar – jeder Arbeitnehmerfreut sich darüber –, aber langfristig ist das für unsereRentenkassen eine absolut fehlgeleitete Politik.
Ich kann Ihnen nur sagen, Frau von der Leyen: Alles,was Sie bisher auf den Weg gebracht haben, waren An-kündigungen. Ihre eigenen Kabinettskollegen haben alleMaßnahmen wieder eingestampft. Von der Quote ist nurnoch eine Flexiquote übrig geblieben. Von den geplantenMaßnahmen zur besseren Teilhabe von Frauen ist garnichts übrig geblieben, weil Sie, die Kanzlerin und dieFamilienministerin keinen Konsens finden konnten.Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind froh, wenn der22. September kommt. Dann wird diese Regierung abge-wählt, und wir können für die Menschen die richtigenAlternativen auf den Weg bringen.Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Heinrich Kolb.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Hinz, was den 22. September anbe-langt, fällt mir ein altes Sprichwort ein: Hoffen und Har-ren hält manchen zum Narren.
Wir sollten einmal abwarten, wie die Ergebnisse nachdem Wahlkampf wirklich aussehen. Ich glaube, es wirdfür die rechte Seite des Hauses besser sein, als Sie imMoment zu erwarten bereit sind.Gregor Gysis rentenpolitischer Gemischtwarenladenhat heute Morgen wieder geöffnet, und eine ganze Reihevon Lockvogelangeboten liegen im Schaufenster. DasUnternehmen ist übrigens mit ungedeckten Schecks fi-nanziert.
Das muss man dazusagen. Man muss sich überlegen, wieman damit umgeht. Man kann es komplett ignorierenund die Gelegenheit nutzen, zu anderen Themen etwaszu sagen – das habe ich jetzt ein paarmal so gemacht –,oder man kann wirklich versuchen, das einmal Punkt fürPunkt durchzugehen. Das will ich gleich einmal tun.Eine Vorbemerkung möchte ich machen, weil hierheute Morgen immer wieder andere renten- und sozial-politische Baustellen angesprochen werden. Wir hattengestern schon eine Aktuelle Stunde zum Mindestlohn.Mir fällt bei den Kollegen der Opposition eines auf: Sieversteigen sich hier mehr und mehr zu einem Mindest-Mindestlohn. Das Ganze soll ja unpolitisch stattfinden.Eine Kommission soll die richtige Höhe festlegen, abermindestens die oder die Zahl soll dabei herauskommen.Dazu kann ich nur sagen: Unpolitische Lohnfestlegungsieht anders aus. Aus gutem Grund ist die Mehrheit indiesem Hause der Meinung, dass Tariffindung eine Auf-gabe der Tarifpartner ist und die Politik ihre Finger ausdiesem Spiel heraushalten soll.
In Gregor Gysis Rentenladen lässt vielfach das Schla-raffenland grüßen. Sie sind ja Meister darin, immer wie-der die gleichen Forderungen vorzutragen; Sie sind auchdurch nichts von falschen Grundannahmen abzubringen.Trotzdem will ich es heute noch einmal versuchen.Sie sagen zum Beispiel, das Rentenniveau sinke dra-matisch durch falsche politische Entscheidungen. Dakann ich nur sagen: Offensichtlich hat die Fraktion derLinken eine Version des Alterssicherungsberichtes be-kommen, in dem die Seite 175 fehlt. Auf der kann mannämlich übersichtlich nachlesen, dass wir im Jahr 2020mit einem durchschnittlichen Gesamtversorgungsniveauvon 70,7 Prozent netto rechnen können,
2030 sogar mit einem Gesamtversorgungsniveau von72,8 Prozent.Ganz wichtig für Sie – manche im Haus sind ja nichtbereit, das zur Kenntnis zu nehmen –: Der Nachhaltig-keitsfaktor wirkt nur dann und nur in dem Maße negativauf das Rentenniveau, wenn und wie die Zahl der Rent-ner schneller wächst als die der Beitragszahler. Dem sindwir allerdings auch nicht ohne Gegenwehr ausgeliefert.Vielmehr haben wir es doch selbst in der Hand, welcheSeite sich am Ende besser entwickelt.
Davon hängt also das zukünftige Rentenniveau ab. Wirsind auf diesem Gebiet nachgewiesenermaßen erfolg-reich; das möchte ich hier deutlich festhalten.
Die Beschäftigung hat im vergangenen Jahr mit41,1 Millionen Personen ein Rekordniveau erreicht undliegt auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereini-gung. Die neu geschaffenen Arbeitsverhältnisse sind fastausschließlich sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-hältnisse und sind zum größten Teil im Vollzeitbereichentstanden.
Auch dies möchte ich hier einmal sagen, um mit der Märaufzuräumen, es gebe in Deutschland nur noch prekäreBeschäftigung und alle Arbeitsplätze, die neu entstün-den, seien inakzeptabel. Das Gegenteil ist der Fall. DieseRegierung hat diesen Erfolg auf ihrem Konto zu verbu-chen.
Wenn die Regierung so weitermacht wie bisher undkünftig auch mehr Arbeitnehmer mehr Beiträge einbe-zahlen, dann ist dies ein Weg, um im Jahr 2030 ein höhe-res Rentenniveau zu erreichen, als man bisher erwartenkonnte.
Wir sind im Moment auch deutlich besser unterwegs, alsdies frühere Regierungen prognostiziert hatten.
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Dr. Heinrich L. Kolb
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Als weiteren Punkt hat Gregor Gysi angesprochen,dass die Riester-Förderung verfehlt sei und an die fal-schen Menschen gehe. Deswegen kommt er zu dem Er-gebnis, dass man die Riester-Förderung einstellenmüsse. Das ist der Weg zurück in die rentenpolitischeSteinzeit, Herr Kollege Gysi.
Sie behaupten also, die Riester-Rente sei ein Flop. Aus-weislich der Zahlen des Alterssicherungsberichtes 2012kann man feststellen, dass inzwischen mehr als 70 Pro-zent aller Arbeitnehmer einen zusätzlichen Anspruch auseiner betrieblichen oder einer Riester-Rente besitzen. Esgibt 9,6 Millionen Riester-Verträge, 15,6 Millionen Be-triebsanwartschaften. Aber – jetzt kommt es, Herr Gysi –27 Prozent der Zulagenempfänger – das sind 2,5 Millio-nen Menschen in diesem Lande – bekommen die staatli-che Zulage für ein Jahreseinkommen von unter10 000 Euro.
Weitere 20,3 Prozent bekommen die Zulage für ein Jah-reseinkommen von unter 20 000 Euro, weitere 19,3 Pro-zent für ein Jahreseinkommen von unter 30 000 Euro.Da sind wir immer noch nicht in Bereichen, die Sie viel-leicht als Höchstverdiener bezeichnen würden.
Aber das heißt im Klartext: Mehr als zwei Drittel derstaatlichen Zulagen in diesem Bereich gehen an Men-schen mit einem Jahreseinkommen von unter30 000 Euro. Das nenne ich im Unterschied zu Ihnen,Herr Kollege Gysi, zielgenau und fair. Genau dies istauch der Grund dafür, dass wir an dieser Art der Förde-rung in Zukunft festhalten wollen.
– Jetzt zur Frage, was hinten herauskommt.Das Problem bleibt – dafür haben Sie ja ein Beispielgebracht, Herr Gysi –: Erworbene private und betriebli-che Zusatzansprüche werden bei der Grundsicherunggnadenlos angerechnet und dann eben auch weggenom-men. Gerade Geringverdiener sind nicht schlecht imRechnen. Das unterstelle ich hier ausdrücklich, und diesist auch richtig so. Sie wissen genau, dass sie im Falleder Grundsicherung am Ende keinen Euro mehr bekom-men werden. Das ist ein rot-grüner Webfehler gewesen.
Das ist auch genau der Grund dafür, warum wir als FDPein Freibetragsmodell vorschlagen. Danach sollen min-destens 100 Euro als Sockel nicht angerechnet werden,darüber hinaus sollen weitere 20 Prozent anrechnungs-frei bleiben. Das ist ein Signal, das gerade an jungeMenschen in unserem Lande gegeben werden muss, unddas ist etwas, wofür wir in dieser Koalition eintreten.
Ich will zum Schluss noch sagen und damit vielleichtdoch noch ein bisschen werben: Uns treibt die Frage um,wie wir in der Rentenpolitik die Flexibilisierung desÜbergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand bessergestalten können. Das ist unsere Antwort auf die Rentemit 67, die Sie ja auch ablehnen. Ich glaube, es ist einlohnenswertes Ziel, dass Menschen, die sich oberhalbder Grundsicherung befinden, ab einem Alter von60 Jahren frei entscheiden und frei wählen können, inwelchem Umfang sie noch erwerbstätig sein wollen.Dann soll ihnen der Staat auch nicht mehr vorschreiben,ob und was sie zuverdienen können. Das wird eine wich-tige Entscheidung der Zukunft sein, die ich ganz amSchluss noch aus dem Potpourri der Themen herausgrei-fen will.Denken Sie einmal darüber nach, wie man es schaffenkann, dass Menschen möglichst lange am Erwerbslebenteilhaben, aber auf der Basis ihrer eigenen freien Ent-scheidung! Das ist es, was wir erreichen müssen. Denndas Beste, was man den Menschen empfehlen kann, ist,möglichst lange dabeizubleiben und nicht möglichst frühin Rente zu gehen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. WolfgangStrengmann-Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute über neun Anträge der Fraktion DieLinke zur Rente. Ich will gerne konstatieren, dass IhreProblembeschreibung zu einem großen Teil richtig ist,die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, sind es allerdingsnur teilweise. Deswegen werden wir Ihre Anträge zumTeil ablehnen, zum Teil aber auch nicht.Viel spannender ist aber, was die Bundesregierungbisher zum Thema Rente vorgelegt hat, nämlich
nichts – gar nichts, überhaupt nichts, nada, rien, nothing.
Seit drei Jahren stellen Sie die Regierung. Aber zumThema Rente hört man von Ihnen nur Ankündigungen.Das war auch heute wieder der Fall. Sie sagen, Sie wol-len die Armen, die Alten, die Kinder und wen sonst nochalles retten. Aber nichts ist passiert, weder beim Min-destlohn noch bei der Ost-West-Rentenangleichung, dieim Koalitionsvertrag steht.
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28252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Sie wollten die Selbstständigen besser absichern; davonist nichts mehr zu hören. In dieser Woche haben wir eineDiskussion über Ghettorenten geführt. Es gibt keine Vor-schläge der Bundesregierung, wie die vorhandene Lückezu schließen ist.
Außerdem führten wir Debatten über DDR-Flüchtlingeund über Geschiedene aus der DDR, die benachteiligtsind.
Auch hier will die Regierung nichts unternehmen, unddas trotz eines entsprechenden Bundesratsbeschlusses.Das Megathema ist die drohende Altersarmut. Dazusagt die Bundesarbeitsministerin schon seit Jahren: Ja,da muss etwas passieren. Die Lebensleistung muss sichlohnen, insbesondere für diejenigen, die lange etwas ge-leistet haben. – Was liegt vor? Nichts, überhaupt nichts!Die Lebensleistungsrente ist doch nur ein Begriff. Esgibt aber überhaupt kein Konzept. Die Koalitionsrundehat zwar beschlossen, dass 40 Beitragsjahre die Voraus-setzung für den Bezug der Lebensleistungsrente sein sol-len. Aber selbst bei der Höhe gibt es unterschiedlicheMeinungen. Frau von der Leyen hat gesagt: Die Lebens-leistungsrente ist das Gleiche wie das, was ich vorher alsZuschussrente bezeichnet habe. – Da hat dann aber so-fort die FDP interveniert – Herr Kolb nickt – und gesagt:Nein, sie ist nicht das Gleiche wie die Zuschussrente; sieist niedriger. – Wahrscheinlich würde er noch hinzufü-gen: einfacher und gerechter.
Es ist also etwas ganz anderes, aber es gibt kein Kon-zept.
Die Regierung hat bisher rein gar nichts vorgelegt. Ichprognostiziere: Zu diesem Thema wird es auch nichtsmehr geben. Deswegen werde ich meine restliche Rede-zeit nutzen, um unser Konzept darzustellen.
Dann werden auch die Unterschiede zu den Konzeptender beiden anderen Oppositionsfraktionen deutlich; beiSchwarz-Gelb gibt es da ja, wie gesagt, nichts.Wir sind der Meinung, dass die gesetzliche Renten-versicherung die zentrale und noch zu stärkende Säuleder Alterssicherung ist.
Deswegen wollen wir die Rente schrittweise zu einerBürgerinnen- und Bürgerversicherung weiterentwickeln,in die alle Bürger Beiträge auf alle Einkunftsarten unab-hängig vom Erwerbsstatus einzahlen.
Es ist klar, dass wir das nicht von heute auf morgen hin-bekommen; das wird ein langer Prozess sein. Aber füruns ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass alle Men-schen in der gleichen Art und Weise für das Alter abgesi-chert sind.
Das gilt übrigens auch für Politikerinnen und Politiker.Durch diese Bürgerversicherung werden Versiche-rungslücken geschlossen, eigene Ansprüche, die präven-tiv vor Altersarmut schützen, aufgebaut, und die Rentewird nachhaltig finanziert.
Für uns sind stabile Rentenversicherungsbeitragssätzeein wichtiges Ziel; das unterscheidet uns fundamentalvon den Linken. Im Übrigen ist es so, dass die Beiträgekomplett von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern gezahlt werden müssen.
Unter anderem deswegen sind wir dagegen, dass es Ren-tenversicherungsbeitragssätze von 26, 27 oder 28 Pro-zent geben soll. Die Menschen sind genug belastet. Wirwollen stabile Rentenversicherungsbeitragssätze.Gleichzeitig ist uns aber auch ein angemessen hohesRentenniveau wichtig. Wir wollen, dass unser Renten-system über Generationen hinaus Vertrauen genießt.Junge Menschen, die lange in die Rentenversicherungeingezahlt haben, müssen im Alter auch eine angemes-sene Rente erhalten. Würde das Rentenniveau deutlichsinken, wären viele von Armut bedroht. Das wäre eineLegitimationskrise der Rentenversicherung. Das wollenwir verhindern.
Herr Kolb hat eben den Mechanismus des von unseingeführten Nachhaltigkeitsfaktors gut beschrieben.
– Nein, der demografische Faktor hat anders funktio-niert. – Dabei geht es nämlich um das Verhältnis vonBeitragszahlerinnen und Beitragszahlern zu Rentnerin-nen und Rentnern. Wenn wir eine Bürgerversicherunghaben, dann gibt es mehr Beitragszahlerinnen und Bei-tragszahler. Dadurch können wir zu einem angemesse-nen Rentenniveau bei stabilen Beiträgen kommen.Zusätzlich müssen wir natürlich beim Arbeitsmarktansetzen. Wir brauchen eine höhere Erwerbsbeteiligunginsbesondere von Frauen und Älteren, und wir müssenendlich den Bereich der prekären Beschäftigung ein-grenzen, wodurch auch mehr Beiträge gezahlt werden.Auch dadurch würde das Rentenniveau steigen.Das ist unser Ansatz. Steigende Beiträge sind keineLösung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28253
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Zu einem guten Verhältnis von Beiträgen zum Ren-tenniveau trägt übrigens auch die Anhebung der Alters-grenze bei. Wenn es gelingt, dass die Menschen längerarbeiten, erhöhen wir damit die Einnahmen der Renten-versicherung und damit auch die Renten. Das heißt, dieAlternative zur Rente mit 67 sind nicht nur höhere Bei-träge, sondern auch ein geringeres Rentenniveau. Des-wegen halten wir die langsame und schrittweise Anhe-bung der Regelaltersgrenze auf 67 bis zum Jahr 2031 fürrichtig.Wir wollen aber flexible Übergänge in den Ruhestandschaffen. Die Menschen sollen möglichst selbstbestimmtentscheiden können, wann und in welchem Umfang siein Rente gehen. Wer will, soll schon mit 60 in Rente ge-hen können. Insbesondere wollen wir, dass Menschen ab60 eine Teilrente beziehen können,
um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand undlängeres Arbeiten zu ermöglichen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst von den Linken?
Ja, immer gerne.
Bitte schön, Herr Ernst.
Danke, Herr Kollege. – Ich möchte eigentlich nureine Frage stellen. Sie bestreiten sicherlich nicht, dassnur 9,9 Prozent der Altersgruppe der 64-Jährigen einesozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben. Vor-hin wurden die Zahlen genannt. Bei den Frauen ist derAnteil noch deutlich geringer. Das ist der Istzustand.Wir haben aber schon jetzt begonnen, die Rente mit67 bzw. erst ab 67 einzuführen. Sind Sie mit mir derAuffassung, dass das für 90 Prozent der sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten, die das betrifft, schon eineRentenkürzung ist?
Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass dieZahl derer, die in dieser Altersgruppe eine sozialversi-cherungspflichtige Beschäftigung hat, eher abnimmt,
und dass wir damit rechnen können, dass das, was wirzum jetzigen Zeitpunkt tun und das sich in den nächsten20 Jahren vermutlich nicht dramatisch ändern wird, dazuführt, dass die Rente erst ab 67 für die Menschen tat-sächlich eine reine Rentenkürzung ist? Denn pro Jahr,das die Menschen vor dem 67. Lebensjahr in Rente ge-hen, müssen sie bis ans Lebensende einen Rentenab-schlag von 3,6 Prozent jährlich – also 7,2 Prozent fürzwei Jahre – hinnehmen.
Ich stimme Ihnen zum Teil zu. Die Zahl 90 Prozentstimmt wahrscheinlich nicht. Wir müssen uns die empi-rischen Zahlen noch einmal genau ansehen. Denn es sindnicht nur die Erwerbstätigen, die keine Rentenkürzungenerfahren,
sondern auch andere. Ich empfehle dazu das Gutachtendes Wissenschaftlichen Beirats zur Rente – es ist vor-letztes Jahr vorgelegt worden –, in dem für die einzelnenGruppen beschrieben ist, wo eine Rentenkürzung drohenkönnte.Womit Sie aber grundsätzlich recht haben: Es gibteine Gruppe, die das nicht erreicht. Für sie ist es tatsäch-lich eine Rentenkürzung. Ich hatte gesagt: Im Durch-schnitt ist es eine Verbesserung und eine Erhöhung desRentenniveaus. In der Tat führt die Rente mit 67 dazu,dass die Schere ein Stück weit auseinandergeht. Für die-jenigen, die schwächer sind und nicht so lange arbeitenkönnen, ist es eine Rentenkürzung. Im Grundsatz ist esaber eine Rentenerhöhung.Aber gerade bei diesem Verteilungsproblem müssenwir unbedingt und dringend ansetzen. Wir müssen dafürsorgen, dass auch diejenigen, die nicht so lange arbeitenkönnen, vernünftig abgesichert sind. Die Teilrente ist einBeispiel. Wir müssen bei der Erwerbsminderungsrentedafür sorgen, dass diejenigen, die aus gesundheitlichenGründen nicht mehr arbeiten können, keine Abschlägemehr in Kauf nehmen müssen. Das ist ein ganz wichtigerPunkt. Wir müssen auch sonst dafür Sorge tragen, dasswir zu fließenden Übergängen in den Ruhestand kom-men.Last, not least – dazu komme ich gleich noch ausführ-licher – müssen wir dafür sorgen, dass die Rente mit 67nicht dazu führt, dass der Lebensstandard der Menschenunter ein Mindestniveau sinkt. Deswegen haben wir dasKonzept der grünen Garantierente, mit dem erreicht wer-den soll, dass alle, die 30 Versicherungsjahre haben, we-nigstens ein Minimum bekommen, das über der durch-schnittlichen Grundsicherung liegt.Das Problem ist von der Tendenz her durchaus richtigbeschrieben; aber wir haben noch 20 Jahre Zeit, um dieVoraussetzungen zu schaffen. Ob die Verlängerung derRegelalterszeit um bisher zwei Monate tatsächlich zuRentenkürzungen geführt hat, müssen wir empirisch un-tersuchen. Meine Vermutung ist, dass das nicht in nen-nenswertem Umfang der Fall gewesen sein wird. Wir
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28254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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werden 2014 einen Bericht zur Rente mit 67 vorlegen.Die Ergebnisse werden wir uns genau anschauen und un-sere Schlussfolgerungen daraus ziehen.Nun zu der Garantierente, die wir Grüne vorschlagen.Ich habe gerade schon gesagt: Im Gegensatz zu vielenanderen Ländern in Europa gibt es in Deutschland keinMindestniveau in der Rente. Die Bürgerinnen und Bür-ger müssen sich aber darauf verlassen können, dass sieals langjährig Versicherte im Alter in der Regel nicht aufLeistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Eingroßer Teil der Bevölkerung hat allerdings kein Ver-trauen mehr in die gesetzliche Rentenversicherung.Viele fragen sich, ob sie in der Rentenversicherung nochausreichend Rentenansprüche erwerben können, um imAlter über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen.Deswegen wollen wir eine steuerfinanzierte Garantie-rente einführen, durch die für Menschen mit 30 Versi-cherungsjahren ein Mindestniveau von 30 Entgeltpunk-ten – das sind zurzeit circa 850 Euro – in der Rentegarantiert wird; das liegt über dem durchschnittlichenGrundsicherungsniveau. Das ist notwendig als Schutzvor Armut, aber auch um die Akzeptanz der Rentenver-sicherung zu erhöhen.Die grüne Garantierente ist so ausgestaltet – darin un-terscheidet sie sich von dem Konzept der SPD, insbeson-dere aber von dem der CDU/CSU –, dass sie auch undinsbesondere für Frauen mit geringem Einkommen undErwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehungerreichbar ist.
Für die Solidarrente der SPD wären 40 Versicherungs-jahre, für die Lebensleistungsrente der CDU/CSU sogar40 Beitragsjahre erforderlich. Das ist für einen Großteilder Menschen in Deutschland, die von Altersarmut be-droht sind, überhaupt nicht erreichbar. Wir brauchen einMindestniveau in der Rente, das tatsächlich vor Armutschützt, und kein Placebo.
Von allen anderen Vorschlägen, auch von der Min-destrente der Linken, unterscheidet sich die grüneGarantierente dadurch, dass es bei ihr keine Bedürftig-keitsprüfung gibt. Um die sogenannte solidarische Min-destrente zu erhalten, müssen – der Kollege Birkwaldhat das eben schon beschrieben – Einkommen und Ver-mögen komplett offengelegt werden. Die Linke sieht so-gar eine Obergrenze für die Wohnfläche selbstgenutztenWohnraums vor. Das heißt, da kommt dann jemand vonder Rentenversicherung und prüft, wie groß die Woh-nung ist. Mit einer Mindestrente hat das nichts zu tun.Wir brauchen keine zweite Grundsicherung; denn dieRentenversicherung ist kein Sozialamt.Durch die grüne Garantierente und die Weiterent-wicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einerBürgerversicherung schaffen wir eine stabile Basis fürdie Absicherung im Alter mit einem Mindestniveau überder durchschnittlichen Grundsicherung und einem ge-wissen Maß an Sicherung des Lebensstandards. Auf die-ser Basis setzen dann die weiteren Säulen der Alterssi-cherung auf. Private und betriebliche Alterssicherungsind wichtig für die Sicherung des Lebensstandards imAlter. Für eine Absicherung gegen Altersarmut ist diekapitalgedeckte Säule ungeeignet, weil sie zu risikoreichist. Bei der Sicherung des Lebensstandards halten wireine Risikomischung für richtig, weil das die Chance aufeine höhere Rendite ermöglicht. Damit die Menschendiese Chance tatsächlich bekommen, muss die Riester-Rente allerdings grundlegend reformiert werden. Man-che Riester-Produkte lohnen sich nur wegen der staatli-chen Förderung. Viel zu viel Geld bleibt bei Banken,Versicherungen und Vermittlern hängen. Das heißt, derStaat fördert schlechte Finanzprodukte. Das halten wirfür falsch.
Wir wollen, dass die Förderung die Menschen erreicht,die sie brauchen, und dadurch nicht der Finanzmarktsubventioniert wird.Eine Idee, die wir weiter verfolgen wollen, ist die ei-nes Standardprodukts, eines Basisprodukts, das öffent-lich organisiert wird. Die Deutsche RentenversicherungBaden-Württemberg nennt das Altersvorsorge-Konto.Menschen, die keine Finanzexpertinnen und -expertensind, brauchen einen barrierefreien Zugang zu zusätzli-cher Altersvorsorge, bei der das Geld nicht in Provisio-nen und Zusatzkosten versickert. Dieses Basisproduktsoll nicht obligatorisch werden, es soll kein Zwangspro-dukt werden. Wer es nicht in Anspruch nehmen will,kann gerne anders vorsorgen. Aber ein solches Basispro-dukt ist eine Möglichkeit, um insbesondere Geringver-dienern eine bessere Absicherung im Alter zu ermögli-chen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine grundlegendeund umfassende Reform der Alterssicherung ist drin-gend notwendig. Wir brauchen eine nachhaltig finan-zierte Rente mit einem festen Fundament, das vor Armutschützt, und darauf aufbauend Säulen für die Lebens-standardsicherung. Um die Rente für die Zukunft sicherzu machen, müssen wir jetzt anfangen.Schwarz-Gelb hat bei der Rente völlig versagt. Noch205 Tage bis zum Wechsel;
dann fangen wir an, die Rente zukunftsfest zu machen.
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling von derCDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28255
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(B)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Was werfen Sie uns eigent-
lich vor?
Werfen Sie uns vor, dass 41 Millionen Menschen er-
werbstätig sind, dass es 29 Millionen sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gibt, dass
wir eine geringe Altersarmut von 2,5 Prozent haben,
dass 30 Milliarden Euro in der Rücklage der Renten-
versicherung sind, dass wir entgegen allen Prognosen
den Rentenversicherungsbeitrag absenken konnten, ohne
dass die Rücklagen sofort abgeschmolzen werden? Wer-
fen Sie uns das vor?
Wir sind der Stabilitätsanker der Deutschen Rentenversi-
cherung und nicht die Traumtänzer der Nation wie die
Linksfraktion.
Verehrter Herr Gysi, wer den Menschen einen bunten
Rentenhimmel malt, Glocken dort oben hinhängt und
glaubt, er könnte alles versprechen, was er hinterher
nicht halten kann, der belügt das Volk wissentlich.
Ich sage Ihnen: Die Situation der Rente ist gut. Die
Zuhörer und Zuschauer könnten den Eindruck gewin-
nen, als wäre alles und jedes am Ende. Das ist nicht der
Fall. Ich will aber gerne zugestehen, dass es immer wie-
der schwierige Phasen gab, zum Beispiel 2001, 2002.
Ich gehörte dem Bundestag damals nicht an. Ich war
schlichter Bürger, der sich das alles politisch interessiert
angeschaut hat, und war in der Selbstverwaltung der
Rentenversicherung tätig. Ich habe natürlich nicht
schlecht gestaunt, als damals viele gesagt haben, die um-
lagefinanzierte Rente sei nicht mehr sicher und brauche
man nicht mehr; es müsse alles auf die private Vorsorge
und kapitalgedeckte Systeme umgestellt werden.
Darauf hat Herr Riester reagiert und gesagt: Wir machen
eine schöne Rente, indem die Leute privat vorsorgen. –
Daraus ist die Riester-Rente geworden,
also keine Kolb-Rente, sondern eine Riester-Rente.
Diese Riester-Rente haben wir begrüßt, weil im Prin-
zip Folgendes getan wird: Es wird akzeptiert, dass wir
aufgrund der demografischen Entwicklung, von der die
kapitalgedeckten Systeme genauso betroffen sind wie
die umlagefinanzierten Systeme, auf Dauer Vorsorge be-
treiben müssen. Jeder Einzelne muss Vorsorge betreiben,
damit das Einkommensniveau im Alter in etwa gehalten
werden kann.
Entschuldigung, Herr Schiewerling, lassen Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert zu?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Keine Zwischenfrage.
Zum Thema Rente gab es heute sehr viele Zwischen-fragen. Nach uns kommen auch noch Kolleginnen undKollegen, die ein anderes Thema diskutieren.
Ich bitte jetzt, auch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dasswir kollegial Rücksicht auf sie zu nehmen haben. Ichbefürchte, dass der Erkenntnishorizont durch eineZwischenfrage nicht sonderlich steigen würde.
Ich will auf die Frage zurückkommen, wie wir das aufDauer regeln können. Es gibt noch eine dritte Säule,nämlich die betriebliche Altersvorsorge. Alles zusam-mengenommen, die umlagefinanzierte Rente, diebetriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge,sichert das Einkommen im Alter. Was erlebe ich? In denAnträgen der Linken schwingt das Pendel genau zur an-deren Seite, und alles und jedes soll ausschließlich überdie umlagefinanzierte Rente finanziert werden. Außer-dem sollen noch alle möglichen Personengruppen auf-genommen werden. Jeder träumt nur davon, wie vielGeld hereinkommt, aber keiner rechnet vor, wie hoch dieBelastungen sind, die sich aufgrund von Mitgliedschaftund Beiträgen letztendlich automatisch daraus ergeben.Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Das, was Siehier vorschlagen, ist nicht zielführend. Das dient denMenschen nicht und schafft übrigens allenfalls eine ge-fühlte Gleichheit, aber keine Gerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen aus unsererSicht sehr deutlich sagen, dass wir natürlich im Blickhaben, dass die Altersarmut vermutlich steigen wird,
weil wir wissen, dass es gebrochene Erwerbsbiografiengibt. Wir wissen aber überhaupt nicht, wie viele es sind,
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Karl Schiewerling
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weil es an keiner Stelle in Deutschland eine Übersichtoder ein Konto gibt, anhand dessen wir sagen können,dass Herr Sowieso oder Frau Sowieso soundso viel imAlter haben wird. Wir kennen das Ergebnis der Renten-versicherung. Aber was machen Sie denn, wenn jemandbehauptet, er bekomme 250 Euro Rente? Das ist sicher-lich das blanke Elend, es sei denn, dass er noch andereEinkommen aus Vermögen, Verpachtung oder Zinserträ-gen hat. Möglicherweise ist der Betreffende sogar Arztgewesen und hat eine ganz andere Versorgung. Wirdürfen nicht vergessen, dass es eine Vielzahl andererVersorgungssysteme gibt. Wie hoch das gesamte Alters-einkommen jedes Einzelnen ist, das können wir über-haupt nicht sagen. Wir haben keinen Überblick, weil eskeine entsprechende Stelle in der Bundesrepublik gibt.Es wäre gut, sich Gedanken darüber zu machen, wie mansich einen solchen Überblick verschaffen könnte.
Das ist aber schwierig, weil hier beispielsweise daten-schutzrechtliche Fragen berührt sind.
Deswegen brauchen wir, Herr Kollege Birkwald, ebenkeine allgemeine Rente für jeden,
egal ob jemand in seinem Leben gearbeitet hat odernicht. Anders als Sie in Ihrer Zwischenbemerkung vor-hin versucht haben, deutlich zu machen, interessierenSie sich überhaupt nicht dafür, ob einer erwerbstätig waroder nicht erwerbstätig war, ob jemand in seinem Lebengetan hat, was er tun konnte, oder ob jemand draußenBalalaika gespielt hat.
Sie sagen: Egal, was jemand gemacht hat, er bekommteine bestimmte Rente, und dann ist Schluss. – Das habenwir übrigens eingeführt. Das ist die Grundsicherung imAlter. In den Genuss der Grundsicherung im Alterkommt jeder. Tiefer fällt keiner.
Das ist die untere Auffanglinie, die wir in der Bundes-republik haben. Ich sage Ihnen: Das blanke Elend wirdauch dann nicht ausbrechen.
Meine Damen und Herren, natürlich führen wir eineheftige Diskussion über die Frage, wie wir denn inZukunft vor Altersarmut schützen werden. Wie soll dieGrundlinie aussehen, die wir dort ziehen? Die Grund-linie ist bei uns klar: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hatoder Kinder erzogen oder alte Eltern gepflegt hat, solleine Rente oberhalb der Grundsicherung erhalten.
Alles andere ist nicht zu finanzieren und können wir da-her den Menschen auch nicht versprechen.
Wir wollen Erziehungszeiten für Frauen, die vor 1992Kinder geboren haben, rentenrechtlich anerkennen. Wirwollen eine entsprechende Anpassung und eine sukzes-sive Steigerung.
Meine Damen und Herren, wir wollen natürlich überdiesen Weg auch Altersarmut vorbeugen
und den Menschen helfen.Meine Damen und Herren, Rentenpolitik ist keinWünsch-dir-was und hat immer mehrere Grundlagen zubeachten. Erstens ist das Äquivalenzprinzip zu berück-sichtigen, wonach das, was jemand einzahlt, in einemangemessenen Verhältnis zu dem steht, was er bekommt.Zweitens hat Rentenpolitik zur Aufgabe, dass innerhalbdes Rentensystems – deswegen heißt es Solidarsystem –auch den Menschen geholfen wird, die weniger haben.Deswegen gibt es im Rentensystem schon heute Mecha-nismen, die für einen entsprechenden Ausgleich sorgen.Das Rentensystem muss darüber hinaus vor Invaliditätschützen und den Menschen, die auf Hilfe angewiesensind, Rehabilitation ermöglichen, damit sie länger arbei-ten können.Ich hoffe sehr und gehe davon aus, dass wir alles dasin der nächsten Zeit noch regeln werden.
Aber, meine Damen und Herren, an der Rente mit 67werden wir nicht rütteln lassen. Ich bin HerrnStrengmann-Kuhn dankbar dafür, dass er dies aus seinerSicht noch einmal nachhaltig und deutlich unterstrichenhat.
Das hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Wirmüssen doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dasswir auf der Welt nicht die Einzigen sind und dass es nachuns noch Kinder gibt – und zwar weniger als bisher –,die das gesamte System zu tragen haben. Wie gehen wireigentlich mit den zukünftigen Generationen um? Disku-tieren wir nur im Hier und Jetzt? Ich sage Ihnen: Es magja sein, dass die Linken so denken können, weil ihre Mit-glieder überaltert sind. Wir können uns das jedenfallsnicht erlauben.Danke schön.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28257
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Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Ilja Seifert das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Schiewerling,
Sie haben so getan, als wäre bei der Rente alles wunder-
bar. Sie haben gesagt, Vorsorge und Gerechtigkeit seien
angesagt. Jetzt sagen Sie mir bitte einmal: Wie soll
jemand, der eine DDR-Rente bekommt, noch vorsorgen,
und wie wollen Sie begründen, dass es unterschiedliche
Rentenwerte in Ost und West gibt? Wie soll jemand, der
Erwerbsminderungsrente bekommt, vorsorgen? Wo
sorgen Sie da für Gerechtigkeit? Wo wird da irgendetwas
für diejenigen getan, von denen wir geredet haben? Das
sind nur zwei Punkte aus unseren Anträgen, die ich
herausgehoben habe.
Sie tun so, als ob wir hier den Himmel buntmalen
würden. Wir wollen nur Gerechtigkeit, und zwar für die-
jenigen, die sie selber nicht herstellen können. Warum
verweigern Sie sich dem? Sagen Sie mir das bitte.
Herr Schiewerling, zur Erwiderung bitte.
Herr Kollege Seifert, für diejenigen, die heute schon
in der Rente sind – dazu gehören auch die Erwerbs-
minderungsrentner –, gilt das, was wir hier diskutieren,
nicht. Für sie gilt auch nicht das, was Sie in Ihren Anträ-
gen fordern. Vielmehr geht es um die Gestaltung der Zu-
kunft. Wir haben ja ein Rentenrecht.
Für die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die trotz des
1992 in Kraft getretenen Rentenüberleitungsgesetzes mit
ihrer Rente nicht auskommen, haben wir die Grund-
sicherung im Alter eingeführt. Ich halte das für einen
wichtigen sozialen Gesichtspunkt.
– Das deutsche Parlament hat das eingeführt, Frau
Kollegin Hagedorn. Vielleicht können wir uns darauf
verständigen.
Übrigens wird die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung ab 2014 komplett vom Bund getra-
gen und nicht mehr von den Kommunen. Das wiederum
haben wir eingeführt, und damit haben wir die Kommu-
nen entlastet.
Wir haben also im Prinzip eine solche Grundsiche-
rung. Bei dem, was wir diskutieren, geht es um die
Frage: Was machen wir für die zukünftigen Rentner? Es
geht darum, hier für gerechte und für vernünftige
Strukturen zu sorgen. Wir sind dabei, dies entsprechend
zu gestalten.
Jetzt hat das Wort die Kollegin Bettina Hagedorn von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wir diskutieren über neun Anträge von den Linken unterdem Überbegriff „Rentenrecht“.
Es ist durchaus ein bisschen ungewöhnlich, dass dazuneun Anträge zeitgleich debattiert werden, zumal wirüber einzelne Anträge namentlich abstimmen werden.Ich werde das Gefühl nicht los: Ein bisschen Show istdabei.
„Rente“ ist wirklich ein megawichtiges Thema füralle Menschen in unserem Land. Es gehört sich einfach,dass wir es mit der gebotenen Ernsthaftigkeit diskutie-ren. Darum möchte ich nur den formalen Hinweis geben,dass mir Ihr Vorgehen sauer aufgestoßen ist. Im Grundeist es so – das ist von Kollegen schon gesagt worden –,dass Ihre Problemanalyse in weiten Teilen dieses Hausessehr wohl geteilt wird. Das hat sogar die Ministerin ge-sagt; das hat der Kollege der Grünen gesagt; das will ichIhnen ebenfalls bestätigen. Aber die Problemanalyse istdas eine, und die Antworten darauf sind das andere.
An zwei Punkten werden wir uns nachher enthalten:bei der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente undbei der Rente nach Mindestentgeltpunkten. Dort musszwar richtigerweise etwas getan werden, wir könnenIhren Vorschlägen aber nicht zustimmen und enthaltenuns deshalb, weil wir bessere Vorschläge haben. Sie sindBestandteil des Rentenkonzepts der SPD, das wir imNovember einstimmig beschlossen haben.Es geht an dieser Stelle vor allen Dingen um die Poli-tik der Regierung. Der Kollege Schiewerling hat vorhingefragt: Was werfen Sie uns eigentlich vor? Zur Beant-wortung dieser Frage will ich meinen Beitrag leisten.Darum zitiere ich aus Ihrem Koalitionsvertrag:Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hartgearbeitet hat, der hat auch einen Anspruch auf einegute Rente.Sie sagten: Eine Regierungskommission sollte Lösungenerarbeiten. – Aber diese Regierungskommission kam niezustande. Was taten Sie stattdessen gleich im ersten Jahr,
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Bettina Hagedorn
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in dem Sie gemeinsam regierten? Sie strichen unter an-derem mit Ihrem sogenannten Sparpaket ersatzlos denRentenbeitrag für die Langzeitarbeitslosen in diesemLand.
Das war eine Kürzung von 1,85 Milliarden Euro proJahr. In Wahrheit sparten Sie gar nichts. Das war näm-lich „linke Tasche, rechte Tasche“. Die Beiträge für dieLangzeitarbeitslosen wurden nicht mehr bezahlt. Da-durch wurde der Haushalt von Herrn Schäuble geschönt.In Wahrheit fehlte das Geld natürlich in der Rentenkasse.
Summa summarum bedeutet das, dass Sie von 2011bis 2016 mit diesem Manöver der Rentenkasse 19,5 Mil-liarden Euro entnommen haben.
Wie ging es weiter? – Frau Ministerin, Sie sind jagroßartig darin, etwas anzukündigen. Das Problem istaber, dass dann nichts kommt. – Dann brachten Sie einenRentendialog auf den Weg, der ein Jahr lang dauerte. Siehaben mit vielen Experten gesprochen und Hochglanz-broschüren herausgegeben. Dadurch haben Sie den An-schein von Aktivität erweckt.In Wahrheit ist dieser Rentendialog aber zu keinemwirklichen Ergebnis gekommen. Das, was Sie nachhervorschlugen, war Ihre Zuschussrente. Ihre Zuschussrenteist nicht nur von Ihren eigenen Leuten zerrissen worden,sondern von allen, übrigens auch von denjenigen, die andiesem Rentendialog beteiligt waren. Die Zuschussrentekam natürlich nicht. Im Übrigen war sie eine Fehlgeburt,weil Sie eine sozialpolitische Leistung über Beiträgefinanzieren wollten. Das war schon einmal falsch.Was kam als Nächstes? Als Nächstes kam die Lebens-leistungsrente. Damit werden wir seit dem Herbstbeschäftigt. Das Problem dabei ist zum einen, dass dieLebensleistungsrente ein falscher Vorschlag ist, weildamit so getan wird, als würde sie eine Lebensleistungbelohnen. In Wahrheit tut sie das aber gar nicht, weil sieeine lächerliche Erhöhung von 10 bis 15 Euro im Monatdafür darstellt,
dass die Menschen 40 Jahre lang in die gesetzliche Ren-tenversicherung eingezahlt und zusätzlich privat vorge-sorgt haben.
Das Problem ist aber zum anderen: Wo ist eigentlichdie Vorlage dazu? Das sind alles persönliche Vorschlägeder Ministerin – die zurzeit leider nicht zuhört. In dieserKoalition besteht aber keine Einigkeit in diesem Punkt.Darum kennen wir diesen Vorschlag bisher nur aus Ih-rem Mund. Er liegt nicht auf dem Tisch der zuständigenAusschüsse. Unsere Trauer hält sich natürlich in Gren-zen, weil wir diesem Vorschlag sowieso nicht zustim-men würden.Frau Ministerin, Fakt ist, dass Sie den ganzen letztenSommer hindurch von Talkshow zu Talkshow getingeltsind und überall über das Thema Altersarmut gespro-chen haben. Sie sind sogar in diesem Parlament – undauch von mir persönlich – dafür gelobt worden, dass Sieein wirklich wichtiges Thema auf die Tagesordnung ge-bracht haben. Das war gut. Frau Ministerin, es ist dochaber nicht Ihre Aufgabe als Arbeits- und Sozialministe-rin, Probleme zu benennen
oder Analysen anzustellen, sondern Ihre Aufgabe ist esdoch, Vorschläge zur Lösung der Probleme auf denTisch zu legen. Darauf warten wir bis heute.
Darüber hinaus haben Sie bei den Haushaltsberatun-gen 2013 ein weiteres Mal in unnachahmlicher Weise indie Rentenkasse gegriffen. Zum einen haben Sie denVorwegabzug um 1 Milliarde Euro im Jahr 2013 und um1,25 Milliarden Euro in den Folgejahren gekürzt. Damithat Herr Schäuble seinen Entwurf schöngerechnet. Dassind 4,75 Milliarden Euro – so steht es in Ihren Unter-lagen –, die Sie angeblich konsolidiert haben – zulastender Rentenkasse. Zum anderen haben Sie durch die Ab-senkung des Beitrags von 19,6 Prozent auf 18,9 Prozentbeim Bundeshaushalt gekürzt.
– Es wäre schön, wenn ich ausreden dürfte.Sie haben es aber versäumt – das ist in diesem Landbreit diskutiert worden –, die Chance zu nutzen, einewirklich demografiefeste Reserve aufzubauen. Dazu la-gen Ihnen Vorschläge aus diesem Haus und auch ausdem Bereich der Sozialpartner vor. Ich sage Ihnen ganzdeutlich: Das wäre natürlich der bessere Weg gewesen.Wir reden über Generationengerechtigkeit. Wir redendarüber, was zusätzlich geschehen muss. Ich weise ge-meinsam mit den Kollegen von den Grünen ausdrücklichauf unser Konzept hin. Wenn wir zu Verbesserungenkommen wollen – und das wollen wir –, dann kostet dasnatürlich Geld.
Wir wollen in Zukunft keine unverantwortlichenSprünge, sondern eine nachhaltige Finanzierung der ge-setzlichen Rente. Wir wollen eine Stärkung der Betriebs-renten, die ein wichtiger ergänzender Beitrag sind. AuchRiester ist ein wichtiger Teil; auch da machen wir keinkomplettes Rollback.Richtig ist aber auch, dass man nicht alles, was manmal gemacht hat, immer weiterführen muss. Wenn manhinterher erkennt, dass es Fehler gegeben hat, dann muss
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Bettina Hagedorn
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man auch den Mut haben, diese im Detail zu korrigieren.Dazu stehen wir.Alles drei zusammengebunden ergibt eine guteZukunftssicherung. Dafür steht die SPD. Wir werden abHerbst versuchen, das gemeinsam mit Koalitionspart-nern umzusetzen.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Pascal
Kober.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will niemandem zu nahe treten, aber ich bin heute der
jüngste Redner in dieser Debatte.
Ich freue mich über alle älteren Kollegen, die in dieser
Debatte das Thema Generationengerechtigkeit explizit
angesprochen haben; denn darum geht es letztlich.
Rentenpolitik bedeutet immer, mit Maß, langfristigem
Denken und vorausschauendem Handeln an die Dinge
heranzugehen. Die kleinen Veränderungen im Renten-
versicherungssystem, in der Alterssicherung, die wir
heute beschließen, treffen in vollem Umfang sowohl im
Positiven als auch im Negativen die künftigen Genera-
tionen, Generationen, die heute noch gar nicht auf der
Welt sind. Wir müssen heute so vorausschauend han-
deln, dass wir diese Generationen im Blick haben.
In einer rentenpolitischen Debatte ist es angebracht,
dass man auf die Wurzeln des Systems zu sprechen
kommt.
Das haben einige Redner der Koalition schon überzeu-
gend getan;
denn die Wurzeln des Rentenversicherungssystems sind
vor allen Dingen eine gute wirtschaftliche Entwicklung
und zahlreiche sozialversicherungspflichtige Arbeits-
plätze.
In der Frage der sozialversicherungspflichtigen Ar-
beitsplätze ist diese Regierungskoalition erfolgreicher,
als es viele Regierungskoalitionen vor ihr gewesen sind.
Wir haben im Moment so viele sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigte, wie es nach der Wiedervereini-
gung lange nicht der Fall war.
Wir haben insgesamt so viele Beschäftigte in Deutsch-
land wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.
Das ist ein ganz wichtiger Beitrag, um die Wurzeln des
Rentenversicherungssystems zu stabilisieren.
Genau deshalb, aus Überzeugung, haben wir, so wie
es im Gesetz vorgeschrieben ist, unter anderem die
Rentenversicherungsbeiträge zum 1. Januar 2013 von
19,6 auf 18,9 Prozent abgesenkt. Warum? Weil das ge-
meinsam für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer eine
Entlastung von 6 Milliarden Euro bedeutet.
Es wird damit eine wirtschaftliche Dynamik entfacht,
um weitere Arbeitsplätze zu schaffen und am Ende die
wirtschaftliche Stabilität in unserem Land voranzubrin-
gen, zu erhalten und weiter auszubauen. Das ist, wie
gesagt, die wichtigste Wurzel unseres Alterssicherungs-
systems.
Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gysi?
Sehr gerne.
Lieber Herr Kober, Sie sprechen von der jüngerenGeneration. Die Festlegungen, die wir heute treffen,gelten doch auch für diese jüngere Generation, wenn sieim Rentenalter ist. Was wir also heute mit Blick aufdiese Generation versäumen, wird ihr später fehlen. –Das ist das eine.Das Zweite. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,dass der überwiegende Teil der prekären Beschäftigungbei den jungen Leuten stattfindet? Ich nenne Ihnen nureine Zahl: Von allen Menschen bis 35 Jahre haben55 Prozent nur noch ein befristetes Arbeitsverhältnis undkein unbefristetes. Dann haben sie mal wieder keinArbeitsverhältnis. Das heißt, die ganze Erwerbsbiografieist durchbrochen.
Wenn wir gerade bei der jungen Generation nichtsändern, dann wird sie später in Altersarmut enden. Dasist das Problem, das wir anschneiden wollten und wor-über wir ganz sachlich miteinander diskutieren müssen,
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28260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Gregor Gysi
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weil wir eine Lösung brauchen, gerade für die jungeGeneration.
Lieber Herr Kollege Gysi, ich widerspreche Ihnen beiden empirischen Befunden, nicht aber bei der Frage, dieSie grundsätzlich anschneiden; denn das ist der Tenormeiner Rede. Wir müssen Folgendes leisten: Wir müssenmehr Menschen in Beschäftigung bringen, mehrMenschen in gut bezahlte sozialversicherungspflichtigeBeschäftigung.
Man muss an den Ursachen ansetzen, aber nicht, indemman jetzt Ausgabenprogramme beschließt, die die künf-tigen Generationen nicht mehr bezahlen können,
und heute zusätzliche Belastungen bzw. Steuererhöhun-gen beschließt, die am Ende nur Arbeitsplätze gefähr-den.Ich glaube, Ihre Zielsetzung ist richtig. Nur, die Vor-schläge, die Sie machen, werden genau das Gegenteilvon dem erreichen, was Sie wollen. Deshalb lehnen wirIhre Politik ab.
Im Übrigen lehnen wir auch die Politik von Grün undRot ab, und zwar genau in dem Bereich, den ich geradebei der Beantwortung der Frage von Herrn Gysi ange-schnitten habe.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe beiGrün und Rot nicht, dass Sie auf der einen Seite zwaretwas für die Alterssicherung in der Zukunft machenwollen – Sie müssen doch erkennen, dass die Vorausset-zung hierfür die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gung ist –, Sie aber auf der anderen Seite auf IhrenParteitagen und, noch schlimmer, in Ihren Wahlprogram-men Steuererhöhungen beschließen, die den Mittelstandund das Handwerk mit Milliarden belasten werden.
Damit legen Sie die Axt an die Wurzel des Rentenversi-cherungssystems.
Denn Sie nehmen billigend in Kauf, dass Hunderttau-sende Arbeitsplätze verloren gehen.Ein Zweites, was ich nicht verstehen kann, ist – Siewissen doch, dass wir schon heute über ein Viertel desBundeshaushalts als Zuschuss in die gesetzliche Renten-versicherung einbezahlen –, dass Sie in den Ländern, indenen Sie regieren, nicht willens sind, die Verschuldungzurückzufahren. Grün-Rot in Baden-Württemberg – dasist irre; das muss man sich einmal vorstellen – hat ak-tuell 3 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr als dieletzte schwarz-gelbe Regierungskoalition, gibt über5 Milliarden Euro mehr aus, treibt die Verschuldunghoch und verspielt die Zukunft künftiger Generationen.
Das ist unverantwortlich und muss auch in einer Renten-debatte benannt werden, weil die Zusammenhängeoffensichtlich sind. Wer heute die Verschuldung in dieHöhe treibt, wird die Alterssicherung der Zukunft nichterreichen.
Diese Bundesregierung hingegen nimmt das ThemaHaushaltskonsolidierung mehr als ernst.
Man muss sich das einmal vorstellen: In Zeiten wiediesen ist es dieser Regierungskoalition gelungen, dieVorgaben der Schuldenbremse statt 2016 schon 2012einzuhalten. Das ist eine verantwortungsvolle Politik.
Uns ist es gelungen, die Ausgaben zu begrenzen. Wirgehen nicht so vor wie die Regierungen der Länder, indenen Sie regieren, beispielweise Rot-Grün in Nord-rhein-Westfalen. Dort steigern Sie die Ausgaben, ob-wohl Sie dazu überhaupt keinen Anlass haben.
Wir brauchen eine verantwortungsvolle Haushaltskonso-lidierungspolitik – auch mit Blick auf die Sicherung derAlterssicherungssysteme.
Als wir über die Zukunft der Alterssicherungssystemeund über die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gung gesprochen haben, haben schon viele zu Rechtgesagt – auch Sie, Herr Gysi –, dass man etwas gegendie unterbrochenen Erwerbsbiografien tun müsse. Da hat
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28261
Pascal Kober
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diese Regierungskoalition schon Entscheidendes auf denWeg gebracht.
Ich nenne nur das Beispiel des Ausbaus der Kinder-betreuung als eine wesentliche Maßnahme, um derUnterbrechung von Erwerbsbiografien etwas entgegen-zusetzen.
Die 4 Milliarden Euro, die von der vergangenen Regie-rung beschlossen worden waren, hat diese Regierungs-koalition noch einmal um knapp 600 Millionen Euro fürzusätzlich 30 000 Kinderbetreuungsplätze erhöht; dashaben wir gemacht. Wir werden darüber hinaus ab 2014noch einmal 845 Millionen Euro jährlich für den Aus-bau, den Erhalt und die Verbesserung der Kinderbetreu-ung ausgeben.
Das ist eingeplant. Das ist ein ganz wesentlicher Bau-stein, um der Unterbrechung von Erwerbsbiografien ent-gegenzuwirken.
Nächstes Thema. In unserer Gesellschaft darf in Zu-kunft kein Kind mehr im Schulsystem und kein Jugend-licher im Arbeitsmarkt verloren gehen. Was machenwir? Wir haben ein Programm in Höhe von 400 Millio-nen Euro auf den Weg gebracht, mit dem 4 000 Kinder-tagesstätten speziell gefördert werden, um geradeKindern, die es schwer haben, Kindern mit Migrations-hintergrund, mit Sprachproblemen, den Einstieg in unserBildungssystem zu erleichtern. Das ist eine ganz wesent-liche Aufgabe, der wir uns gestellt und bei der wir eineüberzeugende Lösung auf den Weg gebracht haben.
Wir haben – lieber Herr Gysi, auch das gehört zuWahrheit – gegenwärtig über 33 000 unbesetzte Aus-bildungsplätze. Das darf nicht so bleiben, wenn man be-denkt, dass gleichzeitig Kinder die Schule nicht schaffenoder Jugendliche die Ausbildung nach kurzer Zeit ab-brechen müssen. Hier müssen wir früh ansetzen.
Das alles ist ein Thema der Rentenpolitik der Zukunft.Wir müssen heute die Ausbildungs- und Bildungsfähig-keit der Kinder stärken. Das tun wir sehr überzeugend
in dem Sinne, die Wurzeln der Alterssicherung zu stär-ken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dies al-les ab dem 22. September mit der gleichen Entschieden-heit und in der gleichen Regierungskonstellation fortset-zen. Sie werden weiter auf Ihren Plätzen sitzen und unsdabei zusehen.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Weiß von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die deutschen Rentnerinnen und Rentner interessiertund bewegt vor allen Dingen eines: Sie wollen Sicher-heit haben, dass die Rente monatlich ausgezahlt wird,und sie wollen, was Rentenerhöhungen anbelangt, amwirtschaftlichen Erfolg in Deutschland teilhabenkönnen.
Die entscheidende, wichtigste Nachricht, die es heutegibt, ist deswegen, dass wir in der Rentenversicherungdie höchste Rücklage seit 20 Jahren haben, nämlich inHöhe von 29,4 Milliarden Euro. Das zeigt: Was dieSicherung der Rentenfinanzen anbelangt – sie ist dasEntscheidende –, ist diese Bundesregierung die erfolg-reichste seit Jahrzehnten. Darauf können wir stolz sein.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Rentnerinnenund Rentner in Deutschland sind nicht vergesslich. Siekönnen sich zum Beispiel an das Jahr 2005 erinnern.
Im Jahr 2005 hatten wir keine Rücklage in der Renten-versicherung.
Erstmals in der Geschichte der Deutschen Rentenversi-cherung musste der Bundesfinanzminister
ein Sonderdarlehen aus der Staatskasse an die Renten-versicherung zahlen, damit im Herbst 2005 überhauptRenten ausgezahlt werden konnten. Welch großer Unter-schied zu heute!
Die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland kön-nen sich sogar noch an das Jahr 1998 erinnern. 1998 ha-ben wir in Deutschland einen Rentenwahlkampf erlebt.Rot-Grün trat damals an und sagte: Wir wollen dieBundesregierung von CDU/CSU und FDP ablösen und
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Peter Weiß
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die letzte von Norbert Blüm in Gang gesetzte Rentenre-form rückgängig machen. – Mit diesem Versprechen hatRot-Grün, wie wir wissen, sogar die Bundestagswahlgewonnen. In der Tat hat Rot-Grün dann als Erstesbeschlossen, die damalige Rentenreform rückgängig zumachen.
Aber nur ein Jahr später ist der damalige Bundeskanz-ler Gerhard Schröder vor den Deutschen Bundestag undvor die deutsche Öffentlichkeit getreten und hat erklärt:Das, was wir getan haben – die Rücknahme der Renten-reform von 1998 –, war ein großer Fehler.
Sprich: Der Rentenwahlkampf von 1998 war Lug undTrug. Er war ein großer Fehler, weil die deutsche Bevöl-kerung, die deutschen Rentnerinnen und Rentner hintersLicht geführt wurden. Wir wollen verhindern, dass dasein zweites Mal passiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuhörerinnenund Zuhörer, liebe Zuschauer, weshalb erinnere ichdaran? Es ist wunderschön, in einer Rentendebatte wieheute zu hören,
welche Verbesserungen man sich für die heutigen unddie künftigen Rentnerinnen und Rentner vorstellen kann.Das erinnert mich sehr stark an den Herbst 1998; da istdas Gleiche gemacht worden. Das Ergebnis war nichtnur, dass Gerhard Schröder ein Jahr später all das alsFehler bezeichnet hat, sondern auch, dass die rot-grüneKoalition unter dem Zwang der Zahlen tiefer in das deut-sche Rentenrecht eingegriffen hat, als es CDU/CSU undFDP je gewagt hätten.
Deshalb sollte für die deutschen Wählerinnen undWähler im Herbst 2013 gelten:
Liebe Bürgerinnen und Bürger, machen Sie den großenFehler von 1998 nicht noch einmal!
Das Ergebnis der großartigen Versprechungen ist, dasses nachher schlimmer kommt, als man es sich je gedachthat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die erfolg-reiche wirtschaftliche Entwicklung wird ausweislich desRentenversicherungsberichts der Bundesregierung auchdazu führen, dass die Rentnerinnen und Rentner nichtmehr wie damals unter Rot-Grün damit rechnen müssen,
dass ihnen eine Rentenerhöhung per Gesetz vorenthaltenwird, also per Gesetz eine Nullrunde verordnet wird.Vielmehr können die Rentnerinnen und Rentner bis 2016nach den derzeitigen Schätzungen mit einem Plus von8,5 Prozent im Westen und 11,5 Prozent im Osten rech-nen.Es stimmt, was der Kollege Kolb gesagt hat: Je mehrwir dafür sorgen und die Rahmenbedingungen dafürschaffen, dass die Beschäftigung in Deutschland weiteransteigt, also mehr Menschen im Berufsleben stehen undRentenversicherungsbeiträge zahlen, umso eher sinktdas Rentenniveau nicht. Das Sinken des Rentenniveausist keine gesetzlich verordnete Maßnahme, sondernhängt entscheidend davon ab, wie sich die Beschäfti-gung in Deutschland entwickelt. Gute Beschäftigungs-politik ist das beste Rezept für eine gute Rentenpolitik.
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höll?
Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Kollege,
Sie haben hier mit voller Stimme verkündet: Rot-Grün
ist weiter gegangen, als Sie jemals gegangen sind.
Ja.
Jetzt frage ich Sie: Warum haben Sie dann nicht eineder Maßnahmen, die Rot-Grün verabschiedet hat, zu-rückgeholt – nicht eine einzige –, sondern im Gegenteilgenau diesen Weg noch verschärft, indem Sie zum Bei-spiel die Rentenbeiträge für die Hartz-IV-Empfängerin-nen und Hartz-IV-Empfänger einfach gestrichen haben?Diese Erklärung müssen Sie der Öffentlichkeit geben.Ich hoffe, dass Rot-Grün aus Fehlern gelernt hat und wirvielleicht in der Zukunft gemeinsam etwas Ordentlicheshinbekommen.
Aber Sie beschweren sich hier, und dann machen Sienichts. Es ist nichts gekommen, Sie haben nichts zurück-geholt, Sie sind diesen Weg mitgegangen und haben ihnverschärft. Warum?
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Frau Kollegin Höll, wir haben nichts verschärft. Wir
haben zum Beispiel ganz entscheidende Maßnahmen er-
griffen, indem wir in der Großen Koalition zusammen
mit der SPD bei der Riester-Rente den Förderbetrag für
Kinder auf 300 Euro jährlich heraufgesetzt haben. Das
ist eine ganz entscheidende Hilfe, gerade für Familien,
die Kinder haben.
Wir haben im Hinblick auf die Rentenversicherung
den Langzeitarbeitslosen einen Betrag gestrichen, der
aus der Steuerkasse in die Rentenkasse geflossen ist und
der zu einem so minimalen Rentenanspruch geführt
hätte, dass man ohnehin Grundsicherung hätte beantra-
gen müssen; das hätte den Leuten also gar nicht ge-
holfen. Aber neu ist, dass wir die Zeiten der Lang-
zeitarbeitslosigkeit als Anrechnungszeiten in der
Rentenversicherung anerkannt haben. Das ist entschei-
dend.
Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand, der Er-
werbsminderungsrente aus der Langzeitarbeitslosigkeit
heraus beantragen muss, im Zweifel heute eine höhere
Erwerbsminderungsrente bekommt als nach dem alten
Recht. Insofern sind das doch ganz entscheidende Refor-
men, die wir durchgeführt haben, die aber vielleicht bei
der Linkspartei und deren Rentenexperten nicht wahr-
genommen worden sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was auch
stimmt, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land – junge wie alte – ein feines Gespür dafür haben,
dass dieses Rentensystem nur funktionieren kann, wenn
auch die Solidarität zwischen den Generationen funktio-
niert. Deshalb will ich daran erinnern, was der Aus-
gangspunkt für all die Rentenreformen der letzten
Jahrzehnte in Deutschland war. Ausgangspunkt war,
dass im Jahr 1987 – lang ist es her – die Prognos AG,
von der Bundesregierung beauftragt, eine Studie durch-
geführt hat, in der sie festgestellt hat, dass angesichts der
Tatsache, dass die Zahl der Jungen abnimmt und die
Zahl der Älteren steigt, bei Nichtvornahme von Refor-
men der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2030
auf mindestens 36,6 Prozent, maximal sogar auf
41,7 Prozent steigen würde. Allen jungen Leuten ist
klar: 40 Prozent Rentenversicherungsbeitrag, dazu noch
Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungs-
beitrag und Steuern zahlen – da macht das Arbeiten
keinen Spaß mehr.
Deswegen war und ist es notwendig – übrigens wird
keine politische Mehrheit im Deutschen Bundestag dem
ausweichen können –: Unser Rentenversicherungs-
system funktioniert nur, wenn es getragen wird von der
Solidarität der Alten und der Jungen.
Unser Weg ist, ein ausgeglichenes Verhältnis von Belas-
tungen und Entlastungen für Jung und Alt herzustellen.
Das sorgt für eine sichere Rente. Etwas anderes macht
die Rente kaputt.
Auch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten
haben wir, die Union,
zusammen mit der FDP 1986 erstmals in der Geschichte
in das Rentenrecht eingeführt und 1992 noch einmal ver-
bessert.
Unsere Absicht ist, diese Verbesserung weiterzuführen;
denn ein Rentensystem funktioniert in der Tat nur dann,
wenn Männer und Frauen bereit sind, Kinder großzuzie-
hen, die dann künftig bereit sind, unsere Renten mitzu-
finanzieren.
Dies ist eine entscheidende Reform, die nicht Rot
oder Grün und erst recht nicht die Linken erfunden ha-
ben, sondern die wir, die Union, zusammen mit der FDP
erfunden haben: Wir wollen, dass Kindererziehung in
der Rente stärker berücksichtigt wird.
Wir wollen gerade den Frauen die Zusage machen:
Eure Erziehungsleistung findet sich konkret auch in der
Rentenzahlung wieder.
Herr Kollege Weiß, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,unser Konzept ist klar: Wir wollen die Rente für Men-schen, die lange gearbeitet haben, aber leider zu wenigverdient haben, aufstocken.
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Peter Weiß
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Wir wollen, dass Erwerbsgeminderte, die wegen Krank-heit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aussteigen, einebessere Rente erhalten. Wir wollen, dass Mütter undVäter, die Kinder erzogen haben, eine bessere Rente er-halten.
Das ist unser klares Rentenkonzept für die Zukunft.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der fort-
geschrittenen Zeit möchte ich Sie bitten, so weit wie
möglich auf Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu
verzichten.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Arndt-
Brauer von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute stehtein ernsthaftes Thema auf der Tagesordnung. Es geht umdie Rente. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir hiereine reine Wahlkampfschlacht erleben.
Das finde ich sehr schade.Wir haben in Deutschland derzeit 20,5 MillionenRentenbezieher. In 20 Jahren werden es wahrscheinlich30 Millionen sein. Da liegt es natürlich nahe, mit soeiner Gruppe Menschen Wahlkampf zu machen. Trotz-dem finde ich, dass bei diesem Thema Ernsthaftigkeitangesagt ist.Es geht dabei um Geld. Für die SPD sprechen aus-schließlich Finanz- und Haushaltspolitiker,
um zu zeigen: Wir wollen die Rente, die wir den Men-schen für die Zukunft versprechen, auch finanzierenkönnen.
In einigen vorliegenden Anträgen ist das Gegenteil derFall. Gerade in den Anträgen der Linken bleibt die Frageder Finanzierung eher vage, sie wird hintangestellt.Es ist nicht zu verantworten, auf Dauer irgendeinRentenniveau zu versprechen, wenn man genau weiß,dass die Ausgaben in keinem zukünftigen Haushaltgedeckt sind. Ein Rentenniveau von 53 Prozent – wirwissen nicht, wer das bezahlen soll.
Sollen das die Beitragszahler, also unsere Kinder, bezah-len? Oder wollen wir neue Schulden machen? Aber auchdann zahlen unsere Kinder. Nur das Stichwort „Produk-tivitätsfortschritt“ hereinzurufen, das reicht nicht ganzaus.
Man kann die demografische Entwicklung nicht igno-rieren; ich würde das auch gerne tun, aber das geht leidernicht. Das heißt, es muss irgendein Zusatzfaktor in dasRentensystem eingeführt werden. Wir als SPD haben dasgemacht. Wir als SPD stehen auch zukünftig für dieDreipoligkeit im Bereich Rente.Wir haben 29 Millionen Menschen, die in die gesetz-liche Rente einzahlen. Das sind so viele wie nie zuvor– da stimme ich allen Vorrednern zu –, aber wir wissennicht, wie lange es bei dieser Zahl bleibt. Wir wissennicht, wie sich die Konjunktur entwickelt. Wir wissenaber, dass wir in Zukunft weniger Kinder haben werden.Wir werden also aufgrund des demografischen Wandelsweniger Einzahler haben, sofern wir die Lücke nichtdurch Zuwanderung ausgleichen.Wir haben neben der gesetzlichen Rente die betriebli-che Altersvorsorge, leider nicht für jeden. Nicht alle Ar-beitsplätze beinhalten eine betriebliche Altersvorsorge.Gerade Frauen sind in dieser Gruppe schwach vertreten.
Derzeit haben 17 Millionen Arbeitnehmer einebetriebliche Altersvorsorge. Dauerhaft reicht das mitSicherheit nicht aus. Hier muss mehr getan werden. Fürdiesen Bereich hat die Regierung in den letzten Jahrenüberhaupt nichts getan.Weil wir von der SPD wissen, dass die beidengenannten Säulen schwach sind, haben wir die privateAltersvorsorge eingeführt: Riester und Rürup sind hierals Stichwörter zu nennen.Es gibt viele Anträge zum Thema Riester-Förderung;lassen Sie mich daher den Schwerpunkt meiner Ausfüh-rungen darauf legen. Ich möchte in diesem Zusammen-hang nur kurz darauf hinweisen, dass auch das Problemder Selbstständigen während der Regierungszeit der jet-zigen Regierungskoalition nicht angegangen worden ist.Wir haben es gehört: Es gibt knapp 16 MillionenRiester-Verträge. Bei der Anrechnung auf die Grund-sicherung gibt es Probleme. Das ist von allen erkanntworden, gelöst wurde es aber nicht. Da nützt es nichts,wenn man sich als CDU-Politiker hier hinstellt und sagt:Das wollen wir alles klären. – Ich frage mich, wann. Siehaben noch fünf Monate Zeit. Danach ist die FDPvielleicht gar nicht mehr dabei, was sich hier viele wün-schen würden. Wir wissen nicht, ob Sie in der Ihnenverbleibenden Zeit noch etwas auf den Weg bringenkönnen. Die letzten dreieinhalb Jahre jedenfalls habenSie so gut wie nichts getan.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28265
Ingrid Arndt-Brauer
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Da ich Ernsthaftigkeit eingefordert habe, will ich kon-kret auf die vorliegenden Anträge eingehen. Zum Antragder Linken „Riester-Förderung in die gesetzliche Renteüberführen“. Das ist illusorisch. Es ist nicht möglich, indie Vertragsfreiheit einzugreifen.
Eine 3-prozentige Erhöhung des Sicherungsniveaus kos-tet 30 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich. Deswe-gen lehnen wir diesen Antrag ab.
Zum nächsten Antrag mit dem Titel „Wiederherstel-lung eines Lebensstandard sichernden und strukturell ar-mutsfesten Rentenniveaus“. Natürlich ist es auch unserZiel, das Rentenniveau zu halten. Ihre Vorschläge sindzwar nicht besonders zielführend. Da aber auch wir andiesem Ziel festhalten, werden wir uns enthalten.Den dritten Antrag – „Rente erst ab 67 sofort voll-ständig zurücknehmen“ – lehnen wir ab. Wir halten ausdemografischen Gründen grundsätzlich an der Rente mit67 fest; das habe ich schon ausgeführt. Alles andere kön-nen Sie unserem Wahlprogramm entnehmen.
Bei dem vierten Antrag – „Risiko der Erwerbsminde-rung besser absichern“ – enthalten wir uns. Unsere Vor-schläge zu diesem Thema sind wesentlich besser. Siesind in systematischer Hinsicht richtiger und zielgrup-penorientierter; aber wir sind nicht grundsätzlich gegendie Idee.Den fünften Antrag – „Rentenbeiträge für Langzeitar-beitslose wieder einführen“ – werden wir ablehnen. Wirhalten ein neues Konzept in diesem Bereich für möglich.Ansonsten würde es nur eine Miniaufstockung geben.
Bei dem sechsten Antrag – „Kindererziehung in derRente besser berücksichtigen“ – werden wir uns enthal-ten. Wir wollen das auch, aber nicht nach Ihrem System.Dem siebten Antrag – „Rente nach Mindestentgelt-punkten entfristen“ – werden wir zustimmen. Das sehenwir wie Sie.Bei dem achten Antrag – „Eine solidarische Renten-versicherung für alle Erwerbstätigen“ – werden wir unsenthalten.Den neunten Antrag – „Altersarmut wirksam be-kämpfen – Solidarische Mindestrente einführen“ – leh-nen wir ab. Wir lehnen eine Mindestrente innerhalb dergesetzlichen Rentenversicherung ab, weil Fürsorge- undVersicherungsprinzip nicht miteinander vermischt wer-den können.
Alles in allem sagen wir: Sie haben ein paar Schrittein die richtige Richtung unternommen, aber der Weg istzu korrigieren. Wir werden ihn korrigieren, wenn wirwieder regieren. Fünf Monate noch – dann werden wirviel tun müssen. Die Rente ist ein wichtiger Bereich, denwir anpacken werden. Das verspreche ich hier.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Wir haben es heute mit vielen Anträgen der Fraktion DieLinke zur Rentenpolitik zu tun, die letztendlich alle illu-sorisch sind. Sie stehen auf keinem guten, vor allen Din-gen nicht auf einem finanzierbaren Fundament.
So ist es immer: Die Linke überzieht uns mit Anträgen,die einer realistischen Prüfung nicht standhalten. Sieversucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Das istihr gutes Recht; aber das werden die Bürgerinnen undBürger in keiner Weise goutieren.Es ist schon bemerkenswert, dass der Kollege Gysihier ausgeführt hat, dass wir keine Beitragsbemessungs-grenze mehr brauchen – jeder zahlt ein –, er darüber hi-naus aber in keiner Weise gesagt hat, ob auch jeder eineLeistung daraus erhalten soll. Das hat er übersehen.
Das zeigt sehr deutlich: Sie haben kein richtiges renten-politisches Konzept.
Der Kollege Gysi hängt noch sehr in seiner DDR-Ver-gangenheit.
Dort haben auch alle in ein System eingezahlt. Manchehaben sich daraus stärker bedient, insbesondere Rechts-anwälte und andere Gruppierungen in diesem System.Daran hängt der Kollege Gysi. Das will er uns als mo-derne Rentenpolitik verkaufen.
Es geht darum, einen guten und richtigen Weg für dieBürgerinnen und Bürger zu finden. Ich bin dankbar fürdie Ausführungen des Kollegen Schiewerling und des
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Max Straubinger
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Kollegen Weiß. Erst seit es eine Regierung unter Bun-deskanzlerin Merkel an der Spitze gibt, können sich dieRentnerinnen und Rentner wieder auf das gesetzlicheRentenversicherungssystem in Deutschland verlassen.
Unter Rot-Grün wurden alle Rücklagen der Rentenversi-cherung aufgebraucht. Es musste sogar ein für das Jahr2006 vorgesehener Zuschuss vorgezogen werden, damitim Dezember 2005 die Renten überhaupt zeitgerechtausgezahlt werden konnten. Das war die Bilanz von rot-grüner Rentenpolitik.
Es gilt zu verhindern, dass sich dies wiederholt. Dazuhaben wir in der Großen Koalition wegweisende Be-schlüsse gefasst, die auch der demografischen Entwick-lung Rechnung tragen. Hier möchte ich insbesondereFranz Müntefering unbedingt Respekt zollen, der diesmit umgesetzt hat.
Letztendlich gibt es nur ein Einmaleins, das für alleFraktionen Gültigkeit hat. Wir wissen, dass wir inDeutschland immer älter werden. Gott sei Dank! Das isterfreulich. Das ist ein großer Fortschritt. Aber daraufmuss auch unser Rentenversicherungssystem eingestelltwerden. Da haben wir nur vier Möglichkeiten:Wir können die Renten kürzen. – Das schließe ich fürdiese Koalition aus.Wir können exorbitante Beitragssteigerungen in Kaufnehmen. – Das schließe ich für diese Koalition aus.Dann haben wir noch die Möglichkeit der Arbeitszeit-verlängerung. – Das ist ein probates Mittel.Die letzte Möglichkeit ist die Verlängerung der Le-bensarbeitszeit.In diesem Kontext liegen letztendlich unsere Ent-scheidungsmöglichkeiten. Da haben wir uns richtig ent-schieden, bis zum Jahr 2029 die Lebensarbeitszeit biszum 67. Lebensjahr zu verlängern. Das ist letztendlichein Kompromiss zwischen den Interessen der Generationder Älteren, die nun natürlich auf die Rente bauen kön-nen, und denen der jungen Generation, die nicht mit un-gerechtfertigten, überdimensionierten Beitragsbelastun-gen konfrontiert wird.
Das ist ein Beitrag zur Stabilitätssicherung unseres Sys-tems.Eine Ergänzung ist die Kapitaldeckung. Verehrte Kol-legen von der Linken, Sie haben das System völlig ver-kannt. Wir wollen mit der zusätzlichen Förderung derKapitaldeckung Geringverdiener besser fördern. DieRiester-Förderung macht bei ihnen zum Teil 80 Prozentdes gesamten Beitragsaufkommens für einen Altersvor-sorgevertrag aus.
Zusätzlich wirkt dieses System stabilisierend in die Zu-kunft hinein. Denn die Mittel für die Riester-Rentenmüssen nicht über das Umlagesystem von – zukünftigweniger – Beitragszahlern requiriert werden. Das ist derSinn der Kapitaldeckung, die wir umgesetzt haben. Diesist zielführend und wird auch von dieser Koalition ver-treten.Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bin schon über-rascht über die Konzepte, die heute vorgestellt wordensind: Der Kollege Strengmann-Kuhn hat sich hervorra-gend bemüht; das möchte ich anerkennen. Aber er hatdie Finanzierungsfrage offen gelassen. Er hat die Höheoffen gelassen. Er hat offen gelassen, unter welchen Vo-raussetzungen und Kautelen eine Rente von 850 oder900 Euro zustande zu bringen ist. Er hat letztendlich al-les offen gelassen. Es ist bei einem Wunschkonzert ge-blieben, wie bei den Linken üblich.
Auch das von der SPD vorgelegte Konzept – der neueChefdiplomat und Kanzlerkandidat der SPD steht vollund ganz dahinter – ist keine Alternative. Vorgesehen istdie Rückabwicklung der Rente mit 67. Denn sonst hättedie SPD keine Einigkeit mit den Gewerkschaften zu-stande gebracht.
Das bedeutet eine Beitragssatzerhöhung auf 22 Prozent.Das ist das SPD-Konzept.
Zusätzlich werben Sie dafür, sich schon ab dem60. Lebensjahr frei entscheiden zu können, in Rente zugehen. Ich frage mich, ob das gerecht sein kann und zursolidarischen Rentenversicherung passt. Denn so werdenunserem Rentenversicherungssystem Beiträge ältererArbeitnehmer entzogen. So früh in Rente zu gehen, kön-nen sich nur Begüterte leisten,
nicht aber die Geringverdiener; die müssen weiterhin indie Rentenversicherung einzahlen. Ob das gerecht ist,muss die SPD selbst beantworten. Ich glaube, da hat siesich vertan.In diesem Sinne gibt es keine Alternative zu den Kon-zepten von CDU/CSU und FDP.
Bei uns können sich die Bürgerinnen und Bürger daraufverlassen, dass unsere gesetzliche Rente, die betriebliche
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28267
Max Straubinger
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Altersversorgung und die private Zusatzversorgung wei-terhin auf einem guten Fundament ruhen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat nun das Wort die Kollegin Bettina Kudla.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner der De-batte
einige wichtige Punkte zusammenfassen. Die Vorschlägeder Fraktion Die Linke zum Rentensystem sind abzuleh-nen, weil sie kontraproduktiv sind. Sie machen die Rentenicht sicherer, sondern unsicherer. Sie machen den Men-schen etwas vor, und die Vorschläge sind finanziell nichtunterlegt.
Besonders verwerflich und kritikwürdig finde ich,dass Sie an die bewährte Struktur des Rentensystems he-rangehen wollen. Wo bitte schön gibt es ein Haus mitnur einer tragenden Wand?
Sie stellen das bewährte Dreisäulensystem aus gesetzli-cher Rentenversicherung, betrieblicher Altersvorsorgeund privater Vorsorge infrage. Das aber macht das Ren-tensystem sicher.
Sie sägen weiterhin an der gesetzlichen Rentenversi-cherung, indem Sie strukturelle Änderungen vorschlagen,die völlig unsinnig sind. Die gesetzliche Rentenversiche-rung basiert auf der Umlagefinanzierung. Umlagefinan-zierung heißt: Nur derjenige zahlt Beiträge, der arbeitet.Das heißt: keine Rentenversicherungsbeiträge für Ar-beitslose. Ihr Vorschlag, die Rente mit 67 wieder auf dieRente mit 65 zurückzufahren, ist abzulehnen. Es ist fi-nanziell nicht unterlegt. Stellen Sie sich das einmal vor:Jemand hört mit 65 auf, zu arbeiten, und es ist überhauptnicht absehbar, wie die Rente über die folgenden zweiJahre finanziert werden soll. Darüber hinaus fehlen dieBeiträge für diese zwei Jahre. Ihre Politik ist realitätsfernund weltfremd.
Rentenpolitik kann man nicht völlig isoliert betrach-ten. Rentenpolitik wird durch viele andere Politikfelderflankiert. Rentenpolitik ist von einer guten Finanz- undWirtschaftspolitik abhängig,
die wirtschaftliches Wachstum fördert, die unternehme-rische Initiative sich entfalten lässt, die die Beitragszah-ler nicht über Gebühr belastet und somit Ausgewogen-heit gewährleistet.Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen,das ist die große Herausforderung der kommenden Jahre.Diese Zukunftsfestigkeit bedeutet: Es muss Ausgewo-genheit herrschen zwischen dem, was die Sozialversi-cherungssysteme leisten können, dem, was die Beitrags-zahler leisten können, und dem, was der Bundeshaushaltleisten kann.
Das heißt, die Höhe der Zuschüsse aus dem Bundeshaus-halt in die Sozialversicherungssysteme darf nicht weiteransteigen. Wenn sie ansteigen muss, sind die Sozialver-sicherungssysteme nicht solide finanziert.Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Preisstabilität.Wer sich für eine hohe Rente der Bürger einsetzt, mussauch dafür sorgen, dass die Kaufkraft der Rente erhaltenbleibt.
Die Preise müssen stabil bleiben. Dies können sie nurdurch einen stabilen Euro und durch stabile Finanz-märkte. Wir haben bisher über 22 Maßnahmen zur Si-cherung der Stabilität der Finanzmärkte im Finanzaus-schuss auf den Weg gebracht.Meine Herren von der SPD,
ich wundere mich darüber, wie leichtfertig Sie darübersprechen können, dass es geradezu verwerflich sei, wennman die Beitragszahler entlaste. Mich wundert auch,meine Damen und Herren der Linken, wie leichtfertigSie Riester kritisieren. Der Staat gibt enorm viel Geldgerade den Geringverdienern dazu, damit diejenigen, dieein geringes Einkommen haben, im Alter die sich darausergebende Lücke schließen können, sich also ihre nied-rige Rente etwas erhöht.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung istmit ihrer Politik auf dem richtigen Weg!Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/12436 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales aufDrucksache 17/12474. Zunächst stimmen wir ab überdie Buchstaben b und e der Beschlussempfehlung, zu de-nen die Fraktion Die Linke namentliche Abstimmungverlangt hat.Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung.Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unterBuchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa-che 17/10991 mit dem Titel „Rente erst ab 67 sofortvollständig zurücknehmen“.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, diePlätze einzunehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Das istoffenkundig der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmungzu Buchstabe b der Beschlussempfehlung und bitte, dieStimmkarten einzuwerfen.Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimm-karte eingeworfen? – Das ist offenkundig der Fall. Dannschließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh-lung zu beginnen.Nun kommen wir zur zweiten namentlichen Abstim-mung.Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-ter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung wiederumdie Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke aufDrucksache 17/10994 mit dem Titel „Kindererziehungin der Rente besser berücksichtigen“. – Die Urnen sindnoch besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung undbitte, die Stimmkarten einzuwerfen.Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimm-karte zur zweiten namentlichen Abstimmung eingewor-fen? – Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mitder Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der Ab-stimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.1)Ich möchte Sie bitten, sich auf Ihre Plätze zu begeben,da wir noch mehrere einfache Abstimmungen durchzu-führen haben. Diejenigen, die nicht mehr teilnehmenwollen, bitte ich, den Saal zu verlassen, damit ich einenÜberblick bekomme.Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales aufDrucksache 17/12474 zu sechs weiteren Anträgen derFraktion Die Linke fort.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags aufDrucksache 17/10990 mit dem Titel „Wiederherstellungeines Lebensstandard sichernden und strukturell armuts-festen Rentenniveaus“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen derGrünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke undbei Enthaltung der SPD.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags auf Drucksache 17/10992 mit demTitel „Risiko der Erwerbsminderung besser absichern“.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und beiEnthaltung von SPD und Grünen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe dseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsauf Drucksache 17/10993 mit dem Titel „Rentenbeiträgefür Langzeiterwerbslose wieder einführen“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und derSPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Ent-haltung der Grünen.Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags aufDrucksache 17/10995 mit dem Titel „Rente nach Mindest-entgeltpunkten entfristen“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen beiGegenstimmen der Linken und Enthaltung der SPD-Fraktion.Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desAntrags auf Drucksache 17/10997 mit dem Titel „Einesolidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstäti-gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Ent-haltung von SPD und Grünen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe hseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsauf Drucksache 17/10998 mit dem Titel „Altersarmutwirksam bekämpfen – Solidarische Mindestrente einfüh-ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionenbei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 c auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDorothee Bär, Markus Grübel, Ingrid Fischbach,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten Nicole 1) Ergebnisse Seite 28271 A und 28273 C
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Bracht-Bendt, Miriam Gruß, Rainer Brüderle undder Fraktion der FDPEntgeltgleichheit für Frauen und Männer ver-wirklichen – Familienfreundliche Unterneh-men als Beitrag zur Gleichstellung der Ge-schlechter– Drucksache 17/12483 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristelHumme, Caren Marks, Willi Brase, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPDGleichstellung – Fortschritt – Jetzt – Durcheine konsistente Gleichstellungspolitik– Drucksache 17/12487 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten RenateKünast, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGleichstellung von Frauen und Männern imLebensverlauf durchsetzen– Drucksache 17/12497 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind dafüreineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch da-gegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Bundesministerin Dr. KristinaSchröder.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgibt eine Frage, mit der viele Frauen sich früher oderspäter konfrontiert sehen, sei es im Vorstellungsge-spräch, beim Wiedereinstieg oder als gestandene Füh-rungskraft. Diese Frage kommt gerne in Kombinationmit hochgezogenen Augenbrauen daher, und sie lautet:Wie machen Sie das eigentlich mit Ihrem Kind?Jede berufstätige Mutter, die ich kenne, hat dieseFrage in ihrem Leben schon einmal gehört und sich da-rüber geärgert, zum einen, weil diese Frage Vätern fastnie gestellt wird,
zum anderen aber auch, weil der Subtext dieser Fragelautet: Sie sind doch jetzt mit diesem Handicap nichtmehr leistungsfähig.Die banale Frage „Wie machen Sie das eigentlich mitIhrem Kind?“ sagt deshalb viel über die Gründe von un-gleich verteilten Chancen von Frauen und Männern inunserer Gesellschaft aus. Wir haben eine Arbeitswelt, inder Leistungsfähigkeit mit uneingeschränkter Verfügbar-keit gleichgesetzt wird. Das ist einer der wesentlichenGründe dafür, warum Frauen in den Top-Führungsposi-tionen immer noch deutlich unterrepräsentiert sind undwarum Frauen im Durchschnitt 22 Prozent weniger ver-dienen als Männer.Wir reden also über ein kulturelles Problem.
Faire Chancen haben viel zu tun mit der Art, wie Leis-tung im Unternehmen definiert wird und wie Arbeit ko-ordiniert wird. Sie haben mit der Frage zu tun, ob Prä-senz belohnt wird oder ob Effizienz belohnt wird, obMeetings in der Regel vor 17 Uhr stattfinden oder nach19 Uhr und ob auch in Führungspositionen Teilzeitarbeitmöglich ist.Faire Chancen haben also viel zu tun mit einer Ar-beitskultur des Respekts vor familiärer Verantwortung.Das muss unsere Botschaft zum 102. InternationalenFrauentag sein, meine Damen und Herren.
Wie hoch der Preis ist, den Frauen zurzeit für famili-äre Fürsorge zahlen, kann man ganz einfach an den Ge-haltsstatistiken des Statistischen Bundesamtes ablesen.Berufseinsteigerinnen verdienen etwa genauso viel wieBerufseinsteiger. Die Lücke beträgt 2 Prozent. Bei den25- bis 29-Jährigen beträgt die Lücke dann schon 8 Pro-zent, und bei den 35- bis 39-Jährigen liegt sie dann beiüber 20 Prozent.
Diese Zahlen sagen nicht, dass Frauen in den gleichenBerufen und Positionen prinzipiell schlechter bezahltwerden als Männer. Es handelt sich um Durchschnitts-werte für alle berufstätigen Frauen und Männer unab-hängig von der Qualifikation, der Berufserfahrung, derPosition und der Ausbildung.Ein erheblicher Teil der Lohnlücke von 22 Prozent er-klärt sich dadurch, dass Frauen und Männer unterschied-liche Studienfächer und unterschiedliche Ausbildungs-berufe wählen: Über 70 Prozent der Studienanfänger inden Kultur- und Sprachwissenschaften sind weiblich,
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Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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während der Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaf-ten bei 20 Prozent liegt. Das wirkt sich natürlich auchauf die Durchschnittsgehälter aus: Ein Ingenieur wird inder Regel besser bezahlt als eine Germanistin – eine In-genieurin aber auch.Was man an den Durchschnittszahlen aber ablesenkann, ist eine der wesentlichen Ursachen für schlechtereEinkommensperspektiven von Frauen: Dass Frauen imDurchschnitt schlechter bezahlt werden, hat vor allenDingen damit zu tun, dass sie Mütter sind oder Mütterwerden könnten. Ein Entgeltgleichheitsgesetz, wie SPDund Grüne es fordern, geht deswegen nach meiner Über-zeugung völlig an den Problemen vorbei.
Das Problem vieler Frauen ist doch, dass sie, wenn sieeinmal im Job pausiert haben oder wenn sie Teilzeit ar-beiten wollen, gar keine gleichwertigen Aufgaben mehrbekommen. Zeit für Familie wird bestraft mit schlechte-ren Chancen; das ist die Ungerechtigkeit, und da müssenwir an die Ursachen ran.
Zum einen müssen wir sicherstellen, dass alle Mütterund Väter, die arbeiten wollen, gute Betreuung für ihrKind bekommen; denn eines ist völlig klar: Familie undBeruf gehen nur dort zusammen, wo es ausreichendKitaplätze gibt. Letzte Woche hat der Landkreistag ganzaktuelle Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass die meistenLandkreise rechtzeitig zum Inkrafttreten des Rechtsan-spruchs den Bedarf an Kitaplätzen decken werden. Pro-bleme haben diejenigen Großstädte, die das Thema zulange vor sich hergeschoben haben. Aber auch hier wirdder Bund alles tun, um diesen Städten beim Aufholen zuhelfen.Zum anderen brauchen wir aber auch Veränderungenin der Arbeitswelt, die Frauen den Weg nach oben eb-nen. Die DAX-30-Unternehmen haben daher, auf meineInitiative hin,
individuelle Ziele für den Frauenanteil in Führungsposi-tionen beschlossen,
und zwar für alle Führungspositionen. Wenn diese Zieleumgesetzt werden, dann wird das allein in den DAX-30-Unternehmen 5 400 Frauen den Weg in Führungspositio-nen ebnen.
Die Unternehmen müssen sich daran messen lassen, anihren eigenen Zielen, aber auch an den Zielen andererUnternehmen derselben Branche. Sie müssen diese Zielerechtfertigen: vor der eigenen Belegschaft, vor dem ei-genen Betriebsrat, vor einer kritischen Öffentlichkeit.Mir sagen viele Personaler, dass genau dieses öffentlicheRechtfertigen-Müssen, dieser Druck,
diese Transparenz die Veränderungen in Gang setzen,die dringend notwendig sind.
Neben der Politik und den einzelnen Unternehmenstehen aber auch die Tarifpartner in der Verantwortung,meine Damen und Herren, für faire Chancen und gleicheEinkommen zu sorgen.
Wichtig ist zum einen, sich bei Tarifverhandlungen nichteinseitig am typisch männlichen Lebensmodell mit derVollzeiterwerbsbiografie zu orientieren. Zum anderenbrauchen wir aber auch dringend eine Neubewertung ty-pischer Frauenberufe. Männertypische Berufe werdenvielfach deshalb besser bezahlt als frauentypische Be-rufe, weil besondere Belastungen anders gewichtet wer-den. Bei Müllmännern zum Beispiel ist das Hebenschwerer Lasten ein Kriterium für die Arbeitsplatzbe-wertung – das ist auch richtig so –; bei Pflegeberufen,die vor allen Dingen von Frauen ausgeübt werden, istdas jedoch nicht der Fall, obwohl zur körperlichen Be-lastung oft auch noch die psychische Belastung hinzu-kommt. Wir brauchen Verfahren für geschlechterge-rechte Lohnfindung. Frauen verdienen mehr; das gilt fürviele frauentypische Berufe.
Gleichberechtigung und faire Chancen für Frauen zufördern, bleibt eine wichtige Aufgabe, meine Damen undHerren. Bei allen Meinungsverschiedenheiten über dieWahl der Mittel sollten wir gerade im Hinblick auf denInternationalen Frauentag nicht vergessen, dass uns auchetwas eint: Wir alle streiten für eine Gesellschaft, in derFrauen und Männer dieselben Chancen haben.
Dieser Streit ist kein erstarrtes Frauentagsritual, sondernein produktives Ringen um den besten Weg. Deshalb binich zuversichtlich, dass unsere Töchter, aber auch unsereSöhne davon profitieren werden.
Herzlichen Dank.
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Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnenund Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beidennamentlichen Abstimmungen bekannt:Erstens. Namentliche Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-ziales auf der Drucksache 17/12474, Buchstabe b, zudem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Renteerst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen“ auf derDrucksache 17/10991. Abgegeben wurden 524 Stim-men. Mit Ja haben gestimmt 457, mit Nein habengestimmt 58. 9 Kolleginnen und Kollegen haben sichenthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-men.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 522;davonja: 456nein: 57enthalten: 9JaCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelPeter GötzUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannMichaela NollFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerLothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzLena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann Wadephul
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28272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Marco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerGerd BollmannWilli BraseEdelgard BulmahnMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannHubertus Heil
Wolfgang HellmichRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra Hinz
Dr. Eva HöglChristel HummeOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Anette KrammeAngelika Krüger-LeißnerChristine LambrechtDr. Karl LauterbachBurkhard LischkaKirsten LühmannCaren MarksPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Marlene Rupprecht
Annette SawadeAxel Schäfer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt
Carsten Schneider
Swen Schulz
Frank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützUta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesFDPJens AckermannChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilErnst BurgbacherMarco BuschmannHelga DaubReiner DeutschmannBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckDr. Christel Happach-KasanManuel HöferlinBirgit HomburgerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Oliver LuksicPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundHagen ReinholdDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAgnes BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerSusanne KieckbuschSven-Christian KindlerUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Dr. Tobias LindnerNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller
Dr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffBrigitte PothmerTabea RößnerKrista SagerElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerBeate Walter-RosenheimerWolfgang WielandJosef Philip Winkler
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28273
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
(B)
NeinDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldSteffen BockhahnEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothée MenznerNiema MovassatThomas NordPetra PauYvonne PloetzMichael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichfraktionsloserAbgeordneterWolfgang NeškovićEnthaltenSPDGabriele Hiller-OhmSteffen-Claudio LemmeBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENThilo HoppeUwe KekeritzMaria Klein-SchmeinkMonika LazarBeate Müller-GemmekeDr. Hermann OttArfst Wagner
Zweitens. Namentliche Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-ziales auf der Drucksache 17/12474, Buchstabe e, zudem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kin-dererziehung in der Rente besser berücksichtigen“ aufder Drucksache 17/10994. Abgegeben wurden 520 Stim-men. Mit Ja haben gestimmt 296 Kolleginnen und Kolle-gen, mit Nein 60. Es gab 164 Enthaltungen. Damit istdie Beschlussempfehlung angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 520;davonja: 296nein: 60enthalten: 164JaCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelPeter GötzUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin Maag
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28274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
(B)
Dr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannMichaela NollFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerLothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzLena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewSPDHans-Ulrich KloseFDPJens AckermannChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilErnst BurgbacherMarco BuschmannHelga DaubReiner DeutschmannBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckDr. Christel Happach-KasanManuel HöferlinBirgit HomburgerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Oliver LuksicPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundHagen ReinholdDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinSPDWolfgang GunkelRüdiger VeitDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldSteffen BockhahnEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothée MenznerNiema MovassatThomas NordPetra PauYvonne PloetzMichael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichfraktionsloserAbgeordneterWolfgang NeškovićEnthaltenSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe Beckmeyer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28275
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Gerd BollmannWilli BraseEdelgard BulmahnMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßBettina HagedornKlaus HagemannHubertus Heil
Wolfgang HellmichRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Dr. Eva HöglChristel HummeOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Anette KrammeAngelika Krüger-LeißnerChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaKirsten LühmannCaren MarksPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Marlene Rupprecht
Annette SawadeAxel Schäfer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt
Carsten Schneider
Swen Schulz
Frank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützUta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAgnes BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzSusanne KieckbuschSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarDr. Tobias LindnerNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann E. OttBrigitte PothmerTabea RößnerKrista SagerElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerBeate Walter-RosenheimerArfst Wagner
Wolfgang WielandJosef Philip WinklerWir fahren in unserer Debatte fort, und ich gebe dasWort der Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!Frau Schröder, Ihre Rede hat erneut bewiesen: Sie habenIhre Aufgabe als Frauenministerin definitiv nicht ver-standen. Schade!
In der nächsten Woche, am 8. März 2013, begehenwir wieder den Internationalen Frauentag. Für dieFrauen hier in Deutschland ist das nach fast vier JahrenSchwarz-Gelb kein Grund zum Feiern: vier verloreneJahre für Frauen, vier verlorene Jahre für die Gleichstel-lungspolitik. Kanzlerin Merkel, FrauenministerinSchröder sowie die gesamte schwarz-gelbe Koalition ha-ben gleichstellungspolitisch nichts, aber auch wirklichgar nichts zuwege gebracht.
– Herr Grübel, es ist auch nichts mehr zu erwarten, wieder aktuelle Antrag der Koalition zeigt: Unverbindlich-keiten, Prüfaufträge und lauter inhaltslose Sätze. Lautervertane Chancen, auch erneut in Ihrem Koalitionsantrag.Noch heute, im 21. Jahrhundert, fehlen in Deutsch-land Strukturen, die Frauen eine gleichberechtigte Teil-habe auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Frauen habennach wie vor nicht die gleichen Chancen. Sie verdienen
Metadaten/Kopzeile:
28276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Caren Marks
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für gleiche und gleichwertige Arbeit deutlich weniger alsMänner. Die Lohnlücke beträgt skandalöse 22 Prozent.Frauen arbeiten überdurchschnittlich oft in prekärerBeschäftigung. Sie stellen die Mehrheit in den Minijobs,arbeiten zudem oft in Teilzeit und bleiben viel zu häufigin dieser stecken. Frauen sind trotz bester Ausbildungkaum in Führungsfunktionen zu finden.Das sind nur einige Beispiele. Diese Aufzählung ließesich leider verlängern. Obwohl dies alles bekannt ist, istnichts geschehen, hat Schwarz-Gelb gleichstellungspoli-tisch nichts bewegt.
Das ist umso unverständlicher vor dem Hintergrunddes wirklich sehr guten Sachverständigengutachtens fürden ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.In diesem Bericht wird nicht nur die Situation dargelegt.Vielmehr werden auch konkrete Vorschläge dafür ge-macht, wie eine konsistente Gleichstellungspolitik fürden Lebensverlauf erreicht werden kann – eine Gleich-stellungspolitik aus einem Guss, Frau Schröder, eineGleichstellungspolitik ohne Widersprüche, eine Gleich-stellungspolitik des Handelns.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu konkrete Lö-sungsvorschläge vorgelegt, sowohl einen Gesetzentwurfzur Quote als auch einen zur Entgeltgleichheit. Vieleweitere Lösungsvorschläge, etwa zur Eindämmung derMinijobs, zur Zeitpolitik und für Maßnahmen zur besse-ren Unterstützung von Alleinerziehenden, finden sich inunseren Anträgen. Lesen bildet!Nach wie vor lassen Merkel, Schröder und dieschwarz-gelbe Koalition keinerlei Gestaltungswillen er-kennen. Dabei bedarf es gerade gesetzlicher Rahmenset-zungen. Mit Freiwilligkeit ist Fortschritt in der Gleich-stellungspolitik definitiv nicht zu erreichen.
Schaut man allerdings, meine Kolleginnen und Kolle-gen, auf die Website des Bundesministeriums für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend, staunen Frau undMann nicht schlecht. Dort findet man ein Übersichtspa-pier, das – ich zitiere – „über die weichenstellenden Mei-lensteine“ des Ministeriums in dieser LegislaturperiodeAuskunft gibt.
Auf der Suche nach den sogenannten Meilensteinenin der Gleichstellungspolitik stößt man auf die Über-schrift: „Mehr Frauen in Führungspositionen: Die Flexi-Quote“. Darunter heißt es – Zitat –:Es ist und bleibt unser Ziel, die Einführung einerFlexi-Quote für Vorstände und Aufsichtsräte vonbörsennotierten und voll mitbestimmungspflichti-gen Unternehmen gesetzlich zu regeln.
Frau Schröder, selbst bei der unverbindlichen Flexi-Quote, bei der Wir-tun-so-als-ob-Quote, bleibt es nur beiLippenbekenntnissen. So kommen wir nicht voran.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hat, hier ist er:Absichtserklärungen statt Handeln, Worte statt Taten.Im Übrigen nur der Vollständigkeit halber: Mehr gibtes zur Gleichstellung in diesem Papier nicht. Auch inden anderen Politikfeldern sucht man Meilensteine wirk-lich vergeblich.Meine Kolleginnen und Kollegen, es muss bei einerzielführenden Gleichstellungspolitik darum gehen, dieveränderten Lebensentwürfe von Frauen und Männernzu unterstützen. Das hat auch der Gleichstellungsberichtfestgestellt. Dazu zählt, die gewünschte Vereinbarkeitvon Familie und Beruf besser zu ermöglichen und damitdie Partnerschaftlichkeit zu unterstützen.Wir brauchen neue Angebote für Teilzeitarbeit fürFrauen und Männer, eine vollzeitnahe Teilzeit von zumBeispiel 30 Wochenstunden. Teilzeitbeschäftigte brau-chen einen Rechtsanspruch, der ihnen eine Rückkehr zurVollzeit ermöglicht.Die Notwendigkeit einer solch befristeten Teilzeit,Frau Ministerin, scheinen Sie erkannt zu haben. Sokonnten wir es jedenfalls in der WAZ vom 22. Februarlesen – Zitat –:Realistisch betrachtet, wird das ein Projekt für dieZeit nach der Bundestagswahl.Kurz darauf geht es weiter:Aber wir können leider nicht über die FDP hinweg-regieren.
Fakt ist also: Verlässlicher Stillstand bei der Gleich-stellung. Aber nur mit einer eigenständigen Existenz-sicherung von Frauen gelingt eine wirkliche Gleichstel-lung. Es bedarf gesetzlicher Regelungen, um dieerforderlichen Strukturen in unserem Land aufzubre-chen.
Denn, Frau Ministerin, Sie können hier noch so oft ste-hen und Appelle aussprechen und freiwillige Vereinba-rungen loben: Es geht damit nicht voran. Es wird endlichZeit, dass sich etwas ändert. Es wird Zeit, dass Schwarz-Gelb nicht mehr regiert. Die Frauen haben es schonlange satt.
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Für die FDP-Fraktion redet jetzt die Kollegin Nicole
Bracht-Bendt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unse-rem Antrag zum diesjährigen Frauentag greifen wir dasThema „Entgeltgleichheit von Frauen und Männern“ganz bewusst auf,
und zwar gemeinsam mit dem Aspekt der Familien-freundlichkeit von Unternehmen.
– Gefällt Ihnen das, Frau Marks? Anscheinend. – Denn– so heißt es gleich zu Beginn des Antrags –: Die wich-tigste Maßnahme zur Beseitigung der Entgeltungleich-heit ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Ständig heißt es plakativ: Frauen verdienen inDeutschland rund 22 Prozent weniger als Männer. Damitgehören wir zu den Schlusslichtern in Europa.
So weit die nackten Zahlen des Statistischen Bundesam-tes.Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Beim bloßen Ver-gleich der Durchschnittseinkommen von Männern undFrauen bleiben ganz entscheidende Aspekte außen vor,
nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder dieBerufserfahrung, die durch Erwerbsunterbrechungen beiFrauen häufig geringer ist.Legt man Zahlen von 2009 zugrunde, so haben knapp91 Prozent der Mütter eine Auszeit vom Beruf genom-men, um sich um ihre Kinder zu kümmern, mehr als dieHälfte davon für über anderthalb Jahre. Im Gegensatzdazu haben dies nur ca. 5 Prozent der Väter getan – unddas nur kurz.Nun ist aber gerade die Zeit der Elternschaft, also diePhase zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr, auchin beruflicher Hinsicht eine ganz entscheidende. Hierwird die Grundlage für die spätere Karriere gelegt. WennFrauen gerade dann lange pausieren, hat das nachhaltigeFolgen für ihre Aufstiegschancen und damit für ihrenVerdienst. Es droht der Karriereknick, und das darf nichtsein.Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat im Ja-nuar neue Zahlen vorgelegt. Demnach schrumpft dieLohnlücke bei Frauen, die maximal 18 Monate ausset-zen, auf weniger als 2 Prozent. Das ist nicht nur erfreu-lich; das ist wegweisend und ausbaufähig, und es zeigt,wie die Verringerung der Lohnlücke in Deutschland zu-künftig gelingen kann. Nun geht es darum, allen Frauen,die es möchten, tatsächlich die Möglichkeit zu geben,eine solche kurze Auszeit zu nehmen. Dabei ist das El-terngeld – ein Erfolgsmodell – eine wichtige Unterstüt-zung.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,zur heutigen Gleichstellungsdebatte haben Sie Anträgevorgelegt, in denen Sie eine Fülle gesetzlicher Maßnah-men fordern. Ganz egal zu welchem Thema, ob Entgelt-gleichheit, ob Frauenquote für die Privatwirtschaft oderdie öffentliche Verwaltung: Sie fordern wie immer einGesetz.
Sie wollen bürokratische Regelwerke, staatliche Vorga-ben, die die Privatautonomie aushebeln, die Vertragsfrei-heit und Tarifautonomie beschränken und Arbeitgebernalle möglichen Verpflichtungen aufbürden. Das wollenwir nicht. Solche Regelungen wird es mit uns nicht ge-ben.
Das Problem ist komplex; seine Ursachen sind viel-schichtig.
Dementsprechend muss auch die Lösung sein: Es gibtviele Stellschrauben, an denen wir drehen müssen. Dasind zum Beispiel die langen und teilweise unfreiwilli-gen Erwerbsunterbrechungen. Die Mehrzahl der Mütterwürde gerne früher in den Beruf zurückkommen oderfrüher wieder Vollzeit arbeiten. Das scheitert aber viel zuoft an mangelnder Kinderbetreuung. Deshalb engagiertsich die schwarz-gelbe Bundesregierung ganz besondersfür den Ausbau der Kinderbetreuung.
Dafür haben wir auch ordentlich Geld in die Hand ge-nommen, sei es für die Erfüllung des Rechtsanspruchesauf Betreuung der unter Dreijährigen oder für das Pro-gramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“. Inunserem Antrag bekennen wir uns noch einmal zu die-sem Programm. Wir wollen es evaluieren und nachMöglichkeit über das Jahr 2015 hinaus verstetigen.
Wichtig ist eine gute, verlässliche Infrastruktur, diejunge Eltern unterstützt und sie nicht unfreiwillig in einbestimmtes Lebensmodell zwingt, nur weil verschiedenestaatliche Ebenen Schwarzer Peter spielen. In diesemPunkt kann sich keiner herausreden. Da ist die aktuelleBundesregierung ebenso in der Pflicht, wie es alle Vor-gängerregierungen – damit sind Sie von Rot-Grün ge-meint – waren und ganz besonders auch die Bundeslän-der.
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28278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Nicole Bracht-Bendt
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Untersuchungen zeigen, dass sich viele junge Paarevornehmen, als Eltern alles partnerschaftlich zu regeln:Beide kümmern sich um die Kinder; beide gehen in El-ternzeit; beide bleiben mal zu Hause, wenn eines derKinder krank ist. – Dann kommt das erste Kind, undplötzlich ist alles anders: Sie bleibt daheim, er geht insBüro. Mütter arbeiten weniger, Väter hingegen mehr alsvor der Geburt von Kindern. Das ist das Gegenteil vondem, was sie meist wollen, und trotzdem ist es immernoch die Realität. Daher brauchen junge Eltern gut abge-stimmte Rahmenbedingungen, ein Gesamtkonzept anMaßnahmen, die ineinandergreifen und sie dabei unter-stützen, frei zu entscheiden, wer wie und wie viel arbei-tet und wie sie ihren Alltag partnerschaftlich aufteilen.So wahren auch Frauen ihre Chance auf einen guten Job,ein angemessenes Gehalt und den beruflichen Aufstieg.Ein weiterer Punkt ist die Familienfreundlichkeit all-gemein. Schauen wir nach Norwegen, schauen wir nachFrankreich, dann wird klar: In Sachen Frauen und Fami-lienpolitik ist in Deutschland noch Luft nach oben. Aberwir sind auf einem guten Weg zu einer familienfreund-licheren Unternehmenskultur und Arbeitswelt. Mitt-lerweile engagieren sich mehr als 4 500 Betriebe imProgramm „Erfolgsfaktor Familie“ mit dem Ziel, Fami-lienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen der deut-schen Wirtschaft zu machen.
Eine Untersuchung des DIHK bestätigt, dass die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Themafür fast 80 Prozent aller Firmen ist. Immer mehr bietenschon gute Rahmenbedingungen, flexible Lösungen,Gleitzeit, Arbeit im Homeoffice und Ähnliches; gute Al-ternativen zur herrschenden „Präsenzkultur“.Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Erweiterung des Be-rufswahlspektrums. Junge Menschen haben viele Alter-nativen zu den ausgetretenen Pfaden, den geschlechts-typischen Berufen, die schon ihre Mütter und Vätergegangen sind. Sie kennen sie aber nicht.Ich selbst bin Tischlerin und war häufig die einzigeFrau. Das war vollkommen okay. Daher freue ich michüber all die wertvollen Initiativen, die Jugendliche beiihrer Berufswahl unterstützen wie zum Beispiel derGirls‘ and Boys‘ Day, bei dem ich im April wieder zweijungen Menschen die Möglichkeit geben werde, Ein-blick in meine Tätigkeit als Abgeordnete zu nehmen.
– Frau Marks, da müssen Sie ja selbst lachen.
In knapp drei Wochen ist Equal Pay Day. Auch ichwerde mit Kolleginnen und Kollegen auf der Straße ste-hen und auf die Lohnlücke zwischen Männern undFrauen aufmerksam machen. Außerdem werde ich mitden Menschen über unsere Konzepte diskutieren, diedazu beitragen sollen, diese Lohnlücke weiter zu verrin-gern.
Dafür bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung vonWirtschaft, Verbänden, Arbeitgebern, Tarifpartnern,Politik, Gesellschaft und natürlich jedem Einzelnen.Ich habe noch Zahlen aus der Anhörung im Ohr:Männer bewerben sich auf eine Stelle, wenn sie 50 Pro-zent der Kriterien für sich als erfüllt sehen, Frauen erstbei 80 Prozent. Das sagt viel aus.Für uns Liberale ist es selbstverständlich, dass Frauenund Männer auf Augenhöhe sind. Schauen Sie einmalgenau hin! Das ist bei uns so.Ganz herzlichen Dank. Tschüs!
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Bracht-Bendt, die Außen-wahrnehmung Ihrer FDP-Fraktion, was die Gleichstel-lung der Geschlechter angeht, ist wirklich eine andere.Mir ist das so noch nicht aufgefallen.
Der 8. März ist der Tag der Vereinten Nationen für dieRechte der Frauen und den Weltfrieden. Der 8. März giltalso nicht nur den Rechten der Frauen, sondern auchdem Weltfrieden. Seit über 100 Jahren kämpfen Frauenfür die Gleichstellung und das Wahlrecht, das es inDeutschland seit dem Jahr 1918, seit der Weimarer Ver-fassung, gibt. Wenn man einmal in die Rechtsgeschichteschaut, dann stellt man fest, dass Frauen erst seit 1977das Recht haben, selbst und unabhängig von ihrem Ehe-mann zu entscheiden, ihre Existenz durch ihrer eigenenHände Arbeit zu sichern. Das ist wirklich noch nicht solange her.Andererseits ist das viel zu lange her, als dass wir im-mer noch weiter warten können mit Selbstverpflichtun-gen, netten Appellen an die Wirtschaft, an die Politik, anVereine und an wen auch immer, doch bitte einmal dieFrauen zu fördern. Ich finde, es ist notwendig, dass wirjetzt endlich gesetzgeberisch aktiv werden. Wir Frauenhaben lange genug gewartet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28279
Dr. Barbara Höll
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So wie wir heute diskutieren, ist das schon sympto-matisch. Es liegen zwei Anträge vor, mit denen versuchtwird, das Problem der Gleichstellung umfassend anzu-gehen. Die Frau Ministerin beschränkt sich jedoch ganzbescheiden auf die Entgeltgleichheit. Frau hätte nun er-warten können, dass in einem Antrag mit solch einerSelbstbeschränkung ganz konkrete Maßnahmen aufge-listet sind, die die Koalition befürwortet. Die Ministerinhatte die Möglichkeit, hier zu sagen: Sie haben recht. Ichmache jetzt ganz konkrete Dinge.Unter den Forderungen finden wir wirklich nur: Ma-chen Sie doch da eine Evaluierung!
Schauen Sie, ob das geklappt hat! Sie appellieren an dieUnternehmen, doch ein bisschen familienfreundlicher zuwerden. In Ihrem Forderungskatalog ist aber keine ein-zige konkrete Maßnahme enthalten. Die Ministerin hathier wieder keinen, aber auch gar keinen konkreten Vor-schlag dazu gebracht, was sie tatsächlich machen will.Frau Ministerin, man hat den Eindruck, für Sie ist Gen-der-Mainstreaming ein Fremdwort, und Sie stehen in ei-nem Wettbewerb mit Herrn Rösler, wer der unverbind-lichste Minister oder die unverbindlichste Ministerindieser Bundesregierung ist. Das ist einfach schrecklich.
Ich sage Ihnen: Gleichstellungspolitik bedeutet füruns als Linke die gleiche Teilhabe von Frauen und Män-nern in allen gesellschaftlichen Bereichen und an allengesellschaftlichen Ressourcen. Der Schutz der Frauenvor Diskriminierung und Gewalt sowie ein Leben füralle Menschen frei von einschränkenden Geschlechter-rollen, das ist unsere Zielstellung.Es gibt zwei Grundvoraussetzungen, nämlich zum ei-nen die Selbstbestimmung über den Körper, die eineFrau braucht. Hierzu haben wir eine Regelung, mit derdas relativ gut sichergestellt wird. Die zweite Grund-voraussetzung ist eine eigenständige Existenzsicherung,sodass eine Frau nicht durch den Ehemann oder durchden Staat alimentiert wird. Das heißt also, Erwerbstätig-keit für Frauen zu ermöglichen.Wie sieht aber die Realität aus? Leider sind mit derAgenda 2010 durch Rot-Grün für Minijobs, Midijobsund den Niedriglohnsektor Tür und Tor geöffnet worden.
Das hätten wir schon längst beseitigen können. 70 Pro-zent der in diesen Bereichen tätigen Menschen sindFrauen. Sie sind berufstätig. Sie können aber nicht vonihrer Hände Arbeit leben. Es reicht nicht, daran ein biss-chen herumzudoktern oder zu reformieren. Diese Jobsgehören gestrichen und abgeschafft. Es muss einfachStandard sein, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit le-ben können.
Deshalb brauchen wir natürlich auch den Mindest-lohn für alle in der Bundesrepublik Deutschland. Wirwerden hoffentlich gemeinsam erst einmal den Mindest-lohn in Höhe von 8,50 Euro beschließen. Ich sage aberganz klar: 8,50 Euro sind zu wenig. Dies haben wir Ih-nen in der vorangegangenen Debatte vorgerechnet. Wirbrauchen einen Mindestlohn von 10 Euro, um dann auchRenten zu haben, die die Beibehaltung des Lebensstan-dards im Alter einigermaßen ermöglichen; es geht da-rum, dass sie wenigstens armutsfest sind. Das ist dieZielstellung. Dem müssen Sie sich stellen.
Wenn wir über die Entgeltungleichheit sprechen,dann gibt es einen logischen Fehler, der weit verbreitetist. Als allgemeiner Standard wird das Einkommen derMänner genommen. Das sind 100 Prozent. Dann wirdausgerechnet, wie viel die Frauen weniger verdienen.Frauen werden so gering bezahlt, dass sie bei einemdurchschnittlichen Verdienst, 35 Berufsjahren und glei-cher Berufstätigkeit einen Einkommensverlust gegen-über ihren männlichen Kollegen von etwa 100 000 Eurohaben. Also, die Entgeltungleichheit ist nicht gering.Sagt man aber, dass das Einkommen der Frauen100 Prozent beträgt, dann ist, in Prozenten ausgedrückt,der Einkommensvorsprung der Männer viel größer. Den-ken wir einmal von den Frauen her! Mehr als die Hälfteder Bevölkerung sind Frauen. Warum ist der Maßstabdas Einkommen der Männer? Nein, die Frauen müssender Maßstab sein.
Wir brauchen endlich ein Herangehen an die unglei-che Bezahlung der angeblich frauentypischen Berufegegenüber den angeblich männertypischen Berufen. Dasfordern wir auch für die Emanzipation der Männer. Dasist ein dringendes Problem. Wir reden nicht einfach ego-istisch für Frauen, sondern für alle. Schauen wir uns daseinmal an! Nehmen wir ein junges Paar: Der Papa istGrundschullehrer, die Mama ist Gymnasiallehrerin. Siebekommen ein Baby. Frau Schröder, was denken Sie?Wahrscheinlich bleibt der Papa zu Hause, weil sein Ein-kommensverlust in der Elternzeit niedriger ist als derEinkommensverlust, wenn die Mama als Gymnasialleh-rerin zu Hause bleibt. Nun ist es so, dass die Grund-schullehrer prinzipiell niedriger bezahlt werden als dieGymnasiallehrer, dass es mehr Grundschullehrerinnen,ganz wenige Grundschullehrer und dafür wesentlichmehr Gymnasiallehrer als Gymnasiallehrerinnen gibt.Ich sage Ihnen: Wir müssen ganz viel tun, damit sich indieser Gesellschaft, in unserem Staat Etliches ändert.Dazu brauchen wir aber eine grundlegende Verbesserungund nicht einfach eine Angleichung an schlechte Ver-hältnisse, die wir haben. Wir brauchen eine Verbesse-rung der Verhältnisse für alle.Danke.
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28280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
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Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Renate Künast
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauSchröder, Sie haben wunderbar angefangen und die Fra-gen gestellt, die die Frauen im Alltag erleben. Sie habendamit angefangen, dass Frauen im Erwerbsleben mit derFrage konfrontiert werden: Wie machen Sie es mit IhremKind? – Sie haben auf die Gehaltsstatistik verwiesen undauf die Frage, welche Jobs die Frauen bekommen. Danndachte ich: Nach dieser mehr oder weniger radikalenAnalyse folgt jetzt auch ein radikales Handlungspaket. –Das habe ich allerdings in Ihrer Rede nicht wahrgenom-men.
Sie haben das Problem beschrieben und dann gesagt,es sei ein kulturelles Problem. Das erinnert mich anUlrich Beck und sein Wort, das genau solche Situationenbeschreibt: „Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeiti-ger Verhaltensstarre“.
Das haben Sie hier angeboten, aber dann kam nichts.Ich habe vorhin den News entnommen, dass Sie heuteschon geäußert haben, da dies doch die Aufgabe derWirtschaft sei – dorthin haben Sie die kulturellen Fragensortiert –, sei es auch deren Aufgabe und Pflicht, regel-mäßig zu berichten, inwieweit sie die Zahl ihrer Selbst-verpflichtungen erfüllt hat. Sie haben alles dorthin ge-schoben. Glücklicherweise haben wir ein Grundgesetz.Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Zuder Frage, ob dies eine kulturelle Aufgabe ist, kann ichnur auf Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes verwei-sen, der besagt – ich zitiere –:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Das ist Ihre Aufgabe, und davon habe ich in IhrerRede nichts, aber auch gar nichts gehört.
Ich freue mich darüber, dass sich Frauen in diesemLand wirklich engagieren. Nehmen wir nur einmal denHashtag-Aufschrei, als es um die Sexismusdebatte ging,die noch nicht zu Ende ist, oder die Debatte um die Frauen-quote, die der Deutsche Juristinnenbund, FidAR– Frauen in die Aufsichtsräte – und der Verband deut-scher Unternehmerinnen angeschoben haben. Diese,Frau Schröder, und viele andere Frauen aus der Praxis,aus der Wissenschaft haben den nötigen politischenDruck ausgeübt. Ihre Einladung zu einem Gespräch hatnicht dazu beigetragen. Auch die Tatsache, dass es inLändern in Europa schon Quotenregelungen bei öffentli-chen Ausschreibungen gibt, hat Druck ausgelöst undUnternehmen zum Nachdenken gebracht. Wenn die Te-lekom sieht, dass die Telefónica aus Spanien in ihrenAusschreibungen in Spanien oder in Frankreich Quoten-regelungen für Frauen und Männer vorsieht, dann be-wegt sich die Telekom, und nicht weil Frau Schrödereinlädt.
Frau Schröder, in Ihrer Rede zum 102. Frauentag ha-ben Sie kein Wort zu der Debatte um den Alltagssexis-mus gesagt, obwohl sich so viele Frauen geäußert haben.Es gab kein wirkliches Wort zu einer verbindlichenFrauenquote in Aufsichtsräten. Auch haben Sie nichts zuRegelungen für die gleiche Bezahlung von Frauen undMännern gesagt; ich habe nichts gehört. Stattdessensetzen Sie getreu Ulrich Beck, also bei weitgehenderVerhaltensstarre, ständig falsche Anreize. Das Betreu-ungsgeld und das Festhalten am herkömmlichen Ehegat-tensplitting ist solch ein falscher Anreiz. Wenn wir wirk-lich sagen, auch aus einem christlichen Menschenbildabgeleitet; „Wir investieren unsere Steuergelder in dieKinder und stellen die Kinder in den Mittelpunkt“, dannmüssten Sie sagen: Das Ehegattensplitting wird abge-schmolzen, damit wir Geld für die Kinder haben. – Aberdazu gibt es kein Wort von Ihnen. Sie hingegen sind fürdas Betreuungsgeld und die Flexiquote. Ich sage einmal:Flexiquötchen, denn sie kommt ja auf Pfötchen daher.Das reimt sich auch. Die Unternehmen sollenselber entscheiden. Das ist selbst Ihren Parteifreundin-nen und -freunden zu wenig.Das Pflegezeitgesetz ist so realitätsfern gestaltet, dassvon den Frauen in der gesamten Bundesrepublik, diePflege übernehmen, seit dem Inkrafttreten erst satte150 Anträge gestellt wurden. 150 Anträge ist Ihr Ver-such wert, den Frauen die Situation zu erleichtern, wennsie Pflege übernehmen. Das können sich Frauen garnicht leisten. Denn wer hat denn so viel Geld im Hinter-grund, dass er eine Auszeit ohne monatliche Bezahlungnimmt?Ich kann nur sagen: Das, was Sie hätten anpackenmüssen, haben Sie liegen lassen, und wenn Sie gehandelthaben, war es eigentlich immer ein Flop.
Ich muss feststellen, dass Ihre und Frau Merkels Frau-enpolitik immer wieder die Realität der Frauen inDeutschland ignoriert. Sie ignorieren auch die wissen-schaftliche Expertise. Ich will Ihnen zwei Beispiele nen-nen:Erstens. Der Erste Gleichstellungsbericht hat gezeigt:Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind diskriminiert. – Soweit auch Ihre fast radikale Analyse. Dann heißt es imGleichstellungsbericht weiter: Wir brauchen einen Min-destlohn. Wir brauchen ein Entgeltgleichheitsgesetz. Wirbrauchen eine Quote. – Nichts davon haben Sie im An-gebot.
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Renate Künast
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Die Expertise und Beratung haben Sie überhaupt nichtgenutzt, weil Sie irgendwo in einer alten Ideologie ste-cken bleiben.Zweitens. In der stattgefundenen Evaluierung der Fa-milienleistungen steht: Es ist dringend nötig, einenModernisierungsschub bei den Familienleistungen zumachen, Abschmelzen des Ehegattensplittings, kein Be-treuungsgeld. – Was machen Sie? Sie halten die ganzeStudie unter Verschluss, weil Sie die gesellschaftlicheDebatte dazu fürchten. Dabei ist gerade jetzt eines wich-tig, nämlich nicht in den Strukturen von vorgestern zuagieren, sondern wirklich neue Strukturen für eine Ar-beitsmarktbeteiligung von Frauen zu schaffen.Ich habe ein bisschen das Gefühl, Sie sind eine ArtScheinregierung. Sie erinnern mich an den Riesen TurTur: Je näher man kam, desto kleiner wurde er. So großdie Worte auch sind, die Sie hier wählen: In Wahrheitnehmen Sie eine Simulation von Politik vor, und da hilftes auch nicht, eine Bundeskanzlerin zu haben.
Sie besetzen das Thema, indem Sie sich mit Frau von derLeyen über den Begriff „Quote“ streiten, aber passiert istgar nichts – Simulation von Politik.
Sie reden über Lohngleichheit und beschreiben dieSituation. Aber die Kanzlerin hat neulich nur öffentlichgesagt, sie rate den Frauen, einfach besser und schärferzu verhandeln, wenn es ums Gehalt gehe. Hier geht esaber nicht allein um ein Problem der einzelnen Frauen.
Wir, die Politik, haben einen Gleichstellungsauftrag: Wirmüssen aktiv werden, und wir wollen keine Ankündi-gungspolitik. Deshalb, meine Damen und Herren, ist esrichtig, Folgendes zu beraten: ein Entgeltgleichheitsge-setz, den Mindestlohn und die Frauenquote. Ich glaubeübrigens, dass all das auch die Männer wollen, weil siewissen, dass es auch ihnen im Erwerbs- und Privatlebenneue Entwicklungsmöglichkeiten gibt.Es ist Zeit für eine moderne Familienpolitik. DieKonzepte sind da, und wir sind bereit.
Jetzt hat die Kollegin Dorothee Bär für die Fraktion
der CDU/CSU das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! FrauKünast, jedes Mal, wenn Sie hier im Parlament einefrauenpolitische Rede halten, frage ich mich, ob es denFrauen danach besser geht.
Jedes Mal muss ich feststellen: nein.
Das, was Sie hier abliefern, trägt überhaupt nicht dazubei, gesellschaftspolitisch irgendetwas zu verbessern,und sei es auch nur verbal. Ich finde, dass die Ministerinam Anfang sehr gut aufgezeigt hat, wo die Probleme inunserem Land liegen: Wir haben festgelegte Rollenbil-der. Frauen sind auch deswegen am Arbeitsmarkt be-nachteiligt, weil in sehr vielen Firmen die Auffassungherrscht, dass Frauen mit geringerer Wahrscheinlichkeitdauerhaft in ihrem Unternehmen sein werden als Män-ner, allein aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären.Da geht es oft gar nicht darum, ob sie tatsächlich Kinderhaben oder nicht. Aber allein die Gebärfähigkeit machtFrauen als potenzielle Arbeitnehmerinnen weniger at-traktiv als Arbeitnehmer. Deswegen gelten sie oft – dashört man an der einen oder anderen Stelle – als risiko-trächtige Arbeitnehmerinnen. Deswegen werden sie oftzu einem geringeren Verdienst eingestellt und erhaltenweniger Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.Natürlich gibt es jetzt nicht die eine Lösung, dieIdeallösung, wie Sie sie mit Ihrer Schwarz-Weiß-Malereifordern; denn die Ursachen sind viel zu vielfältig. Natür-lich gibt es eine strukturelle Diskriminierung. Auch des-wegen ist es wichtig, einen Mentalitätswandel zu errei-chen. Einen Mentalitätswandel erreicht man natürlichnicht, wenn man immer meint, die eine Lösung zu habenbzw. ein Einheitsmodell, wie Sie, Frau Künast, es geradewieder angesprochen haben, für alle Frauen in Deutsch-land etablieren und einfach allen überstülpen zu müssen.
Wir haben ein Problem: Sobald Frauen eigene Kinderhaben, verschlimmert sich die strukturelle Diskriminie-rung. Wenn man sich die Studien, beispielsweise vomDeutschen Juristinnenbund, anschaut, dann stellt manfest, wie die Führungspositionen in Deutschland eigent-lich besetzt sind: Die meisten Führungspositionen in un-serem Land haben Männer mit Kindern inne. An zweiterStelle kommen dann Männer ohne Kinder. An dritterStelle kommen Frauen ohne Kinder. An vierter Stellekommen Frauen mit Kindern. Daran sieht man ganzdeutlich, dass Kinder nur beim weiblichen Geschlechtein Problem sind, beim männlichen aber nicht. Bei denMännern ist es sogar ein Vorteil; Männer mit Kindernnehmen die meisten Führungspositionen ein.
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28282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dorothee Bär
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Der Kern unserer christlichen Familien- und Frauen-politik ist deswegen die Wahlfreiheit: Wir fördern, dassjede und jeder Einzelne in Staat und Gesellschaft dieFreiheit selbst ausfüllen kann, dass sich jede Mutter undjeder Vater frei entscheiden kann, ob sie Vollzeit oderTeilzeit arbeiten oder ganz zu Hause bleiben wollen. Un-serer Auffassung nach hat der Staat nämlich nicht dasRecht, bestimmte Lebensmodelle aufzuzwingen. UnserZiel muss es doch sein, Freiräume zu schaffen.Ich verstehe bis heute nicht, warum Sie der Meinungsind, dass der Staat in jedem Fall der bessere Erzieherist. Wir sind diejenigen, die sagen: Wir setzen die Rah-menbedingungen für Wahlfreiheit. Mich stört wirklich– das war heute in allen Reden der Opposition zu hören –,dass Sie hier Keile hereintreiben und Frauen gegenFrauen ausspielen. Das ist mit uns nicht zu machen.
Wir im Bund haben die Betreuungssituation von Kin-dern unter drei Jahren mit Mitteln in Höhe von insge-samt 4,58 Milliarden Euro erheblich verbessert – das istmehr als in all den Jahren, in denen Sie an der Regierungwaren. Wir unterstützen die Kommunen, und wir unter-stützen sie freiwillig und auch künftig mit 845 MillionenEuro jährlich bei den Betriebskosten.
Ja, ich sage voller Stolz: Wir haben das Betreuungsgeldfür ein- bis dreijährige Kinder eingeführt,
weil es uns eben wichtig ist, keine verschiedenen Le-bensmodelle gegeneinander auszuspielen.
Es ist bei den Debatten oft deutlich geworden, dassSie persönlich andere Lebensmodelle wählen. Das ist Ih-nen auch unbenommen. Da mischt sich auch von außenkeiner ein. Aber ich finde, gerade wir, die wir alle be-rufstätig sind, müssen natürlich auch Lobbyisten für Fa-milien sein, die sich andere Modelle wünschen, weil lo-gischerweise keine Hausfrau und kein Hausmann dieMöglichkeit hat, hier am Rednerpult im Deutschen Bun-destag zu stehen.
Wir wollen Eltern nicht unter Druck setzen. Wir wol-len, dass nicht alle Kinder in eine ganztägige Kinderbe-treuung gegeben werden, weil wir eben gegen dieseGleichmacherei sind.Sie beklagen, dass bei einer steigenden Erwerbsquotedas Arbeitsvolumen – ich finde, das ist ein ganz beson-ders furchtbares Wort – von Frauen stagniert, weil vielenur in Teilzeit arbeiten. Da frage ich mich: Ist es wirk-lich Ihr Ziel, wie in der Wirtschaftswoche vom 9. Fe-bruar zu lesen war – ich zitiere –, dass „die totale Mobil-machung aller Arbeitskräfte“ erfolgt?
Ein weiteres Zitat:Erst wenn jede Frau an der Aldi-Kasse für ihre So-zialbeiträge schuftet und Steuern dafür bezahlt, dassandere Frauen ihre Kinder erziehen – erst dann istdie endgültige Befreiung der Frau geschafft.
Das ist auf jeden Fall eine Politik, die mit uns nicht zumachen ist, weil wir eben für die Wahlfreiheit stehen.Wir brauchen keine arbeitsplatzgerechten Familien, diesich nur unter das unterordnen, was der Arbeitsmarktwill, sondern familiengerechte Arbeitszeiten.
Freiwillige Maßnahmen sind wichtig. Sie reichenmeines Erachtens aber nicht aus. Für mich persönlichwäre es wichtig, dass Teilzeitkräfte auch das Recht ha-ben, in Vollzeit zurückzukehren.
Deswegen wünsche ich mir auch einen Rechts-anspruch auf Vollzeit. Das hätte auch eine Wirkung aufMänner, weil dann eine phasenweise Teilzeit eher in An-spruch genommen würde, und zwar von beiden Ge-schlechtern.
Mir ist das sogenannte Teilelterngeld auch sehr wich-tig, weil sich die Anspruchsdauer des Elterngeldes beiTeilzeitarbeit der Eltern und Aufteilung der Sorgearbeitentsprechend verlängern würde. Wichtig wäre selbstver-ständlich auch eine Flexibilisierung der Elternzeit. Mo-mentan ist es nur möglich, die Elternzeit bis zum 8. Le-bensjahr des Kindes in Anspruch zu nehmen. Wirwollen, dass in Zukunft die Frist bis zum 14. Lebensjahrdes Kindes ausgeweitet wird, um in Krisenzeiten einerFamilie, bei Schulproblemen, bei Trennung der Elternoder zur Pflege der Eltern-Kind-Beziehung eine größereFlexibilität zu gewährleisten.Wir haben in den letzten knapp vier Jahren eine her-vorragende Familien- und Frauenpolitik gemacht. Ichbin mir sicher, dass die Wählerinnen und Wähler erken-nen, wer ihnen Wahlfreiheit gibt und wer ihnen ein Ein-heitsmodell aufdrücken wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28283
Dorothee Bär
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Deswegen bin ich sicher, dass es im September mitdieser Bundesregierung hervorragend weitergeht.Vielen Dank.
Elke Ferner hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich frage mich die ganze Zeit, ob hier bei der Koalitionein Wettbewerb stattfindet, wer die peinlichste Redehält.
Ich muss wirklich sagen, dass an Peinlichkeit kaumzu überbieten ist, was in Ihrem Antrag steht und was dieMinisterin und Sie von den Koalitionsfraktionen hierzum Besten geben. Sie nehmen in Ihrem Antrag – dashat auch die Ministerin zu Beginn gemacht – eine Pro-blemanalyse vor. Aber nach einer Problemanalyse er-wartet der geneigte Leser, dass eine Problemlösung vor-geschlagen wird. Die fehlt aber, und zwar völlig.
Ich frage mich, wofür man eine Ministerin braucht, diesich hier hinstellt und sagt: Wir brauchen dies, wir brau-chen jenes usw., usf. – Ich wünsche mir eigentlich eineRegierung und eine Ministerin, die sagen: Wir haben daein Problem, und deshalb machen wir das und das. Dasist die Aufgabe einer Ministerin, Frau Schröder.
Ich will einmal sagen: Der einzig reale Vorschlag, denSie in Ihrem Antrag machen, nämlich das Logib-D-Ver-fahren zu verwenden, um die Entgeltungleichheit zu be-kämpfen, ist dazu untauglich.
Die Ministerin hat eben zu Recht beklagt, dass frau-entypische Berufe schlechter bezahlt würden als die derMänner und dass sich daran etwas ändern müsse. Dafürgibt es aber ein Verfahren, und das Verfahren heißt Ent-gelt-Check. Das gibt es. Da frage ich mich natürlich, wa-rum Sie bei diesem Logib-D-Verfahren bleiben, bei demes eigentlich nur darum geht, Lebensläufe und Biogra-fien miteinander zu vergleichen. Das heißt, wenn dieFrauen auf ihren Beruf verzichtet haben, um Kinder zuerziehen, dann wird das durch die schlechtere Bezahlung– gegenüber der Bezahlung der Männer – sozusagensanktioniert. Wir wollen gleiche Bezahlung für gleicheArbeit. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Wenn Sie dann endlich etwas tun – Renate Künast hatdas eben schon gesagt –, dann tun Sie das Falsche.Schauen Sie sich beispielsweise an, welche Wirkung dieAnhebung der Verdienstgrenze von Minijobs auf450 Euro haben wird. Im Bereich Minijob müssen wireigentlich die entgegengesetzte Richtung einschlagen.
Wir müssen endlich Schluss damit machen, dass in die-sem Bereich Missbrauch betrieben werden kann. Aberwas macht die Koalition? Sie erhöht noch die Anreize,einem Minijob nachzugehen.Es gibt bereits über 7 Millionen Minijobs – und dasnicht nur in den haushaltsnahen Bereichen, das sind un-gefähr 200 000; die kennen wir fast alle persönlich. Siehaben die Schwarzarbeit nicht abgeschafft. Jetzt verstär-ken Sie noch den Anreiz, ohne soziale Absicherung er-werbstätig zu sein. In Verbindung mit der Steuerklasse Vund dem Ehegattensplitting ist das besonders für verhei-ratete Frauen attraktiv. Moderne Gleichstellungspolitiksieht anders aus.
Sie haben eben gesagt: Wir brauchen andere Arbeits-zeitmodelle. Ja, die brauchen wir. Man muss aber auchetwas dafür tun, zum Beispiel, indem man den Anspruchauf andere Arbeitszeitmodelle rechtlich absichert. Manmuss beispielsweise rechtlich absichern, dass die Inan-spruchnahme von Teilzeit befristet ist und dass sofortnach Beendigung der Teilzeitbeschäftigung der alte Ar-beitsvertrag wieder greift, so wie wir das im Rahmen desPflegegesetzes in der letzten Wahlperiode auf den Weggebracht haben. Wo sind Ihre Vorschläge? Es gibt keineVorschläge. Es werden immer nur die Probleme analy-siert.Sie sprechen sich in Ihrem Antrag dafür aus, dass dieBundesregierung für diese und jene Maßnahme werbensoll. Sind wir hier Gesetzgeber, oder sind wir eine Wer-beagentur? Was Sie hier machen, ist wirklich nicht mehrnachzuvollziehen.
Ich prophezeie Ihnen: Diese Form der Politik wirdsich im September, Gott sei Dank, erledigt haben. Wirbrauchen nämlich in der Gleichstellungspolitik Fort-schritte und keinen Stillstand mehr. Deshalb haben wirin unserem Antrag eine Reihe sehr konkreter Maßnah-men vorgeschlagen, durch die wir die Situation verbes-sern wollen.Auf die Einzelheiten unseres Antrags wird ChristelHumme noch eingehen. Eines kann ich Ihnen aber jetztschon sagen: Ihr Problem ist, dass Sie kein partner-
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Elke Ferner
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schaftliches Modell wollen. Das sieht man am Betreu-ungsgeld und daran, dass Sie am Ehegattensplitting fest-halten. Das sieht man in vielen anderen Bereichen auch.Frau Pawelski, Sie sind vielleicht eine Ausnahme inIhrer Fraktion. Es tut mir leid, dass Sie keine Mehrheitenhaben. Es ist schlimm, wenn man etwas will und mandarf oder kann es nicht umsetzen. Aber noch schlimmerist es, wenn man keinen Fortschritt will. Dafür stehenSie, Frau Schröder.
Ich bin froh, einer Partei anzugehören, die in diesemJahr ihr 150-jähriges Gründungsjubiläum feiert. Eineganze Reihe von Frauen, auch hier in diesem Haus, ha-ben vor vielen Jahren dafür gesorgt, dass die Gleichstel-lungspolitik vorangekommen ist. Clara Zetkin, MarieJuchacz, Lily Braun und Hedwig Dohm, aber auchAugust Bebel mit seinem Werk Die Frau und der Sozia-lismus haben ein großes Stück dazu beigetragen. Ichwürde mir wirklich wünschen, liebe Kolleginnen vonUnion und FDP: Seien Sie ein bisschen mutiger und einbisschen konsequenter. Geben Sie nicht nur Problem-analysen zum Besten, tragen Sie endlich auch Problem-lösungen vor.Schönen Dank.
Für die FDP-Fraktion gebe ich jetzt Sibylle Laurischk
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte diese Debatte wieder etwas versach-lichen.
Ich wende mich an die vorrangig jungen Zuhörer, diehier auf der Tribüne in großer Zahl – ein paar gehen jetztleider – anwesend sind. Zunächst möchte ich dafür wer-ben,
dass sich gerade die jungen Frauen unter Ihnen für Be-rufe entscheiden, die eine Perspektive bieten, dass Siesich auch für Berufe mit technischer und naturwissen-schaftlicher Ausrichtung interessieren, bei denen zuneh-mender Fachkräftemangel zu verzeichnen ist.Aber wir haben auch in ausgesprochenen Frauenberu-fen einen Fachkräftemangel und einen zunehmendenPersonalmangel. Ich habe feststellen müssen, dass imPflegebereich mittlerweile sehr viele ausländische Ar-beitskräfte angeworben werden, weil wir auf dem bisherüblichen Rekrutierungsfeld nicht mehr genügend Mitar-beiter finden, um die Pflege sicherzustellen. Mir sagenPflegerinnen und Krankenschwestern – das sind typischeFrauenberufe –: Der Beruf ist nicht attraktiv und hat einschlechtes Ansehen. – Ich möchte an dieser Stelle aus-drücklich dafür werben, dass das Ansehen dieser Berufe,die nicht naturwissenschaftlich ausgerichtet sind, son-dern soziale, menschliche Fähigkeiten voraussetzen, ver-bessert wird. Ich möchte dafür werben, dass diese Berufestärker wertgeschätzt und durch bessere Bezahlung at-traktiver werden.
Das habe ich mir vor meiner Rede nicht aufgeschrieben.In der Debatte ist mir aber deutlich geworden, dass manauch dazu an dieser Stelle einmal etwas sagen muss.Die Erwerbstätigkeit der Frauen in Deutschland hatlaut einer Studie aus dem Jahre 2011 eine Quote von72 Prozent erreicht.
Damit liegen wir kurz hinter den skandinavischen Län-dern. Dennoch sind wir hinsichtlich der beruflichenGleichstellung von Frauen noch nicht ausreichend vor-angekommen.Wir analysieren die Probleme – davor scheuen wiruns nicht –: Ein wesentlicher Grund, warum die Gleich-stellung von Frauen im Beruf noch nicht gewährleistetist, sind unzureichende Möglichkeiten zur Vereinbarungvon Familie und Beruf. Daran arbeiten wir. Wir gebenenorme Summen aus, um die Kinderbetreuung in denverschiedensten Bereichen zu gewährleisten. Ich denke,dass es dabei nicht nur um Kinder unter drei Jahren geht,sondern zunehmend auch um Kinder, die in der Schulesind. Insofern wird die Ganztagsbetreuung ein wichtigesThema werden. Das Defizit in diesem Bereich habenauch rot-grüne Bundesregierungen mit zu verantworten.
Das ist ein Problem mit einer langen Geschichte. DiesesProblem war in den letzten vier Jahren, in denen wir ander Regierung beteiligt waren, nicht zu lösen.Dass wir dieses Thema ernst nehmen, zeigt die hef-tige Diskussion, die wir darüber immer wieder führen.Die linke Seite dieses Hauses konzediert das nicht gerne.Aber gerade deswegen sage ich hier sehr deutlich: Wirhaben uns an der Stelle nicht zu verstecken. Die Betreu-ung von Kindern ist in Deutschland ein ernsthaftesThema geworden. Wir lassen nicht locker. Wie gesagt:Es ist viel Geld dafür ausgegeben worden.Dennoch haben wir, gerade was das Thema Teilzeitanbetrifft, ein deutliches Defizit, das wir angehen müs-sen. Ich glaube, Frau Ministerin, dass sich die FDP andieser Stelle überhaupt nicht versteckt. Ich weiß nicht,ob in einer Zeitung steht, dass Sie das so gesagt haben.
Ich glaube, wir sind durchaus erreichbar.
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Sibylle Laurischk
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Es ist tatsächlich so, dass sehr viele Frauen in Teil-zeitarbeit stehen und die Rückkehr in den Beruf imSinne einer Ganztagsbeschäftigung für sie sehr schwie-rig ist. Vor allen Dingen, wenn sie sich sehr lange derKinderbetreuung gewidmet haben, merken sie, dass sieden Anschluss verlieren und keine Ganztagsbeschäfti-gung mehr finden. Das ist ein struktureller Mangel, dermeiner Ansicht nach durch entsprechende Anreize imUnternehmen, aber – das ist denkbar – auch durch ge-setzliche Maßnahmen zu ändern ist.Gleichzeitig müssen sich aber auch Männer stärkerfür Teilzeit interessieren.
Wenn es in einer Familie erforderlich ist, dass einer Teil-zeit arbeitet, dann sind es meist die Frauen, die sagen:Okay, ich gehe aus dem Beruf ein Stück weit heraus. DieMänner machen weiter, sicherlich, weil der besser be-zahlte Beruf eine Rolle spielt, aber auch, weil es nicht envogue ist, weil das im Unternehmen nicht selbstver-ständlich ist. Es muss uns klar sein, dass lediglich10,6 Prozent der Männer im Westen und 7,5 Prozent derMänner im Osten Teilzeit arbeiten. Das sind viel weni-ger als bei den Frauen. Es ist einfach kein Thema.Ich glaube, dass wir die Lebensarbeitszeit von Frauenund Männern gleichstellen müssen, dass wir dafür sor-gen müssen, dass Frauen wie Männer flexible Zeitange-bote wahrnehmen können – die Teilzeitarbeit gehörtdazu, aber selbstverständlich auch die Rückkehr in dieVollzeitberufstätigkeit –, weil dann auch die Altersarmutvon Frauen ein Ende hat; denn dann können die Frauenebenso wie die Männer eine Altersversorgung aufbauen.Das geschieht nur, wenn auch Männer in diesen struktu-rellen Wandel einsteigen. Das tun sie bisher per se nochviel zu wenig. Es geht um einen Bewusstseinswandel,den wir als Liberale nicht per Gesetz erzwingen.
Yvonne Ploetz hat jetzt für die Fraktion Die Linke das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf denersten Blick sieht es für Frauen gar nicht so schlecht aus.Statistiken erzählen uns seit langem von einer wunderba-ren Vermehrung der Jobs für Frauen. Es ist tatsächlichso: Seit Jahren steigt die Anzahl von Frauen in Lohn undBrot.Doch sieht man etwas genauer hin, bekommt manschnell große Augen. Es ist nämlich nicht so, dass dieAnzahl der Frauen in Normalarbeitsverhältnissen ange-stiegen ist. Vielmehr ist die Anzahl der Frauen im Nie-driglohnsektor, in befristeten Beschäftigungsverhältnis-sen und in Teilzeitarbeit explodiert. Sie hat sich seit1991 annähernd verdoppelt.Nur ein Beispiel: In Pflegeberufen – da arbeiten zu80 Prozent Frauen – ist die Anzahl der Leiharbeitneh-merinnen in den letzten sechs Jahren um 400 Prozent an-gestiegen. Diese Frauen leisten wirklich Schwerstarbeit,verdienen aber wenig und haben kaum arbeitsrechtlichenSchutz. Sie nennen das die Flexibilisierung des Arbeits-marktes. Wir nennen es Ausbeutung.
Das Mindeste, was ich von Ihnen als Regierenden ver-lange, ist, dass Sie die Leiharbeit in so sensiblen Berei-chen wie der Kindererziehung und der Pflege endlichstoppen.Übrigens ist die Branche mit den meisten Frauen imNiedriglohnsektor der Einzelhandel. Sie haben sicher-lich mitbekommen, dass die Arbeitgeber im Einzelhan-del die Tarifverträge aufgekündigt haben. Jetzt kämpfenrund 3 Millionen Frauen um freie Wochenenden, um Ur-laubsgeld, um einen guten Lohn. Der Handelsverbandnennt diese Aufkündigung der Tarifverträge Modernisie-rung. Wir wissen ganz genau, dass es hier nur um Lohn-drückerei geht, und nennen es eine Kampfansage an dieBeschäftigten. Wir Linke stehen fest an der Seite derFrauen und fordern von Ihnen, dass Sie einen Mindest-lohn von 10 Euro einführen, damit die Frauen in diesemArbeitskampf abgesichert sind.
Wir wissen auch: Wo Tarifverträge gelten, fällt dieEntgeltlücke kleiner aus. Trotzdem verdienen Frauennoch im Jahr 2013 rund ein Viertel weniger als ihremännlichen Kollegen. Eine Großhandelskauffrau zumBeispiel hat im Monat rund 564 Euro weniger als ihrmännlicher Kollege. Da kommen im Laufe eines Ar-beitslebens locker 220 000 Euro zusammen. Sie reden indiesem Zusammenhang von Eigenverantwortung, da-von, dass Frauen die falschen Berufe wählen, davon,dass man bei Lohnverhandlungen mutiger sein könnte.Wir nennen das Diskriminierung am Arbeitsplatz undfordern nicht weniger, als dass Sie per Gleichstellungs-gesetz, Verbandsklagerecht und Lohntransparenz end-lich für gleiche Löhne bei gleicher Arbeit sorgen.
Sicherlich erzähle ich Ihnen kein Geheimnis, wennich sage, dass geringe Löhne zu geringen Renten führen.Im Alter müssen Frauen wirklich fast jeden Cent umdre-hen. Mittlerweile haben zwei von drei Frauen eine Al-tersrente unterhalb der Grundsicherung im Alter, alsounterhalb von Hartz IV im Alter. 83,5 Prozent derFrauen – eigentlich fast alle – haben eine Rente von un-ter 850 Euro, ein Viertel davon sogar unter 250 Euro.Ich komme aus dem Saarland und will nun ganz kurzauf die Situation bei uns eingehen. Ein Mann bekommtbei uns durchschnittlich eine Rente von 1 139 Euro. EineFrau bekommt durchschnittlich 415 Euro. Sie nennendas eine „besonders unzureichende soziale Absicherungvon Frauen … im Alter“. Wir nennen das menschenun-würdige Armutsrenten und bleiben bei unserer Forde-rung nach einer Mindestrente, die wirklich jeden undjede vor Armut im Alter schützt.
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Yvonne Ploetz
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der InternationaleFrauentag rückt näher. Wir reden hier über Entgelt, überQuote. Wir reden über ausgebeutete Frauen in Pflege-und Erziehungsberufen. Wir reden über Kitas, die feh-len, und über Frauen mit Existenzangst im Alter. Abereigentlich reden wir doch darüber, dass der Kapitalismusauf genau diese Frauen angewiesen ist. Er ist angewie-sen auf eine ungeheure Anzahl von Frauen, die privat ar-beiten, die zu Hause arbeiten und die in sogenannten ty-pischen Frauenberufen arbeiten. Das sind Berufe, dieweniger mit Erdölgewinnung zu tun haben, weniger mitLuftfahrt, weniger mit Fahrzeugbau, sondern sich mitMenschen beschäftigen. Diese Berufe lassen sich nuneinmal nicht beliebig beschleunigen, um noch mehr Ge-winne herauszupressen.Lassen Sie mich mit einem, wie ich finde, sehr beein-druckenden Zitat von Robert Biel enden:Es ist eindeutig, dass der Kapitalismus zu Überaus-beutung der Frauen geführt hat. Das wäre wenigtröstlich, wenn es nur vermehrtes Elend und ver-mehrte Unterdrückung bedeutet hätte, doch glückli-cherweise hat es auch zu Widerstand geführt, umvielleicht so sogar zum Keim einer neuen Gesell-schaftsordnung zu werden.Danke schön.
Jetzt hat Monika Lazar das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Debatte zum Internationalen Frauentag ermöglichtes uns, jährlich Bilanz über die Frauenpolitik der Bun-desregierung zu ziehen. Als Erstes fällt mir da meinLieblingssatz aus dem Bundesgleichstellungsbericht ein:Die Kosten des gegenwärtigen Nichtstuns übersteigendie einer zukunftsweisenden Gleichstellungspolitik beiweitem.
An das Nichtstun der Ministerin haben wir uns schongewöhnt. Aber ich verzweifle immer noch daran, dassdie guten Vorlagen wie der Bundesgleichstellungsberichtoder der Bericht zur Situation der Frauenhäuser, Fachbe-ratungsstellen und anderer Unterstützungsangebote fürgewaltbetroffene Frauen und deren Kinder nicht genutztwerden und stattdessen in den Regalen verstauben. Hierliegen Lösungsvorschläge, die die Ministerin ignoriert,ja, sie sind ihr noch nicht einmal der Rede wert. DasGrundgesetz gibt dem Staat einen deutlichen Auftrag,und der heißt nicht, nichts zu tun, sondern engagierteKonzepte zur Chefinnensache zu machen.
Wenn wir uns aber die Frauenpolitik der Koalition derletzten Jahre anschauen, klafft da nur ein großesschwarz-gelbes Loch. Wir haben eine uninspirierteMinisterin, die selbst die positiven Denkansätze derFrauen in ihrer eigenen Fraktion, zum Beispiel zur Frau-enquote, ausgesessen hat. Jetzt ist zu lesen, dass Sienicht einmal mehr die Zahlen Ihrer unzureichenden Fle-xiquote gemeinsam mit den Unternehmen präsentierenwollen. Das sollen jetzt die Unternehmen alleine ma-chen. Für mich ist das wirklich die endgültige Kapitula-tion.
Diese Woche erreichte uns Ihr Vorschlag bzw. Antragzur Entgeltgleichheit. Da dachte ich: interessant. Nachdem Lesen war ich überrascht, dass die Koalition wahr-scheinlich endlich einsieht, dass es tatsächlich ge-schlechtsspezifische Verdienstunterschiede gibt. Das istschon mal ein großer Fortschritt. Denn vor einer Woche– wer bei der Anhörung zu den Vorschlägen der SPDund von uns Grünen zur Entgeltgleichheit anwesendwar, weiß das – klang das noch völlig anders. Da wurdedas Problem von den Abgeordneten und Sachverständi-gen der Koalition völlig verdrängt. Das Argument warimmer nur: Die Frauen sind doch selber schuld.
Im Antrag steht jetzt, dass sogar Erfahrungen aus demeuropäischen Ausland mit gesetzlichen Regelungen zurBeseitigung der Ungleichheit ausgewertet werden sol-len. Okay, aber wie sieht es mit der Umsetzung aus?Nein, nur Regelungen zur Transparenz sind geplant.Klar, alles andere wäre ja zu revolutionär. Nur nicht zuforsch werden!Wir Grünen haben ein Entgeltgleichheitsgesetz gefor-dert, in dem verbindliche Regelungen von den Unterneh-men eingefordert werden. Bei diesen vorliegenden Vor-schlägen hätten Sie sich in den letzten Jahren einfachAnregungen holen können. Aber der Antrag der Koali-tion ist wieder einmal nur mutlos.
Auch in den anderen Bereichen der Gleichstellungspoli-tik haben wir in den letzten Jahren umfassende Konzeptevorgelegt. In unserem aktuellen Antrag, der heute miteingebracht wird, können Sie es nachlesen.Um mit einem Beispiel aus der Seefahrt zu enden:Dort markiert die Farbkombination schwarz-gelb dieUntiefen und rot-grün das Fahrwasser.
In diesem Sinne arbeiten wir Grüne weiter an einem Re-gierungswechsel; denn von der Koalition ist auch in Sa-chen Frauen- und Gleichstellungspolitik in den verblei-benden Wochen bis zur Wahl nichts mehr zu erwarten.Vielen Dank.
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Die Kollegin Ingrid Fischbach hat jetzt das Wort für
die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sa-gen: Politik beginnt immer mit dem Betrachten derWirklichkeit.
Manchmal denke ich mir: Die Kolleginnen und Kollegender Opposition, die ich persönlich sehr schätze, nehmennicht nur anders wahr, sie wollen auch anders wahrneh-men. Deshalb – das muss ich sagen – leiden Sie teilweiseunter Wahrnehmungsstörungen.
Liebe Frau Künast, ich fange mit Ihnen an.
Sie geben mir immer so gute Vorlagen, die ich nicht lie-genlassen kann; die muss ich auffangen und wieder anSie zurückspielen.
– Ja, aber lassen Sie uns jetzt einmal über die Punkte re-den, die Sie im Sinne von „die Ministerin macht nichts,wer macht was?“ angesprochen haben. In diesem Zu-sammenhang haben Sie das Stichwort „Kita“ genannt.
Nun kann man sagen, der Ausbau der U-3-Betreuungin der Kita sei in der Großen Koalition verabredet wor-den. Das ist schön. Da stand es auf dem Papier, und Pa-pier ist geduldig. Die Arbeit aber ist erst in dieser Legis-laturperiode gemacht worden.
Wenn es um die Umsetzung geht – da komme ich gleichauf Rot-Grün in meinem Heimatland Nordrhein-Westfa-len zu sprechen, weil mir das am Herzen liegt und ichdazu etwas sagen kann –, frage ich: Frau Künast, wer hates denn in die Hand genommen, den Kita-Ausbau nunauch so umzusetzen, dass die Länder nicht mehr aus derVerpflichtung kommen? Das waren nicht Sie, das warnicht Rot-Grün, das ist nicht in den von Ihnen regiertenLändern geschehen, sondern unsere Familienministerinhat das gemacht.
Erstens hat sie mehr Geld zur Verfügung gestellt, waswir gar nicht sollten, Frau Humme, und zweitens hat sieSie in Ihrer Landesverantwortung mal wieder daran erin-nert, dass Sie ein Versprechen abgegeben haben. Sie ha-ben vonseiten der Länder – und Sie haben in den Län-dern ja die Mehrheit – gesagt: Wir wollen mitmachen,wir wollen den U-3-Ausbau nach vorne bringen. – WennSie aber in der Verantwortung sind und das umgesetztwerden muss, dann sagen Sie, liebe Frau Humme, auchin Nordrhein-Westfalen: Dafür haben wir kein Geld. Wirkürzen lieber noch ein bisschen. – Soll ich mal ebennachschauen, wo Sie, die Sie in Nordrhein-Westfalen ge-sagt haben, kein Kind dürfe verlorengehen, überall ge-kürzt haben? Ich erinnere auch daran, dass Frau Fernerund Frau Marks immer gerufen haben: Machen, machen,machen! – Ich sage Ihnen einmal, was Sie in Nordrhein-Westfalen anders als die Ministerin gemacht haben, diegesagt hat: Ich sorge dafür, dass noch Mittel zur Verfü-gung gestellt werden. Ich sorge dafür, dass Betriebskos-ten übernommen werden.
Das hat es in der Kinderbetreuung noch nie gegeben.
Sie haben in NRW im Jahre 2011 für die unter Drei-jährigen eine Betreuungsquote in Höhe von 16 Prozentgehabt. Das war der schlechteste Stand in Deutschland,Frau Humme. So sieht es bei Rot-Grün in dem größtenBundesland Nordrhein-Westfalen aus.
Sie sparen in dem Haushalt 8,7 Millionen Euro an Zu-weisungen für die Gemeinden ein, die für die Umset-zung des Rechtsanspruchs auf den Kindergartenplatzund den Kitaplatz vorgesehen waren. 8,7 Millionen Eurosparen Sie ein! Und dann stellen Sie sich hier hin undfragen: Wer tut denn was? – Ja, wer denn? Sie nicht! Dashaben Sie bewiesen. Das Handeln liegt bei uns, und daswerden wir auch in Zukunft so halten.
Denn da, wo Sie Verantwortung haben, tun Sie nichts.Im Gegenteil, Sie stecken den Kopf in den Sand. Das istnicht das, was wir wollen.Nächster Punkt: Gleichstellungsbericht. Wer hat dennden ersten Gleichstellungsbericht auf den Weg gebracht?
Etwa Sie von Rot-Grün in sieben Jahren? In dieser Zeitgab es hier nur Reden, Reden, Reden. Der erste Gleich-stellungsbericht, Frau Künast, auf den Sie sich netter-weise auch beziehen, ist unter dieser Frauenministerinauf den Weg gebracht worden.
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Ingrid Fischbach
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Jetzt geht es darum, daraus auch etwas zu machen.
Ich lasse mir aber nicht nachsagen, wir hätten nichts ge-macht.
Frau Fischbach, Frau Marks würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?
Das finde ich gut; denn sonst wäre ich mit meiner
Rede auch schon fast zu Ende.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich die Zwi-
schenfrage stellen darf.
Liebe Frau Fischbach, Sie haben eben einiges über
den Kita- und den Krippenausbau gesagt. Würden Sie
bestätigen, dass die Frauen- und Familienministerin Frau
Schröder während der letzten Monate, eigentlich wäh-
rend der letzten gut drei Jahre, in diesem Plenarsaal vor
der Öffentlichkeit und auch in öffentlichen Reden immer
wieder gesagt hat, der Bund hat mit den 4 Milliarden
Euro, die die Große Koalition auf den Weg gebracht hat,
genug getan, mehr gibt es von Bundesseite definitiv
nicht? Das ist in den Protokollen mehrfach nachzulesen.
Würden Sie vielleicht auch bestätigen, dass es die Mi-
nisterpräsidenten der SPD, nämlich Olaf Scholz aus
Hamburg und der damalige Ministerpräsident Kurt Beck
aus Rheinland-Pfalz, zusammen mit anderen SPD-ge-
führten Bundesländern im Bundesrat waren, die im Rah-
men der Verhandlungen des Bundesrates über den Fis-
kalpakt zusätzliche 580 Millionen Euro hineinverhandelt
und dies als Bedingung dafür genannt haben, dass über-
haupt etwas auf den Weg gebracht wird, und dass die
Ministerin diese 580 Millionen Euro, die sie zunächst
kontinuierlich verweigert hatte, erst jetzt im Zuge der
Verhandlungen über den Fiskalpakt bereitgestellt hat?
Ja, liebe Frau Marks, das ist so mit der Wahrneh-
mung.
– Ich streite das gar nicht ab, was Sie sagen.
Aber mit welcher Dreistigkeit sitzen da Menschen im
Bundesrat und fordern mehr Geld, wenn sie noch nicht
einmal die Zusagen, die sie selbst gegeben haben – es
sollten 4 Milliarden Euro von den Ländern kommen –,
eingehalten haben?
Das ist eine Dreistigkeit hoch drei.
Nur deshalb, Frau Marks – ich bin mit meiner Ant-
wort noch nicht fertig –, hat die Ministerin an der einen
oder anderen Stelle gesagt: Der Bund hat seine Zusage,
4 Milliarden Euro bereitzustellen, als Einziger eingehal-
ten.
Die Länder sind ihren Verpflichtungen nicht nachge-
kommen und die Kommunen auch nicht – aus welchen
Gründen auch immer; wir kennen sie.
Wenn die Mittel noch nicht abgerufen waren – jetzt
kann ich wieder auf NRW kommen, diesmal dazu, wie
die Mittel abgerufen wurden –
und die Ministerin sagt: „Wir haben unsere Hausaufga-
ben gemacht, und bevor wir mehr Geld zur Verfügung
stellen, sollen erst einmal die anderen ihre Aufgaben er-
ledigen“, dann, denke ich, ist das richtig.
Noch einmal zu Ihrer Erinnerung: Der Bund hat mit
der U-3-Betreuung nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Was wir hier gemacht haben, haben wir gemacht,
weil wir als christlich-liberale Regierung
und auch damals in der Großen Koalition gesagt haben:
Wir sehen die Notwendigkeiten der jungen Familie. Kin-
derbetreuung ist das A und O.
– Nein, ich bin noch nicht fertig. Frau Präsidentin, ich
bin noch bei meiner Antwort.
Ich entscheide darüber, wie das mit der Zeit ist, undSie antworten weiter auf die Frage. Bei dieser Gelegen-heit können Sie gleich sagen, ob Sie auch noch eineFrage von Frau Dörner zulassen.
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Ja, ich rede gerne weiter.
Das machen wir dann so.
Ich wiederhole – darf ich wenigstens das abschlie-
ßend sagen? –: Es war schon eine Farce, was sich Ihre
Leute im Bundesrat erdreistet und erlaubt haben: statt
erst einmal die eigenen Versprechungen einzulösen,
gleich neues Geld zu fordern. So macht man keine Poli-
tik.
Deswegen ist mir vor dem September dieses Jahres über-
haupt nicht bange. – Frau Dörner.
Frau Dörner, bitte, Ihre Zwischenfrage.
Liebe Frau Fischbach, meine Frage ist sehr schnell zu
beantworten. Würden Sie mir bestätigen, dass auf der
ersten Seite des Gesetzentwurfs, den wir ja hier alle ge-
meinsam – weitgehend gemeinsam – beschlossen haben,
um dafür zu sorgen, dass die zusätzlichen 580 Millionen
Euro an die Länder bzw. an die Einrichtungen in den
Kommunen weitergeleitet werden können – also in dem
Text, der uns von der Bundesregierung vorgelegt worden
ist –, dargelegt ist, dass die Investitionsmittel aus diesem
4-Milliarden-Euro-Programm den Ländern zu 99 Pro-
zent bewilligt und insofern auch beantragt worden sind?
Ich gebe Ihnen recht, Frau Dörner.
Hätten Sie doch nur auch erwähnt, dass ordentlich Druckvon der Bundesebene kommen musste
und dass die Ministerin die Länder mehrfach angeschrie-ben hat. Sie haben ja selber vor Ort nachgefragt – auchSie kommen ja aus Nordrhein-Westfalen – und wissen,dass wir selber Druck gemacht und gefragt haben: Wa-rum werden die Mittel nicht abgerufen? Das ist ein Ver-dienst unserer Familienministerin, und den lasse ichauch nicht kleinreden, Frau Dörner.
Meine Damen und Herren, das, was Nordrhein-West-falen macht, ist nicht gut. Das hat nichts mit Gleichstel-lungspolitik zu tun. Das hat auch nichts mit Entgelt-gleichheit zu tun. Es gibt eine erste Studie – übrigens,Frau Künast, wurde auch sie von dieser Familienminis-terin in Auftrag gegeben. Das zeigt: Rot-Grün hat sichnicht auf den Weg gemacht, die familienpolitischenLeistungen zu evaluieren; das war für Sie gar keinThema. Das ist bei uns passiert.
– Nein, sie ist nicht geheim. Sie können das nachlesen;das steht auf der Internetseite des Ministeriums. Die Ak-zeptanzanalyse hat gezeigt, dass für die Eltern die Kin-derbetreuung das A und O ist. Deswegen: Wenn Nord-rhein-Westfalen jetzt sagt: „Wir kürzen die Mittel umeinen zweistelligen Millionenbetrag“ und: „Ob bei derU-3-Betreuung zehn oder 15 Kinder betreut werden, istauch egal; da packen wir ein paar mehr dazu“,
sage ich Ihnen: Das geht nicht. Das ist ein Schlag ins Ge-sicht der Eltern. Vor allen Dingen spielt das Kindeswohlhier überhaupt keine Rolle. So kann man mit Kindernnicht umgehen. Kinder sind keine Versuchskaninchen.Das ist mit uns nicht zu machen.
Meine Damen und Herren, jetzt noch einmal kurzzum Stichwort Entgeltgleichheit. Wir haben gesagt: Wirmüssen dafür sorgen, dass sich Väter und Mütter auf dieKinderbetreuung verlassen können. Das ist ein wichtigerPunkt, um zu gewährleisten, dass es nur wenige Auszei-ten gibt. Für uns als christlich-liberale Regierung istwichtig, dass wir uns nicht nur zu der Zeit der Geburt ei-nes Kindes kümmern, sondern auch eine Lebenslauf-perspektive haben und uns fragen: Wo gibt es in einemLebenslauf Brüche, die dazu führen, dass der Lohn bzw.das Entgelt sinkt? Hier müssen wir ansetzen.Wir glauben auch, dass es Sinn macht, sich noch ein-mal speziell mit der Pflegezeit zu befassen.Die Ministerin hat bereits gesagt, dass die Verdienst-unterschiede zu Beginn der Ausbildung mit 2 Prozentnicht groß sind, aber dann schon in der Kindererzie-hungsauszeit weiter zunehmen und später im Alter nochgrößer werden, wenn die Auszeit länger war bzw. weilvorrangig Frauen die zweite Auszeit nehmen müssen.Deswegen ist es wichtig, dass wir den Blick auf dieÜbergänge im Leben einer Frau oder eines Mannes rich-ten. Der Wiedereinstieg ist ein sehr wichtiger Punkt, denwir in den Blick nehmen müssen.
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Ingrid Fischbach
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Die Ministerin hat das Programm „Perspektive Wieder-einstieg“ auf den Weg gebracht. Damit zeigen wir: Wirwollen die Möglichkeiten unterstützen, dass Frauen wie-der leichter zurück in den Beruf kommen.Ganz wichtig ist für uns, dass wir eine Bewertung dertypischen Frauenberufe vornehmen. Dabei sind auch dieTarifparteien und die Tarifpartner gefragt. Hier gehtmein Appell an die Tarifpartner. Meine Fraktion undauch ich können nicht nachvollziehen, dass Muskelkraftnur bei Maurern höher bewertet wird. Muskelkraft istauch bei einer Pflegekraft wichtig und muss genauso ho-noriert werden wie im Fall des Maurers.
Wir wollen nicht, dass Verantwortung für Strukturenund Maschinen höher bewertet wird. Wir wollen nicht– auch darin unterscheiden wir uns von Ihnen –, dassjetzt alle Frauen in die typischen Männerberufe gehen,sondern dass auch die Berufe, in denen die Übernahmevon Verantwortung für Menschen eine große Rollespielt, zu einer Höher- und Besserbewertung kommen.Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit und des zu-künftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens.Ein letzter Punkt, Frau Präsidentin.
Ein Punkt ist zu viel.
Ein letzter Satz. – Meine Damen und Herren, wir wol-
len kein Entgeltgesetz, das zu mehr Bürokratiekosten,
Verwaltungsaufwand und zur Einschränkung der Tarif-
autonomie führt.
Wir wollen im September antreten, und wir werden
im September gewinnen. Denn wir wollen Fortschritte in
der Gleichstellungspolitik.
Frau Kollegin.
Sie haben es schon mit Kanzler Schröder nicht ge-
schafft, der von „Familie und Gedöns“ sprach.
Wollen Sie jetzt mit Peer Steinbrück antreten, einem
Kandidaten, der – das ist mein letzter Satz – sagt: „Frau
Merkel ist beliebt, weil sie einen Frauenbonus hat“? Mit
dem können Sie antreten. Wir haben keine Angst.
Willi Brase hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Gustav Heinemann, der ehemalige Bundespräsi-dent, hat zur heutigen Thematik seinerzeit ausgeführt– ich zitiere –:Gleichberechtigung zielt darauf ab, dass Männerund Frauen unsere Gesellschaft in voller Gleich-wertigkeit dessen, was sie an körperlichen, geisti-gen und seelischen Verschiedenheiten einbringen,miteinander gestalten.Ich finde, damit hatte Gustav Heinemann sehr recht.
Schauen wir uns die Realität an, dann müssen wir,wie schon viele Vorredner dargestellt haben, einiges sehrkritisch zur Kenntnis nehmen. Wenn wir Zahlen aus derArbeitswelt betrachten, dann sehe ich wenig, was dieRegierung bzw. diese Koalition auf den Weg gebrachthat.
Die Lohnungleichheit ist sehr unterschiedlich. Bei un-gelernten Arbeiterinnen liegen die Frauen gegenüber denMännern um 8,3 Prozent im Minus, bei angelernten Ar-beiterinnen um 14,3 Prozent, bei Fachkräften um11,3 Prozent, bei höher qualifizierten Fachkräften um14,3 Prozent und bei Frauen in leitender Stelle um21,3 Prozent. Allein diese Zahlen zeigen, dass in denletzten dreieinhalb Jahren von dieser Koalition nichts bisgar nichts gemacht wurde, um dies zu verändern.
Wie kommt es eigentlich dazu, dass wir nach wie vordiese Lohnunterschiede haben? Hat das vielleicht auchetwas mit der Struktur der dualen Berufsausbildung zutun? Ist es nicht heute so, dass nur 40 Prozent der neuabgeschlossenen Ausbildungsverträge mit jungenFrauen abgeschlossen werden? 75,4 Prozent aller Aus-bildungsanfängerinnen sind in nur 25 Berufen zu finden.Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Verkäufe-rinnen, Arzthelferinnen, Lebensmittelverkäuferinnenusw. usf. Das sind alles Berufe, teilweise mit zweijähri-ger Ausbildung. In diesen Berufen sind nachher die Ver-dienstmöglichkeiten entsprechend schlechter und dieLohnunterschiede werden deutlich.Ich finde, hier muss sich etwas ändern. Geschlechter-sensibilität bei Lehrerinnen und Lehrern, aber auch beiden Eltern, was die Berufswahl angeht, ist wichtig. Des-halb begrüßen wir es, dass zumindest neun Bundeslän-der sich auf den Weg machen und versuchen, mit demneuen Übergangssystem hier eine wesentlich stärkereSpreizung zu erreichen und den jungen Mädchen auchmehr Chancen auf den Weg zu geben.
Wir können ein Stück weiter gehen und fragen – daswurde teilweise schon angesprochen –: Wo bleiben dennFrauen? Ist es nicht so, dass unsere Gesellschaft einStück weit davon lebt, dass die Frauen Arbeitsplätze ein-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28291
Willi Brase
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nehmen und Tätigkeiten ausführen, die schlechter be-wertet werden, dass sie ehrenamtlich tätig sind? Wennich nur den Bereich der Erziehung ansehe, muss ich fest-stellen: Es gibt heute noch Frauen, die haben ihre Kindergroßgezogen und dafür wenig oder nichts bekommen,und kaum sind die Kinder aus dem Haus, können dieFrauen ihre Eltern, ihre Schwiegereltern pflegen – einLeben lang mit wenig Unterstützung, mit wenig Geld.In dem Gutachten „Neue Wege – gleiche Chancen.Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensver-lauf“ wird zu den schlechteren Chancen von Frauen imVerhältnis zu Männern ausgeführt – ich zitiere –:Die vollzeitschulische Ausbildung in den personen-bezogenen Dienstleistungen zementiert mit unein-heitlichen Qualifikationsprofilen und fehlendenbundesweiten Standardisierungen den geringerenProfessionalisierungsgrad vieler typischer Frauen-berufe.Das haben wir zu ändern versucht. Bei der Pflegeausbil-dung hat damals das Bundesland Bayern das Bundes-verfassungsgericht angerufen: Zweijährige, teilweiseeinjährige Maßnahmen waren das Ziel. Die Professiona-lisierung und Aufwertung dieser Berufe wie auch derenbessere Bezahlung ist überfällig.
Frauen arbeiten mehr in personen- und dienstleis-tungsbezogenen Berufen. Diese Tätigkeiten werden we-sentlich schlechter bezahlt als Berufe, in denen Fachar-beiter mit Material, mit Maschinen arbeiten. – Ich sehebei der Koalition Nicken. Das ist schön. Aber was ist inden letzten dreieinhalb Jahren in diesem Verhältnis pas-siert? Es hat kaum bis gar keine Änderungen gegeben.Dort müssen wir einiges mehr auf den Weg bringen, sehrgeehrte Damen und Herren.
Wir wollen, dass an dieser Stelle stärker über die dualeAusbildung diskutiert und Entsprechendes auf den Weggebracht wird.Kollegin Ferner hat eben darauf hingewiesen, dass dieSPD dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert. Wieich vorhin bewusst Gustav Heinemann zitiert habe, sowill ich zum Abschluss meiner Rede noch August Bebelzitieren, der vor über 100 Jahren Folgendes in seinemwegweisenden und bahnbrechenden Buch Die Frau undder Sozialismus ausgeführt hat – ich zitiere –:Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und öko-nomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinemSchein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unter-worfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche ge-genüber und ist Herrin ihrer Geschicke.Wenn wir es daran messen, haben wir noch verdammtviel zu tun. Ich bin sicher, nach dem 22. September, inanderer Konstellation, wird uns das gelingen.Herzlichen Dank.
Nadine Schön hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unsere Debatte findet auch statt mit Blick aufden Weltfrauentag, der am Freitag kommender Woche,am 8. März, stattfinden wird. Ich finde, wir sollten andiesem Tag wenigstens eine Sekunde auch an die Frauenin der Welt denken, denen es nicht so gut geht wie uns,die ganz andere Probleme haben als die, über die wirheute zu Recht diskutieren. Wir sollten am Weltfrauen-tag auch an die Frauen in der Welt denken, die im Kriegleben, die Gewalt erfahren, die vergewaltigt werden, dieunter Hunger und Unterdrückung leiden. Der Weltfrau-entag ist nämlich nicht nur ein Tag für uns Frauen inDeutschland, sondern für alle Frauen auf der Welt.
Wir sind heute sehr auf uns selbst zentriert. Deshalbmöchte ich die Gelegenheit nutzen, um auch noch allden Frauen in Deutschland zu danken, die in den unter-schiedlichsten Verbänden und Berufen für die Gesell-schaft arbeiten und sich vor allem auch für Frauen ein-setzen. Auch die vielen Frauen, die sich ehrenamtlich fürFrauen einsetzen, sollten am Weltfrauentag nicht zu kurzkommen. Deshalb von dieser Stelle aus ein herzlichesDankeschön an diese Frauen!
Es ist in den Reden, denke ich, sehr deutlich gewor-den: Es gibt noch viele Probleme in unserem Land, esgibt noch viel zu tun. Wir haben noch Probleme in Be-zug auf die Lohnunterschiede zwischen Frauen undMännern und die Erwerbsbeteiligung von Frauen, in Be-zug auf Frauen in Führungspositionen, und uns eint dieÜberzeugung, dass wir noch viel tun müssen.Wenn ich Ihre Anträge lese, die sehr ausführlich sind,dann sehe ich, dass wir hinsichtlich des Weges in vielenPunkten übereinstimmen. Sie schlagen vieles vor, wasauch schon Teil unserer Regierungspolitik ist und wasSie auch im Koalitionsvertrag finden.
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28292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Nadine Schön
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Es ist schön, dass wir in einigen Punkten Überein-stimmung haben, aber wir müssen auch festhalten: Mitvielem, was Sie vorschlagen, springen Sie zu kurz, undbei vielen Dingen ignorieren Sie einfach die Realitäten.Fangen wir einmal beim Thema Entgeltungleichheitan: Abgesehen davon, dass Frau Bärbel Höhn von Bünd-nis 90/Die Grünen es scheinbar völlig okay findet, dasssie ihren Mitarbeitern 4 Euro pro Stunde bezahlt, wieman kürzlich in der Zeitung nachlesen konnte
– genau, das kann man in ihrer Stellenausschreibungnoch einmal nachlesen –,
muss ich Sie zu dem Entwurf für ein Entgeltgleichheits-gesetz, den Sie hier heute propagiert haben, fragen: Mei-nen Sie wirklich, dass man damit die Entgeltungleichheitin unserem Land beseitigt?
Für die, die das nicht wissen, will ich das noch einmalwiederholen: Bündnis 90/Die Grünen und SPD schlagenvor, dass in Deutschland zukünftig jedes Unternehmenab 15 Mitarbeitern eine Untersuchung durchführen, ei-nen Bericht erstellen und seine Gehaltsstrukturen offen-legen soll.
Das heißt, über 300 000 Unternehmen in Deutschlandmüssten Berichte anfertigen, die dann von der Antidis-kriminierungsstelle bewertet werden können.Meinen Sie wirklich, dass uns 300 000 Berichte wei-terbringen? Meinen Sie wirklich, dass die Antidiskrimi-nierungsstelle die richtige Stelle ist, um über diese300 000 Unternehmen zu urteilen und abschließend zuentscheiden, ob hier Lohnungleichheit vorherrscht odernicht?
In der Anhörung, die Sie ja eben angesprochen haben,haben selbst Ihre Sachverständigen gesagt: Die Antidis-kriminierungsstelle darf hier nicht das letzte Wort haben.Das müssen in Deutschland immer noch die Gerichteentscheiden. Viele Sachverständige haben auch gesagt:Die Bürokratie, diese Unwucht an Berichten und Über-prüfungen, steht wirklich in keinem Verhältnis zum An-spruch und dem an sich lobenswerten Ziel, das Sie ver-folgen. Das ist wirklich der falsche Weg.Ich darf hier eine Überschrift des Spiegels vom21. Januar 2013 bemühen. Dort stand: „Placebo-Politik“.Das ist wirklich Placebo-Politik!
Kollege Brase, Sie haben die Probleme sehr gut ge-schildert und auch die Ursachen benannt, auf den Ge-setzentwurf sind Sie aber gar nicht eingegangen. Des-halb würde mich einmal interessieren, ob alle in derSPD-Fraktion hinter dem Gesetzentwurf stehen.
Was zum Beispiel wirklich hilft, ist das Forschungs-projekt „Tarifverhandlungen und Equal Pay“. Vielleichtkennen Sie das nicht. Sie sagen, das Problem liege inden Ungleichgewichten zwischen den Frauen- und denMännerberufen. Deshalb muss man doch gerade bei denTarifparteien ansetzen, die diese Bewertung vornehmen.Deswegen ist das der richtige Ansatzpunkt. Hieraufmüssen wir den Fokus legen. Das sind die Verantwortli-chen, und die müssen wir auch in die Verantwortungnehmen.
Wir müssen Strukturen ändern. Ich denke, das habenmeine Vorrednerinnen schon sehr gut erwähnt. Mit Pla-cebos und Bürokratie kommen wir hier keinen Schrittweiter. Wir brauchen Programme für eine bessere Ver-einbarkeit von Familie und Beruf. Frau KolleginFischbach ist sehr gut darauf eingegangen, was wir imBereich der Kinderbetreuung getan haben.Wir brauchen Maßnahmen zur eigenen Altersvor-sorge von Frauen. Hier muss ich sagen:
Ab Juli gibt es die Möglichkeit – Sie haben das Betreu-ungsgeld angesprochen –, das Betreuungsgeld in eineRente zu investieren. Sie sagen zu der Frau, die auchdann noch für ihr Kind da sein möchte, wenn es 12 oder14 Monate alt ist und gerade laufen und sprechen lernt:Du hast in Bezug auf deine Rente halt Pech gehabt. Wirsagen: Du bekommst Geld, das du für deine Rente anle-gen kannst. Das hilft konkret gegen den Gender PensionGap.Das ist konkrete Politik und mehr als Lippenbekennt-nisse. Darauf sollten wir auch einen Fokus legen.
Christel Humme hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Liebe Frau Schröder, wenn es eines Beweises be-durft hätte, dass Gleichstellungspolitik in der Regierunggescheitert ist, dann war es Ihre Rede.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28293
Christel Humme
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Denn ich habe gehört, dass Sie erwarten, dass dann,wenn Ihre Kinder so weit sind, eine Verbesserung einge-treten sein wird: Das heißt: wenn Ihre Kinder und meineEnkelkinder so weit sind. – Ich sage Ihnen: Ich habekeine Lust mehr, so lange zu warten. Ich möchte jetztEntscheidungen, was ich bei Ihnen absolut vermisse.
Frau Pawelski, wie oft haben wir hier diskutiert, undwie oft haben Sie gesagt, die Zeit der Freiwilligkeit seivorbei? Da stimmen wir völlig überein. Wir haben dieErfahrung gemacht: Zwölf Jahre freiwillige Vereinba-rungen haben nicht einen einzigen Schritt nach vorn ge-bracht. Das ist Fakt; das können wir ablesen. Aber ge-rade weil auch Sie das Ende der Freiwilligkeit immereingefordert haben, wundere ich mich, dass Sie einenAntrag vorlegen, der wieder auf Freiwilligkeit fußt. Ichdenke, da haben Sie überhaupt nichts dazugelernt.
Wir wissen doch ganz genau: Wir müssen etwas tun,wir müssen die Strukturen verändern. Das schaffen wirdoch aber nicht mit Freiwilligkeit. Wir wissen doch, wa-rum Frauen benachteiligt sind: wegen der bestehendenRahmenbedingungen, wegen der bestehenden Gesetzeund natürlich auch wegen der bestehenden generellenStrukturen. Frau Laurischk, da nutzt es überhaupt nichts,zu sagen: Die Männer müssen sich ändern; sie müssensich auch der Teilzeitbeschäftigung widmen. – Das wer-den Sie auf freiwilliger Basis nicht hinbekommen. Wa-rum sollte ein Mann freiwillig seine Macht abgeben?
Das wird er nicht tun, weil er wie die Frau Angst hat, ei-nen Karriereknick zu erleben, wenn wir die Strukturennicht ändern.
Der schlimmste Fehler, den Sie, Frau Schröder, ge-macht haben, ist, dass Sie den Gleichstellungsberichtnoch nicht einmal entgegengenommen haben. Dafür ha-ben Sie Herrn Kues geschickt.
Sie haben ihn auch nicht gelesen
und ihn in der untersten Schublade versenkt. Wenn Siedie Empfehlungen gelesen hätten, wären Sie sicherlichzu einem ganz anderen Antrag gekommen als zu dem,den Sie jetzt vorlegen.Der Bericht zeigt uns doch ganz klar auf, wo es Be-nachteiligungen gibt. Dort heißt es: Frauen tragen im Le-bensverlauf größere Risiken als die Männer. Bei Tren-nung, Scheidung oder bei Tod des Partners ist ihr Risiko,arm zu werden, am größten. Die Frauen, die heute imRentenalter sind, haben im Lebensverlauf durchschnitt-lich 58 Prozent weniger verdient als die Männer, und sieerhalten heute 48 Prozent dessen, was die Männer durch-schnittlich an Rente beziehen. – Wenn Sie diese Lebens-laufperspektive aus dem Gleichstellungsbericht ange-nommen hätten, dann hätten Sie sich sicherlich gefragt,was Sie tun und nicht nur fordern müssen, und dann hät-ten Sie einen Antrag gestellt, mit dem diese bestehendenUngerechtigkeiten endlich beseitigt werden. Aber Sie le-gen die Hände in den Schoß und glauben, es bewege sichfreiwillig etwas.Es wundert nicht, dass in Ihrem Antrag ein konkretesLeitbild zur Gleichstellung fehlt. Uns ist doch klar:Echte Gleichstellung gibt es nur dann, wenn Männer undFrauen die gleichen Chancen haben, eine Arbeit aufzu-nehmen und für ihre Existenz zu sorgen. Niemand darfin eine bestimmte Rolle gedrängt werden. Hätten Siedieses Leitbild des Berichts angenommen, dann hättenSie den Nerv der 80 Prozent Frauen getroffen, die Berufund Familie in Einklang bringen wollen und dann hättenSie auch den Nerv der Männer, die sich mehr um Familiekümmern wollen, getroffen. Aber das haben Sie nichtgetan.
Wir haben ja schon öfter über Ihre Analyse gespro-chen. Sogar Sie stellen fest, die größte Ungerechtigkeitsei, dass sich Frauen in der Teilzeitfalle befinden undschlechter bezahlt werden als Männer. Aber es gibt keineLösung.Heute hat der Bundesrat den flächendeckenden ge-setzlichen Mindestlohn beschlossen,
und zwar auf Antrag von SPD und Grünen.
– Das Saarland hat zugestimmt. – Wenn Sie das wirklichwollen, Frau Fischbach, wenn Sie es ernst meinen mitder Gleichstellung, dann können Sie dem flächende-ckenden gesetzlichen Mindestlohn nur zustimmen, weilder dafür sorgt, dass die Lohnlücke für Frauen geringerwird, und darum geht es uns. Das wäre ein erster Schritt.
– Es nutzt gar nichts, dass Sie mich jetzt anschreien.Stimmen Sie im Bundestag der Einführung des flä-chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu! Das wäreein Beitrag zur Gleichstellung. Schauen Sie, dass Sie inder Gleichstellung etwas umsetzen, wie wir es in unse-rem Antrag dargestellt haben. Aber ich glaube, für dieUmsetzung von Gleichstellung ist Schwarz-Gelb einfachzu schwach.Danke schön.
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28294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
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Jetzt hat für die Fraktion der CDU/CSU Rita Pawelski
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!… es ist bestürzend, dass Deutschland EU-weit zuden Ländern mit den größten Vergütungsunter-schieden zwischen Männern und Frauen zählt. An-gesichts des internationalen Wettbewerbs um Fach-kräfte können wir es uns als Standort Deutschlandnicht erlauben, die Hälfte der Leistungsträger unse-rer Gesellschaft aufgrund ihres Geschlechts abzu-werten. Frauen und Männer müssen die gleichenChancen auf Anerkennung ihrer Leistungen erhal-ten und auch gleiche Perspektiven.
Dieses Zitat stammt nicht etwa von einer Frauenrechtle-rin oder den üblichen Verdächtigen in Sachen Gleichstel-lung, Frauenquote oder gleiche Bezahlung. Nein, diesesProblembewusstsein hat Thomas Sattelberger bewiesen.Er war bis vor einigen Monaten immerhin Manager ei-nes DAX-Unternehmens, nämlich der Deutschen Tele-kom.Dieses Zitat zeigt: Gleiche Bezahlung für gleichwer-tige Arbeit ist kein gleichstellungspolitisches Gedöns. Esgeht dabei vielmehr um knallharte Wirtschaftsinteressen.Es geht darum, dass Unternehmen in Zeiten von demo-grafischem Wandel und Fachkräftemangel attraktiv fürfähige und motivierte Mitarbeiter sind. Es geht um un-sere Wettbewerbsfähigkeit. Es geht um die Zukunft un-seres Landes. Das sollte mittlerweile in den Chefetagenangekommen sein. Deshalb – das sage ich hier ganz ehr-lich – kann ich es nicht verstehen, dass wir uns heute im-mer noch über Gehaltsunterschiede von Männern undFrauen unterhalten, trotz Equal Pay Day, trotz Lohntest-verfahren Logib-D, trotz der Vereinbarung der Spitzen-verbände der Wirtschaft von 2001 auf Chancengleich-heit in der Privatwirtschaft.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, jetztkomme ich zu Ihnen. Damals, 2001, haben Sie regiert.
Die einzige große frauenpolitische Tat in der Schröder-Zeit zwischen 1998 und 2005 war, dass Sie versucht ha-ben, der Schröder-Regierung einen frauenpolitischenStempel aufzudrücken, indem Sie beantragt haben, dassFrauen in Führungspositionen stärker berücksichtigtwerden sollen.
Sie haben sich aber von Schröder in den Senkel stellenlassen und wurden so klein. Das Elterngeld haben Sieangekündigt. Wir haben es unter der Merkel-Regierungumgesetzt. Wir haben doch erst die frauenpolitischenMaßnahmen durchgeführt,
die Sie angedacht und angekündigt haben.
Aber Sie hatten keinen Mumm, sie umzusetzen. Das sinddoch die Fakten.
Unter Schröder gab es hier in Deutschland doch einfamilien- und frauenpolitisches Loch. Da war doch garnichts. Der Macho vor dem Herrn hat Sie doch als Ge-döns beiseitegestellt. Da fand nichts statt. Darum findeich es ein bisschen vermessen, dass Sie, die Sie jetzt hierauf den Bänken der Opposition sitzen, dicke Backen ma-chen.
Sie werfen uns und der Ministerin vor, es sei nichtspassiert. Alles, was im Bereich Betreuung umgesetztwurde, wurde jetzt umgesetzt.
Alles, was wir in Sachen „Frauen in Führungspositio-nen“ erreicht haben, ist in den letzten Jahren passiert.Zwischen 2001 und 2010 gab es eine Frau in den Vor-ständen der DAX-Unternehmen
– ich beantworte keine Zwischenfragen; ich habe zu we-nig Zeit –;
jetzt gibt es dort 15 Frauen. Das haben wir erreicht – ichmuss sagen: gemeinsam –, indem wir Druck gemachthaben. Ich gebe ehrlich zu: Das reicht mir nicht. Aber:Statt einer Frau 15 Frauen, das ist ein Erfolg.
Wie es auch sei: Dass in Deutschland Frauen wenigerals Männer verdienen, ist ein Skandal. Das sage ich ganzdeutlich. Egal ob 25 Prozent, 22 Prozent, 11 Prozentoder 2 Prozent – jede Lücke ist eine Ohrfeige für dieFrauen, jede Lücke ist eine Ohrfeige für die Gleichbe-rechtigung. Dieser Missstand hat natürlich auch etwasdamit zu tun, dass Mädchen immer noch die falschenBerufe ergreifen. Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen, ich mache seit über 20 Jahren Frauenpolitik. Inso-fern kenne ich die beliebtesten Berufe der Mädchen.Diese haben sich in den vergangenen 20 Jahren leidernicht geändert. Das ist immer noch die Verkäuferin, die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28295
Rita Pawelski
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MTA, die Friseurin usw. Das sind die Berufe, die Mäd-chen bzw. Frauen gerne ergreifen, obwohl man weiß,dass diese Berufe schlecht bezahlt werden. – Liebe Mäd-chen, sucht euch bitte auch einmal andere Jobs! WähltMännerberufe!
Es bringt euch nicht weiter, wenn ihr nur reine Frauenbe-rufe wählt.Natürlich müssen wir auch zusehen, dass diese Berufebesser bezahlt werden. Ich sage aber ganz deutlich, dassdas nicht Sache der Politik ist. Das ist Sache der Tarif-partner. Diese haben in erster Linie dafür Sorge zu tra-gen, dass sich die Rahmenbedingungen ändern. Tarifver-träge wie die in Sachsen mit einem Stundenlohn einerFriseurin von 3,60 Euro haben nicht wir, die Politik, ab-geschlossen; das waren die Tarifpartner. Wir appellierenan sie, hier endlich mehr zu tun.
Frau Kollegin!
Darf ich noch einen Satz sagen? – Wir haben schon
oft über Frauen in Führungspositionen geredet. Es wun-
dert mich sehr, dass es gerade in diesem Bereich die
größten Gehaltsunterschiede gibt. Frauen in Führungs-
positionen bekommen 30 Prozent weniger Gehalt als
ihre männlichen Kollegen.
Frau Kollegin!
Aufgrund dieser Tatsache müsste es doch eigentlich
viel mehr Frauen auf dieser Ebene geben, weil das doch
ein großer Vorteil für die Unternehmen ist.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Peter Tauber das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!Meine Herren! Liebe Kollegen und vor allem liebe Kol-leginnen! Man muss in der Tat festhalten: Hier sitzenviele – vor allem Kolleginnen –, die sich schon seit vie-len Jahren engagiert um das Thema Gleichstellung küm-mern. Diesen Kolleginnen und vielleicht auch dem einenoder anderen Kollegen, der sich des Themas angenom-men hat, gilt ein ordentliches Dankeschön.
– Immerhin lässt meine Fraktion mich reden, Frau Kol-legin. Das ist schon einmal ein großer Vertrauensbeweis.Dem versuche ich nun auch gerecht zu werden.Die Wahrheit ist aber auch, dass viele, die sich in denvergangenen Jahren und vielleicht sogar Jahrzehntensehr engagiert darum gekümmert haben, nicht immer dieAufmerksamkeit für ihr Thema gefunden haben, die siesich selbst gewünscht haben. Auch das muss man fest-stellen.
Wenn ich mir die Gleichstellungspolitikerinnen undGleichstellungspolitiker von Rot-Grün anschaue, habeich ehrlich gesagt den Eindruck, dass diese erst seit dreiJahren so richtig aufblühen bei der Frage, was man allesmachen könnte, was alles notwendig wäre – vielleichtauch deshalb, weil das zuvor nicht so umgesetzt werdenkonnte – lassen Sie es mich ein bisschen zurückhaltendformulieren –, wie sie es sich vorgestellt haben. An die-ser Stelle ist es vielleicht angebracht, an Max Weber zuerinnern. Max Weber hat den wunderschönen Satz ge-prägt von den dicken Brettern, die man in der Politikbohren muss. Wir stellen auch bei diesem Thema fest,dass es dicke Bretter sind, die es zu bohren gilt.Ich sage aber – das ist ein freundschaftlich gemeinterRat, den ich Ihnen als letzter Redner in dieser Debattegern mitgeben möchte –: Seien Sie vorsichtig mit voll-mundigen Ankündigungen!
Die Kollegin Pawelski hat es Ihnen bereits zugerufen.Sie haben einmal einen Kanzler gestellt, der dieses Poli-tikfeld als „Gedöns“ abqualifiziert hat.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es im September fürRot-Grün reicht – da sind wir alle entspannt –, ist janicht sehr groß.
Die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegenhaben aber einen Kanzlerkandidaten nominiert, der sehrklar formuliert hat, was er von Entgeltgleichheit mitBlick auf die Kanzlerin hält. Er hat nämlich gesagt, ei-gentlich verdiene die Kanzlerin im Vergleich zu ihm,wenn er einmal Kanzler sei, viel zu wenig. Das ist einVerständnis von Entgeltgleichheit, das sehr spannend ist.
Insofern seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie jetzt voll-mundig ankündigen! Sie müssen das erst einmal umset-
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28296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Dr. Peter Tauber
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zen. Den Beweis, dass Sie das umsetzen, sind Sie in derVergangenheit schuldig geblieben.Kommen wir einmal zu zwei, drei Aspekten, die inder Tat wichtig sind.
Wir haben über die gestiegene Erwerbstätigenquote derFrauen gesprochen und sind schon auf das Problem ein-gegangen, dass Frauen dennoch nicht Jobs haben, diedazu führen, dass sich die Gehaltslücke schließt. Die Ge-haltsunterschiede betragen 22 Prozent in absoluten Zah-len und 8 Prozent bei vergleichbarer Qualifikation undTätigkeit.In Ihrem Antrag steht auch wieder der Mindestlohn;er ist ja Ihr Allheilmittel gegen alles. Die Wahrheit istaber, dass die Hans-Böckler-Stiftung herausgefundenhat, dass bei den vollzeitbeschäftigten hochqualifiziertenjungen Frauen die Gehaltslücke zu den Herren derSchöpfung am größten ist.
Der Mindestlohn ist doch keine Antwort auf diese Fest-stellung.
Da ist es wieder, das reflexartige Festbeißen am Min-destlohn.
– Auch durch Ihre Zwischenrufe wird es nicht richtiger.Ich versuche einfach, darüber hinwegzureden. Das istaber nicht ganz leicht angesichts Ihrer Lautstärke. – DerMindestlohn ist hier keine Antwort.
Es ist zunächst einmal gut, wenn die Erwerbstätigen-quote der Frauen steigt. Was wäre denn die Alternative?Dass sie nicht erwerbstätig sind?Wir müssen uns auch fragen, was wir vorschreiben,und berücksichtigen, dass die Prozesse lange dauern.Das Elterngeld, das hier genannt wurde, ist ein gutesBeispiel dafür. Es war von Anfang an klar, dass es nichtvon heute auf morgen dazu führt,
dass alle jungen Väter völlig begeistert sagen: Hurra,auch ich nehme Elternzeit. – Es war völlig klar, dass dieerste Vätergeneration, die das Elterngeld nutzt, sich un-gerechtfertigterweise den einen oder anderen dummenSpruch hat anhören müssen. Inzwischen ist das Alltagund Selbstverständlichkeit. Deswegen kann man Im-pulse setzen. Aber man sollte aufhören, den Leuten zusuggerieren: Wir beschließen etwas, und die Welt ändertsich von einem auf den anderen Tag.
Unsere Gesellschaft ist so nicht. Sie ist vielschichtigerund vielfältiger.Es ist gut, wenn die Kolleginnen, die sich schon langemit diesem Thema beschäftigen, nicht nur am Rand vonDebattenstunden am Donnerstag spätabends streiten,sondern auch einmal am Freitag, wenn die Sonnescheint. Es ist gut, wenn wir uns alle vornehmen, dassdas Thema auf der Agenda bleibt. Aber zu glauben, dassdie Welt von heute auf morgen durch das Umlegen einesHebels bunt und gut wird, ist erschreckend naiv.
Ganz ehrlich: Mit Ihrer Leistungsbilanz aus Ihren Regie-rungsjahren ist das auch nicht belegbar.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist verabredet, die Vorlagen auf den
Drucksachen 17/12483, 17/12487 und 17/12497 an die
Ausschüsse zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung
finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 39 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Dr. Bärbel Kofler, Dirk Becker, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zukunft des „Energie- und Klimafonds“ und
der durch ihn finanzierten Programme
– Drucksachen 17/10088, 17/10815 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler
Verabredet ist es, eine Dreiviertelstunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist auch
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Volkmar Klein hat jetzt
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich habe schon ein bisschen Zwei-fel, ob es uns wirklich weiterbringt, heute über den An-trag der SPD zur Zukunft des Energie- und Klimafondszu reden. Es ist zwar immer schön, wenn sich die Oppo-sition über den Erfolg der Regierung Gedanken machtund wenn uns die Opposition kritisch begleitet – dasmacht ihr gut, das ist auch die Aufgabe der Opposition;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013 28297
Volkmar Klein
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ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Aufgabe auchwieder so zugeteilt wird –; aber wir als Koalition habenweitgesteckte Ziele: energetische Gebäudesanierung,Forschung, weitere Markteinführung erneuerbarer Ener-gien, Schub bei den Speichertechnologien durch Unter-stützung der E-Mobilität, internationale Verantwortung.Dafür ist der Energie- und Klimafonds die richtige undintelligente Institution. Das hat auch die jüngste Anhö-rung zum EKF im Juni vor anderthalb Jahren bestätigt.
Die Einnahmen aus dem Emissionshandel komplettfür Klima und Umwelt einzusetzen, ist einzigartig in Eu-ropa. Das ist eigentlich schon ein Stück Wegweisung.Dieses Sondervermögen bietet Transparenz und ver-pflichtet auch zur ressortübergreifenden Kooperation;das ist nicht selbstverständlich. Es besteht die Möglich-keit, bei schwankenden Einnahmen Aufgaben kontinu-ierlich zu finanzieren. Das macht die Möglichkeit, überRücklagen Ausgleiche zu schaffen, gerade interessant.Klar: In der aktuellen Situation sind Sorgen sehr be-rechtigt. Die Preise für Zertifikate sind deutlich niedri-ger, weil die Nachfrage nach ihnen deutlich niedriger istals ursprünglich erwartet.
Man kann natürlich auch sagen: Das ist ein Stück weitein Erfolg unserer Umweltpolitik.
Wenn weniger Verschmutzungszertifikate gebrauchtwerden, dann liegen die Gründe in Deutschland, wo dieWirtschaft gut läuft, offensichtlich im Erfolg der Um-weltpolitik. Leider gibt es einen zweiten Grund für diezurückgehende Nachfrage nach Zertifikaten, nämlich dieWirtschaftskrise in den anderen europäischen Ländern.Das ist ein ernstes Problem. Wir beobachten das mit gro-ßer Sorge.Wenn sich aber die Opposition wirklich Sorgen umdie Finanzierung des Energie- und Klimafonds machenwürde, dann hätte sie Ende 2012 nicht die steuerlicheFörderung von energetischen Sanierungsmaßnahmenverhindern dürfen.
Denn da es nicht zu einer steuerlichen Förderung ge-kommen ist, müssen wir jetzt zusätzlich 300 MillionenEuro aus diesem Fonds mobilisieren, der zugegebener-maßen knapp finanziert ist. Das passt doch nicht zusam-men: Das eine wird verhindert, und dann wird beklagt,dass zu wenig Geld im EKF sei.
Der Verdacht, dass es eher um Show als um Faktengeht,
wird an einer anderen Stelle noch ein bisschen unter-mauert: In 18 teilweise sehr detaillierten Einzelpunktendieses Antrags
werden die internationale Verantwortung sowie dieKlima- und Umweltpolitik gerade noch zweimal er-wähnt, aber nur einmal überhaupt vernünftig aufgegrif-fen. Da fragt man sich doch, ob das nicht eine sehr großeUnausgewogenheit ist und ob niemand aus dem Bereichder Entwicklungszusammenarbeit in den Reihen derSPD-Fraktion einmal drübergucken durfte. Dort wirdständig – ich denke, viel zu häufig – von der ODA-Quote geredet, wobei wir insgesamt mehr über Wirkungund weniger über Geldausgeben reden sollten. BeimEKF wäre dieses Thema nun einmal wirklich angebrachtgewesen. Aber von diesem Thema steht keine einzigeSilbe in diesem umfangreichen, detaillierten Antrag. Vordiesem Hintergrund halte ich es schon für berechtigt, zusagen: Der Antrag ist völlig unausgewogen. Sie sind nuran Show interessiert und nicht daran, etwas zu bewegen.
Da wir schon beim Thema ODA sind: Es wäre für unssehr verlockend, zu sagen: Lasst uns doch den Fondsauflösen und das Geld auf die Einzelpläne verteilen. –Der Einzelplan 23, der Haushalt des Entwicklungshilfe-ministeriums, wächst ruckzuck auf. Alle belobigen uns.Aber am Ende wird nichts für die Länder erreicht, umdie es uns geht. Eine solche Show wollen wir nicht. Wirsind an der Sache interessiert und eben nicht an einerShow.
Heute ist es an sich viel zu früh, über den EKF ab-schließend zu urteilen und seine Finanzierungsmöglich-keiten dauerhaft zu bewerten. Wir setzen darauf, dass dieEuro-Politik der Bundeskanzlerin greift und dass dieWirtschaft in den anderen Ländern wieder in Gangkommt. Das wird dann zu einer erhöhten Nachfragenach Zertifikaten und auch zu steigenden Preisen führen.In der jetzigen Situation ein abschließendes Urteil abzu-geben, ist von der Sache her nicht korrekt.Wir sind weiterhin daran interessiert, Wirkung zu er-zielen, anstatt eine Show abzuziehen. Wir wollen in derUmweltpolitik und in der Klimapolitik Wirkung erzie-len, in Deutschland, aber, meine Damen und Herren,auch über Deutschland hinaus. Dafür wird der EKF wei-terhin eine vernünftige Grundlage bieten.Herzlichen Dank.
Der Kollege Uwe Beckmeyer hat das Wort für dieFraktion der SPD.
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28298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Klein, es ist schön, dass Sie unseren Antraggelesen haben, anscheinend aber nur sehr flüchtig. DieBehauptung, wir hätten die internationalen Verpflichtun-gen nicht aufgegriffen, trifft nicht zu. In unserem Antragsteht das deutlich drin, und zwar auf Seite 3; ich will Ih-nen das nicht vorlesen. Insofern haben Sie da ein biss-chen Schaum geschlagen.Worum geht es hier? Mit unserem Antrag vom26. Juni 2012 haben wir Sie, die Bundesregierung unddie sie tragenden Koalitionsfraktionen, darauf aufmerk-sam gemacht, dass die Zukunft des Energie- und Klima-fonds unseres Erachtens arg gefährdet ist. Mitte 2012waren Sie wahrscheinlich noch auf dem Dampfer, zu sa-gen: Wir müssen erst einmal warten; wir brauchen Zeit.Weshalb ist der Energie- und Klimafonds eigentlicheingerichtet worden? Haben Sie einmal geschaut, wasim Gesetz steht? Seine Funktion ist es, zusätzliche Aus-gaben zuverlässig und bedarfsgerecht zu finanzieren.Das ist Kern des Gesetzes, das Sie beschlossen haben. Essoll zur Verfügung in den Jahren 2011, 2012, 2013 undfolgende eine zuverlässige Finanzierung ermöglichen.Was haben Sie erreicht? – Dieses Gesetz floppt auf gan-zer Linie.
Dieses Gesetz ist bei der Finanzierung eines HerzstücksIhrer Klimapolitik in Deutschland unzuverlässig.Nehmen wir einmal das Thema Elektromobilität. Damachte die Frau Bundeskanzlerin – Sie sprachen geradevon „Show“ – eine Riesenveranstaltung im Herzen die-ser Stadt, mit Unterstützung der großen deutschen Auto-mobilunternehmen, und es wurde die Aussage getroffen,dass in dieser Legislaturperiode 1 Milliarde Euro zusätz-lich bereitgestellt werden solle, um die Elektromobilitätvoranzubringen. „Wir haben das Ziel, Leitmarkt fürElektromobilität zu werden“, so die Kanzlerin. Bis 2020,so die Ankündigung, sollen 1 Million Elektromobile aufunseren Straßen fahren. Wir sind Lichtjahre davon ent-fernt.
Denn inzwischen ist klar, dass in dieser Legislatur-periode weder das Ziel, 1 Milliarde Euro zusätzlich be-reitzustellen, noch das Ziel, 1 Million Elektromobile aufdie Straße zu bringen, erreicht wird. Von diesen Zielenhat sich die Bundesregierung inklusive der Kanzlerin imOktober letzten Jahres auch recht leise entfernt.Viele andere Projekte, die im Zusammenhang mitdem Energie- und Klimafonds vorgesehen waren, sindnotleidend. Sie haben 2012 einen Bewirtschaftungser-lass des Bundesfinanzministeriums erhalten; ich denke,er liegt Ihnen vor. Auf den Erlass für 2013 warten wirnoch, weil es in der Bundesregierung Streit darüber gibt,wie er ausgestaltet werden sollte. Im Erlass für 2012wurde klargemacht: Es wird nur das ausgegeben, waseingenommen wird. Diverse wichtige Projekte im Rah-men des Energie- und Klimafonds sind überhaupt nichtmehr in Angriff genommen worden; sie sind unter denTisch gefallen. Man hat nichts mehr getan.Wenn man auf den Internetseiten des BMF nach In-formationen zu diesem Thema sucht, dann stellt manfest: Nur eine schmale Seite ist noch vorhanden; alle an-deren wurden getilgt. Man findet sie auch über die Suchenicht mehr; sie sind weg. Warum eigentlich? SchämenSie sich Ihrer Politik, weil sie nicht finanziert ist? Sie ha-ben den Fehler gemacht, und dieser Bundesfinanzminis-ter – inklusive seiner Kollegen – hat ein Projekt mit demVersprechen gegenüber Deutschland und der deutschenIndustrie aufgelegt, dass eine zuverlässige Finanzierunggegeben ist. Diese zuverlässige Finanzierung ist jedochnicht gegeben.Wir haben hier die Bildung eines Attrappenfonds, derin diesem Jahr – 2013 – auf 2 Milliarden Euro angelegtist. Inzwischen gibt es Erkenntnisse, sogar schriftlich be-stätigt von der Bundesregierung, dass man vielleicht mit1 Milliarde Euro rechnen kann. Ich frage die Damen undHerren der Bundesregierung, die hier anwesend sind– Minister sind nicht mehr da, weil das kein wichtigesThema ist –, wie denn überhaupt diese Milliarde ver-plant ist. Ist sie schon durch Vorbelastungen aus den Jah-ren 2011 und 2012 vergeben? Wenn das der Fall ist– und es deutet einiges darauf hin –,
– 1 Milliarde –, heißt das doch, dass Sie 2013 gar keineneuen Projekte mehr anfangen können.
Was heißt das eigentlich für die Elektromobilität und dieanderen Schaufensterprojekte Deutschlands, die Siestark reduziert haben? Keines dieser Schaufensterpro-jekte ist durch die Bundesregierung seriös finanziert –wegen Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Sie habenhier einen Popanz Potemkin’scher Art aufgebaut in einerGrößenordnung von 2 Milliarden Euro. Alle Politikeraus den Fachausschüssen wurden beruhigt und auf denEnergie- und Klimafonds beim Finanzminister verwie-sen. Deshalb solle man in den Fachausschüssen nicht da-rüber reden. Aber am Ende des Tages ist dieser Finanz-minister nicht in der Lage, die Dotation einigermaßensicherzustellen. Das ist ein Skandal sondergleichen,
weil uns dieser Finanzminister an der Nase herumführt.Dieses Finanzministerium – und damit auch diese Bun-desregierung und diese Bundeskanzlerin – erklärt derdeutschen Öffentlichkeit etwas anderes, als es tatsäch-lich tut. Insofern meine ich, dass klar und deutlich gesagtwerden muss, dass wir bei der Energie- und Klimapolitikmitten im Tal der Tränen angekommen sind.Sie sind verantwortlich für das Desaster, in dem wirmomentan mit all diesen Projekten stecken. Das istnichts, was man bis zum Wahltag in irgendeiner Form
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Uwe Beckmeyer
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verstecken kann. Das scheint ja Ihre Methode zu sein:Wollen wir einmal abwarten. – Ich glaube, Sie müssendas jetzt wirklich öffentlich kundtun, damit das einmalbilanziert werden kann. Ich habe Hinweise – wir werdenweiter danach fragen –, dass alles, was Sie momentanausweisen können, beileibe nicht ausreicht, um wesentli-che Projekte dieses Energie- und Klimafonds in irgend-einer Form zu beginnen und auskömmlich zu finanzie-ren.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Ener-gie- und Klimapolitik ist auch in diesem Bereich totalgescheitert und hat eigentlich eine Sechs verdient.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Florian
Toncar das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Es gibt gute Gründe, den von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag heute abzulehnen.Es gibt formelle Gründe. Der Antrag, den Sie vorle-gen, ist teilweise veraltet, Kollege Beckmeyer. Wenn Sieden vor Ihrer Rede noch einmal durchgelesen hätten,hätten Sie das auch gesehen. Er nimmt Bezug auf denHaushalt 2012. 2012 ist vorbei. Wenn die Regierung hiernoch etwas machen soll, verlangen Sie von der Regie-rung etwas, was schlichtweg unmöglich ist.
Auch das, was mit Blick auf 2013 da gefordert wird, istnicht mehr aktuell. Letzten Endes hätte man das nichtheute, sondern noch im letzten Jahr beraten müssen.Der Antrag ist aber auch inhaltlich wenig glaubwür-dig, genauso wie ich das, was Sie, Kollege Beckmeyer,hier an Rhetorik gewählt haben, etwas schrill fand. ZuBeginn des Antrags steht der Satz: „Die Bundesregie-rung gefährdet die Energiewende in Deutschland“.
Dann kommt eine Kaskade von Katastrophenrhetorik;ich persönlich glaube, dass die Bürger diese Art vonpolitischer Kommunikation, diese totale Übertreibung,mittlerweile leid sind. Das bezieht sich auch auf das, wasSie hier und heute geboten haben.
Man muss ganz klar sagen, dass die Fragen, die dasProjekt Energiewende betreffen, also nicht nur: „Willman raus aus einer Technologie wie der Kernkraft?“,sondern auch: „Wo kommen die Alternativen her, undwie kommen die Alternativen dorthin, wo Menschenwohnen, wo sich industrielle Zentren befinden?“, unterRot-Grün nicht wirklich gelöst worden sind,
auch nicht unter Schwarz-Rot angegangen wurden. Viel-mehr wurde das Problem, wo der Strom herkommensoll, wenn wir Kernkraft nicht wollen, erstmals und sys-tematisch in dieser Legislaturperiode angegangen.
Da war bei Ihnen totale Fehlanzeige. Ich glaube, dassdas auch einmal gesagt werden muss.Sie meckern an Vorhaben rum, die wir erstmals syste-matisch angegangen sind. Das ist der unglaubwürdigeTeil Ihrer Rede.
Auch wenn man anderswo beobachtet, wie sich die Op-position beim Thema Energiewende verhält, dann mussman doch die Schlussfolgerung ziehen: Letzten Endessind Sie das Problem.
Ich nenne als Beispiel die energetische Gebäudesanie-rung, die Sie auch in Ihrem Antrag erwähnen. Sie spieltbei Ihren drei Forderungen in Bezug auf den Energie-und Klimafonds, über den wir heute sprechen, eineRolle. Das größte Förderprogramm für energetische Ge-bäudesanierung hätte die Umsetzung des Vorschlags un-serer Regierung, Bürgern, die sich überlegen, ihr Eigen-heim zu renovieren, die sich fragen, ob es sich lohnt,energetisch zu sanieren, eine steuerliche Förderung zugewähren, mit sich gebracht.
Das hätte dem Handwerk geholfen, das hätte der Um-welt geholfen, das hätte eine Menge gebracht. 1,5 Mil-liarden Euro im Jahr waren vorgesehen, also fast so viel,wie im ganzen Fonds drin ist, weit mehr, als der Fondsfür die energetische Gebäudesanierung tun kann. Aberwas ist passiert? Das muss man der deutschen Öffent-lichkeit einmal sagen: Es waren Frau Kraft und HerrKretschmann, es waren Sozialdemokraten und Grüne,die dieses sinnvolle Programm kaputtgemacht haben.
Dafür tragen Sie die Verantwortung.
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Dr. Florian Toncar
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Von daher: Legen Sie nicht solche Anträge vor, sondernsehen Sie zu, dass Sie sich dort, wo Sie Verantwortungtragen, vernünftig abstimmen.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel dafür nennen, wa-rum Rot-Grün ein Problem für die Umsetzung der Ener-giewende darstellt.
Es gibt eine unglaublich hohe Subventionierung vonTeilbereichen der erneuerbaren Energien, mit tollen Ren-diten für Investoren, finanziert von den Verbraucherin-nen und Verbrauchern, den privaten Haushalten genausowie von Handwerk und Gewerbe.
Wer ist es denn, der seit über zwei Jahren sagt: „Wirwollen die Verbraucher nicht entlasten“? Das sind wie-der Frau Kraft und Herr Kretschmann, das sind Sozial-demokraten und Grüne im Bundesrat. Ich finde, auchhier muss sich etwas tun; denn die Rechnung dafür wer-den am Ende die Verbraucher zahlen. Auch das werdenwir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Wir haben – das ist richtig – im Zuge der Energie-wende ein neues Instrument eingeführt, nämlich denEnergie- und Klimafonds. Durch diesen Fonds alleinewerden wir die Energiewende nicht bewerkstelligenkönnen. Er soll aber ergänzend Projekte finanzieren, dieden Übergang erleichtern. Dieser Fonds ist neu, es hatihn früher nicht gegeben, auch zu Ihrer Regierungszeitnicht.
Zum Teil wurden Programme übernommen, die es vor-her schon gab, zum Teil wurden aber auch zusätzlicheMaßnahmen finanziert. Das ist die Wahrheit.
Der Fonds wird überwiegend aus Einnahmen aus denZertifikaterlösen gespeist, also durch das Geld, das dieIndustrie für Zertifikate zahlen muss. In vielen LändernEuropas – das wissen Sie sicherlich – fließen diese Ein-nahmen nicht in einen Fonds zur Umsetzung der Ener-giewende oder zur Förderung des Klimaschutzes, son-dern sie gehen direkt in den Haushalt oder an denFinanzminister. Deutschland hat hier vorbildlich gehan-delt,
indem wir gesagt haben: Die Gelder, die eingenommenwerden, werden wieder zweckgebunden ausgegeben, umein sinnvolles Ziel voranzubringen. Das machen vieleandere europäische Länder nicht. Auch das muss manhier einmal klarstellen.
Dieses Argument der Zweckbindung spricht für denFonds, auch wenn der Fonds derzeit ein Einnahmeprob-lem.
Aber das hat – das wissen Sie – mit den Zertifikateprei-sen zu tun.Nun kann man darüber diskutieren, wie das Problemmit den Einnahmen zu lösen ist. Natürlich kann man sa-gen: Die Einnahmen sind niedriger, also verknappen wirdie Zertifikate. Was wir zurzeit erleben, ist aber docheher ein Beispiel dafür, dass der Emissionshandel funk-tioniert. Wenn Sie nun Zertifikate vom Markt nehmen,dann bestrafen Sie die Unternehmen, die in Energieein-sparung investiert haben, doppelt. Sie profitieren nichtdavon; ihre Investition rentiert sich nicht mehr. WennSie das einmal machen, kann das funktionieren. Aberspätestens wenn man das einmal gemacht hat, wirdkaum noch ein Unternehmen bereit sein, in weitereEnergieeinsparmaßnahmen, die ja Geld kosten, zu inves-tieren, weil der daraus entstandene wirtschaftliche Vor-teil ja auf diese Weise wieder abgeschöpft wird.
Deshalb bestreite ich auch, dass eine Verknappung vonZertifikaten am Ende die ökologischen Wirkungen ha-ben wird, die Sie sich davon versprechen. Das kostetGeld, es zerstört Vertrauen; aber die Umwelt bringt esam Ende nicht weiter.
Deswegen müssen wir prüfen, wie der Fonds kurzfris-tig finanziert werden kann. Dafür kommen einige Mittelin Betracht,
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Dr. Florian Toncar
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zum Beispiel noch vorhandene Rücklagen. Zu fragen istauch, ob die KfW einzelne Dinge übernehmen kann
oder der Bundeshaushalt helfen kann. Das sind Instru-mente, die man prüfen kann. Das wird die Regierungauch tun.
Ich jedenfalls gehe fest davon aus, dass der Fonds auchweiterhin funktionieren wird.
Was uns unterscheidet, Kollege Beckmeyer, ist Fol-gendes – ich sage das, weil Sie schmunzeln –: Wennman Ihren Antrag liest, sieht man, dass Sie da und daund da mehr Geld fordern, dass Sie der Meinung sind,dass noch mehr Geld ausgegeben werden muss.
Wie Sie die Lücke schließen wollen, wird in Ihrem An-trag mit keinem Wort erwähnt. Wortreich formulierenSie Vorschläge, die Geld kosten, aber Sie sind wortkarg,wenn es um die Frage geht, wer das bezahlen soll, werdie Lasten tragen soll, wer das finanzieren soll.Wir jedenfalls werden nicht einfach nur kopflos ander Schuldenschraube drehen
und die Haushalte wieder in Schieflage bringen, sondernwir werden das mit unserem Kurs der soliden Finanzenvereinbaren. Das unterscheidet euch von uns.
Das unterscheidet Regierung von Opposition. Das ist einganz klassischer Oppositionsantrag, in dem sich um dieunbequemen Fragen im Zusammenhang mit der Ener-giewende gekonnt herumgedrückt wird. Daher ist dieserAntrag nicht zustimmungsfähig.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! DerEnergie- und Klimafonds ist eine absolute Fehlkonstruk-tion. Er trocknet aus. Eigentlich sollten 2 Milliarden Euroaus dem Zertifikatehandel fließen. Experten erwartenjetzt nicht einmal mehr die Hälfte. Ich sage Ihnen: DieKonstrukteure dieses Fonds waren ideologisch verblen-det.
Sie haben sich leichtgläubig auf den Markt verlassen.Der Markt hat aber nicht funktioniert, sondern versagt.Jetzt reiben sich die marktgläubigen Politiker verwun-dert die Augen und sagen: „Lasst uns doch noch einbisschen warten.“ Ich glaube, jede Stunde des Wartensist eine zu viel.
Es war ein schwerer Fehler, dass sich die Bundesregie-rung beim Klimaschutz von den stark schwankendenZertifikatepreisen abhängig gemacht hat. Wer sich näm-lich nur auf den Markt verlässt und keine anderen Ideenhat, der ist verlassen.
Der zweite Konstruktionsfehler ist schon im Namendes Fonds erkennbar. Wir brauchen nämlich einen Ener-gie-, Klima- und Sozialfonds. Wenn wir unser Leben aufeine völlig neue Energiebasis stellen wollen, dann pla-nen wir nämlich nicht nur eine Wende, sondern einewirkliche energetische Revolution. Wir als Linke wollenverhindern, dass dabei Menschen unter die Räder kom-men, die schon heute nicht genügend Geld zum Lebenhaben. Nehmen Sie nur die Rentner: Im Osten haben dieRentner in den letzten zwölf Jahren 22 Prozent an Kauf-kraft verloren. Im Westen haben die Rentner 17 Prozent– auch das ist viel – an Kaufkraft verloren. Wenn Siedann noch die Kosten der Energierevolution auf dieSchultern der einfachen Steuerzahler abladen wollen,dann produzieren Sie sozialen Sprengstoff. Das ist un-verantwortlich.
Die beiden zuständigen Minister, Herr Altmaier undHerr Rösler, sind ja nun nicht dafür bekannt, dass siediese energetische Revolution sozial gestalten wollen.Sozial gerechte Politik ist für die Koalition ein Fremd-wort. Sie schwanken höchstens zwischen unterschiedli-chen Lobbyinteressen. Doch wer Umweltpolitik ohneSozialpolitik denkt, der wird scheitern.Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dasssich die Strompreise in den letzten zwölf Jahren verdop-pelt haben. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest:Das hat ganz wenig mit der Energieumlage zu tun. DieWahrheit ist: Die Gewinne der Stromkonzerne sind ex-plodiert. Das muss endlich ein Ende haben. Wir brau-chen wieder eine staatliche Strompreisaufsicht.
Wir wollen, dass ein Energie-, Klima- und Sozial-fonds von den chaotischen Marktschwankungen entkop-pelt wird. Dieser Schattenhaushalt muss aufgelöst und inden Bundeshaushalt überführt werden.
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Dr. Gesine Lötzsch
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Daher unterstützen wir diese Position im Antrag derKollegen von der SPD.Meine Damen und Herren, wir wollen Transparenzund finanzielle Solidität. Dafür ist die Koalition, die hierregiert, aber nicht bekannt. Sie lieben offensichtlichSchattenhaushalte und fürchten Transparenz wie derTeufel das Weihwasser. Wir als Linke wollen die energe-tische Revolution sozial gestalten. Wir wollen einenStrompreisstopp. Wir wollen die Selbstbedienungsmen-talität der Stromkonzerne beenden. Wir brauchen end-lich wieder staatlich genehmigte Strompreise.
Aus diesem Energie-, Klima- und Sozialfonds wollenwir eine Abwrackprämie für Stromfresser in privatenHaushalten finanzieren. Wir glauben, dass es eine guteIdee ist, 200 Euro Zuschuss für den Ersatz von zehnJahre alten Geräten zu geben. Das würde nämlich denprivaten Stromverbrauch spürbar senken.Meine Damen und Herren, wir brauchen auch mehrGeld für soziale, finanzierbare Gebäudesanierungen.
Da reichen 1,5 Milliarden Euro nicht aus; 5 MilliardenEuro sind realistisch. Als Haushälterin habe ich natürlichbelastbare Deckungsvorschläge. Diese Bundesregierungsubventioniert stromfressende Industrien mit 16 Milliar-den Euro. Ich bin davon überzeugt, dass man diese Sub-ventionen, ohne einen einzigen Arbeitsplatz zu gefähr-den, schrittweise abbauen kann.Zum Schluss, meine Damen und Herren: Am bestenist es, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Energiefragein die eigene Hand nehmen. Hier, in meiner HeimatstadtBerlin, läuft im Augenblick ein Volksbegehren zur Schaf-fung eines kommunalen Energieunternehmens für erneu-erbare Energien. Ich glaube, dass das eine hervorragendeIdee ist. Ich schlage allen Berlinerinnen und Berlinernvor, sich diesem Volksbegehren anzuschließen. Wer nochnicht unterschrieben hat, sollte es tun. Man findet es imInternet unter www.berliner-energietisch.net.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Sven Kindler für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sehen am Energie- und Klimafonds, waspassiert, wenn man einen Schattenhaushalt gründet. Dashat die Koalition 2010 gemacht.Sie hat die Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten indiesen Fonds gespeist und seinen Umfang an diese ge-koppelt. Das war übrigens nichts Neues. Das war vorherim ordentlichen Bundeshaushalt und stand im Einzel-plan 16, dem Einzelplan für Umwelt. Das heißt, mankann es auch im ordentlichen Haushalt organisieren; daswar keine neue Erfindung von Ihnen.Wir haben damals schon gesagt: Das ist eine riesigeMogelpackung. Das funktioniert nicht. Sie haben nichtdie Deckung im Gesamthaushalt, und Sie haben mit vielzu hohen Preisen gerechnet. Sie haben erst mit 17 Eurogerechnet. Für 2013 haben Sie dann mit 10 Euro gerech-net, obwohl der Preis 2012 nie bei 10 Euro lag. ImDurchschnitt lag er bei 7,50 Euro. Jetzt liegt er bei 4 bis5 Euro. Das heißt, Ihnen fehlt, wenn das so bleibt, 1 Mil-liarde Euro – 1 Milliarde von 2 Milliarden Euro. Diese1 Milliarde Euro ist schon aus Vorjahren rechtlich ge-bunden. Das heißt: Wenn sich nichts ändert, gibt esde facto einen Förderstopp für neue Programme. Daszeigt ganz deutlich: Sie fahren die Finanzierung derEnergiewende voll gegen die Wand, und das bewusst.
Das hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheitnichts zu tun. Das ist keine seriöse Haushaltspolitik. Dasist aber auch schlechte Umweltpolitik und schlechteEnergiepolitik. Am Energie- und Klimafonds wird nichtnur deutlich, welche handwerklichen Fehler Sie machen,indem Sie grottenschlecht agieren und zeigen, dass Siees technisch einfach nicht können, sondern auch, dassSie – und das ist das Hauptproblem – es nicht wollen.Sie haben nicht den Willen zur Energiewende. Sie habendie Energiewende nicht verstanden. Ein Teil Ihrer Koali-tion hat der Energiewende im Zuge des Atomausstiegsnur mit der Faust in der Tasche zugestimmt und versuchtjetzt, die Zeit wieder zurückzudrehen.Was sagen Sie und was machen Sie eigentlich?Sie als Bundesregierung sagen: Wir legen zusätzlicheProgramme im Rahmen des Energie- und Klimafondsauf. Was machen Sie? Sie kürzen Programme im Haus-halt, und Sie kürzen Programme im Energie- und Klima-fonds.Sie sagen: Wir wollen eine Strompreisbremse. Wasmachen Sie konkret? Sie vergeben Milliardensubventio-nen an die Großindustrie und kürzen rückwirkend bei er-neuerbaren Energien.Sie sagen: Wir wollen eine Energiewende. Und wasmachen Sie? Sie machen Lobbypolitik für die großenStromkonzerne. Ihre Reden sind nichts als Wahlkampf-taktik, weil Sie nämlich in Wahrheit Energiepolitik fürdie großen Konzerne machen. Sie machen schwarz-gelbe Klientelpolitik.
Jetzt zum Emissionshandel. Da könnten Sie einmalhandeln. Der Emissionshandel liegt am Boden, obwohlder Ausstoß von Klimagasen in Deutschland 2012 ge-stiegen ist, und zwar – das Umweltbundesamt hat dieseZahl gerade veröffentlicht – um 1,6 Prozent. Der Präsi-dent des Umweltbundesamtes hat sich wie der Umwelt-ausschuss des Europäischen Parlaments zu Recht dafür
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Sven-Christian Kindler
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ausgesprochen, Backloading zu praktizieren, das heißt,Emissionszertifikate ans Ende der Periode zu verschie-ben. Das wäre laut Aussage des Präsidenten der ersteSchritt. Der zweite wäre, die Zertifikate völlig aus demMarkt zu nehmen, weil nämlich der Markt nicht funktio-niert. Man hat viel zu viele Ausnahmen geschaffen, vielzu viele Schlupflöcher, zum Beispiel für sogenannteCDMs in Schwellen- und Entwicklungsländern. Deshalbgibt es keinen Anreiz für Unternehmen, energieeffizientzu handeln, und der CO2-Zertifikatehandel liegt am Bo-den.Was macht jetzt diese Bundesregierung? Sie streitetsich nur. Diese Woche gab es ein Ministertreffen aus vierMinisterien: BMWi, BMU, Verkehrsministerium und Fi-nanzministerium. Das Entwicklungsministerium war üb-rigens überhaupt nicht dabei; es wird völlig außen vorgelassen. Sie bekommen es nicht hin. Sie streiten sichweiterhin. Aber man darf nicht vergessen: Die Kanzlerinduckt sich wieder weg. Die Kanzlerin macht wiedernichts. Diese Kanzlerin ist eine Antiklimakanzlerin, weilsie nichts macht. Wir haben in Norddeutschland einschönes Sprichwort dafür: Der Fisch stinkt vom Kopf.So ist es auch bei dieser Bundesregierung.
– So ist es doch. – Merkel haut die Energiewende gegendie Wand.Wir als Grüne bieten eine Alternative. Wir wollen eswieder ordentlich im Haushalt finanzieren. Wir wollenRechtssicherheit, Planungssicherheit und Investitionssi-cherheit für die Klimaschutzprogramme, und wir wollendies durch den Abbau ökologisch schädlicher Subventio-nen solide gegenfinanzieren. Es gibt 48 Milliarden Euroökologisch schädliche Subventionen, davon wollen wirkurzfristig 8 Milliarden Euro abbauen. Am Beispiel desDienstwagenprivilegs kann man ganz gut sehen, dassSozialpolitik und Umweltpolitik gut zusammengehen.Mit 9 Milliarden Euro wird nämlich die Anschaffungschwerer Dienstwagen – das sind häufig CO2-Schleu-dern und Spritschlucker – gefördert.
Wir wollen jedoch nicht, dass die Kassiererinnen und dieKrankenschwestern die Managerdienstwagen finanzie-ren. Das ist sozial ungerecht und auch umweltpolitischfalsch.
Es lässt sich konstatieren: Sie wollen die Energie-wende nicht. Sie blockieren sie, wo Sie können. Daszeigt sich auch am Energie- und Klimafonds. Für einefunktionierende Energiewende, für eine sozial gerechteund ökologische Energiewende ist ein Regierungswech-sel notwendig. Dafür streiten wir im Herbst 2013.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
Unionsfraktion.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen! Ich bin ja ein unverbesserlicherOptimist. Ich glaube auch an die erkenntnisfortschritts-treibende Wirkung parlamentarischer Debatten, aber die-ser Glaube hat heute einen schweren Rückschlag erlit-ten.
Der Kollege Volkmar Klein und der Kollege FlorianToncar haben so überzeugend und schlüssig dargelegt,
wie das Konzept dieser Regierung und dieser Mehrheitim Parlament aussieht,
dass wir uns alle eigentlich den Gefallen hätten tun kön-nen, die Debatte an diesem Punkt abzubrechen und nachHause zu fahren. Denn damit war alles gesagt, was zudiesem Thema gesagt werden musste.
Aber den Grünen und Frau Lötzsch gefällt es, alles Mög-liche zusammenzumischen, um für den Bürger mög-lichst undurchschaubar eine bunte Mixtur von Themenhier auf den Tisch zu legen, von denen das eine mit demanderen nichts zu tun hat und wodurch die Geister nurverwirrt werden.Ich will einmal versuchen, deutlich zu machen, wo-rum es hier eigentlich geht. Nachdem wir übereinge-kommen sind, dass der CO2-Aufwuchs gebremst werdenmuss, haben wir uns in Kioto auf die Einhaltung gewis-ser Klimaziele verständigt. Dann haben wir uns gefragt,wie wir das am besten in einer marktgerechten Weisemachen, und uns darauf verständigt, einen Anfangsbe-stand an CO2-Ausstoßrechten festzulegen und diesenhandelbar zu machen. Die Reduzierung von CO2-Aus-stoß infolge technischer Fortschritte wird nun in derForm vergütet, dass freie Zertifikate an andere Firmen,die noch nicht so weit sind, verkauft werden können.Das ist ein ausgesprochen ordentlicher und marktwirt-schaftlicher Ansatz. Und Marktwirtschaft ist eben das,was uns erfolgreich macht.
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Klaus-Peter Willsch
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Nun ist bisher von all den Kassandrarufen, die hierständig im Plenum von Ihnen zu vernehmen sind, nichtsWirklichkeit geworden. Im vergangenen Jahr, in 2012,ist es im EKF, im Energie- und Klimafonds, so gut ge-laufen,
dass 200 Millionen Euro Überschuss übrig gebliebensind und Rücklagen für dieses Jahr gebildet werdenkonnten.
Diese Zahlen sind Ihnen genauso zugänglich wie mir.Vielleicht fehlt es Ihnen ein wenig an Deutungshoheit.
Das hat Ihr Beitrag, Herr Kollege Beckmeyer, jedenfallsdeutlich gemacht. Deshalb will ich es Ihnen hier nocheinmal erklären. Es besteht ja immer eine Chance, dassman beim zweiten Mal besser zuhört als beim erstenMal.Es gehört zum Wesen des Marktes, dass Preise – jenach Angebot und Nachfrage – steigen und sinken. Nunsind wir in der Situation, dass es außer in Deutschland innicht furchtbar vielen Ländern in Europa zurzeit gutläuft. Eigentlich läuft es nur in Deutschland gut; die an-deren sind in der Rezession. Man muss ökonomischnicht besonders vorgebildet sein, um vorauszusagen,dass die Nachfrage nach solchen Ausstoßzertifikatennicht gerade steigt, wenn die industrielle Produktionsinkt.
Das liegt eigentlich auf der Hand.
Jetzt haben wir aber eine Welt, die komplex ist, und inder wir nicht nur über ein Thema reden, sondern überviele Themen. Schwarz-Gelb, die christlich-liberaleMehrheit in diesem Hause, hat es sich vorgenommen,die Schuldenbremse ernst zu nehmen, einen strukturellausgeglichenen Haushalt zu erreichen und endlich damitSchluss zu machen, dass die gegenwärtige Generationmehr verbraucht, als sie selbst erwirtschaftet, und damitauf Kosten der nachfolgenden Generation lebt.
Die Fondskonstruktion ist dafür genau richtig, weil sienämlich atmet. Wir können unabhängig von dem, waswir mit dem EKF für Energie und Klimaschutz tun,
unser Ziel des strukturellen Ausgleichs des Haushaltsweiterverfolgen. Und wir tun das mit großem Erfolg.Das werden wir sehen, wenn wir im September denHaushalt, den diese Bundesregierung vorlegen wird, hierim Plenum diskutieren werden. Ich hoffe, Sie kommenauch hinzu und nehmen sich die Zeit dafür; denn auchdas könnte ein Lernfortschritt für Sie bedeuten.
Wenn ein solcher Fonds geringere Einnahmen auf-weist, dann muss man bei den Ausgaben eben auch einbisschen bremsen. Wir haben doch die Kioto-Ziele, diezu erreichen wir international zugesagt haben, erreicht.Deshalb müssen eben weitere Maßnahmen auf die fol-genden Jahre verschoben werden. Wenn die Konjunkturinternational wieder anzieht und dadurch die Rechte,CO2 auszustoßen, teurer werden, sind auch wieder mehrMöglichkeiten zur Förderung gegeben.Bisher ist nichts abgewiesen worden. Alle Maßnah-men, die angemeldet worden sind, sind auch durchfinan-ziert worden. Insofern ist Ihr ganzes Geschrei in diesemZusammenhang völlig unangebracht. Es war unange-bracht zu dem Zeitpunkt, als Sie den Antrag in denGeschäftsgang gebracht haben, und es ist heute nochgenauso unangebracht.
Nur lassen Sie uns doch zunächst einmal die weitereEntwicklung der Zahlen abwarten.Sie haben dann angesprochen, dass viele Ressorts be-teiligt sind. Dazu muss ich Ihnen sagen: Die Multi-ressortvorgehensweise, die dem Klimafonds zugrundeliegt, ist genau die richtige. Wir wollen nämlich nichtdurch die einzelnen Fachpolitiken einzelne Interessen-gruppen bedienen lassen, sondern wir wollen das Themaals Querschnittsaufgabe angehen. Wir wollen, dass dieverschiedenen Fachbereiche interdisziplinär zusammen-arbeiten, um die besten Lösungen nach vorne zu bringenund zu fördern. Wir wollen kein Töpfchendenken undkein Ressortdenken.
– Auch Ihre Zwischenrufe bringen leider nicht zutage,dass Sie den Kollegen Volkmar Klein und FlorianToncar zugehört und etwas von der Sache verstandenhätten, sondern Sie belegen einmal mehr, dass es Ihnenhier nur darum geht, ein bisschen Geschrei aufzuführen.Wenn es denn wirklich so wäre – dies will ich nocheinmal unterstreichen –, dass Sie Luft für alle möglichenneuen Projekte schaffen wollten, dann hätten Sie dochLuft schaffen können; und das können Sie immer nochim Bundesrat. Was ist denn mit den 1,5 Milliarden Eurofür energetische Gebäudesanierung?
Warum blockieren Sie das? Warum geben Sie das Geldnicht frei? Damit hätten wir dann wirklich Luft für an-dere Maßnahmen geschaffen,
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Klaus-Peter Willsch
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wenn denn welche da sind. Sie können doch nicht einebeliebige Menge Geld in den Raum stellen und sagen:Jetzt erfinden wir die Welt neu. – Das muss ingenieur-mäßig und wissenschaftlich abgearbeitet werden. Inso-weit sind wir da auf einem sehr guten Weg.Ich möchte Ihnen auch zu all Ihren Überlegungen,hier weiter zu verteuern und auf eine Übererfüllung voneingegangenen Zielen zuzusteuern, zu denken geben, obdas zusammenpasst mit Ihrem Verhalten auf sonstigenPolitikfeldern. Sie sind ja sehr engagiert bei dem Thema,dass wir eine Null-Zins-Politik brauchen und dass wirden Ländern, die überschuldet sind, die Zinsen nach un-ten subventionieren sollen. Das wollen Sie dann wiederkonterkarieren, indem Sie denen die Energie verteuern.Ich weiß nicht, ob es das richtige Rezept ist, in der Re-zession Produktionsfaktoren willkürlich zu verteuern.
Wir sollten den Ländern, die aus dem Tal herauskommenund aufholen müssen, die Gelegenheit lassen, dies beigünstigen Zertifikatspreisen zu tun, statt ihnen ein Zu-satzpäckchen auf die Schulter zu legen, was es ihnen nurschwerer machen würde, aus der Krise herauszukom-men.Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: DiePolitik, die die christlich-liberale Koalition mit demEnergie- und Klimafonds auf den Weg gebracht hat, istgut. Sie ist die richtige, weil sie dieses Thema entkoppeltvon der Generationenaufgabe, endlich ausgeglicheneHaushalte zu erzielen, und sie wirkt. Alles, was wir bis-her sagen können, ist: Wir haben die Klimaverpflichtun-gen eingehalten. Es gibt keine Anträge, die wir nicht be-dient haben. Wir haben sogar Überschüsse gebildet.Lassen Sie uns jetzt frohgemut ins Jahr 2013 gehen, dasim Übrigen auch dem Bürger die Chance gibt, über diesePolitik abzustimmen. Ich freue mich auf diese Abstim-mung. Ich glaube nämlich, dass sich unsere Politik sehenlassen kann.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! HerrWillsch, ich würde gerne frohgemut ins Jahr 2013 ge-hen. Aber, mit Verlaub: Wir befinden uns schon seit zweiMonaten im Jahr 2013, und genau das ist das Problem,wenn es um den Energie- und Klimafonds geht. Sie stel-len sich hierhin und tun so, als sei alles kein Problemund als sei alles finanziert. Die einzige Frage, die dieKoalitionsfraktionen, die Regierung und Sie als Haus-hälter beantworten müssen, lautet doch: Woher kommtdas Geld für die von Ihnen in den Wirtschaftsplan einge-stellten Projekte? Woher nehmen, wenn nicht stehlen?Darauf gibt diese Regierung seit einem Jahr keine Ant-wort.
Ich kann Ihnen vorlesen, wie sich die Regierung dazuäußert; vor einem Dreivierteljahr habe ich diese Fragenämlich gestellt. Kollege Beckmeyer hat ja schon ge-sagt, wie sich die Zertifikatspreise entwickelt haben. Imletzten Jahr lagen die Preise bei durchschnittlich7,50 Euro. Im Juli des letzten Jahres fragte ich die Re-gierung, welche Erkenntnisse sie dazu hat, was getanwerden muss, um im Durchschnitt des Jahres 2013 aufeinen Preis von 10 Euro zu kommen. Vom Bundesum-weltministerium bekam ich die Antwort: Es liegen unskeine konkreten Berechnungsgrundlagen vor. Aber wirbeobachten den Markt. – Ist das, was Sie gerade machen,Marktbeobachtung? Anfang dieses Jahres lag der Zertifi-katepreis bei 2,80 Euro, und derzeit liegt er zwischen4 und 5 Euro. Einen Preis von 10 Euro werden wir indiesem Jahr aber leider nie im Leben erreichen. Vor die-sem Hintergrund müssen Sie die Frage beantworten:Woher kommt das Geld für die Projekte? Oder seien Sieso ehrlich und sagen Sie, wo Sie kürzen wollen. Das istdie zweite Antwort, die Sie an dieser Stelle leider schul-dig bleiben.
Jetzt komme ich auf einige Projekte zu sprechen; alleaufzulisten, wäre ein bisschen viel. Fangen wir mit demMarktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-gien und mit der Nationalen Klimaschutzinitiative an.Herr Klein, in unserem Antrag sind drei sehr ausführli-che Punkte zur Internationalen Klimaschutzinitiativeenthalten. Als Entwicklungspolitikerin kann ich Ihnenversichern: Darauf haben wir geachtet.Weil man ja voneinander und miteinander lernenkann, beginne ich mit der Situation bei uns in Deutsch-land. Es wird groß getönt: Aus dem letzten Jahr sindnoch 200 Millionen Euro übrig, und alles ist ganz toll. –Schauen wir uns an, was beim Marktanreizprogrammpassiert ist. Die im Umwelthaushalt für dieses Projektvorgesehenen Mittel wurden gesenkt. Ganz nebenbei:Bei diesem Programm geht es darum, wie gerade diekleinen Leute in unserem Land mehr zur Energieeffi-zienz beitragen können, indem sie zum Beispiel Wärme-pumpen oder Heizkessel austauschen und dadurch ihreHeizkosten reduzieren. Hier geht es also um eine ganzeMenge sozial, ökologisch und ökonomisch wichtigerProjekte. Der Wärmebereich ist für die Menschen in die-sem Land nämlich ein großer Block. Aber was tun Sie?Die entsprechenden Mittel im Einzelplan 16 werden ge-senkt. In allen Haushaltsdebatten heißt es dann: Dasfließt ja alles in den EKF; das ist alles kein Problem.Herr Willsch, in den Haushalt des EKF sind im letz-ten Jahr 100 Millionen Euro eingestellt worden; das ist
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Dr. Bärbel Kofler
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das Soll 2012. Beim zugewiesenen Betrag 2012 ist einStrich zu finden. Auch beim Ist des Jahres 2012 ist beimMarktanreizprogramm ein Strich zu finden. Im Rahmendieses wichtigen Programms wurde im letzten Jahr alsonichts finanziert. Wenn das so ist, dann können Sie sichdoch nicht hier hinstellen und sagen: Die Mittel sindausreichend; denn im letzten Jahr ist ja noch etwas Geldübrig geblieben. – So doch wohl nicht!
Ähnliches gilt für die Nationale Klimaschutzinitia-tive. Auch hier geht es um spannende Projekte, auch umdas Thema, das Ihr eigener Bundesumweltminister alswichtiges Programm in seinen Zehn-Punkte-Plan aufge-nommen hat: den Stromspar-Check. Mit dieser Aktionkann man gerade einkommensschwache Haushalte dazubewegen, einen Beitrag zu mehr Energieeffizienz zuleisten und sich energiesparende Geräte zuzulegen; mankann also den Menschen helfen und etwas für die Um-welt tun. Ihr eigener Minister sagt, das sei ein ganz tollesErfolgsprojekt; ich jedenfalls habe das immer so ver-nommen, Herr Staatssekretär. Das sind die Mittel, die imEKF eingestellt worden sind. Sie sind im letzten Jahr nurzu einem Drittel abgerufen worden.Dasselbe gilt für das Thema Kommunen. Sie wollensoziale und kulturelle Einrichtungen beim Energiesparenvoranbringen, um von den Hallenbädern über die Schu-len bis hin zur Straßenbeleuchtung zu mehr Energieeffi-zienz zu kommen und mehr einzusparen.Vom Ministerium ist permanent zu hören, dass dasganz tolle Projekte sind. Darin gebe ich Ihnen zwarrecht. Aber warum werden diese Vorhaben nicht ordent-lich finanziert und unterfüttert? Sie haben diese Punktedoch selbst in den Wirtschaftsplan eingestellt.
Kollegin Kofler, achten Sie bitte auf das Signal, und
kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wer sind
die Gelackmeierten an dieser Stelle? Selbstverständlich
auch wieder die Kommunen.
Von einer Regierung kann man erwarten, dass sie die
Pläne, die sie selbst aufstellt, erfüllt oder, wenn sie sie
nicht erfüllen kann, sagt, wie sie es anders machen
möchte.
Auf all das haben wir von Ihnen keine Antwort ge-
kriegt. Darum ist es gut, wenn Sie ab September nicht
mehr regieren.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der SPD mit dem Titel „Zukunft des ‚Ener-
gie- und Klimafonds‘ und der durch ihn finanzierten
Programme“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/10815, den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10088 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Ingrid
Hönlinger, Markus Kurth, Volker Beck ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Personenzentrierte und ganzheitliche Reform
des Betreuungsrechts
– Drucksachen 17/2376, 17/5323 –
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Wir reden über einen Rechtsbereich, derpotenziell Millionen von Menschen betrifft: das Betreu-ungsrecht, das Recht auf rechtliche Assistenz und Unter-stützung. In diesem Rechtsgebiet haben sich in der ver-gangenen Zeit zwei große Trends oder Veränderungengezeigt.Zum Ersten besteht seit dem Inkrafttreten der Men-schenrechtskonvention der Vereinten Nationen über dieRechte der Menschen mit Behinderungen ein Menschen-recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht gemäßArt. 12, ein Menschenrecht auf Zugang zur Justiz gemäßArt. 13 und ein Menschenrecht auf Freiheit und Sicher-heit der Person gemäß Art. 14.Zum Zweiten wird es ganz unabhängig davon auf-grund der demografischen und gesellschaftlichen Ent-wicklung in Zukunft eine wachsende Zahl von Men-schen geben, die auf Betreuung oder – so würde ich esnach dem Diktum der UN-Konvention bezeichnen –rechtliche Assistenz angewiesen sind.Das bringt zum Dritten wahrscheinlich eine Debatteüber die finanziellen Belastungen für die Justizverwal-tungen der Länder nach dem Betreuungsrecht mit sich.Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass diesstets nur ein Aspekt sein kann und dass es im Wesentli-chen auf die individuellen Bedürfnisse der auf rechtliche
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Markus Kurth
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Betreuung Angewiesenen und auf die Qualität der Be-treuungsleistung ankommt.
Es mangelt der Bundesregierung nicht unbedingt anErkenntnissen. Im Gegenteil: Es gibt einen beachtlichenVorlauf an Arbeit, der nun eigentlich in ein Gesetzge-bungsverfahren münden könnte. Es gibt die Beschlüsseder Justizministerkonferenz aus den Jahren 2005 und2009, eine Evaluation des Zweiten Betreuungsrechts-änderungsgesetzes, und es gibt den sehr interessantenAbschlussbericht der interdisziplinären Arbeitsgruppeim Justizministerium. Was ist davon geblieben? Ein zar-ter Versuch, auf die Debatte einzugehen: durch einenGesetzentwurf zur Stärkung der Betreuungsbehörden,der aber nach massiver Kritik wieder in der Schubladeverschwunden ist.Was schlagen wir, Bündnis 90/Die Grünen, vor? Wirwollen zum einen den Aspekt der Erforderlichkeit – dasheißt auch: der Betreuungsvermeidung – betonen. Ichmeine, als Sozialpolitiker müssten wir den Blick sehrviel stärker auf die Zusammenarbeit zwischen sozial-politischen Akteuren und Sozialleistungsträgern auf dereinen Seite und der Justiz auf der anderen Seite richten.Aus der Praxis wird mir vielfach zugetragen, dass auf-grund mangelnder Beratungspflichten seitens der Sozial-leistungsträger Anspruchsberechtigte, gerade auch Men-schen mit Behinderungen, an der Situation verzweifelnund sich sogar selber einen Betreuer suchen, um mit denBehörden vernünftig kommunizieren und ihre Ansprü-che durchsetzen zu können. Ich denke, dass der Aspektder interdisziplinären Zusammenarbeit viel zu wenig be-rücksichtigt wird.Wir machen den Vorschlag, diese Zusammenarbeit ineinem übergreifenden Fallmanagement – in Arbeitsgrup-pen, in Betreuungsvereinen, in Betreuungsbehörden,aber auch bei den Sozialleistungsträgern – zu institutio-nalisieren, um den Bedürfnissen der Personen gerecht zuwerden und um im Vorfeld Betreuung in solchen Fällenzu vermeiden.
Trotz der Knappheit der Zeit möchte ich noch auf dieArbeit der über 800 Betreuungsvereine hinweisen. Siesind es vielerorts, die wissen, wo es welche sozialen Hil-fen gibt. Sie klären über Vorsorgevollmachten und Be-treuungsverfügungen auf und gewinnen und beraten Eh-renamtliche und bilden sie fort. Es ist besorgniserregend,dass die Betreuungsvereine zunehmend in finanzielleSchwierigkeiten geraten, weil ihnen die Mittel zurFinanzierung von Querschnittsaufgaben wie der ehren-amtlichen Betreuung gestrichen werden.Die Berufsverbände stellen in ihrer verbandlichenPraxis fest, dass Zahl und Ausmaß der grundrechtsrele-vanten Eingriffe bei qualifizierten Betreuerinnen undBetreuern wesentlich niedriger sind als bei weniger qua-lifizierten Betreuerinnen und Betreuern. Aus diesemGrunde sollten wir darüber nachdenken, gesetzlicheMindestqualifikationen für Berufsbetreuer einzuführen,insbesondere für anspruchsvolle Betreuung, und auchauf Spezialisierung setzen. Wir brauchen eine vernünf-tige Qualitätsdebatte, eine Querschnittsdebatte und eineDebatte über die Zusammenarbeit in Arbeitsgemein-schaften von sozialer Seite und Justiz. Ich glaube, dassind wir den Menschen mit Unterstützungs- bzw. Assis-tenzbedarf schuldig, aber auch den im BetreuungswesenTätigen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir beraten heute über eine Große Anfrage von Bünd-nis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2010, die 2011 von derBundesregierung beantwortet wurde, und über einenEntschließungsantrag zum Betreuungsrecht. Ich möchtean dieser Stelle erwähnen, dass wir genau vor acht Jah-ren über das Zweite Gesetz zur Änderung des Betreu-ungsrechts debattiert haben und es nach jahrelangen Be-ratungen einstimmig beschlossen haben. Das war einguter Tag. Wir hoffen sehr, dass wir die Weiterentwick-lung des Betreuungsrechts – das ist ein Anliegen von unsallen – genauso einvernehmlich und gut auf den Wegbringen werden. Deshalb hoffe ich auf eine gute Debatte.Wir haben – das ist, denke ich, unbestritten – ein sehrmodernes Betreuungsrecht, mit das modernste in Eu-ropa. Dieses gilt es fortzuentwickeln. Dabei ist darauf zuachten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Menschenin unserem Land geachtet wird und die Möglichkeiteneiner rechtlichen Assistenz und einer Betreuung genauabgewogen werden. Wir schauen, dass die Regelungen,die wir treffen, am besten für die Menschen sind.Das Gebot der Erforderlichkeit wurde gerade ange-sprochen. Wir wollen zu einem maßgeschneiderten Kon-zept kommen, bei dem die Bedürfnisse jedes einzelnenMenschen – die Assistenz, die er braucht – mit entspre-chenden Bausteinen erfüllt werden, bis hin – wenn esnicht anders geht und die Erforderlichkeit da ist – zu ei-ner kompletten rechtlichen Betreuung. Das selbstbe-stimmte Leben eines Menschen ist uns sehr wichtig. DieAufgabe liegt bei uns, dieses Spannungsverhältnis zwi-schen Selbstbestimmung auf der einen Seite und Für-sorge durch den Staat auf der anderen Seite auszubalan-cieren.Wenn wir uns die Zahl der Betreuungen anschauen– Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Kurth –, se-hen wir: Seit der letzten Gesetzesänderung im Jahr 2005bis zum letzten Jahr ist die Zahl der Menschen, die aufBetreuung angewiesen sind, von 1,2 auf 1,3 MillionenMenschen gestiegen; diese Zahl steigt nicht zuletzt auf-grund der demografischen Entwicklung stetig. Deshalbmüssen wir schauen, dass wir Regelungen für Qualität
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und Umfang der Betreuung finden, die auf die Menschenzugeschnitten sind.Für uns ist es wichtig, festzustellen, dass den Men-schen, sofern sie volljährig sind und einer Betreuungoder Begleitung bedürfen, Unterstützungsangebote andie Hand gegeben werden, die unterhalb der Schwelleeiner rechtlichen Betreuung liegen und, falls nötig, stetiggesteigert werden können. Ich denke, da liegen wir ganznahe beieinander. Wir sind auch der Auffassung, dassdiese Hilfestellung interdisziplinär erfolgen muss. Eskann nicht sein, dass sie nur im Rechtsbereich erfolgt,sondern es muss sie auch im Sozialbereich geben. VieleAkteure müssen mitwirken, um den zu Betreuenden undden Menschen, die einen Assistenzbedarf haben, einewirklich gute Hilfestellung zu geben.Sie haben die Genese kurz aufgezeigt. Ich möchteauch noch einmal darauf eingehen: Im Jahr 2005 erfolgtedie zweite Änderung des Betreuungsgesetzes. Danachhat die zugesagte Evaluierung im Auftrag des Bundes-justizministeriums stattgefunden. Es wurde ein Ab-schlussbericht vom Institut für Sozialforschung und Ge-sellschaftspraxis vorgelegt. Das war eine sehr breite undlängere Zeit andauernde Evaluierung bezüglich derFrage, ob das Gesetz fortentwickelt werden muss und,wenn ja, in welcher Weise. Die Ergebnisse mündetendann in eine interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeits-gruppe zum Betreuungsrecht – auch wieder unter Feder-führung des BMJ –, die auch einen Bericht vorlegte. Andieser Arbeitsgruppe – das sollten wir an dieser Stellenicht vergessen – haben Vertreter der Landesjustizver-waltungen und Landessozialministerien verschiedenerBundesländer, der Betreuungsbehörden, der Betreuungs-vereine und des Deutschen Landkreistages sowie Richterund Rechtspfleger teilgenommen. Das war also wirklicheine breit aufgestellte Gruppe. Die Aufgaben waren ganzklar gestellt: Analyse der Ergebnisse der Evaluation undder Ergebnisse der Landesjustizministerkonferenzen inden Jahren 2005 und 2009 sowie Verbesserungen imHinblick auf die UN-Behindertenrechtskonvention.Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden im Ok-tober 2011 in einem Abschlussbericht veröffentlicht. Da-rin wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass das der-zeitige System der rechtlichen Betreuung in Ordnung istund beibehalten werden soll. Hier bestand Konsens. Au-ßerdem bestand Konsens, dass der Bund aufgefordertwird, Neuregelungen zu treffen, sofern der Bundesge-setzgeber die Gesetzgebungskompetenz hat, zum Bei-spiel im Bereich des Behördenbetreuungsgesetzes unddes Familienverfahrensgesetzes. Die Herbstkonferenzder Justizminister hat dann dem Ministerium konkreteArbeitsempfehlungen erteilt, und ein Referentenentwurf– Sie haben es erwähnt – wurde zur Abstimmung an dieLänder gegeben. Mittlerweile liegt ein abgestimmter Ge-setzentwurf im Kabinett, der dort in der nächsten Wochebehandelt wird. Ich denke deshalb, dass wir uns in Kürzeohnehin wieder mit diesem Gesetzentwurf befassen wer-den.Es sind aber weitere Vorschläge aus der Arbeits-gruppe an uns herangetragen worden, die nicht das Bun-desgesetz betreffen, sondern bei denen es um unterge-setzliche Maßnahmen geht. Diese betreffen natürlich dieBetreuungsgerichte und die Betreuungsbehörden, aberauch die Betreuungsvereine. Auch das muss in einemGesamtkonzept umgesetzt werden.Die Vorschläge des Bundesgesetzgebers allein rei-chen hier natürlich nicht aus – hier gebe ich Ihnen recht–, sondern die gesamten Ergebnisse der Arbeitsgruppemüssen berücksichtigt werden. Dies muss immer vordem Hintergrund geschehen, dass die Eingriffe in dasSelbstbestimmungsrecht der Menschen so gering wiemöglich ausfallen. Hierin sind wir uns ja einig. Wenn eserforderlich ist, müssen aber alle notwendigen Maßnah-men getroffen werden – bis hin zu einer komplettenrechtlichen Betreuung mit allen Möglichkeiten und Er-fordernissen, die sich aus einer solchen Betreuung erge-ben. Ob es um die Gesundheitsfürsorge, die Vermögens-fürsorge oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht geht, alldas muss hier umfasst sein.
– Ich sage deshalb „oder“, weil es unser Anliegen ist,dass die Menschen die Bausteine als Hilfe für die Be-gleitung in ihrem Leben erhalten, die sie benötigen. Hiergibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn jemand zwareine Gesundheitsbetreuung benötigt, sein Aufenthaltsbe-stimmungsrecht aber noch selbst wahrnehmen kann,dann steht Letzteres auch nicht zur Diskussion. Wir soll-ten doch bei der Sache bleiben. Ich glaube, Polemik istbei diesem Thema ohnehin nicht angesagt.
Die vorgelagerten Systeme in diesem Bereich be-inhalten Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmachtenund Begleitung durch Vertreter anderer Disziplinen. Esist für uns ganz wichtig, dass wir diese Bereiche stärken,um möglichst von einer Berufsbetreuung wegzukom-men. Die Zahl der Berufsbetreuer steigt bislang stetig.Es war damals unser Petitum, die ehrenamtliche Betreu-ung durch die Betreuungsvereine zu stärken. Wenn eshier einen Finanzierungsbedarf gibt – auf das Thema Fi-nanzierung komme ich gleich zurück –, dann müssen wirdarauf unser Augenmerk richten. Ich bitte deshalb, beiallen gemeinsamen Bestrebungen den Blick nicht nurauf den unbedingten Sparwillen der Länder zu reduzie-ren. Dieser ist unbestritten gegeben, aber hier stehen derSchutz der Menschen und die Fürsorge des Staates undnicht das Geld der Länder an erster Stelle. Das möchteich also bitte nicht darauf reduziert wissen.
Das Gesetz, das jetzt auf den Weg gebracht werdensoll, dient der Stärkung der Betreuungsbehörden. Dazugehört, dass wir die Aufgaben der Betreuungsbehördengesetzlich festlegen und dass beispielsweise die Betreu-ungsbehörden – das steht dann im FamFG – vor einembetreuungsgerichtlichen Verfahren angehört werdenmüssen. Man ist schon im Vorfeld bemüht, kein Ge-richtsverfahren durchzuführen, sondern unterschwelligeMaßnahmen zu ergreifen. Auch der Rahmen für die Be-
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richte, die die Betreuungsbehörden den Gerichten geben,wird im Gesetz verankert. Es wird klar festgelegt, wiestrukturiert ein solcher Bericht sein muss, um eine Ent-scheidungsgrundlage für das Betreuungs- bzw. Famili-engericht, aber auch für Sachverständige zu sein, wennGutachten eingeholt werden.Dann ist es natürlich selbstverständlich, dass es eineKooperation zwischen dem Gericht und den anderenDisziplinen gibt. Diese Kooperationspflicht soll auchverankert werden.Da sich die Betreuungsbehörden immer mehr mitVorsorgevollmachten befassen müssen – es war damalsunser Wunsch, als wir die Regelung getroffen haben,dass für Vorsorgevollmachten geworben wird; das habenwir alle auch getan; die Vorsorgevollmachten greifen –,besteht natürlich Beratungsbedarf. Die Betreuungsbe-hörden erbringen Leistungen, indem sie die Bevollmäch-tigten beraten, wie mit Vorsorgevollmachten zum Bei-spiel im medizinischen Bereich umzugehen ist. Hierbedarf es einer exakten Beschreibung der Aufgaben derBetreuungsbehörden, aber auch mehr finanzieller Res-sourcen und Fachkräfte, die in der Lage sind, die Men-schen, die aufgrund einer Vorsorgevollmacht vorstelligwerden, zu begleiten. Sonst würde das ganze System derVorsorgevollmacht, das wir alle wollten, überhaupt kei-nen Sinn machen. All das ist Inhalt des Gesetzes, dasnun auf den Weg gebracht werden soll. Das, was Sie zuRecht einfordern, ist also bereits aufgenommen.Wir sollten aber auch daran denken, dass wir bereitsdas eine oder andere auf den Weg gebracht haben, waszum Teil mehr oder weniger erfolgreich war. Im Januarhaben wir eine Regelung nach der Vorgabe des BGHverabschiedet unter der Maßgabe, dass diese Regelungauch verfassungskonform ist. Wenn eine ärztliche Be-handlung stattfinden soll, der zu Behandelnde aber nichteinsichtig ist, dann hat der Betreuer die Aufgabe, zu ent-scheiden. Die dafür notwendige gesetzliche Regelungwurde auf den Weg gebracht. Das hat der Bundestag ent-schieden. Damit haben wir hier einen Teil dessen, wasvon der Arbeitsgruppe gefordert wurde, umgesetzt.Leider hat es nicht funktioniert – das hätten wir gernsehr schnell gemacht –, das Anliegen der Berufsbetreueraufzugreifen, die Vergütungssätze anzuheben. Schon beider ersten Beratung im Jahr 2005 hatten die Berufsbe-treuer die finanzielle Ausstattung moniert. Wir hatteneine Evaluierung zugesagt und wollten erreichen, dassdie Umsatzsteuerpflicht für Berufsbetreuer entfällt. Aberleider Gottes ist dieses Anliegen, das wir alle unterstützthaben und das im Jahressteuergesetz hätte geregelt wer-den müssen, im Vermittlungsausschuss gekippt worden.Das heißt, wir haben keine Verbesserung für die Berufs-betreuer durchsetzen können. Wir wollen nun auf ande-ren Wegen die finanzielle Ausstattung verbessern. Dennwenn die Berufsbetreuer bzw. die Betreuungsbehördenmehr Aufgaben erhalten, muss auch die finanzielle Aus-stattung stimmen. Da müssen wir noch einmal nachjus-tieren und sehen, welchen Weg die Koalition und viel-leicht auch dieses Haus gehen kann, um hier relativzügig dem Anliegen Rechnung zu tragen und für eineVerbesserung zu sorgen.Wir haben also insgesamt noch einiges vor uns. Ichhoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode noch dazukommen, das Betreuungsrecht in den Punkten, die vonder interdisziplinären Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf-gezeigt wurden, sowohl auf bundesgesetzlicher Ebeneals auch auf untergesetzlicher Ebene zu ändern. Damitkönnten wir für die Menschen einen maßgeschneidertenRahmen schaffen, von der Sozialassistenz bis hin zu ei-ner kompletten rechtlichen Betreuung. Das Selbstbe-stimmungsrecht des Menschen ist für uns unabdingbar.Wir wollen als Gesetzgeber die notwendige Begleitunggeben und ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei der letztenÄnderung erreichen. Kollege Stünker und Kollege JerzyMontag waren diejenigen, die damals als Berichterstatterdas in langen Verhandlungen auf einen guten Weg ge-bracht und eine einstimmige Entscheidung zugunstender Menschen ermöglicht haben.Nochmals: Das Betreuungsrecht in Deutschland isteines der modernsten in Europa. Es wird als gut empfun-den. In diesem Sinne sollten wir weitermachen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sonja Steffen für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Band-breite der gesetzlichen Betreuungsfälle ist vielfältig.Herr Müller erkrankte mit 18 Jahren an einer Schizo-phrenie. Frau Meier ist 21 und lebt seit zehn Jahren in ei-nem Heim für mehrfach behinderte Menschen, und HerrFischer findet sich aufgrund einer fortgeschrittenen Al-tersdemenz im Leben nicht mehr zurecht. – Drei Men-schen, drei Schicksale, individuell und nicht zu verglei-chen, und doch haben sie wahrscheinlich eines gemein:Sie brauchen Unterstützung, um mit den Anforderungendes Alltags fertigzuwerden. Das Amtsgericht muss fürsie einen Betreuer bestellen, der für sie Entscheidungenin ihrem Sinne trifft. Das können Geldgeschäfte sein.Das kann die Bestimmung des Aufenthaltsortes sein,und das sind viele weitere Behördengänge.Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in einerGroßen Anfrage 50 Fragen zur Reform des Betreuungs-rechtes gestellt. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Die Ant-worten der Bundesregierung liegen vor und bieten unsAnlass, darüber nachzudenken, ob und in welche Rich-tung das Betreuungsrecht reformbedürftig ist.Ich möchte hier einige Punkte dieser Großen Anfrageaufgreifen. Dazu gehört für mich als Erstes das Wahl-recht von Menschen mit Behinderungen. Gegenwärtigist es so: Ist für einen Menschen eine gesetzliche Betreu-ung ausdrücklich für alle Angelegenheiten angeordnet,entfällt nach unserem derzeitigen Bundeswahlgesetz dasWahlrecht. Wir schließen damit eine sehr große Gruppe
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Sonja Steffen
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von Menschen von vornherein von der politischen Betei-ligung aus.
Die Bundesregierung hat auf die Frage nach der Verein-barkeit dieses Zustandes, die die Grünen gestellt hatten,mit dem Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonven-tion nur ausweichend geantwortet.
Aber Art. 29 der UN-Behindertenrechtskonvention siehtvor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischenRechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigtmit anderen wahrnehmen können. Darüber hinaus ver-pflichtet die Konvention die Vertragsstaaten, Menschenmit Behinderungen im Bedarfsfall und auf Wunsch zuerlauben, dass sie sich durch eine Person ihrer Wahl beider Stimmabgabe unterstützen lassen. Deshalb fordertmeine Fraktion in einem Antrag, dass hier eine Ände-rung erfolgt.
Es ist nicht tragbar und mit der UN-Behindertenrechts-konvention nicht vereinbar, dass Menschen mit be-stimmten Behinderungen automatisch vom Wahlrechtausgeschlossen sind. Wir fordern, dass eine Betreuungkein Ausschlussgrund für die Wahl sein darf und dassdie Unterstützung bei der Stimmabgabe für alle Men-schen mit Behinderungen ermöglicht wird.
Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen möchte– er ist schon vorhin von meinen Vorrednern angespro-chen worden –, betrifft andere Hilfen, vor allem zur Ver-meidung einer gesetzlichen Betreuung. Wir haben esschon gehört: Es ist leider so, dass die Betreuungszahlenin Deutschland ständig steigen. Eine verbesserte sozialeArbeit und gut vernetzte Strukturen können erheblichdazu beitragen, in vielen Fällen eine Betreuung zu ver-meiden. Denn die gerichtliche Anordnung einer rechtli-chen Betreuung führt aufgrund der Vertretungsbefug-nisse des rechtlichen Betreuers immer zu einemschwerwiegenden Eingriff in die Autonomie eines er-wachsenen Menschen. Die rechtliche Betreuung ist da-her stets nachrangig gegenüber anderen, insbesonderesozialen Hilfen.Hier hat mein Bundesland, Mecklenburg-Vorpom-mern, 2008 ein Projekt gestartet, von dem Sie wahr-scheinlich schon gehört haben. Es trägt den Namen „Be-treuungsoptimierung durch soziale Leistungen“. DieErgebnisse dieser Studie liegen vor. Sie zeigen zum ei-nen zwar, dass man in der kurzen Zeit nachhaltige Er-folge nicht erzielen konnte. Dies war allerdings aufgrundder kurzen Dauer des Projektes, 2008 bis heute, auchnicht zu erwarten.
Andererseits kommt die Studie zu folgendem Ergebnis– ich zitiere jetzt die CDU-Justizministerin in Mecklen-burg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder –:Wir brauchen gut funktionierende Betreuungsbe-hörden. Dazu müssen auch die bundesgesetzlichenRahmenbedingungen … verbessert werden.Wir haben es schon gehört: Es liegt ein Referenten-entwurf zur Stärkung der Funktion der Betreuungsbe-hörde aus dem BMJ vor; auch Frau Granold hat vorhindarauf hingewiesen. Allerdings muss ich Ihnen sagen:Weitreichende Verbesserungen erhoffe ich mir hiervonnicht; denn die Studie aus Mecklenburg-Vorpommernhat weiterhin ergeben, dass der Abbau sozialer Dienstevöllig kontraproduktiv ist.
Wir wissen es alle: In nahezu allen Sozialleistungsbe-reichen bestehen gegenwärtig ein hoher Kostendruckund ein Problem hinsichtlich der Zuständigkeiten. Zwi-schen den Trägern findet aufgrund bestehender Überlas-tung und aufgrund mangelnder Durchsicht durch dieZersplitterung der Leistungsbereiche zu wenig Koopera-tion statt. Die SPD-Fraktion fordert daher neben demAusbau statt dem Abbau sozialer Dienste eine Revisiondes SGB IX. Die Eingliederungshilfe, die bislang imSGB XII untergebracht ist, gehört ins SGB IX. Damit er-reichen wir eine einfachere Zuordnung und eine einfa-chere Anwendung der verschiedenen Möglichkeiten dersozialen Hilfen.
Dies hilft nicht nur den Betroffenen bei der Suche nachHilfe. Eine erleichterte Kooperation und eine auf Bera-tung, Prävention und soziale Teilhabe zielende Politikkann darüber hinaus Kosten in deutlicher Höhe sparen.Die Behindertenbeauftragte der SPD-Fraktion, meineKollegin Silvia Schmidt, hat an anderer Stelle schon ein-mal auf erfolgreiche Projekte hingewiesen. Ich verweiseauf das Bielefelder Modell und auf die Wohnberatungdes Kreises Unna. Durch eine gute Präventionsarbeitkonnten innerhalb von zwei Jahren 58 Heimeinweisun-gen verhindert und damit Kosten von über 2 MillionenEuro eingespart werden.Meine Damen und Herren, ursprünglich hatte ich be-absichtigt, an dieser Stelle weitere Ausführungen zumPersönlichen Budget zu machen, weil mir das ein beson-deres Anliegen ist. Ich versuche, in der Kürze der Zeitdarzustellen, was damit gemeint ist. Ich bin überzeugtdavon, dass die meisten Zuhörer auf der Tribüne garnicht wissen, was das ist. Das ist traurig, aber wahr.Das war eine gut gemeinte Idee, die wir mit auf denWeg gebracht haben. Das Persönliche Budget folgt demPrinzip: Geld statt Sachleistung. Es sollte aus Hilfeemp-fängern eine Art Arbeitgeber machen. Was steckt dahin-ter? Es war so gemeint, dass der Betreute das Persönli-che Budget beispielsweise für Hilfen im Haushalt,Behördengänge, Arztbesuche, Fahrdienste oder Kino-
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und Theaterbesuche verwenden kann. Leider ist aus die-sem Projekt bislang noch viel zu wenig geworden.
Auf Ihre diesbezügliche Frage, meine Kollegen vonden Grünen, hat die Regierung nur geantwortet, dass esin diesem Zusammenhang Gespräche zwischen demBMAS und dem BMJ gebe. Das ist uns viel zu dünn.
Das letzte Thema, das ich hier noch kurz ansprechenmöchte, betrifft die Stellung der ehrenamtlichen Be-treuer und der Berufsbetreuer. Frau Granold hat schondarauf hingewiesen: Im System ist vorgesehen, dass dieehrenamtlichen Betreuer Vorrang vor den Berufsbetreu-ern haben. Man soll also erst versuchen, ehrenamtlicheBetreuer zu finden, bevor man auf die Berufsbetreuerzurückgreift.In der Praxis ist es so, dass rund 70 Prozent aller Be-treuungen ehrenamtlich durchgeführt werden. Ich denke,das ist auch gut so. Die meisten Betreuten wünschen sicheine persönliche Betreuung von jemandem, der siekennt. Deshalb unterstützen wir dieses System nach wievor.Andererseits darf es nicht so sein, dass man kategori-siert nach dem Prinzip, dass ehrenamtliche Betreuer gutund billig und Berufsbetreuer böse und teuer sind, han-delt. Das ist keineswegs damit gemeint. Sicher ist es so,dass sich die meisten Menschen eine Betreuung durcheinen Angehörigen wünschen. Es gibt aber auch Fälle– das sind meistens die komplizierten Fälle –, bei deneneine Berufsbetreuung erforderlich ist.Ein Gegeneinander beider Gruppen wird schondeshalb keine Zukunft haben können, weil die massiveZunahme an Hilfsbedürftigkeit der Schwächsten derGesellschaft nach einer konzertierten Aktion verlangt.Wir müssen überlegen, ob das gegenwärtige Vergü-tungssystem für die Berufsbetreuer noch gerecht ist. Esdarf nämlich nicht sein, dass der tatsächliche Zeitauf-wand, den Berufsbetreuer für die Betreuung benötigen,in keinem Verhältnis zu dem pauschalierten Zeitbudgetsteht. Insofern ist aus unserer Sicht eine weitere For-schung dringend erforderlich mit dem Ziel, Kriterien füreine mehr einzelfallbezogene Typologie der Bezahlungzu erarbeiten.In einem sind wir uns wahrscheinlich alle einig: Werehrenamtlich eine Betreuung wahrnimmt, verdient un-sere höchste Anerkennung. Darüber hinaus müssen dieBerufsbetreuer die Möglichkeit haben, jedem Betreutenohne Zeitdruck die notwendige Zuwendung zukommenzu lassen.
Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass der Ent-schließungsantrag der Grünen unsere Zustimmung fin-den wird.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Steffen, Ihre Aussage, dass Menschen mitBehinderung kein Wahlrecht haben, trifft nicht zu.
Im Betreuungsrecht gibt es zwar eine Regelung, dievorsieht, dass Menschen, die in allen drei festgelegtenBelangen unter Betreuung stehen, vom Wahlrecht ausge-schlossen werden. Grundsätzlich haben Menschen mitBehinderung in unserem Land aber das Wahlrecht.Bevor ich in die Thematik einsteige, möchte ich Ihneneinen Blog-Eintrag vorlesen:Es ist einfach gut zu wissen, dass es jemanden gibt,den man bei Problemen, z. B. mit Anträgen, anru-fen kann oder der einen bei Behördengängen be-gleitet. Ich finde es auch super, dass mir durch dieBetreuung nicht alles einfach nur abgenommenwird, was mich wiederum in eine Art Abhängigkeittreiben würde …Diese Aussage stammt aus einem Internetforum zurgesetzlichen Betreuung. Es wird deutlich, dass unserBetreuungsrecht Menschen hilft, die aufgrund einer Be-hinderung oder einer psychischen Erkrankung auf dieUnterstützung bei der Erledigung ihrer Angelegenheitenangewiesen sind.Menschen mit schwerer Demenz, Menschen imWachkoma, Menschen mit geistiger Behinderung oderMenschen mit psychischen Erkrankungen brauchen Un-terstützung – und das in unterschiedlichem Umfang.1,3 Millionen Menschen stehen in Deutschland unterBetreuung. Maßgeblich für eine Entscheidung, eine Be-treuung zu verhängen, ist, ob eine Person aufgrund derBehinderung oder Erkrankung die Angelegenheitenselbst erledigen kann, ohne Gesundheit, Vermögen oderandere Rechtsgüter zu gefährden. Eine bewusste Selbst-schädigung eines Menschen hingegen wäre kein Grundfür eine Betreuung. Die Betreuung muss per Gerichts-beschluss verhängt werden. Es muss auch darüberentschieden werden, in welchen Aufgabenkreisen dieBetreuung erfolgen soll: Gesundheitssorge, Aufenthalts-bestimmung, Vermögenssorge oder Wohnungsangele-genheiten.Drei Aspekte machen das Wesen des Betreuungsrech-tes aus: erstens Schutz, zweitens Fürsorge und drittensSelbstbestimmung. Dabei steht das persönliche Wohl-ergehen der Menschen im Vordergrund. Angeordnetwerden soll die Betreuung nur dann, wenn sie wirklicherforderlich ist.
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28312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 226. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. März 2013
Gabriele Molitor
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Es ist bereits gesagt worden: Das deutsche Betreu-ungsrecht ist im internationalen Vergleich sehr angese-hen. Es gilt als modern, weil das Selbstbestimmungs-recht an oberster Stelle steht, und es entspricht der UN-Behindertenrechtskonvention.Eine Beobachtung, die heute schon mehrfach geäu-ßert worden ist, sollte uns nachdenklich machen: Das istdie Erhöhung der Fallzahlen. Hier müssen wir schauen,ob nicht durch den Einsatz von Beratung und Assistenzetwas geleistet werden kann, was im Grunde dengleichen Zweck erfüllt, nämlich die Menschen zu unter-stützen.An dieser Stelle hat die interdisziplinäre Arbeits-gruppe zum Betreuungsrecht gute Arbeit geleistet.Hieran war das Bundesjustizministerium maßgeblichbeteiligt. Es ging darum, wie das Betreuungsrecht wei-terentwickelt werden kann und wo es verbessert werdenkann.Im Abschlussbericht, der im Oktober 2011 vorgelegtwurde, wird eine Verbesserung des Betreuungsrechtes ander Schnittstelle zu anderen Hilfen für notwendig erach-tet. Unser Sozialrecht ist derart kompliziert, dass esmitunter nicht so einfach ist, sein Recht zu bekommen.Also, die Handhabbarkeit ist sehr wichtig. Es mussdarum gehen, Unterstützung und Hilfsangebote für Men-schen mit Behinderungen zu bekommen.Wir wollen letzten Endes dafür sorgen, dass Men-schen mit Behinderungen nicht im Dschungel der Behör-den verloren gehen, sondern dass sie auch zu ihremRecht kommen können. Gleichzeitig warne ich aberdavor, die rechtliche Betreuung grundsätzlich infrage zustellen. Es geht nicht darum, Menschen mit hohem Un-terstützungsbedarf zu diskriminieren, ihr Recht aufSelbstbestimmung zu beschneiden oder ihnen ihre Frei-heit zu rauben. Manche Menschen sind aufgrund vonBehinderung oder schwerer Erkrankung nicht oder kaumin der Lage, Verantwortung für sich selbst zu überneh-men. Diese Menschen dürfen wir nicht allein lassen.Diese Menschen sehen in einer Betreuung keine Bevor-mundung, sondern eine echte Hilfe.Inklusion würde falsch verstanden, wenn notwendigeHilfen und Unterstützungen abgelehnt werden. Inklusionheißt, Menschen auch im Alltag und bei ihren persönli-chen Angelegenheiten zu helfen. Deswegen habe ich hinund wieder Probleme mit den Argumenten der Grünen.Ich denke, dass das Betreuungsrecht sehr wohl in Ein-klang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht.Wir wollen erwirken, dass die Menschen Rechts- undHandlungsfähigkeit haben. Der gesetzliche Betreuerleistet hier eine wichtige Arbeit.Ich schließe mich den Zielen und Vorschlägen derBundesjustizministerin an. Es ist wichtig, qualifizierteKriterien für den Bericht der Betreuungsbehörde gesetz-lich festzulegen und die Aufgaben in einem Betreuungs-behördengesetz zu konkretisieren. Es geht auch darum,andere Hilfen als die gesetzliche Betreuung aufzuzeigenund zu prüfen, inwiefern sie zur Umsetzung des Zielsder Selbstbestimmung beitragen können. Ich bin mir si-cher, dass das bald vorzulegende Gesetz zur Stärkungder Funktion der Betreuungsbehörden genau diesePunkte mit umfasst. Es geht darum, die Betreuung stän-dig zu verbessern und fortzuentwickeln und zu einerwirklichen Verbesserung für die Menschen mit Behinde-rungen in unserem Land zu kommen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Beim Betreuungsrechtgeht es darum, wer ganz am Ende das Sagen hat: derHelfer oder derjenige, dem geholfen werden soll?Momentan ist es so, dass der Helfer das Sagen hat, alsovormundschaftlich. Auf Treu und Glauben oder gemein-sam auf Augenhöhe? Das ist die Frage im Betreuungs-recht.
Es geht, so gesehen, um Sein oder Nichtsein der UN-Behindertenrechtskonvention; die Art. 12 bis 14 sindvom Kollegen Kurth schon genannt worden.Es geht um 1,3 Millionen betroffene Menschen inDeutschland, um eine Steigerungsrate an Betreuungs-fällen von 110 Prozent innerhalb von 15 Jahren, umrasant wachsende Betreuungszahlen unter Jugendlichenund um zunehmende Beschwerden über die Betreuerin-nen und Betreuer. Deshalb begrüßen wir euren Ent-schließungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen. Er stellt die regierungsamtliche Selbstge-fälligkeit öffentlich auf den Prüfstand. Zitat:Das deutsche Betreuungsrecht gilt als eines der mo-dernsten Rechtsinstrumente dieser Art in Europa.Das ist heute schon mehrfach gesagt worden. Dasstimmt, das mag ja sein. Aber es ist noch längst nicht aufdem Stand der UN-Behindertenrechtskonvention.Mit der Abschaffung der Vormundschaft, so heißt esin der Antwort der Bundesregierung auf die vorliegendeGroße Anfrage, sei die Regierung schon lange einenWeg gegangen, auf dem jetzt die internationale Staaten-gemeinschaft folgen wolle. Bedauerlicherweise ist dasVormundschaftsrecht nicht abgeschafft, sondern nur ab-gemildert worden.Liest man die Antworten genauer, so zeigt sich, dassdie Worte „Vertretung“ und „Unterstützung“ synonymverwendet werden, als läge in dieser Unterscheidungnicht gerade ein Großteil des Problems.
Wer vertreten wird, ist Objekt. Als Subjekt wird derMensch unterstützt, nicht aber vertreten.
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Dr. Ilja Seifert
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Fragen Sie doch einmal die Angehörigen sterbenderEltern, die, mit ihrer Betreuungsvollmacht in der Hand,entscheiden sollen, ob ihre Väter oder Mütter am Bett fi-xiert werden dürfen oder nicht. Sie wissen nicht, ob siefür ihre Eltern entscheiden. Sie wissen aber, dass sieüber ihre Eltern entscheiden, und quälen damit sichselbst und die Eltern.Oder ein nicht weniger krasses Beispiel: Ein Menschmit Behinderung, der dem Betreuungsrecht unterworfenist, darf nicht einmal selbst entscheiden, ob sie oder erMitglied eines Behindertenverbandes werden oder blei-ben darf. Wenn dem Betreuer die 4 Euro Mitgliedsbei-trag zu viel sind, bestimmt er vormundschaftlich, alsoendgültig, dass die Mitgliedschaft in der eigenen Interes-sen- oder Selbsthilfeorganisation unnötig sei. Das istVormundschaftlichkeit und kein modernes assistierendesBetreuungsrecht.Mir scheint allerdings, der Entschließungsantragbleibt in einer grundlegenden Frage der Regierungslogikverhaftet, wenn er die Betreuung und Assistenz weiter-hin gleichwertig nebeneinanderstehen lässt. Reicht eswirklich, nach Modellen rechtlicher Assistenz zu fra-gen? Wir, die Linke, wollen ein Recht, das assistierendeBegleitung in den Mittelpunkt stellt und regelt und dievormundschaftlichen Betreuungsmaßnahmen wirklichausschließt. Weniger Sanktionen, mehr rechtliche undsoziale Bildung. Darüber sind wir alle uns offensichtlicheinig. Diese Forderung des Entschließungsantrags unter-stützen wir ausdrücklich. Wir meinen damit nicht nur dieAssistentinnen und Assistenten; auch Staatsanwälte,Richter, Behörden und Sozialarbeiter gehören dazu.Wir meinen aber auch, dass es dazu gehört, eine men-schenrechtliche Grundlage zu bilden, das Recht zu ver-einfachen sowie Beratungsstrukturen flächendeckendund kostenfrei bereitzustellen. Angehörige und naheFreunde brauchen mehr Ressourcen, um flexibler beglei-ten zu können. Dazu gehören auch Lohnausgleich undSupervision, wann immer das erforderlich ist.Die Linke forderte schon bei der Ratifizierung derUN-Behindertenrechtskonvention, das Betreuungsrechterheblich zu ändern und von der Vormundschaft zu be-freien. Betreut oder begleitet, vertreten oder unterstützt –das ist ein grundlegender Unterschied in der Verfasstheiteines Lebens.
Hier steht nicht nur unser Menschenbild, sondern auchunser Freiheitsverständnis auf dem Prüfstand. Es gehtum Partizipation und Emanzipation. Es geht darum, unsselbst ernst zu nehmen, jede und jeden, jeden Tag.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12539. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 13. März 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute.