Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 253. Sitzung des Deutschen Bundestags. Ich bitte den Herrn Schriftführer, bekanntzugeben, wer entschuldigt und wer abwesend ist.
Es sucht um Urlaub nach für drei Wochen ab 1. März der Abgeordnete Dr. Brill wegen Krankheit.
Ich nehme an, daß das Haus diesen Urlaub genehmigt.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Kopf, Dr. Blank , Kahn, Neumann, Dr. von Merkatz, Paul (Düsseldorf), Merten, Rademacher, Dr. Pünder, Wönner.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 18. Februar 1953 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen
Bundestages in seiner 217. Sitzung betreffend I Freigabe deutschen Auslandsvermögens über die Schritte der Bundesregierung in dieser Angelegenheit berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4165 vervielfältigt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 4. März 1953 gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft in der Fassung vom 5. Mai 1951 den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Verlängerung der Geltungsdauer und zur Änderung von auf Grund des Gesetzes erlassenen Verordnungen bekanntgegeben. Der Entwurf der Verordnung liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich darauf hinweisen, daß Punkt 1 der gedruckten Tagesordnung von heute — betreffend Petitionen — auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt ist.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zur Tagesordnung einen Antrag stellen! Wir haben unter Punkt 3 der heutigen Tagesordnung die zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 vorgesehen. Dieser Gesetzentwurf bezieht sich auf den Bereich der privaten Wirtschaft. Im Zusammenhang mit der Tatsache, daß das Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst bisher noch nicht verabschiedet werden konnte, erscheint eine Verlängerung der Wahlperiode auch für den öffentlichen Dienst geboten. Über Einzelheiten brauchen wir heute nicht zu sprechen.
Ich möchte darum bitten, als Punkt 3 b auf die Tagesordnung zu setzen einen bereits in Druck befindlichen Gesetzes-Antrag über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts. Wir wollen den Antrag weder mündlich begründen noch glauben wir, daß eine Aussprache nötig ist. Es kommt lediglich darauf an, daß der Gesetzentwurf in der ersten Beratung so schnell wie möglich dem Ausschuß überwiesen wird, was ohne Zeitaufenthalt in dieser Sitzung geschehen könnte.
Ich wäre also dankbar, wenn kein Widerspruch dagegen erhoben würde, daß dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die betreffende Drucksache wird bis zur Beratung dieses Punktes noch verteilt werden können.
Zu diesem Punkt, Herr Sabel?
Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Punkt 3 der heutigen Tagesordnung steht nun die zweite und dritte Beratung des Ausschußantrags zur Drucksache Nr. 4155 an. Im Ausschuß ist gestern ein einstimmiger Beschluß gefaßt worden. Da diese Frage schon morgen vom Bundesrat verabschiedet werden soll, wäre ich dankbar, , wenn der Punkt 3 der heutigen Tagesordnung
gleich behandelt werden könnte, meinetwegen nach Abschluß des ersten oder zweiten Beratungspunktes der heutigen Tagesordnung, damit die Vorbereitungen für die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundesrat getroffen werden können.
Darf ich dazu bekanntgeben, daß der Bericht noch nicht vorliegt, aber etwa um 15 Uhr zu erwarten ist.
Ist das Haus mit diesen beiden Anträgen einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ferner habe ich zur Tagesordnung noch bekanntzugeben, daß auf Grund einer interfraktionellen Verständigung vereinbart worden ist, zunächst den Punkt 3 der Tagesordnung von gestern — Finanzvorlagen — zu behandeln, dann das Besoldungsgesetz, das ohne Debatte erledigt werden soll, die Vorlage betreffend Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte, das Energienotgesetz, die Saaranträge der SPD, der Mißbilligungsantrag gegen den Herrn Bundeskanzler und die Wahlgesetzentwürfe. Dann soll im Sinne der gedruckten Tagesordnung weiter verfahren werden, wenn wir dazu noch kommen sollten.
Ich rufe auf den Punkt 3 der gestrigen Tagesordnung:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung ;
b) Erste Beratung der Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 ;
c) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 .
Damit sich die Fraktionen, was die Reden anbetrifft, einrichten können, habe ich noch bekanntzugeben: Es haben sich gemeldet die Abgeordneten Dr. Gülich, Pelster, Frau Kalinke, Frau Dr. Ilk und Freudenberg. Es stehen zur Verfügung der CDU/ CSU noch 42 Minuten Redezeit, der SPD 4 Minuten, der FDP 5 Minuten. Alle anderen Redezeiten sind verbraucht.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! In der Aufzählung der Punkte der heutigen Tagesordnung hat der Herr Präsident — ob es absichtlich oder unabsichtlich war, weiß ich nicht — den Punkt 4, der auf der Tagesordnung der 252. Sitzung steht, den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Abgaben auf Mineralöl, nicht genannt. Ich muß dringend bitten, daß dieser Gesetzentwurf heute beraten wird, weil das Gesetz am 31. März 1953 abläuft.
In der interfraktionellen Vereinbarung, die mir überreicht wurde, ist dieser Punkt nicht aufgeführt.
— Nach der Wahlrechtsdebatte soll dieser Punkt behandelt werden.
— Über die Zeit ist auch der Präsident eines Parlaments noch nicht Herr!
Das Wort hat der Abgeordnete Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vier Minuten, die meiner Fraktion noch zur Verfügung stehen, will ich nur eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister richten. Wir haben ja gestern über die Steuervorlage eingehend debattiert, während die Vorlage auf Drucksache Nr. 4093, nämlich die Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Haushalt 1953, das Interesse des Hauses offensichtlich noch nicht gefunden hat. Ich möchte das nur feststellen.
Von der 248. bis zur 252. Sitzung hat sich das Haushaltsvolumen für 1953 um 924,5 Millionen erhöht — in diesen wenigen Wochen! —, und der Herr Bundesfinanzminister schätzt den Steueraus- fall, der faktisch entsteht, nachdem er damit rechnet, daß ein Teil des Steuerausfalls schon im Jahre 1953 wieder hereinkommt, auf 950 Millionen. Wie sollen diese nun gedeckt werden? Der Bundesfinanzminister sagt auf der Einnahmenseite, daß das Aufkommen an Umsatzsteuer um 100 Millionen DM steigt. Wenn ich annehme, daß die Steuerersparnis ganz in den Konsum, und zwar ganz in den voll umsatzsteuerpflichtigen Konsum, geht, komme ich ja — selbst wenn die Umsatzsteuer sich mehrmals umschlägt; aber das sind j a Annahmen, die in der Wirklichkeit nicht zutreffen — niemals auf 100 Millionen DM. Und der Mehrertrag aus Verbrauchsteuern wird auf 40 Millionen DM geschätzt. Wie kann der Mehrertrag aus Verbrauchsteuern auf 40 Millionen kommen? Solchen Schätzungen müssen j a doch irgendwelche Berechnungen zugrunde liegen. Es würde mich sehr interessieren, zu erfahren, wie das zustande kommt; denn ich glaube kaum, daß der Herr Bundesfinanzminister seine Meinung inzwischen so geändert hat, daß er aus der Schaumweinsteuer soviel herausholen zu können glaubt.
Dann ist bei den Einnahmen noch folgendes interessant: ein Beitrag des außerordentlichen Haushalts zur Deckung des ordentlichen Haushalts von 751 260 000 DM; dieselbe Summe erscheint dann im außerordentlichen Haushalt unter der Position „Einnahmen aus Anleihen". Ich muß sagen, daß ich dieses Verfahren doch für höchst zweifelhaft halte. Ich habe früher gelegentlich die Drucksachen aus dem Bundesfinanzministerium wegen ihrer sorgfältigen Bearbeitung besonders gelobt. Ich sehe mich aber nicht in der Lage, bei dieser Drucksache von einer solchen Sorgfalt zu sprechen. Ich habe vielmehr den Eindruck, als ob der Herr Bundesfinanzminister, der doch sonst als ein sorgfältiger Finanzminister bekannt war,
von den Vorbereitungen zu den Wahlen sich schon hat so beeindrucken lassen, daß er sich sogar nicht scheut, dem Bundestag eine solche Ergänzungsvorlage zu unterbreiten.
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem bisherigen Ergebnis der Aussprache kurz Stellung nehmen. Ich werde nicht Stellung nehmen zu dem Vorwurf, der Bundesfinanzminister habe sich von den kommenden Wahlen schon so sehr beeinflussen lassen, daß er die Grundsätze, auf die er als Finanzminister verpflichtet ist, nicht einhalte. Ich halte diesen Vorwurf nicht für einer sachlichen Erörterung würdig.
Ich möchte erstens Erklärungen abgeben zu den Darlegungen der Opposition, dann aber auch Erklärungen abgeben zu den Darlegungen aus den Reihen der Koalitionsparteien. Der Abgeordnete Seuffert hat sich meiner Überzeugung nach insofern zu seinen eigenen Ausführungen in Widerspruch gesetzt, als er einmal beanstandet hat, daß die Senkung der Einkommensteuer nicht bei allen Gruppen in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Einkommens, sondern in Höhe eines Prozentsatzes der Steuer erfolgt sei. Auf der andern Seite aber hat er beanstandet, daß die frühere Erhöhung der Einkommensteuer bei den hohen Einkommen nicht in Höhe des gleichen Prozentsatzes der Steuer erfolgt sei wie bei geringeren Einkommen. In der Tat ist seinerzeit die Erhöhung der Einkommensteuer insbesondere durch das Kontrollratsgesetz 1946 nicht für alle Gruppen mit gleichen Prozentsätzen des Einkommens, sondern mit viel höheren Beträgen für höhere Einkommen als für geringere Einkommen erfolgt. Z. B. wurde die Einkommensteuer 1946 bei Einkommen von 6000 Mark gegenüber dem Tarif 1939 ohne Kriegszuschlag von 6 % auf 20,4 %, also um 14,4 % des Einkommens nach Kaufkraftumrechnung erhöht, bei einem Einkommen von 300 000 Mark aber von 40 % auf 90,2 %, also um 50,2 % des Einkommens. Eine der Steigerung bei 6000 Mark entsprechende prozentuale Steigerung der Steuer wäre allerdings bei 200 000 Mark überhaupt nicht möglich gewesen, weil sie auf Prozentsätze von über 100 % des Einkommens geführt hätte.
Angesichts dieser für die höheren Einkommen in Prozentsätzen des Einkommens unverhältnismäßig starken Erhöhungen durch die Kontrollratsgesetze kann auch die allmähliche Herabsetzung der Steuer auf ein normales Maß nicht in gleichen Prozentsätzen des Einkommens erfolgen. Vielmehr müssen die absoluten Beträge der Steuersenkung bei den höheren Einkommen auch angesichts der unvergleichlich steileren Progression höher sein als bei den geringeren Einkommen. Aus diesem Grunde erscheint die in dem Entwurf vorgeschlagene Herabsetzung der Einkommensteuer um durchschnittlich 15 % der Steuer — bei kleineren Einkommen jedoch erheblich mehr, bei größeren nur um 12,5 % der Steuer — angemessen. Nur hierdurch ergibt sich auch ein einigermaßen folgerichtig aufgebauter Tarif.
Auch der neue Tarif wird die Erhöhung durch das Kontrollratsgesetz gegenüber dem Grundtarif 1939 und den früheren Tarifen noch nicht annähernd ausgleichen. Nur bei den Einkommen bis zu rund 4000 DM ist auch nach Kaufkraftumrechnung die bisher absolut geringste Steuerbelastung erreicht. Bei Einkommen von 6000 DM ist gegenüber 1939 nach Kaufkraftumrechnung noch eine Erhöhung von 4,2 % des Einkommens zu verzeichnen, bei Einkommen von 9000 DM von 8,4 % des
Einkommens. Bei den höheren Einkommen beträgt die Differenz immer noch durchweg 30 % des Einkommens. Sie sind also gegenüber den früheren deutschen Tabellen noch stark belastet.
Es ist richtig, daß die neuen Einkommensteuersätze in verschiedenen Stufen, auch bei mittleren Einkommen vor allem in der Steuerklasse I zum Teil etwas unter den englischen Sätzen liegen werden. Der englische Einkommensteuertarif mit seiner steilen Progression ist aber als überspitzt und leistungsfeindlich zu bezeichnen.
In England ist außerdem kein Lastenausgleich zu zahlen. Schließlich ist dort ein Ausweichen auf die Körperschaften, die zur Zeit, soweit sie nicht ausschütten und keine Übergewinne haben, nur einer Belastung von 50 v. H. unterliegen, weitgehend möglich.
Auch der Vorschlag des Abgeordneten Seuffert auf Einführung eines stark erhöhten Freibetrags von 1500 DM ohne eine entsprechende Steuersenkung, ja vielleicht sogar notwendigerweise verbunden mit einer Steuererhöhung für die höheren Einkommen, erscheint unter diesen Umständen nicht als eine Lösung. Es würde dazu führen, daß zwar die Einkommensteuer auf kleine Einkommen weitgehend unter jeden je in Deutschland seit 1919 erreichten Stand sinken würde, daß die hohe Mehrbelastung der höheren Einkommen aber bestehen bliebe. Der Ausfall durch die Erhöhung des allgemeinen Freibetrags auf 1500 DM würde als solcher rund 1,5 Milliarden DM betragen. Wenn der Herr Abgeordnete Seuffert betont hat, daß der Gesamtausfall von 950 Millionen DM netto nicht überstiegen werden sollte, dann würde eine Tarifsenkung außerhalb der Erhöhung der Freigrenze nicht nur überhaupt nicht möglich sein, sondern es müßte noch ein Mehr durch eine Tariferhöhung von rund 600 Millionen DM an Aufkommen erreicht werden.
Bei höheren Einkommen wird durch den Wegfall der Steuersätze über 80 v. H. und die Einführung des Plafonds von 70 v. H. erreicht, daß auch nach Einbeziehung des Notopfers wenigstens ein gewisser Teil des Gewinns dem Unternehmer oder sonstigen Einkommensbezieher zu seiner Verfügung zum Sparen oder für Investitionen und damit auch ein gewisser Anreiz verbleibt. Der Lastenausgleich wird trotzdem vielfach aus dem Vermögen gezahlt werden müssen. Die Aufhebung bisheriger Vergünstigungen, vor allem des § 32 b, erscheint ohne eine gewisse Herabsetzung der Tarife auch für höhere Einkommen sonst unmöglich. Die Wirkung der Tarifreform für die höheren Einkommen wird jedoch vielfach keine steuerliche Verbesserung erbringen, sondern eine allgemeine steuerliche Erleichterung an Stelle bisher zum Teil sehr wirksam von den einzelnen ausgenutzter Vergünstigungen. Gerade hierin aber — in dem Ersatz der Vergünstigungen durch Tarifsenkung – liegt j a die Vereinfachung und Gesundung des Steuersystems.
Die Angabe des Abgeordneten Seuffert, die höheren Einkommensteuerpflichtigen hätten nach Statistiken bisher nur eine Steuer von im Durchschnitt etwa über 50 v. H. gezahlt, ist in dieser Form nicht beweiskräftig. Eine geringere Zahlung, als gesetzlich vorgesehen, könnte im wesentlichen nur auf der Anwendung des § 32 a beruhen, der die Kriegsbeschädigten, Heimatvertriebenen etc. behandelt.
Es ist anzunehmen, daß in der Statistik, dem Nachhinken der Veranlagung entsprechend, nicht die gesamten den Einkommen entsprechenden Zahlungen erfaßt worden sind.
Auch der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hat in einem bereits vorliegenden und demnächst zur Veröffentlichung kommenden Gutachten die Grundlinie der Tarifsenkung bei der Einkommensteuer und des Wegfalls von Vergünstigungen voll anerkannt. Dies ist um so bemerkenswerter, als der Wissenschaftliche Beirat aus Wissenschaftlern zusammengesetzt ist, deren politische Einstellung sehr verschieden ist und die in ihrer politischen Einstellung sowohl den Oppositionsparteien als auch den Koalitionsparteien nahestehen.
Schließlich darf ich noch Auskunft geben auf eine Frage, wie sich der Steuerausfall, also der Bruttoausfall von 1300 Millionen DM, auf die einzelnen Gruppen verteilt. Auf Einkommen über 100 000 DM entfallen von den 1300 Millionen DM Bruttoausfall rund 140 Millionen DM, also ungefähr 10 °/o, auf die Einkommen zwischen 50 000 und 100 000 DM etwa 101 Millionen DM, auf die Einkommen zwischen 20 000 und 50 000 DM 133 Millionen DM, auf die Einkommen zwischen 8000 und 20 000 DM 238 Millionen DM, auf die Einkommen unter 8000 DM 688 Millionen DM. Also die Hälfte des gesamten Ausfalles entfällt auf die kleineren Einkommen bis zu 8000 DM.
— Die Haushaltsbesteuerung macht den Ausfall mit ungefähr 120 Millionen wett. Die Steuervergünstigung, die wir für die Ehefrau einführen, beträgt ungefähr das Doppelte.
Ich darf nun zu den Äußerungen in den Reden der Vertreter der Koalitionsparteien kurz Stellung nehmen. Die Fragen, die von den Koalitionsparteien aufgeworfen werden, beziehen sich mehr auf Einzelheiten, die im Ausschuß zu besprechen sind. Ich möchte jedoch heute schon folgendes hervorheben. Der Tarif und der Wegfall der Vergünstigungen bilden ein von der ganzen Bundesregierung gestütztes, sowohl im Interesse der Haushaltssicherung als auch aus wirtschaftlichen Gründen unteilbares Ganzes.
Die Bundesregierung wird sich daher sowohl gegen eine wesentliche Änderung des Tarifs durch weitere Auseinanderziehung als auch gegen eine Streichung der Aufhebung von Vergünstigungen wenden müssen.
Auch die Erhöhung des Freibetrags für die Ehefrau von 600 auf 800 DM und der Wegfall des § 43 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung mit den geplanten sozialen Milderungen, also bis zu 9000 DM Einkommen zusammen, sind als eine Einheit zu betrachten.
Auch die Bestimmung, wonach die ausgeschüttete Dividende einem Körperschaftsteuersatz von nur 40 v. H. unterliegt, steht im Einklang mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs. Es erscheint schon technisch bedenklich, einen besonderen Steuersatz nicht auf die ausgeschüttete Dividende, sondern auf den zur Ausschüttung erforderlichen Betrag zu beziehen, vor allem, wenn in diesem Zusammenhang die Frage des Lastenausgleichs aufgeworfen werden sollte. Eine erhebliche Erweiterung der Vergünstigungen oder etwa eine völlige Beseitigung der sogenannten Doppelbesteuerung würde für die Körperschaften einen steuerlichen Vorteil insbesondere auch gegenüber den Personengesellschaften bedeuten, der selbst durch eine viel weitergehende Tarifsenkung nicht zu überbrücken wäre. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Doppelbesteuerung der Aktiengesellschaften für ihren Gewinn und des Aktionärs für seine Dividende in allen Staaten der Welt durchgeführt und nur in England gemildert wird, daß ferner auch die Höhe der Körperschaftsteuer in den USA und in England bei Einbeziehung der Übergewinnsteuern noch höher sein kann als in Deutschland. Die Reform der Körperschaftsteuer wird einen Hauptinhalt einer späteren grundlegenden Reform bilden müssen.
Im übrigen möchte ich kurz dahin zusammenfassen: Grundsätzlich ist von den Regierungsparteien dem Entwurf gegenüber ein Ja ausgesprochen worden. Ich bin überzeugt, daß eine sachliche Beratung im Ausschuß zu einem günstigen sachlichen Ergebnis führen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Pelster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es doch für notwendig, nachdem gestern schon mein Freund Neuburger zur Einkommensteuernovelle grundsätzlich Stellung genommen hat, noch einiges hinzuzufügen. Ich bedaure, daß in diesem Hause zu dieser Frage Vorwürfe erhoben werden, die wirklich nicht begründet werden können. Wenn gesagt wird, ein Milliarden- oder ein Millionengeschenk an die Kapitalisten solle von den kleinen Leuten, mit kleinen Einkommen bezahlt werden, dann ist das ja durch die Zahlen widerlegt worden, die der Herr Finanzminister eben hier vorgetragen hat. Wenn ganze 140 Millionen DM bei den hohen Einkommen von über 100 000,— DM und 688 Millionen bei der Mehrheit der kleinen Einkommen bis zu 8000 DM Jahreseinkommen zu verzeichnen sind, dann ist das damit zur Genüge widerlegt. Es ist auch nicht richtig, daß diese 140 Millionen durch die Einführung der Haushaltsbesteuerung aufgebracht werden sollen. Die Ausführungen, die dazu gemacht worden sind, können nicht gerade ermutigend wirken.
Es ist nicht gut, zu sagen, die Gesetzgebung sei ehefeindlich; Eheschließungen würden bestraft, es herrsche Kinderfeindlichkeit, Familienfeindlichkeit usw. Diese Ausdrücke sind sehr gefährlich und haben auch in der Öffentlichkeit eine gefährliche Wirkung, weil sie, so in den Raum hineingestellt, immerhin eine Wirkung haben, die an sich niemals auftreten würde, wenn einmal zahlenmäßig gesagt würde, was dahintersteckt. Das ist notwendig.
Notwendig ist es auch, nochmals darauf hinzuweisen, daß es im Sinne der Familienpolitik liegt, wenn der Freibetrag für Ehefrauen und ebenso die Freigrenze für Kinder von 600 auf 720 DM vom dritten Kinde an erhöht Wird. Wir können uns mit dem Herrn Finanzminister vielleicht auch darüber verständigen. Aber ich möchte der Behauptung entgegentreten, die unteren Schichten bekämen nichts mit. Da ist es gut, einmal zu vergleichen, was augenblicklich ist und was durch den neuen Tarif eintritt. Da hat bisher ein Lediger, der an sich
nicht so gut weggekommen ist, bei einem Jahreseinkommen von 1580 DM eine Jahressteuer von
6 DM bezahlt, während er heute bei einem Jahreseinkommen von 1786 DM 2 DM jährlich an Steuern
zahlt. Ein Verheirateter, der mit 1681 DM bereits
7 DM Steuer pro Jahr zahlte, zahlt heute mit 2586 DM, für die er bisher 67 DM pro Jahr zahlte, nur noch 2 DM im Jahr.
Ein Verheirateter mit einem Kind, der nach dem alten Steuertarif bei einem Jahreseinkommen von 2130 DM 10 DM an Steuern zahlte, zahlt heute bei einem Einkommen von 3186 DM — das sind 265 DM monatlich —, für die er früher 80 DM zahlte, nur noch 2 DM.
Ein Verheirateter mit zwei Kindern zahlte bei einem Einkommen von 2380 DM — das sind rund 200 DM monatlich — damals 7 DM, während er heute bei einem Jahreseinkommen von 3786 DM — das sind rund 315 DM monatlich — 2 DM gegenüber früher 94 DM im Jahre an Steuern zahlt.
Wenn ich nun einen Verheirateten mit fünf Kindern nehme, so zahlte er bei einem Jahreseinkommen von 3780 DM oder von rund 315 DM monatlich 10 DM an Steuern und zahlt heute bei einem Jahreseinkommen von 5236 DM, für die er damals 97 DM hätte zahlen müssen, 1 DM im Jahr an Steuern.
Meine Damen und Herren, das sind Beweise dafür, daß die Dinge nun tatsächlich nicht so liegen, wie sie hier verschiedentlich dargestellt worden sind.
Wenn hier nun von Ehefeindlichkeit und Familienfeindlichkeit gesprochen worden ist und wenn alle möglichen anderen Vorwürfe erhoben worden sind, dann möchte ich doch einmal darauf hinweisen, daß wohl niemand hier im Saale sein dürfte, der dafür stimmen würde, daß eine Familie mit sechs Kindern mehr Steuern zahlen muß als ein Ehepaar ohne Kinder bei gleichem Einkommen.
Bei einem Steuereinkommen von 7536 DM bis 9000 DM kommt ja überhaupt keine gemeinsame Versteuerung in Frage. Wenn man aber nun darüber hinausgeht, dann zahlt ein Ehepaar, bei dem beide Teile verdienen und das kinderlos ist, bei einem Einkommen des Ehemannes von 500 DM und einem Einkommen der Ehefrau von 250 DM 590 DM an Steuern, nämlich der Ehemann 545 DM und die Frau 45 DM, während; wenn die Ehefrau nicht mitverdienen würde, der Ehemann für ein Einkommen von 9000 DM oder 750 DM monatlich 1365 DM zahlen müßte; und wenn das Ehepaar fünf Kinder hat, muß es 465 DM gegenüber 590 DM, und wenn ein oder zwei Kinder vorhanden sind, 1197 DM oder 1002 DM an Steuern zahlen gegen 590 DM, wenn es ohne Kinder ist.
Ein weiteres Beispiel. Bei 9600 DM Einkommen wird eine Gesamtsteuer von 645 DM verlangt, wenn beide getrennt ihre Lohnsteuer zahlen. Wenn der Mann allein verdient, weil eine Reihe Kinder da sind, dann zahlt er mit fünf Kindern noch 599 DM.
Ich glaube, das kann niemand wollen, daß ein Ehepaar mit zwei Kindern — das sind vier Personen — 1365 DM Steuern zahlt, während im anderen Falle, ohne Kinder bei gleich hohem Einkommen nur 645 DM gezahlt werden.
Ich könnte weitergehen und Ihnen die Zahlen einzeln noch auseinandersetzen; ich glaube aber, es ist nicht notwendig, und ich will es bei diesen Beispielen genügen lassen.
Nun könnte man sagen: Schön, wir sehen das ein; das ist richtig; also müssen wir die Sätze für die Kinderermäßigung, die Freibeträge für Kinder wesentlich erhöhen. Dem könnte man zustimmen. Wenn wir aber die Lage, in der der Bund und die Länder sich befinden, betrachten, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß wir nicht nur die Ausgaben zu beschließen, sondern auch für Einnahmen zu sorgen haben. Wenn rund 8,8 Milliarden DM allein an sozialen Leistungen bei der Bundesregierung und weitere Hunderte von Millionen — ja, auch in die Milliarden gehend — bei den Ländern liegen, dann müssen dafür irgendwelche Gelder zur Verfügung stehen. Wenn wir die Steuerverhältnisse dadurch gleichstellen würden, daß wir die Kinderfreibeträge weiter ermäßigten, dann würde das derartige Ausfälle ergeben, daß die Steuervorlage restlos zuschanden würde. Die Länder würden ihr nicht zustimmen. Ich glaube, niemand von den Damen und Herren im Saal will es darauf ankommen lassen, daß diese Steuervorlage durch den Widerspruch der Länder so gefährdet wird, daß sie nicht mehr zustande kommt. Das kann niemand wollen, weil jeder die Steuerermäßigung nun wirklich für notwendig hält.
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor: „Ihre alten Anträge haben so ausgesehen, und jetzt stellen Sie sich mit dieser Vorlage hin und unterstützen den Finanzminister." Ja, es wechselt manchmal die Ansicht; aber davon sind nicht nur die Mitglieder der Koalitionsparteien, davon sind auch die Mitglieder der Oppositionsparteien betroffen. Ich erinnere mich noch gut: 1951, als wir die letzte Steuernovelle berieten, stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund den Antrag, daß eine gemeinsame Besteuerung beider Ehegatten, wenn sie beide arbeiten, in Frage kommen solle, wenn das Einkommen 600 DM im Monat übersteige. Ich habe hier den Originalantrag — Umdruck Nr. 199, Änderungsantrag der Fraktion der SPD —; die beantragte Fassung lautet:
Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit der Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb scheiden bei der Zusammenveranlagung aus, es sei denn, daß das gemeinsame Einkommen 600 DM übersteigt.
Der Finanzminister geht weiter, als dieser Antrag es verlangt; und dafür wird er jetzt auch noch gekreuzigt. Meine Damen und Herren, so kann es nun wirklich nicht gehen. Ich bin schon der Meinung, daß wir die Kirche im Dorf lassen sollen. Wir müssen aber langsam auf den Rechtsgleichheitsstandpunkt zurückkommen und müssen das mit den Verpflichtungen, die zu erfüllen sind, in Einklang bringen.
Dann noch einige wenige Worte zur Frage des Wohnungsbaus. Auch wir wollen, daß der soziale Wohnungsbau unter allen Umständen gefördert wird. Wir haben ja alle die großen Zuschriften von allen möglichen Stellen, besonders aus der Bauwirtschaft, bekommen, in denen die Gefahr aufgezeigt wird, daß der Wohnungsbau ins Stocken kommt. Nein, der soziale Wohnungsbau soll weitergehen,
und dafür soll auch mehr oder weniger die Grenze von 15 % des Gesamteinkommens nicht in Frage kommen. Wenn aber schon 50 % Freibetrag verlangt werden, meine Damen und Herren, möchte ich wissen, wo dann noch Steueraufkommen vorhanden sein soll.
Wir wünschen auch nicht — ich glaube, da bin ich im Einverständnis mit allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses —, daß mit den Geldern, die für den sozialen Wohnungsbau' bestimmt sind, nachher kreditpolitische Geschäfte gemacht und große Gewinne eingeheimst werden.
Diese Dinge, die völlig neben dem sozialen Wohnungsbau liegen, müssen abgebremst werden. Deshalb haben wir uns mit dem Wohnungsbauministerium in Verbindung gesetzt, und das Wohnungsbauministerium hat diesen Plänen zugestimmt.
Dasselbe gilt für den Schiffbau. Auch wir sind der Meinung, daß der Schiffbau unter allen Umständen gefördert werden muß. Aber das Geld, das dafür zur Verfügung gestellt wird, muß auch dem Schiffbau zugute kommen. Auch hier sind Auswüchse zu verzeichnen, die wir nicht gewollt haben.
— Ich kenne einen Fall, wo man den gesamten Reingewinn in den Schiffsbau gelenkt, überhaupt keine Steuern bezahlt und sich hinterher auch noch geweigert hat, die auf dem Einkommen ruhenden sonstigen Steuern zu zahlen. So weit kann es nicht gehen, und so ist es auch damals nicht gewollt worden, als wir die Steuervergünstigungen einführten.
Bei der Senkung der Sätze, die hier aufgezeigt ist, bin ich der Meinung, daß die Mehrheit der kleinen Einkommen, auch die Mehrheit unseres Mittelstandes, der kleinen Handwerker, der kleinen Kaufleute sowie der Arbeitnehmer von der I Lohnsteuer und der Einkommensteuer freigestellt sind. Ich darf an dieser Stelle dem Finanzminister besonderen Dank dafür sagen, daß er, nachdem wir beide uns mehr als zwei Jahre auseinandergesetzt haben, endlich die Lohnsteuertabelle und die Steuertabelle für die kleinen Handwerker, Kaufleute und Gewerbetreibenden mit der großen Steuertabelle A gleichgezogen hat.
— Nein, das haben wir nicht, Herr Seuffert! Wir haben uns im Finanzausschuß immer ganz gut auseinandergesetzt. Wenn im Finanzausschuß ehrlich und aufrichtig, vom besten Willen für das Ganze beseelt, gearbeitet wird und wenn wir uns alle frei machen von gewissen Gedankengängen, die jetzt leider Gottes in unserem deutschen Volk und auch in gewissen parteipolitischen Gremien grassieren,
wenn wir nur das Volk und nur das Staatswohl
sehen und nur das Wohl der Wirtschaft im Auge
haben, dann wird — das ist meine Überzeugung
— aus dieser Vorlage auch noch etwas Vernünftiges herauskommen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wegen der Redezeit von fünf Minuten ist es unmöglich, auf die vielfältigen Probleme einzugehen, die sich in diesem Gesetz nicht nur vom Standpunkt der Frau oder, wie gestern hier irrtümlich gesagt wurde, vom Standpunkt der Frauenverbände her ergeben. Wenn wir hier zu dem Problem der sogenannten „Ehesteuer" Stellung nehmen, auf das ich mich beschränken möchte, so sollten wir sie nicht vom Standpunkt einer falsch verstandenen Gleichberechtigung, sondern nur von den Grundsätzen der Gleichheit vor dem Gesetz, der Steuergleichheit und der Steuergerechtigkeit behandeln. Es sind die Frauen — und nicht zuletzt die Frauen — gewesen, die als Angestellten-, Arbeiter- und Beamtenfrauen in der Nachkriegszeit und in den schweren Jahren des Krieges durch ihre Mitarbeit dazu beigetragen haben, daß die Familie nicht zerstört, sondern erhalten wurde. Durch ihre Arbeit ist der vertriebenen und der ausgebombten Familie in tausendfachen Fällen wieder das Heim geschaffen worden. Es wäre ein ganz großer Akt der familienzerstörenden, kurzsichtigen Steuerpolitik, wenn man etwa mit dem törichten Schlagwort von den Doppelverdienern, das wie eine Krankheit immer wieder hochkommt, die Tüchtigsten im Volk bestrafen wollte, im Hinblick auf wenige Einzelfälle echter Egoisten, die Sie durch keinerlei Gesetzgebung erfassen und deren Charakter Sie auch nicht durch die Gesetzgebung ändern können.
Ich möchte zu den vielen Problemen, die Frau Lockmann gestern schon angeschnitten hat, nur einige herausgreifen. Es trifft nicht zu, was Herr Kollege Pelster hier soeben gesagt hat, daß die Auffassung derjenigen, die sich gegen die gemeinsame Besteuerung der in abhängiger Stellung befindlichen Ehegatten wenden, falsch sei, weil sie sich gegen die kinderreiche Familie auswirke. Gerade wir — ich und meine Freunde von der Deutschen Partei — mein Kollege hat das gestern schon gesagt — wünschen nichts dringender, als daß das Problem der Familiennot durch eine Verbesserung der Steuergruppe III und eine vernünftigere und familiengerechtere Steuerpolitik, auf dem einzig richtigen Wege, behoben wird. Wir glauben aber, daß die vielen Beispiele, die uns der Herr Finanzminister — hier und im Bulletin — genannt hat, sehr einseitig herausgegriffen sind. Deshalb möchte ich nicht die Frauenverbände zitieren, sondern das, was unter den vielen Zuschriften, die ich auch von den Männern erhalten habe, Männer geschrieben haben: nämlich daß diese Auffassung nicht nur ungerecht und sittlich bedenklich sei, sondern daß sie in der Stellung der verheirateten Frau sogar einen Rückschritt um 32 Jahre bringe.
Ich möchte das unterstreichen, was mein Kollege Eickhoff gestern gesagt hat: Wenn wir an die Tüchtigkeit der deutschen Frauen als Staatsbürgerinnen und vor allem auch als Ehefrauen denken, dann meinen wir auch die mithelfende Ehefrau im Gewerbebetrieb, in der Landwirtschaft, die Arztfrau genau so wie die Frau des Handwerksmeisters, die alle für ihre Tüchtigkeit nicht bestraft werden sollen und deren berufliche Leistung bisher noch an keiner Stelle durch unsere Steuerpolitik anerkannt worden ist.
Bei den vielen Problemen, die hier berührt wurden, wurde eins noch nicht erwähnt: Wir haben schon 1949 beantragt, die Gesetzgebung mit Bezug auf die Steuergruppe II zu ändern. Wir können nicht verstehen, daß Witwen mit 50 Jahren in die
Steuergruppe II kommen, während z. B. Angestellte, die über 50 Jahre alt sind und heute nur sehr schwer einen Arbeitsplatz finden, gleichgültig ob Mann oder Frau, diese Möglichkeit noch nicht haben. Deshalb sollte man sich das sehr wohl überlegen und die eine wie die andere Frage bis zur großen Steuerreform zurückstellen, das Notwendige heute tun, aber das, was gründlicher und besser nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit durchdacht werden muß, in einer echten großen Steuerreform dann auch gerechter ordnen!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Finanzminister weiß, daß mein Kampf
um die Beseitigung der Ehesteuer nicht gerade neu ist. Aber weder hat er mich inzwischen_ gekreuzigt, noch habe ich die Absicht, ihn zu kreuzigen. Wir haben bereits im Jahre 1950, als die erste Steuerreform anstand, bei einer Koalitionsbesprechung recht heftig um diese Frage gestritten. Damals waren wir erfreulicherweise in einem Punkte sofort einig: wir wollten beide von der Nazigesetzgebung wieder herunterkommen. Nun hat sich der Herr Finanzminister bis zum heutigen Tage leider nicht von der Tatsache überzeugen lassen, daß die Gesetzgebung vor der Nazizeit eine ganz andere war, als er jetzt meint; denn damals wurden von der Ehesteuer nur diejenigen Eheleute betroffen, bei denen die Frau in nicht selbständiger Arbeit im Betrieb des Ehemannes tätig war. Ich bin der Meinung, wir sollten zum mindesten auf den damaligen Standpunkt zurückkommen, wenn ich mir auch darüber völlig im klaren bin, daß wir damit im Augenblick ein großes Unrecht gegenüber denjenigen Eheleuten gesetzlich festlegen, bei denen die Frau im Betrieb des Mannes mitarbeitet oder eben „nur Hausfrau" ist. Ich bedauere dabei besonders, daß man die hausfrauliche Tätigkeit auch heute noch nicht einer Erwerbstätigkeit gleich bewertet.
Die vielen Zahlen, die Herr Kollege Pelster uns genannt hat, können mich, das muß ich ehrlich sagen, nur in dem Ziel bestärken, auf das Splitting-Verfahren hinzuarbeiten, ein Verfahren, das auch allen von ihm benannten Kreisen gerecht wird. Ich gehe nicht so weit, hier von Ehezerstörungen oder Ehescheidung zu reden. Aber ich muß Ihnen auch ehrlich sagen: Ich lehne es ab, wenn man in diesem Zusammenhang immer wieder von der kinderlosen Doppelverdienerin spricht. Man übersieht dabei völlig, daß sehr viele Frauen gerade deswegen arbeiten, um ein Heim zu errichten und in Zukunft Kinder haben zu können, um Kindern überhaupt normale oder bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
Wie viele junge Ehen sind heute so gestellt, daß
sie auf eine Mitarbeit der Frau verzichten können?
Meine Herren Kollegen, die Sie so gegen die Beseitigung der Ehesteuer sind, lesen Sie doch einmal die Zuschriften, die z. B. von den Betriebsräten kommen. Dort werden Sie finden, wie viele heutzutage nur aus gemeinsamer Arbeit ein Einkommen von 600 DM haben. Ich meine, um einen neuen
Hausstand einzurichten, sind 600 DM brutto weiß Gott nicht so sehr viel, insbesondere dann, wenn man vielleicht über die Beschaffung des einfachen Hausrats hinausgehen, wenn man eine eigene Wohnung oder gar ein Eigenheim schaffen will. Denken Sie besonders an die jungen Ehen, die vielleicht wegen des Baukostenzuschusses genötigt sind, ein höheres Darlehen aufzunehmen, es vielleicht auch schon aufgenommen haben und nun durch diese jetzt vorgesehene erhöhte Besteuerung wesentlich betroffen werden, weil ihre finanziellen Berechnungen nicht mehr zutreffen. Bedenken Sie bitte, daß z. B. die Differenz zwischen der gemeinsamen oder getrennten Veranlagung bei einem Betrag von je 600 DM allein 148 DM ausmacht; das ist gerade die Summe, die man bei einem kleinen Eigenheim monatlich für Miete und Amortisation braucht. Der Unterschied, der zwischen Ihnen, Herr Finanzminister, und zwischen mir und denen, die meine Ansicht vertreten, bezüglich der Ehesteuer besteht, ist der, daß Sie sich bemühen, die Steuernivellierung nach oben zu ziehen, und ich das Bestreben habe, sie nach unten zu ziehen, d. h. wir wünschen, daß die Eheleute, gleichgültig, ob sie in selbständiger oder nicht selbständiger Arbeit, im eigenen oder fremden Betriebe tätig sind, gleichmäßig niedrig besteuert werden. Ich bin für die Senkung aus denselben Gründen, mit denen Sie, Herr Finanzminister, die allgemeine Steuersenkung begründen.
Wenn Sie heute sagen, Herr Finanzminister, daß durch diese Ehesteuer der höhere Freibetrag für die Ehefrau ermöglicht würde — übrigens erscheint mir dieser Freibetrag gar nicht so sehr hoch; besonders niedrig erscheint er mir für die Kinder, insbesondere bei mehreren Kindern —, so glaube ich das nicht. Ich glaube, daß Einsparungen viel eher auf einem anderen Gebiet erfolgen könnten, um diese allgemeine Senkung durchzubringen. Aber, Herr Finanzminister, ich habe ein sehr großes Vertrauen zu Ihnen.
Sie haben es in sehr, sehr vielen Fällen schon ermöglicht, aus einer schwierigen Situation herauszufinden und vielem gerecht zu werden.
Ich habe dieses Vertrauen, Herr Finanzminister, und wenn Sie zuhörten, würde ich mich ganz besonders freuen.
Ich habe das Vertrauen, Herr Finanzminister, daß Sie doch von der Nazigesetzgebung herunterkommen werden, und zwar so, wie ich es wünsche, und daß Sie eine finanzielle Lösung finden, die entweder Ihrem Kopf entspringt oder die Sie vielleicht mit Hilfe meiner Herren Kollegen im Ausschuß erarbeiten. Dann würden Sie alle Teile befriedigen. Ich hoffe, daß dann die Vorstufe für das Splitting-Verfahren geschaffen ist, das dann natürlich auch wieder mit Hilfe Ihres Geistes untermauert werden wird, und daß wir endlich auch zu einer wirklich gerechten Besteuerung der Eheleute kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Freudenberg.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Seuffert wird verstehen, daß auch einer der steuerlichen Lieblinge des Herrn Finanzministers einmal kurz spricht.
Es ist richtig, Herr Kollege Seuffert, daß diese Steuernovelle zweierlei bezwecken muß, daß sie einmal auf die Kauf- und Konsumkraft der Bevölkerung heben, zum andern aber auch eine gesunde Vermögens- und Kapitalbildung fördern muß. Ich glaube, daß die Ziffern, mit denen Sie brilliert haben, doch insofern ein sehr irriges Bild geben, als dabei die schwere Belastung infolge der Vermögensabgaben in keiner Weise Berücksichtigung gefunden hat.
Herr Kollege Seuffert, ich bin 'sehr glücklich darüber, zu wissen, daß die Arbeiterschaft in Deutschland klar erkannt hat, daß ohne eine gesunde Kapital- und Vermögensbildung in der Wirtschaft eine stetige und sichere Beschäftigung in keiner Weise gewährleistet ist.
Ich möchte gar nicht in den Streit über die 7er-
Paragraphen eintreten. Mir scheint, Herr Finanzminister, das Allerdringlichste zu sein, sich darüber Rechenschaft zu geben, daß die derzeitigen Abschreibungssätze unter gar keinen Umständen genügen, um die dauernde Instandhaltung unserer Anlagen zu sichern.
Nun darf ich noch ein Wort zu dem heiklen Thema der Haushaltsbesteuerung sagen. Frau Kollegin Ilk, ich möchte einen Schritt weiter gehen als Sie und den Ausschuß und den Herrn Finanzminister bitten, bei dieser Frage doch zu bedenken, daß heute mehr, als es zu irgendeiner Zeit vorher der Fall war, die Frau in jedem Haushalt mit tätig sein muß. Ich weiß nicht, ob es auf die Dauer möglich ist, zwischen der sogenannten werktätigen Frau und der im Haushalt tätigen Frau eine Trennung vorzunehmen.
Ich möchte der Meinung sein, daß die Leistung unserer Frauen in der Führung des Haushalts so groß ist, daß sie uns ja überhaupt nur dadurch die Möglichkeit schaffen, die andere Arbeit zu leisten.
Ich habe mir nun einmal die Mühe gemacht, Herr Finanzminister, zu überprüfen, was es bedeuten würde, wenn man diese heikle Frage lösen würde, indem man ähnlich wie in Amerika die Ehegatten gemeinsam veranlagt, aber dann das Einkommen halbiert und zu dem dann sich ergebenden Steuerfuß belastet. Wenn wir uns entschließen könnten, diesen amerikanischen Weg zu gehen, der vielleicht auch andere Fragen wie die der steuerlichen Vergleichbarkeit der Tarife nicht mehr so peinlich machen würde, könnten wir folgende Lösung ins Auge fassen. Sie schlagen z. B. vor, daß die steuerliche Belastung bei einem Einkommen von 10 000 DM 2037 in Steuerklasse II beträgt. Wenn man den Weg ginge, die Eheleute gemeinsam zu veranlagen, aber dann den sich zu ergebenden Betrag zu halbieren und nach der Steuerklasse I zu besteuern, so würde das bei 10 000 Mark 1650 Mark Belastung für die beiden Ehegatten ausmachen. Bei 20 000 Mark nach Ihrem Vorschlag 6009, nach dem von mir gemachten Vorschlag 5430. Bei 40 000, DM nach dem Regierungsvorschlag 14 992 DM Steuer, nach meinem Vor-
schlag 14 430 DM. Bei 80 000 DM nach dem Regierungsvorschlag beträgt die Steuer 35 543 DM, nach meinem Vorschlag 35 670 DM. Herr Kollege Seuffert, es wird Sie beruhigen, daß die „Lieblinge" durch meinen Vorschlag nicht weiter begünstigt werden. Darüber hinaus wird endlich der Streit beseitigt, ob die Frau, die im Haushalt tätig ist, anders behandelt werden soll als die Ehefrau, die berufstätig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist daran gelegen, anläßlich der Beratung der Steuerreform ein besonderes Anliegen, das wir haben, nochmals mit Nachdruck zu unterstreichen. Es ist das Anliegen, unter allen Umständen den größeren Familien insbesondere auch unseres Mittelstandes im Zusammenhang mit der Steuergesetzgebung besser zu helfen.
Ich habe anläßlich der letzten Haushaltsberatung schon ausgeführt, daß die Vorschläge, wie sie hier vorliegen, eine Erhöhung des steuerfreien Betrags für die Ehefrau um ein Drittel vorsehen, während für das erste und zweite Kind überhaupt keine und für das dritte und die weiteren Kinder nur eine Erhöhung des steuerfreien Betrages um 20 % eintreten soll. Bei dieser Regelung wird die Steuerbelastung im Gesamtergebnis eindeutig etwas mehr auf die großen Familien verlagert.
Inzwischen habe ich mir die Unterlagen darüber beschaffen können, wie die Steuerbelastung der Familien vor dem Kriege gewesen ist und wie sie sich nach der neuen Vorlage stellt. Dabei ergibt sich zunächst, daß bei den kleinen Einkommen von 2000 oder 4000 DM im Jahr sich die steuerfreien Beträge so auswirken, daß auch bei den größeren Familien die Steuern heute geringer sind als vor dem Kriege oder heute ganz entfallen. Ein Vergleich bei der mittelständischen Schicht zeigt aber, daß die Steuerbelastung hier 'erheblich höher ist als vor dem Kriege und daß sie um so mehr steigt — im Verhältnis zu den Sätzen, die vor ,dem Kriege galten —, je größer die Zahl der Kinder ist. Ich darf das kurz belegen und dabei ein Einkommen von 6000 DM im Jahr, d. h. also einen Betrag von 500 DM im Monat zugrunde legen, das ja wohl zur Mittelstandsgruppe gehört. Vor dem Kriege zahlten die Ledigen bei 6000 Mark Einkommen 1024 Mark Jahressteuer. Nach der neuen Vorlage sind es 975 DM, so daß der Ledige heute besser steht als vor dem Kriege. Der Verheiratete ohne Kinder zahlte bei dem gleichen Einkommen vor dem Kriege 640 DM, nach der Vorlage heute 761 DM. Seine Steuer wird also um 20 % erhöht, während der Ledige eine Ermäßigung erfährt.
Der Verheiratete mit einem Kind hatte vor dem Kriege 492 Mark zu zahlen, jetzt aber 612 DM, was einer Steigerung um 25 % gegenüber der Zeit vor dem Kriege entspricht. Bei dem Verheirateten mit zwei Kindern ist die Steigerung noch größer, und zwar von 376 Mark vor dem Kriege auf 477 DM nach der Vorlage. Bei Verheirateten mit drei Kindern steigert sich der Steuersatz gegenüber der Vorkriegszeit abermals, nämlich von 242 Mark auf 334 DM, also um etwa 35 %. Bei vier Kindern betrug der Steuersatz vor dem Krieg 124 Mark; er beträgt nach der Vorlage 212 DM, steigert sich also um 75 %. Bei fünf Kindern belief er sich vor dem Kriege auf 21 Mark; er beläuft sich nach der Vor-
lage auf 112 DM, ist also um 400 % höher, d. h. ausgerechnet bei der Familie mit fünf Kindern muß mehr als das Fünffache des vor dem Kriege zu entrichtenden Steuerbetrages gezahlt werden. Wenn wir die Dinge entsprechend der höheren Kinderzahl weiter verfolgen, stellen wir die gleiche Entwicklung fest. Vergleichen wir ein Jahreseinkommen von 12 000 DM, also 1000 DM im Monat — ich will auf die Zahlen im einzelnen verzichten —, so ergibt sich die gleiche Entwicklung in noch wesentlich stärkerem Ausmaß.
Wenn wir hier die Forderung geltend machen, daß auch gegenüber den mittelständischen größeren Familien eine vermehrte steuerliche Rücksicht walten muß, so tun wir das nicht in der Absicht, dem Herrn Finanzminister das Risiko, das er mit dieser Vorlage eingeht, irgendwie zu vergrößern, sondern lediglich mit dem Ziel, die kleine Verlagerung von den einzelnen und den Kleinstfamilien zugunsten der größeren Familien vorzunehmen, die erforderlich ist, um den größeren Familien bessere steuerliche Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Wir wollen gar nicht so weit gehen, die Regelung beim ersten und zweiten Kind unbedingt anzutasten; aber vom dritten Kinde ab und bezüglich der weiteren Kinder, für die Familien, wo wirklich eine Milderung gebotener ist denn irgendwo, muß eine fühlbare weitere Erhöhung des steuerfreien Betrags Platz greifen. Das finanzielle Ergebnis kann ohne weiteres durch anderweitige Festsetzung der sonstigen Steuertabelle ausgeglichen werden. Da wir nur 15 % Kinder in der Bundesrepublik haben, die dritte und nachfolgende Kinder sind, kann diese Frage überhaupt keine wesentliche Rolle spielen.
Ich möchte diese Gesichtspunkte und diesen Tatbestand hier im Plenum als Grundlage für die Ausschußberatungen doch auch einmal vorgetragen haben mit der dringenden Bitte an alle Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß, den sozialen Erfordernissen der Familie in genügendem Ausmaß Rechnung zu tragen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich habe in der Tat nicht eigentlich verstanden, was Ihre Vergleiche mit der Steuerbelastung der Kontrollratsgesetze sollten. Ich habe keinen einzigen Vergleich mit den Tarifen von 1946 gebracht, die ich tatsächlich für extraordinär und nicht vergleichbar halte. Ich habe lediglich Vergleiche mit den Tarifen von 1939 und 1948 gebracht, die aus den von Ihnen selber gegebenen Zahlen hervorgehen. Die Kontrollratsgesetze habe ich wirklich in dieser Beziehung gänzlich außer Betracht gelassen.
Sie haben Zweifel an der Richtigkeit der von mir vorgelegten Zahlen über die Durchschnittsbelastung der großen und größten Einkommen ausgesprochen. Ich habe die amtliche Statistik vor mir und kann sie Ihnen gern zur Verfügung stellen. Ich nehme aber ohne weiteres an, daß sie Ihrem Ministerium bekannt ist. Wie es zugeht, daß diese Belastung so gering ist, 'darüber weiß ich so wenig und so viel wie Sie selbst, Herr Bundesfinanzminister. Aber ich kann mir nicht helfen, die Zahlen sind so, und ich habe keine anderen.
Nun zu dem, was Sie uns über die Verteilung des Steuerausfalls gesagt haben, der sich aus dieser Steuersenkung ergibt! Ich weiß gar nicht, warum man immer von einer Steuer „reform" spricht; irgend etwas Reformatorisches hat diese Vorlage doch weiß Gott nicht an sich. Eis ist eine ganz gewöhnliche und' ohne weitere Gedanken durchgeführte Senkung.
— Abgeschafft?
Wenn man ein bißchen befristet, kann man das nicht eine Steuerreform nennen.
Nun, was Ihre Zahlen anlangt, Herr Bundesfinanzminister, so habe ich sie mir ungefähr so vorgestellt. Vor allen Dingen geht aus diesen Zahlen hervor, daß in der Tat jährlich 250 oder, genau geschätzt, 241 Millionen DM Steuererleichterung für Einkommen über 50 000 DM jährlich vorgesehen sind, wobei bisher mit keinem Wort auch nur angedeutet worden ist, wieso diese Einkommen in der heutigen Lage eine derartige Entlastung brauchen. Von den 688 Millionen, die Sie für die kleinen Einkommen bis 8000 DM ausrechnen, erlaube ich mir die 120 Millionen — oder, wenn ich Sie recht verstanden habe, das Doppelte — abzuziehen, die Sie durch die Verschärfung der Haushaltsbesteuerung wieder hereinbekommen wollen. Denn die Frauen der reichen Leute gehen ja nicht in die Fabrik zur Arbeit. Diese Zahlen zeigen gerade, Herr Bundesfinanzminister, daß man sehr wohl auf diesen Eingang in die Kasse aus der verschärften Haushaltsbesteuerung verzichten kann, ohne die Freibeträge der Ehefrauen anzutasten — wie Sie gestern gesagt haben — oder sonst an den Grenzen der Möglichkeiten zu stehen. Es gibt in dieser Steueraufstellung durchaus Ausfallbeträge, auf die man leichten Herzens verzichten kann, viel leichteren Herzens als auf das, was Sie durch die stärkere Besteuerung der mitverdienenden Ehefrauen hereinholen wollen.
Herr Kollege Pelster, Sie tun nicht recht daran, uns hier einen Änderungsantrag vorzuhalten, den wir vor zwei Jahren als letzten Kompromißvorschlag gebracht haben in der Hoffnung, dafür eine Mehrheit zu finden. Wir haben ja damit auch zunächst eine Mehrheit gefunden; denn damals war in derartigen Fragen noch eine gewisse Mitarbeit bei den Herren Gewerkschaftskollegen auf Ihrer Seite zu verspüren. Da ist ja allerdings inzwischen auch schon ziemlich Ordnung geschaffen worden.
Inzwischen hat sich einiges verändert. Lebenshaltungskosten und Gehaltszahlen haben sich verändert, und auch die Steuerlage hat sich verändert. Wenn das, was der Herr Bundesfinanzminister immer noch beharrlich vorschlägt, hier durchgeführt würde, so wäre das — und das möchte ich festhalten — der einzige Fall einer Steuererhöhung seit der Währungsreform. Ausgerechnet an diesem Punkte, bei den mitverdienenden Ehefrauen will man dieses einzige Exempel einer Steuererhöhung statuieren! Ich glaube, dazu ist hier am allerwenigsten Veranlassung.
Herr Kollege Freudenberg, natürlich verstehe ich Ihre Worte sehr gerne. Es ist gestern auch vom Kollegen Wellhausen darauf hingewiesen worden,
daß die hohen und höchsten Einkommen zu einem erheblichen Teil mit den Personalgesellschaften zusammenhängen. Ich bitte Sie aber doch einmal, mit Ihrem Herrn Finanzminister zu reden, der ja in der Begründung zu dieser Gesetzesvorlage ausdrücklich geschrieben hat, daß es sein Ziel sei, die Betriebssteuer zu verhindern, die Betriebssteuer, die in dieser Frage einzig und endlich einmal Abhilfe schaffen könnte.
Ich will mich jetzt auf diese wenigen Bemerkungen beschränken. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben in den Zeitungen das untere Ende Ihrer neuen Steuertabelle teilweise abdrucken und den kleinen Leuten mitteilen lassen, was sie an einigen Mark und Pfennigen an Steuerermäßigungen bekommen sollen.
Ich glaube, wir werden auch das obere Ende Ihrer Tabelle der Öffentlichkeit bekanntmachen müssen, damit sie ein vollständiges Bild und eine wirkliche Grundlage hat, um diese Steuersenkung beurteilen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.
— Verzichtet. — Damit ist die Rednerliste erschöpft. Keine weiteren Wortmeldungen.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Es ist vorgeschlagen, die unter Punkt 3 a und unter Punkt 3 c der Tagesordnung genannten Entwürfe an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu verweisen, den unter Punkt 3 b genannten Entwurf dagegen an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus damit einverstanden?
— Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr auf den Punkt 5 der gestrigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht (Nr. 4131 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Kleindinst.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich mit wenigen Worten zu der schriftlichen Begründung und zu dem Schriftlichen Bericht*) den Gesetzentwurf einführe. Diesen Gesetzentwurf hat ja der Herr Bundesfinanzminister schon im Frühjahr des vorigen Jahres in Aussicht gestellt. Wir haben ihn wegen der Eilbedürftigkeit neben dem Bundesbeamtengesetz beraten. Das Bundesbeamtengesetz werden wir Ihnen in aller Kürze zur Beratung und Beschlußfassung ohnedies vorlegen. Das Wesentliche an diesem Gesetzentwurf ist die Verbesserung des Wohnungsgeldzuschusses, bei dem insbesondere die
*) Vgl. Anlage 1 Seite 12193. Kinderzahl berücksichtigt werden wird. Wir mußten dabei auch dem Gleichheitsgedanken und dem Gleichheitssatz — Beamter und Beamtin — Rechnung tragen. Wir haben den Weg gesucht. daß wir bei einer Ehe von zwei im öffentlichen Dienst des Bundes stehenden Ehegatten jedem den Wohnungsgeldzuschuß der nächstniedrigeren Tarifklasse zugestehen, wenn sie keine Kinder haben. Wenn sie aber ein Kind haben, erhält der Ehegatte mit dem höheren Gehalt den vollen Wohnungsgeldzuschuß, der andere den der nächstniedrigeren Tarifklasse. Auf diesem Weg suchten wir den Gleichheitssatz zu verwirklichen, ohne daß in seiner Folge beide Ehegatten den vollen Wohnungsgeldzuschuß für die gemeinsame Wohnung erhalten sollen.
Die Lehrkräfte, insbesondere die Volksschullehrer, haben wir in dem Gesetzentwurf nicht etwa deshalb behandelt, weil sie als Berufsstand ihre Interessen besonders wirksam vertreten hätten, sondern aus dem folgenden Grunde: Die Lehrervorbildung befindet sich in verschiedenen Ländern in der Umgestaltung zu höheren Anforderungen, und deshalb müssen diejenigen, die sich dem Lehrberuf zuwenden, wissen, ob die Träger der Schule bereit sind, ihren Erwartungen in bezug auf Besoldung und Vorrückung Rechnung zu tragen.
Das Ortsklassenverzeichnis soll nicht etwa vollständig neugestaltet werden, sondern es soll nur in Fällen, in denen durch Grenzlage, Standortverschiebungen der Wirtschaft und Bevölkerungsveränderungen ein dringendes Bedürfnis hervorgetreten ist, eine Veränderung erfahren. Die Ortsklasse D soll gestrichen werden.
In bezug auf die Besoldungsverhältnisse, wie sie mit dem 1. April eintreten sollen, ist zu sagen, daß es sich überwiegend oder im großen und ganzen um eine Umwandlung der zwei einmaligen Zahlungen des vergangenen Jahres in laufende Bezüge handelt, die nicht etwa nach dem früheren Satz von 20 % auf Grund der Gesamtbezüge erhöht werden sollen, sondern nur auf Grund der Stammgrundgehälter.
Bei den übrigen Einzelheiten handelt es sich im wesentlichen um Anpassungen an verschiedene Gesetze, insbesondere an das Bundesbahngesetz, und um Einfügungen neuer Stellen, die infolge neuer Verwaltungseinrichtungen notwendig geworden sind. Bezüglich dieser Einzelheiten darf ich Sie auf den Schriftlichen Bericht verweisen. Nur muß ich Sie bitten, in der Anlage der Tabelle der Drucksache Nr. 4131 auf Seite 26 bei „Wohnungsgeldzuschuß" auf der rechten Seite eine Zahl zu berichtigen. Es heißt dort bei „Sonderklasse A" Ortsklasse II statt „1822" „1872". Diesen Druckfehler haben wir erst heute entdeckt. Die Korrektur muß vorgenommen werden, damit Unrichtigkeiten vermieden werden.
Da die beiden beteiligten Ausschüsse — der Ausschuß für Beamtenrecht und der Haushaltsausschuß — dem Entwurf einstimmig zugestimmt haben, bitte ich ebenfalls um Annahme.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten ein in die
zweite Beratung.
Ich rufe auf § 1. Hierzu ist ein Antrag der kommunistischen Gruppe auf Änderung der Ziffer 6 angekündigt worden. Wird nicht begründet?
— Ihr Antrag liegt zu Ziffer 6 des § 1 vor. Ich habe den ganzen § 1 aufgerufen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Bisher erhalten die Beamten für jedes eheliche Kind bis zum Alter von 24 Jahren eine monatliche Kinderzulage von 20 DM. Das vorliegende Gesetz in der Fassung des Beamtenrechtsausschusses sieht nunmehr eine Erhöhung in drei verschiedenen Stufen vor: 25 DM monatlich für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahre, 30 DM monatlich bis zum vollendeten 14. Lebensjahre und 35 DM monatlich bis zum vollendeten 24. Lebensjahre.
Mit dem Änderungsantrag meiner Fraktion soll erreicht werden, daß insbesondere den jüngeren Beamten geholfen wird, jenen mit kleinen Kindern und Kindern bis zum Alter von 14 Jahren; das sind also zum größten Teil Jene Beamten in den kleineren und mittleren Gehaltsgruppen.
Wir beantragen daher, 30 DM monatlich für Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahre und 40 DM monatlich für Kinder im Alter von 14 bis 24 Jahren zu zahlen. Das ist der Betrag, der selbst in der Regierungsvorlage vorgesehen war. Es kann nicht bestritten werden, daß für Kinder, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, besondere Aufwendungen an Bekleidung, Lernmitteln usw. erforderlich sind.
Damit glaube ich die Berechtigung dieses Änderungsantrags ausreichend begründet zu haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen über den kommunistischen Antrag Umdruck Nr. 783 Ziffer 1. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die Annahme des § 1 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe. —
— Gegen einige Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 2. — Dazu ist kein Änderungsantrag angekündigt. Zu § 3 ebenfalls nicht, zu § 4 ebenfalls nicht. — Zu § 5 nichts. — § 6 entfällt. — Dann § 6 a. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe. —
— Gegen einige Enthaltungen angenommen.
Nun rufe ich auf § 6 b. Auch hier ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe angekündigt: Umdruck Nr. '783 Ziffer 2. Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion beantragt die Neufassung des § 6 b wie folgt.
An Stelle der im Haushaltsjahr 1952 gewährten einmaligen Zulagen erfolgt eine 20 %ige ruhe-gehaltsfähige Gehaltserhöhung auf den derzeitigen Stand der Besoldung sowie eine entsprechende Erhöhung der Versorgungsbezüge I und Übergangsgehälter, rückwirkend ab 1. Januar 1953.
Mit dieser Fassung soll ereicht werden, daß dem Beamten eine ruhegehaltsfähige Gehaltserhöhung von 20 % auf den derzeitigen Stand der Besoldung gegeben wird. Der derzeitige Stand der Besoldung steht auf 120 gegenüber 100 im Jahre 1927. Auf diesen Stand von 120 soll eine 20 %ige Zulage erfolgen und nicht, wie im Vorschlag des Beamtenrechtsausschusses vorgesehen, 20 % auf den Gehaltsstand von 1927.
Weiter beantragen wir, daß diese Erhöhung rückwirkend ab 1. Januar 1953 gezahlt wird.
Diese Regelung entspricht ganz den Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die Beamten. In einer Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 29. Dezember 1952 wird unter anderem gesagt:
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert als Sofortmaßnahme die Gewährung einer laufenden ruhegehaltsfähigen prozentualen Zulage auf das augenblickliche Grundgehalt sowie eine entsprechende Erhöhung der Versorgungsbezüge und Übergangsgehälter mit Wirkung vom 1. Januar 1953.
Der von meiner Fraktion gestellte Änderungsantrag entspricht also in jeder Weise dieser Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Wir sind außerdem der Meinung, daß die im Jahre 1952 gewährten einmaligen Zahlungen zu den Gehältern nicht in Berechnung gestellt werden dürfen. Das darf deshalb nicht geschehen, weil durch die Neuregelung auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzes keineswegs ein gerechter Ausgleich zwischen den Beamtengehältern und der zu verzeichnenden Teuerung der Lebenshaltung erfolgte.
Für diese meine hier vorgetragene Auffassung gebe ich Ihnen aus einer Statistik des Instituts für Konjunkturforschung in München einiges zur Kenntnis, um Ihnen klarzulegen, wie entwertet die Gehälter vom Jahre 1936 gegenüber dem Stand von 1952 sind. Hier wird gesagt: Wenn man die Bruttogehälter vom Jahre 1936 mit denen von 1952/53 vergleicht, dann müßten für ein Bruttogehalt von 200 Mark im Jahre 1936 heute 347 DM gezahlt werden. Das sind also 74 °/o mehr. Nach dem vorliegenden Gesetz kommen aber nicht einmal 40 °/o Erhöhung in Frage. Bei einem Gehalt von 300 Mark im Jahre 1936 müßten heute entsprechend der Verteuerung der Lebenshaltung eigentlich 551 DM gezahlt werden. Bei einem Gehalt von 400 Mark im Jahre 1936 müßten heute nach dieser Statistik 803 DM, d. h. 101 % mehr gezahlt werden. Tatsache ist, um es noch einmal zu sagen, daß heute nach diesem Gesetz nicht einmal 40 % mehr gezahlt werden. Ein Bruttogehalt von 500 RM im Jahre 1936 würde entsprechend der Verteuerung der Lebenshaltung und der Steuerbelastungen heute ein Einkommen von monatlich 1086 DM erfordern, und ein Bruttoeinkommen von 600 RM im Jahre 1936 würde in Verbindung mit der Steuerbelastung und der Verteuerung der Lebenshaltung heute ein Einkommen von 1383 DM erforderlich machen. Das sind 131 %, also fast 100 % weniger, als was in Wirklichkeit gegenüber
dem Stande von 1936 gezahlt werden müßte. Das zeigt also, wie dringend es geradezu ist, dem Änderungsantrag meiner Fraktion die Zustimmung zu geben.
Die Streichung des § 6 c Ziffern 1 und 2 ergibt sich aus der von mir begründeten Neufassung des Paragraphen.
Die vorstehenden Zahlen zeigen eindeutig den Entwertungsprozeß und fordern geradezu eine Erhöhung zum mindesten in dem Umfang, der in meinem Antrag gefordert wird.
— Sehr, sehr bescheidene gewerkschaftliche Forderungen!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich lasse abstimmen.
Wer für den Änderungsantrag Umdruck Nr. 783 Ziffer 2 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer für § 6 b in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 6 c. Sie wollen wohl keine weitere Begründung geben? — Dann lasse ich abstimmen über den Antrag Umdruck Nr. 783 Ziffer 3. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt! Wer für § 6 c in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei haltungen angenommen.
Ich rufe auf § 7. Wird auf die Begründung des Änderungsantrags verzichtet? — Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck Nr. 783 Ziffer 4.
Jawohl, jawohl, es muß sein! Es müssen einige Wahrheiten gesagt werden.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion beantragt die Streichung des zweiten Satzes des § 7.
§ 7 besagt, daß Beamte, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes im Amt sind, bei ihrer Überleitung in die Besoldungsgruppe A 8 a ihr bisheriges Besoldungsdienstalter behalten. Im zweiten Satz erfolgt aber dann eine Einschränkung dahin, daß das Besoldungsdienstalter erst mit der Vollendung des 26. Lebensjahrs beginnt. Diese Einschränkung bedeutet eine Benachteiligung gerade der jungen Beamten, die nach unserer Auffassung durch nichts gerechtfertigt ist. Schon damals, als wir hier zu dem zweiten Gesetz zur Änderung des Besoldungsrechts Stellung nahmen, wurde bereits die Meinung des Beamtenrechtsausschusses von der Mehrheit vertreten, daß diese Ungerechtigkeit beseitigt werden müsse. In der heutigen Gesetzesvorlage ist sie erneut enthalten. Wir halten diese Bestimmung für ungerecht und beantragen deshalb ihre Streichung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen.
Wer für die Annahme des Änderungsantrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die §§ 7, 7 a, 9, 10 und 11 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 12. Auch hier ist ein Antrag der kommunistischen Gruppe angekündigt. Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! § 12 in der Ausschußfassung sieht vor, daß dieses Gesetz am 1. Januar 1953, Kapitel IV b jedoch erst am 1. April 1953 in Kraft tritt. Diese Regelung entspricht weder den früher gemachten Versprechungen des Bundesfinanzministers noch den berechtigten Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Meine Fraktion beantragt deshalb
eine Änderung des § 12 wie folgt:
Dieses Gesetz tritt mit Wirkung ab 1. April 1952, Kapitel IV b jedoch am 1. Januar 1953 in Kraft.
Ich verweise nochmals auf die Tatsache, daß die vorgesehene Erhöhung der Bezüge der Beamten keineswegs der Verteuerung der Lebenshaltung entspricht. Jeder ,von Ihnen weiß, daß große Teile der Beamtenschaft sehr verschuldet sind. Angesichts dieser Tatsache ist der von meiner Fraktion gestellte Änderungsantrag in jeder Weise gerechtfertigt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme dieses Änderungsantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer für § 12 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich hatte vorher, als ich die Paragraphen hintereinander aufrief, vergessen, § 8 mit zu erwähnen. Ich nehme an, daß der Paragraph als mit abgestimmt gilt.
Dann ist noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf 1,—§2,—§ 3,—§4,—§5,—§ 6 a,—§6 b,—§ 6c,—§ 7,—§ 7a,—§ 8,—§ 9,—§ 10,§ 11, — § 12, — Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben von seinem Platz zu bezeugen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist dieses Gesetz angenommen.
Es ist nunmehr noch über die weiteren Anträge des Ausschusses abzustimmen. Sie finden sich auf Seite 5 des Ausschußberichts unter Ziffer 2 und Ziffer 3. Wer für die Annahme dieser Vorschläge ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe, entsprechend der Vereinbarung der
Fraktionen, Punkt 3 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sabel, Richter, Determann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 (Nr. 4135 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Nr. 4155 der Drucksachen).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Da der Ausschuß für Arbeit erst gestern abend tagen konnte, war es nicht möglich, einen schriftlichen Bericht vorzulegen. Ich darf daher über diesen Punkt der Tagesordnung mündlich berichten.
Die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Rechtsverordnung oder, einfacher gesagt, Wahlordnung ist bedauerlicherweise noch nicht erlassen. Sie ist inzwischen vom Kabinett verabschiedet
und liegt morgen dem Bundesrat vor; sie kann also frühestens am nächsten Montag rechtskräftig werden.
Da durch ein Nachtragsgesetz der Termin für den Fristablauf bei den Betriebsräten auf den 31. März 1953 festgelegt war, hatten sich Bedenken für die Durchführung der Wahlen ergeben, die eine Reihe von Abgeordneten zur Einbringung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 4135 veranlaßten. Dieser Gesetzentwurf ist gestern von ihnen in der ersten Beratung an den Ausschuß für Arbeit verwiesen worden. In der Aussprache im Ausschuß bestand sofort Übereinstimmung darüber, daß die in § 2 vorgesehene Fristverlängerung auf den 14. Mai notwendig sei. Der Ausschuß betonte darüber hinaus, daß die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes bei allen Wahlen beachtet werden müssen, daß also Wahlordnungen, die gegen dieses Gesetz verstoßen, ungültig sind.
Gegen § 1 des neu vorgelegten Gesetzentwurfs wurden Bedenken geltend gemacht, die einmal dahin gingen, daß es nicht zweckmäßig sei, für alle durchgeführten oder eingeleiteten Wahlen einen Generalkonsens zu bewilligen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß der Begriff „eingeleitet waren" einer Auslegung bedürfe. Der Ausschuß hat daraufhin Vertreter der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft angehört und ist anschließend zu der Vereinbarung gekommen, die ihren Niederschlag in der Ihnen jetzt vorliegenden Drucksache Nr. 4155 gefunden hat.
Darin ist zunächst in § 1 der Begriff „eingeleitet waren" ersetzt worden durch die Worte „durch Erlaß des Wahlausschreibens eingeleitet waren". Man hat sich damit an den Wortlaut der Wahlordnung, die jetzt in Vorbereitung ist und die in nächster Zeit verabschiedet werden wird, gehalten, die in § 3 sagt:
Mit dem Erlaß des Wahlausschreibens ist die Betriebsratswahl eingeleitet.
Man hat damit eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Wahlen, die jetzt eingeleitet worden sind, und denen, die erst auf Grund der Wahlordnung durchgeführt werden, herbeigeführt.
Die Einigung über diesen Punkt ist im wesentlichen dadurch herbeigeführt worden, daß sowohl der Vertreter des DGB als auch der des Ministeriums für Arbeit erklärten, daß die Wahlordnungen, nach denen die jetzt eingeleiteten Wahlen durchgeführt werden sollen, bis auf drei Punkt mit der jetzt zu erlassenden Wahlordnung übereinstimmen. Davon wurde allgemein ein Punkt als unerheblich bezeichnet. Der Vertreter des DGB erklärte, daß er die Wahlordnung für die jetzt schon eingeleiteten Wahlen in den beiden anderen Punkten entsprechend abändern würde. Damit war die Grundlage für die Einigung über § 1 geschaffen.
§ 2 soll, wie ich schon ausführte, unverändert bleiben. — Es hat sich dann noch als notwendig erwiesen, einen § 2 a einzufügen des Inhalts, daß dieses Gesetz auch für Berlin gilt.
Sie finden die Beschlüsse des Ausschusses auf Drucksache Nr. 4155. Der Ausschuß hat mich beauftragt, Sie zu bitten, seinen Beschlüssen ebenfalls Ihre Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Ich rufe auf zur zweiten Beratung § 1. — Keine Wortmeldungen. — § 2, —§ 2 a, — § 3, - Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Paragraphen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Gegen einige Enthaltungen angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Ich komme zur Abstimmung: § 1, — § 2, —§ 2 a, — § 3, — Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme dieser Bestimmung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Gegenprobe! – Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Auf Grund der zu Beginn der Verhandlungen getroffenen Vereinbarungen rufe ich auf den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP: Entwurf eines Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts (Drucksache Nr. 4156).
Nach der Vereinbarung soll auf eine Aussprache verzichtet werden. Es ist Überweisung dieser Vorlage an die Ausschüsse für Arbeit und Beamten-
recht beantragt, wobei davon ausgegangen wird,
daß ein gemeinsamer Unterausschuß gebildet wird.
— Das Haus ist einverstanden; dann ist so beschlossen.
Dann rufe ich auf Punkt 9 der gestrigen Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Energienotgesetzes .
Ich rufe auf zur
ersten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die erste Beratung ist geschlossen.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung:
§ 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei einigen Enthaltungen angenommen.
— Sie haben dagegen gestimmt; also gegen einige Nein-Stimmen angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich eröffne die Einzelbesprechung: § 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. — Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 5 a und b der heutigen Tagesordnung:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Saargebiet ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Saarwahlen vom 30. November 1952 .
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herrn! Es ist natürlich unmöglich, diese Anfrage zu beraten, wenn der Herr Bundeskanzler nicht zugegen ist. Ich weiß nicht, ob er schon im Hause ist oder ob er noch kommt. Jedenfalls bitte ich, Herr Präsident, zunächst einige andere Tagesordnungspunkte vorwegzunehmen, bis der Herr Bundeskanzler zugegen ist.
Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist es wohl das Klügste, bis die Frage geklärt ist, wann der Herr Bundeskanzler kommt,
einige Angelegenheiten, die rasch erledigt werden können, aufzurufen.
Das wäre zunächst Punkt 6 der gestrigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Verkauf eines Teils des ehemaligen Heereszeugamtes in Ulm, Söslingerstraße 96, an die Firma Telefunken Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH. in Berlin SW 61, Mehringdamm 32-34 .
Das Haus verzichtet auf Entgegennahme einer mündlichen Begründung und ist damit einverstanden, daß die Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen wird?
— Dann ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der gestrigen Tagesordnung: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung des Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem reichseigenen Grundstück in Wilhelmshaven an der Gökerstraße, ehem. Bauwerft der Kriegsmarine .
Hier wird wohl in gleicher Weise verfahren werden können. Überweisung an den Haushaltsausschuß?
— Das Haus hat so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Naegel, Dr. Schöne, Dr. Preusker und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes betreffend Verlängerung der Geltungsdauer von Vorschriften auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft .
Ich rufe auf zur ersten Beratung dieses Gesetz-
entwurfes. Wird auf Entgegennahme der Begründung verzichtet?
— Dann schließe ich, wenn keine Wortmeldung erfolgt, die erste Beratung.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung:
§ 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. Wer für
die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
§ 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Dann noch Punkt 12 der gestrigen Tagesordnung: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich nehme an, daß hier eine besondere Begründung nicht erwartet wird. Wer für den interfraktionellen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Auch dieser Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Der Herr Bundeskanzler ist eben gekommen. Ich rufe darum Punkt 5 der Tagesordnung von heute auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Saargebiet ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Saarwahlen vom 30. November 1952 .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Mommer. Begründen Sie auch den Antrag?
— Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage und des Antrags hat der Abgeordnete Mommer.
Dr. Mommer , Anfragender und Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns Sozialdemokraten ist in der Politik nichts geregelt, solange es nicht in Freiheit und Gerechtigkeit geregelt ist. Bis man das nicht auch von der Saarfrage sagen kann, werden wir sie hier immer wieder zur Sprache bringen. Wir werden Wächter und Mahner in dieser wichtigen nationalen und demokratischen Angelegenheit sein.
Die letzte Debatte haben wir hier vor den Landtagswahlen im Saargebiet gehabt. Damals haben die Bundesregierung und der Bundestag gegen diese Wahlen protestiert, weil sie ohne Gewährung der demokratischen Freiheiten für Presse, für Parteien, für die Abhaltung von Versammlungen, die Aufstellung von Kandidaten usw. stattfanden. Wir haben gesagt, daß wir das Resultat dieser Wahlen nicht anerkennen werden, daß wir den Landtag und die Regierung, die aus den Wahlen hervorgehen würden, nicht anerkennen könnten. Aber es ist eine interessante Tatsache, daß es die Diktatoren und die Polizeistaaten immer wieder fertigbringen, mit dem bloßen Wahlritus den Eindruck zu erwecken, als hätten echte freie Wahlen stattgefunden. Es ist nicht erstaunlich, daß sich die interessierten Separatisten, daß sich die französische Regierung und andere westliche politische Kräfte, die bei der Separation der Saar mitgewirkt haben, in dieser Frage demokratisch anspruchslos erwiesen haben, daß sie diese Wahlen als freie Wahlen dargestellt haben. Es ist aber sehr erstaunlich, daß sich weite Kreise der öffentlichen Meinung in Deutschland auch so verhalten haben, als hätten freie Wahlen, j a sogar ein Plebiszit nach allen guten Regeln demokratischer Staatskunst stattgefunden.
Mit der Schwäche der Analyse des Ergebnisses jener Wahl ging immer die Schwäche in der politischen Haltung Hand in Hand. Man machte in Deutschland in Defätismus. Leider müssen wir sagen, daß auch der Herr Bundeskanzler zu den Defätisten gehörte. Und nicht nur Sozialdemokraten waren es, die behaupteten, daß ihm dieser politische Defätismus gelegen kam. Die Saar-Politik des Bundeskanzlers hat seit langem nicht zur Stärkung der deutschen Sache und der deutschen Position an der Saar, sondern zu ihrer Schwächung geführt.
Aber wie in der sowjetischen Besatzungszone, so braucht auch an der Saar die deutsche Bevölkerung die Überzeugung, daß wir in der Bundesrepublik unseren Rechtsanspruch nicht aufgeben und daß wir von unserem Willen zur Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 nicht ablassen.
Man muß doch wissen, daß das Saargebiet erst verloren ist, wenn es von uns verloren gegeben wird. Die Bundesregierung scheint das nicht immer zu wissen; jedenfalls handelt sie nicht immer danach.
Die Europa-Politik der Bundesregierung hat dazu geführt, das in der Saar-Frage nicht nur leise- getreten wird, sondern daß man sogar allen Boden unter den Füßen verloren hat.
Ein Beispiel: Sie haben alle die Jahresbilanz der Bundesregierung für das Jahr 1952 vor Augen gehabt, jenen Bericht, der uns allen zugestellt worden ist. Dort suchen Sie vergeblich das Wort Saar-Frage unter dem Kapitel Wiedervereinigung Deutschlands. Die Abschreibung der Saar ist bei der Bundesregierung so weit gediehen, daß Sie sie nur unter den Erinnerungsposten finden; Sie finden dort eine Überschrift, die lautet: „Einzelfragen": Saar, Ägypten, Israel. Das laßt doch für die Einstellung, die die Bundesregierung zu dem Saarproblem hat, das ein Problem der Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 ist, tief blicken. Entsprechend hat man in der internationalen Diskussion nicht mehr mit der unverzichtbaren Forderung nach den demokratischen Freiheiten an der Saar und mit der staatsrechtlichen These argumentiert, daß es sich hierbei um ein Teilgebiet Deutschlands handelt, sondern die Argumentation ist dazu übergegangen, „europäisch" sein zu wollen und sich mit der Forderung zu begnügen, einen europäisch gerechten Anteil an Wirtschaft und Politik der Saar zu haben.
Es ist sehr begreiflich, daß in Saarbrücken und Paris der Defätismus, der in der Bundesrepublik systematisch begünstigt worden ist, ausgenützt wurde. Offiziell hat man dort die Wahlen vom 30. November als einen großen Sieg gefeiert. Aber man war sich bewußt, daß man solcher „Siege" nicht viele vertragen könne. Schon in der Regierungserklärung der neuen Regierung hat Herr Johannes Hoffmann verschärfte Unterdrückungsmaßnahmen gegen alle oppositionellen Regungen angekündigt. Die Bundesregierung hat zu dieser Ankündigung geschwiegen, obschon sie Drohungen gegen jene Männer enthielt, die vor den Wahlen mit dem Bundeskanzler Unterhaltungen gepflogen haben. Die Durchführung hat nicht auf sich warten lassen. Man hat eine Reinigung des Verwaltungsapparats von allen „unzuverlässigen" Elementen und eine Reihe von Ausweisungen vorgenommen, die natürlich „Ausländer" betrafen. Diese „Ausländer" sind Deutsche aus der Bundesrepublik, die nicht über den Paß der „Saar-Nation" verfügen. Man hat eine deutsche Zeitung, die regelmäßig eine Saar-Seite brachte, verboten und ihren Korrespondenten ausgewiesen.
Der Höhepunkt in den Unterdrückungsmaßnahmen ist schließlich mit dem Verbot der Bergarbeitergewerkschaft erreicht worden. Die halb-
koloniale Ausbeutung des Saargebiets hat schon früh dazu geführt, daß gerade die Bergarbeiter gegen das Regime in Opposition gerieten. Mit Wildwest-Methoden hat man es vor den Wahlen verstanden, den Bergarbeiterverband lahmzulegen. Vor den eigenen Gerichten hat man in dieser Sache — dem Ausschlußverfahren gegen den Vorstand der IG Bergbau — eine schwere Schlappe erlitten. Nach dieser Schlappe hat man sich entschlossen, zum letzten Mittel, zu der polizeilichen Auflösung einer Gewerkschaft zu greifen.
Ich kann hier keine Einzelheiten über diesen Vorfall bringen, dazu fehlt mir die Zeit. Aber ich empfehle allen, die sich mit den Polizeistaat-Europäern aus Saarbrücken und dem westlichen Grotewohl zusammensetzen wollen, um Europa zu bauen, einmal die Denkschriften zu lesen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund und die SPD zu diesem Thema angefertigt haben. Es handelt sich um den einzigartigen Vorgang westlich des Eisernen Vorhangs, daß eine demokratische Gewerkschaftsorganisation unterdrückt wird. Es handelt sich gleichzeitig um den schwersten Schlag gegen die demokratische deutsche Opposition an der Saar. Schweizer Blätter haben von „Marokko-Methoden Frankreichs an der Saar" geschrieben.
Unser Bundeskanzler hat zu diesem Vorgang geschwiegen. Im Bulletin der Bundesregierung haben wir vergeblich auch nur nach einer Notiz über diesen Vorfall gesucht. Wir haben nichts von einem Protestschritt weder bei der Hohen Kommission, noch etwa beim Europarat gehört. Der Verfall der Saarpolitik der Bundesregierung ist an folgendem zu ermessen. Als im Mai 1951 die kleine Demokratische Partei Saar verboten wurde, da hat das zu einer wirklichen nationalen Protestaktion in der Bundesrepublik geführt. Der Herr Bundeskanzler hat an dieser Stelle von der Empörung der Bundesregierung und des deutschen Volkes gesprochen. Er hat bei der Hohen Kommission Schritte unternommen, und er hat beim Europarat jene Beschwerde in die Wege geleitet, die bis heute noch nicht behandelt worden ist. Wir wären dankbar, wenn der Herr Bundeskanzler heute die Gelegenheit wahrnehmen würde, uns über den Stand dieser Aktion nähere Auskunft zu geben. Der Vergleich gerade mit dem Verbot der DPS und der Reaktion auf jenes Verbot zeigt uns, daß die Bundesregierung heute bereit zu sein scheint, die Freiheit der Menschen an der Saar, von Menschen, die sich zu ihrem Vaterland bekennen, für andere politische Ziele zu opfern.
In dem Maße, wie die Bundesregierung den festen Boden demokratischer Grundsätze und völkerrechtlicher Grundsätze in der Saarfrage aufgab, hat die französische Regierung ihren Druck auf die Bundesregierung verstärkt mit der Absicht, die Bundesregierung zur Anerkennung der Abtrennung des Saargebiets in der europäischen Verniedlichung der Angelegenheit zu veranlassen. Was bei Minister Schuman schon angeklungen war, ist bei Außenminister Bidault, dem Vater der französischen Saarpolitik, zum Regierungsprogramm geworden. Allen bekannt ist die neue Koppelung, das Junktim: Anerkennung der Abtrennung der Saar in Form eines europäischen Status mit der Ratifikation der Verträge im Pariser Parlament. „Ohne Anerkennung der Verträge" – sagen René Mayer und Bidault – "keine Ratifikation der Verträge in Paris!" Diese hehre europäische Gemeinschaft soll offenbar damit beginnen, daß ein gewaltsam Amputierter eingangs seine freiwillige Zustimmung zu der Amputation gibt. Die Zustimmung dazu wäre in der Tat die Krönung der Bidaultschen Saarpolitik, die 1944/45 mit glatten Annexionsabsichten begonnen hat und die auch heute noch die politische Abtrennung von Deutschland und die wirtschaftliche und politische Beherrschung des Saargebiets durch Frankreich zum wesentlichen Inhalt hat.
Daß eine solche Zumutung der Anerkennung überhaupt möglich ist, scheint uns ein ganz bezeichnendes Licht auf die Saar- und Europapolitik der Bundesregierung zu werfen. Der Bundeskanzler hat in Rom ohne Zweifel mit Bidault über diese Dinge gesprochen. Der Bundestag darf wohl erwarten, daß er heute über den wesentlichen Inhalt dieser Gespräche unterrichtet wird. Dabei sind auch sicher die Konventionen zur Sprache gekommen. Sie wurden im März 1950 abgeschlossen, und jetzt wird in Paris über ihre Revision verhandelt. Damals haben Bundesregierung und Bundestag einmütig gegen den Abschluß dieser Verträge protestiert. Sie haben protestiert gegen den Versuch Frankreichs, das Saargebiet, diesen Teil- der französischen Besatzungszone, zu einem selbständigen Staat zu machen, vollendete Tatsachen zu schaffen, um den Friedensvertrag vorwegzunehmen. Damals hat der Herr Bundeskanzler unterstrichen, daß Frankreich nur Treuhänder im Saargebiet ist. Er hat unterstrichen, daß die Saarregierung keine Rechte auf die Gruben, auf die Bahnen und andere Dinge hat und daß ein Vertrag zwischen jener abhängigen Regierung in Saarbrücken und der französischen Regierung jeder Rechtsgrundlage entbehre. Dieser .Grundtatbestand ist heute unverändert, und es sei die Frage erlaubt, ob der Herr Bundeskanzler in der Villa Madama seinem Partner diese Dinge ins Gedächtnis gerufen hat. Oder sollten vielleicht drei Jahre Praxis der Politik der vollendeten Tatsachen ein ausreichender Ersatz für fehlende Rechtsgrundlagen sein können? Beugt sich der Herr Bundeskanzler der Gewalt und schraubt er unsere Rechtsansprüche an das Saargebiet zurück auf den Anspruch auf ein gehöriges europäisches Maß der Beteiligung — wie die fünf anderen in der kleineuropäischen Gemeinschaft — an den Dingen an der Saar?
Wir sind auch sehr beunruhigt über Pressemeldungen, die von Verbindungen des Bundeskanzlers mit der Saarbrücker Verwaltung zu berichten wissen. Es werden auch Namen genannt, und einer sei auch hier genannt. Professor Süsterhenn, früher Justizminister in Rheinland-Pfalz, soll der Mittelsmann sein.
— Auch Professor. — Höchste Beamte in Saarbrücken haben sich gegenüber Vertretern der deutschen Opposition gerühmt, daß sie über bessere Verbindungen nach Bonn verfügten als die deutsche Opposition. Diese Verbindung könnte die wachsende Frechheit des Saarbrücker Regimes zusätzlich erklären. Sie könnte auch erklären, warum der Herr Bundeskanzler zu so wichtigen Ereignissen wie dem Verbot des Bergarbeiterverbandes geschwiegen hat und warum er auch auf französische Vorstöße in der Saarfrage seit dem Ende des vorigen Jahres kaum reagiert hat. Wir möchten Auskunft darüber haben, ob solche Verbindungen bestehen, und wir möchten wissen, welchen politischen Zwecken sie dienen sollen.
Die Integrationspolitik der Bundesregierung ist auf Kosten unseres Strebens nach Wiederherstellung der deutschen Einheit in Ost und West geführt worden.
Im Westen, an der Saar, liegt es besonders klar zutage, daß diese Politik zum Verzicht auf elementare demokratische Freiheitsrechte für eine Million Deutsche und zur Preisgabe unbestritten deutschen Gebiets drängt. Aber uns geht es um die Sache. Wir würden uns freuen, wenn die Antworten des Herrn Bundeskanzlers auf unsere Fragen solcher Art wären, daß wir unsere schlimmsten Befürchtungen als unnötig empfinden könnten.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich glaube, es liegt im Interesse der Sache, die uns allen am Herzen liegt, wenn ich auf gewisse Anwürfe meines Herrn Vorredners nicht eingehe, sondern mich darauf beschränke, die Fragen, die mir gestellt sind, zu beantworten.
Und zwar lautet meine Antwort wie folgt:
Zu Frage 1: Die Bundesregierung hat zu dem Verbot des Bergarbeiterverbandes an der Saar nicht geschwiegen, sondern dagegen protestiert. — Damit ist auch die Frage 2 erledigt.
— Sie hat dagegen protestiert.
Zu Frage 3: Es steht nicht fest, ob eine solche Koppelung der Verhandlungen über den Status der Saar und der Ratifizierung des Deutschlandvertrags und des EVG-Vertrags vorliegt.
Zu Frage 4: Ich habe aus Anlaß der Aufnahme von Verhandlungen zwischen der französischen und der saarländischen Regierung zur Abänderung der französisch-saarländischen Konventionen unter Hinweis auf unsere frühere Verwahrung die französische Regierung darauf aufmerksam gemacht, daß die Ergebnisse dieser Verhandlungen eine endgültige Regelung der Saarfrage nicht präjudizieren dürften.
Zu Frage 5: Ich habe seit den Landtagswahlen an der Saar vom 30. November 1952 weder direkt noch indirekt Verbindungen mit den Saarbrücker Behörden gehabt.
Wird eine Besprechung der Großen Anfrage gewünscht?
— Ich nehme an, daß der Wunsch von mehr als 50 Mitgliedern des Hauses unterstützt wird. Ich bitte um Wortmeldungen. – Das Wort hat der Abgeordnete Eichler. – Der Ältestenrat schlägt eine Gesamtbesprechungszeit von 60 Minuten vor.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon viele kurze Antworten des Herrn Bundeskanzlers gehört. Aber s o kurze und trotz der Kürze s o nichtssagende haben wir hier noch nie vernommen.
Ich glaube, daß der Gegenstand, der hier zur Verhandlung steht, doch eine etwas eindeutigere Stellungnahme sowohl der Bundesregierung, als auch des Herrn Bundeskanzlers notwendig gemacht hätte, um so mehr, als sich doch hier auf eine geradezu beschämende Weise zeigt, wie eine Politik, die im gesamtdeutschen Interesse hätte geführt werden müssen und auch hätte geführt werden können, endgültig gescheitert ist.
Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, auf die angeblichen Anwürfe des Herrn Kollegen Mommer nicht antworten zu sollen. Ich habe sehr genau zugehört, was der Kollege Mommer gesagt hat, und hätte vom Herrn Bundeskanzler gern gehört, was er darin als einen Anwurf angesehen hat.
Die Frage, wo die Regierung protestiert hat, ist nicht einmal so weit beantwortet worden, daß herauszubekommen war, auf welche Weise und bei wem protestiert worden ist
und — was wichtig ist — wie die Antwort auf diese Proteste gewesen ist.
Meine Damen und Herren, die Geschichte unserer Saarpolitik, oder sagen wir die Geschichte der Saarpolitik des Herrn Bundeskanzlers und der Bundesregierung ist eine Fülle von Niederlagen, gerade ganz im Gegensatz zu dem konsequenten Fortschreiten Frankreichs in der Erreichung seiner Ziele in diesem Teil Deutschlands. Ich glaube kaum, daß wir hier zu einer Besserung, zu irgendwelchen entschiedenen Schritten auf unserer Seite kommen w' rden, wenn wir uns nicht entschließen, nun gegen die Politik der vollzogenen Tatsachen auch unsererseits politische Tatsachen zu setzen.
Aber — ich habe schon vor einigen Monaten hier darauf hingewiesen — es war ja geradezu das Programm des Herrn Bundeskanzlers, das er in einer Rede vor etwa zwei Jahren hier im Bundestag verkündet hat. Es besagt, daß all das, was an der Saar geschehe, so bedauerlich es sei und für so bedauerlich auch er selber es halte, das gute Verhältnis zu Frankreich nicht stören dürfe, da die Integration Europas allen anderen Bemühungen in Europa und allen anderen Schwierigkeiten und deren Lösung vorzugehen habe. Nun, wenn das das Programm ist, dann braucht man sich natürlich nicht zu wundern, wenn der Gegner sagt: Nun also, wenn das nicht das Wichtigste für Deutschland ist, für uns ist es das Wichtigste, und wir werden versuchen, auf jede Weise das zu erreichen, was zu erreichen ist.
Ich glaube, Herr Bidault, dem ja in den ersten Jahren nach 1945 nach seinem eigenen Eingeständnis 14 Versuche der Annexion von seiten der Alliierten abgelehnt worden sind, hat dann versucht, auf eine ungewöhnliche Weise zu erreichen, was
er mit den sonst unter freien Völkern üblichen Methoden niemals hätte erreichen können.
Wir sind selbstverständlich weit davon entfernt, eine Politik vorzuschlagen, die uns absichtlich in Gegensatz zu dem französischen Volk bringen würde. Ganz im Gegenteil! Wir begrüßen jede Möglichkeit, eine Verständigung und eine Annäherung zwischen französischer und deutscher Politik herzustellen. Aber das geht nicht durch eine Politik der Tricks und der Überredungen, durch eine Politik des Junktim, des milden oder auch härteren Zwanges. Auf diese Weise wird kein Europa zustande kommen. Das kann ja nur durch die solidarische Pflege und die gemeinsame Vertretung der Interessen auf rechtlicher und moralischer Grundlage, durch Abwägung der vorhandenen Interessen in sauber durchgeführten Verhandlungen geschehen. Das hat es bisher, soweit es das Saarproblem betrifft, nicht gegeben. Wir haben fortwährend eine Politik des Junktim erlebt, vom Europarat über die Montanunion bis zum Verteidigungsbeitrag.
Wenn der Herr Bundeskanzler sagt, es sei nie ein Zusammenhang zwischen Saarabkommen, EVG-
Vertrag und Generalvertrag behauptet worden, so ist dazu zu sagen, daß praktisch sowohl die französische Kammer als auch der französische Außenminister und sogar der französische Ministerpräsident sich in dieser Weise geäußert haben, und diese drei Institutionen und Personen haben natürlich nicht nur ihre Privatmeinung zum besten gegeben.
Wir haben am 30. November die Wahlen im Saargebiet erlebt; am 18. November und schon früher hat dieser Bundestag gegen die Wahlen protestiert und erklärt, was aus diesen Wahlen hervorgehen werde, könne kein freier Landtag sein, und die Regierung, die er etwa berufen werde, könne also nicht als eine Regierung anerkannt werden. Wir sehen dabei ganz ab von der Tatsache, daß auch eine heute frei gewählte Regierung des Saargebiets in Anbetracht unserer Ablehnung der Vorstellung einer Autonomie des Saargebiets keine Regierung in dem Sinne wäre, in dem mau sonst davon spricht.
Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, auf die vielen Pressemeldungen nicht eingehen zu müssen, die zum Teil sehr substantiiert sind und die erklären, was alles Herr Professor. Süsterhenn tut, um die Möglichkeiten der Vermittlung auszuschöpfen. Z. B. hat der „Rheinische Merkur", ein dem Herrn Bundeskanzler ganz gewiß nicht unbekanntes Blatt, das ihm auch politisch in den meisten Dingen ziemlich nahesteht, so etwas erklärt. Wir behalten uns vor, in den dafür zuständigen Ausschüssen Unterlagen, die wir über diese Frage zur Verfügung haben, vorzulegen und darüber genauere Auskünfte einzuholen. Denn selbst wenn der Herr Bundeskanzler nicht unmittelbar solche Dinge erlebt und darüber Berichte erhält, so ist es doch möglich, daß die Verbindungen bis in die Regierung gehen, und wir glauben, daß diese Angelegenheit absolut klargestellt werden muß, damit wir sehen, wer in der Saarpolitik miteinander am gleichen Strang zieht und wer nicht.
So weit sind wir heute gekommen durch unser Entgegenkommen in der Saarfrage! Wir von der SPD bezeichnen das aber nicht als ein Entgegenkommen, sondern als eine Politik, die trotz der Versuche, durch Vorleistungen den politischen Gegner zu besänftigen, nichts weiter erreichen wird als die famose Appeasement-Politik Mr. Chamberlains seinem damaligen politischen Gegner gegenüber, — womit ich nicht behaupten möchte, daß die heutige französische Regierung der damaligen deutschen Regierung ähnelt. Ich rede über die formale Ähnlichkeit der Methoden.
Man hat der SPD immer vorgeworfen, daß sie zu oft nein sage.
Jetzt erleben wir, daß Frankreich nicht nur der Saarpolitik Deutschlands gegenüber nein sagt, sondern auch durch seine Zusatzprotokolle zur Integration. Wir haben vergeblich darauf gewartet, daß dieses Anathema gegen die Neinsager sich nun auch einmal auf die französischen Neinsager erstreckt. Aber siehe da, ein Schweigen im Blätterwald und bei der Regierung.
Wer tadelt Frankreich dafür? Ich möchte sagen, daß mir bei der Betrachtung unserer gegenseitigen Haltungen in Deutschland und Frankreich das Beispiel von der Ehe eingefallen ist, in dem der Mann erklärt, er habe sich mit seiner Frau darüber verständigt, wie man einen Streit zwischen ihnen verhüten könnte, nämlich durch eine einfache Abmachung: Wenn sie beide das gleiche wollten, dann geschehe immer das, was er wollte, und wenn seine Frau Marianne etwas anderes wollte, dann geschehe das, was sie wollte.
Das scheint mir in etwa die Position zu sein, in die wir uns hier hineingeritten haben, und ich glaube nicht, daß die Rolle des Pantoffelhelden als politisches Ideal aufgestellt werden könnte.
Meine Damen und Herren, drei Dinge scheinen uns notwendig zu sein, und zwar erstens: Der Protest vor dem Ministerrat, der jetzt seit seinem Vorbringen dort beinahe schon so alt ist, daß er einen Bart hätte, muß unbedingt vorgebracht werden. Er ist das erstemal auf eine Bitte des Herrn Bundeskanzlers selber verschoben worden, weil er sich damals, wie er glaubte und uns sagte, „in erfolgversprechenden Verhandlungen mit seinem Anti-Saar-Partner" befand.
Inzwischen ist der 30. November vorbei, inzwischen häufen sich die Verfolgungen an der Saar. Sie sind nicht etwa sanfter geworden, sondern gröber. Vor einigen Tagen hat man die vier Rohlinge, die während des Wahlkampfes in die Wohnung eines Saaroppositionellen eindrangen und dort seinen Tod verursachten, amnestiert —
eine Affäre, die mich an unsere unglückselige Potempa-Affäre in der Deutschen Bundesrepublik vor zwanzig Jahren erinnert. Man nimmt die Konvention über die Menschenrechte offenbar weniger ernst als die Konvention über die Saarkohle. Offenbar schätzt man die Saarkohle mehr als Menschenrechte, und in unserem materialistischen Zeitalter sind Menschenrechte im allgemeinen auch billiger. Es zeigt sich hier, was für alle Vertragsverhandlungen gilt, daß Proteste hinterher immer sehr viel weniger wirkungsvoll sind als Proteste, die erhoben werden, bevor man seine Unterschrift unter einen Vertrag gesetzt hat. Wir glauben, daß man diese allgemeine Lehre auch für die kommenden Unterschriften beherzigen sollte, auch für die Ratifizierung bereits geleisteter Unterschriften.
Das zweite: Die Bundesregierung und der Bundestag sollten klar und eindeutig erklären, daß das Gerede über Möglichkeiten bestimmter Kompromisse verschwindet, daß nämlich Autonomie und Konventionen auf der heutigen Basis im Saargebiet keine Grundlage für Diskussionen mittelbarer oder unmittelbarer Art über das Saargebiet sind,
auch dann nicht, wenn die Institution der Rechtsverwahrung aufrechterhalten wird. Wir halten die Rechtsverwahrungen in diesem Falle, bei diesem Gegner und über diesen Gegenstand für leere Proteste, bei denen von Anfang an klar ist, daß sie einen politischen Effekt nicht haben.
Das dritte ist, daß man versuchen sollte, ernsthafte und gediegene Verhandlungen über einen Gegenstand mit Frankreich aufzunehmen, über den es wirklich Verhandlungen gibt, wie wir bereits oft erklärt haben. Die besonderen Interessen Frankreichs an der Saarkohle und an anderen wirtschaftlichen Gegebenheiten des Saargebiets sind anerkannt und anzuerkennen und sollten in einem frei ausgehandelten Vertrage so niedergelegt und gesichert werden, daß es Gründe zu Beschwerden darüber nicht gibt. Auf diese Weise und durch sie allein ist es möglich, mit Frankreich in ein Verhältnis zu kommen, bei dem man davon reden kann, daß es sich hier um freiwillig übernommene Verpflichtungen handelt, die die deutsche Bundesrepublik selbstverständlich so ernst nehmen sollte, wie jede andere ihrer Verpflichtungen, die sie anderen Staaten gegenüber übernommen hat.
Besonders beschämend ist die Situation in Hinsicht auf den deutschen Osten; denn es ist klar, daß der Mensch im Osten sagen wird: Wenn das geschieht am grünen Holz des demokratischen Westens, was soll am dürren des kommunistischen Ostens werden!
Wir müssen die Bevölkerung im Westen und im Osten vor der Verzweiflung bewahren, daß sie alleingelassen wird; denn Rechtsverwahrungen sind keine Hilfe für die Bevölkerung, weder im Osten noch im Westen. Eines der großen Ideale, um derentwillen der zweite Weltkrieg geführt worden ist, war; die Bevölkerung dahin zu bringen, daß sie endlich die „vier Freiheiten" genießen kann, und dazu gehört auch die Freiheit von Furcht. Im Saargebiet ist die Furcht so radikal und heftig wie im Osten, wenn wir auch selbstverständlich wissen, daß zwischen der politischen Situation im Saargebiet und in der Ostzone ein Unterschied ist.
Aber der Sache nach ist die Familie nicht nur durch Arbeitslosigkeit, sondern auch durch den politischen Terror der Ausweisung, des Verlusts der Stelle durch Denunziation genau so bedroht wie der Mann im Osten, auch wenn man ihm nicht unmittelbar den Totschlag oder den Genickschuß androht, den er dort zu erwarten hat.
Meine Damen und Herren! Wir dürfen uns nicht durch freiwilligen Verzicht in einer Situation mitschuldig machen,
in der Europa und Europa als Grenzfall auf dem
Spiele steht. Wir können uns nicht der Tatsache
verschließen, daß Schweigen in dieser Situation ein halbes Zugeständnis ist.
Die Menschen im Westen und im Osten brauchen eine Hoffnung, und sie kann ihnen nur dadurch erwachsen, daß sie sehen: Hier wird Widerstand geleistet gegen die Unterdrückung.
Wir haben, glaube ich, wie in kaum einer Sache so in dieser das Recht, uns darauf zu verlassen, daß es sich um einen Kampf um Recht und Menschlichkeit handelt. Aber freilich, meine Damen und Herren, die Betonung liegt auf „Kampf".
Das Wort hat der Abgeordnete Agatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ganze deutsche Volk und auch die Saar-Bergarbeiter haben nie einen Zweifel darüber gelassen, daß sie die Herrschaft der Separatistenregierung Hoffmann nur als einen vorübergehenden Zustand betrachten.
In Übereinstimmung mit allen deutschen Bergarbeitern fordern sie ein wiedervereinigtes freies und demokratisches Deutschland.
Um dieses große Ziel zu erreichen, haben die Saarbergarbeiter nicht gezögert, auch ihre gewerkschaftliche Organisation, den Industrieverband Bergbau, entschlossen einzusetzen. Das wurde durch die Teilnahme des Ersten Vorsitzenden dieser Gewerksehaft, des Kollegen Paul Kutsch, auf dem DGB-Kongreß des vergangenen Jahres ganz klar bewiesen. Aber genau wie hier in Westdeutschland die Regierung Adenauer, ist auch die Regierung Hoffmann an der Saar bestrebt, den Kampf der deutschen Arbeiterschaft und des deutschen Volkes für die nationalen Forderungen, für eine Verständigung der Deutschen aus dem Westen und Osten unseres Vaterlandes zu unterdrücken.
Die Adenauer- und die Hoffmann-Regierung setzen
sich in gleicher Weise für den Generalvertrag und
die EVG-Verträge ein, wodurch eine friedliche
Wiedervereinigung Deutschlands verhindert wird.
Da diese Politik eindeutig gegen die nationalen Interessen unseres Volkes gerichtet ist, haben wir in Westdeutschland wie an der Saar die gleiche antidemokratische und antinationale Entwicklung zu verzeichnen.
Um die Saarbergarbeiter daran zu hindern, den Kampf für ihre nationalen Forderungen zum Siege zu führen, hat die Regierung Hoffmann im Auftrag der französischen Großkapitalisten, die heute das Saargebiet ausbeuten, den Industrieverband Bergbau unter Bruch aller demokratischen Grundrechte verboten.
In der Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion heißt es unter Punkt 1:
Warum hat die Bundesregierung zu dem Verbot des Bergarbeiterverbandes an der Saar geschwiegen?
Auch die anderen Punkte der Anfrage zielen in die gleiche Richtung. Damit wird aber alles das, was für das Verbot der Bergarbeitergewerkschaft an der Saar wesentlich ist, vertuscht. Sicherlich ist das auch eine Absicht des Antragstellers. Täglich erleben wir, daß die Regierung Adenauer das gleiche tut wie die Regierung Hoffmann: durch Verhinderung gesamtdeutscher Gespräche durch Verbot der Volksbefragung, durch Verfolgung und Einkerkerung von Friedenskämpfern, durch Verbot demokratischer Organisationen, wobei ich besonders den Verbotsantrag gegen die KPD unterstreichen möchte. Durch offene Unterstützung des BDJ und anderer Terrororganisationen — um nur einige zu nennen — will doch auch die Regierung Adenauer den nationalen Freiheitskampf unseres Volkes genau so unterdrücken, wie Hoffmann es an der Saar tut.
Haben nicht mehrere Minister dieser Regierung die Gewerkschaften für zuchthausreif erklärt?
Hat nicht diese Regierung, gestützt auf die Koalition hier, der westdeutschen Arbeiterschaft das Betriebsverfassungsgesetz aufgezwungen? Dadurch haben jetzt die rabiaten Unternehmer die Möglichkeit, Arbeiter und Arbeiterfunktionäre ohne weiteres auf die Straße zu werfen.
Wird nicht hier in Westdeutschland bereits auch die Polizei des Herrn Innenministers Dr. Lehr gegen streikende Arbeiter eingesetzt, wie es jetzt im Textilarbeiterstreik der Fall war? Die Politik der Regierung Adenauer ist eine wesentliche Ursache für die Verschärfung aller deutschen und europäischen Gegensätze, also auch der Gegensätze mit Frankreich und der Saar? Wir Kommunisten sind stolz darauf,
daß sich unsere französische Bruderpartei eindeutig dafür ausgesprochen hat, daß das Saargebiet zu Deutschland gehört.
Wir sagen: Die Regierung Adenauer, das ganze Bonner Regime ist das Grundübel unserer heutigen nationalen Misere. Wir sagen den Saar-Bergarbeitern: Kameraden, kämpft weiter!
Noch nie haben Verbotsmaßnahmen den Freiheitskampf eines Volkes und den Kampf der Arbeiter für ihre politischen und sozialen Forderungen aufhalten können.
Wir appellieren besonders an die westdeutsche Arbeiterschaft, vor allem an unsere Bergarbeiter: Verstärkt den Kampf gegen das Adenauer-Regime, um die demokratischen Rechte und Freiheiten hier zu schützen.
Durch die Beseitigung der Adenauer-Regierung und der sie tragenden reaktionären Kräfte werden wir das große nationale Ziel unseres Volkes, die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands, erreichen.
Damit wird der Weg frei für eine demokratische und friedvolle Zukunft unseres Volkes.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; damit ist die Aussprache geschlossen. Damit ist der Punkt a) erledigt.
Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 5 b. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 4038 zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den nächsten Punkt der Tagesordnung auf, Punkt 6:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Mißbilligung des Verhaltens des Bundeskanzlers .
Der Ältestenrat hat dafür eine Zeit von 10 Minuten für die Begründung und eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren! Nach den Vorgängen, welche die Beschlußfassung des Bundesverfassungsgerichts am 9. Dezember zur Folge hatte, faßte die Bundesregierung zehn Tage später in dieser Angelegenheit einen Beschluß. In diesem heißt es unter anderem, sie habe niemals daran gedacht, die Rechte und die Würde des Bundesverfassungsgerichts anzutasten oder auch nur in Zweifel zu ziehen; sie achte das Bundesverfassungsgericht als einen integrierenden Bestandteil des demokratischen Rechtsstaats; eine rechtliche Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts über die bindende Wirkung von Plenargutachten schließe keine Beeinträchtigung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts in sich.
Zunächst kam diese Verlautbarung nach all den Vorgängen reichlich spät. Diese sehr allgemein gehaltene formelle Stellungnahme zu den vorausgegangenen Ereignissen reicht aber keineswegs aus; noch weniger können sie durch diese Erklärungen ungeschehen gemacht werden.
Das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers vor diesem Kabinettsbeschluß steht in einem scharfen Widerspruch zu den allgemeinen Wendungen der Verlautbarung. Das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers am und nach dem 9. Dezember hat die in jedem demokratischen Rechtsstaat selbstverständliche Achtung vor der Würde des höchsten Gerichts vermissen lassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch hier noch einmal das sagen, was mein Kollege Gülich gestern bei der Begründung der anderen Mißbilli-
gungsanträge bereits zum Ausdruck gebracht hat. Es stehen hiermit nicht die verschiedenen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Erörterung; zur Erörterung steht hier das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers nach Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Es ist Pflicht des Bundeskanzlers, den Herrn Bundespräsidenten zu unterrichten. Aber damals ist doch der Herr Bundeskanzler über eine politische Unterrichtung wesentlich hinausgegangen. In einem Augenblick, in dem die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Karlsruhe gerichtet war, suchte der Bundeskanzler den Herrn Bundespräsidenten mit der bestimmten und außergewöhnlichen Absicht auf, die öffentliche Verhandlung über ein Gutachten abzuschneiden. Er wollte dem Staatsoberhaupt darlegen, daß angeblich der am Vormittag des gleichen Tages verkündete Plenarbeschluß weder im Grundgesetz noch in einem anderen Gesetz eine Stütze finde.
Somit hatte der Schritt des Bundeskanzlers nicht nur den Charakter einer Berichterstattung, verbunden mit einer Kritik, sondern den einer Beschwerde über den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. Es war schon auffallend, daß der Bundeskanzler während des ersten Verhandlungstages gleich zweimal bei dem Herrn Bundespräsidenten vorstellig wurde, das erste Mal allein, das zweite Mal nach der Kabinettsitzung in Begleitung einer vom Kabinett gewählten Delegation.
Auf der politischen Ebene, meine Damen und Herren,
und darauf kommt es an — Herr Müller, mit billigen, witzigen oder witzig sein sollenden Bemerkungen kommt man um diese Dinge nicht herum! —,
auf der politischen Ebene konnte das nur die Wirkung haben, daß hier Alarm geschlagen werden sollte, und zwar Alarm gegen das Bundesverfassungsgericht.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesjustizminister hat gestern hier dargelegt, wie sich der Vorfall bei dem Herrn Bundespräsidenten abgespielt hat, als der Bundesjustizminister ihn an seinen Eid erinnerte, Als ich für die sozialdemokratische Fraktion am 11. Dezember vorigen Jahres in einer Erklärung vor diesem Hause auf diese Tatsache hinwies, hat der Herr Bundeskanzler dazu geschwiegen. Aber was im einzelnen auch immer vorgefallen sein mag, — wir haben die Vorfälle insgesamt zu sehen und zu beurteilen. Das Vorgehen des Bundeskanzlers gegenüber dem Staatsoberhaupt und dem Bundesverfassungsgericht ist unseres Erachtens ungeheuerlich gewesen. Es muß in diesem Zusammenhang doch daran erinnert werden, daß die Staatsorgane anderer Demokratien die Entscheidung ihrer höchsten Gerichte ohne Kritik hinzunehmen pflegen.
Bei dem Verhalten des Bundeskanzlers und der Bundesregierung hat es sich aber nicht einmal nur um Kritik gehandelt, sondern es ist die Beschuldigung erhoben worden, daß das Bundesverfassungsgericht den Boden des Rechts verlassen habe.
Am Ende des vorigen Jahres hat der Bundeskanzler von dieser Stelle aus erklärt, daß die mit
Namen gekennzeichneten Artikel im „Bulletin" nicht in allen Fällen die Meinung der Bundesregierung wiedergäben. Wir werden uns bei den Haushaltsplanberatungen über die Stellung und Bedeutung dieses Bulletins in diesem Hause noch eingehend zu unterhalten haben. In Nr. 198 dieses Bulletins vom 12. Dezember 1952 ist ohne Namenszeichnung ein Artikel erschienen. In diesem heißt es:
Damit ist das Bundesverfassungsgericht sowohl über die Bestimmungen des Grundgesetzes wie auch über die des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hinausgegangen, indem es aus eigener Machtvollkommenheit Recht setzte.
Es behindert nicht nur die einzelnen Senate wie auch die einzelnen Richter in ihrer Urteilsfindung und Urteilsbildung, sondern verwandelt ein bloßes Gutachten in einer Weise, daß es den ihm eigentümlichen Charakter zugunsten eines ganz neuen gesetzlichen Dekrets verliert.
Da der Verfasser in diesem Fall nicht genannt ist, handelt es sich wohl um eine offiziöse Stellungnahme der Bundesregierung.
Hier wird nun — Herr Kollege Kiesinger, das bitte ich zu beachten — dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, daß es sich verfassungswidrig und unrechtmäßig verhalten habe. — Dazu ist noch folgendes zu beachten: Die Bundesregierung hat es gemeinsam mit der übergroßen Mehrheit des Hauses immer abgelehnt, das Staatsoberhaupt in die politische Auseinandersetzung einzubeziehen. In dem eben von mir zitierten Artikel des Bulletins wird aber nun behauptet, daß auch der Herr Bundespräsident in aller Form deutlich kenntlich gemacht habe, daß er die Karlsruher Entscheidung ablehne. In diesem Fall wird also die Person des Herrn Bundespräsidenten in diese Auseinandersetzung mit hineingezogen.
Meine Damen und Herren, durch dieses Verhalten des Herrn Bundeskanzlers und der Bundesregierung ist — das wird niemand von Ihnen bestreiten können — im Volke eine weitgehende Unruhe und Empörung entstanden.
Man kann diese Dinge nicht dadurch beseitigen, daß man feststellt, man habe niemals daran gedacht, die Rechte und die Würde des Bundesverfassungsgerichts anzutasten. Der Herr Bundeskanzler hat bis heute seine Behauptung nicht zurückgenommen. Noch am 11. Dezember hat er hier vor diesem Hause wörtlich erklärt:
Die Bundesregierung ist zu der Überzeugung gekommen, daß der am 9. Dezember verkündete Beschluß vom 8. Dezember weder im Grundgesetz noch in sonstigen Gesetzen eine Stütze findet.
Wenn es nun in dem Kabinettsbeschluß vom 19. Dezember heißt:
Die rechtliche Beurteilung des Bundeskabinetts hinsichtlich des vom Bundesverfassungsgericht verkündeten Beschlusses schließt keine Beeinträchtigung der Stellungnahme dieses Gerichts in sich,
12160 Deutscher Bundestag — 253: Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. März 1953
so wird die oben angezogene Beurteilung aufrechterhalten. Was Recht ist, entscheidet aber nicht die Bundesregierung, die in diesem Verfahren Partei ist, sondern das entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Die Bundesregierung kann sich nicht durch solche Verlautbarungen zur vorgesetzten Behörde gegenüber dem Bundesverfassungsgericht aufwerfen. Der Bundesjustizminister hat gestern hier davon gesprochen, daß er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überwache. Wenn es aber dennoch geschieht, daß in dieser Weise Stellung genommen wird, so muß das Parlament ein solches Verhalten nachdrücklich mißbilligen.
Mein Fraktionskollege Dr. Gülich hat gestern schon auf die verschiedenen Sonntagsreden und sonstigen Auslassungen des Bundesministers der Justiz hingewiesen. Es ist auch kein Zweifel daran, daß dem Herrn Bundeskanzler diese Dinge oft sehr peinlich gewesen sind. Aber der Bundeskanzler ist dann verpflichtet, gegen solche Äußerungen Einspruch zu erheben. Professor Gülich hat auch gestern schon auf § 12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung und den Kommentar von Lechner-Hülshoff hingewiesen. Wenn in der Geschäftsordnung der Reichsregierung eine solche Vorschrift nicht bestand, so hat offenbar der Bundeskanzler aus trüben Erfahrungen heraus Wert auf diese Bestimmung gelegt. Aber, Herr Bundeskanzler, hoffentlich vergessen Sie dabei nicht, daß diese Bestimmung auch Sie verpflichtet und bindet!
Alle Äußerungen der Minister stehen nach dieser Bestimmung in Einklang mit der Politik dés Bundeskanzlers, wenn er sie nicht ausdrücklich zurückweist oder mißbilligt.
In dem Fall der Äußerungen des Bundesjustizministers ist eine solche Mißbilligung nicht ausgesprochen worden.
Der Bundesminister der Justiz hat gestern seine Auffassung hier dargelegt zu dem Telegramm an den Rechtsanwalt Zutt in Heidelberg. Es ist ihm nicht gelungen — das darf man wohl sagen —, das Haus davon zu überzeugen, daß mit diesem Telegramm dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts gedient war.
Meine Damen und Herren, durch den sehr vorsichtig formulierten Beschluß vom 19. Dezember ist die Stellungnahme des Bundesministers der Justiz nicht aus der Welt geschafft. Durch die von mir angegebenen Vorgänge haben Würde und Ansehen des Bundesverfassungsgerichts schweren Schaden gelitten. Das Parlament ist berufen, mit darauf zu achten, daß den obersten Verfassungsorganen die Achtung gezollt wird, deren sie um der Verfassung und der Demokratie willen bedürfen. Das Parlament muß deshalb durch einen Beschluß vor aller Öffentlichkeit bekunden, daß es diese Vorgänge mißbilligt. Es würde seine Aufgabe verkennen, wenn es dieser Pflicht nicht nachkäme.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag Drucksache Nr. 3955 auf Mißbilligung des Verhaltens des Bundeskanzlers zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Mellies sind nicht in allen Teilen zutreffend. Bei der Bedeutung der Angelegenheit möchte ich mich aber jeder Polemik enthalten und nur darauf hinweisen, daß Herr Mellies bei den Vorgängen beim Herrn Bundespräsidenten j a nicht zugegen gewesen ist.
Ich möchte mich damit begnügen, den Sachverhalt klarzulegen und auf die einzelnen Punkte zu antworten.
Die Bundestagsabgeordneten Dr. Arndt und Dr. Reismann haben am 31. Januar 1952 im Auftrage von 144 Abgeordneten — darunter sämtliche Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestages — eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben mit dem Ziel, festzustellen, daß Bundesrecht, welches die Beteiligung Deutscher an einer bewaffneten Streitmacht regele oder Deutsche zu einem Wehrdienst verpflichte, ohne vorangegangene Ergänzung und Abänderung des Grundgesetzes weder förmlich noch sachlich mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Bei Erhebung dieser Klage waren die Verhandlungen zwischen den beteiligten Regierungen über den Deutschlandvertrag und den EVG-Vertrag noch in vollem Gange. Diese Verträge wurden von den beteiligten Regierungen erst am 26. und 27. Mai unterzeichnet.
Der Herr Bundespräsident hat, nachdem die Gesetzesvorlagen über die Ratifizierung des Vertragswerkes dem Bundesrat zugegangen waren, am 10. Juni 1952 an das Bundesverfassungsgericht das Ersuchen um ein Gutachten über folgende verfassungsrechtliche Fragen gerichtet:
Steht der Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im Widerspruch zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, soweit durch ihn auf Grund des Artf 24 des Grundgesetzes die zwischenstaatliche Einrichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft berechtigt wird, europäische Wehrhoheit unter Zugrundelegung der Wehrpflicht der Staatsbürger der Mitgliedstaaten auszuüben?
Der Herr ,Bundespräsident war zur Anforderung dieses Gutachtens auf Grund des 4 97 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes berechtigt, er bedurfte dazu keiner Gegenzeichnung des Bundeskanzlers.
Am 9. Dezember 1952 hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschluß verkündet dahingehend, daß Gutachten des Plenums über bestimmte verfassungsrechtliche Fragen die beiden Senate im Urteilsverfahren binden. Von den Herren Staatssekretären Strauß und Hallstein, die bei der Verkündung dieses Beschlusses in Karlsruhe anwesend waren, wurde mir der Beschluß telefonisch während einer Kabinettssitzung mitgeteilt. Das Kabinett hat die beiden Herren beauftragt, beim Bundesverfassungsgericht eine Vertagung der Verhandlungen über das Gutachten zu erwirken und zur Berichterstattung sofort nach Bonn zu kommen.
Das Kabinett hat sich dann mit der Rechtslage beschäftigt. Es war einstimmig der Auffassung, daß
der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts mit den Bestimmungen des Grundgesetzes und des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht nicht übereinstimme
und daß das Bundesverfassungsgericht durch seinen Beschluß über seine Kompetenzen, das Recht auszulegen, hinausgegangen sei und neues Recht gesetzt habe. Gleichzeitig sei es von dem Text und dem Sinn der Vorschriften über Plenarentscheidungen und gutachtliche Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts abgewichen. Das Kabinett hat mich beauftragt, den Herrn Bundespräsidenten, der ja um ein Gutachten ersucht hatte, von dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in Kenntnis zu setzen. Ich habe das getan und dem Herrn Bundespräsidenten gleichzeitig mitgeteilt, daß die Staatssekretäre Strauß und Hallstein zur mündlichen Berichterstattung zurückgerufen worden seien und daß das Kabinett, nachdem die Herren Bericht erstattet hätten, am späten Nachmittag zu einer neuen Sitzung zusammentreten würde. Der Herr Bundespräsident hat, ohne jeden Anstoß von mir, schon am Vormittag bei der Unterrichtung über den Beschluß seine Meinung dahingehend ausgesprochen, daß er unter diesen Umständen seinen Antrag auf Erstattung eines Gutachtens zurückziehen werde.
Nach dem Eintreffen der beiden Staatssekretäre fand eine zweite Kabinettssitzung statt, in der die Rechtslage erneut ausführlich erörtert wurde. Ich betone ausdrücklich, daß irgendwelche politischen Erwägungen überhaupt nicht angestellt worden sind.
Insbesondere hat die Tatsache, daß es sich bei dem Gutachten um den Deutschland-Vertrag und den EVG-Vertrag handelte, gar keine Rolle gespielt.
Meiner Erinnerung nach — und ich glaube nicht, daß mich meine Erinnerung trügt — ist das bei den Beratungen im Kabinett überhaupt nicht einmal erwähnt worden.
Das Kabinett ist bei seiner zweiten Beratung wiederum einstimmig zu der Überzeugung gekommen, daß dieser Beschluß des Bundesverfassungsgerichts mit den bestehenden Bestimmungen des Grundgesetzes und des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht nicht im Einklang stehe. Es hat einen Ausschuß, bestehend aus mir, dem Herrn Vizekanzler, den Herren Bundesministern Lehr, Dehler und Storch, beauftragt dem Herrn Bundespräsidenten diese Ansicht des Kabinetts mitzuteilen.
Die Besprechung mit dem Herrn Bundespräsidenten hat am Abend stattgefunden. An ihr haben noch die beiden Staatssekretäre Strauß und Hallstein und Ministerialdirektor Klaiber teilgenommen. Der Herr Bundespräsident hat erklärt, was er auch öffentlich später mitgeteilt hat, daß er aus eigenem Entschluß heraus sein Ersuchen um ein Rechtsgutachten zurückziehen werde.
Er hat weiter erklärt, daß er, ehe er hiervon das
Bundesverfassungsgericht unterrichte, den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn
Abgeordneten Ollenhauer, hören wolle. Er hat am gleichen Abend mit Herrn Abgeordneten Ollenhauer eine, wie ich glaube, halbstündige Unterredung gehabt, an der ich nicht teilgenommen habe. Bei dieser Gelegenheit hat Herr Ollenhauer, wie er später selbst erklärt hat, den Herrn Bundespräsidenten eindringlich gewarnt, sein Ersuchen zurückzunehmen.
Zu dem Antrag der Fraktion der SPD habe ich im einzelnen noch folgendes zu sagen.
Zu Ziffer 1. Es war meine selbstverständliche Aufgabe, den Herrn Bundespräsidenten von der Tatsache des Beschlusses und von der Meinung des Kabinetts in Kenntnis zu setzen.
Zu Ziffer 2. Der Herr Bundespräsident ist nicht an seinen Eid erinnert worden. Herr Bundesminister Dehler hat darüber gestern dem Hohen Hause ausführlich Mitteilung gemacht.
Zu Ziffer 3. Die Bundesregierung hat, wie jeder Abgeordnete, wie jeder Bürger das Recht, sich über einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts eine Meinung zu bilden
und diese Meinung in angemessener Form zu vertreten.
Die Bundesregierung ist nach wie vor der Meinung, daß dieser Plenarbeschluß des Bundesverfassungsgerichts weder im Grundgesetz noch in irgendeinem anderen Gesetz eine Stütze findet.
Auch die Sozialdemokratische Partei vertritt sonst die Auffassung, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zumindest kritisiert werden könnten.
Sie hat zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Unzulässigkeit einer vorbeugenden Normenkontrolle eine Stellungnahme abgegeben, worin erklärt wird, das Bundesverfassungsgericht habe der klageberechtigten Minderheit des Bundestags den Rechtsschutz verweigert,
und worin es an einer andern Stelle heißt, in dem bestehenden Verfassungskonflikt hätte eine Staatskrise lediglich durch einen Richterspruch vermieden werden können, dessen Autorität außer Frage stand.
Zu Ziffer 4. Über die Äußerungen des Bundesministers der Justiz ist gestern hier verhandelt worden. Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, und die Bundesminister sind gehalten, den Richtlinien der Politik zu folgen; aber der Bundeskanzler hat weder das Recht noch die Möglichkeit, jede einzelne Rede eines Bundesministers, die ja alle such gleichzeitig Parteipolitiker sind, vorher zu zensieren oder nachher Rügen auszuteilen.
Das wäre eine Auffassung von der Stellung des Bundeskanzlers gegenüber Bundesministern,
wie ich sie mir, Herr Schoettle, nicht zu eigen mache.
Aber lassen Sie mich noch einige Bemerkungen hinzufügen. Ich bin der Auffassung, daß diese Anträge auf Mißbilligung, wie wir sie gestern erlebt haben und wie wir sie heute erleben, nach dem Grundgesetz unstatthaft sind.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich der Rechtsausschuß des Bundestags — losgelöst von irgendeinem akuten Anlaß — mit der Frage der Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit beschäftigen würde.
Durch derartige Anträge wird in der Öffentlichkeit des In- und Auslandes der Anschein hervorgerufen, als ob es sich um einen in anderen Verfassungen vorgesehenen Mißtrauensantrag gegen einen einzelnen Bundesminister handle.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind doch wahrhaftig in der Lage, Ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen gegenüber dem Bundeskanzler oder den Bundesministern in recht deutlicher Weise Ausdruck zu geben, ohne daß es dieser Form bedarf.
Zur Beleuchtung der ganzen Angelegenheit möchte ich noch folgendes sagen. Nachdem der Herr Bundespräsident von der ihm nach der Verfassung und dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht zustehenden Befugnis, das Bundesverfassungsgericht um Erstattung eines Gutachtens zu ersuchen, im Juni 1952 Gebrauch gemacht hatte, ist der Herr Abgeordnete Dr. Arndt im Auftrag der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestags beim Herrn Bundespräsidenten erschienen
und hat ihn in einer längeren Unterredung zu veranlassen versucht, den Antrag auf Erstattung des Gutachtens zurückzuziehen,
da ja die Normenkontrollklage der sozialdemokratischen Fraktion schwebe.
— Nein; aber das hat mir der Herr Bundespräsident gesagt, der ja dabei war.
— So hat er es mir gesagt!
Noch in einem Schriftsatz vom 12. November 1952 hat die sozialdemokratische Fraktion in Übereinstimmung mit ihrem früheren Vorbringen geltend gemacht, daß ein Gutachtem bei einer schwebenden Klage überhaupt nicht zulässig sei und daß es sich darüber hinaus bei einem Gutachten lediglich um beratende Empfehlungen handele, die keine Entscheidungen seien.
Die ganze Angelegenheit hat, weil es sich um Rechtsfragen handelt, die nicht jedem geläufig sind und die in Tageszeitungen nicht genügend klargelegt werden können,
eine gewisse Verwirrung hervorgerufen. Es erschien mir deshalb notwendig, diese ausführliche Erklärung abzugeben, die ich mit folgenden Worten schließen möchte.
Die politischen Entscheidungen liegen nach dem Grundgesetz beim Bundestag bzw. Bundestag und Bundesrat.
Das Bundesverfassungsgericht ist lediglich zu reinen Rechtsentscheidungen berufen.
Das allein ist seine Aufgabe. Niemand sollte auch nur den Versuch machen, dem Bundesverfassungsgericht diese Aufgabe irgendwie zu entziehen und es zu einem Faktor im politischen Spiel der Kräfte zu machen.
Ich bedauere im Interesse der Demokratie,
im Interesse des Parlaments und im Interesse des Bundesverfassungsgerichts, daß durch die Normenkontrollklage der 144 Abgeordneten im Januar 1952 — bevor, wie ich nochmals betone, überhaupt die Verträge fertiggestellt und unterzeichnet waren; geschweige denn das Parlament damit beschäftigt war —, durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, ein verhängnisvoller Weg beschritten und das Bundesverfassungsgericht in einen solchen Streit hineingezogen worden ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir eben erlebt haben, war sehr lehrreich.
Da stellen sich zwei Herren auf das Podium, und der eine beschuldigt den anderen, er habe die „Würde" des Bundesverfassungsgerichts untergraben, er habe einen unzulässigen Druck auf den Herrn Bundespräsidenten ausgeübt, er habe dazu beigetragen, daß die Achtung des Volkes vor dem Bundesverfassungsgericht untergraben worden sei.
Sehen Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, das ist nun die Konsequenz der Art, wie Sie diese Frage hier überhaupt aufgerollt haben. Geht es denn hier um die Würde des Bundeskanzlers? Geht es denn hier um die Würde des Bundesverfassungsgerichts? Es geht doch um die Frage, mit welchen Methoden der Herr Bundeskanzler es fertiggebracht hat, eine ihm im damaligen Augenblick außerordentlich unangenehme Geschichte in Karlsruhe aus der Welt zu schaffen. Daß ihm damals das Ersuchen des Herrn Bundes-
präsidenten um dieses Gutachten nicht in seinen politischen Kram gepaßt hat, ist doch offensichtlich. Und nun stellt man sich hier hin und polkt mühsam auseinander, wer wen mehr oder weniger gedrückt hat und ob der Herr Bundespräsident an seinen Eid überhaupt erinnert worden ist. Das ist doch vollkommen nebensächlich! Es kommt darauf an, daß der Herr Bundespräsident etwas getan hat, was dem Herrn Bundeskanzler im damaligen Zeitpunkt die Durchführung seiner Politik erleichtert hat.
Und da muß man dem Herrn Adenauer schon sagen, daß ihm der Schritt des Herrn Bundespräsidenten sehr „auf die Butterbrotseite gefallen" ist. Da kann man reden, wie man will. Mit Recht ist damals diese seine Methode als „Staatsstreichpolitik" angesprochen worden.
Herr Adenauer, das haben Ihnen sogar die Zeitungen attestiert, die Ihnen sonst mit einem großen Wohlwollen gegenüberstehen.
Was ist damals eigentlich passiert? Sie wollten die Ratifizierung des Generalvertrags in zweiter und dritter Beratung durchpeitschen. Ihnen paßte das schwebende Verfahren in Karlsruhe nicht. Darum hat der Herr Heuss Vernunft angenommen und hat den Antrag zurückgezogen. Aber Sie waren der, der den Profit davon geerbt hat! So liegen doch die Dinge.
Nun, gehen wir einen Schritt weiter! Der Herr Adenauer hat doch dann hinterher angesichts der Feststellungsklage der Koalitionsparteien erklärt, daß er die dritte Beratung des Generalvertrags ganz unabhängig vom Ausgang des Urteils des Gerichts durchführen werde. Wir haben ja nun den Tatbestand vor uns, daß der Herr Bundeskanzler im Ältestenrat durchgesetzt hat, die dritte Beratung des Vertragswerks, ohne den Spruch des Verfassungsgerichts abzuwarten, am 19. März stattfinden zu lassen. Herr Adenauer besteht auf diesem Termin, obwohl in Paris und in Rom eindeutige Erklärungen in der Linie einer weiteren Hinausschiebung der Ratifizierungstermine vorliegen. Adenauer betätigt sich also hier einmal mehr, gegen die Interessen unseres Volkes, im Auftrage Amerikas, und er übt gleichzeitig einen Druck auf die Völker Italiens und Frankreichs aus, die diese Generalverträge ablehnen. So muß man doch meines Erachtens die Dinge sehen. — Unser Volk will keine Versklavungsverträge.
Sie, Herr Ollenhauer, tun nun so, als ständen Sie den Methoden und den Zielen des Adenauer-Regimes in wirklicher, ehrlicher, prinzipieller Opposition entgegen. Sie lenken aber einmal mehr durch die Art, wie Sie heute diese Frage aufrollen, unser Volk auf das Bundesverfassungsgericht ab. Nicht das Bundesverfassungsgericht wird entscheiden; entscheiden wird gegen die Politik Adenauers unser Volk.
Diese Entscheidung unseres Volkes aber wollen Sie nicht. Sie tun alles, um unser Volk an Aktionen gegen das Adenauer-Regime zu hindern. Und darum auch heute wieder das große Maulgefecht hier um die Frage: wer hat dagegen gedrückt, und wer soll auf wen warten? Darum geht es nicht. Unser Volk erwartet etwas anderes von
Ihnen; unser Volk erwartet von Ihnen, daß Sie Raum geben, Platz machen für die Aktionen zum Sturze dieses Regimes.
Weil unser Volk in Frieden und Freiheit seine Einheit erringen will, darum verlangt es den Sturz dieses Regimes. Adenauer muß gehen, damit unser Volk zum Zuge kommt und das durchsetzt, — —
— Ja, bestimmt ohne Sie, denn Sie sind Adenauers
getreuester Knecht; das ist ja bekannt, Herr Kunze.
Aber auch über Sie wie über den Herrn Adenauer
wird unser Volk hinwegschreiten zur befreienden
Tat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren! Soweit die Vorgänge bei dem Herrn Bundespräsidenten in Frage kommen, d. h. soweit sie die Vorsprache unseres Kollegen Arndt bei ihm betreffen, wird Herr Dr. Arndt gleich selber einiges von dieser Stelle aus sagen. Im übrigen nehme ich an, Herr Bundeskanzler, daß Ihre letzten Ausführungen an die Regierungskoalition gerichtet waren angesichts der Klage, die in Karlsruhe eingereicht worden ist,
und der freundliche Beifall, den Sie fanden, deutet ja wohl darauf hin, daß Ihre Belehrung dort guten Boden gefunden hat.
Wenn Sie heute festgestellt haben, daß an den Eid nicht erinnert worden sei, Herr Bundeskanzler, warum haben Sie dann zu den Feststellungen, die ich am 11. Dezember von dieser Stelle aus getroffen habe, geschwiegen? Es wäre dann auch im Interesse der Öffentlichkeit und der Bevölkerung richtig gewesen, damals bereits dazu Stellung zu nehmen.
Wenn Sie im übrigen sagen, daß Sie die Reden der Minister nicht vorher zensieren und nicht nachher in irgendeiner Form kritisieren könnten, dann möchte ich doch die Frage aufwerfen: Warum haben Sie denn den § 12 in die Geschäftsordnung der Bundesregierung hineingebracht?
— Als Mahnung? Ach, Herr Bundeskanzler, seit
wann sind Sie so vorsichtig und zurückhaltend,
daß Sie so etwas nur als Mahnung hineinschreiben?
Ich muß schon sagen: wir lernen Sie heute von einer ganz neuen Seite kennen.
Aber immerhin ist letzten Endes diese Geschäftsordnung nicht etwa im Schoße der Regierung geheim geblieben, und wenn ein solcher § 12 darin steht, der, wie ich noch einmal sagen möchte, in
der früheren Geschäftsordnung der Reichsregierung nicht enthalten war, dann wird man doch erwarten dürfen, daß daraus auch die notwendigen Folgerungen gezogen werden.
Nun zu der Frage, ob unsere Anträge statthaft sind oder nicht. Sie haben erklärt, der Rechtsausschuß möge sich mit dieser Frage noch einmal beschäftigen. Herr Bundeskanzler, das hat er getan. Er ist, soweit ich unterrichtet bin, einmütig zu der Auffassung gekommen, daß solche Mißbilligungsanträge zulässig sind. Herr Kollege Ewers hat gestern zwar hier von einem dubiosen Beschluß des Rechtsausschusses gesprochen. Ich weiß nicht, ob er selbst dabei mitgewirkt hat. Mindestens ist ja ein Vertreter der Deutschen Partei zugegen gewesen. Dann wird es sicher Herr von Merkatz gewesen sein, der hier gestern allerdings auch behauptet hat, daß solche Anträge unzulässig seien.
Nun, meine Damen und Herren, es gibt ein Mitglied in diesem Hause, das früher einmal Abgeordneter in einem Landtag war, in einem Landtag, in dem die Verhältnisse bezüglich des Mißtrauensvotums bzw. der Mißbilligung ähnlich gelagert sind wie hier. Dieses Mitglied des Hauses hat in einer Landtagssitzung einmal zum Ausdruck gebracht:
Ich sehe auch gar keine Bedenken verfassungsrechtlicher Art, einem einzelnen Minister das Mißtrauen auszusprechen.
Weiter hat er ausgeführt:
Nach der Verfassung ist der einzelne Minister in seinem Ressort dem Landtag verantwortlich. Das kann nur in der Form geschehen, daß der Landtag, wenn er das Verhalten des Ministers nicht billigt, das beschlußmäßig zum Ausdruck bringt. Es ist unmöglich, zu sagen, der Landtag dürfe den Terminus technicus Mißtrauen nicht gebrauchen. Wir lassen uns doch keinen Maulkorb vorbinden. Was der Landtag sagen will, das sagt er. Da gibt es keine Einschränkung. Auch in der Verfassung ist eine solche nicht vorgesehen.
Das Mitglied des Hauses, das diese Ausführungen im Bayerischen Landtag gemacht hat, ist der Justizminister Dehler.
— Sehen Sie sich die bayerische Verfassung mal an, Herr Bucerius! Dann werden Sie feststellen, daß sie gar nicht so sehr unterschiedlich ist.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich Ihnen mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten nur noch einmal vorlesen, was ein bedeutendes katholisches Blatt in Österreich zu den Vorgängen im Dezember hier gesagt hat. Das Blatt schreibt:
Des katholischen Adenauers christliche Partei — das muß offen gesagt werden — gönnte den Rechtsweg den Sozialisten nicht und fing alles an zu unternehmen, um den gewonnenen Fortschritt
— gemeint ist die Errichtung eines Bundesverfassungsgerichts —
wieder rückgängig zu machen. Jetzt bereut man es in diesen Kreisen, daß man einen wirksamen Hüter der Verfassung ins Leben gerufen hat, der ohne Ansehen der Person jedem auf die Finger klopft, auch dem eigenen Vater.
Ferner heißt es in diesem Artikel:
Das war also der Gedankengang der Regierung: Wenn der rote Senat rot, das Plenum rötlich, dann wird wohl unser, der schwarze Senat schwarz 'entscheiden. Ein trauriges Zeichen ihrer Gesinnung!
— Die Frage nach der Zeitung, — ja, ich will Ihre Neugierde gern befriedigen. Es ist der „Innsbrucker Volksbote". Wenn Sie die Verhältnisse in Österreich kennen, wissen Sie, welche Bedeutung diese Zeitung dort hat.
Am Schluß heißt es in dieser Zeitung:
Der überwiegende Teil der deutschen Presse zieht gegen Karlsruhe ins Feld, hetzt die Kritik gegen das Recht auf und schreit: Wir wollen keinen Justizstaat! Justizstaat oder nicht, ist ihnen vielleicht ein Exekutivstaat, ein Willkürstaat à la Hitler lieber, oder wollen die Deutschen einen Parlamentsabsolutismus ohne jede Schranken?
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat eine Darstellung der Besprechung, die der Herr Bundespräsident mir gewährt hat, gegeben, die nicht den Tatsachen entspricht. Ich darf dazu folgendes ausführen.
Erstens: Der Herr Bundespräsident ist von sich aus an mich herangetreten,
indem er mir hier in die Plenarsitzung durch einen besonderen Boten einen Durchschlag seines Gutachtenersuchehs übermitteln ließ. Leider geschah das erst, nachdem das Gutachtenersuchen bereits eingereicht war.
Zweitens: Daraufhin habe ich mich im Auftrag meiner Partei erboten, dem Herrn Bundespräsidenten zu einer Rücksprache zur Verfügung zu stehen.
— Ja, das ist allerdings das Recht eines Abgeordneten, genau so wie es Recht und Pflicht des Herrn Bundeskanzlers ist — was auch Herr Mellies ausgeführt hat —, mit seinem Rat dem Herrn Bundespräsidenten zur Seite zu stehen. Der Herr Bundespräsident hat mich daraufhin erneut durch Boten auffordern lassen, noch am selben Tag bei ihm zu erscheinen.
Drittens: In diesem Gespräch habe ich den Herrn Bundespräsidenten pflichtgemäß darauf aufmerksam gemacht, daß sein Schritt mißdeutet werden könnte und daß meine Partei es bedauern würde, wenn die Person des Staatsoberhaupts in diesen Streit hineingezogen würde; denn es war und bleibt stets das Anliegen der Sozialdemokratischen Partei, das Staatsoberhaupt aus diesem Streit herauszuhalten, und ich glaube, wir haben auch im Dezember genügend Beweise dafür gegeben.
Ich erkläre hier mit aller Bestimmtheit, daß von
einem Verlangen an den Herrn Bundespräsidenten,
sein Gutachtenersuchen zurückzuziehen, keine Rede gewesen ist.
Im Gegenteil — und nun komme ich zum vierten Punkt —, das Ergebnis der Unterredung habe ich auch aus anderen Gründen dann einige Zeit später in einem Schreiben an den Herrn Bundespräsidenten vom 28. Juni des vergangenen Jahres niedergelegt. Dort heißt es gleich einleitend:
Durch eine vor mir verfaßte Verlautbarung des Sozialdemokratischen Pressedienstes habe ich jede Kritik an Ihrem Schritt in den meiner Partei nahestehenden Zeitungen unterbunden.
Sehen Sie, das war sozialdemokratisches Verhalten!
Es gehört allerdings schon einige Deutungskunst dazu, daraus heute zu machen, es sei das Umgekehrte geschehen.
Nun darf ich noch einige weitere Bemerkungen hinzufügen. Der Herr Bundeskanzler hat leider auch die Verlautbarung des Sozialdemokratischen Pressedienstes über das Urteil in der ersten Normenkontrollklage nicht richtig zitiert. Es ist dort nicht gesagt worden, das Bundesverfassungsgericht habe den Rechtsschutz „verweigert". Das Wort „verweigern" kommt in jener Erklärung nicht vor. Aber es könnte allerdings den Klang haben, als ob eben etwas, was von Rechts wegen zu beanspruchen gewesen wäre, verweigert worden wäre. Es steht nichts in jener Verlautbarung, was irgendwie geeignet sein könnte, die Rechtlichkeit und Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts anzutasten.
Nun bitte, schieben Sie den Streit nicht immer auf das Gebiet, als ob es darum ginge, ob eine rechtliche Kritik an den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts statthaft ist. Sie ist selbstverständlich statthaft, und Sie, Herr Kiesinger, haben bereits hier einmal zur Freude Ihrer Parteifreunde zitiert, daß ich gesagt habe, ich hielte das Urteil über das Petersberg-Abkommen für irrig. Das habe ich im Rechtsausschuß gesagt, und das ist auch meine Meinung, mit der ich gar nicht hinter dem Berg halte.
Ich habe gegen einzelne Teile des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wegen des Verbots der SRP so starke Bedenken, daß ich mich seinerzeit, als Sie Herrn Dorls aus dem Hause ausschlossen, ostentativ der Stimme enthalten habe, sicherlich nicht aus irgendeiner Sympathie für Herrn Dorls. Wenn Sie aber der Meinung waren, daß hier verfassungsrechtliche Bedenken trotz des Urteils beständen, so hätten Sie eigentlich anders stimmen sollen; denn man muß auch zu dem stehen, was man rechtlich glaubt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Urteil rechtlich kritisiere und wo und wie ich es rechtlich kritisiere. Diese Kritik ist außerhalb einer amtlichen Funktion zulässig. Ich empfehle dem Herrn Bundeskanzler — und insbesondere dem Herrn Bundesjustizminister —, Verhandlungen aus dem Deutschen Reichstag der kaiserlichen Zeit nachzulesen - Herr Hellwege ist ja Monarchist —,
wo wiederholt der Staatssekretär des Reichsjustizamts erklärt. — — Aber Herr Kopf wünscht sicherlich nicht, daß Sie die Krone von Niedersachsen tragen!
Der Staatssekretär des Reichsjustizamts sowie mehrere andere Staatssekretäre haben gegenüber einem Drängen aus Kreisen des Reichstags wiederholt erklärt, es sei für eine Reichsregierung unzulässig, sich mit einem Urteil des Reichsgerichts oder eines andern höchsten Gerichts im Reichstag auseinanderzusetzen; denn das würde die Unabhängigkeit der Gerichte beeinträchtigen. Die Unabhängigkeit der Gerichte war damals—noch nicht einmal in der Verfassung, sondern nur im Gerichtsverfassungsgesetz — niedergelegt. Ich bin auch nach wie vor dieser Auffassung, daß es gegenüber dem Verfassungsgrundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte unzulässig ist, daß sich ein Bundeskanzler oder ein Bundesminister der Justiz hier hinstellt und Gerichtsurteile als angeblich unrichtig kritisiert. Etwas Derartiges zu tun, ist absolut verfassungswidrig.
Die rechtliche Kritik außerhalb des Amtes ist unbenommen. Aber als Bundesregierung im Bundestag amtlich eine Kritik an einem Urteil zu üben, ist unzulässig, da sie mit dem Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit in Widerstreit steht.
Aber darum handelt es sich doch überhaupt nicht. Es ist j a gar nicht die Frage, über die man gewiß rechtswissenschaftlich streiten könnte, ob man die Rechtsgründe der einen oder anderen Entscheidung oder des Plenarbeschlusses vom 8. Dezember vergangenen Jahres für überzeugend und zutreffend hält oder man eine rechtlich abweichende Meinung hat.
Hier ist doch etwas ganz anderes geschehen: Hier ist nicht die juristische Richtigkeit mit vermeintlich besseren juristischen Gründen angegriffen worden, sondern hier wurde gegen das Bundesverfassungsgericht — und wird im Grunde noch — der Vorwurf erhoben, daß es nicht rechtlich gehandelt habe. Die Rechtlichkeit und Unparteilichkeit dieses obersten Verfassungsorgans wird angegriffen.
— Nun, die Formulierung, das Gericht sei in einer erschütternden Weise vom Wege des Rechts abgewichen, kann doch ein Mensch mit gesundem Menschenverstand gar nicht anders verstehen, als daß hier dem Gericht ein Rechtsbruch, und zwar ein böswilliger Rechtsbruch, vorgeworfen wird. Noch gestern hat der Herr Bundesminister der Justiz, und zwar gestützt auf Zitate, die ebenfalls sehr anfechtbar sind und die die Worte von niemandem wiedergeben, der bereits Bundesverfassungsrichter war, so getan, als handelte es sich darum, im Bundesverfassungsgericht eine verfassungswidrige Strömung abzuwehren, die sich über die Verfassung stellen wolle.
Das sind die Äußerungen der Bundesregierung, die wir mißbilligt haben, Äußerungen, die dahin gehen, dem obersten Gericht Verfassungsbruch vorzuwerfen, die Bundesregierung zu einem Überverfassungsgericht einzusetzen, offenbar dank der besonderen Rechtskunde vielleicht des Herrn Bundespostministers oder des Herrn Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrats, und dann den
Herrn Bundespräsidenten wissen zu lassen: Hier mußt du einen Verfassungsbruch durch das Gericht verhindern.
Dies sind die Vorgänge, die wir getadelt haben, und wir sind überzeugt: Wenn Sie nicht den Mut besitzen, sie auch zu tadeln — die Öffentlichkeit und die Geschichte werden sie tadeln!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiesinger.'
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen, die durch die Worte des Herrn Dr. Arndt und durch das, was Herr Mellies zuletzt gesagt hat, veranlaßt sind.
Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat in durchaus überzeugender Weise dargetan, daß er sich in den von der sozialdemokratischen Fraktion behandelten Fällen vollkommen korrekt und pflichtgemäß verhalten hat. Aus den Worten des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt geht hervor, daß im Grunde genommen ein Vorwurf erhoben wird, den ich aus dem Text des Antrags der Fraktion der SPD nicht habe herauslesen können; denn da ist nicht der Vorwurf erhoben worden, die Bundesregierung habe dem Bundesverfassungsgericht bewußten Verfassungsbruch, bewußte Gesetzesübertretung vorgeworfen. Tatsächlich ist dies auch weder von der Bundesregierung noch von der Regierungskoalition irgendwann einmal geschehen. Wenn Herr Kollege Dr. Arndt gemeint hat, er könne die Formulierung, die der Herr Bundesjustizminister gewählt hat, das Bundesverfassungsgericht sei in erschütternder Weise vom Wege des Rechts abgewichen, so auslegen, dann kann er das doch jedenfalls nicht dem Herrn Bundeskanzler zum Vorwurf machen.
Im übrigen bin ich, so wie ich den Bundesjustizminister kenne, durchaus davon überzeugt, daß er mit dieser etwas aus der Situation heraus
gefaßten Formulierung jedenfalls dem Bundesverfassungsgericht nicht diesen Vorwurf machen wollte.
Sie können, wenn Sie den Satz wohlwollend auslegen, ihn durchaus so verstehen, daß der Bundesjustizminister damit hat sagen wollen, das Bundesverfassungsgericht sei, wenn auch im Bemühen,
eine Lösung zu finden, objektiv in einer erschütternden Weise vom Wege des Rechts abgewichen.
Es ist noch ein Wort zu der Frage der Kritik zu sagen. Doch, Herr Dr. Arndt, das alles kommt ja hier immer wieder herauf. Man will „Alarm schlagen" gegenüber einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, so sagte Herr Mellies. Solche Kritik sei nicht zulässig. Nein, im Gegenteil, solche Kritik ist Pflicht, wenn man der Auffassung ist, daß sich das Bundesverfassungsgericht in irgendeinem Punkt geirrt hat und besonders da geirrt hat, wo das für die kommende Rechts- und Verfassungsentwicklung in Deutschland von großer Bedeutung ist. Ich bin der Überzeugung, daß Sie da mit mir übereinstimmen.
Nun soll der Unterschied der sein: ein Abgeordneter etwa soll eine solche Kritik äußern dürfen; ein Mitglied der Regierung soll das nicht tun können. Ich glaube, der Vergleich mit der kaiserlichen Zeit, den Herr Dr. Arndt gezogen hat, stimmt schon deswegen nicht, weil die damaligen Staatssekretäre der Reichsregierung Beamte waren, die sich wahrhaftig nicht herausnehmen konnten, gegenüber dem höchsten Gericht eine solche Kritik zu äußern. Aber wir leben nun in einem anderen Staat, nämlich in einer parlamentarischen Demokratie. Da muß es das Recht sowohl der Abgeordneten wie auch jedes Mitglieds der Bundesregierung sein, eine solche Kritik zu äußern.
Meine Damen und Herren, Sie könnten selbst in die Verlegenheit kommen, eine solche Kritik einmal sehr nachdrücklich zu äußern.
Ich stimme z. B. mit den Ausführungen von Herrn Dr. Arndt zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den SRP-Prozeß vollkommen überein. Auch mich hat dieses Urteil mit tiefstem Bedenken erfüllt, und zwar wegen der Konsequenzen, die es haben kann. Ich will auch hier dem Bundesverfassungsgericht in keiner Weise vorwerfen, daß es parteiisch Recht gesprochen habe. Aber gerade dieses Urteil zeigt, wie bei den Entscheidungen des Bundesverfassunggerichts politische Erwägungen mit Rechtserwägungen fast untrennbar verbunden sind.
Und wenn der Herr Bundeskanzler vorhin darauf hingewiesen hat, daß das Bundesverfassungsgericht nur Recht zu sprechen habe, dann hat er damit den Finger auf die Wunde gelegt, und wir werden den Finger vielleicht noch oft auf diese Wunde legen müssen. Auch Sie haben sicherlich das Schriftchen des Bundesverfassungsrichters Professor Leibholz über den Strukturwandel der Demokratie gelesen, in dem er die These vertritt, wir lebten in dem Parteienstaate bereits so, daß die in Art. 38 des Grundgesetzes festgelegte Unabhängigkeit des Abgeordneten, seine Eigenschaft als Vertreter des ganzen Volkes, daß er nur seinem Gewissen unterworfen sei, nicht mehr bestehe; indem er diese Unabhängigkeit leugnet und den Art. 38 praktisch für obsolet erklärt und behauptet, der Abgeordnete sei heute nur noch ein gehorsamsverpflichteter Funktionär seiner Partei.
Ich gebe zu, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gegen die SRP nicht soweit gegangen ist, aber gewisse Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhange mit der Frage des Verbots einer Partei und des damit verbundenen Mandatsverlustes und seine Ausführungen darüber, daß sich der Grundgesetzgeber über die prinzipielle Unvereinbarkeit des Art. 38 GG, der ja die Unabhängigkeit der Abgeordneten festlegt, und des Art. 21 GG nicht im klaren gewesen sei, und die daraus für die Zukunft etwa noch zu erwartenden weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nötigen uns ja, dazu Stellung zu nehmen,
— das hören Sie gern, Herr Renner, ich weiß! — und zwingen uns, Herr Mellies, wenn es nottut, rechtzeitig Alarm zu schlagen.
Ich bekenne mich aber, wie gestern schon, dazu, daß wir diese Kritik am Bundesverfassungsgericht und der von ihm etwa eingeleiteten Rechtsprechung mit Vorsicht und Takt auszuüben
haben. Aber wir müssen diese Kritik ausüben und müssen uns alle in diesem Bemühen zusammenfinden; dann werden .wir es uns auch ersparen, uns gegenseitig unberechtigte Vorwürfe zu machen. Ich finde, ohne daß ich auf den formellen Standpunkt, den wir gestern in der Frage der Zulässigkeit eines Mißbilligungsantrags eingenommen hab en, noch einmal einzugehen brauche: Es ist in diesem Falle ganz klar, daß ein Vorwurf gegen die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers nicht erhoben werden kann. Es hat sich nicht nur nicht „ungeheuerlich", sondern vollkommen korrekt und pflichtgemäß verhalten. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat es von Anfang an bedauert; daß aus Anlaß der für die deutsche Geschichte und Zukunft so wichtigen Frage unserer West- oder Ostorientierung weite Teile dieses Hauses der Meinung gewesen sind, daß die letzte Entscheidung darüber keine politische, sondern nur eine rechtliche sein könne, und daß dadurch von vornherein zwangsläufig das Karlsruher Gericht von seiner Höhe in den Streit politischer Meinungen herabgezerrt worden ist. Daß das dann um die Monatswende November-Dezember in besonders empfindlicher Weise und mit einer besonderen Offenheit in der Presse geschah, die jeden, der um die Rechtsstaatlichkeit bangt, erschüttern mußte, haben wir ja erlebt. Daß daran der Herr Bundeskanzler besonders schuld gewesen sei und daß ihn als Regierungschef irgendein besonderer Vorwurf treffe, davon wissen wir nichts. Wir müssen bedenken, daß wir alle hier im Hause, von ganz links bis ganz rechts, über die unsere Arbeit betreffenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts doch — der eine so und der andere so — wiederholt überrascht gewesen sind. Ich sage vorsichtig „überrascht", weil wir nicht angenommen hatten, daß wir ein Verf assungsgericht haben, das in einem so — ich hätte beinahe gesagt: unbegrenzten Maße das Recht fortbilden und nicht nur anwenden muß oder kann. Diese Tendenz hat uns alle hier im Hause in verschiedenen Passagen fast aller Urteile befremdet, und ich muß sagen, der Herr Bundesjustizminister ist wohl der Mann, der, zumal wenn in der Sache der Bundesregierung selbst Recht gesprochen wird, es schon einmal aussprechen mußte, daß er davon befremdet sei, was ein Gericht alles aus einem Gesetz machen kann. Dazu betone ich für meine Person, daß ich das Grundgesetz in seiner Diktion und seiner Problematik nicht für ein vorbildliches Verfassungsgesetz halte. Es hat allzu viele Fragen offengelassen. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat leider ebenfalls solche Lücken, Mängel und Absonderlichkeiten, so daß es wohl einer gewissen Auslegung nach jeder Richtung hin fähig und auch bedürftig ist.
Was mich besonders interessiert hat, waren die Ausführungen von Herrn Dr. Arndt. Was er über die Tatsache sagte, daß man zunächst einmal den Staatschef aus der Debatte lassen müsse und sodann daß man Gerichtsurteile nicht nur von seiten der Regierung, sondern auch von seiten des Parlaments — denn souverän ist heute ja nicht mehr der Kaiser, sondern das Parlament —, also von der höchsten Stelle aus nur mit einer ,gewissen Vorsicht und Behutsamkeit schelten dürfe, ist genau das, was meine Partei anstrebt. Aber es ist das, was wir gerade bei der Linken dieses Hauses bei dieser oder jener Gelegenheit immer wieder, und zwar sowohl bei nicht rechtskräftigen wie auch bei rechtskräftigen Urteilen, auf das peinlichste vermißt haben.
Wir freuen uns, daß wir uns von ganz rechts bis ganz links jetzt darüber einig sind: zum Rechtsstaat gehört, daß man Erkenntnisse der Richter, auch wenn man sie kritisieren muß, schonsam kritisiert und niemals so, daß man nicht nur den einzelnen Spruch in die Debatte zieht, sondern das System des Gerichts als Ganzes. Darüber sind wir uns alle einig, und wenn das die Errungenschaft dieser Debatte ist, so wollen wir uns freuen, daß wir sie gehabt haben.
Im übrigen halte ich auch den heutigen Antrag für genau so unzulässig wie den gestrigen; und schon aus diesem Grunde wird ihn meine Fraktion — ohne sich mit Geschäftsordnungsfragen wie „Übergang zur Tagesordnung" usw. zu quälen — geschlossen ablehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß zwei Parteien sich streiten, ist gar nichts Ungewöhnliches. Es ist auch nichts Ungewöhnliches, daß einer der streitenden Teile die Regierung ist. Für diesen Fall ist in der Verfassung als Hüter der Verfassung das Bundesverfassungsgericht eingesetzt und niemand anders. Wenn dann ein streitender Teil hingeht und sich selber wieder zum Richter über das Bundesverfassungsgericht aufwirft, dann ist das die Verletzung des Grundgedankens der Gewaltenteilung überhaupt.
Wenn wir dem Gedanken der Gewaltenteilung auf den Grund gehen wollen, dann darf ich — mit Erlaubnis des Präsidenten — hier einmal aus dem Hatschek die Lehre des Herrn Montesquieu zitieren:
Es ist keine Freiheit mehr, wenn die richterliche Gewalt nicht von der Legislative und der Exekutive getrennt ist. Wenn sie mit der legislativen Gewalt verbunden ist, wäre die Gewalt über Leben und Freiheit der Staatsbürger willkürlich, denn der Richter wäre zugleich Gesetzgeber.
Das gilt genau so für die Verwaltung im Verhältnis zur Gesetzgebung und zum Richter. Alle drei Organe, die Legislative, die Exekutive und auch die Rechtsprechung, dienen, soweit es sich um Verfassungsrechtsprechung handelt, politischen Zwecken und Zielen. Es ist also nicht richtig, wenn der Herr Bundeskanzler erklärt, das, was hier das Bundesverfassungsgericht getan habe, bedeute einen Eingriff in die Politik, die ihm nicht zukomme. Das Verfassungsgericht ist für politische Fragen da; aber es ist zur Entscheidung auf der rechtlichen Ebene über politische Fragen da, mit rein juristischen Mitteln und nach rein juristischen Grundsätzen.
— Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind! — Dann steht es aber der Regierung nicht an, und es bedeutet eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, während des Verfahrens in der hier geschehenen Art und Weise einzugreifen und aus der Stellung der Regierung heraus — nicht nur als Abgordneter oder Privatmann — zu sagen, daß das eine Verletzung der Verfassung bedeute, was das Gericht verkündet hat. Das ist nicht damit entschuldigt, daß man sich auf die rein objektive Seite zurückzieht und vom Versagen. spricht. Nein, das, was recht ist und nicht recht ist, was objektiv recht ist, das entscheidet — und hier herrscht der Grundsatz: Roma locuta causa finita — nur das Verfassungsgericht und niemand anders. Wir können hinterher Kritik äußern. Aber in einer Art und Weise, wie es der Herr Bundeskanzler und erst recht der Herr Bundesjustizminister getan hat,
am Bundesverfassungsgericht Kritik zu üben, ist unzulässig.
Aber vor allen Dingen: Was für ein Stil! Es ist, solange es eine parlamentarische Regierungsform gibt, nicht bloß guter, sondern notwendiger Stil und notwendige Übung gewesen, sich gegenseitig Respekt zu zollen und anzuerkennen. Dieser Respekt der höchsten Gewalten im Staate voreinander ist hier auf das schwerste verletzt worden. Auf diese formellen Dinge hat man erheblichen Wert zu legen, namentlich in einem so jungen Staat, der erst im Begriff ist, sich zu konsolidieren, wie der unsere. Der Zweck des Respekts vor der Verfassungsgerichtsbarkeit ist doch der, dem Exekutivstaat zu wehren und die Minderheit im Staat in Schutz zu nehmen. Niemand weiß, ob er nicht ) selber eines Tages die Minderheit sein wird. Die Freiheit findet erst ihr Kriterium in der Freiheit der anderen. Das gilt namentlich für die jeweils herrschende Mehrheit.
Deswegen bedauert das Zentrum die Art und Weise, wie hier die Bundesregierung durch ihren Chef wie auch durch den Justizminister, in dessen Etat jetzt noch das Bundesverfassungsgericht steht — es muß daraus gelöst werden; das ist eine Konsequenz, die sich aus diesen Vorkommnissen ergibt —, gegen diesen guten Stil und gegen den Anstand im Nebeneinander der Gewalten so gröblichst verstoßen hat, indem man nach der Art spielender Kinder in dem Augenblick, wo man sah, daß man im Unterliegen ist, das Spiel zu verwischen versucht hat. Das sind Dinge, die sich nicht gehören und die nicht vorkommen dürfen. Deshalb stimmen wir vom Zentrum der Mißbilligung zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Reismann machen erneut den Hinweis erforderlich, daß von keiner Seite der Regierung, weder vom Herrn Bundeskanzler noch vom Herrn Bundesjustizminister, gegen das Bundesverfassungsgericht der Vorwurf ausgesprochen wurde, es habe auch subjektiv die Verfassung verletzt. Es ist nichts anderes geschehen, als daß eine Kritik in dem Sinne ausgesprochen worden ist: in diesem Fall hat das Bundesverfassungsgericht seine Aufgabe der Rechtsfindung überschritten und ist zur Setzung neuen Rechts übergegangen. Genau das sind die Worte, die in der ersten Verlautbarung der Bun-
*) Vgl. Anlage 2 Seite 12197. desregierung enthalten sind, und in dem Rahmen haben sich alle anderen Verlautbarungen der Regierung, auch die des Herrn Bundeskanzlers, gehalten. Meines Erachtens ist in diesem Fall die Regierung deshalb gerechtfertigt, weil es doch nicht zu übersehen ist, daß das Bundesverfassungsgericht durch eine schrankenlose Setzung neuen Rechts das schwere Problem der Verrückung zwischen den drei Gewalten aufgeworfen hat. Das Grundgesetz ist von einer klaren bestimmten Vorstellung darüber ausgegangen, wie die Gewichte zwischen den drei Gewalten verteilt sein sollen. Es ist nicht möglich, einer Praxis zuzustimmen, die in der Setzung neuen Rechts über die Ausfüllung von Lücken hinausgeht, indem sie Recht setzt, das dem Inhalt von Gesetzen, in diesem Fall dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz, widerstreitet.
Nach dem Dafürhalten meiner politischen Freunde hat die Regierung und hat der Herr Bundeskanzler nicht nur einem Recht, sondern einer Pflicht entsprochen, indem sie die öffentlichkeit auf das prinzipielle staatsrechtliche Problem hinwiesen, daß sich aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ergibt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3955. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, es ist nicht klar erkennbar.
— Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß das Bild von den Bänken und von hier aus völlig verschieden ist; Sie müssen also nicht immer auf objektive Feststellungen des Vorstandes mit Lärm reagieren!
— Also ich darf dann bitten, daß diejenigen, die für den Antrag sind, sich erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt*).
Dann kommen wir zu Punkt 7 der Tagesordnung: Entwurf eines Bundeswahlgesetzes.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wellhausen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Freunde und der Koalition, den Punkt „Mineralöl" vor dem Punkt „Wahlgesetz" zu behandeln.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, dem Redner zuzuhören. Es handelt sich um eine geschäftsordnungsmäßige Feststellung. Man muß doch wissen, was der Redner sagt.
Ich möchte vor allen Dingen bemerken, daß ich den verehrten Herren den Genuß von Mineralöl nicht empfehle. — Ich bitte
also, diese Umstellung in der Tagesordnung vorzunehmen, und zwar mit Rücksicht darauf, daß dieser Punkt als vierter Punkt bereits auf der gestrigen Tagesordnung stand.
Es handelt sich also darum, den noch nicht erledigten Punkt 4 der gestrigen Tagesordnung — Drucksache Nr. 4137 — jetzt zu beraten.
Zur Geschäftsordnung der Herr Bundesminister dies Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wahlgesetz erfordert zu seiner ersten Durchberatung ungefähr vier Stunden. Ich möchte deshalb doch sehr bitten, es bei der Reihenfolge der Tagesordnung zu belassen, damit wir heute noch fertig werden. Sonst ist es nicht möglich, über das Wahlgesetz heute noch zu sprechen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat- Herr Abgeordneter Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So leid es mir tut, dem Herrn Bundesinnenminister widersprechen zu müssen, muß ich doch auch im Namen der Fraktion der CDU/CSU dringend darum bitten, daß dieses Mineralölabgabegesetz heute noch behandelt wird, damit es noch bis zum 1. April in Kraft treten kann. Wir müssen daran festhalten, Herr Bundesinnenminister!
Also, meine Damen und Herren, Sie haben jetzt Meinung und Gegenmeinung gehört. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Meinung sind, daß der Punkt 4 der gestrigen Tagesordnung, Neuregelung der Abgaben auf Mineralöl, sofort behandelt werden soll, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe demgemäß auf Punkt 4 der gestrigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Abgaben auf Mineralöl ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Nr. 4137 der Drucksachen).
Der Ältestenrat hat für die Generalaussprache der dritten Beratung eine Redezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Neuburger.
— Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen und Privatunterhaltungen außerhalb des Saales zu veranstalten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Materie, der wir uns jetzt zuwenden, scheint nicht das allgemeine Interesse zu finden. Es handelt sich aber bei diesem Gesetzentwurf sowohl nach der sachlichen wie nach der gesetzestechnischen Seite hin um eine außerordentlich schwierige Materie.
— Schwierig! — Seine Bearbeitung hat den beiden Ausschüssen viel Zeit, Arbeit und Mühe gekostet.
Das Gesetz gliedert sich in zwei Teile. Die Art. 1, 2 und 3 haben reinen Zollcharakter, die Art. 4 und 5 behandeln die steuerlichen Vorschriften, Art. 6 bringt Übergangsvorschriften für Zölle, Art. '7 Übergangsvorschriften für Steuern. Es folgen dann noch die Vorschriften für Berlin und die Festlegung des Zeitpunktes des Inkrafttretens des Gesetzes.
— Meine Damen und Herren, um etwas Ruhe muß ich bitten; denn nach all der Arbeit muß ich hier noch angestrengt einen Bericht geben. Dann darf ich doch bitten, daß Sie mir wenigstens zuhören.
— Dann mache ich in zwei Minuten Schluß.
Bei der Bearbeitung waren folgende Gesichtspunkte zu erörtern. Erstens Schutz der deutschen Erdölindustrie, zweitens Schutz der deutschen Rohöl verarbeitenden Industrie, drittens keine Verteuerung des Endproduktes, viertens kein Steuer- und Zollausfall insgesamt, fünftens Aufrechterhaltung des Wettbewerbs gegenüber dem Import und sechstens Aufrechterhaltung der Wettbewerbsverhältnisse innerhalb der beteiligten Industrie selbst. Schließlich war noch dort, wo Mineralöl als Rohstoff und damit als Ausgangspunkt für die deutsche chemische Industrie in Betracht kommt, völlige Zoll- und Steuerfreiheit zu schaffen.
Die Gesichtspunkte, die ich hier im einzelnen aufgeführt habe, fanden in beiden Ausschüssen einmütige Zustimmung. Differenzen entstanden nur darüber, in welchem Ausmaße sowohl auf dem Gebiete des Zolles wie auf dem Sektor der Steuer dieser Schutz gewährt werden soll. Einmütig waren beide Ausschüsse darin, daß die deutsche Erdölindustrie gegenüber Rohöleinfuhren einen einheitlichen Zollschutz erhalten soll. Die Regierung hatte hierfür einen Betrag von 12,90 DM pro 100 kg vorgesehen. Beide Ausschüsse haben diesen Satz anerkannt.
Besonders schwierig war die Frage, wie der Schutz für die Rohöl verarbeitende Industrie verwirklicht werden soll. Von der Regierung waren eingehende Untersuchungen angestellt worden, die sich auf Monate, teilweise auf Jahre erstreckten. Die Ergebnisse dieser Kostenuntersuchungen gingen außerordentlich weit auseinander. So lagen bei der einen Firma die Betriebskosten, auf 100 kg gerechnet, bei 2,10 DM; bei anderen Firmen lagen sie bei der 7-DM-Grenze. Es war daher sehr schwierig, einen echten Vergleichsmaßstab zu finden. Ich muß Ihnen offen gestehen, wir konnten nicht mit voller rechnerischer Sicherheit den Satz festlegen, den Sie nun im Bericht vor sich sehen, nämlich den Satz von 16,50 DM; das bedeutet die Gewährung eines Verarbeitungsschutzes in Höhe von 3,60 DM pro 100 kg. Sie sehen ja auch, daß Ände-
rungsanträge hierzu vorliegen. Ich betone in diesem Zusammenhang aber, daß die Kostenrechnungen aus den Untersuchungen, die dem Ausschuß vorlagen und sich auf sieben Firmen bezogen, nur bei zwei Firmen unter dem Satz von 3,60 DM lagen. Bei allen anderen Firmen, insbesondere bei den Firmen, die sich einstufig nur mit der Raffinerie beschäftigten, lagen die Kosten bedeutend darüber. Soviel zu der Verarbeitungspräferenz.
Es folgen weiter die Bestimmungen über die Zollvergünstigungen. Früher sprach man von Zollrückvergütungen. Diese erstrecken sich teilweise auf Nebenprodukte, die bei der Verarbeitung von Rohöl zwangsläufig anfallen und die im übrigen zollfrei eingeführt werden.
Sodann waren Bestimmungen für die Rückvergütung von Zöllen für alle die Produkte, die wieder exportiert werden, aufzunehmen.
Schließlich war, wie ich bereits eingangs erwähnte, die Frage zu prüfen, inwieweit Rohöl für die chemische Industrie völlig zollfrei gestellt werden soll. In den übrigen ölreichen Ländern hat die chemische Industrie sehr früh auf Erdöl als Rohstoff zurückgegriffen. Wir wissen, daß unsere chemische Industrie auf der Kohle als Rohstoff basiert. Da wir hoffen, daß wir unsere Erdölindustrie ausbauen können — deshalb schaffen wir auch den Zollschutz für Rohöl —, müssen wir der chemischen Industrie auch die Möglichkeit geben — wir tun das gerne, diese Meinung kam in beiden Ausschüssen übereinstimmend zum Ausdruck —, auf Erdöl als unversteuerten und unverzollten Rohstoff zurückzugreifen.
In diesem Zusammenhang ist noch besonders Art. 3 zu behandeln. Der Verarbeitungsschutz soll also nach den Vorschlägen der Ausschüsse 3,60 DM betragen. Um aber die Wettbewerbsverhältnisse in bezug auf den Import noch aktiv zu halten, wie ich vorhin betonte, und auch den veränderten Preisverhältnissen auf dem Weltmarkt Rechnung zu tragen, ist der Art. 3 eingefügt, der den Bundesfinanzminister ad hoc ermächtigt, den Praferenzzoll von 3,60 DM entsprechend zu ermäßigen. Er muß dann allerdings dem Bundestag und dem Bundesrat innerhalb von drei Wochen eine entsprechende Vorlage zuleiten.
Zur Steuerseite! Es läge nahe, das Fertigprodukt, sofern es nunmehr dem Endverbraucher zugeführt wird, einer einheitlichen Steuer zu unterwerfen. Das war leider im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der Verfahren, mit Rücksicht auf die Tatsache, daß Großkonzerne bei gleichen Verkaufspreisen verhältnismäßig kleinen Firmen im Wettbewerb gegenüberstehen, und im Hinblick darauf, daß verschiedene Firmen der Demontage unterlagen und unter Produktionsverbot standen, nicht möglich. Die Ausschüsse haben sich daher entsprechend den Vorschlägen der Regierung dazu entschlossen, innerhalb der Steuer besondere Nachlässe zu gewähren. Die Ausschüsse sind allerdings auch hierin nicht ganz den Vorschlägen der Regierung gefolgt. Man hat die Steuersätze etwas ermäßigt. Die Ausschüsse glaubten hierzu verpflichtet zu sein, um damit einen weiteren Grundsatz zu befolgen, den ich zu Beginn angesprochen habe, nämlich den, daß dieses Gesetz für den Endverbraucher keine Preiserhöhungen zur Folge haben dürfe. Deshalb mußte die Ausgangssteuer im Betrage von 28 DM auf 27 DM ermäßigt werden.
Sie gestatten mir sicher, daß ich auf die Einzelheiten der Abstufung in den Steuersätzen nicht eingehe. Die Ausschüsse waren sich in diesen Punkten im wesentlichen einig.
Der Entwurf enthält sodann Bestimmungen über die Entstehung der Steuerschuld, über die Person des Steuerschuldners und über die Fälligkeit, notwendige Übergangsbestimmungen in bezug auf die Zollvorschriften und in bezug auf die Steuervorschriften und schließlich den üblichen Sonderparagraphen für Berlin.
Beide Ausschüsse — der Finanz- und Steuerausschuß und der Wirtschaftspolitische Ausschuß
— empfehlen dem Hohen Hause, die Vorlage Drucksache Nr. 4137 unverändert anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegen vor ein Antrag Margulies auf Umdruck Nr. 778 und ein Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 779 Ziffern 1 und 2. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat bereits versucht, Sie in die Problematik dieses Gesetzes einzuführen. Die Schwierigkeit, vor die sich die Ausschüsse gestellt sahen, liegt darin, daß mit Hilfe eines Steuergesetzes für eine Produktion in Deutschland ein Schutz geschaffen werden soll, deren Produktionskosten und deren Ausgangsbasis völlig unterschiedlich liegen.
Der Ausschuß hat sich deshalb mit außerordentlich vieler Mühe der Aufgabe unterzogen, mit Hilfe der Steuersätze einen Ausgleich der Kosten vorzunehmen. Auf Seite 6 des Ihnen vorliegenden Mündlichen Berichts werden Sie finden, daß für bestimmte Betriebsgruppen, deren Schutz wir als notwendig angesehen haben, ganz unterschiedliche Steuersätze beschlossen worden sind. Der Schutz der deutschen Rohölförderung liegt in dem Zollsatz in der Ziffer 4 des Art. 1 auf Seite 2 der Drucksache Nr. 4137, in den 12,90 DM per 100 kg. Die Differenz entstand — und daher unser Änderungsantrag — über die sogenannte Verarbeitungspräferenz, und zwar nicht um die wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte, die auch von mir und meiner Fraktion in vollem Umfang anerkannt werden, sondern über die Höhe, da die uns vorgelegten Berechnungen, wie es auch der Herr Berichterstatter schon ausgeführt hat, nicht alle Zweifel beseitigen konnten.
— Selbstverständlich, Herr Professor. — Der Maßstab, den wir anzulegen gezwungen sind, muß daher ein anderer sein.
Eine Präferenz — sie steht nicht hier im Gesetz
— ist darin gegeben, daß auf den Rohstoff, das Rohöl, eine Umsatzausgleichsteuer bei der Einfuhr nicht erhoben wird, während die Veredelungsprodukte bei der Einfuhr eine Umsatzausgleichsteuer zu tragen haben, deren Höhe allerdings auch strittig geblieben ist. Von seiten dès Ministeriums wurde uns die Höhe mit 1,60 DM beziffert, während bestimmte Oppositionsgruppen — Opponenten in sachlicher Hinsicht — der Ansicht waren, daß die Ziffer mit 2,30 DM angenommen werden müsse.
Nach den Unterlagen, die uns von seiten des Ministeriums geliefert worden sind, hat bisher die Präferenz 15,16 DM per Tonne, also 1,52 DM je 100 kg, betragen. Nun sehen Sie sich bitte draußen um, ob es notwendig ist, hier einen besonderen darüber hinausgehenden Schutz zu gewähren! Wir wissen doch alle, daß an den Landstraßen alle paar Kilometer große Tankstellen, wahre Glaspaläste, reine Kultstätten des Kundendienstes, nur so aus dem Boden schießen. Das alles vollzieht sich auf der Kostengrundlage, wie sie heute gegeben ist.
Ich bitte Sie nur um eine technische Änderung. In dem Änderungsantrag bitte ich Sie die ersten Worte bis zum ersten Komma, nämlich „In Artikel 1 Ziff. 2", zu streichen und neu zu beginnen: „In Artikel 1 Ziff. 4 unter B 1, 2, 3, ...". Denn unter Ziffer 2 handelt es sich um Benzol, und ich habe mich überzeugen müssen, daß für Benzol der Zollschutz in Höhe von 16,50 DM erforderlich ist. Dagegen glauben wir, die Verarbeitungspräferenz in der im Ausschußbericht vorgeschlagenen Höhe nicht anerkennen zu können, und bitten daher, den Zoll-. Satz gleichmäßig auf 12,90 DM festzusetzen, immer unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ja ein Verarbeitungsschutz neben dem Gesetz durch die unterschiedliche Erhebung der Umsatzausgleichsteuer in Höhe von 1,60 bis 2,30 DM — die Ziffer kann ich nicht genau benennen — gegeben ist. Das entspricht dem bisherigen Schutz der Verarbeitung.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß in anderen europäischen Ländern, soweit überhaupt eine Präferenz gewährt wird, diese nicht höher ist als diese 1,60 DM, die bei uns durch das Umsatzausgleichsteuergesetz gegeben ist.
Zum Schluß noch ein Wort. Es ist in diesem Hause und unter uns nicht üblich, mit Anträgen, mit denen man im Ausschuß keinen Erfolg gehabt hat, wieder vor das Plenum zu treten. Wenn ich mich im vorliegenden Fall genötigt gesehen habe, von dieser Übung abzuweichen, dann deshalb, weil in der entscheidenden Ausschußsitzung, in der über die Frage der Präferenz abgestimmt worden ist — eine Abstimmung, die im übrigen 12 zu 12 erfolgt ist —, durch Verbreitung eines Briefes, der an sich mit der Sache nichts zu tun hatte, aber den Anschein erweckte, daß eine Einigung unter den verschiedenen widerstrebenden Gruppen erfolgt sei, die Meinung einiger Abgeordneter beeinflußt worden ist. Es hat sich am nächsten Tage herausgestellt, daß der Inhalt dieses Briefes für die Beratung keine Bedeutung hatte. Deshalb sehe ich mich genötigt, den Antrag hier zu wiederholen mit der Bitte, sich meinem Antrag anzuschließen, auf einen Verarbeitungsschutz in der im Ausschußbericht vorgeschlagenen Höhe zu verzichten. Denn es ist nirgends bewiesen oder belegt oder auch nur glaubwürdig gemacht, daß diese Höhe des Verarbeitungsschutzes notwendig ist, während der alltägliche Augenschein dafür spricht, daß der zur Zeit bestehende und in Höhe von 1,60 DM im Umsatzausgleichsteuergesetz gegebene Verarbeitungsschutz als durchaus ausreichend angesehen werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 779 vor. Mir ist dasselbe Malheur passiert — es ist ein technisches
Versehen des Büros —, das heißt, in Ziffer 1 sollten die 12,90 DM nicht stehen. In Ziffer 1 — Benzol —steht im alten Gesetz 16,40 DM. Der bisherige Einfuhrzoll für Benzolerzeugnisse beträgt 21 DM zuzüglich Tarazuschlag von 20 %, 4,20 DM, ergibt einen Betrag von 25,20 DM je Doppelzentner. Da eingeführte Benzolerzeugnisse eine um 8,80 DM je Doppelzentner geringere Mineralölsteuer zu tragen haben als inländische Benzolerzeugnisse, ergibt sich zur Zeit ein Schutzzoll für Benzolerzeugnisse von 16,40 DM je Doppelzentner. Und dabei soll es bleiben. Ich beantrage also — und bitte, das im Umdruck Nr. 779 zu ändern —, in Ziffer 1 statt „12,90 DM" zu schreiben „16,40 DM". Im übrigen bleibt der Antrag, wie er hier dargestellt worden ist.
Ich muß nun noch ein paar Ausführungen machen, dabei muß ich ein wenig weiter ausholen, als Herr Kollege Margulies dies getan hat, weil er etwas zu zurückhaltend gewesen ist. Zunächst möchte ich klarstellen, daß meine Fraktion für den Schutz der deutschen Erdölgewinnung ist und daß sie zweitens auch für den Schutz der Verarbeitung von deutschem und von ausländischem Rohöl ist. In Deutschland sind die Kosten für die Erdölgewinnung wesentlich höher als im Ausland. Die Sonden sind nicht so fündig usw. Dem wird mit einem Zollschutz von 12,90 DM je 100 kg voll Rechnung getragen. Das können wir als ausreichend ansehen.
Bei der Rohölverarbeitung in Deutschland wird die Sache schwieriger. Hierbei wird gesagt, daß die Kosten der Verarbeitung pro Tonne Rohöl in Deutschland wesentlich höher lägen als die Kosten der Verarbeitung je Tonne Rohöl in ausländischen Raffinerien. Nun haben wir ganz moderne Raffinerien und Crackanlagen in Deutschland, die sich in ihrer technischen Ausrüstung mit den besten Crackanlagen der Welt messen können. Ich sehe also bisher nur, daß eine Differenz der Kosten darin bestehen könnte, daß ausländische Anlagen eine wesentlich höhere Kapazität als die inländischen haben.
Die ganze Frage ist sehr schwierig. Die beiden Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und für Finanzen und Steuern hatten nun einen besonderen Arbeitskreis „Präferenz" eingesetzt, für den zunächst vier Sitzungen vorgesehen waren. Bei den Sitzungen des Arbeitskreises „Präferenz" zeigte sich, daß die Unterlagen, die das Bundeswirtschaftsministerium uns vorlegte, außerordentlich unzureichend waren. — Ich muß mich berichtigen, das zeigte sich schon bei den vorherigen Ausschußberatungen. Deswegen wurde dieser Arbeitskreis eingesetzt. Zunächst wurde uns gesagt, die Firmen wollten ihre Kostenrechnungen nicht preisgeben, weil dadurch das Steuergeheimnis verletzt werden könnte, worauf dann diese Firmen sich bereit erklärt haben, dem Arbeitskreis „Präferenz" Unterlagen zu geben.
Wir kamen nun am Dienstag, dem 3. Februar 1953, zum erstenmal zusammen und bekamen diese „streng vertraulichen" Unterlagen vorgelegt. Es waren Kostenrechnungen von sieben verschiedenen Firmen, die untereinander nur zum Teil vergleichbar waren. Aber das außerordentlich Auffällige war, daß bei einer Firma die Kosten pro Tonne Rohöl — die Betriebskosten ohne den Kapitaldienst usw. — mit 19.36 DM und bei einer andern mit 70,51 DM festgelegt waren. Zwischen diesen Werten zu unterscheiden, ist natürlich sehr schwierig.
Wir waren uns völlig einig darin, daß die Unterlagen völlig mangelhaft waren. Wir haben in voller Einmütigkeit die mangelhaften Unterlagen kritisiert und haben die anwesenden Vertreter der Ministerien beauftragt, uns andere und bessere Unterlagen zuzuleiten.
Ich muß sagen, ich war sehr erstaunt, als am nächsten Abend, am 4. Februar, der Herr Bundesfinanzminister im Arbeitskreis „Präferenz" erschien und daß es nun auf einmal gar nicht mehr nötig war, genaue Unterlagen zu bekommen. Ich habe damals erklärt: Der Unterschied in den Betriebskosten ist ein Unterschied der Buchhalter, und der Buchhalter der einen Firma mit den 19 DM wird zweifellos entlassen werden. Ich nehme an, daß sein Schicksal ihn inzwischen ereilt hat.
Es war nun so, daß die Herren von der CDU sich vollkommen befriedigt fühlten, und zwar auch diejenigen, die am Abend vorher sehr unzufrieden gewesen waren. Ich sage das nicht, um einen Gegensatz aufzureißen, sondern um zu begründen, warum ich im Namen meiner Fraktion diesen Antrag eingebracht habe. Es war also plötzliches Einverständnis da, so daß, ich erklärte: Heute ist etwas passiert! Und es scheint mir auch, daß da etwas passiert ist; denn es war nun gar keine Rede mehr von der Notwendigkeit der Kostenermittlung, sondern es hieß nur noch: Wir müssen den Mut haben, den gordischen Knoten zu durchhauen. Dieser Satz fiel mehrfach, und ich habe dabei ein peinliches Gefühl gehabt; denn als Alexander der Große den gordischen Knoten durchhauen hat, hat er es ja mit einer außerordentlichen Geschicklichkeit getan, und er ist unter anderem auch deswegen in die Weltgeschichte eingegangen.
Ich würde es aber sehr bedauern, wenn die Herren, die den gordischen Knoten ohne die gleiche Geschicklichkeit durchhauen haben, und zwar so ganz dicht an der Regierungsvorlage, nicht etwa in der Mitte, in die Skandalgeschichte eingingen;
denn soviel steht fest, — das hat sich erwiesen —, Herr Bucerius: — —
— Dann haben Sie nicht aufgepaßt; ich kann mich aber nicht wiederholen; denn ich würde die Damen und Herren, die gut aufgepaßt haben, langweilen, wenn ich das noch einmal sagen wollte. Lassen Sie sich es nachher erzählen oder lesen Sie es nach!
Ich muß sagen, daß ich noch an keinem Gesetz mitgearbeitet habe, das so schwierig war, und ich habe noch an keinem Gesetz mitgearbeitet, in dem so gegensätzliche Interessen wie in der Mineralölwirtschaft vorlagen. Ich muß auch sagen, daß man über .einigen sehr betrübt sein konnte.
Wir haben unzählige Eingaben bekommen, und wir haben schon Anfang Februar — das Datum weiß ich nicht mehr genau — beschlossen, nunmehr keine Eingaben aus der Wirtschaft mehr entgegenzunehmen.
Wie erstaunt bin ich gewesen — es ist sehr schade, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister gerade nicht hier ist; denn ich wollte ihn bitten, sich einmal für diese Sache zu interessieren —, als ich hörte, daß am 12. Februar vom Bundesminister für Wirtschaft, Abteilung IV B, ein
Schreiben an eine Reihe von Verbänden und Fir-
men herausgegangen ist, das ich vorlesen möchte.
Anläßlich der Beratungen der Regierungsvorlage über die Neuregelung der Mineralölzölle und -abgaben in den zuständigen Ausschüssen des Bundestags wurde von Abgeordnetenseite wie auch von angehörten Sachverständigen auf Erschwernisse und angebliche Mißhelligkeiten hingewiesen, die sich beim Vertrieb von Mineralölerzeugnissen auf den hiesigen Absatzmärkten herausgebildet haben sollen. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere die Frage der derzeitigen Wettbewerbsverhältnisse zwischen Erzeugungsfirmen, die über eigene Vertriebsorganisationen verfügen, und dem einschlägigen Handel berührt. Da ich auf einen volkswirtschaftlich vernünftigen und gesunden Wettbewerb mit Mineralölerzeugnissen, der auch dem Fachhandel auf dem ihm zukommenden Gebiet die Konkurrenzfähigkeit sichert, besonderen Wert lege, wäre ich dankbar, wenn diese Frage von den maßgebenden Firmen der Mineralölwirtschaft baldmöglichst mit den zuständigen Organisationen des Mineralölhandels sorgfältig geprüft würde. Über das Ergebnis der Beratungen bitte ich mir entsprechend zu berichten. Ich bitte weiterhin, davon Kenntnis zu nehmen, daß vorstehende Aufforderung einem besonderen Wunsche des Herrn Bundeswirtschaftsministers entspricht.
Im Auftrage: gez. Dr. Prentzel.
Im Anschluß an diesen Brief habe ich einige Fragen an den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu richten. Ich will nicht daran zweifeln, daß der Brief richtig ist, daß er also seinem besonderen Wunsche entsprochen hat. Es würde mich interessieren, ob dieses Schreiben, das von der Abteilung IV B stammt, von der Abteilung I, die sich mit Wettbewerbs- und Kartellfragen zu befassen hat, mitgezeichnet oder ob es mit deren Kenntnis herausgegeben worden ist. Ich mache darauf aufmerksam, daß dieses Schreiben vom Bundeswirtschaftsministerium an gewisse Firmen und Verbände herausgegangen ist ohne einen Beschluß des Ausschusses, sondern mit der Initiative des Bundeswirtschaftsministers; es wird ausdrücklich gesagt, daß er persönlich initiativ wäre, während dem Ausschuß das nicht mitgeteilt worden ist und er längst beschlossen hatte — es tut mir leid, daß der Herr Vorsitzende das nicht mit anhört; ich nehme aber an, daß es neu für ihn ist —, aus der Wirtschaft niemanden mehr zu hören. Der Herr Bundeswirtschaftsminister bearbeitet ein Kartellgesetz, und er veranlaßt hier gewisse Kreise der Mineralölwirtschaft zu kartellähnlichen Abreden. Das ist immerhin ungewöhnlich.
Nun haben also die Herren getagt, und es wird aus Hamburg ein Schreiben mit Datum vom 24. Februar an den Herrn Bundesminister für Wirtschaft, Abt. IV B, gerichtet. Dieses Schreiben ist am 24. Februar abends spät in Hamburg fertiggestellt worden. Am nächsten Morgen um 9 Uhr war es in Bonn. Aber es war nicht nur bei dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, sondern es war in der Ausschußsitzung vom 25. Februar einigen Abgeordneten zur Kenntnis gebracht worden. Von diesen Abgeordneten gehörte aber keiner zur Opposition. Ich will dieses Schreiben vom 24. Februar hier nicht vorlegen, aber ich habe das sehr peinliche Gefühl, daß hier Dinge passiert sind, die wir als nicht in Ordnung zu bezeichnen haben, und daß
sich die Ministerialbürokratie dem Ausschuß, der gesetzgebenden Körperschaft gegenüber Dinge erlaubt hat, die sie sich nicht erlauben durfte. Sache des Herrn Bundeswirtschaftsministers wird es sein, in seinem Hause für Ordnung zu sorgen.
Nun haben einige oppositionelle Firmen mit Schreiben vom 2. März an die Herren Vorsitzenden des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Wirtchaftpolitik, nachrichtlich an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, an den Herrn Finanzminister, an die Abgeordneten des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen, des Ausschusses für Wirtschaftspolitik usw. in dieser Angelegenheit ein Schreiben gerichtet; ich darf es vorlesen:
Nach der Sitzung des Sonderausschusses Präferenz am 11. Februar 1953, die ohne eine Entscheidung geblieben war, hat Herr Ministerialrat Dr. Prentzel vom Bundeswirtschaftsministerium am 12. Februar
— also am nächsten Tag —
angeregt, Gespräche zur Beseitigung von Mißhelligkeiten zwischen den Rohölverarbeitern und den Vorsitzenden der Mineralölverbände zu führen. Dieser Aufforderung wurde seitens der Beteiligten nachgekommen, wobei ausdrücklich klargestellt wurde, daß diese Gespräche unabhängig von dem zur Zeit behandelten Gesetzentwurf erfolgten, was auch ausdrücklich in dem Protokoll niedergelegt wurde.
Diese Marktregelungsbesprechungen, die weder in einem organischen noch einem rechtlichen Zusammenhang mit der Präferenzfrage stehen, führten zu einer ersten vorläufigen Empfehlung an das Bundeswirtschaftsministerium, die mit Schreiben vom 24. Februar an
Abt. IV des Bundeswirtschaftsministeriums übersandt wurde. Überraschend war es für uns, festzustellen, daß dieses Schreiben, das am 24. Februar spät abends in Hamburg fertiggestellt wurde, trotz der ausdrücklichen Ablehnung eines Zusammenhangs mit dem Gesetzentwurf über die Mineralölabgabenneuregelung bereits am 25. Februar 1953 in der Vormittagssitzung der Ausschüsse 11 und 13 einer Reihe von Abgeordneten vorlag. Dies mußte auf jeden Fall bei den betreffenden Abgeordneten den Eindruck erwecken, daß dieses Schreiben für die Behandlung des Gesetzentwurfs von Bedeutung sei und sogar als eine Annäherung der Standpunkte der Antragsteller und Gegner bezüglich der Präferenz gewertet werde. Das ist keineswegs der Fall. Wir halten deswegen, ganz gleich, von wem diese Unterrichtung der Herren Abgeordneten illoyalerweise ausgegangen ist, dies für den Versuch einer bewußten Irreführung in dieser entscheidenden Sitzung.
Angesichts dieser Situation erlauben wir uns, an Sie, sehr geehrter Herr Vorsitzender, die höfliche und dringende Bitte zu richten, dieses Schreiben vor Behandlung des Gesetzentwurfs bezüglich der Präferenzfrage im Plenum den Herren Abgeordneten bekanntzugeben.
Die Sachverständigen:
Brandt, Geyh, Rudeloff, Dr. Schmitz.
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß es keineswegs eine Freude ist, wenn aus der Wirtschaft ein derartig kritisches Schreiben mit sehr schweren, wenn auch verhüllten Vorwürfen eingeht, wodurch doch bei bestimmten Kreisen der Eindruck entstehen muß, daß hier Dinge gemacht würden, die nicht in Ordnung sind. Und es scheint auch mir so, daß die Sachen nicht in Ordnung sind.
Deswegen habe ich an den Bundeswirtschaftsminister zwei Fragen zu stellen: War diese Bearbeitung, die in seinem Hause angeblich auf seine ausdrückliche Weisung hin erfolgt ist, nur unsachlich? — Denn sie ist ja doch der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung widersprechend, ist es doch geradezu eine Aufforderung: schließt ein Kartell! Die Preise hoch! Die Reihen fest geschlossen! — Oder handelt es sich um eine ganz schlichte Beschränkheit? Auch das ist möglich.
Damit habe ich Ihnen etwas über die Vorgeschichte gesagt, und nun begründe ich noch mit wenigen Worten unsere Haltung zum Gesetzentwurf in der Ausschußfassung.
Im Ausschuß habe ich mit meinen Freunden gegen die Verarbeiter-Präferenz gestimmt, aber nicht — was ich ausdrücklich sagen möchte —, um gegen eine Verarbeiter-Präferenz zu stimmen, um etwa der Verarbeitung von Rohöl zu Fertigfabrikaten in Deutschland Schwierigkeiten in den Weg zu legen
— nein, das kommt nicht dabei heraus! —, sondern ganz ausschließlich deshalb, weil die Unterlagen, die wir bekommen haben, so mangelhaft und so widerspruchsvoll sind, daß man sich nach ihnen schlechterdings kein Bild machen konnte.
Das beste wäre, wenn dieser Gesetzentwurf in den Ausschuß zurückverwiesen würde und wir einen Initiativgesetzentwurf einbrächten, das Mineralöl-Abgabegesetz um drei Monate zu verlängern, und wenn wir dann eine saubere Arbeit leisteten. Das ist zweifellos das richtigste. Aber dafür wird sich wohl kaum eine Mehrheit im Hause finden.
Zur Begründung des Antrages brauche ich nichts mehr zu sagen, muß aber in diesem Zusammenhange noch auf den Art. 3 hinweisen. Im Ausschußbericht heißt es, daß die Bundesregierung abweichend von dem § 4 des Zolltarifgesetzes aus volkswirtschaftlichen Gründen durch Rechtsverordnung den Zollsatz bis auf 12,90 DM je 100 kg ermäßigen kann, bevor der Bundesrat Stellung genommen und der Bundestag zugestimmt hat. Rechtsverordnungen dieser Art dürfen nur mit einer Geltungsdauer bis zu sechs Monaten erlassen werden.
Wenn wir nun vorschlagen, den Zollsatz für Fertigfabrikate — Benzin, Gasöl, Schmieröl — auf 12,90 DM je 100 kg zu setzen und die übrigen nach der Relation umgerechnet, so möchte ich gern, um der Wirtschaft keinerlei Schaden zuzufügen, dann in Art. 3 die Rechtsverordnung umdrehen und den Bundesminister der Finanzen ermächtigen, durch Rechtsverordnung nach genau demselben Verfahren die Zollsätze bis auf 16,50 DM erhöhen zu können. Der Erfolg dabei ist der: Nachdem wir aus der Wirtschaft und mit Schuld des Bundeswirtschaftsministeriums, welches zweieinhalb Jahre lang an diesem Entwurf gearbeitet hat, keine ausreichenden Unterlagen bekommen haben, die uns eine sachgemäße Stellungnahme ermöglichen, wird durch unsern Antrag die Beweislast auf die Wirtschaft verlegt. Bei einem Zollsatz von 12,90 DM
für die Fertigfabrikate würde dann die Wirtschaft beweisen müssen, daß sie mit diesem Zollschutz nicht auskommt; sie wird zu dieser Beweisführung freudig bereit sein, und sie wird uns dann unter allen Umständen die notwendigen Unterlagen geben.
Ich mache noch darauf aufmerksam, daß auch bei dem Zollsatz von 12,90 DM doch noch eine Präferenz vorhanden ist, nämlich diejenige, die in der Umsatzausgleichsteuer enthalten ist, die also 2,30 DM für Fertigprodukte beträgt und auf Rohöl umgerechnet 1,60 DM je 100 kg betragen würde. Ich darf Sie bitten, sich diese Dinge zu überlegen, und bitte um Annahme der Anträge auf Umdruck Nr. 779.
Wird dazu das Wort weiter gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die armen Kollegen dieses Hohen Hauses tun mir leid, die sich nun in die Einzelheiten eines solchen Gesetzes vertiefen sollen. Aber ich darf Sie trösten; es hätte noch viel schlimmer sein können. Ich muß sagen: ich bin immerhin noch angenehm enttäuscht. Das, was wir hier zu den grundlegenden Zahlenfestsetzungen gehört haben, könnte praktisch zu jeder anderen Bestimmung dieses umfangreichen Gesetzes mit mehr oder weniger ähnlichen Begründungen wiederholt werden.
Das bleibt Ihnen erspart. Aber immerhin wäre es unseren Kollegen nicht zu verargen, wenn sie daran verzweifelten, sich durch diesen Wust von Zahlen und Gesichtspunkten hindurchzuwürgen, und wenn sie nun demjenigen folgten, der mit vielleicht besonders schlagkräftiger und im Augenblick eindrucksvoller Redegabe ihnen sagte: „Macht es so oder so!" Ich bitte, davor doch warnen zu dürfen. Das wäre in der Tat schade. Ich halte es für meine Aufgabe — die Zeit ist leider knapp, weil wir ja wegen der überragenden Bedeutung des Wahlgesetzes die Sache nicht — —
— Ja, Herr Kollege, ich gebe mir Mühe, das Notwendigste zu sagen; aber ich halte mich für verpflichtet, die Kollegen doch auf die überragende Bedeutung dieses Gesetzes und der in ihm liegenden Wirtschaftspolitik hinzuweisen.
Die Bundesrepublik Deutschland verbraucht heute nur 5 Millionen Tonnen Öl. Das ist auf den Kopf nicht ganz ein Dreißigstel der Menge, die in den Vereinigten Staaten verbraucht wird. Es ist keine Frage, daß die nächsten Jahre und Jahrzehnte einen ungeheueren Aufschwung des Mineralölverbrauchs bringen werden und daß die Dekkung des dann entstehenden Bedarfs ein ganz großes wirtschaftspolitisches Problem unseres Landes bedeuten wird. Es ist also keineswegs gleichgültig, auf welchem Wege das geschieht.
Ich möchte deshalb namens meiner Freunde sagen, daß wir den Grundgedanken dieses Gesetzes von ganzem Herzen begrüßen. Wir freuen uns, daß wir darin auch mit der Opposition einig sind. Es ist jetzt also lediglich die Frage, in welcher Weise wir das Bedürfnis befriedigen wollen. Von dem jetzigen, noch verhältnismäßig geringen Verbrauch deckt Deutschland nur ein Drittel aus eigener Rohölproduktion: Zwei Drittel muß es einführen, und das, was wir an eigener Produktion haben und war wir in Rohölform einführen, wird auf deutschem Boden in einer verhältnismäßig weit verstreuten und zersplitterten und daher nicht sehr leistungsfähig zusammengefaßten Industrie zu den Erzeugnissen verarbeitet, in denen der Verbrauch erfolgt: in der Hauptsache zu Benzin und Gasöl, Dieselöl, Heizöl und Schmieröl.
Meine Damen und Herren, wir haben das größte Interesse daran, daß die mit einiger Gewißheit zu erwartende gewaltige Steigerung des Bedarfs in der Zukunft aus eigener Verarbeitung gedeckt werden wird, und wir müssen deshalb alles tun, um das sicherzustellen. Wir sind nun im Augenblick in einer schwierigen Lage; insofern möchte ich die Ausführungen des Herrn Kollegen Gülich noch ergänzen. Es handelt sich darum, daß nicht nur unsere Produktion aus den verhältnismäßig kleinen und dürftigen Vorkommen, die wir im eigenen Boden haben, sondern auch die deutsche Raffinerieindustrie rückständig ist — nicht nur, weil sie auf zahlreiche mittlere und kleinere Betriebe, verglichen mit den Riesenbetrieben in anderen Ländern, verstreut ist, sondern weil wir auf diesem Gebiet unter den Kriegsfolgen stärker leiden als vielleicht auf irgendeinem andern Gebiet unserer industriellen Wirtschaft. Das wollen wir aufholen, und dem dient das Gesetz, dem wir unsere Zustimmung geben sollen.
Herr Kollege Gülich hat einige formale Einwendungen gemacht. Ich halte es nicht für unnötig, wenigstens kurz berichtigend darauf einzugehen. Er hat für die Beratung des Unterausschusses „Präferenz" bemängelt, daß dort plötzlich eine Art Wunder geschehen sei und daß ein Erscheinen des Bundesfinanzministers uns bewogen habe, etwas gutzuheißen oder hinzunehmen, was wir bisher nicht hätten haben wollen.
Meine Herren Kollegen, das ist nicht richtig! In dieser Sitzung ist es nicht das Erscheinen des Herrn Bundesfinanzministers gewesen, sondern die Vorlage von neuem Material, die uns zu einer anderen Entscheidung bewogen hat. Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten versucht, das dem Kollegen Gülich klarzumachen, und ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er das endlich einmal billigen und das Gerede über irgendeinen hintergründigen Einfluß unterlassen wollte.
Von einem solchen ist keine Rede; keiner unter uns ist solchen Einflüssen irgendwie ausgesetzt gewesen, geschweige denn ihnen unterlegen.
Herr Kollege Gülich hat sodann auf ein ominöses Schreiben aus einer Abteilung des Wirtschaftsministeriums hingewiesen. Ich bin hier nicht dazu da, den Herrn Wirtschaftsminister zu verteidigen. Aber daß er uns Material dieser Art beschafft hat, das wird, glaube ich, niemand von uns, der diese sehr schwierigen Beratungen mitgemacht hat, tadeln dürfen. Daß dieses Material vielleicht nicht allen zugestellt wurde, ist offenbar nicht ein Fehler des Wirtschaftsministeriums gewesen, sondern der betreffenden Industriezweige, für die jedenfalls weder wir noch das Ministerium eine Verantwortung haben.
Meine Damen und Herren, nun aber zu dem Entscheidenden! Wir haben in langen und mühsamen
Beratungen in den beiden vereinigten Ausschüssen und in einem von den beiden Ausschüssen eingesetzten Unterausschuß versucht, eine vernünftige Präferenz herauszufinden, d. h. den Vorsprung, den die deutsche Verarbeitung gegenüber der ausländischen haben soll. Ich gebe dem Kollegen Gülich vollkommen recht, daß ein letzter schlüssiger Beweis auf Heller und Pfennig in diesem Punkt nicht geführt werden kann und vielleicht auch nicht geführt worden ist. Da mag er recht haben. Aber, Herr Kollege Gülich, wenn wir nun hören: „Eure 16,50 DM sind nicht völlig schlüssig ausgerechnet worden; wir schlagen statt dessen 12,90 DM vor", — ja, Herr Kollege Gülich, dann müßten Sie sich zum mindesten die Mühe geben, diese 12,90 DM halbwegs schlüssig zu begründen,
statt uns einfach diesen Satz anzubieten. Das wäre, glaube ich, notwendig.
Da man uns jeden schlüssigen Gegenbeweis — auch von Ihnen, lieber Kollege Margulies — schuldig geblieben ist, bin ich der Ansicht, daß das Haus die sehr mühevolle und sehr sorgfältige Arbeit der vereinigten Ausschüsse und der Unterausschüsse so weit respektieren und honorieren sollte, daß es die von diesen Ausschüssen ausgearbeiteten Vorschläge annimmt. Es bleiben genug elastische Möglichkeiten, und der Gesetzgeber selber ist imstande, sich jederzeit einzuschalten, wenn er es für richtig hält. Es ist ein gewisses Ventil im Gesetz selbst gegeben. Aber so weit zu gehen, Herr Kollege Gülich, wie Ihr Antrag, halte ich auch nicht für glücklich; denn dann brauchte man nur zu beschließen: der Wirtschaftsminister erhält das Recht, Mineralölzölle einzuführen und Steuern auf den Verbrauch von
Mineralöl zu erheben. Ich meine, so einfach dürften wir es uns nicht machen. Wenn Sie der Ansicht wären, daß Ihr Vorschlag richtig sei, dann würden Sie j a auch diese Klausel gar nicht für notwendig halten.
Aber ich möchte, um es allen unseren Kollegen leichter zu machen, dem Vorschlag der Ausschüsse zuzustimmen, einer gewissen Fristsetzung nicht widersprechen. Ich bitte nur, die Frist nicht zu kurz festzulegen. Die Damen und Herren, die zugehört haben, werden wissen, daß hier eine große wirtschaftliche und industrielle Entwicklung auf dem Spiel steht. Wir können es der Industrie doch nicht zumuten, sich auf einer so unsicheren Grundlage zu großen Investitionen zu verstehen, wenn diese Frist womöglich nach einem Jahr oder nach zwei Jahren wieder ablaufen soll und dann unter Umständen eine ganz andere wirtschaftliche Entwicklung einsetzt. Es kommt uns sehr darauf an, im Interesse der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes der Raffinerie-Industrie klare, feste Grundlagen auf längere Frist zu geben. Die Ausschüsse haben Ihnen die Möglichkeit dazu gewiesen. Ich empfehle deshalb im Namen meiner politischen Freunde, dem Ausschußantrag Folge zu geben und ihm zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Herrn Kollegen Friedensburg kurz antworten. Er hat bezüglich dessen, was ich gesagt habe, sogar von einem „Gerede" gesprochen. Sie haben aber, Herr Friedensburg, keines meiner Argumente widerlegt.
Sie müssen widerlegen und nicht so generell sprechen.
— Ich habe meine Vorwürfe begründet.
— Ich habe meine Vorwürfe begründet,
und ich habe meinen Vorschlag, 12,90 DM festzusetzen, damit begründet, daß es derselbe Satz sei wie für Rohöleinfuhr. Die Präferenz — habe ich gesagt —, die dann noch besteht, besteht lediglich in der Umsatzausgleichsteuer. Das habe ich doch ganz klar gesagt, und ich habe ebenso klar gesagt: Weil uns die Wirtschaft keine klaren Unterlagen gegeben hat, weil das Bundeswirtschaftsministerium uns diese Unterlagen nicht zu geben ver- mochte, gehen wir den andern Weg und sagen: dann räumen wir keine ausdrückliche Präferenz ein bis auf die, die die Umsatzausgleichsteuer ohnehin gewährt, sondern stellen uns auf den Standpunkt: nun soll die Wirtschaft beweisen!
Sie, Herr Friedensburg, haben nun — ich glaube, wörtlich — gesagt: Wenn Sie der Ansicht wären, daß Ihr Vorschlag richtig wäre, dann hätten Sie ja den Vorschlag bezüglich des Art. 3 nicht gemacht! — Gerade weil ich weiß, auf wie unsicherem Boden diese ganze Angelegenheit der Präferenz der Rohölverarbeitung steht, habe ich, nachdem ich die 12,90 DM begründet hatte, gesagt: Damit nun aber die Wirtschaft keinen Schaden leidet, wollen wir das Ventil der Ermächtigung geben, die wir dem Herrn Bundesfinanzminister in Art. 3 unseres Vorschlages einräumen wollen. Es ist also genau umgekehrt wie in der Vorlage: er kann von 12,90 DM auf 16,50 DM heraufgehen, während in der Vorlage steht: er kann von 16,50 DM auf 12,90 DM heruntergehen. Ich dachte, ich hätte mich darüber klar ausgedrückt, kann also jetzt nicht mehr dazu sagen.
Aber ich sage Ihnen noch das eine: Die Zahlen, die uns in der Regierungsvorlage genannt worden sind, stammen von Ende 1950, weswegen auch die Berechnungen über das Aufkommen durch die tatsächliche Entwicklung der Erdölwirtschaft seitdem weit überholt sind, also gar nicht mehr stimmen. Die Betriebskostenrechnungen, die uns vorgelegt worden sind, basierten auf dem Jahre 1950. Nun bitte ich Sie: Wenn wir uns im Jahre 1953 über eine Präferenz der Rohölverarbeitung in Deutschland unterhalten und dafür doch Betriebskosten von heute haben müssen, dann werden uns Zahlen aus dem Jahre 1950 vorgelegt! Was ist denn das für ein Verfahren? Damit sollen wir uns einverstanden erklären?
Inzwischen sind aber seit 1950 ganze Werke neu erstanden, zerstörte oder demontierte Werke sind wieder aufgebaut; andere sind modernisiert worden. Es ist keineswegs so, wie Herr Friedensburg sagt, daß die deutschen Raffinerien schlechterdings unmodern sind. Ich habe gesagt: wir haben Anlagen, die zu den modernsten der Welt gehören, wir haben z. B. die große Crackanlage in Heide, die für 25 Millionen DM von der deutschen Erdölaktiengesellschaft gebaut und im Herbst vorigen Jahres in Betrieb genommen worden ist. Unter den sieben Firmen, für die uns die Kostenrechnungen vorgelegt wurden, waren sogar einige, deren Zahlen schon deswegen nicht mehr stimmen, weil sie seit 1950 modernisiert sind.
Wenn das keine Argumente sind, die dafür sprechen, vorsichtig zu sein und, ich möchte sagen, nicht wild und unbedacht einen Verarbeitungsschutz zu gewähren, für den wir keine wirtschaftliche Grundlage haben, dann kann ich das nicht verstehen. Wie man da schlechthin das Interesse der deutschen Wirtschaft apostrophieren kann, ist mir unbegreiflich. Auch ich, Herr Friedensburg, spreche im Interesse der deutschen Wirtschaft. Sie werden nicht behaupten wollen, daß mir das Interesse der deutschen Wirtschaft ferner läge als Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Pelster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Gülich, „wild und unbedacht" der deutschen verarbeitenden Wirtschaft einen Schutz gewährt, das haben wir bei den Ausschußberatungen wirklich nicht. Das Gesetz ist so durch und durch bearbeitet worden,
und nichts ist wild und unbedacht getan worden.
Ich will mich nun nicht weiter in den Streit einmischen. Ich halte die Ausführungen, die der Kollege Friedensburg gemacht hat, für richtig und möchte bitten, dem zuzustimmen.
Aber zu § 2 Abs.' 4 möchte ich doch noch eines hinzufügen. Es heißt da, daß für die kleinen Herstellungsbetriebe, die bis zu 150 000 t unbearbeiteten Rohöls verarbeiten, eine besondere Ermäßigung eintreten soll. Durch irgendeinen Umstand ist in den Bericht eine nicht ganz klare Fassung hineingekommen.
Das, was dieser Abs. 4 jetzt besagt, ist nicht die gewollte Regelung.
Daraus geht hervor, daß nur für das versteuert verkaufte Öl diese Ermäßigung von 7 v. H. gewährt werden soll und nicht für das unversteuert an das Steuerlager gelieferte Öl. Wenn das eintreten sollte, würde alles illusorisch sein.
Deshalb ist nach einer eingehenden Aussprache mit den an der Beratung des Gesetzes beteiligten Ausschußkollegen und auch nach Rücksprache mit dem Finanzministerium, das an den Beratungen ebenfalls eingehend beteiligt war, festgelegt worden, daß der Abs. 4 folgenden Wortlaut haben soll:
Für Mineralöl aus Herstellungsbetrieben, die jährlich nicht mehr als 150 000 t unbearbeitetes Erdöl verarbeiten können, ermäßigt sich die Mineralölsteuer bis zum 31. Dezember 1955 um 7 v. H., wenn sie nachweisen, daß sie nicht im Lohn für Betriebe arbeiten, die nicht unter diese Regelung fallen.
Durch diese Formulierung werden alle Herstellungsbetriebe, die bis zu 150 000 t unbearbeitetes Erdöl verarbeiten, erfaßt und bekommen eine Ermäßigung von 7 %; es wird also nicht nur das
erfaßt, was direkt versteuert verkauft wird, sondern auf die gesamte Produktion ein Nachlaß von 7 v. H. gewährt. Bei dem jetzigen Text ergäbe sich aber, daß der Gewinn nachher an das Steuerlager, an den Großhandel ginge, und die kleineren Werke dabei unter die Räder kommen würden. Ich bitte deshalb, dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 781 zustimmen zu wollen.
Meine Damen und Herren, dieser Artikel war zwar noch nicht aufgerufen; aber Sie haben das von dem Abgeordneten Pelster Gesagte zur Kenntnis genommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz der deutschen Rohölerzeugung, die zu einem Drittel aus deutschen Quellen gedeckt wird, steht nicht zur Debatte, sondern es handelt sich um die einfache Frage, wie es mit dem Schutzzoll für eingeführtes bzw. hergestelltes Benzin in Zukunft bestellt sein soll.
Meiner Ansicht nach ist diese einfache Frage mit wenigen einfachen Argumenten zu beantworten. Wir haben eine Menge von Kalkulationen entsprechend einem Kostendenken, dem man immer mit äußerstem Mißtrauen gegenüberstehen sollte, vorgelegt bekommen. Im vorliegenden Fall hat sich gezeigt, daß die Kalkulationen Kostenunterschiede von dem Einfachen bis zum Vierfachen aufweisen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß diese Kalkulationen richtig sind. Wenn die eine Kalkulation Kosten von 30 DM und die andere Kosten von 120 DM aufweisen, ist- bei einheitlichen Verkaufspreisen bewiesen, daß die Kalkulationen nicht stimmen können.
Besser, sicherer und meiner Ansicht nach als einziges Argument durchschlagskräftig ist die wirtschaftliche Wirklichkeit. Diese zeigt, daß heutzutage bei den derzeitigen Präferenzen, die sich aus der Umsatzausgleichsteuer ergeben, die in Deutschland verwendeten ausländischen Rohöle wirtschaftlich ergiebig verarbeitet werden können. Das beweisen die außerordentlichen Erfolge, die der Ausbau des Tankstellennetzes mit sich gebracht hat. Das beweist ferner die Tatsache, daß der offizielle Nominalpreis von zahlreichen Verkäufern unterboten wird, so daß auf diesen offiziellen Preis Rabatte von über 10 Pfennig je Liter Benzin gewährt werden können. Diese wirtschaftliche Wirklichkeit ist meiner Ansicht nach der überzeugendste Beweis dafür, daß bei den gegenwärtigen Verhältnissen ein besonderer Schutz überflüssig ist.
Ausländische Einfuhren haben diese wirtschaftliche Wirklichkeit nicht beeinflussen können, Herr Kollege Friedensburg; denn die ausländischen Einfuhren sind im Gesamtverbrauch praktisch gleich Null gewesen.
Wenn wir diese Präferenzen einführen, besteht im Zuge einer zu erwartenden Steigerung des Inlandsabsatzes die Möglichkeit für die ausländischen Großkonzerne, die zu zwei Dritteln die innerdeutsche Benzinherstellung und zu noch größerem Prozentsatz den innerdeutschen Benzinvertrieb be-
herrschen, jeden Außenseiter des Weltmarkts, der billigeres Benzin herstellen kann, vom deutschen Inlandsmarkt fernzuhalten und auf diese Art und Weise das internationale Ölkartell auch im innerdeutschen Benzingeschäft mit Sicherheit durchzusetzen. Wenn wir die wirtschaftlich nicht notwendigen Präferenzen, wie sie vorgeschlagen sind, annehmen, beschließen wir die Ausdehnung des internationalen Ölkartells auf das innerdeutsche Benzingeschäft. Meine Damen und Herren, was für ein Interesse haben wir denn daran, diese Ölkonzerne, die internationalen Trusts, die mit 45 Cents das Faß Öl fördern und es mit 175 Cents in Deutschland verkaufen und dafür Devisen aus Deutschland herausziehen, noch mit derartigen Gesetzen unter dem Motto „Hilfe für die deutsche Wirtschaft" zu unterstützen? Zur deutschen Wirtschaft gehören nicht nur jene wenigen Erdölraffineriebetriebe, jene abhängigen Betriebe dieser Ölkonzerne, sondern gehören doch vor allem auch die Verbraucher von Benzin und die anderen an der Motorisierung beteiligten Wirtschaftskreise wie z. B. die Automobilindustrie. -
Meine Damen und Herren, gerade mit Rücksicht darauf, daß das internationale Benzingeschäft hermetisch von Deutschland abgeschaltet werden soll, bitte ich Sie dringend, wenn Sie nicht schon jetzt eine Entscheidung im Sinne der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes treffen wollen, dieser Vorlage nicht zuzustimmen, sondern die Rückverweisung in den Ausschuß zu beschließen und die Sache so lange anstehen zu lassen, bis wir eindeutige Unterlagen haben.
Zunächst hat sich Herr Abgeordneter Friedensburg gemeldet. — Meine Damen und Herren, wir erreichen es, daß um 21 Uhr noch die Mineralöl-Frage behandelt wird!
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, mich so kurz wie möglich zu fassen. Verschiedene Ausführungen bedürfen aber noch der Richtigstellung.
Herr Kollege Gülich, unser freundschaftlicher Respekt voreinander ist groß genug, um jedes Mißverständnis auszuschließen, ich hätte Sie etwa kränken wollen, als ich von „Gerede" sprach. Meine Bemerkung bezog sich auf die Vermutung, die von Ihnen in der Tat wiederholt geäußert worden ist, in dem Unterausschuß „Präferenz" sei irgendeine hintergründige Einflußnahme erfolgt. Ich glaube, Sie werden es mir nicht übelnehmen — zumal Sie diese Dinge immer wieder betonen —, daß ich versuche, das einmal zurückzuweisen.
Nun zu den Ausführungen des Kollegen Bertram! Es gibt keine internationalen Kartelle und Trusts. Es ist zwar sehr billig, das anzuführen — und gewisse Kreise der Bevölkerung mögen das sehr gern hören —, aber davon ist gar keine Rede. Ich glaube, wir Deutschen haben es auch nicht nötig, in diesem Punkt die Minderwertigkeitskomplexe zu entwickeln, die andere Länder lei der haben. Wir haben gar keinen Anlaß, zwischen den Raffinerien, die von Ausländern auf deutschem Boden errichtet worden sind — bei der Kapitalarmut in Deutschland wollen wir zufrieden sein, daß solche Dinge bei uns errichtet werden —, und 'den Raffinerien, die aus eigenem deutschen Kapital errichtet worden sind, zu unterscheiden.
Ich möchte dringend bitten, auch nicht die sehr eingehende Arbeit zu unterschätzen, die wir auf diesem Gebiete geleistet haben. Herr Kollege Bertram, Sie haben wiederum Mißverständnisse herauszuholen versucht, die wir schon im Ausschuß mit allem Nachdruck zurückgewiesen haben.
Ich glaube, je mehr wir darüber hören, desto mehr kann ich Sie nur bitten, die sehr mühsame Arbeit des Ausschusses nicht zunichte zu machen, sondern den Vorschlägen zu folgen, die der Ausschuß ausgearbeitet hat.
Herr Abgeordneter Naegel verzichtet. Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Professor Gülich!
Es dürfte doch durch diese Ausführungen klargeworden sein, daß — das kann kein Mensch ernsthaft bestreiten — die Unterlagen überhaupt nicht ausreichen, um zu einem Urteil von so weittragender Bedeutung zu kommen. Daß wir uns große Mühe mit dem Gesetz gemacht haben, bestreite ich auch nicht; ich war an dieser Mühe ja genau so beteiligt wie die anderen Herren, und wir haben wirklich in bester Weise miteinander gearbeitet.
Deswegen beantrage ich jetzt die Rücküberweisung an den Ausschuß. Ich schlage gleichzeitig vor, daß wir in der übernächsten Woche interfraktionell ein Gesetz zur Verlängerung des gegenwärtigen Gesetzes bis zum 30. Juni nächsten Jahres einbringen. Das kann in erster, zweiter und dritter Lesung beschlossen werden, und dann können wir noch einmal daran arbeiten. Ich gestehe, daß ich nicht gerne noch einmal an diese Sache gehe, aber ich glaube, daß es im Interesse der deutschen Wirtschaft und des Ansehens des Parlaments notwendig ist.
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre auch zu den Unglücklichen, die schätzungsweise 96 Stunden in den Ausschüssen an diesem Gesetz gearbeitet haben. Ich möchte aber unsere Kollegen sehr bitten, von einer Rücküberweisung Abstand zu nehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich durch ein weiteres Wälzen des Papiers, das wahrscheinlich noch durch Eingaben eine Vermehrung erfahren wird, eine größere Klarheit herausstellen wird. Es soll sogar in solchen Fällen vorkommen, daß die Klarheit gemindert wird. Ich sage das auf Grund der 96 Stunden voraus. Entschuldigen Sie, wenn ich als Prophet auftrete!
Ich würde Sie bitten: führen wir die zweite Lesung zu Ende und überlegen wir uns, ob wir die dritte Lesung vertagen! Dann haben wir auf Grund der Beschlüsse der zweiten Lesung eine Grundlage für interfraktionelle Besprechungen oder für sonstwas. Das scheint mir der bessere Weg zu sein.
Jetzt sehe ich aber keine weiteren Wortmeldungen mehr. Ich schließe die Besprechung.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie zunächst darauf aufmerksam machen, daß es in Art. 1 Ziffer 5 Buchstabe h der Anmerkung 1 in der drittletzten Zeile heißen muß: „Buchstaben b, Satz 2 und 3". Das ist ein Schreibfehler, der beim Druck unterlaufen ist. Nachher kommen noch einige.
Ich halte es für zweckmäßig, ziffernweise abzustimmen. Zu Ziffer 1 des Art. 1 liegen keine Änderungsanträge vor. Ich bitte die Damen und Herren, die Art. 1 Ziffer 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu Ziffer 2 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, Umdruck Nr. 779 Ziffer 1, und zwar geändert in „16,40 DM" statt „12,90 DM". Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieses Ergebnis ist völlig unklar; ich bitte im Wege des Hammelsprungs zu entscheiden. Wir stimmen also ab über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 779 Ziffer 1.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte 'die Abstimmung zu beschleunigen. — Ich bitte die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 160 Abgeordnete, mit- Nein 133 Abgeordnete, enthalten haben sich 15 Abgeordnete. Damit ist der Antrag angenommen.
Zu Ziffer 3 liegt kein Änderungsantrag vor. Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 3 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
— Meine Damen und Herren, die Frage, welcher Antrag der weitergehende ist, der Antrag des Herrn Abgeordneten Margulies und Genossen oder der der Fraktion der SPD zu Ziffer 4, ist eine Frage, die einer Doktorarbeit würdig wäre. Ich halte den Antrag der Fraktion der SPD' für den weitergehenden.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 779 Ziffer 2 zu Art. 1 Ziffer 4. Es ist klar, worüber abgestimmt wird?
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Ziffern 5 und 6. Ich bitte die Damen und Herren, die den Ziffern 5 und 6 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; Ziffern 5 und 6 sind angenommen.
Herr Abgeordneter Margulies hat beantragt, in den Ziffern 7 und 11 die Zahl 16,50 durch die Zahl 12,90 zu ersetzen.
Ich darf gleichzeitig über Ziffer 7 und Ziffer 11 abstimmen lassen, zunächst über den Antrag Margulies auf Umdruck Nr. 778, soweit er noch nicht durch die bisherigen Abstimmungen erledigt ist. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Herrn Abgeordneten Margulies und Genossen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Ziffern 7
und 11 unter Berücksichtigung der eben beschlossenen Änderung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Ziffern zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; beide Ziffern sind angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Ziffern 7 a, 8, 9 und 10 in der Ausschußfassung. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; diese Ziffern sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf und mache darauf aufmerksam, daß im gedruckten Text die Einrückung von den Worten: „In diesen Fällen ..." ab und die Anführungsstriche zu Anfang und Ende dieser Einrückung versehentlich vorgenommen und angebracht worden sind. Es muß also in e i n e m Artikel und einem Absatz weitergehen: „ ... erlassen werden. In diesen Fällen ist die Bundesregierung ..." usw.
Zu Art. 3 liegt in Ziffer 3 des Umdrucks Nr. 779 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Herr Abgeordneter Gülich?
Wird das Wort dazu noch weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 3 des Änderungsantrags Umdruck Nr. 779 — Neufassung des Art. 3 — zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 4. Den Änderungsantrag Umdruck Nr. 781 hat Herr Abgeordneter Pelster bereits begründet. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Eckstein, Pelster, Neuburger, Schmücker und Genossen Umdruck Nr. 781 betreffend Art. 4 Ziffer 4, § 2 Abs. 4. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Art. 4 in der nicht geänderten Form zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ja, meine Damen und Herren, die Abstimmung wechselt dauernd!
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Art. 4 ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 5, — 6, — 7, — 7 a, — 8, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist offensichtlich die Mehrheit; angenommen.
Ich unterstelle, meine Damen und Herren, daß über die Entschließung und die dazu eingebrachten Änderungsanträge erst in der dritten Beratung abgestimmt werden soll.
Ich frage: Wünscht das Haus die dritte Beratung durchzuführen?
— Meine Damen und Herren, es ist gar kein Zweifel, daß angesichts des Vorliegen von angenommenen Änderungsanträgen dieser Widerspruch die erforderliche Zahl von Stimmen dokumentiert.
Herr Abgeordneter Wellhausen, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mir zu gestatten, im unmittelbaren Anschluß an den Widerspruch gegen die dritte Lesung nunmehr einen Antrag einzubringen, der wie folgt lautet:
Der Bundestag wolle beschließen: Entwurf eines Gesetzes . . . usw.
Art. 1
In Art. 4 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes vom 19. Januar 1951 wird die Zeitangabe 31. März 1953 durch 31. Mai 1953 ersetzt.
Art. 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Es ist ohne weiteres vorauszusehen — ich habe die Zustimmung des Herrn Präsidenten erbeten, weil die Dinge außerordentlich eilig sind, was, glaube ich, auf keiner Seite des Hauses verkannt wird —, daß es bei der Vertagung der dritten Lesung auf vierzehn Tage nicht möglich ist, das neue Gesetz bis zum 31. März 1953 zu verkünden. Der gesetzlose Zustand ist ebenfalls nicht möglich. Daraus rechtfertigt sich 'der Antrag.
Herr Abgeordneter Gülich!
Dr. Gülich : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das kann ich nun nicht begreifen, daß Sie das Gesetz jetzt bis zum 31. Mai 1953 verlängern wollen. Habe ich richtig verstanden, Herr Wellhausen?
Sie wollen also für zwei Monate ein Gesetz in Kraft treten lassen.
— Dann habe ich es des Lärmes wegen nicht richtig verstanden. Sie wollen also jetzt das alte Gesetz um zwei Monate verlängern, während Sie vorhin mit großem Nachdruck dagegen waren, als ich der Meinung war, wir sollten jetzt wieder rückverweisen und einen Initiativgesetzentwurf zur Verlängerung dieses Gesetzes einbringen. Also ich muß sagen, daß ich eine solche Haltung schlechterdings nicht verstehe.
Nachdem nun die Präferenz so angenommen worden ist, also der Zollsatz von 12,90 DM für die Fertigerzeugnisse und das Ventil des Art. 3, von dem ich vorhin gesagt habe, daß der Wirtschaft dadurch keinerlei Schaden zugefügt werden kann, kann ich das nunmehr überhaupt nicht mehr begreifen. Ich bin jetzt also noch mehr, als ich schon vorher war, der Meinung, daß neulich, am 4. Februar, etwas passiert ist.
Herr Abgeordneter, es kommt natürlich öfter vor, daß was passiert.
Aber es ist nun die Frage: Darf ich um Ihre freundliche Stellungnahme zu dem Gesetzesvorschlag bitten, den Herr Dr. Wellhausen eingebracht hat?
Wenn ich es nicht explicite gesagt habe, so glaubte ich doch, es implicite gesagt zu haben. Ich widerspreche.
Also meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache, daß es erstens naturgemäß nicht möglich war, die Drucksache für dieses Gesetz rechtzeitig zu verteilen, zweitens, daß drei Beratungen eines Gesetzes nur dann an einem Tage stattfinden können, wenn nicht fünf anwesende Mitglieder widersprechen — und Herr Kollege Gülich hat nicht nur für sich persönlich widersprochen —, ist es nicht möglich, heute dieses Gesetz auf die Tagesordnung zu setzen.
Ich muß Sie bitten, freundlichst zur Kenntnis zu nehmen, daß in der beschlossenen Fassung des Gesetzes in zweiter Beratung noch zwei Differenzen berichtigt werden müssen, und zwar erstens: In Art. 4 Nr. 2 a auf Seite 6 oben links muß hinter dem Wort „Torf" ein Gedankenstrich stehen. Zweitens muß in Art. 4 Nr. 15 im § 11 Abs. 2 Ziffer 4 Buchstabe c zwischen den Worten „diesem" und „Steuerlager" das Wort „im" untergebracht werden. Es heißt nicht „... die mit diesem Steuerlager vermischt werden ..." sondern „... die mit diesem im Steuerlager vermischt werden ...".
Damit ist dann der dritten Beratung widersprochen und dieser Punkt der Tagesordnung zunächst erledigt.
Ich rufe auf Punkt 7.
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Bundeswahlgesetzes ;
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wuermeling, Strauß und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Wahlgesetzes zum Bundestag der Bundesrepublik Deutschland ;
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Bundeswahlgesetzes .
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, da die Zeit für die Aussprache heute nicht mehr ausreicht, daß wir jetzt lediglich die Begründungen dieser Gesetzentwürfe hören, d. h. jeweils 30 Minuten, und daß wir in Aussicht nehmen — ich bitte freundlichst, sich in den Fraktionen darüber zu verständigen, wie Sie zu diesem Vorschlag stehen —, die Beratung dieser Gesetzentwürfe am nächsten Sitzungstag, d. h. gestern in 14 Tagen, vormittags in der Zeit von 9 bis 12 Uhr, vorzunehmen.
— Die Fraktionen sind einverstanden. Ich bitte also, sich heute auf die Begründung der Gesetzentwürfe zu beschränken.
Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um Ihnen den Entwurf des Wahlgesetzes so einfach wie möglich vorzutragen,
möchte ich nach drei Grundsätzen verfahren: Erstens: Grundsätzliche Einführung in das eigentliche Wahlsystem mit Ausführungen über die Motive; und bei diesem ersten Teil werde ich auch auf die Erörterungen vor dem Bundesrat eingehen. Zweitens wollte ich dann die übrigen Teile des Gesetzes und die Begründung insoweit hier vortragen, als es notwendig ist, und drittens eine kurze Erklärung zu der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes geben.
Meine Damen und Herren, kaum eine Gesetzesvorlage hat seit Bestehen der Bundesrepublik die deutsche Öffentlichkeit so in Anspruch genommen wie der Entwurf des Wahlgesetzes. Wir dürfen das einmal auf das Interesse an der demokratischen Repräsentation zurückführen
und zum andern gerade in diesem starken Interesse doch ein gutes Vorzeichen für eine starke Wahlbeteiligung sehen.
Die Debatte um das Wahlsystem würde die politischen Leidenschaften nicht so stark erregen, wie es in der letzten Zeit geschehen ist,
wenn wir nach dem Grundgesetz oder nach einer feststehenden Rechtsüberzeugung bereits ein bestimmtes Wahlsystem hätten. Aber das haben wir eben nicht; vielmehr ist seit 1945 eine steigende Auseinandersetzung zwischen dem Mehrheitswahlsystem und dem Verhältniswahlsystem im Gange. Zu einer eindeutigen Klärung der Sachlage ist es bisher nicht gekommen, und das Ergebnis ist, daß wir in einer Anzahl von Ländern ein Mischsystem haben, wie es auch teilweise schon im Ausland eingeführt ist. Auf Grund dieser Tatsache, daß auch andere Bundesländer schon diese Mischsysteme kennen, wird man der Bundesregierung kaum einen Vorwurf daraus machen können, wenn auch sie nach einem Mischsystem gesucht hat und es Ihnen heute vorlegt.
Es ist unverkennbar, daß im deutschen Volke die Überzeugung wachst, daß das Verhältniswahlsystem, das in der Weimarer Republik durch die Verfassung vorgeschrieben war, infolge der durch dieses Proporzsystem hervorgerufenen Parteienzersplitterung zu schweren Bedenken Anlaß gibt. Quer durch alle Parteien geht heute ein Zug zum Mehrheitswahlsystem.
In den Ländern der Bundesrepublik, die inzwischen ein Mehrheitswahlsystem — allerdings verbunden mit einem gewissen Verhältnisausgleich — eingeführt haben, nämlich in Hessen und Hamburg, ist dieses System mit den Stimmen aller demokratischen Parteien beschlossen worden. Und da es im Bunde noch mehr als in den Ländern darauf ankommt, daß sich im Parlament eine klare und regierungsfähige Mehrheit bildet, ist auch das schon ein Grund, der Bundesregierung keinen Vorwurf daraus zu machen, daß sie nicht wieder zu dem Verhältniswahlsystem von vor 1949 zurückgekehrt ist.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß im Parlamentarischen Rat bewußt darauf verzichtet worden ist, mit dem ersten Wahlgesetz gleichzeitig festzulegen, daß dieses erste Wahlgesetz auch für die kommenden Wahlen maßgebend sein sollte. Man hat darauf verzichtet, ein künftiges Wahlsystem schon irgendwie festzulegen, in der Erkenntnis, daß alles in der Entwicklung begriffen ist;
diese Entwicklung wollte man doch erst einmal weiter abwarten.
Auch der Bundesrat hat nicht etwa eine unveränderte Übernahme des Verhältniswahlrechts von ' 1949 empfohlen; auch ihm hat — das kann man aus dem ganzen Gang der Äußerungen schließen — bei seinen Vorschlägen die Berücksichtigung von Mehrheitswahlgesichtspunkten in einem offenbar auch von seiner Seite aus beabsichtigten kombinierten System vorgeschwebt.
In den monatelangen mühevollen Vorbereitungen dieses Gesetzes habe ich wiederholt Gelegenheit gehabt, mit Mitgliedern dieses Hohen Hauses der verschiedensten Parteirichtungen zu sprechen, und wenn ich den Gesamteindruck wiedergebe, so ist es der, daß auch hier eine Mehrheit es begrüßen würde, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, zu einem reinen Mehrheitswahlsystem zu kommen.
Aber, meine Damen und Herren, selbst ein so leidenschaftlicher Vertreter des Mehrheitswahlsystems wie Professor Her mens , der Verfasser des bekannten Buches „Demokratie oder Anarchie?", hat darauf hingewiesen, daß, wenn einmal in einem Lande ein Verhältniswahlsystem eine Weile gegolten hat, es außerordentlich schwierig ist, den Übergang zu einem anderen System zu finden, und daß schließlich all die Gruppen und Grüppchen, die durch ein Verhältniswahlsystem begünstigt waren, ängstlich bemüht sind, diese Vorzüge ihres Systems zu bewahren.
Auch die Bundesregierung hat mit ihrem Entwurf nur einen halben Schritt zum Mehrheitswahlrecht getan. Sie hat ausdrücklich auf ein willkürliches Verhältnis von Mehrheitswahl und Verhältniswahl, etwa von 60 zu 40, verzichtet, und sich vor allem bemüht, ein Gleichgewicht zwischen den
Elementen der Mehrheitswahl und der Verhältniswahl herzustellen. Das ist für die Beurteilung wichtig. Gerade vom Standpunkt dieses Gleichgewichts der beiden Elemente ist der Bundesregierung jenes System der Mehrheitswahl mit zusätzlichem Verhältnisausgleich, wie es Hamburg und Hessen eingeführt haben, nicht nachahmenswert erschienen, weil es letzten Endes willkürlich erscheint, im Verhältniswahlsektor nur die erfolglos gebliebenen Stimmen und die Überschußstimmen zu werten. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß bei dieser Art der Bewertung es beispielsweise der herrschenden Partei in Hamburg möglich war, bei einem Stimmenanteil von nur 43 % 54 % der Sitze zu gewinnen
und in Hessen bei einem Stimmenanteil von 44 % sogar 59 % der Mandate zu erhalten.
Das sollte Ihnen allen zu denken geben. Man bleibt in den Gedankengängen der Verhältniswahl stecken, wenn man meint, daß die im Wahlkreis erfolglos gebliebenen und die Überschußstimmen des siegreichen Kandidaten in jedem Fall „verwertet" werden müßten, sei es in einem vollen Ausgleich wie beim ersten Bundeswahlgesetz, sei es in einem Teilausgleich wie in den beiden Ländern, die ich Ihnen eben als Beispiel genannt habe.
Wenn wir nun in der Richtung auf ein Mehrheitswahlrecht wirklich ein Stück weiterkommen wollen, dann müssen wir uns frei machen von dem Gedanken dieses Verhältnisausgleichs. Die konsequentere Lösung dürfte jedenfalls die hier vorgeschlagene sein, daß man in den Wahlkreisen das Mehrheitswahlrecht folgerichtig bis in seine letzte Konsequenz durchführt und in dem gleichgewichtigen Verhältniswahlsektor nun auch die Verhältniswahl konsequent durchführt. Dieses Prinzip der Folgerichtigkeit, das wir in dem Entwurf streng durchgeführt haben, schließt nach Auffassung der Bundesregierung nicht aus, daß wir gewisse Verbindungsstücke zwischen diesen beiden Sektoren herstellen, damit das Ganze dann die erstrebte organische Einheit werden soll.
Aber ganz abgesehen von v diesen notwendigen Brücken zwischen den beiden Systemteilen ist der Regierungsentwurf das erste kombinierte Wahlsystem in Deutschland, das den Grundsatz der Folgerichtigkeit verwirklicht
und das Ergebnis der Mehrheitswahl im Wahlkreis nicht wieder nachträglich verwässert. Aber weil wir konsequenterweise keine Verwertung der im Wahlkreis erfolglos gebliebenen Stimmen zulassen, müssen wir auf der andern Seite Wert darauf legen, daß der erfolgreiche Kandidat auch wirklich über die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis verfügt, und nur wenn das der Fall ist, können wir mit gutem Recht die unterlegenen Stimmen unberücksichtigt lassen, wenn ihnen eine echte Mehrheit gegenübersteht. Daraus ergibt sich die Ablehnung der relativen Mehrheitswahl, weil wir gerade bei dem Verhältnis, das in der Parteienstruktur hier in Westdeutschland herrscht, durch die relative Mehrheit unter Umständen zu
einer Majorisierung der Mehrheit des Wahlkreises durch eine Minderheit von 20 bis 25 % kommen können.
Die relative Mehrheitswahl kann nur da befriedigen, wo der Grundsatz des Zweiparteiensystems herrscht. Wir würden dem deutschen Parteiengefüge zu viel Zwang antun, wenn wir, um die relative Mehrheitswahl durchzuführen, es in ein Zweiparteiensystem hineinpressen wollten.
Der deutschen Parteienstruktur entspricht vielmehr die traditionelle absolute Mehrheitswahl
mit anschließendem Stichentscheid. Ich bin der Überzeugung, daß wir in der Weimarer Republik gut daran getan hätten, dieses bewährte Wahlsystem beizubehalten
und uns darauf zu beschränken, die Wahlkreiseinteilung den veränderten Bevölkerungszahlen anzupassen.
Der große Vorzug der absoluten Mehrheitswahl ist, daß jeder Kandidat in Anspruch nehmen kann, von der Mehrheit seines Wahlkreises gewählt zu sein und sich also mit Fug und Recht als der Repräsentant dieses Wahlkreises zu betrachten.
Ich mache gar keinen Hehl daraus, meine Damen und Herren, daß ich persönlich die absolute Mehrheitswahl für eine glückliche Lösung halten und sie auch dem System der Haupt- und Hilfsstimmen vorziehen würde. Aber ich muß mich dagegen verwahren, daß man in der Einführung der Hilfsstimme einen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl sehen will oder gar ein Instrument der Koalitionsparteien gegen die Opposition.
Das System der Hilfsstimme ist doch die einzige
gesetzgeberische Möglichkeit, den ersten und zweiten Wahlgang zu einem Wahlgang zu verbinden.
Im übrigen ist der Gedanke der Hilfsstimme nicht vom Bundesministerium des Innern erfunden, er ist schon im Jahre 1905 in der Literatur auch bei uns aufgetaucht, und im Ausland ist er in einer ganzen Reihe beachtenswerter demokratischer Wahlsysteme vorhanden.
Nun wird an der Hilfsstimme vor allem kritisiert, daß einer isoliert kämpfenden Partei kein Partner zur Verfügung stehe, von dessen Anhängern man die Hilfsstimmen etwa erwarten könne. Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit steht sich eine solche Partei bei dem System der Hilfsstimme doch nicht schlechter als beim absoluten Mehrheitswahlrecht,
wenn dort die Stichwahl stattfindet. Dann muß sie sich auch zurechtfinden, genau so wie in diesem Fall.
Ich habe auch gegen die absolute Mehrheitswahl noch nie den Einwand gehört, sie sei verfassungswidrig, weil isoliert kämpfende Parteien keinen Partner hätten, dessen Anhängerschaft ihr zum Siege verhelfen könne.
Ich denke vielmehr, meine Damen und Herren, daß es bei einem Mehrparteiensystem, wie wir es doch jetzt in Deutschland tatsächlich haben — heute hat sich bei mir die 65. Partei mit ihrem Programm angesagt — und wohl auch für absehbare Zeit noch behalten werden, gerade der Sinn der Demokratie ist, daß sich verschiedene politische Gruppen zusammenfinden,
um durch ihren Zusammenschluß dann überhaupt eine Mehrheitsbildung zu ermöglichen. Politische Isolierung kann sich in der Demokratie nur eine Partei erlauben, die die Aussicht hat, für sich allein die Mehrheit zu bekommen. Wenn das nicht der Fall ist, muß sich jede, auch die größte Partei, nach Bundesgenossen umsehen.
Hat sie diese Aussicht nicht, dann ist 'das von ihrem
Standpunkt aus zu bedauern. Das spricht aber
nicht gegen die Rechtsgültigkeit des Wahlsystems.
Man kann gegen ein Wahlgesetz höchstens den Vorwurf erheben, daß es solche Partnerschaften unmöglich macht. Aber das ist bei diesem System ganz bestimmt nicht der Fall; diesen Vorwurf kann man gegen den Regierungsentwurf am allerwenigsten erheben. Gerade sein System ist ja darauf aufgebaut, daß die Parteien sich Partner suchen und daß die demokratische Mehrheitsbildung zu einem gewissen Teil bereits im Wahlkampf vorbereitet wird.
— Das will ich Ihnen gleich beantworten. Es ist auf der andern Seite aber nicht so, daß die Koalitionsbildung durch dieses Wahlgesetz dem Parlament irgendwie vorweggenommen würde und die politischen Fronten durch das Wahlgesetz etwa schon versteift oder verhärtet würden. Der Gesetzentwurf 'sieht keine Bindung zwischen den im Wahlkampf gemeinsam auftretenden Parteien vor, die über die Wahl hinaus rechtlich wirksam sein würde. Wie sich später im neugewählten Parlament und für die Wahl des Bundeskanzlers eine Mehrheit bildet, das ist auch bei diesem Gesetzentwurf eine durchaus offene Frage.
Sie wird durch die Wahlpartnerschaften in keiner Weise präjudiziert.
Es gilt dasselbe wie bei der Verhältniswahl, wo die üblichen Listenverbindungen, wie allgemein
bekannt ist, ja auch keinerlei verbindliche Wirkung für die Tätigkeit im Parlament haben.
Ich komme zu den gegen die Hilfsstimmen im Bundesrat 'erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Drucksache, die wir Ihnen vorgelegt haben. Ich habe auch auf den vom Staatsgerichtshof der Weimarer Republik entwickelten Unterschied zwischen dem Zählwert und dem- Erfolgswert Bezug genommen. Während bei der Verhältniswahl sowohl gleicher Zählwert als auch gleicher Erfolgswert —wenigstens grundsätzlich — verlangt werden müssen, gibt es bei der Mehrheitswahl nur den gleichen Zählwert.
Der Erfolgswert der Stimmen kann ja bei der Mehrheitswahl gar nicht gleich sein, weil eben die Stimmen der Minderheit notwendigerweise ausfallen.
Die systematischen Gründe, die uns dazu geführt haben, eine Verwertung der im Wahlkreis erfolglos gebliebenen Stimmen im Verhältniswahlsektor abzulehnen, habe ich bereits dargelegt. Sie stehen im vollen Einklang mit dem Rechtsgrundsatz,
daß mit der Gewährleistung des gleichen Zählwertes der Stimmen — und dieser Grundsatz steht bei dem Gesetzentwurf außer Zweifel — den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Gleichheit der Wahl in vollem Umfange Rechnung getragen ist.
Ich -komme zu dem zweiten Gesichtspunkt: der Unmittelbarkeit der Wahl. Auch dieser Grundsatz wird durch die Hilfsstimmen nicht verletzt. Eine Verletzung würde dann vorliegen, wenn sich zwischen die Stimmabgabe des Wählers und die Feststellung des Wahlergebnisses ein anderer Wille einschalten würde. Ein solcher dem Wähler fremder Wille wird nach dem Gesetzentwurf überhaupt nicht tätig, sondern das Ergebnis der Wahl folgt automatisch aus der Anwendung des Wahlgesetzes.
— Nein, das ist genau so gesagt. Es ist richtig, daß der Wähler gewisse Überlegungen anstellen muß, wem er zweckmäßigerweise seine Hilfsstimme gibt.
Aber ich glaube, diese Zumutung ist doch durchaus zulässig und vertretbar.
— Doch! In den meisten Wahlkreisen, in denen von vornherein feststeht, welche Kandidaten die aussichtsreichsten sind, ist diese Überlegung für den Wähler mit der Hilfsstimme wirklich nicht so schwierig.
Es ist aber auch falsch, zu sagen, in den wenigen Wahlkreisen, in welchen man das Kräfteverhältnis nicht von vornherein mit einer gewissen Sicherheit überschauen kann,
handle es sich nicht um eine exakte Wahl, sondern
um eine Art Wahltoto. Ich darf daran erinnern,
daß der Wähler, wenn er in demselben Wahlkreis mit unübersichtlichem Stimmenverhältnis nach relativer Mehrheitswahl wählen würde, genau die gleichen Erwägungen anstellen müßte. Denn wenn er hier seine Stimme voll in die Waagschale werfen will, muß er die Chancen der Bewerber genau so gut abschätzen wie in dem von uns vorgeschlagenen System.
Ich komme zu den Wahlen nach Bundesliste. Sie erfolgen nach dem reinen Proporzsystem. Ich kann mich da kurz fassen. Im Bundesrat sind in dieser Hinsicht überhaupt keine Beanstandungen erhoben worden. Aus dem Wahlsystem von 1949 ist der Gedanke der Landeswahlvorschläge übernommen worden.
Die zusammengesetzten Landeswahlvorschläge einer Partei bilden dann die Bundesliste der Partei. Die Bundesliste ist rechtlich eine Einheit.
Die Listenverbindung kann nur für eine Bundesliste im ganzen vereinbart werden. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Listenverbindung steht ganz außer Zweifel. Die Besonderheit, die in der Einrichtung einer Hilfsstimme und der durch sie ermöglichten Wahlhilfe liegt, rechtfertigt es nunmehr, bei ,der Verteilung der Sitze innerhalb einer Listenverbindung auch die Wahlergebnisse in den Wahlkreisen zu berücksichtigen.
— Auf der rechten Seite des kombinierten Systems lebt es, sonst nicht! — Damit kein Zweifel entsteht: die Wahlkreisergebnisse werden von dem Listenwahlrecht in keiner Weise berührt. Alle Mandate, die in den Wahlkreisen errungen sind, bleiben völlig unangetastet. Es wird lediglich in dem Wahlkreissektor ein Rechenelement in der Verteilung der Listensitze innerhalb einer Listenverbindung übernommen, d. h. alles, was außerhalb dieser Listenverbindung steht, wird durch dieses rein interne Verrechnungssystem überhaupt nicht betroffen. Dieser sogenannte interne Proporz schafft den Ausgleich für die Wahlhilfe, die sich die in Listenverbindung stehenden Parteien durch die Hilfsstimme gewährt haben.
Die Tendenz, Parteien zum Zwecke einer parlamentarischen Mehrheitsbildung bereits im Wahlkampf zusammenzuführen, wie sie in der Einrichtung der Hilfsstimme und in der Einrichtung der Listenverbindung liegt, wird zugleich dazu führen, daß sich die Parteien im Wahlkampf nicht auseinander-, sondern möglichst zueinanderleben.
Es ist gar kein Zweifel, daß durch das Verhältniswahlsystem am stärksten das Auseinanderleben gefördert wird.
Der Proporz der Weimarer Republik hat uns sogar den Verlust der Mitte gebracht, an dem 'dieser Staat zugrunde gegangen ist.
Der Regierungsentwurf will diesen Fehler vermeiden. Er nötigt die Parteien, sich einander zu nähern und die Mitte zu suchen.
Ein wichtiger Teil des Regierungsvorschlags ist die Sperrklausel. Damit wird vorgeschrieben, daß eine Partei auf der Bundesliste nur dann berücksichtigt wird, wenn sie in einem beliebigen Wahlkreis entweder einen Sitz errungen hat oder wenn sie 5 % der im Bundesgebiet abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Die verfassungsmäßige Zulässigkeit einer solchen Sperrklausel ist unbestritten; sie kann nicht angezweifelt werden, denn die ist auch notwendig, um im Verhältniswahlsektor das sonst nicht gehinderte Aufkommen einer Unzahl von Splitterparteien zu hemmen. Eine Verschärfung der Sperrklausel, die staatspolitisch vielleicht noch nicht einmal unerwünscht wäre, über den Vorschlag hinaus begegnet aber verfassungsrechtlichen Bedenken, weil das Bundesverfassungsgericht in dem schleswig-holsteinischen Wahlrechtsstreit ein Hinausgehen über 5 % nur in besonders gelagerten Fällen für zulässig erklärt hat.
Es ist begreiflich, daß die Bestimmungen des Entwurfs über das System besonderes Interesse gefunden haben. Wir wollen aber deshalb bei diesen einführenden Betrachtungen doch nicht die Vorschriften über Wahlkreiseinteilung, aktives und passives Wahlrecht und über das Wahlverfahren völlig in den Hintergrund treten lassen. Ich sage dazu kurz folgendes.
Erstens. Die Einteilung der Wahlkreise ist nach § 6 Abs. 2 des Entwurfs einem besonderen Gesetz vorbehalten worden. Die Bundesregierung hat sich in diesem Punkt der Auffassung des Bundesrats angeschlossen, Ihnen für die bevorstehenden Wahlen zu empfehlen, grundsätzlich bei Zahl und Einteilung der Wahlkreise zu verbleiben', wie sie seit 1949 bestehen.
Zweitens. Die Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht sind gegenüber dem bisherigen Rechtszustand fast völlig unverändert geblieben. Wesentlich ist die Behandlung der Entnazifizierten, die in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Bundestags vom 15. Dezember 1950 nunmehr sämtlich das volle aktive Wahlrecht haben, während vom passiven Wahlrecht nur noch Hauptschuldige und Belastete ausgeschlossen sind.
Drittens. Ich komme kurz zu den Wahlbehörden. Wir haben Bundeswahlleiter und Bundeswahlausschuß, wir haben Landeswahlleiter und Landeswahlausschüsse, wir haben Wahlkreisleiter und Wahlkreisausschüsse, wir haben für jeden Wahlbezirk einen Wahlvorsteher und einen Wahlvorstand, und die Gemeinden werden zur Aufstellung der Wählerverzeichnisse und Ausgabe von Wahlscheinen herangezogen.
Viertens. Bei der Aufstellung von Bewerbern durch die Parteien ist eine Regelung ähnlich der im ersten Bundeswahlgesetz getroffen. Neu dagegen ist die Vorschrift über den Wegfall der Ersatzwahl. Für jeden Wahlkreisbewerber und für jeden Listenbewerber soll gleichzeitig ein Ersatzmann vorgeschlagen werden, der bei Fortfall des Gewählten an seine Stelle tritt. Fällt auch der Ersatzmann weg, dann tritt an seine Stelle der auf der Landeswahlvorschlagsliste der Partei in Frage Kommende. Zwar bieten Ersatzwahlen als politische Stimmungsbarometer einen gewissen Vorzug, aber
immerhin: wir haben ja daneben Länderwahlen und Kommunalwahlen, die ausreichend als Stimmungsbarometer dienen können.
Es ist leider nicht möglich, meine .Damen und Herren, den Berliner Vertretern im Bundestag die volle Gleichstellung zu gewähren.
Der Vorbehalt der Besatzungsmächte zum Grundgesetz, der Berlin nur beratende Mitglieder zugesteht, war leider noch nicht zu beseitigen.
Deshalb war eine Sonderbestimmung für Berlin erforderlich. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Beschluß des Bundesrats immerhin einige Möglichkeiten aufgezeigt,
um dem Berliner Wunsch in einem gewissen Umfang so weit wie möglich entgegenzukommen.
Der zweite Teil des Entwurfs befaßt sich — allerdings nur in zwei Paragraphen — mit der Wahl der Bundesversammlung und der Wahl des Bundespräsidenten. Diese Vorschriften sind in der Beratung des Bundestags wohl kaum ein besonderes Problem. Sie ergeben sich mehr oder weniger zwangsläufig aus den Bestimmungen des Grundgesetzes von selbst. Es wäre vielleicht noch zu erwägen, sie vom übrigen Entwurf überhaupt abzutrennen und als besonderes Gesetz zu verabschieden.
Ich komme am Schluß zu der heißumstrittenen Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des Wahlgesetzes. Ich möchte mich heute an dieser Stelle dazu kurz fassen, weil dieses Problem ja beim zweiten Durchgang im Bundesrat und auch hier aller Voraussicht nach wieder eine erhebliche Rolle spielen wird. Wir stehen in der Bundesregierung nach wie vor geschlossen auf dem Standpunkt, daß das Bundeswahlgesetz nicht in das Schema der Artikel 83 und 84 des Grundgesetzes hineinpaßt. Es handelt sich hier — und das ist der Hauptgesichtspunkt, von dem wir ausgegangen sind und auf dem wir auch weiter zu bestehen gewillt sind — um den Artikel 38 des Grundgesetzes, um ein Spezialgesetz zur Regelung eines Organisationsaktes des Bundes, der die Verwaltungshoheit der Länder nicht berührt. Das ist eine Sondervorschrift, die mit Art. 83 und 84 des Grundgesetzes nichts zu tun hat. Darüber werden wir uns ja wohl noch auseinandersetzen müssen.
Meine Damen und Herren, daß niemand einschlafen konnte, dafür sorgten ja schon die Zwischenrufe.
Wir kommen zur zweiten Gesetzesvorlage:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Wuermeling, Strauß und Genossen ein-
gebrachten Entwurfs eines Wahlgesetzes
zum Bundestag der Bundesrepublik Deutschland .
Herr Dr. Wuermeling zur Begründung!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Gestaltung des Wahlrechts für die Bundesrepublik Deutschland ist eine staatspolitische Frage erster Ordnung, die wir jenseits des Parteienstreits und der Parteiinteressen behandeln sollten, weil nicht die Parteien, sondern die Wähler und die Bestandssicherung unserer demokratischen Ordnung im Vordergrund stehen müssen.
Daß eine solche Betrachtungsweise des Wahlrechts möglich ist, ergibt schon die Tatsache, daß sich ja bereits vor Jahren im Gebiet der Bundesrepublik die Deutsche Wählergesellschaft gebildet hat, die auf überparteilicher Grundlage die Grundsätze des Mehrheitswahlrechts im Interesse der Sicherung und Erhaltung unserer demokratischen Ordnung vertritt.
Vom Wähler aus gesehen müssen wir an das Wahlrecht zunächst die Forderung stellen, daß es für den Wähler draußen einfach und verständlich in seinem System ist.
Zweitens müssen wir vom Wähler aus die Forderung stellen, daß dem Wähler eine möglichst nahe Kenntnis des zu Wählenden möglich ist, d. h. die Forderung der Personenwahl in möglichst kleinen Wahlkreisen.
Drittens muß vom Wähler aus die Forderung gestellt werden, daß der Wählerwille in der späteren parlamentarischen Arbeit auch seine Verwirklichung finden kann. Mit dieser Forderung gehen wir schon zu den Forderungen über, die wir vom Standpunkt der Sicherung der demokratischen Ordnung zu stellen haben, nämlich zu der Forderung, daß das Wahlrecht die Schaffung eines arbeitsfähigen Parlaments ermöglichen muß und daß dieses Wahlrecht und dieses Parlament eine kontinuierliche Regierungsarbeit während der Wahlperiode zu ermöglichen haben.
Die letzte Forderung vom Standpunkt des Wählers und der demokratischen Ordnung aus ist die Forderung, daß das Wahlrecht nach allen Seiten hin gleiche, faire Chancen bietet und daß das Ergebnis der Wahl gegebenenfalls, wenn der Wählerwille sich ändert, bei der nächsten Wahl korrigierbar ist. Daraus folgt, wie schon angedeutet, erstens der Gedanke des Personenwahlrechts und die Ablehnung der Listen und zweitens die Tendenz zur Schaffung möglichst weniger großer politischer Gruppen, keinem zuliebe und keinem zuleide, großer politischer Gruppen, die klare Mehrheiten ermöglichen, d. h. Kampf der Parteizersplitterung, Kampf den Interessentengruppen, Kampf den radikalen Flügelgruppen, die nur in der Negation zur Einheit werden können und damit jede positive politische Arbeit gefährden und unter Umständen überhaupt unmöglich machen.
Deshalb zwei klare — wenn ich das so sagen darf — Gebote an das Hohe Haus für die Beratung des Wahlgesetzes. Erstens: Gebt dem Wähler sein Recht! Zweitens: Verhütet arbeitsunfähige Parlamente, die den Willen des Wählers nicht erfüllen können, damit der Wähler nicht durch ein
praktisch nicht realisierbares Wahlergebnis um Sinn und Ziel seiner Wahl betrogen wird!
Ich brauche in diesem Zusammenhang hier vor dem Hohen Hause nicht die Unterschiede zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht auseinanderzusetzen. Ich möchte an dieser Stelle nur einen Gedanken bezüglich des Verhältniswahlrechts aussprechen. Das Verhältniswahlrecht sieht sehr gerecht aus. Aber in der letzten Konsequenz läuft es auf den Satz hinaus: Fiat iustitia, pereat res publica!
Es möge die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen, auch wenn die demokratische Ordnung dabei zugrunde geht! Wenn das Verhältniswahlrecht im Grundsatz falsch ist, meine Damen und -Herren, dann ist es auch falsch in jedem Mischsystem. Wenn ein Prinzip richtig ist, soll man es -bis zum letzten richtig durchführen.
Ich darf nun auf unseren Entwurf Drucksache Nr. 3636 kommen, den -wir im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Wählergesellschaft ausgearbeitet und bereits vor vielen Monaten eingereicht haben. Dieser Entwurf baut auf den eben dargelegten Gesichtspunkten auf. Er schafft ein ganz einfaches klares Wahlrecht in der Weise, daß 400 Abgeordnete in Einmannwahlkreisen gewählt werden, und zwar sieht der Entwurf vor: mit relativer Mehrheit mit der Maßgabe, daß, wenn eine solche nicht zustande kommt, eine Stichwahl zwischen den beiden Höchstbestimmten stattfindet. Ich möchte meinerseits keinen Zweifel darüber lassen, daß ich mit vielen meiner Freunde das absolute Mehrheitswahlrecht gegenüber dem relativen Mehrheitswahlrecht für das bessere System halte, weil das absolute Mehrheitswahlrecht noch viel stärker die integrierenden Tendenzen zur Auswirkung bringt,
die dem Mehrheitswahlrecht innewohnen.
Wir haben in dem Entwurf aber zunächst einmal — für die Vorlage für das Parlament — das relative Mehrheitswahlrecht vorgeschlagen, weil wir die Hoffnung haben zu können glaubten, daß wenigstens das relative Mehrheitswahlrecht in diesem Hause durchzusetzen sei. Im übrigen kennt das Gesetz keine Listenanonymität. Es ist einfach und jedem verständlich. Ich möchte noch eines hinzufügen: Ich habe für meine Person keinen Zweifel daran, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes, soweit sie sich überhaupt mit den Wahlrechtsfragen im einzelnen befaßt und zu befassen in der Lage ist, ein solches Wahlrecht wünscht und durch die Erfahrungen von Weimar von der Unzweckmäßigkeit und Unglückseligkeit des Verhältniswahlrechts hinreichend überzeugt worden ist.
Unser Wahlgesetzentwurf wirkt zunächst im staatspolitischen Sinne konstruktiv, um nicht nochmals den etwas abgegriffenen Ausdruck „integrierend" zu gebrauchen. Er schaltet Splitter-, Interessentengruppen und Radikale deshalb weitgehend aus, weil diese ja bei dem Mehrheitswahlrecht, wo man die meisten Stimmen haben muß, nicht zum
Zuge kommen können. Der Wähler wird bei diesem Wahlrecht vor eine echte politische Entscheidung gestellt, und er wird, was doch staatspolitisch sehr gesund ist, gehindert, Interessenpolitik zu treiben, und verhindert, reinen Interessentenkandidaten oder Radikalen seine Stimme zu geben. Dieses Wahlrecht schafft wenige große Gruppen, und sichert damit für das Parlament klare Mehrheitsverhältnisse.
Zu all dem kommen die allgemeinen Vorteile der Personenwahl. Die Personenwahl ist ja mit der Mehrheitswahl zwangsläufig verbunden, weil es bei der Mehrheitswahl Kandidatenlisten nicht geben kann. Der als Persönlichkeit im Wahlkreis verwurzelte Abgeordnete wird, wenn er seine Pflicht tut, der volksnahe und volksverbundene Repräsentant des demokratischen Staates. Er kann, umgeben und getragen vom Vertrauen der Mehrheit der Wähler, ganz anders zur Volkstümlichkeit des demokratischen Staates beitragen und Bindeglied zwischen Regierung, Parlament und Volk sein als 'die von mehr oder weniger anonymen Parteigremien aufoktroyierten Listenkandidaten, auf deren Auswahl die Wähler praktisch so gut wie gar keinen Einfluß haben.
Dazu, meine Damen und Herren, nochmals die Herausstellung eines Gedankens: Wenn das, was ich hier sage, grundsätzlich richtig ist, dann sollten wir uns hüten, das Richtige nur zur Hälfte zu tun und die andere Hälfte falsch zu machen.
Bei der Personenwahl stehen ja die Parteien unter einem viel stärkeren Zwang, bei der Kandidatenaufstellung auf die Wähler Rücksicht zu nehmen, als bei Listen, wo die unmittelbare Beziehung zwischen dem Wähler und dem Kandidaten nur selten gegeben ist. Bei einer Listenwahl muß der Wähler das Kollektiv „Partei" wählen; bei der Personenwahl wählt er eine repräsentative Persönlichkeit, deren politische Anschauungen den seinen am nächsten kommen, und der er deshalb sein Vertrauen schenkt. Wir wollen und dürfen keinen Parteikollektivismus fördern oder züchten, sondern wir müssen die freie politische Persönlichkeit zur Entfaltung bringen. Diese soll wohl in einer Partei als einer praktisch notwendigen Arbeitsgemeinschaft Gleichgesinnter stehen; aber doch nur in dem Sinn, daß ihre Eigenständigkeit darin verwurzelt ist und sich frei entfalten kann. Und wenn man uns sagt, die Wähler seien für das Mehrheitswahlrecht nicht reif, dann bestreitet man damit das Vorliegen der Grundvoraussetzungen der demokratischen Ordnung und des gleichen Wahlrechts überhaupt, und das sollte man nicht tun.
Darf ich mich dann mit 'einigen Einwänden befassen, die gegen den Gedanken des Mehrheitswahlrechts geltend gemacht werden, Einwände, über die man sich sachlich und nüchtern unterhalten muß.
Die einen sagen, das Mehrheitswahlrecht erschwere es zu sehr, die Spezialfachkräfte, die man für die Fraktionen braucht, und auch die Frauen in angemessener Zahl in das Parlament hineinzubekommen. Nun, in England und Amerika hat man ja das Mehrheitswahlrecht, und ich wüßte nicht, daß in dieser Hinsicht dort besonders gewichtige Klagen lautgeworden wären.
Im übrigen hat ja auch das bißchen, was wir an Mehrheits- und Personenwahlrecht im 49er Wahlrecht verwirklicht haben, gezeigt, daß auch auf diesem Wege erste Fachkräfte und ebenso auch die Frauen ganz gut zum Zug kommen können; denn wenn Sie die Liste der unmittelbar gewählten Abgeordneten dieses Hauses einmal durchgehen, dann werden Sie nicht zu dem Ergebnis kommen können, daß es da an Fachkräften und auch an Frauen fehlte.
Im übrigen, von der anderen Seite her, meine Damen und Herren: Sicherlich, wenn man den Parteien die Aufgabe zuerkennt, bei Aufstellung der Listenfür die Beachtung dieses Gesichtspunktes Sorge zu tragen, so mag das gut sein, wenn die Parteien das tun. Aber wer garantiert denn dafür, daß die Parteien das auch wirklich tun und daß sich nicht die Parteibürokratie bei der Aufstellung der Listen in einem Sinne durchsetzt, der mit dem Willen und den Wünschen der Wählerschaft nur noch sehr wenig zu tun hat? Das scheint mir besonders dann der Fall zu sein, wenn etwa hauptamtliche Parteifunktionäre auf die Listen gesetzt werden, die naturgemäß nicht die politische Unabhängigkeit besitzen können und haben, die der Abgeordnete des Bundestages haben muß.
Meine Damen und Herren, die Parteien sind nicht das Höchste im Staate, und sie dürfen nicht die letzten Entscheidungen über diese Dinge in der Hand haben!
Ein zweiter Einwand! Es klang vorher schon an. Man spricht davon, es wäre ungerecht, wenn eine Stimmenminderheit über das relative Mehrheitswahlrecht gegebenenfalls zur Mehrheit im Parlament und damit zur Regierung käme. Diese in diesem Falle einmal nicht zum Zuge gekommene Wählermehrheit hat ja bei den nächsten Wahlen Gelegenheit, dieses Ergebnis zu korrigieren und so zu korrigieren, daß sie eben unter Umständen auch mit einer Minderheit zur Mehrheit im Parlament und damit zur Regierungsführung kommt. Wenn diese Chancen nach allen Seiten hin gleichmäßig verteilt sind, sehe ich keinen Anlaß, diesem Gesichtspunkt entscheidende Bedeutung beizumessen.
Im übrigen: Die Überspitzung des Grundsatzes der Gerechtigkeit darf den Zweck der Wahl nicht vereiteln, eine funktionierende Regierung und arbeitsfähige Mehrheiten zu schaffen. Das ist ja Sinn und Ziel des Mehrheitswahlrechts, und gerade das wird durch das Verhältniswahlrecht sehr erschwert oder gefährdet. Diese sogenannte Wahlgerechtigkeit darf nicht überspitzt werden. An dieser Art Gerechtigkeit für -jeden Interessentenhaufen -und für jeden Staatsfeind ist Weimar wesentlich mit zugrunde gegangen.
Ein weiteres! Man sagt, die gesicherten Regierungsverhältnisse würden ja durch das konstruktive Mißtrauensvotum geschaffen, das wir im Grundgesetz verankert haben. Das konstruktive Mißtrauensvotum — gut und schön, wenn eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament vorhanden ist! Ist aber ein Bundeskanzler nur mit relativer Mehrheit gewählt worden, dann nützt Ihnen nachher bei der Gesetzgebung das ganze konstruktive Mißtrauensvotum nichts, weil Sie ihn einerseits nicht ersetzen können und andererseits keine
Mehrheiten für die Gesetze zustande kommen. Das konstruktive Mißtrauensvotum ist also kein Ersatz für das Mehrheitswahlrecht und ist kein Gesichtspunkt, mit dem man das Verhältniswahlrecht rechtfertigen könnte.
Nun zum letzten Gesichtspunkt, der 5%-Klausel zur Ausschaltung der Kleinstparteien, Kleinstgruppen und Interessentenhaufen. Ich glaube, wir alle haben uns an Hand der Erfahrungen allein auf deutschem Boden wohl davon überzeugt, daß die 5 %-Klausel eben nicht genügt, die integrierende Wirkung zu erreichen, die in diesem Sinne erzielt werden muß.
Gegenüber all diesen Gesichtspunkten bleibt doch bestehen: Das Personen- und Mehrheitswahlrecht verwurzelt den Abgeordneten und damit die Parteien in der -Wählerschaft; es verhindert die Bevormundung der Wähler durch die Parteien und sichert damit die Brückenfunktion der Parteien zwischen Wählern und Parlament. Schließlich schafft es klare parlamentarische Mehrheitsverhältnisse, wie sie für den Bestand der parlamentarisch-demokratischen Ordnung notwendig sind.
Ich sagte vorhin einleitend, daß die Frage der Schaffung des Wahlrechts eine überparteiliche Frage sei, daß keine parteipolitischen Gesichtspunkte, sondern nur echte staatspolitisch-demokratische Zielsetzung im Vordergrund stehen dürfe. Wir haben uns nun auf überparteilicher Grundlage schon seit langer Zeit bemüht, einen Wahlgesetzentwurf auf der geschilderten Grundlage des Mehrheitswahlrechts durchzusetzen.
Aber wie sieht es mit der Durchsetzbarkeit dieses Wahlgesetzentwurfs hier im Hause aus? Unter ihm stehen 32 Unterschriften von Abgeordneten der CDU/CSU und von 2 Fraktionslosen, wozu ich ausdrücklich bemerken möchte, daß die Zahl der Unterschriften aus der CDU/CSU seinerzeit noch beliebig hätte vermehrt werden können, wenn wir nicht den Wunsch gehabt hätten, den Platz dafür den Angehörigen anderer Parteien zu überlassen, die sich vor der Bundestagswahl auch für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen hatten.
Meine Damen und Herren, das waren damals rund 150 in dieses Haus gewählte Abgeordnete;
davon 96 der CDU/CSU, 23 von der SPD,
je 9 von der FDP, DP und Bayernpartei
und 3 Unabhängige. Inzwischen sind die Zahlen nochmals infolge der Veränderungen, die seit der Wahl im Hause eingetreten sind, berichtigt worden. Dabei hat sich die Zahl der anfällig gewordenen
SPD-Abgeordneten schon von 23 auf 29 erhöht.
Meine Damen und Herren, als Abgeordneter der CDU kann ich erklären, daß wir bereits im Parlamentarischen Rat mit Nachdruck für das Mehrheitswahlrecht eingetreten sind, das wir heute unverändert vertreten. Der Große Parteiausschuß der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, der vor wenigen Wochen getagt hat, hat auch nochmal ein klares Bekenntnis zu diesem Mehrheitswahl-
recht abgelegt, indem er am 27. Januar 1953 folgenden Beschluß faßte:
Aus staatspolitischen Gründen hat die CDU schon im Parlamentarischen Rat den Grundsatz des Persönlichkeits- und Mehrheitswahlrechts vertreten und das Listenwahlrecht abgelehnt. Die CDU steht heute unverändert zu dieser staatspolitischen Auffassung.
Meine Damen und Herren! Wenn die anderen das auch täten, die sieh vor der Wahl, als sie noch nicht rechnen konnten, wie sich so ein Bundestagswahlergebnis auswirken würde, für das Mehrheitswahlrecht erklärt haben, dann wäre es ein leichtes, diese 150 Stimmen im Bundestag auf 202 zu erhöhen und damit das Mehrheitswahlrecht durchzusetzen, wie es das deutsche Volk von seinem Bundestag erwartet.
Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, nicht die Möglichkeit zu haben, jetzt in der ersten Lesung für diesen Gesetzentwurf eine namentliche Abstimmung zu beantragen, um festzustellen, wer vielleicht noch zu seiner alten staatspolitischen Fahne zurückkehrt. Denn es ist nicht zulässig, einen geschäftsordnungsmäßigen Überweisungsantrag durch namentliche Abstimmung zu erledigen, und im übrigen findet ja eine Sachabstimmung in der ersten Lesung noch nicht statt.
Wenn ich die Frage aufwerfe — und das sollten wir doch auch einmal ganz kurz tun —, warum denn nun diejenigen, die sich damals für das Mehrheitswahlrecht erklärt haben und auch später zum Teil erneut in diesem Sinne Stellung genommen haben, heute diesen Standpunkt nicht mehr vertreten, dann erinnere ich mich an drei verschiedene Meinungsäußerungen, die mir als Begründung zur Kenntnis gekommen sind. Herr Kollege Menzel hat mir in einem Rundfunkgespräch einmal zu dieser Frage geantwortet, man habe zum ersten Bundestag nach dem geltenden Wahlrecht gewählt, und daher sei es angemessen, jetzt zum zweiten Bundestag nach dem gleichen Wahlrecht zu wählen, um der Opposition die Möglichkeit zu geben, bei der zweiten Wahl nach demselben System an die Macht zu kommen, nach dem die jetzigen Regierungsparteien bei der ersten Wahl an die Macht gekommen sind. Meine Damen und Herren, welche staatspolitische Logik in dieser Erwägung liegen soll, vermag ich nicht zu erkennen; wenn ein Wahlrecht falsch und gefährlich ist und im Verlauf der Zeit wegen der Gefahr steigender Zersplitterung immer gefährlicher wird, dann kann man nicht aus solchen parteitaktischen Erwägungen sagen: Wir wollen das bessere Wahlrecht nicht schaffen.
Die zweite Antwort, die mir gegeben worden ist, kam von Herrn Professor Brill bei einer Aussprache vor der Studentenschaft hier in Bonn. Da sagte er mir: Jawohl, wir sind wohl für das Mehrheitswahlrecht, aber erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands.
Daß zur Begründung noch konfessionelle Gesichtspunkte herangezogen wurden, beweist, daß Herr Professor Brill von dem Wesen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands und von dem großen Fortschritt in der Überwindung der konfessionellen Gegensätze durch die Christlich-Demokratische Union noch nichts begriffen hat.
Im übrigen ist zur Sache zu sagen: Wenn das Mehrheitswahlrecht gut ist, dann ist es für die Bundesrepublik ebenso gut, wie es später für das wiedervereinigte Deutschland gut ist.
Die letzte Antwort, die ich vorliegen habe, läßt die Katze eigentlich am deutlichsten aus dem Sack; das ist nämlich eine Äußerung des Herrn Kollegen Erler von der SPD, die er gegenüber der „Wetzlarer Zeitung" in einer Zuschrift getan hat. Da heißt es:
Gegen das reine Mehrheitswahlrecht der englischen Form spricht in Deutschland die Tatsache, daß es ein in jedem Wahlkreis variierendes Bündnis der verschiedensten Gruppen immer gegen die Sozialdemokratie zustande bringt.
Man erklärt also immer, man sei gegen die Zersplitterung, und man wisse, daß die Zersplitterung schädlich ist, daß sie die parlamentarische Demokratie gefährdet, aber man will die Zersplitterung durch das Verhältniswahlrecht erhalten, weil man parteipolitische Sorgen vor einem Mehrheitswahlrecht hat! Deutlicher kann man ja wohl das Parteiinteresse nicht über das Staatsinteresse stellen!
Meine Herren von der Sozialdemokratie, Sie sollten doch nicht vergessen, daß auch die Existenz der Parteien nur in einer funktionierenden Demokratie gesichert ist und daß auch die SPD keinen Bestand haben kann, wenn nicht eine gesunde Fortexistenz der demokratisch-parlamentarischen Ordnung auch über das Wahlrecht gesichert wird.
Dieser Bundestag hat noch die Möglichkeit, diese notwendige Sicherung der demokratisch-parlamentarischen Ordnung zu schaffen. Die bei uns leider bestehende Tendenz zu politischer Zersplitterung und interessengebundenen Gruppierungen könnte leicht dazu führen, daß ein nicht nach dem Mehrheitswahlrecht gewählter Bundestag es schon nicht mehr kann, weil Interessentengruppen ohne echte politische Zielsetzung den richtigen Entschluß verhindern könnten.
So liegt eine große staatspolitische Verantwortung auf diesem Bundestag, der sich niemand durch die Flucht in die parteipolitische Sphäre entziehen kann und darf, eine Verantwortung vor den Wählern, deren Recht zu sichern ist, und eine Verantwortung vor der demokratischen Ordnung, über deren dauernden Bestand wir jetzt eine besonders wichtige Entscheidung zu treffen haben. Möge sich der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung vor der jungen deutschen Demokratie bei dieser wichtigen Entscheidung bewußt sein!
Zur Begründung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Bundeswahlgesetzes Drucksache Nr. 4062 hat der Abgeordnete Dr. Menzel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen beiden Begründungen, die wir soeben zu den beiden Gesetzentwürfen gehört haben, tut es mir eigentlich doch leid, daß wir nicht gleich in eine allgemeine Aussprache eingetreten sind.
Ich möchte mit einer ganz offenen Frage an den Herrn Kollegen Wuermeling beginnen. Herr Kollege Wuermeling, haben Sie nicht selbst das Gefühl, daß Sie, so wie die Situation im Bundestag nun einmal ist, politisch im luftleeren Raum sprechen? Denn das, was Sie, oder die Antragsteller des Entwurfs, hier vorlegen, ist doch nur ein scheinbares Mehrheitswahlrecht.
Es ist mir leider nicht möglich, da es heute lediglich meine Aufgabe ist, den Entwurf der SPD zu begründen, auf alle Einzelheiten- einzugehen; das wird der Aussprache in vierzehn Tagen überlassen bleiben müssen. Aber glauben Sie denn wirklich, meine Herren von der CDU, die diesen Entwurf unterschrieben haben, daß der Herr Bundeskanzler wegen des Wahlrechts bereit ist, seine Regierungskoalition zu gefährden? Denn das würde er doch tun. Sie können doch von Ihren Mitstreitern der letzten Jahre, FDP und DP, gar nicht verlangen, daß sie den Entwurf des Herr Wuermeling mitmachen; sie würden sich doch ihr eigenes Grab graben.
Es ist für uns, Herr Kollege Wuermeling, nicht ganz ohne Reiz, daß zum mindesten ein nicht unerheblicher Teil der CDU anscheinend bereit ist, diese Mitstreiter der letzten Jahre jetzt einfach im Stich zu lassen, indem man um die SPD wirbt, sie möge doch dem Mehrheitswahlrecht zustimmen. Aber sicherlich ist man natürlich auch bereit, dann, wenn das Experiment des Liebeswerbens um die SPD nicht glückt, wieder durch dick und dünn mit den anderen Parteien zusammenzugehen.
Meine Damen und Herren, ich sagte schon, wir müssen heute leider die Kritik und die Auseinandersetzung über den Entwurf Dr. Wuermeling und über die Regierungsvorlage vertagen. Aber ich kann doch nicht umhin, wenigstens auf die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers einige Sätze zu erwidern. Dem Gesetzentwurf der Regierung hätte eigentlich kaum eine bessere Begründung auf den hoffentlich recht kurzen Lebensweg mitgegeben werden können als die Taufrede, die der Herr Bundesinnenminister — im Januar war es — vor der Presse gehalten hat und in der er darauf hinwies — so quasi als Entschuldigung —, daß die Beratungen im Kabinett sehr lange gedauert hätten und daß es recht schwierig gewesen sei, zu einer Einigung zu kommen, daß man aber deswegen nicht etwa denken solle, daß das alte deutsche Sprichwort zuträfe: „Viele Köche verderben den Brei", denn das, was die Regierung vorlege, das sei natürlich kein Brei, sondern das sei ein Kompromiß geworden;
und in der er dann bei dem Kapitel über die Listenverbindung der etwas erstaunten Presse erklärte: „Meine Damen und Herren, das, was ich Ihnen über die Listenverbindung vorgetragen habe, das werden Sie wahrscheinlich drei- oder viermal
lesen müssen, und ich fürchte, daß Sie es dann auch noch nicht verstehen."
Zum mindesten in diesem Punkte war der Herr Bundesinnenminister ehrlich, denn ich glaube schon, daß sich der einzelne Staatsbürger draußen, der Wähler, tatsächlich an die Stirn faßt, wenn er dieses Gesetz lesen und wenn er es nachher anwenden soll.
Daher hat sich die sozialdemokratische Fraktion entschlossen, einen Gesetzentwurf einzubringen, der sich im wesentlichen — auf die Einzelabänderungen komme ich noch — auf das Wahlrecht stützt, das bei der ersten Bundestagswahl gegolten hat. Dieser Entwurf soll zunächst einmal dazu dienen, die begreifliche Verwirrung zu beseitigen, die der Regierungsentwurf draußen verursacht hat, mehr aber noch die Verwirrung zu beseitigen, die durch das nun, glaube ich, fast ein Jahr andauernde Tauziehen in der Regierung entstanden ist bei den Versuchen, wie man bei den künftigen Wahlen die Opposition möglichst geräuschlos an die Wand drücken kann.
Selbst diejenigen Wähler, die politisch gar nicht zur Sozialdemokratie gehören, haben gemerkt, daß dieses Tauziehen nicht für den Wähler geschah, daß man nicht etwa dem Wähler helfen wollte, sondern daß man versuchte, den Wähler zu einer Schachfigur zu degradieren, um seine Stimme letzten Endes dahin zu dirigieren, nicht wohin der Wähler sie haben wollte, sondern da, wo die jetzige Regierung sie nach der Wahl sehen möchte.
Die Resonanz des Regierungsentwurfs draußen ist erstaunlich. Aber ich muß zugleich sagen, es ist erfreulich, daß eine solche Resonanz da ist; denn sie zeigt doch, daß die Befürchtung nicht zutrifft, die Deutschen hätten nicht den genügenden Kontakt mit ihrem Staat. Diese Resonanz zeigt, daß das Gefühl des demokratischen Verbundenseins mit dem Staat außerordentlich gut verankert ist.
Meine Damen und Herren! Diese starke Resonanz gibt uns zugleich die Gewähr, daß die Regierung von ihren eigenen Wählern durchschaut worden ist. Die Wähler haben nämlich erfreulicherweise einen viel stärkeren Instinkt dafür gehabt, als es der Regierung lieb war, als sie erkannten, mit welchen Tricks man zu arbeiten versucht.
Das Wahlrecht ist ein Teil der modernen politischen Wissenschaft. Bei jeder Wissenschaft muß man bestimmte Prämissen und Grundsätze anerkennen, ohne die die Lösung eines politischen Problems nicht möglich ist. Das Problem, das ich hier meine, und die These, die ich hier anspreche, ist der leider zumeist übersehene Grundsatz — ein Bestandteil unserer modernen demokratischen Verfassungen —: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" — und nicht von der Regierung! Erkennt man diesen Grundsatz nicht nur als eine verfassungspolitische Norm, sondern auch als eine verfassungspolitische Verpflichtung an, dann ist damit auch zugleich im Kern festgelegt, wie ein Wahlrecht gestaltet sein muß;
denn die Wahlen und das Wahlsystem sind doch die einzige Möglichkeit, die der Staatsbürger hat, um seinen politischen Willen mit Hilfe des Parlaments in die Realität umzusetzen. Das heißt, das Wahlrecht, das Wahlsystem, ist eine Art Kupplungsgetriebe, um die politischen Wünsche zu realisieren. Aber genau wie beim Kupplungsgetriebe kommt es nicht nur darauf an, daß es an sich funktioniert und daß der Apparat läuft, wenn man auf einen Knopf drückt. Es kommt auch darauf an, daß derjenige, der den Hebel in Bewegung setzt, dann auch weiß, wohin die Maschine läuft, ob sie vorwärts oder rückwärts, rechts oder links läuft.
Das aber weiß doch der Wähler bei dem Wahlsystem der Regierung nicht: denn er bleibt im Ungewissen, wohin seine Stimme geht.
Daher, meine Damen und Herren — das ist die Folgerung aus dem Grundsatz: die Staatsgewalt geht vom Volke aus —, muß das Wahlsystem durchsichtig, übersichtlich und vor allem auch dem einfachen Wähler klar und verständlich sein,
damit er weiß, wen und was er wählt.
Diejenigen, die heute den Gesetzentwurf der Regierung vorlegen, sind gegen das Verhältniswahlrecht. Aber das reine Verhältniswahlrecht ist viel ehrlicher, da es zum mindesten dem Wähler die Gewißheit gibt, welche Partei er wählt, deren politische Prominenz ihm im allgemeinen bekannt sein wird. Alle diese Erfordernisse enthält der Regierungsentwurf nicht. Unter Anerkennung des Grundsatzes, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht und daß der Wähler ein Wahlrecht haben will, das für ihn überschaubar ist, ist der SPD-Entwurf einfach und klar aufgebaut. Er erfüllt insoweit alle Voraussetzungen, die ein Wähler an ein Wahlsystem und an ein Wahlgesetz stellen kann und muß.
In dem Entwurf der SPD gibt es keine Stimmenverwertung durch eine Art Konzern, wie es die Regierung über die merkwürdige Methode der verschiedensten Arten von Teil- und Gesamtlistenverbindungen zu schaffen versucht. Bei unserem System weiß der Wähler von Anfang an, welche Persönlichkeit im Kreis und welche Partei er über die Liste wählt. Da gibt es kein Herumschieben von Stimmen und keine inneren und äußeren Proporze, völlig neue Begriffe, die ausgerechnet die Gegner des Verhältniswahlrechts hier einzuführen versuchen. Jeder hat nur eine Stimme. Das komische Instrument der Hilfsstimme, das letzten Endes doch nur der Verschleierung dient, gibt es nicht. Damit sind auch zugleich die in Art. 38 des Grundgesetzes geforderten Voraussetzungen erfüllt, daß die Wahl gleich, frei und unmittelbar sein muß. Ist das nicht übrigens — wenn ich das einschalten darf — eine alte Forderung im Kampf um die Demokratie in Deutschland und gegen das Dreiklassenwahlrecht im früheren königlichen Preußen gewesen, daß wenigstens bei der Wahl keine Unterschiede zwischen den Staatsbürgern bestehen sollten?! Warum verbrennt man denn heute, was man früher anerkannt hat?
Wir haben bei unserem Entwurf, entsprechend unserem augenblicklich geltenden Wahlrecht, auf die Forderung von Nachwahlen verzichtet, und wir gehen auch von der bisherigen Mandatszahl von 400 aus. Aber gerade bei dem Problem der Nachwahl möchte ich Herrn Kollegen Wuermeling auf einiges antworten. Sie von der CDU haben nämlich das Institut der Nachwahl mißbraucht. Gerade Sie, die Sie vorgeben, für das Mehrheitswahlrecht zu sein, haben nicht daran gedacht, bei den Nachwahlen der letzten 31/2 Jahre auch nur ein einziges Mal das System der Mehrheitswahl zu akzeptieren!
Das paßte Ihnen nicht, weil Sie dann nämlich Gefahr gelaufen wären, daß die SPD vielleicht einige Wahlkreise erobert hätte. Und was taten Sie? Sie griffen zu sogenannten Bürgerblockbildungen.
– Oh, ich darf Ihnen gleich ein Beispiel nennen: Als wir vor einiger Zeit im Westfälischen eine Nachwahl hatten, — —(Abg. Majonica: Bei meiner Nachwahl
nicht! Da gab es keinen Bürgerblock! —
Abg. Dr. Greve: Sie sind ja auch als Persönlichkeit gewählt worden! — Weitere
Zurufe von der SPD.)
— Herr Kollege Majonica, ich werde Ihnen gleich einen Fall aus Ihrer Heimat, aus Westfalen, erzählen. Als wir vor einiger Zeit in Westfalen eine Nachwahl hatten, hatte man gegen den Kandidaten der SPD sämtliche übrigen Parteien von ganz rechts bis zur CDU zusammengefaßt, und man war sich seines Sieges so sicher, daß sich die „Westfälische Zeitung" bereits am Sonnabend vor der Wahl einen Haufen Fackeln gekauft und auch schon die Siegesblätter gedruckt hatte. Und was geschah zum Entsetzen der „Westfälischen Zeitung"? Sie mußte am Sonntagabend die Siegesfackeln auf dem Boden stapeln und die Siegesblätter einstampfen.
Daraus wurde ein Artikel der „Westfälischen Zeitung" an dem auf den Wahlsonntag folgenden Montag,
und mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen aus der „Westfälischen Zeitung", die politisch zu Ihnen gehört, einen Satz vorlesen. Die ganze Verzweiflung des Bürgerblocks kommt hier zum Vorschein. Es heißt dort:
Es ist wirklich um in die Kissen zu schluchzen,
wenn man erfahren muß, daß der Kandidat des Deutschen Blockes eine unbestreitbare Mehrheit hatte, die Wahlbeteiligung aber am geringsten war.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, zu solchen Ergebnissen führt das Wahlsystem da, wo Sie ein Mehrheitswahlrecht nach Ihren Vorstellungen aufziehen.
— Das war Mehrheitswahl? Entschuldigen Sie mal,
I das war einfach ein Sammelsurium von allen möglichen und unmöglichen Parteien!
— Ja, die Wähler waren nämlich intelligenter als Sie in diesem Falle!
Bei unserem Wahlgesetzentwurf lassen wir es wie bisher bei der Wahlkreiseinteilung durch die Länder. Auch da ist es schon der Mühe wert, sich einmal mit diesem Problem zu beschäftigen. Der Regierungsentwurf sieht nämlich vor, daß die Wahlkreisbildung den Ländern weggenommen und der Kompetenz des Bundes übertragen werden soll. Man könnte meinen, das sei doch nicht des Aufhebens wert. Aber hinter der Wahlkreiseinteilung steckt nämlich ein groß Teil Wahlarithmetik. Sie wissen doch genau so wie ich, daß man schon im alten kaiserlichen Deutschland mit einer geschickten Wahlkreiseinteilung den Wahlerfolg außerordentlich stark beeinflussen konnte. Sie haben das doch selbst noch einmal vor ungefähr einem Jahr bei dem Wahlkampf im Südweststaat praktiziert.
Da ist es Ihnen zum Teil dann auch gelungen, sich mit krummen Grenzziehungen Mandate zu holen.
Aber warum wollen Sie diese Aufgabe beim Bunde haben? Sie wollen das beim Bunde haben, weil es zu ihrem großen Mißvergnügen noch einige Länderregierungen gibt, die Ihnen politisch nicht passen und bei denen die „Gefahr" für Sie besteht, daß man die Wahlkreise etwas korrekter einteilt.
Sie sind heute so gegen den Entwurf der SPD, und Sie verschweigen schamhaft, daß dieser Entwurf — ich sagte es vorhin schon — auf dem Wahlgesetzentwurf von 1949 aufbaut, den Sie doch alle durch Ihre Länderministerpräsidenten mitgemacht haben. Tun Sie doch nicht so, als ob das eine rein sozialdemokratische Erfindung gegen die Rechtsparteien wäre! Die Länder haben 1949 durch ihre Ministerpräsidenten auch durch die, die politisch zu Ihnen gehörten — dieses Gesetz akzeptiert.
— Herr Kollege Schröder: Allerdings gibt es in dem Gesetz von 1949 eine Bestimmung, die sich inzwischen in der Tat als hundsmiserabel herausgestellt hat; das ist nämlich die damalige Berlin-Klausel. Es ist erstaunlich und geradezu erschütternd, daß gerade in der jetzigen Situation, in der Berlin Gegenstand der wichtigsten politischen Entscheidungen ist, sowohl der Regierungsentwurf als auch der Entwurf Wuermeling Berlin achtlos beiseite schieben.
Der Herr Bundesinnenminister hat auf die Zwischenrufe von unserer Seite während seiner Rede erklärt, das scheitere am Widerstand der Alliierten.
Das ist doch nicht wahr. Die drei Vorbehalte von 1949 in bezug auf Berlin waren: Erstens. Berlin darf nicht unmittelbar vom Bund regiert werden, ein Problem, das bei diesem Gesetz keine Rolle spielt. Zweitens. Berlin darf nur eine kleinere Zahl von Abgeordneten entsenden. Diese Bestimmung ist inzwischen aufgehoben. Drittens: Die Abgeordneten dürfen nicht stimmberechtigt sein. Es gibt also nirgends ein Verbot der Alliierten, wonach die Berliner nicht unmittelbar wählen dürfen.
Wir verlangen — und ich glaube, das sind wir gerade in der jetzigen Situation Berlin schuldig —, daß auch die Deutschen in Berlin endlich die gleichen politischen Rechte bekommen wie jeder Staatsbürger in der Bundesrepublik.
Ich sagte vorhin schon, für uns sei es entscheidend, durch diesen Gesetzentwurf wieder eine faire und anständige Grundlage für die Beratung eines Wahlgesetzes zu bekommen. Über Einzelheiten, z. B. die Zahl der Mandate und über andere Klauseln wird sich in den Verhandlungen des Ausschusses immer reden lassen. Aber insgesamt könnte man über den Entwurf, den wir hier vorlegen, getrost als Präambel schreiben, daß es ein Gesetz zur Durchführung wirklich demokratischer, freier und gleicher Wahlen sei. Ich habe mir lange überlegt, was man dem Regierungsentwurf als Präambel voransetzen könnte. Es ist ein Wort von Goethe, aus seinem Faust, Erster Teil. Die Präambel des Regierungsentwurfs wäre am besten mit den ersten fünf Zeilen des Hexeneinmaleins wiedergegeben.
Du mußt verstehn:
Aus eins mach zehn
Und zwei laß gehn
Und drei mach gleich,
So bist du reich!
Es wird der Auseinandersetzung in vierzehn Tagen überlassen bleiben, auch die Behauptung zu widerlegen, daß der Regierungsentwurf besser sei als das jetzige Gesetz. Gründe für diese Behauptung sind bisher nicht angegeben worden. Namens der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich jedoch folgendes erklären: Wir wehren uns auch deshalb gegen Manipulationen auf dem Gebiete des Wahlrechts, weil wir es ablehnen, die innerpolitische Situation, in der sich Deutschland befindet, bei diesen außerordentlich starken innerpolitischen, sozialen Spannungen und bei den schwierigen außenpolitischen Problemen, noch mit einem Kampf um das Wahlrecht zu belasten.
Wir haben 1949 nach einem vernünftigen und von allen akzeptierten Wahlgesetz gewählt.
So wäre es, richtig, die gleichen Prinzipien bei der
Wahl zum zweiten Bundestag zugrunde zu legen.
Ich erkläre namens der sozialdemokratischen Fraktion die Bereitschaft, alsbald in den ersten Wochen des neuen Bundestages ein endgültiges, dann aber auch für Jahrzehnte gültiges Wahlgesetz zu beraten.
— Haben Sie solche Angst vor dem neuen Bundestag?
Glauben Sie mir, draußen hat man sehr richtig erkannt, daß das, was man hier seitens der Regierung versucht, praktisch weiter nichts ist als eine Bankrotterklärung zur eigenen Politik.
— Meine Damen und Herren, warum machen Sie denn solche komplizierten Gesetze, die niemand versteht, wie dieses, von dem der Minister selbst sagt, daß man es dreimal lesen müsse, wenn Sie nicht befürchteten, daß bei Anwendung des alten Gesetzes der Bundeskanzler Adenauer im nächsten Bundestag von dem Bundeskanzler Ollenhauer abgelöst werden könnte!
Dieses Eingeständnis der Bankrotterklärung nehmen wir gern zur Kenntnis. Sie haben ja im letzten Herbst schon eine Ihrer Hochburgen verloren. Das zeigte sich klar und deutlich bei den Gemeindewahlen in Nordrhein-Westfalen, wo Sie jetzt nicht mehr die stärkste Partei sind. Bei dieser Situation suchen Sie sich natürlich überall dort Verbündete, wo Sie glauben sie finden zu können.
Aber ich möchte den kleinen Parteien, von denen Sie sich Gefolgschaft erhoffen, warnend sagen, daß sie sehr leicht an die Wand gespielt werden könnten. Da gilt auch das Lied, daß die süßesten Früchte nur für die Großen da sind.
Das neue Wahlrecht kann nur geschaffen werden, wenn es von allen großen demokratischen Parteien getragen wird. Das war 1949 der Fall.
Wir vermögen nicht einzusehen, warum es dann nicht auch 1953 so gelten kann.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der drei vorliegenden Gesetzentwürfe gehört. Wir unterbrechen die zweite Beratung dieser Gesetzentwürfe und setzen sie — —
Verzeihung, die erste Beratung natürlich.
— Ich möchte dazu keine Erklärung abgeben.
Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, daß wir einige Punkte der Tagesordnung, die keine besondere Beratung und Aussprache nötig machen, noch schnell erledigen, um rechtzeitig die Sitzung schließen zu können.
Sie haben vor sich die Übersicht Nr. 63 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestags betreffend Petitionen, Umdruck Nr. 758. Ich schlage Ihnen vor, daß wir ohne Aussprache zur Beschlußfassung kommen. Ich bitte die Damen und Herren,
die — —
— Ist abgesetzt worden? — Ich höre, daß der Petitionsausschuß Wert darauf legt, diese Übersicht heute nicht zur Aussprache und zur Abstimmung zu stellen, um einen Bericht darüber erstatten zu können.
Darf ich fragen, wie es mit dem Gesetzentwurf über den Beruf der medizinisch-technischen Assistenten ist? — Dann rufe ich auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Beruf der medizinisch-technischen Assistenten (Nrn. 4082, 3281 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, über diesen Antrag ohne Aussprache abzustimmen. Ist Frau Abgeordnete Wolff in der Lage, den Bericht zu erstatten? —
Sie verzichtet auf den Bericht. Es wird vorgeschlagen, den Antrag der Deutschen Partei Drucksache Nr. 3281 unverändert anzunehmen. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit, ist angenommen.
Gilt das gleiche für Punkt 9, die
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens über den Antrag der Fraktion der FDP
betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Beruf des Masseurs und den Beruf der Krankengymnastin
und über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei
betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Beruf der Krankengymnastinnen ?
– Frau Abgeordnete Wolff verzichtet auf diesen Bericht ebenfalls; ich danke Ihnen!
Sie haben vor sich die Drucksache Nr. 4083 mit dem Antrag des Ausschusses, den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache Nr. 3286 unverändert anzunehmen und den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei Drucksache Nr. 3304 durch die Beschlußfassung zu 1 für erledigt zu erklären. Ich
bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses für Gesundheitswesen Drucksache Nr. 4083 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit, ist angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend rechtzeitige Festsetzung des Zukkerrübenpreises für 1953. ( Nrn. 4085, 4035 der Drucksachen).
Soll der Antrag für erledigt erklärt werden? —
— Herr Abgeordneter Lampl verzichtet auf die Berichterstattung zu Drucksache Nr. 4085. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache Nr. 4085 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit, ist angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. Dezember 1952 (Az. 1044 E — 24877) (Nr. 4066 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Hoogen. Ist Herr Abgeordneter Hoogen bereit, den Bericht noch zu erstatten? — Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!' Der Abgeordnete Freiherr von Aretin fühlte sich durch einen Artikel in der „Deutschen Woche" beleidigt und erstattete Strafanzeige gegen den Verfasser des Artikels. Die von der Staatsanwaltschaft angestellten Ermittlungen waren für die Staatsanwaltschaft Veranlassung, nun ihrerseits Ermittlungen dahingehend anzustellen, ob nicht der Verdacht einer strafbaren
Handlung gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin bestünde. Die Ermittlungen haben ergeben, daß ein solcher Verdacht nach der Ansicht der Staatsanwaltschaft tatsächlich besteht. Deswegen stellt der Bundesminister der Justiz, der das Ergebnis der Ermittlungen dem Ausschuß für Immunität auf dem Dienstwege zugeleitet hat, den Antrag, die Immunität des Abgeordneten Freiherrn von Aretin aufzuheben.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität schlägt dem Hohen Hause einstimmig vor, die Immunität des Abgeordneten Freiherrn von Aretin aufzuheben, damit in dem von dem Freiherrn von Aretin selbst veranlaßten Verfahren gegen die Herausgeber der Zeitung die notwendigen Ermittlungen angestellt werden können. Ich bitte Sie namens des Ausschusses, dem Antrag auf Drucksache Nr. 4066 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; dieser Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Punkt 14:
Erste Beratung des von der Fraktion der FU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Ersten Wohnungsbaugesetzes (Nr. 4061 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf ohne Begründung und Aussprache an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen zu überweisen. — Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Damit sind die Punkte der Tagesordnung, die heute noch erledigt werden können, erledigt.
— Meine Damen und Herren, wir haben uns verschworen, daß wir um 21 Uhr Schluß machen wollen. Wir werden uns an diese Vereinbarung halten.
Ich berufe die 254. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 18. März, 9 Uhr vormittags, und schließe die 253. Sitzung.