Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröff-net.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktlistevorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern. ZP 1 Beratung des Antrags der Bundesregierung:Deutsche Beteiligung an möglichen NATO-Operationen zum Schutz und Herausziehenvon OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo inNotfallsituationen – Drucksache 14/47 – ZP2 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Er-kenntnisse der Bundesregierung zur Entste-hung des Unfalls der „Pallas“ vor der deut-schen Nordseeküste und Maßnahmen derBundesregierung zur Schadensbegrenzungund -beseitigung nach der Havarie ZP 3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Deutsche Beteiligung an möglichenNATO-Operationen zum Schutz und Heraus-ziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Koso-vo in Notfallsituationen – Drucksache 14/47,14/} – ZP 4 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung derBundesregierung zu einem Umfrageergebnis,nachdem nur 13% der Unternehmen die bishe-rigen 620/520-Mark-Jobs in reguläre Arbeits-verhältnisse überführen, demgegenüber aber20% der Firmen diese bisherigen geringfügigenBeschäftigungsverhältnisse streichen und 23%lieber freie Mitarbeiter einstellen wollen, wenndie bisherigen rot-grünen Pläne zu einer Neu-regelung verwirklicht werden ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undF.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Gesetzes über die politischenParteien – Drucksache 14/41 – ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Widerstand ge-gen die Aufhebung des Exportverbots für bri-tisches Rindfleisch durch die EU-Kommission– Drucksache14/42 – ZP 7 Erste Beratung des von den AbgeordnetenDr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, Jörgvan Essen, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur beschäftigungswirksamen Ände-rung des Kündigungsschutzes – Drucksa-che14/44 –Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll,soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istdas so beschlossen.Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungDeutsche Beteiligung an möglichen NATO-Operationen zum Schutz und Herausziehenvon OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo inNotfallsituationen– Drucksache 14/47 –
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378 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 379
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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380 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 381
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(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
– Falls Sie es nicht verstanden haben sollten: Ich meinenatürlich Bonn, Frau Kollegin. Ich dachte, daß „Bundes-stadt“ im Hohen Haus ein geläufiger Begriff ist.
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen: In dem von uns vorgelegtenBericht – wir haben Problempunkte dargestellt, die nochzu klären sind – haben wir keinen Anlaß gesehen, dieWohnungssituation in Bonn als problematisch zu be-schreiben und zu unterstellen, daß es in Bonn zusätzli-che Erschwernisse geben könnte.
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382 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiteren
Zwischenfrage erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, CDU/CSU.
Herr Mini-
ster, angesichts der Tatsache, daß wir mit den Kosten –
ich spreche jetzt nur von den Parlamentsbauten; für die
Regierungsbauten tragen Sie direkt Verantwortung –
ganz knirsch sind – die Vorräte sind aufgebraucht –, und
angesichts der Tatsache, Frau Matthäus-Maier, daß der
Deutsche Bundestag auch mit Ihrer Stimme vor gut ei-
nem halben Jahr zugunsten der Rentenversicherung die
Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöht hat, was bei
einer noch nicht abgerechneten Bausumme von rund
2 Milliarden DM für den Deutschen Bundestag allein
20 Millionen DM mehr Steuern bedeutet, die wir beim
Finanzminister erbitten müssen, damit er sie der Bau-
firma gibt, um sie sich dann später von der Baufirma zu-
rückzuholen, frage ich Sie: Können Sie sich vorstellen,
daß Sie die Vorstellung des Deutschen Bundestages,
zumindest die der Baukommission des Deutschen Bun-
destages, unterstützen, den Finanzminister angesichts
dieser Tatsache zu bitten, wenigstens den Faktor, der
durch die Mehrwertsteuererhöhung dazugekommen ist,
zu akzeptieren, ohne daß es zu Lasten der Bausumme
geht?
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Herr Kollege Kansy, ich
muß gestehen, daß ich Ihre Frage nicht ganz verstanden
habe. Ich bitte um Nachsicht. Vielleicht könnten Sie es
mir noch einmal mit einem Satz sagen.
Wenn die Prä-
sidentin das gestattet. – Durch die Mehrwertsteuererhö-
hung, die wir im letzten Jahr im Deutschen Bundestag
beschlossen haben und die dieses Jahr in Kraft getreten
ist, haben sich bei laufenden Bauvorhaben natürlich in
ganz erheblichem Umfang die Baukosten erhöht. Ich
meinte, daß es doch ein unsinniges Geschäft wäre, auch
wenn die Umsatzsteuer nicht 100prozentig dem Bund
zugute kommt, daß der Finanzminister dieses Geld erst
abgreift und dann wieder ausgeben muß.
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Jetzt verstehe ich es. Ich
sehe dabei aber kein Problem, denn trotz einer um
1 Prozentpunkt höheren Mehrwertsteuer – bei einem
Betrag von 20 Milliarden wären es 200 Millionen DM –
gehen wir davon aus, daß wir den Kostenrahmen halten
werden,
also die Kosten auch unter Berücksichtigung dieser Tat-
sache im Griff haben. Es gibt keinen Grund, irgendwel-
che Sonderregelungen zu treffen. Ich glaube, das stände
uns, sowohl der Bundesregierung als auch, wenn ich mir
das zu sagen erlauben darf, dem Parlament, schlecht zu
Gesicht.
Im übrigen darf ich, Frau Präsidentin, noch sagen –
ich habe das zu Beginn vergessen –: Der Bericht, über
den ich gesprochen habe, ist in seiner endgültigen
Fassung heute morgen fertig geworden und wird in
dieser Fassung heute dem Parlament zur Verfügung
gestellt. Er wird nicht gleichzeitig bei allen
Abgeordneten ankommen, aber er wird heute den
Fraktionen und den Sprecherinnen und Sprechern
vorliegen. Er wird Ihnen dann schnell zur Verfügung
stehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage-
stellerin ist die Abgeordnete Petra Pau, PDS.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, Ihre Äuße-
rung, daß bisher keine Sicherungsmaßnahmen für das
Staatsratsgebäude angedacht wurden, hat mich stutzig
gemacht. Ich möchte Sie nach den Auswirkungen auf
die rundherum liegende Bürgerstadt befragen. Ist schon
absehbar, was das konkret für die dort wohnenden Bür-
gerinnen und Bürger und insbesondere für das Areal des
Schloßplatzes heißt? Sie wissen, daß im Moment sehr
emotional darüber diskutiert wird, inwieweit er sowohl
für Berlinerinnen und Berliner als auch für ihre Gäste
zugänglich ist. Wer ist im Moment in dieser Frage Ihr
Ansprechpartner, oder wollen Sie auf das Instrument des
Hauptstadtvertrages, also des direkten Durchgriffs des
Bundes, zurückgreifen?
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Es geht darum, solche Si-
cherheitsvorkehrungen zu treffen, die dafür sorgen, daß
ein Aufenthalt des Bundeskanzlers im Staatsratsgebäude
– das wird vorübergehend sein Amtssitz sein – verant-
wortet werden kann. Diese werden nicht übertrieben
sein, aber man benötigt einen Sicherheitstrakt und muß
sich überlegen, wie sicher die Fenster sind, wie nahe je-
mand von draußen an das Gebäude herankommen kann
und wie nahe Autos geparkt werden dürfen. Es geht um
solche simplen Dinge und um keine größeren Sicher-
heitsvorkehrungen in diesem Bereich. Aber dieses Mi-
nimum an Sicherheit muß schon gewährleistet werden.
Das war es bisher nicht, aber das werden wir nun nach-
holen. Hierüber hat es auch schon die entsprechenden
Gespräche gegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Bau-
meister, Sie hatten noch eine Frage.
Herr Minister,ich möchte noch einmal auf das Problem der Pendler-wohnungen zurückkommen: Halten Sie an dem Grund-satz fest, daß die dem Bund gehörenden Alliiertenwoh-nungen, die zwischenzeitlich genutzt wurden, wiederfrei gemacht werden, so daß sie wieder unserem Kontin-gent zur Verfügung stehen? Konkret heißt das, daß derBund nicht andere Wohnungen bereitstellen muß, son-dern auf diese Wohnungen zurückgreifen kann.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 383
(C)
(D)
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen: Dieses ist noch unsere Posi-tion, Frau Kollegin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Fragesteller
zu diesem Themenkomplex ist der Abgeordnete Norbert
Hauser, CDU/CSU.
Herr Bundes-
minister, in Ihrem Bericht wird darauf hingewiesen, daß
die Bonn-Vereinbarung von 1990 am 31. Dezember
1999 ausläuft. Nun hat der Bundeskanzler in seiner Re-
gierungserklärung dankenswerterweise ausgeführt, daß
er die kulturellen Mittel für die Bundeshauptstadt Berlin
gemäß dem Hauptstadtvertrag in Höhe von zur Zeit 60
Millionen DM zu verdoppeln gedenkt. Dürfen wir davon
ausgehen, daß sich diese Großzügigkeit in ähnlicher
Weise auch auf die Bundesstadt – Frau Kollegin Matt-
häus-Maier – Bonn
auswirkt bzw. wenigstens nicht an eine Reduzierung der
Mittel für Bonn gedacht wird?
Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Beides – so habe ich eben
berichtet; das gilt auch – wird im nächsten Jahr auszu-
handeln sein. Die Zuständigkeit liegt dann im wesentli-
chen beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur,
Staatsminister Naumann.
Ich werde mich als Bauminister natürlich weiterhin
darum kümmern, daß die anderen Aspekte dieser Ver-
träge beachtet werden. Über die Höhe der Zahlen kann
man heute noch nichts Konkretes sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die bei-
den weiteren Themen der Kabinettsitzung auf. Zum
Steuerentlastungsgesetz hat sich der Abgeordnete Hans
Michelbach, CDU/CSU, gemeldet.
Frau Staatssekretä-
rin, aus dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz wird
jetzt, wie wir erfahren haben, ein Vorläufergesetz abge-
trennt. Dieses Vorläufergesetz mit seinen 10 Milliarden
DM Mehrausgaben möchte ich als Wahlversprechenge-
setz kurz vor Weihnachten bezeichnen. Für diese Aus-
gaben ist aber noch keine Deckung beschlossen. Auch
die Haushaltsabsicherung besteht noch nicht. Gilt für die
Beschlüsse zur Gegenfinanzierung, die erst im März
oder April nächsten Jahres gefaßt werden sollen, nicht
ein Rückwirkungsverbot, das heißt, daß die finanzielle
Deckung nicht rückwirkend zu erwirken ist?
Ähnliches gilt für das Ökosteuergesetz. Hierdurch
sollen 11 Milliarden DM zur Entlastung der Sozialversi-
cherungen eingenommen werden. Ich frage Sie: Stimmt
die Einschätzung der Energiewirtschaft, daß Einnahmen
in Höhe von maximal 7 Milliarden DM statt
11 Milliarden DM mit den Änderungen, die Sie einge-
bracht haben, zu erreichen sind? Wie wollen Sie die
durch Ihr Handeln entstehenden Finanzlöcher schließen?
D
Herr Kollege Michelbach,
zum Thema Ökosteuergesetz kann ich heute im Rahmen
der Regierungsbefragung keine Auskunft geben, weil
dieses Gesetz noch nicht als Entwurf der Bundesregie-
rung vorliegt. Es liegt als Entwurf der Koalitionsfraktio-
nen vor. Dazu darf ich für die Bundesregierung natürlich
keine Auskunft geben. Für die Regierungsbefragung ist
als Thema das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002
angemeldet. Dazu will ich gerne Auskunft geben.
Sie bezeichnen es als Weihnachtsgeschenk, wenn wir
den Eingangsteuersatz von 25,9 auf 23,9 Prozent sen-
ken. Übrigens senken wir mit Wirkung zum 1. Januar
1999 auch den gewerblichen Spitzensteuersatz von 47
auf 45 Prozent.
– Sie wollen also lieber größere Weihnachtsgeschenke,
Herr Kollege?
Außerdem erhöhen wir zugleich das Kindergeld für das
erste und zweite Kind um je 30 DM. Dies entspricht un-
seren Aussagen vor der Wahl.
Das von uns vorgelegte und von der Regierung heute
im Entwurf beschlossene steuerpolitische Konzept ist
solide finanziert und gedeckt. Es wird in der Weise
wirksam werden, wie es notwendig ist, um die Haus-
halte von Bund, Ländern und Gemeinden nicht über Ge-
bühr zu belasten.
Wie Sie wissen, gehen wir von einer Nettoentlastung
von rund 15 Milliarden DM im Jahre 2002 aus. Wir ge-
hen im Jahr 1999 sogar von überschaubaren Mehrein-
nahmen aus, die dazu verwendet werden, um die große
Steuerreform im Hinblick auf die angedachte Betriebs-
steuer vorzufinanzieren.
Es besteht kein Anlaß zur Befürchtung, daß es einen
Konflikt mit dem Rückwirkungsverbot geben werde;
denn die Regierung hat den Entwurf heute beschlossen,
und der Bundestag hat einen gleichlautenden Entwurf in
erster Lesung am Freitag der vergangenen Woche de-
battiert. Damit ist für jeden ersichtlich, wie der politi-
sche Wille der Parlamentsmehrheit und der Bundesre-
gierung ist. Es besteht also kein Problem mit dem
Rückwirkungsverbot. Diese Auffassung wird durch
höchstrichterliche Rechtsprechungen unterstützt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, mir liegen noch drei Wortmeldungen zudiesem Komplex vor. Deshalb schlage ich Ihnen vor,
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384 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
daß wir den Komplex Kosovo morgen im Rahmen derregulären Debatte im Plenum diskutieren.Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.
Frau Staatssekretärin,
haben Sie nicht die Sorge, daß es durch die von der Re-
gierung beabsichtigten Einschränkungen im Bereich der
Immobilien erhebliche Schwierigkeiten für die Bau-
konjunktur und damit bei den Beschäftigungsverhältnis-
sen geben wird? Können Sie mir einmal erklären, wie
man zwischen aktiven und passiven Tätigkeiten diffe-
renzieren kann? Nach meinem Gefühl ist eine Investiti-
on, um ein Haus für andere zur Verfügung zu stellen,
keine passive Tätigkeit. Es handelt sich vielmehr um ei-
ne aktive Tätigkeit, ansonsten könnte nichts erreicht
werden. Können Sie mir ferner erklären, wie Sie die an-
gedachten Einschränkungen verstehen und welche Aus-
wirkungen Sie für Konjunktur und Arbeitsplätze erwar-
ten?
D
Die von Ihnen geäußerte
Befürchtung, Herr Kollege Thiele, teile ich nicht. Im üb-
rigen geht das Gesetz auch nicht von einer Definition
passiver oder aktiver Tätigkeiten aus, sondern von einer
Definition passiver oder aktiver Einkünfte.
Sie sind in Anlehnung an das Außensteuergesetz in das
Einkommensteuergesetz übernommen worden.
Ich habe dann noch
eine Frage zur Eigenheimzulage. Wir haben durch die
Eigenheimzulage jetzt gerade einen Riesenpusch in un-
serem Land. Nachdem die alte Koalition aus CDU/CSU
und F.D.P. die Eigenheimzulage beschlossen hat, erwer-
ben endlich mehr Mitbürger Eigentum in unserem Land.
Dieses soll von der Regierung dadurch eingeschränkt
werden, daß der Vorkostenabzug gestrichen wird. Auch
die Geltendmachung des Renovierungsaufwands soll ge-
strichen werden. Erwarten Sie hiervon nicht negative
Auswirkungen auf die Bildung von Eigentum in unse-
rem Land und auf die Bauwirtschaft, die in der Vergan-
genheit immerhin noch der Konjunkturmotor in unserem
Land war, was sich möglicherweise ändern wird, wenn
Ihr Steuergesetz in Kraft tritt?
D
Die einzige Änderung,
Herr Kollege Thiele, die sich hierbei ergibt, ist die Tat-
sache, daß der Vorkostenabzug in Zukunft nicht mehr
möglich sein soll. Die Eigenheimzulage als solche bleibt
bestehen. Das will ich in der Öffentlichkeit auch ganz
deutlich sagen, damit nicht irgendwelche Befürchtungen
entstehen. Wie bisher gibt es für ein Ehepaar 5 000 DM
und für jedes Kind 1 500 DM pro Jahr sozusagen als
Zulage unabhängig von der eigenen Steuerschuld, und
zwar für einen Zeitraum von acht Jahren. Insofern kann
ich Ihre Befürchtungen da nicht teilen.
Entschuldigung, wie war die zweite Hälfte Ihrer Fra-
ge?
Die zweite Frage be-
traf die Renovierungen, die zu Beginn vorgenommen
werden.
D
Es ist nicht vorgesehen,
daß Renovierungskosten nicht mehr geltend gemacht
werden können, sondern es wird lediglich keine Pau-
schalierung der Werbungskosten mehr möglich sein.
Vor zwei Jahren – wenn ich mich recht erinnere – ist die
Regelung eingeführt worden, daß pro Quadratmeter und
Jahr pauschal 42 DM abgesetzt werden können. Dies
führt nach meinem Dafürhalten zu erheblichen Mitnah-
meeffekten und im übrigen natürlich zur Förderung der
Schwarzarbeit; denn bis zu dieser Änderung mußten
Hausbesitzer für ein nicht eigengenutztes Haus zumin-
dest noch per Rechnung nachweisen, was sie renoviert
haben. Durch die Änderung der Regelung konnten sie es
pauschal absetzen und somit auch Schwarzarbeiter tätig
werden lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Fragestelle-
rin ist die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU.
Frau Staatssekretä-
rin, die Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, die
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nun haben Sie in Ihrem
Gesetzentwurf vorgesehen, in einer ersten Stufe das
Kindergeld zu erhöhen und die Steuersätze nur marginal
zu senken und dies alles durch eine Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage gegenzufinanzieren, und zwar
ausschließlich auf der Seite der Unternehmen, das heißt
auf der Seite derjenigen, die Arbeitsplätze zur Verfü-
gung stellen sollen. Wie ist dies mit Ihrem hehren Ziel
zu vereinbaren, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?
Ich habe eine zweite Frage. Durch den sogenannten
Vorläufer zu diesem Gesetz wollen Sie die Kindergeld-
erhöhung schon im Vorfeld, nämlich in diesem Jahr,
beschließen und auch einen Beschluß des Bundesrates
dazu herbeiführen. Mit der Kindergelderhöhung ist aber
auch eine zusätzliche finanzielle Belastung der Länder
verbunden. Die Länder haben andererseits eine verfas-
sungsrechtliche Garantie zum Ausgleich dieser Mehr-
belastungen. Wie ist der Stand des Verhandlungen mit
den Ländern? Wie verhält sich in diesem Zusammen-
hang das Finanzministerium?
D
Frau Kollegin Hassel-feldt, zu Ihrer ersten Frage: Es ist nicht zutreffend, daßdie Gegenfinanzierungsmaßnahmen ausschließlich ausdem Bereich der Wirtschaft kommen. Ich darf zum Bei-spiel auf die angestrebten Änderungen beim des Sparer-freibetrag, die geplante Besteuerung von AbfindungenVizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 385
(C)
(D)
und anderes hinweisen, welches auch bei der sozialde-mokratischen Klientel nicht unbedingt auf Zustimmungstößt.Im übrigen ist es bisher unsere gemeinsame Positiongewesen, daß die Absenkung der Steuersätze nur durcheine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfi-nanziert werden kann. Ich will das Hohe Haus in diesemZusammenhang darauf aufmerksam machen, daß das,was in der Öffentlichkeit diskutiert wird, nämlich daßdies überwiegend zu Lasten des Mittelstands gehe, ein-fach falsch ist. Es gibt in Wirklichkeit eine Zusatzbela-stung für die bilanzierende Großindustrie, die sich in derVergangenheit von einer Steuerzahlung entsprechendihrer Leistungsfähigkeit – sozusagen gesetzlich ge-schützt – weitgehend hat entfernen können. Diesen ge-setzlichen Schutz wollen wir ihr nunmehr nehmen.Zu Ihrer zweiten Frage: Das Kindergeld wird zum1. Januar 1999 in der von mir genannten Höhe, und zwarum jeweils 30 DM für das erste und zweite Kind, erhöht.Es ist in der Tat notwendig, einen Ausgleich mit denLändern herbeizuführen. Damit meine ich aus Sicht desBundesfinanzministeriums zunächst einmal einen Inter-essenausgleich und nicht einen finanziellen Ausgleich.Unbestritten ist, daß die Länder einen sogar grundge-setzlich verbürgten Anspruch darauf haben, bei Erhö-hungen des Kindergeldes über die Neuverteilung derUmsatzsteuerpunkte einen Ausgleich zu erhalten, weilim Grundgesetz festgelegt worden ist, daß die Länder26 Prozent und der Bund 74 Prozent der Kosten imRahmen der Zahlung des Kindergeldes tragen sollen.Ich mache aber darauf aufmerksam, daß der Gesetz-entwurf in der Form, wie ihn die Bundesregierung heutebeschlossen hat, in den ersten Jahren zu Steuermehrein-nahmen führen wird. Insofern haben nach Auffassungder Bundesregierung die Länder schlechterdings keinenAnspruch auf einen Ausgleich von Ausfällen, weil diesegar nicht entstehen. Vielmehr profitieren auch die Län-der von den Mehreinnahmen in den ersten Jahren.Wir befinden uns erst am Beginn der Verhandlungen.Wir wissen, daß wir dieses Problem lösen müssen, umdie Zustimmung der Länder zu erhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Bau-
meister, Sie sind die nächste Fragestellerin.
Frau Staatsse-
kretärin, welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
bezüglich der Absenkung der Staatsquote im Hinblick
auf den zeitlichen Rahmen sowie auf deren Höhe?
D
Die Koalitionsfraktionen
haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, daß sie die
Sozialversicherungsquote im Laufe dieser Legislaturpe-
riode wieder auf unter 40 Prozent senken wollen. Was
die Staatsquote anbelangt, so ist es natürlich schwierig,
dazu insgesamt eine Aussage zu treffen. Denn Sie wis-
sen, daß im Bundeshaushalt als Erblast der vorangegan-
genen Regierung eine große Unterfinanzierung besteht,
so daß wir Steuersenkungen, die weiter gehen als wir
dies bisher vorsehen, nicht versprechen können.
– Frau Kollegin, da Sie sich so freuen, möchte ich fest-
stellen: Wir wollen die Sozialversicherungsquote sen-
ken; wir senken netto auch die Höhe der Steuern. Das
zusammengenommen erlaubt natürlich auch keinen An-
stieg der Staatsquote.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Fragestellerin
zu diesem Themenbereich ist die Abgeordnete Ingrid
Matthäus-Maier, SPD.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie wurden nach der von den Koalitionsfraktionen
und der Regierung geplanten Abschaffung der Vorko-
stenpauschale im Bereich des Wohnungsbaus gefragt.
Habe ich es richtig in Erinnerung, daß dies auch in den
sogenannten Petersberger Beschlüssen der vorherigen
Koalition und in dem entsprechenden Gesetzentwurf der
früheren Bundesregierung so gefordert wurde?
D
Frau Kollegin Matthäus-
Maier, Ihre Erinnerung trügt Sie selbstverständlich
nicht. Wir alle schätzen Ihren Kenntnisreichtum.
Ich würde es begrüßen, wenn die steuerpolitische Dis-
kussion nicht nur in diesem Punkt, sondern insgesamt
etwas ehrlicher verlaufen würde. Der größte Teil der von
uns vorgeschlagenen Deckungsmaßnahmen ist von der
vorherigen Koalition im Bundestag so verabschiedet
worden und ist im Bundesrat wegen der damit verbun-
denen unverantwortlichen Steuerausfälle nicht akzeptiert
worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin.
Angesichts der Tatsache, daß wir heute relativ wenig
Fragen für die Fragestunde haben, lasse ich jetzt doch
noch eine Frage zum Komplex Kosovo zu und erteile
dem Abgeordneten Christian Schmidt das Wort.
Ich bittedie Bundesregierung um Aufklärung bezüglich desParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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386 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
Antrages auf Drucksache 14/47 und der Vorabinforma-tion zum Thema „extraction force“, also der Notfall-truppe, die wir gestern aus dem Bundesministerium derVerteidigung erhalten haben. Es ist bekannt, daß dieseTruppe die OSZE-Beobachter, die unbewaffnet sind, beiNotfällen, die in drei verschiedene Grade eingestuftwerden, aus dem Kosovo herausholen soll. Gestern hießes, daß in dieser Truppe deutsche Kräfte nur für dasSzenario eins, also im Rahmen einer selektiven, gerin-gen Gefährdung, vorgesehen sind und daß bei schwieri-geren Notfällen Verstärkungskräfte aus den Heimat-standorten zugeführt werden. Eine deutsche Beteiligungdaran ist nicht geplant. Sie würde auch eine weitere kon-stitutive Zustimmung des Bundestages voraussetzen.Nun lese ich im Antrag unter Ziffer 2, daß im Notfallauf deutsche Kräfte bei SFOR und auf die an ihren Hei-matstandorten in Deutschland für SFOR bereitgehalte-nen Verstärkungskräfte zurückgegriffen werden kann.Unter Ziffer 3 wird ausgeführt, daß dann auf diese zu-rückgegriffen wird, sofern dies möglich ist.Kann mir die Bundesregierung zunächst Klarheit dar-über verschaffen, ob nun die Äußerung des Bundesmini-sters des Auswärtigen im Auswärtigen Ausschuß oderdie mir übermittelte Äußerung des Bundesverteidi-gungsministers im Verteidigungsausschuß zutrifft? Sindmit den Soldaten an den Heimatstandorten in Deutsch-land nun alliierte oder deutsche Streitkräfte, Angehörigeder Bundeswehr, gemeint?Eine weitere Frage: Was heißt „sofern dies möglichist“? Was sind die Konditionen dafür?Zum dritten. Wenn diese Streitkräfte, die bereitge-halten werden, Kräfte der Bundeswehr sein sollten, hätteich gerne gewußt, ob diese für die Aufgaben eigentlichgeeignet sind. Warum sollen nicht die KSK, die Kom-mandospezialkräfte, die gerade für die Fälle der Geisel-befreiung trainiert sind, eingesetzt werden? Oder werdensie, wie man aus der Äußerung des Generalinspekteursim Verteidigungsausschuß schließen könnte, vielleichtdoch verwendet? Stehen sie auch den der SFOR gewid-meten Kräften in den Heimatstandorten zur Verfügung?Schlichtweg: Ich bitte um Aufklärung dieses Informa-tionschaos.G
Wen haben Sie gefragt?
Ich frage
die Bundesregierung. Ich bin nicht für die Geschäfts-
verteilung in der Bundesregierung zuständig und weiß
daher nicht, wer diese Fragen beantwortet.
G
Ich vermute, daß das eine Frage an den Verteidi-
gungsminister war.
Über die Kräftezusammensetzung des Kontingents
kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kann Ihnen aber sagen,
was die Bundesregierung heute beschlossen hat und was
dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt wird, näm-
lich daß ein Kontingent von bis zu 250 Kräften zum
Schutz der im Kosovo tätigen OSZE-Beobachter, und
zwar nicht nur der deutschen, sondern aller, zur Verfü-
gung gestellt wird, daß es drei verschiedene denkbare
Szenarien gibt, wie diese Kräfte zum Einsatz kommen,
und daß für das dritte Szenario, das von der Evakuierung
der OSZE-Beobachter ausgeht, weil sie sich in einer
schweren Gefahrensituation befinden, ein entsprechen-
der politischer Beschluß des NATO-Rates notwendig
ist; das kann nicht an Ort und Stelle beschlossen werden,
sondern bedarf eines politischen Beschlusses.
Die Zusammensetzung der Kräfte ist Angelegenheit
des Verteidigungsministers. All das, was Sie gesagt ha-
ben, bezieht sich auf die Zusammensetzung des bis zu
250 Mann starken Kontingents der Bundeswehr. Der
Bundesverteidigungsminister – so verstehe ich das – läßt
sich die Möglichkeit offen, dieses Kontingent so zu-
sammenzusetzen, wie es der jeweiligen Aufgabe und
Gefahrensituation im Kosovo entspricht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Zusatz-
frage? – Bitte. Das ist dann aber die letzte.
Wir kön-
nen dies hier offensichtlich nicht vollständig aufklären:
Werden jetzt 250 Soldaten dort hingeschickt, und die
deutschen SFOR Einheiten stehen dann doch nicht als
Reservekräfte zur Verfügung? Mit Verlaub, Herr
Staatsminister, das ist in der Kabinettsvorlage, die dem
Antrag an den Bundestag zugrunde liegt, in keiner Wei-
se schlüssig dargelegt. Das würde wohl doch noch eine
Klausur des Bundeskabinetts voraussetzen – um die
Dinge einmal klarzustellen.
G
Herr Kollege, ich kann Ihre Verwirrung nicht ver-stehen. Der Beschluß der Bundesregierung, der Ihnenbereits zugegangen ist, ist in dieser Hinsicht vollkom-men eindeutig. Ich darf zitieren:Die Kräfte– also die genannten 250 –werden – nach Abschluß der für eine Stationierungerforderlichen Vereinbarungen durch die NATO –in Mazedonien stationiert.Jetzt kommt der für Sie entscheidende Satz:Im Notfall kann auf deutsche Kräfte bei SFOR undauf die an ihren Heimatstandorten in Deutschlandfür SFOR bereitgehaltenen Verstärkungskräfte zu-rückgegriffen werden.Das bezieht sich auf dieses Kontingent von 250 Mann.
– Die Frage ist doch, wo man sie herholt, Herr Kollege.Christian Schmidt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 387
(C)
(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, das war Ihre letzte Frage. Ich muß damit die
Befragung der Bundesregierung beenden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 14/34, 14/37 –
Wir beginnen mit den Dringlichen Fragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundes-
kanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatssekretär
Frank-Walter Steinmeier zur Verfügung. Ich rufe die
Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang Bos-
bach, CDU/CSU, auf:
Trifft es zu, daß eine großangelegte Rückversetzungsaktion für
Beamte des Kanzleramtes durch entsprechende Schreiben des
Bundeskanzleramtes an die Ministerien eingeleitet worden?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Abgeordneter Bosbach, auf Ihre Frage
kann ich Ihnen sagen, daß nach mir vorliegenden Un-
terlagen im Zeitraum vom 1. Juli 1998 bis zum 27. Ok-
tober 1998 im Kanzleramt 34 Beförderungen vorge-
nommen worden sind, davon 14 im höheren Dienst und
von diesen 14 wiederum zehn nach der Bundestags-
wahl.
Dies geschah entgegen der Aussage der früheren Bun-
desregierung im Haushaltsausschuß vom 16. Juni 1998,
es gebe keine Beförderungsmöglichkeiten für das Bun-
deskanzleramt im Zeitraum von Mai bis Ende Oktober.
Diese Beförderungswelle kurz vor der Bundestagswahl
und vor allen Dingen danach nahm der neuen Amtslei-
tung jeglichen Spielraum dafür, den eigenen Leitungs-
stab personell auszustatten.
Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit – dafür werden
Sie Verständnis haben –,
eine gewisse Anzahl von Amtsangehörigen in ihre
Stammressorts zu versetzen.
Die Voraussetzungen dafür sind im übrigen auch
durch einen Kabinettsbeschluß der früheren Bundesre-
gierung vom 4. Mai 1995 geschaffen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
Kollege Bosbach?
Teilen Sie meine
Auffassung, daß Sie eine Frage beantwortet haben, die
ich gar nicht gestellt habe? Meine Frage bezog sich aus-
schließlich auf die Rückversetzungsaktion und nicht auf
die Anzahl der Beförderungen.
Da Sie die Anzahl der Beförderungen ansprechen,
frage ich Sie – weil ja durch die Antwort vorgetäuscht
wird, als seien die Beförderungen im Hinblick auf den
27. September und nicht auf Grund von Befähigung und
fachlicher Leistung der betroffenen Mitarbeiter vorge-
nommen worden –: Wie viele sind denn in dem glei-
chen, völlig unverdächtigen Zeitraum des Jahres 1997
vorgenommen worden?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe lediglich verständlich und
nachvollziehbar zu machen versucht, warum eine An-
zahl von Rückversetzungen notwendig war.
– Dann habe ich Sie nicht richtig verstanden. – Bitte.
Es bleibt dann
zwischen uns der Dissens, der sich daraus ergibt, daß Sie
versucht haben, eine Frage zu beantworten, die ich gar
nicht gestellt habe.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich so nicht erkennen.
Sie haben in Ihrer
Antwort eine Frage beantwortet, die ich gar nicht ge-
stellt habe.
– Herr Kollege, bleiben Sie bitte ganz entspannt.
Dies war für mich Anlaß, zu fragen – –
– Wenn Sie zuhören würden, könnten Sie auch die Frage
hören. Da Sie das nicht tun, können Sie sie auch nicht
mitbekommen.
Ich wiederhole die Frage gern: Wie groß war die An-
zahl der Beförderungen in dem völlig unverdächtigen
Zeitraum – Sie haben ihn gerade erwähnt – des Jahres
1997?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen nicht sagen; die-se Zahlen habe ich bisher nicht untersuchen lassen.
Metadaten/Kopzeile:
388 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage, diesmal vom Kollegen Wiefelspütz, SPD.
Herr Staatssekretär, tei-
len Sie meine Einschätzung, daß die Rückversetzungs-
aktion in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer
Anzahl von vorher vorgenommenen Beförderungen im
Bundeskanzleramt steht, die von der Amtsleitung, die
von unserer Vorgängerregierung gestellt wurde, zu ver-
antworten ist?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe eben sinngemäß zum Aus-
druck gebracht – ich beantworte Ihre Frage deshalb mit
Ja –, daß ich mit meiner Vorbemerkung nachvollziehbar
machen wollte, daß eine Anzahl von Rückversetzungen
notwendig war, damit die neue Regierung im Leitungs-
bereich des Kanzleramtes etwas Spielraum hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage, diesmal vom Abgeordneten Erwin Mar-
schewski, CDU/CSU.
Herr Staatsse-
kretär, wie bewertet eigentlich der Bundeskanzler selbst
den Umstand, daß sämtliche politischen Beamten un-
mittelbar nach Antritt in den Ruhestand versetzt worden
sind, obwohl Herr Schröder gesagt hat, er werde nur
reagieren, wenn die Loyalität verletzt sei?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundeskanzler bestimmt die
Richtlinien der Politik, auch im eigenen Hause. Daran
orientieren wir uns. Im übrigen können Sie davon aus-
gehen, daß diese Personalentscheidung mit ihm abge-
stimmt war.
Ich bin über-
rascht und frage deshalb nach
– ich höre nicht auf Sie, sondern auf die Präsidentin –,
wie der Bundeskanzler diesen Umstand, der sich klar im
Widerspruch zu seiner früheren Aussage befindet, ob-
jektiv und subjektiv beurteilt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter
Marschewski, ich muß Sie darauf hinweisen, daß es Ih-
nen nicht zusteht, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Deshalb rufe ich jetzt die Dringliche Frage 2 des Ab-
geordneten Bosbach auf:
Haben die betroffenen Beamten Kenntnis von diesem Verfahren?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die vorbereitenden Gespräche dau-
ern im Augenblick überwiegend noch an. Soweit bereits
konkrete Maßnahmen eingeleitet worden sind, sind die
betroffenen Beamten natürlich unterrichtet worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben eine Zu-
satzfrage, bitte.
Wäre es unter
dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherren
nicht notwendig gewesen, die betroffenen Beamten frü-
her zu unterrichten?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind, wenn ich mich recht erin-
nere, erst ungefähr drei Wochen im Kanzleramt. Wir
haben die Entscheidungen, soweit sie notwendig waren,
zügig getroffen. Sobald sie getroffen waren, haben wir
die betroffenen Beamten so zügig wie möglich darüber
unterrichtet. Ich glaube, einen viel größeren zeitlichen
Spielraum gab es wirklich nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatz-
frage des Kollegen Bosbach.
Die jetzt einge-
leitete Aktion erinnert fatal an die damals so genannte
„Maschinengewehraktion“ des damaligen Kanzleramts-
ministers Ehmke. Gehen Sie davon aus, daß der Bun-
deskanzler die angesprochene Aktion unterbrechen oder
gar abbrechen wird?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keine „Aktion Maschinen-
gewehr“. Sie haben diese Begrifflichkeit weder aus mei-
nem Munde noch aus dem des Kanzlers gehört,
und wir identifizieren uns damit auch nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit rufe ich die
Dringliche Frage 3 des Abgeordneten Wolfgang
Zeitlmann, CDU/CSU, auf:
Ist es richtig, daß der künftig für Personalangelegenheiten vor-
gesehene Gruppenleiter im Kanzleramt bereits im Vorgriff auf sei-
ne künftige Funktion die Rückversetzungsaktion eingeleitet hat?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um Loyalitätskonflikte beim bis-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 389
(C)
(D)
herigen Gruppenleiter zu vermeiden, haben wir tatsäch-lich den designierten Gruppenleiter beauftragt, über eineReihe der in der Frage angesprochenen Personalmaß-nahmen vorbereitende Gespräche in den Ressorts zuführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine Nachfrage des
Kollegen Zeitlmann. Dann rufe ich die Dringliche Fra-
ge 4 des Abgeordneten Zeitlmann auf:
Ist dem Bundeskanzler bekannt, daß dieser Beamte als Leiter
der SPD-Betriebsgruppe im Kanzleramt dort seit über 16 Jahren
tätig ist – zuletzt seit mehreren Jahren als Referatsleiter für Arbeits-
und Sozialpolitik?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Tat leitete der betroffene Be-
amte das entsprechende Spiegelreferat für das BMA von
1991 bis Oktober 1998. Daß er auch Leiter der SPD-
Betriebsgruppe gewesen ist, haben wir Ihrer Anfrage
entnommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des
Fragestellers, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, ist Ihnen bekannt, daß die frühere Bundesregie-
rung in den 16 Jahren keinerlei Anstalten unternommen
hat, diesen Beamten in sein Stammressort zurückzuver-
setzen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist offensichtlich so, da er bis
Oktober 1998 dort war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schlage vor, be-
reits an dieser Stelle den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern aufzurufen. Zur Beantwortung
steht Staatssekretär Körper zur Verfügung.
Zunächst zur Frage 7 des Abgeordneten Austermann:
Wie viele Zurruhesetzungen von Mitarbeitern der Bundesver-
waltung sind vom Zeitpunkt
des Regierungswechsels infolge der Bundestagswahl im September
1998 an erfolgt und bis Ende November 1998 beabsichtigt?
F
Vom Regierungswechsel am
27. Oktober 1998 bis zum 16. November 1998 sind ins-
gesamt 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Darüber hin-
ausgehende Aussagen für die Zukunft sind naturgemäß
nicht möglich, da es sich jeweils um eine Einzelfallent-
scheidung des zuständigen Ressortministers handelt.
Ich habe eine
Zusatzfrage. Sind in die Zahl von 51 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern auch die Angestellten einbezogen, die
ein besonderes Arbeitsverhältnis hatten, und wie vertei-
len sich diese 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf
die einzelnen Ministerien?
F
Die Liste, aus der hervorgeht,
um wen es sich handelt, kann ich Ihnen gerne zur Ver-
fügung stellen.
Lassen Sie mich Ihnen aber noch die Information ge-
ben, daß bei dem Regierungswechsel 1982 in einem
vergleichbaren Zeitraum 42 Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter entlassen worden sind, obwohl es sich damals nur
um einen Teilwechsel gehandelt hat. Ich denke, die
Entlassungen, die darauf folgten, sind auch zu beachten.
Bei Ihren kritischen Äußerungen sollten Sie bedenken,
was Sie 1982 gemacht haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatz-
frage.
Können Sie be-
stätigen, daß, nachdem Sie die Zahl von 1982 – auch
ohne die Angestellten – eindeutig überschritten haben,
beabsichtigt ist, weitere Zurruhesetzungen vorzuneh-
men, die nur deshalb ausgesetzt sind, weil man die
Fachkräfte noch für die deutsche EU-Präsidentschaft im
nächsten Jahr braucht?
F
Herr Kollege Austermann, ich
habe bereits etwas zu den weiteren Entscheidungen ge-
sagt. Ich will hier die Rechtsgrundlage erwähnen: Diese
Zurruhesetzungen erfolgen auf der Grundlage des § 36
des Bundesbeamtengesetzes. Dieser Paragraph eröffnet
bewußt einen weiten Ermessensspielraum und – das sa-
gen wir ganz deutlich – schließt reine Willkürentschei-
dungen aus. Das besondere Vertrauensverhältnis zur -
politischen Leitung ist das Fundament der in § 36 des
Bundesbeamtengesetzes genannten Beamten.
Ich will Ihnen noch die Information geben, daß es
manchmal auch umgekehrt gelagerte Fälle gibt: Betrof-
fene politische Beamte sind der Meinung, sie könnten
mit der jeweiligen Bundesregierung nicht loyal zusam-
menarbeiten. Auch das sollten Sie im Hinterkopf behal-
ten, wenn Sie dazu Fragen stellen.
Verstehen kann
man das bei dieser Führung natürlich. Ich hätte gerne die
Liste.
F
Die bekommen Sie selbstver-
ständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mar-schewski, bitte.Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier
Metadaten/Kopzeile:
390 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
Herr Staatsse-
kretär, lassen Sie mich konkret fragen: Beabsichtigen
Sie, nach Ablauf der deutschen EU-Präsidentschaft im
Innenministerium die Abteilungsleiter Verfassung,
Ausländer- und Asylangelegenheiten sowie Polizeian-
gelegenheiten umgehend oder in kurzer Frist danach in
den Ruhestand zu versetzen?
F
Lieber Kollege Marschewski,
diese Fragen werde ich Ihnen dann beantworten, wenn
sie zur Entscheidung anstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich den
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fra-
ge 1 des Kollegen Hartmut Koschyk ist schriftlich be-
antwortet worden.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Wolfgang
Börnsen, CDU/CSU, auf:
Welche konkreten, schnellen und vor allem den Voten von
Bundestag und Bundesrat entsprechenden, nachhaltigen Schritte
zur Förderung der bestehenden Duty-free-Regelung beabsichtigt
die Bundesregierung in bezug auf die von ihr zu übernehmende
EU-Ratspräsidentschaft im Januar kommenden Jahres vor dem
Hintergrund der von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor der
Wahl getroffenen und jetzt vor dem Bundeskongreß der Gewerk-
schaft Nahrung-Genuß-Gaststätten wiederholten Äußerungen, er
finde es nicht gut, wenn EU-Diplomaten zollfrei einkaufen könn-
D
Herr Kollege Börnsen, die
Bundesregierung wird sich nachdrücklich im Sinne der
Voten des Deutschen Bundestages und des Bundesrates
für eine Weiterführung des innergemeinschaftlichen
Tax-free-Handels einsetzen. Die Aussichten dafür sind
jedoch denkbar ungünstig. Für eine Weiterführung wä-
ren ein entsprechender Vorschlag der Europäischen
Kommission selbst sowie ein einstimmiger Beschluß im
Ecofin-Rat notwendig. Beide Voraussetzungen liegen
nicht vor. Die Europäische Kommission hat stets ihre
Ablehnung betont. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten ist
ebenfalls dieser Auffassung.
Selbstverständlich wird die Bundesregierung die
Ratspräsidentschaft dazu nutzen, um neben einer Reihe
anderer bedeutsamer Themen auch dieses Thema zu er-
örtern und voranzubringen. Wir werden uns sowohl bei
den übrigen Mitgliedstaaten als auch bei der Europäi-
schen Kommission dafür einsetzen, daß die gefährdeten
Arbeitsplätze in der Branche erhalten bleiben.
Bundesfinanzminister Lafontaine hat im übrigen be-
reits vorgestern, am 16. November 1998, in einem Ge-
spräch mit Kommissar Mario Monti die Gelegenheit ge-
nutzt und nachdrücklich eine Verlängerung der Tax-
free-Regelung gefordert. Kommissar Monti war aller-
dings in diesem Gespräch nicht zugänglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Börnsen, CDU/CSU, bitte.
Frau
Staatssekretärin, ich bedanke mich für Ihre optimistisch
stimmende Antwort. Aber gestatten Sie mir doch die
Nachfrage: Bedeutet Ihre Antwort, daß das Thema Duty
free auf die Tagesordnung gesetzt wird, wenn die deut-
sche Ratspräsidentschaft beginnt?
D
Ja, die deutsche Rats-
präsidentschaft soll in jedem Fall in dieser Weise ge-
nutzt werden. Wir werden zur Vorbereitung dieses
Themas auch schon im vorhinein bilaterale Gespräche
mit einzelnen Mitgliedsländern führen.
Allerdings möchte ich nicht als optimistisch interpre-
tiert werden. Ich habe meine Aussage selbst nicht als
optimistisch verstanden; denn die Kommission muß von
sich aus tätig werden, damit es dort zu einer Änderung
kommt. Sie zeigt aber keinerlei Neigung, dies zu tun.
Auch die Mehrheit der Mitgliedstaaten ist anderer Auf-
fassung.
Gleichwohl werden wir alles versuchen; aber ich
fürchte, daß wir an diesem Punkt nicht zum Erfolg
kommen werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich
daran, daß 1991 einstimmig – also auch unter Beteili-
gung der alten Bundesregierung – der Beschluß gefaßt
worden ist, eine siebeneinhalbjährige Übergangsfrist
einzuführen, die im Sommer 1999 ausläuft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatz-
frage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß von dieser Duty-
free-Entscheidung allein in Norddeutschland etwa 5 700
Arbeitsplätze betroffen sind, und ist Ihnen bekannt, daß
der Ausschuß der Regionen in den letzten Wochen be-
schlossen hat, daß die Duty-free-Regelung weitere fünf
Jahre fortgesetzt werden soll? Alle im Ausschuß der Re-
gionen vertretenen Länder haben dem zugestimmt. Ist es
der Bundesregierung nicht auf Grund dieser Tatsache
sowie bedingt durch die neue Achse zwischen Bonn und
Paris möglich, eine Abstimmungssituation zu schaffen,
wonach die Duty-free-Regelung, von der auf europäi-
scher Ebene immerhin über 140 000 Arbeitsplätze be-
troffen sind, zumindest für fünf Jahre erhalten werden
könnte?
D
Herr Kollege Börnsen,mir ist die Bedeutung des Tax-free-Handels für denArbeitsmarkt durchaus bewußt. Gerade deshalb setzt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 391
(C)
(D)
sich die Bundesregierung auch auf allen Ebenen für dieErhaltung der Tax-free-Regelung ein.Bisher war mir nicht bekannt, daß der Ausschuß derRegionen in dieser Weise votiert hat. Ich werde mit demVorsitzenden des Ausschusses der Regionen, Herrn Pro-fessor Dr. Manfred Dammeyer, baldmöglich Kontaktaufnehmen, um insoweit Verstärkung für die Positionder Bundesregierung zu bekommen, falls es möglich ist.Ich kann Ihnen versichern, daß wir alles tun werden,um zumindest eine Verlängerung der Regelung herbei-zuführen. Trotzdem möchte ich im Protokoll nicht alsallzu optimistisch erscheinen; es wird sehr schwierigwerden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
Sie waren ja eher pessimistisch, was die Option einer
Beibehaltung dieser Regelung angeht. Mit Blick auf die
große Zahl von Arbeitsplätzen, die davon betroffen sind
– es sind in der norddeutschen Region weit über 5 000 –,
frage ich Sie: Gibt es seitens der Bundesregierung ein
Szenario, mit dem Sie sich um Alternativarbeitsplätze in
diesen strukturschwachen Regionen bemühen? Insbe-
sondere im Tourismusbereich wären Ausgleichsmaß-
nahmen denkbar.
D
Herr Kollege, diese Pro-
blematik in den norddeutschen Regionen ist uns sehr
wohl bewußt. Es ist völlig klar, daß die Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt zwar nur wenige Regionen in
Deutschland, diese allerdings recht massiv beträfen.
Selbstverständlich haben sich auch die Landesregierun-
gen darüber schon Gedanken gemacht. Es ist nicht eine
ureigene Aufgabe der Bundesregierung, hier an Förder-
programme des Bundes zu denken.
Kommissar Mario Monti hat – ich vermag allerdings
nicht zu beurteilen, welche Wirkung das haben wird –
vorgestern in dem Gespräch mit Finanzminister Lafon-
taine darauf hingewiesen, daß die Kommission eigene
Vorschläge unterbreiten werde. Wie das zu werten ist
und ob das etwa mit einer Finanzierungszusage an ande-
rer Stelle verbunden wäre, kann ich nicht sagen, weil er
sich mit der Äußerung, die Kommission werde Vor-
schläge unterbreiten, sehr allgemein ausgedrückt hat.
Die Vorschläge betreffen nicht die Verlängerung des
Tax-free-Handels – die will er nicht –, sondern das Auf-
fangen der negativen Folgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt noch eine
Zusatzfrage. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, kann ich
angesichts dessen, daß die ehemalige Bundesregierung
nicht mit der Akribie und dem Druck, den wir an der
Küste uns eigentlich erwartet hätten, für die Verlänge-
rung des Duty-free-Handels eingetreten ist
und ihr Ziel nicht erreicht hat, davon ausgehen, daß die
jetzige Bundesregierung alles in ihren Möglichkeiten
Liegende tun wird,
um eine Verlängerung zu erreichen, und – falls das nicht
möglich sein sollte, obwohl dies das vorrangige Ziel sein
sollte – alles versuchen wird, um eine Alternative für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu finden?
D
Frau Kollegin Faße, es ist
Ihnen sicherlich bekannt, daß dieses Thema für Bundes-
kanzler Gerhard Schröder ein wichtiges Anliegen ist.
Insofern ist schon von daher ein deutlicher Qualitätsun-
terschied im Verhältnis zur vorherigen Bundesregierung
feststellbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ar-
beit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres bereit.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk, CDU/CSU, auf:
Wann und in welchem Umfang wird die Bundesregierung die
Mittel im Bundeshaushalt für die Integration deutscher Spätaus-
siedler, für deren Sprachförderung, für die Betreuung vor allem ju-
gendlicher Spätaussiedler und für sonstige Integrationsmaßnahmen
erhöhen, wie dies die die Bundesregierung tragenden Parteien vor
der Bundestagswahl den Betroffenen gegenüber vertreten haben?
G
Herr AbgeordneterKoschyk, die Bundesregierung mißt der Integration vonSpätaussiedlern große Bedeutung zu. Sie bekräftigt denbereits in der Koalitionsvereinbarung festgelegtenGrundsatz, daß die gezielte Förderung der Integrationjunger Aussiedler wie auch der bei uns lebenden auslän-dischen Jugendlichen einer der Schwerpunkte in der Ju-gendpolitik ist. Für die Aussiedler sind weiterhin An-strengungen erforderlich, damit sie besser in ihr neuesLebensumfeld hineinwachsen.Die Bundesregierung ist bemüht, die für die Integra-tion erforderlichen Haushaltsmittel zeitgerecht zur Ver-fügung zu stellen. Aussagen zu Haushaltsansätzen sindderzeit nicht möglich, da sich der Bundeshaushalt fürdas Jahr 1999 in der Phase der Haushaltsaufstellung be-findet. Die Bundesregierung wird darüber hinaus alleLeistungen, die der Integration von Spätaussiedlern die-nen, auf den Prüfstand stellen, um sie zielgenauerParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Metadaten/Kopzeile:
392 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
aufeinander abzustimmen und ihre Integrationswirkungzu erhöhen. Die Höhe der zukünftig für die Integrationvon Spätaussiedlern benötigten Mittel hängt auch vomErgebnis dieser Prüfung ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen denn bekannt, daß Mitglieder der die Bundes-
regierung in erster Linie tragenden Fraktion – also Mit-
glieder der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages –
bereits in der Vergangenheit haushaltsmäßige Überle-
gungen angestellt haben, wie sich in der mittelfristigen
Finanzplanung die Mittel für die Integration der Aus-
siedler insgesamt – und nicht nur der von Ihnen in den
Mittelpunkt gerückten jugendlichen Spätaussiedler –
entwickeln müßten, und daß Mitglieder der SPD-
Fraktion des Bundestages in der mittelfristigen Finanz-
planung die Summe von insgesamt 3,2 Milliarden DM
vorgeschlagen haben, mit der dieser Bereich aufgestockt
werden muß? Ist der Vorschlag, diesen Gesamtbereich
mit 3,2 Milliarden DM mittelfristig zu verstärken,
Grundlage der Finanzüberlegungen der Bundesregie-
rung, von denen Sie gesprochen haben?
G
Sie haben Ihre
Frage mit der Formulierung „Ist der Bundesregierung
bekannt ...?“ eingeleitet. Deshalb antworte ich: Diese
Überlegungen sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Koschyk, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich entnehme Ihrer Antwort, daß es trotz der Ankündi-
gung aus der SPD-Fraktion im Vorfeld der Bundestags-
wahlen, daß die Mittel in diesem Bereich erhöht werden
müßten, noch keine konkreten Überlegungen der Bun-
desregierung gibt. Darf ich fragen, ob die Bundesregie-
rung hinsichtlich zusätzlicher Mittel für diesen Bereich
alsbald mit den entsprechenden Verbänden – Wohl-
fahrtsverbände, Diakonisches Werk, Caritas, Arbeiter-
wohlfahrt und andere Verbände – in ein Gespräch treten
wird, um zu klären, wie die Integrationsleistungen für
diesen Personenkreis unserer Gesellschaft verstärkt wer-
den können?
G
Herr Abgeordneter
Koschyk, wenn die Bundesregierung die Aussage
macht, daß wir alle Maßnahmen überprüfen und nach
vernünftigen Finanzierungswegen suchen, halte ich es
für selbstverständlich, daß wir auch mit den Verbänden
der Betroffenen und derer, die sich besonders um die
Aussiedler kümmern, Gespräche führen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiteren
Zusatzfrage erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Heil, SPD.
Herr Staatssekretär, sind Sie
der Auffassung, daß Handlungsbedarf in diesem Bereich
vor allen Dingen deshalb entstanden ist, weil die frühere
Bundesregierung in den letzten Jahren gerade zu Lasten
der Kommunen bei Integrationsmaßnahmen sehr massiv
gekürzt hat?
G
Wir gehen davon aus,
daß es notwendig ist, das, was im Integrationssektor
passiert ist, zu überprüfen und auf eine vernünftige Fi-
nanzierungsgrundlage zu stellen. Es hat in den letzten
Jahren erhebliche Probleme insbesondere bei der Inte-
gration jugendlicher Aussiedler gegeben. Damit muß
man sich auseinandersetzen. Die Bundesregierung wird
zum gegebenen Zeitpunkt entsprechend reagieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Klaus Rose, CDU/CSU.
Auch wenn die Kon-
kretisierung der Bereitstellung zusätzlicher Mittel noch
nicht vorangeschritten sein sollte, wie Sie gesagt haben:
Können Sie sich trotzdem vorstellen, daß eine stärkere
Mittelbereitstellung oder eine qualitativ bessere Aus-
stattung mit einem Anstieg der Zahl von Spätaussiedlern
zusammenhängen, und wie beurteilen Sie generell die
Tatsache, daß man bisher Mittel aus dem Europäischen
Strukturfonds bekommen mußte, weil anderenfalls die
Summen nicht ausgereicht hätten?
G
Herr Abgeordneter,
in dem Leistungspaket, das in diesem Bereich angeboten
wird, finden sich sowohl Mittel des Garantiefonds als
auch entsprechende Angebote nach dem SGB III. Es hat
in den letzten Jahren – seit 1990, wie Sie sicher wissen –
verschiedene Veränderungen gegeben, was die Dauer
von Maßnahmen angeht, was die Förderhöhe angeht.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß es in den letz-
ten Jahren Diskussionen darüber gab, ob nicht bei-
spielsweise bei der Ausgestaltung der Sprachkurse Ver-
änderungen vorgenommen werden müssen und wie es
bezüglich des Einsatzes von Mitteln aus anderen Berei-
chen aussieht. Dies alles ist aber, wie Sie verstehen wer-
den, drei Wochen nach Amtsübernahme in der Überprü-
fung und hängt mit der Aufstellung des Bundeshaushal-
tes zusammen. Die Bundesregierung wird sich nach der
Überprüfung entsprechend dazu äußern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiterenZusatzfrage erteile ich das Wort der Abgeordneten Chri-sta Lörcher, SPD.Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 393
(C)
(D)
Herr Staatssekretär Andres,
ich möchte hier nur zur Kenntnis geben, daß im Aus-
schuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der
letzten Legislaturperiode von uns jährlich der Antrag ge-
stellt worden ist, die Mittel des Garantiefonds zu erhö-
hen, eben weil die Maßnahmen zur Integration gerade
jugendlicher Spätaussiedler zu geringfügig waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lör-
cher, stellen Sie bitte die Frage.
Könnte es sein, daß dies
den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion jetzt einfach
entfallen ist?
G
Frau Abgeordnete
Lörcher, mir ist natürlich bekannt, was die SPD in der
vergangenen Legislaturperiode in verschiedenen Aus-
schüssen und für verschiedene Bereiche – das trifft auch
für den Haushalt des Ministeriums für Arbeit und So-
zialordnung zu – beantragt hat. Das ändert aber nichts an
der Tatsache, daß eine neue Legislaturperiode begonnen
hat und daß wir uns in Planungsmaßnahmen befinden.
Wenn diese Planungsmaßnahmen weiter fortgeschritten
sind, kann man auch konkretere Aussagen darüber ma-
chen, welche Integrationsmaßnahmen wie finanziert
werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatz-
frage des Kollegen Friedrich, F.D.P.
Herr Staatsse-
kretär, kann man denn nach Ihrer sehr klarstellenden
letzten Antwort davon ausgehen, daß die Mittelbereit-
stellung durch die neue Bundesregierung im Wege des
Haushaltsansatzes eher den Aussagen von Innenminister
Schily entspricht, die er in den letzten Tagen von sich
gegeben hat? Er hat gesagt, daß wir eigentlich eine Ein-
wanderungszahl von Null bräuchten.
G
Herr Abgeordneter
Friedrich, wir führen hier keine Debatte über allgemeine
Einwanderungsquoten oder ähnliches. Vielmehr setzen
wir uns mit Problemen auseinander, die im Zusammen-
hang mit dem Zuzug von Aussiedlern in die Bundesre-
publik Deutschland vorhanden sind.
Da gibt es Fördertatbestände, da gibt es Haushaltska-
pitel und -titel. Diese werden momentan beraten. Wenn
die Beratung abgeschlossen ist, kann die Bundesregie-
rung entsprechende Auskünfte geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Staats-
sekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Martin
Mayer, CDU/CSU, auf:
In welchen Bereichen plant die Bundesregierung die vom Bun-
desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ange-
kündigte Verschärfung der Vorschriften zur Gentechnik?
C
Herr Kollege, sind Sie
damit einverstanden, daß ich die Fragen 4 und 5 im Zu-
sammenhang beantworte?
Ja.
C
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch
die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Martin Mayer auf:
Welche Gründe sieht die Bundesregierung, um im Bereich der
Gentechnik eine neue Positionierung im Sinne einer Verschärfung
der EU-Richtlinie zu planen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
C
Auf Ihre Fragen möchteich wie folgt antworten: Die modernen Methoden derBio- und Gentechnologie sind in der Grundlagenfor-schung und der angewandten Forschung weltweit eta-bliert. Ihr Einsatz in der Medizin findet wachsende Ak-zeptanz. Das Ausmaß der notwendigen Gefahrenabwehrund Risikovorsorge bei bio- und gentechnologischenVerfahren ist aber nach wie vor umstritten.Sie, Herr Kollege Dr. Mayer, als Diplom-Agrar-ingenieur wissen sehr gut und kennen es sicher auch ausIhrer Praxis, daß vor allem in den Bereichen Landwirt-schaft und Lebensmittel der gesellschaftliche Nutzensehr kritisch hinterfragt wird und mögliche Risikengentechnologisch veränderter Produkte breit diskutiertwerden. Aus diesem Grunde wird die Bundesregierungdas deutsche und europäische Gentechnikrecht daraufhinüberprüfen, inwieweit es den Vorrang des Schutzes vonMenschen und Umwelt gewährleistet.Die einschlägigen EU-Richtlinien zur Gentechnik –die Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung vongenetisch veränderten Mikroorganismen in geschlosse-nen Systemen und die „Freisetzungsrichtlinie“90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung von ge-netisch veränderten Organismen in die Umwelt – sindseit 1990 in Kraft und berücksichtigen damit nicht mehrden seither erreichten Stand der Diskussion in Wissen-schaft, Technik und Politik. Darum hat der EU-Rat aufseiner Sitzung vom 26. und 27. Oktober dieses Jahresfür die Anwendung von genetisch veränderten Mikroor-ganismen in geschlossenen Systemen, also für die
Metadaten/Kopzeile:
394 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
Richtlinie 90/219/EWG, eine Änderungsrichtlinie be-schlossen. Wir von seiten der Bundesregierung müssendiese Änderungsrichtlinie innerhalb von 18 Monatennach Inkrafttreten in nationales Recht umsetzen.Des weiteren gibt es schon einen Änderungsvorschlagfür die „Freisetzungsrichtlinie“ von der EU-Kommis-sion, der im Februar 1998 vorgelegt worden ist. Die Be-ratungen darüber können voraussichtlich unter der deut-schen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 abge-schlossen werden.Darüber hinaus gibt es Beratungen im Rahmen desinternationalen Übereinkommens über die biologischeVielfalt. Hier wird zur Zeit das Biosafety-Protokoll ver-handelt, das im Februar nächsten Jahres verabschiedetwerden soll.Das alles sind Gründe dafür, daß hier im Parlamentwie auch in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussionim Gange ist. In dieser Diskussion – darauf hat MinisterTrittin auf der Delegiertenversammlung des Bundes fürUmwelt und Naturschutz Deutschland hingewiesen –geht es darum, den Vorrang des Schutzes von Menschund Umwelt im deutschen und im europäischen Gen-technikrecht sicherzustellen und die Information derVerbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern.Im Sinne dieses Ziels setzt sich die Bundesregierungfür ein für alle Mitgliedstaaten verbindliches Risikobe-wertungsverfahren ein, das sowohl bei der Feldfreiset-zung von genetisch veränderten Organismen als auchbeim Inverkehrbringen von Produkten Anwendung fin-den soll. Das Ziel ist ein EU-einheitliches hohes Schutz-niveau. Um den Kenntnisstand zu verbessern und Risi-ken zu erkennen und zu minimieren, sollen Freilandver-suche und das Inverkehrbringen transgener Pflanzenwegen der langfristigen Auswirkungen in einem Lang-zeitmonitoring wissenschaftlich begleitet werden.Um es den Verbraucherinnen und Verbrauchern an-gesichts der breiten öffentlichen Diskussion über bio-und gentechnologische Verfahren zu ermöglichen, gen-technikfreie Produkte klar zu erkennen, wird die Bun-desregierung eine entsprechende Kennzeichnung sicher-stellen.Das alles ist auch Gegenstand des Koalitionsvertra-ges; es ist auch – angesichts der Änderungsvorschläge,die im Raum stehen – eine notwendige Debatte, die na-türlich – wir wissen alle, die Regierung ist erst sehr kurzim Amt – noch nicht abgeschlossen sein kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage
der Kollege Dr. Mayer, bitte.
Frau
Staatssekretärin, gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse,
die eine Verschärfung der Richtlinien – von dieser hat
der Bundesumweltminister gesprochen – rechtfertigen?
C
Herr Kollege, Sie wissen,
daß diese Debatte seit vielen Jahren im Gange ist, daß es
auch in der Frage der Risikobewertung eine sehr breite
Palette von Meinungen gibt. Sie wissen, daß diese ver-
schiedenen Gutachten und Meinungen in der politischen
Meinungsbildung – das ist auch Aufgabe der Regierung
bei den jetzt anstehenden Verfahren – bewertet, geprüft
und zu einem Ergebnis gebracht werden müssen.
Das ist im Augenblick Gegenstand der Beratungen.
Wie gesagt, wir sind noch nicht lange im Amt. Ich kann
Ihnen nicht sagen, wie die Meinungsbildung der Regie-
rung ausgehen wird. Klar sind die Vorgaben, die wir
gemacht haben. Diese habe ich Ihnen gerade dargelegt.
Man kann sie auch im Koalitionsvertrag nachlesen; da
ist das Notwendige dazu gesagt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr.
Mayer, eine weitere Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, wird in die Überlegung auch die Tatsa-
che eingehen, daß Deutschland in der Vergangenheit bei
der Anwendung der Bio- und Gentechnik in der Medizin
und in der Pharmazie durch strenge Vorschriften ins
Hintertreffen geraten ist, was nur schwer wieder aufge-
holt werden konnte, und sich eine ähnliche Entwicklung
in der grünen Gentechnik abzeichnet? Eine derartige
Entwicklung wird noch verschärft, wenn die Anwen-
dung dieser Technik in Deutschland erschwert wird.
C
Herr Kollege Dr. Mayer,
Sie wissen, daß Parteien dazu da sind, an der Willens-
bildung der Bevölkerung mitzuwirken. Das machen die
Parteien jeweils in eigener Verantwortung. Die Regie-
rung hat eine ganz klare Geschäftsgrundlage, auf deren
Basis sie agiert. Ich bin der Meinung, daß die alte und
auch die neue Bundesregierung gerade in diesem sensi-
blen Bereich bemüht waren und sind, allerhöchste
Schutzstandards anzuwenden sowie die Sorgen und die
entsprechenden Untersuchungsergebnisse sowie die
Evaluationen ernstzunehmen. Das ist sehr sinnvoll, im
Hinblick auf den Schutz von Mensch und Umwelt, aber
auch bezüglich des Interesses der Wirtschaft.
Wenn in diesem Bereich hohe Standards bestehen,
hat man auch die Möglichkeit, hier entsprechend tätig zu
werden, ohne daß im nachhinein womöglich ungesi-
cherte Regelungen die Wirtschaft beeinträchtigen. Ein
Beispiel dafür – es ist ein ganz anderer Bereich, aber
daran sehen Sie, daß ein nicht so strikter Umgang auch
ökonomische Auswirkungen haben kann – ist die BSE-
Problematik. Darüber werden wir morgen noch diskutie-
ren. Vor diesem Hintergrund finde ich es richtig, daß
man sehr ernsthaft und sehr sorgsam mit dieser Materie
umgeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Mayer, eine
weitere Zusatzfrage.
FrauStaatssekretärin, gibt es andere europäische Länder, dieParl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 395
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in gleicher Weise einen zusätzlichen bürokratischenAufwand und eine Verschärfung bei der grünen Gen-technik fordern?C
Herr Kollege, ich bin hier
nur beauftragt, für die Regierung zu sprechen. Sie ken-
nen natürlich die Debatte in Europa. Sie wissen, daß es
gerade in Österreich, das ja im Augenblick die Rats-
präsidentschaft inne hat, sehr strikte Regelungen gibt.
Dort gibt es keine entsprechend breiten Freisetzungs-
möglichkeiten, wie wir sie in Deutschland haben, wo-
rüber Sie trotzdem klagen. In Frankreich und auch in
Großbritannien sind im Augenblick sehr ernsthafte Dis-
kussionen im Gange. Man überlegt, ob ein Moratorium
sinnvoll ist.
In ganz Europa ist die Diskussion ganz aktuell auch
vor dem Hintergrund, daß dieses Biosafety-Protokoll
natürlich die Debatte in den beteiligten europäischen
Staaten notwendig macht.
Es ist aber nicht so, als wenn die Bundesrepublik hier
mit Sicherheitsbedenken ganz alleine stünde. Ich glaube,
in der Vergangenheit war eher das Gegenteil der Fall.
Ich bin der Meinung, daß wir als Regierung sehr gut be-
raten sind, wenn wir die Sicherheitsanforderungen ernst
nehmen und das auch zur Grundlage des Handelns ma-
chen für die Umsetzungen, die jetzt anstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, zu einer letzten
Zusatzfrage Herr Kollege Dr. Mayer.
Da
die grüne Gentechnik ja weltweit entwickelt wird,
möchte ich Sie fragen, ob Sie meine Befürchtung teilen,
daß damit Deutschland und die anderen europäischen
Länder, die gegenüber den USA eine entsprechende
Politik verfolgen, weit ins Hintertreffen geraten, ohne
insgesamt weltweit einen zusätzlichen Schutz zu be-
kommen.
C
Ich teile Ihre Einschät-
zung nicht, Herr Kollege. Ich bin im Gegenteil der Auf-
fassung – das habe ich eben schon erläutert –, daß das
Beachten des Schutzes von Mensch und Umwelt nicht
nur im Sinne einer sorgsamen Politik wichtig ist, son-
dern auch im Sinne der entsprechenden Industrie, die
hier auf einem hohen Sicherheitsstandard hinterher ent-
sprechend tätig werden kann. Das ist erheblich besser.
Ich teile Ihre Auffassung deshalb nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiteren
Zusatzfrage erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr.
Barbara Höll, PDS.
Frau Staatssekretärin, ich
habe mit Freude vernommen, daß es viele Überlegungen
gibt, Diskussionsbedarf herrscht und daß dies nicht nur
in der Bundesrepublik so ist, sondern europaweit gilt.
Ich frage Sie, ob diese Tatsache die Bundesregierung
nicht dazu bewegen müßte, einen sofortigen Stopp zu-
mindest für Freilandversuche zu verfügen, bis man zu
einem vorläufigen Abschluß dieser Diskussion kommt,
um dem auch von Ihnen angesprochenen Sicherheitsbe-
dürfnis der Bevölkerung Genüge zu tun. Dies wäre bes-
ser, als jetzt weiterzudiskutieren, obwohl Freilandversu-
che stattfinden. Sollte man nicht die Entwicklung, die
bereits eingesetzt hat, besser stoppen, um vielleicht auf
einer neuen Grundlage zu handeln?
C
Frau Kollegin, ich habe
schon eben bei der Beantwortung der Frage des Kolle-
gen Mayer dargelegt, daß die Bundesregierung im Au-
genblick im Zusammenhang mit den Änderungsrichtli-
nien und im Zusammenhang mit dem Biosafety-
Protokoll intensiv berät. Zwischen den verschiedenen
Häusern muß eine Abstimmung erzielt werden, denn
verschiedene Häuser sind zuständig. Unser Ministerium
hat in vielen Bereichen die Federführung, aber auch das
Umweltministerium ist zuständig. Außerdem müssen
andere Häuser gefragt werden. Daher ist es einfach not-
wendig und richtig, sehr sorgfältig und intensiv zu be-
raten.
Daß diese Entscheidung nicht bis auf den Sankt-
Nimmerleins-Tag verschoben wird, ist einfach schon
deshalb klar, weil bestimmte Vorgaben einen Rahmen
setzen, innerhalb dessen wir entscheiden müssen. Ich
hatte schon gesagt, daß das Biosafety-Protokoll im Fe-
bruar 1999 verabschiedet wird. Wir müssen innerhalb
von 18 Monaten die Änderungsrichtlinien umsetzen und
auch die Freilandrichtlinie beraten.
Ich finde es richtig und sinnvoll, keine Schnellschüs-
se zu machen, sondern sich als Regierung – die eine Ko-
alitionsregierung ist – auf Grundlage der getroffenen
Vereinbarungen möglichst zügig und schnell eine Mei-
nung zu bilden und das Erforderliche umzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Walter Hirche, F.D.P.
Frau Staatssekretärin, Bun-
deskanzler Schröder hat mehrfach erklärt, daß man die
Chancen der Bio- und Gentechnologie entschlossener
nutzen müsse. Was tun Sie, um diese Chancen für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland entschlossener zu nutzen,
statt die Bürokratisierung in diesem Bereich, die unter
anderem von Bundeskanzler Schröder immer wieder
kritisiert worden ist, noch zu verschärfen?
C
Herr Kollege Hirche, dasDr. Martin Mayer
Metadaten/Kopzeile:
396 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Einbeziehen des Schutzes von Mensch und Umwelt indie Arbeit der Regierung ist keine bürokratische Er-schwerung von Abläufen. Vielmehr ist das absolut not-wendig und eine wesentliche Grundlage von Politik,wenn man im Sinne des Gemeinwohls sorgsam agierenwill und auch sicherstellen will, daß die Bereiche derWirtschaft, die hier produzieren, entsprechend diesenGrundsätzen arbeiten. Ich sehe überhaupt nicht, daß einbürokratischer Aufwand betrieben wird; vielmehr sindSicherheitsstandards notwendig.Wir befinden uns im Augenblick im Rahmen der Er-arbeitung und der Meinungsbildung in bezug auf diedrei Vorhaben, die ich schon einmal genannt habe. Wirstehen vor den genannten Zielen natürlich in der Pflicht,diesen Aspekt zu berücksichtigen. Kein Mensch wirdein Interesse daran haben, bürokratischen Aufwand zubetreiben. Das Interesse wird vielmehr darin bestehen,die erforderlichen Ziele in Einklang zu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hirche,
es ist leider immer nur eine Zusatzfrage möglich; nur die
Fragestellerin oder der Fragesteller hat zwei.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Ilja
Seifert, PDS.
Frau Staatssekretärin, ich
nehme mit Freude zur Kenntnis, daß die Regierung den
Schutz von Mensch und Natur vor irreversiblen Eingrif-
fen für wichtig hält. Welche Rolle spielt bei Ihren
Überlegungen zum weiteren Vorgehen die internationale
Einflußnahme der Bundesrepublik auf andere Staaten?
Meine Frage zielt im Gegensatz zu dem, was der Kolle-
ge Mayer gesagt hat, darauf ab, daß der Schutz von
Mensch und Umwelt vor biotechnischen und biogeneti-
schen Eingriffen erhöht wird.
C
Gerade die genannten
Vorhaben, deren Umsetzung jetzt ansteht –
Veränderungen in den Richtlinien 219, 220 und das
Biosafety-Protokoll –, erfordern es und sind eine gute
Gelegenheit, über die Nutzung verantwortbarer Poten-
tiale zu reden, aber den Schutz von Mensch und Umwelt
gleichrangig mitzubehandeln und auf der europäischen
Ebene in die Debatte einzubringen.
Ich gehe davon aus, daß die neue Bundesregierung
auf Grund ihrer in den Koalitionsvereinbarungen nie-
dergelegten Absprachen mehr auf den Schutz von
Mensch und Umwelt eingehen wird – bei Aufrechter-
haltung des Zieles, die verantwortbaren Potentiale zu
nutzen – und dies auf der europäischen Ebene einbrin-
gen wird. Dazu haben wir jetzt ausreichend Gelegenheit.
Unsere Häuser müssen sich intensiv absprechen – was
im Augenblick geschieht –, damit man auf der europäi-
schen Ebene in den jetzt schon stattfindenden Beratun-
gen tätig wird. Hier sind dauernd auch entsprechende
Beamte auf europäischer Ebene tätig, die die Meinung
der Regierung mit transportieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Goldmann, F.D.P.
Frau Staatsse-
kretärin, teilen Sie meine Einschätzung, daß es erst lang-
fristig angelegter, sicherer Freilandversuche bedarf, um
wissenschaftliche Aussagen zu erhalten, auf deren Basis
ein Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden kann?
Haben Sie die Absicht, dazu beizutragen, daß solche
langfristig angelegten Versuche durchgeführt werden?
C
Herr Kollege, was heißt
hier langfristig?
Über neue politische Vorhaben – das habe ich hier
schon mehrfach dargelegt; ich sage es noch einmal –
findet zur Zeit eine Abstimmung zwischen den Häusern
statt. Außerdem ist es völlig klar und unstrittig – das ha-
be ich aber schon bei der Beantwortung der Frage des
Kollegen Dr. Mayer gesagt –, daß bei Freilandversuchen
wegen der langfristigen Auswirkungen ein Langzeit-
Monitoring erforderlich ist und daß das wissenschaftlich
begleitet werden muß. Auch das hatte ich aber, wie ich
glaube, schon dargelegt.
– Herr Kollege Mayer hatte ja eine Meldung der Zeitung
„Die Welt“ zum Anlaß seiner Frage genommen, ob Herr
Minister Trittin schon seine Vorstellungen in bezug auf
Gesetzesänderungen dargelegt hätte. Er hat nicht einzel-
ne konkrete Maßnahmen dargelegt, sondern hat vor dem
BUND, wie ich es geschildert habe, allgemein die Vor-
haben der Regierung angesprochen. Darum ging es. Wir
sind innerhalb von vier Wochen nicht so weit, daß wir
Ihnen jetzt eine entsprechend abgestimmte Meinung der
Regierung vorlegen können. Das wissen Sie doch auch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Frau Parla-mentarische Staatssekretärin.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.Ich verweise darauf, daß die Frage 6 und auch dieFrage 14 des Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P., aufGrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich be-antwortet werden.Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung stehtHerr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Kör-per zur Verfügung.Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 397
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(D)
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen AbgeordnetenDr. Klaus Rose, CDU/CSU, auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Neufassung des § 55Beamtenversorgungsgesetz in absehbarer Zeit in die parlamenta-rische Beratung zu bringen?F
Wer sich mit der Frage von Ver-
sorgung und Besoldung beschäftigt, weiß, daß der § 55
des Beamtenversorgungsgesetzes schon seit langer Zeit
und immer wieder von bestimmten Gruppen in die Dis-
kussion gebracht wurde. Hier geht es um die Anrech-
nung von Renten auf die Beamtenversorgung. Dieser
Paragraph ist erst am 29. Juni 1998 durch das Versor-
gungsreformgesetz zugunsten der Betroffenen abgeän-
dert worden. Weitergehende Änderungen sind derzeit
nicht beabsichtigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage,
Herr Kollege Dr. Rose, bitte.
Herr Staatssekretär,
natürlich ist die Vorgeschichte sehr lang, aber die betrof-
fene Bevölkerungsgruppe teilt Ihre optimistische Aussa-
ge, daß man viel zu ihren Gunsten gemacht habe, nicht.
Große Hoffnungen haben sich vor der Wahl auf eine neue
Regierung gerichtet. Darum frage ich nach, ob Sie nicht
irgendwie längerfristig eine noch umfangreichere Verbes-
serung im Sinne der Betroffenen erreichen wollen.
F
Herr Kollege Dr. Rose, alle die-
se Diskussionsbeiträge sind mir sehr gut bekannt. Ich
bleibe bei meiner Aussage, daß wir derzeit weitergehen-
de Änderungen nicht beabsichtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer weiteren
Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Rose, bitte.
Ich bitte um Beant-
wortung der Frage 9.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe dann die
Frage 9 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Hat ein Arbeitnehmer, der beispielsweise 23 Jahre rentenver-sicherungspflichtig in der Privatwirtschaft und 26 Jahre alsAOK-Angestellter im öffentlichen Dienst tätig war, Anspruchauf die volle Altersversorgung für 49 Berufsjahre?
F
Herr Kollege Dr. Rose, der An-
wartschaft des Angestellten aus der gesetzlichen Ren-
tenversicherung liegen die 49 Berufsjahre in vollem
Umfang zugrunde. Hiervon zu unterscheiden ist die Fra-
ge, in welchem Umfang der Angestellte wegen seiner
Tätigkeit im öffentlichen Dienst Anspruch auf eine zu-
sätzliche Betriebsrente in Form der Zusatzversorgung
hat. Die höchstmögliche Zusatzversorgung setzt aber ei-
ne gesamtversorgungsfähige Zeit von 40 Jahren voraus.
In Ihrem Beispielsfall zählen neben den 26 Berufsjah-
ren bei der AOK auch die Hälfte der 23 in der Privat-
wirtschaft verbrachten Berufsjahre zur gesamtversor-
gungsfähigen Zeit, die mithin nicht 26, sondern 37,5
Jahre beträgt. Damit wird die höchstmögliche Zusatz-
versorgung für den öffentlichen Dienst nicht ganz voll-
ständig erreicht.
Ich hoffe, daß wir Ihr Einzelbeispiel richtig erfaßt ha-
ben. Sollte es beispielsweise bei der Frage der individu-
ellen Berechnungen noch Unklarheiten geben, biete ich
ausdrücklich an, die offenen Fragen auf dem kurzen
Dienstweg zu klären. Legen Sie uns die etwaigen Un-
klarheiten vor. Wir werden dann gerne nachrechnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen damit
zum letzten Geschäftsbereich, nämlich dem des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen. Zur Beantwortung der Fragen 10 und 11 steht der
Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann und
zur Beantwortung der Fragen 12 und 13 der Parlamenta-
rische Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 10 des Abgeordneten
Wilhelm Josef Sebastian, CDU/CSU, auf:
Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, die im Rahmendes Berlin-Umzuges beschlossenen Regelungen für Berlin-Pendler – insbesondere hinsichtlich der Heimfahrten – zuungun-sten der Pendler zu ändern, und welche Ausgaben veranschlagtdie Bundesregierung, um die Pendlerregelungen in ihrer bisheri-gen Form in den zwei Jahren nach Vollzug des Umzuges zu fi-nanzieren?
A
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt keine
Änderung des Dienstrechtlichen Begleitgesetzes, aus
dem sich der rechtliche Rahmen für die Pendlerregelun-
gen im Zusammenhang mit dem Umzug von Parlament
und Regierung nach Berlin sowie der Ausgleichsverla-
gerungen von Behörden nach Bonn ergibt.
Die Kosten hierfür sind Teil des Ansatzes für dienst-
rechtliche Maßnahmen in Höhe von 950 Millionen DM,
den die Bundesregierung im Kostentableau für die Ver-
lagerung des Parlamentssitzes und von Regierungsfunk-
tionen nach Berlin ausgewiesen hat. Das können Sie im
Detail in der Bundestagsdrucksache 13/6594 nachlesen.
Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Drucksache zur Verfü-
gung zu stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage? – Nein.Dann rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Wil-helm-Josef Sebastian auf:Welche logistischen Probleme sieht die Bundesregierung, dieHeimreise der Pendler einmal pro Woche per Flugzeug oderBahn zu organisieren, und welche Vereinbarungen sind zumheutigen Zeitpunkt mit der Deutschen Bahn AG und den in Fra-ge kommenden Fluggesellschaften zur Abwicklung des Pendler-verkehrs getroffen worden?Vizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
398 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
A
Herr Kollege Sebastian, eine erste Untersuchung der lo-
gistischen Fragen im Zusammenhang mit den Heimrei-
sen der Pendler hat ergeben, daß die voraussichtliche
Nachfrage bei der Nutzung der beiden Verkehrsträger
Flugzeug und Eisenbahn und durch zeitliche Entzerrung
der Reisetermine auf Sonntagabend und montags früh
verkehrstechnisch bewältigt werden kann. Der Minister
hat eben schon ausführlich auf diesen Aspekt hingewie-
sen.
Auf Grund der Höhe des hierzu mit beiden Verkehrs-
trägern auszuhandelnden finanziellen Vertragsvolumens
ist eine europaweite Ausschreibung erforderlich. Die
hierzu notwendigen Vorbereitungen sind geleistet; die
Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung im ent-
sprechenden EU-Amtsblatt steht bevor. Der weitere
zeitliche Ablauf ist für diesen Bereich ausschreibungs-
rechtlich vorgegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Hauser, CDU/CSU.
Herr Staatsse-
kretär, Minister Müntefering ging eben bei den Zahlen,
die er für die Pendler zugrunde legte, von einer Spanne
zwischen 3 000 und 7 000 bzw. 8 000 aus. Wenn die
Spanne tatsächlich so hoch sein sollte, muß ich fragen:
Von welchen Zahlen gehen Sie in Ihrer Bedarfsberech-
nung aus? Es scheint mir, daß Sie über genauere Zahlen
verfügen.
A
Nein, es handelt sich um die Bedarfszahlen, die von der
letzten Regierung zusammen mit der Personalkommissi-
on des Ältestenrates berechnet wurden. Es gibt keine
neuen Berechnungen.
Herr Müntefering hatte schon darauf hingewiesen,
daß es äußerst schwierig ist, genaue Zahlen zu ermitteln.
Es gab vorher unter den Bediensteten der einzelnen
Häuser zwei Umfragen. Die Häuser tragen ja die Ver-
antwortung für die Bereiche, die nach Berlin wechseln
sollen. Es gibt also keine neuen Zahlen.
Wir gehen davon aus, daß mit einem Mittelwert von
3 500 bis 4 000 Pendlern gerechnet werden kann. Die
Situation kann sich noch durch den verzögerten Fort-
gang des Baus der einzelnen Ministerien entzerren. Es
ist schon im Bericht angeklungen, daß es Entzerrungen
geben wird, weil einige Häuser erst später fertiggestellt
werden. Wenn man diese bekannten Zahlen zugrunde
legt, dann kommen auch die Verkehrsträger, mit denen
wir gesprochen haben, zu dem Schluß, daß das Auf-
kommen bewältigt werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Horst Friedrich, F.D.P., auf:
Wie sichert die Bundesregierung bei der Veräußerung derTank & Rast AG an ein Konsortium unter Führung der Allianz
dauerhaft den Erhalt leistungsfähiger, mittelständischer Wettbe-werbsstrukturen an den Autobahnraststätten, und mit welchemErfolg wurde das vor der Privatisierung mit dem DeutschenBundestag abgestimmte mittelständische Privatisierungskonzeptumgesetzt?
L
Herr
Kollege Friedrich, die Autobahn Tank & Rast AG ist
das größte Dienstleistungsunternehmen an den deut-
schen Bundesautobahnen. Sie ist Eigentümerin von 700
Servicebetrieben, 295 Tankstellen, 329 gastronomischen
Betrieben, 54 Motels und 40 Kiosken.
Die Privatisierung der Autobahn Tank & Rast AG
durch Veräußerung der Anteile an ein Erwerberkonsor-
tium, bestehend aus Allianz Capital Partners GmbH,
Apax Fondsgesellschaften und LSG Lufthansa Service
Holding AG, erfolgt im Einklang mit den öffentlich-
rechtlichen Rahmenbedingungen.
Die verkehrs- und ordnungspolitischen Ziele, die mit
dem Verkehrs- und Haushaltsausschuß des Deutschen
Bundestages in der 13. Legislaturperiode abgestimmt
waren, lagen dem Bietungsverfahren zugrunde und sind
wesentliche Bestandteile des jetzt abgeschlossenen Ver-
tragswerks. Dazu gehören insbesondere der Erhalt der
mittelständischen Pächterstrukturen und die Weiterfüh-
rung der Autobahn Tank & Rast AG als selbständige
Gesellschaft. Im Rahmen der angestrebten Kooperation
erhalten die Pächter Mitwirkungsrechte in künftigen
Aufsichtsgremien der Gesellschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage
hat Herr Kollege Friedrich das Wort, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben auf die vom Verkehrsausschuß unter
nicht unwesentlicher Mitwirkung meiner Person formu-
lierten Grundsätze für die Privatisierung hingewiesen.
Wie verträgt es sich mit der Aufrechterhaltung der mit-
telständischen Pächterstruktur insbesondere im Gastro-
nomiebereich, daß ein Beteiligter davon, nämlich die
LSG, ein nicht unwesentlicher Caterer ist? Was hat das
für Konsequenzen für das Netz? Sind diese Punkte bei
der Vertragsgestaltung tatsächlich so formuliert worden,
daß daraus keine Gefahren entstehen?
L
Herr Kollege Friedrich, wenn Ihre Frage darauf abzielt,daß einer der beteiligten Partner ein zu großes Gewicht,auch was die Ausgestaltung des Serviceangebots anbe-trifft, bekommen sollte, so kann ich zum gegenwärtigenZeitpunkt nur darauf verweisen, daß durch vertraglicheRegelungen festgelegt worden ist, daß nicht mehr als10 Prozent der Raststätten als Eigenbetriebe und nichtmehr als 10 Prozent ihrer Nebenbetriebe von einemUnternehmen betrieben werden dürfen. Ferner sind ver-tragliche Vorkehrungen getroffen worden, die die Ent-wicklung marktbeherrschender Stellungen in den Berei-chen Gastronomie, Einzelhandel und Tankstellen ver-hindern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 399
(C)
(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Frie-
drich, bitte, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Die entschei-
dende Frage wird sein: Inwieweit ist sichergestellt, daß
genau diese Richtlinien auch dann noch gelten, wenn die
Allianz, wie angekündigt, dieses Unternehmen nach
dem Erwerb an die Börse bringt? Wir vom Verkehrsaus-
schuß hatten für einen Konsortialverkauf plädiert, weil
wir in dem vorrangigen Börsengang Gefahren für den
Mittelstand gesehen haben.
L
Herr
Kollege Friedrich, erlauben Sie mir auch im Hinblick
auf Ihre Zugehörigkeit zur Arbeitsgruppe, in der in der
vergangenen Legislaturperiode Mitglieder des Haus-
haltsausschusses und des Verkehrsausschusses gemein-
schaftlich gewirkt haben, den Hinweis, daß die Rechte
des Mittelstandes durch diese Vereinbarung und durch
den jetzt abgeschlossenen Vertrag ausdrücklich umge-
setzt werden sollen.
Die Verhandlungen haben in einer engen Kooperation
mit den Pächtern begonnen und hatten zum Gegenstand,
daß die Pächter selbst angemessen im Konsortium zu
beteiligen sind und daß ein schrittweiser oder vollstän-
diger Börsengang zu einem späteren Zeitpunkt nur sinn-
voll erscheint, wenn das Unternehmen zunächst nach-
haltig gestärkt wird. Dies liegt auch in der Absicht des
Konsortiums. Der Verkauf von Anteilen an der Börse
fördert eine breite Streuung und wirkt einer späteren
Veräußerung auf Grund einseitiger Industrieinteressen
entgegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 13
des Abgeordneten Friedrich, F.D.P., auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung die gegenüber den ur-sprünglichen Erlöserwartungen von rund 500 Millionen DM of-fenbar deutlich höheren Einnahmen für den Verkauf der Tank &Rast AG zu verwenden, und kommen die Einnahmen aus demErlös zumindest teilweise dem Investitionshaushalt des feder-führenden Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen zugute?
L
Herr
Kollege Friedrich, Einnahmen aus der Veräußerung von
Anteilsrechten des Bundes und aus der Liquidation von
Bundesunternehmen werden im Einzelplan 60 – All-
gemeine Finanzverwaltung – bei Kapitel 60 02 Titel
133 01 vereinnahmt. Ich weiß, daß Ihnen das nicht un-
bekannt ist.
Aber ich muß Sie im Zusammenhang mit Ihrer Frage
auch an § 8 der Bundeshaushaltsordnung erinnern. Da-
nach gilt der Grundsatz der Gesamtdeckung. Hinsicht-
lich der Verwendung der Verkaufserlöse aus der Privati-
sierung der Autobahn Tank & Rast AG sind davon we-
der gesetzlich vorgeschriebene noch im Haushaltsplan
zugelassene Ausnahmen vorgesehen. Der Souverän, der
Gesetzgeber, bindet durch die Bundeshaushaltsordnung
auch die Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fried-
rich, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, da der Finanzminister der ehemaligen Bundesre-
gierung durch erfolgreiche Privatisierungen gerade im
Verkehrsbereich in den letzten Jahren sehr hohe Ein-
nahmen erzielt hat, frage ich Sie: Hat man im Rahmen
des Einzelplanes des Verkehrs-, Bau- und Wohnungs-
ministeriums im Hinblick auf die jetzige Situation und
die noch immer dringend zu lösenden Aufgaben in den
Bereichen Verkehr und Bau, die den höchsten Investiti-
onshaushalt aufweisen, wenigstens den Versuch unter-
nommen, einen Teil der überplanmäßigen Einnahmen
aus den von mir angesprochenen Verkaufserlösen für
sachbezogene Aufgaben dieses Ministeriums zu akqui-
rieren?
L
Herr
Kollege Friedrich, in Ihrem Beitrag wird eine
Wunschvorstellung, die sicherlich jeder Minister hat,
wenn es um den eigenen Etat geht, deutlich. Ich wieder-
hole noch einmal: Grundgesetz und Bundeshaushalts-
ordnung binden die gesamte Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es weitere Zu-
satzfragen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Frage-
stunde beendet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Sitzung um
15.30 Uhr mit der Aktuellen Stunde zur Havarie der
„Pallas“ fortzusetzen. Die Sitzung ist damit unterbro-
chen.
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Erkenntnisse der Bundesregierung zur Ent-
stehung des Unfalls der „Pallas“ vor der deut-
schen Nordseeküste und Maßnahmen der
Bundesregierung zur Schadensbegrenzung
und -beseitigung nach der Havarie
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Austermann von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist betroffen über das Ausmaß deraus Zögern, Versäumnis, Ungeschicklichkeit und unter-bliebenem Management entstandenen Ölkatastrophe inFolge der Havarie der „Pallas“. Die Versäumnisse,die selbst von SPD-Abgeordneten im schleswig-
Metadaten/Kopzeile:
400 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
(C)
holsteinischen Landtag, aber auch hier im Bundestag,und von Frau Simonis nicht bestritten werden, sind ein-deutig und der jeweiligen politischen Führung zuzuord-nen.
Der Kollege Müller spricht von einer politischen, be-hördlichen Schlamperei. Er sagt, er könne nicht nach-vollziehen, warum Behörden in Schleswig-Holstein miternsthaften Gegenmaßnahmen so lange gewartet hätten.Auch wir verstehen das nicht, Herr Kollege Müller. Wirschließen uns dieser Auffassung und diesem Urteil an.Es ist in der Tat richtig, daß nach dem Katastrophen-schutz der erste Zugriff den Ländern obliegt, daß danndie entsprechende Entscheidung und die Einschaltungder zentralen Meldestelle in Cuxhaven zu erfolgen hatund dort gegebenenfalls eine Einsatzleitgruppe zu bildenist. All dies ist in den ersten fünf Tagen nach der Hava-rie nicht geschehen.Über diese Kritik hinaus sehen wir auch Versäumnis-se des zuständigen Bundesministers.
Ich hätte eigentlich erwartet, daß Herr Münteferingheute hier ist als der Minister, der auch für den Seever-kehr zuständig ist. Die einzige offizielle Reaktion ausdem Hause Müntefering war eine Pressemitteilung am3. November, in der zugesichert wurde, den noch unterCharter stehenden Hochseeschlepper „Oceanic“ stufen-weise bis voraussichtlich Ende Januar 1999 unter Ver-trag zu halten. Ansonsten nichts, keine Reaktion vonMüntefering, keine Stellungnahme seines Hauses! An-sonsten Dienst nach Vorschrift! Minister Münteferingwar offensichtlich damit beschäftigt, in Rekordzeit eineRekordzahl von Abteilungsleitern aus dem Dienst zu ja-gen.
– Mehr als bei ihm sind in keinem einzigen Ministeriumrausgejagt worden, Herr Schlauch. Acht Abteilungsleiterinnerhalb einer Woche! Die zuständige Abteilung ist bisheute nicht besetzt. Der Unterabteilungsleiter wurde aneine andere Stelle versetzt. Ich glaube, das ist ziemlicheindeutig.Damit steht fest: Seit 26. Oktober treibt die „Pallas“bei Windstärke 6 unbemannt vor der Küste. Das Auf-den-Haken-Nehmen scheiterte mehrfach. Am fünftenTag nimmt die Einsatzleitgruppe zur Bekämpfung vonMeeresverschmutzungen ihre Arbeit auf. Der Ölab-schöpfkatamaran „Westensee“ wird von Bremerhavenaus in Marsch gesetzt. Am 4. November, also 10 Tagenachdem der Havarist gestrandet ist, wird dem Ber-gungsunternehmen eine viertägige Frist gesetzt, den Ha-varisten zu bergen. In den nächsten Tagen scheiternweitere Schleppversuche. Dreieinhalb Wochen brenntdas Schiff, und am 11. November – man muß sich dasDatum merken –, 14 Tage nach der Katastrophe, wird inKiel ein Krisenstab gebildet.
Chef der Einsatzleitgruppe ist der Kieler Umweltmi-nister in Vertretung der Ministerpräsidentin. Diesemußte im Landtag zugeben, daß im Land keiner wußte,daß auch die Hamburger Hafenfeuerwehr und die KielerFeuerwehr in der Lage sind, Schiffsbrände zu bekämp-fen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt den einge-setzten Rettungsmannschaften.
Wir danken den Mitarbeitern auf den Schiffen des Bun-des, aber auch der Schiffe vor Ort. Wir danken den vie-len, vielen ehrenamtlich Tätigen, den freiwilligen Hel-fern auf den nordfriesischen Inseln. Sie haben zum Teilunter Einsatz ihres Lebens versucht, das zu verhindern,was jetzt doch eingetreten ist, den Austritt von Öl, dieSchädigung des Ökosystems Watt, die Schädigung desStrandes, den Imageverlust für den Tourismus, den Todvon Fischen, Vögeln, Krabben. Inzwischen ist der Todvon 4 000 Vögeln zu beklagen.
– Ich verstehe Ihre Aufregung. Gerade Ihre Partei redetviel vom Umweltschutz, und dann dieses Versagen, woes um konkrete, schnelle und richtige Entscheidungengeht.
Da empfiehlt die Ministerpräsidentin Ihrem Kabi-nettskollegen, Herrn Steenblock, er möge doch einmalzwei Tage ausschlafen, nachdem er während der KriseUrlaub genommen hatte. Offensichtlich wurde die Kriseerheblich unterschätzt, und die „Oceanic“ wurde nichtrechtzeitig eingesetzt.Trittin hält sich in Buenos Aires auf, Steenblockmacht Urlaub; Simonis bildet das Kabinett um; Münte-fering tauscht Abteilungsleiter aus: Was ist denn sonstKonkretes seitens der politischen Führung geschehen biszum 11. November? Nach 16 Tagen tagt zum erstenmaldie Krisen- und Katastrophenstelle des Landes.
Es scheint in erster Linie darauf angekommen zu sein,daß man eindeutige Beschlüsse trifft und damit die Ko-stenverteilung regelt – auch seitens der Beamten. Ver-antwortung wollte niemand übernehmen. Wen muß esdann wundern, daß die Mitarbeiter vor Ort, in der Ein-satzleitstelle in Cuxhaven, bei den Wasser- undSchiffahrtsämtern, nicht mehr Mut, mehr Verantwor-tungsbewußtsein, mehr Bewußtsein für Entscheidungenhaben? Sie sehen doch, daß offensichtlich die beteiligteDietrich Austermann
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politische Führung völliges Desinteresse an dem hat,was sich dort tut.
Wann war Müntefering vor Ort? Simonis war nach 20Tagen vor Ort, Steenblock, nachdem im Landtag eineDebatte darüber angesetzt worden war. Erstaunlich istdieses erschreckende Desinteresse an den Auswirkungendieser Katastrophe. Pech für die Umwelt – möchte mansagen – daß sich die Regierung in Kiel offensichtlich nurnoch zusammenraufen kann und sich die entscheidendenUnterlassungen der Bonner Regierung, des Bonner Ver-kehrsministers so ausgewirkt haben.Für die Folgen, für das, was durch die „Pallas“ an derKüste Schleswig-Holsteins geschehen ist, trägt die poli-tische Führung die Verantwortung. Ich kann nur sagen,Herr Steenblock, ich kann mich der Forderung derFreunde im Kieler Landtag anschließen: Es ist an derZeit, daß Sie daraus die politischen Konsequenzen, auchSie persönlich, ziehen, damit klar wird, daß der Staat dieVerantwortung trägt und für das Handeln seiner Beam-ten einsteht.Herzlichen Dank.
Das
Wort hat als nächste Rednerin die Kollegin Annette
Faße von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Am 24. September erhiel-ten auf eine Anfrage Parlamentarier folgende Antwortder damaligen Bundesregierung:Die Bundesregierung bekräftigt ihre Ausfassung,daß die breite Palette der teilweise gemeinsam mitden Küstenländern eingeleiteten Vorsorge- und Be-kämpfungsmaßnahmen die Sicherheit und denSchutz der maritimen Umwelt in der DeutschenBucht gewährleisten.Alles im Griff, hieß es also einen Monat vor der Kata-strophe.
Es wurde keine Veranlassung gesehen, das Notfallkon-zept der Nordsee weiterzuentwickeln bzw. zu überar-beiten. Diese Einschätzung, die ich aus dem damaligenHaus Wissmann zitiert habe, war eindeutig falsch.
Auf der einen Seite haben wir in der letzten Wahlpe-riode erreicht, daß Modernisierungen zum Beispiel derRevierzentralen vorgenommen wurden, auf der anderenSeite aber mußte die damalige Opposition ständig gegenVerschlechterungen ankämpfen, dagegen, daß zum Bei-spiel die Lotsenannahmepflicht zurückgenommen wor-den ist, daß zum Beispiel Maßnahmen, die einen welt-weiten Rückschritt bei Ausbildungs- und Besatzungs-standards an Bord von Schiffen bedeutet haben, einfachdurchgezogen wurden.
Die ständige Diskussion um die Hochseeschlepper inder Nordsee – dazu gibt es auch drei Gutachten; man hatsich also lange damit beschäftigt – hat eindeutig gezeigt,daß Sicherheitsmaßnahmen für die letzte Bundesregie-rung zu teuer waren und daß man rückwärtsgewandt ge-arbeitet hat.
Minister Müntefering hat noch vor seiner Vereidi-gung ganz eindeutig beschlossen, daß der Hochsee-schlepper „Oceanic“ über den 31. Oktober hinaus in derNordsee stationiert bleibt.
Er bleibt dort über den Winter und damit auch über dieZeit der Stürme und des möglichen Eisganges hinaus.Zwischen dem BMVB und dem Krisenstab vor Ort hates eine ständige Zusammenarbeit gegeben.Man stelle sich vor, was zusammengetroffen ist: Die„Pallas“ treibt brennend, von der Besatzung verlassen,manövrierunfähig bei Windstärken 8 bis 10 und sogarOrkanböen auf die deutsche Küste zu. Schleppverbin-dungen reißen oder können wegen des Wetters nichthergestellt werden. Auf Grund des Brandes an Bordmüssen die Helfer mit hoher Hitze zurechtkommen.Letztendlich läuft die „Pallas“ nach den fehlgeschlage-nen Schleppversuchen auf Grund, Öl tritt aus und führtunstrittig zu massiven Umweltschäden.Das Zusammenkommen aller Problemfelder hat nachmeiner Meinung die Verantwortlichen vor Ort – an Landund auf See – vor offenbar unlösbare Probleme gestellt.Wir fordern ganz deutlich eine schonungslose Aufklä-rung der Vorfälle. Der Zwischenbericht ist auch Ihnenbekannt und zugeleitet worden. Danach relativiert sicheiniges, was durch die Presselandschaft gegangen ist.
Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen einfacherArt,
Dietrich Austermann
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und es geht auch nicht alleine um die Frage des Einsat-zes eines Hochseeschleppers. Vielmehr geht es um klarumrissene Bereiche: Was brauchen wir in Zukunft, umin der Nordsee schleppen zu können? Wir sind immervon der Konstellation ausgegangen, es könnte etwas miteinem großen Tankschiff passieren. Wir haben mit Ih-nen darüber gestritten, wieviel Pfahlzug ein Schlepperhaben muß. Und jetzt sehen wir, daß es nicht einmal eingroßer Tanker ist, der uns vor große Probleme stellt,sondern ein Schiff, das wie jedes andere normale Schiffauch nur soviel Öl an Bord hat, wie es selbst braucht.Wir müssen uns auch mit den Zuständigkeiten aus-einandersetzen. Für mich heißt dies, daß der nationaleAnsatz, aber auch der europäische Ansatz verfolgt wer-den müssen.
Die Frage, warum das Schiff von Dänemark unbemanntherübergetrieben ist, müssen sich alle Anrainer derNordsee stellen.
Auch den internationalen Kontext dürfen wir deshalb indieser Frage nicht zurückstellen. Denn wir wissen, daßdie Besatzung an Bord falsch gelöscht hat,
und zwar mit Stickstoff statt mit Wasser und Schaum,was richtig gewesen wäre.
Das heißt, das internationale Thema der Qualität vonSchiffsbesatzungen muß ebenso angegangen werden wiedie Verstärkung der Hafenkontrollen, also nationale Lö-sungen.
Das Ministerium ist auf dem richtigen Weg. Wirstellen uns der Aufgabe.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Vor dreieinhalb Wochen ge-riet der Holzfrachter „Pallas“ vor der dänischen Küste inBrand. Nach der Bergung der Besatzung trieb das Schiffauf den Festlandsockel vor der schleswig-holsteinischenNordseeküste.Von da an zieht sich wie ein roter Faden – oder sollteich vielleicht sagen: wie ein grüner Faden? –
die Unfähigkeit des schleswig-holsteinischen Umwelt-ministers durch diese Geschichte.
Er hat weder die betroffene Bevölkerung gewarnt,noch wurde die Zeit bis zur Strandung des Schiffes ge-nutzt, um Vorbereitungen für eine zu erwartende Ölver-schmutzung zu treffen. Für die Klärung der Zuständig-keiten, für die Koordinierung des Einsatzes, für die Be-reitstellung von Material ist die Zeit nicht genutzt wor-den. Dreimal hat das schleswig-holsteinische Innenmini-sterium dem Umweltminister die Krisenzentrale ange-boten.
Die dort vorhandene Technik, das für solche Einsätzegeschulte Personal hätten zahlreiche Pannen verhindernkönnen. Steenblock hat dieses Angebot dreimal abge-lehnt.
Herr Umweltminister aus Schleswig-Holstein, Siehatten sich heute morgen in einem Landtagsausschuß zurechtfertigen. Dort haben Sie gesagt, das Angebot sei am9. November gemacht worden. Das stimmt nicht.
– Frau Kollegin, setzen Sie sich lieber auf die Regie-rungsbank.
Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein hatSie, Herr Umweltminister, in der Sitzung korrigiert.Jetzt nenne ich Ihnen einmal das Datum, das der Innen-minister des Landes Schleswig-Holstein heute in dementsprechenden Ausschuß angegeben hat: Am 30. Ok-tober hat er Herrn Steenblock zum erstenmal das Ange-bot gemacht, den Krisenstab zu nutzen.
Herr Steenblock hat davon keinen Gebrauch gemacht.Zu keiner Zeit haben sich die Umweltministerien inKiel und Bonn mit den Berufsfeuerwehren in Hamburgoder Bremen in Verbindung gesetzt. Die Berufsfeuer-wehr in Hamburg ist dafür bekannt, daß sie internationalAnnette Faße
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Schiffsbrandbekämpfungen durchführt. Erst am 11. No-vember konnte durch Veranlassung der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin der Krisenstab inSchleswig-Holstein tätig werden. Der schleswig-hol-steinische Umweltminister Steenblock, der heute hierist, war uneinsichtig und unfähig, mit der Krise umzu-gehen.
Wo war das Bundesumweltministerium, das dochschnell hätte erkennen müssen, daß der grüne Par-teifreund und Landesumweltminister Steenblock in die-ser kritischen Situation völlig versagte? – Keine Reak-tion:
– der Minister im Ausland, die beiden Staatssekretärin-nen auf Tauchstation. Frau Staatssekretärin Altmann,Sie hätten zumindest einen Anruf in Kiel tätigen undsich bei Ihrem Parteifreund informieren können. Dannhätten Sie gemerkt, was los ist.
Ich sage Ihnen, was los war: Sie waren so mit der Öko-steuer beschäftigt, daß die Ökologie an der Nordsee Sieüberhaupt nicht interessiert hat.
Dabei wären die Kompetenzen sehr schnell zu klärengewesen. Natürlich ist der Bundesverkehrsminister zu-ständig, wenn es zu einer Katastrophe in einer Wasser-straße kommt. Aber bei diesem Problem geht es um dieBedrohung des Nationalparks Wattenmeer. Hier ist nachunserer Auffassung der Landesumweltminister, wenn erversagt, der Bundesumweltminister zuständig.
Verendete Tiere, verödetes Wasser – das Bundesum-weltministerium versteckt sich hinter „Nicht zuständig“.Ich wiederhole, was mein Freund Wolfgang Kubickiim Kieler Landtag gesagt hat:Wenn sich der Umweltminister des Landes Bran-denburg genauso in den Zuständigkeiten verschanztund nicht vor Ort die Zuständigkeiten koordinierthätte, dann wären die Leute am Oderbruch abgesof-fen, statt daß ihnen geholfen worden wäre.
Herr Minister Steenblock, Sie haben sich noch nichteinmal bei den Menschen vor Ort sehen lassen. Sie sindeinmal bei Nacht dagewesen.
Das Bundesumweltministerium hat untätig zugesehen.So hat diese Umweltkatastrophe ihren Lauf genommen.Ministerpräsidentin Simonis hat nun Entscheidungengetroffen, damit das Land Schleswig-Holstein in Zu-kunft auf solche Krisen vorbereitet ist. Die F.D.P. be-grüßt das. Frau Simonis hat entschieden, daß der Krisen-stab zukünftig eingesetzt wird, ohne daß Herr Steen-block gefragt wird. Bei so viel Unfähigkeit habe ichVerständnis für die Haltung von Frau Simonis.Wie reagiert der Umweltminister Steenblock darauf?– Mit einer Koalitionskrise. Seit gestern macht er ausseiner Unfähigkeit eine Koalitionskrise der rotgrünenRegierung in Kiel. Herr Steenblock – wörtlich – „warntdie SPD davor, Personen, die für die Grünen stehen, zudemontieren“. Ohne Ministerpräsidentin Simonis na-mentlich zu nennen, wehrt er sich dagegen, von einzel-nen Kabinettsmitgliedern öffentlich madig gemacht zuwerden. So hat sich Herr Steenblock in seiner Presse-konferenz geäußert.Ich finde es sehr interessant, wie die Stimmung in derLandesregierung in Kiel ist. „Dpa“ meldete gestern:Auf einen gemeinsamen Auftritt im Unglücksgebietam vergangenen Sonntag hatten sich beide– Steenblock und Simonis –nicht verständigen können.
Man muß sich das einmal vorstellen. In dieser Situation,Herr Minister, haben Sie total versagt. In dieser Situati-on von den Verantwortlichen in Kiel und Bonn alleingelassen, gebührt den vielen Helfern vor Ort ausgespro-chener Dank.
Mein letztes Wort in dieser Debatte. Herr MinisterSteenblock, nehmen Sie einen Rat an: Geben Sie dieSchlüssel Ihres Dienstautos und auch Ihres Schreibti-sches bei Frau Simonis ab, und gehen Sie nach Hause!
Die Menschen an der Westküste würden Ihnen dannzum erstenmal danken.
DasWort hat die Kollegin Gila Altmann von den Grünen.Gila Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gen! Ich hatte eben das Gefühl, in einem Landtag zusein, in dem Wahlkampf von der miesen Sorte gemachtwird. Herr Koppelin, heute morgen haben Sie sich imUmweltausschuß als aufstrebender Anarchist geoutet,indem Sie von Trittin verlangt haben, er solle sich überJürgen Koppelin
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alle Gesetze hinwegsetzen und mal eben als Supermanüber Steenblock kommen.
Hier aber machen Sie schlechten Wahlkampf, weil Siedie Zuständigkeiten nicht kennen.Wenn Ihr Kollege von der CDU/CSU hier – vielleichtzu Recht – feststellt, daß die „Oceanic“ zu spät einge-setzt worden ist, dann sollten wir uns doch einmal dieDatenlage angucken. Am 25. Oktober ist die „Pallas“ inBrand geraten, und am 26. befand sich der Havarist be-reits in deutschen Gewässern.
– Nun halten Sie doch einmal den Mund!
– Ich bitte Sie wirklich, einmal zuzuhören. – Die neueRegierung ist am 27. Oktober im Bundestag vereidigtworden. Warum hat die alte Regierung am 26. dannnicht mehr gehandelt? Das möchte ich von Ihnen wis-sen.
Die Zuständigkeiten liegen – da muß ich Ihnen wohlNachhilfeunterricht geben – beim Bundesverkehrsmini-sterium und dessen nachgeordneten Behörden, den Was-ser- und Schiffahrtsverwaltungen, in diesem Falle derSonderstelle Cuxhaven. Es gibt einen Vertrag zwischenden Küstenländern und dem Bund, in dem die Kompe-tenzen geregelt sind, nämlich Vorsorge und Krisenma-nagement – –
– Entschuldigung, ich kann nicht dagegen anschreien.Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, die Uhr anzuhal-ten und für Ruhe zu sorgen.
RedenSie bitte weiter.Gila Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Der Präsident sagt, ich soll fortfahren.Ich stelle fest: Die Kompetenzen sind zwischen demBund und den Ländern klar geregelt. Das Krisenmana-gement wird von der Sonderstelle in Cuxhaven, demZMK, dem Zentralen Meldekopf, wahrgenommen, dasKatastrophenmanagement und die Schadenbeseitigungvom Land.Ich bin mit Herrn Steenblock am Samstag und Sonn-tag unterwegs gewesen.
– Informieren Sie sich doch bitte richtig!
Die Inselbewohner haben bestätigt, daß das Katastro-phenmanagement zu ihrer Zufriedenheit wahrgenommenworden ist.
dann muß ich Sie doch einmal fragen: Wo waren Siedenn in den letzten vier Jahren, als wir immer wieder aufdie Sicherheitslücken in der Deutschen Bucht hingewie-sen haben, die jetzt zutage getreten sind?
Sie können sagen, Sie hätten die „Oceanic“ gechartert.Aber das haben Sie nicht freiwillig gemacht, sondern aufDruck der Opposition, nachdem die „Sea Empress“ vorWales gestrandet ist.
Dabei stellten die wochenweisen Vertragsverlängerun-gen ein unwürdiges Hin und Her dar. Im April 1997 hates Ihr Verkehrsminister zugelassen, daß die WSD Nordeigenmächtig den Vertrag kündigte. Erst im letztenMoment konnten wir das Schiff retten.
– Ja, aber noch vor zwei Monaten wäre das Schiff bei-nahe im Bermudadreieck versackt, weil es Ihnen nachder Wahl egal war, ob die „Oceanic“ noch da ist odernicht.
Nur weil die heutige Regierung entschlossen gehan-delt und Druck gemacht hat, ist die „Oceanic“ überhauptnoch da.
Sie dagegen wollten während der ganzen Zeit beweisen,daß man die „Oceanic“ eigentlich nicht braucht. Genaudas brachte die blödsinnige Konkurrenz zwischen derGila Altmann
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„Mellum“ und der „Neuwerk“ auf der einen Seite undder „Oceanic“ auf der anderen Seite zustande,
was zu Lasten von hochqualifizierten Mannschaften aufdrei Schiffen ging, die trotzdem gut zusammengearbeitethaben.Es hat immer wieder Hinweise gegeben, daß die„Oceanic“ nicht optimal eingesetzt oder zu spät ange-fordert worden ist.
Bereits im letzten Juli gab es eine Beinahekatastrophemit der „El Gurdabia“.
Wir haben Sie auf die Ungereimtheiten hingewiesen;aber Sie wollten es nicht wahrhaben. Sie haben es ein-fach ignoriert. Joschka Fischer hat höchstpersönlich anWissmann geschrieben. Was hat Herr Wissmann geant-wortet? „Alles in Butter auf dem Kutter“, und die „Oce-anic“ werde ohnehin abgeschafft, sobald die „Neuwerk“da sei.
Klar ist eines: Mit Ihren Strukturen,
mit Ihren Versäumnissen müssen wir uns zur Zeit her-umschlagen.
– Sie haben ja heute morgen nicht umsonst Ihren An-trag, der eine Reihe von Vorwürfen enthielt, im Um-weltausschuß kleinlaut zurückgezogen. Sie sind als Ti-ger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Wir werden auf alle Fälle das tun, was wir von Ihnenvier Jahre lang eingefordert haben und was Sie immerzurückgewiesen haben.
Wenn wir die Trümmer dieser Katastrophe wegge-räumt haben, werden wir mit einer Expertenkommissionein Sicherheitskonzept erarbeiten, das den Namen auchverdient. Wenn diese Tragödie einen Sinn gehabt habensoll, dann den, daß wir daraus lernen. Die neue Regie-rung lernt daraus – ach, sie hat das gar nicht nötig: DieKonzepte liegen auf dem Tisch. Wir brauchen sie nurnoch umzusetzen.
Bei dem Getöse, das Sie hier veranstalten, erwarte ichvon Ihnen eine konstruktive Mitarbeit.Danke schön.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eva-Maria Bulling-
Schröter von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein deutschesSprichwort sagt, daß erst, wenn das Kind in den Brun-nen gefallen ist, der Deckel draufkommt. So weit sindwir auch in diesem Fall. Allerdings ist eines klar: DieSchäden, die im Wattenmeer angerichtet worden sind,sind nicht oder nur schwer rückholbar. Darüber habe ichbis jetzt sehr wenig gehört.Ich kann es mir ersparen, den Unfallhergang erneutzu schildern, denn er ist bekannt und einige werden ihnnoch wiederholen. Für mich ist es kein Trost, daß keinGroßtanker havariert ist. Die ausgetretenen Mengen vonSchweröl und Diesel reichten für eine Katastrophe.Doch was die CDU jetzt abzieht – diese wohlfeilen For-derungen von lückenloser Aufklärung bis hin zu perso-nellen und persönlichen Konsequenzen – ist schlicht undergreifend scheinheilig.
Denn es waren Ihre Verkehrsminister – Wissmann undseine Vorgänger –, die wahrlich genug Zeit gehabt hätten,etwas für die Verbesserung des Küstenschutzes und derSicherheit der Schiffahrt in der Deutschen Bucht zu tun.Es ist doch nicht erst seit dem 25. Oktober so, daß jährlichüber 80 000 Schiffe in der Deutschen Bucht fahren.Ich meine, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sieaus dem Unglück der „Pallas“ politisches Kapital schla-gen wollen. Und daß Ihnen der Schutz des Wattenmee-res so sehr am Herzen liegt, mag auch niemand so rechtglauben. Wenn es um eine Abwägung zwischen derUnterschutzstellung des weltweit einzigartigen Ökosy-stems Wattenmeer und wirtschaftlichen Interessen ging,habe ich Sie nie auf der Seite des Naturschutzes gese-hen.
Stichworte in diesem Zusammenhang sind die Ölpipeli-ne und die Frage, ob die Küsten als Nationalpark, alsNaturschutzgebiet oder im Rahmen der FFH-Richtlinieausgewiesen werden, was zu Lasten des Tourismus ge-hen könnte.Gila Altmann
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406 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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An dieser Stelle muß Umweltminister Steenblockeher in Schutz genommen werden.
Vor Ort hat er genug Ärger mit der örtlichen CDU, denJägern und dem Tourismusgewerbe, denen seine Um-weltmaßnahmen oftmals zu weit gehen. Das wurdeheute im Umweltausschuß dokumentiert.
Man muß doch bei der Wahrheit bleiben. Die geltendeVerkehrssicherheitskonzeption und die Notfallkonzepti-on ist doch nicht von der derzeitigen Bundesregierungzu verantworten, und niemand kann vernünftigerweisebestreiten, daß sie verbesserungswürdig sind. Daraufkomme ich noch einmal zurück.Ich kann und will nicht verschweigen, daß es zuschwerwiegenden Versäumnissen gekommen ist.
Teils sind die Gründe struktureller Natur, teils ist dieGefahr unterschätzt worden. Daher wurde auch nichtschnell genug gehandelt. Das muß Minister Steenblockschon auf seine Kappe nehmen.
Auf die Verzichtserklärung des Reeders zu warten, istnach Seerecht geboten.
Im Rahmen der Gefahrenabwehr hätte es allerdings dieMöglichkeit schnelleren Handelns gegeben. Bei einemTankerunfall wäre wohl auch so verfahren worden.
Doch die strukturellen Gründe wiegen schwerer. Tatsa-che ist, daß in der Deutschen Bucht zuwenig Schlepper-kapazität vorgehalten wird, nicht nur von der Bundesre-publik, sondern auch von den anderen Anrainerstaaten.In diesem Zusammenhang ist der Ruf nach der „Ocea-nic“ nur eine Scheinlösung. Die „Oceanic“ – wir haben esheute morgen im Ausschuß gehört – war bei einem an-deren Einsatz oder auf Stand-by. Wir haben auch gehört,daß zur Bekämpfung des Feuers auf der „Pallas“ und zurVerhinderung weiterer Ölverschmutzung sozusagen al-les im Einsatz war, was an Nord- und Ostsee an Kapa-zität vorhanden war. Wenn im Unglücksfall erstSchleppkapazität auf dem freien Markt akquiriert wer-den muß, zeigt sich, was bei einer Politik von Deregulie-rung und Privatisierung auf Teufel komm raus heraus-kommt.
Schauen Sie in das Bundesausschreibungsblatt vom11. November 1998. Darin ist aufgeschrieben: Schlepp-kapazität von mindestens 165 Tonnen Pfahlzug – also inetwa die Größenordnung der „Oceanic“ – vom1. Februar bis 15. April 1999, also wieder für eine sokurze Zeit. So hangelt man sich von Charter zu Charter,und die CDU/CSU und die F.D.P., die dies zu verant-worten haben, erzählen uns, an der Sicherheitskonzepti-on sei nichts auszusetzen.
Ich hoffe, daß die neue Bundesregierung mit dieser Pra-xis bricht
und zusammen mit den anderen Anrainerstaaten dafürsorgt, daß permanent ausreichend öffentliche Kapazitätvorgehalten wird. Ansonsten begrüßen wir, wenn die Si-cherheitskonzeption überarbeitet, Entscheidungswegeverkürzt und Kompetenzen gebündelt werden. Das istdoch logisch.Noch etwas anderes ist wichtig: Es gab vier Nordsee-schutzkonferenzen; völkerrechtlich bindend ist dieNordsee zum Sondergebiet erklärt worden – allerdingsohne Einfluß auf die Befahrensregelung. Lediglich dasAuswaschen von Tanks ist verboten. Will man den Na-tur- und Küstenschutz ernst nehmen, ist hier dringendNachbesserung geboten, damit verhindert wird, daß inKüstennähe – das heißt, in bis zu zwölf Seemeilen Ent-fernung von der Küste – solche oder gar schlimmere Un-fälle weiterhin passieren.Wenn man das Schiff als ökologischen Verkehrsträ-ger favorisiert, dann doch wohl nicht solche Schiffe wiedie „Pallas“, die mit Schweröl fahren.
Diese sind, vom Schadstoffausstoß über die Gefahr einerÖlpest durch eine Havarie – wie passiert – bis zum Ar-beitsschutz – Stichwort: manuelle Filterreinigung –, kei-ne Verkehrsträger der Zukunft.Danke.
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Es ist unsere Auf-gabe, Fehler aufzudecken und Konsequenzen für dieZukunft daraus zu ziehen.
Eva-Maria Bulling-Schröter
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 407
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Während wir heute über die Folgen des Unglücks der„Pallas“ beraten, tickt weiterhin eine Zeitbombe vor dernordfriesischen Küste.30 Tonnen Schweröl haben genügt, um einen verhee-renden Schaden an Mensch, Natur und Umwelt anzu-richten. Über 500 Tonnen Schweröl befinden sich nochungeborgen an Bord der „Pallas“. Ein Bruch des Havari-sten könnte zu jeder Stunde erfolgen. Die Angst geht uman der Küste; denn bis heute, 23 Tage nach Beginn desDramas auf der „Pallas“, haben große Teile der Bevöl-kerung noch immer den Eindruck, daß die politisch Ver-antwortlichen in Kiel und Bonn die Krise nicht wirklichim Griff haben.
Ein auch international anerkanntes nationales Nordsee-schutzkonzept ist bisher nur unzureichend und halbher-zig umgesetzt worden.
Die 23 Unglückstage sind bis heute gepflastert mitPleiten, Pech und Peinlichkeiten. Vorhandene modernestaatliche Schlepperkapazitäten wurden falsch einge-setzt. Vorhandene private Schlepperkapazitäten sindverzögert eingesetzt worden, so daß sie unwirksam blie-ben. Ölsperren wurden zu spät gelegt. Die Kontakte zumKönigreich Dänemark wurden ohne Nachdruck betrie-ben.
Küstenbewohner haben bereits Strafanzeige gegendie beiden verantwortlichen Bundes- und Landesmini-ster wegen unterlassener Maßnahmen gegen massiveUmweltschäden erstattet.
So weit ist es gekommen! Bürgerzorn macht sich breit.Tage ohne Taten haben zur Zuspitzung der Krise ge-führt. Nach Berichten aus Kiel wurde der Umweltmini-ster Steenblock erst durch die Ministerpräsidentin aufdie Krise aufmerksam gemacht und zum Handeln aufge-fordert. Ich will das noch einmal deutlich machen: 16Tage nach Beginn der Umweltkrise, am 11. November,tagte erstmalig der Ministerkrisenstab in Kiel. Erst 17Tage nach der Strandung kam dann das erforderlicheBergungsmaterial. Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Hausbrennt, und erst 14 Tage später kommt die Feuerwehr.So ähnlich ist das nämlich.
Erst 15 Tage nach den erfolglosen Rettungsversuchenentscheidet die Einsatzleitung über die Beschaffung derBaupläne der „Pallas“.Den Vorsitz in diesem Krisenstab aus Bund und Län-dern hat Schleswig-Holstein. Dieses SPD-geführte Bun-desland hat noch vor zwei Jahren von dem „guten Not-fallkonzept“ von Bund und Land für die Nordsee be-richtet. Dieses Bundesland hat als einziges durchgesetzt,daß nicht der Umweltminister vorrangig bei der Ein-satzleitung vertreten ist, sondern wegen der Bedeutungdie Ministerpräsidentin; nachzulesen im Vertragstext.Nach außen dokumentiert man Sicherheitsverantwor-tung; bei der Umsetzung fehlen Können und Courage.Was vor 24 Monaten noch gut war, wird heute gerügt– Flaggenwechsel, um von den eigenen Fehlern abzu-lenken. Die Verantwortlichen haben versagt, nicht dasKonzept. Erst vor gut einem Monat, am 19. September,hat Herr Steenblock in einer Pressemitteilung wissenlassen, daß man für effektives Eingreifen bei Umwelt-notfällen in der Nordsee gut gerüstet sei.
Es heißt weiter, die Bekämpfungskapazität habe ei-nen – auch im internationalen Vergleich – hohen Standerreicht. Soweit die beruhigende Botschaft an die Bür-ger. Doch beim ersten Einsatz zeigt sich überdeutlich:Die gefeierte Rettungsstrategie scheitert an dem Unver-mögen der politisch Verantwortlichen, eine Krise kom-petent zu meistern.Was haben wir zu tun? Um Fehler zu vermeiden,müssen wir erstens ein Umweltkrisenmanagement mitHandlungsspielraum sichern, zweitens ein Krisenteamschaffen, das allein Handlungsmaßnahmen durchsetzt,drittens mit professionellen Krisenmanagern zusammen-arbeiten, wenn solch eine Katastrophe eintritt, und vier-tens den Expertenstab unverzüglich in die Lage verset-zen, grenzüberschreitend tätig zu sein. Was wir brau-chen, ist eine Optimierung der Bewältigung einer sol-chen verheerenden Umweltkrise. Diese Krisenbewälti-gung ist diesmal nicht geleistet worden. Wir brauchen inZukunft ein Krisenmanagement, das seinem Namen ge-recht wird.Danke schön.
Das
Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentari-
sche Staatssekretär Lothar Ibrügger.
L
HerrPräsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! DasThema, das die beantragende Fraktion zum Gegenstanddieser Aktuellen Stunde erhoben hat, lautet:Erkenntnisse der Bundesregierung zur Entstehungdes Unfalls der „Pallas“ vor der deutschen Nord-seeküste und Maßnahmen der Bundesregierung zurSchadensbegrenzung und -beseitigung nach derHavarieWolfgang Börnsen
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408 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Nach der Einleitung, Herr Kollege Austermann, hatteman den Eindruck, daß es mehr darum geht, in Schles-wig-Holstein etwas aufzuarbeiten.
– Nein. Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß dieBundesregierung, Ihrem Begehren entsprechend, seitheute morgen ihrer Pflicht nachkommt,
zum frühestmöglichen Zeitpunkt dem Souverän, demParlament, Bericht zu erstatten über die Erkenntnisse derBundesregierung. Die Tagesordnung des Bundestagesbestimmt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im-mer noch der Deutsche Bundestag.
Deswegen hat der Minister, Franz Müntefering, heutemorgen im federführenden Ausschuß des DeutschenBundestages, dem Ausschuß für Verkehr, Bau- undWohnungswesen, vorgetragen. Ich hatte die Aufgabe,für ihn im Umweltausschuß des Deutschen Bundestagesum 9.30 Uhr den Bericht der Bundesregierung vorzutra-gen. In diesem Sinne stelle ich hier fest: Die Bundesre-gierung kommt ihrer Informationspflicht nach. Wir bit-ten Sie, gerade auch die Kolleginnen und Kollegen vonder Küste, herzlich – der Bericht liegt inzwischen vorund ist veröffentlicht, einschließlich der chronologi-schen Übersicht –, wenn Sie bestimmte Anmerkungen,Beobachtungen, Erfahrungen, Kenntnisse haben, unsdiese mitzuteilen.
Wir spiegeln es gemeinsam an der Chronologie, die inCuxhaven allen Beteiligten auf den Tisch gelegt wordenist.
Heute morgen um 7 Uhr befand sich die Plattform 4Seemeilen von dem Wrack entfernt. Heute mittag zumTidehochwasser um 12 Uhr wurde begonnen, die Hub-beine auszufahren. Im Laufe der nächsten Stunden kannmit der Entsorgung beim Wrack begonnen werden.Das ist sicherlich die wichtigste Botschaft vom heuti-gen Tage. Ich betone allerdings ausdrücklich für dieBundesregierung: Wir legen einen Zwischenberichtvor – ausdrücklich einen Zwischenbericht, keinenSchlußbericht mit Wertungen. Für einen Schlußberichtist heute nicht der Zeitpunkt, weil uns nicht alle Infor-mationen vorliegen außer denen, die hier schriftlich auf-getragen sind; beispielsweise müssen sich noch die Ka-pitäne der Schiffe äußern.Ich halte es allemal für besser, die Kapitäne beiWindböen mit Windstärke zwölf, bei acht Meter hohenWellen, bei entsprechend hohen Bewegungen, Belastun-gen und Risiken, die sie mit ihren Besatzungen einge-gangen sind, unmittelbar auf See entscheiden zu lassen,welches Schiff nun die Schleppleistung übernimmt odernicht.
Dies ist eine Entscheidung, die in der Verantwortung derKapitäne auf den Schiffen getroffen worden ist. Erlau-ben Sie mir zu sagen, ich traue den Kapitänen der „Oce-anic“ und der „Mellum“ mehr zu als uns allen zusam-men, in dieser Situation zu beurteilen, was das Richtigeist.
Eine Besatzung, die bereits 48 Stunden mit einemSchleppverband im Einsatz war, sollte nach Auffassungmancher erneut in einen Einsatz geschickt werden. Diesist wohl nach Lage der Dinge auch nicht zu verantwor-ten. Es obliegt einzig und allein der Verantwortung derKapitäne.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich muß hier für die Bundesregierung erklä-ren: Der Kollege Wissmann hat in der Fachtagung „Wiesicher ist die Deutsche Bucht?“ am 30. Januar 1998 inseinem Namen durch Herrn Hinz erklären lassen:Lassen Sie mich deutlich sagen, es kann nicht dar-um gehen, Schiffsverkehr aus Gründen der Sicher-heit von deutschen Küsten fernzuhalten.Wenn Sie das zusammen mit der Diskussion um die„Oceanic“ verfolgen, in der die damalige Opposition Siegedrängt hat, daß die „Oceanic“ und der Chartervertragüberhaupt weitergeführt werden sollten, dann ist dieserSatz nicht sehr erfolgversprechend für das gute Sicher-heitskonzept, von dem der Kollege Börnsen eben ge-sprochen hat.
Es besteht offensichtlich ein Mangel im Konzept, dashier von der damaligen Bundesregierung vertreten wur-de, nämlich Zurückhaltung zu üben, wenn es um Not-schleppkapazität in der Deutschen Bucht geht.
Franz Müntefering hat sofort entschieden, als er vonHerrn Wissmann die Amtsgeschäfte übernommen hatte.
Den Kampf der Schiffsbesatzungen bei Orkan um die„Pallas“ haben wir alle zusammen in den Medien ver-folgt. Den Seeleuten auf den bundeseigenen Schiffen„Mellum“ und „Neuwerk“ und des zur Verstärkung ge-Parl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
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charterten Hochseeschleppers „Oceanic“ gebühren unse-re Hochachtung und unser Dank.
Uns wurde insbesondere der SchiffsbetriebsmeisterRoni Beck von der „Neuwerk“ genannt, der sich frei-willig meldete, um den Anker der „Pallas“ zu werfen –ohne Maschine, durch entsprechende Handkraft. Damithaben wir an dieser Stelle allen Anlaß, diesem mutigenMann, stellvertretend für die vielen anderen ungenann-ten Freiwilligen, für seinen Einsatz zu danken.
Das Notfallkonzept für die Nord- und Ostsee siehtvor, daß Behördenschiffe in der Anfangsphase dem Ha-varisten zu Hilfe eilen. Das ändert auch nichts daran,daß nach geltendem internationalen Seerecht der Reederselbst für die Bergung seines Schiffes verantwortlich ist.Dies ist entsprechend zu respektieren. Deshalb wurdevon der den Einsatz leitenden Stelle der Reeder der„Pallas“ beauftragt, Bergungsschlepper zu stellen, umden Havaristen in den sicheren Hafen zu schleppen. Die-ser Aufforderung ist der Reeder des unter Flagge derBahamas fahrenden Schiffes nachgekommen.Die zweite Phase wurde vom Einsatz mehrererSchlepper bestimmt, die verhindern sollten, daß der Ha-varist auf Grund läuft. Die Schleppverbindung mußtewegen fehlender Stromversorgung an Bord des Havari-sten manuell hergestellt werden. Weder Stahltrossennoch Kunststoffleinen hielten den Beanspruchungenstand.Die dritte Phase ist bestimmt durch die laufendenMaßnahmen der Schadensbegrenzung und der Bekämp-fung der Verschmutzung an den Stränden der nordfriesi-schen Inseln.Erlauben Sie mir einige Worte zur bestehenden Not-fallorganisation. Wichtiger Bestandteil des Notfallkon-zeptes ist die Vereinbarung über die Bekämpfung vonMeeresverschmutzungen, die im April 1995 vom ehe-maligen Bundesminister für Verkehr mit den fünf deut-schen Küstenländern erneuert wurde. Zweck dieser Ver-einbarung sind gemeinsame Maßnahmen, um durchSchadstoffe drohende oder bereits eingetretene Ver-schmutzungen zu bekämpfen. Hierzu stellt das Bundes-ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen denbeim Wasser- und Schiffahrtsamt Cuxhaven eingerich-teten zentralen Meldekopf als jederzeit dienstbereiteMeldeorganisation zur Verfügung. Neben dieser Melde-organisation richten der Bund und die Küstenländer zurLeitung gemeinsamer Einsatzmaßnahmen eine Einsatz-leitungsgruppe bei bestimmten Verschmutzungs- undGefährdungssituationen ein; sie besteht aus einem Be-auftragten des Bundes und je einem Beauftragten derKüstenländer. Die Einberufung dieser ELG geschieht imEinvernehmen des Beauftragten des Bundes mit den Kü-stenländern oder wenn eines der von der Verschmutzungbedrohten Küstenländer es verlangt. Aus der Sicht derBundesregierung hat sich die Zusammenarbeit von Bundund Küstenländern seit 1975 bewährt.Erlauben Sie mir, kurz auf die Berichterstattung inden Medien einzugehen. Hier muß festgehalten werden,daß in jedem Fall die Schleppkapazität der „Mellum“ausreichte, um auch in dieser Gefahrensituation die not-wendige Schleppkapazität sicherzustellen. Dies ist übereine Seestrecke von 31 Seemeilen auch bewiesen wor-den. Als sie dann brach und alle Versuche scheiterten,auch für die „Oceanic“ die entsprechende Verbindungherzustellen, kam es zu dem festgestellten tragischenVerlauf.Die „Oceanic“ war zu der Zeit, als der zentrale Mel-dekopf die erste Nachricht von der „Pallas“ erhielt – ichsagte es schon –, mit einer anderen Notschleppung be-schäftigt. Sie hat im weiteren Verlauf bei den Bergungs-versuchen ihren anerkannten Beitrag geleistet. Ihrer Be-satzung, den Besatzungen aller anderen beteiligtenSchiffe und den Hubschrauberpiloten gilt – stellvertre-tend für viele ungenannte Helfer zu Wasser und zu Lan-de – unser Dank.
Wie ich schon betonte, werden für BundesministerMüntefering eine abschließende Berichterstattung,Wertungen und Schlußfolgerungen erst nach Abschlußder laufenden Arbeiten erfolgen können. Soviel kannaber schon heute festgehalten werden: Die Bundesregie-rung wird eine Expertengruppe einsetzen und die Kü-stenländer zur Mitwirkung einladen. Diese Arbeitsgrup-pe wird auf der Basis der Geschehensabläufe und unterBerücksichtigung der kürzlich erfolgten Schleppübungim Zusammenhang mit der Indienststellung der „Neu-werk“ Vorschläge für Verbesserungen des Unfallmana-gements, der technischen Ausrüstungen, des Trainingsund der Kapazitäten zu erarbeiten haben. Auch werdenwir uns für eine internationale Zusammenarbeit derNordseeanliegerstaaten bei der Vorhaltung von Not-schleppschiffen einsetzen. Dabei werden auch die Anre-gungen und Vorschläge der Umwelt- und maritimenFachverbände, der betroffenen Länder und – das wie-derhole ich ausdrücklich – ebenso der Sachverstand derParlamentarier von der Küste, aus Landtagen und Bun-destag, zu berücksichtigen sein. Nach Vorlage diesesAbschlußberichts der Bundesregierung sind die politi-schen Entscheidungen über eine Verbesserung diesesKonzeptes für die Nord- und Ostsee zu treffen. In die-sem Sinne wird die Bundesregierung ihre Arbeit leisten.Herzlichen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Mehl von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die dokumentierten Abläufe bei derHavarie der „Pallas“ brauchen hier nicht noch einmalParl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
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410 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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vorgetragen zu werden, weil wir heute morgen im Um-weltausschuß und im Verkehrsausschuß ausführliche In-formationen bekommen und darüber diskutiert haben.Ich muß allerdings sagen, daß ich mich über die bis-herigen Beiträge der Opposition etwas wundere.
Wer heute morgen in den Ausschüssen war und sich dieInformationen angehört hat, der kann sich zumindestnicht hier hinstellen und behaupten, es sei wochenlangnichts passiert. Das entspricht nicht den Tatsachen undist einfach falsch.
Die Stimmung, die hier verbreitet wird, kommt mirsehr bekannt vor, weil die letzte Wahl noch nicht langeher ist.
Ihr Verhalten riecht mir verdächtig nach Wahlkampf.Für diejenigen, die nicht aus Schleswig-Holstein kom-men: Wir haben in zirka anderthalb Jahren eine Land-tagswahl, und die wird hier jetzt vorbereitet. Ich sageIhnen: Die Menschen an der Küste werden Ihnen dasnicht honorieren. Machen Sie sich keine Hoffnungen!
– Der Herr Steenblock redet ja gleich noch.
– Und Sie haben in fast keinem Bundesland mehr dieRegierungsmacht. Auch das kann man vergleichen.Wir sitzen alle in einem Boot. Ich möchte einmal se-hen, was Sie gesagt hätten, wenn dieser Unfall wenigeWochen früher passiert wäre.
Dann hätten Sie plötzlich ganz andere Argumente ge-habt.
Statt hier den schleswig-holsteinischen Vorwahl-kampf einzuläuten, muß erstens mit aller Kraft daran ge-arbeitet werden, den Schaden weiterhin zu begrenzen,womit schon begonnen wurde, und bereits eingetreteneSchäden soweit wie möglich zu beheben. Zweitens müs-sen wir über die Ursachen, die zu dem Unfall geführthaben, reden und sie genau analysieren. Wer heute mor-gen im Ausschuß war, kann nicht sagen, er wisse jetztschon, wie es gewesen sei, außer er will es nicht anderswissen. Es muß vielmehr noch genauestens analysiertwerden, wo und an welcher Stelle es Schwachstellengab. Deswegen begrüße ich es sehr, daß sowohl Schles-wig-Holstein als auch die Bundesregierung Experten-kommissionen einsetzen werden, die dieses Problemaufarbeiten werden.Wir haben ja jahrelang an Sie appelliert und gesagt,die jetzt bestehenden Strukturen reichen nicht aus.
Sie haben das immer bestritten. Heute morgen im Aus-schuß wurde aber auch von Ihrer Seite zugegeben, daßdie vorhandenen Strukturen durchaus verbesserungs-würdig sind. Das sind sie in der Tat, und deshalb werdenwir jetzt endlich an einer Verbesserung arbeiten; vorherwar das ja nicht möglich.In dem Zusammenhang muß geklärt werden, ob einfrühzeitigerer Einsatz der „Oceanic“ die Katastrophehätte verhindern können, warum nicht von dänischerSeite eingegriffen wurde oder eingegriffen werdenkonnte
und wie sich die Schiffssicherheit generell durch kon-struktions- und verkehrstechnische Standards internatio-nal verbessern läßt. Unabhängig davon müssen wir nachWegen suchen, wie das Risiko eines Schiffsunfalls fürdas ökologisch hochsensible Wattenmeer auf ein Mini-mum zu reduzieren ist. Dies könnte zum Beispiel durchdie Ausweisung als besonders empfindliches Meeresge-biet geschehen. Dies muß in die Prüfung einbezogenwerden.Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden, weildie Menschen vor Ort überhaupt nichts davon haben,wenn wir hier darüber debattieren. Sie haben nur dannetwas davon, wenn ein nachvollziehbares Konzept ver-öffentlicht wird.
Deswegen fordere ich noch einmal dazu auf, in Anleh-nung an das amerikanische Vorbild die Einführung einerinternationalen Coast Guard in die Überlegungen einzu-beziehen und zu prüfen, wie wir es schon seit Jahrenvorschlagen. Dadurch hätte man die Möglichkeit, nochfrüher über nationale Grenzen hinweg wirklich eingrei-fen zu können.
Wir dürfen uns durch dieses schwere Unglück aller-dings nicht von anderen Problemen des Wattenmeersund des Meeresschutzes ablenken lassen. Dazu gehöreneine europaweit einheitlich geregelte Schiffsölentsor-Ulrike Mehl
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gung in den Häfen genauso wie die Verbesserung derzugelassenen Schiffstreibstoffe – auch das ist eines derProbleme – und die Verringerung der Schadstofffrach-ten, die über die Flüsse in die Nordsee und andere Meeregetragen werden.Egal, ob Befürworter oder Gegner des Nationalparks– allen Küstenbewohnern ist mit den Bildern verölterVögel und verseuchter Strandabschnitte wieder klar vorAugen geführt worden, daß die Nordsee und das intakteÖkosystem Wattenmeer das Kapital sind, von dem sieleben. Es ist sehr wichtig, sich dies immer wieder be-wußt zu machen.
Jeder weiß, daß ein ähnlich gearteter Öl- oder Che-mietankerunfall das Ökosystem Wattenmeer auf Jahrehinaus schwer gestört hätte. Das darf niemals eintreten.Ich hätte mir deshalb gewünscht, daß sich diejenigen,die jetzt am lautesten nach dem Rücktritt eines politischVerantwortlichen schreien, in den letzten Jahren massi-ver dafür eingesetzt hätten.
Jetzt haben Sie mit uns die Chance dazu.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Kurt Würzbach
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre langhaben die Roten und die Rotgrünen in Schleswig-Holstein unter der Überschrift „Umweltschutz, Land-schaftschutz und Naturschutz“ unser Land Schleswig-Holstein mit einem Dickicht an Verordnungen, Pro-grammen, Plänen, Vorschriften und anderem reglemen-tierend überzogen.
Die Ausbreitung dieses Dickichts über das ganze Landwurde von Kiel aus theoretisch und ideologisch zentralgeregelt – gegen die Erfahrungen der Menschen, gegendie Erfahrungen der Bauern, der Fischer an der Küste,der Naturschützer, der Deichvögte und anderer.
Diese Regierung in Kiel wußte alles besser. Sie bevor-mundete und entmündigte die Verantwortlichen; sielähmte durch Bestimmungen die Menschen vor Ort. Sieergriff Maßnahmen bis hin zur Enteignung und nanntedas „modernen Umweltschutz“.
Für den Küstenschutz wurde nahezu nichts getan.Jetzt war man aber gefordert, die Küste zu schützen.Man hat zwar gesehen, wie das Schiff auf die Küste zu-trieb, man hat sich aber weggedreht und sich in einemBereich untätig gezeigt, Herr Kollege Steenblock, woeine Regierung gefordert ist, um alles zu tun, was natio-nal wie international möglich ist. Für die rechtzeitigeMobilisierung und Koordinierung haben Sie tagelangnichts getan. Sie haben sich vielmehr tagelang abge-wendet und sind erst müde in Gang gekommen, als dieMedien begannen, diesen Vorgang zu beleuchten.
Als Sie und Ihre Ministerpräsidentin dann langsam inGang kamen, konzentrierten Sie sich mehr auf die Bilderfür die Kameras und auf die Überschriften und wenigerdarauf, wirklich etwas in der Sache zu bewegen.
Die Menschen bei uns im Lande sind verbittert undenttäuscht. Die Natur wurde auf schlimme Weise ge-schädigt. Unabhängig von unserer Parteizugehörigkeitmuß man sagen: Das Vertrauen in die politische Hand-lungsfähigkeit ist durch dieses Nichtstun in einer blama-blen Art und Weise beschädigt worden.
Ich muß hier noch erwähnen: Es sind Tausende – eswerden Zehntausend – von Tieren, die qualvoll getötetworden sind oder noch getötet werden. In diesem Punkthat die Rednerin der Grünen recht, wenn sie von Trüm-mern der Katastrophe und von Tragödie gesprochen hat.Ich stelle fest: Es handelt sich um eine grobe Pflicht-verletzung der Landesregierung und auch um einePflichtverletzung der Bundesregierung. Selbst der SPDfreundlich gesonnene Zeitungen schreiben inzwischenvon einem desolaten Zustand bei denen, die hier etwashätten unternehmen müssen.Ich darf noch etwas zu den Redebeiträgen sagen. DieRegierungsverantwortung war übergeben,
das entsprechende Ministerium von der neuen Regie-rung übernommen. Anstatt den – übrigens parteilosen –Abteilungsleiter aus ideologischen Gründen, um eineandere Personalpolitik durchzusetzen, zu feuern, hättenSie unmittelbar nach Ihren Feiern auf ihn mit seinenKenntnissen und Fähigkeiten, Verwaltungshandelnwirksam einzusetzen, zurückgreifen müssen. Sie habensich halbe Tage in Bonn ins „Holiday Inn“ zurückgezo-gen, statt mit den Fachleuten des Ministeriums vernünf-tige Maßnahmen einzuleiten. Insofern stelle ich hierauch deutlich eine grobe Pflichtverletzung dieses Bun-desministeriums für Verkehr während der entscheiden-den Tage fest.
Wir in Schleswig-Holstein und besonders die Men-schen an der Küste haben einen anderen Umgang mitUlrike Mehl
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412 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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unserer Natur verdient, gerade mit dem empfindlichenWattenmeer.
Die Menschen auf den Inseln, die Insulaner und die Gä-ste, wie auch die Tiere haben einen anderen Umgangverdient.Ich darf Sie übrigens unabhängig von Ihrer Parteizu-gehörigkeit fragen: Haben Sie irgendwo in Deutschlandoder sonstwo einmal erlebt, daß, wie von Frau Simonisgetan, ein Regierungschef seinem Stellvertreter in derÖffentlichkeit den Ratschlag gibt: „Schlafen Sie sicherst einmal ein paar Tage aus!“? – Ihnen, Herr Steen-block, ist dieser Ratschlag in der Öffentlichkeit nichtwegen Übermüdung auf Grund Ihres frühen Einsatzesvor Ort, sondern wegen Ihres müden Regierungshan-delns erteilt worden.
Ich stimme mit meinem Kollegen aus Schleswig-Holstein, Jürgen Koppelin, überein, daß diese Regierungähnlich wie das Wrack, das sich jetzt festgesetzt hat,eine Motorleistung Null hat. Sie ist sozusagen leckge-schlagen und dümpelt ohne Kapitän und Steuermann vorsich hin. Wir brauchen in Schleswig-Holstein eine ande-re Regierung, eine wirkliche Regierung!
Kollege Steenblock, jeder Leiter einer Ortsfeuerwehrwäre professioneller, also früher und energischer,pflichtbewußter und verantwortungsfreudiger, an dieseSache herangegangen, als Rot und Grün in Kiel und Rotund Grün in Bonn es getan haben.
Alsnächster Redner hat der Umweltminister des LandesSchleswig-Holstein, Rainder Steenblock, das Wort.
und Herren! Die Situation bei uns an der Westküste ist,glaube ich, viel zu ernst, lieber Herr Würzbach, um hiereine billige Wahlkampfschau, eine vorgezogene Wahl-kampfveranstaltung für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein zu machen.
Die Situation an der Westküste ist natürlich dadurch ge-kennzeichnet, daß die Menschen wütend sind.
– Nein. –
Sie sind frustriert. Wir sind jetzt in der Diskussion, unddie Menschen wollen Antworten auf die Frage, wie mansolche Unfälle verhindern kann. Die Menschen erwartenvon der Politik Diskussionen über Lösungskonzepte, dieihnen mehr Sicherheit geben.
Sie haben versucht, heute morgen im Landtag inSchleswig-Holstein eine Debatte zu führen – Sie sinddamit kläglich gescheitert –,
in der die Maßnahmen, die wir in Schleswig-Holsteineingeleitet haben, die die Landesregierung eingeleitethat, kritisiert werden. Das ist Ihr gutes Recht. Aber: Esist in der gesamten Debatte bisher nicht einmal im An-satz nachgewiesen worden, daß in dem gesamten Ein-satz auch nur eine Schaufel gefehlt hätte, ein Mann zu-wenig als Reserve dagewesen wäre oder ein Schiff zu-wenig im Einsatz gewesen wäre. Durch den Ölunfall imWattenmeer sind bereits 6 000 Vögel verendet; vieleTausende werden noch verenden.
Wir haben diese Ölbekämpfung organisiert – nebender ELG, neben den offiziellen Strukturen, von denenhier zu Recht gesagt worden ist, daß sie überarbeitungs-bedürftig sind.
Wir alle – Sie als alte Bundesregierung, wir als Küsten-länder – haben die Einsatzstrukturen gemeinsam ge-schaffen. Wir alle haben die Pflicht, aus den Fehlern zulernen. Die Strukturen haben sich als nicht schlagkräftiggenug erwiesen. Es geht heute darum, diese Strukturenzu verändern.
Sie aber haben Nebelkerzen geworfen. Sie versuchenschon die ganze Zeit, im Lande alles zu vernebeln.Herr Koppelin, Sie haben hier heute aus einer Pres-semitteilung zitiert, der Umweltminister hätte gesagt,wir wären gut gerüstet.
– Dann war das jemand von der CDU/CSU. – Wir sindgut gerüstet, jawohl. Wir haben Katastrophenschutz-übungen gemacht. Was die Ölbekämpfung, so wie sieim Wattenmeer organisiert worden ist, angeht, so istüberhaupt keine Kritik an irgendeiner Maßnahme zuüben, die dort realisiert worden ist. Das gilt auch imHinblick auf die Ölsperre um das Schiff herum. WennSie sich einmal sachkundig gemacht hätten, dann wüß-ten Sie genau, daß man eine solche Ölsperre nur bei be-stimmten Witterungsverhältnissen ausbringen kann. Siehaben von den Einzelheiten dieser Operation doch über-Peter Kurt Würzbach
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haupt keine Ahnung. Sie wollen hier nur Ihr politischesSüppchen kochen.
– Herr Koppelin, Lautstärke und Zwischenrufe ersetzenkeine Argumente. Es geht an dieser Stelle um eine sach-liche Debatte. Worum wir alle uns zu kümmern haben,anstatt hier im Deutschen Bundestag herumzubrüllen
– ich entschuldige mich für das Wort „brüllen“, HerrCarstensen; ich weiß, Sie flüstern immer –, ist ein neuesNotfallkonzept. Die Ölentsorgung hat geklappt. Aberwir brauchen Maßnahmen, durch die verhindert wird,daß so etwas wieder passiert. Das ist die Herausforde-rung, vor der wir stehen.
Wenn wir nun darüber sprechen, was der DeutscheBundestag, was die Länderparlamente und die Regie-rungen von Bund und Ländern zu entscheiden haben,
so glaube ich, daß wir ein Sicherheitskonzept brauchen,durch das sichergestellt ist, daß ausreichend Schlepper-kapazität vorhanden ist. Ich habe mich sehr gefreut, daßauf den Brief hin, den ich Herrn Müntefering geschrie-ben habe, der Vertrag für die „Oceanic“ verlängert wor-den ist. Ich würde mir sehr wünschen – das wäre eingutes Signal für die Westküste –, wir hätten endlich Si-cherheit, daß ein Hochseeschlepper ständig, über Jahregechartert, in der Deutschen Bucht ist.Wir brauchen – Frau Mehl hat das angesprochen –weiter eine straffere Organisation der Einsatzstrukturen.Wir brauchen so etwas wie eine „coast guard“, die tat-sächlich in der Lage ist, solche Schiffe gegen den Willendes Eigners zu übernehmen.
Wir brauchen einen Haftungsfonds. Es kann nichtsein, daß die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an derWestküste, die schon die im Hinblick auf das Ökosy-stem, das sich nicht wehren kann, und im Hinblick aufden Tourismus von diesem Schiff ausgegangenen Schä-den zu tragen haben, in Haftung genommen werden undhohe Haftungssummen zahlen müssen. Da ist nicht derSchutz des Eigentums angesagt, sondern die Verant-wortung des Eigentümers und das Verursacherprinzip.Deshalb brauchen wir für solche Fälle einen internatio-nalen Haftungsfonds.
Die vorherige Bundesregierung – auch das wissen Siesehr genau; sonst würden Sie nicht versuchen, so laut-stark von der Verantwortung abzulenken – hat in dieserFrage kläglich versagt.
Ich bin nach den ersten Kontakten mit Vertretern derneuen Bundesregierung sehr sicher, daß sich diese Bun-desregierung den Interessen der Küstenländer mit größe-rem Engagement annehmen wird.
– Herr Fischer, Sie werden sicherlich noch das Beispielder Hamburger Feuerwehr anführen. Sie wissen ganzgenau, daß in der entsprechenden EinsatzleitgruppeVertreter des Landes Hamburg und des Landes Schles-wig-Holstein sitzen.
Wenn das Land Hamburg, das genauso beteiligt ist wiewir und das sicherlich über den Zustand der HamburgerFeuerwehr besser informiert ist als das Land Schleswig-Holstein, diese Kräfte nicht einsetzt, dann liegt das inder Verantwortung des Landes Hamburg. Das könnenSie nicht mir in die Schuhe schieben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollenauch mit der Opposition eine sachliche Auseinanderset-zung führen.
Ich glaube, daß wir diese Probleme auf Grund unsererVerantwortung gegenüber den Menschen und dem be-stehenden Ökosystem lösen müssen.Herr Carstensen, ich würde Sie bei den Auseinander-setzungen um den Schutz des Nationalparks und desökologisch so wichtigen Systems des Meeres und derKüste gerne auf meiner Seite wissen
Doch leider sind Sie nicht immer auf der Seite des Na-turschutzes.
Minister Rainder Steenblock
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414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Herr
Steenblock, einen Moment bitte! – Liebe Kolleginnen
und Kollegen, in einer Aktuellen Stunde kann es ruhig
etwas munterer zugehen. Aber der Redner muß die
Chance haben, auch verstanden zu werden.
Westküste gewesen. Die verbreiteten Gerüchte, ich sei
erst auf Weisung der Ministerpräsidentin dort gewesen,
sind Unsinn. Ich bin am Montag vor der Kabinettsitzung
an der Westküste gewesen und habe mit dem Leiter des
Staatlichen Umweltamtes, dem Leiter des Amtes für
ländliche Räume und auch mit denjenigen, die auf Kreis-
ebene Verantwortung tragen, gesprochen – nicht im Bei-
sein von Kameras, sondern mit dem Ziel, die Einsätze zu
organisieren. Denn das ist meine Aufgabe.
– Am Montag vor der Kabinettsitzung. Ich bin am
Dienstagnachmittag auf Föhr gewesen; ich bin abends
und nachts auf Amrum gewesen. Ich bin am folgenden
Wochenende zwei Tage auf den Inseln gewesen. Ich bin
mit den betroffenen Bürgermeistern, mit den Vertretern
der Feuerwehr und all denjenigen, die verantwortlich
waren, zum Wrack hinausgefahren. Das war keine Pri-
vatveranstaltung. Das war möglich, weil wir zu den ört-
lich Verantwortlichen eine vernünftige Beziehung ha-
ben. Was Sie hier unterstellen, weist nur darauf hin, daß
Sie den Kontakt zur örtlichen Bevölkerung längst verlo-
ren haben.
Wir als schleswig-holsteinische Regierung sind in der
Verantwortung. Wir haben gestern einen ganzen Katalog
von Forderungen beschlossen. Wir stellen uns dem Pro-
blem.
Ich weiß, daß sich die neue Bundesregierung dem auch
stellt. Es wäre ein gutes Signal, wenn wir im ersten
Schritt zur Sicherung der Küste Kapazitäten in bezug
auf einen Hochseeschlepper schaffen. Ich glaube, daß
die Auseinandersetzung, so wie sie jetzt hier geführt
wird, nicht das ist, was die Menschen in diesem Lande
wollen. Die Menschen wollen vielmehr eine sachliche,
an den Lösungsmöglichkeiten orientierte Arbeit. Darum
sollte es gehen.
Ich als Vertreter Schleswig-Holsteins bitte die Bun-
desregierung und den Bundestag, uns bei der Schaffung
von Sicherheit an der Küste zu helfen, die Probleme
ernst zu nehmen und mit uns gemeinsam an den Lösun-
gen zu arbeiten.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Harry Carstensen
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Rainder, – so hat Heide Simonis ihren Umweltminister ange-faucht –jetzt pack deine Akten und sieh zu, daß du nachAmrum kommst.So kann man das diese Woche im „Focus“ lesen, derweiter vom Chaos, von der Tatenlosigkeit, von derHilflosigkeit des Umweltministeriums in Kiel und demBund-Länder-Krisenstab, der Einsatzleitgruppe in Cux-haven, berichtet. Steenblock ist dann am Abend des10. November um 18.30 Uhr nach Amrum gefahren, hatsich dort in der Dunkelheit informiert und ist vor Tauund Tag in der Dunkelheit am 11. November um6.15 Uhr wieder abgefahren.
Dieses Anfauchen fand nicht, wie man annehmensollte, kurz nach Beginn der Katastrophe statt. Nein, dabrannte die „Pallas“ schon mehr als zwei Wochen.
Da hatten inzwischen schon Männer ihr Leben riskiert –zum Beispiel vom Fischereiaufsichtsboot „Meerkatze“,von der „Neuwerk“ und von der „Mellum“ – und ver-sucht, die drohende Katastrophe in Sturm und aufge-wühlter See zu verhindern. Ihnen gebührt unser Dankebenso wie all den freiwilligen Helfern,
die an den Stränden von Amrum, Föhr und Sylt die Ver-schmutzungen bekämpft und Vögel betreut, gerettetoder, weil es nicht anders ging, getötet haben. Ich erin-nere auch daran, daß ein Besatzungsmitglied ums Lebengekommen ist. Ihm gilt unser Gedenken. Seien wir froh,daß nicht mehr Menschenleben zu beklagen sind!Die Wut auf den Inseln ist den Leuten ins Gesicht ge-schrieben, die Wut darüber, daß diese Katastrophe zuverhindern war, und noch mehr darüber, daß sie bei derBewältigung allein gelassen worden sind. Die Katastro-phe war in dänischen Gewässern zu verhindern. Ich bittedie Bundesregierung sehr eindringlich, auch einmal denDänen die Frage zu stellen, warum sie zu Beginn derKatastrophe nicht helfend reagiert haben.
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Ich habe heute morgen noch mit dem Amtsvorstehervon Amrum, Jürgen Jungclaus, und dem BürgermeisterKlaus Theuß gesprochen, die sich – wie schon in denTagen zuvor – bitterlich beklagt haben, daß man dieKatastrophe kommen sehen konnte und keiner etwasunternommen hat. Es gab keine Ansprechpartner. In-formationen, die anfangs aus Cuxhaven kamen, wurdenabgeschnitten mit dem Hinweis, jetzt sei das Umwelt-ministerium in Kiel zuständig. Per dortigen Verteilergingen die Informationen an zwei offizielle Stellen undneun Umweltverbände, nicht aber zum Beispiel an dieWasserschutzpolizei. Das alles ist erst später erfolgt.Dazu paßt, daß auf Hilfsangebote vor Ort nicht rea-giert wurde. Diese wurden vielmehr geradezu verhindert– wie das Angebot der örtlichen Feuerwehren, zu helfen.Erst am 11. November – die „Pallas“ brannte seit dem25. Oktober und war am 29. Oktober auf Grund gelau-fen – wurde die Arbeitsbereitschaft des Interministe-riellen Leitungsstabes der Landesregierung ab 8 Uhrhergestellt.Es kann sich hier keiner damit herausreden, dieStrukturen der Katastrophenbekämpfung seien nicht op-timal gewesen. Nein, jeder, der etwas zu sagen hat, inKiel wie auch in Bonn, war genügend informiert, umzielgerichtet handeln zu können. Aber Kompetenzge-rangel führte zu dieser Führungsschwäche. Chaos undUnvermögen – euer Name ist Rainder Steenblock!
Angesichts der Reaktion der Ministerpräsidentin undvieler anderer Dinge finde ich es schon unerhört undempfinde es als eine Zumutung, daß Sie, Herr Steen-block – als derjenige, der das Chaos verursacht hat undder für Inkompetenz und Unerfahrenheit steht –, sichhier hinstellen und uns informieren dürfen.
Hier in Bonn lief es auch nicht besser. Erst am13. November hat der Verteidigungsminister das Ölbe-kämpfungsschiff „Bottsand“ der Marine von Warne-münde in Marsch gesetzt, und am 16. Novemberschreibt er mir:Die Bundeswehr hilft weiter, wenn das von derLandesregierung gewünscht wird.Anstatt sich mit der Ablösung seiner Abteilungsleiter zubeschäftigen, hätte sich der Verkehrsminister Müntefe-ring hier mit einklinken müssen, um das Heft des Han-delns in die Hand zu nehmen.Meine Damen und Herren, ist Ihnen eigentlich be-kannt, daß die Firma zum Löschen des Schiffes per Aus-schreibung gesucht wurde?
Drei Angebote gab es. Sie wurden gesichtet, und erst am11. November um 23.59 Uhr wurde der Auftrag erteilt.Frau Staatssekretärin Probst hat in ihrer Rede letzteWoche gesagt, die Bundesregierung habe schnell gehan-delt, indem Minister Trittin das Thema auf die Tages-ordnung der Umweltministerkonferenz gesetzt habe.
Sie hat gesagt: Wir werden alles daransetzen, daßschnelle Hilfe garantiert wird. Dieses Verhalten ist ty-pisch, es ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen aufden Inseln und in der Fischerei.
Frau Simonis hätte Steenblock damals nicht nachAmrum schicken sollen; sie hätte ihn in die Wüsteschicken sollen.
Das
Wort hat als nächste Rednerin Monika Ganseforth von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineHerren und Damen! Nach der Bundestagswahl am 27.September hat sich sehr viel geändert.
Das merken wir auch heute. Die CDU/CSU hat nämlicheine Aktuelle Stunde beantragt. In der letzten Legisla-turperiode sind von den über 100 Aktuellen Stunden, diestattgefunden haben, nur sechs von Ihnen beantragtworden.
Nun sind Sie auf einmal so schnell. Wie kommt das?Besonders erstaunlich ist, daß es sich auch noch um eineAktuelle Stunde zum Thema Umwelt handelt. Ich freuemich über die wundersame Wandlung der rechten Seitein diesem Haus.
Denn die Sorge um eine intakte Umwelt kann nichtwichtig genug genommen werden.Das Unglück der „Pallas“ vor der Nordseeküste unddie damit verbundenen Schäden müssen sehr ernst ge-nommen werden. Nicht vergessen wollen wir – HerrCarstensen hat es eben angesprochen –: Der Verlusteines Menschenlebens ist zu beklagen; ein weitererMensch ist schwer verletzt worden. Mein Eindruck warfast, daß deshalb über dieses Thema hier so wenig gere-det wurde, weil dies geschehen ist, bevor die neue Re-gierung vereidigt worden ist, dies sozusagen noch unterder Ägide der alten Regierung passierte.
Ihnen wäre es doch sehr zupaß gekommen, wenn diesesUnglück sich nicht gerade während des Regierungs-wechsels ereignet hätte, sondern nachdem diese Regie-rung einige Monate im Amt gewesen wäre.
Peter H. Carstensen
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416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998
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Dann wäre die Verantwortung so klar, wie Sie sich daswünschen.
Das Unglück, daß der Holzfrachter „Pallas“ in Brandgeriet, ist passiert, ehe unsere neue Regierung vereidigtwurde. Sie hat, genau genommen, nicht nur dieses Pro-blem und dieses Drama übernommen,
sondern auch die – wie sich zeigt – völlig unzureichen-den Entscheidungsstrukturen mit ihren Schwächen
und das, wie es vorhin hieß, unzureichende Notfallkon-zept, das zudem nicht in ausreichender Weise umgesetztworden ist.
– Wir sitzen hier im Deutschen Bundestag und debattie-ren über die Verantwortlichkeiten. Schauen Sie sichdoch den Titel der Aktuellen Stunde an, wenn Sie schoneinmal zu diesem Instrument greifen; schauen Sie sichdoch einmal an, was Sie da wissen wollen. –
Ich bin sicher, daß von dieser Regierung schnellstens einNotfallkonzept erarbeitet wird und daß das, worüber wirso lange diskutiert haben, endlich umgesetzt wird. Ichweiß nicht, ob es der CDU/CSU bei dieser Debattewirklich um diese Fragen geht. Ich habe einmal nachge-sehen, was zum Beispiel der Kollege Lippold von derCDU/CSU in der letzten Legislaturperiode in der Aktu-ellen Stunde über die „Brent Spar“ gesagt hat – jetztkommt ein Zitat von Herrn Lippold –:Ich habe mir gedacht, daß diese Debatte für viele indiesem Hause nicht dazu dient, sich mit dem Ereig-nis und mit Umweltschutz auseinanderzusetzen.Statt dessen versuchen Sie über alle Lücken wiederzur Schuld der Bundesregierung zu kommen. Dasist das alte Spiel der Opposition. Bleiben wir dochbei der Sache, um die es geht.Weiter hat er gesagt:Deshalb ist es schade, daß Sie diesen heutigenPunkt nicht um der Sache willen behandeln, son-dern nur aus dem Grund, einmal wieder einiges ge-gen die Regierung loslassen zu können. Schade,daß Sie diesen guten Anlaß so mißbrauchen wollen.Dem ist nichts hinzuzufügen – auch nach den Reden vonHerrn Carstensen und Herrn Austermann nicht.
So schnell ändern sich die Zeiten, meine Herren undmeine Damen auf der rechten Seite.
Um der Sache willen aber möchte ich es positiv se-hen, daß sich die CDU/CSU endlich um die Umweltsorgt und daß sie betroffen ist, wie Herr Austermannvorhin gesagt hat – wegen der Katastrophe in dem emp-findlichen Ökosystem Wattenmeer, wegen des Sterbensvon Tausenden von Vögeln und auch wegen der Men-schenleben, die zu beklagen sind. Ich fordere Sie auf,uns auch an anderer Stelle bei der Behandlung dieserThemen zu unterstützen und an unserer Seite zu sein.Die schleichende Ölverschmutzung in der Nordsee zumBeispiel ist ein Thema, das wir ernsthaft angehen müs-sen – ich hoffe, diesmal mit Ihrer Unterstützung.
Und schließlich möchte ich Ihnen sagen: Es stellt sichauch die Frage, ob jeder Transport nötig ist. Selbst dasvergleichsweise umweltfreundliche TransportmittelSchiff hat, wie wir wieder sehen können, Risiken. Des-halb muß man die Frage zulassen, ob Holz über dieOzeane hin und her transportiert werden muß.
Wir müssen für eine Lebens- und Wirtschaftsweise derNachhaltigkeit kämpfen und unser Augenmerk auchdarauf richten. Aber ich merke schon: Da haben wirnicht Ihre Unterstützung. Wenn wir aber wenigstens IhreUnterstützung zum Schutz der Nordsee und des Wat-tenmeers haben, dann sind wir schon sehr zufrieden.Darum bitte ich Sie.Schönen Dank.
Als
letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ganseforth,zu der Geschmacklosigkeit, der alten Bundesregierungden tödlich verletzten Menschen sozusagen zurechnenzu wollen, sage ich Ihnen: Es hat eigentlich nur noch ge-fehlt, daß Sie hier behaupten, einer von uns habe dasSchiff angezündet, um die neue Regierung in Schwie-rigkeiten zu bringen.
Also, es ist unglaublich, mit welchen Bildern Sie hierantreten. Zu dem Bild, das Sie hier gezeichnet haben,daß die CDU das Instrument der Aktuellen Stunde nutzt,gehört das Gegenstück: Sie haben sich als Regierungsehr schnell daran gewöhnt, zu behaupten, Sie hättenalles getan; das, was fehlgeschlagen ist, sei die SchuldMonika Ganseforth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. November 1998 417
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der vorherigen Regierung. Nach diesem Prinzip habenSie hier heute vorgetragen.
Dazu gehört auch, daß Herr Steenblock die Struktu-ren der Notfallvorsorge kritisiert hat. Heute morgen istim zuständigen Ausschuß mehr als deutlich geworden,daß die Strukturen der Notfallvorsorge im großen undganzen in Ordnung sind. Versagt haben die zuständigenund verantwortlichen Minister in Schleswig-Holstein.
Und da wir schon beim Bewußtseinswandel sind:Diejenigen, die fälschlicherweise in der Mitte des Par-lamentes sitzen, wären noch vor drei Monaten mit ölver-schmierten toten Tieren an dieses Pult gegangen.Frau Probst, die sich als einzige Verantwortliche derpolitischen Führung des Umweltministeriums bisher ge-stellt hat – sonst weder Herr Trittin noch Frau Altmann!–, hat hier vor einer Woche gesagt: Wir haben schnellgehandelt, wir haben zusammen mit den Ländern allesgetan. – Meine Damen und Herren, wenn es stimmt, daßSie in Abstimmung mit den Ländern alles getan haben,welche Berechtigung hat dann Ihr Vorwurf an die alteRegierung? Sie haben unsere Strukturen übernommenund in diesen Strukturen gehandelt.Von vielen Beiträgen hebt sich der Beitrag des Bun-desverkehrsministeriums sehr wohltuend ab. HerrIbrügger hat in dankenswerter Sachlichkeit dargestellt,was gelaufen ist. Bis auf den Schlenker auf HerrnWissmann können wir, so muß ich sagen, mit einer sol-chen Darstellung der Sache leben. Damit kann man ar-beiten, und das ist die Voraussetzung für die Frage, wasnach diesem Unfall zu tun ist.Aber das, was Sie, Frau Mehl, über die Ausschußsit-zung behauptet haben, ist nicht nachzuvollziehen.
Denn es ist deutlich geworden – das ist auch gar nichtbestritten worden –, daß die Landesregierung in Kiel aufeine falsche Einschätzung der Lage mit falschen Maß-nahmen reagiert hat. Das ist die Katastrophe, für die sieverantwortlich ist.
Und das, was Frau Faße hier abgeliefert hat, schlägt demFaß den Boden aus.Allerdings möchte ich meinen Freund Peter HarryCarstensen an dieser Stelle etwas korrigieren: Die Dänenhaben versäumt, einen Hochseeschlepper in Dienst zunehmen. D'accord, da sind wir beide einig. Aber in dementscheidenden Augenblick haben sie sich – das war dieDarstellung heute morgen, und diese nehme ich hier auf,weil wir auch das diskutieren müssen – dafür entschie-den, die Kapazität, die sie zur Verfügung hatten, für dieRettung der Menschen und nicht für die Rettung desSchiffes einzusetzen.
– Ja, das werden wir zu diskutieren haben.Es ist zu beklagen, daß das Schiff nicht früher auf denHaken genommen werden konnte. Aber was der Ver-treter des Bundesverkehrsministeriums, dem Sie nichtwidersprochen haben, heute morgen im Ausschuß gesagthat, ist die andere Seite – und das schreibe ich Ihnen insStammbuch –: Es kam gar nicht mehr auf die „Oceanic“an; wir hatten vor Amrum genügend Schlepperkapazität.Also ist weder die Frage der Strukturen, die wir Ihnenhinterlassen haben, noch die Frage der „Oceanic“ daszentrale Thema. Das zentrale Thema ist vielmehr, daßSie auf dem Hintergrund von Material und Strukturennicht gehandelt haben, Herr Steenblock. Sie haben ver-sagt; das ist das Entscheidende!
Das Ablenkungsmanöver in Richtung Vorgängerre-gierung ist im Grunde genommen zu billig, um daraufeinzugehen. Ich will Ihnen nur sagen: Man kann IhrVersagen in diesem Zusammenhang vielfach belegen –bis hin zu dem, was ein Feuerwehrmann aus der Krisen-region in meinem Büro gesagt hat: Wir durften nurDienst nach Vorschrift machen. Wir durften nachts nichtlöschen, obwohl das Löschen nachts möglich gewesenist.
Seien Sie deshalb vorsichtig mit Vorwürfen an die alteRegierung. Sie mußten handeln. Sie haben nicht richtiggehandelt. Sie haben zu spät gehandelt.Frau Altmann gebe ich eines mit auf den Weg: Mitdem Wechsel von der Oppositionsbank auf die Regie-rungsbank haben Sie mehr Gehalt bekommen. Damitsind die Schmerzen des Regierungswechsels abgegolten.Beklagen Sie sich in Zukunft nie wieder, daß Sie in derRegierung sind, sondern tun Sie Ihre Arbeit!
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist be-
endet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta-
gesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 19. Novem-
ber 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.