Protokoll:
14162

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 162

  • date_rangeDatum: 30. März 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:45 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 14: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS: Gegen Rechtsextremismus, Frem- denfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Nachhaltige Bekämp- fung von Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Vogt (Pforzheim), Ernst Bahr, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gegen Rechtsextremis- mus, Fremdenfeindlichkeit, Anti- semitismus und Gewalt – zu dem Antrag der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeind- lichkeit und daraus resultieren- der Gewalt (Drucksachen 14/5456, 14/4067, 14/3516, 14/3106, 14/4145, 4/5695) 15801 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Bekämpfung des politischen Extremismus (Drucksachen 14/295, 14/1556) . . . . . 15801 C Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15801 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 15804 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 15804 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15807 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 15809 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15811 C Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 15812 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15813 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15814 A Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15815 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 15818 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 15819 A Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur Neuordnung des Gerichtsvoll- zieherkostenrechts – GvKostRNeuOG (Drucksachen 14/3432, 14/4913, 14/5385, 14/5685) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15821 C Plenarprotokoll 14/162 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 162. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. März 2001 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung derVerordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten (Drucksachen 14/4721, 14/5142, 14/5384, 14/5686) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15821 C Tagesordnungspunkt 15: Große Anfrage der Fraktion der PDS: Kriegsbilanz (Drucksachen 14/3047, 14/5677) . . . . . . . 15821 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15822 A Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15823 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15824 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 15824 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15826 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . . 15828 C Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15830 A Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 15831 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 15833 A Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15835 B Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Franz Thönnes, Doris Barnett, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Ekin Deligöz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Jobrotation im Arbeitsförderungs- recht verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bessere Erwerbsaus- sichten für ältere Arbeitnehmer durch bessere Qualifizierung (Drucksachen 14/5245, 14/2909, 14/5608) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15837 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15837 B Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . . 15838 B Gerd Andres SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15840 C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . . 15840 D Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15841 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15844 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15845 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Dr. Heinz Riesenhuber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Steuerliche Rahmenbe- dingungen für die Gewährung von Aktienoptionen an Mitarbeiter (stock options) verbessern Drucksache 14/5318) . . . . . . . . . . . . . 15846 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Keine Steuer beim Aktien- tausch (Drucksache 14/3009) . . . . . . . . . . . . . 15846 C Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . . 15846 C Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15848 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . . . . 15850 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15851 B Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 15852 C Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15854 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sonderprogramm zur Sicherung und Erhöhung des Ni- veaus der Landes- und Hochschulbiblio- theken am Wissenschafts- und For- schungsstandort Deutschland (Drucksache 14/5105) . . . . . . . . . . . . . . . 15855 B Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15855 C Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15856 C Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15857 A Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 15857 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15859 D Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15861 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15863 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15865 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001II Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zur Abstimmung über den Antrag: Gegen Rechtsextremismus, Fremden- feindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt (Drucksache 14/5456) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15866 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Steuerliche Rahmenbedingungen für die Gewährung von Aktienoptionen an Mitar- beiter (stock options) verbessern – Keine Steuer beim Aktientausch (Tagesordnungspunkt 17 a und b) . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15867 A Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15867 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001 III 15867 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001 Jörg Tauss 15863 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001 15865 (C) (D) (A) (B) Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 30.03.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 30.03.2001** Dr. Blank, CDU/CSU 30.03.2001*** Joseph-Theodor Bodewig, Kurt SPD 30.03.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 30.03.2001 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 30.03.2001 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 30.03.2001 Herta Friedhoff, Paul K. F.D.P. 30.03.2001 Griefahn, Monika SPD 30.03.2001 Hartnagel, Anke SPD 30.03.2001 Hempelmann, Rolf SPD 30.03.2001 Heubaum, Monika SPD 30.03.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 30.03.2001 DIE GRÜNEN Hofbauer, Klaus CDU/CSU 30.03.2001 Homburger, Birgit F.D.P. 30.03.2001 Hörster, Joachim CDU/CSU 30.03.2001 Ibrügger, Lothar SPD 30.03.2001 Irber, Brunhilde SPD 30.03.2001 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 30.03.2001 Kirschner, Klaus SPD 30.03.2001 Klappert, Marianne SPD 30.03.2001 Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 30.03.2001 Dr. Lamers CDU/CSU 30.03.2001 (Heidelberg), Karl A. Lengsfeld, Vera CDU/CSU 30.03.2001 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 30.03.2001 Klaus W. Louven, Julius CDU/CSU 30.03.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 30.03.2001 Erich Mascher, Ulrike SPD 30.03.2001 Mattischeck, Heide SPD 30.03.2001 Meckel, Markus SPD 30.03.2001*** Neumann (Gotha), SPD 30.03.2001 Gerhard Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ 30.03.2001 DIE GRÜNEN Poß, Joachim SPD 30.03.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 30.03.2001 Rachel, Thomas CDU/CSU 30.03.2001 Robbe, Reinhold SPD 30.03.2001 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 30.03.2001 Hannelore Schloten, Dieter SPD 30.03.2001 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 30.03.2001 Schmidt-Zadel, Regina SPD 30.03.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 30.03.2001 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 30.03.2001 Schuhmann (Delitzsch), SPD 30.03.2001 Richard Dr. Schuster, R. Werner SPD 30.03.2001 Singhammer, Johannes CDU/CSU 30.03.2001 Dr. Freiherr von CDU/CSU 30.03.2001 Stetten, Wolfgang Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 30.03.2001 Thönnes, Franz SPD 30.03.2001 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 30.03.2001 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 30.03.2001 DIE GRÜNEN Dr. Westerwelle, Guido F.D.P. 30.03.2001 Wissmann, Matthias CDU/CSU 30.03.2001 Wistuba, Engelbert SPD 30.03.2001 Wohlleben, Verena SPD 30.03.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 30.03.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 30.03.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO **** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamen- tarischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht **** Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag: Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Anti- semitismus und Gewalt (Drucksache 14/5456) Ulla Jelpke (PDS):Die Entschließung ist ein wichti- ges Signal für den gemeinsamen Kampf gegen Rechtsex- tremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt. Sie ist deshalb hoffentlich auch eine Ermutigung für den zivilen, den gesellschaftlichen Widerstand gegen den menschenverachtenden Neofaschismus. Ich unter- stützte sie. Ich sage aber auch: Wenn es uns gemeinsam gelungen wäre, dafür zu sorgen, dass endlich auch die Opfer der NS-Zwangsarbeit etwas Geld bekommen, dann hätte unsere heutige Entschließung sicher eine größere Tragweite, wäre das Eintreten der deutschen Politik und Gesellschaft gegen Rechtsextremismus glaubwürdiger. Die Entschließung ist auch eine klare Absage an Ver- suche der CDU/CSU, den Kampf gegen Rechtsextremis- mus zu ersetzen durch eine scheinbar gleichgewichtige Bekämpfung gegen „Extremismus“ von links und rechts, durch schärfere Strafgesetze und durch eine Einschrän- kung des Versammlungsrechts. Die CDU/CSU will die PDS aus dem gemeinsamen Bündnis gegen rechts ausgrenzen und den Kampf gegen Neofaschismus für die Einschränkung von Bürgerrechten und den Ausbau von Polizei und Geheimdiensten instru- mentalisieren. Die Gleichsetzung von rechts und links ist ein demagogischer Trick der Konservativen, der zur Ba- gatellisierung des Rechtsextremismus führt, während die Sicherheitsorgane die angeblichen Gefahren von links aufbauschen und ihre Repression gegen Linke verstärken. Das war schon immer falsch und verwerflich. Fast einhundert Menschen sind in den letzten Jahren durch braune Gewalt gestorben. Wie viele dieser Men- schen könnten noch leben, wenn die Bagatellisierung der rechten Gewalt früher korrigiert worden wäre? Die Verantwortung für diese falsche Politik trifft aber nicht nur die alte Regierung aus CDU/CSU und F.D.P. Auch die neue Regierung und ihr Innenminister Schily setzen diese falsche Politik fort, bagatellisieren weiter rechte Gewalt, verbreiten weiter falsche Zahlen über die Todesopfer der Neonazis und diffamieren antifaschisti- sche Organisationen wie die VVN-BdAund den Bund der Antifaschisten. Auch zu einer Verschärfung der Strafgesetze gegen rechts besteht kein Grund – nicht nur, weil die bestehen- den Gesetze völlig ausreichen. Abbau von Bürgerrechten, um so angeblich Rechtsextremismus zu bekämpfen, ist wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Nötig sind nicht weniger, sondern mehr Bürgerrechte, vor allem für Flüchtlinge, für Migrantinnen und Migranten, die Hauptopfer rechter Gewalt waren und sind. Ich habe als Berichterstatterin meiner Fraktion im In- nenausschuss an der Formulierung der Entschließung mitgewirkt. Dabei ist es gelungen, wichtige Anliegen wie den Ausbau des Opferschutzes, ein Plädoyer für eine un- abhängige Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die zumindest verbale Unterstüt- zung von Bündnissen gegen rechts und andere Anliegen zu einem Votum aller Fraktionen zu machen, die diese Re- solution nun unterstützen. Aber es gibt auch weiter viele berechtigte Kritik. In vielen Bereichen ist die Entschlie- ßung noch immer von Eigenlob der Regierung durchzo- gen. Statt klarer Aufträge gibt es Bitten, Empfehlungen, Ratschläge. Für Basisinitiativen, Bündnisse gegen rechts, antifaschistische Initiativen, Einrichtungen zur Flücht- lingshilfe und demokratische Jugendprojekte gibt es gute Worte, aber viel zu wenig Geld. Ohne die gesellschaftlichen Initiativen und Organisatio- nen, ohne die Anstrengungen von vielen Menschen wird es keine Erfolge gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind- lichkeit und Antisemitismus geben. Der Kampf gegen rechts darf nicht an Behörden, an Polizei und Geheimdiens- te delegiert werden. Bündnisse gegen rechts, antirassisti- sche und antifaschistische Initiativen, die vor Ort tätig sind, sind das A und O des Kampfes gegen rechts. Die Gering- schätzung, die die Bundesregierung diesen Initiativen noch immer entgegenbringt, indem sie ihnen kein Geld, keine Unterstützung gewährt, ist ein schwerer Fehler. Auch die Auffassung, Rechtsextremismus sei sozial begründet oder könne durch soziale Maßnahmen zurück- gedrängt werden, ist für mich falsch. Rechtsextremismus ist vor allem ideologisch und politisch begründet. Hier muss die Auseinandersetzung ansetzen und geführt wer- den. „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbre- chen“, „Nazis raus aus den Köpfen!“ sind dazu richtige Forderungen. Ein entscheidender Schritt für den Kampf gegen rechts steht weiter aus. Wer Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in dieser Gesellschaft wirklich bekämpfen will, der muss auch die staatliche Flüchtlings- und Migrationspolitik end- lich grundlegend korrigieren. Denn diese Politik ist selbst rassistisch und fremdenfeindlich. Die Reform des Staats- bürgerschaftsrechts ist ein Flop. Die Hoffnungen vieler Migrantinnen und Migranten, nicht mehr Menschen zwei- ter Klasse zu sein, sind enttäuscht worden. Die ausländer- feindlichen Kampagnen gehen weiter. Selbst in der EU steht diese Regierung bei allen Reformversuchen, die mehr Menschenrechte für Flüchtlinge und Migranten er- reichen wollen, weiter auf der Bremse. Ich nenne nur die Blockade der Reform des Familiennachzugs, ich nenne die Weigerung der Bundesregierung, die Konvention des Eu- roparats zur Staatsbürgerschaft mit ihrer Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft zu unterzeichnen, ich nenne weiter die UN-Konvention über die Rechte der Wander- arbeiter, die die Regierung nicht ratifizieren will. Solange Flüchtlinge weiter an den Grenzen abgewehrt oder in Abschiebehaft gesteckt und gewaltsam abgescho- ben werden, das Asylbewerberleistungsgesetz und andere rassistische Gesetze weiter in Kraft sind, so lange werden braune Gewalttäter weiter behaupten, sie vollstreckten mit ihren Gewalttaten nur den stillschweigenden Willen der Mehrheit der Menschen in diesem Land. Auf diesem wichtigen Feld bringt die heutige Entschließung keine Verbesserung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 200115866 (C) (D) (A) (B) Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Steuerliche Rahmenbedingungen für die Gewäh- rung von Aktienoptionen an Mitarbeiter (stock op- tions) verbessern – Keine Steuer beim Aktientausch (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Barbara Höll (PDS): Wenn man den CDU/ CSU-Antrag liest, möchte man meinen, die Entlohnung über Aktienoptionen solle steuerlich begünstigt werden. Das ist nicht ganz korrekt. Denn die CDU/CSU möchte nicht nur schlechthin eine Begünstigung von Aktienoptio- nen, sondern sie möchte diese noch mehr begünstigen. In Ihrem Antrag unterschlagen Sie nämlich, dass schon jetzt Aktienoptionen steuerlich subventioniert werden. Die Hauptursache liegt in der gerade verabschiedeten Un- ternehmensteuerreform, nach der Unternehmensgewinne deutlich niedriger besteuert werden als Löhne und Gehäl- ter. Aber das reicht der CDU/CSU noch nicht. Sie möchte gern noch draufsatteln. Vielleicht einigen Sie sich doch einmal auf eine Linie in Ihrer Steuerpolitik. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten Sie gerade den Vorschlag für eine große Steuerreform im Parlament eingebracht, die mit allen Steuerprivilegien und steuerlichen Subventio- nen aufräumen wollte. Aber schauen wir uns etwas näher an, was Ihnen so am Herzen liegt. Aktienoptionen sind besonders risikoanfäl- lig – da die Bewertung von Aktien durch die Börse erfolgt. Wie die jüngste Entwicklung zeigt, reflektiert der Bör- senwert in den seltensten Fällen den wirklichen Wert und die Erfolgsaussichten eines Unternehmens. Hier fließen subjektive Erwartungen, spekulative Überhöhungen bzw. Untertreibungen ein, die oft mit der wirklichen Wirt- schaftssituation des jeweiligen Unternehmens kaum et- was zu tun haben. Und dies gilt in besonderen Maße für die viel gerühm- ten Unternehmen der New Economy. Ein Bruchteil der Unternehmen des Neuen Marktes erwirtschaftete in den vergangenen Jahren Gewinn. Trotzdem stiegen die Kurse ins Unermessliche. Diesem rasanten Anstieg folgte – wie nicht anders zu erwarten – ein rasanter Fall. Hinzu kommt bei diesen Unternehmen, dass ihre Pflichten zur Offenle- gung der wirtschaftlichen Situation unzureichend ausge- staltet sind. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die betrügerischen Aktivitäten von Geschäftsführungen ge- rade von Unternehmen des Neuen Marktes. Die Zeitun- gen der letzten Wochen sind voll von Meldungen, wonach die „Bosse“ von so genannten New Economy-Unterneh- men rechtzeitig vor dem Sinken der Börsenkurse große Ak- tienpakete verkauft haben. So verkaufte der EM.TV- Boss Anteile für 20 Millionen Euro, der Intertainment-Boss Aktien im Wert von über 2 Millionen Euro. Während die Mitarbeiter dann in aller Regel auf ihren Optionen festsitzen und sich nicht einfach aus dem Un- ternehmensrisiko zurückziehen können, haben das ihre Bosse schon längst getan. Und damit nicht genug: Mit dem massenhaften Verkauf eigener Anteile wird weiter Druck auf die Börsenkurse ausgeübt und der Lohnraub dadurch noch erhöht. Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass selbst im gelobten Land der New Economy – nach kurzer Euphorie – die Entlohnung über Aktienoptionen die Beschäftigten kaum noch wirklich beeindruckt. Die Beschäftigten wollen sich auch in der New Economy nicht mehr auf imaginäre Zukunftsaussichten vertrösten lassen – sie wollen für ihre Arbeit zum Zeitpunkt ihrer Ar- beit das Geld sehen, dass ihnen zusteht. Ganz im Zeichen der verrufenen Old Economy fordern sie Betriebsräte ein, bilden zur Durchsetzung ihrer Forderungen gewerk- schaftliche Vertretungen. Es ist ganz in der Tradition der CDU/CSU, dass Sie diesen Lohnraub mit steuerlichen Instrumenten auch noch fördern wollen, dass Sie nun auch die Löhne der Speku- lation und Betrug aussetzen wollen. Dies lehnen wir aber ab. Ähnlich verhält es sich mit dem F.D.P.-Antrag zur Steuerfreiheit des Aktientauschs. Es reicht der F.D.P. nicht, dass Spekulationsgewinne nur zur Hälfte besteuert werden. Nein, sie möchte – zumindest, wenn Aktien ge- gen Aktien verkauft werden – diese gänzlich von der Ein- kommensteuer befreien. Sie ignoriert dabei gänzlich, dass diese Aktien oftmals gerade in Hinblick auf eine zu er- wartende Fusion und die damit einhergehenden Kursstei- gerungen erworben wurden. Das Bild, das die F.D.P. uns hier von dem armen Aktionär zeichnen will, der sich völ- lig überraschend und hilflos einer Fusion ausgesetzt sieht, ist doch etwas ergänzungsbedürftig. Begründet wird das alles mit der Ungleichbesteuerung von privaten Spekulationsgewinnen und Gewinnen der Kapitalanlagegesellschaften. Mit der Unternehmensteu- erreform des Herrn Minister Eichel sind Gewinne von Ka- pitalgesellschaften aus der Veräußerung von Untenehmen steuerfrei gestellt, während kurzfristige Spekulationsge- winne des Privatanlegers besteuert werden – wenn auch nur zur Hälfte Die F.D.P. sollte, wenn ihr die Gleichbesteuerung wirk- lich so sehr am Herzen liegt, mit der Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne von großen Konzernen, Banken und Versicherungen aufräumen. Das wäre wirklich ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit und Besteuerungs- gleichheit! Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2001 15867 (C) (D) (A) (B) Finanzausschuss Drucksache 14/4309 Nr. 1.39 Drucksache 14/5172 Nr. 2.14 Drucksache 14/5172 Nr. 2.87 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/671 Nr. 1.5 Drucksache 14/4441 Nr. 1.26 Drucksache 14/4570 Nr. 1.5 Drucksache 14/5172 Nr. 2.61 Drucksache 14/5172 Nr. 2.99 Drucksache 14/5281 Nr. 2.13 Drucksache 14/5281 Nr. 2.14 Drucksache 14/5281 Nr. 2.15 Drucksache 14/5363 Nr. 2.16 Drucksache 14/5363 Nr. 2.17 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/5172 Nr. 2.80Drucksache 14/5281 Nr. 2.11Drucksache 14/5281 Nr. 2.19 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 14/1617 Nr. 2.30 Drucksache 14/3428 Nr. 1.8 Drucksache 14/4170 Nr. 2.3 Drucksache 14/4170 Nr. 2.4 Drucksache 14/4170 Nr. 2.5 Drucksache 14/4170 Nr. 2.6 Drucksache 14/4170 Nr. 2.7 Drucksache 14/4170 Nr. 2.8 Drucksache 14/4170 Nr. 2.9 Drucksache 14/4170 Nr. 2.10 Drucksache 14/4170 Nr. 2.11 Drucksache 14/4170 Nr. 2.12 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/5281 Nr. 2.2 Drucksache 14/5281 Nr. 2.4 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/4865 Nr. 2.1 Drucksache 14/5363 Nr. 2.9 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/5114 Nr. 2.6 Drucksache 14/5281 Nr. 3.2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/4945 Nr. 2.21 Drucksache 14/4945 Nr. 2.22 Drucksache 14/5172 Nr. 2.40 Drucksache 14/5172 Nr. 2.27 Drucksache 14/5172 Nr. 2.28 Drucksache 14/5172 Nr. 2.43 Drucksache 14/5172 Nr. 2.75 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/4309 Nr. 1.13 Drucksache 14/5172 Nr. 2.42 Drucksache 14/5172 Nr. 2.72 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/5114 Nr. 1.2 Drucksache 14/5114 Nr. 1.3 Drucksache 14/5114 Nr. 1.5 Drucksache 14/5172 Nr. 1.3 Drucksache 14/5363 Nr. 1.1 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/4570 Nr. 1.4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 162. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 200115868 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416200000
Guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff-
net. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P.
und der PDS
Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-
lichkeit, Antisemitismus und Gewalt

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Nachhaltige Bekämpfung von Extremis-
mus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Vogt

(Pforzheim), Ernst Bahr, Eckhardt Barthel


(Berlin), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD sowie der Abgeordneten Annelie
Buntenbach, Cem Özdemir, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-
lichkeit, Antisemitismus und Gewalt

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hildebrecht
Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Paul K.
Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Rechtsextremismus entschlossen bekämp-
fen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Petra Pau, Sabine Jünger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus,
Fremdenfeindlichkeit und daraus resultie-
render Gewalt

– Drucksachen 14/5456, 14/4067, 14/3516,
14/3106, 14/4145, 14/5695 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Hartmut Büttner (Schönebeck)


Annelie Buntenbach
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

b) Beratung des Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Bekämpfung des politischen Extremismus
– Drucksachen 14/295, 14/1556 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Vogt (Pforzheim)

Dietmar Schlee
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Sebastian Edathy von der SPD-Fraktion das Wort.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1416200100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die Zahl der rechtsextremistisch mo-
tivierten Straftaten ist im Laufe des vergangenen Jahres
enorm gestiegen. 1999 sind 10 000 Fälle registriert wor-
den. Im Jahr 2000 waren es 16 000. Dabei ist die Zahl der
erfassten Gewalttaten von 746 auf 998 Fälle angewach-
sen. Eine Zunahme ist auch bei der Zahl der ge-
waltbereiten Rechtsextremisten zu verzeichnen. Im Jahre
1999 waren es nach amtlichen Erkenntnissen 9 000, im
letzten Jahr waren es 9 700.

Seit dem Sommer des letzten Jahres führen wir in
Deutschland verstärkt eine öffentliche Debatte über das
Thema Rechtsextremismus. Zunehmend wurde wahrge-
nommen, dass Rechtsextremismus kein Randproblem ist,
sondern eine zentrale Herausforderung unserer Demokra-
tie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


15801


(C)



(D)



(A)



(B)


162. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. März 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Wer, wie es Rechtsextremisten tun, die Würde anderer,
insbesondere die Würde Schwächerer, mit Worten und Ta-
ten in den Schmutz zieht, der stellt eine wesentliche
Grundlage unseres Gemeinwesens in Frage.

Ich möchte an dieser Stelle all jenen Bürgerinnen und
Bürgern danken, die in den vergangenen Monaten bun-
desweit deutlich gemacht haben, dass sie in den Angriffen
auf Minderheiten, ob auf Obdachlose, ob auf Behinderte,
ob auf nicht oder vermeintlich nicht Deutsche, das sehen,
was sie sind: nämlich Angriffe auf die Demokratie und da-
mit auf die Bürgergesellschaft als Ganzes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich habe mich in den vergangenen Monaten öfter ge-
fragt, was eigentlich erschreckender ist: die Steigerung
der Zahl der rechtsextremistischen Aktivitäten in
Deutschland oder die Tatsache, dass wir dem Rechtsex-
tremismus in Deutschland in den Jahren zuvor offenbar zu
wenig Beachtung geschenkt haben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wohl wahr!)

1998 zum Beispiel gab es 11 000 rechtsextremistische
Straftaten in Deutschland und keine breite öffentliche De-
batte, keinen Aufschrei der Empörung im Land. Hatten
wir damals, bei täglich rund 30 Straftaten, kein Problem
mit dem Rechtsextremismus? Wer in den vergangenen
Monaten behauptet hat, das Thema Rechtsextremismus
werde dramatisiert, sollte sich selbst fragen, ob er es in
den Jahren zuvor nicht völlig unterschätzt oder im Ein-
zelfall möglicherweise sogar bagatellisiert hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das Nicht-wahrhaben-Wollen, das Wegschauen hat im
letzten Jahr ein Ende gefunden und das ist gut so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Rechtsex-
tremismus als eine Herausforderung unserer Demokratie
betrachten, dann müssen wir als Demokraten bestrebt
sein, eine gemeinsame Antwort auf diese Herausforde-
rung zu geben. Dieses Thema eignet sich nicht für partei-
politische Profilierung. Es muss vielmehr das Ziel sein,
über die Parteigrenzen und hier im Bundestag über die
Grenzen zwischen Mehrheits- und Minderheitsfraktionen
hinweg eine Verständigung zu erreichen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Alle Fraktionen haben im letzten Jahr Anträge vorge-
legt und darin Wege zur Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus in Deutschland beschrieben. Ich
freue mich darüber, dass heute vier von fünf Fraktionen
des Bundestages, nämlich SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
F.D.P. und PDS, einen gemeinsamen Antrag mit dem Ti-
tel „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Gewalt“ zur Abstimmung stellen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir haben bei der Erarbeitung dieses Antrages sehr
heftig und zugleich konstruktiv miteinander diskutiert mit
dem Ziel – es wurde erreicht –, einen Text zu erstellen, der
differenzierte Ansätze für die Bekämpfung des Rechtsex-
tremismus aufzeigt, einen Text, der in mehr als 20 Punk-
ten ein ganzes Bündel von erforderlichen Maßnahmen be-
schreibt. Dabei stand im Vordergrund, Maßnahmen der
Intervention, des staatlichen Eingreifens nicht weniger
Aufmerksamkeit als Maßnahmen der Vorbeugung rechts-
extremistischer Entwicklungen und Maßnahmen zur
Stärkung der Zivilgesellschaft zu schenken.

Es ist wichtig – es ist sogar unabdingbar –, die Wahr-
nehmung des staatlichen Gewaltmonopols sicherzustel-
len und die Handlungsmöglichkeiten von Rechtsextre-
misten einzuschränken. In diesem Zusammenhang be-
grüße ich unter anderem den verstärkten Einsatz des Bun-
desgrenzschutzes auch in Form einer vermehrten Unter-
stützung der Länderpolizeien. Ebenso ist der Antrag auf
ein Verbot der NPD ein sinnvoller und notwendiger Be-
standteil einer Gesamtstrategie gegen den Rechtsextre-
mismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zugleich muss man sich vor Augen halten, dass ein
Drittel der NPD-Mitglieder zwischen 16 und 25 Jahre alt
ist. Das heißt für mich und meine Fraktion: Mindestens
ebenso wichtig wie die Bekämpfung rechtsextremisti-
scher Erscheinungsformen ist die Vorbeugung. Wir wol-
len in Deutschland vermehrt sichergestellt wissen, dass
Kindern und Jugendlichen demokratische Orientierung
vermittelt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir wollen, dass rechtsextremistischen Gruppen und Ver-
einigungen nicht allein mit Mitteln der Verbotspolitik ent-
gegengewirkt wird, sondern auch dadurch, dass wir ihnen
den Zulauf nehmen, indem wir verstärkt darauf achten,
Heranwachsende bei ihrer Entwicklung zu demokrati-
schen Staatsbürgern zu begleiten und sie dabei nicht al-
leine zu lassen. Es geht darum, nicht allein Symptome,
sondern Ursachen zu bekämpfen.

Es ist gut, dass wir im laufenden Bundeshaushalt nicht
zuletzt für Projekte der demokratischen Jugendarbeit zu-
sätzliche Mittel in einer erheblichen Größenordnung be-
reitgestellt haben. Allein im Haushalt des Bundesjugend-
ministeriums sind es 40 Millionen DM im Jahr 2001. Es
ist gut, dass die Bundeszentrale für politische Bildung un-
ter der Leitung von Thomas Krüger das Thema Rechtsex-
tremismus zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit erklärt
hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist gut, dass mehr und mehr Bundesländer darauf
achten, dass Schulen mehr sein müssen als Orte zur Ver-
mittlung von Sachwissen, dass jede Schule zugleich eine
Schule der Demokratie sein muss, ein Ort, an dem neben




Sebastian Edathy
15802


(C)



(D)



(A)



(B)


Mathematik, um ein Beispiel zu nennen, auch Erziehung
geleistet wird, Erziehung zu einem jungen demokrati-
schen Staatsbürger, der innerlich so gefestigt ist, dass er
die Herabsetzung anderer für seine eigene Bestätigung
nicht nötig hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Erstellung des fraktionsübergreifenden Antrags
war von dem Ziel geprägt, nicht den kleinsten, sondern
den größtmöglichen gemeinsamen Nenner der vier betei-
ligten Fraktionen zu finden und dabei auf Leerformeln zu
verzichten. Ich glaube, das Ergebnis, das wir heute dem
Bundestag vorlegen, kann sich sehen lassen, wobei wir si-
cherstellen müssen, dass das gerade von diesem Pult aus
oft bemühte Wort von der Nachhaltigkeit der Politik auch
für den Umgang mit Rechtsextremismus in Deutschland
gilt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Unser Antrag ist dafür eine gute Grundlage. Ich be-
dauere es außerordentlich, dass sich die CDU/CSU-Frak-
tion sehr schnell aus den Gesprächen über einen gemein-
samen Antrag des Deutschen Bundestages zurückgezogen
hat und stattdessen einen eigenen Antrag vorlegt.


(Zuruf von CDU/CSU: Einen besseren! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schon wieder so selbstgerecht!)


– Wenn er besser wäre, könnten wir ihm zustimmen. Die
Elemente, die in Ihrem Antrag gut sind, sind auch in unse-
rem enthalten, darüber hinaus enthält unserer aber noch ei-
niges mehr. Deshalb ist unser Antrag auch der geeignetere.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe in den letzten Tagen mehrfach die Behaup-

tung gehört und gelesen, die Union habe sich wegen der
Beteiligung der PDS dem fraktionsübergreifenden An-
trag nicht anschließen können. Das ist so nicht richtig.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Natürlich ist es richtig!)


Ich will in diesem Zusammenhang einer möglichen Le-
gendenbildung vorbeugen. Bevor es nämlich zu konkre-
teren Gesprächen gekommen ist, Herr Kollege Büttner,
hat die Union als Voraussetzung für einen gemeinsamen
Antrag zweierlei zur Bedingung erklärt, und zwar zum ei-
nen, dass sich ein Antrag gegen Rechtsextremismus auch
mit dem Linksextremismus in Deutschland beschäftigen
müsse. Man müsse also einen Antrag – so wie Sie es auch
getan haben – allgemein zum Thema politischer Extre-
mismus stellen.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass wir uns als
Demokraten, als Mitglieder des Deutschen Bundestages
darüber einig sind, grundsätzlich gegen Extremismus je-
der Art zu sein. Wer aber angesichts von 16 000 rechtsex-
tremistischen und 3 000 linksextremistischen Straftaten
im letzten Jahr in Deutschland nicht zur Kenntnis nimmt,
dass wir im Bereich des Rechtsextremismus ein beson-
ders gravierendes, ein spezifisches Problem haben, wird

Schwierigkeiten haben, mit diesem Problem angemessen
umzugehen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Man muss Probleme, die man lösen will, beim Namen
nennen. Ich habe vor einigen Jahren in meinem heutigen
Wahlkreis Zivildienst in einer Klinik für Alkoholabhän-
gige geleistet. Ich kann Ihnen darüber berichten: Die
schwierigsten Patienten, die die Klinik immer wieder auf-
suchen mussten, waren diejenigen, die nicht eingesehen
haben, dass sie ein Problem mit dem Alkohol hatten.
Wenn wir nicht deutlich sagen, dass wir in Deutschland
ein Problem mit dem Rechtsextremismus haben, werden
wir Schwierigkeiten haben, dieses Problem zu lösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der zweite Punkt, den die Union zur Bedingung ge-
macht hat, war – Sie können das im Antrag der
CDU/CSU-Fraktion nachlesen – eine ganze Reihe von
Forderungen nach Verschärfungen im allgemeinen
Strafrecht, im Jugendstrafrecht und im Versammlungs-
recht. Alle Fraktionen, mit Ausnahme der Union, sind der
festen Überzeugung, dass die bestehenden Instrumente
des Rechtsstaates ausreichend sind, wenn sie angewendet
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Im Grunde genommen findet sich im Antrag der
CDU/CSU selbst der Hinweis darauf, worauf es an-
kommt. Es heißt dort – man muss wissen, dass der Antrag
schon einige Monate alt ist – wörtlich:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, die Prüfung des Verbots der NPD schnell zu
Ende zu führen und bei Vorliegen der Voraussetzun-
gen, die einen Verbotsantrag rechtfertigen bzw. not-
wendig machen, diesen unverzüglich zu stellen.

Meine Damen und Herren von der Union, ich kann es
Ihnen nicht ersparen: Sie erheben in dem Antrag, den Sie
hier zur Abstimmung stellen, die Forderung nach einem
Verbotsantrag gegen die NPD, wie er nach Art. 21 des
Grundgesetzes möglich ist und wie er auch erfolgt ist. Im
Dezember letzten Jahres haben Sie aber genau das, was
Sie in dem Antrag fordern, im Bundestag abgelehnt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr merkwürdig!)


Von der Regierung etwas zu fordern, was man selbst nicht
zu tun bereit ist, und nach Verschärfung von Gesetzen zu ru-
fen, anstatt die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten an-
zuwenden und auszuschöpfen, das passt nicht zusammen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416200200
Herr Kol-
lege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Bosbach?




Sebastian Edathy

15803


(C)



(D)



(A)



(B)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1416200300
Da ich mit meiner Redezeit
fast zu Ende bin, bin ich für die Zwischenfrage sehr dank-
bar.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1416200400
Herr Kollege
Edathy, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die politische Haltung, die die Union in den letzten Wo-
chen zu diesem Thema eingenommen hat, exakt dem ent-
spricht, was Sie gerade aus unserem Antrag vorgelesen
haben? Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, ge-
meinsam mit den Bundesländern – nur sie verfügen über
das gesamte Tatsachenmaterial – Befunde zusammenzu-
tragen, um die Frage zu beantworten, ob das vorhandene
Tatsachenmaterial ausreicht, damit ein Verbotsantrag in
Karlsruhe hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Können Sie mal sagen, in wie viel Bundesländern Sie mitregieren?)


Es hat eine Bund-Länder-Kommission gegeben, die das
Tatsachenmaterial zusammengetragen hat. Anschließend
sind Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam zu der
Überzeugung gelangt, dass ein Antrag geboten ist und
hinreichende Erfolgsaussichten haben wird.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in
der entsprechenden Debatte des Deutschen Bundestages
ausdrücklich zum Ausdruck gebracht haben, dass wir die
Anträge von Bundesregierung und Bundesrat begrüßen,
es aber nicht als notwendig erachten – es ist übrigens das
erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land –, dass auch der Deutsche Bundestag als dritte Pro-
zesspartei in Karlsruhe auftritt?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist das für eine Argumentation?)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1416200500
Herr Kollege Bosbach, ich
kann Ihnen bestätigen, dass Ihre Fraktion im Dezember
des letzten Jahres nicht dafür gestimmt hat, dass der Deut-
sche Bundestag einen Antrag auf Verbot der NPD stellt.
Ich kann Ihnen ebenfalls bestätigen, dass ich es nur als ein
strategisches Manöver betrachte, wenn Sie als Parlamen-
tarier von der Regierung politische Leistungen fordern,
die Sie selber mit zu erbringen nicht bereit sind. Das ist
das Problem.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Er kapiert es nicht!)


Ich möchte zwar nicht sagen, dass der Antrag der
Union völlig ungeeignet ist.


(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich empfehle Ihnen als Bundesregierung, mal was Geeignetes zu machen! Gar nichts machen Sie! Bei Ihnen sind die Zahlen hochgegangen!)


Aber wir haben – das habe ich schon betont – die we-
sentlichen Dinge, die gut sind, in unseren Antrag über-
nommen. Dazu gehört übrigens auch die Aussage aus
Ihrem Antrag, Herr Marschewski, die mir besonders gut
gefallen hat – ich zitiere wörtlich –: „In der Sprache der

öffentlichen Debatte sollten wir entschlossen, aber diffe-
renziert und sensibel sein“. Ich hätte mir gewünscht, dass
Sie das in der gestrigen Debatte über den Nationalstolz
beherzigt hätten.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416200600
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1416200700
Ich komme zum Schluss.
Ganz im Sinne der Forderung der Union nach einem

sensiblen Umgang enthält unser fraktionsübergreifender
Antrag den Satz:

Der Deutsche Bundestag fordert die demokratischen
Parteien in Deutschland auf, Wahlkämpfe nicht auf
dem Rücken von Minderheiten bzw. Menschen an-
derer Herkunft zu führen.

Ich würde mich freuen, wenn wenigstens dieser Satz die
Unterstützung der Union finden würde, und zwar im Inte-
resse eines friedlichen Zusammenlebens in Deutschland,
das zwar niemals konfliktfrei sein kann, das aber gewalt-
frei sein muss. Diesen Konsens der Demokraten sollten
wir mit unseren heutigen Entscheidungen unterstreichen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416200800
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Wolfgang
Schäuble von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1416200900
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Edathy, der Anfang Ihrer Ausführungen war
ganz in Ordnung, obwohl ich gleich eine Bemerkung zur
Gemeinsamkeit und zum Wettbewerb machen möchte,
der ja zur Demokratie dazugehört. Aber als Sie aus dem
Antrag der Unionsfraktionen vorgelesen haben, um un-
sere Haltung zum NPD-Verbot deutlich zu machen, haben
Sie verschwiegen – das war ein kleiner Mangel –, dass
dieser Antrag vom 11. September 2000 stammt, also lange
vor der Debatte und der Entscheidung über das NPD-Ver-
bot gestellt wurde. Sie haben damals im Innenausschuss
nicht zugestimmt, aus unserem Antrag eine Beschlussemp-
fehlung zu machen. Jetzt zitieren Sie aus unserem Antrag
vom September. Ihr Hinweis, dass nun Ende März 2001
sei, ist zwar zutreffend. Aber wir haben unseren Antrag
viel früher im Innenausschuss und im Plenum des Bun-
destages eingebracht als Sie Ihren. Darauf hätten Sie hin-
weisen sollen, als Sie aus unserem Antrag zitiert haben.

Zweite Bemerkung – ich möchte das wiederholen, was
schon der Kollege Bosbach gesagt hat –: Wir sind der
Meinung, dass das Bundesverfassungsgericht den An-
trag auf Verbot der NPD prüfen und über ihn entscheiden
muss. Wir haben den gemeinsamen Antrag von Bundes-
regierung und Bundesrat unterstützt. Über die Frage, ob
der Bundestag zusätzlich einen Antrag stellen sollte und






(C)



(D)



(A)



(B)


ob dadurch eventuell missverständliche Eindrücke über
das Verhältnis der Verfassungsorgane erweckt werden,
zum Beispiel, dass es mehr auf Mehrheiten als auf eine
verfassungsmäßige Überprüfung durch ein unabhängiges
Gericht ankommt, kann man unterschiedlicher Meinung
sein und wir waren auch unterschiedlicher Meinung da-
rüber. Im Übrigen sind auch die vier Fraktionen, die die
Beschlussempfehlung gemeinsam vorgelegt haben, in
dieser Frage – wenn ich mich nicht sehr täusche – unter-
schiedlicher Meinung. Also bauen Sie keinen Popanz auf.

Dritte Bemerkung. Wir sind uns über das Ziel der
Bekämpfung von Extremismus, Gewalt und Fremden-
feindlichkeit einig. Aber es gehört zu einer Demokratie
dazu, dass man über den Weg, wie die gemeinsamen Ziele
erreicht werden können, unterschiedlicher Meinung sein
kann. Es ist ja geradezu ein Merkmal des Extremismus,
den wir gemeinsam bekämpfen, dass er andere Meinungen
nicht akzeptieren will, dass er seine Meinung und das, was
er für richtig hält, zur allein und ewig gültigen Meinung
machen will, dass er deshalb die Freiheit und die Pluralität
des demokratischen Meinungsaustausches beseitigen
will und dass er die Reversibilität von Ergebnissen
bekämpfen will. Also lassen Sie uns die Möglichkeit, un-
terschiedliche Meinungen zu haben, als das demokratische
Prinzip und als das, was Grundlage für den demokrati-
schen Wettbewerb ist, bitte gemeinsam verteidigen. Las-
sen Sie uns nicht sagen, Gemeinsamkeit bedeute, dass wir
alle in jeder Frage einer Meinung sein müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich habe an den Beratungen im Innenausschuss nicht
teilgenommen.


(Zuruf von der SPD: Gar nicht!)

– Ich bin auch gar nicht Mitglied des Innenausschusses.
Aber es wird ja erlaubt sein, trotzdem zu dem Thema zu
sprechen, wenn man von der Fraktion darum gebeten
wird.

Ich will Ihnen sagen, was mir am Antrag der CDU/
CSU besser gefällt als an der gemeinsamen Beschluss-
vorlage der anderen Fraktionen. Sie beschränken sich in
Ihrem Antrag im Wesentlichen auf die Aufzählung von
Maßnahmen, die bereits beschlossen und in Kraft gesetzt
worden sind. Eine solche Aufzählung mag etwas Nützli-
ches und Gutes sein, aber wenn wir Beschlüsse im Deut-
schen Bundestag fassen, sollten wir uns schon um die
Dinge kümmern, die zusätzlich geschehen sollten. Dazu
steht in Ihrem Antrag gar nichts,


(Sebastian Edathy [SPD]: Steht beides drin!)

in unserem stehen eine Reihe von konkreten Maßnahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wir schlagen auch auf dem Gebiet des Strafrechts kon-
krete Maßnahmen vor; vielleicht geht es aber um dieses
Gebiet gar nicht so sehr. Sie sollten noch einmal darüber
nachdenken, ob uns nicht eine Änderung des Versamm-
lungsrechts – schauen Sie sich einmal auch die verwal-
tungsgerichtliche Rechtsprechung dazu an – im Kampf
gegen diese Erscheinungen, die wir gemeinsam verurtei-

len und erfolgreicher bekämpfen wollen, wirklich helfen
könnte. Ich halte diesen Weg für richtig.


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Es gibt doch das Problem, dass wir extremistische, frem-
denfeindliche, gewalttätige Exzesse alle miteinander ver-
achten, ihnen aber in der Öffentlichkeit ein Maß an Be-
achtung schenken, das falsch ist. Vielleicht sollten wir
weniger beachten und mehr verachten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Sebastian Edathy [SPD]: Durch Ignorieren Probleme lösen! Ist das Ihr Ansatz?)


– Nein, überhaupt nicht.
Lassen Sie uns doch einen Moment darüber nachden-

ken, ob es wirklich richtig ist, hinzunehmen, dass einer
Minderheit von gewalttätigen und extremistischen Men-
schen durch die Wahl eines bestimmten Demonstra-
tionsortes – in der Nähe des Reichstagsgebäudes gibt es
solche Lokalitäten – ein Maß an öffentlicher Aufmerk-
samkeit zuteil wird, das ihr in der Sache überhaupt nicht
zusteht. Deswegen sage ich noch einmal, dass wir für
Verachten und nicht für ein Übermaß an Beachtung sein
sollten. Wir treiben das durch ein Übermaß an medialer
Aufmerksamkeit und Hysterie doch eher hoch. Das hat
mit Wegsehen überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Sebastian Edathy [SPD]: Hysterie? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eben! Hysterie? Was ist das denn für ein Verständnis?)


– Entschuldigung, Herr Kollege Schmidt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir be treiben das nicht mit Hysterie!)

– Sebnitz steht für ein Übermaß an Hysterie.Glauben Sie
denn nicht, dass Sie möglicherweise das Gegenteil von
dem erreichen, was Sie beabsichtigen, wenn Sie durch
mediale Übertreibungen den Eindruck erwecken – –


(Zuruf von der SPD: Das machen wir doch nicht! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch nicht unsere Politik!)


– Entschuldigung, eine Sekunde; wir reden über die Not-
wendigkeit einer Änderung des Versammlungsrechts. Wir
dürfen rechtsextremistische, fremdenfeindliche und ähn-
liche Exzesse nicht noch durch ein unverhältnismäßiges
Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit fördern. Man muss
doch einmal einen Moment selbstkritisch darüber nach-
denken, was in unserem Lande los ist. Immerhin hat es die
gesamte Öffentlichkeit für möglich gehalten, dass in ei-
nem Schwimmbad in einer Kleinstadt ein Kind umge-
bracht worden ist und dass alle zugeschaut haben. In
Wirklichkeit ist nichts Derartiges geschehen. Wenn das
nicht ein Übermaß an medialer Hysterie ist, das uns An-
lass zum Nachdenken geben muss – wir dürfen eben nicht
das fördern, was wir in Wirklichkeit gar nicht wollen –,
dann weiß ich nicht mehr, was Argumente sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Dr. Wolfgang Schäuble

15805


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch ein Über-
maß an Betroffenheit den Eindruck erwecken, als würde
die Realität von den Verantwortlichen – das betrifft nicht
nur die Politik, sondern zum Teil auch die Medien – in
diesem Lande nicht mehr wahrgenommen.

Es gab schlimme Vorfälle und wir müssen sie mit aller
Entschiedenheit bekämpfen.

Ich stimme Ihnen in Ihrem Lob für Polizei und Justiz
– sie ist, was die Bearbeitung der Verfahren angeht, deut-
lich schneller geworden; das ist der richtige Weg, das
muss man wirklich einmal sagen – völlig zu. Wir haben
lange darüber gestritten, ob man solche Erscheinungen
mit Mitteln der Polizei und der Justiz bekämpfen kann.
Heute sind wir uns darüber einig, dass dieser Weg richtig
ist. Wir wären noch einen Schritt weiter, wenn wir auch
das Versammlungsrecht stärker nutzen würden. Aber da-
rüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich be-
gründe, warum wir unseren Antrag für besser als Ihren
halten.

Ich bin im Übrigen schon der Meinung, dass wir auf-
passen müssen. Im Augenblick macht uns der Rechts-
extremismus sehr viel mehr Sorge als andere Erschei-
nungsformen; das ist gar keine Frage. Dennoch ist die
Differenzierung zwischen rechts und links immer proble-
matisch. Wir sollten dabei bleiben, dass wir Extremismus
und Gewalttätigkeit in jeder Form mit aller Entschieden-
heit bekämpfen


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und nicht das eine durch das andere legitimieren. Ich habe
in der Beschlussempfehlung beispielsweise gelesen, dass
für die Opfer rechter Gewalt zusätzliche Mittel vorgese-
hen werden sollen. Ich bin der Meinung: Wir sollten den
Opfern jeder Form von Gewalt entsprechende Hilfen zu-
kommen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist ein Fehler Ihrer Beschlussempfehlung.

Es gibt eine Reihe von Punkten, an denen man sehr ge-
nau belegen kann, warum unser Antrag besser ist und
warum wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen, sondern
an Sie appellieren, unserem Antrag zuzustimmen.

Ich spreche jetzt ein wenig als Baden-Württemberger:
Wir haben in meinem Heimatland Baden-Württemberg
neun Jahre lang das Problem gehabt, dass die Republi-
kaner im Landtag vertreten waren. Wir sind sehr froh,
dass dies seit dem vergangenen Sonntag nicht mehr so ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin mir in der Einschätzung ziemlich sicher, dass die-
ses für viele überraschende Ergebnis deswegen erreicht
worden ist, weil wir in Baden-Württemberg die wesent-
lichen Probleme gelöst haben, die die Menschen bei
früheren Wahlen fälschlicherweise veranlasst haben, die
Republikaner zu wählen. Das Wichtigste ist also das Lö-
sen von Problemen.

Deutschland ist ein offenes, ausländerfreundliches und
tolerantes Land. Wir sollten unter allen Umständen ver-

hindern, dass durch eine einseitige Berichterstattung bei
der großen Mehrheit unserer Bevölkerung ein falscher
Eindruck von der Wirklichkeit unseres Landes erzeugt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Sebastian Edathy [SPD]: Sie verwechseln Ursache und Wirkung, Herr Schäuble!)


Ich bin dafür – darin sind wir uns einig –, dass wir Miss-
stände und Fehlverhalten mit aller Entschiedenheit
bekämpfen. Aber ich bin dagegen, dass wir den Eindruck
erwecken, dass überall in Deutschland Minderheiten und
Ausländer von der Mehrheit der Bevölkerung verfolgt
oder diskriminiert werden. Das Gegenteil ist der Fall.
Deswegen sage ich noch einmal: Wir sind ein ausländer-
freundliches, tolerantes Land und wir wollen es auch in
der Zukunft bleiben. Wir müssen alles daransetzen, dass
das geschieht. Das heißt: Wir müssen die Probleme lösen.

Wir sind dafür, im Bundestag und im Bundesrat eine
Gesetzgebung zu einer umfassenden Zuzugsregelung zu
machen. Die CDU/CSU wird Vorschläge dazu vorlegen.
Wir arbeiten intensiv daran. Dass es durch die Änderung
des Asylrechts gelungen ist – ich habe dafür, das ist in
Ordnung, viel Kritik aushalten müssen; das gilt auch für
andere Personen, auch aus Ihren Reihen –, die Zahl der
Asylanträge von einstmals 400 000 pro Jahr auf unter
100 000 pro Jahr zurückzuführen, ist ein entscheidender
Beitrag dazu, dass Toleranz und Ausländerfreundlichkeit
in unserem Land erhalten bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der PDS)


Wer die Probleme nur hoch redet und sie nicht löst, der
wird das Gegenteil von dem erreichen, was er will.

Ich bin sehr sicher – ich sage das ganz ruhig; ich weiß,
dass das bei Ihnen nicht nur Freude hervorruft –, dass wir
für Toleranz und Integration in unserem Lande einen un-
verzichtbaren Beitrag geleistet haben, indem wir Sie, die
Sozialdemokraten, davon abgebracht haben, den Unfug
einer doppelten Staatsangehörigkeit für alle einzubür-
gernden Personen einzuführen. Sie hätten damit der Inte-
gration und der Toleranz in unserem Lande einen Bären-
dienst erwiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wer die Probleme nicht löst, sondern – zum Zwecke
des Hervorrufens von Betroffenheit und notfalls der par-
teipolitischen Profilierung – ausnutzt,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, na!)


der fördert in Wahrheit weder Toleranz noch Integration
noch Mäßigung, sondern das Gegenteil.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sagen Sie aber zu Ihren eigenen Reihen!)


– Sie haben in vieler Hinsicht bemerkenswerte Debatten-
beiträge geleistet. – Ich glaube, dass es sehr viel besser ist,
wenn der Rechtsstaat mit einer gewissen ruhigen, gelas-
senen Würde und Autorität handelt. Das ist besser als ein




Dr. Wolfgang Schäuble
15806


(C)



(D)



(A)



(B)


Übermaß an Betroffenheitsrhetorik, wodurch die Pro-
bleme nicht wirklich gelöst werden.

Wir sollten die Situation mit Augenmaß betrachten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich sagte vorhin schon, dass Verachtung wichtiger ist als
ein Übermaß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Junge
Menschen neigen manchmal dazu zu provozieren. Sie
wollen Aufmerksamkeit erregen, was ihnen auf diese
Weise leicht gelingt.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist doch nicht zu fassen!)


Ich komme auf die Debatte um die nationale Identität
zurück, die wir gestern geführt haben und die wir weiter
führen müssen. Wenn wir den Rechtsextremen überlassen
würden, sich der nationalen Identität anzunehmen – mein
Fraktionsvorsitzender hat gestern sehr Bemerkenswertes
und Richtiges dazu gesagt –


(Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


– er hat in diesem Zusammenhang sogar Walter Jens zi-
tiert; das war in diesem Fall angemessen und richtig –,
dann wäre dies ein Förderprogramm für Rechtsextreme.
Ich sage noch einmal: Herr Trittin treibt mit seiner Hal-
tung, die er schriftlich bestätigt hat, die Menschen eher
zu den Rechtsextremen, anstatt die Rechtsextremen wir-
kungsvoll zu bekämpfen. Diese Haltung ist deshalb falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im Übrigen müssen wir den jungen Menschen, die
glauben – was falsch ist –, das Nationale würde in
Deutschland nicht ernst genommen, sagen: Es hat nie-
mand mehr Schande über die Deutschen gebracht als die
Nazis mit ihren grauenvollen Verbrechen. Auch das
gehört zu den Wahrheiten, die man den jungen Menschen
immer und immer wieder sagen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Ge-
walt bekämpfen wollen, ist es am wichtigsten, dass wir
mit Maß und Würde, aber auch mit Autorität und Konse-
quenz handeln.


(Ulla Jelpke [PDS]: Das sind hohle Worte!)

– Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, Frau Kollegin,
auf die Frage, ob ausgerechnet die PDS besonders geeig-
net ist, im Kampf gegen den Extremismus an vorderster
Front zu stehen, heute keine Ausführungen zu machen.
Aber angesichts Ihres Zurufs bin ich versucht, dies zu tun.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Sie müssen auch an die Kolleginnen und Kollegen in der CDU denken, die aus der DDR übernommen worden sind! Die waren damals genauso mitverantwortlich!)


– Dieser Zuruf ist ja noch bemerkenswerter.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, es reicht doch wohl langsam!)


Er zeigt nämlich, dass die Sozialdemokraten mehr als
zehn Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch be-
haupten, in Wahrheit sei die CDU für die Verhältnisse in
der DDR verantwortlich gewesen. Sie machen sich schon
ein wenig lächerlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wirklich ein starkes Stück! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So abstrus war Ihre Argumentation in den ganzen letzten zehn Jahren!)


– Das sind Ihre Vorwürfe.
Ich habe am Anfang in Erwiderung auf Ihren Kollegen,

der vor mir gesprochen hat, gesagt: Extremismus zeichnet
sich gerade dadurch aus, dass er den Wettbewerb ver-
schiedener politischer Ideen und Lösungsmöglichkeiten
verhindert. Genau in diesem Sinne war das kommunis-
tische Zwangssystem in der DDR extremistisch. An die-
ser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Die Menschen ha-
ben dieses System in einer friedlichen Revolution
abgeschafft. Sie sollten sich daher nicht als die wahren
Kämpfer gegen den Extremismus bezeichnen. Das ist ein
bisschen viel der Ehre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin für die Gemeinsamkeit der Demokraten. Diese

beinhaltet im Wesentlichen, dass wir im Falle unter-
schiedlicher Meinungen um die richtige Lösung streiten.
Ich stelle daher fest: Der Antrag der CDU/CSU ist besser.
Ich appelliere an Sie: Stimmen Sie ihm zu!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rechtsextremismus ist eine Herausforderung für alle de-
mokratischen Parteien. Herr Schäuble, wenn Sie ange-
sichts der Tatsache, dass im letzten Sommer endlich die
Spitze des Eisbergs in das Blickfeld der Öffentlichkeit
gerückt wurde, von einem Übermaß an Betroffenheit und
von Medienhysterie sprechen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sebnitz!)

dann finde ich das Ausmaß an Ignoranz und Zynismus,
das sich darin zeigt, erschreckend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Es ist leider – das wissen Sie genauso gut wie ich – ein
Faktum, dass es in Deutschland, gerade in den fünf neuen
Ländern, immer noch Gebiete gibt, in denen sich Men-
schen mit dunkler Hautfarbe, Flüchtlinge, Obdachlose,
Homosexuelle und andere wegen der akuten Bedrohung
durch rechtsextreme Gewalt nicht frei bewegen können,
ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen. Sie wissen,




Dr. Wolfgang Schäuble

15807


(C)



(D)



(A)



(B)


dass es solche Zonen gibt. Eine Demokratie, die sich ernst
nimmt, muss sich daran messen lassen, ob sie den Min-
deststandard, Bewegungsfreiheit für alle – auch für Min-
derheiten – sicherzustellen, erfüllt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Deswegen bin ich sehr froh, dass SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, F.D.P. und PDS es geschafft haben, zu einem ge-
meinsamen Antrag zur Bekämpfung von Rechtsextremis-
mus zu kommen. Umso bedauerlicher ist es, dass sich die
CDU diesem Konsens bislang nicht angeschlossen hat.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht so einen Unfug!)


In dem Antrag haben wir uns auf einen Minimalkonsens
geeinigt; er geht allerdings in der Substanz sehr weit und
kann sich deshalb sehen lassen. Selbstverständlich gibt es
in allen Fraktionen Forderungen, die darüber hinausge-
hen. Die Unionsparteien sind in diesem Bereich keines-
wegs ein Einzelfall. Für mich ist es unverständlich,
warum Sie, meine Damen und Herren von der Unions-
fraktion, sich selbst von diesem demokratischen Konsens
ausschließen.

Die Rahmenbedingungen für Rechtsextremismus ent-
stehen in der Mitte der Gesellschaft. Rechtsextreme set-
zen in Gewalt um, was an den Stammtischen – aber leider
nicht nur dort – geredet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die Opfer rechtsextremer Gewalt sind Menschen, die zum
Teil auch von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Ge-
rade die Politik muss hier ihre Verantwortung ernst neh-
men. Wir müssen eine umfassende Integrationspolitik
betreiben. Dazu gehört auch ein sensibler sprachlicher
Umgang mit Minderheiten und Themen der Asyl- und
Migrationspolitik. Dabei geht es nicht um die Frage, ob,
sondern um die Frage, wie darüber geredet wird. Ich bin
deswegen besonders froh, dass wir unter den vier betei-
ligten Fraktionen zu der Übereinkunft gekommen sind,
Wahlkämpfe nicht mehr auf dem Rücken von Minderhei-
ten und Menschen anderer Herkunft zu führen. Ich
möchte die Unionsparteien ausdrücklich einladen, sich
doch zumindest diesen Punkt zu Eigen zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir haben es beim Rechtsextremismus nicht mit einem
abgrenzbaren Problem irgendwo am Rande der Gesell-
schaft zu tun. Es gibt Berichte, die Rechtsextremismus
vor allem im Osten als Mainstream unter Jugendlichen
oder als Alltagskultur beschreiben. Es wäre daher eine
Illusion, zu glauben, es gäbe Patentrezepte oder schnelle
und einfache Lösungen. Wir werden in dieser Auseinan-
dersetzung einen langen Atem brauchen und, wie ich
fürchte, nur in seltenen Fällen kurzfristig sichtbare Er-
folge präsentieren können. Obwohl wir also keinen Kö-
nigsweg vorschlagen können, haben wir in unserem An-
trag drei Handlungsfelder aufgezeigt, in denen man zu
konkreten Ergebnissen kommen kann:

Erstens ist dies die Stärkung der Zivilgesellschaft. Es
kommt nicht allein darauf an, repressiv gegen Rechtsex-

treme vorzugehen, sondern auch darauf, die demokrati-
sche Gesellschaft zu stärken und Zivilcourage zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Debatten, die wir hier seit dem letzten Sommer über
Rechtsextremismus geführt haben und die sich konkret in
diesen Anträgen niedergeschlagen haben, haben bereits
dazu beigetragen, dass viele Menschen das Problem er-
kannt und dazu Stellung bezogen haben. Wir wollen diese
Auseinandersetzung weiterführen und verstetigen. Dem
dienen die Maßnahmen in der politischen Bildung, zum
Beispiel durch die Bundeszentrale für politische Bildung,
zur Qualifizierung in der Jugendarbeit und zur Stärkung
der demokratischen Jugendkultur. Wir hoffen vor allem,
durch die Modellprojekte der mobilen Beratungsteams
neue Wege zu finden, wie man rasch und adäquat an den
Stellen reagieren kann, wo die Menschen vor Ort, in der
Schule, im Jugendzentrum und auf der Straße, konkret mit
rechtsextremer Gewalt konfrontiert werden.

Das zweite Handlungsfeld betrifft die Integration und
die Stärkung der Position von Minderheiten, die Opfer
rechtsextremer Gewalt werden. Dabei handelt es sich
– wie ich vorhin schon sagte – oft um Gruppen, die auch
von der Gesellschaft ausgegrenzt werden und nicht selten
im Alltag Diskriminierung erfahren. Die Änderung des
Staatsangehörigkeitsrechts und die geänderten Regelun-
gen zum Arbeitsverbot für Asylbewerber waren Schritte
in Richtung zu mehr Integration. Dem müssen nun wei-
tere folgen, zum Beispiel das Antidiskriminierungsgesetz.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben mit den im Antrag enthaltenen Maßnahmen ei-
nen Schwerpunkt auf den besseren Schutz der Opfer ge-
setzt. Dem dienen die Opferberatungsstellen, durch die
soziale, rechtliche und psychische Unterstützung geleistet
und vermittelt werden soll, und der Härtefonds zur un-
bürokratischen Entschädigung.

Drittens kommen wir nicht umhin, den Aktionsradius
von Rechtsextremen einzuschränken. Dazu bedarf es aber
keiner neuen Gesetze, denn Bedrohung, Körperverlet-
zung, Brandstiftung, Totschlag und Mord sind hinreichend
strafbewehrt. Es kommt darauf an, im Vorfeld aktiv zu
werden. Darum setzen wir uns für die präventive Bestrei-
fung von Orten ein, die als Treffpunkt rechtsextremer Ge-
walttäter bekannt sind und von denen bekanntermaßen Ge-
walt ausgeht. Die bestehenden Gesetze müssen nicht nur
angewandt, sondern auch rasch angewandt werden. Das
heißt keineswegs, dass es fragwürdige Schnellverfahren
geben soll, sondern heißt, dass Prozesse zu Gewaltstrafta-
ten justizorganisatorisch vorgezogen werden müssen, da-
mit die Täter nicht erst Jahre später und oft nach einer
ganzen Reihe weiterer Straftaten verurteilt werden.

Ich will damit nur andeuten, dass es eine ganze Reihe
von Möglichkeiten gibt, die Strafverfolgung zu intensi-
vieren, ohne allgemeine Bürger- und Bürgerinnenrechte
einzuschränken, wie die Unionsparteien und vorhin auch
wieder Herr Schäuble hier am Pult vorgeschlagen haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist so schön einfach!)





Annelie Buntenbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Wenn wir
nämlich die Gesellschaft mobilisieren wollen, dann brau-
chen wir nicht weniger, sondern mehr demokratischen
Handlungsspielraum. Je mehr Menschen auf die Straße
gehen, sich an öffentlichen Diskussionen beteiligen, Zi-
vilcourage zeigen und sich einmischen, desto geringer ist
der Aktionsradius für rechtsextreme Gewalttäter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich sehe keinen Grund, warum sich die Unionsparteien
diesem Konsens verweigern. Sie wenden mit diesem Ver-
halten ihren ständigen Vorwurf, der Rechtsextremismus
würde parteipolitisch funktionalisiert, gegen sich selbst
und begeben sich damit ins politische Abseits.

Ich will die Nationalstolzdebatte hier nicht weiter-
führen, möchte aber noch einmal klar sagen: Wer die Pa-
rolen von Rechtsextremen und Nazis übernimmt, der
gräbt ihnen nicht das Wasser ab, sondern gießt es auf ihre
ideologischen Mühlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wer sich undifferenziert zu Deutschland bekennt und sagt
„Ich bin stolz, Deutscher zu sein“, der meint die ganze
deutsche Geschichte. Darum ist das eine Parole der
Rechtsextremen. Demokraten sollten sich davor hüten,
sie zu kolportieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: So ein dummes Zeug!)


Wir können den Rechtsextremismus nämlich nicht
bekämpfen, indem wir auf seine Parolen ein anderes Eti-
kett kleben, sondern nur, indem wir ihm demokratische
Werte und demokratisches Handeln entgegensetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201100
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang
Gerhardt von der F.D.P.-Fraktion.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1416201200
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat
den Verfassungsschutzbericht 2000 vorgelegt, der eine
steigende Zahl rechtsextremistisch motivierter Straf- und
Gewalttaten schildert. Es wird festgestellt, dass das Perso-
nenpotenzial nicht steige, sondern eher zurückgehe, aber
auch, dass sich in dem vorhandenen Personenpotenzial die
Bereitschaft, Gewalt anzuwenden und aggressiver zu rea-
gieren, erhöht habe. Die gewaltbejahenden Äußerungen
würden deutlicher und vielfältiger.

Die kulturelle Revolution von rechts, wie es der
Verfassungsschutzbericht ausdrückt, über Konzertveran-
staltungen, über die Gruppenszene gelinge nicht, sondern
gehe eher zurück. Die Bedeutung des Internets aber steige.
Es gebe noch keine ausreichende Reaktion auf die Dimen-
sion des Missbrauchs dieses Mediums.

All das unterstreicht, dass wir eine sehr differenzierte
Reaktion brauchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb will ich daran erinnern: Meine Fraktion, die
F.D.P., hat am 5. April des vergangenen Jahres einen An-
trag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus einge-
bracht. Ich muss mich heute im Nachhinein wundern, wie
gering die Reaktion auch in diesem Haus auf diesen Vor-
gang war.


(Beifall bei der F.D.P.)

Alles bis zu der Bemerkung – und zwar ohne Ansehen ei-
ner bestimmten Fraktion –, ob denn wirklich Bedarf be-
stünde, darüber ausführlich zu diskutieren, klingt mir
noch sehr in den Ohren.

Die Bundesregierung hat natürlich – das sollten wir aus
dem parteipolitischen Streit heraushalten – mit einer
Summe von Maßnahmen reagiert, auch, was im Übrigen
sehr erfolg-reich war, in Richtung eines Verbots rechtsex-
tremer Organisationen, soweit man verwaltungsmäßig
selbst entscheiden konnte, bis hin zur Vereinheitlichung der
Kriterien für die Erfassung rechtsextremistischer und anti-
semitischer Straftaten, um überhaupt ein Lagebild zu be-
kommen – das ist eine notwendige Aufgabe –, und zur Ver-
stärkung im Bereich der politischen Bildung. Aber – um
auch das hier zu sagen – das bleibt doch alles sehr im Be-
reich traditioneller Maßnahmen. Das ist eine Hausaufgabe,
die man zu erledigen hat.

Selbst die Fragestellung, wie man zu dem Antrag auf
Verbot der NPD steht – wir müssen sie heute nicht aus-
führlich diskutieren, sondern kommen ein anderes Mal
darauf zurück –, ist eine traditionelle Reaktion. Die Bun-
desregierung ist der Überzeugung, er entfalte große Sym-
bolkraft und nehme den Nährboden in Form einer organi-
satorischen Hülle weg. Aber es gibt viele organisatorische
Hüllen und viele Parteien, in die die Wölfe wie in einen
Schafspelz sofort wieder schlüpfen können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen werden wir das Argument, man nehme mit
großer Symbolkraft eine organisatorische Hülle weg, er-
neut besprechen, wenn das Bundesverfassungsgericht am
Ende entschieden haben wird. Denn darauf darf man
heute ja aufmerksam machen: Bei aller Überzeugung und
Glaubenskraft der Bundesregierung – ihre Glaubenskraft
ist ja auch in vielen anderen Bereichen größer als das, was
an Ergebnissen tatsächlich zutage tritt – entscheidet am
Ende Karlsruhe.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Ob Karlsruhe das so bewerten wird wie die Bundesregie-
rung, das lassen wir heute einmal völlig außerhalb dieser
Debatte. Entschiede das Gericht aber anders, hätte die
Bundesregierung mit diesem Vorgehen eher die andere
Seite gestärkt, als dass ihr mit großer Symbolkraft das
Wasser abgegraben würde.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Annelie Buntenbach

15809


(C)



(D)



(A)



(B)


Manche Reaktionen der Bundesregierung sind also
richtig, manche sind im Streit. Bedauerlicherweise haben
Sie, liebe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sich trotz
des gemeinsamen Antrags bei den Haushaltsberatungen
dafür entschieden, einen Antrag der F.D.P. abzulehnen,
der 300 Millionen DM für Maßnahmen der politischen
Bildung, Sozialarbeit und kommunalen Jugendarbeit vor-
sah. Mir fehlt dafür das Verständnis;


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der PDS)


denn wenn man gemeinsame Aktionen will, dann sollte
man auch parteienübergreifend die Souveränität haben,
solchen Maßnahmen zuzustimmen.

Aber auch ein solches Programm verbliebe natürlich
am Ende im Bereich traditioneller Maßnahmen. Es reihte
sich in gewaltige Kraftanstrengungen ein, könnte aber
wahrscheinlich auch nicht bis zum Kern vorstoßen. Die-
sen Kern möchte ich jetzt einmal an zwei Punkten zu be-
schreiben versuchen.

Ich habe im letzten Jahr Schulen besucht und werde das
auch fortsetzen. Wenn Schülerinnen und Schüler einem
entgegentreten, dann spürt man, dass sie im Hinblick auf
diesen katastrophalen Abschnitt deutscher Geschichte
zwei Sachverhalte bemerken. Sie beklagen manche Un-
terrichtserteilung als schlichte Unterrichtung über einen
Abschnitt deutscher Geschichte, ohne dass sie ausrei-
chendes persönliches Engagement der Lehrerinnen und
Lehrer spürten, als handelte es sich bei diesen Unterrich-
tungen um etwas Ähnliches wie die Erteilung des Mathe-
matikunterrichtes oder die Lektüre eines Buches im
Deutschunterricht. Sie vermissen ein Stück erzieherischer
Qualität in der Begleitung des Unterrichtsstoffes. Auf der
anderen Seite beklagen sie genauso eine pädagogische
Penetranz mit intellektuellem Rohrstock bei der Vermitt-
lung dieses katastrophalen Abschnitts deutscher Ge-
schichte, und zwar so stark, dass sie ihren Protest dagegen
erregt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU])


Die pädagogische Qualität und die Fähigkeit von Leh-
rerinnen und Lehrern, das zustande zu bringen, was
Wolfgang Schäuble eben erwähnt hat, nämlich den Schü-
lerinnen und Schülern zu vermitteln, dass niemand anders
als die Nazis Schande über das deutsche Volk gebracht ha-
ben, sind nicht so ausreichend ausgeprägt, dass sie sich
der jungen Generation mitteilten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Weil ich diese Gegenreaktionen erlebe, stelle ich mir

die Frage, welche erzieherischeQualität im Hinblick auf
solche Schlüsselszenen des Unterrichts an deutschen
Schulen zu entwickeln ist. Viele Familien glauben, sie
könnten sich mit dem Hinweis darauf, dies sei Sache der
Schule und der Politik, heraushalten. Das dürfen wir nicht
zulassen. Das ist nicht die Chefsache des Bundeskanzlers
oder der MdBs aus allen Fraktionen, das ist die Chefsache
jeder Mutter und jedes Vaters in einer deutschen Familie.
Dem darf sich niemand entziehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Um auf die gestrige Debatte zurückzukommen: Das
Stolzsein auf irgendetwas hat zwei ganz unterschiedliche
Grundlagen. Eine liegt darin, dass es oft als Kompensa-
tion individueller Schwächen oder schwieriger Lebenssi-
tuationen empfunden wird, dass man sich eine Erlösungs-
ideologie sucht und ihr nachläuft. Ideologen – jetzt muss
ich allerdings sagen: von links und rechts – nutzen solche
Situationen immer in ungemein starkem Maße. Welt-
anschauungstransporteure waren und sind immer dadurch
gekennzeichnet, dass sie Menschen schwacher intellektu-
eller Qualität für sich gewinnen.

Beide Vorgänge zeigen einen unglaublichen Bedarf an
wirklicher erzieherischer Qualität. In die deutsche Bil-
dungspolitik darf man wohl wieder die Erkenntnis ein-
führen, dass es in ihr nicht nur auf die Dauer von Schul-
zeiten, auf die wettbewerbsfähige Hochschullandschaft
und darauf ankommt, ob man die Kinder mit fünf oder
sechs Jahren einschult und ob für die Kindergärten Bei-
träge gezahlt werden müssen oder nicht. In die Bildungs-
politik in einer Demokratie muss die notwendige Erzie-
hung zur Demokratie und zum verantwortungsbewussten
Umgang mit der Freiheit sowie die Wertevermittlung
einziehen. Diese Überzeugung muss man dann auch über
die Fraktionen hinweg vertreten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die gestrige Diskussion hat im Übrigen das ganze Di-

lemma deutlich gemacht. Es soll doch niemand glauben,
dass man allein mit diesem Hinweis auf den katastropha-
len Abschnitt der deutschen Geschichte kulturelle Bin-
dungen, das Empfinden der sprachlichen Heimat der
Deutschen in europäischer Einbettung beseitigen könnte.
Das sind ganz natürliche menschliche Regungen. Es
reicht nicht aus, ihnen nur mit „political correctness“ ge-
genüberzutreten. Die Sprache als Heimat, die Kulturge-
schichte des Lernens in Deutschland – das überwindet,
weil wir Menschen sind, auch diesen katastrophalen Ab-
schnitt.

Den Gefahren, die darin stecken, vorzubeugen und
Wirkung zu erzielen, darauf kommt es an. Das ist ganz ent-
scheidend. Das heißt, wir dürfen ganz bestimmte zivilisa-
torische Tugenden nicht dem Amüsierbetrieb preisgeben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sage ich jetzt aber auch einmal zur anderen Seite.
Den Fingerzeig derjenigen, die gestern ihren Zeigefinger
nach rechts erhoben haben und sich sogar dazu verstiegen
haben zu sagen, die Mitte in Deutschland reagiere manch-
mal fahrlässig so, dass sie rechts begünstigt, würde ich
gerne entgegennehmen, wenn sie sich genauso stark über
den zivilen Ungehorsam von links, über die Blockaden
auf Schienen, über die Aufforderung „Macht kaputt, was
euch kaputt macht“ ereifern. Leider jedoch wendet diese
Seite eine Sprache an, die den Menschen nicht mehr klar
vermittelt, dass Gewalt kein legitimes Mittel zur Durch-
setzung politischer Ziele ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Herausforderung besteht darin, Gesetz und Recht

und ganz bestimmte Tugenden auch gegen die eigenen
Emotionen und eigenen Vorstellungen gelten zu lassen.




Dr. Wolfgang Gerhardt
15810


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen hört sich meine Fraktion ungern an, wenn uns
von ganz linker Seite moralisierend erzählt werden soll,
wie man Rechts besser begegnet. Jeder muss an seiner
Stelle das Notwendige tun.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wolfgang Schäuble hat – darauf will ich abschließend

aufmerksam machen – zu Recht das Ergebnis der baden-
württembergischen Landtagswahl hinsichtlich des Ab-
schneidens der Republikaner begrüßt und gewürdigt. Die-
ses Ergebnis freut uns alle.

Folgendes will ich auch nach außen sagen: Bürgerin-
nen und Bürgern waren sich nicht zu fein, zur Wahl zu ge-
hen. Das war im Übrigen auch schon einen Wahlsonntag
vorher Gott sei Dank bei der hessischen Kommunalwahl
der Fall. Ich will hier ausdrücklich den Bürgerinnen und
Bürger danken, die nicht nur in Zimmern, in intellektuel-
len Kreisen auch uns Bundestagsabgeordneten immer er-
zählen, was unsere Sache sei. Ich will denen danken, die
dann auch zur Wahl gehen und die Rechten nicht wählen,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

weil es auch manchmal ein Stück politischen Hochmuts in
Deutschland gibt, sich zu fein zu sein, zur Wahl zu gehen,


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

von der Politik gar nichts mehr zu halten, dann aber zu rä-
sonieren, was dabei herauskommt, wenn andere für einen
entscheiden, weil man selbst nicht hingegangen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Diesen Bürgerinnen und Bürgern, die zur Wahl gegangen
sind, sollten wir unseren Dank sagen.

Zum Abschluss eine Überzeugung:


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201300
Herr Kol-
lege Gerhardt, Sie haben Ihre Redezeit schon weit über-
zogen. Ich bitte Sie zum Schluss zu kommen.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1416201400
Die erste deutsche
Demokratie hatte eine so schöne Verfassung wie die uns-
rige. Die Weimarer Verfassung war freiheitlich und
rechtsstaatlich. Der Vorteil der zweiten deutschen Demo-
kratie, den wir jetzt erleben: Sie hat eine genügende An-
zahl von Persönlichkeiten und Bürgern, die auch zur Ver-
fassung stehen. Darauf kommt es an.

Herr Präsident, es tut mir wirklich Leid, aber das
musste ich noch sagen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das wird beim nächsten Redner abgezogen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201500
Als
nächster Redner hat Kollege Roland Claus von der PDS-
Fraktion das Wort.


(Zurufe von der CDU/CSU: Der Bezirkssekretär! – Jetzt kommt ein Superdemokrat!)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416201600
Guten Morgen, meine Damen
und Herren! Herr Präsident! Selbstverständlich begrüßt
die sozialistische Opposition im Deutschen Bundestag


(Lachen bei der CDU/CSU)

das Zustandekommen dieses Antrages.


(Beifall bei der PDS)

Ich will Ihnen sagen, warum uns das so wichtig ist. An

vorderster Stelle steht dabei die Tatsache, dass all die ak-
tuellen Vorgänge, über die wir hier zu reden haben, mit der
historischen Einzigartigkeit der Verbrechen des NS-Re-
gimes in Verbindung stehen. Hier leistet dieser Beschluss
einen Beitrag gegen das Vergessen, und das ist gut so.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, wir sind in einer Situation,

in der die Formel „Wehret den Anfängen!“ nicht mehr zu-
trifft. Hier will ich mich auch gegen die Einschätzung des
Kollegen Schäuble wenden. Es geht nicht um einzelne
Vorfälle. Es ist deshalb auch nicht richtig, wenn Sie hier
ein Übermaß an Beachtung kritisieren. Es gibt eine schlei-
chende Akzeptanz des rechten Geistes in diesem Lande.


(Beifall bei der PDS)

Mich machen mehr als die offenen und in die Medien ge-
ratenden Ereignisse und Vorfälle immer Ereignisse, die
nicht in den Zeitungen stehen, betroffen. Ich möchte Ih-
nen von einem berichten. Vor einigen Jahren komme ich
in einen Jugendklub. Einige 14-jährige Jungs sitzen dort
mit der „Bild“-Zeitung, die gerade darüber berichtete,
dass Harald Juhnke in den USA einen Farbigen als „Nig-
ger“ bezeichnet hatte und über die Folgen, die das nach
sich zog. Die jungen Leute können die Welt nicht verste-
hen und stellen die Frage: „Was wollen die denn über-
haupt von dem Alten? Das ist doch ein Nigger!“ Das
heißt, in deren Bewusstsein ist überhaupt kein Unrechts-
verständnis dafür enthalten. Deshalb sagen wir auch: Ge-
gen Nazis in den Köpfen hilft am meisten Bildung und
Aufklärung.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben es inzwischen mit einem Einzug rechten

Geistes in die Alltagskultur zu tun. Ich könnte Ihnen Re-
gionen in Sachsen oder im Ostharz nennen, wo das be-
drohliche Ausmaße angenommen hat. Ich verwahre mich
auch dagegen, von einer „rechten Szene“ zu sprechen.
Das hat immer etwas Verharmlosendes, so etwas wie:
Auch das kommt in der Meinungsvielfalt vor.

Deshalb müssen wir uns mit aller Konsequenz diesen
Aufgaben stellen. Ich meine, der vorliegende Antrag ist
ein großer Schritt. Er ist natürlich für alle Beteiligten ein
Kompromiss. Auch das Ja der PDS-Fraktion ist ein kriti-
sches Ja. Es wird Ihnen nicht anders gegangen sein, als Sie
Teile unserer Forderungen aufgenommen haben. Deshalb
möchte ich den Kolleginnen und Kollegen, die am Zu-
standekommen dieses Kompromisses mitgewirkt haben,
auch aus der Sicht unserer Fraktion ein sehr herzliches
Dankeschön sagen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Wolfgang Gerhardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich das an die-
ser Stelle meiner Kollegin Ulla Jelpke gegenüber beson-
ders tun will, die sich diesem Thema bereits besonders
lange und besonders intensiv zuwendet.


(Beifall bei der PDS)

Bekanntlich standen am Anfang Anträge aller Fraktio-

nen. Ich habe mir die Anträge angeschaut. Sie gingen
sehr weit auseinander. Obwohl ich durch und durch Op-
timist bin, habe ich am Anfang nicht daran geglaubt, dass
ein solcher gemeinsamer Antrag zustande kommt. Mut
gemacht hat mir dann die gemeinsame Demonstration, zu
der alle im Bundestag vertretenen Parteien aufgerufen
hatten und bei der am 9. November des vergangenen Jah-
res erfreulicherweise auch Frau Merkel und Herr Stoiber
noch dabei waren. Ich möchte aber auch all jenen danken,
die sich lange vor der offiziellen Politik diesem Problem
zugewandt haben, und finde es deshalb sehr wichtig, dass
im gemeinsamen Antrag auch den Initiativen und Ver-
bänden gedankt wird, die sich mit Kundgebungen, Ver-
anstaltungen und anderem der braunen Pest widersetzt
haben.


(Beifall bei der PDS)

Ich finde, dass auch ein Dank an viele Künstlerinnen

und Künstler angebracht ist, die lange vor der Zeit, zu der
wir hier reagiert haben, auf das Problem aufmerksam
machten. Nennen möchte ich nur das Engagement von
Udo Lindenberg, von Konstantin Wecker, aber auch von
vielen, vielen namenlosen jungen Bands, die in Veran-
staltungen von „Rock gegen Rechts“ aktiv geworden
sind.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht wundern,
dass wir auch angesichts dieses erfreulichen Beschlusses
kritisch bleiben. Wir wollen schon Beschlusslage und
Realität vergleichen. An einer Stelle wird es da für uns
gewissermaßen peinlich. Vorgestern ist der neue Verfas-
sungsschutzbericht vorgestellt worden. Darin ist unter
dem Thema „Antifaschismus“ bei linksextremistischen
Organisationen der VVN-BdA aufgeführt. Man muss das
natürlich einmal aussprechen, damit man weiß, um wel-
che Organisation es sich handelt. Es ist nämlich die Ver-
einigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der An-
tifaschisten.

Ich habe mir einmal die Begründung hierzu ange-
schaut. In der Begründung steht eigentlich nur, dass sie
aktiv im Kampf gegen Rechtsextremisten auftreten und
dass sie – verkürzt gesagt – gegen eine Gleichsetzung von
links und rechts sind. Wenn man diese Maßstäbe aus dem
Verfassungsschutzbericht anlegt, dann müssten auch die
antragstellenden Fraktionen im nächsten Verfassungs-
schutzbericht auftauchen. Wir meinen, dieser Anachro-
nismus muss beendet werden.


(Beifall bei der PDS)

Wir wollen, dass der Begriff Antifaschismus aus dem

Verfassungsschutzbericht herausgenommen und in den
gesellschaftlichen Wertekanon aufgenommen wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201700
Herr Kol-
lege Claus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Büttner?


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416201800
Aber ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416201900
Bitte
schön.


Hartmut Büttner (CDU):
Rede ID: ID1416202000
Herr
Kollege Claus, Sie haben gerade den neuen Verfassungs-
schutzbericht erwähnt. Würden Sie bitte der deutschen
Öffentlichkeit darstellen, dass Sie als PDS, die Mitan-
tragsteller dieses Antrags ist, dort auch verankert sind. Ich
zitiere wörtlich:

Sowohl im Programm wie auch im Statut der PDS ist
auch die Existenz extremistischer Strömungen in der
Partei verankert.

Sind Sie ein glaubwürdiger Partner?

(Sebastian Edathy [SPD]: Sie sind nur neidisch, weil Sie sich nicht einigen konnten!)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416202100
Herr Kollege, ich habe natür-
lich auch diese Passage im Verfassungsschutzbericht
gelesen. Ich halte sie für genauso tilgungsbedürftig wie
die Passage über die Antifaschistinnen und Antifaschi-
sten.


(Beifall bei der PDS)

Da es mir hierbei aber um das gemeinsame Anliegen geht,
habe ich nicht damit angefangen, die vergleichsweise
Kleinigkeit, dass die PDS hierin erwähnt wird, aufzu-
führen. Wir werden das an anderer Stelle tun.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das war jetzt aber schwach!)


Im Übrigen, Herr Kollege Büttner, wird der anachronis-
tische Beschluss der CDU/CSU-Fraktion, der heißt „nicht
mit der PDS auf eine Drucksache“, seine Tage bald über-
lebt haben; das kann ich Ihnen versprechen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Frage war gut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202200
Herr Kol-
lege Claus, kommen Sie bitte zum Schluss.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416202300
Ich will dennoch sagen, dass
wir es für einen Mangel halten, dass die Christdemokra-
ten diesem Antrag nicht beigetreten sind; denn ich glaube
schon, dass das Problem, mit dem wir es hierbei zu tun ha-
ben, angesichts seiner Dimension ohne die große demo-
kratische konservative Partei in diesem Lande nicht lös-
bar sein wird.

Meine Damen und Herren, dieser Beschluss ist ein An-
fang und kein Alibi. Vergessen wir nicht: Faschismus und




Roland Claus
15812


(C)



(D)



(A)



(B)


Neofaschismus, das sind nicht Meinungen, das sind Ver-
brechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202400
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christel
Hanewinckel von der SPD-Fraktion.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1416202500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bei den Demonstrationen
in der DDR im Oktober und November 1989 einte alle
– egal, in welcher Stadt und welchen Alters – ein Wunsch.
Dieser Wunsch hieß, oft vielfältig plakatiert: keine Ge-
walt.

Nie hätte ich 1989 geglaubt, dass wenige Jahre später
Menschen in den ostdeutschen Städten gehetzt, totge-
schlagen und angebrannt würden wegen ihrer Sprache, ih-
rer Hautfarbe oder weil sie obdachlos sind. Ich hätte auch
nicht geglaubt, dass ein Gesetz gegen die Gewalt in der
Erziehung zehn Jahre brauchen würde, ehe es endlich eine
Mehrheit im Deutschen Bundestag findet. Ich hätte auch
nicht geglaubt, dass die DVU in Sachsen-Anhalt 1998 fast
13 Prozent der Stimmen bekommen würde. Ich hätte auch
nicht geglaubt, dass der Vorsitzende der CDU-Landtags-
fraktion in Sachsen-Anhalt Anfang 2001 die Zivilcourage
von Bürgerinnen und Bürgern beschämen würde, indem
er die Beendigung der von ihnen initiierten Aktion „Not-
eingang“ forderte.

Das sind nur einige Beispiele aus ostdeutscher Wirk-
lichkeit. Wir kennen die Zahlen. Sie erschrecken; denn es
ist zum Beispiel kaum vorstellbar, dass 20 Prozent der
Ostdeutschen eine rechtsextreme Einstellung haben und
40 Prozent generell fremdenfeindlich sind. Das ist die
Wirklichkeit, Herr Schäuble. Das ist keine Hysterie.

Wir wissen auch, dass vor allem junge Menschen,
junge Männer – fast noch Kinder – zu rechtsextremen Ge-
walttätern werden. Wir wissen, dass es bereits in den Städ-
ten der DDR Skins und entsprechende rechtsextreme
Gruppen gab, deren Existenz aber in der antifaschistisch
deklarierten DDR verschwiegen worden ist – das haben
alle damaligen Parteien so getan – und nicht offen genannt
werden durfte. Wir wissen auch, dass sich junge und alte
Menschen in Ost und West von der Art und Weise anspre-
chen lassen, wie sich Politiker diffamierend über Auslän-
der und Asylbewerber äußern. Die Landtagswahlen in
Hessen haben dies gezeigt; sie sind auf dem Rücken die-
ser Menschen gewonnen worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Edathy [SPD]: Allerdings!)


Doch nicht nur die Zahl der rechtsextremen Straf- und
Gewalttaten ist gestiegen. Gewachsen sind auch die
intensive öffentliche Debatte und die Bereitschaft, ge-
nau hinzusehen, sich gegen rechtsextreme Gewalt,
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen,

sich in Initiativen zusammenzuschließen und durch De-
monstrationen deutliche Zeichen zu setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gibt es eine
ganze Reihe von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen
und Lehrern, Kirchengemeinden, Eine-Welt-Vereinen
und anderen Organisationen, die in verschiedensten Pro-
jekten Integrationsarbeit leisten.

Was ist nötig zu tun? Wir haben das in einem gemein-
samen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P.
und PDS ausführlich beschrieben. Ich nehme jetzt nur ei-
nen einzigen Punkt heraus, nämlich den, dass wir den
neuen Bundesländern für Initiativen und Projekte, die sich
für Toleranz, Demokratie und Integration einsetzen,
10 Millionen DM zur Verfügung stellen:


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


5MillionenDM für die Präventionsarbeit und 5Millionen
für Initiativen, die Projekte der Opferberatung organisie-
ren. Sie wissen, dass weitere 40 Millionen DM zur Verfü-
gung gestellt werden; darüber haben bereits andere vor
mir berichtet.

Der CDU/CSU-Fraktion kann ich nur deutlich sagen:
Eine Verschärfung des Jugendstrafrechtes brauchen wir
ganz sicher nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir werden unsere Bemühungen lieber darauf konzen-
trieren, die jungen Menschen zu erreichen, bevor sie
rechtsextrem denken und bevor sie Gewalt anwenden.
Leider haben Sie sich zum Teil auch im Hinblick auf das
Gesetz gegen Gewalt in der Erziehung nicht sehr deutlich
geäußert bzw. dagegen gestimmt.

Was wir auch nicht brauchen, ist die Fortführung der
Debatte über den Stolz. Genau das ist das falsche Signal.


(Beifall bei der SPD)

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Deutschlands und seiner Zukunft, die für mich in einem
weltoffenen, integrativen Deutschland liegt, ist angesagt.
Bei der Diskussion über den Sechsten Familienbericht
werden wir noch ausreichend Gelegenheit haben, uns ge-
meinsam zu überlegen, welche notwendigen Schritte wir
als Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundesta-
ges in diesem Zusammenhang einzuleiten haben.

Was wir brauchen, das sind Erwachsene, und zwar
nicht nur Mütter und Väter in den Familien, sondern auch
Politikerinnen und Politiker, die in ihren Reden und in
ihrem Handeln Art. 1 und Art. 3 des Grundgesetzes allen
Menschen gegenüber, die in Deutschland leben, erfahrbar
machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Roland Claus

15813


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein Teil derer, die 1989 in der DDR auf die Straße gegan-
gen sind, sind nicht direkt zur Durchsetzung dieser beiden
Artikel auf die Straße gegangen, sondern deshalb, weil sie
sich für Freiheit, für Menschenwürde und dafür einsetzen
wollten, dass diese Menschenwürde in einem geeinten
Deutschland unantastbar bleibt, egal welcher Abstam-
mung ich bin, welche Hautfarbe ich habe und welche
Sprache ich spreche.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202600
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Marieluise
Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Kollege Schäuble hat soeben zu Recht gesagt: Wir sind
auch ein ausländerfreundliches und weltoffenes Land.
Viele Ausländer in diesem Land haben gute Erfahrungen
im Zusammenleben mit Deutschen gemacht. Bürgerinnen
und Bürger haben diese Sache sozusagen in ihre Hand ge-
nommen. Obwohl es keine systematische Integrationspo-
litik vonseiten der Bundesregierung und vieler Landesre-
gierungen gab, hat es dennoch eine umfangreiche
Integration gegeben, weil die Menschen ihrerseits gehan-
delt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dennoch: Die Wahrheit ist auch, dass sich der über-
wiegende Teil der Übergriffe von Rechtsradikalen gegen
Ausländer richtet, wobei der Begriff Ausländer eigentlich
gar nicht mehr trennscharf genug ist. Denn letztlich ist
unerheblich, ob die Gewalt einen Schwarzen mit oder
ohne deutschen Pass, ob sie einen eingebürgerten oder
nicht eingebürgerten Türken bzw. eine Türkin trifft. Die
Beleidigungen, die Zurückweisungen, die Ressentiments
und eben auch die Übergriffe richten sich unabhängig
vom Pass gegen alles, was fremd und eben anders ist.

Damit sind wir beim Kern des rechten Denkens: Es
geht darum, alles das auszumerzen, was nicht in homo-
gene Weltbilder passt. Die Moderne ist aber gerade durch
den Verlust von Homogenität gekennzeichnet. Rechtes
Denken heißt aber: Man will alles weghaben, was kom-
plex und vielfältig ist. Einfache Weltbilder, vermeintlich
einfache Losungen und Lösungen sollen Schutz vor Ver-
unsicherung bieten.

Deswegen trifft der Hass auch die Schwulen, die Ob-
dachlosen und natürlich vor allem die, die nicht in völki-
sches Denken passen, weil sie angeblich gar nicht zum
Volk gehören können, da sie woanders herkommen und
anders aussehen als diese vermeintlichen Durchschnitts-
deutschen, die dem Denken der den rechten Milieus an-
gehörenden Menschen entsprechen.

Betrachten wir die Historie: Auch die Juden waren Teil
des deutschen Volkes. Sie wurden aber zu den anderen ge-

macht. Die Rechten machen viele zu anderen und
schließen damit alle aus, die aus anderen Ländern nach
Deutschland gekommen sind. In unserem Land gibt es
aber seit 40 Jahren Zuwanderung. Es ist ein verheeren-
des Versäumnis – darüber müssen wir hier auch spre-
chen –, dass wir diesen Sachverhalt nicht klar benannt
haben und auch nicht gesagt haben, dass mit dieser Zu-
wanderung Veränderung, das Auflösen von Homogenität,
kulturelle Vielfalt, religiöse Vielfalt und natürlich auch
Verunsicherung verbunden sind. Denn Zuwanderung
bringt Veränderung, und zwar sowohl für die, die kom-
men, als natürlich auch für die, die schon da sind. Das ist
die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen.

Wenn wir Botschaften wie „Nur die, die hierher kom-
men, müssen sich anpassen und verändern“ senden,
nähren wir bei denen, die schon hier sind, eine Illusion da-
hin gehend, dass sie sich nicht auf diesen gemeinsamen
Prozess der Veränderung einlassen müssten. Diese Illu-
sion wäre verheerend. Durch Einwanderung kommt es zu
Veränderungen. Diesem Prozess kann man als Einwande-
rungsgesellschaft nicht entkommen. Wir sind gut beraten,
darüber auch offen und ehrlich zu sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es tauchen viele neue Fragen auf. Darf eine Frau mit
Kopftuch in Deutschland Lehrerin im Beamtenverhältnis
sein? Wie gehen wir mit dem Widerspruch zwischen den
Tierschutzgesetzen und dem religiösen Gebot des
Schächtens um? Gehört ein Muezzinruf in eine brave
deutsche Gesellschaft? All dies sind Veränderungen, vor
denen wir stehen. Die Rechten wollen sich diesen Verän-
derungen nicht stellen. Sie wollen sie abwehren und ver-
sprechen der Bevölkerung: Wir sorgen dafür, dass ihr
euch diesen Veränderungen nicht stellen müsst.

Nun haben wir in dem heute vorliegenden Antrag von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS festgehal-
ten, dass wir keine Wahlkämpfe oder politischen Ausei-
nandersetzungen mehr auf dem Rücken von Ausländern
bzw. Minderheiten führen wollen. Das ist gut so, wird
aber in der Praxis schwierig, denn es gibt viele politische
Botschaften, die den Bodensatz für rechtes Denken und
ebendiese Abwehr und Ressentiments bilden. Ich erlebe
das in der Praxis täglich. Ich will eine davon nennen.

Wenn wir Politiker sagen, nur 3 Prozent der Flücht-
linge werden als politische Flüchtlinge anerkannt, deswe-
gen sind 97 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge, dann nähren
wir Vorurteile in der Bevölkerung, dass alle, die hierher
kommen, Abzocker seien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wenn wir Einwanderungszahlen nennen – 700 000 bis
800 000 pro Jahr – und nicht gleichzeitig die Abwande-
rungszahlen nennen, die fast genauso hoch sind, nähren
wir in der Bevölkerung das Gefühl, es seien zu viele
Ausländer im Land. Das hat mit der Realität nichts zu tun.
Wenn immer wieder vom Rückzug in Parallelgesell-
schaften gesprochen wird, obwohl in deutschen Groß-
städten inzwischen jede dritte Ehe binational ist, dann




Christel Hanewinckel
15814


(C)



(D)



(A)



(B)


nähren wir die Botschaften, die Ausländer wollten sich
gar nicht integrieren, und schüren damit Vorurteile.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202700
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marieluise Beck, (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja.

Es gibt also jenseits der großen Versprechen viele Bot-
schaften im Kleinen zu überprüfen, die in den politischen
Raum gehen und die den Nährboden für die alltägliche
Ebene von Vorurteilen, Abwertungen, Ressentiments und
Fehlinformationen bilden. Wenn Sie mit Migrantinnen
und Migranten sprechen, werden Sie merken, wie viele
Alltagserfahrungen von Zurückweisung, von Dis-
kriminierung und von Ungleichbehandlung diese ge-
macht haben. Das sollten wir alle sehr ernst nehmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202800
Frau Kol-
legin Beck, kommen Sie zum Schluss.

Marieluise Beck, (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ein Gedanke noch.

Wir müssen lernen, dass sich der Spieß langsam dreht.
Es geht nicht mehr darum, möglichst viele Menschen da-
von abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. Wir sind
an dem Punkt angelangt, wo die Menschen, obwohl wir sie
in Deutschland brauchen, zum Teil sagen: Schönen Dank,
nach Deutschland wollen wir nicht. Der American Field
Service hat sich an die Ausländerbeauftragte gewandt,
weil zunehmend mehr Austauschplätze, die in Deutsch-
land angeboten werden, von jungen Menschen aus dem
Ausland nicht angenommen werden, weil die Botschaft
nach außen dringt, dass es für Ausländer in Deutschland
zumindest ungemütlich, wenn nicht gefährlich ist.

Das können wir nicht akzeptieren. Daher sollten wir
gemeinsam alles dafür tun, dass diese Botschaft im Aus-
land nicht mehr verbreitet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416202900
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Günter Nooke
von der CDU/CSU-Fraktion.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416203000
Herr Präsident! Verehrte
Damen und Herren! Frau Hanewinckel, ich finde es gut,
dass wir diese Debatte zu einem Zeitpunkt führen, zu dem
in der Öffentlichkeit offenkundig auch über berechtigten
Stolz gesprochen wird, ein Deutscher zu sein. Ich finde,
wir sollten die Debatte fortsetzen.

Ich will unter der Überschrift der heutigen Debatte ei-
nen türkischstämmigen Rechtsanwalt aus Berlin zitieren.
Mit folgenden Worten war das im letzten „Focus“ zu le-
sen:

„Alles, was ich habe, und alles, was ich bin, verdanke
ich zwei Institutionen: meiner Familie und diesem

Land.“ Deutschland habe ihm „als Sohn türkischer
Einwanderer mit Stipendien ein erstklassiges Stu-
dium ermöglicht. Wie könnte ich nicht stolz sein auf
ein Land, das jedem ungeachtet seiner Herkunft diese
Chancen eröffnet.“

Mit Blick auf die unsäglichen Ausfälle des amtierenden
Umweltministers sagte er:

„Leute wie Jürgen Trittin sind heute die wirklich
Ewiggestrigen – Leute, die nicht wahrhaben wollen,
wie sich dieses Land und seine Menschen verändert
haben.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch solche Einschätzungen eines türkischstämmigen
Einwanderers gehören genau zu dieser Debatte um Extre-
mismus, Gewalt und ausländerfeindliche Übergriffe.

Gleichzeitig gehört dazu auch die Erkenntnis, dass ge-
gen rechtsextreme Gewalt mit allen zur Verfügung ste-
henden Mitteln des Rechtsstaates vorgegangen werden
muss. Dabei sollten wir uns vom ersten Satz unseres
Grundgesetzes leiten lassen, nämlich „Die Würde des
Menschen ist unantastbar,“ nicht des Deutschen.


(Lothar Mark [SPD]: Genau dafür treten wir ein!)


Auch nicht gemeint ist damit, dass wir freundlich zu aus-
ländischen Mitbürgern sein sollen, weil sonst keine Inves-
toren nach Deutschland und insbesondere in die östlichen
Bundesländer kommen. Die Würde des Menschen ist ge-
setzt. Sie zu achten darf nie, auch in unseren Argumenta-
tionsmustern, Mittel für andere Zwecke sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Sebastian Edathy [SPD] – Lothar Mark [SPD]: Das ist richtig!)


In dem zur Abstimmung stehenden Antrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird das Gewaltmono-
pol des Staates betont. Beides gehört für uns zusammen:
ein objektiver Blick auf die Verhältnisse in unserem Land
und der Einsatz für die Stärkung der Exekutive. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion – so heißt es – setzt sich
dafür ein:

Insbesondere wenn extremistische Gewalttäter
zuschlagen, kann und muss der Staat unverzüglich
handeln. Dabei gibt es keinen Grund zum Zögern aus
falsch verstandener Liberalität.

Unser Antrag geht mit zahlreichen notwendigen Maßnah-
men auch auf die einzige Sprache ein, die gewaltbereite
Rechtsextremisten wirklich verstehen: Grenzen rechtzei-
tig aufzeigen, das heißt, der Staat muss hart, konsequent
und sofort mit repressiven Mitteln einschreiten.

Wer bei dieser Sachlage die Union – manchmal mit ne-
bulösen Formulierungen, manchmal ganz offen – in die
Nähe von rechtsextremistischen Tätern stellen will, der
setzt bei diesem so sensiblen Thema auf Diffamierung des
politischen Gegners. Dahinter zeigt sich meines Erach-
tens ein Gedankengut, das nur eine andere Form von Ex-
tremismus offenbart.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Marieluise Beck (Bremen)


15815


(C)



(D)



(A)



(B)


Für mich als Ostdeutscher war es schon bemerkens-
wert, zu beobachten, wie die Diskussion um extremisti-
sche Gewalt seit dem Sommer des letzten Jahres geführt
wurde. Vor dem Hintergrund ausländerfeindlicher Über-
griffe versuchten manche Politiker von SPD, Bündnis
90/Die Grünen und PDS, der Union die alleinige Verant-
wortung zuzuschieben. Es wurde nichts unversucht gelas-
sen, rechts mit rechtsextrem gleichzusetzen. Die Ansich-
ten von Konservativen galten als dumpfer Nationalismus.
Auch der ursprüngliche Antrag der PDS ist voll von sol-
chen Anspielungen und offenkundigen Diffamierungen.

Zu Beginn dieses Jahres schwelte im Zusammenhang
mit der Vergangenheit hochrangiger Vertreter dieser Bun-
desregierung eine geschichtspolitische Debatte. Dabei
sollte wieder einmal die Mär kolportiert werden, dass
Leute, die in den 70er- und 80er-Jahren das Gewaltmono-
pol des demokratischen Rechtsstaats buchstäblich mit den
Füßen traten, für die Entwicklung der Demokratie beson-
ders wertvoll waren.

In der gestrigen Debatte erzählte die Kollegin Kerstin
Müller von den Grünen wieder diese Geschichte. Gleich-
zeitig wollte sie mit einem Nebensatz die 89er in der DDR
mit den 68ern des Westens auf eine Stufe stellen. Ich kann
nur sagen: Den fundamentalen Unterschied haben Sie
nicht begriffen.


(Klaus Haupt [F.D.P.]: Das hat sie auch nicht!)

Wir sprechen hier nicht über die netten, etwas versponne-
nen Blumenkinder von 1968, sondern über diejenigen, die
den demokratischen Rechtsstaat des Westens infrage
stellten und gleichzeitig große Sympathie für die kommu-
nistischen Regime hegten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Haupt [F.D.P.] – Lothar Mark [SPD]: Sie diffamieren grundsätzlich die 68er!)


Vor 1989 hatten viele der so genannten 68er mehr Ge-
meinsamkeiten mit den Diktatoren als mit denen, die für
Freiheit und Demokratie kämpften.


(Lothar Mark [SPD]: Alles Unterstellungen, was Sie hier vorbringen!)


Herr Fischer suggeriert die Geschichte, als sei er im-
mer ganz friedlich durch das Frankfurter Westend gelau-
fen und dabei von Polizisten überfallen und zusammen-
geschlagen worden.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])


Nach entsprechender Nahkampfausbildung musste er sich
Helm und Schlagstock zulegen. Ich stelle mir dabei im-
mer vor: Wie wäre es denn ausgegangen, wenn ein zorni-
ger junger Mann in den 70er-Jahren auf dem Alexander-
platz in Ostberlin gestanden und Helm und Schlagstock
nur getragen hätte? Was wäre passiert, wenn sich im
Herbst 1989 in der Leipziger Innenstadt Demonstranten,
bewaffnet mit Helm, Schlagstock und Molotowcocktails,
versammelt hätten?


(Ulla Jelpke [PDS]: Es geht um Rechtsextremismus!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416203100
Herr Kol-
lege Nooke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Edathy?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416203200
Ich möchte erst zu Ende
reden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416203300
Also
keine Zwischenfrage.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416203400
Der Unterschied zwi-
schen dem Gewaltmonopol des Staates in der Demokratie
und in der Diktatur scheint bis heute nicht klar zu sein. Die
aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit Castortrans-
porten kann hierbei weiterhelfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In einem Klima, in dem alle, die sich nicht als links be-

kennen, sofort mit Rechtsradikalen auf eine Stufe gestellt
werden, startete nun Herr Trittin einen Frontalangriff ge-
gen die Union.


(Zurufe von der SPD: Aufhören!)

– Hören Sie bitte zu, auch Frau Beck hat davon gespro-
chen. – Da dies wiederum in einem engen zeitlichen Kon-
text zu den Landtagswahlen passiert ist, haben Sie dafür
die Quittung präsentiert bekommen. Nun wird der Um-
weltminister von seinen Parteigenossen kritisiert, aber in
Wirklichkeit nur, weil er eine offenkundige Belastung in
Wahlkämpfen geworden ist.


(Lothar Mark [SPD]: Reden Sie doch mal zum Thema!)


Mir geht es aber um etwas anderes: Ich finde es be-
merkenswert, dass sich nun viele zu Wort melden und ein
positives Bekenntnis zu dieser ihrer Bundesrepublik
Deutschland abgeben. Ich finde es gut, dass Herr Trittin
hier zumindest etwas bewirkt hat. Dies ist aus meiner
Sicht positiv.

In der gestrigen Debatte, Frau Beck, ist mir aufgefal-
len, dass wenig auf die Kampagne der Bundesregierung
für Ausländerfreundlichkeit und Toleranz eingegangen
wurde.


(Zuruf von der SPD: Sie werden dem Thema nicht gerecht!)


Vor mehreren Monaten wurde von der Bundesregierung
auf Plakaten, die zum Beispiel in Berliner U-Bahnhöfen
gezeigt wurden, mit farbigen Mitbürgern mit dem Satz
„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ geworben.


(Sebastian Edathy [SPD]: Demokratie und Toleranz!)


Bundesminister Trittin hat nicht nur den Generalsekretär
der CDU, sondern auch die schwarzen Mitbürger auf den
Plakaten, in die Rassismus- und Skinheadecke gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Ach du meine Güte, Herr Kollege! – Lothar Mark [SPD]: Das ist eine Logik!)





Günter Nooke
15816


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde, es sollte überlegt werden, ob das nicht nur un-
dankbar gegenüber den Menschen ist, die sich bereit er-
klären, Werbeagenturen für solche Zwecke zur Verfügung
zu stehen, sondern im Gegenteil die gewünschte
Ausländerfreundlichkeit verhindert.


(Lothar Mark [SPD]: Sie glauben doch selbst nicht, was Sie da sagen!)


Lassen Sie mich noch einen wichtigen Punkt anführen:
Wenn wir über die Ursachen extremistischer Gewalt re-
den, dann gehören für mich die Erfahrungen in der DDR
und die Beurteilung der Vergangenheit westdeutscher
Zeitgenossen unbedingt zusammen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416203500
Herr Kol-
lege Nooke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abge-
ordneten Beck oder wollen Sie grundsätzlich keine Zwi-
schenfrage zulassen?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416203600
Nein, ich möchte jetzt
keine Zwischenfrage zulassen.

Wer sein Verhältnis zum Gewaltmonopol des demo-
kratischen Rechtsstaates nicht geklärt hat, ist kein guter
Ratgeber für den Kampf gegen Rechtsextremismus.

Ich bin dagegen, dass die politische Auseinanderset-
zung innerhalb des demokratischen Spektrums weiterhin
nach dem wohlfeilen Links-Rechts-Muster der alten
Bundesrepublik geführt wird. Meine Damen und Herren
von der Koalition und der PDS: Hören Sie damit auf, ein
so genanntes Links-Sein gegen ein so genanntes Rechts-
Sein auszuspielen. Wer das Linke nicht nur als das klei-
nere Übel, sondern das eigentlich Demokratische defi-
niert, leistet dem Kampf gegen den Rechtsextremismus
einen Bärendienst. Das sollten alle wissen. Folgerichtig
steht in unserem Antrag die Forderung nach Toleranz und
Achtung der Menschenwürde an erster Stelle.
Die wehrhafte Demokratie und der wehrhafte Staat sind
die einzige Antwort auf die Untaten von Extremisten.

Ich habe mit Blick auf die in unserem Antrag vorge-
schlagenen Präventivmaßnahmen vom Gewaltmonopol
des Staates in der Demokratie gesprochen. Jeder weiß,
dass die Gewaltbereitschaft nicht nur ein Phänomen der
neuen Länder ist. Wir dürfen die Augen aber nicht davor
verschließen, dass dort besonders akute Probleme beste-
hen. Wir gehen davon aus, dass es für die hohe Zahl ge-
waltbereiter Jugendlicher in den neuen Ländern komplexe
Ursachen gibt. Ein einfaches Patentrezept dagegen wird
es nicht geben.

Deshalb schlagen wir eine Kombination von präven-
tiven und repressiven Elementen vor. In diesem Zusam-
menhang muss es eine engagierte Arbeitsteilung zwi-
schen Bund und Ländern geben. Es kann nicht sein, dass
die Länder nur für die direkte Arbeit vor Ort zuständig
sind, während verantwortliche Bundespolitiker mit Pro-
minenten aus der Showbranche nette Lesungen und
Konzerte besuchen. Ich freue mich über das Engagement
der so genannten Promis, die in Hochglanzbroschüren
mit einem Bekenntnis gegen rechts zitiert werden. Das

allein hat aber bisher noch keinen Gewalttäter von sei-
nem Tun abgehalten. Besuche bei der Polizei vor Ort
würden manchmal mehr helfen. Auch das gehört dazu;
gemeinsame Auftritte mit Prominenten reichen nicht
aus.


(Lothar Mark [SPD]: Eine äußerst leere Rede!)

Wenn im Zusammenhang mit diesem Thema die neuen

Bundesländer angesprochen werden, darf man nicht über-
sehen, dass die Entwicklungen etwas mit der Geschichte
der DDR zu tun haben. Gleichwohl sollten wir es uns
nicht so leicht machen, dass wir diese Erscheinungen aus-
schließlich als Problem der Ostdeutschen wahrnehmen.

An dieser Stelle – insbesondere, weil ich eingangs über
das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaats
gesprochen habe – will ich noch auf einen Punkt im
ursprünglichen Antrag der PDS eingehen. Es heißt dort:
„Im Osten wirkt sich aus, dass 1990 ein Wertesystem zu-
sammenbrach.“


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Christel Hanewinckel [SPD]: Wir haben einen neuen, gemeinsamen Antrag!)


Meine Damen und Herren von der PDS, von welchem
Wertesystem reden Sie eigentlich? Reden Sie wirklich
über die DDR, die im Grunde genommen eine weitgehend
ausländerfreie Zone gewesen ist? Reden Sie über ein Wer-
tesystem, in dem den Menschen im Zusammenhang mit
dem Wort Israel – das war obligatorischer Schulstoff und
Honecker unterstützte Arafat bei der Ausbildung von Ter-
roristen gegen die Juden in Israel – ausschließlich nega-
tive Assoziationen vermittelt wurden?


(Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Kutzmutz [PDS]: Alles Unsinn!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416203700
Herr Kol-
lege Nooke, kommen Sie bitte zum Schluss.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416203800
Reden Sie wirklich über
die reale DDR, in der nahezu keine Ausländer lebten?


(Sebastian Edathy [SPD]: Sie wissen nicht, worüber Sie reden! Das ist das Problem!)


Wenn Ausländer zeitweise ins Land geholt wurden,
dann nur deshalb, weil sie als Arbeitskräfte gebraucht
wurden.


(Sebastian Edathy [SPD]: Worüber reden Sie eigentlich heute?)


Den vietnamesischen Frauen war es beispielsweise
verboten, schwanger zu werden. Wenn sie es doch wur-
den, mussten sie abtreiben. Wenn sie sich weigerten ab-
zutreiben, wurden sie auf eigene Rechnung in ihr Hei-
matland zurückverfrachtet und waren dort geächtet.
Außerdem waren sie kaserniert untergebracht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416203900
Herr Kol-
lege Nooke, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.




Günter Nooke

15817


(C)



(D)



(A)



(B)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1416204000
Ich denke, unter diesen
Bedingungen konnten wir den Antrag nicht gemeinsam
mit der PDS stellen.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Der steht gar nicht zur Abstimmung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den anderen
Fraktionen, unter diesen Umständen muss ich doch die
Frage stellen, ob die Kollegen von der PDS es bis heute
nicht besser verstanden haben oder bis heute heucheln.


(Dr. Heidi Knake-Werner [PDS]: Das ist verlogen, was Sie machen!)


Deshalb machen wir nicht mit.
Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416204100
Für die
Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parlamentarische
Staatssekretär Professor Dr. Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1416204200
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die heutige Debatte ist wichtig. Selbst wenn es
keinen gemeinsamen Antrag gegeben hat, ist es wichtig,
heute Gesicht zu zeigen und deutlich zu machen, dass der
Bundestag gegen jede Form von Gewalt ist und dass Ta-
ten von Rechtsextremisten, wie wir sie in der Vergangen-
heit kennen gelernt haben, die Prinzipien unserer Verfas-
sung verletzen. Die Rechtsextremisten treten die Würde
des Menschen buchstäblich mit Füßen. Aus diesem
Grunde dürfen wir Rechtsextremismus und Fremden-
feindlichkeit keinen Raum geben. Wir müssen rechtsex-
tremen Gewalttätern Taten entgegenstellen.

Um das Klima für ein friedliches Zusammenleben der
Menschen in Deutschland zu verbessern, haben das Bun-
desministerium des Innern und das der Justiz gemeinsam
das „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen
Extremismus und Gewalt“ initiiert. Mittlerweile haben
sich über 800 Organisationen und Initiativen diesem
Bündnis angeschlossen.


(Beifall bei der SPD)

Dieses Bündnis macht für alle sichtbar: Unsere Verfas-
sung lässt rechtsextremer Gewalt, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit keinen Raum. Durch vielfältige öf-
fentliche Aktionen wird das immer wieder in Erinnerung
gerufen. Gerade der gesellschaftliche Beitrag ist für mich
ganz wichtig, um Extremismus und Fremdenfeindlichkeit
in der Bevölkerung dauerhaft zu bekämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Häufig werden die Ursachen für Gewalt aber schon

ganz früh gesetzt. Wir wissen, dass Kinder, die geschla-
gen wurden, später selbst häufig Gewalt als Mittel zur
Lösung von Konflikten einsetzen. Um rechtsextreme
Jugendgewalt zu bekämpfen, muss Gewalt in der Erzie-
hung generell geächtet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Hier hat die Bundesregierung mit dem vom Bundestag be-
reits beschlossenen Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der
Erziehung einen wichtigen Beitrag geleistet. Aber auch
der Aktionsplan „Gewalt gegen Frauen“ sowie der
Gesetzentwurf, mit dem Frauen vor Übergriffen ihrer
früheren Partner besser geschützt werden sollen, gehören
in diesen Zusammenhang.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Neben der Prävention gilt aber auch: Rechtsextremis-

tisch motivierte Straftaten müssen angemessen verfolgt
und bestraft werden. Das geltende Strafrecht stellt die not-
wendigen gesetzlichen Instrumente zur Verfügung, um
solche Straftaten angemessen ahnden zu können. Aber
häufig sind rechtsextreme Gewalt, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus auch als Angriff auf die Sicherheit
der Bundesrepublik insgesamt zu werten. Daher ist es gut,
dass der Generalbundesanwalt in entsprechenden Fällen
solche Verfahren an sich zieht, wie es im Fall Eggesin ge-
schehen ist. Seine Zuständigkeit für diesen Fall wurde
vom Bundesgerichtshof ausdrücklich bestätigt.

Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt zu spre-
chen kommen, der vorhin schon angesprochen worden ist,
nämlich die Frage, inwieweit rechtsextremistische
Straftaten, die via Internet verübt werden, in Deutschland
verfolgt werden können, wenn der Täter im Ausland die
Tasten seines Computers drückt. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom letzten Jahr, dass solche Strafta-
ten auch dann, wenn sie vom fernen Ausland aus began-
gen werden, in Deutschland zu verfolgen seien, ist ein we-
sentlicher Fortschritt, um solche Delikte bestrafen zu
können, und entspricht der von der Bundesregierung
schon immer vertretenen Auffassung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir müssen auch an die Op-
fer von rechtsextremistischen Taten denken. Deswegen
sind wir dem Bundestag dankbar, dass er dem Bundesjus-
tizministerium entsprechende Mittel zur Verfügung ge-
stellt hat, um in Härtefällen für die Opfer rechts-
extremistischer Gewalt einen zusätzlichen Ausgleich zu
bieten, der über den Rahmen der bisherigen Möglichkei-
ten hinausgeht. Im Moment werden wir von Anträgen
überhäuft; das zeigt, dass das ein richtiger Ansatz des
Bundestages war. Deswegen bedanke ich mich auch an
dieser Stelle noch einmal für diese Tat der Humanität; wir
können den damit verbundenen Auftrag jetzt entspre-
chend ausführen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416204300
Für die
Bundesregierung spricht jetzt der Bundesminister Otto
Schily.






(C)



(D)



(A)



(B)



Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1416204400
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Gestern habe ich den
Verfassungsschutzbericht vorgelegt; ich verweise auf
die dortigen Darstellungen, was die Entwicklung des
Rechtsextremismus in unserem Lande angeht.

Ich stimme Herrn Kollegen Schäuble zu, dass wir uns
bemühen müssen, die Fakten richtig darzustellen und
auch Steigerungsraten nicht von vornherein so zu ver-
stehen, dass sie eine Vermehrung rechtsextremistischer
Straftaten in jeder Hinsicht darstellen müssen. Es kann in
dieser Steigerungsrate auch zum Ausdruck kommen –
was ich begrüße –, dass nämlich die Bürgerinnen und
Bürger aufmerksamer geworden sind und ihr Anzeige-
verhalten verändert haben und dass auch die Strafverfol-
gungsorgane sehr viel genauer hinsehen. Das wäre dann
insoweit ein begrüßungswerter Tatbestand, wenn rechts-
extremistische Straftaten aus dem Dunkelfeld in das
Hellfeld kommen und die notwendigen Sanktionen er-
halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe oft genug über notwendige repressive Maß-
nahmen gesprochen. Ich freue mich darüber, dass von al-
len Seiten des Hauses das Gewaltmonopol des Staates
angesprochen wird. Selbstverständlich müssen Polizei,
Justiz und Staatsanwaltschaft ihre Verantwortungen
wahrnehmen; wir müssen auch die Verbotsmaßnahmen
konsequent umsetzen. Wir können auch in aller Offenheit
über die Frage reden, ob das gegenwärtig geltende
Versammlungsrecht veränderungsbedürftig ist oder
nicht. Nur, Herr Schäuble, Sie müssen beachten, dass die
Verfassung uns sehr enge Grenzen setzt, denn die Ver-
sammlungsfreiheit ist ein hohes demokratisches Gut. Es
steht am Anfang der Demokratie und deshalb müssen wir
in dieser Frage sehr sorgfältig vorgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Ich will meine Zeit heute im Wesentlichen dazu nutzen,
einige Hinweise zur Prävention zu geben, ohne Anspruch
auf Vollständigkeit. Was rechtsextremistische Sachver-
halte angeht, müssen wir, glaube ich, ein wenig tiefer ge-
hen. Ich meine, wir haben auch eine Verantwortung für
unser Handeln, wir haben aber auch eine Verantwortung
für unser Denken und unsere Sprache. Es gibt einen Zu-
sammenhang zwischen dem Denken und der Wirklich-
keit. Man kann es vereinfacht so sagen: Die Gedanken
von heute sind die Tatsachen von morgen. Wer den Men-
schen nur als beliebig manipulierbares Zellgewebe ver-
steht, muss sich nicht wundern, wenn das an anderer
Stelle zur geistigen Verwüstung und seelischen Verwahr-
losung führt. Die Würde des Menschen, meine Damen
und Herren, darf nicht eine hohle Phrase sein, sondern
verweist auf Erkenntnisfragen, denen wir uns stellen müs-
sen.

Wir haben auch eine Verantwortung für die Bilder.
Wenn tagtäglich Kindern und Jugendlichen im Fernsehen,
in Videos, in Filmen die brutalsten Gewaltszenen entge-

gengebracht werden, können wir nicht überrascht sein,
dass Jugendliche und Kinder der Gewalt verfallen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn über das Internet die abscheulichste rechtsextre-
mistische Propaganda verbreitet wird, darf sich niemand
erstaunt zeigen, dass diese Propaganda in Gewaltakten in
der Wirklichkeit ankommt.

Zu den wichtigsten Maßnahmen der Prävention, meine
Damen und Herren – ich glaube, das ist unsere gemein-
same Überzeugung – gehört das Engagement für Er-
ziehung. Und lassen Sie mich etwas jenseits meiner Zu-
ständigkeiten an dieser Stelle sagen: Wir müssen dem Bil-
dungs- und Wissenshunger der Kinder und Jugendlichen,
der durchaus vorhanden ist, mehr entgegenkommen, als
es bisher der Fall ist.

Und ich will nun ein Beispiel unter vielen nennen – das
mögen Sie als eine Simplifizierung der Debatte missver-
stehen –: Gehen Sie einmal in die Amerika-Gedenkbi-
bliothek in Berlin – eine sehr gute Bibliothek für Kinder
und Jugendliche – und schauen Sie einmal, wie diese Bi-
bliothek unter Geldmangel leidet, was die Kinder und Ju-
gendlichen dort vorfinden, wie sie Schlange stehen müs-
sen und wie eine solche Bibliothek ausgestattet ist. Das
mag für Sie vereinfachend sein. Aber wenn wir den Kin-
dern kein Bildungsangebot machen, dann müssen wir uns
nicht wundern, wenn die Kinder geistig und seelisch ver-
wahrlosen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Ich habe das oft wiederholt. Ich will auch an der Stelle
sagen: Wer in der Erziehung von Jugendlichen und Kin-
dern die musische Erziehung vernachlässigt,


(Lothar Mark [SPD]: Und die künstlerische!)

der muss sich nicht wundern, wenn dabei kaltherzige und
brutale Charaktere herauskommen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Aus das ist wichtig. Ich bin sehr dafür, dass jedes Kind ei-
nen Zugang zum Computer hat. Aber vielleicht wäre es
auch gut, wenn jedes Kind Zugang zu einem Musikin-
strument hätte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir müssen uns für Begegnung engagieren. Wir alle
wissen aus unserer Erziehung und aus unserer Jugendzeit,
dass einfach die Begegnung mit Menschen fremder Her-
kunft eine ganz entscheidende ist. Deshalb unterstütze ich
den Vorschlag des niedersächsischen Justizministers
Pfeiffer, dass wir den Jugendlichen in den neuen Bundes-
ländern mehr Begegnungen mit Fremden ermöglichen
müssen. Wir brauchen ein großes Programm des Jugend-
austausches für die neuen Bundesländer.






(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. und der PDS – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Asylbewerber nicht hinter verschlossene Türen stecken!)


Wichtig ist auch – das ist ebenfalls eine präventive
Maßnahme –, dass wir bei diesem Thema zusammenblei-
ben, dass es den Konsens der Demokratinnen und Demo-
kraten gibt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen
Fraktionen dafür danken, dass sie sich gemeinsam zu-
sammengeschlossen haben und im „Bündnis für Demo-
kratie und Toleranz – gegen Extremismus und Ge-
walt“ engagieren. Es heißt übrigens nicht „gegen rechten
Extremismus und Gewalt“, sondern „gegen Extremismus
und Gewalt“. Dafür bedanke ich mich bei allen Fraktio-
nen, dass sie sich in diesem Bündnis engagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei aller Polemik, die auch ich kenne und die man er-

tragen muss, sollten wir uns bemühen, dass die Fairness
in der demokratischen Auseinandersetzung die Oberhand
behält und dass wir uns trotz unterschiedlicher Meinun-
gen wechselseitig Respekt entgegenbringen. Bekanntlich
hat das Bundesinnenministerium eine Plakatkampagne
im Zusammenhang mit diesem Bündnis gestartet. Auf den
Plakaten heißt es: „Du willst RESPEKT. Ich auch.“ So
sollte auch die Haltung unter den Fraktionen sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Wir sollten uns vielleicht auch um die Fähigkeit zum In-
nehalten und zur Selbstprüfung bemühen. Es ist vielleicht
gar nicht schlecht, wenn jeder versucht, vor der eigenen Tür
zu kehren. Deshalb meine ich den Hinweis nicht unterlas-
sen zu sollen, dass wir uns um die Genauigkeit derWort-
wahl kümmern müssen. Ich stimme Herrn Nooke zu, wenn
er sagt: Das Thema ist nicht Kampf gegen rechts, sondern
Kampf gegen Rechtsextremismus, ganz eindeutig.


(Beifall des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU])

Es steht außer Zweifel, dass man eine rechte Position

innerhalb des demokratischen Bogens vertreten kann. Das
werde ich nie infrage stellen. Wenn jemand den Satz sagt,
er sei stolz, ein Deutscher zu sein, sollten wir ihm nicht
unterstellen, dass er damit etwa zum Ausdruck bringen
will, er sei auch auf das stolz, was sich an schlimmen Din-
gen in der deutschen Geschichte zugetragen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr aufklärend!)


– Vorsicht, Herr Marschewski, klatschen Sie nicht zu
früh. –An die Adresse der rechten Seite des Parlaments füge
ich hinzu: In Deutschland führt jede Politik, die auch nur den
Anschein des Nationalismus annimmt, ins Verderben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist auch wahr!)


Dazu hat Sebastian Haffner, dessen Patriotismus über
jeden Zweifel erhaben ist, etwas aufgeschrieben, was als
Mahnung dienen kann. Erlauben Sie mir, Ihnen das vor-
zutragen. Er schreibt:

Nationalismus als nationale Selbstbespiegelung und
Selbstanbetung ist sicher überall eine gefährliche
geistige Krankheit, fähig, die Züge einer Nation zu
entstellen und hässlich zu machen, genau wie Eitel-
keit und Egoismus die Züge eines Menschen entstel-
len und hässlich machen.
Aber nirgends hat diese Krankheit einen so bösarti-
gen und zerstörerischen Charakter wie gerade in
Deutschland, und zwar, weil gerade Deutschlands in-
nerstes Wesen Weite, Offenheit, Allseitigkeit, ja in ei-
nem bestimmten Sinne Selbstlosigkeit ist. Bei ande-
ren Völkern bleibt Nationalismus, wenn sie davon
befallen werden, eine nebensächliche Schwäche, ne-
ben der ihre eigentlichen Qualitäten erhalten bleiben
können. In Deutschland aber, wie es sich trifft, tötet
gerade Nationalismus den Grundwert des nationalen
Charakters.
Dies erklärt, warum die Deutschen – in gesundem Zu-
stand zweifellos ein feines, empfindungsfähiges und
sehr menschliches Volk – in dem Augenblick, wo sie
der nationalistischen Krankheit verfallen, schlechthin
unmenschlich werden und eine bestialische Hässlich-
keit entwickeln. Ein Deutscher, der dem Nationalis-
mus verfällt, bleibt kein Deutscher mehr.

Das sollten wir uns alle merken.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416204500
Ich
schließe die Aussprache.

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Debatte machen.
Es ist heute aufgrund bestimmter Umstände dazu gekom-
men, dass am Schluss der Debatte zwei Mitglieder der
Bundesregierung hintereinander gesprochen haben.


(Sebastian Edathy [SPD]: Gute Reden waren das!)


Das ist nicht erwünscht. Unsere Geschäftsordnung
sieht gemäß § 28 Abs. 1 ausdrücklich vor, dass nach der
Rede eines Mitglieds der Bundesregierung eine abwei-
chende Meinung zu Wort kommen soll. Ich möchte daher
die Parlamentarischen Geschäftsführer bitten, in Zukunft
dafür zu sorgen, dass die Rednerreihenfolge – unabhängig
von den Wünschen der Mitglieder der Bundesregierung –
entsprechend festgelegt wird. Vielen Dank für Ihr Ver-
ständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Herr Schily hat doch eine abweichende Meinung! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Frau Beck hätte ihm gern widersprochen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ich habe den Eindruck, der will Bundespräsident werden!)





Bundesminister Otto Schily
15820


(C)



(D)



(A)



(B)


Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung der Kollegin
Ulla Jelpke nach § 31 der Geschäftsordnung vor, die wir
zu Protokoll nehmen.1)

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 14 a: Beschlussempfehlung des

Innenausschusses auf Drucksache 14/5695. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der
PDS „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Gewalt“, Drucksache 14/5456. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der F.D.P. und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei einer Enthaltung aus den Reihen der PDS
angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „Nachhaltige
Bekämpfung von Extremismus, Gewalt und Fremden-
feindlichkeit“, Drucksache 14/4067. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU und bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen „Gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ für
erledigt zu erklären, Drucksache 14/3516. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Dann ist diese Beschlussempfehlung einstim-
mig angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel „Rechtsextremismus entschlossen
bekämpfen“ für erledigt zu erklären, Drucksache
14/3106. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e
seiner Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktion der
PDS mit dem Titel „Handeln gegen Rassismus, Antisemi-
tismus, Fremdenfeindlichkeit und daraus resultierender
Gewalt“ für erledigt zu erklären, Drucksache 14/4145.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist ebenfalls einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 b: Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU „Bekämpfung des politischen Extremismus“,
Drucksache 14/1556. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/295 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen

der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Gerichtsvollzieherkostenrechts – GvKostR-
NeuOG –
– Drucksachen 14/3432, 14/4913, 14/5385,
14/5685 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Eckart von Klaeden

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung ge-
wünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/5685. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS an-
genommen; die PDS hat dagegen gestimmt.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Gesetzes über die Verarbeitung und Nut-
zung der zur Durchführung der Verordnung

(EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten

– Drucksachen 14/4721, 14/5142, 14/5384,
14/5686 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/5686? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der
PDS
Kriegsbilanz
– Drucksachen 14/3047, 14/5677 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die PDS zehn
Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

15821


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Ich eröffne die Aussprache. Für den Antragsteller, die
PDS-Fraktion, hat als erster Redner der Kollege Wolfgang
Gehrcke das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416204600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hält als
ihr Fazit des Krieges fest, der Sturz von Milosevic habe
den Weg für eine friedliche multiethnische Entwicklung
des Balkans geöffnet. Damit rechtfertigt die Bundesregie-
rung den Krieg.

Das ist falsch und dürftig. Selbst wenn man einen Zu-
sammenhang zwischen dem Sturz von Milosevic und dem
NATO-Krieg unterstellt – dem ist nicht so.


(Beifall bei der PDS)

In Jugoslawien hat das Volk und haben nicht die Bomben
der NATO Milosevic abgewählt. Das ist die Wahrheit, die
man hier festhalten muss.


(Beifall bei der PDS)

Selbst wenn man einen Zusammenhang unterstellt,

zeigt ein Blick auf Mazedonien, den Kosovo, Südserbien,
ein Blick auf erneute Flucht, Vertreibung und Gewalt,
dass der Krieg viel zerstört und nichts gelöst hat.


(Beifall bei der PDS)

Richtiger wäre aus meiner Sicht die Bilanz: Die Bundes-
regierung steht vor den Trümmern ihrer Balkanpolitik.

Außenminister Fischers Kriegsbilanz ist die Erkennt-
nis, man habe zu spät militärisch eingegriffen. Was heißt
denn das? Das kann man doch nur so verstehen, dass die
Schwelle zum Krieg, die Schwelle für militärisches Ein-
greifen gesenkt werden soll. Das muss man ablehnen, da-
gegen muss man sich einsetzen.


(Beifall bei der PDS)

Wir schlussfolgern das Gegenteil. Menschenrechte,

Frieden und gute Nachbarschaft auf dem Balkan können
nicht durch Krieg erzwungen werden. Wir brauchen nicht
mehr Militär, wir brauchen mehr Politik, wir brauchen die
Mitsprache der Bevölkerung, auch unserer Bevölke-
rung, über die Außenpolitik.


(Beifall bei der PDS)

Mit dem Krieg gegen Jugoslawien hat die Bundesre-

gierung dreifach Recht gebrochen: das Völkerrecht, in-
ternationale Verträge wie den Zwei-plus-Vier-Vertrag,
und das Grundgesetz, unsere Verfassung. Auch das muss
hier festgehalten werden.


(Beifall bei der PDS – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Deswegen sind Sie vor dem Bundesverfassungsgericht auch so erfolgreich!)


Wir halten als Bilanz fest: Am Ende der Nachkriegszeit
hat Deutschland seine Größe und Souveränität nicht dazu
genutzt, das Recht zu stärken, sondern dazu, das Recht
des Stärkeren durchzusetzen.

Das ist auch Inhalt der neuen NATO-Strategie, die wir
abgelehnt haben. Die Bundesregierung hat viele und im-
mer wieder neue, andere Gründe für den Krieg angeführt.
Bündnistreue oder Bündnisverpflichtungen waren eine

Konstante. Richtiger wäre aber: Ohne die Zustimmung
der Bundesregierung hätten andere europäische Staaten
nicht mitgemacht. Selbst die Weltmacht USA hätte ohne
europäischen Partner keinen Krieg auf unserem Konti-
nent geführt.

Auf die Bundesregierung kam es an. Sie war das Züng-
lein an der Waage. Deswegen trägt sie auch eine beson-
dere Verantwortung für den Krieg, aus der sie keiner ent-
lassen wird.


(Beifall bei der PDS)

Auf die Frage der PDS nach den zivilen Opfern des

Krieges antwortete die Bundesregierung, dazu lägen ihr
keine Erkenntnisse vor.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: So ist es!)

Die NATO hat atomar abgereicherte Munition benutzt.
Jeder weiß, dass sie Städte, Märkte, Brücken, einen Fern-
sehsender, sogar Flüchtlinge bombardiert hat. Menschen
wurden zu Kollateralschäden. Menschen – Serben, Alba-
ner wie das Volk der Roma, dessen Exodus aus dem Ko-
sovo mit dem Krieg begonnen hat –, das waren die Opfer
des Krieges und über diese muss hier geredet werden.


(Beifall bei der PDS)

Wir halten fest: Die NATO hat das so genannte huma-

nitäre Kriegsrecht gebrochen, etwa die Haager Land-
kriegsordnung oder die Genfer Konvention. Einige
hier im Bundestag und in der Bundesregierung, Herr
Außenminister, haben versucht, die PDS als Komplizen
Milosevics abzustempeln, wider besseres Wissen. Es
war und ist bekannt: Die PDS hat den Nationalismus
Milosevics öffentlich kritisiert, die Menschenrechtsver-
letzungen, die Vertreibung, den Mangel an Demokratie.
Wir waren und sind Gegner des Nationalismus, ob er nun
serbisch, kroatisch, albanisch oder – das füge ich hinzu –
deutsch ist. Der wie immer begründete Nationalismus
findet unsere Gegnerschaft.


(Beifall bei der PDS)

Aber wenn wir schon in der Geschichte des Krieges

zurückgehen: War der serbische, albanische oder kroati-
sche Nationalismus nicht auch eine der Folgen der Zer-
schlagung Jugoslawiens und der Preis dafür? Daran war
Deutschland nicht unbeteiligt. Krieg ist der Nährboden
für Nationalismus. Ich fürchte, dieser Krieg gegen Jugo-
slawien trägt den Keim neuer Kriege in sich, wenn wir
nicht dagegen kämpfen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS – lassen Sie mich das abschließend sagen –

war und ist gegen den Krieg. Wenn wir in diesem Hause
schon über Stolz reden, dann sage ich dazu: Darauf bin ich
stolz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416204700
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Eberhard Brecht von
der SPD-Fraktion das Wort.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
15822


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1416204800
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist
durchaus legitim, wenn man nach zwei Jahren eine Bilanz
des Kosovo-Konflikts vorlegt und darüber debattiert,
was herausgekommen ist, zumal in der Öffentlichkeit die
Beteiligung Deutschlands an dieser Auseinandersetzung
damals hoch emotional diskutiert worden ist, da doch die
NATO zum ersten Mal mit Beteiligung der deutschen
Bundeswehr interveniert hat. Wenn wir ehrlich sind – ich
kenne viele Stellungnahmen aus diesem Haus –, ging der
Riss nicht nur durch die öffentliche Meinung, sondern
mitunter durch uns selbst.

Eine Bilanz, Herr Gehrcke, kann jedoch nur dann einen
Anspruch auf Redlichkeit erheben, wenn sie auch die Al-
ternative des Weiterverhandelns mit Milosevic bis zum
Tag X und des Nichthandelns der NATO einbezieht.


(Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD], des Abg. Dr. Christian Schwarz-Schilling [CDU/ CSU] und des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])


So muss man sich unvoreingenommen auch die Frage
stellen, ob denn Slobodan Milosevic, der immerhin der
Hauptverantwortliche für die Vertreibung von Millionen
von Menschen und für mehr als 100 000 Tote auf dem
Balkan war, ohne äußeren Druck mit der Vertreibung und
Ermordung von Kosovo-Albanern aufgehört hätte. Das
gehört zur Redlichkeit dazu.


(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber redlich kann auch nur eine Bilanz der NATO-Luft-
angriffe sein, wenn man sich seriöser Quellen bedient. Ich
empfehle Ihnen den ausführlichen OSZE-Bericht „Ko-
sovo/Kosova. As Seen, As Told“ und den Bericht der In-
dependent International Commission on Kosovo, die mit
einer Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen vor Ort
zusammengearbeitet hat. Herr Kollege Lippelt hat in der
letzten Debatte darauf hingewiesen, mit welch hochrangi-
gen Leuten diese Kommission besetzt ist. Ferner denke ich
an seriöse Berichterstatter des öffentlichen Fernsehens und
der Zeitungen wie Matthias Rüb, die seit Jahren fundierte
Berichte über den Balkan liefern und sehr viel zur Infor-
mation beigetragen haben. Im Gegensatz zu diesen gründ-
lichen Recherchen werden die Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes derzeit mit einer Desinformationskampa-
gne konfrontiert – ich will nicht sagen: von ihr überrollt –,
die nicht nur von einigen Enthüllungsjournalisten, sondern
auch von der PDS getragen wird.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Herr Gehrcke, Sie haben eben die Richtigkeit Ihrer
Thesen anhand der Antworten der Bundesregierung auf
Ihre Große Anfrage zu untermauern versucht. Ich werde
mich dagegen einmal mit Ihren Fragestellungen befassen,
die fast interessanter sind. Sie verraten nicht nur die
Ignoranz der PDS gegenüber den von mir erwähnten
Quellen – viele Ihrer Fragen wären ja schon beantwortet
gewesen, wenn Sie einmal in sie hineingeschaut hätten –,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sondern sie verraten auch eine erstaunliche ideologische
Befangenheit beim Herangehen an dieses Problem.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Da wird zum Beispiel mit Hinweis auf das von serbi-
scher Seite massiv verletzte Holbrooke-Milosevic-Ab-
kommen im Oktober 1998 und auf die Verhandlungen in
Rambouillet im Februar 1999 – Stichwort Annex B – der
Popanz aufgebaut, die Bundesrepublik sei zusammen mit
der NATO geradezu darauf versessen gewesen, in diesen
Krieg einzugreifen. Dagegen sprechen eindeutig die von
der Bundesregierung zum wiederholten Male vorge-
brachten Fakten, über den Ablauf der Verhandlungen in
Rambouillet.

Herr Gehrcke, wenn Sie der Bundesregierung nicht
trauen und ihr Unwahrheit unterstellen, dann fragen Sie
sich doch einmal, was eine rot-grüne Regierung bewegen
kann, einen solchen Schritt zu machen. Glauben Sie denn,
ein Finanzminister, dem die Bürger jeden Tag sagen, er
müsse den Haushalt konsolidieren, gibt freiwillig
765 Millionen DM für ein solches Engagement aus? Ich
will gar nicht davon reden, welcher Betrag für UNMIK,
den Stabilitätspakt, die Hilfsorganisationen und auch die
Flüchtlinge aufgewendet worden ist. Und was soll ein
Außenminister Fischer von den Grünen, der von einer
mehr pazifistischen Basis getragen wird, davon haben,
sich auf ein solches Abenteuer einzulassen?

Meine Damen und Herren von der PDS, ich werde ein-
fach den Verdacht nicht los, dass zumindest einige von Ih-
nen noch der alten leninschen Imperialismustheorie an-
hängen. Ich habe ja vor 30 Jahren auch noch lernen
müssen, dass die BRD die aggressivste Form des Impe-
rialismus Europas ist. Entschuldigen Sie, ich glaube, da
haben Sie noch etwas zu lernen.

Lassen Sie mich aus der Palette der PDS-Unterstellun-
gen noch eine weitere herausgreifen. Ihr Vorwurf, die in-
ternationale Gemeinschaft betreibe eine antiserbische
Politik, gipfelt in der in einer Ihrer Fragen enthaltenen Be-
hauptung, die NATO habe einen Krieg gegen das serbische
Volk geführt und dabei gezielt serbische Krankenhäuser,
Schulen und Altersheime als Angriffsziele ausgewählt.

Meine Damen und Herren, wenn dies so wäre, müsste
ich mich über Ihre Großzügigkeit wundern, zusammen
mit einigen hundert Kriegsverbrechern in diesem Parla-
ment weiterhin Politik zu machen.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen ist eine solch ungeheuerliche Behauptung für
mich neu. Ich habe dies bisher nur aus den Reihen des
Milosevic-Clans gehört. Auch bei den vielen Gesprächen
in Montenegro und auch in Serbien habe ich einen solchen
Vorwurf – bei aller Kritik an der NATO – noch nie gehört.

Betrachten Sie doch einmal die angesichts der massi-
ven Luftangriffe relativ niedrige Zahl ziviler Opfer, auch
wenn natürlich jedes Opfer schlimm genug ist. Es ging
der NATO um das Ende der hunderttausendfachen Ver-
treibung von Kosovo-Albanern, um ein Ende der ethnisch






(C)



(D)



(A)



(B)


motivierten Morde und um die Voraussetzungen für die
Durchsetzung der in der Charta von Paris niedergelegten
Werte wie Demokratie und Minderheitenschutz.

Noch mehr wird die These der PDS durch das Verhal-
ten der Europäischen Union nach der Demokratisierung
in Serbien, also nach dem Sturz von Milosevic, widerlegt.
Mit der raschen humanitären Hilfe für die serbische
Bevölkerung und auch mit der sofortigen Einbeziehung
Serbiens in den Stabilitätspakt haben wir uns – umgekehrt –
bei den Nachbarstaaten Jugoslawiens sogar den Vorwurf
eingehandelt, wir würden den einstmals verlorenen Sohn
Belgrad nun mit Zuwendungen überschütten. Ich glaube,
diese Aussage spricht für sich.

Meine Damen und Herren, Sie werden sich nicht wun-
dern, dass meine Bilanz unseres Balkan-Engagements et-
was anders aussieht als die von Herrn Gehrcke. Wir haben
als Europäer und als Deutsche eine bittere Lektion lernen
müssen: Wo Diktatoren vom Krieg mehr profitieren als
vom Frieden, sind als Ultima ratio Zwangsmaßnahmen
erforderlich, damit anschließend Frieden in einem zivilen
Aufbauprozess langsam wieder wachsen kann. Ich unter-
streiche das, was unser Kollege Schwarz-Schilling immer
wieder behauptet hat: Es hätte vermutlich weitaus weni-
ger Opfer und weitaus weniger Hass gegeben, wenn der
als Kriegsverbrecher angeklagte Slobodan Milosevic
schon früher hätte gestoppt werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416204900
Herr Kol-
lege Brecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Dr. Grehn?


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1416205000
Aber selbstverständlich.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1416205100
Herr Kollege Brecht, Sie ha-
ben in Ihren Ausführungen sehr deutlich darzustellen ver-
sucht, dass die Einschätzung der PDS, von der Sie anneh-
men, dass sie Hintergrund der Fragen sei, eine völlig
abgehobene Beurteilung allein seitens der PDS sei.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist es auch!)


Ich frage Sie: Haben Sie die WDR-Sendung hierzu ge-
sehen? Sind Sie der Meinung, dass das eine Sendung war,
die auf der Grundlage der PDS-Positionen stattgefunden
hat oder dass gar die PDS dies initiiert hat?


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Die nützlichen Idioten in der Presse!)


Wie bewerten Sie die Tatsache, dass es eine völlig unab-
hängige Einschätzung gibt, die sich von dem, was Sie bis-
her dargestellt haben, unterscheidet?


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1416205200
Lieber Herr Grehn, wir
haben über diese WDR-Sendung schon einmal an einem
Freitag hier im Bundestag diskutiert. Sie haben in der
Zwischenzeit vielleicht auch in der Presse gelesen, wie
diese Sendung zustande gekommen ist.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle klipp und klar: Wenn ich
WDR-Intendant wäre, würde ich mich von diesen beiden
Herren trennen, denn ihre Arbeit steht nicht in Überein-
stimmung mit dem Ethos eines Journalisten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Grehn, ich kann Ihnen die Belege bringen, wie zum
Beispiel Herr Loquai zu diesen Aussagen zu Racak ge-
kommen ist und wie die Befragung von Herrn Werth und
von Herrn Angerer bei Racak gewesen ist. Das alles ist
dokumentiert. Ich glaube, der WDR sollte die Kraft ha-
ben, sich von solchen Journalisten zu trennen.

Eine zweite Lektion: Die Überwindung des Hasses und
der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen im Kosovo
werden der internationalen Gemeinschaft mehr Zeit, mehr
Kraft und möglicherweise auch mehr Finanzen abverlan-
gen, als wir dies am Anfang angenommen haben. Die Al-
ternative wäre das Wiederaufflammen des Krieges, und
zwar nicht in einem so begrenzten Maß, wie es jetzt in Süd-
serbien und Mazedonien geschieht, sondern in einem größe-
ren Maße. Ich glaube, von diesen Folgen wäre auch
Deutschland unmittelbar und mittelbar betroffen. Daher gilt
an dieser Stelle mein Dank allen, die daran beteiligt sind,
diesen zivilen Aufbauprozess voranzutreiben; aber nicht nur
der Dank, sondern auch die Ermutigung zum Weitermachen
für die KFOR-Truppe, für die zivile Verwaltung der
UNMIK, für das Stabilitätspakt-Team um Bodo Hombach
und für die vielen vor Ort tätigen Hilfsorganisationen.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416205300
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Christian Schmidt für die Frak-
tion von CDU/CSU.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1416205400
Herr Präsi-
dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich kann auf ei-
niges, was Kollege Brecht gerade vorgetragen hat,
zurückgreifen und im Sinne der demokratischen Gemein-
samkeit nahtlos daran anschließen.

Es ist schon bizarr – da gebe ich Ihnen Recht –: Diese
Große Anfrage der PDS und die Fragen, worauf eine
Fleißarbeit des Auswärtigen Amtes folgte, belegen für
mich zweifelsfrei, wes Geistes Kind die Fragesteller sind.
Man braucht nicht zwischen den Zeilen zu lesen, um zu
erkennen, mit welcher Einseitigkeit die notwendige
NATO-Intervention im Frühjahr 1996 hinterfragt wird.

Wenn die PDS als Nachfolgepartei der SED mit ihrer
eigenen Vergangenheit ähnlich kritisch umginge und dazu
Fragenkataloge erstellen würde, wären wir bei der Aufar-
beitung unserer jüngsten Vergangenheit wesentlich wei-
ter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem vermisse ich – der Kollege Gehrcke ist vor-
sorglich schon darauf eingegangen, wahrscheinlich weil
er befürchtet hat, dass diese Frage gestellt wird, und sie
wird gestellt – in diesem Katalog die Frage, inwieweit der




Dr. Eberhard Brecht
15824


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesregierung Erkenntnisse darüber vorliegen, wie
sehr der Belgrad-Besuch des Kollegen Gysi dazu beige-
tragen hat, dass Milosevic das Gefühl haben konnte, es
gebe in Deutschland Sympathien für seine politische Po-
sition, und der Konflikt dadurch noch verlängert wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch die rot-grüne Bundesregierung war im Frühjahr

1999 im Vorfeld der Kosovo-Intervention hinsichtlich ih-
rer eigenen politischen Prinzipien und ihrer politischen
Vergangenheit in einer bizarren Situation, musste sie doch
den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr in deren Ge-
schichte unter Zuhilfenahme sehr überzogener Argu-
mente begründen. Bewaffnete Konflikte waren aber – das
wollen wir doch noch einmal festhalten – immer besten-
falls eine Tragik, schlimmstenfalls eine Katastrophe, aber
auf jeden Fall eine Kapitulation der Politik vor der blan-
ken Gewalt.

Letztlich ist auch im Kosovo-Konflikt die Politik an
ihre Grenzen gestoßen und es bedurfte des Einsatzes von
Gegengewalt, um Milosevic an seinem gewalttätigen
Werk der Zerstörung zu hindern. Ob nun die „ethnischen
Säuberungen“ ganzer Landstriche bereits den Tatbestand
des Völkermords erfüllt haben, darüber mögen sich die
Juristen streiten. Ich will es dahingestellt sein lassen. Tat-
sache bleibt, dass es angesichts der Gefahr für die Men-
schen dort, aber auch für unsere eigene europäische Si-
cherheit und Stabilität nicht zugelassen werden konnte,
dass dieser Mann zum vierten Mal ungestraft einen Krieg
im früheren Jugoslawien anzettelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Daher dürfen Ursache und Wirkung, Täter und Opfer
nicht verwechselt werden. Der Krieg begann nicht mit
dem Eingreifen der NATO, sondern mit der rücksichtslo-
sen Durchsetzung der Politik des Milosevic-Regimes seit
Beginn der 90er-Jahre.

Die militärische Intervention der NATO war die Ul-
tima Ratio aufgrund der strikt ablehnenden Haltung Ser-
biens in Rambouillet. Das war kein Zwang zum Ab-
schluss, sondern das war das letzte Angebot.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es noch
der alte Bundestag war, der nach der Wahl am 27. Sep-
tember 1998 im Oktober zusammengetreten ist, um den
Actord, das heißt die grundsätzliche Bereitschaft der
NATO, sofort zuzuschlagen, unterstrichen und genehmigt
hat. Wir alle haben damals zugestimmt. Die damals noch
nicht im Amt befindliche Bundesregierung war sicherlich
froh, dass sie keine eigene Mehrheit sammeln musste,
sondern dass die alte Mehrheit des 13. Bundestages bereit
war, diesen Schritt, der nicht ohne Probleme war und bei
dem viel bedacht werden musste, mitzugehen. Es bleibt
anzuerkennen, dass dann, als Monate später in Rambouil-
let der letzte Versuch gescheitert war, dieser Weg konse-
quent fortgeführt wurde. Wäre das nicht passiert, wäre das
eine Einladung für alle weiteren Aggressionen nicht nur
in Südosteuropa gewesen. Es ist nicht auszumalen, was
dann passiert wäre.

Um nicht missverstanden zu werden, sage ich: Wir
sperren uns nicht gegen eine Bilanz, sondern wir halten

eine solche für sinnvoll und notwendig. Sie wird im Laufe
der nächsten Jahre auf der Grundlage vieler Beiträge er-
stellt werden müssen. Letztendlich wird auch die Ge-
schichtsschreibung, werden die Journalisten und auch Po-
litiker und vor allem Betroffene immer wieder
reflektieren müssen, welche Lektion wir aus dem Ko-
sovo-Konflikt gelernt haben. Aber wir sind nicht bereit,
bei dem Versuch der PDS mitzumachen, diese Vorge-
hensweise im Sinne einer einseitigen Abrechnung und un-
ter Ausblendung der Umstände und Ursachen, die zur In-
tervention der NATO geführt haben, zu diffamieren.

Europa und die westliche Welt hatten sich gegen die
Denkschule entschieden, die es ja auch schon bei vorher-
gehenden Jugoslawienkonflikten gab, und die da heißt:
Lasst sie sich doch auskämpfen!


(Joseph Fischer, Bundesminister: Ausbluten!)

– Jawohl, ausbluten. – Diese Frage ist in offenen Gesell-
schaften, die demokratisch verfasst sind und auf be-
stimmten Grundwerten und Grundprinzipien beruhen,
nicht mit einer Handbewegung zu beantworten. Wir ste-
hen in Verantwortungen, die wir wahrnehmen müssen.
Das heißt auch, dass wir Diktatoren oder jenen, bei denen
die Gefahr besteht, dass sie ihr Land diktatorisch umge-
stalten, dann Einhalt gebieten müssen, wenn es für die
dort lebenden Menschen um die blanke Existenz geht.


(Beifall bei der PDS)

Davon allein darf man sich allerdings nicht leiten las-

sen. Dazu kommen müssen nicht nur eine objektive
Notwendigkeit, sondern hinsichtlich des hohen eigenen
Risikoeinsatzes auch die Angemessenheit und die Er-
folgsträchtigkeit der Maßnahmen. Etwas nur deshalb zu
tun, damit etwas getan wird, ist kontraproduktiv.

Gegenüber den Soldaten, die uns im Sinne dessen, dass
wir darüber entscheiden, ob sie in den Einsatz gehen oder
nicht, anvertraut sind, haben wir eine Fürsorgepflicht. Wir
müssen entscheiden, ob es tatsächlich notwendig ist, sie
Gefahren auszusetzen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] und der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In die Abwägung muss auch explizit die eigene Inte-
ressenlage einbezogen werden. Das darf nicht mit einer
egozentrischen Bewertung der Risikolage verwechselt
werden. Aber wir müssen auch bereit sein, zu sagen, dass
es im Kosovo nicht nur um humanitäre Fragen im enge-
ren Sinne ging, sondern auch um die Stabilität bei uns bis
hin zu der Festellung, dass massive Flüchtlingsbewegun-
gen, die immer Not und Elend mit sich bringen, verhin-
dert werden müssten, indem für die Leute die Möglichkeit
geschaffen wird, in ihrer Region zu bleiben.

An der Bereitschaft, diese Dinge zu artikulieren und zu
definieren, hat es der Bundesregierung – aus bekannten
Gründen – allerdings manchmal gefehlt. Man flüchtete
sich in die Überhöhung und hat sich deswegen auch vor-
halten zu lassen, dass die Klarheit der Information über
Hintergründe und Tatsachen zum Teil gelitten hat. Man-
ches von dem, was in dem inkorrekten Beitrag des WDR




Christian Schmidt (Fürth)


15825


(C)



(D)



(A)



(B)


zur Sprache gekommen ist, wäre vielleicht nicht so leicht
zur Sprache zu bringen gewesen, wenn nicht ab und an der
Eindruck entstanden wäre, dass man überzogen hat oder
versucht hat, Leute mit nicht ganz korrekten Informatio-
nen zu überzeugen. Diesen Vorwurf muss die Bundesre-
gierung aushalten. Es ist nur anzumahnen, dass sie das bei
bevorstehenden Konflikten nicht wieder in ähnlicher
Weise tut. Sie wird deswegen in diesen Fragen die Unter-
stützung des Hauses behalten, wenn sie einen entspre-
chenden Antrag stellt. Ich weise darauf hin, dass wir ja
bald über die Verlängerung des Kosovo-Mandats werden
diskutieren müssen. Aber ich erwarte, dass die Bundesre-
gierung ihr Verhalten hier ändert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch kurz auf die aktuelle Situation

eingehen. Wir müssen klären, ob wir die geeigneten In-
strumente zur Hand haben, den Frieden in dieser Region
nachhaltig abzusichern. Ich habe nicht den Eindruck, dass
Bodo Hombachs Stabilitätspakt ausreicht, dort Nach-
haltigkeit zu sichern. Ich will nicht sagen, dass das ein
falscher Ansatz war. Es war die Rückkehr zur Politik.
Aber dies genügt offensichtlich nicht. Denn gerade mit
Blick auf die Entwicklungen in Mazedonien müssen wir
über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
KFOR, über den Appell an die USA – ich hoffe, dass der
Bundeskanzler dies bei seinem gestrigen Besuch in den
USA getan hat –, dass Europäer und Amerikaner inner-
halb der NATO gemeinsam handeln, und über die Rück-
kehr der Flüchtlinge sowie die Gewährung eines sicheren
Umfeldes diskutieren. Wir müssen auch darüber spre-
chen, was noch politisch Not tut, damit wir in dieser Re-
gion nachhaltige Ansätze durchsetzen können, die jetzt
schon wieder in der Gefahr sind zu zerbrechen.

Ich glaube nicht daran – viele in diesem Hause tun dies
wohl auch nicht –, dass es mit den Scharmützeln um Te-
tovo herum sein Bewenden haben wird. Alle Kriege in
Jugoslawien haben mit solchen Scharmützeln angefangen.
Es ist zwar noch nicht nach zwölf; aber es ist dringend not-
wendig, dass wir versuchen, das, was wir in diesem Zu-
sammenhang tun können, gemeinsam umzusetzen.

Wir müssen darüber sprechen, ob beispielsweise das
Konzept der nur teilweisen Entwaffnung, also der fakti-
schen Nichtentwaffnung, der UCK nicht dazu geführt hat,
dass die mazedonisch-albanische Irredenta aus dem Ko-
sovo heraus unterstützt wird. Ich gestehe zu, dass es keine
Patentrezepte gibt. Aber wir müssen wohl darüber disku-
tieren, wie wir in Zukunft robuste – vielleicht sogar noch
robustere – Mandate schaffen. Ich meine nicht, dass wir
die Art und Weise, wie bereits jetzt bestehende Mandate
zustande gekommen sind, auf Mazedonien übertragen
sollten. Ich bin sehr skeptisch, ob der bisherige Weg, zu
sagen: „Wir lassen den Konflikt entstehen und schlichten
dann den Streit“, funktioniert.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit kurz von einem
Erlebnis berichten, das mich diese Woche sehr bewegt
hat: Hier vor diesem Haus, vor unserem Parlament, sprach
mich am Mittwoch nach der Ausschusssitzung ein alba-
nischsprachiger Journalist an – der eine oder andere kennt
ihn – und fragte nach der Position der CSU hinsichtlich
der Sprachenfrage an der Universität in Skopje. Er stellte

mir die Frage, ob wir nicht auch der Meinung seien, dass
die Albaner ein Recht darauf hätten, dass Albanisch dort
als Sprache zugelassen wird, und ob die Albaner nicht
auch das Recht hätten, als Staatsvolk in Mazedonien an-
gesehen zu werden. Dies sind an sich Fragen, deren Be-
antwortung aus unserer europäischen Vorstellung heraus
gar nicht problematisch ist. Ja, man müsste über diese
Fragen sprechen.

Ich habe dem Fragesteller sehr deutlich geantwortet,
dass Fragen des Zusammenlebens, das verbesserungsbe-
dürftig ist, die eine Sache sind, dass aber die gegenwär-
tige verrückte und unvorstellbare Meinung in verwirrten
Köpfen, man müsse diese Probleme mit Gewalt lösen, un-
verantwortlich ist. Ich habe ihn gebeten, zu berichten,
dass es in Deutschland ein helles Entsetzen darüber gibt,
dass Menschen in dieser Region nach vier Waffengängen
innerhalb von zehn Jahren immer noch meinen, mit der
Waffe in der Hand ihre Überzeugungen und Wünsche
durchsetzen zu müssen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


und dass sie bei diesem Vorgehen nicht mit der Unterstüt-
zung des Westens rechnen können. Ich habe ihm gesagt,
dass ich für meine Fraktion ganz klar sagen kann, dass wir
auf eine politische Lösung setzen.

Ich gehe davon aus, dass das auch für alle anderen in
diesem Hause gilt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Keiner der an diesem Konflikt Beteiligten sollte im Hinter-
kopf damit rechnen, dass dann, wenn es schlimme Ent-
wicklungen gibt, die NATO kommt und ihn wieder heraus-
holt. Nein, den Frieden müssen zuallererst die Menschen in
diesem Lande selber schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir können nur helfen und gute Dienste leisten. Das al-
lerdings müssen wir tun.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416205500
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Winfried Nachtwei.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416205600

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Seit
Wochen und Monaten erleben wir im Kosovo und in den
Anrainerregionen des Kosovo eine gefährlich zuneh-
mende Gewalt. Da stellt sich natürlich die Frage: Was soll
in einem solchen Moment eine Debatte über den Kosovo-
Krieg vor zwei Jahren? Die Antwort darauf ist einfach:




Christian Schmidt (Fürth)

15826


(C)



(D)



(A)



(B)


weil die Beschäftigung mit den Erfahrungen des Kosovo-
Krieges sehr hilfreich ist, um zu einer wirksameren Kri-
seneindämmung und Gewaltvorbeugung zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die erste Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik
Deutschland war eine historische Zäsur und – wir erin-
nern uns deutlich – heiß umstritten, auch hier im Haus,
aber vor allem in der Gesellschaft.

Was die Aufarbeitung des Kosovo-Krieges angeht,
so haben wir, wie ich meine, einen unübersehbaren Nach-
holbedarf; denn auf der einen Seite steht die Verdrängung
durch die Gesellschaft, aber auch durch die Politik, und
auf der anderen Seite eine rechthaberisch orientierte Aus-
einandersetzung. Was verhältnismäßig zu kurz kommt, ist
die schlichte, aber äußerst schwierige Suche nach der
Wahrheit. Vorhin sind – auch vom Kollegen Brecht – sehr
wichtige, unabhängige Kommissionsberichte von der
OSZE und von der Independent International Commis-
sion on Kosovo genannt worden, die bei dieser Wahr-
heitssuche sehr hilfreich sein können. Auch die heute zur
Diskussion stehende Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der PDS soll einen Beitrag zur Wahr-
heitsfindung leisten.

In der letzten Zeit sind zunehmend Publikationen er-
schienen, in denen bestritten wird, dass damals, Anfang
1999, eine humanitäre Katastrophe gedroht hat. In diesen
Publikationen wird behauptet, es habe einen schlimmen
Bürgerkrieg gegeben, der aber keine – vor allen Dingen
durch das Milosevic-Regime verursachte – humanitäre
Katastrophe hervorgerufen habe.


(Zuruf von der PDS: Richtig!)

Die Antwort der Bundesregierung macht zu Recht ei-

niges deutlich, nämlich dass Krieg und Vertreibung im
Kosovo nicht erst am 24. März 1999 begannen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)


sondern dass der Nährboden der Gewalt durch das serbi-
sche Apartheidregime gegen die Kosovo-Albaner seit An-
fang der 90er-Jahre gelegt wurde.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist es!)


Es gab also einen Vorlauf von ungefähr zehn Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN)

Nach diesen unabhängigen Untersuchungsberich-

ten begannen die offenen Kämpfe und gezielten Vertrei-
bungen ungefähr im März 1998 mit sehr vielen Vertriebe-
nen und mit auf ungefähr 1 000 geschätzten getöteten
Zivilisten auf kosovo-albanischer Seite. Es gab ungefähr
400 000 bis 500 000 Flüchtlinge und Vertriebene. Eine
Wiederverschärfung der Kämpfe und Vertreibungen gab
es seit Anfang 1999. Auch dies ist vom UNHCR und an-
deren eindeutig belegt.

Schließlich gab es die Erinnerung der Staatengemein-
schaft, geteilt von der Mehrheit dieses Hauses, an den

Bosnienkrieg, wo die Staatengemeinschaft zu spät ge-
kommen war und – daran denken viele heute nicht –
200 000 Menschen umgebracht worden sind.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Das steckte uns allen in den Knochen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allerdings wird auch immer deutlicher, dass das Kon-
fliktmuster der Kämpfe und bewaffneten Auseinander-
setzungen im Kosovo komplexer war, als es damals teil-
weise in der Öffentlichkeit verbreitet wurde oder als es
heutzutage von manchen Kritikern des NATO-Krieges
behauptet wird. Die Bundesregierung deutet in ihrer Ant-
wort dieses komplexere Konfliktmuster an, indem darin
von dem bekannten Schema des unverhältnismäßigen
Vorgehens serbischer Sicherheitskräfte als Reaktion auf
UCK-Aktivitäten die Rede ist.

In dem vorhin schon genannten WDR-Film wird das
Beispiel des Ortes Rogovo gebracht, wo am 29. Ja-
nuar 1999 24 tote Kosovo-Albaner gefunden wurden. In
dem WDR-Film wird behauptet, das seien schlimme, aber
normale Bürgerkriegsauseinandersetzungen gewesen. Ich
habe noch gestern mit einem deutschen Polizeibeamten
gesprochen, der dort bis zum Erstellen des Abschlussbe-
richtes ermittelt hat, der nach Den Haag gegangen ist. Er
hat gesagt: Als sie dort hinkamen, hätten sie einen toten
serbischen Polizisten, sechs UCK-Kämpfer und darüber
hinaus viele eindeutig willkürlich exekutierte Zivilperso-
nen gefunden. – Der Fall Rogovo ist beispielhaft für das
übliche Konfliktmuster. Von der Independent Internatio-
nal Commission on Kosovo wird das zusammengefasst
mit der Beschreibung: ein Gemenge von bewaffnetem
Aufstand, staatlicher Aufstandsbekämpfung und Krieg,
der so genannten ethnischen Säuberung, gegen die Zivil-
bevölkerung.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist eben Bürgerkrieg! – Gegenruf des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Herr Gehrcke, was soll diese Verniedlichung?)


– Wenn man genauer hinhört, weiß man, was ich eben ge-
sagt habe.

Die bemerkenswerte BBC-Dokumentation „Bomben
und Moral“ konstatiert, das sei eine bewusste Eskalations-
strategie der UCK gewesen, die terroristische Antiterror-
einsätze der serbischen Kräfte bewusst einkalkuliert habe.
Hier stellt sich in der Tat die Frage, ob die Staaten-
gemeinschaft das damals gebührend berücksichtigt hat.

Zu den Kriegsopfern und den Kriegsschäden! Die
Wahrnehmung der Kriegsopfer und Kriegsschäden fällt
offenkundig schwer, und zwar einmal wegen objektiver
Ermittlungsprobleme, aber auch wegen gegenläufiger
Interessen, die die Wahrnehmung erschweren. Für eine
Demokratie sollte eine offene Erfassung der Kriegsopfer
aller Seiten selbstverständlich sein. Gestützt auf die Un-
tersuchung verschiedener internationaler Organisationen
macht die Bundesregierung konkrete Angaben zu den




Winfried Nachtwei

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Flüchtlingszahlen und zu den Gesamtopferzahlen auf ko-
sovo-albanischer Seite. Zwischen März und Juni 1999
sind schätzungsweise 10 000 Menschen im Kosovo von
den serbischen Kräften umgebracht worden. Diese Zahl ist
ein Abgleich der Informationen verschiedenster Menschen-
rechtsorganisationen. Wenn wir die geringe Bevölkerungs-
zahl des Kosovo mit jener der Bundesrepublik vergleichen,
dann wird deutlich, wie gigantisch die Opferzahlen waren.

Allerdings muss ich auch sagen, dass die Angaben der
Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Opfern
und Schäden der NATO-Luftangriffe dürftig sind. Sie
könnten durchaus ausführlicher sein, wenn man sich ein-
fach auf die Angaben der Independent International Com-
mission on Kosovo stützen würde; diese hat dazu einige
Ausführungen gemacht, zum Beispiel auch zu den Zer-
störungen von Brücken und Industriebetrieben.

Zu den Kriegsergebnissen: Erklärtes Ziel der NATO-
Luftangriffe war die Verhinderung einer humanitären
Katastrophe, also einer Neuauflage der Kämpfe und Ver-
treibungen des Jahres 1998 auf schlimmerem Niveau;
denn damit – das hatten wir gleichzeitig im Kopf – drohte
ein Flächenbrand in der ganzen Region und deren umfas-
sende Destabilisierung. Dieser umfassende regionale
Flächenbrand wurde eindeutig verhindert. Das Problem
daran ist allerdings, dass das eine unsichtbare Wirkung
war. Das erste Ziel, die Verhinderung der humanitären Ka-
tastrophe, wurde offenkundig verfehlt. Ich glaube, vor
dieser ernüchternden Feststellung sollten wir uns nicht
drücken.

Zuletzt zu den Schlussfolgerungen: Die Antwort der
Bundesregierung ist ein Beitrag zur Aufarbeitung des Ko-
sovo-Krieges. Diese Aufarbeitung ist damit selbstver-
ständlich keineswegs abgeschlossen. Schon angesichts
der Begrenztheit der Fragestellungen und ihrer großen
Voreingenommenheit bleiben viele Fragen offen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre enorm interessant, der Frage nachzugehen, wel-
che Friedenschancen bestanden. Man sollte also noch
einmal genauer untersuchen, ob mit der OSZE-Mission
vom Oktober 1998 bis zum März 1999 alle Möglichkei-
ten ausgereizt worden sind.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Die sind doch abgezogen worden, weil die Sicherheitslage nicht mehr da war!)


– Gut, das sind aber Fragen, die man noch einmal genauer
bearbeiten sollte.

Man hat auf jeden Fall Konsequenzen daraus gezogen,
nämlich durch den Aufbau schnell verfügbarer ziviler
Kräfte gerade für solche Missionen. Bisher gibt es in der
Bundesrepublik im Unterschied zu etlichen anderen
NATO-Staaten keine umfassende – ich betone: umfas-
sende – Überprüfung und Bilanzierung des Kosovo-Krie-
ges und der deutschen Beteiligung daran. Notwendig ist
meiner Meinung nach ein gesamtgesellschaftlicher Auf-
arbeitungsprozess, zu dem Bundestag, Bundesregierung
und relevante gesellschaftliche Kräfte, zum Beispiel Me-
dien und Kirchen, beitragen sollten.

Gehört werden sollten vor allem auch die vielen Frauen
und Männer, die im Rahmen von Beobachtungs- und Frie-
densmissionen im Kosovo waren und bisher – so habe ich
erfahren – kaum gefragt wurden.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Ein solcher gesamtgesellschaftlicher Aufarbeitungs-

prozess ist notwendige Voraussetzung, um angemessene
sicherheits- und friedenspolitische Konsequenzen aus
dem Kosovo-Krieg ziehen zu können, der für uns alle si-
cherlich kein Modell, sondern abschreckendes Beispiel
ist.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416205700
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1416205800
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Die Bilanz eines Krie-
ges zu ziehen ist für den Bundestag eine ungewohnte Auf-
gabe. Schließlich hat sich die deutsche Bundeswehr
erstmalig seit ihrem Bestehen an einem Friedenseinsatz
unter Kriegsbedingungen beteiligt.

Ich möchte das Ergebnis der Überlegungen an die
Spitze stellen: Selten hat es in der Geschichte ein mi-
litärisches Eingreifen gegeben, bei dem die insgesamt
positive Bewertung deutlicher auf der Hand liegt als im
Kosovo-Konflikt. Ich will folgende Punkte herausstellen:

Erstens. Seit dem Eingreifen der NATO im Kosovo
müssen die Millionen von Menschen in der Region, die
nicht Serben sind, nicht mehr in Angst vor serbischer Ag-
gression leben. Das ist das wichtigste Ergebnis. Bosnier,
Albaner, Ungarn, aber auch Kroaten, Slowenen und Bul-
garen leben als friedliche Nachbarn zu einem friedlichen
Serbien. Großserbische Bestrebungen und damit einher-
gehende Bedrohungen der nationalen Identität der Nach-
barn, aber auch des Lebens der Menschen in diesen Län-
dern sind Vergangenheit.

Zweitens. Eine Million Kosovo-Albaner, die von Ser-
ben vertrieben oder vergewaltigt wurden, die im Winter
im Wald vor marodierenden Banden paramilitärischer
serbischer Verbände Schutz suchen mussten, können ru-
hig in ihrem Land leben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie waren die am meisten betroffenen Opfer serbischer
Aggression seit 1988, als dieser unselige Milosevic, ge-
tragen von der zwanghaften Vorstellung, Kosovo-Albaner
seien Menschen minderen Rechts, die auf eigentlich
urserbischem Territorium – so sah er damals die Dinge –
nichts zu suchen hätten, mit der Unterdrückung begann.

Drittens. Es ist gelungen, diesen geschundenen Men-
schen, deren Häuser gebrandschatzt und deren Felder ver-
mint wurden, ihre Heimat wiederzugeben. Sie haben erst-
malig eine Chance, ein freies Land mit Zukunft




Winfried Nachtwei
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aufzubauen. Dies ist die direkte Folge des NATO-Ein-
greifens in Jugoslawien.


(Beifall bei der F.D.P.)

Viertens. Dass in Serbien und im Kosovo jetzt demo-

kratische Strukturen entweder schon bestehen oder im
Entstehen begriffen sind, ist eine weitere direkte Folge
des NATO-Militärschlags. Es glaube doch keiner, dass es
der Diktator Milosevic, der die Presse und die elektroni-
schen Medien seines Landes beherrschte, zugelassen
hätte, dass die Bürger seines Landes objektiv informiert
und aufgrund dieser Informationen zu einer anderen poli-
tischen Haltung gekommen wären. Er säße nach wie vor
im Sattel und würde nicht nur sein Land, sondern auch die
Nachbarländer terrorisieren. Dieser Spuk ist nun vorbei.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Fünftens. Der gesamte Balkan hat seit dem Kosovo-

Krieg eine völlig neue Perspektive. Das Heranrücken an
die Europäische Union gibt den jungen Menschen im
Balkan Zuversicht und eine Perspektive für das Verblei-
ben im Lande. Anstelle der totalen Depression und Zu-
kunftslosigkeit ist Hoffnung auf den Anschluss an die
Standards der westlichen Welt getreten. Dies betrifft alle
Länder des Balkans und stellt eine Wende zum Besseren
von größter Tragweite dar.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sechstens. Der Balkan ist seit Jahrhunderten ein Kon-

fliktherd erster Ordnung. Seit eineinhalb Jahren besteht
die Aussicht, dass eine gerechte Friedensordnung an die
Stelle des Rechts des jeweils Stärkeren tritt.

Siebtens. Wir alle wissen, dass Millionen Kosovo-Al-
baner – auch das sollten wir im Kopf haben –, die ihr Land
wegen der serbischen Aggression verlassen mussten,
nicht etwa in Mazedonien oder in Albanien geblieben
wären. Sie wären als Flüchtlinge nicht zuletzt in unser
Land gekommen und hätten die Integrationsfähigkeit und
Integrationsbereitschaft in Deutschland schlichtweg über-
fordert. Was das für das friedliche Zusammenleben der
Menschen in unserem Land bedeutet hätte, mag sich jeder
selbst ausdenken. Um es etwas konkreter zu sagen: Es
glaube keiner, es wäre gelungen, die Republikaner aus
dem Landtag von Baden-Württemberg herauszuhalten,
wenn wir zusätzlich eine halbe Million Kosovo-Albaner
im Lande gehabt hätten.


(Beifall bei der F.D.P. – Angela Marquardt [PDS]: Das ist ja widerlich!)


Achtens. Auch international hat das Eingreifen der
NATO langfristige Wirkungen. Der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen ist handlungsfähiger geworden. Ich
glaube, die Annahme, dass die Grundsätze der Charta der
UN wieder stärker als die nationalen Interessen zweier
ständiger Mitglieder im Mittelpunkt stehen, dürfte zutref-
fen. Haben vor dem NATO-Angriff noch Russland und
China in völliger Verkennung ihrer Verantwortung als
Mitglieder des Sicherheitsrates letztlich Milosevic unter-
stützt, so wissen sie spätestens seit dem Eingreifen der
NATO, dass sie durch ihr Veto nicht mehr Nothilfe zu-
gunsten geschundener und unterdrückter Völker verhin-
dern können. Die NATO hat sich als einzige funktionie-

rende Ordnungsmacht erwiesen, die bereit und in der
Lage ist, Völkermord entgegenzutreten. Russland und
China wissen nun, dass sie sich durch ein Veto gegen hu-
manitäre Hilfe nur blamieren, ohne den Gang der Ge-
schichte aufhalten zu können.

Dieser außerordentlich positiven Bilanz steht natürlich
gegenüber, was wir auf der Minusseite verbuchen müs-
sen: So sind bei den NATO-Angriffen und bei Aktionen
der serbischen Streitkräfte circa 500 Menschen ums Le-
ben gekommen. Natürlich bedauern wir das sehr, wissen
aber, dass für diese Verluste an Menschenleben Milosevic
verantwortlich ist. Bedenken wir bitte auch, wie viele
weitere unschuldige Menschen dem Terror der verblende-
ten Serben zum Opfer gefallen wären, wenn wir nicht ge-
handelt hätten.

Es wurden Einrichtungen in Serbien und im Kosovo
zerstört, die nur mit viel Geld und viel Energie wieder auf-
gebaut werden können. Die Bevölkerung von Serbien hat
einen großen Preis für die schreckliche Politik ihres frühe-
ren Diktators zahlen müssen. Der Westen, insbesondere
die Europäische Union und unser eigenes Land, steht hin-
ter der neuen demokratischen Regierung. Wir werden al-
les tun, um den Wiederaufbau – nicht nur bis zum frühe-
ren Standard, sondern in Richtung des Niveaus von ganz
Westeuropa – zu unterstützen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen aber einräumen, dass trotz aller Bemühun-
gen der KFOR-Streitkräfte, insbesondere auch der deut-
schen Soldaten, Serben und andere Minderheiten im Ko-
sovo in Angst vor Kosovo-Albanern leben. Wir müssen
auch feststellen, dass viele Serben aus dem Kosovo ge-
flohen sind und fliehen mussten, weil sie Angst um Leib
und Leben hatten. Sie zahlen den größten Preis für die
Verbrechen, die Milosevic zu verantworten hat.

Meine insgesamt positive Bilanz des Kosovo-Krieges
markiert aber nicht das Ende der Akte Kosovo. Es
herrscht nicht etwa Frieden, sondern nur Abwesenheit von
Krieg. Ich selbst habe mehrfach – im Verteidigungsaus-
schuss und darüber hinaus – gefordert, mit der konkreten
Friedensarbeit zu beginnen. Es darf nicht sein, dass in den
Medien vor Ort weiterhin gegen die andere Bevölke-
rungsgruppe gehetzt wird und dass das Ziel eines multi-
ethnischen Kosovo in Zeitungen durch die Förderung von
Vorurteilen und von Hass konterkariert wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Frieden muss in den Köpfen und in den Seelen der

Menschen wachsen. Deshalb ist es vordringlich, dass in
den Kindergärten und Schulen die Fähigkeit zum Frieden
erlernt und geübt wird. Hier ist UNMIK gefordert.
Deutschland muss diese Entwicklung sehr aufmerksam
beobachten. Es darf nicht sein, dass mehrere tausend deut-
sche Soldaten unter schwierigen Bedingungen, auch in
den kommenden Jahren, im Kosovo Dienst tun, um Frie-
den möglich zu machen, während vor Ort die Entwick-
lung zum Frieden durch friedensunfähige Nationalisten
gefährdet wird. Wir wollen, dass der Kosovo und die an-
grenzenden Regionen nicht nur geographisch ein Teil Eu-
ropas sind, sondern dass die Menschen im Balkan ein Teil




Hildebrecht Braun (Augsburg)


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unseres Europas werden, das für Menschenrechte, Frie-
den und Wohlstand für alle steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416205900
Ich gebe
dem Kollegen Gernot Erler für die Fraktion der SPD das
Wort.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1416206000
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Zwei Jahre nach dem Krieg fällt eine
politische Bilanz ambivalent aus. Es gibt positive Ent-
wicklungen: Jede Bilanz muss mit einem Hinweis auf die
Rückkehr von mehr als 900 000 Flüchtlingen beginnen.
Die gewaltsame Vertreibung war Auslöser der militäri-
schen Intervention. Die angestrebte Rückkehrmöglichkeit
ist erzwungen worden und die meisten Flüchtlinge haben
von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Auch die Bedingungen für Frieden und Stabilität in der
Region sind verbessert worden. Ich verweise auf die poli-
tische Entwicklung in Kroatien und den politischen
Wechsel in Jugoslawien, der ganz wichtig war. Ich erin-
nere daran, dass es hier immer einen breiten Konsens da-
rüber gab, dass die Beendigung des Regimes Milosevic
eine Voraussetzung – wenn auch kein Automatismus – für
Stabilität und Frieden in der Region des Balkans ist.

Zu der positiven Kriegsbilanz gehört nach unserer Auf-
fassung auch der Stabilitätspakt. Er hat dafür gesorgt,
dass die meisten Länder der Region die Vorteile von Ko-
operation materiell schätzen gelernt haben. Die Tendenz
zur Kooperation scheint sich inzwischen zu verselbst-
ständigen. Kürzlich hat der Sonderkoordinator der EU für
den Balkan, Bodo Hombach, den Fachausschüssen des
Deutschen Bundestages berichten können, dass die grenz-
überschreitende Zusammenarbeit inzwischen zum Regel-
fall geworden ist. Das ist ein sehr wichtiger Effekt des Sta-
bilitätspaktes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])


Wir dürfen allerdings die Augen nicht davor ver-
schließen, dass wir noch weit von einer nachhaltigen
Friedensordnung für die ganze Region entfernt sind.
Hauptgrund dafür ist, dass eine weit verbreitete Krankheit
noch nicht besiegt ist. Diese Krankheit besteht darin, dass
noch immer auf eine gewaltsame Lösung der ethnischen
Probleme gesetzt wird. Milosevic hat das im Kosovo-
Krieg getan, von 1991 bis 1998 mit struktureller Gewalt
und mit dem Ziel der Vertreibung, danach mit der An-
wendung von physischer, brutaler und blutiger Gewalt.
Das konnte nur durch eine militärische Intervention been-
det werden.

Herr Kollege Gehrcke, auch wenn Sie hier fünfmal die-
selbe Rede halten: Sie werden nur dann einen Schritt wei-
terkommen, wenn Sie die Frage beantworten, welche
denkbare Alternative es zu dieser Form der Beendigung

der Vertreibung gegeben hätte. Diese Antwort haben Sie
nie gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])


Allerdings muss man auch feststellen: Jede militärische
Intervention lässt sich auf ein Versagen der Prävention
zurückführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat zu Konsequenzen in der Arbeit der Bundesregie-
rung und in der Prioritätensetzung der Koalitionsfraktio-
nen geführt. Das kann man hier allerdings nicht aus-
führen.

Zur Kriegsbilanz gehört auch die logische Erkenntnis:
Wenn die gewaltsame Lösung von ethnischen Problemen
zu dieser militärischen Intervention geführt hat, nämlich
zum Kosovo-Krieg, dann können gewaltsame Lösungen
von ethnischen Problemen auch nicht Grundlage einer
Friedensordnung für diese Region sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir beobachten Besorgnis erregende Fehleinschätzungen
eines Teils der Albaner im Kosovo und neuerdings auch
in Mazedonien. Auf diese müssen wir eine klare Antwort
geben. Wenn eine Minderheit militanter Albaner im Ko-
sovo weiter Jagd auf Vertreter anderer Minderheiten
macht und andere militante Albaner im Presevo-Tal und
anderswo versuchen, Grenzen gewaltsam zu verändern,
während uns gleichzeitig moderate albanische Führer sa-
gen: „Ihr könnt das ganze Problem nur dann lösen, wenn
ihr ganz schnell die Selbstständigkeit des Kosovo ermög-
licht“, dann können wir nur antworten: Diese faktische
Doppelstrategie dient nicht den albanischen Interessen
und wird nicht zum Ziel führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt keinen anderen Weg als die Beendigung der
Gewalt, die Normalisierung des Zusammenlebens ver-
schiedener ethnischer Bevölkerungsteile, die Respektie-
rung der Grenzen und den Aufbau einer demokratischen
Zivilgesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese alternativlosen Prinzipien gelten nicht nur im Koso-
vo, sondern auch für Mazedonien. In Mazedonien leben
nach der letzten Volkszählung von 1994 450 000Albaner.
Wahrscheinlich sind es heute mehr. Das bedeutet, dass Ma-
zedonien nur dann eine Zukunft hat, wenn Slawo-Mazedo-
nier und Albaner nach den eben genannten Prinzipien zu-
sammenleben und wenn sie gemeinsam Transformation
und Aufbau im Rahmen einer fairen Aufgabenteilung
gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Hildebrecht Braun (Augsburg)

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Leider fehlen dafür im Augenblick noch viele Vorausset-
zungen. Es geht nicht an, dass in der Verfassung von Ma-
zedonien steht, dass Mazedonien ein Nationalstaat des
mazedonischen Volkes sei, ohne dass auch nur mit einem
Wort auf die Albaner hingewiesen wird, die einen großen
Anteil an der mazedonischen Bevölkerung ausmachen. Es
geht nicht an, dass der Anteil der Albaner in Verwaltung,
Regierung, Wirtschaft und im Bildungswesen weiterhin
so gering wie bisher bleibt. Das gilt auch für die Lokal-
verwaltung. Deswegen mahnen wir entsprechende politi-
sche Veränderungen natürlich an. Gleichzeitig müssen
wir aber denen oberhalb von Tetovo, die glauben, mit Ge-
walt solche Veränderungen herbeiführen zu können, ganz
klar sagen, dass so nur Gegengewalt und nichts anderes
erreicht wird und dass das nicht zu den notwendigen Ver-
änderungen in Mazedonien führen wird. Im Gegenteil:
Gerade jetzt, unter dem Druck von Gewalt, können solche
Veränderungen nicht stattfinden.

Bei aller Mahnung an die Verhältnismäßigkeit der
Gegengewalt muss deswegen von dieser Debatte eindeu-
tig das Signal ausgehen: Die wichtigste Voraussetzung
dafür, dass die Bilanz insgesamt besser wird, ist eine Be-
endigung dieser weiteren Versuche, die tatsächlich vor-
handenen ethnischen Probleme gewaltsam lösen zu wol-
len. Das ist aussichtslos.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416206100
Nun hat der
Kollege Dr. Christian Schwarz-Schilling für die Fraktion
von CDU und CSU das Wort.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1416206200
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In
der Beantwortung der Großen Anfrage ist zu Recht darauf
hingewiesen worden, dass der Krieg in Kosovo der vierte
Krieg im ehemaligen Jugoslawien in weniger als einem
Jahrzehnt gewesen ist. Wir haben Anfang der 90er-Jahre
überall den Zusammenbruch des Kommunismus und die
Befreiung der unterjochten Völker, auch in Osteuropa, er-
lebt. Die Tragik des ehemaligen Jugoslawien beruhte da-
rauf, dass dort die Uhren zurückgestellt worden sind. Dort
gab es einen Kommunisten, der seine Ideologie ganz flugs
von der kommunistischen Doktrin hin zur Doktrin des
Nationalismus und des ethnischen Absolutismus verän-
derte. Jeder weiß noch, was er sagte: „Wo ein Serbe lebt,
dort ist Serbien.“ Das ist die absolute Verkehrung dessen,
was Zusammenleben verschiedener Rassen und Völker
zum Ziel hat.

Der Bürgerkrieg, der dann über ein ganzes Jahrzehnt
gegen die eigene Bevölkerung geführt wurde, war inso-
fern eine logische Konsequenz dieser verhängnisvollen,
verbrecherischen Ideen. Daher ist die Situation, dass eine
an sich vernünftige Diskussion durch eine Große Anfrage
veranlasst worden ist, in der sich der Antragsteller
bemüht, die NATO als Täter in diesem Krieg und diejeni-
gen, die die NATO zu bekämpfen hatte, als Opfer hinzu-
stellen, nun wirklich absurd. Dass Antworten auf die um-

fangreichen Fragen gefunden werden müssen, die Sie,
meine Damen und Herren von der PDS, gestellt haben
– wie viele Menschen sind hier und dort als Tote oder Ge-
schädigte zu verzeichnen? –, ist ganz klar; auch wir wol-
len das alles gerne wissen. Aber der Duktus Ihrer Anfrage
war, die Rollen von Tätern und Opfern zu verdrehen; das
ist doch die wirkliche Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Widerspruch bei der PDS)


Man bekam bei Ihrer Anfrage das Gefühl, als ginge es
um die Frage, wie viele Opfer es sein müssen, damit wir
legaliter einen Eingriff unternehmen dürfen.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Genau!)


Sie müssen sich einmal die Frage stellen, wo Ihre
Stimme – die der PDS und die von Herrn Gysi – eigent-
lich war, als zum Beispiel die Bevölkerung in Bosnien-
Herzegowina niedergemetzelt worden ist.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: In Belgrad!)

Damals gab es keinen Eingriff und keine Intervention.
Stattdessen haben wir zugeschaut – leider Gottes zu
lange! –, wie dort systematisch eine Bevölkerung, auch
Frauen und Kinder, in einem Ausmaß, wie man es damals
kaum für möglich gehalten hatte, niedergemacht wurde.
Während des Bosnien-Krieges sind – die Zahlen können
Sie sich alle aus dem Internet besorgen – allein in 61 Ge-
meinden 150 000 Menschen getötet worden; darunter wa-
ren 17 000 Kinder, allein in Sarajevo mehr als 1 000. Es
gab 175 000 Schwerverletzte in den Krankenhäusern; die
Ungezählten außerhalb der Behandlungszentren sind da-
bei noch gar nicht eingeschlossen. Die Gesamtzahl der
durch diesen Krieg Schwerversehrten und Behinderten
liegt bei 70 000. 50 000 Kinder wurden physisch verletzt,
von den psychischen Folgen ganz zu schweigen. 1,2 Mil-
lionen Menschen wurden zu Flüchtlingen außerhalb des
Landes und 1,3 Millionen Menschen wurden innerhalb
von Bosnien-Herzegowina von Hof und Heim vertrieben.
800 Moscheen wurden zerstört. – Sie wollten Zahlen
hören. Das sind Zahlen.

Wo war Ihre Stimme? Was haben Sie damals unter-
nommen? Sie wissen, dass das Bewusstsein dafür, dass so
etwas in Europa passieren kann und wir deshalb eingrei-
fen müssen, zu Beginn noch nicht ausgeprägt genug war.
Der Fehler war, den Geschehnissen nicht von Anfang an
entgegengetreten zu sein; der Fehler war nicht, dort über-
haupt eingegriffen zu haben.

Zu den von mir vorgetragenen Zahlen kam es, ohne
dass eine einzige NATO-Bombe gefallen war. Haben Sie
sich das einmal überlegt? In Ihren Reden zeigen Sie mit
dem Finger auf die NATO und sagen nichts zu dem, was
nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ unendlich
schwerwiegender als das ist, was Sie hier anzuprangern
versuchen. Ich kann nur sagen: Wer ernst genommen wer-
den will, wer glaubwürdig sein will, der hätte seine
Stimme wirklich erheben müssen, als die Menschen in
Srebrenica und in Bihac um Hilfe riefen. Um zu erfah-
ren, was dort geschieht, habe ich mich bemüht, mit den
Menschen vor Ort über Satellitentelefon zu sprechen. An




Gernot Erler

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(A)



(B)


diesem Punkt hat Europa versagt. In diese Wunde könn-
ten Sie Ihren Finger legen. Aber in dieser Zeit habe ich
von der PDS nichts gehört; Sie haben geschwiegen.

Sie gehen einen anderen Weg. Sie orientierten sich ins-
gesamt nicht an der Wahrheit. Sie wollen nicht zur Kennt-
nis nehmen, dass dieser Mann, Milosevic, dabei war
– dies war nicht nur eine Idee –, in brutalster Art und
Weise Völkermord zu betreiben. Die Erfahrung des
20. Jahrhunderts war doch, dass Verbrecher dieser Art,
wenn sie denn Diktatoren geworden sind, das tun, was sie
ankündigen. Die Demokratien haben das nie für möglich
gehalten. Das war schon bei Chamberlain und Daladier in
München der Fall. Genauso war es bei Hitler während sei-
nes gesamten Werdegangs, bei Stalin und bei Mao Tse-
tung. Niemand glaubte, dass sie tatsächlich tun, was sie
ankündigen: die Ausrottung ihrer Feinde.

Als Milosevic in Bosnien-Herzegowina mit dem Völ-
kermord begann, da haben Sie geschwiegen. Es war ge-
radezu rührend, wie Sie der NATO den Vorwurf des Völ-
kerrechtsbruchs und weitere schlimmste Vorwürfe
gemacht haben und – nebenbei – mitteilten, dass Sie auch
Herrn Milosevic zu kritisieren haben. Es ist ja furchtbar
nett, dass auch Sie sich zu seinen Kritikern zählen. Wahr-
scheinlich ist er ein Freund von Ihnen! Man muss einmal
das, was Sie der NATO vorwerfen, mit dem vergleichen,
was Sie Herrn Milosevic vorwerfen. Dass Sie ihn kriti-
sieren, besagt gar nichts. Wir kritisieren uns auch im
Bundestag. Wenn man sich betrachtet, von welcher
Ebene aus Sie über Herrn Milosevic sprechen, dann weiß
man – das ist eine interessante Sache –, wes Geistes Kind
Sie sind.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Der war doch Sozialist!)


Ihre so genannte Kriegsbilanz ist in vergangenheitsori-
entierter Blindheit und, so möchte ich sagen, systemkon-
former Naivität kaum zu schlagen. Am Ende der Einlei-
tung Ihrer Kriegsbilanz werfen Sie der westlichen Welt
vor, das Kosovo-Problem trotz des brutalen und rechts-
widrigen Einsatzes immer noch nicht gelöst zu haben. Sie
machen sich die Auffassung zu Eigen, dass die NATO
bzw. KFOR und UCK dabei behilflich waren, ein System
des Terrors zu etablieren. Sie wagen es sogar, für Ihre Be-
weisführung im Hinblick auf die Geschehnisse im Ko-
sovo den Genozid an den Juden mit heranzuziehen.

Wahrscheinlich werden Sie auch noch die jüngsten Ge-
schehnisse in Mazedonien so uminterpetieren, dass Sie
zu der Auffassung gelangen: Hätte man damals die Oppo-
sition in Serbien nicht derart unterstützt, dann wäre man
nicht so frech geworden, in Mazedonien einzugreifen,
und man hätte sich mehr auf die bisherige Auseinander-
setzung konzentrieren müssen. Man kann, was den Zu-
sammenhang von Ursache und Wirkung angeht, immer
manipulieren; das haben Sie hier vorgeführt.

Sie haben eines nicht begriffen und Sie wollen es auch
nicht begreifen: Die Flucht und Ermordung der Kosova-
ren, die Vertreibung der Juden, Aschkali und Roma sind
die Folgen von Totalitarismus und Hass der Menschen,
die manipuliert und instrumentalisiert worden sind, und
nicht die Folgen der Bomben der NATO gewesen. Es

wurde eben schon darauf hingewiesen: Diese Gräueltaten
wurden vor dem Eingreifen der NATO begonnen.

Während es die Friedensgespräche mit Karadzic in
Genf gab, wurde schnell die Eroberung von ganz Bos-
nien-Herzegowina vorangetrieben. Je länger die Verhand-
lungen dauerten, desto mehr breitete sich der Totalitaris-
mus aus. Genau denselben Ablauf gab es zum Teil
während der Gespräche in Rambouillet. Trotz der Tatsa-
che, dass Vorbereitungen für die Eroberung des Kosovo
getroffen wurden und es eine militärische Ausrichtung in
Richtung Süden gab, wollen Sie uns erzählen, dass diese
Entwicklung durch die Bomben der NATO ausgelöst
wurde. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen sagen
muss: Was ist das für eine historische Lüge!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P .– Widerspruch bei der PDS)


Die UN-Resolution 1244 als Reaktion der westlichen
Welt kam zu spät, nachdem etliche Friedensverträge mit
diesem Diktator, der bei den Verhandlungen mit am Tisch
saß, geschlossen, aber nicht eingehalten worden sind. Wir
haben nicht glauben wollen, dass diese Gespräche nicht
zu einem Ende des Krieges und des Hasses führten, son-
dern dass sie ein neuer Ausgangspunkt von Krieg und
Hass waren.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Die Erfahrung des 20. Jahrhunderts ist, dass wir Dikta-

toren so früh wie möglich entgegentreten müssen. Sha-
kespeare hat einmal gesagt: Wenn sich Feuer ungehindert
in der Fläche ausbreitet, reichen die Wasser der Flüsse
nicht, um es zu löschen. – In dieser Lage befanden wir
uns. Wir wussten überhaupt nicht mehr, wie wir das Feuer
eindämmen konnten. Wir haben nicht etwa zu früh oder
zu unüberlegt gehandelt. Wie viele Überlegungen haben
wir angestellt – die Frage, ob wir eingreifen dürfen, wurde
im Sicherheitsrat verhandelt –; was wurde nicht alles auf
den Konferenzen, beispielsweise der Londoner Kon-
ferenz, besprochen! Die gesamte Europäische Union war
involviert.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416206300
Herr Kollege
Schwarz-Schilling, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1416206400
Ja.
Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Wir sind entschlos-

sen – wir müssen dies mit aller Macht tun –, in der Zu-
kunft brutalen Diktatoren und Mördern rechtzeitig entge-
genzutreten, die ihre Ideen mit Gewalt umsetzen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Dann haben Sie viel zu tun!)


Wenn wir das nicht tun, können wir die Friedlichen, die
auf unserer Seite stehen, niemals zu einem demokrati-
schen Aufbau bewegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Dr. Christian Schwarz-Schilling
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(A)



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Wir werden auch in diesem Jahrhundert solchen Diktato-
ren mit aller Macht entgegentreten müssen, wenn wir den
Frieden auf dieser Welt erhalten wollen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416206500
Es spricht jetzt der
Bundesaußenminister, Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416206600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ent-
scheidung über Krieg und Frieden ist die schwerste poli-
tische Entscheidung, die politisch Verantwortliche – bei uns
sind es die Parlamentarier – treffen können. Ich halte es des-
wegen für richtig und wichtig, solche Entscheidungen auch
im historischen Rückblick immer wieder zu überprüfen. Da-
her hoffe ich, dass dies nicht die letzte Debatte über dieses
Thema ist. Für mich persönlich war es die schwerste Ent-
scheidung, an der ich in meinem bisherigen politischen Le-
ben mitzuwirken hatte. Dies gilt unabhängig davon, dass ich
zu diesem Zeitpunkt Bundesaußenminister war. Ich habe
nämlich als Oppositionsabgeordneter der Actord-Entschei-
dung – dem Befehl zur Inkraftsetzung des NATO-Operati-
onsplans „Allied Force“, in der letzten Legislaturperiode zu-
gestimmt, weil ich von meiner früheren Position, dass man
nicht eingreifen solle, seit Srebrenica unter dem Eindruck
einer Gewaltpolitik, die vor Massenmord und vor Massen-
vertreibung zum Zwecke der gewaltsamen Änderung der
Grenzen nicht zurückschreckt, nicht mehr überzeugt war.
Im Zuge der Eroberung der UN-Schutzzone in Srebrenica,
in die die Menschen geflüchtet waren, für deren körperliche
Unversehrtheit die internationale Staatengemeinschaft die
Garantie übernommen hatte, wurden alle Männer und
männlichen Heranwachsenden ermordet und ihre Leichen
in Massengräbern verscharrt.

Ich war, wie auch Sie, vorher über Jahre Nichtinter-
ventionist. Ich begreife das heute im Rückblick als Fehler.
Insofern sollte man diese Debatte – ich bedauere es, dass
das nicht geschieht – ehrlich führen, und zwar ausgehend
von den möglichen Alternativen. Vor allen Dingen sollten
wir uns nicht gegenseitig falsche Motive unterstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])


Ich bedauere es, dass die PDS eine große Chance ver-
tan hat; da kann ich Dr. Schwarz-Schilling nur zustim-
men. Sie hat nämlich in der gesamten Anlage der Großen
Anfrage Täter und Opfer verkehrt. Das ist, wie ich glaube,
der Grundfehler. Warten wir einmal die weitere Entwick-
lung ab. Die Akten des Internationalen Kriegsverbrecher-
tribunals zum Beispiel werden von Ihnen nicht herange-
zogen. Diese sind zugänglich, darin könnte man schon
heute Erstaunliches finden. Milosevic wird vor Gericht
kommen, und eines Tages auch vor ein internatio-
nales Gericht. Dann werden die Akten insgesamt geöffnet
werden.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Darauf baue ich!)


Das wird sehr bitter für Sie werden.
Der Kern dieses Konfliktes geht meines Erachtens auf

eine historisch-politische Frage zurück, die im 19. und im
20. Jahrhundert in ganz Europa virulent war. Gerade wir
Deutschen haben dieses gespürt. Die Frage des deutschen
Nationalstaates hat zu zwei Weltkriegen geführt. Bis zur
Wiedervereinigung, zum deutsch-polnischen Grenzver-
trag und zum Zwei-plus-Vier-Vertrag hingen Stabilität
und Sicherheit in Europa von der zentralen Frage ab, wel-
che Position Deutschland einnimmt. Mit der Anerken-
nung unserer Ostgrenze und damit der polnischen West-
grenze wurde diese definitiv entschieden. Ähnliche
Konflikte gibt es noch heute auf dem Balkan. Hier liegt
der Kern des Problems in der Bildung neuer National-
staaten nach dem Untergang des alten Jugoslawiens,
das – ich bedauere es – leider nicht reformfähig war. Mir
war schon damals klar, dass hiermit ein enormes Risiko
verbunden war. In dieser Frage liegt in der Tat ein riesiges
Gewaltpotenzial. Das ist ja auch aus der europäischen Ge-
schichte des 19. und 20. Jahrhunderts ersichtlich.

Es wurde jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass
dieser Krieg nicht am 24. März 1999 begann. Er begann
in Slowenien, führte über Kroatien und Sarajevo nach
Bosnien. Eigentlich liegt sein Ursprung schon in der Auf-
hebung des Autonomiestatus des Kosovo bzw. noch
früher in der Erklärung der serbischen Akademie 1986.
Das dürfen wir nicht vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir tun Serbien wirklich keinen Gefallen – ich sage das
als jemand, der die traditionelle Einteilung in Kroaten und
Serben nicht für richtig hielt –, wenn wir diese teilweise
auch in der demokratischen Opposition noch vorhandene
Vorstellung von Serbien als Opfer durch Positionen, wie
sie die PDS vertreten hat, unterstützen. Serbien muss aus
seiner Sichtweise herausfinden; es wird herausfinden, da
bin ich mir sicher, und seinen Platz – einen guten – inner-
halb der europäischen Völkerfamilie einnehmen.

Dieser Krieg begann also nicht am 24. März 1999, son-
dern früher. In diesem Zusammenhang wird eine ent-
scheidende Frage von Ihnen nicht beantwortet, nämlich,
ob eine Einbindung Milosevics bei einer Lösung für die
gesamte Region mit einer europäischen Perspektive ohne
Gewalt möglich war. Sie hätten Recht, wenn eine Lösung
ohne Gewalt möglich gewesen wäre. Hier ist das Äußers-
te versucht worden. Dayton stellte leider einen unzurei-
chenden Schritt dar. Ich kritisiere nicht diejenigen, die für
das Abkommen von Dayton verantwortlich sind. Aber die
Zeichen zur Zeit von Dayton – kluge Leute haben dies da-
mals gesagt – haben bereits auf einen Konflikt im Kosovo
hingedeutet. Christian Schwarz-Schilling hat das gerade
noch einmal angesprochen. Ich hätte mir gewünscht, dass
die Resolution 1244, die dann unter der deutschen
G-8-Präsidentschaft in Köln realisiert wurde, bereits ein
Jahr früher zustande gekommen wäre. Wer hat denn
Russland wieder ins Boot geholt? Wer hat denn dem Si-
cherheitsrat wieder seine Handlungsfähigkeit zurückge-
geben?


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])





Dr. Christian Schwarz-Schilling

15833


(C)



(D)



(A)



(B)


– Entschuldigung, die Verantwortung dafür können Sie
aber nicht nur auf einer Seite abladen. Ich hätte mir auch
gewünscht, Russland – das habe ich in Moskau im inter-
nen Gespräch selbstverständlich auch gesagt – konstruk-
tiv und gestaltend im Sinne von Kriegsprävention tätig
geworden wäre und von einem Veto im Sicherheitsrat Ab-
stand genommen hätte. Das wäre richtig gewesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das stellt aber keine Schuldzuweisung, weder an die eine
noch an die andere Seite dar, sondern ist eine realistische
Beschreibung.

Ich war unmittelbar nach Ende des Krieges in Belgrad
und konnte feststellen, dass man dort zehn Jahre verloren
hatte. Die Situation war genauso wie 1990 in einigen an-
deren Wendedemokratien. György Konrad hat gestern
Abend gesagt, dass es dort heute noch so aussieht wie
1990 in anderen Volksdemokratien nach dem Ende der
Sowjetherrschaft. Genauso war es damals auch dort, dass
nämlich plötzlich Leute aus der Opposition höchste
Staatsämter einnahmen.

Das heißt, es sind zehn verlorene Jahre für ein Land,
das, dem damaligen Ostblock nicht zugehörend, von einer
kommunistischen Parteiendiktatur – unter Tito und da-
nach – regiert wurde. Bei diesem Land, das im Grunde
genommen am weitesten entwickelt war, die größten Po-
tenziale hatte, ist diese zehnjährige Tragödie des Rück-
falls in eine nationalistische Politik, in einen Prozess der
Selbstblockade und teilweisen Selbstzerstörung eingetre-
ten. Ich bin froh, dass die demokratische Revolution in
Belgrad jetzt eine europäische Entwicklung ermöglicht.

Die entscheidende Frage ist für mich: Wogegen haben
wir dort gekämpft? Wir haben, nachdem alle politischen
Möglichkeiten ausgelotet waren und es nicht mehr anders
ging, gegen einen gewaltsamen Nationalismus und Ge-
walt gekämpft. Wofür haben wir dort gekämpft? Wir ha-
ben für die europäische Integration dieser Region, für Ge-
waltverzicht und friedliche Lösungen gekämpft. Genau
dies ist die Perspektive, die wir dann mit dem Stabilitäts-
pakt, mit der Sicherheitspräsenz in der Region umgesetzt
haben. Wir werden dort selbstverständlich keinen Groß-
nationalismus, weder einen großserbischen noch einen
großalbanischen noch sonst irgendeinen, akzeptieren dür-
fen und wir werden dort keine Unterdrückung von Min-
derheiten zulassen dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zur Zeitperspektive von 18 Monaten möchte ich Sie
an die Zeit 18Monate nach dem 8. Mai 1945 erinnern. Ich
frage mich manchmal, ob wir angesichts der Zerstörung
und des Hasses in den richtigen Dimensionen denken. Am
8. Mai 1945 haben in Europa die Waffen geschwiegen.
Wo stand dieses Europa 18 Monate danach? Glaubt man
denn allen Ernstes, man könnte solche historischen Kon-
flikte in so kurzen Zeiträumen überwinden und nicht nur
den realen Wiederaufbau, sondern auch eine Orientierung
auf europäische Integration und Gewaltverzicht in den
Köpfen und Emotionen erreichen? Ich glaube das nicht.

Deswegen ist langfristiges Engagement notwendig.
Man kann doch die ganzen positiven Veränderungen se-
hen. Ich hätte mir gewünscht, dass die internationale Staa-
tengemeinschaft schon 1992 so weit gewesen wäre, wie
sie es heute ist, und dass sie schon 1992, spätestens aber
nach der völligen Zerstörung von Vukovar in Ostslawo-
nien, dem heutigen Kroatien, oder allerspätestens nach
der Zerstörung von Dubrovnik entsprechend reagiert
hätte, nämlich geschlossen und entschlossen zu sagen,
dass eine gewaltsame, großnationalistische Politik nicht
akzeptiert wird, sondern in dem Fall interveniert wird
bzw. sich alle am Verhandlungstisch wiederfinden,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist es!)

um eine friedliche, gewaltfreie Lösung der Probleme her-
beizuführen, unter Anerkennung der Grenzen, die nicht
gewaltsam verändert werden dürfen, und auf der Grund-
lage von Gewaltverzicht, auf der Grundlage des Schutzes
der Minderheiten.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!)

Aber dies hätte, wenn Sie „sehr richtig“ sagen, nur funk-
tioniert, wenn wir damals bereit gewesen wären, auch die
notwendige Militärpräsenz ins Spiel zu bringen. Das eine
ohne das andere – das ist die bittere Wahrheit – hätte es
nicht gegeben.

Deswegen bin ich froh, dass wir heute in Mazedonien
in einer anderen Lage sind. Die Probleme sind mitnichten
gelöst; das innerethnische Gleichgewicht zu erhalten ist
extrem schwierig. Aber es ist völlig klar: Wir haben dort
nicht gegen einen großserbischen Nationalismus und
seine Gewaltpolitik gekämpft, um einen anderen Großna-
tionalismus wirken zu lassen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


sondern wir wollen die gesamte Region an Europa heran-
führen. Die Frage der territorialen Integrität Mazedoni-
ens, auch die Frage der Multiethnizität Mazedoniens ist
für uns von entscheidender Bedeutung, genauso wie die
Umsetzung der Resolution 1244 im Kosovo die Grund-
lage sein muss.

Die Probleme sind noch nicht gelöst und sie werden
ohne die beteiligten Völker nicht lösbar sein. Aber – das
sage ich in Richtung CDU/CSU; ich weiß, dass nicht alle
bei Ihnen diese Meinung vertreten, aber manche, ich habe
es gerade gestern wieder gelesen – ich halte überhaupt
nichts davon, dass wir uns jetzt mit einem Berliner Kon-
gress oder, wie es Lord Owen vorgeschlagen hat, einer
Berliner Konferenz – in Erinnerung an die Berliner
Konferenz zu Bismarcks Zeiten – zur Neuordnung des
Balkans aufhalten. Die heutige Perspektive heißt Europa.
Das ist der entscheidende Punkt. Wenn wir nicht bereit
sind, diese europäische Perspektive in der ganzen Region
unter der Beteiligung der dortigen Verantwortlichen und
Völker langfristig zu organisieren, dann werden wir in die
Untiefen des Nationalismus und eines blutigen Nationen-
schaffens hineingeraten.

Deswegen dürfen wir, wenn wir darüber nachdenken,
eine Gesamtlösung zu erreichen – in der Tat sind die Fra-
gen um Bosnien-Herzegowina, um Montenegro, um das




Bundesminister Joseph Fischer
15834


(C)



(D)



(A)



(B)


Presevo-Tal in Südserbien oder um Mazedonien noch
nicht gelöst –, nicht damit beginnen, Grenzen zu verän-
dern und Ähnliches mehr. Wenn wir über eine Gesamtlö-
sung sprechen, müssen wir erst einmal die Energien, die
dort vorhanden sind, in Richtung Europa kanalisieren.
Das heißt, die Grundsätze, mit denen Lösungen gesucht
werden sollen, sind wichtiger, als heute schon über die
Substanz der Konfliktlösung zu sprechen. Das ist das
Erste.

Das Zweite ist, dass man in diesem Rahmen in der Tat
so etwas wie eine Konferenz für Sicherheit und Stabi-
lität ins Auge fassen sollte, aber nicht in der Perspektive
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern in der Per-
spektive europäischer Integration. Das ist der entschei-
dende Punkt. Dafür gibt es bereits wichtige Elemente
– die albanische Regierung und andere haben sich in die-
sem Zusammenhang sehr verantwortlich verhalten – mit
dem Stabilitäts- und Assoziationsabkommen und mit dem
Stabilitätspakt. Es gibt Möglichkeiten, darüber nachzu-
denken, wie weit man in Richtung einer Zollunion geht,
um hier auch die ökonomischen Kräfte zu stärken; denn
die ökonomische Perspektive ist für politische Stabilität
und Sicherheit von überragender Bedeutung. Die Frage
von Schutzgarantien für Minderheiten, die Frage kultu-
reller Autonomierechte und Ähnliches mehr werden mei-
nes Erachtens eine entscheidende Rolle bei der Anerken-
nung der Grenzen spielen. Dies alles muss auf den
Prinzipien des Gewaltverzichts, des Verzichts auf gewalt-
same Änderung von Grenzen und des friedlichen Austra-
gens aller offenen Fragen und Probleme auf dem Ver-
handlungswege gründen und die Perspektive beinhalten,
den langen Weg Richtung Brüssel zu gehen. Das scheint
mir die Antwort zu sein.

Wenn wir uns darauf einigen könnten, dann wird die
Debatte über die Ursachen dieses Krieges zwar nicht un-
wichtig; aber viel wichtiger scheint mir zu sein, dass wir
die historische Chance nutzen, der gesamten Region, die
ein Teil Europas ist, den Weg zu einem dauerhaften Frie-
den im europäischen Kontext zu ermöglichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416206700
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416206800
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr
Bundesaußenminister, die Antwort auf die Große Anfrage
stellt eines klar: Eine völkerrechtliche Grundlage für den
Krieg gab es nicht; denn in der Antwort auf die diesbe-
zügliche Frage sprechen Sie von Ultima Ratio sowie da-
von, dass nichts anderes gemacht werden konnte; Sie be-
nutzen also das Argument der Alternativlosigkeit. Aber
Sie nennen keinen einzigen völkerrechtlichen Artikel
oder Vertrag, auf den Sie sich hätten stützen können, nicht
einen! Schauen Sie sich die Antwort an.

Nun gibt es in diesem Zusammenhang ja viele Argu-
mente. Herr Kollege Brecht hat zum Beispiel in der letz-

ten Debatte gesagt, er habe damals dagegen gestimmt,
weil er die Bombardierung als illegal, wenn auch niemals
als illegitim empfunden habe. Ich kann nur davor warnen,
im Recht diese Unterscheidung zuzulassen.


(Beifall bei der PDS)

Wer sagt, etwas möge zwar illegal sein, aber dennoch sei
es legitim, stellt das Recht völlig auf den Kopf. Das gilt
für das innerstaatliche Recht genauso wie für das Völker-
recht. Das halte ich für eine fatale Herangehensweise.

Immer wieder werden die Kritiker des Krieges vor die
Frage gestellt, welche Alternativen sie anzubieten gehabt
hätten. Dazu sage ich Ihnen Folgendes:

Erstens ist es die Aufgabe von Politik, Alternativen zu
schaffen, nicht aber dafür zu sorgen, dass eine Situation
entsteht, in der es zumindest scheinbar keine Alternative
zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gibt.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens hat es selbstverständlich eine Alternative ge-

geben. Hier wird etwas Unlauteres gemacht. Man ver-
weist – wegen des historischen Zusammenhangs natürlich
nicht ganz zu Unrecht – auf die drei vorhergehenden
Kriege und überträgt die dort begangenen Verbrechen auf
das Kosovo, als seien sie dort schon geschehen oder we-
nigstens jederzeit möglich. So einfach ist es natürlich
nicht.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Der Milosevic war natürlich geläutert!)


– Das hat gar nichts mit Läuterung zu tun; das ist doch
Quatsch. – Jeder dieser Kriege hatte einen anderen Cha-
rakter; sie hatten auch unterschiedliche Ziele. Vergessen
wir doch Folgendes nicht, wenn wir damit schon anfan-
gen: Das Auseinanderfallen Jugoslawiens und die Art und
Weise, wie dies geschehen ist, waren ein großer Destabi-
lisierungsfaktor für den Frieden, die Sicherheit und die
ökonomische Entwicklung in Europa. Aber an diesem
Auseinanderfallen war ja nicht nur Jugoslawien, sondern
waren auch Regierungen außerhalb Jugoslawiens betei-
ligt. Das ist auch eine Wahrheit.


(Beifall bei der PDS)

Tudjman war ebenso ein Nationalist wie Milosevic.

Aber es wurde – nicht von Ihnen, aber von Ihrer Vorgän-
gerregierung – stets zwischen den beiden unterschieden:
Der eine blieb immer ein Guter, auch als Kriegsverbrechen
in Bosnien-Herzegowina begangen wurden, während der
andere zum Ungeheuer hochstilisiert wurde.

Ich bin gegen jede Verharmlosung der Verbrechen von
Milosevic. Wir wollen genau wie Sie, dass er dafür zur
Verantwortung gezogen wird.


(Beifall bei der PDS)

Ich bin aber auch dagegen, ihn durch maßlose Übertrei-
bungen sozusagen zu benutzen und zu instrumentalisie-
ren,


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Na, na, na!)





Bundesminister Joseph Fischer

15835


(C)



(D)



(A)



(B)


um sich durch maßlose Übertreibungen gerade in den ei-
genen Reihen eine Zustimmung zu organisieren, von der
man befürchtet hatte, sie nicht zu bekommen.


(Beifall bei der PDS)

Das zieht sich bis heute durch und wird täglich deutlicher.

Auch der Vergleich mit dem Apartheidsystem in Ihrer
Antwort – es ist mir unangenehm, darauf hinweisen zu
müssen – stimmt natürlich nicht. Das wissen Sie doch. Es
gab kein Verbot von Eheschließungen. Soweit es Wahlen
gab, konnten die Angehörigen der Minderheiten daran teil-
nehmen. Auf Bänken durften sie auch sitzen. Was sollen
also immer diese unsinnigen Vergleiche? Die tatsächlichen
Verhältnisse waren doch schlimm genug. Machen Sie es
doch nicht immer schlimmer, als es in Wirklichkeit war.


(Beifall bei der PDS – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab das Universitätsgesetz!)


Nun noch einige Bemerkungen zu Alternativen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einschließlich
Russlands und Chinas wäre zu Sanktionen bereit gewe-
sen. Es gab vorher praktisch nur Sanktionen im Hinblick
auf Rüstungsexporte bzw. Rüstungsimporte. Wirtschafts-
sanktionen wurden nicht beschlossen.

Darf ich Sie daran erinnern, dass die Europäische
Union zwei Wochen nach Beginn des Krieges Sanktionen
gegen Jugoslawien beschlossen hat? Wer hat denn die Eu-
ropäische Union daran gehindert, das drei oder sechs Mo-
nate vorher zu tun?


(Beifall bei der PDS)

Das hätte erfordert, auf der einen Seite eine Drohung

aufzubauen und auf der anderen Seite dann auch eine Per-
spektive. Wo war damals das Angebot an die Bundesre-
publik Jugoslawien und an Serbien? Es hätte lauten kön-
nen: Wenn ihr eine demokratische Entwicklung nehmt, ist
euch der Weg nach Europa bis hin zur Europäischen
Union geöffnet.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Da wollte doch der Milosevic gar nicht hin!)


Das, was Bismarck noch machte, nämlich mit Zuckerbrot
und Peitsche vorzugehen, hat es in diesem Fall nie gegeben.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wir haben doch hier keine Märchenstunde!)


– Ich will ja nicht sagen, dass ich ein Anhänger Bismarcks
bin.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie sind doch klüger, als Sie tun!)


Außerdem hätte man auch in Rambouillet einen unter-
zeichnungsfähigen Vertrag vorlegen können. Es ist heute
auch unstrittig, dass der vorgelegte Vertrag dies nicht war.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: In der PDS mag das unstrittig sein!)


Insofern glaube ich nicht an die Alternativlosigkeit.
Wenn Sie, Herr Schwarz-Schilling, sagen, jetzt wisse

jeder mordende Diktator, dass die NATO eingreifen
werde, so ist das Unsinn. Wer weiß denn das? Greift die

NATO in Afghanistan ein? Das ist doch alles Quatsch.
Das ist eine völlig selektive Wahrnehmung der Welt.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb, Herr Braun, sage ich Ihnen: Das, was Sie ge-

sagt haben, hat mich wirklich erschüttert, weil Sie damit
wahrscheinlich sogar einen der wahren Gründe genannt
haben. Sie haben gesagt, wenn das so weitergegangen
wäre, hätte Deutschland wahrscheinlich 500 000 kosovo-
albanische Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das hätte
dazu geführt, dass der Rechtsextremismus in Deutschland
erfolgreich gewesen wäre. Das heißt, weil Sie die Ko-
sovo-Albaner nicht in Deutschland haben wollten, mein-
ten Sie, man müsse Belgrad bombardieren.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Das habe ich nicht gesagt!)


Das ist schon eine sehr merkwürdige Begründung.

(Zuruf von der SPD: Ein unzulässiger Schluss!)

Ich nenne Ihnen noch etwas, was mich wirklich ärgert:

Das ist die selektive Wahrnehmung auch von Resolutio-
nen des UN-Sicherheitsrates.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das, was Sie jetzt gemacht haben, war mehr als selektiv! Das ist ja sogar unzutreffend!)


Erstens hatte die entsprechende Resolution nicht nur
Forderungen an Jugoslawien gestellt, sondern zum Bei-
spiel auch festgelegt, dass die UCK nicht von außen fi-
nanziell oder mit Waffen unterstützt werden soll. Das Geld
für die UCK floss die ganze Zeit über, vornehmlich aus der
Schweiz und aus Deutschland. Ich kann nicht einschätzen,
ob wir nicht in der Lage oder nicht willens waren, die Re-
solution umzusetzen. Auf jeden Fall ist es nicht geschehen.

Zweitens wurde festgelegt, dass die UCK zu entwaff-
nen ist. Das hat nie wirklich stattgefunden.

Drittens wurde festgelegt, dass die Grenze zu Mazedo-
nien zu schützen ist. Das hat bis heute nicht wirklich statt-
gefunden.

Im Verfassungsschutzbericht Bayerns war die UCK
schon Anfang der 90er-Jahre als extremistische Organisa-
tion erfasst. Ich erwähne das nur einmal, weil wir später
nicht nur mit ihnen verhandelt, sondern weil wir sie unter-
stützt haben, weil sie ausgerüstet worden sind und weil sie
natürlich bestimmte Ziele verfolgen – jetzt auch in Süd-
serbien und in Mazedonien –, die auch Sie nicht gut-
heißen. Ich meine, das hat auch etwas mit diesem Krieg
zu tun.

Ich sage nicht, dass die Ursache aller Probleme auf
dem Balkan der Krieg ist. Ich sage nur: Dieser Krieg war
nicht nur völkerrechtswidrig, sondern er hat auch die dor-
tigen Probleme nicht gelöst, sondern sie zum Teil ver-
schärft. Er hat das militärische Denken weiter geschürt,
statt nach politischen Lösungen zu suchen.


(Beifall bei der PDS – Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so ein Quatsch!)


Das ist meine Kernkritik.




Dr. Gregor Gysi
15836


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416206900
Herr Kollege Gysi,
Sie müssten bitte zum Schluss kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207000
Lassen Sie mich deshalb als
letzten Satz sagen: Wenn Sie sagen, wir verwechselten
Täter und Opfer, dann verstehe ich das wirklich nicht. Ich
verstehe nicht einmal, was Sie damit meinen.


(Gernot Erler [SPD]: Lesen Sie mal Ihre Fragen!)


– Ich will Ihnen das erläutern. – Wenn Sie der Meinung
sind, die NATO ist kein Täter, können Sie doch aber nicht
im Ernst der Meinung sein, sie sei Opfer. Das ist ja wohl
noch absurder.


(Beifall bei der PDS – Gernot Erler [SPD]: Woanders ist sie Opfer!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Franz Thönnes,
Doris Barnett, Klaus Brandner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Dr. Thea Dückert, Ekin Deligöz,
Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Jobrotation im Arbeitsförderungsrecht veran-
kern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Rainer
Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Bessere Erwerbsaussichten für ältere Arbeit-
nehmer durch bessere Qualifizierung
– Drucksachen 14/5245, 14/2909, 14/5608 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Adolf Ostertag

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol-
legin Dr. Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Es handelt sich hierbei um einen Rednertausch
innerhalb der Koalition; das ist abgesprochen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416207200

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir, die Koalitionsfraktionen, bringen heute einen
Antrag zur Einführung der Jobrotation als ein Regel-
instrument in der Arbeitsmarktpolitik ein. Dies ist ein wei-
terer Baustein der dringend notwendigen Modernisierung
der Arbeitsmarktpolitik.

Die 90er-Jahre waren ein Zeitraum, in dem die Bun-
desrepublik Deutschland im Bereich der Arbeitsmarktpo-
litik den Schlaf der Gerechten geschlafen hat, in dem in
unseren Nachbarländern schon längst begonnen wurde,
die Arbeitsmarkpolitik zu modernisieren. Modernisieren
in diesem Sinne heißt, Instrumente zu entwickeln, die sich
auf die Entwicklungen in den Unternehmen einstellen, bei
denen sich Qualifikation als ein wesentliches Schlüssel-
merkmal herausstellt, bei denen Qualifikation über das
gesamte Arbeitsleben immer wieder nachgebessert wer-
den muss.

Die in der Bundesrepublik Deutschland angewandte
Technik ist innerhalb von zehn Jahren bereits zu 80 Pro-
zent überlebt. Das bedeutet Druck auf die kleinen und
mittleren Unternehmen, auf die Großunternehmen, aber
insbesondere auch auf die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, sich dieser Situation anzupassen. Weil diese
Entwicklungen in den letzten zehn Jahren verschlafen
wurden, ist heute die Situation dadurch gekennzeichnet,
dass einerseits hohe Arbeitslosigkeit und andererseits
Fachkräftemangel herrscht. Es gibt Fachkräftemangel
im IT-Bereich und an den Schulen, während auf der an-
deren Seite 88 000 Elektriker Beschäftigung suchen, für
die aber nur 20 Stellen angeboten werden.

Dies alles wirft Schlaglichter auf die Entwicklung, die
deutlich machen, dass Qualifikation auf der Seite der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auf der Seite der
Betriebe oft nicht zusammenpasst. Gleichzeitig beschleu-
nigt sich die technische Entwicklung. Das heißt, die Qua-
lifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss
auch im Arbeitsprozess selbst weitergeführt werden. Da-
her hat das Bündnis für Arbeit, wie ich finde, völlig zu
Recht darauf hingewiesen, dass wir von einer Arbeits-
marktpolitik abgehen müssen, die immer erst agiert, wenn
das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wenn zum Beispiel
hohe Langzeitarbeitslosigkeit zu verzeichnen ist, müssen
wir eine Arbeitsmarktpolitik in Angriff nehmen, die vor-
beugt im Sinne sowohl der Verhinderung von Langzeitar-
beitslosigkeit als auch der Qualifizierung der in den Be-
trieben Beschäftigten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund haben wir uns bei unseren Nachba-

rinnen und Nachbarn in Dänemark etwas abgeschaut,
nämlich das Instrument der Jobrotation. In Dänemark
wird Jobrotation schon seit 1993 praktiziert. Dort werden
in einer intelligenten Art und Weise zwei Elemente ver-
bunden. Wir unterstützen gerade die kleinen und mittleren
Betriebe bei der betrieblichen Qualifikation ihrer Be-
schäftigten. Wir machen für diesen Zeitraum das Ange-
bot, Langzeitarbeitslose beispielsweise als Stellvertreter
und Stellvertreterinnen in die Betriebe zu holen, im Be-
trieb quasi on the job weiterzuqualifizieren und sozialver-
sicherungspflichtig zu beschäftigen. Damit schlagen wir
zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir helfen den Betrieben
und wir reduzieren die Langzeitarbeitslosigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist nicht der Stein der Weisen; denn die Arbeits-
marktpolitik kennt keinen Stein der Weisen und keinen






(C)



(D)



(A)



(B)


Königsweg, weil wir in der Arbeitsmarktpolitik sehr un-
terschiedliche Maßnahmen zusammenfügen müssen. Die
Erfahrungen in Dänemark und auch in der Bundesrepu-
blik Deutschland, Nordrhein-Westfalen beispielsweise,
wo so etwas schon ausprobiert worden ist, zeigen: Es kön-
nen mehr als 60 Prozent der Arbeitslosen, die auf diese
Weise in Betriebe integriert werden, anschließend dort
bleiben.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: 47 Prozent! Wir wollen es nicht übertreiben!)


Von diesen 60 Prozent

(Dirk Niebel [F.D.P.]: 47 Prozent!)


wiederum sind 40 Prozent Langzeitarbeitslose. Das ist
wirklich ein großartiger Erfolg. In Dänemark sind sogar
80 Prozent der so beschäftigten Arbeitslosen in den Be-
trieben weiter beschäftigt worden.

Dies ist ein erster Schritt, ein Element zur Modernisie-
rung der Arbeitsmarktpolitik, die überfällig ist. Wir wer-
den die nächsten Schritte tun. Wir werden noch vor der
Sommerpause eine Reform der Kernelemente des SGB III
vorlegen, bei denen es um die aktive Arbeitsmarktpolitik
geht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207300
Jetzt spricht die Kol-
legin Birgit Schnieber-Jastram für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1416207400
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere
mich schon sehr, dass Sie es, nachdem Sie unseren Antrag
zur Einführung der Jobrotation ein Jahr lang im Aus-
schuss haben schmoren lassen, jetzt mit Ihrem Antrag so
eilig haben. Aber Sie müssen das verlorene Jahr ein
Stückchen einholen. Wir begrüßen das. Lieber späte Ein-
sicht als keine Einsicht. Lernfähigkeit, wenn auch nur in
diesem einzelnen Punkt, ist immer lobenswert.

Sie werden mir auch heute nicht glauben, wenn ich
sage, dass wir der schnelle Igel und Sie der eingebildete,
aber dröge Hase sind. Jedenfalls waren wir da, wo Sie
heute sind, schon vor einem Jahr.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Sie hatten auch 16 Jahre Zeit!)


Wenn wir den deutschen Arbeitsmarkt einmal im inter-
nationalen Maßstab betrachten, dann wird schnell klar,
dass die Regierung Schröder zulasten von 5,7 Millionen
offiziellen und verdeckten Arbeitslosen den begriffsstut-
zigen Hasen darstellt und unsere europäischen Partner der
einfallsreiche Igel sind. Frau Dr. Dückert, Sie haben es
eben schon gesagt: Unsere Nachbarländer haben Moder-
nisierung und Deregulierung der Arbeitsmarktpolitik
längst durchgeführt, während Arbeitsminister Riester
noch immer nach Wegen sucht, den institutionalisierten
Stillstand als Reform zu verkaufen. Die Arbeitsmarktpo-

litik des Hauses Riester ist ineffizient, behäbig und ein-
fallslos.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Denn das be-

stätigen Ihnen die OECD und der Wirtschaftsweise Pro-
fessor Siebert. Wenn Ihnen diese Fachleute nicht reichen,
dann glauben Sie doch einfach den Zahlen, die die
schlechte Bilanz der Schröder-Regierung eindeutig bele-
gen. Schauen Sie doch einmal auf die Eurostat-Statisti-
ken, die aufgrund einheitlicher und anerkannter Kriterien
erstellt werden: Wir liegen bei der Arbeitslosenquote bei
zwölf ausgewerteten Ländern auf dem neunten Platz, ei-
nen Prozentpunkt hinter Belgien, das im letzten Jahrzehnt
nun wirklich einen ziemlich schwierigen Umstrukturie-
rungsprozess zu durchlaufen hatte.


(Erika Lotz [SPD]: Wo waren wir zu Ihrer Regierungszeit? Noch weiter hinten!)


Ich nenne Ihnen einmal die Erfolgsdaten der anderen:
Niederlande 2,8 Prozent, Portugal 4,4 Prozent, Dänemark
4,7 Prozent, Schweden 5,4 Prozent. Die Miss-
erfolgsbilanz der Regierung Schröder in Deutschland lau-
tet: 7,8 Prozent. Führen Sie sich das zu Gemüte und fei-
ern Sie hier nicht Erfolge. Beim Grand Prix des
Arbeitsmarktes bekommt die Regierung Schröder eindeu-
tig null Punkte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist kein Zufall, Frau Dr. Dückert, dass Sie hier die

Einführung der Jobrotation in Deutschland als ein Kern-
stück der geplanten Reform des SGB III verkaufen wol-
len.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das wird eine tolle Reform werden!)


In Dänemark, dessen Idee der Jobrotation die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion lange vor Ihnen übernommen
hat, ist dieses Instrument nur ein Baustein unter vielen.
Dort gibt es schon lange begleitend etwa eine obligatori-
sche und gezielte Qualifizierung sowie eine Verpflichtung
zur Arbeitsannahme nach drei Monaten.

Die Riester-Baustelle hingegen versucht, mit diesem
einen Baustein das gesamte Gebäude der Arbeitsmarkt-
politik zu renovieren. So sieht das Ergebnis dann auch
aus: Liebe Kollegen von der Regierungskoalition, die
Fassade Ihrer angeblichen Erfolge auf dem Arbeitsmarkt
bröckelt.


(Erika Lotz [SPD]: Euer Versagen!)

Es war schon sehr kennzeichnend, dass wir soeben in

der Rede von Frau Dr. Dückert wieder kein einziges Wort
zum Arbeitsmarkt Ost gehört haben. Sie versuchen
schon gar nicht mehr, die Risse auf der Ostseite zu repa-
rieren. Ich frage Sie: Was tun Sie für die gut 20 Prozent
Erwerbslosen in den neuen Ländern?


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Die haben die schon längst abgeschrieben! – Erika Lotz [SPD]: Wir haben keine Wahlkampf-ABM gemacht!)





Dr. Thea Dückert
15838


(C)



(D)



(A)



(B)


Durch das bislang schützende Dach aus Konjunktur und
Demographie regnet es inzwischen bedenklich herein.
Denn die Wirtschaftsaussichten werden düsterer und ob-
wohl jährlich 200 000Arbeitnehmer mehr in Rente gehen
als nachkommen, verbesserten sich die Arbeitsmarktzah-
len nicht mehr.

Die Fenster, durch die Sie die Erfolge unserer Nach-
barn wahrnehmen können, haben Sie mit ideologischen
Brettern zugenagelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb sehen Sie nicht, welche Ideen man hat und wel-
che Erfolge in Europa in der Arbeitsmarktpolitik erzielt
werden. Dort findet nämlich die Modernisierung statt,
während niemandem im Hause Riester zum Thema „Re-
form des Arbeitsmarktes“ irgendetwas einfällt.

Was macht der Bundeskanzler stattdessen? – Er plau-
dert im so genannten Bündnis für Arbeit am grünen Tisch
mit den Tarifparteien über Arbeitsplätze. Die Erwerbslo-
sen in Deutschland haben die Hoffnung auf dieses Tee-
trinken mit Gesprächen zum Thema Arbeit längst auf-
gegeben. Neu ist in der Tat, dass bei diesem Teetrin-
ken ziemlich viel Porzellan zerschlagen wird: Die
Gewerkschaften haben den Ausstieg aus der Tarifrunde
angekündigt.


(Erika Lotz [SPD]: Zu Ihrer Zeit sind sie ausgestiegen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom
Bündnis 90/Die Grünen, in den Vorschlägen, die Sie seit
kurzem als Reform der Arbeitsvermittlung verkaufen
wollen, steckt absolut nichts Neues. Sie machen den Leu-
ten wirklich etwas vor. Wenn Sie mir als Rednerin der
Opposition nicht glauben, dann glauben Sie doch immer-
hin einem Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit. Der hat
zu Ihren Vorschlägen nur einen Satz gesagt: „Im Prinzip
steht dies alles schon im Sozialgesetzbuch III.“ Das wis-
sen Sie – auch Sie, Herr Andres – so gut wie wir alle, die
sich mit dieser Materie beschäftigen.

Die Bundesanstalt für Arbeit hat wirklich Recht:
Wiedereingliederungspläne für Langzeitarbeitslose wer-
den in § 6 des SGB III gefordert. Eine Sperrfrist für Lohn-
ersatzleistungen bei Verweigerung zumutbarer Arbeit
existiert bereits heute im geltenden Recht.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss man sich schon ein wenig auskennen, wenn man hier über Arbeitsmarktpolitik redet!)


Nachdem uns die Bundesregierung jahrelang Münch-
hausengeschichten über die angeblich so großen Erfolge
des JUMP-Programms, über den angeblich so erfolgrei-
chen Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit, über die
Chefsache Ost, von der heute überhaupt niemand mehr
spricht, und über den Arbeitsmarkt in den neuen Ländern
erzählt hat, greift sie jetzt in die Märchenkiste. Was Sie,
Herr Andres, vor kurzem als Schritte zur Reform des
Arbeitsförderungsgesetzes vorgestellt haben, erinnert
stark an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: keine
Substanz, nichts Neues, nichts Greifbares! Sie hoffen,
dass niemand merkt, dass die Regierung mit ihrer Ar-

beitsmarktpolitik nackt dasteht. Sie sollten das in Ihren
Reihen wirklich einmal hinterfragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Sie reden von der CDU!)


Was mich am meisten verwundert, ist die Tatsache,
dass sich die Bundesregierung im Vorfeld der Äußerun-
gen des Staatssekretärs Andres überhaupt nicht mit der
Bundesanstalt für Arbeit abgestimmt hat. Auch da hat der
Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit angesichts der – ich
zitiere – „wenig konkreten“ Aussagen des Staatssekretärs
erklärt, es sei wirklich zweifelhaft, ob die Arbeitsämter je-
mals die ihnen zugedachte Aufgabe leisten können. Man
muss dabei wissen, dass jeder Arbeitsvermittler bereits
heute zwischen 600 und 800 Arbeitssuchende betreut. In
Zukunft sollen nach den Vorstellungen der Bundesregie-
rung für 1,4 Millionen Langzeitarbeitslose noch so
genannte maßgeschneiderte Wiedereingliederungspro-
gramme ausgearbeitet und überprüft werden.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn nun? Die individuelle Betreuung oder nicht? Sie müssen sich endlich einmal entscheiden!)


Das ist absurd und jenseits jeder Realität. Hätten Sie doch
vorher einmal die Bundesanstalt für Arbeit gefragt, Sie
hätten wahrscheinlich einen solchen Schnellschuss nicht
losgelassen.

Meine Vermutung, wie diese völlig unausgegorenen
Vorschläge aus dem Hause Riester zustande gekommen
sind, ist folgende: Die Bundesregierung hat endlich ge-
merkt, dass ihre Arbeitsmarktpolitik völlig ineffektiv ist
und dass sie von den Reformvorschlägen der Opposition
überholt wird. Deshalb musste schnell irgendein Vor-
schlag her, so einfallslos und praktisch undurchführbar er
auch sein mochte.


(Erika Lotz [SPD]: Sie reden wieder von der CDU!)


So kamen die Äußerungen von Staatssekretär Gerd
Andres zustande. Sie waren mit heißer Nadel gestrickt,
geltendes Recht wurde neu verpackt und in der Praxis sind
sie kaum durchführbar. So sehen diese Vorschläge aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bundesregierung tut so, als würde sie dem Arbeits-

markt einen Turbomotor einbauen, dabei hat sie gerade
erst entdeckt, dass es nicht nur zwei Getriebegänge gibt,
sondern dass man auch in den dritten Gang schalten kann.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das können sie wegen der Ökosteuer nicht!)


Ich sage Ihnen: Ein modernes Getriebe hat fünf Gänge
und 5,7Millionen offene und verdeckte Arbeitslose haben
ein Recht darauf, dass Sie das endlich erkennen und beim
Arbeitsmarkt hoch schalten und durchstarten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Übernehmen Sie doch unsere Vorschläge und gehen

Sie die notwendigen Reformen energisch an: Setzen
Sie die 43 Milliarden DM für Arbeitsmarktpolitik endlich




Birgit Schnieber-Jastram

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(D)



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(B)


effektiv ein und verzichten Sie auf Ihre Gießkannenpro-
gramme ohne Erfolgskontrolle! Sie wissen genau, dass das,
was Sie in diesem Bereich machen, völlig ineffizient ist.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Schaffen Sie rasch die Voraussetzungen für eine Zu-
sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe!


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn die ganze Zeit gemacht? Es wird wirklich langsam peinlich!)


Bieten Sie endlich Anreize zur Arbeit und helfen Sie Ge-
ringqualifizierten, in Arbeit zu kommen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn diese Situation hergestellt?)


– Frau Dr. Dückert, ich kann es nicht mehr hören. – Bauen
Sie endlich die Überregulierung des Arbeitsmarktes ab –
wir messen Sie an Ihren Versprechen –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir messen Sie an Ihren Taten! Was Arbeitsmarktpolitik anbelangt, haben Sie sich disqualifiziert!)


damit in Deutschland zusätzliche Arbeitsplätze entstehen!

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Sie tun trotz vollmundigster Versprechen nichts. Sie ver-
lassen sich bei der Arbeitsmarktpolitik nur auf den Be-
völkerungsrückgang und die Konjunktur.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwahrheiten zu wiederholen macht es auch nicht besser!)


Immer mehr Menschen erkennen, was auch die Wo-
chenzeitschrift „Die Zeit“ vor einiger Zeit schrieb:

Die SPD versteht zu wenig von der neuen Arbeits-
welt. Sie hat ihre Chance zur Reform verpasst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das war ein sehr guter Artikel! – Erika Lotz [SPD]: Wer eine solche Erblast hinterlässt, sollte nicht so tönen!)


Ihr Rückgriff auf Ideen der Opposition von vor einem Jahr
und Ihr Alibi-Reförmchen des Arbeitsförderungsgesetzes
belegen dies sehr deutlich.

Ich freue mich, den Abgeordneten Andres in Ihren Rei-
hen zu begrüßen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207500
Jetzt erteile ich dem
Abgeordneten Gerd Andres zu einer Kurzintervention das
Wort.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich hätte die erst gemacht, wenn ich mit meiner Rede fertig bin!)



Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1416207600
Das, was Sie als langjähriger Ar-
beitsvermittler von sich geben, kann man in den Zeitun-
gen nachlesen. Darauf brauche ich nicht zu reagieren.

Frau Schnieber-Jastram, Sie haben mich angespro-
chen. Darauf möchte ich kurz reagieren. Die Debatte ist
nicht wegen meiner öffentlich gemachten Äußerungen
anberaumt worden. Ich habe übrigens sehr bedauert, dass
es in der letzten Sitzungswoche nicht zu einer Aktuellen
Stunde über dieses Thema gekommen ist, denn darin hätte
ich Ihnen einiges dazu gesagt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ich Ihnen auch!)


Sie haben natürlich völlig Recht damit, dass bestimmte
Dinge im SGB III stehen. Aber ich möchte Sie darauf hin-
weisen, dass es Kann-Regelungen sind. Machen Sie sich
einmal die Mühe, bei der Bundesanstalt für Arbeit nach-
zufragen, wie viele Eingliederungsvereinbarungen es
gibt. Mit dem Hinweis, es stehe schon im Gesetz, werden
Sie nicht weit kommen.

Ich möchte noch eine weitere Bemerkung machen. Sie
haben mehrfach das Bild vom Hasen und Igel benutzt.
Dazu kann ich nur sagen: gut gebrüllt. Sie haben aber lei-
der viel zu kurz gedacht. Wenn Sie sich einmal an die ei-
gene Nase fassen, werden Sie feststellen, wie viele Ar-
beitslose, insbesondere jugendliche Arbeitslose, und
welch verpfuschte Arbeitsmarktpolitik Sie uns hinterlas-
sen haben. Ich kann mit Stolz und Überzeugung sagen,
dass diese Bundesregierung hier eine Menge auf den Weg
gebracht hat.

Unter Ihrer Regierungszeit sind die Zahlen der Lang-
zeitarbeitslosen, der jugendlichen Arbeitslosen und der
Arbeitslosen allgemein Jahr für Jahr bis auf Rekordhöhe
im Jahre 1998 angestiegen. Bei uns geht die Arbeitslosig-
keit zurück.


(Zuruf von der CDU/CSU: Demographie!)

Ich halte das für einen ganz wichtigen Erfolg.

Im Sommer werden wir eine schöne Reform des
SGB III machen. Dann werden Sie sich wundern. Bis da-
hin können Sie das, was Sie hier heute erzählt haben, noch
einmal nachlesen und darüber nachdenken.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207700
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Schnieber-Jastram, bitte.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1416207800
Es tut mir
für die Kollegen fast ein bisschen Leid, dass ich Ihre Zeit
noch länger in Anspruch nehmen muss.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist schon okay!)

Herr Andres, Sie machen ein zweites Mal den Fehler,

dass Sie so tun, als ob Ihre Arbeitsmarktpolitik in Ord-
nung sei. Sie ist nicht in Ordnung. Es gibt im Osten eine
eklatante Zunahme der Arbeitslosigkeit. Ich habe bisher




Birgit Schnieber-Jastram
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(C)



(D)



(A)



(B)


vermisst, dass diese Bundesregierung dazu klar Position
bezieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hinsichtlich der Arbeitsmarktdaten haben Sie von der

Registrierung der 630-Mark-Verhältnisse und von dem
demographischen Faktor profitiert, der bewirkt, dass jähr-
lich rund 200 000 Menschen in den Ruhestand gehen,
ohne dass entsprechender Nachwuchs da ist.

Um einen Bereich haben Sie sich aber fast nicht ge-
kümmert, nämlich um die Langzeitarbeitslosen. Wir müs-
sen diesen Leuten helfen, in Arbeit zu kommen. Es reicht
aber nicht, immer mehr Geld in Systeme zu stecken, son-
dern man muss schauen, mit welcher Effizienz dieses Geld
in den Systemen verwendet wird, wo es landet und ob es
dazu führt, dass sich Langzeitarbeitslose am Ende immer
auf der Drehscheibe von Qualifizierung und ABM befinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das ist die Situation. Das müssen auch Sie zugestehen.
Ich will das Hase-und-Igel-Spiel gar nicht gerne spielen.
Ich will Ihnen sagen, worum es uns geht: darum, diesen
Menschen zügig zu helfen und nicht so zu tun, als ob dies
längst passiert sei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416207900
Nächster Debatten-
redner ist der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Frak-
tion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1416208000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ich habe gerade eben gedacht: Wenn
Frau Schnieber-Jastram diese Rede zwischen 1987 und
1989 im Deutschen Bundestag gehalten hätte, hätte Sie
von der SPD-Fraktion mit Sicherheit tosenden Beifall er-
halten.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie waren so verblendet, Sie hätten mir niemals Beifall gezollt!)


Sie hätte damals tolle Chancen gehabt, die Projekte, die
sie jetzt anspricht, in praktische Politik umzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie hat damals auch gute Reden gehalten!)


Da war der Akku bei ihr aber leer.
Lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Es war viel Rhe-

torik und äußerst wenig Inhalt. Mit Ihrem Beitrag haben
Sie vielleicht genug heiße Luft ablassen können, um Ihre
Fraktion zu erwärmen. Sie haben aber keinen einzigen
konstruktiven Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit ge-
leistet.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)


Sie haben auch – das will ich Ihnen deutlich sagen – die
Erfolgsbilanz der jetzigen Regierung beim Abbau der Ar-
beitslosigkeit völlig ignoriert.

Da Sie hier Beispiele aus dem Ausland vorgetragen ha-
ben, will ich Ihnen die Zahlen von 1996, zur Zeit der
CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung, nennen: Arbeitslosen-
quote 10,4 Prozent, 37,27 Millionen Beschäftigte. Ein
Jahr später, 1997, während Ihrer Regierungsarbeit, war
die Arbeitslosenquote um 1 Prozent auf 11,4 Prozent ge-
stiegen; das war ein Abbau der Zahl der Erwerbspersonen
um 100 000. Wir haben 1998 die Regierungsverantwor-
tung übernommen und haben 1999 die erste Jahresbilanz
vorlegen können: Arbeitslosigkeit 10,5 Prozent, Aufbau
der Beschäftigung um 600 000 auf 37,94 Millionen. Das
sind Erfolgszahlen, die sich sehen lassen können.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Na ja!)

Das setzt sich dann auch im Jahre 2000 fort: Die Arbeits-
losenquote sinkt um 0,9 Prozent – von 10,5 Prozent auf
9,6 Prozent –, ein erneuter Anstieg der Zahl der Erwerbs-
personen um 400 000 ist zu verzeichnen, eine Million
Arbeitsplätze sind hinzugekommen. Das ist etwas ganz
anderes als das, was Sie hier darstellen. Sie malen
schwarz. Ich sage es noch einmal: Sie haben Sprechbla-
sen losgelassen, haben damit aber nicht einem einzigen
Arbeitslosen geholfen, in ein neues Beschäftigungsver-
hältnis zu kommen.


(Beifall bei der SPD)

Wenn man einen Blick in die aktuellen Zeitungen wirft,

dann könnte man in der Tat zu dem Eindruck gelangen,
dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leicht ist; denn
glaubt man selbst ernannten Experten, dann lässt sie sich
hervorragend auf statistische Weise bekämpfen. Man be-
reinigt nur die offizielle Arbeitslosenzahl um all dieje-
nigen, die angeblich aus verschiedenen Gründen Arbeit
suchen, und schon wäre die Arbeitslosenzahl halbiert.
Dann aber würden dieselben Gazetten ein Geschrei über
Taschenspielertricks und Milchmädchenrechnungen an-
stimmen. Dann würde plötzlich auch wieder die stille Re-
serve erwähnt. Es würden die erwähnt werden, die in Qua-
lifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen sind. Es
würde plötzlich ein ganz anderes Bild gezeichnet werden.
Deshalb sage ich hier heute ganz deutlich: Mit solchen Ta-
schenspielertricks lässt sich die Arbeitslosigkeit nicht
bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die anderen Schlagzeilen der letzten Wochen lauten:
Mehr Druck auf Arbeitslose, Zuckerbrot und Peitsche, die
Daumenschrauben gegenüber Arbeitslosen wieder anzie-
hen. – Das sind im Kern mittelalterliche Methoden, mit
denen in der Öffentlichkeit ein Zerrbild über die Arbeits-
losigkeit dargestellt wird, aber nicht ein einziger zusätzli-
cher Arbeitsplatz geschaffen worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist eben ein neoliberaler Trugschluss, dass man nur
mehr Druck auf Arbeitslose ausüben muss, damit sie vor-
handene Arbeitsplätze auch annehmen. Sie wissen, dass
das Unsinn ist. Sie wissen, es fehlen Arbeitsplätze, nicht
Arbeitswillige. Zuckerbrot und Peitsche – das ist nicht so-
zialdemokratische Politik. Damit lässt sich die Arbeitslo-
sigkeit jedenfalls nicht senken.




Birgit Schnieber-Jastram

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(C)



(D)



(A)



(B)


Seit dem Regierungswechsel – ich habe die Zahlen an-
gesprochen – können wir eine äußerst positive Bilanz vor-
legen. Wir werden diesen erfolgreichen Weg zum Abbau
der Arbeitslosigkeit natürlich weiter fortsetzen. Wir wer-
den auf diesem Erfolgsweg weiterkommen, indem wir
eine Vermittlungsoffensive starten,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Oh!)

die jetzt ganz konkret angegangen wird.

Sie, liebe Frau Schnieber-Jastram, schlagen stattdessen
den Aufbau einer Arbeitslosenpolizei vor. Ich sage dazu:
Anstatt die Vermittlungs- und Qualifizierungsbemü-
hungen der Arbeitsämter zu stärken, wollen Sie dafür sor-
gen, dass der Missbrauchsverdacht und die Ressourcen
der Arbeitsämter – –


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Lesen Sie unseren Antrag! Dann wissen Sie, was wir vorschlagen!)


– Ich habe die Vorschläge von Herrn Merz gelesen. Wol-
len Sie sich von dem, was Ihr Fraktionsvorsitzender dazu
gesagt hat, distanzieren? Das ist ja noch schöner. Es ist
hoch interessant, dass Sie sich von Ihrem Fraktionsvorsit-
zenden distanzieren wollen. Wir stellen das fest. Sie wer-
den dann also gemeinsam mit uns die Arbeitsmarktpolitik
offensiv angehen und sich von Ihren Irrwegen distan-
zieren.

Die CDU hat auf diesem Gebiet, wie ich es einschätze,
doch einige Schwierigkeiten. Ich will es deutlich sagen:
Wenn sie mit dieser Missbrauchsdebatte fortfährt, dann
müsste ich fragen: Was macht sie eigentlich, wenn die
Steuerfahndung jeden Unionspolitiker durchleuchtet,
weil einige wenige Kollegen bei der Verbuchung von
Spenden nicht korrekt gehandelt haben?


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das finde ich unverschämt!)


– Das ist nicht unverschämt, sondern das ist der Kern des-
sen, was Sie durch Ihr Zündeln bezüglich der Nichtar-
beitswilligkeit von Arbeitslosen an den Tag legen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Diffamierung statt Argumente!)


Auch der zweite Vorschlag Ihrer Fraktion geht fehl,
weil Sie vorschlagen, in den neuen Bundesländern – das
habe ich sehr wohl gelesen – arbeitsrechtliche Regelun-
gen außer Kraft zu setzen, um zum Beispiel Sozialdum-
ping, Tarifdumping und Niedriglöhne zu ermöglichen.
Glauben Sie etwa ernsthaft, dass mit diesen Mitteln ein
Zuwachs an Beschäftigung erzielt werden kann? Sie ha-
ben den Menschen im Osten vor 1998 etwas vorgemacht
und Ihr Ehrenvorsitzender a. D. hat blühende Landschaf-
ten versprochen. Das war eine Fehleinschätzung. Dafür
müssen Sie sich auch heute in die Verantwortung nehmen
lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es nämlich ein Erfolg versprechender Weg wäre,
dass mit Tarif- und Sozialdumping neue Arbeitsplätze ent-
stehen könnten, dann müssten wir im Osten das Paradies

in dieser Republik vorfinden. Das muss einmal ganz deut-
lich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das Leitbild sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik
lautet: fördern und fordern. Die Reihenfolge war ganz be-
wusst gewählt: erst das Fördern, dann das Fordern. Die
Koalitionsfraktionen haben sich in dieser Legislaturpe-
riode darauf verständigt, das Arbeitsförderungsrecht
wirksamer auszugestalten. Dabei sollen möglichst viele
Mittel von passiven in aktive Leistungen umgeschichtet
werden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Des Kaisers neue Kleider!)


Besondere Bedeutung haben die Beschäftigung von
Frauen und eine bessere Verzahnung mit regionaler Struk-
turpolitik. Soweit unsere grundsätzlichen Ziele.

Zur Umsetzung haben wir gesagt: Eine Reform des
SGB III braucht eine gründliche Vorbereitung. Anderer-
seits bestand aber auch Handlungsdruck. Ich habe auf die
Daten zu Beginn der Regierungsübernahme hingewiesen.
Deshalb haben wir aufgrund der hohen Dimension der
Jugendarbeitslosigkeit, die keinen Aufschub duldete,
sofort gehandelt, haben das JUMP-Programm aufgelegt
und es erfolgreich fortgesetzt. Im Übrigen haben wir auch
den Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit, das Sie
als Teestunde bezeichnen, zustande gebracht.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist es ja auch!)


Die entsprechenden Zahlen machen heute deutlich, dass
das Bündnis für Arbeit ein erfolgreiches Projekt dieser
Bundesregierung ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Die Vorschriften, die Sie uns hinterlassen haben, waren
teilweise schlicht verfassungswidrig. Ich will hier nur das
Stichwort Einmalzahlungen bringen. Auch hier haben wir
sofort gehandelt. Wir haben verfassungsmäßiges Recht
geschaffen. Seit Jahresanfang ist gesetzlich sichergestellt,
dass Sozialbeiträge auf Weihnachts- und Urlaubsgeld
tatsächlich zu höheren Lohnersatzleistungen führen. Für
einen Empfänger von Arbeitslosengeld bedeutet dies im
Durchschnitt 8 Prozent mehr Geld in der Börse. Das ist
gerecht. Das ist notwendig.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie sollten die Beiträge senken! Aber Sie kassieren lieber ab! – Gegenruf der Abg. Erika Lotz [SPD]: Wie halten Sie es mit der Verfassung, Herr Niebel?)


– Herr Niebel, ich höre gerade, dass Sie die Leistungen im
Kern senken wollen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Nein! Das ist nicht wahr! Ich komme gleich dran! Dann kann ich Ihnen das erklären!)





Klaus Brandner
15842


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(A)



(B)


Das ist keine sozialdemokratische Politik. Sie wollen die
Leistungen senken. Das haben Sie gerade gesagt. Das
werden wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land
deutlich machen.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist weit weg von der Wahrheit, was Sie erzählen! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/ CSU]: Sie wissen wirklich gar nicht, was Sie wollen!)


Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen: Sie
haben Vorschriften geschaffen, die aus meiner Sicht un-
sinnig sind und im Übrigen die Vermittlungsbemühungen
der Arbeitsämter lähmen. Ich will das Stichwort Melde-
fristen für Arbeitslose aufgreifen. Wir haben diese unsin-
nige Regelung aus dem Arbeitsförderungsgesetz gestri-
chen, weil wir nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Zeit
für aktive Vermittlungsgeschäfte brauchen.

Deswegen haben wir, viertens, auch aus dem Bündnis
für Arbeit wichtige Impulse aufgenommen. Ich nenne das
Beispiel Altersteilzeit. Das Gesetz zur Altersteilzeit, das
Sie 1997 verabschiedet haben, war ein Fehlschlag und Sie
wissen das, Frau Schnieber-Jastram. Ihre Maßnahme hat
dazu geführt, dass weniger als 5 000 Beschäftigte pro Jahr
die Möglichkeiten des Gesetzes in Anspruch genommen
haben, weil Ihr Gesetz eben nicht praxistauglich war. Wir
haben es verbessert. Wir wissen heute, dass durch das Al-
tersteilzeitgesetz viele junge Menschen erstmals eine Be-
schäftigungsmöglichkeit erhalten haben. Insofern ist auch
dieses Instrument – ein Ergebnis aus dem Bündnis für Ar-
beit – erfolgreich.

Ich will als fünften Punkt ansprechen: Die jetzige Bun-
desregierung hat die Ausgaben für die aktive Arbeits-
marktpolitik auf hohem Niveau verstetigt. Das war ein
Wahlversprechen und wir haben es gehalten. In diesem
Jahr stehen allein 44 Milliarden DM – also 6 Milliar-
den DM mehr als 1998 unter Ihrer Regierung – für aktive
Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Die Arbeitslosenzah-
len sind deutlich gesunken, weil wir noch mehr finanzi-
elle Mittel für ein hohes Aktivierungsniveau einsetzen.
Das zeigt: Wir haben mit der Stop-and-go-Politik der Vor-
gängerregierung Schluss gemacht, die für den Arbeits-
markt keine verlässliche Planungssicherheit geschaffen
hat.


(Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf-ABM!)

Schauen Sie sich einmal die Datenlage an: Sie haben 1997
den Haushalt stark aufgestockt, um im Wahlkampfjahr
1998 massenhaft ABM-Stellen schaffen zu können, damit
die Arbeitsmarktmisere verschleiert wird.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sagen Sie doch etwas zu den eigenen Erfolgen!)


Lassen Sie mich klar sagen: Wir sind nicht für Stroh-
feuer, sondern für eine verlässliche, konkrete und konti-
nuierliche Arbeitsmarktpolitik. Dazu müssen die Mittel,
die zur Verfügung stehen, auf hohem Niveau verstetigt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind, im Gegensatz zu Ihnen, eine Reform des
Arbeitsförderungsgesetzes angegangen, eine Reform,
die im nächsten Jahr umgesetzt wird. Bei dieser Reform
geht es nicht darum, kurzfristig mehr Geld in die Bundes-
anstalt für Arbeit zu pumpen, sondern darum, dauerhaft
die Möglichkeiten der Arbeitsförderung zu verbessern.
Wir werden dazu noch vor der Sommerpause – das ist un-
sere Absicht – einen Gesetzentwurf vorlegen. Wir wollen
dabei gute Beispiele aus unseren Nachbarländern, die hier
schon mehrfach angesprochen worden sind, aufgreifen.
Die Förderung von Jobrotation ist eines dieser erfolgrei-
chen Beispiele. Über unseren Antrag hierzu werden wir
im Anschluss an die Debatte abstimmen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Schön, dass Sie noch was zum Thema sagen!)


Von Jobrotation ist in den letzten Monaten vielfach die
Rede gewesen. Meine Koalitionskollegin, Frau Dückert,
hat es angesprochen, Frau Schnieber-Jastram. Ich will
dazu ganz deutlich sagen: Dieses erfolgreiche Instrument
– in den Nachbarländern, aber auch bei uns in Nordrhein-
Westfalen und in anderen Bundesländern erprobt – ist ein
Baby, das viele Väter und Mütter hat.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen Mütter!)


Weil das so ist, hat keiner der hier Anwesenden einen An-
spruch auf ein alleiniges Copyright in Bezug auf diese Ak-
tivitäten. Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen mehr
Jobrotation.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Der Antrag von uns liegt seit einem Jahr im Ausschuss! Wir haben es doch zuerst eingebracht! Hätten Sie vor einem Jahr zugestimmt, wären wir heute schon weiter!)


– Ihr Antrag – das müssen Sie den Bürgerinnen und Bür-
gern sagen – ist eingeschränkt und zielt auf ältere Be-
schäftigte ab. Unser Antrag geht erheblich weiter und ist
damit erheblich zukunftsweisender. Sie müssen die Öf-
fentlichkeit darüber aufklären, welche Elemente Ihr An-
trag tatsächlich enthält. Er unterscheidet sich von dem,
was wir vorgelegt haben, doch ganz erheblich, Frau
Schnieber-Jastram.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Namen, die darüber stehen, sind andere!)


Ich bin froh, dass die Opposition heute dafür ist. Die
Union ist allerdings nur zaghaft dafür; ich habe es bereits
angesprochen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie hätten es eher haben können!)


– Sie sind deswegen nur zaghaft dafür, weil Sie ja nur be-
fristete Modellprojekte, begrenzt auf ältere Arbeitslose,
fordern. In diesem Zusammenhang sollten sich die Christ-
demokraten dieses Hauses ein Beispiel an Ihren Freunden
an Rhein und Ruhr nehmen, die dort zusammen mit den
Sozialdemokraten eine Initiative zur Jobrotation in NRW
ausdrücklich unterstützen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben immer noch nicht verstanden, wo die Probleme auf dem Arbeitsmarkt liegen!)





Klaus Brandner

15843


(C)



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(A)



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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416208100
Herr Kollege
Brandner, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1416208200
Wir werden im Arbeitsförde-
rungsgesetz vieles ändern, was insbesondere den Bereich
Jobrotation betrifft, das heißt, wir wollen Beschäftigte für
Weiterbildungszwecke freistellen und deren Arbeitsplätze
mit Arbeitslosen befristet besetzen. Sie sollen Lohnkos-
tenzuschüsse erhalten. Wir wollen keine Beschäftigung
zweiter Klasse. Wir wollen insbesondere auch nicht in das
Tarifgefüge eingreifen. Vielmehr wollen wir


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie wissen nicht, was Sie wollen!)


sozial abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse durch das
Jobrotations-Programm schaffen. Bei der Jobrotation
werden zwei Ziele miteinander verknüpft, nämlich einer-
seits Arbeitslosen neue Chancen zu eröffnen und anderer-
seits den in den Betrieben Beschäftigten die Möglichkeit
zur Weiterbildung zu geben.

Lassen Sie mich als letzten Gedanken sagen: –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416208300
Herr Kollege, das
muss wirklich ein kurzer Gedanke sein. Sie hatten ausrei-
chend Redezeit.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1416208400
– Nach Untersuchungen wer-
den im Jahr 2005 80 Prozent der Arbeitnehmer Ausbil-
dungen haben, die älter als zehn Jahre sind. Gleichzeitig
werden 80 Prozent der Technologien jünger als zehn Jahre
sein. Das zeigt die Bedeutung des lebenslangen Lernens –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416208500
Herr Kollege
Brandner, das ist unfair gegenüber den anderen Kollegin-
nen und Kollegen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1416208600
– und die Notwendigkeit fle-
xibler Instrumente zur Förderung der beruflichen Weiter-
bildung. Diese Ziele verfolgen wir.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416208700
Nächster Redner ist
der Kollege Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1416208800
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
gen! Selbstverständlich werde ich das verbotene Wort
nicht benutzen. Aber Herr Brandner war mit seinen Aus-
führungen so weit weg von der Wahrheit, dass es schwie-
rig sein wird, das in dreieinhalb Minuten richtig zu stel-
len.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Brandner, beim besten Willen, eines muss man klar-
stellen, weil Sie hier versuchen, alte und von Ihrer Seite
gerne gepflegte Vorurteile weiterhin zu verbreiten: Die

F.D.P. ist unter anderem deshalb die Partei der sozialen
Verantwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass es sich
wieder mehr lohnt, zu arbeiten als nicht zu arbeiten. Des-
wegen müssen Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, ge-
schaffen und erhöht werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein Sozialhilfeempfänger kann, wenn er arbeitet, im
Höchstfall 275 DM dazuverdienen. Sie müssen die Frei-
beträge erhöhen, damit der Anreiz, eine Tätigkeit, auch
wenn sie schlechter bezahlt ist, aufzunehmen, deutlich
stärker wird, als in der Arbeitslosigkeit und im System der
Transferleistungen zu verharren.

Herr Kollege Brandner, man muss ganz klar feststel-
len: Es lebt sich in diesem Land zwar nicht komfortabel
von Sozialhilfe. Aber man muss dafür sorgen, dass sich
Arbeit lohnt. Derjenige, der arbeitet, muss mehr in der Ta-
sche haben als derjenige, der nicht arbeitet. Wenn Sie be-
haupten, wir wollten die Sozialleistungen kürzen, dann
sage ich Ihnen ganz klar: Das ist falsch. Das Lohnab-
standsgebot lässt sich dadurch einhalten, dass man die
Einkommen der Arbeitnehmer von Steuern und Abgaben
entlastet, dass man also dafür sorgt, dass derjenige, der be-
schäftigt ist, mehr von dem hat, was er sich erarbeitet hat,
und nicht dadurch, dass man denjenigen, die ohnehin fast
nichts haben, noch etwas wegnimmt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Brandner [SPD])


– Herr Brandner, Sie hatten Zeit genug, zu reden.
Herr Kollege Andres, Sie haben richtigerweise auf die

Veröffentlichungen der letzten Wochen hingewiesen und
unter anderem auf einen Bericht im „Focus“ von letztem
Montag angespielt, in dem es um das Pro und Kontra hin-
sichtlich der Meldepflicht geht. Sie haben festgestellt
– das stimmt auch –, dass ich mehrere Jahre Arbeitsver-
mittler gewesen bin, ehe ich in den Deutschen Bundestag
gewählt worden bin. Deswegen nehme ich mir auch das
Recht heraus, meine Fachkompetenz, die ich mir auf die-
sem Gebiet erworben habe, in die politische Arbeit einzu-
bringen.

Sie schlagen uns verschiedene Wundermittel aus der
rot-grünen Mottenkiste vor, die alle in höchstem Maße
personalintensiv sind. Der Einarbeitungsplan bedingt
ebenso wie die Jobrotation die Erhebung eines umfassen-
den Bewerberprofils. Qualifizierungsnotwendigkeiten
müssen erkannt werden. Die Menschen müssen während
und auch nach der Vermittlung betreut werden, also auch
dann, wenn sie eine Stellvertreterstelle bekommen haben.
Der Arbeitsvermittler muss sich ein Bild von dem zu ver-
mittelnden Arbeitslosen machen können. Das kann er sich
nur ganz schwer machen, wenn er 600 bis 800 arbeitslose
Menschen betreut und wenn der Arbeitslose, wie von Ih-
nen beschlossen, noch nicht einmal die Pflicht hat, einmal
in drei Monaten zu seinem Arbeitsvermittler zu gehen.
Das ist doch völlig widersinnig. Sie müssen bedenken,
wie arbeitsintensiv die Tätigkeiten sind, die Sie von den
Arbeitsvermittlern verlangen.

Als Erstes müssen Sie vermittlungsfremde Tätigkeiten
abbauen. 685Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit be-






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(D)



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(B)


schäftigen sich mit nichts anderem als mit der Erteilung
von Arbeitsgenehmigungen. Die Zahl der Vermittler, die
das Prüfverfahren durchführen, ist darin noch nicht ent-
halten. Herr Jagoda und Herr Bsirske fordern schon mehr
Beamtenstellen für die Bundesanstalt für Arbeit. Gehen
Sie doch einmal andere Wege: Machen Sie eine Aus-
schreibung und vergeben Sie den Auftrag an Externe. Las-
sen Sie Privatleute das Profiling, das Coaching und das
Controlling durchführen. Vielleicht erreichen Sie dann
eher einen Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt, der dazu
führt, dass die tatsächlich Benachteiligten vernünftig be-
treut werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das von Ihnen vorgeschlagene Instrumentarium ist

nicht neu. Sowohl der Eingliederungsplan als auch die
Sanktionen, die bei Ablehnung zumutbarer Beschäftigung
oder Qualifizierung verhängt werden, stehen schon im
Gesetz. Neu ist nur – das muss man festhalten; das befür-
worten wir ausdrücklich –, dass sich insbesondere die So-
zialdemokratie zu diesem Instrumentarium bekennt.

Wir müssen zu einem Punkt kommen, an dem es selbst-
verständlich ist, dass derjenige, der eine Leistung von der
Allgemeinheit bezieht, auch grundsätzlich selbst die Be-
reitschaft hat, eine Gegenleistung zu erbringen. Die kann
darin bestehen, eine Tätigkeit aufzunehmen; die kann
darin bestehen, in Qualifizierungsmaßnahmen zu gehen;
die kann darin bestehen, gemeinnützige Arbeit zu leisten;
mit Sicherheit gehört aber dazu, wenigstens einmal alle
drei Monate zu seinem Arbeitsvermittler zu gehen, damit
der bei 600 bis 800 zu betreuenden Personen überhaupt
weiß, mit wem er es zu tun hat. An diesem Punkt sind Sie
mit Ihrer Politik bisher auf dem falschen Weg.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zusätzliche Bürokratie ohne echte Angebote, das hilft doch überhaupt nicht! Das wissen Sie doch auch! Das ist doch wieder so ein Placebo, was Sie vorschlagen!)


Der Bundeskanzler hat sein Ziel, auf 3,5 Millionen Ar-
beitslose zu kommen, außerordentlich niedrig angesetzt.
Das schafft er auf jeden Fall – selbst wenn er unter einem
Stein sitzt und nicht regiert – schon allein aufgrund der
demographischen Entwicklung. Sie wollen sich jederzeit
an Ihrem Erfolg in diesem Punkt messen lassen. Das wer-
den wir tun; dem müssen Sie sich stellen. Sie brauchen
aber nicht mit Spielchen aus der Statistik zu kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416208900
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Klaus Grehn für die
PDS-Fraktion.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1416209000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schnieber-Jastram,
ich würde gerne bei Ihrem Bild mit dem Autofahren blei-
ben. Ich habe in den Jahren Ihrer Regierungszeit das Ge-
fühl gehabt, Sie haben mit dem Versprechen des ehemali-
gen Bundeskanzlers, die Zahl der Arbeitslosen zu

halbieren, den fünften Gang einlegen wollen. Doch an-
statt im fünften Gang loszufahren, hat das Auto gebockt,
ist zurückgerollt und den Arbeitslosen über die Füße ge-
fahren,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Und der Fahrer wurde abgeworfen!)


weil Sie alle Bedingungen für die Arbeitslosen verschärft
haben.


(Beifall bei der PDS)

Was die Regierungskoalition nunmehr vorgelegt hat –

Jobrotation –, ist zwar nicht in ihrem Garten gewachsen,
aber auch Sie, meine Damen und Herren von der Regie-
rungskoalition, legen – um bei dem erwähnten Bild zu
bleiben – sozusagen den ersten Gang ein, haben aber die
Kupplung noch getreten. Nehmen Sie den Fuß von der
Kupplung.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die muss man auch erst einmal treten! Können Sie überhaupt Auto fahren?)


– Ja, Sie haben den Gang drin. Nehmen Sie das Bein von
der Kupplung!


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Bitte? Können Sie eigentlich Auto fahren?)


Sie haben jetzt angekündigt, Sie würden den Fuß von
der Kupplung nehmen, indem Sie das SGB III novellieren
wollen. Aber das scheint mir auch so eine Geschichte zu
sein! Wenn daraus das wird, was der Herr Staatssekretär
Andres verkündet hat, wenn es sich also – obwohl es doch
um Rechte und Pflichten geht – auf eine Verschärfung der
Pflichten beziehen wird, dann wird das sehr problematisch.


(Klaus Brandner [SPD]: Ich habe doch dazu etwas gesagt!)


– Na ja, gut, Herr Brandner, ich beziehe mich auf den Jah-
reswirtschaftsbericht 2001.


(Klaus Brandner [SPD]: Da steht etwas von Jobrotation drin!)


– Nein, da steht drin, dass die Bereitschaft der Arbeitslo-
sen zur Arbeitsaufnahme durch entsprechende Anreize er-
höht und die Beschäftigungsfähigkeit verbessert werden
sollen. Nun beantworten Sie mir doch einmal die Frage,
für wie viele der Arbeitslosen das zutrifft und was Sie ei-
gentlich bei den anderen machen, die keinen Anreiz, son-
dern bloß einen Arbeitsplatz brauchen.


(Zuruf von der SPD: Die sind doch alle bereit!)


Darauf haben Sie keine Antwort.
Wir stimmen der Jobrotation natürlich zu, weil damit

– wie gesagt – der erste Gang drin ist. Wir hoffen, dass Sie
all jene, die zu der Lösung des Problems der Arbeitslo-
sigkeit, die nach wie vor unerträglich hoch ist, etwas zu
sagen haben, bei der Vorbereitung der Novellierung des
SGB III an den Tisch holen, dass Sie zu einem Vorschlag
kommen, der akzeptabel ist und nicht nur in der Über-
nahme alter Ideen,


(Beifall bei der PDS)





Dirk Niebel

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(C)



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(A)



(B)


sondern darin besteht, dass Sie eigene Wege, und zwar
neue und angemessene, beschreiten und dass Sie nicht im
eigenen Saft weiterschmoren. An diesem Punkt ist mo-
mentan nichts zu hören und nichts zu sehen. Deswegen
bleibt es dabei, dass die Arbeitslosen und ihre Organisa-
tionen nach Ihren Äußerungen, Herr Staatssekretär, genau
das Gleiche wie bei der Vorgängerregierung befürchten,
nämlich dass die Arbeitslosen und nicht die Arbeitslosig-
keit bekämpft werden, dass sie also vom Regen in die
Traufe kommen und erneut der Bekämpfung unterliegen,
statt dass ihnen neue Arbeitsplätze angeboten werden.

Gestern Abend haben wir ja gemeinsam in einer Runde
gesessen. Ich habe Ihnen dabei Vorschläge unterbreitet;
Sie haben darauf eher ideologisierend geantwortet. Las-
sen Sie das! Lassen Sie uns lieber in die Sachdiskussion
einsteigen! Dann können wir uns mit Sachargumenten ge-
genseitig befruchten und zu Ergebnissen kommen, die
dem Land gut tun und die den Arbeitslosen gut tun.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416209100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
zialordnung, Drucksache 14/5608, auf. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Jobrotation im
Arbeitsförderungsrecht verankern“, Drucksache 14/5245.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU mit dem Titel „Bessere Erwerbsaus-
sichten für ältere Arbeitnehmer durch bessere
Qualifizierung“, Drucksache 14/2909. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Frak-
tion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar

Wöhrl, Dr. Heinz Riesenhuber, Gerda Hasselfeldt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Steuerliche Rahmenbedingungen für die Ge-
währung von Aktienoptionen an Mitarbeiter

(stock options) verbessern

– Drucksache 14/5318 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Keine Steuer beim Aktientausch
– Drucksache 14/3009 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1416209200
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
legen! Wir reden in Deutschland seit über einem Jahr über
Aktienoptionen. Professor Schindler, Sprecher einer Ini-
tiative von 40 Unternehmen aus dem IT-Bereich, hat
schon vor einem Jahr gefordert, dass die Aktienoptionen
in Deutschland so besteuert werden, dass wir im interna-
tionalen Vergleich konkurrenzfähig sind.

Wir waren voller Zuversicht, als der Staatssekretär
Siegmar Mosdorf im Frühling letzten Jahres eine energi-
sche Initiative der Bundesregierung angekündigt hat. Wir
waren noch hoffnungsvoller, als wir zu unserer Freude be-
merkten, dass der hochverehrte Herr Bundeskanzler im
Sommer des vergangenen Jahres angekündigt hat, diese
Angelegenheit zur Entscheidung zu führen und im Bünd-
nis für Arbeit zu behandeln. Die damals eingesetzte Ar-
beitsgruppe ist für uns bis heute nicht erkennbar. Wir wa-
ren glücklich, als wir gehört haben, dass unsere Kollegin,
die Parlamentarische Staatssekretärin Wolf, im Januar
dieses Jahres die Verbesserung der Besteuerung von Ak-
tienoptionen zum Thema gemacht hat.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ankündigungspolitik!)


Der BDI hat mit großem Fleiß seine Hausaufgaben ge-
macht und im September ein Konzept vorgelegt. Der
DIHT hat sich eindeutig geäußert. Das Deutsche Aktien-
institut hat sich kürzlich in gleicher Art und Weise
geäußert. Die Bundesregierung hat mit großer Zuversicht
dargestellt, was sie tun will. Aber Sie wissen: Ein großer
deutscher Philosoph hat einmal festgestellt: „Mögen täten
wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns leider nicht
getraut.“ Das war eine der bedeutenden Aussagen von
Karl Valentin.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben im Vertrauen auf die Bundesregierung ge-

glaubt, ein Antrag sei nicht nötig. Heute legen wir unse-
ren Antrag vor. Ein breiter Konsens, der anscheinend die
Voraussetzung für ein markiges Handeln der Bundesre-
gierung ist, zeichnet sich zwischen den Betroffenen, den
Sachverständigen und den Verbänden ab. Die Bundesre-




Dr. Klaus Grehn
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(D)



(A)



(B)


gierung, die den Konsens braucht, bevor sie „springt“,
kann jetzt also in der Tat handeln.

Die Angelegenheit ist dadurch vorangebracht worden,
dass der Bundesrat inzwischen einen Beschluss gefasst
hat. Dieser Beschluss, dessen Inhalt sich mit dem unseres
Antrages deckt, war eindeutig und einstimmig. Wir stel-
len mit Freude fest, dass die Bundesratsvorlage von
Rheinland-Pfalz eingebracht worden ist. Dort regieren
derzeit SPD und F.D.P. Es gibt also einen Konsens zwi-
schen CDU/CSU, F.D.P. und SPD. Damit ist die Grund-
lage für ein mutiges, entschlossenes und tatkräftiges Han-
deln der Bundesregierung gegeben.

Was wollen wir? Wir wollen, dass Mitarbeiter in einem
wachsenden Maße Anteilseigner werden. Das ist ein altes
Thema. Den Durchbruch auf ganzer Linie haben wir ei-
gentlich noch nicht geschafft. Vor fast 40 Jahren habe ich
über dieses Thema mit Schorsch Leber – er war damals
Abgeordneter aus meinem Wahlkreis – diskutiert. Er hat
dieses Ziel mit Vehemenz vertreten; doch er scheiterte am
Widerstand der Gewerkschaften. Jahre später hat Profes-
sor Burgbacher – er stand den Arbeitgebern nicht fern –
die Sache mit Vehemenz vertreten; doch er scheiterte am
Widerstand der Arbeitgeber. Es ist schon wahr, dass sich
die ganze Angelegenheit nur mühsam und schrittweise in
die richtige Richtung entwickelt hat. Diese kleinen
Schritte sind aber nicht ausreichend. Entscheidend ist,
dass wir jetzt weiter vorankommen.

Wo müssen wir ansetzen? Mitarbeiter müssen Anteils-
eigner werden. Dann sind sie sehr stark daran interessiert,
dass ihre Unternehmen erfolgreich sind. Sie können dann
an diesem Erfolg teil haben. Das gilt besonders für die
jungen und innovativen Unternehmen, die am Neuen
Markt gelistet sind. Das sind Firmen im Bereich des In-
ternet, der Software und der Biotechnologie, die mit einer
ganz neuen Strategie den Technologietransfer aus der
Wissenschaft in die Märkte organisieren. Hierin liegt die
größte Chance unserer Wirtschaft. Bisherige Mechanis-
men des Technologietransfers aus der Wissenschaft waren
nur begrenzt erfolgreich. Diese Firmen organisieren jetzt
den Transfer auf direkte Weise. Dabei kämpfen die ein-
zelnen Mitarbeiter um Erfolge. Wir müssen ihnen helfen,
in diesem Wettbewerb erfolgreich zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die neuen Unternehmen haben Kompetenz und Enga-

gement, aber sie haben kein Geld; sie leben davon, die
besten Köpfe aus unserem Land und aus anderen Ländern
als Mitarbeiter zu gewinnen. Diese Spezialisten sind fle-
xibel; sie sind in den verschiedensten Ländern zu Hause.
Die entscheidende Frage lautet daher: Können wir Bedin-
gungen bieten, die so gut sind wie die in anderen Län-
dern? In Bezug auf Aktienoptionen muss man feststellen,
dass die Situation bei uns ungünstiger ist als in anderen
Ländern.

Wie sieht der Vergleich mit anderen Ländern aus? Man
kann die Steuersysteme der Länder untereinander nur
schlecht vergleichen, weil sie völlig unterschiedlich sind.
Auch können wir feststellen, dass in den einzelnen Steuer-
systemen Aktienoptionen ganz unterschiedlich behandelt
werden. Beispielsweise erfolgt in Belgien zum Zeitpunkt

der Gewährung der Option eine Besteuerung mit 7,5 Pro-
zent. Dieser Steuersatz erhöht sich geringfügig, wenn die
Aktie länger gehalten wird. Wir haben hier also eine früh-
zeitige und günstige Besteuerung. In Großbritannien liegt
die „capital gains tax“ – ich will jetzt nicht die Son-
dervorschriften erläutern – bei 20 Prozent. Trotz der un-
terschiedlichen Ansätze handelt es sich um sehr attraktive
Konstruktionen in diesen Ländern.

Wir aber haben immer noch einen viel zu hohen Spit-
zensteuersatz. Selbst nach der „kühnen“ und „energi-
schen“ Steuerreform der Bundesregierung ist er mit knapp
unter 50 Prozent noch beachtlich. Hinzu kommt noch der
Solidaritätszuschlag und bei manchen die Kirchensteuer.
Die Steuern läppern sich auf rund die Hälfte des Einkom-
mens zusammen. Unsere im Vergleich zu anderen Län-
dern nicht übermäßig attraktiven Bedingungen bergen das
Risiko, dass die guten Leute abwandern oder dass deut-
sche Firmen, wie es schon geschehen ist, einen neuen
Standort in anderen Ländern suchen, um dort die guten
steuerlichen Rahmenbedingungen zu nutzen. Dieser Vor-
gang ist unerfreulich und ärgerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann in diesem Zusammenhang über verschie-

dene Konstruktionen sprechen. Es ist unter psychologi-
schen Gesichtspunkten schon verständlich, dass vor eini-
ger Zeit viele Menschen glaubten, Aktienoptionen seien
nichts anderes als eine Lizenz zum Gelddrucken; denn es
war schon faszinierend zu beobachten, wie der Neue
Markt bis zum März des vergangenen Jahres immer neue
Höchststände erreichte. Es ist klar, dass man angesichts
dieser Entwicklung auf die Idee kam, einen immer größe-
ren Anteil des Einkommens auf Aktienoptionen umzu-
schichten, um Steuern zu sparen. Diese Psychologie
müsste auch ein tüchtiger Finanzstaatssekretär verstehen.

Dass aber die Entwicklung der Aktienmärkte nicht nur
in eine Richtung geht, sondern dass die Aktienkurse auf-
grund der komplexen Marktsituation auch fallen können,
wie es zurzeit mit einer gewissen Nachhaltigkeit der Fall
ist, das ist die andere Seite der Medaille.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aktienoptionen sind nicht nur ein Teil des Einkommens
im klassischen Sinne; ein Arbeitnehmer setzt nämlich ein
Teil seines Einkommens einem Risiko aus. Wenn er Pech
hat, verringert sich im Falle sinkender Aktienkurse der
Wert dieses Teils.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann wird er Sozialhilfeempfänger!)


Gerechterweise muss man in die Überlegung die Tat-
sache einbeziehen, dass es sich nicht um ein klassisches
Einkommen handelt und somit ein Sondertatbestand ge-
geben ist. Wir müssen also eine Lösung finden, die dem
Risiko des Arbeitnehmers gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie wollen wir das angehen? Sich in diesem schwieri-

gen Gelände auf ein Modell festzulegen ist heikel, denn
dann muss man über die Details sprechen. Es ist nicht
Aufgabe des Bundestages, die Arbeit der tüchtigen




Dr. Heinz Riesenhuber

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(C)



(D)



(A)



(B)


Beamten zu erledigen. Wir sollen die politische Richtung
bestimmen und Eckpunkte vorgeben, und die Beamten
werden dann schon mit der großen Weisheit, die ihnen Ei-
gen ist, einen vorzüglichen Weg finden, das umzusetzen.
Ob die Unterscheidung zwischen handelsfähigen und
nichthandelsfähigen Optionen nötig ist, scheint mir eher
eine technische als eine politische Frage zu sein. Dass
man die Wahlfreiheit des Besteuerungszeitpunktes ge-
währt, scheint mir allerdings eine vernünftige Regelung.
So kann man nämlich entscheiden, ob die Aktienoptionen
zum Zeitpunkt der Gewährung oder der Ausübung der
Option besteuert werden sollen. Die beiden Beispiele aus
Großbritannien und aus Belgien, die ich eben gebracht
habe, zeigen, welche Bandbreite bei diesem Modell mög-
lich ist.

Wichtig ist, dass wir insgesamt konkurrenzfähige Steu-
ersätze – in welcher Konstruktion auch immer – gegen-
über den Bedingungen in anderen Ländern bekommen.
Schließlich muss es zunächst europäisch und dann auch
international so geregelt werden, dass es beim Übergang
eines Mitarbeiters von einem Land ins andere Land – auch
hierzu gibt es konkrete Vorschläge, die europäisch abge-
stimmt worden sind – keine Steuerprobleme bei der Mit-
nahme der Optionen gibt. Ob man jetzt in dem Land be-
steuert wird, wo die Option gewährt wurde, oder in dem,
wo die Option ausgeübt wird, ist nicht der Streitpunkt. Die
Hauptsache ist, dass wir ein konkurrenzfähiges Steuersys-
tem aufbauen, in dem die Sache mit einfachen und klaren
Vorschriften geregelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, der
Neue Markt befindet sich in einer schwierigen Phase.
Aber in schwierigen Zeiten ist es sinnvoll, ein wenig zu
helfen. Auch wenn die Optionen, die früher bei Höchst-
kursen gewährt wurden, heute nicht mehr sehr viel wert
sind, so haben doch die Leute, die heute Aktienoptionen
bekommen, die Chance, dass die Kurse vom heutigen Le-
vel aus wieder steigen. Somit ist dieses Gesetz auch at-
traktiv, wenn das Geld am Neuen Markt knapp wird.

Schließlich müssen wir die Innovationen, die von Neu-
gründungen ausgehen, stärken. Dazu braucht man ent-
sprechende Rahmenbedingungen. Hier könnte die Bun-
desregierung eine gute Tat vollbringen. Gestern hatte man
die große Freude, in der Diskussion zu hören, dass man
nur stolz sein darf auf das, was man selber gemacht hat.
Das ist zwar nicht mein Standpunkt, aber es mag für die
Damen und Herren zur Linken, die damit sehr vertraut
waren, als vorzüglicher Grundsatz dienen. Machen Sie et-
was, damit auch Sie ein wenig stolz auf unser Land sein
können. So kommen wir zusammen und werden in schö-
ner Brüderlichkeit durch neue Gesetze vereint, die unse-
rer Wirtschaft helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Worauf können Sie denn stolz sein?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416209300
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Nina Hauer.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1416209400
Frau Präsidentin! Verehrte Damen
und Herren! Mich freut, dass mittlerweile auch die CDU
zur Anhängerin der wachsenden Mitarbeiterbeteiligung
geworden ist.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Was?)

Wir behandeln dieses Thema schon länger. Genau deshalb
haben wir die Besteuerung und die Möglichkeiten der ma-
teriellen Beteiligung durch Aktien, Aktienoptionen oder
anderes auch zum Thema im Bündnis für Arbeit gemacht.
Es ist natürlich richtig, dass gerade viele der kleinen Un-
ternehmen und der jungen Start-ups, die sich im Moment
in vielen Bereichen so hoffnungsvoll gründen, ihre In-
nenfinanzierung nur dadurch gewährleisten können, dass
sie Aktien ausgeben oder ihren Mitarbeitern Aktienoptio-
nen gewähren. Sie wollen diesen kleinen Start-ups helfen,
aber in Ihrem Antrag wird deutlich, dass Sie nicht wissen,
wie. Es wird auch deutlich, dass Sie nicht wissen, was Sie
wollen. Die von Ihnen genannten Beispiele sind nämlich
Teil einer breiten Angebotspalette von Möglichkeiten.
Darüber reden wir jetzt einmal.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dann sagen Sie doch, wie es geht!)


In der Schweiz werden Aktienoptionen zum Zeitpunkt
der Gewährung besteuert. Wenn Sie die Option nicht aus-
üben, haben Sie einen persönlichen Nachteil, da Sie trotz-
dem der Steuer unterworfen wurden. Dies scheint mir ein
Modell zu sein, welches für uns nicht sinnvoll ist.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Deshalb können wir es ja wahlweise stellen!)


Das andere gern genannte Beispiel betrifft die Situa-
tion in den USA. Dort gibt es sehr wenige Aktienoptio-
nen – das sind die, bei denen der Marktpreis sofort fest-
stellbar ist –, die schon bei der Gewährung besteuert
werden. Dabei besteht also dasselbe Problem wie in der
Schweiz. Sie bekommen die Aktienoption und sind dann
steuerpflichtig. Wenn Sie sie nicht ausüben, haben Sie
eine Steuer auf etwas gezahlt, was Sie am Ende nicht als
Gewinn verbuchen können.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist das Problem!)

Die andere Möglichkeit ist, dass Sie erst steuerpflich-

tig werden, wenn Sie die Aktie veräußern. Dafür nennen
Sie die USA als leuchtendes Beispiel. Da kann ich Ihnen
nicht folgen. In den USA gibt es eine Spekulationsfrist,
die genauso lang wie bei uns in Deutschland ist, nämlich
zwölf Monate. Wenn Sie Ihre Aktien innerhalb dieser
zwölf Monate verkaufen, sind Sie voll steuerpflichtig zum
Einkommensteuersatz, genauso wie in der Bundesrepu-
blik auch. Wenn Sie danach veräußern, müssen Sie in den
USA nur noch 20 Prozent Ihres Gewinns versteuern. In
diesem Fall ist Deutschland ein leuchtendes Beispiel,
denn das ist in Deutschland steuerfrei.

Deshalb erscheinen uns die beiden in Ihrem Antrag ge-
wählten Länder nicht als Beispiele dafür geeignet, wie wir
in Deutschland Aktienoptionen besteuern sollten.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?)





Dr. Heinz Riesenhuber
15848


(C)



(D)



(A)



(B)


Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten 1998, kurz vor
der Bundestagswahl, zur Motivation der Abgeordneten
der CDU/CSU-Fraktion Optionen auf Ihre Umfrage-
ergebnisse im März 2001 erhalten.


(Jörg Tauss [SPD]: Die wären jetzt pleite!)

Sie wären jetzt pleite und die Optionen wären nicht mehr
besonders viel wert.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Oder auf die Wahlergebnisse von 1999!)


Aber nach Ihrem Schweizer Modell hätten Sie sie bereits
versteuert und dadurch Verluste gemacht. Die Steuern, die
Sie gezahlt hätten, hätten Sie vielleicht dazu nutzen kön-
nen, das riesige Haushaltsloch, das Sie uns hinterlassen
haben, zu stopfen.

Daran können Sie sehen, dass eine Option auf die Zu-
kunft immer auch ein Risiko birgt. Wir wollen nicht, dass
der Mitarbeiter dieses Risiko in jeder Hinsicht alleine zu
tragen hat. Es gibt eine Menge Mitarbeiter, für die die Ak-
tienoptionen in der Tat eine Möglichkeit darstellen, die
viele auch nutzen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber was wollen Sie denn jetzt?)


Aber es gibt gerade jetzt viele in den neuen oder auch in
den alten Unternehmen, die – nachdem sie sich darauf
verlassen haben, dass sie ihre Optionen, die einmal viel
wert waren, ausüben können, in der Hoffnung, dass sie ih-
nen Reichtum bescheren – in die Röhre gucken, weil die
Kurse fallen und die Optionen nicht ausgeübt werden, so-
dass die Option, die als Ersatz für Gehalt zugeteilt wurde,
eigentlich nichts wert ist.

Es ist also noch immer ein Geschäft für Mitarbeiter, die
ein besonders hohes Einkommen haben. Dafür ist es auch
gut. Aber es ist kein Weg, der ohne weiteres für alle Mit-
arbeiter gangbar ist. Damit würde man manchen dem Ri-
siko aussetzen, sein Gehalt auf die Zukunft zu setzen, aber
keinen Gewinn für sich verbuchen zu können.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das muss man doch den Leuten überlassen!)


Als Grund für die bessere Besteuerung der Aktienop-
tionen nennen Sie auch die Mitarbeitermotivation. Ich bin
mir nicht sicher, ob es in den mittelständischen Unterneh-
men, in denen es keine Aktienoptionen geben kann, keine
motivierten Mitarbeiter gibt. Aber ich hoffe, dass Sie da-
mit nicht meinen, dass, wenn die Kurse fallen, auch die
Motivation fällt. Wenn die Motivation so unmittelbar an
das Risiko des Kurses gebunden ist, kann das ja passieren.

Wir sind froh, wenn Sie mit uns über Motivation und
mehr Beteiligung von Mitarbeitern reden wollen,


(Jörg Tauss [SPD]: Mitbestimmung!)

weil wir das so verstehen, dass Sie mit uns endlich auch
über die Gestaltung der Reform des Betriebsverfassungs-
gesetzes reden wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber nicht so!)


Denn dabei geht es vor allen Dingen um mehr Motivation
für Mitarbeiter, um mehr Beteiligung,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Mehr Bevormundung von außen ist das!)


um mehr Teilhabe am Sagen und im Bündnis für Arbeit
jetzt auch um mehr Teilhabe am Haben.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen mehr Chancen für die Teilhabe,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Investivkapital zu tun!)


und das heißt nicht Optionen auf Teilhabe in der Zukunft,
sondern heißt die sichere gesetzliche Garantie, dass Mit-
arbeiter durch mehr Beteiligung am Sagen und Haben in
ihren Unternehmen motiviert werden. Das halten wir für
den richtigen Weg. Wenn Sie sich daran beteiligen wollen,
dann erwarten wir in diesem Sinne von Ihnen konstruk-
tive Vorschläge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt bin ich einmal gespannt, wie die F.D.P. nachher
bei ihrem Antrag argumentieren wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Das weiß sie noch nicht!)

Sie fordert, den Aktientausch im Falle der Unterneh-
mensübernahme steuerfrei zu stellen, wenn ein Aktionär,
der Aktien in einem bestimmten Unternehmen hält, andere
zum Tausch angeboten bekommt. Mich freut, dass Sie
nach Ihrem anfänglichen Widerstand gegen die gesetzliche
Regelung von Übernahmen überhaupt jetzt eine gesetzli-
che Regelung in diesem Bereich wollen. Deswegen bitte
ich Sie, abzuwarten, bis wir im parlamentarischen Bera-
tungsprozess bei diesem Punkt sind. Die Besteuerung von
Aktien beim Aktientausch ist im Einkommensteuerrecht ja
geregelt; wir sehen uns also nicht einer Situation gegen-
über, die eine sofortige Regelung erforderlich macht, weil
etwas Neues auf uns zukommt.

Ich habe den Eindruck, dass sich die F.D.P. mit ihrem
Antrag dafür entschuldigen will, dass sie auf der Fehlein-
schätzung beharrte, wir brauchten keine gesetzliche Rege-
lung der Unternehmensübernahmen in Deutschland, wo-
mit sie dazu beigetragen hat, dass viele deutsche
Unternehmen in eine schwierige Lage gebracht wurden
und noch werden. Wir wissen diesen Versuch einer Ent-
schuldigung zu schätzen. Aber wir wollen diese Anträge
dann mit Ihnen im parlamentarischen Prozess beraten,
wenn wir zuvor die Meinung von Experten haben einho-
len können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416209500
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die F.D.P.-Frak-
tion.




Nina Hauer

15849


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416209600
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte
ich auf den F.D.P.-Antrag zum Aktientausch im Zusam-
menhang mit Unternehmensübernahmen eingehen, auf
den Frau Hauer gerade Bezug genommen hat. Wir haben
uns übrigens nicht grundsätzlich gegen ein Übernahme-
gesetz gewandt,


(Nina Hauer [SPD]: Denken Sie an die Interviews von Herrn Brüderle!)


sondern wir haben nur gesagt, dass man erst einmal wis-
sen muss, was man regeln will, was man für regelungs-
notwendig hält und welche Interessen dort geschützt
werden müssen, bevor man sich an die Gesetzgebung
macht,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

anstatt auf jeden Fall etwas regeln zu wollen und erst dann
darüber nachzudenken, was man regeln will.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir wussten zumindest, was wir wollten!)


Das war die erste Diskussion. Sie ist ruhiger geworden
und jetzt auf einem vernünftigen Wege. Aber wir müssen
nun von der Bundesregierung allmählich hören, was sie
tun will; denn bald beginnt das nächste Wahljahr und dann
wird sie nicht mehr agieren können, sodass wieder viel
Zeit verloren gegangen sein wird.

Jedenfalls ist an der Übernahme von Mannesmann
durch Vodafone – das war der die Öffentlichkeit am meis-
ten interessierende Vorgang – offensichtlich geworden,
dass es immer mehr üblich wird, für die Übernahme von
Aktien wiederum Aktien als Kaufpreis zu gewähren.
Heute ist dieser Vorgang steuerpflichtig. In unseren Au-
gen ist dies aber kein steuerpflichtiger Vorgang, da kein
Barzufluss für den Betroffenen entsteht; er hat keinen Ge-
winn. Wenn die an einem solchen Aktientausch Beteilig-
ten der Meinung sind, dass das gewählte Tauschverhältnis
das richtige sei, dann heißt dies ja, dass es dem Marktwert
entspricht. Er bekommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt
keinen höheren Wert als den Marktwert und deswegen ist
das kein besteuerungspflichtiger Vorgang.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Langer Rede kurzer Sinn: Man sollte klarstellen, dass dies
nicht zu versteuern ist; damit wäre wieder Rechtssicher-
heit geschaffen.

Nun komme ich zu dem Antrag der CDU/CSU, in dem
eine sehr viel kompliziertere Frage angesprochen ist.
Zunächst einmal möchte ich Frau Hauer sagen, dass – Sie
sind ja noch nicht so lange im Parlament; vielleicht wer-
den Sie in Zukunft länger als Herr Riesenhuber und ich im
Parlament sein – sich die SPD in der Vergangenheit ge-
rade in der Frage der Vermögensbeteiligung immer auf
die Position von Tariffonds, also von gewerkschaftsge-
bundenen Fonds, zurückgezogen hat. Das wollten wir
nicht, weil es sozusagen Gesellschaftspolitik durch die
Hintertür gewesen wäre.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)


Wir wollten hingegen den Weg eröffnen, tatsächlich zu
mehr individueller Beteiligung der Arbeitnehmer am Un-
ternehmenserfolg, aber auch am Unternehmensvermögen
bzw. Unternehmenskapital zu kommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Aber auch ohne Mitbestimmung!)


In der Zeit der alten Koalition sind eine ganze Reihe
von Gesetzen verabschiedet worden, insbesondere die
drei Finanzmarktförderungsgesetze, mit denen wir den
Weg in die Aktiengesellschaft eröffnet haben und die
Möglichkeiten eröffneten, den Beteiligten Aktienoptio-
nen zu geben. Das ist im Aktienrecht dann auch technisch
einfach zu handhaben.

Nun stellt sich die Frage, wann der besteuerungs-
pflichtige Vorgang entsteht. Entsteht er bei der Ge-
währung der Option oder bei der Ausübung der Option?
Wann entsteht ein besteuerungsfähiger Gewinn? Diese
Fragen sind tatsächlich nicht einfach zu beantworten.


(Jörg Tauss [SPD]:Was ist Ihr Vorschlag?)

– Einen kleinen Moment, Herr Tauss. Beschäftigen Sie
sich erst einmal selbst mit dem Problem, bevor Sie andere
auffordern, Vorschläge zu unterbreiten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dazu gehört schon ein bisschen Sachverstand, nicht nur
die dummen Sprüche, die Sie hier immer machen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Was Sie sagen, disqualifiziert Sie selbst ein bisschen!)


Das Problem ist, dass im Moment der Gewährung ei-
ner Aktienoption noch nicht klar ist, welchen Wert sie
dem Betroffenen vermittelt; denn dahinter stehen Börsen-
entwicklungen, die hoch und runter gehen können. Das
erleben wir ja tagtäglich.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hat Frau Hauer alles gesagt!)


Wenn Sie also im Zeitpunkt der Gewährung versteuern
– zu welchem Preis auch immer; es ist eine offene Frage,
ob er überhaupt feststellbar ist –, dann kann es sein, dass
es eine Scheinbesteuerung ist, weil der Wert der Option
anschließend dramatisch sinkt und zum Schluss vielleicht
gar nichts mehr wert ist. Dann wäre der Arbeitnehmer der
Betrogene; denn er hat eine Hoffnung auf etwas gehabt,
was sich am Ende als Luftnummer herausstellt und nichts
mehr wert ist. Diese Erwartung ist aber schon real ver-
steuert worden.

Wenn Sie es umgekehrt machen, wenn Sie den Gewinn
bei der Ausübung der Option als Lohn versteuern – was
nach meiner Auffassung dem heutigen Steuerrecht ent-
sprechen würde –, dann hätten Sie natürlich unter Um-
ständen eine sehr hohe Steuerpflicht, die die Attraktivität
dieses Instruments dramatisch senken würde.

Nun kann man so vorgehen, wie es Herr Riesenhuber
zu überlegen gegeben hat, indem man ein Wahlrecht ein-
räumt. Man kann aber auch vielleicht so vorgehen – das
ist ein Weg, den ich im Moment präferieren würde, aber
auf den ich mich nicht festlege, weil das eine noch offene






(C)



(D)



(A)



(B)


Diskussion ist –, dass man bei Ausübung der Option be-
steuert, aber dann zu einem begünstigten Steuersatz.
Dafür würde sich der hälftige Durchschnittssteuersatz an-
bieten, den wir auch in anderen Bereichen des Steuer-
rechts schon heute haben


(Beifall bei der F.D.P.) – Leo Dautzenberg

[CDU/CSU]: Wieder haben!)

und bei der Steuerreform im Vermittlungsverfahren – auch
unter Mitwirkung der F.D.P. – wieder eingeführt haben.

Das wäre ein Weg. Die Richtschnur für die Entschei-
dung müsste sein, wie wir mit diesem Optionsrecht im in-
ternationalen Wettbewerb stehen. Unsere Mitarbeiter sol-
len weder besser noch schlechter als in anderen Wett-
bewerbsländern behandelt werden, sondern etwa auf glei-
chem Niveau. Da es dort, wie Frau Hauer schon darstellte,
unterschiedlichste Regelungen gibt, muss man einen Mit-
telweg anpeilen oder man muss darauf drängen, dass man
zumindest in der Europäischen Union zu einer Richtlinie
kommt, die diesen Bereich einigermaßen einheitlich re-
gelt; denn nur so ist die von uns angestrebte Wettbe-
werbsneutralität zu erzielen.

Die Motivation, der Reiz, die Attraktivität der Option
muss erhalten und gesichert werden. Wir müssen im in-
ternationalen Wettbewerb ein faires Verfahren erreichen.
Darüber sollten wir diskutieren. Ich bin sehr daran inte-
ressiert, die Vorschläge von Herrn Diller zu hören.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416209700
Jetzt spricht Kollegin
Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416209800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Ein-
schätzung ist meiner Meinung nach klar: Ein zentrales Ziel
und ein wichtiger Inhalt der Regierungspolitik ist die
Schaffung und die Sicherung vor allem auch von hoch
qualifizierten Arbeitsplätzen. Das muss ein ganz wesentli-
ches Element der Politik sein, nicht zuletzt auch deshalb,
weil diese Arbeitsplätze immer auch eine Voraussetzung
dafür sind, neue Arbeitsplätze im Bereich weniger qualifi-
zierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen.

Die Realität sieht im Moment so aus – das wird allge-
mein bedauert, muss aber anerkannt werden –, dass wir
gerade im Bereich von hoch qualifizierten Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern, zum Beispiel im Bereich
Informationstechnik oder Biotechnologie, häufig Schwie-
rigkeiten haben, Arbeitsplätze überhaupt zu besetzen
oder – das ist auch ein wesentliches Problem – diese hoch
qualifizierten Arbeitskräfte zu halten. Die Mitarbeiterbe-
teiligung ist ganz sicherlich ein wesentliches Element, ein
wesentlicher Ansatz, den Unternehmen gerade in den ge-
nannten Bereichen die Möglichkeit zu geben, Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in hoch qualifizierten Berei-
chen zu halten und die Kosten dafür auf einen vernünf-
tigen Umfang zu begrenzen.

Ich will hinzufügen, dass das Element der Beteiligung
breiter Schichten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
– also nicht nur der hoch qualifizierten Arbeitskräfte – am
Produktivkapital für uns ein wesentlicher Beitrag dazu ist,
die soziale Marktwirtschaft im modernen Sinne zu stärken,
weil mit der Mitarbeiterbeteiligung neue Management-
strukturen, die beispielsweise mit abgeflachten Hierarchien
arbeiten oder auch Teamarbeit mehr in den Mittelpunkt stel-
len, zukünftig vernünftig begleitet werden können. Deswe-
gen ist diese Debatte, die auch hier geführt wird, notwen-
dig. Sie ist bereits im letzten Jahr vom Bündnis für Arbeit
aufgegriffen worden. Dazu gehört nicht einfach nur der ge-
samte Komplex der Mitarbeiterbeteiligung, sondern auch
die Frage der Besteuerung von Aktienoptionen.

Ich meine, es ist unumstritten, dass das bisherige Ver-
waltungshandeln und die bisherige Rechtsprechung ge-
rade hinsichtlich der Besteuerung von Aktienoptionen
nicht zufriedenstellend sind. Ich muss auch sagen, dass ich
die Behandlung von Aktienoptionen als eine bloße Chance
im Hinblick auf die Besteuerung von Arbeitnehmeraktien,
wie wir sie heute vorfinden, nicht zwangsläufig für ver-
nünftig halte und dass die Rechtssicherheit der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, aber auch der Unternehmen
aufgrund der gültigen Rechtslage nicht optimal ist.

Nun hat sich in der Praxis ein ganzes Set von unter-
schiedlichen Optionsmöglichkeiten entwickelt, auch so
etwas wie virtuelle stock options, alle mit dem Ziel, Un-
wägbarkeiten in der Bilanzierung oder aber auch Nach-
teile im internationalen Vergleich abzufedern. Verbindli-
che Auskünfte seitens der Oberfinanzdirektionen wurden
aber zurückgenommen. Dieser Zustand ist mittelfristig
nicht zufriedenstellend.

Herr Riesenhuber und Herr Solms, Sie lassen in Ihren
Anträgen mehr Fragen offen, als Sie beantworten.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Aber wir stellen die richtigen Fragen!)


– Die richtigen Fragen, Herr Kollege Riesenhuber, sind
bei dieser Regierung schon angekommen.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Aber sie tut nichts! Dafür hat sie ihre Beamten!)


Sie wurden auch ins Bündnis für Arbeit eingebracht.
Ich möchte die Fragen noch einmal aufgreifen, die Sie

stellen, und auf die Antworten gefunden werden müssen.
Was wollen Sie? Wollen Sie eine Anfangsbesteuerung?
Wollen Sie eine Endbesteuerung? Wollen Sie die Gleich-
behandlung mit Einkünften aus Kapitalvermögen? Wollen
Sie steuerliche Privilegierung? Das alles ist offen. Insofern
ist dies ein netter Anlass zur Diskussion. Aber ich meine,
dass der Antrag der CDU/CSU in keiner Weise weiterhilft.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Aber Sie sollten doch auf den Debattenbeitrag von Herrn Solms eingehen!)


Allein die Überlegung, dass wir einen ganzheitlichen
Ansatz brauchen, während auch heute noch die steuerli-
che Privilegierung von Führungskräften beim Erwerb von
Aktien gilt,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Für wen?)





Dr. Hermann Otto Solms

15851


(C)



(D)



(A)



(B)


scheint mir nicht auszureichen. Das ist eine sehr einseitige
Sicht; denn die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern muss breitflächiger angegangen werden.
Auch der internationale Vergleich – das hat Kollegin
Hauer schon gesagt – hilft hier nicht weiter. Man weiß
nicht ganz genau, was Sie wirklich vorschlagen, zum Bei-
spiel die capital gain tax als einen umfassenden Ansatz, ja
oder nein? Sie müssen da schon deutlicher werden.

Das Problem ist, dass die Realität nicht einfach Lösun-
gen auf dem Tablett präsentiert. Wir haben gesehen, dass die
in Großunternehmen vorgesehene Anfangsbesteuerung bei-
spielsweise bei Daimler-Chrysler im letzten Jahr dazu ge-
führt hätte, dass Aktienoptionsprogramme überhaupt nicht
wahrgenommen worden wären. Wir wissen auch, dass Start-
ups die Besteuerung bei der Ausübung der Option – das
kann man verstehen – nicht sonderlich gern sehen.

Ich will damit sagen, dass Sie wie wir an einem Punkt
angekommen sind, wo eines ganz deutlich wird: Es gibt
keine einfachen Lösungen, wir brauchen differenzierte
Lösungen. Dazu ist auch noch eine längere Diskussion
nötig. Das, was der Bundesminister für Wirtschaft im letz-
ten Jahr im Bündnis für Arbeit hinsichtlich eines Wahl-
rechts vorgeschlagen hat – Sie haben das auch zitiert –, ist
sicher ein vernünftiger Ansatz, über den wir weiter disku-
tieren müssen. Es macht sicher Sinn, die Detaildiskussion
im Bündnis für Arbeit sehr aufmerksam zu führen.

Es macht aber überhaupt keinen Sinn, von Ihrer Seite
jetzt einzuklagen, dass wir uns an den Empfehlungen der
OECD orientieren sollten; denn sie ist selbst noch nicht so
weit. Sie ist gerade in einem Zustand des fact finding bei
grenzüberschreitenden Besteuerungsfragen. Wir wissen
nicht einmal, ob die OECD die Grundsatzfrage, nämlich
die schwierige Frage einer Harmonisierung insgesamt,
wird lösen können. Eine Orientierung an den Punkten, die
Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, scheint mir doch ver-
fehlt zu sein.

Wir wissen auch, dass die Präsidentin des Bundesfinanz-
hofes für die zweite Jahreshälfte eine Grundsatzentschei-
dung in Sachen Aktienoptionsbesteuerung angekündigt hat.

Ich rate davon ab, hier – wie Sie es gerne möchten –
Schnellschüsse zu produzieren. Aus Sicht meiner Frak-
tion ist es vielmehr notwendig, dass die Bundesregierung
im Herbst die Prüfung von adäquaten Regelungen stärker
voranbringt. Dieses Sammelsurium von Textbausteinen,
das Sie in Ihrem Antrag geliefert haben, hilft da nicht wei-
ter. Vielleicht können Sie Ihre Anträge in der Folgezeit et-
was präzisieren. Das würde die Diskussion voranbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir wollen der Regierung helfen! Die braucht Hilfe!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416209900
Die Kollegin
Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, hat ihre Rede zu Proto-
koll gegeben.1) – Ich sehe Einverständnis im Hause.

Deshalb spricht jetzt der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1416210000
Es hat sich ein
wenig eingebürgert, dass man im Laufe seiner Rede ein
kleines Bekenntnis abgibt. Herr Riesenhuber hat vorhin
von Stolz geredet. Das will ich auch tun. Früher wäre ich
stolz darauf gewesen, ein Schweizer Konto zu haben.
Heute, muss ich sagen, bin ich stolz darauf, kein Schwei-
zer Konto zu haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS)


Insofern sieht man, dass sich das mit dem Stolz im Laufe
der Zeit wandeln kann.

Ich möchte zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
eine Vorbemerkung machen. Der Antrag geht von Voraus-
setzungen aus, die man möglicherweise noch einmal
überprüfen muss; denn rein logisch ist es so – das ist be-
kannt –, dass von falschen Voraussetzungen ausgehend
sowohl Wahres als auch Falsches abgeleitet werden kann.
Deshalb ist es immer äußerst gefährlich, eine gute Impli-
kation auf einer falschen Voraussetzung zu gründen.

Sie gehen grundsätzlich davon aus, dass eine hohe Ge-
winnerwartung auch realisiert wird. Seit zwei oder drei
Jahren aber merken wir, dass das a priori nicht der Fall ist.
Ich glaube, das muss man kritisch hinterfragen. Herr
Riesenhuber ist in seiner Rede darauf eingegangen. Aller-
dings findet sich das in den vielen Thesen in Ihrem Antrag
nicht explizit wieder.

Ferner gehen Sie davon aus, dass wir weltweit genug
qualifizierte Arbeitskräfte hätten, wenn wir doch nur am
internationalen Markt mit stock options entsprechend gut
operieren würden. Ich sage Ihnen: Das ist weder eine not-
wendige noch eine hinreichende Bedingung. Zumindest
notwendig, vielleicht sogar hinreichend wäre es aber,
wenn wir noch einmal etwas genauer über die Ausbildung
in diesem Land nachdenken würden; denn davon hängt
ab, ob wir hier gute Arbeitskräfte haben oder nicht.


(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Riesenhuber hat auch gesagt – das möchte

ich unterstützen –, dass Mitarbeiter Anteilseigner werden
sollten. Das heißt, er hat das SPD-Programm gelesen.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Wahrscheinlich haben Sie abgeschrieben!)


Nun ist es ein bisschen einfach, zu sagen, das sei eine gute
Idee, aber sie lasse sich nur schwer realisieren, sodass wir
das Ganze an die Beamten weitergeben müssten in der
Hoffnung, sie würden das Problem schon lösen. Ich
glaube, damit würden wir es uns eine Spur zu einfach ma-
chen.

Wenn man sich ein bisschen mit den Details befasst,
dann merkt man, dass es sehr kompliziert ist. Dieser Mei-
nung ist auch Herr Solms; denn wie wir eben in der Ar-
beitsgruppe besprochen haben, hat sich Herr Solms alle
Optionen offen gehalten.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Der Bundesrat hat es genauso behandelt! Das ist völlig in Ordnung! Einstimmig! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber Optionen will er auch!)





Dr. Thea Dückert
15852


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Er hat gesagt, wir sollten den Reiz der Optionen steigern.
Jetzt frage ich, ob es ökonomisch wirklich klug ist, den
Reiz dieser Optionen durch steuerpolitische Maßnahmen
zu steigern. Wäre es nicht viel wichtiger, die Attraktivität
dieser Optionen dadurch zu steigern, dass wir eine ver-
nünftige Unternehmenspolitik machen, die verhindert,
dass die Arbeitnehmer neben ihrem Vermögen auch noch
den Arbeitsplatz verlieren?


(Beifall bei der SPD)

Die Hoffnung auf diese Optionen birgt das große Ri-

siko, dass man neben seinem Vermögen auch noch den
Arbeitsplatz verliert mit der besonderen Qualität, dass
man als stock options holder auf die Entscheidungen, die
in diese Misere führen, möglicherweise überhaupt keinen
Einfluss hat. Das halte ich für ein sehr großes Problem. In
den letzten zwei Jahren haben viele Arbeitnehmer ge-
sehen, dass dieses Risiko kein theoretisches ist, sondern
ganz real für sie große Verluste bedeuten kann.

Es gibt da einen Zusatztrick, nämlich dass die Mana-
ger, die stock options halten, das umsatzabhängige Ein-
kommen definieren. Damit können sie einen dritten He-
bel gegenüber den Arbeitnehmern in Gang setzen. Das
halte ich für eine extrem große Gefahr.

Das belgische Beispiel, das Sie, Herr Riesenhuber, an-
geführt haben, halte ich für besonders schwierig. Für das
Schweizer Modell gilt das ebenso. Denn da wird man
möglicherweise für ein Einkommen Steuern zahlen, das
man niemals realisieren kann, ohne dass es zurückgezahlt
wird. Das halte ich für eine sehr gefährliche Sache.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Sie haben die Wahlfreiheit!)


Noch eine weitere Bemerkung: Sie sagten, dass wir be-
reits seit einem Jahr über stock options sprechen. Das ist
nur bedingt richtig; es ist ungefähr um den Faktor 300
falsch. Denn wir sprechen ja schon seit Mai 1998 über
stock options. Mit Ihrem Gesetz zur Kontrolle und Trans-
parenz im Unternehmensbereich, dem KonTraG, wurden
ja stock options erlaubt. Insofern ist Ihr Antrag von einer
gewissen Ehrlichkeit geprägt. Denn Sie sagen jetzt: Die-
ses Gesetz war nicht hinreichend. Sie haben vergessen, er-
gänzend steuerpolitische Maßnahmen so zu formulieren,
dass die Optionen die Attraktivität erlangen, die Sie ihnen
heute gerne geben würden.


(Beifall bei der SPD)

Es ist bedenkenswert, dass Sie nach drei Jahren immer

noch nicht beschreiben können, wie Sie die wesentlichen
Gesetzesvorhaben formulieren würden. Das ist natürlich
nicht ganz unverständlich. Denn der einfache Hinweis in
Ihrem Antrag auf internationale Zusammenhänge ist
einfach nicht zielführend.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Ich habe ihn hinreichend interpretiert!)


Wir wissen doch, dass in den USA und in Großbritan-
nien im Vergleich zu Zentraleuropa völlig andere Unter-
nehmensphilosophien vorzufinden sind. Wir haben an-
dere Bilanzierungsgrundsätze. Bei uns gibt es im
Aktienbereich eine andersartige Behandlung von Ver-

äußerungsgewinnen, die in Deutschland nach einem Jahr
immerhin steuerfrei sind. In sehr vielen anderen Ländern
wird auf Kapitalerträge eine so genannte capital gain tax
erhoben, was für die stock options holders einen großen
Nachteil bedeutet. Wir haben aber auch eine ganz andere
Aktienkultur. Insofern war es sicher ganz sinnvoll, dieses
Gesetz damals zu verabschieden.

Wir müssen feststellen, dass auch heute noch die Idee,
solche Wetten auf die Zukunft abzuschließen, eher im ge-
hobenen Management zu Hause ist als bei den Arbeitneh-
mern, die wir sehr gern stärker an den Unternehmen be-
teiligt sehen würden.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])


– Wenn es so wäre, dass man das eine tun kann, ohne das
andere zu lassen, dann wären wir für irgendeinen kon-
struktiven Vorschlag Ihrer Seite sehr dankbar gewesen.
Sie hätten nicht nur den Hinweis geben sollen, dass die
Beamten das schon richten werden.


(Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da hat er nicht zugehört!)


Man sollte auch noch ein paar Fallunterscheidungen
vornehmen, die Sie, wenn die Vorschläge in Zusammen-
arbeit mit den Beamten erarbeitet werden, etwas genauer
ansehen sollten. Neben den klassischen stock options ha-
ben wir die virtuellen. Allein der Begriff deutet schon da-
rauf hin, dass wir uns hier im Wesentlichen im Bereich des
Wettens und Hoffens befinden. Immerhin ist das ja eine
Möglichkeit, um einen Aktienkauf zu tätigen, bei dem von
vornherein klar ist, dass der Arbeitnehmer ökonomisch
äquivalent durch Geld abgefunden wird und diesen
Aktienkauf niemals realisieren wird.

Wir müssen auch noch einmal genauer schauen, wie
sich die genannten Vor- und Nachteile auf Arbeitgeber
und Arbeitnehmer verteilen. Natürlich, der Arbeitnehmer
partizipiert, wie Sie schreiben, an der positiven Kursent-
wicklung. Aber er partizipiert eben auch an dem extrem
hohen Risiko einer negativen Kursentwicklung. Sie sa-
gen, die Motivation steige durch die Hoffnung auf eine
positive Kursentwicklung. Aber was passiert denn? Ich
kenne Betriebe, in denen die Mitarbeiter jeden Morgen
zuerst einmal im Internet nachsehen, wie die eigene Un-
ternehmensaktie steht. Die gehen dann, wenn die Aktie
gefallen ist, total motiviert an die Arbeit und sagen: Jetzt
wollen wir einmal so richtig gegen unseren Aktienverfall
anrennen!

Ich kann Ihnen sagen, dass das in einem Betrieb
äußerst demoralisierend wirkt. Dass der Arbeitgeber da-
bei einen Liquiditätsvorteil hat, das ist eindeutig gegeben.
Wir müssen darüber nachdenken, ob die Risikoverteilung
und die Vorteilsnahme zwischen Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer gerecht verteilt sind. Wie schon gesagt, geht der
Arbeitnehmer ein größeres Risiko ein. Oft ist es auch so,
dass durch Revisionsklauseln in Bezug auf einen Arbeits-
platzwechsel die Option verfällt und dadurch natürlich die
Flexibilität des Arbeitnehmers eingeschränkt wird.

Insofern lohnt es sich, genauer darüber nachzudenken,
warum es eigentlich keinen Sinn macht, die Besteuerung




Lothar Binding (Heidelberg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


von Aktienoptionen heute zu verändern, und zwar sowohl
aus allokationspolitischen Gesichtspunkten – Aktienop-
tionen als Lohnbestandteile – als auch aus distributions-
politischen Gesichtspunkten, nämlich unter der Fra-
gestellung: Wer hat eigentlich den größeren Nutzen, eher
die tendenziell höher verdienenden oder eher die ten-
denziell niedriger verdienenden Mitarbeiter eines Be-
triebes? Die Antwort darauf habe ich implizit bereits ge-
geben.

Wir wissen jedenfalls, dass Aktienoptionen im Ver-
gleich zu normalen Gehaltszahlungen steuerlich weder
begünstigt noch benachteiligt werden. An dieser Neutra-
lität der Besteuerung bezüglich verschiedener Entloh-
nungsformen wollen wir festhalten.

Wer ein wenig die Mathematik bemüht, wird schnell
erkennen, dass unter Einschluss der Parameter Gehalt,
Nettoeinkommen, Unternehmensteuersatz – Körper-
schaftsteuer plus Gewerbesteuer –, Zeitdifferenz zwi-
schen Einräumung und Ausübung der Option, Einkom-
mensteuersätze und Zinssatz eine notwendige Bedingung
ist, dass der Unternehmensteuersatz und der Einkommen-
steuersatz des Mitarbeiters annähernd gleich sein müssen.
Wer diese Überlegung richtig wertet, muss erkennen, dass
mit der drastischen Steuersenkung, die wir bis zum Jahre
2005 abschließen werden, eine riesengroße Gestaltungs-
möglichkeit dahin gehend besteht, schon jetzt den Lohn in
Optionen umzuwandeln und diese Optionen im Jahre
2005 zu einem dann sehr viel niedrigeren Einkommen-
steuersatz zu realisieren. Dies ist fiskalpolitisch natürlich
ein sehr großes Risiko. Hierfür noch weitere Steuervor-
teile zu verschaffen wäre volkswirtschaftlich absolut kon-
traproduktiv.

Deshalb halten wir diesen Antrag gegenwärtig für nicht
zielführend. Vielleicht erkennt die CDU/CSU, dass ihr
Antrag inzwischen aufgrund der auf dem Neuen Markt
gewonnenen Erkenntnisse obsolet geworden, also veral-
tet ist, und trifft die kluge Entscheidung, ihn einfach
zurückzuziehen.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416210100
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Otto Bernhardt für die
CDU/CSU-Fraktion.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1416210200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den beiden
Anträgen, die wir jetzt behandeln, geht es um steuer-
rechtliche Fragen im Zusammenhang mit Aktien.

Zunächst komme ich zu dem Antrag der Freien Demo-
kraten, der letztlich darauf hinausläuft, dass Aktientausch
im Rahmen von Unternehmensübernahmen steuerfrei
wird. Herr Solms hat die Argumente vorgetragen. Wir
können den Argumenten folgen und werden diesem An-
trag unsere Zustimmung geben.

Der sicher umfangreichere Antrag ist unser eigener.
Darin geht es um die steuerlichen Rahmenbedingungen
für die Gewährung von Aktienoptionen an Mitarbeiter.
Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass dieses In-

strument der Aktienoptionen in den letzten beiden Jahren
sehr stark an Bedeutung gewonnen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zurzeit gibt es in Deutschland etwa 300 Aktiengesellschaf-
ten, die ihren Mitarbeitern solche Optionen eingeräumt ha-
ben. Es ist vielleicht interessant, darauf hinzuweisen, dass
etwa 200 dieser Firmen am Neuen Markt notiert werden.
Die Aussage, dies werde im Wesentlichen nur Führungs-
kräften eingeräumt, ist – zumindest bezogen auf den Neuen
Markt – so nicht richtig. Etwa zwei Drittel der Optionen,
die dort gegeben werden, stehen allen Mitarbeitern offen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Antrag läuft darauf hinaus, die steuerlichen Rah-

menbedingungen zu verbessern und dafür ein Gesetz ein-
zubringen. Nun wird hier kritisiert, dass wir nicht selbst
einen Gesetzentwurf eingebracht haben. Aber hierbei
handelt es sich um eine Materie, die manche Diskussion
erfordert. In dieser Debatte sind sowohl von unserer Seite
als auch vonseiten der F.D.P. Ansatzpunkte für einen sol-
chen Gesetzentwurf genannt worden. Wir haben etwa
vorgeschlagen, ein Wahlrecht, bezogen auf den Zeitpunkt,
wann versteuert wird, einzuführen. Herr Solms hat vorge-
schlagen, den halben Steuersatz zu nehmen. Ferner gibt es
die Idee – die bei uns diskutiert wird –, ob dann, wenn man
sich dafür entscheidet, dass die Besteuerung zum Zeit-
punkt der Ausnutzung der Option erfolgen soll, vielleicht
das Halbeinkünfteverfahren gelten soll. Das alles sind
konkrete Ansatzpunkte, die diskutiert werden müssen.

Die Diskussion hat für mich gezeigt: Die freien Demo-
kraten sind dafür, in dieser Richtung tätig zu werden. Die
Grünen sind nachdenklich und sagen: Hier besteht der Be-
darf, etwas zu tun. Die erste Rednerin der SPD, die Kol-
legin Hauer, brachte kritische Ansatzpunkte, bei denen
vielleicht noch etwas passieren müsse. Der letzte Redner,
Herr Binding, hat ganz klar gesagt: Wir sehen keine Not-
wendigkeit zum Handeln.

Jetzt kommt Ihr Fehler. Ich weiß, Sie sind kein Mann
der Wirtschaft. Ich glaube, Sie haben hier etwas nicht ver-
standen, Herr Binding. Sie sagen, es gebe im Grunde ge-
nommen keinen Unterschied zwischen einem Einkom-
men in Form einer Option und einem ganz normalen
Einkommen; deshalb müsse dieses Einkommen auch
ganz normal versteuert werden, wie es heute der Fall ist.
Wenn Sie auch nur eine Stellungnahme eines Fachmannes
durchgelesen hätten, dann wüssten Sie, dass es zumindest
zwei Gesichtspunkte in der Diskussion gibt, die verdeut-
lichen, dass man diese Einkommensarten unterschiedlich
behandeln sollte.

Der eine Punkt: Wenn ich hundert Mark Lohn be-
komme, dann sind mir diese hundert Mark sicher. Wenn
ich aber auf einen Teil meines Lohnes verzichte und dafür
eine Option bekomme, dann – das zeigt die aktuelle
Entwicklung am Aktienmarkt – kann das null werden. Das
heißt, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit bietet sich
durchaus eine unterschiedliche Besteuerung an.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]): Sie haben

in diesem Moment bereits Verzicht geübt, das ist
das Problem! Die Zuflussfragen haben ich gar
nicht behandelt! Vorsicht!)




Lothar Binding (Heidelberg)

15854


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt einen zweiten Punkt, den Sie wahrscheinlich
auch nicht kennen. Wenn es darum geht, Gewinne zu ver-
steuern, dann wissen Sie – hoffentlich; Sie sitzen ja im
Fachausschuss –, dass ein privaterAnlegerKursgewinne
nach einem Jahr überhaupt nicht versteuern muss. Dies
sind zwei Punkte , die zumindest in der Fachwelt zu dem
ziemlich übereinstimmenden Urteil führen: Hier sollte
man etwas verändern.

Wenn Sie einmal einen Blick über die Grenzen der Bun-
desrepublik hinaus werfen, werden Sie merken, dass Ak-
tienoptionen kein deutsches Instrument sind. Sie werden in
fast allen Industrieländern angewandt. Wir stellen fest,
dass Aktienoptionen in fast allen dieser Länder steuerlich
günstiger behandelt werden als bei uns.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, das stimmt nicht!)


– In fast allen. Sie können zwei Länder nennen, in denen
das nicht so ist.

Deshalb sage ich abschließend ganz deutlich: Es ist nun
einmal ein Kampf um Führungs- und Fachkräfte der
Wirtschaft ausgebrochen. Im Rahmen der Globalisierung
ist dies ein internationaler Kampf. Um diese Fachkräfte zu
gewinnen, misst man dem Thema Aktienoptionen weltweit
eine immer höhere Bedeutung zu. Hier hat Deutschland
zurzeit einen Standortnachteil. Mit unserer Initiative wol-
len wir erreichen, dass dieser Nachteil aufgehoben wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416210300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5318 und 14/3009 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt, den TOP 19,
auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Sonderprogramm zur Sicherung und Erhöhung
des Niveaus der Landes- und Hochschulbiblio-
theken am Wissenschafts- und Forschungsstand-
ort Deutschland
– Drucksache 14/5105 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P.-Fraktion fünf Minuten erhalten soll. – Auch hier
gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
F.D.P.-Fraktion ist die Kollegin Cornelia Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1416210400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir sind beim letzten Tages-
ordnungspunkt und es geht wieder einmal um den Hoch-
schulstandort Deutschland. Als die F.D.P.-Fraktion sich
dem Thema der Situation der deutschen Hochschulbiblio-
theken gewidmet hat, waren wir uns nicht ganz darüber im
Klaren, was für eine Welle der Entrüstung das bei den Be-
troffenen auslösen wird. Fakt ist, dass viele Bundesländer
ihrer Verpflichtung zu einer ausreichenden Finanzierung
der Landes- und Hochschulbibliotheken nicht mehr in er-
forderlichem Umfang nachkommen. An den Bibliotheken
wird gespart. Das hat katastrophale Folgen, nicht nur für
die fach- und sachgerechte Ausstattung der Bibliotheken,
sondern eben auch für die Attraktivität des Wissen-
schaftsstandortes Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, der
mit „Sonderprogramm zur Sicherung und Erhöhung des
Niveaus der Landes- und Hochschulbibliotheken“ über-
schrieben ist. Wir wollen, dass die Auffassung nicht nur
der Bundesvereinigung der deutschen Bibliothekenver-
bände, sondern auch der Hochschulrektorenkonferenz in
diesem Hohen Hause Gehör findet; denn am Beispiel der
Bibliothekenfinanzierung wird deutlich, welche katastro-
phalen Folgen selbst eine nur geringfügige Senkung des
Etats haben kann.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Parallel zu diesem Prozess verläuft nämlich die Ver-

teuerung wissenschaftlicher Zeitschriften, bedingt auch
durch den hohen Wechselkurs des Dollars. Nicht zu ver-
gessen sind die gestiegenen Abgaben der Hochschulen an
die GEMA und die Verwertungsgesellschaft Wort. Jede
eingesparte Mark bekommen die Bibliotheken an den
Hochschulen dreifach zu spüren. Das muss geändert wer-
den.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Völlig zu Recht – das sehen wir genauso – erinnert der

Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor
Landfried, daran, dass die Finanzierung der Universitäts-
bibliotheken den Hochschulen obliegt und deren Finan-
zierung natürlich in die Zuständigkeit der Länder fällt.
Mit anderen Worten: Die Länder nehmen in der Tat in die-
sem Bereich im Moment ihre Aufgaben nicht genügend
wahr. Aber ich kann diese Aussage auch nicht verallge-
meinern. Nachdem im Land Hessen das Bund-Länder-
Hochschul-Sonderprogramm ausgelaufen ist, hat die Wis-
senschaftsministerin bereits im letzten Jahr eine eigene
Initiative gestartet und ein Bibliotheksförderprogramm
mit einem Budget von 2,5 Millionen DM aufgelegt.


(Jörg Tauss [SPD]: Es gibt noch ein paar andere Länder!)


Das ist die eine Seite der Medaille. – Es gibt ein paar gute
Beispiele, Kollege Tauss.




Otto Bernhardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die andere Seite der Medaille ist aber, dass die großen
Defizite in den Hochschulbibliotheken nicht allein da-
durch gedeckt werden können, dass strukturstärkere Län-
der aus ihren Haushalten die Finanzierung vornehmen,
während strukturschwache Länder beim Thema Wissen-
schaftsstandort Deutschland zurückfallen.

Wir ergreifen in unserem Antrag Partei für die Landes-
bibliotheken. Das wissen Sie. Ich will nur ein Beispiel
nennen: Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin hat
allein in diesem Jahr ein Defizit von 2,4 Millionen DM.
Das heißt, es kann immer weniger aktuelle internationale
Forschungsliteratur beschafft werden. Längst hat Berlin
seinen herausragenden Standort als führende Bibliothek
dieser Welt nach New York und Paris verloren. Die Di-
rektorin hat es so kommentiert: „Wir sind nur noch lächer-
lich.“

Die Vernachlässigung der Bibliotheken führt aber auch
zu längeren Studienzeiten; denn ohne Bücher und Fach-
zeitschriften kann ein ordentliches Studium nicht absol-
viert werden. Auch das Niveau der Lehre kann nicht auf
internationalem Niveau gehalten werden. Das alles sind
Alarmsignale. Deswegen haben wir vorgeschlagen, dass
die Bundesregierung ab dem Jahr 2002 im Bundeshaus-
halt finanzielle Mittel in Höhe von 120 Millionen DM im
Einzelplan 30 bereitstellt und für das Jahr 2001 ein So-
fortprogramm mit 80 Millionen DM auflegt.

Jetzt werden mich meine Kollegen von der Regie-
rungskoalition – für die Regierung, aber auch für uns
in der Opposition ist dies wichtig – fragen: Wie finanzie-
ren wir das? Wir sind uns als Bildungspolitiker alle einig,
dass wir bei der Wissenschaftspolitik Prioritäten setzen
müssen. Ich nenne als erstes Argument: Das Glück, das
passende Buch aus einer deutschen Bibliothek zu be-
kommen, darf nicht der richtigen Zahl auf einem Glücks-
rad überlassen werden. Zweites Argument – das ist mir
wichtiger –: Unser Sonderprogramm braucht keine Son-
dermittel des Bundes, sondern es soll vernünftig in das
Hochschulbauförderprogramm des Bundes bzw. in an-
dere Wissenschafts- und Forschungsförderprogramme
eingefügt werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies ist ein vernünftiger Finanzierungsvorschlag, auch
unter dem Aspekt, dass die Mittel, die wir im Hochschul-
bauförderprogramm eingestellt haben, von einigen Bun-
desländern nicht abgerufen werden.

Als Letztes will ich sagen: Die deutschen Bibliotheken
haben einen Verfassungsauftrag, der sich in Art. 5 Abs. 1
des Grundgesetzes widerspiegelt und als Meinungs- und
Informationsfreiheit erklärt wird. Ich zitiere:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift
und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich
aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu
unterrichten.

Wir haben die Aufgabe, dafür die Rahmenbedingungen zu
schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416210500
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Peter Eckardt.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1416210600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind hier im
Hause, Frau Pieper, alle der Meinung, dass für Wissen-
schaft, Forschung und Lehre in Deutschland nicht genug
getan werden kann. Die Universitäts- und Landesbiblio-
theken gehören als integraler Bestandteil der Wissen-
schaft zu den unverzichtbaren Einrichtungen, die For-
schung und Wissenschaft fördern und die Studierenden
bei ihrem Bemühen um Erkenntnisse unterstützen. Sie be-
dürfen deshalb der bildungspolitischen und finanziellen
Hilfe. Das ist keine Frage.

An den Bibliotheken ist aber die technische Entwick-
lung derMedien in den letzten Jahren nicht spurlos vorü-
bergegangen. Man kann sich eine Unibibliothek heute
nicht mehr allein als eine Aneinanderreihung von Regalen
vorstellen, in denen verstaubte und ehrwürdige Bücher
stehen. Die Förderung von Bibliotheken muss deshalb
heute anders aussehen als in der klassischen Zeit, in der
nur nach der Vollständigkeit der Bücher und Zeitschriften
in den Regalen oder im Magazin gefragt wurde.

Der F.D.P.-Antrag beschreibt im Wesentlichen die rich-
tigen Tatbestände dieser klassischen Zeit, verkennt aber
die Problemsituation von heute und vor allen Dingen
die Zahlungspflichten, für die allein die Länder zustän-
dig sind. Ich sage auch noch etwas zur Kreativität des
F.D.P.-Antrages: Dieser Antrag ist mit dem Text einer
Presseerklärung des Deutschen Kulturrates vom
22. Januar 2001 identisch,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ja interessant!)

der die Interessen der Verlage vertritt, den Bücher- und Zeit-
schriftenbestand der Bibliotheken im Auge hat und, mit ei-
nigen wissenschaftspolitischen Schlagworten versehen,
dem Deutschen Bundestag vorgelegt wird.

Die Interessenvertretung des Deutschen Kulturrates
via F.D.P. ist legitim, hilft aber wenig bei der notwendi-
gen Umstrukturierung der deutschen Bibliotheken zu
nutzerfreundlichen Zentren, in denen mediengestützte In-
formationen, die auf die geänderten Bedürfnisse der Stu-
dierenden und Lehrenden eingehen, vorhanden sein müs-
sen.


(Beifall bei der SPD)

Ich will als Beispiel die Universität Hannover an-

führen. Diese finanzpolitisch budgetierte Hochschule hat
ein finanzielles Interesse – sie hat entsprechende Be-
schlüsse gefasst –, von jeder Zeitschrift nur noch ein
Exemplar zu abonnieren und es durch Medienpräsenta-
tion oder Kopieranforderung in jeder Institutsbibliothek
über Drucker und Bildschirm für nachfragende Nutzer
verfügbar zu machen. Die Vernetzung aller norddeut-
schen Universitätsbibliotheken ermöglicht eine sofortige
Ausleihe aller Zeitschriften und Buchauszüge auch über
große Distanzen. Das ist eine komfortable Angelegenheit.

Die eingeforderte Verbesserung der Lehre an den
Hochschulen bringt zwangsläufig didaktisch gut aufgear-
beitete Materialien hervor, die, von den Dozenten selbst




Cornelia Pieper
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(C)



(D)



(A)



(B)


hergestellt, an die Studierenden verkauft werden und da-
mit den Umfang der Buchausleihe verringern.

Dies sind einige Gründe dafür, warum die Ausgaben
für Bücher und Zeitschriften zurückgegangen sind. Ich
gehe davon aus, dass diese Entwicklung weitergehen
wird. Verlage werden sich in der Präsentation ihrer Pro-
dukte auf diese Entwicklung einstellen müssen, anderen-
falls werden die Nutzer sie dazu zwingen. Ich glaube
nicht, dass der Wissenschafts- und Forschungsstandort
Deutschland unter dieser Entwicklung leiden wird, so wie
es der F.D.P.-Antrag unterstellt. Ich denke, das Gegenteil
ist der Fall.


(Beifall bei der SPD)

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert deshalb

schon seit einiger Zeit virtuelle Fachbibliotheken, in die
nicht nur Bücher, sondern auch elektronische Medien,
Online-Zeitschriften, Internetadressen, Videobänder so-
wie Mitschnitte von Vorlesungen und Seminaren einge-
stellt sind.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416210700
Herr Kollege Eckardt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1416210800
Ja.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1416210900
Herr Kollege Eckardt, Sie
reden von virtuellen Bibliotheken. Ich stimme Ihnen in-
sofern zu, als auch die Hochschulbibliotheken online
gehen sollen. Ist Ihnen aber bekannt, dass die Kosten für
Lizenzverträge, die von den Verlagen erhoben werden,
so hoch sind, dass sie das Budget der Hochschulbiblio-
theken derart stark belasten, dass man eben gerade nicht
sparen kann, wenn man die entsprechenden Lizenzen von
den Verlagen erwirbt? Ein Abschluss entsprechender
Lizenzverträge wäre aber notwendig, damit solche virtu-
ellen Bibliotheken, wie Sie sie vorgeschlagen haben, ent-
stehen können.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1416211000
Frau Kollegin Pieper, es ist
mir natürlich bekannt, dass die Lizenzgebühren deutscher
und ausländischer Verlage sehr hoch sind. Ich denke aber,
dass sich die Verlage entscheiden und entsprechend
umorientieren müssen, ob sie ihre Produkte dauerhaft für
die Zukunft per Medien oder per Bücher präsentieren
wollen. Im Moment tun sie meist noch beides und kom-
men damit in finanzielle Schwierigkeiten, die sie letztlich
zu einer Entscheidung zwingen werden.

Ich denke aber, dass in den nächsten Jahren entspre-
chende Entscheidungen fallen werden. Ich vermute, dass
sich die Verlage fast ausschließlich auf Medienpräsenta-
tionen konzentrieren werden und dass damit das klassi-
sche Buch, das Zweitbuch in deutschen Bücherregalen
– auch in den deutschen Bibliotheken –, auf dem Rückzug
sein wird.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Das glaube ich nicht! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sind Sie jetzt für Glaubensfragen zuständig?)


– Das müssen wir abwarten. Vielleicht treffen wir uns in
ein paar Jahren wieder und können dann entscheiden, wer
Recht gehabt hat.

Natürlich sind mediengestützte Informationen sehr
teuer. Natürlich ist auch ein hoher Dollar- und Pfund-
kurs nicht hilfreich. Aber die Formulierung „Die Nutzung
des Internets verschleiert das eigentliche Problem“ hilft in
der Sache wenig weiter. Ein Sonderprogramm des Bundes
für die Bibliotheken, wie von der F.D.P. gefordert, wird
den notwendigen Modernisierungsprozess nicht be-
schleunigen, sondern, denke ich, die bestehende Situation
verfestigen.


(Beifall bei der SPD)

Eine koordinierte Erwerbspolitik, eine stärkere Koope-

ration der Verlage und die Nutzung moderner Lieferanten
von Dokumenten und Informationen sind die Wege, auf
denen die deutschen Universitätsbibliotheken voran-
schreiten sollten. Hier haben sie die gemeinsame Hilfe
von Bund und Ländern verdient, die auch geleistet wird.
Ein Sonderprogramm ist dafür nicht sehr hilfreich.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416211100
Jetzt spricht der Kol-
lege Norbert Hauser für die CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1416211200
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende Novem-
ber 2000 haben die Bibliotheksverbände ein Notpro-
gramm zur Rettung der Hochschulbibliotheken von der
Bundesregierung gefordert. Sie warnten vor einem Aus-
bluten der wissenschaftlichen Bibliotheken und appel-
lierten, die „Strukturkrise der Bibliotheksetats“ zu über-
winden. Seitdem ist aufseiten der Bundesregierung nichts
passiert. Insofern ist der Antrag der Kolleginnen und Kol-
legen von der F.D.P.-Fraktion nur folgerichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dass dieser Antrag überhaupt gestellt werden musste,
ist traurig, und zwar deshalb, weil die Bundesregierung
und die Koalition die Sorgen und Nöte der Hochschulbi-
bliotheken wieder einmal ignoriert haben.


(Jörg Tauss [SPD]: „Wieder einmal“?)

Anstatt diese Sorgen und Nöte ernst zu nehmen, setzt

die Bildungsministerin ganz andere Prioritäten. Am
Dienstag nahm sie sich Guildo Horn zur Hilfe, um die
neue BAföG-Kampagne vorzustellen.


(Dr. Peter Eckardt [SPD]: Was hat das mit den Bibliotheken zu tun?)


Klamauk statt Programm, so verkauft die Bundesregie-
rung ihre Politik. Edelgard haben wir deshalb trotzdem
nicht lieb.


(Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär: Deshalb redet man über uns!)





Dr. Peter Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Catenhusen, Sie sind schon sehr bescheiden ge-
worden, wenn es Ihnen reicht, dass man über Sie redet.


(Jörg Tauss [SPD]: Gut redet!)

Zum Thema „Bildung durch Guildo“ möchte ich einen
Kommentar aus der „Berliner Morgenpost“ vom 28.März
2001 zitieren:

Deshalb wird die Kampagne ankommen – und auch,
weil sein

– gemeint ist Guildo Horn –
Bekanntheitsgrad in Deutschland bei 90 Prozent liegt.
Womit er weit vor Edelgard Bulmahn liegt. Bei einer
repräsentativen Umfrage konnten sich 10 Prozent an
den Namen der aktuellen Bundesbildungsministerin
erinnern. Macht zusammen 100 Prozent.

Na, wenn das nichts ist. Edelgard Bulmahn und Guildo
Horn als Center of Excellence zur Rettung des Standortes
Deutschland!


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

– Herr Tauss ist auch wieder aufgetausst.

Meine Damen und Herren von der Koalition, Frau
Bulmahn gibt sich als Unterstützerin des Projektes „Bil-
dung für alle“ und gibt vor, alles besser gemacht zu haben
als ihre Vorgänger. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders
aus. Hören Sie genau zu!

Als 1997 Probleme mit der Ausstattung der Hoch-
schulbibliotheken auftraten, hat Herr Rüttgers ein 40-Mil-
lionen-DM-Sonderprogramm ins Leben gerufen,


(Jörg Tauss [SPD]: An das Fiasko erinnern wir uns!)


das die Bundesländer mit der gleichen Summe unterstützt
haben. Sie haben dieses Programm nicht fortgeführt. Sie
haben den Bibliotheken mit dieser Entscheidung keine
Zukunft gegeben, sondern ihnen sogar die Zukunft ge-
nommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bibliotheksverbände haben mit ihrem Notruf auf

den Verfall der Bibliotheken und auf die nicht mehr kor-
rigierbaren Folgen von entstandenen Fehlbeständen in
den Buch- und Zeitschriftenbeständen hingewiesen. Re-
aktion der Bundesregierung: keine. Es gab kein Wort der
Unterstützung und kein Sonderprogramm. Es geschah
einfach nichts. Der Unterschied zwischen Rot-Grün und
Schwarz-Gelb ist: Die jetzige Bundesregierung redet, die
alte hat gehandelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bundesbildungsministerin Bulmahn möchte zwar, dass
jeder Schüler einen Laptop bekommt. Aber Bücher und
Zeitschriften für die Studenten interessieren sie anschei-
nend nicht. Am vergangenen Dienstag haben Berliner
Schüler von Frau Bulmahn 250 Computer geschenkt be-
kommen, die natürlich nicht Frau Bulmahn und auch nicht
die Bundesregierung, sondern die Firma Siemens bezahlt

hat. Wie könnte es bei Ihrem Verständnis von Public-Pri-
vate-Partnership auch anders sein: Sie lassen sich auf
Kosten anderer die Siegeskränze winden. Ergebnis: Das
Lob ist „public“, die Kosten aber „private“.

Moderne Technologien allein reichen aber nicht aus.
Um sich Wissen anzueignen, braucht man im 21. Jahr-
hundert sowohl die elektronischen Medien als auch die
Printmedien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie Beifall bei der F.D.P.)


Dr. Eckhardt, nur beides zusammen führt Wissenschaftler
und Studenten zum Erfolg. In die Welt hinauszusurfen ist
nicht genug. Nicht alles, was in Fachbüchern und -zeit-
schriften steht, ist auch im Internet verfügbar. Wer die
Bibliotheken der Hochschulen vernachlässigt, vernach-
lässigt damit auch die Wissensvermittlung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wissen genau, Kollege Dr. Eckhardt, dass Online-
recherchen über eine gewisse Zeit funktionieren. Wenn
Sie aber wirklich einsteigen und das Wissen durch inten-
sivere Recherchen verstärken wollen, dann greifen Sie
doch wieder zum Buch und damit zum guten alten Papier,
weil es so einfacher als am Bildschirm ist, etwas aufzu-
nehmen.

Noch schlimmer ist, meine Damen und Herren von der
Koalition: Mit Ihrer Politik schaffen Sie Klassenunter-
schiede innerhalb der Studentenschaft. Konsequenz:
Nachdem man schon im Gesundheitswesen von einer
Zweiklassenmedizin spricht, folgt nun auch noch das Stu-
dium nach dem Geldbeutel. Denn wenn die Bibliotheken
der Universitäten und Fachhochschulen nur noch unzu-
reichend ausgestattet sind, kann nur noch der umfassend
wissenschaftlich forschen, der sich Computer, Bücher
und Zeitschriften leisten kann. Wer dazu nicht in der Lage
ist, bleibt auf der Strecke.

Hinzu kommt – das sollten wir nicht vergessen – der
Zeitverlust. Längere Suche und Fernleihe führen nun ein-
mal zwangsläufig zu einer Verlängerung der Studienzeit.
Diplomarbeiten können durchaus an wissenschaftlicher
Substanz verlieren, wenn nicht alle Quellen immer er-
reichbar sind. Wie heißt es in der Broschüre des BMBF
anlässlich des Amtsantritts von Ministerin Bulmahn doch
so schön:

Wer Begabungsreserven erschließen will, wer
Chancengleichheit anstrebt, muss dazu beitragen,
soziale Barrieren abzubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P)

Anspruch und Wirklichkeit klaffen wieder einmal weit
auseinander. Frau Bulmahn ist bekannt dafür, Großes an-
zukündigen und Kleines zu leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist ja unerhört!)


Die Bundesregierung hätte bereits längst handeln kön-
nen, wie es die betroffenen Verbände denn auch forderten.
Handlungsbedarf gibt es genug; die Zahlen sprechen für




Norbert Hauser (Bonn)

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(D)



(A)



(B)


sich: Circa 30 Prozent der früher in den Hochschulbiblio-
theken erhältlichen Zeitschriften wurden inzwischen ab-
bestellt, Dr. Rossmann. Fallen bei wichtigen Zeitschriften
ein oder mehrere Jahrgänge aus, so ist eine wissenschaft-
liche Recherche nahezu unmöglich. Außerdem wer-
den die auftretenden Fehlbestände später nicht wieder
aufgefüllt und gehen für das Wissen somit verloren.
500 000 dringend benötigte Bücher konnten in den letz-
ten Monaten nicht beschafft werden. Dies hat für die ver-
schiedenen Hochschulbibliotheken unmittelbare Folgen.

Beispiel Göttingen: Seit Mai 2000 konnte in Göttin-
gen keine Monographie mehr angeschafft werden. Bei-
spiel Hamburg: Weil die Hochschulbibliotheken aus-
bluten, wurde die Spendenaktion „Ex libris – Wissen
spenden“ ins Leben gerufen, die innerhalb kürzester Zeit
über 1 Million DM erbrachte. Beispiel Stuttgart: Die
Universität Stuttgart hat seit Ende der 90er-Jahre rund
400 Zeitschriften abbestellt. Beispiel Bonn: In Bonn soll
die Landwirtschaftsbibliothek geschlossen und ihre Be-
stände sollen zur Zentralbibliothek nach Köln verlagert
werden. Folge: Die weltweit zweitgrößte Spezialbiblio-
thek für das Fach Landwirtschaft steht vor dem Aus, ob-
wohl gerade sie ein umfassendes Angebot von Büchern
aus dem Bereich Lebensmittelsicherheit und -qualität hat.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die soll verlagert werden!)


– In die Zentralbibliothek, Herr Kollege. Sie ist dann
keine Spezialbibliothek mehr. – Vor dem Hintergrund der
aktuellen Diskussion über Verbraucherfragen ist das ein
geradezu abstruses Ergebnis der Politik im Umgang mit
den wissenschaftlichen Bibliotheken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich – Dr. Eckardt hat darauf hingewiesen – tra-

gen auch die Länder Verantwortung für die Hochschulbi-
bliotheken.


(Jörg Tauss [SPD]: Was heißt hier „auch“?)

Da das so ist, muss man den Ländern die Möglichkeit

für eine entsprechende Finanzierung lassen; man muss ih-
nen die Luft zum Atmen lassen. Nach einer Berechnung
dieser Bundesregierung führt allein das Steuerbereini-
gungsgesetz 1999 in den Jahren 2000 bis 2003 zu einem
Einnahmeverlust von fast 2,5Milliarden DM bei den Län-
dern.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht zu fassen! – Gegenruf der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.]: Ich finde auch, dass es nicht zu fassen ist, was Sie bieten! – Jörg Tauss [SPD]: Jeden Morgen neue Steuersenkungen fordern und dann das! Unseriös!)


Angesichts der jetzigen Finanznot in den deutschen
Hochschulbibliotheken kann man von einer geplanten
Büchersammlung nicht mehr sprechen. Eine wirksame
Ergänzung zum örtlichen Angebot könnte – darüber ist
eben schon einmal gesprochen worden – eine virtuelle
Bibliothek sein. Durch hochschulübergreifende Zusam-
menarbeit sollten vernetzte, bundesweit zugängliche vir-
tuelle Schwerpunktbibliotheken entstehen, die multime-

diale Informationen digital abrufbar speichern. Wenn den
Bibliothekaren das Geld für das Nötigste fehlt, dann kön-
nen sie keine neuen Felder erschließen. Die Folge ist auch
in diesem Fall, dass der Wissenschaftsstandort Deutsch-
land den Anschluss verliert.

Die Union hatte bereits am 20. Januar 1999 im Bil-
dungsausschuss des Deutschen Bundestages gefordert,
die Hochschulbibliotheken als moderne Kommunikati-
ons- und Dienstleistungszentren auszubauen. Vertreter
der Koalition hatten dies auch zugesagt. Einmal mehr ist
nichts geschehen.

Je länger der Bund bei der Frage der Hochschulbiblio-
theken zögert, desto tiefer werden die Lücken im Bestand,
die nicht mehr geschlossen werden können. Die Länder
können dem Problem nicht allein begegnen; daher muss
der Bund in die Bresche springen. Nichtstun führt zu Zeit-
verlust. Zeitverlust bedeutet noch stärkere Einschnitte in
das Bibliothekssystem. Das Gebot der Stunde heißt, den
Hochschulen zu helfen. Wenn Sie in Ihren Bibli-
otheksbeständen noch ein Stammbuch haben, dann
schreiben Sie sich dies dort hinein. Gehen Sie dazu über,
die Bibliotheken zu unterstützen, und hören Sie auf, nur
darüber zu reden!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416211300
Nächster Redner ist
der Kollege Reinhard Loske für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416211400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst möchte ich etwas zu Herrn Hauser sagen. Ich
habe mir zum Beispiel den Satz „Natürlich ... tragen auch
die Länder Verantwortung für die Hochschulbibliothe-
ken“ aufgeschrieben. Ich darf darauf verweisen, dass
dafür vor allen Dingen die LänderVerantwortung tragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wer regiert in den Ländern, die er angeführt hat? – Jörg Tauss [SPD] Baden-Württemberg: zum Beispiel!)


Das sollte man feststellen.
Ich möchte auf Guildo Horn eingehen. Musik ist be-

kanntermaßen Geschmackssache. Ich kann gut verstehen,
dass Sie ein Problem damit haben, dass die Studentinnen
und Studenten jetzt mehr Nussecken knabbern können,
weil sie zu Ihrer Zeit am Hungertuch nagen mussten.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Das Hungertuch sieht man Ihnen nicht an, Herr Kollege!)


Nichts gegen Guildo Horn. Wenn Sie einen anderen Ge-
schmack haben, dann akzeptieren Sie das bitte.

Was die Popularität von Frau Bulmahn betrifft: Um-
fragen sind ohnehin immer so eine Sache. Herr Rüttgers




Norbert Hauser (Bonn)


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(C)



(D)



(A)



(B)


war zwar etwas bekannter – er hat wie verrückt auf die
Pauke gehauen –, aber bildungspolitisch ist dabei nichts
herausgekommen. Frau Bulmahn ist im Auftreten zwar et-
was zurückhaltender, sie erreicht aber viel mehr. Die
zweite Variante ist mir lieber.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jenseits der parteipolitischen Auseinandersetzungen
ist es doch klar, dass die Bildungspolitiker wollen, dass
mehr Geld in den Bibliothekssektor fließt, während die
Haushälter sparen wollen. Das ist doch wirklich kein No-
vum. Insofern sollten wir uns hier nicht wechselseitig be-
schuldigen – Herr Hauser, das geht an Ihre Adresse –, wir
ließen zu, dass ein bildungspolitisches Proletentum her-
anwächst. Wir sind für Bildung. Man muss nur überlegen,
wie man sie finanzieren kann und ob es nicht andere Po-
tenziale gibt, die man ausschöpfen kann.

Eines ist definitiv klar – das kann ich als Hochschul-
lehrer sagen –: Die Misere der Hochschulbibliotheken
ist mindestens schon zehn Jahre alt, vielleicht noch äl-
ter. Wir haben es hier also nicht mit einem neuen Phä-
nomen zu tun, sondern mit einem Problem, das in den
letzten fünf Jahren rasant an Bedeutung zugenommen
hat.

Im Folgenden möchte ich auf die Gründe der Finanz-
probleme eingehen:

Erstens. Die alte Vorstellung, dass die neuen Medien,
die CD-ROMs, die Computer oder das Internet, das Buch
oder die Zeitschrift ersetzen würden, trifft nicht zu.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Das hat schon Herr Eckardt gesagt!)


– Ich rede hier für mich. – Es entwickelt sich eine Paral-
lelstruktur, die sogar kostenintensiver ist. Das muss man
feststellen.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Sie haben ja Recht!)

Es gibt aber bei den Zeitschriften die Möglichkeit, verstärkt
das Internet zu nutzen. Darauf gehe ich nachher noch ein.

Zweitens. Auch die ungünstigen Wechselkurse sind
problematisch. Gerade die Preise für die englischspra-
chige Literatur steigen, was zu Abbestellungen von Zeit-
schriften führt.

Drittens. Was die allgemeinen Sparzwänge der
Hochschulen betrifft, so ist überall zu beobachten, dass
zuerst die Sachmittel – vorneweg die Mittel für die
Bibliotheken – gekürzt werden. Das führt dazu, dass
Zeitschriftenabonnements gekündigt werden müssen. Ich
konzediere, dass es sich hierbei um problematische Ent-
wicklungen handelt.

Aber man muss auch auf folgenden Punkt hinweisen:
Man kann zwar durchaus mehr Geld für Bibliotheken for-
dern. Aber man muss sich schon fragen, was der Bund und
was die Länder unternehmen. Einfach aus der Opposition
heraus zu fordern, der Bund solle mehr Geld geben, weil
die Länder ihrer Aufgabe nicht nachkommen, halte ich
nicht für angemessen. Das ist ja nichts anderes als eine

Forderung nach Ersatzfinanzierung von Landesaufgaben
durch den Bund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man muss ferner darauf verweisen, dass durch Struk-
turveränderungen erhebliche Einsparpotenziale zu rea-
lisieren sind; das wurde bereits von den Vorrednern ge-
sagt. Diese Einsparpotenziale ergeben sich vor allen
Dingen aus einer koordinierten Einkaufspolitik der Bi-
bliotheken und aus einer gemeinschaftlichen Nutzung des
Literaturbestandes. Man muss – mit Ausnahme der
Bücher in Präsenzbibliotheken – die Bücher sowieso be-
stellen. Daher ist es nicht problematisch, wenn es ein zen-
trales Lager gibt und wenn mehrere Universitäten zumin-
dest in den Ballungsräumen kooperieren. Es kann mir
völlig egal sein, ob das Buch aus der Bibliothek meiner
Universität oder ob es aus einem Pool stammt. Zentral-
archive eröffnen diesbezüglich gute Möglichkeiten. Was
den Erwerb von Lizenzen und die Schaffung von Ein-
kaufskonsortien betrifft, gibt es sicherlich noch Möglich-
keiten zur effektiven Zusammenarbeit.

Langer Rede kurzer Sinn: Der Tenor dieses Antrages
ist sicherlich zu begrüßen. Obwohl unsere Bibliotheken
mehr Geld brauchen, halte ich es aber nicht für richtig, die
Verantwortung allein auf den Bund zu schieben. Wir müs-
sen schauen, wie man durch eine effizientere Mittelver-
wendung noch mehr herausholen kann, als es heute der
Fall ist. Das Geld muss eben auch an den richtigen Stel-
len ausgegeben werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416211500
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1416211600
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Die CeBIT und die Leipziger
Buchmesse waren gleichermaßen erfolgreich und machen
eines deutlich: Auch im Zeitalter von PC und Internet hat
das Buch eine große Zukunft vor sich.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.])


Ein kulturelles Leben ohne Bücher ist und bleibt schlicht
unvorstellbar. „Big Brother“ und Co. wie auch Guildo
Horn können diese Lücke nicht schließen. Wichtig ist,
dass alle Menschen einen breiten Zugang zur Literatur ha-
ben. Darin ist die Forderung nach einem ausreichend fi-
nanzierten öffentlichen Bibliothekswesen begründet.

Das gilt analog für Wissenschaft und Forschung. Die
Lektüre von Fachbüchern und Fachzeitschriften bestimmt
auch im 21. Jahrhundert den Alltag von Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftlern, von Studentinnen und
Studenten. Zur aufgabengerechten Infrastruktur eines
modernen Wissenschaftssystems gehört daher die bedarfs-
gerechte Bereitstellung von Fachliteratur.




Dr. Reinhard Loske
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(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Infrastruktur – da gibt es nichts zu beschöni-
gen – ist substanziell gefährdet. Darauf hat jetzt auch der
Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskul-
turverbände, in einer Resolution aufmerksam gemacht.
Die Forderung des Deutschen Kulturrats nach einer So-
forthilfe des Bundes für die Hochschul- und Landesbi-
bliotheken ist als dringender Hilferuf zu verstehen, den
wir nicht überhören dürfen.

Die Lage der Hochschulbibliotheken ist katastro-
phal: Buch- und Zeitschriftenpreise schießen in die Höhe;
die öffentlichen Wissenschaftsetats stagnieren. Die Folge
sind Verzicht auf wichtige Neuanschaffungen und
Abbestellungen von Fachzeitschriften. Auf diese Weise
entstehen Lücken in Bibliotheksbeständen, die auch
nachträglich nicht oder nur unter erschwerten Umständen
geschlossen werden können.

Universitäten, Fach- und Kunsthochschulen suchen
heute händeringend Mäzene und Sponsoren, um die Schä-
den wenigstens zu begrenzen. So hat mich beispielsweise
ein Spendenaufruf der Universitätsgesellschaft Potsdam
erreicht, in dem allein für die Universität Potsdam im Jahr
2001 über fehlende Mittel in Höhe von 6 bis 7 Millionen
DM geklagt wird. So hilfreich privates Engagement im
Einzelfall sein mag, so klar ist doch auch, dass sich das
Problem der chronischen Unterfinanzierung der Hoch-
schulen auf diese Weise nicht lösen lässt.


(Beifall bei der PDS)

Wir können und dürfen den Staat nicht aus einer Ver-

antwortung entlassen und wir fordern, dass sich auch der
Bund dieser Verantwortung stellt.


(Beifall bei der PDS)

Der Bund ist mit seiner Steuer- und Finanzpolitik dafür
mitverantwortlich, dass viele Länder ihren Bildungs- und
Wissenschaftsetats den Hahn abdrehen. Der Bund hat da-
her die Pflicht, dort Soforthilfe zu leisten, wo irreversible
Schäden der wissenschaftlichen Infrastruktur drohen. Die
PDS unterstützt daher die Initiative des Deutschen Kul-
turrates und den heute hier behandelten Antrag der F.D.P.-
Fraktion.


(Beifall bei der PDS)

Ein Umdenken ist auch zur Sicherung der Chancen-

gleichheit im Studium dringend geboten. Es ist doch be-
reits heute so, dass Studierende, die jeden Pfennig umdre-
hen müssen, viel stärker unter dem katastrophalen
Zustand der Hochschulbibliotheken leiden als jene, die
sich fehlende Literatur mal eben im Buchhandel beschaf-
fen können. Wenn die neuesten Auflagen von Lehr- und
Fachbüchern nicht im Bibliotheksregal stehen und Zeit-
schriftenaufsätze mühsam und mit ungewissem Erfolg
per Fernleihe bestellt werden müssen, schlägt sich dies in
den Studienleistungen und auch in der Studiendauer nie-
der. Darauf hat Kollegin Pieper schon aufmerksam ge-
macht.


(Beifall bei der PDS)

Studiengebühren – ich füge ausdrücklich hinzu: auch Be-
nutzungsgebühren für Bibliotheksleistungen – verschär-

fen das Problem der Chancenungleichheit im Studium zu-
sätzlich. Ein Ausbau der Finanzierung von Hochschul-
und Landesbibliotheken durch Gebühren wäre also der
falsche Weg.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Meine Damen und Herren, Buchrestauratoren kämpfen

erfolgreich dagegen, dass jahrhundertealte Schätze in un-
seren Bibliotheken zu Staub zerfallen. Die eigentliche Ge-
fahr für den Literaturbestand unserer Bibliotheken geht
allerdings von den Rotstiften der Sparkommissare in
Bund und Ländern aus. Damit ist die PDS nicht einver-
standen. Wir unterstützen daher die Forderung des Deut-
schen Kulturrates nach einem Sonderprogramm für die
Hochschul- und Landesbibliotheken.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416211700
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Jörg Tauss für die SPD-Frak-
tion.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1416211800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute Nachmittag
in der Tat ein wichtiges Thema an. Ich habe allerdings,
Frau Kollegin Pieper, erhebliche Zweifel, ob der F.D.P.-
Antrag dem Thema insgesamt gerecht wird. Es ist doch
keineswegs geklärt, dass die Bibliotheksprobleme nur mit
Geld zu lösen sind, wie die F.D.P. es hier behauptet. Es ist
ja interessant, wie sich die Zeiten ändern. Nun sagt sie:
Wenn ein Problem besteht, soll der Staat dafür Steuermit-
tel aufwenden. Bezüglich der Frage der Finanzierung ha-
ben Sie nur einen Hinweis im Zusammenhang mit den
Gewinnmöglichkeiten beim Glücksrad gegeben; das habe
ich mir aufgeschrieben. Diese müsste aber auf andere
Füße gestellt werden.

Der Antrag ist zwar in den Punkten, die direkt auf Vor-
schläge des Kulturrates zurückgehen, richtig,


(Zuruf der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.])

– seien Sie doch nicht gleich wieder eingeschnappt –, er
beinhaltet aber darüber hinaus auch noch den einen oder
anderen Fehler. In der Begründung steht zum Beispiel,
dass die Belastung durch eine Mehrwertsteuer in Höhe
von 16 Prozent ein Problem darstelle.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Habe ich gar nicht gesagt!)


Das ist in diesem Bereich kein Problem; denn für Print-
medien gilt der reduzierte Mehrwertsteuersatz. Diese Un-
korrektheiten nehmen dem Antrag leider etwas von seiner
Ernsthaftigkeit.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Nein!)

Ich habe zwar gesagt, dass Geld nicht alles ist; trotz-

dem möchte ich noch einmal auf die Strukturprobleme
zu sprechen kommen. Die finanziellen Faktoren bis hin
zum gestiegenen Dollarkurs sind hier hinreichend be-
schrieben worden. Wenn wir aber eine Debatte über
das gesamte Bibliothekswesen führen wollen, müssen wir
tiefer gehen.




Maritta Böttcher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ihre Behauptung, Frau Pieper, das Internet führe in
den Etats der Bibliotheken nicht zu Spareffekten, ist in
dieser Einseitigkeit übrigens auch nicht richtig.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Doch!)

– Nein, sie ist natürlich nicht richtig. – Selbstverständ-
lich führt dies auch zu Spareffekten, aber um diese zu er-
reichen, sind vorher Investitionen nötig. Das muss an
dieser Stelle ganz klar gesagt werden. Aus diesem Grund
unterstützt die Bundesregierung mit sehr viel Geld und
verschiedenen Programmen einen Ausbau der Möglich-
keiten von Bibliotheken, eine Internetpräsenz herzu-
stellen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie hätten mal besser zuhören sollen! Da hätten Sie was lernen können!)


– Stellen Sie doch eine Frage, wenn Sie etwas wissen wol-
len! Der Kollege Dr. Eckardt hat hier beispielsweise die
Deutsche Forschungsgemeinschaft angesprochen, die mit
sehr viel Geld virtuelle Fachbibliotheken fördert. Wir
können uns doch darüber freuen, dass sich in diesem Be-
reich etwas tut.

Mit der digitalen Bibliothek entstehen natürlich auch
ganz neue, vernetzte Informationssysteme. Wir kümmern
uns deshalb um Ansätze für künftige derartig vernetzte In-
formationssysteme und für die wissenschaftliche Fachin-
formation.

Frau Kollegin Pieper, Sie wollten, wenn ich das recht
in Erinnerung habe, das alles in der Amtszeit des Kolle-
gen Rüttgers, der hier mehrmals zitiert worden ist, Herr
Hauser, privatisieren. Damals haben Sie auch die elektro-
nische Information als gesellschaftliche Aufgabe ausglie-
dern wollen. Sie wollten sie an die Verlage verscherbeln.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Ich wollte das nicht!)


– Entschuldigen Sie bitte, genau das waren die Pläne, die
wir vorgefunden haben. – Das hätte, wie bei den Fach-
zeitschriften, möglicherweise dazu geführt, dass die elek-
tronische Fachinformation unbezahlbar geworden wäre.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Das ist doch Quatsch!)


Deshalb haben wir gesagt, wir bremsen das jetzt erst
einmal, wir machen ein Moratorium, privatisieren nicht
und holen die Verleger mit ins Boot; denn es ist notwen-
dig, dass die Verlegerinnen und Verleger mit im Boot sit-
zen. Aber eines machen wir nicht, Frau Pieper – darauf
liefe Ihr Antrag hinaus –: Wir machen kein Verlagssub-
ventionsprogramm, finanziert durch Steuermittel. Das
will ich hier in aller Klarheit sagen.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Wer hat das denn gefordert? – Weiterer Zuruf von der F.D.P.)


– Das ist eine Aufgeregtheit heute Nachmittag! Entspan-
nen Sie sich doch, es ist gleich Wochenende!

Die Hochschulen und die Universitäten müssen – der
Kollege Loske hat darauf hingewiesen – gegenüber den

Verlagen verstärkt Marktmacht entwickeln. Sie müssen
zusehen, dass gemeinsam bestellt wird. Die Länder kön-
nen das durchsetzen und sie tun es auch. Schauen Sie sich
einmal die Zusammenarbeit benachbarter Univer-
sitätsbibliotheken an, zum Beispiel in Bonn und Köln.
Dort wird sie allerdings vom Kollegen Hauser kritisiert.
Auch in Bochum und Dortmund haben wir ein hervorra-
gendes Beispiel einer intelligenten Zusammenarbeit der
Bibliotheken.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Sie haben Darmstadt vergessen!)


Das sind gute Beispiele. Herr Kollege Loske hat in diesem
Punkt völlig Recht: Das ist ein Weg, der weiter beschrit-
ten werden muss.

Die Universitäten und Hochschullehrer sollten sich im
Übrigen selbst stärker in diese Debatte einbringen. Es ist
gut und wichtig, wenn das der Kulturrat tut,


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Ich habe die Hochschulrektorenkonferenz zitiert, Herr Tauss!)


dies sollten aber auch die Universitäten, die Hochschul-
lehrer und die Bibliotheksverbände selbst stärker tun.

In diesen Tagen zum Beispiel, Frau Pieper, fordern
12 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus
120 Ländern in einem offenen Brief an die Verleger, und
zwar ausgehend von den neuen Erkenntnissen im Bereich
der Biotechnologie, dass wissenschaftliche Artikel nach
geraumer Zeit über das Internet frei verfügbar sein müs-
sen. Das halte ich für eine extrem wichtige Debatte. Da-
bei geht es nämlich um die Frage: Werden wissenschaft-
liche Erkenntnisse frei zur Verfügung gestellt oder
kommen wir in die Situation, dass die mit sehr viel öf-
fentlichem Geld, auch öffentlichem Forschungsgeld, er-
rungenen Erkenntnisse von Verlagen mit wiederum knap-
pen öffentlichen Mitteln zurückgekauft werden müssen?

Das ist eine ernsthafte Frage, die wir uns stellen müs-
sen, die aber natürlich bei den Verlagen gelegentlich zu
Aufregung führt. Deswegen sage ich ganz deutlich:
Niemand will den Verlagen etwas Böses. Aber die
Frage, wie wir in einer Informationsgesellschaft zu fai-
ren Preisen und fairen Bedingungen an den Rohstoff In-
formation kommen, ist eine zentrale Frage, die über die
Ausstattung der Bibliotheken natürlich weit hinaus-
reicht.

Kommen wir zurück auf eine Debatte, die wir hier
schon einmal geführt haben, Herr von Klaeden. Als ich
damals gesagt habe, der freie, ungefilterte Zugang zu In-
formation zu fairen Bedingungen sei eine zentrale
Frage, haben Sie noch gerufen, das sei Sozialismus. Das
habe ich Ihnen nicht übel genommen, weil Sie sich mit
dem Thema noch nicht sehr intensiv beschäftigt hatten.
Aber ich glaube, heute sind wir zumindest in diesem
Punkt weiter: Der freie Zugang zu dem Rohstoff Infor-
mation ist eine zentrale, strategische Aufgabe, die aller-
dings allein über das, was Sie mit Ihrem Antrag vorgelegt
haben, nicht bewältigt werden kann.

Ich freue mich allerdings sehr auf die Debatte, die wir
in den Ausschüssen miteinander führen können. Da wer-




Jörg Tauss
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(C)



(D)



(A)



(B)


den wir interessante Diskussionen haben. Dann wird die
spannende Frage sein: Mit welchen neuen Mitteln
gewährleisten wir diesen Zugang? Sagen Sie dann aber
bitte nicht: über Glücksrad und Steuermittel. Lassen Sie
uns versuchen, wieder Geld in ein System zu pumpen, das
an einigen Stellen große strukturelle Defizite aufweist, die
zunächst einmal beseitigt werden müssen.

Ich wünsche Ihnen trotz Ihrer Aufregung ein schönes
Wochenende.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Sie waren aufgeregt, Herr Tauss! Wir waren ganz ruhig!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416211900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5105 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe Einverständ-
nis im ganzen Hause. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unser heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 4. April 2001, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.